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Ganz viel Krams :D
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  1. Heyho!
    Ich wünsche euch allen frohe Weihnachten, ein paar tolle Tage und auch einen guten Rutsch ins neue Jahr. ♥

    Ich lass mal ein Lebenszeichen von mir (und Ravi) da. Viel Spaß beim Lesen, falls es noch jemand liest. :oops:

    I beg you just to take it easy on me
    zeitliche Einordnung: Juni/Juli 2021

    Caleb
    Die Morrissons schienen sich mal wieder selbst übertroffen zu haben.
    Neben O’s “Wow” schienen auch Aimee und Tschetan die Augen nicht von der prunkvollen Deko abwenden zu können. Ich dagegen warf einen resignierten Blick zu Ylvi hinüber, welche ihn auffing und ebenso zurückwarf.
    “Angeber sind sie ja schon… immer gewesen”, murmelte ich. Aus Gewohnheit fuhr ich mir einmal an der Stirn vorbei, um meine Locken aus den Augen zu streichen— nur dass es keine blonden Locken mehr gab, die ich hätte wegstreichen können. Sie waren so kurz geraten, dass ich sie gänzlich unter meinem Hut mit den vielen glitzernden Steinchen verstecken konnte.
    Der Chauffeur, ein großgewachsener schlanker Mann, streckte seine Finger gierig nach dem Schlüssel aus, kaum, dass wir den Wagen verlassen hatten.
    “Ich soll Ihren Wagen parken.”
    Natürlich soll er das, dachte ich, antwortete aber mit einem „Fein“, ehe ich ihm die Schlüssel meines Wagens übergab. Nachdem der Mann eingestiegen und den Wagen gestartet hatte, fuhr er im Schneckentempo davon.
    “Der kommt schon unversehrt wieder”, scherzte Ylvi, ehe sie mir kurz auf die Schulter klopfte.
    Während O sich bei Bellamy unterhakte und auch Aimee und Tschetan zögernd einen Schritt aufeinander zu machten, schienen Ylvi und ich mehr verhalten. Schließlich lächelte ich sie an. “Sollen wir?”, fragte ich, meinen Arm darhaltend, unter den sie sich kurze Zeit später einhakte, einmal durchatmete und mit mir zusammen die große Eingangshalle betraten.
    Sofort wurden wir von Mr. Morrisson unter die Lupe genommen, der die Outfits mit einem zufriedenen Lächeln absegnete.
    “Ich bin überrascht, dass Bow River sich so mannstark zeigt – da auf der letzten Party kaum jemand von euch erschienen ist”, murmelte er, während er sich mit einer Hand durch den Bart fuhr.
    Arroganter Arsch, dachte ich für mich. Auch Ylvi schien meine Gedanken zu teilen, denn sie wechselte ein paar vielsagende Blicke zwischen mir und Mr. Morrisson. “Ich danke dir für die Einladung”, brachte ich dann doch halbwegs freundlich heraus, “ein passendes Geschenk zu finden, schien uns dennoch fast unmöglich.”
    Mr. Morrisson lachte herzlich. Die umstehenden Gäste fielen vermutlich der Höflichkeit halber in sein Lachen mit ein. “Ach… ich habe bereits alles.”
    Ylvi überreichte ihm den Umschlag. Nach langem Überlegen hatten wir uns auf einen Essensgutschein geeinigt – in einem der gehobeneren Restaurants in Calgary. Nicht, dass er sich das nicht sowieso selbst leisten könnte, aber Zeit mit seiner Frau zu verbringen, kam wohl eher einer kleinen Strafe als einem Geschenk gleich. Jeder wusste, dass Mr. Morrisson nicht die treuste Seele auf Erden war und nur des Schein wegens noch mit Mrs. Morrisson verheiratet war – und wegen ihrer eingebildeten Kinder. Jason, ihr Ältester, war dieses Jahr 14 geworden. Ihre Tochter Josephine 9. Zum Glück war keines der Kinder von Bow River mit ihnen in einer Klasse. Besonders der Junge hatte es faustdick hinter den Ohren.
    Nachdem Mr. Morrisson den Umschlag geöffnet, gelesen und sich schließlich kurz, knapp und mit gerümpfter Nase bedankt hatte, erklärte er uns, welche Räume zur Party gehörten, wo wir die Toiletten und auch das Buffet fanden. Wir bedankten uns und er ging endlich seiner Wege.
    “Uff”, sagte Tschetan und drehte sich zu mir und Ylvi um. “Können wir einfach wieder gehen?”
    “Ich bin genauso ungern hier wie du, mein Junge”, murmelte ich, “aber lass uns das Beste daraus machen…”
    “Wir sehen uns mal um”, meinte Aimee und zog Tschetan an der Hand hinter sich her in einen der anderen Räume. Etwas zögerlich folgte er ihr.
    Ylvi, O, Bellamy und ich kämpften uns durch die ganzen, den Weg versperrenden, glitzernden Ballons zur Theke durch.
    “Hat jemand Durst?”, fragte Bellamy, ehe er sich auf einen der Barhocker fallen ließ.
    “Ich könnte was vertragen”, meinte O und setzte sich links von ihm auf einen freien Hocker.
    Auch Ylvi und ich setzten uns, ehe wir etwas zu trinken bestellten und auf einen guten Abend anstießen.

    Ylvi
    Schließlich war O’ diejenige, die sich in ihrem Barhocker umdrehte, die Ellenbogen auf die Theke gestützt. “Ehrlich, ich kann nicht fassen, dass sie eine fucking Bar in ihrem Haus haben.”
    Caleb nippte an seinem Bier, verzog dabei ein wenig das Gesicht, dann murmelte er in sein Glas. “Alter Landadel.” Verlegen sah er von rechts nach links ob die Morrissons noch in der Nähe waren. “Die müssen sich nicht mal Mühe geben, damit sich deren Vermögen vermehrt", sprach er unter belegter Stimme. Schwang da Eifersucht mit?
    Ich beugte mich ein wenig zu ihm rüber. “Dafür haben wir die bessere Belegschaft.” Caleb schielte zu mir hinüber. Ich schob leicht die Zungenspitze zwischen meinen Lippen hervor. Wie von O’ prophezeit hinterließen sie an meinem Glas einen leichten Abdruck des Lippenstiftes. Immer wieder zuckte meine Hand zu meinen Lippen, als wollte ich mich kratzen. Es kam selten vor, dass ich Make-Up trug.
    Alle konnten zwar verstehen, dass in Calebs Stimme etwas Eifersucht mitschwang, aber gerade Bellamy konnte sich an sehr viel schlechtere Zeiten der Ranch erinnern. Alle konnten das. Was sie aus eigener Kraft gemeinsam geschafft hatten, darauf konnten sie stolz sein. “Tatsächlich, wir haben die bessere Belegschaft.”
    O’ beugte sich aus ihrer Position nach vorn, sah mit hochgezogener Augenbraue an ihrem Bruder vorbei in Richtung Caleb. “Angestellten”, quäkte sie in einer gespielt hohen Stimme. Entrüstung stellte der Ton wahr. Caleb belustigte sich darüber nur. Auch Bellamy und ich schlossen sich dem an. Wir alle wussten, dass uns deutlich mehr verband, als nur ein reines Angestelltenverhältnis.
    O’ trank den letzten Schluck aus ihrem Becher, ehe sie sich zu ihrem Bruder rüber lehnte. “Komm Brüderchen, wir suchen uns mal die Tanzfläche.” Bellamy gab ein theatralisches Stöhnen von sich. Allerdings verschwand das Geschwisterpaar, Arm in Arm in die Richtung, aus der dumpf die Musik zu hören war.
    Ich balancierte auf dem zu hohen Barstuhl ein wenig, den Stühlen fehlte eine Trittfläche, die ich erreichen konnte, also wackelten meine Beine in der Luft.
    “Ich geh mal stark von aus, Tanzen willst du auch nicht?”, stellte Caleb die Frage in meine Richtung.
    “Auf gar keinen Fall. Lass uns das Buffett suchen, ja?” Die Idee schien ihm zu gefallen, denn er befand sich so schnell auf den Füßen, dass er kurz davor war, mir von meinem Stuhl herunter zu helfen. Seine Arme schossen vor, um mich an der Hüfte zu nehmen, verharrten dann jedoch einen unsäglichen Augenaufschlag in der Luft, denn irgendwie war die Geste auch seltsam.
    “Danke, geht schon”, murmelte ich leise und ließ mich wenig elegant vom Stuhl gleiten. Vergaß dabei aber meine fetten Heels, kam ein wenig aus dem Gleichgewicht und fand mich an Calebs Unterarmen. Der jedoch tat, als hätte er es nicht bemerkt, nahm mich einfach unter den einen Arm. Gemeinsam begaben wir uns so auf den Weg in Richtung des Buffets. Dabei bemerkte ich die Blicke der anderen, die auf uns ruhten. Ob sie sich wohl fragten, ob der Cowboy der Bow River Ranch endlich eine Frau fürs Leben gefunden hatte?

    Tschetan
    Während die Erwachsenen sich erstmalig an der Bar eingefunden hatten, waren Aimee und ich durch die Masse an Menschen gelaufen, um bekannte Gesichter zu finden. Zielstrebig führte Aimee mich durch das Haus in Richtung der Tanzfläche. Ich kam nicht umhin, es zu bewundern. Eine Plattform über dem Pool der Morrisons war errichtet worden. Von unten schien der Pool, oder aber die Fläche aus Glas, selbst beleuchtet zu sein. Langsam wechselte das Licht in den Farben des Regenbogens zu Füßen der Tanzenden vor sich her. Während man unter sich das Wasser des Pools sehen konnte. Ich blieb dann abrupt stehen und zog Aimee leicht an der Hand. Fragend sah sie zu mir. In meiner typischen Art deutete ich mit den Lippen an die rechte Seite der Tanzfläche. Dort hatte man eine Lounge aus mehreren Sitzgelegenheiten aufgebaut. Mein Blick erhellte sich zwar nicht ganz beim Anblick der gesamten Leute, die dort saßen. Meine Laune sank, als neben Nicholas eine der ersten Personen, die mir auffielen, auch noch Bryce war.
    “Ist das okay für dich?”, fragte Aimee etwas verklemmt neben mir.
    Ich zuckte die Schultern. “Ich kann ja einfach gehen, wenn er irgendwas versucht. Ich lass mir den Abend nicht verderben.” Irgendwie hatte ich im Gefühl, dass die Antwort nicht ganz das gewesen war, was sie hatte hören wollen. Ich ließ ihre Hand los, um zu meinem Kumpel zu gehen. Verlegen blieb Aimee einen Moment länger als nötig stehen, ehe sie mir folgte.
    Nicholas erhob sich und lief uns beiden entgegen. “Wollen wir uns eine andere Ecke suchen?” Allerdings blieb seine Frage unbeantwortet.
    Ich trat vor. “Eeey, neuer Haarschnitt!”, mit der Hand fuhr ich dem Blonden durch das kurze Haar des Sidecuts, den er sich offenbar hatte stehen lassen. Die unbedachte Geste schien Nicholas zu erschrecken. Reflexartig schoss seine Hand nach oben und fing mein Handgelenk auf.
    Zwischen uns beiden blieb ein Moment des betretenen Schweigens – unsere Blicke ineinander fixiert. Aus dem Augenwinkel sah ich Aimee neben uns stehen, ehe sie sich wie mechanisch in Richtung der anderen Jugendlichen bewegte. Nicholas brach schließlich den Blick und ließ mein Handgelenk los.
    “Ich schein aber nicht der einzige, der einen neuen Stil versucht. Mir war gar nicht bewusst, dass deine offenen Haare SO lang sind.”
    Mir waren die offenen Worte meines Freundes peinlich, etwas schüchtern sah ich zu Boden, strich mir eine Strähne hinter die Ohren. “Ganz sicher fühl ich mich damit nicht”, gestand ich ihm leise. Nicholas suchte meinen Blick, schüttelte den Kopf. “Unsinn! Es ist höchstens ungewöhnlich."

    Aimee
    Ich ließ mich zwischen Trevor und Eric fallen, die sichtlich verwundert beide ein kleines Stück zur Seite rutschten. Eric hielt mir ein Getränk vor die Nase, welches ich dankend annahm, um einen großen Zug davon zu nehmen. Was um alles in der Welt war das bitte gewesen? Ungläubig starrte ich Tschetan hinterher, wie er sich gemeinsam mit Nicholas auf das Sofa setzte. Etwas verhalten sah er von mir zu Eric und Trevor, ehe sein Blick kurz auf mir ruhte. Dann senkte er ihn.
    Unsanft wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als Bryce Eric mit einer unwirschen Geste zur Seite scheuchte. Obwohl der junge Mann in O’s Alter war und Bryce in jeder Situation das Wasser reichen konnte, stand er auf, um dem jüngeren Mann Platz zu machen.
    “Es ist so schön, dich hier zu sehen”, sagte er charmant, griff nach einer meiner Hände und küsste sie auf den Handrücken. “Die Party war so langweilig, ohne dich.”
    Ich hasste ihn. Bryce war ein widerliches Ekelpaket. Ich war mir sicher, dass er das zu jeder der Frauen hier auf der Party gesagt hatte. Meine anfängliche Schwärmerei ihm gegenüber war vollkommen verschwunden. Als er meine Hand endlich wieder losließ, fuhr ein Schauer durch meinen ganzen Körper. Kein angenehmer, nicht zu vergleichen mit Tschetans Berührungen heute Mittag, nein. Es war ein abstoßender Schauer, der mir zeigte, dass nicht nur mein Kopf, sondern auch mein Körper nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten.
    “Ich freu mich auch”, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während ich es tunlichst vermied, in Tschetan und Nicholas Richtung zu schauen.
    “Ein schönes Kleid hast du da an”, sagte er schließlich und zupfte einmal an meinem Träger, der meinen tiefen Ausschnitt einigermaßen zusammen hielt.
    “Halt deine Finger bei dir”, zischte Tschetan plötzlich vor uns. Er war aufgestanden und zu uns herüber gekommen.
    “Ich tu deiner kleinen Freundin schon nichts”, feixte er, hob beide Arme in die Luft und tat so, als würde er sich ergeben.
    Tschetan streckte seine Hand zu mir aus, schaute bittend zu mir herunter. Ich ergriff sie ohne zu zögern, stand auf und folgte ihm auf das gegenüberliegende Sofa, auf dem Nicholas alleine zurückgeblieben war. Bryce blickte uns nach. Noch lag sein rastloser Blick auf mir, den ich wirklich nicht zu deuten wusste. Was lag in ihm? Begierde? Verlangen? Ich wusste es nicht. Was ich jedoch wusste, war, dass ich das nicht wollte. Ich wollte seine Blicke nicht auf mir wissen und ich wollte Tschetan nicht so angespannt sehen.
    Meinen eigenen Blick senkte ich gen Boden, ehe ich leise seufzte und mich dann mit den Worten “Ich… hol mir was zu trinken”, erhob.
    Aus dem Augenwinkel sah ich Bryce aufstehen. Er schaute mir hinterher. Allerdings schob Trevor ihn zurück auf die Couch und sagte etwas, das ich nicht verstand. Erneut stand Bryce auf. Trevor schubste ihn nun deutlicher zurück auf die Couch. Wieder hob er besänftigend die Arme und tat so, als sei er der unschuldigste Mensch auf Erden.
    Um zur Bar zu gelangen, musste ich am Buffet vorbei, an dem ich Ylvi und Caleb traf. Letzterer murmelte etwas zu laut in Ylvis Richtung: “Pferd. Die servieren ernsthaft Pferd.”
    Ich lachte. Sofort drehten sich die beiden um.
    “Wer hätte das gedacht?", meinte ich schulterzuckend und schaute mir das Essen an. Kaum eine der Platten war bisher angerührt– oder wurden sie vielleicht sogar sofort nachgefüllt, sobald auch nur eine Kleinigkeit davon fehlte? Gleich, nachdem ich mir diese Frage gestellt hatte, kam auch schon eine Bedienung herbei und füllte die Salatschüssel, aus der Ylvi sich etwas genommen hatte, auf. Zwei ganze Löffel passten wieder hinein. Das lohnte sich definitiv. Was sie wohl morgen mit dem ganzen übrig gebliebenen Essen machen würde? Bestimmt nicht an die Obdachlosen in Calgary spenden.
    Ich ließ Ylvi und Caleb hinter mir, ehe ich mich an der Bar einfand. Dort bestellte ich etwas zu trinken, bevor ich zurück zu den Jungs ging.
    Die Runde hatte sich schier verdreifacht. Mit den Neuzugängen stieg auch der Alkoholpegel der Runde. Ich stutzte. Wie lange waren sie denn schon hier auf der Party, dass sie schon so betrunken waren?
    “Aimee, setzt du dich?”, fragte plötzlich Nicholas neben mir, der aufgestanden war und auf den Platz neben Tschetan zeigte. Es saßen noch drei weitere Personen auf der Couch, so dass es für uns alle wohl ein wenig zu eng werden würde. Tschetan fing meinen etwas hilflosen Blick auf und rückte ein Stück zur Seite, ehe er neben sich aufs Kissen klopfte.
    “Hier ist wohl Platz für alle”, meinte er lächelnd. Ich setzte mich an den Rand des Sofas, Tschetan rückte dann noch ein wenig näher an mich heran, damit Nicholas auf der anderen Seite wieder neben ihm Platz nehmen konnte.
    Dann legte er seine linke Hand auf sein Bein. Ungeachtet all der anderen Personen in der Lounge ruhte sein kleiner Finger auf meinem und strich ab und zu minimal daran entlang. Ich lächelte. Das wohlige Gefühl, welches ich bereits am Nachmittag verspürt hatte, breitete sich wieder in meiner Magengegend aus.

    Caleb
    Mit voll beladenen und bunten Tellern steuerten Ylvi und ich auf die Esstische zu. Der Essbereich war ein wenig abseits des Buffets in einem eigenen Raum, der so prunkvoll geschmückt war, dass ich meinen Kopf beim Eintreten einziehen musste, um nicht an den Luftschlangen hängen zu bleiben. Ylvi, die sich wohl immer wieder auf ihre Schuhe konzentrierte, und mit denen sie sogar ein Stück größer war als ich, schaute einen Moment zu lange zu Boden, denn mit einem “Pfft pfft fpfft” und einer wegwischenden Geste befreite sie sich wieder aus den Luftschlangen, in denen sie Sekunden zuvor hängen geblieben war.
    Ich grinste sie an. “Die hätte ich mit meiner freien Hand auch gut hochhalten können.”
    Ylvi blieb stehen, richtete sich auf und funkelte mich an: “Ein Gentleman hätte die auch hochgehalten.”
    “Dafür zieh ich dir den Stuhl raus”, feixte ich und bot ihr, nachdem ich meinen Teller auf den Tisch gestellt hatte, einen Platz dar.
    “Oh, danke – Caleb”, antwortete Ylvi gekünstelt und ließ sich auf dem Stuhl nieder. Octavia schaute verwirrt zwischen uns hin und her, während Bellamy nur in seinem Essen herum stocherte und den Blick nicht hob.
    "Schmeckt's nicht?”, löste Ylvi die kuriose Stimmung am Tisch auf, indem sie sich an Bellamy wandte.
    “Doch, doch”, brummelte er, “aber ich bin mir nicht bei allen Sachen sicher, WAS ich da gerade esse.” Er lachte und gemeinsam fingen wir mit einem munteren Raten an, wer denn gerade was mit der Gabel aufgepickt hatte.
    Nachdem sich Bellamy und ich noch einen Nachschlag holten, bedienten sich Ylvi und O bereits am Dessert. Neben allerlei Nachtisch, an dem man sich sofort bedienen konnte, gab es auch kleine Karten mit Namen drauf. Wenn man sich eine nahm und zurück an den Tisch setzte, kam wenig später eine der Bedienungen, nahm den Zettel mit und kam wenige Zeit später mit der gewünschten Kreation zurück. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Eis, welches am Buffet natürlich schmelzen würde.
    So kam es, dass ich gerade den letzten Bissen auf meinem Teller verputzt hatte, als Ylvis viel zu großes Eisdessert an den Tisch gebracht wurde.
    “Hui, ich glaub da können wir vier alle zusammen von essen”, kommentierte O, die sich bereits einen von der Bedienung mitgebrachten Löffel krallte und mit Schwung in den Becher tauchen wollte. Bellamy hielt sie mit einer schnellen Armbewegung davon ab.
    “Nun lass sie doch zuerst selbst mal probieren”, brummelte er, nahm sich aber auch bereits einen der verbliebenen Löffel.
    Ylvi lachte kurz und nahm den ersten Bissen. Gespannt wartete der ganze Tisch auf ihre Reaktion. Grinsend schaute sie in die Runde. “Schmeckt mega gut, aber bedient euch. Das schaff ich nie im Leben alleine.”
    Das ließ sich O nicht zweimal sagen. Auch Bell und ich aßen Löffel um Löffel, doch auch gemeinsam schafften wir die riesige Portion kaum.
    “Hast du dich vielleicht in der Karte vergriffen?”, fragte ich Ylvi, als ich wenig später vom Buffet zurückkam. Ich hatte mir die Desserts selbst auch noch anschauen wollen. “Es gibt Einzelkarten oder Karten für den ganzen Tisch.”
    Ylvi sah auf, kratzte sich kurz am Kopf. “Ich glaube, dann werde ich mich wohl vergriffen haben. So eine Portion für eine Person wäre wirklich eine Lebensmittelverschwendung.”
    “Pssst, die haben Augen und Ohren überall”, flüsterte ich ihr zu, stimmte aber mit einem Nicken mit ihrer Aussage überein.
    “Wieso müssen die eigentlich in allem so übertreiben?”, flüsterte nun auch Ylvi.
    “Weil sie es können.” Ich zuckte mit den Schultern und sah mich in der Masse um. An einem Tisch weiter abgelegen entdeckte ich Tamara und Aiden. “Wenn ihr mich kurz entschuldigt, auch hier ruft die Arbeit.”
    Damit stand ich auf und fand mich am Tisch der Brixtons wieder. “Hey, kann ich mich dazu setzen?”, fragte ich höflich und setzte mich an den Tisch, nachdem Aiden mir gestikulierend zu verstehen gab, ich solle mich setzen.
    “Und wie machen sich die Pferde?”, begann Tamara das Gespräch.
    “Gut, gut. Zumindest Vandal. Mit dem Rest habe ich noch nicht wirklich etwas gemacht, die leben sich aber gut ein. Vandal und Hero stehen zusammen auf einem Paddock und Rocket und Romeo, das klappt sehr gut”, erzählte ich. “Tschetan hat jetzt aber auch schon auf Vandal drauf gesessen, das Einreiten macht Fortschritte. Der Junge stellt sich wirklich gut an.”
    Tamara nickte, sah zu ihrem Mann rüber und legte ihre Hand in die Seine. “Wir sind wirklich froh, dass sich Nicholas und Tschetan gefunden haben… und auch Aimee ist eine gute Seele an ihrer Seite – nicht so wie Bryce.” Den letzten Namen ihres Satzes flüsterte sie nur noch. Augen und Ohren waren überall – wie ich bereits Ylvi zuvor mitgeteilt hatte. “Wobei einem der Junge schon Leid tun kann.”
    Ich horchte auf. Ach ja, dachte ich, fragte dann jedoch ebenso leise: “Wieso das?”
    “Er kompensiert damit, was ihm zu Hause fehlt. Sein Elternhaus ist ziemlich zerstritten, auch wenn sie mit dem Dressurstall nach außen hin eine heile Welt vorspielen, fast so wie es hier ist, aber innerlich sind sie ziemlich zerrüttet. Der Vater ist viel auf Reisen, seien es Geschäftsreisen oder Turniere, er ist fast nie zu Hause. Die Mutter allerdings ist immer da, schmeißt den Laden mit Hilfe des Haupttrainers, mit dem ihr eine Affäre nachgesagt wird. Bryce kann zuhause machen, was er will, es kümmert dort keinen so wirklich.”
    Ich nickte. Das war mir bisher nicht bewusst gewesen. “Eigentlich ist er wirklich ein armes Kind”, kommentierte ich nach einer Weile des Schweigens. Tamara und Aiden nickten zustimmend.
    “Es ist aber dennoch kein Grund, sich SO zu verhalten.”
    Wieder nickten beide, ehe nun Aiden das Wort ergriff: “Ich kann nur hoffen, dass jemand ihn endlich mal unter seine Fittiche nimmt und ihm Manieren beibringt.”
    “Wenn es dafür nicht schon zu spät ist”, warf Tamara ein und zuckte mit den Schultern, ehe sie kurz seufzte und sich dann erhob, “ich glaube ich gehe mir noch etwas zu essen holen, soll ich dir etwas mitbringen, mein Schatz?”
    “Nein, danke. Ich glaube, ich muss mir das nochmal selbst anschauen. Manchmal bin ich nicht so sicher, was ich da gerade gegessen habe."
    Lächelnd erhob ich mich. “Das ging mir eben genau so… ich geh dann nochmal zurück zu meinen Leuten, einen schönen Abend noch.”
    “Danke, ebenso.” Tamara drückte kurz freundlich meine Schulter, ehe sie mit ihrem Mann zum Buffet ging.
    Wieder am Tisch angekommen, fand ich die drei in einer regen Unterhaltung über Ylvis Arzttermine vor. Letztere schien trotz der Schuhe einen Kopf kleiner geworden zu sein, so dass ich mich kurzerhand entschied, sie aus dieser misslichen Lage zu befreien. “Wie sieht es aus, Ylvi. Möchtest du mit mir tanzen?”
    Ihre Miene hellte sich auf, sie stand vorsichtig auf, hakte sich unter meinen dargehaltenen Arm ein und ging mit mir zusammen zur Tanzfläche.
    “Puh, danke fürs Retten”, meinte sie, als wir uns außer Hörweite befanden.
    Ich grinste in mich hinein. “Retten?”
    Ylvi sah mich fragend an.
    “Ja sag schon, wann war dein letzter Kontrolltermin?”
    “Och…”, murmelte sie, knickte dann jedoch ein. “Der Letzte ist schon eine Weile her, aber der Nächste ist in…”, sie überlegte angestrengt, “ich glaube in drei Wochen.”
    “Gut. Ich wollte nur sichergehen, dass dein Herz das hier auch aushält.”
    Mit diesen Worten stieß ich sie tänzerisch von mir weg, was ein kurzes, erschrockenes Quietschen ihrerseits zur Folge hatte. Ich grinste jedoch nur, drehte sie, ehe ich sie wieder zu mir heran zog und ihre Hand mit der Meinen auf meiner Brust zum liegen kam. Passend dazu spielte die Band – natürlich gab es eine Band, ein langsames Lied. So bizarr diese Situation auch sein mochte, so vertraut war sie dennoch. Ich genoss den langsamen Tanz mit Ylvi unglaublich. Dies war etwas, zu dem wir in unserer Zeit als Paar nie gekommen waren. Ich fühlte mich zuhause, ich fühlte mich geborgen und ich fühlte mich… verliebt. Ich stellte mir die Frage, wie lange ich noch vor meinen Gefühlen davonlaufen konnte? Wann der Zeitpunkt gekommen wäre, endlich klar Schiff zu machen und darüber zu sprechen, was in mir vorgeht.
    Meine Gedanken wurden jäh beendet, als die Band zu einem rockigen Lied wechselte. “Jetzt ist’s wohl vorbei mit Kuscheln”, lachte Ylvi amüsiert und fing an, sich im Takt der Musik zu bewegen. Etwas argwöhnisch sah ich in die Runde und schaute mir das Gehampel der Tanzenden an – so etwas war gar nicht meine Musik. “Caleb, hab dich nicht so. Das macht Spaß, du Miesepeter!”
    “Miesepeter?”, wiederholte ich. Das ließ ich mir doch nicht zweimal sagen!
    Etwas unbeholfen fing ich an, mich mehr oder weniger im Takt der Musik zu bewegen. Dabei schaute ich immer wieder in die Runde, um mir die Bewegungen der anderen Tanzenden abzuschauen.

    Tschetan
    Zufrieden nahm ich wahr, dass wohl auch endlich Aimee ihren Abstand zu Bryce wahrte. Dadurch, dass es eng war, wurde mir sowohl der Nähe von Aimee als auch Nicholas zu sehr bewusst. Ich konnte kaum mein süffisantes Lächeln auf den Zügen verbergen. Ich hatte Bryce binnen kürzester Zeit sowohl das Mädchen abstreitig gemacht, an dem er Interesse bekundet hatte, auch sein ältester Kumpel Nicholas hatte unwiderruflich seine Seite verlassen.
    Aimee schien noch immer ein wenig aufgewühlt. Sie sollte sich nicht allein fühlen, deshalb strich mein kleiner Finger immer wieder nur leicht über die Stelle, an der wir uns unweigerlich berührten.
    Ich ahnte einfach, dass ich mich in Bryce nicht irrte. Nicht allein wegen der Tatsache, dass er hasste, was ich war – ein Indianer, sondern seine gesamte Art hatte von Anfang an keine Begeisterung bei mir ausgelöst. Ich hatte schon immer den Drang gehabt, die Frauen meiner Umgebung zu beschützen. Gerade im letzten Jahr hatte ich dieses Verhalten in mir entdeckt. Meiner Schwester gegenüber, die lange Zeit so verletzlich gewesen war. Aber auch Ylvi hatte ich immer wieder argwöhnisch in der Beobachtung. Vorhin hatte ich immer mal wieder nach ihr Ausschau gehalten. Louis hatte mich gebeten, auf sie aufzupassen. Was vielleicht den Instinkt, andere zu schützen noch in mir verschlimmert hatte. Darüber hatte ich auch mit der Schulpsychologin gesprochen. Ich durfte nicht die Bedürfnisse anderer über die Meinen stellen oder mich auf ewig dafür verantwortlich machen, was mit meiner Mutter geschehen war. Ich selbst war damals schließlich noch ein Kind gewesen. Auch an dem Unglück von Dell trug ich keinerlei Schuld. Trotzdem hatte ich schon bemerkt, dass mein Drang seither schlimmer geworden war. Auch Betsy sah ich als Teil meiner Familie an. Nur schwer unterdrückte ich ein Seufzen. Ich vermisste die quirligen Mädchen wirklich! Aimees Oberschenkel zuckte kurz, als wolle sie mir für mein Eingreifen danken.

    Später fing die Gruppe an, ein wenig miteinander zu tanzen, wobei ich dann doch lieber auf meinem Platz auf der Couch hocken blieb. Dem Tanz war ich an sich ja nicht abgeneigt, aber die Lieder passten nicht ganz zu dem, was ich sonst so tanzte. Aimee zog mich ein wenig damit auf, dass mir wohl die Federhaube fehlen würde, um richtig tanzen zu können. "Pfft, Federhaube", warf Nicholas etwas sarkastisch ein. Ich sah ihn allerdings von der Seite grinsend an. Aber natürlich! Mich in einer Regalia hatte er bisher noch nicht gesehen. Und auch von meinem Tanz für die Powwows wusste er nichts.
    "Warts ab, wenn wir den Laden hier hinter uns gelassen haben - dann zeig ich dir was Aimee meint."
    "Aimee würde jetzt gern auch mal tanzen. Wer von euch beiden erbarmt sich meiner?!", drängelte sie.
    Nicholas klopfte sich auf die Knie, seufzte theatralisch und ich sah beide in Richtung der Tanzfläche verschwinden. Mein Blick fuhr durch die Menge der Tanzenden, in der Hoffnung, Ylvi vielleicht doch irgendwie zu erspähen. Es dauerte einige Augenblicke, dann jedoch sah ich sie. Calebs Arme waren um ihre Hüfte geschlungen. Zu meiner Überraschung spürte ich keinen Neid. Trotzdem hielt ich an ihrem Tanz eine Weile fest, bis Caleb mich sah. Hatte er mir da zugenickt?

    ~einige Minuten später~

    Bryce drehte die Flasche, gab ihr somit einen guten Schwung. Und während sich meine Augen auf die rotierende Mitte der Flasche fixierten, hörte ich die Worte von Bryce. Ich hörte sie – und fragte mich, wieso wir uns nur auf diese blöde Spielidee eingelassen hatten.
    Als die Flasche zum Halten kam, starrte ich auf den Flaschenhals.
    “Tschetan. Du glücklicher!”, kicherte eines der angetrunkenen Mädchen, die irgendwie aus Bryce's Bekanntschaft sein mussten. Zumindest kam mir die Brünette nicht bekannt vor. Das Mädchen neben ihr schon, allerdings kam ich nicht auf ihren Namen. Sie flüsterte ihrer Nachbarin etwas zu. Allerdings so laut, dass wir die Worte alle mithören konnten, “oder lucky us. Vielleicht kriegen wir mehr zu sehen.”
    Flaschendrehen. Mit der Option – zieh dich aus, wenn du etwas nicht tun willst. Ich saß bereits meines Jackets und Hemdes befreit in der Runde. Sie spekulierten wohl darauf, auch meine Hose fliegen zu sehen. Allerdings wollte ich ihnen diese Genugtuung nicht geben. Trotzdem blieb da ein Problem. Bryce’ Aufgabe für denjenigen, auf den die Flasche zeigte, bestand darin, Nicholas zu küssen. Ich blickte einmal in die Runde. Überging Aimee, die zu meiner linken saß. Sah dann auf Nicholas, der im Schneidersitz zu meiner rechten Platz genommen hatte. Eine stumme Konversation zwischen uns. Ich sah nur sein subtiles Zucken der Schultern. Also drehte ich mich halb, stützte mich auf den Händen auf. Drückte Nicholas meine Lippen kurz auf den Mund und zog mich wieder zurück.
    Dann lachte Bryce. Ich blieb in meiner seltsamen, halb aufgerichteten Position und sah ihn an. ”Das ist ja niedlich, nennt du das einen Kuss? Rothaut?”, sein letztes Wort kam nur leise zwischen seinen Zähnen hervor. Es stachelte mich an. Aber eher, um Bryce nochmal eine runter zu hauen. Ich ballte meine aufgestützten Hände zu Fäusten. Als auch die anderen zu protestieren begannen.
    “Das zählt nicht!”
    “Wir wollen, wenn dann einen richtigen Kuss!”
    “... mit Zunge!”
    Ich nahm die Stimmen der anderen wahr und sah zu Nicholas hinüber. Hatte er gezwinkert? Noch während ich darüber nachdachte, spürte ich mich an der lockeren Krawatte nach vorn gezogen. Mit dem Schwung schoss leichter Schmerz durch meine Lippen, als sie mit den Zähnen von Nicholas zusammen trafen. Ich kam allerdings gar nicht dazu, nach Atem zu schnappen. Da gab es für den Moment nur Nicholas und mich. Keine anderen um uns herum. Der Kuss war… berauschend. Nicht zaghaft, wie die am Nachmittag mit Aimee, sondern von wilderer Natur. Von außen sah es mit Sicherheit seltsam aus, jeder musste meine Unerfahrenheit sehen. Ich überließ mich dabei ganz Nicholas Führung. Obwohl ich alles ausgeblendet hatte, spürte ich, wie sich die Hand auf meinem Oberschenkel erst verkrampfte, dann verschwand. Allerdings schwamm mein Kopf vollkommen in verschiedensten Empfindungen. Und dann… dann waren Nicholas Lippen fort. Ich öffnete die Augen. Wurde dem hier und jetzt wieder gewahr, meinem schnellen Atem und Nicholas, dessen Hand noch immer meinen Nacken umklammerte. Seinem… erschrockenen Blick? Bryce schien doch tatsächlich sprachlos geworden zu sein. Selbst die Mädels zu seinen Seiten sahen einmal verwirrt drein, die andere hatte sich auf die Lippen gebissen und fixierte Nicholas und mich. Ich musste derweil rot werden, zumindest begannen meine Ohren heiß zu brennen.
    Links von mir eine Bewegung, Aimees piepsige Stimme. “Ich geh mal zur Bar was zu trinken holen.” Bryce sah ihr nur hinterher. Dann wieder, fast angeekelt, zu Nicholas und mir. Als hätte Aimee eine Lawine gestartet, löste sich die Runde auf. Jeder zog seine Klamotten an und verließ den Raum, in den wir uns zurückgezogen hatten.
    Mit heißen Ohren, verwirrten Gedanken und zitternden Händen zog ich mir das Hemd an. Ein Teil von mir wollte Aimee hinterher, ein anderer warf immer wieder Blicke auf Nicholas. Ich hatte das Gefühl, da sei gerade etwas geschehen, das nicht hätte passieren sollen. Zumindest nicht vor allen. Noch immer schlug mir mein Herz bis in den Rachen und ein ganz anderer Teil von mir machte es mir unmöglich, ohne Aufsehen aufzustehen. Ich sah in die Richtung von Aimee, oder zumindest in die Richtung, in der ich sie vermutete. Langsam erhob ich mich, zog mein Jacket drüber.
    “Tschetan?”, flüsterte Nicholas hinter mir, ich blieb stehen. Was für eine verzwickte Situation. Ich wollte Nicholas nicht allein stehen lassen, aber Aimee?
    Ich drehte mich zu meinem Kumpel um. Von der Entschlossenheit während unseres Kusses schien nicht viel übrig. Eher schien es mir, als würde er unter meinem Blick in sich zusammensinken. “Wir müssen reden… aber… Aimee….ich”, stammelte ich, sah dann hinüber zur Tür und wieder zurück zu Nicholas.
    “In..10 Minuten? Draußen in den Ställen?”, fragte Nicholas. Ich nickte bestimmt.

    Ylvi
    Ich spürte mehrere Dinge gleichzeitig, vor allem aber die Schmerzen in meinen Knöcheln. Meine Füße wollten WIRKLICH gern raus aus diesen Heels. Calebs Hand an meiner Hüfte war mir beinahe genauso bewusst. Vor allem aber spürte ich langsam den Film aus Schweiß unter meinen Achseln. Mir war warm. “Caleb, ich muss mal von der Tanzfläche runter. Was trinken.”
    Ich übergab ihm einfach einer anderen Dame, die auf der Tanzfläche allein stand. Über deren Rücken sah er mich zwischen beleidigten Schlitzen der Augen an. Ich streckte ihm kurz meine Zunge heraus. Schließlich hatte er mich erst dazu gezwungen, auf die Bühne zu gehen, nachdem wir uns am Buffet gütlich getan hatten – okay, er hatte mich auch aus den Fängen von O und Bellamy gerettet, so war es nicht.
    Mit ein wenig Geschick hangelte ich mich auf einen der Barhocker, der noch frei war, drehte mich dann auf dem Sitz um und tippte mit dem Finger auf die Bar, um den Typen oder die junge Dame, die bedienten auf mich aufmerksam zu machen. Es war schließlich die junge Frau. Sie hatte ein Piercing zwischen den Löchern ihrer Nase. Ich kam nicht umhin, dass es mich an die Ringe von Bullen erinnerte. Ihre Haare waren schwarz, ein Teil ihres Kopfes war geschoren zum Sidecut. Von ihrem Kinn bis hinauf zu ihren Lippen verliefen einige Striche, die wohl tätowiert sein mussten. Auch auf ihrer Stirn befand sich ein Dreieck aus Strichen, das am Haaransatz begann und spitz zur Nasenspitze zeigte. Als sie näher kam, konnte ich zwischen den zwei Linien sogar kleine Punkte erkennen. Aus klaren braunen Augen sah sie mich an. Ich konnte nicht umhin beim Anblick ihrer Tattoos zu lächeln. Sie musste bemerkt haben, dass ich sie angestarrt hatte. Sie lehnte sich über die Bartheke, auch wenn meine Augen immer wieder über ihr Gesicht scannten.
    “Was kann ich dir bringen, Hübsche?” Ob sie wohl jeden so ansprach?
    “Wasser”, erwiderte ich auf ihre Antwort. Sie zog eine Augenbraue nach oben.
    “Zum Durst löschen wird es wohl reichen”, erwiderte ich verschmitzt.
    “Und was willst du danach?”
    “Deine Spezialität?”
    Sie sah nach unten, lächelte, sah mich dann wieder an. Holy! Ich hatte seit meiner Zeit in Deutschland nichts mit einer Frau gehabt. Sie war… hübsch. Interessant, wegen ihrer Tattoos. Ich wusste nicht, wie ich das Gespräch auf sie lenken könnte. Vielleicht wäre es auch etwas zu übergriffig?
    Nachdem das Wasser bereits zur Hälfte geleert war, stellte sie mir plötzlich einen Cocktail vor die Nase. Eine halbe Zitrone hing am Glas. “Meine Spezialität…Sex on the Beach.” Ich konnte nicht umhin zu lachen. Okay, hatte ich vorher noch spekuliert, dann war ich mir jetzt sicher – sie flirtete mit mir. “Falls du nach der Party nichts weiter vor hast… ein Besuch im Keller lohnt sich. Die Morrisons sind… spendabel.” Sie hatte meine Blicke wohl etwas missgedeutet. Wobei ich es vielleicht auch nicht abgelehnt hätte.
    In dem Moment bewies Caleb echtes Timing. “Fantastisch, ich nehm auch einen.” Ich sah nach ihrer Aussage auf Caleb, den Drink, dann zur Frau hinter der Theke. Dann begann ich herzhaft zu lachen. Die Situation schien einfach zu gut. Auch die Frau begann zu lachen. Während Caleb nicht ganz wusste, was gemeint war.
    "Was?", Caleb erhielt von mir keine Antwort, stattdessen wandte ich mich an die Frau mir gegenüber.
    “Ylvi Kills-Bears. Danke für dein Angebot, zu einer anderen Zeit hätte ich vielleicht ja gesagt. Aber irgendwo hier auf der Ranch läuft mein Ziehsohn herum. Aber, du trägst die Kakiniit mit Würde.” Überraschung huschte über ihr Gesicht.
    “Kills-Bears…Bow River, richtig?”
    Ich nickte.
    “Vielleicht sollte ich mal vorbeikommen." Damit ging sie zu einem der anderen Gäste an der Bar.
    Caleb sah mich von der Seite an. “Wo bin ich da rein geritten?”
    “Ich hab ein wenig geflirtet.”
    “Mit einer Frau?”
    “Du magst es vielleicht nicht glauben, aber… ja ich hatte auch schon was mit Frauen.”
    "Mhm, ungeahnte Dinge.”
    Ich lehnte mich vor zu Caleb. “Sie hat etwas Interessantes zu den Morrisons gesagt. Komm mit.” Mit der rechten griff ich nach Calebs Handgelenk, der Sex on the Beach blieb verweist auf dem Tresen stehen. Durch das Haus gehend, suchte ich nach einer Möglichkeit nach unten zu gelangen. Irgendwo mussten wir ja eine Treppe finden, die in den Keller führte. Tatsächlich wurde ich fündig. Ein breites rotes Band trennte den Weg hinunter jedoch vom Rest der Party. Der dämmrige Flur war gerade nicht besucht. Ich ließ die Hand von Caleb los, zog mir die Heels aus. Stieg dann über die Absperrung. Caleb griff nach meinem Oberarm.
    “Was genau suchen wir eigentlich?”
    “Was weiß ich. Aber hast du Bock auf das da alles?”, unbestimmt deutete ich in Richtung der Party.
    “Nein”, kam Calebs schnelle Antwort, womit er mir über die Absperrung hinunter in den Keller folgte. Meine Augen brauchten einen Moment, mich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Ich blieb einfach stehen. Das dumpfe Licht von oben beschien einen Teil des Kellerflures, ich sah zwei Türen jeweils gegenüber einander. Der Rest verschwand in der Dunkelheit. Auf Höhe meiner Brust startete ein roter Streifen auf beiden Seiten der Wand, bis er auch von der Finsternis geschluckt wurde. Die Morrisons nutzen den Keller offenbar nicht nur als Abstellraum für alles, was sonst im Weg war. Sonst würde doch niemand seine Kellerwände streichen!
    “Doch Angst?'', sprach Caleb hinter mir leise. Er schien mein Zögern falsch zu deuten. Dann spürte ich seine Hände in meinem Rücken, die mich fordernd vorwärts schoben.
    "Pfft." Selbstsicher griff ich nach der ersten Türklinke, drückte sie herunter. Lugte hinein, tastete an der Wand nach einem Lichtschalter. Caleb jedoch fand ihn schließlich, außen im Flur. Ich kniff einen Moment die Augen zusammen, als das Licht an der Decke ansprang und von den unzähligen weißen Fliesen reflektiert wurde. Direkt gegenüber befand sich ein Klo. Caleb pfiff leise. Ich bewegte meinen Kopf also etwas herum, um mehr von dem Bad zu sehen. “Verdammt! Haben die einen fucking Whirlpool in ihrem Bad?!”
    “Sieht ganz so aus.”
    “Nicht, dass mich Reichtum normalerweise interessiert… Aber so ein Whirlpool”, seufzte ich sehnsüchtig.
    “Blubbert auch nur warmes Wasser", meinte Caleb trocken. Ich verzog mein Gesicht, auch wenn er es nicht sehen konnte, da ich noch immer im Türrahmen stand, die Tür nur eine Armeslänge geöffnet. Caleb sah über meine Schulter in das Bad.
    “Dein Sinn für Wellness reicht nicht weit, oder?”
    Caleb sah mich zweifelnd von der Seite an. “Weißt du, was Wellness ist? Ein gutes Team, bezahlte Rechnungen…kein…”, er fuchtelte mit der Hand ins Bad, “zur Schau stellen davon, wie viel Geld ich auf dem Konto hab.”
    Ich stöhnte genervt. Natürlich hatte er Recht. Aber ab und an in nem Whirlpool Platz nehmen… war schon nett. Ich zog die Tür wieder zu. "Komm, da warten noch weitere Türen.”
    Hinter den nächsten Türen fanden wir einen kleinen Weinkeller mit richtigen riesigen Fässern vor, sowie einen Raum, der einfach ein voll ausgestattetes Heimkino bot. Langsam bekam ich einen Gedanken dazu, was die Dame an der Bar mit “spendabel” angedeutet haben musste. Im gedämpften Licht des Kinos lief Caleb in Richtung einer zweiten Tür. Öffnete sie. Als ich mich umdrehte, um mich weiter im Raum umzusehen, hörte ich ihn plötzlich auflachen.
    “Tze,...okay.” Schwang da jetzt doch Neid mit oder missverstand ich ihn? Mit den Heels in der Hand schritt ich durch die erste Reihe Kinositze auf Caleb und die Tür zu.
    "Mhm", kam mir überrascht über die Lippen.
    “Wohl ein Kino samt Schäferstündchen,” sprach Caleb belustigt, denn wir sahen einen kleinen Raum, der fast vollständig von einem King Size Bett ausgefüllt war. “Langsam werd ich ja neugierig, was die Morrisons sonst in ihrer Freizeit so tun oder welche Partys hier unten hinter dem roten Absperrband stattfinden”, murmelte Caleb vor sich her. Währenddessen war ich ganz froh, dass es Duster war, in mir stieg die Hitze der Scham auf. Dann tippte ich Caleb auf die Schulter. “Komm, lass uns die nächsten Türen suchen.”

    Zurück auf dem Flur lief ich Caleb voran in die Dunkelheit und tastete mich entlang, bis ich auf die nächste Türklinke stieß. In Anbetracht der Tatsache, was wir bisher so gefunden hatten, dessen, was die Barfrau angedeutet hatte, machte ich mir tatsächlich etwas Gedanken darum, ob nicht noch jemand die Party verlassen hatte. Weniger euphorisch und schnell als bisher öffnete ich also die Tür einen Spalt. In dem Raum herrschte tatsächlich keine völlige Dunkelheit. Er besaß ein kleines Fenster, welches jedoch abgedunkelt war. Von draußen kam Licht herein. Ich SAH was sich darin befand. “Ouh mein Gott!”, rief ich aus, meine Hand an den Lippen, weil ich so laut gewesen war und zog die Tür wieder zu. Ich konnte nicht verhindern, welches Bild von den Morrisons plötzlich in meinem Kopf auftauchte. Da waren Seile, Masken… und irgendwas, das mehr an römische Orgien erinnerte, als die Realität. Die Hand rutschte von meinen Lippen zu meiner Stirn, schlug mit der Faust leicht dagegen, als würde ich so die Bilder aus dem Kopf kriegen. Spendabel, hallte es in den Worten der Barfrau wieder.
    “Wieder ein Bett? Dieses Mal aber mit Leuten drin?”, fragte Caleb zischend und nach Aufsehen aus. Ich krallte die Hand um die Türklinke. Spannte den ganzen Arm an, als er versuchte, an mir vorbei die Tür zu öffnen. Es entstand ein kleines Gerangel, was ich schon der Kraft wegen gar nicht gewinnen konnte. Allerdings kniff mir Caleb in die Hüfte, sodass ich vor Lachen auf keuchte, da ich super kitzlig war.
    Zack, stand die Tür sperrangelweit offen. Ganz genau wie Calebs Mund.
    Da Licht auf den Flur fiel, schubste ich Caleb tiefer in den Raum und ging leise pfeifend an ihm vorbei.
    “Stille Wasser sind tief.”
    “Hättest du dir SOWAS je gedacht?”, meine Arme fuchtelten etwas unbeholfen umher, “I mean… was ist das?”
    “Ha! Ylvi…” lachte Caleb sarkastisch auf, um dann fast belehrend fortzufahren, “ein Ort an dem Leute Spaß haben und sich… nehmen, was sie möchten.” Mit diesen Worten und einem kehligen Laut schloss er die Tür hinter sich. Mit einem leisen Klacken fiel sie ins Schloss.
    Ich sah es nicht, ich hörte es nur. Während er sprach SAH ich, womit Leute Spaß hatten. Seile, andere seltsame Gerätschaften. Lange Ketten mit Fesseln an den Pfosten des mittlerweile zweiten Bettes in diesem Keller. Wir standen inmitten des Pleasure Rooms der Morrisons. Den sie…offensichtlich auch anderen zur Verfügung stellten, wenn die Frau an der Bar von dem hier wusste. Nur war ich ganz und gar falsch hier. Mir wurde heiß und kalt, dann wieder heiß. Schließlich drehte ich mich zu ihm um. Caleb. Mit ihm. War ich ganz und gar im falschen Raum.
    Ich ging an ihn heran, wollte aus dem Raum, doch er stand mir im Weg. Locker an die Tür gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt.
    “Sag das nicht so”, flüsterte ich angespannt.
    “Wie?”, hauchte er. Nur wenig hob er den Kopf, der Schatten durch den Rand des Hutes verließ sein Gesicht, gab mir den Blick frei auf seine Augen. Sonst bewegte er sich nicht. “Das ist… das hier…ein Ort, an dem Leute Spaß haben. Der ganze Keller ist dem gewidmet.”
    “Aber…”, versuchte ich zu protestieren.
    “Sei nicht prüde. Der Barfrau wärst du doch gern gefolgt, oder?”
    Schweigen meinerseits. Während ich noch einen Schritt näher auf ihn zuging. Jetzt standen wir so nah, dass wir uns beinahe berührten.
    “Ich mochte nicht, wie du sie angesehen hast”, fuhr er fort.
    “Wie denn?”
    “Begehrlich”
    “Neidisch?”
    “Verlockend, mit zwei Frauen hier unten.”
    “Wer sagt, wir hätten dich mitgenommen?”
    “Sie vielleicht nicht…”, Caleb zog mich plötzlich mit dem Finger in der Schnürung der Korsage näher zu sich heran, den Kopf leicht schief, wieder verbarg der Hut seine Augen. “Aber du?” flüsterte er.
    Raus! Sofort! Schubs ihn beiseite und geh. GEH!
    Stattdessen. Tja, stattdessen fanden meine Finger die Türklinke, den kleinen Knauf darunter und drehten ihn. Klack. Abgeschlossen.
    “Und jetzt?”, flüsterte Caleb. Ich spürte ihn, seine verkrampfte Hand am Saum des Kleides, seine Fingernägel bohrten sich durch den Stoff. Das Zittern in seiner Stimme. Ich sah nicht auf.
    “Haben wir Spaß?”, kamen die Worte flink über meine Lippen. Calebs Daumen fuhr mir den Kieferknochen entlang, zwang meinen Kopf dabei mit Druck nach oben. Seine Hand legte sich dabei sanft um meinen Hals, während sein Daumen weiter über die Kante meines Kiefers strich. Schweigend sahen wir einander an.
    Es war falsch. Das mussten wir beide wissen. Das war uns nur zu gut bewusst. Ich jedoch hatte zum jetzigen Zeitpunkt genügend Alkohol im Blut, um nicht mehr ganz Herr meiner Gefühle zu sein. Nicht, dass es als Entschuldigung galt. Ganz und gar nicht.
    Caleb tat nichts weiter. Er wartete ab. Wie der Wolf auf der Jagd. Ließ mich die Entscheidung treffen. Sah er den Kampf hinter meinen Augen?
    “Wir könnten einfach wieder gehen”, flüsterte Caleb belegt. Er bot mir einen Ausweg, doch eigentlich war die Entscheidung längst gefallen, als ich die Tür abgeschlossen hatte. Vielleicht schon, als ich zu einfach unsere Rangelei aufgegeben hatte. Oder aber, als wir hinunter in den Keller gelaufen waren. Mit einem dumpfen Geräusch fielen meine Heels zu Boden, die ich bis jetzt in der einen Hand gehalten hatte. Meine Haken lösten sich vom Boden und…

    Tschetan
    Aimee lehnte an der Bar und starrte konzentriert auf ihr Getränk. Neben ihr war Octavia. Während Aimee mit dem Rücken zu mir stand, hockte O' mit den Beinen überschlagen zum offenen Raum hin. Sie sah mich direkt an, als ich auf sie zukam und fixierte mich mit einem Blick, den ich nicht zuordnen konnte. Allerdings zuckte ihr Kopf in einer Geste, die mir zu verstehen gab, dass ich gerade nicht erwünscht war. Sie lächelte jedoch milde. Vielleicht war das so eine Frauensache. Also lief ich durch die Menge an der Bar und an der Tanzfläche vorbei, den Gang aus Lichterketten hinunter, die zu den anderen Bereichen der Ranch führten. Es war grundsätzlich nicht verboten worden, auch die Stallungen zu erkunden. Dort brannte dumpfes Licht, allerdings musste ich den ausgeleuchteten Pfad aus Lichterketten verlassen. Einige Schritte vor mir betrat eine Gestalt die Stallgasse, die ich eindeutig Nicholas zuordnen konnte.
    Es war niemand zu sehen. Sorgfältig schloss ich die Tür hinter mir. Ich wusste gar nicht so richtig, was ich eigentlich mit Nicholas besprechen wollte. Das alles hatte sich einfach plötzlich verselbstständigt.
    "Tschetan! Das ging schnell."
    "O' hat mich fortgeschickt. Aimee war grad bei ihr."
    Nicholas kratzte sich verlegen im Nacken. "Es tut mir Leid... ich habs übertrieben. Irgendwie hat sich alles…"
    "Verselbstständigt?", lachte ich.
    Nicholas seufzte, lachte dann fast genauso verunsichert wie ich. “Bist du mir böse?”, er lehnte gegen die Boxentür, vor der er stand, eine seiner Hände knibbelte im Holz hinter ihm herum.
    Ich trat näher an ihn heran, suchte seinen Blick. “Verwirrt… nicht böse.”
    “Wir haben denen ne ganz schöne Show geliefert”, verschmitzt lächelte er mich an.
    Wieso war es so viel einfacher mit ihm darüber zu sprechen als mit Aimee? “Ich hab Aimee geküsst. Heute Mittag… als wir unten an der Badestelle waren. Irgendwie, irgendwas hat mich dazu getrieben”, kam es über meine Lippen, bevor ich es niemals aussprechen würde. Nicholas zog die Augenbrauen hoch. “Das erklärt ihren plötzlichen Abgang.”
    “Und meine Verwirrung", flüsterte ich.
    Dann waren da wieder Nicholas Lippen, fragender zunächst. Schließlich fordernder, wieder so anders. Ich spürte den leichten Flaum seines Bartes gegen meine Lippen. Seine Zähne, die mir in die selbige bissen. Ganz automatisch lehnte ich mich näher zu ihm, hörte mich seufzen. Mit geöffneten Augen hielt ich kurz inne, sah in die glänzenden Augen von Nicholas, küsste ihn nun, biss ihm in die Lippe. Ganz wie er es bei mir getan hatte… Bis das Knarzen der Tür zu hören war, bis Aimees erschrockener Ausruf meines Namens zu mir gelangte. Tja, bis ich in eine Art der Erklärnot geriet, die ich mir ja selbst gar nicht bewusst war. Aimee blieb einen Moment stehen, drehte dann um, rannte hinaus.
    “Shit!”, schlug ich gegen die Wand hinter Nicholas, erwischte eines der Gitter der Box mit dem Handknöchel und pochender Schmerz breitete sich schlagartig aus. “Ich sagte doch ich bin verwirrt”, brachte ich unterdrückt hervor, “ich muss ihr nach.” Ich hatte noch immer Nicholas Hand an meiner Hüfte, sie krallte sich in mein Jacket. Gehetzt sah er mich an, dann wurden seine Muskeln im Gesicht verhärtet.
    “Den Eindruck hatte ich eben nicht”, presste er hervor. Seine Stimme glich einem gedämpften Zischen.
    Meine Augen wurden groß, meine Beine wurden augenblicklich wie Gummi… “Es fühlt sich anders an.”
    Ich bereute die Worte, gleich nachdem sie meine Lippen verlassen hatten. War es der leichte Konsum von Alkohol oder der Ansturm der Gefühle, mein Körper, der sich betrogen fühlte, als ich von Nicholas weg trat. Aber es kostete mich meine Besinnung zu sprechen. “Ich bin lang genug in Ylvis' Haushalt, um den Unterschied zwischen Lust und Liebe zu kennen.” Dann drehte ich mich um und ließ Nicholas an die Box gelehnt zurück. Jedoch nicht meinen Körper, nicht jenes Körperteil von mir, das gern weiter erforscht hätte, was Nicholas Hand noch in mir hätte auslösen können.
    Vor der Tür rief ich Aimees Namen. Sah nach links und rechts, sah dann eine Gestalt aus dem Gang der Lichterketten in Richtung der Dunkelheit des kleinen Waldes rennen. Ich war mir nicht sicher, ob es Aimee war, rannte ihr jedoch hinterher.

    Ylvi
    Der Kuss war… nicht magisch. Nicht wild. Anders als es der Raum vermuten mochte. Es war… Heimkehr. Ich drängte mich an Calebs Brust, zog seinen Nacken in meine Richtung, damit meine Haken sicheren Stand fanden, denn sonst drohte ich umzukippen. Seine Hände hoben mich an der Hüfte nach oben. Ich stöhnte, da mir die Korsage nur wenig Bewegungsfreiheit gab. Ich spürte, wie schon den ganzen Abend, die Eisenstäbe, die sich unsanft in meine Hüfte bohrten. Trotzdem schlang ich meine Beine um Caleb. Nach Balance suchend, lief er schließlich in Richtung des Bettes. Beim Hinsetzen kam mir wieder ein Zischen über die Lippen. Gerade als er beginnen wollte, die Schnürung der Korsage zu öffnen, führte ich seine Hand zu dem Reißverschluss, der unter meiner Achsel begann. Unendlich langsam zog er zwischen den Küssen meiner Lippen, des Nackens und der Haut über dem Dekoltee daran. Schließlich war mein Brustkorb frei. Automatisch atmete ich tief, sehr tief ein. Caleb hielt inne in den Küssen. Fuhr die Linien auf meiner Haut entlang, die die Eisenstangen hinterlassen hatten. Ich löste mich von seinem Schoß und ließ das Kleid zu Boden fallen. Calebs Hand blieb, wo sie war, fuhr die Linie weiter entlang bis zum Ende. Bereits jetzt sah man den Schatten des blauen Fleckes. Ich sah, wie sich sein Gesicht mitleidig verzog. “Wieso zieht man denn sowas an?”
    “Ich hatte vergessen wie schmerzhaft Korsagen sein können.”
    “Schmerzhaftes Vergessen.”
    “Manche Dinge sind schmerzhaft”, murmelte ich, beugte mich dann vor, suchte seine Lippen, zog ihn auf die Beine und fummelte am Gürtel seiner Hose. Calebs Hand fuhr an der empfindlichen Narbe an meiner Brust entlang, während er den Kuss unterbrach und meine Hand aufhielt, die seine Hose hinunter ziehen wollte. Sein Atem ging schnell, ich spürte seinen bebenden Brustkorb an meiner Haut. Seine Stirn lag an der meinen.
    “Wir sollten aufhören”, flüsterte er unter halber Beherrschung seiner Stimme. Sein Griff war nicht stark, viel zu einfach entwand ich ihm mein Handgelenk. Meine Hand griff nach ihm. Ich bekam Calebs leichtes Seufzen zu hören und spürte ihn unter meiner Berührung erzittern.
    “Glaubst du das wirklich?”, er kniff mir in die Brust, krallte seine Hand an eine Stelle mit blauen Flecken und küsste mich noch während das Zischen über meine Lippen kam. Den bekannten ‘Point of no return’ hatten wir längst überschritten.
    Wir gaben uns einander, ganz in den Empfindungen des anderen. Das Gefühl von Heimkehr stellte sich ein. Als erinnere mein Körper sich an Calebs. Wo Louis sanft war, war Caleb wild. Unter seinen Fingern war ich kein rohes Ei. Das hier war eingespielt. Als ich ihn schlussendlich in mich aufnahm, seinen Kopf in der Beuge meines Nackens, den stoßweisen Atem von uns beiden, verharrte Caleb zwischen zwei quälend langsamen Stößen.
    “Ich hab dich vermisst”, flüsterte er beinahe so leise, dass ich es nicht hörte.

    Wir kuschelten danach. Völlig egal, dass es weder unsere Decken noch unser Bett war. Egal auch ob wir wussten, wer zuvor hier im Bett gelegen hatte. Caleb hielt mich im Arm. Seinen Atem spürte ich immer wieder über mein Ohr streichen. Sein Arm diente mir als Kissen. Versonnen lag die andere über meinem Körper und strich mir den Rippenbogen entlang.
    Ich war… nachdem was passiert war, quasi augenblicklich nüchtern geworden.
    “Caleb…wir dürfen nicht schon wieder so anfangen”, ich richtete mich auf, starrte auf meine Knie, spürte das Kribbeln meiner Nase. “Es muss eine Entscheidung getroffen werden.” Ich schlug seine Hand von meinem Körper fort. Nun traten Tränen in meine Augen. Die eigene Hand schlug mir hart gegen den Oberschenkel. “Gosh, ich hätte damals einfach gehen sollen. Kanada verlassen, die Ranch”, sprach ich, rutschte vom Bett… klaubte meinen Slip auf, zog ihn an. Nur damit Caleb meine Handgelenke fasste, als ich gerade nach dem Kleid griff. Er schüttelte mich, nur leicht, aber es zwang mich, ihn anzusehen.
    “Sag sowas nicht. Das will ich nicht wieder hören.”
    “Es hätte uns eine Menge erspart.”
    “Ich bereue nichts. Nichts was heute passiert ist. Aber du hast Recht…du...”
    “Ich?”
    “Nein… wir… wir müssen eine Entscheidung treffen. Denn du hast Recht. Wir können SO nicht weitermachen. Das macht uns kaputt.”
    Ich war so unendlich verwirrt. Die Küsse, der Sex mit Caleb das fehlte. Ich vermisste ihn. An meiner Seite. Doch was geschah mit Louis? Der Adoption der Kinder? Konnte ich das alles einfach hinter mir lassen. Ganz egoistisch, um ein Leben mit Caleb zu führen? Liebte er mich? Liebte ich ihn? Jetzt gerade vermochte ich den Unterschied zwischen Lust und Liebe nicht zu beschreiben.
    Ich versuchte meine Handgelenke von Caleb zu befreien. “Bitte…”, flehte ich“, lass mich jetzt gehen. Bitte… ich bitte dich nur… mein es gut mit mir. Ich… ich brauche Zeit.”
    Caleb entließ meine Handgelenke, sah nicht dabei zu, wie ich mein Kleid anzog. Stattdessen kleidete er sich selbst an. Ich ließ ihn zurück. Im Flur schluchzte ich. Hoffte auf der Treppe hinauf keinem zu begegnen. Ich ließ sogar meine Heels zurück.

    Caleb
    Ich fuhr mir durch die Haare, ehe ich meinen Hut auf den Kopf setzte. Das hatte so nicht ablaufen sollen. Leise seufzte ich, schaute zum Bett, in dem ich vor wenigen Minuten noch vollkommen erfüllt gelegen hatte. Ich fuhr mir mit dem Daumen über die Lippen und spürte einen leichten Film Ylvis Lippenstifts darauf. Wir hatten es schon wieder getan. Ich hatte Louis erneut verraten… wir hatten Louis erneut verraten. Konnte ich ihr einen Teil der Schuld in die Schuhe schieben? Heute auf jeden Fall. Ich wusste, dass es falsch war, wusste, dass ich es nicht durfte… sie wusste es auch nur zu gut – und dennoch… dennoch hatten wir wieder zueinander gefunden, uns geliebt und… den Moment genossen, so kurz er auch gewesen war, bevor wir wieder unsanft in die Realität zurückgekehrt waren.
    Als ich den Pleasure Room in Richtung des langen Korridors verließ, nahm ich die leise Musik der Party wahr. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass der Raum, in dem wir uns eben befunden hatten, komplett schalldicht zu sein schien — clever.
    An der Treppe angekommen, ging ich die Stufen hinauf. Mit jedem weiteren Schritt fiel es mir schwerer, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
    Ungeachtet der Tatsache, dass eine der Bedienungen mich darauf hinwies, dass ich dort unten nichts zu suchen hätte, stieg ich über das rote Absperrband hinüber, schnappte mein Jackett an der Bar und ging über eine Seitentür nach draußen.
    Eine kühle Brise wehte mir um die Nase, ich steckte meine Hände in die Hosentaschen, hob den Blick und atmete einmal tief durch.
    Ich wusste gerade nicht, was ich denken oder fühlen sollte, ich kam mir vor wie in einem Traum — vielleicht auch wie in einem Albtraum.
    In einiger Entfernung sah ich einen Teil der Stallungen. Die einzelnen Gebäude waren viel prunkvoller und größer als die Ställe von Bow River. Alle Wege waren durch lange Lichterketten beleuchtet, so dass mein Blick sofort auf die zierliche Frau fiel, die in meine Richtung gelaufen kam. Aus der Entfernung vermochte ich nicht aus zu machen, um wen es sich handelte. Als sie jedoch bei mir angekommen war und beinahe, weil sie ihren Blick stets gen Boden gerichtet hielt, in mich hinein rannte, erkannte ich, dass es sich um Aimee handelte.
    “Aimee…”, setzte ich an, “was ist passiert?” Erst jetzt sah ich, dass ihre Schminke durch die Tränen, die ihr das Gesicht hinunter liefen, völlig verschmiert war. Sie schniefte einmal und wischte sich durch die Augen, was das Ganze natürlich nicht besser machte.
    Aimee blieb stehen, sah erst wieder zu Boden und dann erneut zu mir hoch: “Ich… Tschetan er… und Nicholas…” Sie schluchzte wieder. Ich verstand nur Bahnhof, ließ ihr aber die Zeit, wieder zu Atem zu kommen. “Tschetan und ich haben uns heute Mittag geküsst… und eben beim Spiel haben sich Nicholas und er geküsst… und grade… grade im Stall haben sie sich wieder geküsst!” Aimee schluchzte erneut auf.
    Ich nahm sie in den Arm und drückte sie, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Meine eigenen Gedanken hatte ich beiseite geschoben, stattdessen überlegte ich, was ich zu ihr sagen konnte.
    “Weißt du… ihr seid jung und müsst… Dinge ausprobieren. Die erste Liebe kann grausam sein und…”, mir fiel selbst auf, was für einen Blödsinn ich da gerade von mir gab. Ich schwieg nun einfach und hielt sie im Arm. Wahrte Aimee auch sonst immer einen gewissen Abstand zu mir, schien sie nun froh darüber, eine Schulter zum Anlehnen zu haben.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich langsam beruhigte und ihre bebenden Schultern nur noch ab und an, vom Schluchzen ergriffen, zuckten. “Caleb… ich möchte nach Hause.” Sie ließ von mir ab und ging einen großen Schritt zurück, um mich direkt anzusehen. “Ich möchte jetzt bitte einfach nach Hause.”
    Ich nickte zögerlich. Innerlich zerbrach ich mir gerade den Kopf, wie ich es schaffen sollte, gleich mit Ylvi und Tschetan in einem Auto sitzen zu müssen. Dennoch antwortete ich: “Ich geh nur gerade O und Bellamy holen, kannst du… Ylvi vielleicht schreiben, ob sie und Tschetan auch mitkommen?”
    Aimee nickte prompt, doch in ihren Augen sammelten sich bereits wieder die Tränen. Es widerstrebte mir zwar, sie einfach hier so stehen zu lassen, jedoch fehlten mir die tröstenden Worte, um ihr eine Stütze sein zu können. Da war sie vielleicht im Moment besser dran, sich nur ihren eigenen Gedanken zu widmen.
    Kaum hatte ich das Wohnhaus wieder betreten, prasselte die Musik in voller Lautstärke auf mich ein. Ich sank ein wenig in mich zusammen, in der Hoffnung, niemandem aufzufallen und nur schnell die beiden Geschwister einzusammeln.
    Mein Wunsch wurde nicht erhört, allerdings hätte ich es auch deutlich schlechter treffen können. Ich vermutete die Blakes an der Theke, weshalb mich mein Weg durch den großen Speisesaal führte. Als ich in etwa die Hälfte des Saals durchquert hatte, wank Aiden mich zu sich. “Hast du Nicholas gesehen?”, fragte er. Leichte Besorgnis schwang in seiner Stimme mit.
    Ich schüttelte zunächst den Kopf. Dann jedoch fielen mir Aimees Worte wieder ein. In den Stallungen. Er hatte Tschetan geküsst. Oder Tschetan hatte ihn geküsst – ganz gleich der Tatsache, dass der Schwarzhaarige am Nachmittag Aimee geküsst hatte. Das alles konnte ich ihnen aber wohl schlecht sagen, denn es lag nicht in meiner Verantwortung. Stattdessen antwortete ich: “Ich glaube, er war eben mit Tschetan in den Stallungen.”
    “Was haben sie denn da gemacht?”, fragte Aiden sichtlich verwundert. Etwas in Erklärnot geraten wollte ich etwas vor mich hin stammeln. Tamara kam mir allerdings zuvor.
    “Was macht man schon in einem Stall – na, sie werden sich bestimmt die Pferde angesehen haben!”
    Ich lachte verlegen, schaute zur Bar rüber und murmelte, dass ich auf dem Weg zu Bellamy sei.
    An der Bar wurde ich schnell fündig. “Wir müssten… fahren.”
    Octavia wechselte einen vielsagenden Blick mit ihrem Bruder. “Aimee war eben hier und…”, setzte sie an, doch ich unterbrach sie mit gehobener Hand.
    “Aimee wartet draußen, sie ist mir gerade quasi in die Arme gelaufen. Tschetan und Nicholas haben sich im Stall geküsst.” Den letzten Satz flüsterte ich nur noch, damit die umstehenden Leute ihn nicht hören konnten.
    O sah mich verwundert an. “Im Stall? Sie war doch… oh… dann ist es wieder passiert. Ich seh nach ihr.” Mit diesen Worten verschwand sie nach draußen und ließ Bellamy und vor allem mich verwirrt zurück.
    “Und welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?” Bellamy verschränkte die Arme vor der Brust, sichtlich auf eine Antwort wartend.
    Mit diesem einen Satz holte er mich schlagartig zurück in die Realität. Ich stammelte etwas vor mich hin. Bellamy sah mich weiter fragend an. Er hatte nun sogar eine Augenbraue nach oben gezogen, um sein Warten auf eine Antwort zu unterstreichen.
    “Ich hab eben mit… Ylvi geschlafen.”
    Bellamy verzog keine Miene, lockerte allerdings die verschränkten Arme und steckte die Hände in die Hosentaschen. “Und was machst du jetzt?”
    Ich zuckte die Schultern. “Keine Ahnung.”
    Er schien zu überlegen, sah einmal in die Runde und trank den letzten Schluck Bier aus seinem Glas, welches er dann zurück auf die Theke stellte.
    “Man Caleb, du musst dich echt mal entscheiden.”
    Klar, als hätte ich daran nicht schon gedacht – mich zu entscheiden. Als würden diese ‘Sachen’ einfach nur so passieren. “Hast du mal daran gedacht, was das für uns bedeutet?”
    Ich starrte ihn an. Mein Blick durchbohrte ihn, während ich seine Worte in meinem Kopf Revue passieren ließ.
    Schließlich wiederholte ich sie eisig. “Was es für euch bedeutet?”
    “Du weißt, wie ich das meine. Mensch das hin und her zwischen euch, denkst du, wir bekommen das nicht mit?”, Bellamy hob beschwichtigend die Hände. Er schien nicht auf Ärger, sondern auf ein ehrliches Gespräch aus zu sein.
    “Mir geht so vieles durch den Kopf”, gestand ich ihm wahrheitsgetreu. “Ich habe daheim eine alte Kiste mit Fotos gefunden. Es waren auch einige von Ylvi und mir dabei, als wir noch ein Paar waren und man ich sags dir, ich vermisse die Zeit. Ich vermisse es, abends neben ihr einzuschlafen und morgens neben ihr aufzuwachen. Ich vermisse es, sie im Arm zu halten. Ich vermisse unsere gemeinsamen Ausritte und ja auch den Sex mit ihr vermisse ich. Aber weißt du, was am schlimmsten ist?”, ich machte eine kurze Pause, “solche Abende wie heute. Ich vermisse all das, was wir als Paar nicht tun konnten. Du hättest uns beim Tanzen sehen sollen… ich hatte nie die Chance, mit ihr zu tanzen. Es hat sich für den Bruchteil einer Sekunde so gut angefühlt! Und dann kamen die Schuldgefühle wieder hoch… Was ich Louis damit antue… also schon wieder angetan habe. Mir fällt so langsam keine Ausrede mehr ein, weshalb ich mich an seine Frau ranmache.” Das Wort ‘Frau’ flüsterte ich beinahe nur noch. Ich sah zu Boden. In Gedanken fügte ich hinzu: Und ich vermisste all die Dinge, die ich mit Verena hätte haben können, wenn ich mich damals getraut hätte, ihr meine Gefühle zu gestehen.
    Bellamy schnaubte. Ich sah zu ihm auf und beobachtete ihn dabei, wie er langsam den Kopf schüttelte. “Man ich dachte, du bist nur heiß auf den Sex mit ihr. Aber du liebst sie ja richtig.”
    Liebe… ich seufzte erneut.

    Als wir nach draußen gingen und bei O und Aimee ankamen, waren ihre Tränen versiegt. Octavia hielt sie im Arm und lächelte uns milde an.
    “Sollen wir Laurence anrufen? Von uns kann schließlich niemand mehr fahren”, schlug sie vor und langte nach ihrem Handy, welches sie auf einen der großen beleuchteten Steine gelegt hatte.
    Ich gab nicht sofort eine Antwort, sondern sah Aimee an. “Hast du Ylvi erreicht?”
    Sie schüttelte allerdings den Kopf.
    “Das ist seltsam…“, murmelte ich. „Ich ruf Laurence mal an, vielleicht kann er Brian mitbringen, damit wir meinen Wagen mitnehmen können.“
    “Bitte nicht meinen Dad… kann Murphy nicht mitkommen?”
    “Dann probier du ihn anzurufen. Wenn du ihn ans Telefon bekommst, ist mir das recht.“

    Ylvi
    Ich war ein Geist. Eine Art neblige Gestalt, die sich durch die Menge der Menschen nach draußen schob. Erst auf dem Rasen merkte ich zum ersten Mal richtig,das meine Schuhe wohl im Pleasure Room zurückgeblieben waren.
    Ein Schluchzen schüttelte mich. Fest drückte ich meine Hand gegen meinen Mund. Verbat mir einen Laut von mir zu geben. Schnell trugen mich meine nackten Füße aus dem Schein der kleinen Laternen am Stallgebäude vorbei. Nur halb nahm ich eine andere Gestalt rennend hinein ins Hauptgebäude wahr. Ich beschleunigte meinen eigenen Lauf, als eine Stimme einen Namen rief. Schließlich verschluckte mich die dumpfe Dunkelheit des kleinen Waldes, der hinter dem Stallgebäude auftauchte. Mein Körper zitterte, da ich nach Atem rang. Geschüttelt von Schluchzern und Lungen, die nach Atemluft verlangten. Offenbar hatte ich zu oft die Luft angehalten. Mein Herz schien den Brustkorb durch heftiges Schlagen sprengen zu wollen. Ich konnte mein Husten und das Schluchzen nicht länger zurückhalten. Hemmungslos weinend gaben meine Beine unter mir nach. Wäre es nicht ohnehin dunkel gewesen, dann hätte ich kaum etwas gesehen. Seltsame Schwärzungen inmitten meines Gesichtsfeldes.
    Eine Stimme, Arme, die meine Schultern sanft packten. Ich wollte sie wegstoßen, doch fanden meine Lippen keine Worte, da noch immer eine Mischung aus Husten, Schnappatmung und Schluchzern meinen Körper quälte. Panikattacke. Eine ausgewachsene Panikattacke hatte meinen Geist und Körper gepackt. Mein Geist war verwirrt, ich wollte mich aus der Umarmung winden, denn ein bekannter Geruch stieg in meiner Nase auf. Caleb! Caleb war mir doch gefolgt! Langsam, nur langsam drang die Stimme zu mir durch. Die Melodie eines Liedes, das rhythmische vor- und zurückwiegen. Die Worte verstand ich nicht, denn ich war der Sprache gar nicht wirklich mächtig. Tschetan. Es war Tschetan, nicht etwa Caleb, der mich hier im Arm hielt. Er sprach nicht weiter. Hielt mich einfach nur in seinen Armen, sang leise das Lied, während sein Kinn auf meinem Kopf lag. Irgendwie war das falsch… sollte nicht eine Mutter ihr Kind trösten?
    Wieder fragte ich mich wann der Jugendliche so verdammt erwachsen geworden war. Mein Herzschlag, selbst mein Atem passten sich nach und nach an das stetige auf und ab seines Liedes an. Eine repetitive Melodie. Ich erkannte sie als ein Lied, das Louis Kaya so oft vor dem Schlafen gesungen hatte.
    “Es tut mir Leid”, flüsterte ich beschämt, als ich mich beruhigt hatte. Fahrig wischte ich mir die Tränen von den Wangen. In der Dunkelheit war ich nicht in der Lage, Tschetans Gesicht zu erkennen.
    “Es scheint kein guter Tag für die Liebe zu sein”, flüsterte Tschetan zurück. Worte, die mich ein wenig überraschten, wenn sie auch wahr waren.
    “Möchtest du vielleicht darüber reden?”, fragte ich ihn, denn es schien mir nun fast, als sei das beruhigende Lied nicht allein für mich gewesen.
    Tschetan schwieg eine ganze Weile. Ich wollte mich aufsetzen, aber Tschetans Arme hielten mich noch immer in der Kneifzange an seine Brust gedrückt. Schwer seufzte der Junge, der offenbar nach Worten suchte. “Ich hab euch immer angeschaut… nicht verstanden. Nicht verstanden, was das eigentlich soll. Hab die anderen Reden gehört. Jetzt steck ich selbst in der Situation… und kann dich verstehen.”
    Ich war ein wenig verwirrt. Sprach aber noch nicht, da ich das Gefühl hatte, Tschetans rätselhafte Worte würden noch ergänzt werden. “Unten am Fluss, da hab ich Aimee geküsst. In dem Moment, da… das hat sich so richtig angefühlt. Wie in einer eigenen Blase, da gab es nur sie und mich. In meinem Kopf hab ich sogar schon eine Zukunft mit ihr gesehen. Hier auf der Party… da haben wir uns auf ein blödes Flaschendrehen eingelassen. Bryce hatte beschlossen, derjenige müsse Nicholas küssen. Die elendige Flasche landete auf mir. Was erst als scheuer Kuss begann, war nicht richtig. Die anderen wollten mehr Show… plötzlich hat sich alles verselbstständigt. Aimee ist zu O’... irgendwie wollte ich alles mit Nicholas in den Stallungen klären. Stattdessen… hat er den Kuss wiederholt. Weißt du eigentlich… ich dachte, als ich hier in den Wald rannte, du bist Aimee… sie hat mich und Nicholas entdeckt.”

    Das ließ mich doch tatsächlich ein wenig baff zurück. Tatsächlich hatte ich die Chemie der beiden Jungen bemerkt. Schon eine ganze Weile hatte ich im Verdacht gehabt, dass auf beiden Seiten Gefühle im Spiel waren, die sie einander noch nicht eingestanden. Ehrlicherweise jedoch ließ mich die Zuneigung von Tschetan in Aimees Richtung überrascht zurück. Ähnliche Bande hätte ich niemals erwartet.
    “Gosh..ich kann beiden nie wieder unter die Augen treten. Wie kann man sich denn bitte in 2 Menschen gleichzeitig verlieben!”
    Ich lachte auf. Kam mir fast vor wie eine Irre, als ich da auf dem Waldboden in Tschetans Armen hockte… und einfach lachen musste.
    “Unfair”, murmelte Tschetan und knuffte mir in die Schulter.
    “ ‘tschuldige.”
    “Ich weiß nur zu gut, wie verzwickt die Situation ist. Lass dir von jemandem mit Erfahrung sagen – klär das. Vernünftig mit dir und mit ihnen. Schweig es nicht still. Nicht deine Gefühle. Auch nicht deine Verwirrung. Such das Gespräch. Ehrlich mit beiden. Ich hab das nie wirklich getan und sieh, wo ich jetzt bin.” Erst jetzt ließ mich Tschetan los, meine Hand ruhte noch auf seiner Schulter, die ich sanft drückte.
    “Du hast mit Caleb geschlafen,oder?” Im hellen hätte Tschetan meinen beschämten Blick zu meinen Knien gesehen. “Ich kann ihn an dir riechen… und bei deiner Reaktion gerade”, flüsterte Tschetan leise.
    Ich schniefte. “Ich fühle mich schrecklich. Und dann auch wieder nicht. Ich hab beide so gern. Tatsächlich IST es möglich, zwei Menschen zu lieben. Die meisten jedoch… kommen damit nicht klar. Weißt du… als ich jünger war, habe ich tatsächlich eine Beziehung geführt mit quasi vier Personen. Ich hatte zunächst eine Freundin, später kam ein Freund dazu… und sie hatte später noch eine weitere Freundin. Ich hatte damals nur mit Lorelei und David Sex, aber Karin war eine tolle Freundin. Ich hab mich nie in einer reinen monogamen Beziehung gesehen. Lange hatte ich keinen Partner, habe der Liebe quasi abgeschworen. Tja… das hab ich alles über Bord geworfen, als ich Caleb und Louis begegnet bin. Lange Rede gar kein Sinn… du siehst ja was draus geworden ist. Wir haben alle drei nicht wirklich miteinander kommuniziert. Mit Louis würde eine polyamore Geschichte wohl sogar funktionieren. Caleb… ist dafür nicht geschaffen.”
    “Das klingt hart…dich da jetzt zu limitieren.”
    “Hart ist vermutlich die falsche Wortwahl. Es ist kniffliger… doch eins ist klar: ich will beide Männer nicht weiter verletzen. Das kann ich auch meinem Seelenfrieden nicht weiter antun. Wenn selbst die Belegschaft der Ranch darüber spricht… so geht es nicht.”
    “Dann haben wir wohl demnächst beide ernste Gespräche vor uns”, seufzte Tschetan, “ich weiß gar nicht, was ich jetzt machen soll.”
    “Die Lippen sind das wunde Ende deiner Ängste und deiner Liebe. Sprich mit beiden darüber. Vielleicht schlägst du beiden Dates vor… gemeinsame Unternehmungen, in denen du dir klar werden kannst, für wen der beiden… es nur eine Liebelei ist… Lust sogar… und für wen der beiden du aufrichtige Gefühle hast.”
    “Ich weiß zwar nicht, ob sie sich darauf einlassen, aber den Vorschlag werd ich wohl versuchen umzusetzen.”
    "Ich glaub noch so ein Drama verträgt die Ranch langsam wirklich nicht", lachte ich leise auf, Tschetan stimmte erst verhalten, dann aufrichtig mit ein.
    "Ich will nach Hause, wie sieht es mit dir aus?" fragte er dann schließlich. Wir hatten geplant, das Auto hier zu lassen. Laurence hatte angeboten, uns später abzuholen. Jetzt jedoch mit Caleb in einem Auto zu sitzen… So ausgekotzt, wie ich mich fühlte und sicherlich auch aussah? Ich machte dicke Backen.
    "Schon…allerdings. Mit ihnen jetzt im selben Auto sitzen?"
    "Klasse, wir haben also denselben Gedanken."
    "Laufen?" schlug ich milde vor.
    "Dir ist klar, das ist ein 9 Meilen Marsch?"
    "Ganz ehrlich, zum jetzigen Zeitpunkt lieber das als Auto."
    Damit richtete ich mich auf beide Beine auf. "Kennst du im Dunkeln zumindest ungefähr den Weg?"
    "Sobald wir den Highway erreicht haben, eigentlich nur geradeaus."
    So verließen Tschetan und ich also die Party. Im Halbschatten der Lichterketten suchten wir uns einen Weg um das Haus herum, krochen durch zwei Büsche, um schließlich auf deren Auffahrt zu kommen und von dort auf den Highway. Ehrlicherweise mussten wir ein seltsames Bild abgeben. Im Korsagenpartykleid, barfuß, völlig verheult und sicherlich zerzaust mit einem Teenager an meiner Seite. Was ich grad nicht alles tat, um Caleb aus dem Weg zu gehen. Das würde ein langer 9 Meilen(etwa 14km) Marsch werden.

    Laurence
    “Es scheint mir, Miss Dolores, als müssen wir unseren gemeinsamen Abend beenden”, meinte ich, während ich mir die Lesebrille auf die Nase setzte und auf den Display meines Handys schaute, auf dem in Großbuchstaben ‘Caleb’ stand. Dolly warf mir einen milde lächelnden Blick zu, ehe sie aufstand und die beiden Rotweingläser sowie die Teller zur Seite räumte. Wir hatten vorzüglich im Haupthaus zu Abend gegessen. Der Einladung Dollys war ich ohne zu Zögern gefolgt. Wann kam es schon vor, dass wir das ganze Haus für uns alleine hatten?
    Wenig später saßen Dolly und ich im Wagen. Auf dem Weg, um Caleb und Co. abzuholen.
    “Es ist mir ein Rätsel, wie es Murphy noch immer so schlecht gehen kann.”
    “Ich glaube, er hat sich ordentlich den Magen verdorben. Ich habe ihm am Nachmittag einen Tee gebracht, wenig später schien es ihm schon besser zu gehen. Dass er nun aber kein Auto fahren möchte, kann ich verstehen”, meinte Dolly sichtlich besorgt. Sie war wirklich die gute Seele des Hauses und Caleb konnte sich glücklich schätzen, dass sie so viele Aufgaben übernahm. Ganz davon abgesehen, dass ich ihre Anwesenheit stets zu schätzen wusste.
    “Ich frage mich nur, warum du Brian nicht wecken solltest.”
    “Aimee wollte das wohl nicht. Es scheint etwas vorgefallen zu sein, Ylvi und Tschetan scheinen die Feier zudem frühzeitig verlassen zu haben und sind nicht mehr zu erreichen.”
    Dolly schnappte erschrocken nach Luft. “Wo mögen sie nur hin sein? Glaubst du, sie haben sich zu Fuß auf den Weg zurück zur Ranch gemacht?”
    “Das glaube ich kaum, es ist doch ein ganz schönes Stück bis nach Bow River.” Ich kratzte mich kurz am Bart, ehe ich das Lenkrad wieder mit beiden Händen umfasste. “Was mag da bloß vorgefallen sein”, murmelte ich, eher für mich selbst als für Dolly. Sie griff meine Worte allerdings auf.
    “Vielleicht hatte dieser Bryce wieder etwas damit zu tun. Der Junge macht den Kindern das Leben wirklich schwer, ich habe Kaya und Betsy schon ein paar Mal über ihn sprechen hören. Ihre Worte waren allerdings viel kindlicher, nicht so harsch wie ich Tschetan schon deswegen habe fluchen hören.”
    Ich brummte leise. “Ich kann es dir wirklich nicht sagen.”
    Einige Minuten später kamen wir am Haus der Morrissons an. Die Einfahrt und der gesamte Weg bis zum Haus war von leuchtenden Girlanden geziert. Aus dem Augenwinkel sah ich Dollys leuchtende Augen, die sich daran nicht satt sehen konnte.
    Ein Mitarbeiter zeigte mir den richtigen Weg zum Haus, denn nicht alle der Wege waren für die Autos freigegeben.
    Ich kam kaum zum Halten, da wurde bereits eine Hintertür aufgerissen. “Gott sei Dank, Laurence.” Aimee schwang sich in den Wagen und setzte sich in die Mitte. Links und rechts von ihr nahmen die beiden Geschwister Platz.
    Caleb hielt Dolly die Tür auf und reichte ihr, nachdem sie ausgestiegen war, den Schlüssel zu seinem Wagen. “Das Auto ist schon geholt worden, er steht hier vorne links. Ich danke dir wirklich, Dolly.”
    Sie lächelte mild. “Nichts zu danken, Mister Caleb.”
    Als hätte sie geahnt, dass er zum wiederholten Mal ansetzen und ihr mitteilen wollte, dass sie ihn einfach nur Caleb nennen soll, hob sie kurz die Hand und wandte sich dann ab, um mir zu winken und zu Calebs Wagen zu gehen.
    Als Caleb sich schließlich setzte, flog die Hintertür wieder auf und O stolperte aus dem Wagen. “Wir können sie ja wirklich schlecht alleine fahren lassen. Ich fahr mit Dolly.” Mit diesen Worten verschwand sie und musste schließlich tatsächlich in ihren hohen Schuhen joggen, um Dolly noch zu erwischen. Sie hatte den Motor bereits gestartet und war einige Meter vorgefahren.
    Ich sah ihr hinterher. Als ich meinen Blick schließlich abwandte und kurz in den Rückspiegel sah, konnte ich Aimee sehen, die von der Mitte wieder nach links gerutscht war. Sie hielt ein Taschentuch in der Hand und tupfte sich damit die Tränen ab, die über ihre Wangen liefen.
    Niemand im Wagen wusste so recht etwas zu sagen, so dass wir, hinter Dolly herfahrend, das wunderschön geschmückte Anwesen der Morrissons schweigend hinter uns ließen.

    Caleb
    Ich begleitete Aimee zum Bungalow. Obwohl sie mich mehrfach darum bat, sie alleine gehen zu lassen, beharrte ich unnachgiebig darauf, sie wenigstens bis zur Tür zu bringen. Ich wollte sie in ihrem Gemütszustand, der meinem beängstigend glich, nicht alleine lassen. Sie schloss die Tür auf und atmete tief ein und aus, was ich an ihren sich hebenden und senkenden Schultern erkannte. Dann machte sie einen Schritt ins Innere des kleinen Hauses, ehe sie sich umdrehte. Mit ihren geröteten und verquollenen Augen schaute sie scheu zu mir hoch. Sie hauchte mir ein “Danke” entgegen. Mein Nicken wartete sie kaum merklich ab. Dann schloss sie die Tür. Ich blieb noch einen Moment stehen. Es dauerte ein paar Sekunden, dann hörte ich ihre leisen Schritte, die sie ins Innere des Hauses trugen. Erst dann wandte ich mich ab und musste mich dem Chaos in meinem Kopf wieder alleine stellen. Irgendwann musste es doch auch mal gut sein, oder nicht?
    Schweren Schrittes ging ich auf das Haupthaus zu, doch wie von selbst fand ich mich wenige Minuten später im Stall wieder. Ich schaltete das Licht nicht an, machte mich durch Schnalzen jedoch für die Pferde bemerkbar. Ich vernahm das gleichmäßige Mahlen der Tiere, die sich sofort wieder ihrem Heu widmeten und mir keine Beachtung schenkten. Neben einem Brummeln, welches ich nicht sofort zuordnen konnte, ließ mich Blues Wiehern meinen Weg zu seiner Box finden. Ich öffnete die Tür und ging hinein. “Na mein Großer”, sagte ich leise, ging auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf den bemuskelten Hals. Der Hengst streckte mir sofort seinen Kopf entgegen und schnupperte an meiner anderen Hand. Vermutlich in der Hoffnung, dass sich darin etwas zu fressen befand. “Du hast es so leicht, mein Freund”, ich lachte leise in mich hinein, “deine Liebschaften werden für dich ausgesucht.”
    Erneut brummelte eines der Pferde. Das Geräusch zog meine Aufmerksamkeit auf sich, denn noch immer wusste ich nicht, von wem es kam. Ich verließ die Box von Blue wieder, zog sie hinter mir zu und ging langsam in der Stallgasse auf und ab. Vor Bennys Box blieb ich stehen. Er streckte den Kopf heraus und machte den Hals lang. Wieder das Brummeln, dieses Mal viel lauter. “Du brummelst mich an”, schlussfolgerte ich, streckte die Hand aus und berührte ihn sanft an der Nase. “Seit wann machst du das denn?”, fragte ich den Hengst. Natürlich gab er mir keine Antwort.
    Benny hatte sich wunderbar eingelebt und war in der Zeit, die er jetzt hier war, richtig aufgeblüht. Der Hengst hatte Potenzial, wenn man ihn mit Ruhe und Geduld trainierte. Zu Beginn unserer gemeinsamen Zeit war es mir leider jedoch nicht nur einmal passiert, dass er sofort in die alten Muster zurückgefallen war und resigniert hatte.
    Ich blieb noch eine Weile an seiner Box stehen, ehe ich mich doch auf den Weg ins Haupthaus machte. Immer wieder schaute ich auf mein Handy, ob eine Nachricht von Tschetan oder Ylvi zu sehen war – nichts, wie schon die ganze Zeit.
    Im Flur des Hauses knipste ich das Licht an und warf im Vorbeigehen einen Blick in die Küche. Ich stockte in der Bewegung, knipste auch dort das Licht an und sah mir an, was auf dem Tresen stand: eine Flasche Whiskey, die auf einem Zettel stand. ‘Ich dachte, die könntest du brauchen.’ – Bellamy
    Ich schmunzelte kurz. Ja, die konnte ich brauchen.
    Aus dem Schrank nahm ich mir ein Glas, ehe ich meinen Weg durchs Haus weiter fortsetzte. An Tschetans Zimmertür klopfte ich kurz. Als ich keine Antwort vernahm, öffnete ich sie einen Spalt und lugte hinein… niemand da.
    Als ich auch beim Rausschauen aus meinem Fenster in Louis Bungalow kein Licht sah, machte ich mir langsam Sorgen. Ich schrieb beiden eine kurze Nachricht mit der Bitte, sich doch bei mir zu melden, da ich mir Sorgen machte, wo sie wären.
    In meinem Zimmer angekommen, stellte ich zuerst Glas und Flasche auf meinen Nachttisch. Dann hängte ich meinen Hut an seinen Platz, entledigte mich meiner Partykleidung und zog mir etwas bequemes an. Der bizarre Anblick des schwarzen, mit Glitzersteinchen beklebten Hutes, der eher an das Outfit eines Buckle Bunnys erinnerte, entlockte mir ein kurzes Lächeln. Wie bei so vielen Dingen im Leben trügte oft der Schein. Bizarr wie dieser Hut unter meinen anderen, doch sehr schlicht gehaltenen Hüten auffiel, wie ein bunter Hund.
    Ich dimmte das Licht, nachdem ich mir Glas und Flasche geschnappt hatte. Beides stellte ich am großen Panoramafenster ab, durch das ich einen Großteil der Ranch überblicken konnte. Gerade als ich mich setzen wollte, kam mir die Kiste mit den Fotos wieder in den Sinn. Ich ging dorthin, wo ich sie verstaut hatte und nahm sie mit zum Fenster, wo ich sie neben mir abstellte, mich setzte und endlich einen Schluck Whiskey einschenkte – dass sich kein Eis im Glas befand, störte mich im Moment nicht weiter. Ich konzentrierte mich schon voll und ganz auf die Kiste, deren Deckel ich nach dem ersten Glas des braun-wässrigen Getränks öffnete und durchschaute. Ich erwischte mich dabei, wie ich Schluck für Schluck und Glas für Glas ins Land der Träume abdriftete und meine mich auffressenden Gedanken nach und nach zu einem wirren Chaos wurden, ehe mir die Augen zufielen und die Fotos zu Boden segelten.

    Ylvi
    “Wirklich es reicht”, sprach Tschetan konsterniert in die Dunkelheit. Seine Schritte waren nicht mehr zu hören, er schien also stehen geblieben zu sein. Nur langsam holte ich bis zu der Stelle auf, an der Tschetan stand. “Entweder ich trag dich jetzt ein Stück Huckepack oder wir gehen endlich hoch zum Highway und lassen uns mitnehmen. Barfuss bis nach Hause laufen war ja wohl ne blöde Idee.”
    Angesichts meiner schmerzenden Füße und meinem eigenen Humpeln, hatte er wohl nicht ganz unrecht. “Schieb es auf den Alkohol?”, versuchte ich, den etwas grummeligen Jugendlichen zu beruhigen.
    Der lachte auf. “Na los, ab auf meinen Rücken.”
    “Ich fürchte, da haben wir nur ein Problem…"
    Tschetan seufzte schwer, beinahe theatralisch. “Du wirst schon nicht zu schwer sein.”
    “Haha, das ist es gar nicht. Aber dieses Kleid hat eine Korsage, ich hab jetzt schon Schmerzen von den Eisenverstrebungen an der Hüfte. Huckepack wird das nicht angenehmer.”
    “Dann zieh es aus. Häng dir mein Jackett über", meinte mein Ziehsohn sachlich.
    Da ich dagegen kein Argument hatte, fummelte ich nach dem Reißverschluss an der Seite, öffnete ihn und wand mich aus dem Kleid heraus. Tschetan reichte mir sein Jacket. Anschließend fand ich mich auf seinem Rücken wieder. Mit mir auf dem darauf lief er weiter, bis er eine Stelle fand, an der er ohne Probleme die Böschung hinauf zum Highway kam.
    "Dir ist das wirklich nicht zu schwer?”, piepste ich dann doch ein wenig Kleinlaut.
    “Ich hau dich gleich”, knirschte Tschetan.
    Langsam hatte ich wohl seine Geduld überstrapaziert. Ich hatte ihn vor einiger Zeit die Böschung hinunter gezogen, als ich den Klang von Laurence Karre meinte gehört zu haben. Tatsächlich hatte ich mich in diesem Moment unsichtbar gewünscht.
    Gut eine Stunde nach meiner tollen Idee, in die Böschung zu rennen, hatte ich das ganze dann doch irgendwie bereut.
    “Bevor du mir noch umkippst… geh die Böschung hoch. Vielleicht haben wir Glück… und jemand nimmt uns mit”, merkte ich dann ein wenig kleinlaut an.
    “Beim großen Geist, du gibst endlich auf", seufzte Tschetan. “Bist du dir sicher, dass du nicht irgendwo Indigenes Blut in dir hast? Du bist stur wie meine Großmutter.”
    Ich war mir ehrlich nicht sicher, ob das wütend war oder ob er mich aufziehen wollte. Um seine Nerven zu schonen, sagte ich gar nichts. Langsam bewegte sich Tschetan die leichte Böschung hinauf, als er auf dem Asphalt ankam, hörte man das Knirschen der Steine unter seinen Schuhen. Und zu meiner Scham auch seinen mittlerweile stoßweise kommenden Atem.
    “Los lass mich runter”, murmelte ich irgendwann. “Du musst dir und mir nichts beweisen.” Ich seufzte laut auf. Tschetan lief einfach weiter. “Tschetan wirklich. Lass es. Wir bleiben hier am Rand sitzen. Hier ist zwar nicht mehr viel los auf der Straße… aber irgendwer wird uns schon mitnehmen können.”
    Langsam löste Tschetan seinen Griff um meine Oberschenkel und ließ mich sanft seinen Rücken runter rutschen. Deutlich spürte ich meine schmerzenden Füße. Ich würde vermutlich noch die nächsten Tage von meiner hervorragenden Idee haben. “Verdammt ey, ich hätte mein Handy nicht liegen lassen sollen”, stöhnte ich zum aberhundertsten Mal.
    “Ich hätte mich gar nicht zu deiner tollen Idee hinreißen lasen sollen,” seufzte Tschetan, aber jetzt konnte ich deutlich seinen Schalk in der Stimme hören.
    Ich stupste ihm diffus gegen die Schulter. “Naja …ich bin immerhin die Erwachsene.”
    “Vorhin warst du mehr als angetrunken, nicht ganz zurechnungsfähig.”
    “Na Danke”
    “Nur die Wahrheit.”

    Wir saßen eine ganze Weile in der Dunkelheit, dann stupste mich Tschetan an. “Da, Licht. Steh auf. Dann halten wir den Fahrer an.” Hastig zog ich mir mein Kleid immerhin so über die Hüften, dass es aussah, als würde ich einen Rock tragen. Nur in Unterwäsche und einem Anzug als Oberbekleidung wollte ich niemandem entgegentreten. Halbwegs knöpfte ich die Anzugjacke zu. Die Lichter kamen indes näher. Tschetan sah ich nun im Licht des Scheinwerfers, wie er da stand, den Arm raus hielt. Das Fahrzeug wurde immer größer, es schien ein Truck zu sein. Jetzt mussten wir nur noch hoffen, dass der Fahrer auch anhielt. Es schien allerdings tatsächlich, als würde das Fahrzeug seine Geschwindigkeit verringern. Mein Herz schlug schneller, wenn der Fahrer uns tatsächlich fahren würde… könnten wir innerhalb von einer halben Stunde im Bett liegen.
    “Der Truck hält!”, jubelte jetzt auch Tschetan.
    “Wir sehen vermutlich ärmlich genug aus.”
    Der Truck hielt an. Wir bewegten uns auf die Seite des Fahrers und schauten nach oben. Eine Person, die ich nicht ganz erkennen konnte, sah auf uns herab.
    “Meine Güte Lady! Wo zum Geier haben sie ihre Schuhe gelassen? Wurden sie ausgeraubt?”
    “Nicht ganz. Aber könnten sie uns vielleicht bis Bow River mitnehmen? Wissen sie wo die Ranch ist?”
    “Klar, hüpft rein. Allerdings müsst ihr mir den Weg zeigen. Ich kenn die Gegend hier kaum. Fahre nach Karte.”
    Mit leichtem Humpeln lief ich mit Tschetan um die Schnauze des Trucks herum. Tschetan öffnete die Tür, wartete bis ich hinein gekraxelt war und kletterte nach mir hinauf. Ich war mir bei der Stimme zuvor nicht sicher gewesen, jetzt jedoch war es unverkennbar. Vor mir saß eine lilahaarige, stark geschminkte Frau. Sie streckte mir freudig lächelnd den Arm entgegen, um mir die Hand zu schütteln. “Lesley O’Melly, freut mich euch kennenzulernen.”
    Beherzt griff ich nach ihrer Hand. “Ganz auf unserer Seite. Sie retten uns die Nacht.”
    “Dann schnallt euch mal an.”
    Ich musste schmunzeln. Wäre ich Lesley auf der Straße begegnet, hätte ich ihr so ziemlich jeden Job zugetraut, nur nicht den einer Truckerin. Tschetan reichte mir meinen Gurt herüber, da er halb drauf gesessen hatte. Anschließend rollten wir los.
    Es folgte neben der einfachen Wegbeschreibung zur Auffahrt der Ranch eine runde SmallTalk, wie wir um die Uhrzeit eigentlich in unsere Lage geraten waren. Lesley hatte gut was zu schmunzeln. Wir bedankten uns herzlich bei der Truckerin - mir hatte sie deutlich die Nacht gerettet.
    “Nächstes Mal sind wir Erwachsen und fahren mit den anderen zurück. Einverstanden?”, flüstere ich entschuldigend in Richtung Tschetan. Auf dem Grasstreifen neben dem Zaun der Auffahrt war das Laufen beinahe angenehm. Hinüber bis zur Tür des Haupthauses bestand Tschetan nochmal darauf, mich zu tragen.

    Erst im Wohnzimmer ließ er mich auf die Couch sinken. Im Licht der kleinen Stehlampe konnten wir uns ein erstes Bild vom Zustand meiner Fußsohlen machen. Man erkannte deutlich Blasen an den Fußballen, eine tiefe Schnittwunde… und etliche Kratzer an den Knöcheln von Dornen.
    “Bleib ja hier sitzen”, orderte Tschetan an. Ich hörte ihn erst in der Küche etwas kramen, sah wie er durch den Flur lief, bis er schließlich mit vollen Armen wieder zurück kam. “Louis bringt mich um, dass ich nicht vernünftig aufgepasst habe”, seufzte er tadelnd und stellte eine große Schüssel Wasser ab. Beherzt griff der Teenager nach meinen Knöcheln und tauchte die Füße in das warme Wasser. Vorsichtig wusch er sie mir. Ich ballte die Hände zu Fäusten und biss mir auf die Lippe. Ich war hochgradig kitzelig, der Impuls zu Lachen war größer als die ziependen Schmerzen der Schnitte. Aber eisern versuchte ich Tschetan die Füße nicht zu entziehen. Er nahm den ersten gewaschenen Fuß aus dem Wasser. Schmierte etwas Jodsalbe auf die Schnitte und Kratzer. Locker machte er einen Verband um den Fuß. Mit dem anderen Bein verfuhr er genauso. “Der Schnitt hier ist nicht so tief, es scheint auch nichts drin zu stecken. Behalt den trotzdem gut im Auge.”
    “Wer ist hier eigentlich der Erwachsene?”, brummte ich missmutig. Tschetan schien zu beschließen, auf die Aussage nur mit einem stoischen Gesicht zu reagieren. Ja guut, mein Trotz hatte uns vielleicht heute ziemlich in die Scheiße geritten.
    “Kann ich dich jetzt allein lassen?”
    Ich streckte Tschetan für die Frage die Zunge raus. Umarmte ihn dann jedoch fest, bedankte mich und wünschte ihm eine gute Nacht. Auch wenn draußen vermutlich demnächst die Sonne aufgehen würde. Leise Schritte hörte ich die Treppe hinauf gehen, als Tschetan auf sein Zimmer verschwand. Ich zog mir das Kleid vom Körper, warf es erstmal achtlos auf den Boden und humpelte dann in Richtung des Bades. Dort wühlte ich im Wäschekorb nach einem Shirt oder Hemd, das nicht völlig verschwitzt oder verstaubt war. Dann zog ich mir eines über, um nicht völlig nackt auf der Couch zu schlafen. Anschließend kehrte ich zurück, kam jedoch nicht zur Ruhe. Hunderte von Gedanken rasten im D-Zug Verfahren hinter meinen Augäpfeln durch mein Hirn. Kaum einen davon konnte ich vernünftig fassen. Nur den einen. Ich wollte nicht allein hier unten auf der Couch liegen. Jede noch betrunkene Faser meines Körpers wollte zu Caleb. Auch wenn jede nüchterne Zelle in meinem Hirn wusste, dass ich noch vorhin vor ihm geflüchtet war.
    Trotzdem bewegte sich mein Körper leise humpelnd in die Fleecedecke geschlungen die Treppe hinauf. Mit vorsichtigem Druck öffnete ich Calebs Tür. Ich raffte die Decke enger um mich, ging hinein und schloss genauso leise die Tür. Dann blieb ich stehen wo ich war. Überzeugt Caleb müsse allein vom Trommeln meines Herzschlages wach werden. Erinnerungen an eine andere verschlossene Tür. Calebs Atem auf meiner Haut. Seinen Geruch in der Nase. Allerdings nahm ich auch etwas anderes wahr. Auf den Zehenspitzen bewege ich mich vorwärts. Plötzlich kollidierte ich mit etwas auf dem Boden. Ein stimmloser Schreckenslaut kam mir über die Lippen. Halb konnte ich mich fangen, stolperte, mein rechter Fuß kam schmerzhaft auf den Boden. Meine Arme fuchtelten in der Luft. Gerade als ich dachte, wieder festen Stand zu haben, rutsche ich auf etwas Glattem auf dem Boden aus. Ich fiel zu Boden wie ein Baum, oder eher im halben Spagat, da mir das rechte Bein in die eine Richtung rutschte, während das linke stehen blieb. Als mein Ellenbogen zuerst mit dem Boden in Kontakt kam und mein restlicher Oberkörper folgte, hörte ich ein ungutes Knirschen. Mir stieg ein anderer Geruch in die Nase… und alle meine Schmerzrezeptoren im Hirn meldeten sich alarmierend. Alles geschah im Bruchteil weniger Sekunden. Irgendwo in diesem Chaos hatte ich dumpf ein verstörtes “Ngnn?” wahrgenommen, dass jetzt einer richtigen Stimme wich.
    “Was? WER ist da?”, lallte ein Caleb irgendwo neben mir. Krauchen, wirres auf dem Boden rum wühlen, schließlich ging das Deckenlicht an.

    Laurence
    "Wirklich ein verrückter Abend." Dolly sah zu mir herüber und ließ den Schlüssel von Calebs Wagen durch die Finger gleiten.
    "Wahrlich ein sonderbarer Abend", schien sie meine bereits gesagten Worte zu wiederholen.
    Ich räusperte mich kurz und wandte mich Dolly nun ganz zu. "Ich habe gedacht…", setzte ich an und suchte nach den richtigen Worten, ehe ich weitersprach, "Sie könnten mit zu meinem Bungalow kommen und wir lassen den Abend so schön ausklingen, wie er begonnen hat?" Unsicher trippelte ich von einem auf den anderen Fuß und konnte ihre Antwort nur ungeduldig abwarten. Als sich ein Lächeln um ihre so sanften Lippen legte, fiel mir schlagartig ein Stein vom Herzen.
    "Sehr gerne." Sie wandte sich bereits zum Gehen, blieb dann allerdings stehen und drehte sich mir wieder vollends zu. "Nennst du mich nach diesem schönen Abend endlich Dolly?"
    Ich starrte sie zunächst etwas ungläubig an. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich sie, genau wie Caleb es tat, Miss Dolores nannte. "Aber… aber sicher!", stammelte ich etwas unbeholfen, hielt ihr dann jedoch meinen Arm hin, unter den sie sich dankend einharkte.
    "Na dann wollen wir mal."
    Im Bungalow angekommen, zog ich ihr einen Stuhl des Küchentisches hervor und bot ihr einen Platz an. “Möchtest du noch ein Glas Wein? Oder lieber Wasser, Dolly?” Beim Klang ihres Namens aus meinem Mund schien sie schüchtern zu lächeln.
    “Ich würde noch ein Glas Wein mit dir trinken, danke… Laurence.” Sie zuppelte etwas nervös ihr Oberteil zurecht, bevor sie den Blick von mir abwandte. Ich lächelte in mich hinein. Nie hätte ich gedacht, auf Bow River so etwas wie Liebe zu finden. Freundschaft ja. Aber Liebe? In meinem Alter?
    Die Weingläser fanden ihren Platz auf dem Tisch. Eines für Dolly, eines für mich. Ich öffnete eine neue Flasche, denn die angebrochene stand schließlich im Haupthaus und goss ihr zuerst etwas ins Glas. “Danke”, sagte sie leise. Es folgte ein Nicken meinerseits, ehe ich mein Glas hob und mit ihr anstieß.
    “Auf dass unser Abend einen gemütlichen Ausklang findet, nach der Unruhe vorhin.”
    Dolly lächelte, stieß an und trank einen Schluck. Ich tat es ihr gleich und stellte das Glas dann wieder auf dem Tisch ab. Sie seufzte kurz, ehe sie zu mir aufsah. “Ich hoffe, mit Aimee ist alles okay… und mit Caleb.”
    Ich nickte. Caleb hatte fertig ausgesehen. Nicht so, wie Aimee, aber ganz auf der Höhe schien er auch nicht zu sein. “Ich frage mich außerdem auch, wo Ylvi und Tschetan abgeblieben sind.”
    “Ich wette, dass sie beide etwas damit zu tun haben.”
    Ich sah zu ihr auf und blickte fragend drein. “Meinst du?”
    “Ja. Bei Caleb bin ich mir doch ziemlich sicher. Und bei Aimee… ich glaube, dass sie in Tschetan verliebt ist.”
    “Waren die beiden nicht heute mittag zusammen zum Fluss?”
    Dolly nickte. “Als sie zurückkamen, schienen sie bester Laune zu sein.”
    Daraus schlussfolgerte ich, dass auf der Party wohl etwas vorgefallen sein musste. Ich seufzte. “Jung zu sein ist kompliziert.”
    Dolly lachte auf. “Jung zu sein? Alt zu sein ist ebenso kompliziert! Man möchte einen schönen Abend mit einem tollen Mann verbringen, wird aber als Notfalltaxi bestellt und muss alles stehen lassen.”
    Ich stimmte in ihr Lachen ein und trank einen letzten Schluck des Weines. Somit hatte ich mein Glas geleert. Mit der Flasche in der Hand sah ich fragend zu Dolly, sie schüttelte jedoch den Kopf. “Ich bin doch ziemlich müde und denke, dass ich schlafen gehe.”
    Schneller als mir bewusst war, hatte ich mich erhoben und streckte schon einen Arm nach ihr aus.
    “Wenn du möchtest, kannst du gerne hier übernachten. Ich habe ja das kleine Gästezimmer und…”
    “Sehr gerne”, antwortete sie schlagartig und unterbrach mich so mitten im Satz, ehe sie aufstand und nach meinem Arm griff. “Ich war tatsächlich noch nie in in einem der Bungalows, die hier stehen. Wenn ich mal auf der Ranch übernachte, dann in einem der Zimmer im Erdgeschoss”, erzählte sie und ging neben mir her aus der Küche raus in den schmalen Flur.
    Ich grinste. “Also, falls du eine Führung brauchst, den Flur sowie Küche und Esszimmer kennst du ja bereits. An der Küche ist nur noch eine kleine Vorratskammer. Hier gegenüber ist ein Wohnzimmer. Weiter hier im Flur entlang ist rechts mein Schlafzimmer, links das Gästezimmer und geradeaus ein Bad. Damit ist die Führung auch schon abgeschlossen. Die anderen Bungalows sind wohl etwas größer, drinnen war ich tatsächlich auch noch nie.” Ich öffnete die Tür des Gästezimmers, knipste das Licht an und führte Dolly hinein. “Ich hol dir etwas zum Umziehen.”
    Als ich mit einem T-Shirt und einer Jogginghose wieder das Zimmer betrat, hatte Dolly mir den Rücken zugewandt und betrachtete die Bilder, die dort auf der Kommode standen. Als sie mich hörte, nahm sie eines in die Hand und drehte sich lächelnd zu mir um. “Das bist wohl du in früheren Zeiten.”
    Ich nahm ihr das Bild lächelnd ab. Das waren noch Zeiten, dachte ich. “Ja, mit Flipper und Bugs. Flipper war ein Pferd mit einem Herz aus Gold und Bugs war mein erster und einziger Hund. Als er irgendwann starb, fühlte es sich immerzu falsch an, mir einen neuen Hund zu holen. Dabei ist es geblieben.”
    Dolly nickte verständnisvoll und stellte das Bild wieder an seinen Platz, ehe sie mir die Kleidung abnahm. “Damit komme ich klar, ich danke dir.”
    Ich stand ihr nun ganz nah gegenüber. Während sie mich freundlich anlächelte, wischte ich mir nervös mit einer Hand über die Hose. Schließlich gab ich mir einen Ruck. “Ich wünsche dir eine gute Nacht, Dolly”, sagte ich, beugte mich vor und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
    “Gute Nacht”, kam es ein wenig zögerlich von ihr. Als ich mich abwandte, um in mein Schlafzimmer zu gehen, erhaschte ich einen kurzen Blick auf ihre geröteten Wangen. War der Wein Schuld daran? Oder schien sie etwas verlegen? In mich hinein grinsend schloss ich die Tür hinter mir und verschwand in meinem Zimmer.

    Caleb
    Ich starrte sie an. Ylvi. In eine Decke ein oder ausgewickelt, ich war mir da gar nicht mal so sicher, inmitten der Fotos, über denen ich wohl eingeschlafen war. Mit aller Mühe versuchte ich meinen Alkoholpegel in die letzte Ecke meines Gehirns zu verbannen, um ein paar richtige Worte herauszubekommen. Das schien zu funktionieren, allerdings blieb ich stumm. Mir wollte einfach kein Laut über die Lippen kommen.
    Schließlich ergriff Ylvi zischend das Wort. “Hilfst du mir jetzt hier mal hoch oder stehst du nur da und starrst mich blöd an?”
    Ich setzte mich augenblicklich in Bewegung, umfasste sie mit beiden Armen und zog sie samt Decke, die ich ihr mehr oder weniger wieder um den Körper wickelte, auf die Beine. Erst jetzt fielen mir die Verbände um ihre Füße auf und die Besorgnis, die ich noch vor ein paar Stunden verspürt hatte, schlug mit voller Wucht wieder auf mich ein. “WO warst du? Was ist passiert? Ist Tschetan auch heimgekommen?”
    Ylvi zischte wieder, blieb mir eine Antwort schuldig, drehte sich einfach um und schaute sich die Fotos auf dem Boden an. Von allen Fotos, die sie hätte aufheben können, stand sie mit einem der Bilder von Louis und mir auf einem Rodeo wieder auf. Der Lakota hielt mich im Schwitzkasten, während wir über beide Ohren lachten. Am oberen linken Rand hatte jemand in fast unleserlicher Schrift “Kola” hingekritzelt. Ich schloss kurz die Augen, ich konnte mich noch genau an den Tag erinnern – und auch daran, dass Louis mich dort zum ersten Mal Freund genannt hatte.
    Ylvis' Augen füllten sich mit Tränen. Als sie sich zu mir umdrehte, erkannte ich das verräterische Schimmern darin. Ich machte einen Schritt auf sie zu, doch sie schüttelte kaum merklich den Kopf, was mich innehalten ließ. “Ich möchte, dass wir darüber reden, Caleb”, sie machte eine lange Pause und ich bereitete mich emotional darauf vor, was jetzt wohl kommen würde, “ich kann nicht leugnen, dass ich Gefühle für dich habe. Aber auch die Art, wie ich für Louis empfinde, ist echt. Die Hochzeit war nur eine Möglichkeit, Kaya und Tschetan aufzunehmen, sonst hätte er sie verloren – und es war eine Möglichkeit für mich, zu bleiben.” Sie machte wieder eine Pause. Dieses Mal jedoch viel länger. So kam es mir zumindest vor, denn es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis sie wieder weitersprach. “Die Liebe und der Respekt kamen erst nach der… Anziehung. Bald ist Kayas 12ter Geburtstag… Louis und ich haben schon oft darüber gesprochen, unsere Ehe zu öffnen. Der Respekt bleibt, aber wir sind füreinander nicht ganz das, was man als perfekt bezeichnen würde. Ich will und ich muss das in Ruhe für mich sortieren. Denn euch beide kann ich schließlich nicht behalten. Das ist nicht deine Art zu leben. Von dir kann ich sowas nicht verlangen.” Sie legte das Foto wieder auf den Boden und nahm sich beim Aufstehen jenes, welches uns bei einem Ausritt zeigte. Vor einiger Zeit hatte ich genau dieses Foto in den Fingern gehabt. Wir beide auf den Pferden und wir küssten uns.
    Ich schluckte schwer. “Ylvi”, flüsterte ich fast und sah ihr dabei zu, wie sie den Arm mit dem Bild sinken ließ, ehe sie sich ganz zu mir umdrehte und mich mit glitzernden Augen von unten ansah. “Ich liebe dich.” Sie wusste, wie viel Überwindung es mich gekostet haben musste, diesen Satz auszusprechen, denn so ungläubig, wie sie mich ansah, schien sie die Worte nicht realisieren zu können. Ich sagte es noch einmal. “Ich liebe dich. Ich liebe dich, seit du hier aufgetaucht bist und mein Leben durcheinander geworfen hast. Seit ich dich nachts mit dem Gewehr bedroht und dich für einen Einbrecher gehalten habe.” Ich lachte kurz auf, weil mir die Stimme wegzubrechen drohte. Ich ging nun tatsächlich einen zögerlichen Schritt auf sie zu. Sie ließ es zu, so dass ich sie in eine Umarmung schließen konnte. Ich würde sie nicht küssen. Einmal, nur ein verdammtes Mal würde ich alles richtig machen. “Louis sagt mir nach, ich sei ein Wolf. Ein einsamer Wolf”, flüsterte ich an ihrem Ohr, “ich beiße um mich und lasse niemanden wirklich nah an mich heran. Dir wird nachgesagt, ein Rabe zu sein. Wölfe und Raben leben zusammen und gehen eine Symbiose ein.” Ich lockerte meine Umarmung, ging einen Schritt zurück, hielt sie aber noch an den Schultern fest. “Aber was, wenn das nicht alles ist? Was, wenn du meine Wölfin bist?”
    101870 Zeichen, von Ravenna und Veija
    ♥​
    Rinnaja und Zion gefällt das.
  2. Weiter gehts mit einem neuen Part (den ich dann dreigeteilt bei den Pferden einfügen darf, weil er zu lang ist :D)
    Viel Spaß beim Lesen, falls es jemand liest. :cool:


    Scouting is a game for boys

    Zeitliche Einordnung: Mai/Juni 2021
    Ylvi
    Ich schlug die Hand vor den Mund, spürte, wie meine Nase verräterisch zu kribbeln begann. Dann tippte ich O’, die neben mir auf der Terrasse saß, auf die Schulter, deutete in die Richtung, aus der ich die Jungs vernahm. Tschetan und Nicholas kehrten mit den Rindern wieder zurück, die in den Bergen verloren gegangen waren. Wir hatten das letzte Mal am Abend von den beiden gehört. Erst jetzt spürte ich, wie sehr die Anspannung von mir abfiel. Schon die aufreibende Suche am Abend von Betsy hatte ein ziemliches Gefühlschaos in mir ausgelöst. Sie war auch meine Verantwortung. In all dem Trubel um Tschetan und die Rinder, die Reparaturen vom Zaun, hatte ich dabei kein Auge auf sie gehabt. Vorwürfe hatten mich in der Nacht lange wach gehalten. Nach meiner Arbeit im Büro hatte ich mich hier auf die Terrasse verzogen um immer wieder auf den Hauptweg zu starren. “Sie sind wieder zurück!” hauchte auch O’ neben mir. “Sag du Caleb Bescheid, ja?” sprach ich zu ihr. O’ fackelte nicht lang meiner Bitte nachzukommen.
    Ich kämpfte weiter mit den Tränen, während ich dem kleinen Treck entgegen lief. Alle wirkten ein wenig abgekämpft. Besorgt bemerkte ich die ganzen Kratzer in Tschetans Gesicht. Einige glühten rot - sie mussten sich leicht entzündet haben. Cayce kam gleich hinter Louis aus den Stallungen gelaufen. “Ich nehme euch die Kühe ab”, verkündete Cayce schon von Weitem.
    Betsy und Kaya kamen aus dem Haupthaus gelaufen.
    “Thibló!” rief Kaya und warf sich Tschetan um die Brust. Sie mochte es vielleicht nicht ganz so gezeigt haben, aber auch sie hatte sich Sorgen gemacht. Eine Hand an den Zügeln erwiderte er die Umarmung der beiden Mädchen und musste auch kurz darauf die Meine ertragen. Als ich leise aufschluchzte vor Freude, spürte ich wie Tschetans Umarmung ein wenig fester wurde. Ich musste zu ihm aufsehen, als er mich ein Stück von sich fort hielt. Dann lächelte er, wischte mit einer Hand meine Träne von der Wange und murmelte Worte die ich nicht verstand. Wann war er eigentlich so gewachsen? Jetzt hier in diesem Moment sah ich ihn ihm nicht mehr den schlaksigen Jungen. Etwas an dieser Reise hatte ihn erwachsen werden lassen. Weinte ich deshalb? War es möglich Stolz für ein Kind zu empfinden das man nicht selbst ausgetragen hatte? Anders konnte ich mir mein Wirrwarr an Gefühlen nämlich nicht erklären. Er hielt einen Arm weiterhin um meine Hüfte als sich Betsy an ihn wandte.
    “Sollen wir beide die Pferde versorgen?”, bot sie sich an. Tschetan lächelte breit, aber erschöpft.
    “Danke für das Angebot, aber ich würde Sungila gern selbst versorgen. Vielleicht geht ihr Nicholas ein wenig zu Hand.” Er deutete auf seinen Freund. Nicholas sah ein wenig überrascht drein als ihm Betsy direkt die Zügel aus der Hand nehmen wollte. Offenbar hatte er nicht mitbekommen, was Tschetan gesagt hatte. Ich legte ihm die Hand auf die Brust. “Komm dann rüber ins Haupthaus, ja? Ich wärm euch ein wenig Essen auf. Außerdem würd ich gern deine Kratzer versorgen.” Ein Lachen mit geschlossenen Lippen, dann küsste mich Tschetan auf die Stirn.
    “Waschté, Iná.” Dann zwinkerte er und verschwand mit Nicholas an seiner Seite in Richtung der Stallungen, um mich ein wenig verblüfft stehen zu lassen. Auch Kaya brauchte einen Moment um ihrer Freundin zu folgen. Ihr Blick huschte zwischen mir und Tschetan hin und her.
    Es war das erste Mal, dass Tschetan mich Mutter genannt hatte. Nicht nur für mich … sondern auch für Kaya war das eine neue Erfahrung. Einen Moment blieb sie stehen und sah mich, fast ein wenig verwirrt, an. Dann lief sie ihrem Bruder nach. Ich musste mich auch einen Moment sammeln und rannte vor lauter Überraschung gegen eine Wand. Ich erschrak, wusste jedoch in dem Moment, in dem ich einatmete genau, in wen ich hinein gelaufen war. “Caleb!”
    “Vorsichtig, nicht zu übereifrig”, schmunzelte er. “Ich bin eigentlich nicht wirklich für ihn verantwortlich, aber…ihr müsst unfassbar stolz sein. Denn…ich bin es. Wirklich. Ich bin gespannt auf seine und Nicholas Erzählung.” Ich konnte nur Calebs Blick hinter den anderen her lächeln. Natürlich war auch er stolz. Tschetan hatte im Grunde seinen Besitz gerettet … die Pferde, die Kühe- sie alle waren Kapital für die Ranch, reines Geld. Auch wenn der Wert für Caleb natürlich weit darüber hinaus ging. Plötzlich trat eine andere Person in unseren kleinen Kreis.
    “Er ist mit dieser Aufgabe zum Mann geworden”, sprach Louis Stimme mit dem selben väterlichen Stolz wie ihn auch Caleb gehabt hat. Wieder fing meine Nase an verräterisch zu kribbeln und ich schluchzte auf.
    “Ach nun hört doch auf!”, sprach ich lachend, aber verzweifelt weil sie mich wieder zum Heulen gebracht hatten. Caleb klopfte mir grinsend auf die Schulter, Louis nahm mich halb in den Arm … und mit dem freien Arm den ich noch hatte zog ich auch Caleb nah an mich heran. Das alles hatten doch tatsächlich wir getan. Mir kam dabei ein afrikanisches Sprichwort in den Sinn, das ich vor einige Zeit in einem Film aufgeschnappt hatte: ‘Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.’ – und unsere Ranch war wohl das beste Dorf der Welt.

    Caleb
    ‘tick… tick…’ lauschte ich meiner Armbanduhr. Der Raum war erfüllt von einer kurzen Stille. Erneut öffnete sich die Tür, jemand kam herein und setzte sich in unsere Runde dazu. Wieder fingen Tschetan und Nicholas von neuem an, ihre Geschichte zu erzählen. Wie oft hatte ich den Anfang bereits gehört? Zwei, nein drei Mal? Aber das war egal. Es war vollkommen egal. Ich könnte den Anfang der Geschichte auch hundert Mal von Neuem anhören, ich würde jedes Mal das Gleiche empfinden. Stolz. Unglaublichen Stolz, dass die Beiden die Kühe gefunden und alle wohlbehalten zurückgekehrt waren.
    Tschetan kam nun endlich zu dem Punkt, an dem er einen Abgang von Sungila gemacht hatte. Nicholas unterbrach ihn: “Und dann … das hättet ihr sehen müssen, macht die Stute eine 180 Grad Drehung und rennt ins Gebüsch. Den armen Tschetan hat sie einfach mitgezogen. Das ging alles so schnell! Bestimmt fünf Meter hat sie ihn durch die Dornen gezogen – es war alles voll! Sein Gesicht zerkratzt, die Haare voller Dornen und …”
    “Na nun übertreib nicht”, holte Tschetan ihn zurück auf den Boden der Tatsachen, “es waren vielleicht zwei Meter. Sungila hat selbst gemerkt, dass das wohl keine so gute Idee war, da hinein zu springen. Ich hab mich dann aber mit Nicholas‘ Hilfe befreit“, beendete er seinen Satz an Nicholas gewandt und erzählte dann für uns alle weiter.
    „Das klingt nach einem richtig tollen Abenteuer! Uns hat Cayce nur durchs Tal gehetzt.“ Octavia sah sich in der Runde um, Cayce fehlte noch. „Meinst du da stimmt was nicht mit den Rindern?“ Ich horchte auf.
    „Wenn etwas nicht stimmen würde, dann hätte er schon einen von uns gerufen“, beschwichtigte ich sie und wandte mich an Nicholas. „Ich danke dir für deine Unterstützung, das war nicht selbstverständlich.“
    „Hab ich gern gemacht, es ist zum Glück ja alles gut gegangen. Es hat sogar Spaß gemacht! Ich hab Tschetan schon gesagt, dass ich das gerne nochmal machen würde. Ein paar Tage im Sattel, unterm Sternenhimmel schlafen und sich von der Natur ernähren. Nur … nächstes Mal möchte ich nicht nur von Grünzeug leben!“ Er schaute Tschetan direkt an, beide grinsten.
    „Erzähl!“, sagte Betsy und rutschte unruhig auf der Bank hin und her.
    Tschetans Magen knurrte. „Wo wir von Essen sprechen …“, Ylvi erhob sich, öffnete die Ofentür und nahm die Steaks und die Fritten heraus, teilte es auf zwei Teller auf und stellte sie den Jungs vor die Nase. „Kommt, lasst sie mal wieder zu Kräften kommen. Mit weiteren Fragen löchern könnt ihr sie später noch.“ Ich blickte zu Ylvi rüber. Sie benahm sich so … fürsorglich. Die Mutterrolle schien ihr zusehends leichter zu fallen. Ich lächelte in mich hinein, erhob mich und setzte mir den Hut auf den Kopf.
    „Na dann geh ich mal nach unseren Ausreißern und nach Cayce gucken.“
    „Ich komm mit“, fügte Betsy an und sprang von der Bank. Ich hatte ein paar der Stühle durch eine schöne Bank ersetzt. Besonders Kaya und Betsy nahmen gerne darauf Platz. Ich hatte aber auch schon Laurence und Dolly darauf sitzen und Kaffee trinken sehen.
    „Caleb warte!“, Aimee stand auf, „hier, die sind ja noch von dir.“ Sie überreichte mir meine Kleidung, die O ihr am vergangenen Abend gegeben hatte.
    „Wenigstens auf einen von euch ist Verlass.“ Ich blickte O direkt an, bekam aber lediglich ein Schulterzucken zur Antwort. „Komm“, sagte ich an Betsy gewandt, legte die Kleidung im Flur auf die Kommode und verließ das Haus. Mir fiel zunächst gar nicht auf, dass uns jemand folgte. Als ich jedoch zwei Mädchen hinter mir kichern hörte, wusste ich, dass Kaya das Haus mit uns verlassen hatte.
    Bei den Rindern angekommen konnte ich Cayce nirgends sehen. „Wo ist der denn jetzt abgeblieben?“, fragte ich mehr mich selbst als die Mädchen und schaute mich um. Die Herde hatte sich beruhigt. Fast alle Kälber lagen im saftigen Grün und schliefen, während sich ihre Mütter und die anderen Tiere die Bäuche vollschlugen. Beim Kauf von Bow River hatte ich eine Herde von um die 30 Tieren gehabt, nun waren es noch 13 Erwachsene und 4 Kälber von diesem Jahr. Vor dem letzten Winter waren die Jungbullen verkauft worden, weiß Gott warum davon so viele in der Herde gewesen waren. Mit den 17 Tieren hatte ich, neben den ganzen Pferden, dennoch genug – mehr mussten es nicht mehr sein.
    Cayce tauchte in meinem Blickfeld auf. Er hielt eine Dose Blauspray in der Hand und wank mich zu sich rüber. “Hab den halben Stall danach abgesucht, war nicht in der Kiste, wo es hätte sein sollen”, murmelte er und ging auf eines der Kälber zu. “Das blutet vorne an den Beinen, scheint irgendwo hängen geblieben zu sein.” Cayce wies mich an, mich auf den Hals des Tieres zu knien, damit es nicht aufspringen konnte, nachdem wir es auf die Seite gelegt hatten. Noch bevor die neugierige Mutterkuh uns erreicht hatte, waren besagte Stellen mit dem Blauspray eingesprüht und wir konnten uns vom Acker machen. “Hab die anderen Tiere auch kontrolliert, mir ist nichts weiter aufgefallen.”
    “Danke Cayce.”
    “Die sehen ganz schön müde aus”, meinte Betsy und zeigte auf die schlafenden Kälbchen.
    “Gib denen einen halben Tag, dann springen die wieder hier über die Wiese”, lachte Cayce, “wir müssen mal schauen ob wir die Tiere erstmal hier auf der Weide lassen, bis der Zaun repariert ist. Das ist ja eigentlich eine der Jungpferdeweiden.” Ich nickte und überlegte.
    “Wir lassen sie erstmal hier, den Zaun zu reparieren dauert ja auch nicht ewig … apropos, kannst du dir Bellamy und Brian schnappen und schon mal anfangen fahren? Ich muss noch zwei Telefonate erledigen. Nicholas Eltern haben mich angerufen wegen Rocket, ob ich einen Platz für ein Berittpferd frei habe – und ich wollte noch bei den Züchtern von Benny anrufen, ob sie noch so ein farblich tolles Pferd zum Verkauf haben.”
    “Hast du nicht bald mal genug Pferde, Caleb?”, Cayce sah mich fragend an, “eigentlich könnte ich mir mal noch eins zulegen. Neben Shorty wäre ein zweites rancherfahrenes Pferd nicht schlecht.” Er sah mich fragend an.
    “Ich schau mal in meinen Unterlagen, vielleicht wäre eine meiner cuttinggezogenen Stuten ja was für dich?”
    “Ich tendiere zwar eher zu einem weiteren Wallach … aber ja, schau mal.”
    “Hmmm”, überlegte ich und sortierte Pferdenamen in meinem Kopf, “hol dir sonst mal Tate für die Arbeit, vielleicht könntest du was aus ihm machen?”
    Cayce nickte und verschwand mit dem Spray in der Hand zurück in die Stallungen.
    “So, Mädels. Was macht ihr jetzt?”
    “Ich glaube … wir gehen ausreiten”, verkündete Betsy Kayas und ihren Plan selbstsicher. Kaya nickte nur.
    “Passt auf euch auf.”
    “Jaja, immer.” Damit verschwanden die beiden in Richtung des Paddocks, auf dem noch die Pferde für die Ferienranch standen.

    *

    Ylvi
    Mit zwei größeren Kartons in den Armen stiefelte ich hinter Betsy gerade die Treppe im Haupthaus hinauf. Vorsichtig darauf bedacht, mein Gleichgewicht nicht zu verlieren, tastete ich nach den Stufen. Die Kartons waren nicht schwer, aber ätzend zu greifen. Betsy hatte sich in den letzten Tagen dazu entschieden, was von dem Kram aus dem Bungalow noch in ihr Zimmer sollte. Direkt hinter mir hörte ich das Ätzen von Caleb und Tschetan. Die beiden mussten gerade eine der Kommoden die Treppe rauf befördern. Gerade in dem Moment fing Calebs Handy an zu klingeln. “Verdammt, wenn das jetzt Nicholas Eltern sind krieg ich die Krise”, murrte er.
    Seit beinahe zwei Tagen versuchte er die Familie zu erreichen, aber irgendwie war das Ganze wie verhext. Entweder sie verpassten einander oder der Zeitpunkt war ungünstig. “Du könntest auch einfach rüber fahren”, kam es vom Treppenabsatz ganz altklug von Betsy. Tschetan lachte leise.”Genau Caleb. Du könntest auch einfach rüber fahren.” Offenbar hatten die Kids damit das schlagende Argument gehabt, denn stumm trugen die beiden Männer das Möbelstück bis ins Zimmer. Betsy und Kaya standen inmitten des Chaos, das nun Betsys Zimmer war. Ganz überwältigt stand sie etwas verloren darin.
    “Was hälst du davon: wir bringen hier eine Art Grundreine hinein und die Männer schicken wir zur Ranch von Nicholas Eltern?” Betsy nickte mir milde lächelnd dankbar entgegen. Ich drehte mich zu Caleb. “Schnapp dir am besten auch Nicholas. So oft wie der Junge aktuell hier ist, können sich seine Eltern bald nicht mehr an sein Gesicht erinnern.”
    “Darf ich fahren?!” fragte Tschetan aufgeregt.
    Ich deutete auf den jungen Mann: “Du, bist erst 15!”, im selben Zug drehte ich mich halb zu Caleb, der sich gerade von Betsy verabschiedete, “wag es dir bloß nicht ihn fahren zu lassen.”
    Tschetan murrte ein wenig vor sich her. “Komm schon, du hast nur noch einen Monat bis zu deinem Geburtstag. Das Warten sollte doch kein Problem werden.”

    Als die Geräusche verstummt waren, drehte ich mich zu den Mädchen um. “Was waren deine Ideen Betsy?”
    “Drüben im Bungalow hatte ich mein Zimmer irgendwie größer im Sinn”, dabei klang sie etwas bedrückt. Auch ich sah mich erstmal kurz um, verschaffte mir einen Überblick. Rief mir ins Gedächtnis, was wir in welche Schubladen geladen hatten.
    “Was hälst du von der Idee deine Sachen auch nochmal zu sortieren? Alles womit du ohnehin nicht mehr spielst, die Klamotten die du nicht mehr trägst? Einiges davon könnten wir versuchen zu verkaufen, das geht direkt in dein Sparschwein. Alles andere spenden wir?” Das war für Betsy kein neuerliches Unterfangen. Wir hatten genau denselben Prozess erst bei Kaya unternommen, als Tschetan ausgezogen war. Sie hatte sich ein etwas “erwachseneres” Zimmer gewünscht. Betsy allerdings kämpfte noch immer damit nicht alles von ihrem Vater loslassen zu können. Meiner Meinung nach war viel zu viel von dem Zeug im Keller gelandet und wir würden es vermutlich nie wieder benutzen. Einer 12 - jährigen konnte ich allerdings auch schlecht sagen was in meinen Gedanken dazu vor sich ging – “Ins Grab kannst du ohnehin nichts mitnehmen”. Daher hatte ich da versucht, eine Neutrale Position zu haben.
    “Ich denke da gibt es so einiges mit dem Andere mehr anzufangen wissen als ich”, kam Betsys ungewöhnlich nüchtern betrachtete Antwort. “Da hinten in der Kiste sind lauter Puppen drin …die …”, sie seufzte “hat mir zwar meine Mama gekauft, aber ich denke wirklich ein anderes Kind wird sie genauso mögen wie ich.”

    Damit gingen wir ans Werk. Wir leerten einige der Klamottenkisten. Kaya zauberte aus der Federtasche einen dicken schwarzen Filzer mit dem wir die Kisten beschrifteten mit “trash” “keep” und “sell”.
    Mitten in der Arbeit lugte Louis plötzlich durch die Tür in das Zimmer. Kaya lächelte ihm entgegen. “Ist Tschetan in der Nähe?” fragte er mit gedämpfter Stimme. Ich schüttelte den Kopf.
    “Ich hab ihn mit Caleb und Nicholas rüber zu den Eltern von Nicholas geschickt.”
    "Fantastisch", damit kam Louis nun ganz ins Zimmer. Auf den Armen balancierte er einen runden Karton. Mein Gesicht hellte sich auf.
    “DAS ging aber flott!”
    “Unsere Frauen haben eben flinke Hände”, feixte er besonnen. Ich kommentierte das mal lieber nicht. Louis kam hinunter zu uns auf den Boden. Im Schneidersitz ließ er sich nieder und schob den Karton näher zu mir. Auch die Mädchen kamen nun neugierig heran. Louis nahm quälend langsam den Deckel von der runden Schachtel. Darin befand sich etwas verborgen unter Verpackungsmaterial – wie ich wusste – ein Hut. Ich erlaubte mir das Papier beiseite zu nehmen.
    Unsere Blicke fielen auf einen schwarzen Hut im Cowboystil. Louis nahm ihn vorsichtig heraus. Rund um die Krempe war der Hut mit hunderten kleinen Perlen bestickt. Kleine Vierecke in den Farben gelb, weiß und schwarz lösten sich mit kleinen Dreiecken in rot ab. Ein Lederband schlang sich um die Erhebung des Hutes. Das Leder war naturfarben, würde sich also im Laufe der Zeit durch die Sonne von selbst verfärben und eine besondere Patina bekommen. Auf das Leder war an einer Stelle ein weiterer geformter Streifen genäht worden. Diese sah aus, als könne man dort etwas hinein stecken. Louis griff ein weiteres Mal in den Karton. Ich erkannte erst auf den zweiten Blick, was es war. Hörte aber wie Kaya nach Luft schnappte. Louis öffnete seine Hand. Darin lag eine große weiß/bräunlich schwarze Feder. Sie war ein Stück größer als seine Hand. Ihre Ränder schienen ein wenig ausgefranst. Nur ihr unteres Ende war weiß, darin befanden sich einige der Sprenkel. Das Braun war wunderschön gemustert. “Eine Adlerfeder?” fragte ich. Ich wusste, dass die Tiere unter Naturschutz standen. Sogar der Besitz einer solchen Feder war schwierig.
    “Logan hat sie mitgebracht. Sie hat einst seinem Vater gehört”, sprach er stolz. Damit nahm er sie und steckte sie in die kleine Lasche die an den Hut genäht worden war. Ich jedoch horchte auf. “Logan?”
    “Ja, sonst wäre das Paket länger unterwegs gewesen. Logan hat den Hut und die Feder aus Pine Ridge mitgebracht.” Über das letzte Jahr hinweg hatte Logan selten Zeit auf der Ranch verbracht. Er war oft in der Reservation gewesen, irgendeinen Verwandten pflegen, Kinder unterrichten.
    “Wird er jetzt eine Weile bleiben?”, fragte ich. Louis sah zu den beiden Mädchen, schien zu überlegen, wie viel er sagen sollte. Ich erkannte, dass da mehr dahinter war. “Ich denke, er wird eine Weile bleiben, ja.”
    “Oh fein! Dann kann ich ihn mit meinen Worten überraschen”, strahlte Kaya. Dabei fiel mir ein … natürlich, Logan wusste nicht, dass Kaya ihre Sprache wiedergefunden hatte. “Wann bekommt Tschetan den Hut?”, fragte sie weiter. Louis zuckte mit den Schultern.
    “Ich hatte vor, ihm den Karton einfach auf’s Bett zu stellen. Ganz unspektakulär.”
    Kaya und Betsy zogen einen Schmollmund. “Wir wollen seine Reaktion sehen!!”
    “Louis und ich überlegen uns da etwas. Bring du den Hut in Sicherheit. Die Mädels und ich haben noch ein wenig zu tun hier.” Damit deutete ich Diffus auf das gelichtete Chaos um uns herum.
    “Gut, dann bis zum Abendessen?”
    “Vergiss nicht wir wollten später noch die Zäune an den Nordhängen kontrollieren. Wir hatten dort lang keine Rinder drauf. Aber Caleb und Cayce haben die Weiden für die Herde samt Kälber ausgesucht. Bevor wir sie dahin treiben, sollten wir die nochmal prüfen.”
    Ich schlug mir mit der Hand an die Stirn. “Ja, gut das du mich daran erinnerst. Wir machen hier schnell. Dann in 2 Stunden im Stall!”

    Tschetan
    Im Flur setzte sich Caleb seinen Hut auf den Kopf, die Sonne begann nun langsam schon ätzend vom Himmel zu scheinen. Meinen Alten konnte ich nicht mehr benutzen – mittlerweile war er zu klein für meinen Kopf. Also schnappte ich mir eines der Tücher und band es mir über die Haare, also um meine beiden geflochtenen Zöpfe. Ich war stolz, wie lang sie im vergangenen Jahr gewachsen waren. Aimee hatte mich in Sachen Haarpflege ein wenig unterstützt. Ich sprach es nicht direkt an, aber dafür war ich ihr doch etwas dankbar.
    “Such du am besten mal Nicholas. Ich hol derweil den Wagen. Wir treffen uns an der Auffahrt”, meinte Caleb beiläufig.
    Ich musste gar nicht lang suchen, denn ich hatte Nicholas, nachdem Ylvi mich zum Tragen helfen abkommandiert hatte, in den Stallungen der Hengste zurückgelassen. Da ich die Boxen oft genug allein gemistet hatte, wusste ich, dass man damit eine ganze Weile beschäftigt war.
    Tatsächlich fand ich Nicholas nur vier Boxen weiter von der Stelle, an der ich ihn verlassen hatte. Mit Kopfhörern auf den Ohren schaufelte er eine Mistgabel Pferdemist und Pellets auf die Karre. Bevor er mich dabei erwischen konnte, wie ich ihn anstarrte, trat ich näher an sein Blickfeld heran. Ob sein Schrecken nur gespielt war oder nicht, konnte ich nicht ganz deuten. Aber er hielt sich die flache Hand an die Brust, seufzte. Schob sich dann die Kopfhörer in den Nacken. “Scout, du hast mich erschreckt!”
    Ich fühlte mich noch ein wenig unsicher und war froh, dass meine heiß werdenden Ohren vom Tuch um meinen Kopf bedeckt waren. Nicholas hatte mich in den letzten Tagen begonnen so zu nennen. Er war ohnehin der Meinung, dass jeder einen Spitznamen benötigte. Nach unserem Abenteuer mit den Kälbern, hatte er diesen für mich gewählt. Meinen Vorschlag, ihn Lassie zu nennen, hatte er nicht witzig gefunden. Noch überkam es mich mit Scham, dass er mich Scout nannte. Meiner Meinung nach war das Ganze keine allzu anspruchsvolle Sache gewesen.
    “Ich hatte nicht vor dich zu erschrecken. Aber Ylvi hat beschlossen dir Feierabend zu verschaffen. Caleb wollte zu deinen Eltern hinüber, da sie am Telefon nie zueinander finden.”
    “Hilfst du noch eben dabei den Mist hier loszuwerden?”
    “Kipp ihn zurück in die Box”, feixte ich, drängelte Nicholas aber von seiner Position und ergriff beide Griffe der Schubkarre, wollte gerade los stiefeln, da spürte ich Zug am Kragen meines Shirts.
    “Ich meinte eigentlich das Schaufeln in den Container!” Ich sah nur leicht über die Schulter, lief weiter ungeachtet des Zuges auf meine Kehle bis Nicholas los ließ und so etwas wie ‘unverbesserlich’ seufzte. Er beeilte sich vor mich zu kommen, um die breite Tür der Stallungen aufzuhalten. Dort ums Eck befand sich unsere Mistplatte, die in den letzten Stunden offenbar schon jemand entleert hatte! So konnte ich einfach rauf fahren und die Karre am hintersten Ende entleeren.
    “Das war einfach”, stellte ich zu Nicholas gewandt fest. Die Karre und die Mistgabel in die Abstellkammer zu verfrachten stellte nun kein Problem mehr dar.
    Nicholas verschwand noch eben im Bad in Stalltrakt, wusch sich Hände und Gesicht. Ich lehnte an der Tür, warf ihm das Handtuch ins Gesicht, als er gerade danach greifen wollte. “Komm schon, sonst fährt Caleb ohne uns!” drängelte ich nun doch etwas.

    Caleb
    Nach etwa einer dreiviertel Stunde Fahrt passierten wir gerade die Aspen Crossing Train Station, als ich den Blinker setzte und vor Mossleigh auf die Range Road 250 abbog. Nach einem erneuten Blick in den Rückspiegel ließ ich den Wagen ausrollen und hielt am Straßenrand an. “Verpetz mich ja nicht an Ylvi”, zischte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen, grinste dann jedoch in Richtung des Beifahrersitzes, auf dem sich Tschetan befand. Seine Miene hellte sich auf, in sekundenschnelle sprang er aus dem Wagen, lief um die Motorhaube herum und wartete ungeduldig darauf, dass ich ausstieg. Schneller als ich schauen konnte, nahm er meinen Platz hinter dem Steuer ein und begann damit, Sitz und Spiegel passend für sich einzustellen.
    Wenn wir mit dem Truck bei den Weiden unterwegs waren, hatte ich ihn schon des Öfteren fahren lassen. Da er sich dort ganz gut angestellt hatte, hielten sich meine Sorgen, auf einer richtigen Straße könnte etwas passieren, in Grenzen.
    “Denk an … ja … und fahr jetzt langsam.. lenken nicht vergessen, sonst landen wir im Graben.” Okay zugegeben, ein wenig nervös war ich dennoch.
    “Darf ich auch gleich ein Stück fahren?”, fragte Nicholas auf einmal von hinten und steckte seinen Kopf zwischen den beiden vorderen Sitzen nach vorne.
    Ich lachte. “Auf gar keinen Fall.”
    “He, warum nicht?”
    “Wie alt bist du eigentlich?”
    “Ich bin 15.”
    Verwundert drehte ich mich halb zu ihm um. “Und wann wirst du 16?”
    “Nächstes Jahr im … Februar.”
    “Dann frag mich im Januar nochmal.”
    “Aber …”, wollte er protestieren, wurde jedoch jäh von mir unterbrochen.
    “Ich lerne in einer halben Stunde deine Eltern kennen, würde wohl keinen guten Eindruck machen, wenn ich ihnen gleich zu Beginn sagen muss, dass ihr Sohn meine Karre geschrottet hat?” Tschetans Mundwinkel zuckten belustigt nach oben. Ich folgte seinem Blick zum Rückspiegel, durch den er Nicholas beleidigtes Zurücksinken in seinen Sitz beobachtete.
    “Mach dir nichts draus”, murmelte er, “für Januar hast du doch quasi eine Zusage.”
    “Das hab ich so nicht gesagt”, protestierte ich und wechselte vielsagende Blicke zwischen Tschetan und dem Nicholas - Spiegelbild.
    “Komm … gib dir einen Ruck, Caleb.”
    Ich blickte Tschetan mit hochgezogener Augenbraue an, ließ seine Aussage jedoch unkommentiert. Ich schaute wieder zur Straße und gab ihm die Anweisung, nun hier links abzubiegen und bei der Nächsten nach rechts. Von hier an ging es so lange geradeaus, bis wir wieder auf den Highway stoßen würden. Kurz vorher hielten wir an, tauschten erneut die Plätze und fuhren das letzte Stück bis in die Nähe von Queenstown. Von der Range Road 221 bog ich ein letztes Mal nach rechts ab auf die Township Road 194, ehe wir den Hof auf der rechten Seite erblickten.
    Hinter dem Wohnhaus befand sich eine kleine Stallung. Zur linke Hand ein wenig Weide mit Wald und einem Unterstand, zur rechten Hand einige Paddocks und ein größeres Stück Koppel, welches in kleinere Sektionen unterteilt war.
    “Hier links beim Wald stehen unsere drei Pferde”, erklärte Nicholas und zeigte nach vorne. Am Zaun im Schatten der Bäume stehend erkannte ich die Tiere.
    “Die gehen wir uns gleich als Erstes anschauen”, kommentierte Tschetan.
    “Zuerst”, sagte ich mit Nachdruck, “gehen wir hallo sagen.”

    Wir saßen schon eine ganze Weile in der Küche des gemütlichen Hauses. Nicholas Eltern, Tamara und Aiden Brixton, stellten sich als unglaublich nette Leute heraus, die nur leider ihr Telefon fast nie mit sich führten.
    “ … und so sind wir zur Deckstation gekommen”, beendete Aiden gerade seine Erzählung, wie sie den kleinen Hof hier gekauft und zu ihrem Beruf gekommen waren. Viele der Hengste standen zur Decksaison hier und waren für diese Zeit aus dem Training. Verließen sie den Hof wieder, wurde das Training vielerorts wieder aufgenommen. Rocket entstammt eines Tausches, war hier in der kleinen Wallachherde aufgewachsen, brauchte nun aber dringend eine andere Aufgabe. Er war bereits für ein halbes Jahr zum Einreiten weg gewesen. Man merkte ihm aber nun an, dass er mit den drei Wallachen nicht mehr zurecht kam und sich langweilte. Ständig war er hinter den älteren Tieren und forderte sie zum Spielen auf. “Ich glaube, wenn er in eine kleine, gleichaltrige Herde kommt, wo die Pferde mit ihm spielen, wird er wieder viel ruhiger – außerdem würde ihm Training ganz gut tun und …”
    “Okay, jetzt, wo es ums Geschäftliche geht, verabschieden wir uns. Wir gehen eine Runde mit unseren Pferden ausreiten.” Nicholas erhob sich, Tschetan tat es ihm gleich.
    “Nehmt stattdessen doch lieber die beiden Füchse der Mädels, die haben mal wieder Bewegung nötig”, nickte Tamara den Jungs zu.
    “Okay, Ma.” Damit verließen sie den Raum und auch sogleich das Haus.
    Aiden räusperte sich. “Wo waren wir.. ach ja, genau. Wir hatten überlegt, Rocket zu verkaufen, würden ihn aber vielleicht lieber ins Training geben. Er ist Reining gezogen, soll trainiert und auf Turnieren vorgestellt werden. Wenn er sich gut macht, kommt er nochmal her, um zu Decken … außerdem hätten wir da seit Kurzem noch zwei Standardbreds und einen Draft Mix.”
    Bei Letzterem horchte ich auf. “Draft Mix?”
    “Ein Percheron - Quarter Horse Mix. Romeo, wunderschönes Tier!”, schwärmte Tamara, “etwas größer und stämmiger als die üblichen cuttinggezogenen Quarter, absolut klar im Kopf und unglaublich lieb.”
    “Den möchte ich mir direkt anschauen!”, verkündete ich mit großem Interesse und stand auf. Aiden tat es mir gleich, geleitete mich zur Tür und wir gingen zu den Stallungen. ‘Das wärs noch für die Ranch’, dachte ich und folgte Aiden gespannt.

    Tschetan
    “Du wirst dich vielleicht ein wenig umgewöhnen müssen”, sprach Nicholas neben mir. “Umgewöhnen?”
    “Wirst du gleich sehen”, grinste er verschmitzt.
    Mit den beiden Füchsen am Strick stiefelten wir zur Seite des Gebäudes, an dessen Außenwand eine solide Eisenstange zum Anbinden diente. In der Sattelkammer angekommen ahnte ich langsam, was Nicholas gemeint haben könnte. “Die Pferde sind keine Quarter, richtig?”
    “Die beiden Füchse nicht”, feixte Nicholas. Ich griff nach dem Putzkasten, den er mir herüber gab. Mit halbem Grauen starrte ich darauf. Er war knallpink mit rosafarbenen Verschlüssen. “Die beiden gehören derselben Familie. Deren Töchter sind in einem Auslandsjahr, also sind die Hengste beide hier zum decken.”
    “Fantastisch.” Ich wusste wie englisches Equipment angelegt wurde, schließlich gab es auch auf der Ranch durch O’ durchaus Pferde, die nicht den Westernsattel trugen. Richtig angefreundet hatte ich mich jedoch nie mit ihnen. “Alles klar. Ich reite ohne Sattel”, verkündete ich daher. Drehte ohne eine Antwort abzuwarten auf dem Absatz um – mit dem pinken Albtraum an einem Ende des Arms hängend. Ich musterte gerade beide Pferde genauer. Vorher hatte ich sie mir nicht so genau angeschaut. Sie waren deutlich feingliedriger als die stämmigen Quarter, die ich mittlerweile gewohnt war. Allerdings auch nicht so groß, wie die wenigen Vollblüter von Bow River. Ich konnte die Rasse tatsächlich nicht erkennen. Trotzdem waren beides genügsame und hübsche Pferde.
    ”Foxtrotter”, sprach Nicholas plötzlich neben mir.
    “Mhm?”
    “Du hast sie so angestarrt. Die beiden sind Missouri Foxtrotter. Nur falls du ergründen wolltest, was für Rassen die sind.”
    “Aber wieso bildet man sie dann nicht Western aus?”
    “Vermutlich, weil die beiden Distanzritte gehen. Mit ihrer besonderen Gangart eignen sie sich da hervorragend für.”
    Wir putzten die Beiden nur in der Sattellage über, huschten dann in die Kammer zurück, da wir möglichst viel Zeit auf dem Ritt verbringen wollten.
    “Macs Sattel ist der da”, Nicholas hatte seinen bereits auf den Arm gehievt und griff gerade nach der Trense. “Die daneben ist auch von deinem.”
    Ich ignorierte also den Sattel und griff nur nach der Trense ehe ich Nicholas hinaus folgte. “Das war also kein Scherz?”
    “Nein, ich kann mich an diese englischen Sättel einfach nicht gewöhnen.”
    “Ich fühl mich ohne Sattel immer ziemlich unsicher”, gestand Nicholas mir.
    Ich zuckte die Schultern: “Das ist keine Schande, aber du könntest es üben. Vielleicht auf Sungila, sie hat tolle Gänge.”
    “Du würdest sie mich reiten lassen?”
    “Natürlich…ich darf doch jetzt auch Mac reiten.”
    Während des Auftrensens hatte ich allerdings meine leidliche Not. Da waren plötzlich so viele Schnüre! Für Sungila hatte ich manchmal nur ein Bosal oder immer öfter ein sogenanntes War Bridle. Ich schielte ab und an zu Nicholas hinüber. Der war allerdings noch mit dem Sattel beschäftigt. Gerade als ich einen Schritt zurück machte, um mein Werk zu betrachten, trat ich Nicholas auf die Zehen, denn er stand plötzlich hinter mir.
    “Erster.”
    “Oh Sorry!”, sagten wir wie aus einem Munde. Dann sah ich ihn verwirrt an.
    “Erster?”, ich lehnte mich mit mehr Gewicht auf das eine Bein. Die Trense fehlte am Kopf seines Fuchses.
    “Erster Auftritt”, Nicholas lächelte, “meine Eltern sind…oder eher waren begnadete Tänzer. Als ich klein war waren wir oft im Training unterwegs oder so. Und immer wenn mein Vater meiner Mutter auf die Zehen getreten ist. Hat sie gezählt. Und das eben? War dein erster.”
    “Und letzter”, murmelte ich, “was musst du dich auch so heran schleichen?”
    Nicholas legte seinen Kopf leicht schief, ein Mundwinkel halb nach oben gezogen: “Und ich dachte, du wärst der Leisere von uns.”
    “Zum eigentlichen Problem – ich hab’ da ‘nen Riemen übrig”, damit hielt ich den schmalen Riemen vor sein Gesicht.
    Nicholas schielte leicht zu Mac hinüber.
    “Der ist mir auf dem Weg rausgefallen. Hab Nachsicht mit mir, ja?” Nicholas gab ein kleines unterdrücktes Lachen von sich.
    “Häng ihn einfach über die Stange, das is nur der Sperriemen. Brauchst du ohnehin nicht.” In seinen Worten griff er sachte nach meiner Hand, schnappte sich den Riemen und hängte ihn über die Eisenstange.
    “Du meinst also alles richtig verschnallt?” Nicholas nickte.
    “Dann mach dich schonmal mit Mac vertraut, dann mach ich Cheese weiter fertig.”
    “Cheese?”
    Nicholas zuckte die Schulter: “Die hingen wohl schon immer aneinander. Also heißen sie Mac n’ Cheese.” Ich konnte nicht ohnehin die geschlossene Faust vor der Stirn kreisen. Zu lang hatte ich mit Kaya die Zeichensprache verwendet. Nicholas kannte das Zeichen mittlerweile auch und schien mir mit seinem Lächeln zuzustimmen.
    “Mach du den Käse fertig. Ich komm selbst auf das Pferd.“ Ich griff mir ein Büschel der kurzen Mähne von Mac, hüpfte leicht auf der Stelle, um mich dann mit Schwung auf dem blanken Pferderücken nieder zu lassen.
    “Vielleicht sollte ich wirklich mehr üben, ohne Sattel zu reiten”, merkte Nicholas an, bevor wir uns endlich auf den Weg machen konnten, die Umgebung auszukundschaften.

    Caleb
    Im Stall angekommen blieben wir allerdings zunächst bei Rocket stehen. ‘Rocking Waves’, stand auf dem Boxenschild. Toller Name für ein unglaubliches tolles Tier! Der Palominohengst hatte eine gewellte, dichte und lange Mähne, welche gerade zu Zöpfen geflochten war. Auch der Schweif befand sich in einem dicken Geflecht.
    “Ich würde dir ja anbieten, dass du ihn mal testen kannst vor dem Mitnehmen, aber leider haben wir hier keinen Platz oder ähnliches”, murmelte Aiden, doch ich wank ab.
    “Das ist kein Problem, ich muss den jetzt hier nicht reiten. Auf Bow River werde ich dazu noch Gelegenheit genug bekommen”, antwortete ich, schnappte mir dennoch das Halfter an der Boxentür und ging zum Hengst rein. Er streckte mir den Kopf entgegen, ließ sich willig aufhalftern und in die Stallgasse führen. Dort begutachtete ich ihn, ließ ihn mir einmal von Aiden vortraben und stellte ihn zufrieden wieder in die Box. “Ich bin mir sicher, dass ich meine Freude mit ihm haben werde.”
    Aiden nickte und ging eine Box weiter, in der ein schicker Blue Roan mit blauen Augen stand. Ich lachte: “Mit den Augen passt er zu dreiviertel der Tiere auf meiner Ranch.”
    Aiden horchte auf. “Ach ja?”
    “Ja”, lachte ich und nahm den Hengst an die Hand.
    “Vierjährig”, erklärte Aiden, “gezogen vom Lindö Dalen Stuteri. Vandal LDS ist sein voller Name, von Alfred’s Nobelpreis aus der Rainbeth.”
    Ich hörte ihm aufmerksam zu, ehe ich mir den Hengst ebenfalls vortraben ließ. “Der gehört auch euch?”, fragte ich, ehe er das Tier wieder in die Box stellte.
    “Genau, den haben wir gekauft und noch einen vom LDS, hier, komm.” Damit gingen wir zu einer der hintersten Boxen. “Heldentum LDS, von Wunderkind aus der Götterdämmerung. Negativ auf alle Scheckgene.”
    “Das ist doch ganz klar ein Frame Overo?”, fragte ich verwundert und beobachtete Aiden dabei, wie er den Kopf schüttelte.
    “Nein, alles negativ. Der ist auch nicht der erste Bunte aus der Anpaarung. Das LDS forscht wohl gerade daran, weshalb er und seine Geschwister, ein oder mehrere, so aussehen, wie sie aussehen.”
    “Interessant”, schlussfolgerte ich, “deshalb habt ihr den gekauft? Mit der Farbe lässt er sich später wohl besser vermarkten.”
    “Exakt”, Aiden lachte und führte mich endlich zu dem Pferd, von dem wir eben im Haus gesprochen hatten, “das ist Romeo, eigentlich Fancy Like Romeo. Vater ist ein Percheron, Mutter ein Cutter.”
    “Den darf ich bestimmt auch mal rausholen?”
    “Tu dir keinen Zwang an.”
    Mit dem Halfter, welches an seiner Box hing, ging ich zu dem Hengst rein. Romeo brummelte leise, sah von seinem Heu auf und kam mir einen Schritt entgegen. Ich streichelte ihm sanft über den Schopf, zog ihm das Halfter an und führte ihn in die Stallgasse. Er folgte willig, ließ die Ohren spielen und sah sich um. Am Ende des Stalles brummelte eines der Tiere, Romeo wandte nur den Kopf und schaute in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Wenige Sekunden später, ohne einen Ton von sich zu geben, schaute er wieder zu mir. “So einer fehlt mir noch”, lachte ich. Ich wollte ihn zurück in die Box stellen, doch Aiden bestand darauf, ihn auch ein wenig vortraben zu lassen. Entgegen meiner Erwartungen stellte ich kaum einen Unterschied zu einem echten Quarter fest. “Toller Beweger”, schlussfolgerte ich, ehe Romeo wirklich wieder in die Box kam.
    Wir schauten uns noch ein paar der anderen Deckhengste an.
    Gerade, als ich den Stall wieder verlassen wollte, hielt mich Aiden zurück.
    “Hör mal Caleb, dass du Rocket mitnimmst, ist ja beschlossene Sache. Aber hast du noch Kapazitäten für die anderen drei Pferde? Romeo, Hero, also Heldentum und Vandal? Mir fehlt es hier im Moment an allen Ecken, die stehen sich nur die Beine in den Bauch. Zum Decken kann ich sie ja noch nicht nehmen, weil sie noch nicht gekört sind. Tamara und ich dachten, es wäre eine gute Idee, auch eigene Hengste zu halten und nicht nur mit Fremden zu arbeiten. Leider scheitert es an der Zeit. Tamara arbeitet zusätzlich in einem Diner in Mossleigh, die Rechnungen wollen schließlich bezahlt werden, deshalb ist sie weniger hier, um zu helfen.” Aiden klang aufrichtig, aber auch ein wenig verunsichert. “Verkaufen wollte ihr sie nicht, oder?”
    Er schüttelte den Kopf: “Nein, erstmal nicht. Vermutlich wäre Vandal aber das erste Pferd, welches wir anbieten würden. Nicht, dass er nicht auch toll wäre, im Gegenteil. Aber man hat seine Lieblinge …”, er zuckte lächelnd die Schultern.
    Ohne noch länger überlegen zu müssen, legte ich ihm die Hand auf die Schulter. “Das bekommen wir hin.”
    Eine halbe Stunde und ein ganzer Stapel Papierkram später hängte ich gerade Aidens Trailer an meinen Truck. Wir hatten abgemacht, dass ich die Tiere jetzt sofort mitnehmen würde. Den Trailer könnte einer meiner Leute die Tage zurückbringen oder sie würden ihn holen kommen.
    Das erste Pferd auf dem Hänger war Heldentum. Hero, der mir zeitweise ein wenig tollpatschig vorkam, stolperte beim ersten Schritt die Rampe hoch und ging in die Knie, ehe seine Nase mit der Rampe kollidierte. Aiden, der den Hengst führte, zuckte erschrocken zusammen. Auch Tamara, die sich mittlerweile zu uns gesellt hatte, schnappte erschrocken nach Luft. Ich machte, mit Vandal am Strick, einen Satz auf die Beiden zu, doch Hero hatte sich bereits wieder aufgerappelt und schüttelte sich einmal kurz.
    “Das müssen wir aber noch üben”, sprach Aiden an den Hengst gewandt und streichelte ihm einmal durch die zottelige Mähne. Schließlich folgte der Hengst ihm ohne weitere Probleme die Rampe hinauf. Als Aiden wieder herauskam sagte er an mich gewandt: “Hab grade noch geschaut, weder am Bein noch an der Nase hat er sich was getan. Falls er doch später etwas klamm laufen sollte, kannst du ja nochmal nach ihm schauen?”
    Ich nickte und versicherte ihm, dass er bei mir in guten Händen sein würde. Vandal ging kooperativ hinter mir her, erschreckte sich allerdings kurz vor dem dumpfen Geräusch, als er mit einem kleinen Satz hinter mir her auf die Rampe sprang. Ich wartete kurz und ließ ihm Zeit, sich umzuschauen. Dann ging er zügig mit mir nach vorne und ließ sich ohne Probleme anbinden.
    Rocket folgte Aiden zügig in den Hänger während Romeo ein wenig vor sich hin schlurfte. Vier komplett unterschiedliche Pferde würde ich gleich mit zurück nach Bow River holen.

    In der Zwischenzeit waren Tschetan und Nicholas von ihrem Ausritt zurück. Letzterer wirkte ein wenig zerknirscht. Noch bevor ich nachfragen konnte, setzte er an: “Echt bewundernswert, dass Tschetan auf dem Pferd sitzt wie festgeklebt. Davon kann ich nur träumen!”
    “Ich hab dir ja angeboten Sungila beim nächsten Mal zu reiten, dann lernst du das.”
    “Sungila?”, fragte ich verwundert.
    “Na Connies Blue Splash oder so heißt die doch”, Tschetan zuckte mit den Schultern.
    Endlich dämmerte es mir. “Colonels Blue Splash”, schlussfolgerte ich, “wurde ja früher Connie gerufen, bis du sie umbenannt hast. Wie rufst du Like a Prayer eigentlich mittlerweile?”
    “Yumni.”
    “Stimmt.”
    Nicholas Vater räusperte sich. “Bleibst du jetzt hier, Junge? Ich könnte deine Hilfe noch bei den Wallachen gebrauchen.”
    “Ist gut”, antwortete Nicholas, “bis dann ihr zwei.”
    Wir verabschiedeten uns ehe wir uns in den Wagen setzten. “Jetzt kann ich dich nicht fahren lassen, hab da hinten vier Pferde drin stehen.”
    “Vier?”, fragte Tschetan ungläubig und half mir, das Gefährt aus der engen Ausfahrt hinaus zu manövrieren, indem er mir den Abstand zum Zaun auf seiner Seite weitergab.
    “Vier”, wiederholte ich lachend und bog nach links in Richtung des Highway ab, “zwei Standardbred, also Traber, Rocket und einen Quarter - Percheronmix.”
    “Was machst du damit?”
    “Die sind alle nur zur Verfügung. Der Plan ist sie zu trainieren und zu kören, dann gehen sie wieder zurück zum Decken.”
    Tschetan nickte vielsagend. “Du brauchst echt nicht noch mehr Pferde.”
    Ich lachte. “Du meinst ich könnte mal welche verkaufen?”
    Wieder nickte er.
    “Hattet ihr einen schönen Ausritt?”, fragte ich ihn dann und lenkte das Gefährt wieder auf die Straße zurück in Richtung Mossleigh.

    Tschetan
    Ich starrte ein wenig in die Ferne. Die Antwort war nicht ganz einfach. “Ich bin noch nie ein Gangpferd geritten”, sagte ich daher etwas abwesend, “beide Hengste waren Missouri Foxtrotter.”
    Caleb ging nicht ein auf die Tatsache das ich ihm nicht direkt geantwortet hatte. “Bist du deshalb ohne Sattel geritten, weil sie besonders bequem sein sollen?”
    “Nicht wirklich. Ich konnte mich mit dem Gedanken in den Englischsattel zu steigen nicht anfreunden.”
    Caleb lachte laut auf. “Das kann ich nachvollziehen.”
    “Die Landschaft war anders als im Tal bei uns…viele Felder voll Getreide. Wir mussten uns ziemlich oft an die Wege halten. Ich kann verstehen, dass Nicholas mehr Zeit bei uns verbringt.”
    Ich rutschte etwas unsicher auf dem Polster herum. “Nicholas er…er war ziemlich neugierig.” Caleb sah mich von der Seite etwas schief an. Zum dritten Mal an diesem Nachmittag war ich froh um das Tuch über meinen Ohren. “Naja, auch er hat keine Glasaugen. Er hat nach dir und Ylvi gefragt”, ich seufzte tief, “ich weiß nicht wieso….ob ich angeben wollte, weil ich mehr weiß, oder einfach, um das Geheimnis nicht mehr nur allein zu bewahren. Ich hab ihm erzählt, dass ich euch beide in der Ebene beobachtet habe”, ich legte eine Hand über meine Augen, um seinem Blick auszuweichen. Doch meine Scham hatte mich dazu bewogen, ihm die Wahrheit zu sagen. “Ich hab ihn schwören lassen, es nicht zu verraten. Das wird er nicht. …er…er ist ein Freund.” Jetzt sah ich doch an meine linke Seite, suchte im Blick von Caleb nach Wut. Stattdessen musste ich ein schmales Lächeln auf seinen Lippen erkennen.
    “Hast du bisher tatsächlich niemandem davon berichtet?”, sprach er überrascht. Ich verneinte ohne Worte seine Frage. “Bist ein feiner Kerl. Es ist in Ordnung, dass er es weiß. Sogar Louis weiß davon.”
    Die Aussage ließ mich dann aber doch kurz nach Luft schnappen. “Wirklich?”
    “Ylvi, ja…sie hat es mir erzählt.”
    “Verwirrend wie er so ruhig bleiben kann. Ich meine, du hast ihn geschlagen …”, murmelte ich, ohne darüber nachzudenken.
    “Nachträglich bin ich nicht stolz darauf.”
    Ich zuckte die Schultern. “Du kannst es nicht mehr ändern – und trotz deiner Wut durften wir bleiben.”
    “Junge, wann bist du so erwachsen geworden?” Caleb sah mich mit hochgezogener Augenbraue kurz an, bevor seine Aufmerksamkeit wieder der Straße galt. Ich machte mir eben um vieles Gedanken. Plötzlich gaben Caleb und auch mein Handy einen Ton von sich. Anhand meines Tones erkannte ich die Gruppe der Ranch. Ich zog es mir etwas ungelenk aus der Hosentasche, las kurz und musste dann schmunzeln.
    “Dolly schreibt dann, dass du einen Zahn zulegen sollst, die anderen haben kein Bock ewig auf das Abendbrot zu warten”, feixte ich.
    Caleb wedelte mit den Händen, Richtung der Uhr im Truck. “Wir haben noch eine Stunde Zeit!”
    “Sei fair, sie kann ja nicht riechen, dass wir schon im Auto sitzen. Soll ich Cayce und Louis schreiben, sie sollen in 40 Minuten mithelfen, die Pferde zu entladen?”
    “Keine schlechte Idee.”
    Ich tippte also schnell eine Nachricht an Louis, kopierte diese, um sie dann auch direkt an Cayce zu verschicken. Louis gab nur einen Daumen als Antwort. Cayce schrieb ein “PferdE?” worauf ich nur mit einem schulterzuckenden Emoji antwortete.

    Ylvi
    Ich ließ die Palominostute langsam an den Zaun heran treten, schwang dann ein Bein über ihren Rücken, ohne den Bügel zu belasten, die rechte Hand hielt dabei beide Zügel und ruhte auf dem Knauf. Kurz sortierte ich Zügel und Haare in meiner Hand. Dann lobte ich Honor. Wir hatten es uns mehr und mehr zur Aufgabe gemacht die Pferde, die für die Ferienranch sein, sollten zu reiten. So wurden sie nicht nur an das Terrain sondern auch an unterschiedliche Reiter gewöhnt. Auf dem Plan hatte ich gesehen, dass sich Honor eine ganze Weile nicht bewegt hatte, daher hatte ich für den Ausritt heute auf sie zurückgegriffen. Ich drehte mich nach Louis um, blaue Augen schauten mir aus einem fast schwarzen Gesicht aufmerksam entgegen. Er hatte sich an einem seiner aktuellen Trainingspferde bedient. Skip war eine breitbrustige Blue Roan Stute mit auffallend blauen Augen. Auch sie sollte auf lange Sicht für die Ferienranch genutzt werden. Allerdings machte sie sich so gut am Rind, dass Caleb sie vielleicht doch lieber hier auf der Ranch behalten wollte.
    Wir verließen die Einfahrt der Ranch Richtung Norden.
    “Wann hast du vor Tschetan den Hut zu übergeben? Beim Abendessen später?”
    “Puuh ich hab überlegt ihn einfach in sein Zimmer zu legen. Tschetan ist doch eher der Typ für wenig Aufmerksamkeit. Ich wollte keine große Sache draus machen.” Ich schob beim Denken leicht die Unterlippe nach vorn. "Tatsächlich wäre das wohl in seinem Sinne. Wobei ich bei der Entdeckung schon sehr gern sein Gesicht sehen wollen würde!"
    "Vielleicht fragen wir Kaya später. Allerdings bin ich auch sicher Logan möchte seine Reaktion sehen. Daher wäre es nur fair das ganze doch beim Essen zu veranstalten?"
    “Wo du gerade von Logan sprichst. Wie kommt es, dass er wieder hier ist? Hat er nicht zuletzt viel in der Reservationsschule unterrichtet?” Offenbar traf ich damit einen wunden Punkt, denn unvermittelt ließ Louis sein Pferd - harscher als nötig gewesen wäre - in einen flotten Galopp fallen. Ich ließ ihn gewähren. Für gewöhnlich würde er mir die Antwort auf meine Frage geben – eben in seiner eigenen Zeit. Wir galoppierten also schweigend über die Ebene, bis er Skip durchparierte. Ich gab darauf acht, dass meine Palominostute nicht ständig versuchte das hohe Gras zu fressen. Auch um mich davon abzuhalten, Louis erwartungsvoll anzuschauen. Nur durch den Schleier meiner offenen Haare sah ich ihn manchmal an. Es wirkte als sei er auf dem Pferd zusammengesunken.
    “Ich hab mich die letzten Monate seinem Willen verwehrt”, sprach er, bevor wieder eine Weile Schweigen zwischen uns herrschte. Aber ich versuchte nicht zu bohren.
    “Logan… er wollte, dass Tschetan, jetzt wo er älter ist, zurück in die Reservation kommt. Sie waren nicht glücklich, als ich damals die Entscheidung traf, mit euch nach Kanada zu ziehen – oder überhaupt Tschetan aus der Reservation zu holen”, er seufzte schwer, “die Hochzeit mit dir hat dem ganzen noch mehr Feuer gegeben.”
    Ich konnte nicht anders als verwirrt das Gesicht zu verziehen, konnte nicht ganz alle Gegebenheiten miteinander verknüpfen. Das schien auch er zu verstehen.
    “Weißt du, einige der Ältesten sind der Auffassung, dass einige mehr Wert sind, als Andere. Tschetans Vater war ein direkter Nachkomme eines bedeutenden Lakota, dessen Name dir ohnehin nichts sagt. Aber für unser Volk ist er von großer Bedeutung. Und auch Tschetans Mutter stammt aus einer … mhm … ‘reinen’ Verbindung. Das macht aus Tschetan, nunja … einige würden ihn wohl Vollblut-Native nennen.”
    Ich schluckte. Die Worte und Gedankengänge erinnerten mich unweigerlich an Geschehnisse des dritten Reiches. Ich wusste, dass Amerika durchaus ein “Rassenproblem” hatte, dass es allerdings selbst unter den Natives ein Thema war, überraschte mich.
    “Ich wollte Tschetan von all dem fern halten. Von den Problemen, die ich in meiner Kindheit hatte … und von diesem Denken. Deshalb hab ich mit voller Überzeugung dem Umzug nach Kanada zugestimmt. Logan hat die letzten Monate immer wieder gefordert, dass der Junge zurückkehrt. Aber solange er nicht volljährig ist, soll er sich auf andere Dinge konzentrieren. Logan bat darum, dass Tschetan den Sommer in der Reservation verbringt.”
    “Ich finde das sollte er ganz allein entscheiden.”
    “Ganz deiner Meinung. Logan war … weniger begeistert. Schwaffelte irgendwas von ‘ich würde den Jungen seiner Kultur entziehen’ … dabei vergisst er, dass ich ihm schon unsere Traditionen weitergebe. Noch schlimmer an der Sache ist, dass er Kaya völlig vergisst”, jetzt begann er sich fast in Rage zu reden, was ich sonst nur selten bei Louis erlebte, “es hat ihn beinahe nicht interessiert, dass sie mittlerweile spricht, was für eine aufgeweckte junge Erwachsene aus ihr wird.”
    Frustriert warf er die Zügel auf den Hals und es sprach definitiv für die kleine Roanstute, dass sie völlig unbeeindruckt von seinem Gebaren blieb. Die Verwirrung hatte sich etwas gelöst, trotzdem kam ich nicht umhin eine weitere Frage zu stellen.
    “Aber warum? Doch nicht etwa, weil sie ein Mädchen ist?”
    “Noch viel trauriger…sie haben nicht beide den selben Vater.”
    Überrascht sah ich Louis an, dass hatte ich bisher nicht gewusst. Es war für mich auch keine relevante Aussage. Offenbar hatten beide Väter kein interesse an ihren Kindern gezeigt, denn sonst würde sich nicht Louis um sie kümmern. Sie waren seine Kinder, daran gab es keinen Zweifel. Auf seltsame Art und Weise waren sie auch die Meinen. Zumindest schien sich ab und an etwas wie Mutterinstinkt in mir zu regen.
    “Das bedeutet wohl, dass Kayas Vater keiner tollen Blutlinie entstammt? Das schmettert mich etwas nieder…ich dachte in eurer Community ist Rassismus kein Problem. Zumindest nicht untereinander. Schließlich kann ich mich da lebhaft an das Indian Relay erinnern.”
    “Glaub mir, nach den Jahrhunderten der Nichtachtung sollte man meinen, es sei kein Problem. Aber in einigen älteren Kreisen ist es das leider. Ich selbst war in meiner Jugend davon betroffen … es hat mich, nunja etwas hochnäsig gegenüber anderen gemacht. Erst als wir die Reservation verlassen haben, da hab ich gemerkt, dass meine Ahnen außerhalb keinerlei Rolle spielen. Das möchte ich an die beiden weitergeben. Sie sollen ihr Volk und ihre Kultur kennen, sie lernen die Sprache der Ahnen. Beide sollen wissen, woher sie kommen. Gleichzeitig sollen sie aufwachsen wie alle anderen Jugendlichen auch. Offene junge Erwachsene werden.”
    Ich trieb meine Stute etwas näher an Louis heran, stieß mit dem einen Fuß leicht gegen seinen Haken. Sein Blick hob sich in meine Richtung … ich lächelte ihn offen an. “Ich glaube das wissen beide sehr zu schätzen. Lass uns heute Abend mit Tschetan darüber sprechen…und auch mit Kaya. Ich finde beide sollen entscheiden, ob sie in die Reservation möchten für einige Zeit. Auch Kaya hat dazu ein Recht.”
    Louis ließ die Roanstute anhalten, lehnte sich dann zu mir hinüber um dankend die Hand auf meinen Oberschenkel zu legen.

    Caleb
    Am Hof angekommen parkte ich den Trailer vor dem Hauptstall. Rocket und Romeo, die bei den Brixtons ebenso zusammengestanden hatten wie Vandal und Hero, würden auf zwei der stallnahen Paddocks untergebracht werden. Tschetan sprang aus dem Wagen und ließ sofort zur Laderampe hinter dem Hänger. Cayce lugte aus der offenen Stalltür heraus, ehe er sich die staubigen Hände an der Hose abklopfte und zu uns kam. Louis stand etwas weiter weg, gestikulierte und teilte mir so mit, dass er etwas anderes zu tun hatte. Ich nickte, winkte ab und sah ebenfalls ein Nicken, ehe er auf dem Absatz kehrt machte und in Richtung Bungalow joggte. Etwas fragend blickte ich ihm hinterher, schaute dann jedoch wieder zu Tschetan und Cayce, die bereits die beiden Quarter ausgeladen hatten.
    “Vier Pferde?”, fragte Cayce verwundert und kratzte sich am Kopf.
    “Keine Sorge”, lachte ich, “die sind nur zur Verfügung. Der Palomino ist Rocking Waves und der Rappe ist ein Percheron - Quartermix namens Fancy Like Romeo. Die könnt ihr zusammen auf den ersten Paddock links stellen, die kennen sich. Die anderen beiden, Vandal LDS und Heldentum LDS können auch zusammen. Am Besten auf den zweiten Paddock links.”
    Während Cayce und Tschetan die beiden Hengste wegbrachten, betrat auch ich den Hänger und band Vandal los, führte ihn von der Rampe und band ihn kurz an der Seite an, damit ich auch Hero abladen konnte.
    “In welchen Farbtopf is der denn gefallen?” Cayce starrte den Hengst ungläubig an, während Tschetan sich mit Vandal bereits auf den Weg machte.
    “Das versucht das LDS in Schweden gerade rauszufinden. Der Kerl ist negativ auf alle Scheckgene.”
    “Was du nicht sagst.” Cayce kratzte sich am Kopf, rückte seinen Hut wieder zurecht und schaute dann zu mir rüber. “Ich kam noch gar nicht dazu, dir Bescheid zu sagen. Ich hab Tate ausprobiert, hatte ihn mit zur Weide, wo wir die Kühe stehen haben. War ein bisschen holprig, der hat mich beim Reiten fast ins Bein gebissen. Er wollte einfach nicht nah genug ans Tor ran, damit ich es auf bekam. Musste dann sogar absteigen … beim Rausreiten hat es dann jedoch geklappt. Bei den Kühen ist er noch etwas ängstlich, aber ich denke, wenn ich da dran bleibe, könnte der was für mich sein.”
    Ich lachte kurz, nickte dann aber vielsagend. “Tate ist einfach ein Pferd für eine Person. Dem tut das gar nicht gut, wenn die Reiter ständig wechseln. Hol den mal die nächste Zeit vorwiegend mit für die Rancharbeit und sag mir in ein paar Wochen nochmal Bescheid, wie er sich macht, ok?”
    Cayce nickte. Am Paddock angekommen öffnete er uns das Gatter, so dass wir die beiden Junghengste hineinführen und loslassen konnten. Als wir wieder draußen waren und das Tor geschlossen hatten, setzte er erneut an: “Außerdem waren Louis und Ylvi heute den Zaun an den Nordhängen kontrollieren, so dass wir die Kühe bald umtreiben können. Da ist alles in Ordnung gewesen.”
    Erneut nickte ich, ehe wir uns den Pferden zuwandten. Die beiden ‘älteren’ Hengste stürzten sich sofort auf das noch verbliebene Gras, während die beiden Jungspunde am Zaun auf und ab liefen und aufgeregt wieherten. Die Pferde der Ranch waren auf den Paddocks und Weiden so verteilt, dass die neuen Tiere sie nicht sehen, aber hören konnten. Ein paar der Tiere antworteten ihnen, nach kurzer Zeit allerdings fingen die zwei auch an zu fressen.
    Als mein Handy vibrierte, zog ich es aus der Tasche und betrachtete den Bildschirm. “Dolly ruft zum Abendessen. Dann machen wir den Hänger gleich sauber und stellen ihn zur Seite – entweder wird er die Tage abgeholt oder wir fahren ihn nochmal rüber”, erklärte ich Cayce, welcher nickte und sich diese Information im Hinterkopf abzuspeichern schien.
    Als Tschetan eine andere Richtung als wir anschlug, wandte ich mich ihm zu. “Kommst du nicht mit?”
    Er schüttelte den Kopf. “Ylvi schrieb gerade, dass wir heute Abend drüben essen.”
    Ich schaute ihn fragend an, kommentierte seine Aussage allerdings nur mit einem “Dann lasst es euch schmecken”.
    Als Cayce und ich am Haupthaus ankamen, flog uns die Tür entgegen. Kaya stapfte ohne ein Wort an uns vorbei in Richtung des Bungalows.
    “Die scheint nicht begeistert”, lachte Cayce und hielt mir die Tür auf. “Ich glaub Dolly hat eines ihrer Lieblingsgerichte gekocht. Da wäre ich auch beleidigt.”
    Wir lachten beide kurz, ehe wir ins Esszimmer gingen und uns setzten.
    Dort herrschte reges Treiben. Octavia erzählte wild gestikulierend von den Fortschritten beim Einreiten von Leuchtfeuer und den bequemen Gängen ihrer Scheckstute Kara, Bellamy unterhielt sich mit Laurence über Birk und Myrk, bei denen es mal Zeit wurde, sie tatsächlich mal an eine Kutsche zu spannen. Die beiden hatten bereits eine Menge Arbeit in die Tiere gesteckt, um sie optimal darauf vorzubereiten.
    “Ich müsste sogar noch eine Kutsche haben”, mischte ich mich in das Gespräch ein und sah, wie sie sich mir beide schlagartig zuwandten.
    “Oh echt? Das wäre super!”, sagte Bellamy direkt, wandte sich dann aber wieder Laurence zu und besprach das weitere Vorgehen im Training.
    Unmerklich schüttelte ich den Kopf. Falls die zwei dann doch so weit wären, dass sie die Kutsche brauchen würden, käme das Thema auf, wo ich sie denn stehen hätte.
    “Brian wie lief es heute mit deinen Trainingspferden?”
    “Gut, gut. Hope war wie immer ein Schatz, die macht es mir so einfach. Plankton, Conti und Witch hatte ich nur im Round Pen. Conti kann ich ja eh nicht reiten, hab mich sowieso gefragt, wieso du sie mir eingeteilt hast?”
    Ich klatschte mir die Hand an den Kopf. “Da habe ich mich verschrieben. Chico hätte da stehen sollen, nicht Conti. Hat den heute jemand bewegt?” Ich schaute in die Runde, alle schüttelten den Kopf. “Dann machst du den Morgen, ja?”
    Brian nickte und sagte dann: “Becks und Moonie bin ich noch geritten … das waren meine für heute.”
    “Gut, danke. Cayce wie hat es bei dir ausgesehen?”
    Er überlegte kurz, kramte dann einen Zettel aus der Hosentasche. “Man muss ja organisiert sein”, grinste er, “Shorty hatte frei, Zues hab ich auch nur gefüttert, Courtesy hab ich auch nur auf den Paddock gebracht, da müssen wir mal dringend wieder nach den Hufen schauen. Berry hatte einen schlechten Tag, glaub der hatte noch gut Muskelkater vom Gelände gestern. Hab ihn nur locker eine halbe Stunde geritten. Saintly und Vulture hab ich im Round Pen laufen lassen, Benny war in der Führanlage. Bisschen Schritt und Trab. Sky und Cody bin ich beide geritten. War okay.”
    “Alles klar. Und was hast…”
    “Mister Caleb!”, ermahnte mich Dollys Stimme neben mir harsch. “Jetzt wird gegessen. Lasst den Tag hinterher Revue passieren, es wird doch alles kalt!”
    In Laurence Lachen stiegen wenige Sekunden später alle anderen ein. Gerade als ich nach dem Topf greifen wollte, vibrierte mein Handy. Eine Nachricht von Ylvi, sie aßen drüben im Bungalow, sie mussten etwas mit den Kindern besprechen. Zunächst wollte ich die Nachricht nicht beantworten, schickte dann jedoch ein ‘Daumen hoch’ ab, ehe ich mich den Töpfen widmete.
    Dolly nahm nun auch, neben Laurence, Platz und füllte sich ihren Teller.

    Nach dem Abendessen begaben sich Cayce und ich wieder zum Trailer, um die Streu auszukehren und ihn innen sauber zu machen, ehe ich ihn schließlich zur Seite fuhr. Ich schaute noch einmal nach den Neuankömmlingen, erledigte meine Abendrunde und ging dann zurück ins Haus, um die Papiere der neuen Pferde in die richtigen Ordner einzuheften. Außerdem kümmerte ich mich noch um ein paar Rechnungen, die ich online begleichen konnte. Zwischen diesen fand ich ein Schreiben des Jugendamtes. Ich schluckte. Der Tod von Dell war schon ein paar Wochen her, der Besuch Ylvis und mir auf dem Jugendamt ebenso. Ich hatte die Tatsache, dass bezüglich Betsys Verbleib noch gar nichts geklärt war, zur Seite geschoben.
    Mit zittrigen Fingern öffnete ich den Umschlag, atmete dann jedoch erleichtert auf. Ihnen fehlten lediglich ein paar Daten, um eine vollständige Akte anlegen zu können. Flink füllte ich das Formular aus, steckte es in einen neuen Umschlag und legte den Brief ins ‘zur Post’ - Fach.
    Schließlich fuhr ich den PC herunter, ging ins Wohnzimmer, setzte mich auf den Sessel und schaltete den Fernseher ein.
    “Hier steckst du.” Eine altbekannte Stimme ließ mich über den Sitz nach hinten schauen.
    “Ich war bis grade im Büro, wo hast du mich denn gesucht?”
    “Na im Stall. Da war aber schon alles dunkel. Hab Blue noch gute Nacht gesagt.”
    Ich grinste. Sue stand im Moment nicht am Stall, dafür sagte sie Blue jeden Abend gute Nacht. “Ich wollte noch ein wenig fernsehen, bevor ich ins Bett gehe. Magst du mitschauen?”
    “Was gucken wir denn?”, fragte mich Betsy, ehe sie sich aufs Sofa legte, dann jedoch wieder aufsprang und mich voller Enthusiasmus ansah, “es gibt einen neuen Pferdefilm. Da muss ein Stadtmädchen aufs Land zu ihren Großeltern und mag eigentlich gar keine Pferde. Aber da ist dieses eine Pferd, zu dem sie eine Verbindung hat. So wie ich zu Sue und…”
    “Okay, okay … du hast mich überzeugt.”

    Ylvi
    Zu Kayas Missfallen hatten wir uns beim Abendessen vom Gelage drüben im Haupthaus entzogen. Louis und ich hatten beschlossen, in Ruhe bei einem gemeinsamen Essen mit den Kindern zu sprechen. Caleb hatte ich eine kurze Nachricht mit einer kleinen Erklärung gegeben. Ich wusste gar nicht so richtig, warum ich ihm das mitteilen wollte, doch es hinterließ ein weniger schuldiges Gefühl in mir zurück. Das fragile Band an Vertrauen, dass wir in den letzten Wochen aufgebaut hatten, wollte ich nicht zerstören.
    Gemeinsam mit Louis stand ich in der Küche und fischte gerade ein triefendes Frybread aus dem großen Topf mit Öl. Der Teig war etwas anders, aber grundsätzlich versetzte mich das Gericht immer nach Deutschland auf Weihnachtsmärkte auf denen Langos verkauft wurde. Louis hielt mir den Teller hin, auf dem ich die große Scheibe Fladenbrot zu seinen Geschwistern legen konnte. In einer anderen Pfanne briet Karibufleisch. Ich war gespannt, wie es schmecken würde. Louis und Tschetan hatten das Tier vor einiger Zeit selbst geschossen.
    “Rieche ich da etwa Frybread?”, verkündete Tschetan, als er barfüßig ohne Oberteil im Rahmen der Tür zur Küche stehen blieb. Seine Haare waren noch nass vom Duschen. “Brauch nicht zu lang, ist bald alles fertig. Ist Kaya schon hier?”
    “Gerade zur Tür rein!”, verkündete ihre glockenhelle Stimme aus dem Flur. Ihr buschiger Kopf schob sich neben ihrem Bruder in mein Blickfeld. Ihr ganzes Gesicht war ein wenig staubig. Ich schob fragend die Augenbraue nach oben, kommentierte es aber nicht.
    “Ist das Bad frei?”
    “Geh nur, ich brauch nur ein T-Shirt.” Damit verschwanden beide Kids wieder aus dem Türrahmen.
    “Ob sie schon wieder vom Pferd gefallen ist?”, fragte ich halb besorgt in Richtung Louis.
    “Sie läuft, sie kann sprechen. Nächstes Mal wird sie vorsichtiger sein.”
    Manchmal tat ich mich schwer mit der Art seines Volkes, ihre Kinder zu erziehen. Niemals wurden sie getadelt oder ihnen ihre Fehler vorgehalten. Also hatte ich mich dessen angepasst, kollidierte dennoch von Zeit zu Zeit mit den Grundsätzen, wie ich selbst aufgezogen wurde.

    Keine 10 Minuten später versammelten wir uns alle um den Tisch herum. Darauf fanden sich mehrere Schalen mit Fleisch, Gemüse und einer Sour Creme. So konnte jeder selbst entscheiden, was er auf seinem Fladenbrot haben wolle. Da ich nicht genau wusste, wie wir das eigentlich ansprechen sollten, sah ich etwas zu Louis hinüber. Er beugte sich zu Boden. Mit den Worten “Bevor wir anfangen, hab ich da etwas für dich Tschetan.”
    Der angesprochene schob mit dem Handrücken seinen Teller ein wenig aus dem Weg und zog halb ehrfürchtig den Karton zu sich heran. Sah dann von Louis zu mir. Langsam hob er den Deckel des Kartons an. Kaya streckte sich, obwohl sie den Hut bereits gesehen hatte. Nur schwer konnte sie das gespannte Grinsen verbergen. Tschetan spähte hinein. Schloss dann schnell den Deckel wieder, sah wieder von einem zum anderen. Schließlich machte er den Deckel doch sehr schnell auf. Sah hinab auf das was im Karton wahr. Seine Augen zeigten Unglauben. Glänzten aber, als er den Hut vorsichtig aus dem Karton holte. Dann schlug er sich eine Hand vor den Mund, als er unter dem Hut die große Feder sah. Um den Kiel war Leder gewickelt, kleine rote Perlen angenäht.
    “Ist sie echt?” hauchte Kaya, sah dann zu Louis um seine Antwort zu sehen. Er nickte nur mit einem Lächeln.
    “Tschetan, setz ihn auf, ich steck dir die Feder in den Lederriemen!”, ergriff Kaya wieder das Wort, während ihr Bruder Hut und Feder noch ehrfürchtig in der Hand hielt. Nur langsam erwachte er aus der Starre, setzte sich den Hut auf den Kopf, um ihn dann ein wenig zu neigen, damit Kaya ihm die Feder an den Hut stecken konnte. Als er zu uns herüber sah voller Freude und Stolz, konnte ich das Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Tschetan stand auf, umarmte erst Louis der sich erhoben hatte. Louis sprach Worte in Lakota die nur für den Jungen bestimmt waren, sonst hätte er sie in Englisch gesprochen. Anschließend umarmte Tschetan mich. Die Worte die er mir dabei ins Ohr flüsterte ließen mich völlig vergessen, das er mir danach einen Kuss auf die Stirn drückte. Dann schenkte er mir sein breites Grinsen, denn er wusste sehr wohl, wie sehr er mich aus dem Konzept gebracht hatte. Auch seine kleine Schwester bekam eine fette Umarmung. Während meine Gänsehaut noch anhielt, eröffnete ich das Essen. Wir ließen uns Zeit bis jeder seinen Teller befüllt hatte.
    “Deine Feder stammt von Logan… damit verbunden ist eine kleine Bitte seinerseits”, fing ich an, doch Louis unterbrach mich.
    “Tatsächlich kam es eher einem Befehl gleich. Er würde es ziemlich begrüßen, wenn wir zurück in die Reservation kämen. Den Wind habe ich ihm direkt genommen. Allerdings wollte er dich für die Ferien zurück nach Pine Ridge holen”, sprach er direkt an Tschetan. Der hörte erstmal auf mit dem Kauen.
    “Wir haben allerdings beschlossen, euch beide einzuweihen”, fuhr ich weiter fort, “Louis und ich waren uns einig, dass ihr beide diese Entscheidung selbst treffen solltet. Ihr seid alt genug, um solche Sachen für euch selbst entscheiden zu können.”
    Tschetan und Kaya sahen sich an. "Müssen wir uns jetzt entscheiden?", fragte Kaya etwas zerknirscht.
    Ich schüttelte den Kopf. "Lasst euch das in Ruhe durch den Kopf gehen."

    Caleb
    Am nächsten Morgen, gleich nachdem ich aufgestanden war, versuchte ich es erneut bei den Züchtern von Benny. Ich hatte schon so oft angerufen, aber nie jemanden erreicht, ähnlich wie bei den Brixtons, nur dass ich nicht mal eben nach Montana fahren konnte.
    So war es auch dieses Mal. Ich entschied mich nun dazu, ihnen eine E-Mail zu schreiben. Vielleicht wären sie darüber besser zu erreichen.
    Tatsächlich dauerte es nur eine halbe Stunde, da ploppte eine neue Mail in meinem Postfach auf. Sie freuten sich darüber, dass ihr Thiz Bye Bye Bay nun in Kanada auf der Bow River Ranch stand und ich ihm die Zeit geben würde, die er brauchte, bevor er wieder in den Showring treten würde. Momentan hätten sie einige Jährlinge zu verkaufen, ich könne sie gerne einmal anschauen kommen. Um mir vorab schon mal ein Bild zu machen, waren der E-Mail Bilder der Pferde angehängt.
    20 Stück um genau zu sein. Auf jedem Foto befand sich ein anderes Pferd.
    “Die sehen ja toll aus.”
    Ich zuckte merklich zusammen. Betsy stand neben mir und betrachtete die Fotos der Pferde. “Wie lange stehst du eigentlich schon da?”
    “Seit du die Fotos aufgemacht hast.”
    “Ich hab dich gar nicht kommen hören…”
    "Hab's gemerkt.” Sie grinste mich an und zeigte auf das Foto eines Rappschecken. “Das ist hübsch.”
    Ich schmunzelte, vergrößerte es und machte es wieder zu, um das Bild eines anderen dunklen Schecken aufzumachen. “Das ist aber auch toll.”
    Betsy seufzte. “Die sind alle toll … huch guck mal, der ist ganz weiß! Run Outta Colour”, sie lachte, “der Name passt.”
    Länger als gedacht blieb ich am Foto des weißen Hengstes hängen, las mir die Abstammung und die Farbgenetik durch. Schließlich seufzte ich. “Der ist taub. Durch die Farbe. Kostet auch nur einen Apfel und ein Ei, trotz der guten Abstammung.”
    "Wenn's doch aber ein liebes Kerlchen ist …” Betsy zuckte die Schultern. “Wir sind jetzt übrigens los zur Schule. Bis später.”
    Betsy wollte gerade den Raum verlassen, da stand ich auf und machte einen Schritt auf sie zu. “Schickst du Aimee grad noch her? Ich muss ihr noch was mitgeben für in die Stadt.”
    “Ich kann das auch mitnehmen?” Betsy schien entrüstet.
    Kurz musste ich überlegen, griff dann ins Fach ‘zur Post’ und steckte den Brief des Jugendamtes zwischen die anderen Umschläge. “Halt die gut fest und verlier keinen.”
    “Jaja, tschau Cowboy.”
    Ich schaute ihr noch eine Weile nach. So hatte sie mich lange nicht mehr genannt.
    Nachdem ich den Züchtern von Benny ein paar Daten, an denen ich sie besuchen könnte, geschickt hatte, sah ich nach draußen. Dort buckelte Cayce mehr, als dass er ritt, mit Tate in Richtung Wald. Ich grinste in mich hinein. Ich gab den beiden noch zwei Wochen, dann waren sie ein eingespieltes Team.
    Wenn er mit dem Rappschecken unterwegs war, würde Shorty heute wieder ein freier Tag auf der Koppel bevorstehen.
    Ich widmete mich wieder meinem Bildschirm, beantwortete ein paar E-Mails und ging dann in den Stall, um auf dem Trainingsplan ein paar Änderungen vorzunehmen. Als Erstes musste ich in Cayces Spalte das Conti in Chico ändern. Die Stute trug ich in Aimees Spalte ein. Vielleicht würde ich Ylvi auch noch überzeugen können, die Stute ein paar Mal unter ihre Fittiche zu nehmen, so dass Aimee nicht gezwungen war, sie regelmäßig zu bewegen. Die Jugendliche war nicht bei mir eingestellt und half freiwillig bei den Pferden. Tschetan war ebenfalls kein Angestellter, dennoch schien er mit jeder neuen Aufgabe mehr Verantwortung zu übernehmen und über sich hinaus zu wachsen.
    Dude, Ace, Barbie, Damon, Blue, Gangster, Batman, Till, Unitato, Champ; ging ich die Namen der Zuchthengste auf dem Trainingsbrett durch. Auf meinem Klemmbrett schlug ich eine Seite um und fand die Jungpferde vor, die ich ein wenig umverteilen musste.
    Cayce kümmerte sich zusammen mit Brian und mir um das Einreiten folgender Pferde: Cat, Izzie, Sophie, Katie, Goldy und Joker.
    Crystal trug ich bei Bellamy ein. Die Stute musste im Moment einfach nur regelmäßig locker bewegt werden.
    Die restlichen Jungpferde: Atlantis, Mila, Queen, Rosy, Nora, Bailey, Elvis, Seth, Sugar, Soul, McDreamy und Dazzle standen noch immer nach Stuten und Hengsten aufgeteilt auf den Jungpferdekoppeln etwas abseits der Ranch. Die sechs Junghengste verstanden sich wunderbar und ich war froh, dass ich sie in Gesellschaft halten konnte.
    Nach einem Blick auf Octavias Trainingsspalte war ich mir sicher, dass es gut war, dass die Vollblüter nicht mehr hier am Stall standen, sondern an der Trainingsbahn. Pria, Drama, Tigres Eye, Culain, Clyde und Filly, rief ich mir die Namen ins Gedächtnis. Noch von ihr hier am Hof standen Soul, die den gleichen Spitznamen hatte wie mein Appaloosanachwuchshengst, Nini, Cira, Moonie (die den gleichen Spitznamen hatte wie mein Red Dun Quarter Hengst), Hunty, Raspberry, Trooper und Shiner. Ich schüttelte den Kopf. Viel Arbeit für eine Person.
    Ich zückte mein Handy und tippte eine kurze Nachricht an sie. >>Bin grad am Trainingsbrett deine Pferde durchgegangen. Für Prias Colourful Soul und Moonshine LDS musst du dir neue Spitznamen überlegen. Sonst verwechselt man die immer mit BR Heart N’ Soul und How ‘Bout Moonies ;)<<
    >Ich glaube DU musst dir neue Spitznamen aussuchen :p<
    Seufzend rieb ich mir die Augen. Es war viel zu früh am Morgen, um mit ihr herum zu diskutieren.
    Als mein Handy sich wieder bemerkbar machte, nahm ich es genervt aus der Hosentasche in die Hand, zog meine Augenbrauen dann jedoch fragend zusammen. Luchy Blackburne vom Whitehorse Creek Stud fragte, ob ich Cleavant zurücknehmen würde, da sie bei den Reitschulpferden ein wenig aussortieren mussten. Cleavant war zwar einer der Lieblinge, aber die Reitschüler wurden auch immer älter und größer, so dass viele von ihnen den Wallach gar nicht mehr reiten konnten.
    Ich bedankte mich für die Nachricht und sagte ihr zu. Clay wäre eine gute Bereicherung für die Ferienranch – und da die Tiere sowieso im Offenstall standen, würden wir das mit seiner Allergie schon in den Griff bekommen.
    Luchy antwortete mir, dass sie das Tier umsonst abgab. Ihr war es wichtiger, den Wallach in guten Händen zu wissen. Sie würde drüben alles fertig machen und ihn am späteren Nachmittag zu mir bringen. Ich konnte es kaum erwarten, denn der kleine Schecke war mir in guter Erinnerung geblieben.
    Mein Weg führte mich nun zu den Ferienranchpferden. Mit Cleavant waren es mittlerweile 11 Tiere. Dizzy stand, so lange er noch Hengst war, bei den Junghengste drüben auf der Weide. Die Stuten Yumni und Sungila befanden sich seit einigen Wochen auf einem stallnahen Paddock, da Tschetan viel mit ihnen arbeitete. Die anderen Stuten Honor, Chou, Jade, Kristy, Shanee, Kiss und Layla waren auf einem gemeinsamen Koppelstück untergebracht.
    Letztere wollte ich mir heute schnappen, um mit ihr zu den Fohlen und Stuten zu reiten. Auf dem Weg dorthin traf ich Bellamy, der Dakota am Strick führte.
    “Unterwegs zum Ausreiten oder zum Training?”
    “Ausreiten.”
    “Hast du Lust mit zu den Stuten und Fohlen zu kommen?”
    “Klar, treffen wir uns gleich hinten am Weg, der zu den Tieren führt?”
    Ich nickte, “bis gleich.”
    Bellamy und ich ritten eine Weile schweigend nebeneinander her, ehe ich ihn fragte: “Wie gehts dir eigentlich so?”
    Er schaute mich schief von der Seite an. “Hast du mich gerade ernsthaft gefragt, wie es mir so geht?”, er schmunzelte, “was ist denn bei dir kaputt?” Er lachte und schüttelte merklich den Kopf, setzte dann zu einer Antwort an, bei der er durch Dakotas Stolpern unterbrochen wurde. Kota rappelte sich allerdings direkt wieder auf, so dass sein Griff ans Horn nicht von Nöten gewesen war. Bell räusperte sich kurz. “Mir gehts ganz gut, würde ich sagen.”
    “Mmmhhmm”, kommentierte ich, um ihm noch ein wenig mehr zu entlocken. Es funktionierte.
    “Drüben im Bungalow komm ich mit O super zurecht. Auch wenn sie morgens beim Duschen vieeeel zu lange braucht und es bei beinahe jeden Tag nur für eine Katzenwäsche reicht.”
    “Dann musst du wohl früher aufstehen”, lachte ich.
    “Früher aufstehen!”, prustete er los, “pah! Dann steht O auch früher auf und schmeißt mich wieder aus dem Bad.”
    Ich musste lachen. “Frauen.” Um zur Stutenkoppel zu gelangen mussten wir einen kleinen Bachlauf durchqueren. “Ich weiß noch gar nicht, was die gute Layla hier von Wasser hält … geh du mal vor, Bellamy.”
    Er schnalzte, gab Kotas Zügel vor und ließ sie einen Schluck des kühlen Nass trinken, ehe er sie sanft antrieb und sie den Bach durchquerten. Layla tat es ihnen, entgegen meiner Erwartung, gleich. Sie senkte den Kopf, schnupperte am Wasser, trat mit dem ersten Huf zunächst zögerlich hinein, ehe sie den Kopf hob und ihren Weg zügig fortsetzte.
    “Man darf manchmal nicht zu viel drüber nachdenken.”
    “Hm?”
    Bellamy drehte sich zu mir um. “Na bei den Pferden. Manchmal macht man aus einer Mücke einen Elefanten, obwohl gar nichts ist. Trooper ist da so ein Kandidat. Ich helfe O ja beim Einreiten …”
    “Ja, ich hab euch schon ein paar Mal gesehen”, warf ich ein.
    “Der macht sich wirklich gut. Ich hab da auch schon ein paar Mal draufgesessen. So ein lieber Kerl – wenn man aus der Mücke keinen Elefanten macht. Trooper macht alles mit, ist neugierig und gelassen, einfach ein angenehmes Pferd. Macht man selbst aber eine Show und packt ihn panisch an … dann geht er da voll mit und du kannst die Arbeit mit ihm vergessen.”
    “Das ist mir bisher gar nicht aufgefallen.”
    “Wie auch, du hast ja nicht oft zugeschaut”, feixte Bellamy und trabte Dakota locker an. Ich tat es ihm gleich, um wieder zu ihm aufzuschließen. “Ich überlege ja, ob ich ihr den Hengst nicht abkaufe.”
    “So?”
    “Ich mag den. Finde er passt zu mir. Mir würde ein zweites Pferd ganz gut tun, neben Dakota … außerdem hat Cayce jetzt auch ein weiteres Pferd bekommen!”
    Ich schmunzelte. “Ob Cayce Tate übernimmt stellt sich noch raus.” Wir parierten die Pferde durch, da wir an der großen Koppel angekommen waren. “Außerdem hätte ich bestimmt noch ein Westernpferd für dich, falls du eins übernehmen möchtest. Hmmm”, überlegte ich, welche Pferd er in der letzten Zeit des Öfteren trainiert hatte, “Hope zum Beispiel oder Plankton.”
    Bellamy schien zu überlegen. “Hope soll doch ein Reitschulpferd werden oder auf die Ferienranch, hab ich gedacht?”
    “Ich tendiere eher zum Reitschulpferd, für die Ferienranch haben wir schon so viele gute Pferde. Heute Mittag kommt noch eins dazu”, ich zog meine Antwort mit einer theatralischen Pause in die Länge, “Cleavant kommt zurück.”
    “Der kleine Braunschecke mit den blauen Augen? Der mit der Allergie?”, fragte er neugierig nach.
    “Genau der. Die Meisten von Luchys Reitschülern sind ihm zu groß geworden und zum Rumstehen ist er zu schade. Als sie mir eben schrieb, dass sie ihn abgibt, hab ich sofort zugesagt. Seine Allergie hat sie im Moment ziemlich im Griff, Luchy hat gesagt wenn er viel draußen steht und sich bewegt gehts damit.” Ich stieg vom Pferd und band sie außen am Zaun an. Candy und Devil waren nicht freundlichsten Genossen. “Und was ist mit Plankton?”, fragte ich dann, während ich Bellamy das Zauntor aufhielt und es hinter ihm wieder schloss. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg in Richtung des Waldstückes, in dem ich die Stuten vermutete – falls dort niemand war, würden wir sie am und um den Bach herum finden.
    “Plankton ist auch ein nettes Kerlchen”, ergriff Bellamy wieder das Wort, “aber irgendwie passen die klassischen Westernpferde nicht zu mir, findest du nicht auch?”
    “Auf Alan hast du immer gut ausgesehen!”, widersprach ich ihm, “vielleicht wäre nächstes Jahr Elvis oder Nora etwas für dich?”
    Bellamy schüttelte den Kopf. Heftiger, als es nötig gewesen wäre. “Elvis braucht immer klare Regeln. Der testet in einer Tour. Außerdem ist er ein Sohn von Candy. Man muss sich das Leben nicht schwerer machen, als es ohnehin schon ist.”
    “Eh”, unterbrach ich ihn, “der ist zwar von Candy, aber Alan ist der Vater. Der hat auch was zum Pferd beigetragen!” Das erste Pferd, welches ich sah, war Sue. Direkt daneben stand Rose, etwas abseits Girl.
    “Das mag sein”, fuhr Bellamy fort und zeigte rechts am Wald vorbei, wo sich Candy und Devil aufhielten. Mit dabei stand Smartie, was ungewöhnlich war. “Aber Candy schlägt da mehr durch!” Er lachte auf. “Und Nora … ist zwar auch von Alan … aber Bella ist die Mutter. Und Bella ist die Mutter von Candy. Damit mach ich mir das Leben auch schwer.”
    “Ach das ist doch Quatsch. Guck dir Izzie an! Die macht sich gut unter dem Sattel.”
    “Bei dir vielleicht!” Bellamy war entrüstet die Arme in die Luft. “Mit mir macht die was sie will.”
    “Vielleicht solltest du da mal an dir und deinem Auftreten arbeiten?”
    Bellamy blieb mir eine Antwort schuldig. Easy und Gin kamen auf ihn zu und durchstöberten seine Westentaschen nach etwas Fressbarem. Während er umzingelt war, Elsa und Ginny gesellten sich ebenfalls zu ihm, hielt ich Ausschau nach den anderen Stuten und den Fohlen. Aquila, Magic, Lol, Crow, Tex, Stormy, Striga und Whiz. Das waren alle Stuten und Mutterstuten, die sich hier auf der Weide befanden. Wimpy, welche sich bei ihrer Mutter Devil befand, war bisher das Einzige Fohlen für dieses Jahr. Bei den anderen würde es nicht mehr lange dauern.
    Die Jährlinge Siri, Rebel, Willa und Angel standen gemeinsam mit Miss und Lena am Hof. Nach einigen ganz erfolgreichen Trainingsversuchen war es Lena doch zu viel geworden. Sie war blind und verfiel bei den letzten Malen immer gleich in Panik, aus der sie sich nicht so schnell herausholen ließ. Ich hatte mich deshalb dazu entschieden, sie komplett aus dem Sport und aus der Arbeit zu nehmen. Sie verbrachte ihre Tage am Hof und schien damit sichtlich zufrieden.
    “Weißt du was mir gerade einfällt?”, wandte ich mich wieder an meinen Begleiter. “Alaric. Das wäre ein Pferd für dich. Elena verkauft den gerade. 10 jähriger Friesenmixhengst, freundlich und aufgeschlossen. Sie hat mich gebeten, mich mal umzuhören.”
    “Was ist denn da noch drin, außer Friese?”, fragte Bell mich interessiert.
    “Das weiß ich leider nicht”, gab ich ehrlich zu, “aber der ist braun und nicht schwarz. Ich such dir gleich mal ein Fotos raus.” Gesagt, getan. Ich durchforstete mein Handy nach einem Bild des Hengstes, während ich immer wieder Pferdenasen vom Bildschirm wegschieben musste. Als Candy, Devil, Wimpy und Smartie mit angelegten Ohren auf uns zukamen, stoben alle anderen Stuten wie von der Tarantel gestochen davon. “Weiber …”, murmelte ich und hielt bei einem Bild des Braunen an. “Hier, guck.”
    “Hübsch sieht er ja aus.” Bellamy streichelte Smarties Hals. “Seit wann gehört die eigentlich dazu? Und vor allem seit wann hängen Candy und Devil zusammen rum?”
    “Da fragst du den falschen”, ich zuckte die Schultern, “keine Ahnung, wann das passiert ist. Es wundert mich genauso, wie es dich wundert … aber hast du gesehen, was für ein tolles Fohlen Devil und Blue bekommen haben? Wenn das mal keine Traumfarbe ist!”
    “Sieht Siri ähnlich – also von der Scheckung.”
    “Ja, ein wenig. Oh …” Ich rückte mir meinen Hut zurecht. “O schreibt gerade, Luchy ist mit Cleavant schon da. Sie warte aber solange, bis wir zurück sind.”
    Zügigen Schrittes gingen wir zurück zu den beiden Pferden, die neugierig den Hals über den Zaun streckten, um sich mit den anderen Stuten zu beschnuppern.
    “Lass dir das mit Ric und Plankton mal durch den Kopf gehen, Trooper kannst du dann ja immer noch dazu holen.”
    “Ich denk drüber nach.”

    Wieder auf der Ranch angekommen war Cleavant bereits ausgeladen und O unterhielt sich angeregt mit Luchy. Sie hatte den Wallach am Strick und ließ ihn am Rand eines Paddocks ein wenig grasen.
    “Hallo Luchy!”, begrüßte ich sie freundlich, lenkte mein Pferd in ihre Richtung und stieg ab. Ich drückte es Bellamy in die Hand, der nach einer kurzen Begrüßung Luchys in Richtung Stalls verschwand. Ich schaute ihm kurz nach, ehe ich mich dem Wallach zuwandte.
    “Hey Cleavant”, sagte ich die Hand ausstreckend und seinen Hals berührend. Der Braune hob den Kopf und musterte mich kurz, ehe er ihn wieder senkte und weiter fraß.
    “Ganz verhungert, der Arme”, lachte Luchy und übergab mir den Strick. “Ich hab leider gar nicht so viel Zeit und müsste jetzt auch wieder los.” Sie ging nach vorne zum Transporter, klaubte einen Stapel Papiere vom Beifahrersitz und drückte sie mir in die Hand. “Da stehen auch seine letzten Behandlungen drauf, falls er einen Schub bekommt meld dich gerne, dann helf ich.”
    Ich bedankte mich und wir winkten ihr kurz hinterher, während sie das Gelände über die lange Auffahrt verließ. “Na Kleiner, kennst du dich noch aus?”
    Als wir in Richtung der Paddocks gingen, auf denen die Ferienranchpferde untergebracht waren, hob Cleavant zusehends den Kopf, wieherte und bekam immer mehr Antwort.
    “Wo stellst du den denn jetzt hin?”, fragte mich O und lehnte sich an den Zaun, hinter dem die Stuten untergebracht waren. “Kannst ihn ja schlecht zu Dizzy stellen.”
    “Nein, den muss ich erst kastrieren lassen … ich stell ihn jetzt hier nebenan auf den leeren Paddock und stell ihn dann die Tage zu den Stuten rein, der kennt ja die gemischten Herden.”
    O nickte. “Ich bin dann mal nochmal rüber zu meinen, ich wollte mit Hunty gleich noch eine Runde ins Gelände.”
    “Viel Spaß.”

    Tschetan
    Die Feder am Hut befestigt, den Karton eng an die Brust gedrückt und den Hut auf meinem Kopf schlenderte ich über den Hof. Die laue Nacht hatte sich über die Ranch gelegt, aber ich konnte noch nicht hinüber ins Haupthaus. Ich zog mein Handy heraus. Schrieb eine Nachricht. Löschte sie wieder. Dachte nach. Schrieb eine Zeile, nur um wieder alles weg zu klicken. Dann steckte ich das Smartphone wieder in die Tasche. Da pingte es.
    >>Was schreibst du denn so lange?<<
    Ich starte auf die Nachricht von Nicholas. Ertappt.
    >Ich wusste nicht was ich schreiben soll.<
    >>Vielleicht sowas wie - noch wach?<<
    >Vielleicht.<
    >>Was ist denn? Du bist doch sonst nicht karg an Worten?<<
    Ich schlenderte hinüber in den Stall, schaltete das Licht ein, schoss mehrere Selfies. Sah mir alle Bilder an … um Nicholas dann ein Bild hinüber zu senden.

    >>Scout! Wow, wo hast du den denn her?!<<
    >Den haben mir Louis und Ylvi geschenkt….Louis hat mich damit quasi in den Bund der Männer aufgenommen. Große Sache für die Jungs meiner Ahnen. Ich bin noch ganz überwältigt.<
    >>Gab's son richtiges Mannbarkeits-Ritual?<<

    Ich schmunzelte und schaltete das Licht wieder aus, ließ mich aber in der Stallgasse auf den Boden sinken. Schrieb Nicholas von dem Essen, dem Frybread und erklärte ihm, wer Logan war. Das leichte Mahlen der Zähne des Pferdes hinter mir in der Box erfüllte dabei meine Ohren. Ich las nochmal was ich geschrieben hatte und schickte den Text mit dem Pfeil weg.

    >>Klingt ehrlich gesagt ganz schön kompliziert mit Logan. Ich hab niemals gedacht, dass es innerhalb eurer Community solchen Rassismus gibt. Dieser ganze Kontinent hat ein arges Problem. Und Logan ist jetzt hier um, was? Dich und Kaya im "Lakota sein" zu unterrichten?<<
    >Ich denke das ist Teil seiner Intention, ja. Allerdings hat er nicht vor, das hier zu tun. Er will uns unbedingt nach Pine Ridge holen für die Zeit der Ferien.<

    Es brauchte lange, bis eine Antwort kam.
    >>Darf er das so einfach entscheiden?! :O<<
    >Nein. Louis und Ylvi haben deshalb das Essen gemacht. Sie lassen uns die Wahl, wir dürfen beide selbst entscheiden. Ich war erstmal zu perplex eine Wahl zu treffen.<

    5 Minuten wartete ich auf eine Antwort. Nicholas schien lange darüber nachzudenken. Oder wie ich vorhin, seine Antworten immer wieder zu löschen. Schließlich standen dort nur 3 Worte.
    >>Wirst du gehen?<<
    Im Dunkeln erhob ich mich, presste den Hutkarton wieder an meine Brust, schlenderte durch die lange Gasse. Mit jedem Schritt abwägend. Doch eigentlich war die Antwort klar. Bevor ich die Schiebetür des Stalltraktes öffnete, tippte ich eine einzige Nachricht an Nicholas:
    >Und mir den Sommer mit dir entgehen lassen?<

    Bis ich oben in meinem Zimmer war, sah ich mir seine Antwort nicht an. Aber Nicholas hatte mir ein GIF geschickt in dem sich 2 Strichfiguren umarmten. Meine Augen blieben darauf hängen, sodass ich seine Antwort darunter erst gar nicht sah.
    >>Die Pferde die wir trainieren, die geplanten Ausflüge mit allen. Ich seh es schon kommen! Das wird der Sommer unseres Lebens!<<

    Ylvi
    Ich lag im Dunkeln wach. Wälzte mich im Bett umher, drehte mich auf die andere Seite. Starrte wieder hoch an die Decke, spürte, wie die Muskeln in meinem Körper zuckten. Dann richtete ich mich auf.
    "Ylvi, verdammt. Steckt da in deinem Inneren heute ein Wespennest?"
    " 'tschuldige..Ich kann heute einfach keinen Schlaf finden."
    "Gar nicht zu merken…", grummelte Louis halb verschlafen aus der Düsternis. Dann bewegten sich die Decken, ich spürte seinen Kopf in meinem Schoß. "Wenn du dich bewegen willst kannst du mir ja den Kopf streicheln?", brummte er. Ich musste auflachen. Manchmal verhielt er sich wie ein Stubentiger.
    "Hast du vorhin mitbekommen was Tschetan gesagt hat?", leicht fuhr ich dabei durch den langen Haarschopf von Louis. Dieser antwortete nicht, aber ich spürte sein Kopfschütteln. "Ina… er hat mich Ina genannt als er sich bedankt hat. Dabei habe ich Kayas Gesichtsausdruck gesehen… sie schien einen Moment… erschüttert."
    Ina war der Begriff für Mutter in der Sprache der Lakota. Tschetan hatte mich seine Mutter genannt. Ich wusste wie fluid die Verwandtschaftsverhältnisse in den meisten Indigenen Kulturen waren. Kaya und Tschetan hatten Louis schon immer Vater genannt, seitdem sie bei uns lebten. Doch nie hatte einer der beiden Kids mich als Mutter bezeichnet. So sehr mich die Bezeichnung vorhin zu Tränen gerührt hatte, so hatte ich die Bestürzung von Kaya gesehen. Ihr Schweigen und ihre verhaltene Art im Verlauf des weiteren Abends hatten mir gezeigt, dass sie verwirrt schien. Beim zubettgehen hatte ich sie darauf ansprechen wollen. Allerdings nicht gewusst, wie ich am besten anfangen sollte. Auch Louis meldete sich erst nicht zu Wort.
    "Das erklärt ihre steinerne Art."
    "Ob sie ihrem Bruder nicht zustimmt? Ob sie beleidigt ist?", fragte ich besorgt.
    "Möchtest du denn Mutter von ihr genannt werden?"
    "Nein… ich… will und kann ihre Mutter gar nicht ersetzen. Ich hatte doch mit Kindern nie Berührungspunkte bis zu den beiden. Mit ihrem Mutismus anfangs war es so schwer. Mit Tschetan war es einfacher, er war bereits ein junger Teenie als er zu uns kam." Ich hielt inne, starrrte nur in die Dunkelheit. Lange blieb es still.
    "Vor einiger Zeit hatte ich ein Gespräch mit ihr darüber. Betsy hatte es angestoßen. Sie hat Kaya gegenüber erwähnt, dass sie Angst hat Dells Gesicht zu vergessen. Wie das ihrer Mutter. An dem Abend fand ich Kaya weinend im Bett. Hat mich ‘ne Weile gekostet ihr alles aus der Nase zu ziehen."
    Louis richtete sich jetzt auf. Nur vage konnte ich seine Silhouette vor mir erkennen. Doch ich musste es auch nicht. "Sie macht grad eine schwierige Phase durch. Tatsächlich schiebt sich immer mehr dein Gesicht in die Erinnerung ihrer Mutter. Ihre eigene war nie da… und wenn sie da war, dann betrunken oder high. Kaya hat so wenige Erinnerungen an eine normale Mutter. Die einzigen guten Erinnerungen an eine Vorbildperson in ihrem Leben… das bist du. Sie hat, ähnlich wie Betsy, Angst, ihre wirkliche Mutter zu vergessen. Ich denke… heute Tschetan zu hören, wie er dich Mutter nennt, lässt sie denken, dass auch er seine Mutter längst vergessen hat."
    "Sollte ich darüber mit ihr reden?"
    Louis griff nach meiner Hand, strich über den Handrücken. "Ich denke das ist etwas, dass Kaya selbst für sich herausfinden muss. Falls sie Probleme hat, wird sie mit Tschetan darüber sprechen, oder mit Betsy. Versuch dir einfach nicht zu viele Gedanken darüber zu machen."
    "Pfft.."
    "Leichter gesagt als getan, ich weiß", lachte Louis sanft, dann zog er mich am Nacken zu sich heran. Unsere Lippen berührten sich zärtlich in der Dunkelheit und während seine Finger auf Wanderschaft gingen… klopfte es ganz leise an der Tür. Dann steckte Kaya plötzlich einen Kopf durch die Tür.
    "Seid ihr noch wach?", flüsterte sie ebenso leise. Ich hörte Louis leichtes Auflachen, spürte seine Stirn an der Meinen. Unendlich langsam glitt seine Hand von meiner Brust.
    "Nein Kaya, wir sind noch wach", flüsterte ich mit belegter Stimme.
    "Darf ich bei euch schlafen? Mein Zimmer erscheint mir heute so leer."
    "Rutsch rüber Louis!"
    Dann kuschelte sich Kaya vorsichtig neben uns – da war ich wirklich froh um das große Kingsize Bett.
    "Gute Nacht ihr beiden", flüsterte Louis, legte seinen Arm um Kaya. Seine Hand kam auf meiner Schulter zum liegen und streichelte die Stelle. Und mit diesem Empfinden auf der Haut und Kayas langsamer werdendem Atem in meinem Nacken fand auch ich endlich meinen Schlaf.

    Cayce
    “Und du sollst den jetzt ausprobieren? Schon vor dem Frühstück?”, fragte ich an Bellamy gewandt, der den dunklen Westernsattel auf den Rücken des braunen Hengstes legte. Ich erhielt nicht sofort eine Antwort, Bellamy schien mit dem Festzurren des Sattelgurtes beschäftigt. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand, sah ihm dabei zu, wie er sorgfältig die Länge der Bügel kontrollierte. Erst dann wandte er sich mir und Tate zu, der bereits fertig gesattelt darauf wartete, dass wir endlich los konnten.
    “Caleb hat gesagt, ich soll dem eine Chance geben. Das mach ich jetzt. Aber ich habe das Gefühl, dass die klassischen Westernpferde nichts für mich sind.” Er lachte kurz auf. “Außerdem möchte ich, was du bestimmt schon mitbekommen hast, Octavia Trooper abkaufen.”
    Ich zog die Augenbrauen nach oben. “Trooper, wer ist das nochmal?” Man konnte schließlich nicht alle Pferde hier mit Namen und Spitznamen kennen, vor allem nicht die Pferde von O.
    “Der Palomino.”
    Ich sah ihn weiterhin fragend an.
    “Das Polopferd.”
    Nun ging mir ein Licht auf. Natürlich. “Mir war sein Spitzname entgangen”, meinte ich schulterzuckend. “Den reitet ihr beide doch gerade ein?”
    Bellamy nickte, zurrte die Trense fest und schien nun endlich fertig zu sein. Ich stieß mich von der Wand ab und verließ nach einem Nicken Bellamys zuerst die Stallgasse. Draußen gurtete ich nach, ehe ich mich in den Sattel schwang. Tate legte, wie immer, die Ohren an und kaute überaus genervt auf dem Gebiss herum. “Irgendwann werden wir zwei noch Freunde, Tate.”
    “Hast du was gesagt?”, fragte Bellamy, der nun neben mir auftauchte und sich meinen Schecken genau anschaute. “Der sah auch schon mal freundlicher aus.”
    Eine Antwort auf seine Frage blieb ich ihm schuldig. Stattdessen antwortete ich: “Der braucht einfach ein wenig. Du weißt doch, er hat es nicht so mit Umstellungen. Ich hoffe aber, dass er sich mit mir und unserer Arbeit anfreundet. Denn falls ja, geht er wohl in meinen Besitz über.”
    “So?”, Bellamy horchte auf, “jeder braucht ein zweites gutes Pferd.”
    Ich lachte. “Genau. Außerdem fehlt mir eins, was ich für mich ausbilden kann. Die Trainingspferde schön und gut, aber da ist alles festgelegt und geregelt.. mit Shorty kann ich machen was ich will und die Freiheit habe ich jetzt für Tate auch bekommen.” Ich schnalzte und wir gingen im Schritt los. “Also Bellamy, wo wollen wir hin?”
    Er schien einige Zeit überlegen zu müssen, so dass ich Tate schon einmal in Richtung der Bungalows lenkte. Bellamy und Plankton folgten mir schweigend. Der dunkelhaarige machte eine gute Figur auf dem Hengst. Richtige Westernpferde standen ihm durchaus.
    “Extreme Trail”, lachte er und trabte den Hengst neben mich. “Lass uns die Pferde einfach mal im Gelände so richtig testen. Plankton würde das gut tun. Außerdem könnten du und Tate euch besser kennen lernen.”
    Ich nickte und trabte den Hengst an. Nach einem kurzen Schweifschlagen wurde der Schecke schneller und zog Plankton mit sich mit.
    Hinter den Bungalows galoppierten wir die Pferde an und verließen das Ranchgelände durch den hinteren Wald.

    Caleb
    Beim Verlassen des Haupthauses setzte ich mir meinen Hut auf den Kopf und schloss die Tür hinter mir. Das Frühstück war gerade beendet, die Kids in die Schule und der Hof wie leergefegt. Von Cayce wusste ich, dass er und Bell mit Tate und Plankton unterwegs waren. Ich deutete es als gutes Zeichen, dass er den Wallach heute erneut ritt – und natürlich, dass Bellamy sich Plankton annahm.
    Mein Weg führte mich zunächst zu Cleavant, der, wie auch immer er das geschafft hatte, nicht mehr auf seinem Paddock stand sondern sich munter unter die Ferienranchstuten gemischt hatte. Ich schüttelte den Kopf, fing ihn mir dennoch aus der Herde heraus und schaute ihn einmal von oben bis unten an, ob er sich etwas getan hatte. Mir fiel keine Schramme oder sonstige Verletzung ins Auge, so dass ich ihn wieder in die Herde entließ. Kurz kam mir ein Gedanke, den ich sogleich jedoch wieder verwarf. Conti würde die kleine Dude Ranch Herde mit ihrer Ponygröße durchaus bereichern, allerdings fasste sie so schwer Vertrauen, dass ständig wechselnde und unerfahrene Reiter gar nicht gut für die kleine Stute sein würden. Ich war froh, dass sie und Aimee so gut harmonierten, dieses Team wollte ich dadurch nicht zerstören.
    Bei den vier anderen Neuankömmlingen schaute ich auch kurz vorbei. Hero und Vandal grasten friedlich, Rocket und Romeo betrieben gegenseitige Fellpflege.
    Als ich Richtung Stall ging, sah ich Ylvi und Louis mit Futterschüsseln in Richtung der Jährlinge gehen. Unwillkürlich schaute ich ihnen nach, sah Ylvis angestrengten Gang, da sie sich wieder mehr aufgeladen hatte, als sie eigentlich tragen konnte.
    “Du schaust sie schon wieder so an.” Laurence räusperte sich hinter mir.
    Perplex drehte ich mich um. “Wie denn?”, war die erste Frage, die mir in den Kopf schoss.
    “Oh Junge… so, wie man keine verheiratete Frau ansehen sollte.” Er machte auf dem Absatz kehrt und ließ mich verwirrt zurück.
    So wie man keine verheiratete Frau ansehen sollte?

    Diese Frage beschäftigte mich den ganzen Morgen. Meine fehlende Konzentration wirkte sich auch auf das Training der Pferde aus. Vulture baute einen Buckler nach dem Anderen ein – untypisch für ihn, das Thema hatten wir eigentlich ausdiskutiert.
    Brian, der mit uns in der Halle war und Cody ritt, konnte wohl irgendwann nicht mehr Schweigen.
    “Mensch Caleb, lass den doch vorne mal los. Der hat gar nicht die Chance, mal runter zu kommen wenn du den so festhälst.”
    Ich grummelte etwas unverständliches vor mich hin, lockerte die Zügel ein ganzes Stück und ritt den Hengst auf dem Zirkel im Schritt. Heute war nicht der Tag, um schwierige Lektionen zu üben.
    Als mir diese einfache Übung allerdings auch nicht gelingen wollte, sprang ich aus dem Schritt vom Pferd, nahm mir den Hut vom Kopf und fuhr mir einmal durch die Haare. Dann platzte ich mit der Sprache heraus: “Findest du auch, dass ich Ylvi mit einem Blick anschaue, mit dem ich sie als verheiratete Frau nicht anschauen dürfte? Laurence sagte das heute morgen zu mir und…”
    “Ja.”
    Völlig perplex starrte ich ihn an. “Ja? Mehr hast du nicht zu sagen?”
    Brian hielt Cody neben uns an, legte die Zügel ums Horn und lehnte sich darauf, um sich ein wenig zu mir runter zu beugen. “Ja, ich finde, du siehst sie so an.”
    Seufzend rieb ich mir die Schläfen. “Ich dachte, es würde einfacher werden.”
    “Inwiefern?”
    “Zeit heilt alle Wunden und so, du kennst doch das Sprichwort.”
    Lachend schüttelte Brian den Kopf. “Ich habe eure Geschichte ja nicht hautnah erlebt, aber sowas heilt die Zeit bestimmt nicht.”
    “Danke, für deine aufmunternden Worte”, murmelte ich und streichelte Vultures Hals.
    “Du meinst: danke, für deine ehrlichen Worte.”
    “Jaja, wie auch immer.”
    “Und jetzt hör für den Moment auf, daran zu denken. Denk an Vulture und das, was ihr zwei heute noch erreichen wollte. Es bringt weder dir noch ihm etwas, wenn du hier und jetzt mit den Gedanken nicht bei der Sache bist.”
    Damit hatte er Recht. Ich seufzte, gurtete nochmal kurz nach und setzte mich, ohne weitere Gedanken an Ylvi zu verschwenden, aufs Pferd.
    Für den Rest unserer Trainingseinheit strengte sich Vulture besonders an, sodass wir zum Abschluss noch eine gemütliche, die Gedanken baumelnde Runde ins Gelände gingen.
    Weit kamen wir allerdings nicht, da hörte ich hinter mir Hufgetrappel und ein: “Caleb, warte!”
    Ylvi. Ich seufzte.
    Ich setzte mich tief in den Sattel, streckte die Beine leicht vor und Vulture blieb stehen. Ylvi trabte mit Kiss auf meine Höhe auf, ehe sie die Stute in den Schritt durchparierte und auch ich meinen Hengst mit einem kurzen Schnalzen wieder antreten ließ.
    “Hab gesehen, dass du raus gehst. Da dachte ich, ich schließe mich dir an.”
    “Hm”, antwortete ich wortkarg.
    “Hattest du keinen guten Morgen?”
    “Doch doch, schon.”
    Ylvi schwieg, schien zu überlegen, was sie als nächstes sagen sollte. Sie entschied sich jedoch dazu, zu schweigen und einfach stumm neben mir her zu reiten.
    Schließlich, als ich mich gerade mit der Stille angefreundet hatte, sagte sie: “Wir haben Tschetan gestern den Hut gegeben und ihm von Logans Absicht erzählt. Er hat sich sehr über den Hut gefreut, möchte allerdings den Sommer auf der Ranch verbringen.”
    Ich nickte. “So?”
    “Kaya allerdings möchte in die Reservation und da haben wir, also Louis und ich, uns gedacht, ob Betsy sie nicht vielleicht begleiten möchte?”
    Das war also der Grund, weshalb sie zu mir aufgeschlossen hatte. Ich überlegte kurz. Betsy würde Abwechslung mit Sicherheit gut tun. Kaya wäre nicht alleine, sie hätte ihre beste Freundin bei sich und Betsy würde endlich etwas zu sehen bekommen, was sie nicht ständig an ihren Vater erinnerte. “Von mir aus gerne, fragst du sie später?”
    Ylvis Nicken nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, während ich weiter starr geradeaus schaute.
    “Caleb, ist alles in Ordnung mit dir?” Ich vernahm einen Anschwung von Besorgnis in ihrer Stimme. Als ich gerade zu einer Antwort und einem gelogenen ‘Alles ist gut’ ansetzen wollte, hörte ich Cayces lautes Fluchen.
    Ohne weiter über eine Antwort nachzudenken, galoppierte ich Vulture harsch an und lenkte ihn in die Richtung, aus der das Stimmengewirr zu kommen schien. Ylvi setzte mir ohne zu zögern nach, ehe wir zusammen bei Cayce und Bellamy ankamen.
    Tate buckelte, mal wieder, was das Zeug hielt, während Cayce sich krampfhaft am Horn festzuhalten schien. Bellamy, der abgestiegen war und Plankton, der das ganze amüsiert zu beobachten schien, standen etwas abseits, während Cayce fluchend seine Runden drehte.
    Ich warf einen Seitenblick zu Ylvi, die Cayce mit aufgerissenen Augen anstarrte. Schließlich fing ich schallend an zu lachen. Bells und Ylvis Blick flogen fragend zu mir rüber. Cayce warf zwischen seinen Flüchen ein “Nicht witzig” ein.
    Als Tate meinem Vulture zu nah kam, quietschte dieser auf und schlug mit einem seiner Vorderhufe harsch auf den Boden. Das veranlasste Tate dazu, einen Satz nach hinten zu machen und das Buckeln augenblicklich bleiben zu lassen.
    “Wie ich sehe, habt ihr zwei euch angefreundet.”
    “Dieser dumme Gaul!”, fing Cayce an, schwang sich jedoch dann von dessen Rücken und sammelte sein Lasso wieder ein, welches sich an einem umgestürzten Baum verfangen hatte. “Beim ganzen bisherigen Ritt war der super, trittsicher, verlässlich, ein Musterschüler wie Plankton, der Bellamy übrigens extrem gut steht”, fing er an zu erzählen, “und dann werf ich das Lasso und die Sau fängt wieder an zu buckeln wie verrückt. Der macht das mit einer Ausdauer, die glaubst du nicht!”
    Ich schmunzelte und entschied mich dazu, etwas Öl ins Feuer zu gießen. Cayce brauchte das manchmal. “Also bei mir hat der noch nie gebuckelt.”
    “Nie gebuckelt!”, Cayce redete sich in Rage, “das glaubt man doch nicht! Nie gebuckelt… das kannst du wem anders erzählen, pah!”
    Als Cayce sein Rope wieder aufgewickelt hatte, setzte er sich erneut in den Sattel, nahm die Zügel in die linke Hand und schwang das Lasso, um den Baumstamm erneut zu fangen. Tate stand da wie eine Eins, rührte sich nicht vom Fleck und spielte neugierig mit den Ohren.
    “Ich weiß nicht, was du hast. Klappt doch.”
    Cayce murmelte etwas Unverständliches, löste das Lasso und befestigte es wieder am Horn seines Sattels. Auf dem Absatz machte er kehrt und schlug den Weg Richtung Ranch ein.
    “Ich glaube, ich sollte ihm folgen.” Mit diesen Worten trabte Bellamy ihm hinterher. Auf meine Frage, wie es denn mit Plankton klappte, zeigte er mir ein flüchtiges ‘Daumen hoch’.
    “War es nicht etwas gemein, ihn so auszulachen?”, fragte mich Ylvi, als wir unseren Weg fortsetzten.
    “Ach was, Cayce hatte doch alles unter Kontrolle. Außerdem buckelt Tate so nett, dass man sich gut auf ihm halten kann. Hat er bei mir auch schon.”
    “Aber du sagtest doch…”
    “Ja, sagte ich. Ich wollte Cayce anstacheln. Der braucht das, Tate passt zu ihm.” Schmunzelnd schaute ich zu ihr rüber. Möglichst darauf bedacht, sie nicht mit ‘diesem Blick’ anzusehen. “Wie gesagt, ich gebe den beiden zwei Wochen, dann gibt Cayce ihn nicht mehr her.”
    Ylvi kicherte. Sie sah süß aus, wenn sie kicherte und… sofort wandte ich meinen Blick wieder geradeaus. Ich konnte so nicht fühlen – ich durfte so nicht mehr fühlen.

    Ylvi
    Ich 'bereute' direkt, als ich mit Kiss aufritt, dass ich Caleb hinterher geritten war. Es machte auf mich ein wenig den Eindruck, als hätte er lieber allein sein wollen. Auch meine eindringlichen Fragen ließen in mir den Verdacht erhärten. Nun hatte er mich allerdings an seiner Backe und nach der Begegnung von Cayce und Bellamy schien sich seine Art wieder ganz stark gewandelt zu haben. Ich konnte nicht umhin seine Reaktion… vielmehr seinen Blick auf mein herzliches Lachen zu bemerken. Seine plötzliche Starre, die darauf folgte. Nur schwer konnte ich das Seufzen unterdrücken. Was ich jedoch nicht verhindern konnte, war mein innerliches Zusammensinken im Sattel. Selbst Kiss bemerkte meine Starre, wurde ein wenig unruhig und rempelte dabei gegen Vulture, wobei beide Pferde unsere Knie zwischen sich einklemmten. Ich trieb Kiss mit dem Bein wieder nach außen, die Schamesröte in meinem Gesicht. Gern hätte ich meinen Hut tiefer ins Gesicht gezogen, allerdings trug ich keinen.
    Wir waren so gut auf Kurs gewesen. Wieder eine Freundschaft zu formen. Ich hatte wirklich gedacht, das würde sich alles wieder in die richtige Richtung entwickeln. Doch mir waren Calebs Blicke nicht entgangen. Auch nicht das Tuscheln der Mitarbeiter. Gott! Noch viel schlimmer – Tschetan hatte gesehen, wie wir uns geküsst hatten. Mehr als einmal!
    Ich räusperte mich: "Caleb denkst du daran, dass wir am nächsten Wochenende eingeladen sind auf den Geburtstag drüben auf der Ranch der Morrissons?"
    "Hab ich noch im Kopf...", sagte er, dabei stur nach vorn schauend.
    "Louis und ich haben uns darüber schon unterhalten. Ich hab sogar mit Dolly gesprochen. Was schenkt man denen?"
    Caleb lachte auf, er hatte ebenso wie ich schon das Vergnügen gehabt dort drüben zu sein. "Tja, was schenkt man Millionären", murmelte er etwas … neidisch? Spöttisch?
    "Ich bin mir sicher, die haben uns auch nur aus Höflichkeit eingeladen… oder um mit deren Prunk anzugeben?", erwiderte ich darauf.
    "Hab ich dir eigentlich erzählt, dass sie versucht haben, Cayce abzuwerben?"
    "Haben sie nicht!"
    "Haben sie...", Caleb sah mich aus dem Augenwinkel flüchtig an.
    "Arrogante Geldsäcke", grummelte ich überrascht.
    "Hat deren Geburtstag wieder so ein dämliches Thema?"
    Mit Grauen erinnerte ich mich an das Thema "Rom" aus dem letzten Jahr. Jeder Gast hatte eine lächerliche Robe tragen müssen. Alles war in weiß und Marmor gehalten worden.
    "Pfft, DU hast dich letztes Jahr schön raus gehalten!" Dieses Mal ließ ich Kiss mit Absicht näher an Vulture heran, um Calebs Knie einzuklemmen. Dieses Mal jedoch schien der Hengst genervt und schnappte in die Richtung meines Reittieres. Caleb grinste mich verschmitzt an. Ich streckte ihm nur meine Zunge raus.
    "Also, gibt es ein Thema?"
    "Ich glaube 'Glamour' stand in der Einladung."
    "Besteht also die Chance auf dich in Heels und Kleid?"
    "Und dich ohne Hut?"
    "Niemals!"
    Ich schüttelte den Kopf und lachte herzhaft. Da war er wieder…Calebs treuer…verruchter Blick aus seinen blauen Augen, der auf mir lag. Würde es jemals einfacher werden, ihn um mich zu haben?

    Caleb
    Nach meinem Ausritt, unter der Begleitung von Ylvi, führte mich mein Weg wieder ins Haus. Die Züchter von Benny wollten mir mehr Bilder ihrer zu verkaufenden Jährlinge zuschicken. Weit kam ich allerdings nicht, denn mein Blick blieb auf Dolly hängen, die dabei war, die Regale im Wohnzimmer abzustauben. Als ich meinen Blick im Raum wandern ließ und schließlich an den Bildern auf dem Kaminsims hängen blieb, lächelte ich. Dort standen so viele schöne Erinnerungen!
    “Oh Mister Caleb, ich habe Sie gar nicht kommen hören”, entschuldigte Dolly sich und wischte ihre Hände an der Schürze ab, nachdem sie von der kleinen Trittleiter abgestiegen war.
    “Ach Dolly, wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst mich einfach Caleb nennen”, ich schmunzelte, kratzte mich jedoch verlegen am Kopf und trat weiter in den Raum hinein. “Ich habe mir gerade die Bilder auf dem Kaminsims angeschaut und festgestellt, dass dort viele schöne Erinnerungen ihren Platz gefunden haben.”
    Dolly nickte, betrachtete ebenfalls die Bilder und sagte: “Es ist schön zu sehen, dass auch Betsys Eltern einen Platz hier gefunden haben.” Sie wandte sich wieder um, griff nach einem der Bücher und zog es aus dem Regal, um es auf den Tisch zu legen, damit sie dort wischen konnte. Dies tat sie auch mit den weiteren Büchern aus der gleichen Reihe.
    Als sie beim letzten Buch angekommen war, flatterte aus diesem ein Foto zu Boden und kam mit der bedruckten Seite nach unten zum Liegen.
    “Huch, so etwas…”, kommentierte Dolly das Herunterfallen und bückte sich, um das Bild aufzuheben. Auch ich machte einen Schritt auf sie zu, doch sie kam mir zuvor.
    Sie hob das Foto auf, drehte es um und schaute es an. Mit einem warmen aber auch traurigen Lächeln sah sie zu mir hoch. “Sehen Sie selbst, Mister Caleb.”
    Mit diesen Worten reichte sie mir das Foto. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, starrte eine ganze Weile auf die Erinnerung in meiner Hand. Zu sehen waren Verena, Chocolate, Nachtschwärmer und ich. In ihrer rechten Hand hielt sie den Hengst am Zügel fest, in der linken die Turnierschleife eines ersten Platzes. Sie grinste überglücklich in die Kamera. In meiner linken Hand hielt ich Fly locker am Strick, in der Rechten die Turnierschleife eines zweiten Platzes. Mein Blick richtete sich nicht auf die Kamera, sondern auf Verena. Er kam ‘diesem Blick’, mit dem ich Ylvi ansah, ziemlich gleich.
    Ich seufzte und sah zu Dolly hoch. “Ich kann mich noch genau an diesen Tag erinnern. Wir sind in der gleichen Klasse gestartet, es gab nicht viele Teilnehmer … dennoch hat Verena mit Chocolate den 1. Platz belegt, während ich es mit Fly nur auf den 2. Platz geschafft habe. Das hat sie mir ewig vorgehalten!” Ich lächelte gequält und ließ meinen Blick wieder über die anderen Bilder schweifen.
    “Es gehört auch hierher”, Dolly deutete auf den Kaminsims, “dieses Bild gehört auch dazu. Warten Sie, Mister Caleb, ich hole schnell einen Bilderrahmen!”
    “Aber nicht doch, ich mach das schon …”, setzte ich an, doch sie hatte den Raum bereits verlassen. ‘Dieser Blick’, hallte es in meinem Kopf nach. Hatte ich Verena dieselben Blicke zugeworfen, die ich Ylvi jetzt zuwarf – jetzt wieder zuwarf?
    Ich konnte keine weiteren Gedanken fassen. Dolly betrat das Wohnzimmer und hielt einen schwarzen Bilderrahmen in die Höhe. “Ich habe auf die Schnelle nur diesen hier gefunden. Mit seinem glänzenden Schwarz sticht er zwar wirklich aus den anderen hervor …” Sie griff vorsichtig nach dem Bild, welches ich ihr ohne zu zögern gab, entfernte die Verpackung und rahmte es mit flinken Fingern ein.
    Nach einem letzten prüfenden Blick überreichte sie mir den Rahmen, drückte mir mütterlich die Hand und widmete sich dann wieder ihrer Arbeit.
    Ich senkte erneut den Blick, lächelte, strich mit dem Finger über das Glas und stellte das Bild schließlich auf den Kaminsims. Es fand einen Platz direkt neben einem Bild Verenas mit ihrem geliebten Gipsy. Wehmütig drehte ich mich um und verließ das Wohnzimmer.

    Als ich mich später durch die Fotos der Jährlinge klickte, blieb ich nicht lange alleine. Betsy gesellte sich zu mir, zog sich den Stuhl von Ylvis Tisch heran und setzte sich neben mich. Sie war noch immer begeistert von dem Pferd ‘ohne Farbe’, also dem Schimmel, der kein Schimmel war.
    “Der ist so hübsch mit seinen blauen Augen, die sehen richtig feurig aus!”
    “Die sind doch nicht rot…”, murmelte ich und vergrößerte das Kopfbild des Tieres.
    “Wieso rot?”
    “Na wenn er rote Augen hätte, könntest du sagen, die sehen feurig aus. Aber doch nicht mit dem schönen blau!”
    Betsy zog einen Schmollmund, nahm mir die Maus aus der Hand, zoomte wieder aus dem Bild heraus und klickte das Vorherige an: “Aber guck doch, hier schimmern die ganz anders und sehen irgendwie … feurig aus!”
    Nach genauerer Betrachtung musste ich ihr zustimmen. Auf diesem Foto sahen seine Augen wirklich … feurig aus. “Passt aber nicht zu seinem Charakter.”
    “Hm?”
    “Na die feurigen Augen. Laut Beschreibung ist der unglaublich mutig und geht auf alles unerschrocken zu. Er ist freundlich und neugierig. Aber leider eben taub.”
    “Ich find ihn trotzdem cool!”
    “Aber nicht für die Zucht, Betsy.”
    “Du hast nicht gesagt, dass du eins von denen für die Zucht kaufen möchtest”, sie schien kurz zu überlegen, “du hast eigentlich noch gar nichts dazu gesagt … wieso schaust du dir die Pferde da überhaupt an?”
    Ich lachte kurz auf. Betsy war ein Fuchs. Natürlich schaute ich mir die Tiere nicht einfach nur zum Spaß an. Benny hatte mich durch seine Farbe begeistert. Deshalb wollte ich herausfinden, was die Züchter noch so zu bieten hatten. “Ich guck mir die Pferde natürlich mit Kaufgedanken an”, beantwortete ich ihre Frage, “ob fürs Turnier oder die Zucht kann ich dir nicht sagen, aber vermutlich eher für die Zucht. Schließlich haben die ein paar echt schicke Farben … guck hier, der Rapphengst von heute Mittag. Sowas sieht man auch nicht alle Tage!” Ich vergrößerte das Bild des Rappsplashhengstes. Er war komplett weiß, besaß lediglich ein schwarzes Ohr.
    “Ich mag das Feuerpferd”, kommentierte Betsy fast trotzig und klickte die anderen Fotos ohne großes Interesse durch. “Jap, ich mag das Feuerpferd.”
    Grinsend schüttelte ich den Kopf. “Sag bloß …”, murmelte ich, schloss dann jedoch die Fotos und wandte mich ihr zu. “Hat Ylvi schon mit dir gesprochen wegen Kaya und Logan?” Betsy nickte. “Magst du mitfahren?” Wieder nickte sie.
    “Ich freu mich wirklich schon drauf – ist nur schade, dass Tschetan nicht mitkommt.”
    “Ja das ist wahr”, stimmte ich ihr zu, “allerdings bin ich schon etwas froh, dass er hier bleibt – in zehn Wochen Ferien kann er hier einiges mit anpacken.”
    Betsy lachte scherzhaft auf. “Der Aaaaarme”, täuschte sie Mitleid vor, ehe sie sich erhob.
    “Warte mal kurz”, ich stand ebenfalls auf und rückte meinen Stuhl an den Tisch, ehe ich ihren wieder an seinen Platz an Ylvis Tisch stellte, “wie lange seid ihr dann eigentlich weg? Die ganzen Ferien?”
    “Ich bin mir gerade gar nicht sicher, das muss ich nochmal nachfragen.”
    Ich nickte und warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Betsy folgte meinem Blick. Noch bevor ich etwas sagen konnte verkündete sie: “Zeit fürs Bett. Gute Nacht, Caleb.”
    “Gute Nacht.”
    Damit war sie verschwunden. Ich würde dran denken müssen, Louis oder Ylvi zu fragen, wie lange die Mädchen wegfahren würden – mit dem Hintergedanken, dass es Betsy vielleicht gar nicht erlaubt war, zu reisen. Schließlich war die Adoption in vollem Gange.

    Ylvi
    Obwohl mir die Augen bereits weh taten und ich immer wieder blinzeln musste, weil ich irgendwie drohte über dem Buch einzuschlafen, konnte ich mich gerade nicht losreißen. Allerdings konnte ich mir plötzlich ein Lachen nicht verkneifen… und ein gemischtes Aufstöhnen aus Lachen und Verblüffung. Ich streckte meine Knie aus, schüttelte den Kopf und ließ auch den Arm samt dem Buch auf meinen Oberschenkel sinken. Spürte wie das leichte Lachen meine Schultern zum Zucken brachte. Das war einfach zu absurd.
    Mein Blick ging zu der großen Standuhr, sie zeigte gerade kurz nach 21 Uhr an. Das Pendel bewegte sich behende von einer zur anderen Seite. Dolly hatte sich bereits in Richtung Bett verzogen. Louis hatte noch in Calgary zu tun. Daher hatte ich mich noch nicht in Richtung des Bungalows begeben, sondern hatte nach dem Abendbrot noch ein wenig im Büro gearbeitet und war anschließend mit meinem neuen Buch auf der Liegelandschaft hier im Wohnzimmer versackt.
    Plötzlich merkte ich eine kleine Bewegung am Rande meines Sichtfeldes. Als sich meine Augen scharf gestellt hatten, erkannte ich Caleb, der im Türrahmen stand. Für wie lange er dort wohl stand?
    “Was liest du da? Scheint sich ja zu lohnen, wenn es dich zum Lachen bringt.”
    “Och, wenn du eine Vergewaltigung, Fieber durch Infektion und das verfüttern des eigenen Haustieres amüsant findest”, sprach ich sarkastisch, allerdings erntete ich nur einen verwirrten Ausdruck von Caleb. Er kam näher, nahm das Buch aus meinem Schoß und blickte konsterniert auf den Titel.
    “Das wird dir …”
    “Die Töchter der Ilian” sprach er, in sehr holprigem Deutsch. Ich zog die Augenbraue nach oben.
    “Ich wusste nicht, dass du Deutsch sprichst.” Caleb hob abwehrend die Hände, um dann mit hartem Akzent “Bisschen” zu murmeln. Um ihn nicht weiter zu Foltern wechselte ich wieder zum Englischen, einer Sprache die mir mittlerweile genauso einfach von den Lippen ging wie meine Muttersprache. Ich hatte nur ein Paket einer Freundin aus Deutschland erhalten. Eine meiner einstigen Lieblingsautorinnen hatte ein neues Buch geschrieben, das hatte sie mir mit deutschen Snacks zugeschickt. Ich musste gestehen, mir gefiel die Geschichte zunehmend immer besser. Ich nahm ihm das Buch wieder aus der Hand, legte einen kleinen Schnipsel als Lesezeichen hinein.
    “Es scheint mir nicht um Pferde zu gehen.” bemerkte er.
    “Tatsächlich nicht. Ist eher eine Fantasy Geschichte, als Jugendliche hab ich sie geliebt. Aber irgendwann hatte ich das Gefühl, nur noch dieselben Geschichten mit unterschiedlichen Namen zu lesen. Da bin ich eher auf Historisches umgestiegen. Außerdem hab ich da draußen genügend Pferde…ich muss nicht noch von lesen.” Das brachte Caleb zum Lächeln. “Um ehrlich zu sein…früher konnte ich nicht viel mit Büchern anfangen. Aber seitdem hier im Wohnzimmer die Wände immer mehr zur Bibliothek ausarten, habe ich mich schon für ein paar erwärmen können.” Ich folgte seinem Blick. “Ich fürchte tatsächlich, dass wir irgendwann eins der Gästezimmer einstampfen müssen, um für mehr Regale Platz zu finden. Dolly hat schon welche in das Esszimmer verfrachtet.”
    “Ich fürchte, das ist auch nicht das einzige, was expandiert.” seufzte Caleb. Damit deutete er in Richtung des Kamins. Dort war mir bereits der neue schwarze Bilderrahmen aufgefallen. Erst jetzt trat ich näher heran, um mir das Motiv anzusehen. Caleb erkannte ich direkt, bei den Pferden war ich allerdings völlig verloren. Tatsächlich blieb ich auch eher an Caleb hängen...sein Blick. Etwas in mir versetzte mir einen Stich. Eine Mischung aus… Bewunderung und… ja wie nennt man es - Verehrung? Ein Blick voller Liebe. Das konnte ein blinder mit Krückstock erkennen. Er galt der jungen Frau neben ihm. Verena. Ich habe sie leider nie kennengelernt. Aber viele der Bilder hier auf dem Kaminsims zierten ihr Gesicht.
    “Auf dem Turnier hat sie mich einfach in Grund und Boden geritten”, sprach Caleb neben mir in Erinnerung schwelgend.
    “Ich hab mal einen Ritt von ihr und Gypsy auf YouTube entdeckt. Sie hatte wirklich ein Händchen für Pferde…”
    Weißt du, wer mich sehr oft an sie erinnert?”, ich schüttelte den Kopf.
    “Tschetan. Manche Dinge fallen ihm so natürlich in die Hand mit den Pferden. Ab und an hat der Junge zwar mehr Glück als Verstand. Aber sein Sinn für Pferde…ist dem von Verena wirklich verblüffend ähnlich.”
    "Förderst du ihn deshalb so?”
    “Das auch, aber auch um meiner wegen. Mich hat damals niemand gefördert, das kann ich jetzt alles zurückgeben. An Tschetan…an Kaya und auch Betsy. Großer Themenwechsel. Wie lang bleibt Kaya in der Reservation? Wir müssen morgen mal klären, wie lange Betsy überhaupt verreisen darf.”
    “Tatsächlich eigentlich gar nicht. Nur mit einem Erziehungsberechtigten. Ich hab’ da im Laufe des Tages schon mit der Behörde gesprochen. Gerade da sie die Grenzen von Kanada verlassen. Deshalb hat Louis beschlossen, die Mädchen und Logan zu begleiten. Dann darf Betsy für eine Zeit von 2 Wochen das Land verlassen.” Ich steckte mir das geschlossene Buch unter die Achsel, sah dann von meiner Betrachtung der Kaminbilder zu Caleb. Sein Blick flackerte schnell in eine andere Richtung, schien sich neu zu sortieren und schaute mich dann direkt an.
    “Da hast du schon wieder schneller an Dinge gedacht als ich”, seufzte er.
    Ich klopfte ihm locker die Schulter und lächelte: "Das lernst du auch noch. Anfangs war ich als Adoptivmutter völlig überfordert.”

    Caleb
    Ich schnaubte. “Wäre sie ein Fohlen, wüsste ich, mit ihr umzugehen!”
    Ylvi schüttelte belustigt den Kopf. “Gute Nacht, Caleb."
    “Gute Nacht, Ylvi.”
    Mit diesen Worten verließ sie den Raum – und schließlich das Haus, wie ich an der zufallenden Haustür hören konnte. Ich ließ einen letzten Blick über die Bilder schweifen. Aber natürlich!
    Mein Weg führte mich – leise, denn Tschetan und Betsy schliefen ja schon, nach oben in mein Schlafzimmer. Dort öffnete ich einen Schrank und kramte mich durch einen Haufen Hemden und Hosen, ehe ich sie fand. Die Kiste mit Bildern, die ich wieder vom Kaminsims entfernt hatte.
    Ich setzte mich aufs Bett, stellte die Bilderkiste neben mir ab und wischte einmal über den Deckel. Es hatte sich doch etwas Staub darauf angesammelt, so lange war sie nicht mehr geöffnet worden. Ich zögerte, hob dann jedoch den Deckel an und legte ihn kurzerhand neben die Kiste auf die Bettdecke. Keines der Fotos befand sich noch in einem Rahmen, weshalb ich einen Teil auf die Hand nahm und sie durchschaute. Pferde, Pferde und noch mehr Pferde befanden sich auf den Bildern.
    Ich legte den durchgeschauten Stapel zur Seite und nahm einen neuen. Bilder vom Rodeo, Bilder von Louis und mir, von Verena, von Aaron und Alexis, von Bellamy und Octavia, von der Gips Reminder Ranch und schließlich, bei den letzten Bildern, von Ylvi und mir.
    Mit zitternden Fingern griff ich nach einem Foto, in dessen Moment ich überglücklich gewesen war. Ylvi und ich auf einem Ausritt, ich lehnte mich zu ihr rüber und küsste sie, während sie das Handy hielt und ein Selfie schoss. Das nächste Foto war einen Moment später aufgenommen worden, als ich mich von ihr gelöst und sie mit ‘diesem Blick’ ansah. Wann war das passiert? Wann waren die Schmetterlinge in meinem Bauch zurückgekehrt? Ich hatte sie doch sorgfältig in die hinterste Ecke verbannt…
    Ungeachtet der in der Kiste verbliebenen Fotos packte ich alle zurück, schloss den Deckel und stellte sie wieder in den Schrank. Seufzend fuhr ich mir durchs Haar. Länger als sonst strichen meine Hände hindurch. Die blonden Locken brauchten mal wieder dringend einen Haarschnitt. Am morgigen Tag würde ich Dolly danach fragen, es war nicht das erste Mal, dass sie mir die Haare schnitt.
    Ich machte mich bettfertig und kroch unter die Decke. Wohlwissend, dass meine Gedanken wohl die ganze Nacht kreisen würden.

    “Hübsch siehst du aus, Caleb”, zog Octavia mich zum wiederholten Mal auf und streichelte mir durch die kurzen Haare.
    “Mensch O, kannst du deine Pfoten mal bei dir behalten?”, fuhr ich sie scherzhaft an und setzte mir den Hut auf den Kopf, bevor sie zu einer neuen Attacke ansetzen konnte.
    Meine blonden Locken waren verschwunden, Dolly hatte sie ein wenig zu kurz geschnitten, allerdings passten sie jetzt wunderbar unter den Cowboyhut, welchen ich nicht ständig wieder nach unten drücken musste, weil die Locken ihn anhoben.
    “Auf der Glamourparty kann ich mir richtig vorstellen, wie deine kurzen und gepflegten Haare deinen Look verschönern”, machte O weiter.
    “Die Locken waren auch gepflegt…”, grummelte ich in meinen Bart hinein, erntete jedoch nur ein Kichern, in das Ylvi einstimmte. “Ach, du bist also auch ihrer Meinung?!”
    Ylvi fuchtelte wild mit den Händen vor ihrem Körper herum, um mich zu beschwichtigen. “Neeeein, auf keinen Fall.” Ihr Grinsen verriet sie jedoch.
    Betsy unterbrach das Gelächter, als sie mit ihrem Koffer gegen den Rahmen der Haustür rumpelte. “Ich helf’ dir, warte.”
    Mit einem Satz stand ich vor der Tür, griff nach dem Koffer und hob ihn schließlich behände in den Kofferraum des Wagen.
    “Ah, da kommt Louis auch schon mit Sue”, sagte Octavia, was mich herumfahren ließ. Nach einem kurzen Gespräch mit Louis hatten wir uns dazu entschieden, dass die drei eigene Pferde mitnahmen. Sue und Kiss waren schnell für die Mädchen gefunden worden, am Pferd für Louis hatte es allerdings gehapert. O hatte ihm Pria angeboten, doch als Tschetan sagte, er würde sich wünschen, dass er Sungila mitnimmt, war die Entscheidung schnell gefallen.
    “Magst du sie reinführen?”, wandte sich Louis an Betsy und hielt ihr den Strick hin.
    “Klar.” Sue ging wie immer grottenbrav auf den Hänger und ließ sich anbinden.
    Wenig später kam Tschetan mit Sungila und Kaya mit Kiss. Beide Pferde wurden eingeladen und die Rampe geschlossen.
    Betsy, die neben mir stand, legte ich einen Arm um die Schulter. “Jetzt heißt es wohl, auf Wiedersehen zu sagen", murmelte ich.
    Betsy sah zu mir hoch und lächelte. “Zwei Wochen ist doch gar nix, die gehen soooo schnell vorbei, ich würde lieber länger fahren!”
    Ich schluckte. “Betsy du weißt, die zwei Wochen ist das, was uns erlaubt ist und…”
    “Ja, Caleb. Ich weiß.”
    Wann war sie bloß so erwachsen geworden?
    Ich umarmte sie einmal fest und spürte, dass ihr Druck, mich zu umarmen, dem Meinen ziemlich gleich kam. “Ich wünsche dir ganz viel Spaß, ja? Und du darfst dich ruhig zwischendurch mal melden!” Meine letzten Worte kamen fast einem Tadel gleich, aber Betsy wusste genau, wie sie gemeint waren.
    “Wann immer ich Netz habe”, meinte sie allerdings schulterzuckend und löste sich von mir, um ihr Shirt zurecht zu ziehen.
    Dann verabschiedete sie sich vom Rest der Truppe. Mein Blick flog zu Ylvi und Louis hinüber, die sich flüsternd unterhielten, während sie Kaya und Tschetan fest umarmten. Die Kinder lösten sich von ihnen, um sich nochmal kurz gegenseitig zu drücken. Als Ylvi und Louis zum Kuss ansetzten, wandte ich mich ab und sah Betsy weiter zu. Am Rande meines Blickfeldes konnte ich trotzdem den Kuss der beiden sehen. Verstohlen huschten meine Augen zu ihnen hinüber und ich registrierte den Wangenkuss. Bevor ich dies jedoch weiter hinterfragen konnte, zog mich Betsy an der Hand in Richtung Auto. Die anderen folgten uns.
    Auch ich verabschiedete mich von Kaya, nickte Louis mit einem “Pass gut auf die Mädchen auf” zu und wollte mich gerade abwenden, als ich seine Stimme hinter meinem Rücken vernahm. Ich wandte mich ihm wieder zu.
    “Caleb?” sprach Louis leiser in meine Richtung: "Hab du ein Auge auf Ylvi und Tschetan, ja?” Ich nickte… etwas verzögert. Hatte Louis gezwinkert? Nein, das musste Einbildung gewesen sein.
    Durch die offenen Fenster winkend verließen die drei den Hof. Aus dem Augenwinkel sah ich Tschetan, der einen Arm um Ylvi legte, die sich leicht nach Halt suchend gegen ihn lehnte. Ich seufzte. Zu gerne würde ich den Platz mit ihm tauschen, Ylvi Halt bieten und… ja was eigentlich? Darüber musste ich mir endlich klar werden, auch wenn es eigentlich zu spät war. Oder gab es Hoffnung? Der Wangenkuss wollte nicht aus meinem Gedächtnis verschwinden.
    “So”, riss O alle Anwesenden aus ihren Gedanken. “Du und du”, dabei zeigte sie auf Ylvi und Aimee, “wir fahren jetzt shoppen. Ich kenne einen Laden in Calgary, da finden wir genau das Richtige für die Party morgen Abend!” Sie wandte sich Tschetan zu und wollte erneut ansetzen, doch der suchte sofort das Weite.
    “Gute Entscheidung, Tschetan”, rief ich ihm lachend hinterher, während er in Richtung der Stallungen joggte.
    “Du wolltest den wirklich mit auf unseren Mädelstrip nehmen?”, grinste Aimee.
    “Ach was, wir brauchen doch jemanden, der unsere Kleider und die Schuhe und den Schmuck trägt!”
    Ylvi stöhnte auf.
    “So schon mal gar nicht, Ylvi! Wir könnten… ähm Bellamy, du kannst doch bestimmt mitkommen?”
    Doch Bellamy schüttelte den Kopf, zeigte auf Laurence und murmelte “Haben was vor”. Damit verschwanden die zwei in Richtung des Reitplatzes, gefolgt von … Dolly? Ich starrte ihnen hinterher.
    “Caleb, dich frag ich erst gar nicht…”, murrte O, “obwohl es deinem Kleiderschrank durchaus gut tun würde, wenn du mit drei Frauen shoppen fahren würdest.”
    Ich schüttelte den Kopf. “Habt ihr nicht gesehen, dass Dolly hinter Bellamy und Laurence her ist? Ich muss schauen, was die drei im Schilde führen… aber euch viel Spaß.” Ich zwinkerte den Damen zu und folgte Dolly.

    Ylvi
    “Das zieh ich auf gar keinen Fall an”, murrte ich durch den dicken Stoffvorhang. O’s Stimme kam nur gedämpft aus der Kabine rechts neben mir. “Komm raus, ich will es sehen!”
    “Nein!”
    “Sonst komm ich rein.”
    “Sei nicht albern.”
    “Komm schon wir sind unter uns”
    Skeptisch sah ich auf das, was O’ mir rausgesucht hatte. Fetzen Stoff wäre der passendere Begriff gewesen. Es lag eng an meinem Körper. Machte mir bewusst, wie sehr ich in den letzten Jahren abgenommen hatte. Nur knapp bis unter die Rundung meines Hinterns reichte es. Was mich dazu veranlasste, es weiter hinunter zu ziehen. Diese Tat allerdings hatte zur Folge, dass deutlich mehr meines Ausschnitts zu sehen war als mir lieb war. Also zupfte ich alles wieder weiter nach oben. Seufzte erneut. Eigentlich war es hübsch… rot und schwarz. Mit roten Pailletten am Rand des Ausschnitts. Aber so verdammt KURZ. Ich war kein Teenie mehr!
    “Wir warten”, flötete nun Aimee vor meinem Vorhang. Ich steckte nur den Kopf hinaus. Sah neben Aimee O’ stehen. In einem ganz ähnlichen Kleid wie auch ich trug. Sie streckte mir Höllenschuhe entgegen. “DAMIT ..”, ich ließ sie gar nicht weiter sprechen, “AUF gar keinen Fal.l”
    Aimee stöhnte. “Ylvi shoppen macht mit dir keinen Spaaaaß. Du sollst sie ja nicht direkt tragen, aber mal anziehen!”
    Shopping. Ich hasste es. Ich war schon immer der Typ schlicht und praktisch gewesen. O’ sah umwerfend in ihrem Kleid aus. Und ja, auch ich sah in diesem Kleid nicht schlecht aus. Mit dem Unterschied, dass sich O’ und auch Aimee in ihren Outfits unglaublich fühlten. “Ich seh aus wie verkleidet”, murmelte ich daher etwas deprimiert.
    “Zieh die an, wir wollen ja nur mal ein Foto machen!”, ermunterte mich O’.
    Ich streckte also den Arm durch den Vorhang, schloss ihn hinter mir und quetschte meine Zehen in die Schuhe. Sie waren hoch. SO HOCH. Mindestens 10 cm… plus dem komischen Plateau, das die Sohle dazu gab. Das waren Schuhe zum Sitzen. Nicht aber zum Stehen, geschweige denn zum Tanzen. Ich suchte ein wenig mein Gleichgewicht. Versuchte mich daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal solche Schuhe getragen hatte. Meine Reitboots, die mir Caleb in New Mexico geschenkt hatte. Die waren seit Jahren das höchste an Absatz. Mit Wehmut dachte ich jetzt an meine Boots. Nervös seufzend öffnete ich dann den Vorhang. Machte ein paar unsichere Schritte in Richtung des Flures, der zu den Kabinen führte.
    "Wow", hauchten beide Damen wie aus einem Munde, sogar eine Frau, die gerade die andere Kabine anvisierte, nickte mir aufmerksam zu. Sofort spürte ich Hitze in meine Ohren schießen. "Das ist viel zu kurz Leute, ehrlich."
    "Aber du siehst so Hammer aus. Jetzt noch eine tolle Kette und Dolly, die dir die Haare macht. Du stiehlst allen die Show."
    "Oder ziehst die Blicke auf dich", damit zwinkerte Aimee O' zu. Der Gedanke, was Caleb zu meinem Aufriss sagen würde, schoss mir durch den Kopf. Neben dem Gedanken, dass Aimee genau diesen Blick gemeint haben könnte. "Lass uns wenigstens ein Foto machen, ja?
    “Ihr gebt ohnehin keine Ruhe, wenn wir keine machen.”
    Es folgten also einige Selfies, Bilder nur zu zweit. Und tatsächlich konnte ich darüber hinaus sogar vergessen, in welchem Aufzug ich hier herumstand und posierte. “Okay, Kompromiss. Die Schuhe bleiben. Aber ein Kleid mit… naja etwas mehr Stoff,ja?”
    O’ klatschte begeistert in die Hände. Ich warf mir fix meine anderen Klamotten über, behielt allerdings die Heels an, um ein besseres Gefühl für sie zu bekommen. Aufmerksam schaute ich mir die Kleider alle an. Man merkte deutlich meine Präferenzen… schwarz… oder rot. Allerdings hatten die Mädels bereits auf der Autofahrt beschlossen, dass ich kein rein schwarzes Kleid tragen sollte. Du gehst schließlich nicht auf eine Beerdigung. Die hatten wir wahrlich erst gehabt. Die Schwierigkeit für mich war, das Thema im Kopf zu behalten bei der Auswahl des Kleides. Aimee kam zwar 2x mit Kleidern, allerdings in einem schrecklichen Blauton. Dann sah ich ein Kleid an einer der Mannequin, die mitten im Laden stand. Es entsprach dem Vokuhila - vorn kurz, hinten lang. Der Rock war abgesetzt mit leichtem Spitzenstoff. Alles ab der Hüfte war eine feste Korsage, die auf dem Rücken geschnürt wurde. Die Träger gingen vom Ausschnitt nach oben. Waren allerdings eher Deko als nützlich. Bei näherer Betrachtung konnte ich sehen, dass sie sogar abnehmbar waren. Der Korsage Teil des Kleides war auch in roter Spitze gehalten, die Ränder waren abgesetzt mit schwarzen Glitzersteinen.
    “Ich glaube du kannst aufhören zu suchen!”, hörte ich O’ durch den Laden brüllen. Dann stand sie neben mir, schaute mich an und sprach in normaler Stimmlage: "Ylvi hat sich entschieden.”
    Aimee kam durch den Laden gehuscht, schaute auf das Mannequin vor uns. “YLVI! Korsage?!” Ich sah mit hochgezogener Augenbraue Richtung Aimee. Hörte ich da Verwunderung?
    “Tjaa, meine Dame, als du noch in den Windeln gesteckt hast. Glaub es oder glaub es nicht. Bin ich gern in Korsage herumgelaufen. Neben den Pferden war Cosplay eine Zeitlang eins meiner Hobbies. Am liebsten als Steampunk!”
    “Ganz neue Erkenntnisse”, murmelte O’ überrascht.
    Ich hatte allerdings Glück. Das Kleid war noch in meiner Größe da, also musste die arme Verkäuferin es nicht der Mannequin ausziehen. Damit in der Hand verschwand ich nochmal in die Kabine, zog mich um. Brauchte allerdings die Hilfe von O’ um die Korsage zu schließen.
    “Ich geb’s zu…das andere war sexy. Aber in dem da strahlst du richtig. Wahnsinn. Denen fallen die Augen aus. SO haben sie dich noch nie gesehen.” Ich zwinkerte O’ zu. An der Kasse bekam ich zwar einen kurzen Moment Schnappatmung als der Preis angezeigt wurde. Schließlich zückte ich aber meine Kreditkarte und zahlte einfach. Es gab sicher einen anderen Anlass an dem ich alles nochmal tragen konnte. Aimee schluckte auch ein wenig, allerdings hatte sie sich das Kleid so ausgesucht, dass sie auch beim Abschlussball an der Schule getragen werden konnte.
    “Papa wird mich umbringen,” murmelte sie trotzdem in meine Richtung als O’ zahlte. Ich griff in mein Portemonnaie, schob ihr einen 100 Dollar schein zu.
    “Es sind ja bald Ferien. Übernimm ein paar meiner Stalldienste und wir sind quitt, ja?” Schelmisch grinsend schnappte Aimee mir den Schein aus der Hand. Umarmte mich. Alles unbemerkt von O’.
    “Heee… krieg ich etwa keine Umarmung?”, fragte diese prompt, als sie sich wieder zu uns drehte. Als Antwort boxte ich ihr einfach nur leicht in die Seite. Mit Tüten bepackt verließen wir den Laden wieder.
    “Mädels, ich weiß ja nicht wie es euch geht. Aber mir hängt der Magen in den Kniekehlen”, sprach ich zu den beiden.
    “Ich dachte, das erwähnt niemand!”, seufzte Aimee.
    “Ich finde, die Ranch kann noch ein wenig länger auf uns verzichten.”

    Caleb
    Schon eine ganze Weile stand ich mit Dolly am Zaun und schaute Laurence und Bellamy dabei zu, wie sie Fahrübungen mit Myrk und Birk machten.
    “Hat Bellamy schon gefragt, wo die Kutsche steht?”, fragte mich Dolly wie aus dem Nichts. Bevor ich ihr antworten konnte, starrte ich sie einige Sekunden an. Seit wann interessierte sie sich überhaupt für die Arbeit mit den Pferden?
    “Nein, noch nicht”, antwortete ich ihr wahrheitsgemäß und fuhr mir einmal durch den kurzen Bart, “erwähnt hatte ich sie ja schon erwähnt aber…”
    “He Caleb!”, rief Bell mir zu und kam mit Birk an den Zaun. “Wie sieht's eigentlich aus mit der Kutsche, ich glaub die zwei sind soweit.”
    Dolly und ich wechselten vielsagende Blicke, ehe wir schallend zu lachen anfingen. Bellamys zielstrebiger Blick wisch Verunsicherung, doch als Dolly ihn aufklärte, lächelte er wieder.
    “Ich kann sie aus dem Schuppen rausziehen, kommt ihr mit den Pferden da hin?”
    “Ist das nicht noch zu gefährlich?”, fragte Dolly dann und ich fragte mich nun wirklich, was sie geritten hatte.
    Mit hochgezogener Augenbraue sah ich zu Bellamy rüber, der uns in aller Ausführlichkeit erklärte, was Laurence und er schon alles mit den Pferden geübt hatten. Er fügte ebenfalls an, dass er sich ganz sicher war, dass es ein Leichtes für die beiden Pferde sei, nun eine richtige Kutsche zu ziehen.
    Dolly wollte auf Laurence warten und mit ihm zusammen zum Schuppen kommen, so dass ich schon mal alleine vorging. Dabei nahm ich Cayce wahr, der mit Tate an der Hand in Richtung der Paddocks ging.
    Als ich am Schuppen ankam, hörte ich hinter mir schon leises Hufgetrappel. Mit einem kleinen Knarzen um dem Gedanken, die Rollen unbedingt nochmal ölen zu müssen, schob ich das Tor zur Seite auf. Zum Vorschein kam eine kleine, unter einem großen weißen Tuch versteckte, schwarze Zweispännerkutsche.
    Als die anderen bei mir ankamen, klatschte Dolly einmal verzückt in die Hände. “Los Mister Caleb, entfernen sie schon das Tuch!”, sprach sie aufgeregt.
    Als ich kurz zu Laurence sah, der ruhigen Blickes Dolly dabei beobachtete, wie sie sich freute, ging mir ein Licht auf. Ich schmunzelte, zuppelte dann jedoch das Tuch von der Kutsche und zog sie mit Bellamys Hilfe, der den braunen Hengst kurzerhand in Laurence’ Hand drückte, ein Stück nach vorne.
    Alles Zubehör zum Einschnallen der Pferde lag auf den Sitzen verteilt. “Eigentlich war sie aufgeräumt zurückgestellt worden… zumindest als ich sie das letzte Mal in Benutzung hatte.” Da dämmerte es mir. “Klar, ich hatte sie vor einer Weile mal an eine der Nachbarranches ausgeliehen für deren Fahrt zum 25. Hochzeitstag! Da muss ich nochmal ein ernstes Wörtchen mit ihnen reden!”
    “Ach”, meinte Laurence jedoch beschwichtigend, “passt schon. Dolly, traust du dir zu, Myrk kurz festzuhalten? Dann kann ich dabei helfen, die Gurte zu sortieren.”
    Dolly nickte unsicher, jedoch mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht. Während Bellamy zurückging um Birk festzuhalten und Laurence Myrk an Dolly überreichte, sortierte ich schon die Gurtungen und fing zwei Stapel an. Einen für Myrk und einen für Birk. Myrk und Birk. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Wenn das keine passenden Namen für zwei Kutschpferde waren, wusste ich auch nicht.
    Laurence half mir und zu zweit war alles schnell sortiert. Beim Anlegen jedoch verließ Dolly der Mut und sie hielt mir den Strick hin. Mit einem Nicken griff ich danach und hielt den Hengst fest, während Laurence alles anlegte. Auch Birk machte keine Probleme, so dass wir die Tiere gemeinsam an die Kutsche spannten.
    Laurence setzte sich auf den Kutschbock und nahm die langen Fahrzügel in die Hand. Bellamy und ich gingen jedoch zur Sicherheit, einer rechts und einer links, die ersten Meter neben den Pferden her.
    Birk und Myrk machten einen großen Schritt nach dem anderen, als hätten sie nie etwas anderes getan!
    Laurence hielt an, drehte sich nach hinten um und wank Dolly heran. “Dolly komm, genieß eine kleine Kutschfahrt mit mir!”
    Bellamy setzte zum Widerspruch an, verstummte jedoch nach einem “Ssssshhht” und einem Grinsen meinerseits.
    Langsam trat Dolly auf uns zu, ließ sich von mir und Laurence auf die Kutsche helfen und strahlte dann übers ganze Gesicht. “Wie in alten Zeiten!”, verkündete sie freudig. Laurence schnalzte, wackelte ein wenig mit den Zügeln und das ungleiche Pferdegespann ging wieder im Schritt los.
    Bellamy und ich blieben zurück. Während ich vor mich hin grinste, starrte mein Gegenüber ihnen eingeschnappt hinterher.
    “Ich wusste gar nicht, dass Dolly sich für Pferde interessiert”, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus.
    “Tut sie auch nicht.”
    “Wofür dann?”
    Ich sah ihn verdutzt, aber auch verständnislos an. “Hast du das gerade ernsthaft gefragt? Mein Gott Bellamy, du brauchst dringend eine Freundin.”
    “Haha, das sagt der Richtige.”
    Ich ging nicht weiter auf seine Aussage ein, drehte mich nur um und schaute in den Schuppen. “Bist du jetzt irgendwo eingeteilt?” Bellamy schüttelte den Kopf. “Gut, dann kehr hier bitte mal durch, solange die Kutsche weg ist. Ich muss nochmal ins Büro.”
    Auf dem Weg dorthin schaute ich auf mein Handy. In der Stallgruppe ploppte ein Foto nach dem Anderen auf. Gucken konnte ich allerdings keines, denn Vulture zog meine Aufmerksamkeit auf sich, der durch den Zaun gegangen war. Er hatte Cody allein gelassen und leistete nun Joker und Goldy Gesellschaft. “So war das aber nicht gedacht, Jungs…”, dachte ich und war froh, dass die Hengste sich nicht die Köpfe einschlugen.

    Tschetan
    Ich stöhnte etwas genervt. Eigentlich hatte ich mein Handy auf laut, um den Anruf von Nicholas nicht zu verpassen. Jetzt allerdings dudelte es in einer Tour - ich bekam quasi minütlich Live-Updates der Shoppingtour. Worunter auch die Zeit litt, denn ich hatte gefühlt erst die Hälfte der Boxen fertig, die ich normalerweise schaffte. “Aimee, so hätte ich auch mitkommen können!”, fluchte ich milde mein Telefon an. Es war ein Haufen Bilder gekommen. Ich sah nach oben. Wollte ich mir das wirklich geben? Drückte dann aber doch auf den Button mit dem Download, um mir dann erstaunt das Telefon und auch das Bild näher heran zu zu holen. Ylvi?! Ich konnte nicht umhin zu registrieren, wie mein Herzschlag bei der Betrachtung der Bilder kurz etwas anzog. Alle drei Frauen sahen gut aus, um nicht zu sagen… sexy. Ich verdunkelte den Bildschirm. Schüttelte den Kopf. Schaufelte fleißig scheiße in die Karre, nur um dann verstohlen noch einmal durch die Bilder zu gehen. Würde das Ylvis finales Outfit sein? Ich spürte, wie ein wenig Sorge in mir aufstieg. Der Aufzug würde unfassbar viele Blicke auf sich ziehen. Ganz besonders einen.
    Viele meiner Klassenkameraden würden bei der Party sein. Schon in vorherigen Gesprächen hatte man Ylvi als “Milf” bezeichnet. Es war mir unangenehm, diese Worte zu hören. Der Umstand, dass Ylvi tatsächlich hübsch war… und im Grunde genommen auch gar nicht weit fern, altersmäßig von Leuten aus meinem Jahrgang, machte die Sache irgendwie nicht einfacher. Besonders da ich Ylvi wie meine Mutter sah. Ich beschloss, ein Argusauge auf sie und Aimee zu legen. Bryce würde auch da sein. Welche Gedanken ihm in Bezug auf beide Frauen durch den Kopf gingen, hatte er bereits allzu deutlich verkündet. Vielleicht sollte ich Caleb auch davon berichten? Wobei ich mir fast sicher war, dass er Ylvi ohnehin nicht von der Seite weichen würde.
    Da Aimee sicherlich eine Antwort erwartete, ich aber nicht die Zeit für große Reden hatte, gönnte ich ihr einen Daumen nach oben. Schließlich hatte ich zu tun! Neben dem halben Stalltrakt standen noch einige Trainingspferde auf meiner Liste. Unter anderem hatte mir Caleb das Training des Trabers Vandal anvertraut. Zumindest war er heute morgen in meiner Liste gestanden. Neben dem Hengst Berry. Letzteren kannte ich zwar vom Namen, musste allerdings einen der anderen Fragen, wo der Kerl eigentlich untergebracht war. Dahinter in der Liste hatte “Körvorbereitung” gestanden. Bei Vandal war keine Info dahinter gewesen. Da musste ich mich mal erkundigen. War Vandal überhaupt eingeritten? Ich stockte, schickte fix eine Nachricht an Nicholas. Der konnte bestimmt bei der Frage helfen. Mit dem Vorhaben, mich jetzt wirklich nicht mehr ablenken zu lassen, widmete ich mich wieder der Box.
    “Tschetan!”, ich drückte fest meine Kiefer aufeinander, griff den Stiel der Forke fester, drehte mich dann langsam auf dem Absatz um und sah die Person, die mich gerufen hatte, mit einem Pferd am Zügel auf mich zukommen.
    “Cayce”, versuchte ich, weniger gegrummelt, über die Lippen zu bringen.
    “Stell die Forke beiseite. Murphy hat die Scheißerei. Der ist mir beim Zaun abreiten keine große Hilfe. Sobald der mal vom Klo runter kommt, macht der deinen Dienst weiter. Hab ich mit Caleb geklärt.”
    DAS allerdings war eine erfreuliche Nachricht. Ich stellte also die Forke an die Boxenwand, schloss die Tür, schnappte Cayce die Zügel von Shorty aus der Hand. “Meinetwegen kann Murphy gern länger die Scheißerei haben”, flötete ich.
    Cayce warf mir einen skeptischen Blick zu.
    “Natürlich tut er mir TOTAL Leid. Nicht schön sowas”, doch Cayce brach nur in schallendes Gelächter aus. Trotzdem war ich dankbar für meinen stabilen Magen. Während ich noch wartete, dass Cayce Tate fertig sattelt, las ich die Antwort von Nicholas.
    >> Sorry, Anruf erst heute Abend. Paps schleift mich noch zu diversen Terminen. Aber: Vandal ist bisher ungeritten ;)<<
    Und schaute mir das Burger-Foto von Aimee an. Die würden also nicht so schnell wiederkommen.
    “Fertig?” fragte Cayce. “Jap. Welche Zäune eigentlich?”
    “Stutenweiden. Laurence hat gestern Abend nen Bären da rumschlendern sehen. Wir sollen mal schauen, ob der Zaun intakt ist. Das Signal vom Strom im Haupthaus ist ausgefallen. Verdammt praktisch dieses Wlan Gelumpe. Habs ja anfangs für Unfug gehalten. Tatsächlich spart man sich aber das tägliche Abreiten der Zäune und hat deutlich mehr Zeit für andere Sachen.” Ich schmunzelte in mich hinein und spürte Stolz, denn ich wusste, die ganze Technik hatte Ylvi Caleb angeleiert. Tatsächlich gab es mittlerweile 3 Ranches in der Umgebung, die das System auch bereits nutzetn. Zusätzlich hatte sie angefangen eine App zu schreiben. Sie nahm sich dabei die Zivilisten zur Hilfe. Dafür hatte sie auch ein Wort gehabt, aber gemerkt hatte ich es mir nicht. Abgeschaut war das System von Wal-Websites. Diese nutzen Zivilisten, um Walsichtungen zu markieren. Jeder, der einen Wal fotografiert hatte, konnte auf einer Website die Bilder einschicken. Dort verglich man die Parameter der Wale und konnte so die Routen einzelner Individuen nutzen. Ylvi hatte vor, das für Predatoren in der Umgebung zu machen. Im Frühjahr hatten wir einige Kälber und auch fast ein Fohlen an einen Bären verloren. Zwar waren die Zäune verstärkt worden, aber Alcatraz konnten wir auch schlecht bauen. In der App würde jeder Nutzer auf einer Landkarte die Sichtung von Bären, Wolfsrudeln und auch anderen Wildtieren registrieren können. So konnten Rancher in der ganzen Umgebung dies für sich nutzen. Noch hatte sie die Arbeit daran nicht fertig. Aber wann immer sie Zeit hatte, steckte sie ihre Energie da hinein.
    “Caleb hat sich erst geziert. Aber das System hat sich wirklich bezahlt gemacht”, bestätigte Cayce. Nach dem langen Anfahrtsweg der Ranch wandten wir uns nach rechts. Es war erst früher Mittag, aber langsam zog die Sommerhitze ins Land. Sie brutzelte vom Himmel hinab. Unter meinem Lederhut spürte ich, wie sich der Schweiß sammelte. Dennoch war ich dankbar für den Sonnenschutz. Ich zog ihn mir etwas weiter in die Stirn.
    “Kleiner Galopp? Noch ist der Weg eben?” fragte ich Cayce, der allerdings keine Antwort gab und direkt im Galopp los schoss. Angeber!

    Aimee
    Mit einem leisen “Uff” ließ ich mich auf die Couch des Bungalows fallen. Wir hatten tatsächlich noch den ganzen Nachmittag in Calgary verbracht. Ylvi musste noch zur Bank und was auf der Post abgeben, O noch hier und da und nirgendwo einen Abstecher machen. Schlussendlich flirtete sie mit der Bedienung der Eisdiele, in die zunächst nur Ylvi und ich uns verzweifelt verzogen hatten, weil uns die Beine weh taten.
    Mein Kopf pochte und ich massierte vorsichtig meine Schläfen. Wie gerne würde ich mir ein heißes Bad einlassen, doch leider besaß der Bungalow keine Badewanne – und Calebs konnte ich schließlich schlecht benutzen. Alleine traute ich mich so eine Aktion auch gar nicht, beim letzten Mal war O es gewesen, die die Aktion in Gang gebracht hatte.
    Die Tür des Bungalows öffnete sich und mein Dad kam herein. Er sah ziemlich geschafft aus.
    “Was hast du denn gemacht?”
    “Ich musste beim Boxen misten helfen. Murphy hat irgendeinen Infekt oder sowas, der war heute nicht zu gebrauchen und kam kaum von der Toilette runter. Später, als es ihm etwas besser ging, habe ich gesagt, er soll gehen und sich ausruhen, er würde sich schon irgendwann revanchieren können.”
    “Oh, ich hoffe, es breitet sich nicht aus – was auch immer er hat!”, Mitgefühl schwang in meiner Stimme mit. Er tat mir wirklich Leid, sowas wünschte man niemandem. “Gehst du duschen?”, fragte ich dann an meinen Dad gewandt und gähnte einmal kurz.
    Er nickte mir zu, legte eine Hand an seinen Nacken und ließ den Kopf kreisen. “Bin ich gar nicht mehr gewöhnt, diese Art von Arbeit”, er lachte kurz, “was steht bei dir heute noch auf dem Plan? Hast du ein schönes Kleid gefunden?”
    Ich seufzte. “Oh ja! O ist wirklich eine gute Hilfe beim Shoppen. Leider nur sehr anstrengend”, ich lächelte ihn an, doch dann schaute ich ein wenig gequält drein, “ich würde soooo gerne ein heißes Bad nehmen, aber unser Bungalow hat ja keeeeeeine Badewanne.”
    “Frag doch Caleb, ob du eine im Haupthaus benutzen darfst. Da gibts ja ein paar Badezimmer, ich glaube drei. Eins davon wird mit Sicherheit eine Badewanne haben – abgesehen von Calebs.”
    “So?”, fragte ich erstaunt. Ich kannte mich nicht wirklich gut im Haupthaus aus.
    “Frag ihn einfach.” Damit verschwand mein Dad im Bad und ich hörte kurze Zeit später den Strahl der Dusche.
    Mir wurde ein klein wenig Flau im Magen. Sollte ich Caleb wirklich fragen gehen? Was, wenn er nein sagte oder mich komisch anschaute? … Wieso sollte er mich komisch anschauen? Man Aimee, gib dir einen Ruck!
    Ich stand auf, stopfte alles, was ich drüben brauchen würde inklusive neuer Kleidung in eine Tasche und ging rüber zum Haupthaus. In der Küche und im Wohnzimmer war niemand, so dass ich es jetzt für besser hielt, auf mich aufmerksam zu machen: “Caleb?”, rief ich einmal in gemäßigtem Ton. Verwundert über eine direkte Antwort, dass er sich im Büro befand, ging ich zu ihm rüber – das Flattern in meinem Bauch wurde stärker.
    “Hey, was gibts?”, Caleb sah von seinem Unterlagenchaos auf. Irgendwie saß er immer im Chaos, wenn er sich im Büro befand.
    Länger, als es mir selbst bewusst war, schien ich auf den Schreibtisch gestarrt zu haben, denn ein fragendes “Aimeee?” lenkte meinen Blick nach oben auf den blonden Mann, der mich überaus neugierig anschaute – oder starrte? Jetzt schaute er mich ja doch komisch an!
    “Ich… ähm…”, stammelte ich und schalte mich innerlich, dass ich immer zu stammeln anfing, wenn ich mit ihm sprechen musste. Aimee reiß dich zusammen verdammt! Ich schluckte und setzte erneut an: “Brian hat gesagt hier im Haus in einem der… Badezimmer gibts eine Badewanne, ich soll dich fragen, ob ich… eine benutzen darf.” Uff…
    Caleb lächelte. “Klar. Allerdings funktioniert das Warmwasser hier unten gerade nicht, aber wenn du keine Stunden brauchst, kannst du die oben bei mir benutzen, die kennst du ja bereits."
    “Ja, dein großes Ding kenn ich schon.” Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Caleb grinste mit hochgezogener Augenbraue, während ich mir die Hand vors Gesicht schlug. Das war alles O’s Schuld, die mit diesem Begriff um sich geworfen hatte. “Ich…”, stammelte ich, murmelte ein “Danke” und machte auf dem Absatz kehrt, um die Treppe hoch zu hechten, ins Bad zu laufen und die Türen zu verschließen, ehe ich mich an einer davon zu Boden sinken ließ. Peinlich, Aimee. Peinlich.
    Als ich mich nach einer Weile jedoch ins warme Wasser sinken ließ war das flaue Gefühl im Magen und die peinliche Aktion von eben vergessen. Wohlige Wärme umströmte meinen Körper und meine Beine hörten auf, von der ganzen Rennerei, weh zu tun.
    Im Bad befand sich eine Uhr, die so leise tickte, dass ich mich wirklich genau konzentrieren musste, um sie zu hören. Immer wieder huschte mein Blick verstohlen auf die Zeiger, sodass ich das Bad trotz der angenehmen Wärme doch nicht so genießen konnte, wie ich es gerne getan hätte. Seufzend zog ich den Stöpsel, stand auf, trocknete mich ab und zog mich wieder an. Eine dreiviertel Stunde hatte ich nun hier verbracht – noch weit weg von ‘stundenlang’.
    Ich schloss die Türen wieder auf, öffnete ein Fenster zum Rauslassen des Dampfes und ging wieder nach unten, wo ich Caleb ein flüchtiges “bin wieder weg” zuwarf, ehe ich zurück zum Bungalow ging. Auf dem Weg dorthin sah ich Tschetan am Stall auf einer der Bänke sitzen. Ich wank ihm kurz zu, zeigte auf meine Tasche, in Richtung der Bungalows und dann wieder auf ihn. Er nickte und zeigte von sich zur Bank und schließlich zu mir. Nachdem ich ihm ein Daumen hoch gegeben hatte, brachte ich meine Sachen in mein Zimmer, hängte das Handtuch zum Trocknen auf, föhnte mir meine Haare beinahe ganz trocken, nahm mir ein Päckchen Gummibären und verließ den Bungalow, um zu Tschetan zu gehen. Für mich behielt er seinen Namen bei, auch wenn ihn Nicholas fast nur noch Scout nannte. Tschetan war für mich Tschetan. Meinen Versuch, ihn einfach ‘T’ zu nennen, hatte er abgeschmettert, es gab bereits eine Person am Hof, von deren Name nur noch ein einzelner Buchstabe übrig geblieben war, das genügte seiner Meinung nach.
    “Hey.”
    “Hey”, antwortete ich freundlich und setzte mich zunächst neben ihn auf die Bank.
    “Was hast du ihm Haus gemacht?”
    “Wenn du wüsstest”, lachte ich verlegen und hielt ihm die mittlerweile aufgerissene Packung Gummibären hin, von denen er sich ein paar nahm. “Ich wollte heute nach einem unglaublich anstrengenden Tag mit Ylvi und O…”
    “Ja, hab die Fotos gesehen”, warf er ein.
    “... ein warmes Bad nehmen. Aber die Bungalows haben ja keine Badewanne! Mein Dad sagte dann, ich soll ins Haupthaus gehen, da gibt's, abgesehen von Calebs Bad, noch eins mit einer Badewanne.”
    “Ja, unten. Aber das Warmwasser geht da gerade nicht…”
    "Ja, das sagte Caleb dann auch, als ich ihn gefragt hatte, ob ich eine benutzen dürfte. Er hat dann gemeint, ich könnte seine Oben nutzen, die würde ich ja bereits kennen. Und weißt du, was ich dann gesagt hab?”
    Tschetan sah mich fragend an, kommentierte dann aber doch noch: “Was denn?”
    “Ich hab gesagt: Ja, dein großes Ding kenn ich ja schon. Verfluchte O!” Ich ließ mich in seinen Schoß sinken und verdeckte mit dem ihm abgewandten Arm meine Augen. “Bei all den Sachen, die ich hätte sagen können? Warum hab’ ich sowas dummes gesagt?!” Ich sah Tschetans Reaktion nicht, spürte allerdings an seiner ruhigen Atmung, dass er mich zumindest nicht auslachte.
    Eine ganze Weile schwieg er, dann meinte er: “Wenn ich so darüber nachdenke, gibt es bestimmt noch viel schlimmere Dinge, die du hättest sagen können.”
    Ich nahm den Arm wieder von meinen Augen und sah von meiner liegenden Position nach oben zu ihm. Dann murmelte ich: “Ja… vielleicht. Peinlich war's trotzdem.”
    Er zuckte die Schultern, nahm sich noch eins der Gummibären und hielt mir die Tüte hin. Ich nahm das Letzte aus der Packung, ehe er sie sich in die Jackentasche steckte und den Reißverschluss schloss. Dann legte er eine Hand auf meinen Bauch. Das tat er fast immer, wenn ich mich auf seinen Schoß legte. Irgendwann hatte ich sogar damit angefangen, seine Zöpfe durch meine Finger gleiten zu lassen. Wo wir gerade davon sprachen… Ich nahm einen der Zöpfe in die Hand und drehte ihn ein wenig hin und her. “Hast du die heute selbst gemacht?” Er nickte. “Die sehen mittlerweile richtig gut aus, nicht mehr wie buschige Katzenschwänze.” Ich lachte
    Tschetan gab ein empörtes “Hey…” von sich, schaute dann jedoch wieder in die Ferne. Er wirkte gerade so abwesend.
    Da ich mir allerdings sicher war, dass er mir erzählen würde, was ihn beschäftigte, wenn er es mir sagen wollte, fragte ich nicht nach, sondern schaute ihn einfach nur eine Weile an. Seine Hand auf meinem Bauch wirkte heute schwerer als sonst, schon fast ein wenig unangenehm. Ich räkelte mich und rutschte ein Stück weiter oben. Tschetan hob seine Hand kurz an, legte sie dann jedoch wieder auf meinem Bauch ab. Für einen kurzen Moment flatterte es in meinem Magen. Wo kam das denn plötzlich her? Hatte mich auch erwischt, was Murphy ausgeknockt hatte? Oder waren das… nein. Nicht bei Tschetan. Oder doch?
    Plötzlich starrte ich ihn leicht panisch an und richtete mich ruckartig auf.
    “Ist alles ok?”, hörte ich ihn fragen, als ich aufstand und mein Shirt wieder gerade zog.
    “Ja… war ein langer Tag, ich glaub ich muss mich etwas hinlegen.” Ist ja nicht so, als hätte ich bei dir nicht gut gelegen… “Bis dann.” Damit verschwand ich in Richtung des Bungalows. Seinen vermutlich ratlosen Blick spürte ich nur allzu deutlich in meinem Rücken.

    Tschetan
    Meine Gedanken rasten. Von einem kurzen Gedanken zum nächsten, ohne dass ich sie zu fassen vermochte. Die Geschwindigkeit verursachte beinahe eine Art Schwindel. Wie ein dichter Nebel, der mich gefangen hielt, ohne dass ich viel von meiner Umwelt wahrnahm. Aimees Gesellschaft tat mir gut. Weniger Nebel und weniger Gedanken, die durch mein Hirn jagten. Trotzdem hatte ich Schwierigkeiten, ihr in diesem Moment meine Aufmerksamkeit zu schenken. Einerseits wollte ich mich ihr anvertrauen, andererseits fand ich einfach nicht die richtigen Worte. Was wollte ich erzählen? Von Ylvi? Meinen Bedenken gegenüber des Kleides vom Bild? Ich wusste ja nicht einmal, ob sich Ylvi dafür entschieden hatte! Von Bryce konnte ich ihr auch berichten, allerdings stieß ich bei Aimee bei dem Thema immer öfter auf Unverständnis. Aber sie hörte ihn auch nicht sprechen in der Umkleide der Jungen. Hörte seine unverschämten Fragen nicht. Noch immer war ich mir nicht ganz im Klaren, ob ich Caleb einweihen sollte. Bezüglich Ylvi hatte ich einfach meine Bedenken. Oder sollte ich Nicholas davon erzählen?
    Nicholas. Ein anderes Thema. Ich merkte, wie ich ihn heute auf der Ranch vermisst hatte. Die gemeinsame Arbeit mit ihm machte um so vieles mehr Spaß, als mit dem manchmal schweigsamen Cayce. Er war einfach näher in meinem Alter, da waren gemeinsame Gesprächsthemen einfacher zu finden. Aimee, er und ich gaben eine tolle Clique ab.
    Und so rasten meine Gedanken weiter, während ich Gummibärchen in den Mund schob. Meine Hand strich über Aimees Shirt auf ihrem Bauch. Dabei flogen meine Gedanken weiter zu Kaya. Tat ich das mit ihr, würde sie schrecklich anfangen zu giggeln. Die Zeit von 2 Wochen, die ich von ihr getrennt sein würde schienen ewig. Jahrelang waren wir aneinander gekettet gewesen wie Siamesische Zwillinge. Manchmal erwachte ich des Nachts aus meinen Träumen und vermisste ihren zarten Körper neben dem meinen. Auch wenn ich in der letzten Zeit der Malheure froh war, sie nicht neben mir zu haben. Auf KEINEN Fall konnte ich Aimee von meinen Träumen erzählen. Nicht wenn ich nur den Schatten einer Erinnerung an sie hatte. Einen richtigen Reim konnte ich mir auch nicht machen. Oder viel mehr gestand ich mir ihre tiefere Bedeutung nicht ein.
    Meine Abwesenheit schien auch Aimee zu spüren. Wie von einer Tarantel gestochen, schoss sie plötzlich auf. Ich hatte nur eine Millisekunde Zeit meinen Kopf beiseite zu nehmen, sonst wären sie kollidiert. Mit einer komischen Ausrede verschwand sie in Richtung des Bungalows. Ich starrte ihr verwirrt hinterher. Ich stöhnte auf, vergrub mein Gesicht in den Händen, die Arme auf den Knien.
    “Fantastisch Tschetan. Verjag auch noch deine Freundin”, grummelte ich zu mir selbst. Ich strich mir die kleinen Babyhaare von der Stirn, wischte mir über das Gesicht. Noch war es hell, auch wenn der Abend in die Nacht überging. Ich erhob mich also und lief über den Hof zum Haupthaus. Dort sah ich Ylvi auf der kleinen Holzschaukel auf der Terrasse sitzen. Mit dem Entschluss, zumindest mit ihr zu sprechen, steuerte ich auf sie zu. Allerdings stoppte ich, als auch Dolly durch die Tür trat und sich neben Ylvi setzte. Mist.
    Die Müdigkeit hatte allerdings auch noch nicht eingesetzt, also drehte ich ab, um auf die Paddocks hinter dem Haupthaus zu gelangen. Auf einem von diesen hatten wir nämlich Vandal zusammen mit Hero geparkt. In der einsetzenden Dämmerung sah der Hengst beinahe grau aus. Dabei war er eigentlich ein Blue Roan. Der Hengst hob aufmerksam den Blick in meine Richtung. Allerdings schien er sich wohl zu fühlen, denn er lag im Sand. Ich flüsterte leise beruhigende Worte in Lakota, um mich ihm bemerkbar zu machen. Völlig entspannt blieb der Hengst liegen. So konnte ich mich zu ihm setzen zwischen seine eingeknickten Beine und kraulte ihm Hals und Ohren.
    “Ich glaube wir werden uns vertragen, was?”, flüsterte ich leise. Kurz zuckte er allerdings zusammen, als mein Telefon klimperte. Neugierig griff ich danach. Ein breites Lächeln, als ich Nicholas Namen sah.
    >>Scout! Noch wach?”<<
    >Aye, noch wach.<
    >>Was ein Tag. Kann ich kurz anrufen?<<
    Ich starrte hinunter auf das Handy. Sagte ich ja, würde das Gespräch bis spät in die Nacht gehen, da war ich mir sicher. So lief es immer. Oder das Gespräch würde aufgrund meiner Gedanken ähnlich enden wie mit Aimee. Ich wusste allerdings auch nicht, wie ich es erklären sollte. Also klickte ich auf das kleine Kamera-Symbol und schickte ein Selfie von Vandal und mir.
    >Genieß grad die Ruhe auf der Ranch mit ihm.<
    >>Schwer zu toppen!<<
    >Werd aber gleich auch ins Bett verschwinden. Morgen wird lang genug.<
    >>Ich freu mich richtig. War ewig nicht auf ner Party. Bin gespannt, was einige Girls so tragen. ;)<<
    >mhm<
    >>?!<<
    >Ach, die Mädels…also Aimee, O’ und auch Ylvi waren heute shoppen. Ich hab ein wenig Bedenken.<
    >>Fürchte das musst du erklären.<<
    Ich suchte in meiner Galerie nach den Bildern, schnitt es so zu, dass nur Ylvi zu sehen war. Dann sendete ich es Nicholas zu.
    >>Lass mich raten, deine Bedenken heißen Bryce?<<
    >Du kennst seine Worte<
    >>Ganz ehrlich? Sie ist eine wunderschöne Frau, soll sie es zeigen. Außerdem ist Caleb bei ihr. Du glaubst ja nicht das Bryce da IRGENDWAS versucht.<<
    >Du hast ja Recht. Ich sollte mir aufhören Sorgen zu machen.<
    >>Das zeigt nur deinen edlen Charakter :p<<
    >Danke, ein wenig Zuspruch hab ich heute gebraucht.<
    >>Dafür sind Freunde da.<<
    Ich erhob mich, küsste den Hengst zwischen die Augen, um dann ins Haupthaus zu gehen. Meine Schultern ein wenig leichter als noch zuvor.
    “Dolly, Ylvi. Gute Nacht”, sagte ich, als ich die Haustür erreichte, tippte damit leicht an meinen Hut. Kurz bevor ich das Handy beiseite legte, schickte ich an Nicholas noch einen Gute Nacht Gruß.

    Ylvi
    Mit angezogenen Beinen schaukelte ich auf der Hollywoodschaukel vor mir her. Meine Augen folgten den Zeilen des Buches. Ab und an setzte ich ab, um mir einen Schluck vom kühlen Bier neben mir zu gönnen. Die Geschichte hatte einen unerwarteten Wandel genommen. Außerdem befand ich mich auf den letzten Seiten. Mittlerweile war es ungewohnt, in meiner Muttersprache zu lesen, so viel hatte ich mittlerweile mit dem Englischen zu tun. Da ich wieder abgeschweift war, musste ich die letzten 2 Sätze wieder lesen.
    “Ist da noch Platz frei?”
    “Am ARSCH!”, entfuhr es mir, als klirrend meine Flasche zu Boden fiel. Ich hatte mich tierisch erschrocken, plötzlich eine Stimme neben mir zu hören. “Dolly! Du kannst dich doch nicht SO an mich ran schleichen.”
    “Herrje, du bist aber schreckhaft.”
    “Ich war so auf das Buch fixiert”, auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Ich lehnte mich nach vorn und griff die Flasche auf, die trotz dem Sturz nicht kaputt war. Nur das klebrige Bier hatte ich jetzt teilweise auf der Kleidung.
    “Kann ich mich zu dir setzen?”
    “Klar!”, damit rückte ich beiseite, um Dolly Platz auf der Bank zu machen. Sie selbst hatte ein kleines Glas Wein in der Hand und nippte daran, als sie sich anlehnte.
    “Ganz schön verweist, oder?”, fragte Dolly unvermittelt. Da ich ihr nicht ganz folgen konnte, zog sich wie von selbst eine meiner Augenbrauen in die Höhe. Sie deutete mit der Hand, die das Weinglas hielt, in Richtung der Bungalows. “Ich hab’ das Geschnatter der Mädchen heute am Tisch vermisst”, seufzte sie.
    “Dabei sind sie erst ein paar Stunden weg. Ich kann noch gar nicht richtig greifen, dass sie wirklich 2 Wochen nicht da sein werden. Ich denke aber Betsy wird es gut tun, mal etwas anderes zu sehen als die Ranch.”
    “Alles hier wird das arme Ding an seinen Vater erinnern”, seufzte Dolly.
    “Aber erzähl mal, ich hab gehört du bist heute Kutsche gefahren!”, neckte ich sie.
    “Schrecklich wacklige Angelegenheit!” Aber ihr süffisantes, leichtes Lächeln, als sie ihr Weinglas an die Lippen setzte, strafte ihre Worte ein wenig Lügen. Ich beschloss allerdings nicht weiter nachzubohren. Es gab nunmal Dinge, über die man lieber schwieg. “Habt ihr Kleider für die Party gefunden?”, lenkte sie stattdessen ab. Also berichtete ich Dolly ein wenig von der Shoppingtour.
    “Nächstes Mal musst du als Stimme der Vernunft mit dabei sein.”
    "Vernunft papperlapapp”, winkte Dolly in die Luft mit einem Arm. Ihre Wangen waren dabei gerötet. Entweder war das nicht ihr erstes Glas Wein, oder ich hatte soeben unbewusst einen wunden Punkt erwischt. Da keine Erwiderung meinerseits erfolgte, schien sie auch nicht weiter sprechen zu wollen. Also hing ein jeder seinen eigenen Gedanken nach. Dann tauchte aus der Dämmerung Tschetan auf, der uns beiden eine gute Nacht wünschte.
    Tatsächlich verabschiedete sich auch Dolly von mir. Allein blieb ich in der nun fast vollständigen Dunkelheit sitzen. Ich starrte zum leeren Fenster des Bungalows. Tatsächlich würde es da drüben schrecklich einsam sein in den nächsten 2 Wochen. Ich verspürte noch nicht den Drang nach Schlaf. Also huschte ich mit dem leeren Bier in der Hand in die Küche. Stellte die Flasche in den Kasten in der kleinen Kammer und wusch meine Hände und einen Teil meines Arms im Becken, damit es nicht mehr klebte.
    Mit dem Buch unterm Arm überlegte ich, wohin nun. Sollte ich mir noch eine Wanne einlassen? Dann jedoch fiel mir ein, das Wasser unten funktionierte nicht. Die in Calebs Bad? Ich schüttelte den Kopf, nein. Das wollte ich jetzt nicht riskieren. Also beschloss ich, mich noch ein wenig ins Arbeitszimmer zu setzen. Ich hatte heute keine meiner Bürotätigkeiten zustande gebracht. Irgendwann musste ich mich denen ja auch widmen. Tatsächlich kamen mir die 2 Wochen Abwesenheit von Louis und den Mädchen da auch entgegen. Keine Hausaufgaben, keine Termine, kein Essen kochen. Keine familiären Pflichten für mich!
    Nur im Licht der kleinen Schreibtischlampe schaltete ich den PC ein, klickte jeden der 3 Bildschirme einzeln an. Mittlerweile hatte ich eine kleine Bastion um mich gebaut. Mein Blick huschte zu Calebs Schreibtisch herüber, der ausnahmsweise nicht in völligem Chaos unterging. Offenbar hatte er sich anders als ich um ein paar Zettel gekümmert. Seufzend griff ich in die Ablage auf meinem Platz. Ich hatte da noch einige der Rechnungen zu begleichen. Gewissenhaft loggte ich mich also in das Online-Banking ein. Suchte vorher alle Ausgänge ab - es war durchaus schon vorgekommen, dass Rechnungen doppelt eingegangen waren. Verglich dann Name des Empfängers mit den Rechnungsnummern. So konnte ich bereits 2 der Zettel abstempeln und in den Reißwolf geben – das hatte Caleb heute schon erledigt.
    Anschließend loggte ich mich in das Spenden bzw. Instagram Konto der Ranch ein. Mittlerweile hatten wir einige Sponsoren, deren Produkte wir promoteten, dadurch erhielten wir einige kleine Geldsummen, die ich auf einem separaten Konto verwaltete. Dort konnten auch Follower Geldspenden für Futter oder so hin schicken. Tatsächlich sammelte ich das Geld dort. Nutze es ab und an für Gewinnspiele. Das kam ganz gut an. Bei der Anzahl der Follower und Pferde der Ranch dachte ich auch seit einiger Zeit über eine Art Patenkonzept nach. Die Leute konnten auch Geld überweisen, waren Paten eines Hengstes oder einer Zuchtstute. Allerdings würde es verdammt viel Arbeit sein, die Paten mit Updates über ihre Zöglinge zu versorgen. Daher war das einfach nur eine fixe Idee in einer Ecke meines Kopfes. Und eine hingeschmierte Notiz in meinem Büchlein.

    Aimee
    In meinem Zimmer angekommen knallte ich die Tür, fester als ich es beabsichtigt hatte, zu, ehe ich mich aufs Bett warf, mir das Kissen vors Gesicht hielt und einmal tief durchatmete.
    Natürlich fragte mein Dad ob alles okay sei, ich antwortete ihm nur ein gepresstes “Ja passt schon”. Zum Glück wusste er mittlerweile genau, wann er mich besser in Ruhe ließ.
    Das seltsame Gefühl in meinem Magen war zwar verschwunden, aber es war genau das gleiche, welches ich verspürte, wenn Bryce mich berührte. Konnte das wirklich sein? Wie? Und vor allem warum auf einmal?
    >>Ich glaub ich hab mich in T verliebt<<
    Meine beste Freundin Katie, die nach meinem Umzug auf Bow River leider viel zu weit weg wohnte, antwortete sofort: >Nicht dein Ernst?!<
    >>Ich bin mir nicht sicher. Aber eben… hatte da so ein Gefühl<<
    >Erzähl mir mehr!<
    Klar, damit würde sich Katie nicht zufriedengeben, also brachte ich sie wieder auf den neuesten Stand und schloss meine Erzählung mit den Erlebnissen von gerade eben.
    >Oh shit, ich glaub du hast dich wirklich in ihn verliebt<
    Ich wollte ihr gerade antworten, da ploppte eine weitere Nachricht auf: >Und was ist mit Bryce?<
    >>Der ist morgen auch bei der Party<<
    >Uiui Aimee, gleich zwei Typen an die du dich ranmachen kannst<
    Ich schickte ihr einen wütenden Smiley zurück.
    >Na was denn?! Freie Auswahl!<
    >>KATIE<<
    >Hast du eigentlich schon ein Kleid? Zeig mal!<
    Ich schickte ihr ein Foto von Ylvi, O und mir.
    >WOW!<

    >Ihr seht alle drei richtig HOT aus! Und die linke ist die, auf die dein Boss so abfährt?<
    >>Irgendwie ja aber irgendwie ja auch nicht, das tut jetzt hier auch nichts zur Sache!<<
    >Okay, egal. Aimee… schau morgen Abend einfach, wer sich mehr um dich bemüht – und den küsst du dann einfach.<
    Ich warf das Handy aufs Bett, ließ meinen Kopf in die Hände sinken und seufzte. Wenn es doch so einfach wäre.
    Mein Handy vibrierte ein paar Mal hintereinander. Ich wollte es nicht wieder umdrehen, da ich keine Lust mehr auf ein weiteres Gespräch mit Katie hatte. Als ich es dann aber doch umdrehte, war die oberste Nachricht von Tschetan.
    >>Alles okay bei dir?<<
    Wieder seufzte ich, setzte ein paar Mal zu einer ehrlichen Antwort an, ehe ich zum wiederholten Mal alles löschte und ein gelogenes >Ja< antwortete.
    Tschetan kannte mich mittlerweile – und er hatte gesehen, dass ich eeewig geschrieben hatte. Natürlich fragte er nach. >>Sicher?<<
    >Ich hau mich einfach aufs Ohr, war ein anstrengender Tag<
    >>Gute Nacht, Aimee<<
    >Nacht Tschetan<
    Damit und mit einer kurzen Nachricht an Katie, dass ich mir ihren überaus einleuchtenden Vorschlag durch den Kopf gehen ließ, legte ich das Handy zur Seite und ging wenig später ins Bett.

    Am nächsten Morgen war ich beim gemeinsamen Frühstück zwar anwesend, aber nur körperlich. O und Ylvi unterhielten sich über die schönen Kleider, während Tschetan ab und an einen Seitenblick zu Caleb rüberwarf, der der Unterhaltung amüsiert folgte.
    Als ich plötzlich eine Hand auf meinem Bein spürte, zuckte ich sichtlich zusammen. Mein Blick flog nach rechts, wo Tschetan saß. Die Hand auf meinem Bein war seine.
    “Ist alles okay?”, fragte er mich leise. Ich nickte, wandte dann jedoch meinen Blick wieder ab und starrte auf meinen Teller, auf dem das Ei mittlerweile auch nicht mehr warm war. Es hatte zumindest aufgehört zu dampfen. Wie lange schon, das wusste ich nicht.
    Tschetan ließ die Hand noch ein paar Sekunden auf meinem Bein liegen, ehe er sie wegholte und sich wieder seinem Essen widmete.
    Die Stelle, an der seine Hand gelegen hatte, fühlte sich plötzlich eisig an. Ruckartig stand ich auf, kletterte von der Bank und lief zum Bad, in dem ich mich einschloss und mir etwas Wasser ins Gesicht spritzte.
    Wenig später vernahm ich Schritte im Flur, ehe es an der Tür klopfte. “Aimee, alles ok?”
    Es war O. Ich öffnete, zog sie hinein und verschloss die Tür wieder. Etwas perplex schaute sie mich an und wartete auf eine Antwort.
    “Ich hab ein Problem.”
    “Ja, das denk ich mir, wenn du dich hier einschließt und jetzt auch mich mit eingeschlossen hast”, antwortete sie ernst. O konnte tatsächlich mal ernst bleiben.
    “Ich weiß nicht, was ich machen soll, da sind zwei… Typen. Ich glaube, ich habe mich verliebt, irgendwie… in beide… vielleicht.”
    O schaute mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an, sagte erstmal nichts. Dann setzte sie an, hörte wieder auf, nur um wenig später wieder anzusetzen: “Weißt du Aimee, in deinem Alter, was noch gar nicht sooo weit weg ist von meinem, hat man noch gar keine Ahnung davon, was Liebe überhaupt ist.”
    Ich starrte sie an. Das war nicht die Antwort, mit der ich gerechnet hatte, aber O machte weiter: “Er wirft dir einen Blick zu, er berührt dich zufällig und die Berührung fühlt sich gut an, du hast das Gefühl, Schmetterlinge im Bauch zu haben. Wenn er bei dir ist, fühlst du dich gut. Wenn er nicht bei dir ist, vermisst du ihn. Aber versuch nicht ständig panisch davon zu laufen.” O zwinkerte, schloss auf und verließ das Bad.
    Ahnte sie etwas?
    Wenige Minuten später saß ich wieder am Frühstückstisch und nahm mir vor, mich zusammen zu reißen. Ich war nie der Mensch gewesen, der sofort in Panik verfiel. Ich wusste wirklich nicht, was im Moment mit mir los war.
    Ich lächelte Tschetan kurz zu. Er erwiderte mein Lächeln und stand dann auf, um seinen Arbeiten nachzugehen.
    Caleb und Bellamy unterhielten sich über ihre Outfits für heute Abend. Beide schienen nicht wirklich preisgeben zu wollen, was sie heute Abend anziehen würden.
    Nach und nach leerte sich der Tisch, während ich mich dazu entschied, Dolly ein wenig unter die Arme zu greifen. Weit kamen wir allerdings nicht, denn Caleb steckte seinen Kopf wieder durch die Tür.
    “Aimee?”, fragte er vorsichtig und wartete auf eine Reaktion meinerseits. “Murphy gehts noch immer dreckig, kannst du ausnahmsweise beim Misten helfen?”
    Ich nickte, sah entschuldigend zu Dolly doch die winkte ab. “Laurence hilft mir immer ein bisschen, ich komm schon klar.”
    Ich folgte Caleb zu den Stallungen und tauschte meine normalen Schuhe gegen ein paar der Arbeitsschuhe, die jeder von uns in der Sattelkammer stehen hatte. Wir gingen zu den hinteren Boxen, bei denen Tschetan schon angefangen hatte. Caleb tippte ihm auf die Schulter, er hörte mal wieder Musik.
    Etwas erschrocken zog er sich die Kopfhörer aus den Ohren und wechselte einen fragenden Blick zwischen uns. “Ich bräuchte dich heute Morgen bei Vandal, wollte mit dem Einreiten anfangen – und da Murphy noch immer nicht zu gebrauchen ist, hab ich Aimee gefragt, ob sie hier zumindest schon mal anfangen kann”, dann meinte er an mich gewandt, “Laurence kommt dir gleich auch helfen.”
    “Na dann, frohes Schaufeln”, Tschetan reichte mir grinsend die Beulengabel. Ich streckte ihm die Zunge raus, als ich nach der Gabel griff und fing an zu schaufeln, als die beiden den Stall verließen und wohl zum Paddockstück von Vandal und Hero gingen.
    Etwa eine halbe Stunde später kam mir Laurence zur Hilfe. Ich war darüber unglaublich froh, wenn so viele Boxen wie heute hatte ich schon lange nicht mehr misten müssen. Als wir fast fertig waren, wandte sich Laurence an mich: “Du kannst gerne gehen, schnapp dir doch Conti und reite noch eine Weile entspannt aus. Die Stute wird sich freuen und dir wird das auch gut tun, nachdem du hier so viel geackert hast.”
    “Puuuh, danke Laurence!” Ich räumte meine Utensilien zur Seite, tauschte meine Schuhe gegen meine Boots und ging zum Paddock, auf dem Conti zusammen mit Witch untergebracht war. Eine halbe Stunde später verließ ich auf Contis Rücken die Ranch.

    Tschetan
    Ich sah sie. Sah, wie sie im zügigen Trab die Ranch verließ. Obwohl ich den Drang verspürte, ihr zu folgen, riss ich mich zusammen. Sie ritt selten allein aus. Tat sie es, wollte sie allein sein. Ich seufzte. Sank im Sattel ein wenig zusammen. Irgendwas hatte sich verändert. War meine mentale Abwesenheit von gestern Abend dafür verantwortlich?
    “HEY!”, ich zuckte zusammen, riss meinen Blick von der weg reitenden Aimee los. Brauchte einen Moment, um wieder im hier zu landen. Ich war auf dem Platz, unter mir eins der Trainingspferde, die Caleb mir zugewiesen hatte. Ein Cayce, der mir in der Mitte des Platzes stehend, Unterricht gab. Ich hatte kurzzeitig völlig den Fokus verloren. Keine Ahnung, was er mir zugerufen hatte. Offenbar war das nicht ganz unbemerkt geblieben. “Wieder bei der Sache?”
    “‘tschuldige.”
    “Du könntest ihr folgen, mhm?”, Cayce zeigte in die Richtung, in die Aimee verschwunden war. Kurz darauf huschte mein Blick in die Richtung. Mit der Faust schlug ich auf das Horn des Sattels.
    “Ich fürchte, ich wäre nicht erwünscht.”
    “Habt ihr euch gestritten?”
    “Glaub mir… wenn ich DAS wüsste.”
    “Manchmal sind Frauen ein seltsames Völkchen", philosophierte Cayce. Ich fragte mich zwar, was er denn bitte von Frauen verstand, aber ehrlich gesagt wusste ich schließlich auch nicht viel mehr.
    “Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass sie vielleicht mehr von dir möchte?”, fragte Cayce plötzlich zu mir. Mein Blick schoss zu ihm hinab. Fast ein bisschen panisch. War mir das bereits in den Sinn gekommen? Aimee? Verliebt in mich? Ich ließ den Gedanken lange in mir nachhallen. Aber dabei spürte ich nichts, als leichtes Unbehagen auf dem Herzen. Welcher Natur dieses Unbehagen entsprang, vermochte ich gar nicht zu sagen.
    “Können wir vielleicht wirklich Ende machen?”
    Izzie unter mir wurde zunehmend unruhiger. Die Stute war noch nicht lang unterm Sattel und langes herumstehen war noch nicht ihre Stärke. Cayce sagte nichts dazu, dass ich seine Frage nicht beantwortet hatte. Kurz war mein Gedanke wirklich Aimee zu folgen. Dann beschloss ich es einfach zu lassen. Sie war am Horizont schon kaum zu sehen. Da Izzie noch ganz nass war, ritt ich im Schritt einmal um die Stutenkoppeln herum.
    Zurück auf der Ranch machte ich die Stute fertig. Putzte über die verkrusteten Stellen im Fell. Dann sah ich auf das Blackboard an der Stallgasse. Dort stand ein Name, den ich bisher noch nicht auf dem Schirm hatte. Da Laurence in der Stallgasse stand brüllte ich zu ihm rüber. “This Bye Bye Bay? Wo find ich den denn?”
    “Ist eigentlich ziemlich auffällig. Arsch ist weiß, ein brauner, breiter Streifen, der über die linke Schulter läuft. Blaue Augen.”
    Wo er den Hengst so beschrieb, kam mir zumindest sein Aussehen bekannt vor. “Drüben bei den Paddockboxen, oder?”
    “Ganz genau.”
    Bevor ich mich auf den Weg dorthin machte, sah ich nochmal auf das Board. Caleb schrieb meist eine Info dahinter, was mit dem jeweiligen Pferd getan werden sollte. Mein Herz machte einen kleinen Sprung >>Ausritt<< stand dort. Tatsächlich war das genau nach meinem Geschmack, nachdem das Training mit Izzie eher unproduktiv gelaufen war. Wenngleich es auch nicht die Schuld der Stute war. Ich zählte noch die Stunden bis zum Abend der Party, sah nochmal auf die Liste. Sah dann auf die Uhr. Eigentlich hatte ich vorgehabt auch Yumni heute noch zu arbeiten. Entschied mich dann aber, es lieber sein zu lassen. Dafür war ich nicht auf der Höhe. Dann wollte ich lieber einen ausgedienten Ausritt mit dem Hengst machen, den man mir zugeteilt hatte. Dann wäre immerhin das Training mit Vandal und Benny gut gelaufen. Der graue Hengst hatte mich heute zum ersten Mal auf seinem Rücken gehabt. Ich war etwas erstaunt gewesen, dass Caleb mir den Vortritt gelassen hatte. Allerdings hatte ich den Hengst in den letzten Tagen schon gut vorbereitet. Jetzt beschloss ich mich aber eher auf den anderen Hengst zu konzentrieren.

    An seiner Box stand nicht nur sein offizieller Name, sondern auch "Benny", da klingelte es tatsächlich bei mir. DER Name war mir schon untergekommen. Der Hengst war noch etwas verhalten, seine Ohren bewegten sich hin und her.
    "Siehst du mich überhaupt?", flüsterte ich leise belustigt. Eine Maske verdeckte das Gesicht des Hengstes. Dieses Jahr waren die Fliegen und Mücken wirklich fies. Allerdings konnte ich mir auch denken, dass er die Maske trug, um vor allem seine pinke Nasen- und Maulpartie vor Sonnenbrand zu bewahren. Tatsächlich trugen daher einige Pferde so eine Maske - viele hatten ein helles Gesicht. Aber nicht alle waren empfindlich. Benny schien einer zu sein. In der Stallgasse würde er sie allerdings nicht brauchen, daher zog ich sie ihm aus dem Gesicht. Er rieb seinen Kopf an meinem Oberkörper, schüttelte dann den Kopf.
    "Na froh, das Ding los zu sein?", murmelte ich, hängte sie vor seine Box und knotete den Hengst davor an. Ich holte sein Zeug, Putzbox, Trense und schnappte mir das Reitpad, das in der Sattelkammer hing. Auf den schweren Sattel hatte ich jetzt keine Lust, da Benny sowieso erstmal wieder Vertrauen fassen sollte. Eine vage Idee, wohin der Ausritt gehen würde, bildete sich in meinem Kopf. Der Mittag war heiß gewesen. Zu einer der tieferen Stellen im Fluss, ruhig genug, um das Pferd hindurch gehen zu lassen, um vielleicht ein wenig zu schwimmen.
    "Mhm? Benny? Was sagst du wohl zu Wasser?"

    Ich ließ mir noch ewig Zeit beim Putzen, sattelte den Hengst. Brav und unkompliziert ließ er sich die Trense überziehen. Mit zwei Schritten als kleinem Anlauf schwang ich mich unkompliziert auf seinen Rücken auf der Gasse. Kurz zuckte er zusammen, blieb aber am losen Zügel brav stehen.
    "Feeeiner Bursche!", lobte ich den jungen Hengst. Beim Verlassen der Stallgasse ritt ich beinahe in Laurence hinein, der gerade mit der Schubkarre in die Gasse wollte.
    "Ausritt?"
    "Ja, Benny hier soll wieder ein wenig mehr Vertrauen in den Reiter bekommen. Ich hab da auch schon so eine Idee", damit zwinkerte ich Laurence zu, ritt dann weiter – ohne seinen verwirrten Blick zu beantworten. Ich freute mich zu sehr auf das kühle Nass, um mich jetzt aufhalten zu lassen.

    Keine 20 Minuten später, außerhalb der Ranch, ritt ich das erste kleine Stück am Fluss entlang. Hier war er allerdings noch zu flach mit vielen großen Felsen. Perfekt, um die andere Seite zu erreichen, aber nicht ganz mein Ziel. Allerdings bot die Wiese hier einen wunderbaren kleinen Pfad. Ich gab Benny hier zum ersten Mal die Möglichkeit, ein wenig die Füße zu strecken. In einem unglaublich großen Satz preschte der Hengst im Galopp davon. Brauchte einige Galoppsprünge, um seine Balance und sein Tempo zu finden. Als er es erst hatte, flog er in einem tollen Kanter über die Ebene. Ich hatte ihn am lockeren Zügel, da ich nicht das Gefühl hatte, er raste mir unter dem Hintern weg. Spornte ihn allerdings auch nicht an. Als Benny deutlich langsamer wurde, gab ich ihm zu verstehen, dass er auch langsamer machen konnte. Von selbst fiel er in den Trab, schnaubte mehrere Male fröhlich ab. Lobend kraulte ich seinen Widerrist. Eine Weile ließ ich ihn noch im Trab, dann hieß ich ihm Schritt gehen. Wir würden bald die Stelle zum Baden erreichen. Dort angekommen, glitt ich von seinem Rücken, befreite den Hengst vom Gurt und Pad, warf mein eigenes Shirt in das Gras. Gefolgt von meinen Shorts. In der Boxer führte ich Benny langsam an das Ufer heran. Ließ ihm Zeit, das Nass zu beobachten. Plätscherte selbst ein wenig darin herum. Dann siegte seine Neugier. Schritt für Schritt folgte er mir. Dann fing auch er an, wild mit einem Fuß das Wasser hinter und unter sich zu schaufeln. Immer weiter ging ich hinein. Bis mir das Wasser bereits zum Bauchnabel ging. Dirigierte Benny etwas tiefer, dann schwang ich mich im Wasser auf seinen Rücken. Hier ließ sich der Hengst gar nicht beirren.
    "Na? Wasserratte, ja?", lachte ich. Tiefer hinein ging der Hengst unter meinem Kommando, bis seine Füße die Erde unter sich verloren. Flux ließ ich mich von seinem Rücken gleiten, schwamm auf der Stelle, während Benny erschrocken eine kleine Runde um mich herum machte. Als seine Hufe wieder Boden hatten, schüttelte er den großen Kopf, schnaubte. Leise lockte ich ihn wieder zu mir.
    "Na komm schon Bursche, trau dich." Ich schwamm, bis die Zügel leichten Zug gaben. Erst schien Benny etwas starr, gerade als ich wieder zurück wollte, gab er sich einen Ruck und verließ noch einmal den sicheren Boden. Ich gab mir Mühe, die Zügel nicht zu nutzen, um seinen Kopf beim Dirigieren nicht unter das Wasser zu ziehen. Dieses Mal machte der Hengst kräftige Züge hinter mir her, ehe er das andere Ufer erreichte. Begeistert streichelte ich über seinen nassen Leib.

    Aimee
    Ich war schon eine ganze Weile mit Conti unterwegs. Nachdem ich quasi im Trab von der Ranch geflüchtet und mir zunächst sehnlichst einen Ausreitpartner gewünscht hatte, war ich froh, nun alleine zu sein. Die sensible Stute spürte immer sofort, wenn es mir mal nicht ganz so gut ging, und passte ihr Verhalten dem Meinen an. Heute meinte sie es wirklich gut mit mir. Trittsicher setzte sie einen Huf vor den Anderen.
    Ich konnte noch immer kaum glauben, dass die Stute einmal ganz vernachlässigt beim Horse Makeover dabei gewesen war und dass aus ihr nun ein so tolles Pferd geworden war!
    Wie um meine Gedanken zu bestätigen, schnaubte Conti ab und fiel aus dem Galopp in einen lockeren Trab, den ich wirklich gut aussitzen konnte. Man merkte ihr an, dass da schon einiges in Training drin steckte.
    Aus dem Trab parierte ich sie an der Waldgrenze zum Stand durch und genoss die leichte Brise, die durch mein Haar wehte. Etwas verwundert strich ich mir einmal hindurch. Losgeritten war ich mit einem Haargummi, der meine braun-rötlichen Haare zu einem Zopf zusammengefasst hatte. Unterwegs schien ich ihn verloren zu haben, vielleicht bei unserem letzten Galopp?
    “Na komm, Conti. Lass uns hier weiterreiten”, murmelte ich der Stute leise zu und strich ihr einmal über den verschwitzten Hals. Wir setzten uns in Bewegung und hielten uns im gemütlichen Schritt im Schatten der Waldgrenze auf.
    Plötzlich blieb die Stute stehen, zog einmal scharf die Luft ein und drehte sich halb nach hinten um.
    “Ich habs auch gehört”, sagte ich leise und drehte die Stute einmal komplett. “Da ist etwas ins Wasser gesprungen, hört sich nach etwas Großem an.” Meine Stimme zitterte ein wenig. Hier gab es nicht nur Elche und andere harmlose große Tiere, sondern auch Wölfe und Bären.
    Auch wenn ich noch nie in eine brenzlige Situation mit den Raubtieren gekommen war, waren sie mir nicht ganz unbekannt.
    Ich versuchte, die Stute abzuwenden und den Weg, den wir eigentlich vorhin hatten gehen wollen, weiterzureiten, doch Conti schien andere Pläne zu haben. Ohne mit der Wimper zu zucken, marschierte sie los – in Richtung des Flusses!
    “Conti, wir können da nicht hin! Was, wenn es ein Wolf ist? Oder ein Bär? Oder ein Elch?” Keinem dieser Tiere wollte ich auf dem Rücken der kleinen Stute begegnen. Im Notfall konnten wir zwar weg galoppieren, aber ob wir das gemeinsam taten, dem war ich mir nicht so sicher. So gut war das Band zwischen uns beiden noch nicht.
    Wir ritten also weiter. In die Richtung, die uns die Stute vorgab. Hoffentlich geht das gut, dachte ich, ehe sie abrupt stehen blieb und laut wieherte. Als sie Antwort bekam, war ich mir fast sicher, dass es eines der Pferde von Bow River sein musste!
    Ich entspannte mich sichtlich. Das merkte die Fuchsstute unter mir auch, so dass sie sich nun von mir im lockeren Trab aufs Wasser zu bewegen ließ.
    Von weitem erkannte ich den neuen Hengst von Caleb. Wer da allerdings mit ihm im Wasser war, erkannte ich auf diese Entfernung noch nicht.
    Als ich näher kam und die Person im Wasser schärfer wurde, konnte es nur einer sein: Tschetan.
    ‘Aber versuch nicht ständig panisch weg zu laufen’, hallten Os Worte von heute morgen in meinem Kopf wieder. Okay, ich laufe nicht davon. Diesen Entschluss fasste ich mit all meinem Mut, galoppierte Conti an und ritt auf die beiden im Wasser plantschenden zu.
    Ein paar Meter vor ihnen parierte ich zum Schritt durch, setzte ein Lächeln auf und rief ihnen zu: “Das sieht mir aber nach Spaß aus und nicht nach Arbeit!”
    Tschetan grinste mich etwas verhalten an. “Heute ist so ein schöner Tag, wer möchte da schon viel arbeiten?”
    Bei ihm angekommen hielt ich an und schmunzelte. “Jaja, du hast leicht reden. Ich durfte deine Boxen misten! Was eine scheiß Arbeit.”
    Nun lachte Tschetan. So herzlich, dass mir nichts anderes übrig blieb, als in sein Lachen einzustimmen. “Ich habe zwar dafür das erste Mal auf Vandal gesessen – aber das unter Calebs Adleraugen. Und dann hatte ich Reitstunde bei Cayce!” Er klatschte sich mit der Hand an die Stirn.
    “Dann hab ich doch lieber Boxen gemistet.” Ich zuckte mit den Schultern und trieb Conti bis zum Ufer des Sees, damit sie ein wenig trinken konnte.
    “Komm doch auch rein, Benny hier weiß sich zu benehmen.”
    Ich schluckte, gab ihm nicht sofort eine Antwort. Plötzlich war es mir unglaublich unangenehm, mich vor Tschetan auszuziehen. Wie oft waren wir zusammen in der heißen Quelle gewesen, die er gefunden hatte? Wie oft hatte ich mich da vor ihm und den anderen ausgezogen. Klar, da hatte ich einen Bikini an – aber unangenehm war es mir kein einziges Mal gewesen.
    Tschetan schien mein Zögern falsch zu deuten und sagte: “Ich kann dir gerne beim Absatteln helfen…”
    Lauf nicht weg… ich sah wieder zu ihm hoch. “Warum nicht”, war meine knappe aber freundliche Antwort. Durch aufnehmen der Zügel ging Conti ein paar Schritte rückwärts, so dass ich trockenen Fußes von ihrem Rücken springen konnte. Ich öffnete den Sattelgurt, hievte Sattel und Pad von ihrem Rücken, stellte ihn auf den Boden und ließ die Stute ein wenig grasen, während ich mich auszog.
    Aus dem Augenwinkel sah ich Tschetan, wie er sich abwandte und dem Hengst widmete.
    Meine Schuhe, Socken und die Hose landeten schnell auf dem Sattel. Beim Shirt zögerte ich kurz, zog es dann jedoch über den Kopf und legte es ebenfalls auf den Sattel, damit ich später alles beisammen hatte.
    Mit einem Arm über den Augen, um sie ein wenig von der Sonne abzuschirmen, schaute ich aufs Wasser. Tschetan war ein Stück mit dem Hengst zur Seite geschwommen, um mir Platz zu machen, damit wir reingehen konnten.
    Vorsichtigen Fußes, ich hatte ja keine Schuhe mehr an und konnte auf blaue Zehen verzichten, ging ich mit der Stute zum Ufer. Während ich Schritt für Schritt ins Wasser watete, wurde der Druck auf dem Zügel immer größer. “Oh…”, stellte ich mit einem Umdrehen fest, “ich hab keine Ahnung, ob die ins Wasser geht.”
    Tschetan machte Anstalten, um mir zur Hilfe zu kommen. Ich gab ihm jedoch mit einem Handzeichen zu verstehen, mich selbst machen zu lassen. Mir war durchaus bewusst, dass er ein besonderes Händchen für Pferde hatte. Das hier wollte ich allerdings alleine schaffen.
    “Die ist im Trail ziemlich weit trainiert, eigentlich müsste die Wasser kennen”, warf Tschetan von der Seite ein. Ich nickte ihm dankend zu. Das half mir schon weiter.
    Ich ging wieder auf die zu, nahm die Zügel ein wenig kürzer und ging neu mit ihr an. Dieses Mal folgte sie mir, bis sie mit drei Beinen im Wasser stand. Mit dem letzten Huf berührte sie noch das Gras am Ufer. “Manchmal bist du wirklich eine Diva.”
    Kaum hatte ich diesen Satz ausgesprochen, stieß sie sich mit dem Hinterbein ab und machte einen riesen Satz ins Wasser – mich hinter sich herziehend.
    Da ich die Zügel nicht loslassen wollte, klatschte ich der Länge nach in den Fluss und wurde ein wenig hinterher gezogen, bevor die Stute laut prustend stehen blieb. Schneller, als ich es überhaupt realisieren konnte, spürte ich eine Hand an meiner Seite, die mich auf die Beine zog und mir die nassen Haare aus dem Gesicht strich. Völlig perplex starrte ich von der schnaufenden Stute zum schweigsamen Tschetan.
    “Also manchmal…”, sagte ich kopfschüttelnd und fing an zu lachen, “danke fürs Retten.” Damit schlug ich Tschetan leicht gegen den Arm – so wie ich es oft machte. Er schob sich einen seiner Zöpfe von der Brust auf den Rücken und schaute nach Benny, den er ganz perplex einfach hatte stehen lassen.
    Während Tschetan weg schaute, musterte ich ihn. Das Wasser stand uns bis zur Hüfte, gab so nur seinen halben Körper preis und… dann schaute er mich an. Er sah mir direkt in die Augen, während ich so dastand und seinen Körper anstarrte. Von all den peinlichen Aktionen der letzten Tage, war dies die peinlichste.
    Er räusperte sich, zeigte mit den Lippen in meine Richtung. Eine seltsame Geste an die ich mich erst hatte gewöhnen müssen. Dann grinste er halb verschmitzt. “Gefällt dir was du siehst?”
    “Ach du!”, ich boxte ihm gegen die Schulter. Dann ging er nur kopfschüttelnd lächelnd, den Hengst wieder einsammeln. Plötzlich spürte ich das peinliche Gefühl, sich in Wohlgefallen auflösen. Vielleicht hatte O’ Recht - nicht zu viel darüber nachdenken.

    Tschetan
    Mit dem Hengst am Zügel kam ich ihr wieder näher. “Wollen wir gemeinsam zurück?”
    “Wenn du nichts dagegen hast”, ich spähte zum anderen Ufer hinüber. Dort lagen meine Klamotten und die Sachen von Benny. “Ich muss nur rüber. Etwas weiter auf dem Rückweg ist der Fluss wieder flach genug, damit Conti und du ihn durchqueren könnt. Auf der anderen Seite ist der Rückweg weniger weit. Langsam müssen wir uns wohl sputen.”
    “Dein Ernst? Ich bin doch wohl nicht für 1x lang legen ins Wasser gekommen. Dann hab ich lieber weniger Zeit später!”, spottete Aimee in meine Richtung.
    Ich zuckte die Schultern. “Ich hab ja nur an eure Haare und das Make-Up gedacht”, stichelte ich. Dann drehte ich mich um, fand Aimee nah vor mir. Sie griff mit beiden Fäusten nach den Enden meiner Zöpfe, ihre Augen blitzten, als sie kräftig daran zog.
    “Dir ist schon klar, dass DEINE Flussen deutlich länger sind als meine?”
    “Pfft, aber ich muss die nicht noch ewig frisieren!”
    “Würde dir aber gut tun!”
    “Ah ja?”
    “Bisschen anders könntest du sie heute schon noch machen”, sie zuckte mit den Schultern, ließ eine der Zopfenden zurück auf meine Brust fallen und hielt das andere Ende in den schlanken Fingern. Fast ein wenig nachdenklich. Ihre Lider sahen aus meiner Perspektive halb geschlossen aus, denn ich war sicherlich einen Kopf größer als Aimee. Sie war diejenige, die mir gezeigt hatte, mehr als nur einen Pferdeschwanz mit meinen Haaren zu machen.
    “Woran hast du gedacht?”, sprach ich in gedämpfter Stille, denn Aimee schien in Gedanken grad woanders.
    “Vielleicht eine Mischung aus Fischgrät und Französisch?”, da sah sie zu mir auf. Ich zog eine Augenbraue nach oben. Unter dem Begriff Fischgrät konnte ich mir nichts vorstellen. Ihr stechend grüner Blick bohrte sich in meinen.
    “Fischgrät?”
    Aimee winkte ab, ließ den Zopf fallen. “Muss ich dir mal wann anders zeigen.”
    Noch während ihrer Worte, noch während der nasse Zopf klatschend auf meine Brust fiel,
    trat sie wieder weiter von mir weg. Tief atmete ich ein. Mir erst jetzt wirklich bewusst, wie flach ich geatmet hatte, während sie mir so nah gewesen war. Zitterte mein Atem da etwa, als ich einatmete? Unwillkürlich trat ich auch einen Schritt nach hinten, stieß mit dem Rücken allerdings in die Flanke von Benny, der noch immer brav bis zum Bauch im Wasser stand. Ich drehte mich langsam zu dem Hengst um. Sein Blick aus blauen Augen, gespitzten Ohren richtete sich auf mich. Ich flüsterte ihm leise Worte auf Lakota zu. Das war… nicht ganz neu. Das hier ähnelte dem Gefühl, das mich nach meinen Träumen beschlich. Ich konnte nicht festmachen, was es war. Nur die vage Ahnung.

    Jeder von uns beschäftigte sich ein wenig mit seinem Pferd. Wir schwangen uns auf den Rücken der Pferde, ließen sie ein wenig im Wasser herumlaufen bis hin zu den Stellen, an denen wieder große Steine aus dem Wasser ragten und die Strömung zu schnell wurde. “Nicht zu weit”, warnte ich Aimee. Ein Seitenblick ging auf ihre Armbanduhr. “Lass uns zurück zum Sattel. So langsam sollte die Sonne uns wieder trocknen, dann müssen wir zurück. Bevor sich noch jemand Sorgen macht.”
    Wir führten also beide Pferde aus dem Wasser. Ich band Benny an einem der knorrigen Äste mit dem Zügel fest – nicht gänzlich optimal. Allerdings hatte ich auch nicht vor, Caleb vielleicht ein ungewolltes Fohlen zu erklären. Conti zeigte kein größeres Interesse an Benny. Daher nahm Aimee ihr das Zaumzeug einfach ab und ließ sie grasen. Dann knüllte sie ihre Sachen zusammen, legte sie auf die Sitzfläche des Sattels und legte sich mit dem Kopf darauf in die Sonne.
    "Ich schwimm nochmal rüber, hol die Sachen von mir auf diese Seite. Dann muss ich später nicht den nassen Benny satteln."
    "Mhm", seufzte Aimee mit geschlossenen Lidern. Ich warf noch einen Blick auf die Pferde – ob Conti Abstand wahrte. Dann watete ich nochmal ins kühle Nass, schwamm die wenigen Züge tieferen Wassers hinüber. Klaubte dann alle Sachen auf, war jedoch gezwungen, etwa 50 Meter den Fluss hinauf zu laufen, um zumindest nicht schwimmen zu müssen. Im aufgewühlten Wasser suchte ich auf den glitschigen Steinen einen Weg voran. Ich wollte kurz vor der Party nicht in eine Felsspalt rutschen. Aimee schien mein Herannahen nicht zu bemerken. Schlief sie etwa? Sie hatte ihre Hände hinter dem Kopf verschränkt, die Augen geschlossen. Leichte feuchte auf ihrem Körper. Gänsehaut auf ihrem Bauch. Ich konnte nicht umhin, die Brustwarzen zu bemerken, die sich durch den Stoff ihres nassen BH's abzeichneten. Scheu sah ich woanders hin, froh, dass sie meinen Blick nicht bemerkt hatte. Vorhin hatte ich sie noch aufgezogen, aber eigentlich hatte ich eine Unsicherheit damit verstecken wollen. Plötzlich war etwas anders. Etwas, das ich bisher noch nie benannt hatte. Etwas, das ich bewusst nach ganz außen in meine Gedankenwelt verbannt hatte. Neben dem Sattel legte ich vorsichtig meine Sachen und das Pad in das Gras, ehe ich mich selbst neben Aimee auf den Boden niederließ. Aufgestützt auf einem Arm sah ich Aimee an. Deren Augen sich geöffnet hatten, während ich mich dazu legte. "Ich liebe den Sommer. Meinetwegen könnten mehr Tage so wie heute sein."
    "Du machst also gern meine Boxen, fein dann ma..", sie klatschte mit der Hand diffus in meine Richtung, erwischte dabei fast mein Handgelenk und ich fing es mit der freien Hand ab.
    “Hey!” protestierte ich leise. Sie streckte mir ihre Zunge heraus. Eine Geste, wie sie oft zwischen uns geschah. Aus dem Reflex heraus drehte mein Körper, mein Kopf schoss. Zwischen uns hallte das Geräusch von Zähnen auf Zähnen, in meiner Kehle ein gespieltes Grollen.
    Doch… ich stockte. Spürte wie sich ihr Körper versteifte, merkte den noch etwas erschreckten Ausdruck in ihrem Gesicht. Auch ich selbst war erschrocken. Normalerweise geschah dies im Spiel mit Kaya, aber nicht mit Aimee. Niemals. Unterschwellig. Da war es wieder, dieses Gefühl, mein flacher Atem.
    War das der Schreck der Erkenntnis?
    Oder? War es das?
    War es das, was Ylvi und Caleb immer wieder zueinander zog?
    Grüne Augen fixierten die meinen. Dann gab ich dem Gefühl einfach nach, beugte mich vor, küsste Aimee scheu auf die Lippen. Ich wusste nicht wie man küsste, legte meine Lippen nur auf ihre Oberlippe, löste sie nur einige Millimeter, rückte nach unten und küsste genauso scheu ihre Unterlippe. In dem Bruchteil dieser Sekunden, spürte ich wie die Anspannung in Aimees Körper etwas wich, ihre Muskulatur wurde weicher. Ich fühlte mich plötzlich ganz schwindelig. Der Kuss war eine ganz neue Erkenntniswelt für mich, zog mich an, verwirrte mich und stieß mich zugleich ab.

    Aimee
    Gerade noch hatten wir herumgealbert, plötzlich lagen seine Lippen auf den Meinen. Er küsste mich zart, gar schüchtern und zögerlich. Die riesige Last, die mich die letzten Tage und Wochen gequält hatte, fiel von meinen Schultern. Die Schmetterlinge in meinem Bauch allerdings… stoben wild auseinander, schienen sich fast einen Weg nach außen zu suchen, während ich mich Tschetan leicht entgegen lehnte.
    Ich spürte sein kurzes Zögern. Er wich für den Bruchteil einer Sekunde aus, doch ich lehnte mich leicht nach vorne, so dass sie unsere Lippen erneut berührten.
    Ich merkte schnell, dass ich die Führung übernahm. Zwar hatte ich keine Erfahrung im Jungs-küssen, doch meine beste Freundin und Katie hatten vor einem Schulball zusammen geübt – man wusste ja nie! Auch wenn ich zu Beginn unserer Übungen der festen Überzeugung war, dass Küssen doch nicht so schwer sein konnte, überzeugte mich Katie eines besseren. Küssen war schwierig. Es machte einen riesen Unterschied, ob die Gefühle mitspielten. Bei Katie und mir waren es kurze Schmatzer gewesen, suchend nach der richtigen Position unserer Köpfe. Beim ersten Versuch waren wir mit der Stirn gegeneinander geknallt – beim Zweiten mit den Nasen, bis wir uns einige waren, wer den Kopf wohin drehen sollte. Beim dritten, vierten, fünften Versuch hörten wir so langsam auf zu kichern und dann? Dann war Katies jüngerer Bruder reingeplatzt, der nicht damit umzugehen wusste, was er dort sah. Natürlich rannte er sofort zu Katies Eltern und verpetzte uns, so dass wir wenig später in der Küche sitzen und uns erklären mussten. Katies Vater sah unsere Aktion locker, belächelte uns mit einer abwinkenden Geste. Katies Mutter allerdings bauschte das Ganze auf und machte ein riesen Drama draus, so dass ich meine beste Freundin zwei Wochen nicht besuchen durfte.
    Als sie sich wieder beruhigt und Gras über die Sache gewachsen war, kam Katie eben öfter zu mir zu Besuch, als dass ich mit ihr nach Hause ging.
    Ich rief mir in Erinnerung, wie die Küsse mit Katie verlaufen waren. Etwas selbstbewusster als Tschetan eben drückte ich meine Lippen auf die Seinen, lehnte meine Stirn gegen seine und unterbrach so den Kuss, ehe meine Lippen seinen Mund erneut berührten.
    Das Flattern in meinem Bauch ließ nach, ich lehnte mich ein wenig nach hinten, öffnete die Augen und schaute in die Seinen. Was ich darin las, war unergründlich.
    Ich lächelte ihn schüchtern an.
    Tschetan erwiderte das Lächeln, sah dann jedoch zu Boden, um mich kurz darauf erneut anzusehen.
    Niemand von uns sagte ein Wort, unser Atem ging kurz und stoßweise.
    Fühlte es sich so an? Verliebt sein?
    Aber was passierte nach dem ersten Kuss? Beide ritten gemeinsam in den Sonnenuntergang?
    Ich hielt die Spannung zwischen uns nicht mehr aus, sodass ich plump sagte: “Hab geübt. Mit meiner besten Freundin… eine Zeit bevor wir umgezogen sind.”
    Tschetan starrte mich kurz mit gerunzelten Augenbrauen an, ehe er lachte. “Ich habs gemerkt”, dabei sah er auf die Uhr, “wir sollten nun wirklich zurück.”
    Die Sonne hatte uns weitestgehend getrocknet, sodass wir uns anzogen, die Pferde sattelten und uns auf den Rückweg machten.
    Tschetan hatte recht behalten: nachdem wir den Fluss an einer flachen Stelle überquert hatten, kamen wir viel schneller wieder auf Bow River an, als wenn wir auf meiner Seite geblieben wären.
    Nach dem Versorgen der Pferde zögerte ich. Tschetan stand mit dem Rücken zu mir an Bennys Box und sah dem Hengst beim Fressen seines Kraftfutters zu. Sollte ich zu ihm gehen und ihn erneut küssen? Oder den Arm um ihn legen? Was, wenn uns jemand sah, wollte ich das?
    Wieder hörte ich O’s Worte in meinem Kopf. Also atmete ich einmal tief durch, straffte die Schultern und stellte mich neben ihn, nahm seine Hand in die Meine und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.
    Ich merkte, wie sich kurz Tschetan versteifte. Dann allerdings drückte er meine Hand und lehnte seinen Kopf an den Meinen.
    Wir standen eine ganze Weile so da, jeder in Gedanken.
    Als es hinter uns plötzlich rumpelte, fuhren wir beide erschrocken herum – sahen jedoch nur noch den Schwanz einer Katze aus der Stalltür huschen, die einen der Eimer umgeworfen hatte.
    Unsere Hände lösten sich voneinander und ein jeder machte reflexartig einen Schritt zur Seite. Gerade als ich etwas sagen wollte, betrat O ziemlich gestresst den Stall. “Herrgott hier bist du! Aimee, los jetzt! Dolly kann nicht zaubern, du musst schon vor ihr sitzen, wenn sie deine Haare machen soll – und überhaupt, du stinkst nach Pferd und… geh duschen! Tschetan du auch, was habt ihr zwei denn getrieben?!”
    Etwas schuldbewusst schielte ich zu ihm rüber. Tschetan allerdings setzte ein Grinsen auf und antwortete O ziemlich gerissen: “Ausreiten und schwimmen, hast du das schöne Wetter nicht für… schöne Dinge genutzt?”
    O starrte ihn an. “Abmarsch!”
    Tschetan grinste mich an, zuckte dann die Schultern und verließ den Stall in Richtung des Haupthauses. O’s und mein Weg führte mich in Richtung der Bungalows.

    Eine dreiviertel Stunde später saß ich mit halb geföhnten Haaren im Wohnzimmer des Haupthauses, in dem Dolly abwechselnd etwas an meinen, O’s und Ylvis Haaren werkelte. Geschminkt wurden wir alle von O, die sich in keinem Punkt zurücknahm – bis zum heutigen Tag war mir nicht bewusst, wie viel Schminke man auf einem Gesicht stapeln konnte. Ylvi schien genauso wenig davon begeistert wie ich, protestierte aber ebenfalls nicht.
    Trotz dessen, dass sich mein Gesicht anfühlte, als hätte O zum Schminken einen Spachtel benutzt, überschütteten die drei anderen Frauen im Raum mich mit Komplimenten.
    Dem nicht genug! Auch Ylvi und O selbst konnten sich kaum vor Komplimenten retten – auch nicht vor Laurence, der seit geraumer Zeit in einem der Sessel vor dem Kamin saß und Dolly bei der Arbeit zuschaute.
    “Ich weiß gar nicht, wer denn jetzt wirklich alles mitkommt”, warf ich irgendwann in den Raum und hielt eine Haarsträhne fest, die Dolly mir ins Gesicht gekämmt hatte.
    Ylvi pustete sich eine Wimper von der Nase, die vor O’s Wimperntusche reißaus genommen hatte, ehe sie antwortete: “Wir drei. Tschetan, Caleb und Bellamy… Letzterer springt für Murphy ein.”
    “Wieso kommt ihr eigentlich nicht mit?”, fragte O dann an Dolly gewandt.
    Sie tauschten einen Blick aus, ehe Dolly schlicht antwortete: “Wir bevorzugen einen ruhigen Abend hier auf der Ranch.”
    “Hat sie gerade WIR gesagt?!”, formte O fast lautlos in Ylvis und meine Richtung.
    Ich kicherte, konnte sie aber auch verstehen. “Also ich freue mich wirklich darauf, Nicholas zu sehen. Der war gefühlt ewig nicht mehr hier gewesen!”
    “Ich freu mich auf Eric und Trevor”, warf O ein und betrachtete das Werk, welches sie auf Ylvis Gesicht gezaubert hatte. Smoky Eyes vom Feinsten, dazu ein roter Kussmund.
    “Egal was du heute Abend mit den Lippen berührst, Ylvi – überall hinterlässt du deine Spuren”, stichelte O.
    “Hat sie grade nicht gesagt…”, prustete jemand hinter uns los. Ich drehte mich um und sah Bellamy im Türrahmen stehen. Er trug einen wirklich schicken Anzug, seine Schuhe funkelten auf Hochglanz.
    “Gut siehst du aus”, schlussfolgerte O, nachdem sie ihn von oben bis unten gemustert hatte. Auch ich scannte ihn einmal von Kopf bis Fuß. Gut sah er aus, das musste man ihm schon lassen.
    Dolly war da allerdings anderer Meinung. Sie blickte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an. “Tze, tze, tze. Bellamy so kannst du deine Haare aber nicht lassen. Komm, setz dich hier her.” Dolly schubste mich unsanft vom Stuhl. Mein protestierendes ‘Hey’ überging sie mit einer abwinkenden Geste und einem: “Dauert nicht lange.”
    Bellamy nahm Platz, Dolly schnappte sich die Geldose und fuhr mit den Fingern hindurch, ehe sie sich an Bellamys Haaren zu schaffen machte. Seine dunkelbraunen Locken standen in alle Richtungen.
    Als Dolly mit ihm fertig war, stand keine mehr in eine falsche Richtung ab. “Und jetzt runter da, Aimee braucht weiter meine Hilfe.”
    Bellamy sprang vom Stuhl und leistete Laurence Gesellschaft, indem er sich auf die Couch neben dem Sessel setzte.
    Dolly brachte ihr Werk an meinen Haaren zu Ende, ehe sie sich für einen letzten Schliff denen von Ylvi widmete.
    Schließlich gingen wir, einer nach dem anderen, ins Bad und zogen uns Kleider und Schuhe an.
    Als wir wieder zurück ins Wohnzimmer kamen, standen Caleb und Tschetan bereits darin, die sich langsam zu uns umdrehten.
    Calebs Blick, so kam es mir aus dem Augenwinkel vor, lag mit einem ‘Wow’ nur auf Ylvi – wer hätte es gedacht. Tschetan sah mit einem neutralen Blick zu O. Als er Ylvi anschaute, weiteten sich seine Augen ein wenig, ehe er mich mit einem sanften Lächeln anschaute. “Du… ihr… seht unglaublich aus.”
    Ylvi machte einen forschen Schritt auf Caleb zu. “Glamourös siehst du aber nicht wirklich aus.”
    Calebs Mundwinkel zuckten nach oben. Mit seinem süffisanten Grinsen zog er etwas hinter seinem Rücken hervor und setzte es sich auf den Kopf. Es war ein schwarzer Cowboyhut, dessen Band mit roten und silbernen Glitzersteinen verziert war. Ansonsten trug er nur ein schwarzes, eng anliegendes Tank Top, eine schwarze Jeans und – natürlich passend dazu, schwarze Boots.
    “Damit hast du dich aber wirklich ins Zeug gelegt”, meinte O leichtfertig und fuhr einmal an den glitzernden Steinen entlang.
    “Ich hab die selbst geklebt”, verkündete er stolz.
    Bei all der Aufmerksamkeit, die wir gerade Caleb widmeten, entging mir Tschetans besorgter Blick in Ylvis Richtung allerdings nicht. Als er merkte, dass ich ihn ansah, setzte er ein gequältes Lächeln auf. Ich wusste genau, was in ihm vorging – zumindest was das Ylvi & Caleb Thema betraf. Was uns betraf? Da hatte ich keinen blassen Schimmer.

    Tschetan
    In meinem Zimmer sah ich auf die Sachen, die ich mir zusammengesucht hatte. Für die Party hatte ich mich sowohl am Schrank von Bellamy als auch von Louis bedienen dürfen. Dolly hatte alles ordentlich gebügelt. Allerdings kümmerte ich mich erst einmal darum, Schweiß, Flusswasser und Pferdegeruch vom Körper und aus meinen Haaren zu kriegen. Mit dem Föhn brauchte ich eine halbe Ewigkeit, bis sie nur noch leicht klamm waren. Ein wenig erstaunt stand ich vor dem Spiegel meines Schrankes. Ich hatte meine Haare ewig nicht offen gesehen. In schwarzen Wellen fielen sie mir bis fast zu meinem Bauchnabel! Mit neuen Socken und Shorts zog ich mir die Hose an, der Stoff war seltsam. Nicht direkt Jeans und auch nicht ganz der dünne von Anzügen. Allerdings passte sie mir mit einem schmalen Gürtel ziemlich perfekt. Mit dem weißen Hemd brauchte ich ein wenig länger, um die ganzen fizzeligen Knöpfe zu verschließen. Eine dunkelblaue Jacke passend zur Hose gehörte auch dazu, allerdings legte ich mir die nur leicht um die Schultern. Mir war jetzt schon viel zu warm. Unsicher stand ich mit der Krawatte da, die beim Hochheben der Jacke zu Boden gefallen war. Da musste ich Bellamy fragen, wie das Teil ging… oder Laurence.

    Mit Boots in der Hand fand ich mich mit dem Pulk an Leuten, die dort schon den Weg blockierten, im Wohnzimmer ein und hörte das Schnattern der Frauen aus einem der Bäder. Bellamy erwischte ich auf dem Flur.
    “He!”, zischte ich, tippte ihm auf die Schultern. Hielt dann die Krawatte nach oben. “Mit dem Ding komm ich nicht klar.”
    Bellamy grinste, klaubte mir den Fetzen Stoff aus der Hand. Ich hob meine Haare an, um sie aus dem Weg waren. Einem Impuls folgend hatte ich sie einfach offen gelassen. In meiner Hosentasche hatte ich jedoch ein Zopfgummi, um einen Dutt zu machen, falls mir die Haare doch auf den Geist gehen würden. Bellamy band mir die Krawatte um, positionierte den Knoten allerdings locker vor meinem Sternum. Im Flur lugte ich nochmal in den Spiegel. Irgendwie war ich mir fast fremd, aber irgendwie gefiel ich mir auch. Im Wohnzimmer bekam ich nur die Hälfte der Gespräche mit. Schließlich kamen die Frauen aus dem Bad zurück, ich hörte sie gerade die Treppe hinunter laufen.

    Ich war völlig angetan von den Kleidern, Frisuren und dem Make-up der Frauen. Erleichterung dabei, dass Ylvi ein anderes Kleid gewählt hatte. Auch wenn die Korsage ihr Dekoltee gefährlich offenbarte. Gegen O’ und Ylvi wirkte das Kleid von Aimee beinahe altruistisch, trotzdem konnte ich mir ein mildes Lächeln in ihre Richtung nicht verkneifen. Wunderschön sah sie noch immer aus.
    Calebs Hut sorgte für Aufregung. Aha, dafür hatte ich ihm also die Glitzersteine aus Calgary mitbringen sollen. In meinem Kopf blitze ein Bild von Caleb mit Pinzette auf, wie er eifrig Steinchen klebte. Doch ich kam nicht umhin zu bemerken, wie sein Blick lange auf Ylvi hängen blieb. Mit ihm als ihr Wächter müsste ich mir keine Sorgen machen. Trotzdem… ich dachte an mein eigenes unbedachtes Handeln, als ich Aimee geküsst hatte. Leidenschaft. Das war das Wort, was ich gebraucht hatte zu definieren. Leidenschaft war ein gefährliches Gefühl, es ließ einen über seinen Verstand handeln. Bemitleide ich mich gerade selbst? Oder Aimee? Oder bemitleidete ich Ylvi? Ich seufzte tief in mich hinein. Die nächste Zeit, das spürte ich, würde interessant werden.

    Die Rückbank des Wagens teilte ich mir später mit O’ und Aimee. Eng zusammengepfercht hockten wir da, versuchten die Schlaglöcher des Wagens auszugleichen. Aimees nackter Oberschenkel am meinem war mir zu allzu bewusst. Außerdem ruhte ihre Hand in der klitzekleinen Lücke zwischen uns, unsere Hände ineinander verschlungen. Die Aufregung spürte ich wieder, wollte am liebsten meine Hand wegziehen. Nicht angeekelt. Aber wegziehen. Meine Gedanken huschten zurück zum Fluss und unseren Küssen. Ihre Worte hatten mich erstaunt. Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, das Mädchen übten, wie man küsste. Ich hatte fest damit gerechnet, dass Aimee bereits Erfahrungen mit Bryce gesammelt hatte. Da war ich nun tatsächlich der erste Junge, den sie geküsst hatte? Vermutlich würde ich Lügen, wenn mich dieser Gedanke nicht ein wenig stolz machte.
    Dann schwang mein Gedankenkarussell weiter zu meinen Freunden, zu Nicholas. Küssen zu üben. Mit ihnen? Ich spürte wie sich mir unweigerlich die Haare aufstellten bei dem Gedanken Nicholas zu küssen. Trotzdem.
    Der Kuss… die Küsse. Die ganze Situation. Es änderte alles. Ich hatte Angst davor. Ein für alle Mal war ich meinen Gefühlen gefolgt. Gefühlen, Emotionen, die ich bisher nicht verspürt hatte. Nicht in Aimees Richtung. Es verwirrte mich so sehr. Meine Unsicherheit stellte ein Problem dar.
    Aimee hingegen schien sich sicherer. Sie hatte sich an mich gelehnt in der Stallgasse. Hielt auch jetzt im Auto, verborgen vor den anderen meine Hand. In diesem Moment und auch jetzt schrie mein ganzer Organismus quasi nach Flucht. Ich wollte gerade nicht hier sein. Nicht fühlen. Nicht existieren. Was beim Schöpfer hab ich mir eigentlich dabei gedacht, Aimee zu küssen?! Vollkommen hirnverbrandt. Ich hatte unsere gesamte Freundschaft aufs Spiel gesetzt, für einige Sekunden puren, vergänglichen Glücks. Ich sah doch schließlich, wohin es Ylvi führte. Trotz allem behielt ich meine Hand, wo sie sich befand. Genoss unseren Körperkontakt und spürte, wie meine Laune stieg. Ein Empfinden stieg in mir auf, das ich bisher nicht gekannt hatte. Bei der Ankunft, als wir uns alle wieder aus dem Auto befreiten. Da vermisste ich dieses Gefühl. Ein Sehnen in der Mitte meines Brustbeins, etwas, das schien mir eben jenes auseinander zu reißen.
    211018 Zeichen von Ravenna & Veija​
  3. Noise in the silence
    Zeitliche Einordnung: Mai 2021
    April 2022, by Ravenna & Veija
    Tschetan
    Ich streckte meinen Körper Seesternartig aus, drehte mich dann auf die Seite, um mein Handy zu erreichen. Dabei zuckte ich zusammen - ich zog mir selbst an den Haaren. Der Wecker zeigte gerade 5 Uhr an. Mir missfiel das einerseits. Andererseits richtete ich mich auf, nachdem ich den Wecker aus und meine Haare befreit hatte. Mit den Händen strich ich mir über das Gesicht, klatschte die Hände gegen meine Wangen, um die Müdigkeit aus mir heraus zu bekommen. Anschließend rollte ich über das Bett, um den Raum zu erhellen.
    Der Anblick war noch immer seltsam. An das große Bett dagegen hatte ich mich schnell gewöhnt. Nicht mehr meine Schwester im selben Raum atmen zu hören, hatte mich einige Zeit gekostet. Vor knapp 2 Wochen hatte ich endlich das versprochene Zimmer im Haupthaus beziehen können, mit einer tollen Aussicht auf den Wald und einen Teil der Berge. Von hier aus konnte ich bei guter Sicht den Eingang zur Ferienranch sehen. Allerdings befand ich mich nicht auf der Sonnenseite des Hauses. Diese würde genau in der anderen Richtung aufgehen. Ich konnte gerade so erahnen, dass die Dämmerung einzusetzen begann. Vom Boden klaubte ich meine Shorts vom Vortag und warf sie in den Wäschekorb, drehte die Socken wieder auf richtig herum und zog sie mir an. Dabei schaute ich mich etwas um. Wo war die Hose gestern gelandet?
    Wenig später schlich ich mich mit meinen Boots in der Hand die Treppe hinunter. In der Küche kippte ich mir schnell ein Glas Wasser in den Rachen - das musste als Frühstück genügen. Anschließend - mit dem Hut auf dem Kopf - befand ich mich bereits auf dem Weg in den Stall. Seit einigen Wochen hatte mir Caleb die Pflege und das Training von zwei der Pferde anvertraut. Nicht nur das, ich hatte sie mir aus allen Jungpferden aussuchen können. Ich hatte mich dabei für eine zweijährige Stute namens Like a Prayer entschieden, die ich überhaupt einmal an den Menschen gewöhnen musste - nachdem sie ihre meiste Zeit auf den weitläufigen Weiden am Nordhang verbracht hatte. Colonels Blue Splash war meine nächste Wahl: eine solide vierjährige Fuchsstute, die es mir mit ihrer Neugierde zum Menschen angetan hatte. Vor allem aber mit ihrer Ruhe. Laurence hatte letztens einen der Bäume fällen müssen. Während also die Kettensäge angeworfen wurde und nach und nach die Äste flogen. An diesem Tag war sie mir im Gedächtnis geblieben. Also hatte ich nicht lange gezögert, sie zu wählen. Als Pferd für die Ferienranch war sie damit hervorragend geeignet. Beide Stuten teilten sich ein Paddock, damit ich nicht nur ihr Training, sondern auch ihre generelle Pflege übernahm. Und an Tagen wie heute trieb es mich auch sehr früh aus dem Bett.

    Am Eingang des Paddocks stand die Badewanne voll mit Wasser. Ich schüttete mir ein wenig des kalten Nass ins Gesicht, um auch den letzten Anflug von Müdigkeit aus dem Gesicht zu bekommen. Anschließend widmete ich mich den Haufen der beiden Stuten, die es aus dem Weg zu schaufeln gab. Immerhin war ich so die elendigen Boxen los. Das nasse Stroh oder die Späne aus den Ecken zu holen empfand ich als deutlich ätzender. Aus dem Container füllte ich die Wanne weiter mit Wasser und lugte hinein, um zu sehen, wie viel Wasser noch darin war. Ich beschloss, diesen am Wochenende zu füllen. Ein kritischer Blick auf meine Uhr verriet mir, dass ich noch genügend Zeit hatte, um mit Blue Splash zu arbeiten. Zügigen Schrittes holte ich mir also den Strick samt Halfter aus der Sattelkammer. Vorerst beschränkte sich meine Arbeit auf den Round Pen. Blue Splash hatte bereits gelernt sich im Round Pen zu bewegen, sich überall anfassen zu lassen und vor allem war aufgefrischt worden, die Hufe zu geben. Aktuell lernte sie auf leichten Druck zu weichen und meiner Körpersprache dabei zu folgen. Dabei beschäftigte ich sie gern mit den Pylonen: Slalom oder die liegende Acht. Heute hatte ich eine ganz neue Übung mit ihr vor.
    Da sie mittlerweile gut gelernt hatte seitwärts an mich heran zu treten wollte ich mit ihr an der Aufstiegshilfe stehen. In ihrer künftigen Aufgabe als Ferienranchpferd, musste sie auch von ungeübteren oder nicht so gelenkigen Reitern bestiegen werden. Dafür war es besonders wichtig, dass sie ruhig an der Aufstiegshilfe stand. Also nahm ich nach dem putzen die solide Box mit in den Round Pen. Nach einer kurzen Aufwärmphase holte ich die Box zu mir rein, ließ sie die junge Stute begutachten, nahm sie dann wieder auf und trug sie an eine andere Stelle. Dort stellte ich mich auf die Box. Neugierig kam Blue Splash näher. Ich gab einen kleinen Pfiff von mir für sie als Bestätigung, strich ihr mit der Hand zwischen die noch plüschigen Ohren. Dann gab das Handzeichen für die junge Stute seitlich zu mir zu kommen. Kurz ratterte es in ihrem Kopf, dann tat sie einen fragenden Schritt auf mich zu. Also ließ ich wieder meinen kleinen Pfiff hören.
    "Das hast du dir von Louis abgeschaut, oder?", vernahm ich Cayce Stimme hinter mir.
    "Was meinst du?"
    "Das Gepfeife. Louis hör ich auch in einer Tour mit seinen Pferden pfeifen." Ich musste schmunzeln.
    "Wir haben beide vom selben Großvater das Reiten gelernt. Ich denke, daher kommt das. Um ehrlich zu sein habe ich nie gefragt, wieso er das macht. Ich habs einfach kopiert." Dabei kratzte ich mir lachend am Hinterkopf.
    "Viel Erfolg beim Training", wünschte mir Cayce und fasste sich dabei an den Hut.

    Aimee
    “Hm?”, horchte ich auf, als mein Vater zum wiederholten Mal meinen Namen rief.
    “Aimee, mach doch mal den Eierkocher aus. Mensch Kind, was ist denn in letzter Zeit los mit dir?”, damit drehte er sich um und verließ die Küche des kleinen Bungalows. Ich stand seufzend auf, ging zum Eierkocher und zog den Stecker aus der Steckdose. Augenblicklich hörte das nervtötende Piepsen, das mir bis eben völlig entgangen war, auf zu nerven und verstummte. Irgendwie hatte ich vergangene Nacht nicht gut geschlafen und war heute komplett gerädert. Dagegen konnte auch der Kaffee, den ich ab und zu morgens trank, nichts ausrichten. Der einzige Trost, der sich mir heute bot, war der Wochentag. Freitag. Der Nachmittagsunterricht beschränkte sich auf zwei Unterrichtsstunden nach dem Mittagessen. Das Wochenende näherte sich mit großen Schritten.
    Ich schüttete das Wasser der Eier im Waschbecken ab. Der warme Dampf erwärmte mein Gesicht und vertrieb tatsächlich einen Teil meiner Müdigkeit.
    Aus dem Schrank kramte ich zwei Eierbecher hervor, die ich mit Eiern befüllt auf den Tisch stellte.
    Wenig später kam Brian wieder in die Küche und setzte sich an den Tisch. “Soll ich später aus Calgary noch das Kraftfutter für die Pferde mitbringen? Ein paar Säcke bekomm ich ja in den Kofferraum.”
    “Ja, das wäre gut. Frag Caleb gleich noch, dass er dir einen Scheck mitgibt. Dann kannst du direkt bezahlen.”
    “Wenn gleich noch Zeit ist”, murmelte ich und sah auf die Uhr. Ich musste mich so langsam ranhalten.
    “Sonst lass dir halt eine Rechnung ausstellen und nimm die mit… apropos, du nimmst doch gleich die Kids und Tschetan mit rüber, oder?”, ich nickte “der kann dir dann ja tragen helfen. Oder du fragst jemanden, der da arbeitet.”
    “Ja, Dad. Ich werd schon klar kommen. Bin ja nicht zum ersten Mal da.”

    Eine viertel Stunde später stand ich vor der Tür des Haupthauses und hob die Hand, um zu klopfen. Total dämlich, sonst lief ich dort doch auch ein und aus, was war denn heute los? Vorsichtig drückte ich die Klinke nach unten trat in den dunklen Flur. Hm, war er noch nicht wach? Und sonst war auch noch niemand hier? Oder waren schon alle auf der Ranch unterwegs?
    Ich räusperte mich. “Ca… Caleb?”, rief ich in den dunklen Flur hinein und vernahm ein Poltern aus dem 1. Stock. War Tschetan etwa auch noch nicht fertig für die Schule? Kaya und Betsy waren mir bisher auch noch nicht begegnet.
    “Ich komm gleich”, rief Caleb dann jedoch von oben zu mir runter. Ich nickte. Im Nachhinein dachte ich mir, dass er das Nicken ja gar nicht hatte sehen können. Schließlich trat ich ganz ins Haus hinein, zog die Tür hinter mir zu und ging in die warme Küche. Dort legte ich meine Hände um die warme Kaffeekanne auf dem Tisch. Morgens war es noch echt kalt draußen.
    Wenige Minuten später trat Caleb in die Küche. Er war noch dabei, sich sein Hemd zuzuknöpfen. Es blieb mir erspart, mich peinlich wegzudrehen, weil Caleb unter dem Hemd ein Shirt anhatte. Stattdessen nahm ich meine Hände von der Kanne weg und rieb sie ein paar Mal gegeneinander.
    “Wie kann ich dir helfen, Aimee?”, fragte er mich freundlich, nahm eine Tasse aus dem Schrank und schenkte sich etwas des warmen Getränks ein. Ich beobachtete ihn dabei, bis mir bewusst wurde, dass er mir eine Frage gestellt hatte.
    “Ich.. äh..”, stammelte ich drauf los und stoppte mit der reibenden Bewegung meiner Hände. “Ich fahr gleich mit dem Auto zur Schule. Hab meinen Dad gefragt ob ich dann schon mal einen Teil des Kraftfutters mitbringen soll. Dazu müsstest du mir aber einen Scheck mitgeben, damit ich das schon mal bezahlen kann, was ich mitnehme.”
    “Mmm hm”, antwortete er nur und verschwand aus der Küche. Verdutzt schaute ich ihm nach, bis ich ein “Kommst du?”, aus dem Flur hörte. Unsicher stapfte ich ihm nach.
    “Wo bist du denn hin?”, fragte ich ins Dunkle hinein, ehe mich der grelle Lichtstrahl der Deckenlampe kurz blendete.
    “Erstmal das Licht anmachen”, verkündete er schulterzuckend, aber mit einem Grinsen auf den Lippen.
    Wir kamen in seinem Büro an. Dort standen zwei Tische. Auf dem Rechten herrschte ein sichtliches Chaos um den PC- Bildschirm herum. Der Linke dagegen schien sichtlich aufgeräumter. Es gab verschiedene Stapel mit Unterlagen, alle schön säuberlich und akkurat aufeinander gelegt. Ich grinste kurz. Der Schreibtisch gehörte wohl Ylvi. Ich sah mich weiter im Raum um, während Caleb in diversen Schubladen herum kramte. Gegenüber seines Schreibtisches hing ein neues großes Foto. Es zeigt ein paar der Hengste vor schwarzem Hintergrund. Blue und Gangster waren dabei, natürlich. Aber auch Nachtschwärmer, der seit kurzem verkauft war.
    “Hier”, meinte Caleb plötzlich und reichte mir ein Blatt aus dem Scheckheft mitsamt dem Kuli, mit dem er unterschrieben hatte. “Trag einfach später den Betrag ein, für den du Säcke mitbringst. Bezahl nichts weiter im Voraus.” Ich nickte, bedankte mich und verließ das Haupthaus. Kaya und Betsy standen bereits am Wagen, von Tschetan fehlte weiterhin jede Spur.
    Hinter mir fiel die Tür erneut ins Schloss, was mich zum umdrehen bewegte. Auch nicht Tschetan. “Caleb ist Tschetan noch drinnen?” Er schüttelte den Kopf. “Habt ihr ihn gesehen?”, fragte ich die Mädchen, klickte gleichzeitig auf den Autoschlüssel, damit das Auto sich auf schloss. Beide verneinten ebenfalls. Wo steckt er denn wieder?
    “Ich muss noch grade meinen Schulranzen holen gehen, bin gleich wieder da”, erklärte ich mich und joggte zurück zum Bungalow, holte meine Tasche, verabschiedete mich von meinem Vater und ging zügigen Schrittes zurück zum Wagen. Die Tasche verstaute ich im Kofferraum. Dann beschloss ich Tschetan anzurufen. Er hatte sein Handy zwar fast nie dabei, aber falls doch, ging er immer ran. Gerade hatte er es wohl wieder irgendwo liegen gelassen, denn es kam sofort die Mailbox. Ich schaute auf die Uhr. 5 Minuten Zeit hatten wir noch, dann mussten wir aber wirklich los.

    Tschetan
    Auf die Minute genau riss ich die Beifahrertür auf, ließ mich ätzend auf dem Sitz nieder und zog Beine und Tür als letztes hinzu. Aimee sah mich ungläubig von der Seite an. “Was?” fragte ich. Gestikulierte nach vorn. “Willst du nicht los?” Keine Regung. Die Mädchen auf der Rückbank kicherten.
    “Ist das’n Scherz?”
    “Kannst du in ganzen Sätzen sprechen?”, so ganz sah ich immernoch nicht was ihr Problem war. Ich widmete dem Tacho einen Blick, auf dem die Uhrzeit stand. Genau genommen war ich nicht zu spät.
    “Der Hut, dein Aufzug. Alter, du miefst nach Pferd. Deine Haare sind nicht gekämmt und wenn ich genau hinseh, find ich sicherlich noch Heu”, kommentierte Aimee.
    “So renn ich doch ständig rum?”
    “Aber doch nicht in der Schule!”, ich zuckte mit den Schultern.
    “Heute dann wohl schon. Umziehen und Duschen würde bedeuten, wir kommen zu spät”, ich deutete dabei mit den Lippen auf die Uhr im Armaturenbrett. Aimee grunzte, schüttelte den Kopf und startete ohne weiteren Kommentar den Motor. Ich warf den Mädchen auf der Rückbank einen Blick zu. Kaya grinste und schlug die Hand vor den Mund, um das Kichern zu unterdrücken. Ich machte eine kreisende Bewegung mit der Faust vor meinem Gesicht. Das Zeichen für ‘verrückt’. Dann zwinkerte ich.
    “Schnall dich an!”, ranzte Aimee mich an. Während der Wagen die lange Auffahrt der Ranch hinaus fuhr.
    Um nicht weiter in ihren Unmut zu gelangen schnallte ich mich an, zog mir den Hut vom Kopf und steckte ihn fest zwischen Scheibe und Armaturenbrett vor mir. Im Spiegel des Wagens sah ich mir mein Gesicht an. “Im Handschuhfach sind Feuchttücher”, stellte Aimee sachlich fest. Also wischte ich mir den groben Dreck aus dem Gesicht. Anschließend löste ich die beiden geflochtenen Zöpfe und zog mir die Zopfgummis über den Arm, um mit gefächerten Händen meine Haare ein wenig zu kämmen.
    “Willst du meine Bürste?” fragte Betsy hinter mir und rechts von mir tauchte eine zierliche Hand mit Bürste auf. Dankbar griff ich danach und kämmte mir meine langen Haare. Mittlerweile kamen keine Kommentare mehr von Aimee, dass ich mich in Bezug auf die Haare schlimmer hatte wie ein Mädchen. Sie hatte ziemlich schlucken müssen, als sie von den Residential Schools erfahren hatte. Noch meiner Großmutter hatte man als Mädchen in eine solche geschickt. Ich trug meine Haare also lang, für all jene Ahnen, denen es nicht erlaubt worden war.
    Nach dem Kämmen entfernte ich die Haare aus der Bürste, warf sie aus dem Fenster und gab Betsy ihre Bürste zurück. “Dankeschön”, bedankte ich mich ehrlich bei ihr. “Besser?”, fragte ich in Aimees Richtung, erhielt allerdings keine Antwort von ihr. Ich knuffte sie leicht in die Seite, sie zuckte zusammen, quiekte und sah mich halb lachend, halb ungläubig von der Seite an. Aber ihr Lächeln zeigte mir, dass sie nicht mehr wirklich wütend auf mich war. Ich lehnte mich im Sitz zurück, streckte die Beine so, gut es eben ging, aus und genoss den Ausblick aus dem Fenster. Noch ein paar Monate dann hatte auch ich endlich den 16. Geburtstag hinter mir und durfte fahren.

    An der Schule trennten sich unsere Wege ab dem Auto. Ich nahm Kaya in den Arm, küsste sie auf die Stirn. “Tschetan, du bist peinlich!”, schimpfte sie dabei mit mir. Ich zog eine Augenbraue nach oben, sah Betsy an.
    “Wann hat meine kleine Schwester beschlossen ihr Bruder sei peinlich?”, Kaya kicherte leise. “Als mein Bruder beschlossen hat, sich noch schlimmer als Louis zu benehmen!”, damit verschwanden beide Mädchen mit kichern. Ich spürte noch immer ein leichtes Zittern in mir, jedes mal, wenn Kaya sprach.
    “Wohin starrst du?” hörte ich eine mir mittlerweile bekannte Stimme in meinem Rücken. Nicholas trat an meine Seite, die Hand an der Stirn, als würde er seine Augen gegen die Sonne abschirmen. “Gibt´s da heiße Mädchen zu sehen,mhm?”
    “Ich hoffe doch nicht, dass du ein Auge auf meine Schwester geworfen hast, sonst müsste ich dich töten”, knurrte ich spielerisch. Nicholas verweilte in seiner Pose.
    “Niemand tötet hier irgendwen. Bewegt euch Jungs. Ab zum Unterricht!”, scheuchte uns Aimee los. Ich spürte ihre Hand in meinem Rücken, wie sie Nicholas und mich vorwärts schob. Wann war das eigentlich passiert?
    Seit dem Tag an den heißen Quellen…und der Zeit, in der Nicholas auf der Ranch half. Irgendwie hatte er sich in den kleinen Kreis unserer Freunde geschlichen. Wie lang war das jetzt her? 1 oder sogar fast 2 Monate? Nur Aimee fand ich von Zeit zu Zeit noch bei Bryce….und noch immer mochte ich nicht, dass sie mit ihm zusammen abhing. Selbst Nicholas hatte mir einmal zugestimmt…dass sein ehemaliger Kumpel nicht der beste Umgang war. “Was hast du als erstes?”, fragte ich Aimee.
    “Geschichte, bei Mrs. McIntosh …genau wie du auch!”
    “Dann trenn ich mich noch draußen von euch, Doppelstunde Sport,” seufzte Nicholas.
    “Dann sehen wir uns in der Mittagspause.” trällerte Aimee. “Komm jetzt!”

    Ylvi
    Seitdem Aimee die gesamte Bande mit zur Schule nehmen konnte, hatte sich mein Leben ziemlich erleichtert. Plötzlich hatte ich einen fast ungewohnten Raum an Zeit am Morgen. Abgesehen davon hatten Louis und ich den Bungalow auch immer öfter für uns allein. Tschetan hatte drüben im Haupthaus eines der Zimmer bezogen. Betsys Zimmer wurde auch bereits fertig gestellt. Solang bewohnte sie hier bei uns mit Kaya das Zimmer. Immer häufiger nahmen wir unser Frühstück auch drüben im Haupthaus ein. Wir hatten Dells Tod noch nicht alle vergessen, würden es vermutlich nie. Aber ein jeder hatte seinen eigenen Frieden damit geschlossen. Die Situation mit Caleb hatte sich beruhigt. Wir hatten nicht weiter über die Küsse gesprochen. Oder im generellen viel über uns. Trotzdem verbrachten wir viel Zeit. Die beiden Mädchen, Louis, Caleb und ich. In Calgary sorgten wir gern mal für verwirrende Blicke von fremden Menschen. Louis hatte ich in einem ruhigen Moment von den Küssen mit Caleb berichtet.
    Zu meiner Überraschung war daraufhin kein Streit entstanden. Keine Vorwürfe.Genau in solchen Momenten wurde mir klar, wieso ich Louis an meiner Seite hatte. So anders als Caleb. Dabei fielen mir immer wieder seine Worte ein von einst. Dort oben auf dem Hügel an dem Tag als Louis mir das Leben gerettet hatte. Wolf und Rabe.
    Sie führten eine Symbiose. Doch eine jede Spezies band sich auf Lebenszeit an einen einzigen Partner. Lange Zeit hatte ich die Worte für Irrsinn gehalten. Doch immer häufiger kam mir der Gedanke das es vielleicht gar nicht mal so verkehrt war. Die Anziehung, die Gefühle die ich für Caleb empfand, konnte ich nicht ignorieren. Offenbar erging es ihm da ähnlich. Wir hatten ein Miteinander gefunden. Arbeiteten normal gemeinsam. Doch eine gewisse Distanz herrschte. Ich konnte allerdings nicht sagen ob es an unserer erneuten Annäherung lag, oder seinem generellen Unmut darüber, dass Louis und ich die vorläufige Vormundschaft für Betsy übernommen hatten. Zumindest war ich froh, dass er es gut verbergen konnte, wenn wir unterwegs waren mit den Mädchen.
    Plötzlich wurde die Welt um mich herum duster. “Wolltest du nicht abwaschen, statt in die Luft starren?“, hörte ich Louis amüsierte Stimme in meinem Ohr. Er nahm die Hand von meinem Gesicht, stattdessen spürte ich sie an meiner Schulter. “Erwischt”, murmelte ich. Starrte hinunter auf meine Hände, die im Wischwasser hingen. “Ein wenig Tagträumen sei dir erlaubt.”
    “Zu gütig.”
    “In der Zeit wie du hier rumstehst, hatte ich Zeit das Bad zu reinigen und dich dabei zu beobachten, wie du in der Gegend rumstarrst.”
    “Ah ein Stalker also?”
    “Ich hab eher daran gedacht, wie schrecklich langweilig wir geworden sind.”
    “Langweilig?”
    “Überleg doch mal. Wir haben heute einen kinderfreien Tag. Vor drei Jahren hätte ich dafür gesorgt, dass wir den ganzen Tag nicht aus dem Bett kommen”, schnurrte er neben mir. Ich schenkte ihm einen Blick mit erhobener Augenbraue. Soso. “Stattdessen sind wir spießig und putzen das Haus.”
    “Vor drei Jahren hätten wir allerdings auch nicht jederzeit mit einer Überprüfung durch das Jugendamt rechnen müssen”, stellte ich nüchtern fest. “Aber wir könnten nach dem Abwasch einen Ausritt machen.”
    “Jetzt, fängt es an interessant zu werden“, sprach Louis anzüglich. Ich schüttelte meine nasse Hand in seine Richtung.
    “Draußen, mit den Pferden!”, lachend wich er mir aus. Küsste mich auf die Wange.
    “Dann widme ich mich mal meinem Stalltrakt und wir sehen uns später?”
    “Geh schon!” scheuchte ich ihn davon, musste lächeln und kehrte nicht zu meinen trübsinnigen Gedanken zurück.

    Aimee
    Ich hasste Geschichtsunterricht. Also eigentlich liebte ich Geschichte- und Tschetan saß eh jedes Mal gerade, wenn irgendwas über die Native American gesprochen wurde. Aber bei Mrs. McIntosh, bei der ich mich wirklich fragte, wer diese Frau freiwillig geheiratet hatte, verging mir der komplette Spaß daran.
    “Aimee, wie hieß der 1. Präsident der Vereinigten Staaten?”, fragte sie mich. Natürlich, sie wusste immer genau, wann ich ihr nicht zuhörte. Dumm nur, dass ich die Antwort wusste.
    “George Washington”, antwortete ich mit gestreckter Brust. Pah, die Antwort war goldrichtig.
    “Und wie hieß der zweite?”, fragte sie mich weiter.
    Diesmal musste ich überlegen. Jefferson oder Adams? Nein, Jefferson kam später, dann muss es wohl Adams sein.
    “Adams…ähm, John Adams.”
    Mrs. McIntosh nickte. “Der Dritte?”
    “Thomas Jefferson”, kam meine Antwort wie aus der Pistole geschossen.
    “Von wann bis wann?” Uff. Tschetan sah mich zerknirscht von der Seite an und zuckte kaum merklich die Schultern. Er konnte mir also auch nicht helfen. Also musste ich drauflos raten.
    “1800 bis 1810?”, fragte ich unsicher.
    “Fast”, antwortete die Lehrerin. “1801 bis 1809. Für die Klausur nächste Woche möchte ich alle 46 Präsidenten wissen. Wer die Daten dazu schreibt, bekommt Extrapunkte. Feierabend für heute.” Mit diesen Worten klingelte die Pausenglocke. Mir fiel die Kinnlade runter. Alle Präsidenten plus Jahreszahlen? Wann würde ich diesen Blödsinn in meinem Leben nochmal brauchen? Richti, niemals.
    “Manchmal hab ich das Gefühl, die ist verrückt”, sagte Tschetan und setzte sich schräg auf meinen Tisch. Ich war nur durch Zufall hier in seiner Klasse gelandet. Eigentlich war nur in der Parallelklasse ein Platz frei gewesen. Doch hier in dieser musste ein Schüler mit seiner Familie umziehen, so dass ich nun doch hier war. Darüber war ich nun unglaublich froh, denn Tschetan und ich konnten uns bei den Hausaufgaben unterstützen- oder eher voneinander abschreiben. In manchen Fächern war er unglaublich gut, in anderen ich.
    Es klingelte wieder, die kurze Pause war vorbei und es ging mit Englisch weiter. Eins meiner Lieblingsfächer.
    Fünf Schulstunden später war endlich Mittagspause. Tschetans und mein Weg trennten sich im Flur getrennt, als Bryce auf uns zukam. Mit einem “Würgs” verschwand Tschetan im Gang rechts von uns.
    “Hey Aimee, wie gehts dir?”, umschwärmte Bryce mich, stellte sich neben mich und zog mich an der Hüfte näher an ihn heran.
    “Gut, gut”, war meine knappe Antwort. Irgendwie war mir heute nicht so wirklich nach ihm zumute.
    Er zog mich noch enger zu sich rüber. “Kommst du mit raus zu den Jungs?”
    “Klar”, antwortete ich reflexartig, obwohl ein ‘nein’ in meinen Gedanken kreiste. Zusammen mit ihm ging ich also raus zu den Jungs. Ein paar der Cheerleaderinnen standen auch dabei. War ja klar, dass die Sportlerjungs die Cheerleadermädels anzogen. Wie ich allerdings darein passte, das wusste ich bis heute nicht. Ich fand Cheerleading toll, konnte mir aber selbst nicht vorstellen, von einer Menschenpyramide runterzuspringen und wie eine Katze auf den Füßen zu landen. Da saß ich lieber im Sattel, obwohl ich wirklich kein Profi darin war.
    Die Mädels erzählten von ihrem letzten Training und wie unglaublich anstrengend das gewesen war und wie unglaublich erschöpft sie gerade waren, und dass man Football doch gar nicht mit Cheerleading vergleichen konnte. ‘Würgs’ dachte ich und meine Gedanken kreisten augenblicklich um Tschetan. Wo war er hin verschwunden?
    Ich ließ meinen Blick schweifen. Heute bei dem tollen Sonnenschein hatte es fast alle Schüler in der Mittagspause nach draußen verschlagen. Kaya und Betsy saßen mit ein paar anderen Mädchen auf einer großen Decke und aßen ihr Mittagessen. Tschetan stand.. natürlich. Drüben bei den Bänken bei den anderen Natives. Wo hätte er auch sonst sein sollen? Allerdings hatte sich Nicholas zu ihm gesellt, das war neu. Er und Bryce schienen nicht mehr so gut miteinander auszukommen. Tschetan hob den Blick und schaute zu mir rüber. Ich lächelte ihn an, er lächelte kurz zurück.
    Bryce war meinem Blick gefolgt und räusperte sich, womit er meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. “Ihr habt euch vor fünf Minuten noch gesehen, vermisst du die Rothaut etwa schon?” Plötzlich verstummten alle in unserem Kreis. Jeder wusste, dass Bryce es auf die Jungs (und natürlich Mädchen) drüben abgesehen hatte. Ich gab ihm die Chance, seine Aussage noch einmal zu überdenken.
    “Bitte?”, fragte ich ihn spöttisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
    “Ich hab dich gefragt, ob du die Rothaut da hinten etwa schon vermisst. Ihr könnt den Blick gar nicht voneinander lassen.”
    “Kannst du mal aufhören ihn so zu nennen?”, erhob ich meine Stimme. Die anderen tauschten fragende Blicke. “Er heißt Tschetan. So wie ich Aimee heiße und du Bryce. Wieso musst du immer gleich rassistisch werden?”
    “Die Rothäute haben hier auf unserer Schule nichts verloren, die haben ihre eigenen Reservate oder was auch immer, wo sie hingehen können. Was machen die überhaupt hier?” Zustimmendes Gemurmel aus dem Kreis.
    “Weißt du was Bryce? Fick dich. Dich und deine rassistische Meinung. Ich hab echt gedacht, der Schlag ins Gesicht hätte dir einen Denkzettel verpasst. Aber anscheinend bist du wirklich ein Arschloch… Ich geh dann mal zu den Rothäuten, wie du sie so charmant nennst. Ciao!” Damit wollte ich abdampfen, doch Bryce hielt mich am Arm fest. Ich wurde etwas lauter. “Lass mich los!”
    “Erst haut der indianische Spast mir eine rein, dann klaut er meinen besten Freund und jetzt stiehlt er auch noch mein Mädchen?” Bryce machte einen Schritt auf mich zu, niemand in der Runde schien auch nur zu atmen, alles schien sich in Zeitlupe abzuspielen.
    Plötzlich spürte ich Hände, die mich von hinten erfassten und von Bryce wegzuziehen versuchten. Ebenso machte sich jemand an Bryce’ Hand zu schaffen, um sie von meinem Arm zu bekommen. Benommen schüttelte ich den Kopf, ich sah wieder klarer. Zwischen meinen “Rettern” Tschetan und Nicholas sowie Bryce hatte sich ein heftiges Wortgefecht aus rassistischen Beschimpfungen und sonstigen Schimpfwörtern entwickelt.
    Endlich hatte Nicholas meinen Arm befreit. Gemeinsam mit Tschetan stolperte ich einen Schritt nach hinten, doch er fing mich geschickt auf. Nicholas diskutierte noch immer mit Bryce.
    “Wie kann sich ein Mensch so verändern? Mensch Bryce, wir waren beste Freunde!”
    “Wie kann mein bester Freund mir einfach so den Rücken kehren und einem anderen Kerl so in den Arsch kriechen!”
    “Was ist aus dir geworden?!”, keifte Nicholas und drehte sich zum Gehen.
    “Ja, nimm das Gesocks von der Ranch gleich mit, ihr seid doch alle nicht ganz normal!”
    Ich wollte ansetzen, um noch etwas hinzuzufügen, doch war augenblicklich damit beschäftigt, Tschetans Faust festzuhalten und ihn wegzuschieben. “Nicht nochmal”, flüsterte ich ihm zu, berührte dann seine Schultern und drehte ihn zum Gehen um.
    Aus dem Augenwinkel folgte ich Bryce’ Blick zu Kaya und Betsy rüber. Auch Tschetan war seinem Blick gefolgt. “Halt dich bloß von ihnen fern!”, knurrte er.
    ‘Er wird doch nicht?’, dachte ich.
    Als wir uns ein paar Meter entfernt hatten, seufzte Nicholas. “Er war nicht immer so.” Ich sah ihm dabei zu, wie er zurück schaute und etwas murmelte wie: ‘Warum war ich eigentlich mit ihm befreundet?’

    Wenige Stunden später saßen wir im Auto. Nicholas hatte sich dazu gesellt, er saß hinten in der Mitte zwischen Kaya und Betsy und schien mit den Beiden den Spaß seines Lebens zu haben. Immer wieder sah ich Tschetan einen kurzen Blick in den Seitenspiegel zu werden, in dem er Kaya lachen sah. Niemand von uns ‘Großen’ schien Worte über die Sache mit Bryce verlieren zu wollen. Schließlich erhob Tschetan doch die Stimme: “Kaya, Betsy. Habt ihr gesehen, was in der Mittagspause vorgefallen ist?”
    Die zwei nickten.
    “Ich möchte, dass ihr euch von diesem Jungen, Bryce, fernhaltet. Wenn er auf euch zukommt oder euch belästigt, bleibt nicht stehen, geht weg und sucht euch jemanden, der euch helfen kann. Zur Not einen Lehrer.”
    “Tschetan, ich glaube nicht, dass er so etwas tut”, mischte sich Nicholas kleinlaut ein. “Ich meine ja, er ist ein Arsch und ja, er ist rassistisch. Aber er wird sich doch von den Kindern fernhalten…”
    “Teenies”, warf ich ein.
    “Was?”
    “Kaya und Betsy werden dieses Jahr schon 12. Kinder ist da gut gesagt”, ich lachte, um die Situation doch ein wenig aufzulockern. “Apropos Nicholas. Gut, dass du dabei bist. Wir müssen noch zum Laden und Kraftfutter für die Pferde abholen. Dann kannst du tragen helfen.”
    “Na großartig”, antwortete er mir lachen.

    Beim Laden angekommen klärte ich die Bezahlung anhand des Schecks, während Tschetan und Nicholas die Säcke einluden. Akribisch studierte ich die Rechnung, ehe ich den geforderten Betrag in den Scheck eintrug und ihn schließlich, nach einer weiteren Kontrolle, überreichte. Es handelte sich um ein paar hundert Dollar- und dabei nahmen wir gerade mal einen Teil des Futters mit. Ein Pferd war schon teuer, aber eine ganze Ranch? Die ganzen Kosten zu stemmen erschien in meinen Augen unmöglich!
    Wieder auf der Ranch angekommen trafen wir sofort auf Caleb. “Bringt ihr die Säcke bitte in die Futterkammer des Hauptstalls?” Wir nickten alle fleißig, dann ging er wieder seiner Wege.
    Kaya und Betsy verschwanden in Richtung des Bungalows, während ich das Auto vor den Hauptstall stellte, damit wir noch so weit tragen mussten. Zum Glück kamen uns Cayce und Bellamy entgegen und halfen uns beim Ausladen.
    “Nicholas ich hab gesehen, deine Eltern verkaufen einen ihrer dreijährigen Hengste? Oder stellen ihn zur Verfügung?”, fragte Cayce.
    Nicholas nickte. “Ja, Rocket… ich meine Rocking Waves. Ein tolles Tier.”
    “Caleb hat ein Auge auf ihn geworfen, er wollte jetzt am Wochenende auf Turnier fahren und ihn sich vielleicht auch anschauen, er fährt ja quasi an eurer Haustür vorbei dazu.”
    “Caleb fährt weg? Jetzt?”, fragte Tschetan ungläubig und runzelte die Stirn. “Aber die Frau vom Jugendamt kann doch zu jeder Zeit kommen?”
    Cayce zuckte die Schultern. “Er wird wohl wissen, was er tut.”
    “Ich wusste gar nicht, dass ihr auch Pferde habt?”, mischte sich Bellamy interessiert ein.
    “Wir besitzen eine kleine Deckstation, manchmal wird da auch ein wenig hin und her getauscht. Rocket ist so ein Tausch, aber meine Eltern haben einfach keine Zeit für eigene Pferde, geschweige denn, sie auf Turnieren vorzustellen. Wir haben noch drei Wallache, unsere Freizeitpferde. Aber Rocket fällt aus dem Raster… vielleicht nimmt Caleb ihn ja auch zur Verfügung und stellt ihn auf Turnieren vor? Wenn er gut ist, kann er in ein paar Jahren zurück zu uns kommen zum Decken.”

    ~ Ein paar Tage später ~

    Ankunftsbericht von Thiz Bye Bye Bay
    Trainingsbericht für Gunners Styled Gangster (Reining LK 3 - LK 2), Heza Bat Man (Reining LK 5 - LK 4) und GRH’s Bellas Dun Gotta Gun (Reining LK 3 - LK 2)

    Caleb
    Selbstsicher verließ Gangster die Laderampe des Pferdeanhängers. Erst als all seine Hufen knirschend im Schotter zu Stehen kamen, reckte er den Hals in die Luft und wiehrte einmal laut. Aus dem Inneren des Hängers antwortete ihm Batman lautstark. Auch Barbie machte sich bemerkbar. Ein paar Pferde wieherten ebenfalls. Manche ganz nah und lauter, andere weiter weg und leiser. Ich befand mich mit den Pferden auf dem Gelände des ersten Turniers für dieses Jahr. Mit an Bord hatte ich nur meine drei Pferde Gangster, Batman und Barbie. Für das Training mehrerer Pferde hatte mir die Zeit gefehlt. Für Batman würde es auch das erste Turnier unter mir sein. Ich war wirklich gespannt, wie der Hengst sich in fremder Umgebung machte. Barbie und Gangster hatte ich schon ein paar Mal mit auf Tour gehabt, weshalb sie auf den ersten Blick ruhiger zu sein schienen. Batman würde ich in der LK 5 vorstellen und meine beiden anderen Pferde in der LK 3, um alle drei für höhere Turniere in diesem Jahr zu qualifizieren. Blue war bewusst zu Hause geblieben. Mit ihm zusammen hatte ich bereits so viele Erfolge mein Eigen nennen können, und er machte sich bei der Rancharbeit und im Reitunterricht so gut, da brauchte ich ihn mir nicht mehr auf den Turnieren zu verheizen. Und Gangster? Tja, Gangster würde hoffentlich noch ein paar Turnierjahre vor sich haben. Nach und nach rückten nun aber auch die Jungpferde auf, so dass ich mir um den Turniernachwuchs keine Sorgen machen musste. Eine Ranch präsentierte sich am Besten durch seine Nachzucht, die … erfolgreich auf Turnieren abschnitt. ‘Und dann hast du nur eins deiner Nachwuchspferde dabei’, lachte ich innerlich und drückte einem der Helfer auf dem Turnier meinen Hengst in die Hand. Es war ein kleines Turnier, jeder kannte hier jeden. Deshalb hatte ich auf eine Begleitung verzichtet. Freundliche Helfer gab es hier zur Genüge.
    Nachdem alle drei Hengste in ihren Paddockboxen verstaut waren und Gangster sich beruhigt hatte, schlenderte ich zum Abreiteplatz, um mir die Konkurrenz anzuschauen. Eines der Pferde fiel mir sofort ins Auge. Ein hübscher Braunschecke mit schwarzer Mähne und weißem Schweif. Ein wirklich unglaublich hübsches Tier! Eine ganze Weile schaute ich dem Training dieses Pferdes zu. Mir fiel sofort auf, dass er schnell überfordert schien, rollte sich vorne ein und entzog sich den Zügelhilfen. Ich blickte auf die Uhr. Batman hatte heute Abend noch seinen ersten Start, wenn ich ihn in Ruhe an die Umgebung gewöhnen und warmreiten wollte, musste ich ihn gleich fertig machen.
    “Entschuldigen Sie”, sprach ich den Reiter des Schecken an, “starten sie auch später in der LK 5?” Er nickte. “Perfekt, Sie haben da ein wirklich hübsches Tier!”, lobte ich das Pferd.
    “Hübsch ist er wirklich, leider nicht unglaublich talentiert. Das hier ist jetzt sein… ich glaube sechstes Turnier. Wenn er sich heute auch nicht gut macht, werden wir ihn verkaufen.” Ich schmunzelte.
    “Wie ist er denn gezogen, wo kommt er her?”
    “Wir haben ihn seit er ein Jährling ist. Er kommt von einer Farbzucht in Montana. Vater ist Town ain’t big enough und die Mutter Worth the wait”, erklärte mir der Mann und klopfte den Hals des verschwitzten Hengstes.
    “Ich bin immer auf der Suche nach neuen Pferden”, lachte ich und stellte mich vor.
    “Bow River Ranch? Davon hab ich schon gehört”, er schien in seinem Gedächtnis zu kramen, “Reiner und Cutter kommen von da, nicht wahr? Startest du auch später?”
    “Ja genau”, antwortete ich und erzählte ihm kurz etwas zu den drei Pferden, die ich mitgebracht hatte.
    “Ist davon eins zu verkaufen?”
    Ich verneinte.
    “Schade, aber vielleicht sagt dir Benny hier ja zu.”
    Etwa eine Stunde später saß ich auf einem von oben bis unten rausgeputzten Batman. Ich strich ein letztes Mal über meinen schwarzen Hut, ehe ich ihn auf den Kopf setzte und mit dem Abreiten begann. Ich gab dem Hengst genug Zeit, sich die Umgebung zunächst anzuschauen. Ich wollte vermeiden, dass er mir wegen eines flatternden Vorhangs oder einem Knacken im Lautsprecher wegsprang, dessen Existenz er vorher nicht zur Kenntnis genommen hatte. Der schicke Scheckhengst, dessen Name Benny, also eigentlich Thiz Bye Bye Bay war, hatte sich eine Pause verdient und wartete am Rand, während sein Reiter gewechselt wurde. Der Mann, der ihn eben geritten hatte, schien nicht der zu sein, unter dem der Hengst gleich laufen würde. Ich schmunzelte. Unüblich war das nicht. Ich war gespannt, wie der Hengst sich unter seinem richtigen Reiter machte.
    Nachdem Batman abgeritten war, ließ ich ihn noch ein paar Runden am langen Zügel drehen. Als Benny aufgerufen wurde, verließ ich mit ihm den Abreiteplatz und stellte mich am Rand auf, um dem Ritt beizuwohnen. Batman schaute sich interessiert um, ließ sich gar nicht verrückt machen von dem ganzen Trubel und ließ wenige Sekunden später den Kopf und die Unterlippe hängen.
    Benny zeigte schon beim Einreiten Schwierigkeiten. Meines Erachtens nach war er viel zu lange und zu hart abgeritten worden. Er betrat schon klatschnass den Platz. Da hatte es auch nichts gebracht, ihm eben eine kurze Pause zu gönnen. Das ruhige Stehen an X schaffte der Hengst schon nicht, das reindrehen in die Spins war eine Katastrophe. Bei der zweiten Richtung machte er sogar einen Hopser nach vorne, da er mit Galopphilfen gerechnet zu haben schien. Mit einem Ruck an der Kandare wurde er zurück nach hinten gezogen, ehe der Spin in die andere Richtung folgte. Die Spins waren nicht schlecht, aber der Hengst stand so unter Spannung, dass er sein Potenzial gar nicht zeigen konnte. Der Rest der Pattern war eine ebenso große Katastrophe, wie ihr Anfang. Zerknirscht streichelte ich Batmans Hals. Würde das ein Mitleidskauf werden oder hatte Benny vielleicht doch das Zeug, gar nicht so schlecht zu sein, wenn man ihm Zeit ließ?
    Nach dem Ritt verschwand der Reiter des Hengstes mit hochrotem Kopf und einem 0 Score, einer der Roll Backs war in die falsche Richtung gewesen, auf dem Abreiteplatz. Noch bevor er den Hengst für seinen Misserfolg, der zu 100% auf den Reiter zurückzuführen war, strafen konnte, griff ich ein. “Ich kauf den.”
    “Wie bitte?”, der Mann mit dem roten Kopf schien verwirrt.
    “Entschuldigen Sie, ich hatte eben beim Abreiten des Hengstes mit dem … Dude gesprochen, der ihn abgeritten hat. Er meinte, wenn Benny heute auch nicht läuft, geht er weg. Ich hätte ihn gerne.”
    “Was zahlen Sie denn?”
    “Das, was er wert ist.”
    Nach einigem Feilschen einigten wir uns auf einen eher niedrigen Preis. Der Hengst wurde in die freie Paddockbox neben meinen Hengsten gebracht. Ich würde später nach ihm sehen, jetzt musste ich erst einmal mit Batman starten und ein besseres Beispiel für den Reitsport abgeben, als der Dude mit Benny.
    Batman war gelassen, hörte mit wunderbar zu und stand an X auch wirklich still. Die Spins waren langsam aber genau. Es kam mir heute nicht auf Schnelligkeit sondern auf Sauberkeit an. Die Zirkel waren okay für meine Ansprüche, ich musste ihm noch viel helfen, die Spur zu halten – aber das war in Ordnung. Die Galoppwechsel waren nur einfache mit einer kurzen Trabphase dazwischen, Punktabzug würde es dafür nicht geben, aber auch keine Pluspunkte. Die Sliding Stops und Roll Backs waren ebenfalls langsam aber sauber. Wir verließen den beleuchteten Platz mit einem 69er Score. Einen Punkt Abzug gab es, weil es mir beim zweiten Roll Back im Außengalopp angesprungen war. Kann passieren, war kein großes Ding.
    Als ich am noch Besitzer von Benny vorbeikam hielt ich kurz an und sagte: “Ich veranlasse gleich die Überweisung des Geldes für den Hengst.” Er übergab mir die Papiere und einen hingekritzelten Kaufvertrag. Dann dampfte er mit noch immer hochrotem Schädel davon.
    Nach einem kurzen Abreiten von Batman, der nun auch sichtlich geschwitzt hatte, fand ich mich wieder im Stalltrakt ein, in dem meine Tiere untergebracht waren. Ich versorgte Batman, band ihn mit Abschwitzdecke in der Box an und näherte mich der Box meines neuen Scheckhengstes. “Hey, Benny”, sagte ich leise und öffnete die Tür. Die Ohren des Hengstes flogen sofort nach vorne und er kam neugierig auf mich zu. “Du bist ein Braver, nicht wahr?”, ich streichelte über seinen warmen Kopf. Augenblicklich fiel mir auf, dass er komplett verschwitzt ohne Decke hier stand. Ich ging also kurz zu meinem Trailer und nahm eine der Ersatzdecken, die ihm von der Größe her mit Sicherheit passen musste. Zum Glück hatte ich immer mehr Decken dabei, als ich brauchte. Er schien dankbar über die Wärme zu sein, denn seine Hinterhand hatte zu zittern begonnen. “Armer Kerl …”, murmelte ich und entschied dann, ihn über Nacht auch mit einer gefütterten Decke einzudecken.
    Auf dem Weg zurück zum Trailer autorisierte ich die Überweisung des Kaufvertrages für den Hengst. Nun hatte ich offiziell ein neues Pferd. Ich schmunzelte. Die Farbzucht in Montana, aus der er stammte, würde ich mir in naher Zukunft aber auch noch anschauen fahren. Denn wie hieß es so schön? Pferde konnte man nie genug haben.
    Ich verbrachte noch zwei Stunden im Stall. Batman war umgedeckt für die Nacht und alle hatten noch eine ausgiebige Portion Heu bekommen. Benny war noch immer nicht trocken und fing wieder an zu zittern. Ich fluchte leise vor mich hin, ging wieder zum Trailer und holte eine andere Abschwitzdecke, die ich auf seinen Rücken legte, nachdem ich ihm die Nasse ausgezogen hatte. Über die Abschwitzdecke legte ihn nun die gefütterte Regendecke und schloss die Paddocktür, damit es von außen nicht so in seine Box zog. Ich kontrollierte nochmal, ob alle Boxen richtig verschlossen waren. Dann ging ich zu meinem Trailer, um endlich ins Bett fallen zu können.
    Am nächsten Morgen kam ich nicht so gut aus den Federn. Cayce hatte mich darüber unterrichtet, dass zuhause ein Sturm gewütete hatte. Die Rinder waren weg – Bisons hatten den Zaun zertrampelt und auf der Ranch war wohl auch nicht mehr alles im grünen Bereich. Wir telefonierten eine Weile. Ich war schon am Zusammenpacken und wollte mich auf den Rückweg machen. Cayce versicherte mir jedoch, dass sie alles im Griff hatten. Ich versprach ihm, gleich nach meinem letzten Start einzupacken und nach Hause zu kommen.
    Zum Glück waren meine beiden verbleibenden Starts mit Gangster und Barbie am Morgen, so dass ich mich am frühen Mittag mit meinen drei, nein vier Pferden auf den Rückweg machen konnte.
    Nach einem schnellen Kaffee ging ich sofort in den Stall. Gangster, Batman und Barbie fraßen genüsslich ihr Heu. Benny lag noch mit geschlossenen Augen in der Box. Er hatte schließlich auch einen anstrengenden Tag gehabt. Als ich jedoch seine Boxentür öffnete, öffnete er die Augen und stand auf. Kurz schüttelte er sich, ehe er mir wieder seinen Kopf entgegen streckte. Ich lächelte. So ein nettes Pferd!
    Zu meinem Glück zitterte er nicht mehr. Unter der Decke war er angenehm warm, weshalb ich auch entschied, ihm die doppelte Decke anzulassen.
    Dann machte ich Gangster fertig, denn mit ihm würde ich zuerst starten. Um Zeit einzusparen sattelte ich Barbie ebenfalls und band ihn an seinem Halfter in der Box vor seinem Heunetz an. So hatte er etwas zu tun und ich müsste ihn nicht gleich noch in aller Eile putzen und satteln.
    Zusammen mit Gangster ging ich zum Abreiteplatz. Bennys Besitzer traf ich auch wieder an. Er schaute nicht schlecht, dass ich auch so einen schönen Scheckhengst vorzuweisen hatte. “Das ist einer von meinen Reinern die auch Cow Sense haben”, meinte ich und fuhr durch Gangsters rabenschwarze Mähne. “Hab schon drei Nachkommen von ihm Zuhause, top Tiere.” Ich zog ihm absichtlich die Nase lang, denn, und ich hatte mir das schon gedacht, kam prompt die Nachfrage nach dem Verkauf der Tiere. Ich schüttelte den Kopf, versicherte ihm aber, dass ich mich bei ihm melden würde, falls er doch in Frage kommen würde – natürlich würde ich mich nicht bei ihm melden, dachte ich, als ich mich umgedreht hatte.
    Der Ritt mit Gangster war leider eine halbe Katastrophe. Er regte sich so über Kleinigkeiten auf, so dass er am Ende beim Roll Back nicht einmal mehr von meinem Bein wegging. Ich bog ihn um mein inneres Bein herum, wechselte die Seite und bog ihn auch um mein anderes Bein. Erst als er schön davon wegging, positionierte ich ihn erneut, gab die Hilfen zum Roll Back und parierte ihn nach ein paar Metern wieder durch. 0 Score, ich dankte ab und verließ trotzdem unter mäßigem Applaus den Platz.
    Auf dem Abreiteplatz ging ich die einzelnen Bestandteile der Pattern mit ihm nochmal durch. Dieses Mal sprang er beim Roll Back direkt vom Bein weg. Ich parierte zum Schritt durch und ließ ihn noch eine Weile am langen Zügel gehen. Meine Gedanken kreisten um die Heimat, ich war nicht bei der Sache.
    Wenig später spiegelte sich das auch beim Ritt von Barbie wider. Aufgrund seines antrainierten Know Hows überspielte er meinen Fehler mit dem Zurückwechseln in den richtigen Galopp – ich hatte ihn im Außengalopp fälschlicherweise anspringen lassen. Das kostete uns definitiv die Platzierung, denn der Rest der Pattern war nicht schlecht.
    Nach meinen beiden Starts packte ich alles zusammen und lud es in den Trailer. Mit Batman hatte ich Platz 13 gemacht, mit Gangster gar keinen und mit Barbie Platz 19. Für das erste Turnier dieses Jahr war ich … ganz zufrieden. Ich wusste, woran ich arbeiten musste und würde auch mit den Gedanken hoffentlich mehr bei der Sache sein. Mit einem neuen Pferd im Schlepptau machte ich mich auf den Heimweg.



    Tschetan
    “Wartet!” Ich stemmte die Füße in die Bügel, drehte mich der Stimme zu. Louis lief auf mich zu. “Nehmt das hier mit”, damit hielt er ein Gewehr im Holster nach oben. Wortlos befestigte er es an meinem Sattel. Ich war erstaunt…dass er mir eine Waffe anvertraute. “Cayce und Laurence mussten auf der Suche gestern 2 der Rinder erlösen”, sprach Louis ernst, “passt aufeinander auf und keine Risiken in den Bergen, ja?” Nicholas sah zu mir, dann nickten wir ihm zu.
    Vor zwei Tagen war ein heftiger Sturm über die Ranch gefegt. Wir hatten gut mit den Reparaturen zu tun. Von den Pferden war keiner zu Schaden gekommen. Eine kleine Herde Bisons hatte sich ins Tal verirrt und war an den nördlichen Hängen durch die Gatter der Rinder gebrochen. Zäune hielt diese Giganten nicht auf. Dadurch war eine Panik in der Herde entstanden. Wenige der Tiere waren vom Plateau an der Ferienranch in den Tod gestürzt, andere hatten wir einfangen können. Allerdings fehlten einigen der Kühe noch immer ihre Kälber. Daher waren O’, Nicholas, Aimee und auch ich herangeholt worden, um die Kälber zu suchen. Waren sie zu stark verletzt, würden wir sie erlösen müssen. Aimee war im Team mit Octavia und Cayce bereits losgeritten. Wir hatten das Areal aufgeteilt. Sicherlich hatte auch Cayce ein Gewehr dabei, denn weder Aimee noch O’ traute ich zu, abzudrücken.
    “Wo willst du starten?”, fragte Nicholas.
    “Wir reiten hinauf zu den Weiden. Es hat noch nicht wieder gestürmt oder geregnet. Oben auf dem Hang folgen wir am besten den Spuren. Die der Bisons werden sich deutlich von denen der Kühe unterscheiden. Von da aus…könnte ich vielleicht die Spuren der Kälber ausfindig machen.”
    Nicholas zog sich den Hut tiefer ins Gesicht. “Wie die Cowboys alter Zeiten! Mit Gewehr und Fährtenlesen.” Ich ging nicht weiter darauf ein. Ich war nicht wirklich erpicht darauf, Gebrauch vom Gewehr zu machen. Allein bei dem Gedanken daran zog sich in mir etwas zusammen. Ich hatte bereits geschossen. Louis und Caleb hatten mir im letzten Sommer den Umgang damit gezeigt. Natürlich hatte ich auch bereits getötet. Was allerdings nicht bedeuten musste, dass es mir gefallen hatte. Außerdem war ich auch nicht sonderlich erpicht darauf, der Bisongruppe zu begegnen. Die Jungen wurden geboren, die Kühe konnten ziemlich ungemütlich werden in dieser Zeit. Das würde die erste Bewährungsprobe für Sungila werden. Sie war noch nicht allzu lang unter dem Sattel. Ihre Hauptaufgabe würde eines Tages aber werden, Touristen sicher durch das Gelände zu tragen. Daher hatte ich mich für sie entschieden. Louis hatte meine Wahl nicht weiter kommentiert. Jedoch hatte er angemerkt, dass Nicholas besser Easy reiten sollte. Ein rancherfahrenes Pferd, um Sungila die nötige Sicherheit zu geben. Am Rind war die Stute unerschütterlich, schließlich liefen die Rinder teilweise mit bei den Pferden auf der Weide - um die Pferde von Beginn an, an ihre Aufgabe zu gewöhnen. Ein Bison jedoch war eine komplett andere Hausnummer.

    Von Sungilas Rücken aus starrte ich auf den Boden. Zumindest konnte ich keine neuen Spuren ausmachen. Weder von den Bisons, noch von den Rindern. Die Spuren der Bisons hatten keine kleinen Abdrücke. Um mir das ganze besser anzusehen, stieg ich vom Pferd und gab Nicholas die Zügel meiner Stute in die Hand. Ich trennte die Spuren voneinander. Zwei größere Herdenteile waren kleiner, als die Spuren der Bisons. Sie führten in unterschiedliche Richtungen. Nur eine jedoch führte weiter in das Gebirge hinein, fort von der Ferienranch. Ich konnte drei Tiere erkennen, deren Spuren tief im Boden zu sehen waren. Sie konnte ich als die Mutterkühe erkennen. Neben zwei davon befanden sich kleinere, schlurfende Spuren. Die Kälber mussten müde gewesen sein, dass sie kaum die Füße gehoben hatten. Wohlwollend nahm ich außerdem zur Kenntnis - die Spuren der Bisons führten in die andere Richtung. Von meiner hockenden Stellung erhob ich mich wieder. Nicholas Blick ruhte auf mir. Die Art und Weise, wie er mich ansah, vermochte ich nicht ganz zu deuten. Verwirrung? Dann huschten seine Augen hastig auf den Pfad. “Wir müssen in die Richtung, wenn ich dich richtig gedeutet hab?”, fragte er ernst. Mich richtig gedeutet? Ich nickte, deutete mit den Lippen in die entsprechende Richtung.
    “Die Spuren mit den Kälbern führen den Berg weiter hinauf. Die der Bisons gehen weiter hinunter ins Tal.”
    “Beeindruckend. Ich mein…ja ich kann die Spuren sehen. Das ist nicht schwer. Aber das du überhaupt diese Stelle gefunden hast. Natürlich hört und sieht man in den Filmen von Fährtensuchern. Aber so in Persona. Hab ich das noch nie erlebt. Ich bin beeindruckt! Könnte ich nicht durch die Bäume unten das Tal mit der Ranch erahnen wäre ich hier vollkommen aufgeschmissen”, er reichte mir Sungilas Zügel und ich stellte einen Fuß in den Steigbügel.
    “Tja, selbst die US Army musste auf indianische Scouts zurückgreifen,” sprach ich stolz und zwinkerte. Dann stemmte ich Kraft in meinen Fuß und zog mich nach oben. Gerade als ich mein Bein über den Rücken der Stute legen wollte, schoss sie plötzlich rückwärts. Ich prallte mit dem Gesicht heftig auf ihren Hals, krallte mich an Mähne und Hals fest, als Sungila neben rückwärts auch zu einer behenden 180° Wendung ansetzte. Dabei verlor ich endgültig mein Gleichgewicht, flog aus dem Sattel und vom Pferd. Allerdings blieb mein Fuß im Bügel hängen, sodass Sungila mich bei ihren drei Galoppsprüngen neben sich her schliff. Durch das dichte Unterholz gebremst blieb sie allerdings fix wieder stehen. Das alles war so schnell passiert, dass ich perplex in die Richtung starrte in der wir uns soeben noch befunden hatten. Nicholas schien vom Pferd gesprungen zu sein und hastete mir entgegen. Ich richtete den Oberkörper auf um den Fuß aus dem Bügel zu befreien. “Elch!”, sprach Nicholas. Verwirrt sah ich ihn an.
    “Elch?!”
    “Ja, der kam plötzlich aus dem Unterholz. Hat uns gesehen und rannte wieder weg. Davor muss sie sich erschrocken haben. Alles gut bei dir?”
    Erst jetzt merkte ich den unangenehm stechenden Schmerz in einigen Teilen meines Körpers. Beim aufstehen verstand ich auch wieso - Sungila hatte mich und sich in einen riesigen Busch Brombeeren befördert. Mit dem Gesicht war ich einmal durch die Äste gezogen worden. “Dein ganzes Gesicht ist völlig zerkratzt”, stellte Nicholas zerknirscht fest. Ich widerstand dem Versuch mir mit der Hand durch das Gesicht zu fahren. “Erklärt zumindest, wieso das so brennt.” Ich manövrierte die Stute rückwärts aus dem Gestrüpp und kontrollierte ihre Beine. Aber die Stute war unversehrt. Ich sah mich einmal um und machte anstalten, den Sattel wieder zu besteigen. “Wart ‘nen Moment. Du hast da Brombeer in deinem Haar.” Nicholas kam auf mich zu, während ich noch an meinen Zöpfen hinab sah und das unangenehme ziehen im Nacken wahrnahm. Der Versuch, den Strunk einfach aus den Haaren zu ziehen, war jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Nicholas versetzte mir einen Schlag auf die Hand. “Du machst das nur schlimmer.” Dann machte er jedoch keine Anstalten. “Darf ich?”
    “Was?”
    “Hab ich keinen Schlag zu erwarten?”, ich musste schmunzeln. “Du erinnerst dich daran?”
    “Zu meiner Verteidigung… ich musste Aimee danach fragen. Für mich waren es nur Haare.”
    “Jetzt hol mir schon den Strauch da raus, es piekst. Ich denke nicht du willst mir etwas böses”, dabei zwinkerte ich ihm grinsend zu.” Nicholas drückte behutsam gegen meinen Kopf, damit er besser an meinen Nacken heran kam, friemelte eine Weile an den Haaren herum, um schließlich den Strunk Brombeeren daraus zu befreien.
    “Das wär..ouh”, ich sah ihn ratlos an. “Du hast ein paar Dornen im Gesicht.”
    “Dann mal ans Werk”, ich hatte da so eine vage Ahnung, wo sie drin steckten. In Ermangelung eines Spiegels war ich auf Nicholas Hilfe angewiesen. Mit den Fingerkuppen holte er vorsichtig die Dornen aus meinem Gesicht. Aus halb gesenkten Augenlidern beobachtete ich ihn. Spürte plötzlich allzu deutlich die Berührung seiner Haut auf der Meinen…und seinen Atem in meinem Gesicht. Als sich unsere Blicke trafen verharrten wir in dieser Position, starrten nur dem anderen in die Augen. Nach einigen Sekunden riss Nicholas sich los, kommentierte meine Befreiung mit “Alles weg” und richtete sich auf.
    Ich wischte mir die nassen Hände an der Jeans ab. “Dann lass uns mal diese Rinder finden.”

    Aimee
    “Was rennt der denn so”, sprach O mehr zu sich selbst als zu mir, dennoch kommentierte ich ihre Aussage mit einem: “Das ist eine gute Frage.” Ich parierte Gin, die Cayce mir wohlwollend zugeteilt hatte, zum Schritt durch. O tat das Gleiche mit Honor. Cayce trabte noch immer mit Devil vorne weg und schien keine Anstalten zu machen, sein Tempo zu drosseln. Plötzlich blieb er so abrupt stehen und drehte sein Pferd in unsere Richtung um, dass Gin laut prustend einen Satz zur Seite machte. “Tschetan hat mir grade getextet, sie haben ein paar Spuren, die hoch zur Ferienranch führen. Wir sollen uns unten im Tal unter dieser umsehen.” Klar, dazu waren wir ja gerade auch nur eine Stunde in die falsche Richtung geritten.
    “Willst du nicht Bellamy anrufen? Bis wir dort sind, eine Stunde zurück zur Ranch und eine Stunde in Richtung Ferienranch, ist es schon stockduster. Bell kann ja mit Laurence los, Blue ist ja noch zuhause”, warf O schulterzuckend ein. Cayce runzelte die Stirn und schien wirklich konzentriert nachzudenken. Er wurde immer mehr in die Dunstwolke seiner klatschnassen Devil gehüllt, die sichtlich froh um diese Pause zu sein schien.
    “Wieso muss Caleb ausgerechnet jetzt Weltenbummler spielen”, brummelte er vor sich her.
    “Er weiß doch Bescheid und kommt heute Abend vom Turnier zurück, mit ihm wäre die Situation hier genau die Gleiche, außer, dass wir noch jemanden mehr zum Suchen hätten”, kommentierte O. Ich hielt mich bedeckt, wollte mich nicht in die Diskussion der Erwachsenen einmischen. Ich kannte weder das Areal noch die Tiere wirklich gut.
    Cayce schnalzte und trieb Devil im Schritt an. Als er zwischen uns durchritt erkannte ich sein Handy am Ohr. Ein paar Sekunden später unterhielt er sich schon mit Bellamy, der sich mit Laurence sogleich auf den Weg machen wollte. “Nehmt Blue und Alan. Ich wollte dir schon Gangster unter den Hintern setzen, aber dann kommt ihr mit einem Pferd oder einem Reiter weniger nach Hause.” Cayce lachte. O und ich sahen uns an, sie rollte zunächst die Augen, ehe sie mich doch angrinste. Auch ich lächelte, warf aber dann einen besorgten Blick nach hinten.
    “Ähm Leute, wo kommt denn jetzt der Nebel her?”
    “Was?!”, fragte Cayce irritiert und drehte sich ebenfalls nach hinten um. “Das auch noch, was ein Mist. Damit wird die Suche noch schwieriger.”
    Wir trabten die Pferd an. Ich war mir nicht ganz sicher, ob Cayce einfach nur schneller zurück zur Ranch, oder unter keinen Umständen in den Nebel geraten wollte. Beides, schlussfolgerte ich, denn bereits nach wenigen Metern galoppierte er Devil an. Gin und Honor folgten schnaufend. Zum Glück befanden wir uns im Tal, so dass sich die Ebene flach vor uns erstreckte und wir nicht ständig bergauf oder bergab reiten mussten.

    “Das gibt ganz schön Kondition”, japste ich aus dem letzten Loch pfeifend während der nächsten Schrittpause.
    Cayce drehte sich zu mir um: “Bei dir oder beim Pferd?” Er und O sahen sich kurz an, ehe beide laut losprusteten.
    “Haha”, kommentierte ich seinen überaus lustigen Witz, stemmte dann jedoch eine Hand in die Hüfte und atmete einmal laut ein und aus.
    Als ich an der Ranch angekommen endlich vom Pferd hüpfen konnte, fühlten sich meine Beine wie Wackelpudding an. O schien es da ähnlich zu gehen.
    “Wisst ihr was ich gleich brauche? Eine lange und sehr heiße Dusche. Badewanne wäre noch besser. Meint ihr Caleb köpft mich, wenn ich sein Riesenteil oben benutze?”
    “Caleb hat oben eine riesen Badewanne?”, richtete ich mich neugierig an O.
    “Klar, warst du noch nie oben in seinem Zimmer?”
    Cayce zog die Stirn in Falten, verkniff sich ein Grinsen und fragte mit aller Ernsthaftigkeit, die ihm durch sein breites Grinsen noch übrig blieb allen Ernstes: “Ja Aimee, warst du noch nie in Calebs Zimmer?”
    Perplex starrte ich die Beiden an. Was sollte das denn jetzt werden? Noch bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, boxte O ihm gegen den Arm. “Hey, du hast damit angefangen!”, beschwerte er sich, griff dann jedoch die Zügel von Devil nach, die sich mit angelegten Ohren rückwärts und weg vom Tumult bewegte. “Lasst uns jetzt erst die Pferde versorgen.”

    Eine halbe Stunde später hatten wir allen Pferden den Schweiß aus dem Fell gewaschen und sie unters wärmende Solarium gestellt. Zum Glück hatte Caleb bereits vor dem Winter aufgerüstet. Zu dem einzelnen Solarium waren zwei weitere dazu gekommen. Dies kam uns jetzt zugute, denn sonst hätten wir die Pferde nicht waschen können.
    “Murphy kannst du einen Blick auf die drei haben?”, fragte Cayce, der nun selbst zu merken schien, wie verschwitzt er war. Er rieb sich den Oberarm und schien zu frösteln. Tagsüber war es zwar mittlerweile angenehm warm aber abends wurde es rasch kälter.
    “Klar, ich bin eh noch am Misten, wenn die trocken sind stell ich sie euch in die Box. Geht euch aufwärmen.” Dankend nickten wir und verließen den Stall.
    Ich wollte in Richtung des Bungalows gehen, in dem mein Vater und ich wohnten, doch O zog mich in Richtung des Haupthauses. “O, was machst…”
    “Psssst”, sie legte einen Finger auf ihre Lippen und sagte in Cayces Richtung gewandt: “bis später beim Essen, Cayce.”

    O zog mich ins Haupthaus hinein und die Treppe nach oben. Zögerlich folgte ich ihr. Sie schien sich hier gut auszukennen, steuerte sofort ein Schlafzimmer mit Blick über die ganze Ranch an. Ich war zu sehr damit beschäftigt, mir die tollen Möbel anzuschauen, als dass ich merkte, wie O sich hinter mich gestellt hatte. Erst als es vor mir dunkel wurde begriff ich, dass sie mir die Augen zuhielt. Ich spürte einen Druck an meinen Beinen, der mich dazu zwang, einen Schritt nach vorne zu machen. Dann noch einen- und noch einen. “Na geh schon”, sprach O aufgeregt und ehe ich mich versah glotzte ich Calebs riesige Badewanne an.
    “Das ist also Calebs riesen Teil”, kommentierte ich das, was ich da vor mir sah.
    “Das ist Calebs riesen Teil”, wiederholte Octavia lachend, ging zum Wasserhahn hinüber, stellte ihn auf ‘heiß’ und öffnete ihn.
    “O ich glaub nicht, dass wir hier drin sein dürfen.. und seine… seine Sachen benutzen.”
    Octavia zuckte mit den Schultern. “Er braucht sie gerade nicht – und außerdem reißt er uns schon nicht den Kopf ab.. hier”, sie schmiss mir eins der großen Handtücher rüber, “zieh dich aus, ich such uns was zum Anziehen gleich.” Mit diesen Worten verschwand sie wieder im Schlafzimmer, welches, dem war ich mir jetzt zu 100 Prozent bewusst, Calebs sein musste.
    Ich schälte mich aus meinen verschwitzten Sachen. Nach und nach kamen sie auf dem Boden zu liegen, während ich mir das Handtuch um den nackten Körper wickelte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Wanne vollgelaufen war. Neben dieser standen ein paar Duschschäume. Ich nahm mir die Packung mit der Aufschrift ‘Himmlischer Rosenblütenduft’ und goss davon einen Schuss ins Wasser. Sofort fing es an zu schäumen.
    O kam mit einem Stapel Kleidung aus Calebs Zimmer zurück, teilte sie auf zwei Haufen auf und legte sie auf den Boden unweit der Wanne. “Jetzt klauen wir auch noch seine Klamotten?”
    “Er bekommt sie ja zurück.”
    Während O sich auszog schaute ich mir das Bad an. Es war aufgeräumt und sauber. Klar, Dolly putzte hier ja auch fleißig. Ob er selbst auch mal einen Handschlag tat? Ich bezweifelte es. Dafür war er viel zu sehr beschäftigt und ich konnte mir ihn wirklich nicht mit einem Putzlappen in der Hand vorstellen. Mit einem Feuchttuch, um einem Pferd die Nüstern abzureiben, damit sie für ein Fotoshooting auch schön glänzten, schon eher.
    “Komm”, riss O mich aus meinen Gedanken. Sie ließ das Handtuch auf den Boden fallen und glitt ins Wasser. Sie schien weniger Probleme damit zu haben, nackt zu sein, als ich. Wer konnte seinen Körper als Teenager schon leiden? O schien meine Gedanken lesen zu können, denn sie drehte sich überaus auffällig zur Seite Weg, sagte aber kein Wort. Das Handtuch glitt von meinen Schultern gen Boden. Ich kletterte ins warme Schaumbad und ließ mich langsam hineingleiten. “Du bist echt noch nie hier oben gewesen?”, fragte mich Octavia ungläubig, legte den Kopf auf dem Badewannenrand nach hinten ab und schloss die Augen.
    “Nein, was hätte ich denn hier zu suchen gehabt?”, fragte ich sie irritiert.
    “Wohl wahr. Ich vergesse nur allzu gerne, dass du nicht die selben Erinnerungen mit Caleb teilst, wie ich. Es kommt mir vor, als seid ihr schon von Anfang an dabei, seit damals.”
    “Hm?”
    “Ach, nicht so wichtig. Genieß das warme Wasser.”
    “Das tut wirklich unglaublich gut”, seufzte ich und schloss ebenfalls die Augen. Was ein Tag…

    Wie viel Zeit wir im warmen Wasser verbrachten wurde mir erst bewusst, als ich Stimmen aus dem Flur vernahm. ‘Sie sehen heute wieder bezaubernd aus, Miss Dolores’, jemand kicherte. ‘Ach Laurence, ich sagte Ihnen doch schon ein paar Mal, sie sollen mich Dolly nennen.’
    “O, psssst, O!”
    “Hm?”
    “Da kommt jemand!” Kaum hatte ich meine Warnung beendet, öffnete sich die Tür des Badezimmers. Zuerst trat Dolly herein, gefolgt von… Laurence?
    “Ach du liebes bisschen!”, erschreckte sich Dolly und zuckte kurz zusammen. Laurence drehte sich peinlich berührt im Türrahmen um, als hätte er gar nichts gesehen. “Was macht ihr hier?”, richtete sich Dolly an uns, die sich von ihrem ersten Schreck erholt zu haben schien.
    “Caleb hat eine große Wanne und wir waren den ganzen Tag unterwegs, um die Rinder zu suchen”, erklärte sich O und kramte mit einer Hand nach dem Badetuch, welches sie schließlich erwischte und schwungvoll nach oben zog. Bemüht, es nicht ins Wasser zu tunken. “Das Wasser wird allerdings kalt, sieht wohl so aus, als müssten wir eh jetzt raus.” Sie stand auf, wickelte das Handtuch geschickt um ihren nackten Körper und verließ die Wanne, indem sie sich auf den flauschigen Teppich davor stellte. “Wenn ich bitten darf?”, fragte sie an Dolly gewandt und zeigte zur Tür, aus dessen Rahmen Laurence verschwunden war. “Wir sind direkt weg”, kicherte sie.
    Dolly stellte ihren Putzeimer mit dem dampfend heißen Wasser auf den Boden, verließ das Badezimmer und zog die Tür hinter sich bei. Von draußen hörte ich sie und Laurence leise miteinander reden. Mir war schon öfter aufgefallen, dass die Beiden Zeit miteinander verbrachten. “Ich würde es Laurence gönnen”, zwinkerte O mir zu.
    “Iiiih O, da ploppen Bilder in meinem Kopf auf, die ich nicht sehen möchte”, ich lachte und stieg ebenfalls aus der Wanne, wickelte mich ins Handtuch ein und rubbelte mich irgendwie trocken, damit ich mich anziehen konnte. “Du hast selbst die Boxershorts von Caleb geklaut?”, kommentierte ich ein wenig verzweifelt die Ausbeute der Braunhaarigen. Sie zuckte nur mit den Schultern und wiederholte ihre Aussage von eben: “Er bekommt die Sachen ja wieder.”
    Fertig angezogen verließen wir das Bad. Beim Vorbeigehen an Laurence und Dolly schien Octavia sich die Aussage: “Schönen Abend noch euch Beiden”, nicht verkneifen zu können. Manchmal war sie kindischer als ich.
    Wir wollten gerade das Haupthaus verlassen, öffneten die Tür und liefen – wer hätte es gedacht, in Caleb hinein. Dieser musterte uns von oben bis unten. “Kann es sein, dass ihr meine Sachen tragt?”, fragte er uns grinsend und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Ich fing an etwas unverständliches zu stammeln, was einer Entschuldigung gleich kam. O dagegen blieb cool, drückte ihm ihr Handtuch in die Hand, drehte sich nach hinten um, nahm mir meines weg und tat das Gleiche.
    “Kannst du ja gleich mit in die Wäsche nehmen, dann kannst du dir auch sicher sein, dass sie wieder in deinem Schrank landen, bis gleich beim Essen.”
    Ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg und ich meine Augen niederschlug. O stolzierte an Caleb vorbei nach draußen, blieb nach wenigen Schritten jedoch stehen, als sie merkte, dass ich ihr nicht folgte. “Kommst du oder was?”
    “Ich… ähm…”
    “Die Sachen hätte ich gerne wieder, ja?”, entgegnete Caleb mit einem belustigten Unterton in der Stimme, machte mir Platz, damit ich nach draußen gehen konnte und schloss dann kopfschüttelnd die Tür hinter sich.
    “Wo kam der denn jetzt her?!”, fragte ich O, die mir vor Lachen gar nicht antworten konnte. Sie bekam sich gar nicht mehr ein – und als sie anfing wie ein Schwein zu grunzen, konnte ich nicht mehr anders und prustete ebenfalls drauflos. “Also langweilig wird’s hier nie.”

    Caleb
    Hinter mir fiel die Haustür mit einem dumpfen ‘klack’ ins Schloss. Grinsend zog ich mir den Hut vom Kopf und legte ihn auf seinen Platz auf der Kommode. Meine Stiefel stellte ich daneben auf den Boden und meine Jacke hängte ich an einen der freien Haken. Ich legte den Kopf schief. Es waren zu viele Haken unbesetzt. Betsys Jacke fehlte. War sie noch draußen unterwegs?
    “Betsy?”, rief ich einmal laut doch erhielt keine Antwort. “Hm.”
    Mein Weg führte mich von der Küche, in der ich mir ein Glas Wasser holte, ins Esszimmer, wo ich einen gedeckten Tisch vorfand. Nach einem Blick auf die Uhr wurde mir klar warum. Ich hatte es pünktlich zum Essen nach Hause geschafft, was ein Zufall!
    Nach und nach trudelten die Mitarbeiter der Ranch ein und verteilten sich auf die freien Plätze. Laurence und Dolly traten gemeinsam ein und Laurence rückte ihren Stuhl zurecht. Seit die gute Dolly hier arbeitete, bestand ich darauf, dass sie mit uns gemeinsam aß- wann immer sie das wollte. Morgens erwischte ich sie fast immer beim Naschen, so dass sie später beim Frühstück so gut wie nie Hunger hatte. Abends aber gesellte sie sich beinahe immer zu uns.
    “Cayce, schon was Neues von Tschetan und Nicholas gehört?”
    Cayce nickte. “Eben über den Pager kam, dass die Beiden die Rinder und Kühe gefunden haben, ein Kalb ist dabei. Sie müssen allerdings draußen übernachten … sie hätten es nicht mehr vor Anbruch der Dunkelheit zurück geschafft.”
    Ich nickte. Das war zwar nicht die Antwort, die ich hören wollte, aber immerhin hatten sie die Tiere gefunden und würden sie hoffentlich am nächsten Morgen unbeschadet zurückbringen. “Und die anderen Tiere? Ich hab die Herde eben überflogen – wo ist der Rest?”
    Betretenes Schweigen.
    Schließlich räusperte Laurence sich. “Zwei Tiere waren so schwer verletzt, dass wir sie erschießen mussten”, dabei zeigte er auf sich und Cayce.
    “Verdammte Bisons!”, warf Bellamy ein und wurde jäh von Laurence unterbrochen.
    “Verdammter Sturm, Bellamy. Die Bisons gerieten auch nur in Panik, gib ihnen nicht die Schuld.”
    Das Gespräch über die Rinderherde zog sich noch ein paar Minuten. In meinem Kopf rechnete ich unentwegt hin und her, wie viele und vor allem welche Tiere noch da waren.
    “Hab ihr zwei Rinder oder zwei Kühe erlöst?”, fragte ich in Cayces Richtung gewandt.
    “Zwei Kühe, von den Kälbern keine Spur.”
    “Also zwei Kühe und zwei Kälber weniger, macht 13 erwachsene Tiere und 4 Kälber”, ich überlegte weiter, “Tschetan und Nicholas haben ein Kalb und die Mutterkuh sowie… wie viele der Rinder?”
    “Ich glaube 2 weitere”, warf Bellamy ein.
    “Dann müssten draußen 10 erwachsene Tiere und 3 Kälber stehen?”
    Alle schienen zu überlegen. Es waren zwei aufregende Tage gewesen, rechnen gehörte heute Abend wohl zu niemandes Stärke.
    “Ach, ich geh jetzt zählen.” Cayce stand auf und verließ den Raum, bevor irgendjemand auf die Idee kam, Widerworte einzulegen.
    Wieder sah ich mich am Tisch um. Betsy fehlte noch immer. Octavia, Aimee, Louis, Kaya und Ylvi fehlten aber ebenfalls noch, weshalb ich mir noch keine allzu großen Sorgen machte.
    Die Haustür wurde geöffnet und wenig später stand Cayce im Türrahmen. “10 Erwachsene und 3 Jungtiere.” Er stemmte den Arm in die Hüfte und schnaufte.
    “Sind Sie etwa gerannt, Mr. Cayce?”, fragte Dolly belustigt, hielt sich die Hand vor den Mund und kicherte.
    “Na aber sicher!”, er lachte und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.
    “Essen Louis und Ylvi heute nicht mit?”, fragte ich in die Runde und bekam als Antwort Gemurmel.
    “Und Kaya und Betsy?”
    Wieder keine Antwort.
    Sollte ich zu Louis und Ylvi rüber gehen und schauen, ob alles in Ordnung war? Bevor ich allerdings, vielleicht umsonst, einmal quer über den Hof lief, zückte ich mein Handy und schrieb Ylvi eine kurze Nachricht. Kaum hatte ich es wieder in meine Hosentasche gesteckt, vibrierte es. Die Antwort auf dem Bildschirm machte mich stutzig. Kaya war bei ihnen, aber Betsy fehlte.
    “Hat jemand von euch Betsy heute gesehen? Sie ist nicht bei Louis und Ylvi.”
    Ich blickte in zunächst ratlose Gesichter. Hier und da wurde sie heute gesehen, aber seit ein paar Stunden wusste niemand mehr, wo sie sein sollte.
    “Es tut mir Leid euch alle jetzt hier vom Esstisch vor dem Essen aufzujagen, aber …”
    “Ich such in den Ställen”, meldete sich Cayce sofort zu Wort.
    “Ich schau bei den Koppeln … Laurence, guckst du bei den Paddocks?”, dirigierte Bellamy und stand auf.
    “Ich geh zu Louis und Ylvi und von dort zum hinteren Teil der Ranch.” Damit stand auch ich auf und verließ den Raum.

    Hinter mir fiel die Tür des Bungalows von Ylvi und Louis ins Schloss. Auch sie waren in heller Aufregung und halfen bei der Suche nach Betsy. Kaya hatte mir einen guten Tipp gegeben. Ich solle mal im alten Bungalow von Betsy und Dell schauen. Ihre Freundin hat heute immer wieder von ihrem Vater gesprochen und wie sehr sie ihn vermisse.
    Ich hatte nur noch wenige Schritte, bis ich vor der Tür des Bungalows stand, in dem einst Dell gewohnt hatte. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir bewusst, wie unfair das Leben war. Als ich an die Tür klopfte, bildete sich ein Kloß in meinem Hals. War sie überhaupt hier? Was würde ich gleich zu ihr sagen? Was wollte sie hören – oder viel besser, was musste sie hören?
    Es blieb still hinter der Tür, dennoch trat ich ein. Der zunächst dunkle Raum wurde von Licht durchflutet, als ich den Schalter betätigte. Kurz musste ich die Augen zusammenkneifen. Allerdings gewöhnten sich meine Augen schnell an die Helligkeit.
    “Betsy?”, fragte ich einmal in den Raum hinein, erhielt jedoch wie im Haupthaus zuvor keine Antwort.
    Mein Weg führte mich sofort in Betsys altes Zimmer, in dem ich sie jedoch nicht antraf. Langsam stieg ein wenig Panik in mir hoch. Wo war sie bloß?!
    Mit dem Öffnen der Tür von Dells altem Schlafzimmer fiel jedoch alle Last von meinen Schultern. Dort im Bett lag das Mädchen zusammengekauert unter der Decke.
    “Betsy?”, fragte ich erneut, erwartete allerdings keine Antwort.
    Zu meiner Verwunderung jedoch drehte sie sich im Bett um und schaute mich aus verquollenen Augen an. “Hm?”, war ihre Reaktion auf meine Frage. Dann drehte sie sich zurück, wandte sich wieder von mir ab und zog die Decke bis an ihr Kinn.
    Langsam ging ich auf das Bett zu, vernahm jeden meiner Schritte zehnmal so laut. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Nervös rieb ich meine Hände aneinander, als ich das Mädchen fragte: “Darf ich mich zu dir setzen?”
    Statt einer Antwort rückte sie nach links und machte mir am Rand des Bettes Platz. Eine meiner Hände legte ich auf ihre Schultern, mit der anderen tippte ich flink ein ‘hab sie’ in unsere Hofgruppe, damit sich niemand weiter Sorgen machen musste.
    Eine ganze Weile saß ich schweigend neben ihr, während sie leise vor sich hin schluchzte. Sie so weinen zu hören zerbrach mir jedes Mal das Herz, besonders deshalb, weil ich ihr den Schmerz nicht nehmen konnte.
    “Wir haben dich beim Abendessen vermisst und uns Sorgen gemacht”, fing ich an leise mit ihr zu reden, “zum Glück hatte Kaya einen Verdacht, wo ich dich finden kann … Ich … Möchtest du … Möchtest du darüber reden?”
    “Nein”, kam nach einer ganzen Weile die knappe Antwort des Mädchens.
    “Soll ich einfach hier bei dir sitzen?”
    “Ja …”

    Ich schwieg wieder, strich ihr sanft über die Schulter und schaute mich im Zimmer um. Wir waren noch nicht dazu gekommen, den Bungalow auszuräumen. Es fühlte sich noch nicht richtig an. Alles hieran war falsch. Wieso musste so ein liebes und nettes Mädchen zuerst die Mutter verlieren und dann auch noch den Vater?
    An der Wand, genau gegenüber des Bettes, hing ein Bild von einem jungen Dell zusammen mit einer sehr jungen Frau, die ein Kind auf dem Arm hielt. Ich vermutete, dass es sich dabei um Betsy und ihre Mutter handelt. Die Beiden sahen so glücklich aus und strahlten in die Kamera. Da war er wieder, der Kloß in meinem Hals, der sich eben zu lösen begonnen hatte.
    Ein paar Mal noch versuchte ich Betsy zu überreden, mit mir über ihr Verhalten und ihre Traurigkeit zu sprechen. Jedes Mal blockte sie mich ab. Also versuchte ich es mit Ablenkung.
    “Ich hab heute mit Steffen telefoniert. Nima geht es unglaublich gut bei ihm, er freut sich so sehr, sie gekauft zu haben. Außerdem möchte er Kholáya auch haben, dann hat Nima eine Freundin von hier.”
    Endlich drehte sie sich in meine Richtung um, setzte sich auf und wischte sich die Tränen vom Gesicht. “Nima geht es gut?”
    “Ja, Nima geht es sehr gut, Steffen hat sie unglaublich lieb.”
    Betsy lächelte kurz, senkte dann jedoch ihren Blick. Zögerlich streckte sie die Hand aus und legte sie auf die Meine. Ich rührte mich nicht. Meine Angst war zu groß, eine falsche Bewegung zu machen und sie zu verschrecken. Als Adoptivvater, was ich für sie noch immer werden wollte, müsste ich mich an solche Dinge langsam herantasten. Ich hatte nicht die größte Erfahrung mit Kindern und jüngere Geschwister besaß ich ebenfalls nicht.
    Dennoch hob ich langsam meine andere Hand und legte sie sachte auf die Ihre. Sie zuckte nicht zurück, sah jedoch wieder zu mir auf.
    “Caleb, ich vermisse ihn so sehr.”
    Langsam nickte ich. Mein anfängliches ‘Ich weiß’ verwarf ich und antwortete stattdessen: “Ich auch.”
    “Heute haben alle geholfen – bei der Rindersuche, weißt du? Sogar Dolly hat geholfen, sie hat Lunchpakete für unterwegs gepackt. Kaya und ich waren beim Satteln der Pferde dabei und haben hier auf dem Hof mit angepackt. Louis wollte nicht, dass wir mitkommen und bat uns stattdessen, die Pferde zu füttern – schließlich hatten die auch Hunger … aber alle waren da … selbst du hast versucht so schnell es geht nach Hause zu kommen”, sie fing wieder an zu schluchzen, “nur Dad nicht. Mein Dad war nicht da, er konnte nicht helfen.”
    Sie zog ihre Hand aus den Meinen und setzte sich auf ihre Knie, um auf einer Höhe mit mir zu sein und mich zu umarmen. Etwas überfordert legte ich meine Arme um ihren kleinen Körper und hielt sie fest … Ich hielt sie eine ganze Weile einfach nur fest.
    Als das Schluchzen wieder verebbt war, erzählte sie weiter, was sie bedrückte: “Alle Leben irgendwie ihr Leben weiter, als hätte er nicht existiert. Niemand redet über ihn, wenn ich dazu komme und über ihn gesprochen wurde verstummt ihr, als wäre ich noch zu klein, um mit der Wahrheit umzugehen. Ich werde dieses Jahr 12 Jahre alt, ich bin kein kleines Kind mehr. Ich weiß, was der Tod bedeutet und ich hasse ihn, ich hasse den Tod und ich hasse die Welt, dass sie mir meinen Dad genommen hat!” Wieder stiegen Tränen in ihren Augen hoch.
    Ich wusste zunächst nicht, was ich ihr antworten sollte. Ein paar Mal setzte ich an, verstummte dann jedoch wieder, bis mir die richtigen Worte einfielen: “Betsy das Leben geht weiter, so schwer es uns auch fallen mag. Wir sprechen noch viel über Dell und denken an ihn. Doch wir haben… Angst in deiner Gegenwart über ihn zu sprechen. Wir möchten dich nicht verletzen. Wir können nicht in dich hineinschauen wie es dir geht und wie du damit klar kommst. Deshalb verstummen wir.”
    “Aber ich möchte, dass ihr über ihn sprecht”, kam es von dem Mädchen neben mir. “Ich möchte, dass ihr euch an ihn erinnert und ihn nicht… vergesst.”
    “Wie könnten wir, die Ferienranch trägt seinen Namen”, ich lächelte mild. “Hör mal … bezüglich der Ferienranch wollte ich noch mit dir sprechen. Irgendwie ist nie der richtige Zeitpunkt dazu, warum dann nicht jetzt?”, ich sah sie auffordernd an, “So langsam wird es Zeit, dass wir den Bungalow hier räumen. Ich mein, hier ist alles noch so … hier ist alles noch so. Ich habe überlegt, dass wir einen Teil zur Ferienranch bringen und einen Teil ins Haupthaus in dein neues Zimmer. Ich möchte, dass du entscheidest was wir wohin bringen sollen.”
    Betsy erwiderte nichts, setzte sich nur auf und sah sich im Zimmer um. So viele Erinnerungen hafteten an den Möbeln, den Bildern, der Kleidung. “Die Entscheidung musst du nicht jetzt treffen.” Betsy nickte. Ihr Blick blieb an dem Bild hängen. Das Bild von ihren Eltern und ihr. “Für das allerdings habe ich einen besonderen Platz ausgesucht. Darf ich ihn dir zeigen?” Sie nickte. Ich nahm vorsichtig das Bild in die Hand, reichte ihr Schuhe und Jacke und nachdem wir beide angezogen waren, verließen wir den Bungalow in Richtung des Haupthauses.

    Drinnen führte unser Weg sofort zum großen Wohnzimmer und dessen Kamin, auf dem einige Bilder standen. Unter anderem auch ein Bild von Verena und Svejn … wie schnell die Zeit vergeht.
    “Hier möchte ich es gerne dazu stellen. Es sollte einen Ehrenplatz bekommen, wo es jeder sehen kann.” Ich reichte Betsy das Bild und hob sie hoch, um es auf den Kaminsims zu stellen. Zwischen das Bild von mir zusammen mit Vulture und dem Bild von Louis, Ylvi, Kaya und Tschetan. “Zu meiner neuen Familie …”, murmelte Betsy. Ich hatte sie nicht ganz verstanden, vermutete nur, was sie gesagt haben könnte. Nachfragen wollte ich jedoch nicht, es schien nicht für meine Ohren bestimmt gewesen zu sein.
    “Wollen wir jetzt zu den Anderen gehen und noch was essen? Vielleicht haben sie uns sogar noch etwas übrig gelassen”, lachte ich und kratzte mich kurz am Hinterkopf.
    Wir gingen zurück ins Esszimmer, in dem sich wieder alle befanden. Sie hatten tatsächlich auf uns gewartet – auch Louis, Ylvi und Kaya befanden sich nun im Haupthaus. Betsy wurde von den dreien in die Arme geschlossen, ehe wir uns setzten.
    Ein paar Minuten später hatte jeder sich den Teller vollgeladen und war, nach einem wirklich anstrengenden Tag, zufrieden am Kauen.
    “Ich möchte, dass ihr über ihn sprecht.” Betsy erhob die Stimme, “Ich bitte euch. Redet über meinen Dad, erzählt euch lustige und nicht so lustige Geschichten … und vor allem, hört nicht auf, wenn ich dazu komme, denn sonst habe ich das Gefühl, dass ihr ihn vergessen wollt.” Es folgte eine unheimliche Stille. Die Menschen am Tisch hielten in ihren Kaubewegungen inne und rührten sich nicht mehr.
    Laurence war derjenige, der als Erster etwas sagte: “Also einmal … ja genau, da hat mich dein Vater ganz schön zur Weißglut getrieben, ich hätte ihn am liebsten mit dem Besen verprügelt”, er lachte. Alle anderen stimmten in sein Lachen ein. Die Geschichte kannte ich auch noch nicht – und während Laurence erzählte, nahm ich Betsys Hand. Als unsere Blicke sich trafen nickte ich ihr zu. Betsy lächelte kurz zurück, wandte sich dann aber wieder Laurence und seiner Geschichte zu, wie Dell einen ganzen Tag lang nicht das tun wollte, was Laurence ihn angestellt hatte.

    Tschetan
    “Wieso bleibst du stehen?”, kam Nicholas Stimme von hinten. Ich ließ ihn bis zu mir aufschließen, als er das getan hatte, brauchte ich ihm keine weitere Erklärung geben. “Du hast sie tatsächlich gefunden!”
    Unten in einer kleinen Senke standen drei erwachsene Kühe. Ich sah mich von dem idyllischen Anblick ein wenig um. Das Tal war weit fort. Die Spurensuche hatte uns tief in das Gebirge geführt. Die Bäume an dieser Stelle wurden immer karger. Wir hatten oft absteigen müssen, um einige der Wege mit den Pferden bewältigen zu können. Die halbwegs gerade Senke vor uns war bewachsen mit hohen Gras. Unzählige unterschiedlich große Findlinge lagen herum. Vor einigen Jahrhunderten musste ein Gletscher an genau dieser Stelle existiert haben und diese riesigen Felsen zurückgelassen. Andererseits konnten sie auch von einer Gerölllawine stammen, die hier hindurch gegangen war. Da es sich jedoch nicht um Neue zu handeln schien, galt dem weniger meine Sorge. Viel mehr schaute ich gen Himmel. “Ich hoffe du hast keine Angst vor Ungeziefer”, murmelte ich in Nicholas Richtung. Der schaute mich von der Seite erst ein wenig verwirrt an, folgte dann allerdings meinem Blick gen Himmel.
    “Wir schaffen es nicht mehr zurück,oder?”
    “Nicht rechtzeitig. Außerdem brauchen die Pferde eine Pause. Noch haben wir genügend Zeit. Satteln wir sie ab und suchen nach einem Rastplatz für uns.”
    “Sollten wir die Pferde nicht anbinden?”
    “Nein, die Senke hier ist gut. Sie haben das Gras – und der kleine Bachlauf sorgt für Wasser. So wie die Erde hier aussieht, haben auch die Kühe schon eine Weile hier verbracht. Sie werden sich nicht weit voneinander entfernen. So hoch oben ist die Gefahr zu groß, dass Bären unterwegs sind. Die Pferde sind angebunden eine zu leichte Beute. Wir müssen einfach darauf vertrauen, dass sie nicht weg laufen.”
    Ich kaute mir auf der Unterlippe herum. Meine Überlegung war es, eines der Kühe zu hobbeln. Doch wollte ich alle wieder wohlbehalten ins Tal bringen. Sollten Wölfe oder sogar ein Bär auf unsere Truppe stoßen, so war das gehobbelte Tier in Gefahr. Weit würden die Tiere nicht laufen – nicht beim Angebot des Futters. Außerdem kannten sie einander und waren an die Nähe des Menschen gewöhnt. Wir mussten also ihren Instinkten vertrauen. Also zog ich Sungila die Trense vom Kopf, löste den Knoten, mit dem der Riemen am Sattel befestigt war. Schmunzelte. Jetzt war ich froh um die Wahl der Satteldecken, denn genau um solche handelte es sich. Auseinander gefaltet konnten sie uns als Decken in der Nacht dienen. Ein Trick, den ich noch aus dem Reservat kannte. Wie oft hatten wir die Nächte draußen verbracht, irgendwo in der Prärie. Ich suchte in der Satteltasche nach meinem Smartphone. Kein Empfang. “Nicholas? Hast du Netz?”, ich winkte mit meinem Handy, damit er wusste, was ich meinte. Kurz suchte auch Nicholas, schüttelte dann den Kopf. “Gut, ich hab an den Pager gedacht. Ich schick denen im Tal fix eine Nachricht. Dass wir alle gefunden haben, aber die Nacht hier oben verbringen.”
    “Gib mir deine Wasserflasche, ich füll die Mal unten am Bach auf. Ich hab tierisch Durst.” Die Idee war tatsächlich keine verkehrte. Ich löste also meine Aluflasche aus ihrer Lederhalterung am Sattel, um sie ihm zu reichen. Schließlich machte ich mich auf zu den Kühen, schaute genau auf die erwachsenen Tiere, ob ich Verletzungen fand. Und sobald die Mutter mich ließ, ging ich auch zaghaft auf das Kalb zu, das im hohen Gras lag. Es schien erschöpft. Aber ansonsten wohlauf. Ein Teil der Anspannung fiel von mir ab. Der erste Teil war geschafft. Ich spürte das Brennen meiner Muskeln, das Ziehen in meinem Gesicht von den Kratzern. Aber ich war glücklich. Erst jetzt konnte ich die wunderschöne Natur um mich herum wirklich sehen. Mit geübtem Blick scannte ich meine nähere Umgebung. Gar nicht allzu weit entfernt sah ich einen riesigen Findling. Auf seinem Weg ins Tal war er dabei auf einen anderen Felsen gefallen. Daneben stand ein halb kahler Kiefernbaum. Darunter platzierte ich beide Sättel, legte die Decken darauf. Einen Platz für die Nacht hatten wir schonmal. Überrascht war ich, als Nicholas nicht nur mit den Flaschen wieder kam, sondern auch einen kleinen Arm voll Äste mit sich trug. Es schien also nicht sein erstes mal draußen in der Natur zu sein. “Sehr schön, du denkst mit!”
    “Aber glaub bloß nicht, dass ich das Feuer entfacht krieg.” Er reichte mir meine Flasche zurück. Ich genehmigte mir direkt ein paar Schlucke des kalten Getränks. Der kleine Bach musste von Gletscherwasser getränkt sein.
    “Schau in meinen Satteltaschen nach, da müsste eine kleine Metalldose sein. Da hab ich alles drin was wir für ein Feuer brauchen.” Nicholas drehte sich zu den Sätteln um und kramte die Dose hervor. Mit dem größten Stück Holz räumte ich eine kleine Stelle frei und schaffte so eine kleine Grube. Anschließend nahm ich mich der Dose an. Ich holte den Feuerstahl heraus. Ein wenig faseriges Zunder Gras und gut getrocknete Birkenrinde. Mit meinem Messer trennte ich kleine Stücke vom gesammelten Holz ab, um viele kleine Stücke zu haben. Anschließend erzeugte ich einige Funken, um die Birkenrinde zu entzünden. Mit ein wenig Fingerspitzengefühl entfachte ich rasch ein kleines Feuerchen, das wir fleißig mit den kleineren Ästen fütterten, um ein großes Feuer zu erhalten. Nicholas hatte in der Zwischenzeit die Stelle unter dem Felsvorhang von grobem Geröll und Stöckern befreit. Heruntergefallene Kiefernzweige hatte er im Abstand um das Feuer auf dem Boden verteilt. Das Moos auf den Steinen eignete sich nicht, noch war es zu nass, um es zu nutzen.
    “Gut, dass wir die Satteldecken genommen haben,” murmelte er, “wird sicher ‘ne kalte Nacht. Ich geh gleich nochmal auf die Suche nach ein wenig Feuerholz, damit wir gut nachlegen können.” Dann griff er sich plötzlich an den Bauch, lächelte. “Ich bereue außerdem, heute morgen das Frühstück ausgelassen zu haben.” Auch ich spürte das leichte Gefühl von Hunger in meinem Magen. Zwar hatte ich ausgiebig gefrühstückt aber, der Tag war anstrengend gewesen.
    “Ich denke das Feuer ist sicher. Ich werd mal was essbares besorgen. Nicht, dass mir der arme, weiße Junge noch verhungert”, scherzte ich. Am Bach hatte ich vorhin schon nah des Wassers die verräterischen weißen Blüten der Brunnenkresse entdeckt. Ich pflückte einige gute Hände voll, wusch sie ausgiebig im kalten Wasser aus. Da wir kein Gefäß hatten, um darin zu kochen, ließ ich die Pilze stehen – auch, wenn sie eine ausgiebige Nahrungsquelle ergeben hätten. Ich blieb unschlüssig am Bachlauf stehen. Er war zu klein, um wirklich Fischen eine Heimat zu geben, außerdem konnte ich kein Leben in ihm ausmachen. Also fiel auch das Angeln aus. Abgesehen von der Tatsache, dass wir wohl auch kein Angelset fertigen konnten. Daher konzentrierte ich mich eher auf essbare Pflanzen, ging hastig eine Liste dieser in meinem Kopf durch … und vor allem die auch zu dieser Jahreszeit wuchsen. Für Blaubeeren war es leider noch zu früh. So pflückte ich Löwenzahn, auf den sich auch die Ponys zu stürzen schienen. Außerdem machte ich am Waldrand eine überraschende Entdeckung. Hier in diesen Höhen hatte sich wilder Lauch angesiedelt. Ich holte ein paar der Stangen aus dem Boden. Sein Geschmack erinnerte stark an den einer Zwiebel, aber immerhin würde er uns ein wenig sättigen. Langsam setzte die Dunkelheit ein. Also beeilte ich mich, das gesamte Zeug am Bach zu waschen.

    Zurück im Lager sah ich Nicholas mit einem großen Haufen totem Holz neben dem Feuer sitzen. Die Sättel waren weiter unter den Vorhang verstaut. Beide Decken auf den Lagern aus Kiefernzweigen ausgebreitet. Die Steinwand reflektierte Licht und Wärme, als ich eintrat. “Oh, ich sehe, heute wird das Mahl wohl ein grüner Salat?”
    “Lass uns das alles ein wenig klein rupfen und schneiden. Alles zusammen wird das sicherlich kein Festmahl, aber es wird sättigen.”
    “Und ich hätte gedacht du gehst mit der Schießbüchse auf die Jagd!”
    “Donnerbüchse.”
    “Mhm?”
    “Donnerbüchse wurde das Gewehr oft genannt. Nicht Schießbüchse.” Nicholas lächelte, rufte seine Brunnenkresse in den Schoss. Ich schnippelte den wilden Lauch, steckte mir eine der Scheiben zwischen die Lippen. Ihr Geschmack erinnerte tatsächlich stark an eine Zwiebel, jedoch deutlich milder. Ich hatte mir das Ganze schlimmer vorgestellt. “Ich hab tatsächlich daran gedacht eine Hasenfalle zu bauen. Doch ich würde in der frühe eher aufbrechen wollen um die Tiere ins Tal zu kriegen, statt Zeit zu verplempern, einen Hasenbraten fertig zu machen.”
    “Da pflichte ich dir bei. Das ist deutlich vernünftiger. Ich muss allerdings gestehen … einen mehrere Tage andauernden Ritt mit dir in der Wildnis unterwegs zu sein … ich hab darauf richtig Lust.” Nicholas sprach mit glasiger Begeisterung in den Augen. Ich sah nicht richtig auf in meinem Tun. Doch sah ich, wie meine Finger einen Moment in ihrer Tätigkeit stoppten, bevor sie fortfahren konnten.
    “Hier, iss”, damit reichte ich ihm eine Hand voll wildem Lauch und er reichte mir die zerrupfte Brunnenkresse sowie den Löwenzahn. Ohne auf seine Worte einzugehen aßen wir stumm das Mahl. Jeder hing irgendwie seinen Gedanken nach. Wir hatten einen spektakulären Blick auf den Sonnenuntergang. Die Gipfel vor uns wurden nach und nach in weniger Licht getaucht, bis der Himmel aufbrach und dunkelrosa Sonnenstrahlen auf den Berghang geworfen wurden. Leichte Kälte zog ein. Also nahm ich mir die Decke, um sie mir um die Schultern zu legen. Beim Anblick des Himmels konnte ich Nicholas Wunsch schon verstehen, allerdings machte ich mir zu sehr Sorgen um die kleine Herde draußen. Ab und an konnte man die Pferde leise schnaufen hören. Die Geräusche des nächtlichen Waldes wurden immer surrealer und von den Berghängen hallte das Echo eines Wolfsgeheuls wieder.
    “Zugegeben das Geräusch jagt mir doch ein Schauer über den Nacken“, flüsterte Nicholas in die Dunkelheit. Ich schlug die Decke ein Stück zur Seite, um den Blick auf die Tasche mit dem Gewehr freizugeben.
    “Sie werden uns nicht angreifen. Falls doch, haben wir noch immer die hier.”
    “Dann halte ich mich lieber an dich. Ich hab nie gelernt, damit umzugehen.” Bewusst oder unbewusst rückte Nicholas näher zu mir heran. Mein Wunsch noch einmal nach den Tieren zu sehen wuchs. Da ich sie jedoch hören konnte, ließ ich davon ab.
    “Lass uns schlafen, der Tag war anstrengend genug.”

    Leicht schlotternd erwachte ich. Da mein Handy ausgeschaltet war, hatte ich keinerlei Vorstellung davon wie spät es war. Ich richtete mich halb auf, nahm einen der verbliebenen Totholz Zweige und warf sie auf das langsam sterbende Feuer. Nicholas bewegte sich. Im Licht des Feuers sah ich, wie sich seine Augen öffneten. “Erinner mich dran, wenn wir wirklich mal unterwegs sind einen Schlafsack einzupacken. Meine Gänsehaut nimmt die Ausmaße einer Rauhfasertapete an!” Ich strich mir mit den Händen durch das müde Gesicht, entfernte die kitzligen Haare so gleich mit. Ich legte also noch einen der Scheite auf das Feuer. Dann richtete ich mich auf, schnappte meine Decke.
    “Rutsch ein Stück rüber”, gähnte ich lautlos. Nicholas ließ sich nicht weiter bitten. Er rückte gerade so nahe wie er es wagte, an das Feuer heran. Dann hob er seine Decke an. Etwas ungelenk legte ich mich neben ihn. Anschließend warf ich die Decke über die Seine. Tatsächlich spürte ich fast augenblicklich, wie sich unsere Körperwärme unter den Wolldecken verbreitete. “Ich hätte gern mein Büffelfell dabei”, seufzte ich schläfrig. Nicholas rückte mit dem Rücken näher an den meinen heran. “Oh warte,” flüsterte ich, “meine Haare!” Nicholas hob leicht den Oberkörper, damit ich einen meiner Zöpfe unter seiner Schulter hervorziehen konnte.
    “Gute Nacht”, seufzte Nicholas. Langsam kroch wohlige Wärme in meine Gliedmaßen und allmählich fand ich halbwegs erholsamen Schlaf.

    Schlaftrunken blinzelte ich, brauchte einen Moment das blonde Gesicht so dicht vor dem meinen überhaupt wahrzunehmen. Ich hatte jahrelang so dicht neben Kaya geschlafen, nicht ihre Stirn an der meinen zu spüren erschreckte mich. Ich hatte den Atem von Nicholas in meinem Gesicht. Ich spürte die Gänsehaut in meinem Körper. Vorsichtig rückte ich von ihm fort, machte flüchtig einen Blick in Richtung des Feuers. Nur noch eine leichte Glut glimmte vor sich her. Um die zurückkehrende Kälte zu entfernen, richtete ich mich auf, strich über die vom Tau ganz klamme Decke. Bevor wir los konnten, musste sie ein wenig trockener werden. Ich widerstand dem Gefühl Nicholas bereits zu wecken. Wie es mir erschien, erwachte der Morgen gerade erst. Uns bliebe noch der gesamte Tag, um ins Tal zurück zu reiten. Ich warf die Decke in die ersten Strahlen der Sonne auf einen der Findlinge. Unten am Fluss füllte ich die beiden Flaschen wieder mit klarem Wasser auf. Ich spürte das Brennen in den Fingern vom eiskalten Wasser, spritze mir das kühle Nass jedoch auch ins Gesicht, um meine Gemüter ein wenig zu beruhigen. Ich wusste, dass es zum erwachsen werden gehörte, doch konnte ich getrost darauf verzichten. In meinem Kopf blieb nur der Schatten einer Erinnerung was genau ich geträumt hatte, aber offensichtlich hatte es ausgereicht, die Freude in einige Teile meines Körpers zu befördern. Ich zupfte, nachdem ich mich nach Nicholas umgesehen hatte, sachte an meiner Hose herum um das einengende Gefühl los zu werden. Dann sah ich mich um. Sungila hob ihren Kopf aus dem Gras. Ich schmunzelte und machte mich durch das nasse Gras auf den Weg zu ihr. Es freute mich, alle Tiere wohlbehalten an der selben Stelle zu finden. In der Nacht schienen sie, wie ich es vermutet hatte, eng zusammengehalten haben. Hierin sah ich den großen Vorteil, dass die jungen Pferde oft zwischen den Kühen standen - sie sahen sie durchaus als Teil ihrer Spezies und Herde an.
    “Wollen wir direkt los?”, meinen Körper durchfuhr der Schreck, ebbte nur langsam ab. Ich war zu konzentriert auf meine schweifenden Gedanken gewesen. Nicholas in der Stille des Morgens hatte ich nicht erwartet.
    “Ich denke wir genehmigen uns noch ein Grünzeug-Frühstück, lassen die Decken in der Morgensonne trocknen und buddeln das Loch vom Feuer wieder zu.”
    “Dann übernehm ich das Buddeln … such du das Grünzeug. Die Decke hängt schon neben dem Stein von deiner.”

    Nur langsam kamen wir aus dem Hochgebirge in die unteren Regionen. Mittlerweile hatte ich mit dem Lasso dem Kalb die Beine zusammengebunden und den jungen Bullen auf Sungilas Rücken gelegt. Zwischenzeitlich hatte ich bereut, die junge Stute genommen zu haben. Allerdings meisterte sie jede der Aufgaben, die ich ihr geben musste, mit einer Souveränität. Sie erfüllte mich mit Stolz. Wir hatten einen Umweg um die kleine Geröllhalde machen müssen, denn wir hatten nicht riskieren wollen, dass die Kühe dort abstürzten. Hatten sich ungefähr so die ersten Siedler dieses Landes gefühlt, als sie mit ihren Trecks die Gebirge überwanden? “Nicholas! Schau!”, rief ich zu ihm nach hinten. Er bildete das Schlusslicht unserer kleinen Herde. Zwischen dem dichten Wald konnten wir nun das Blockhaus der Ferienranch erkennen.
    “Du hast es geschafft!”, rief Nicholas von hinten und schenkte mir ein breites Grinsen, “Ich hoffe Dolly hat den Kühlschrank gefüllt. Mir hängt der Magen in den Kniekehlen!”, rief er spitzbübisch.
    “Hat dir mein Festmahl nicht gefallen?”
    “Seh ich aus wie ein elender Veganer?”
    “Dann lass ich dich das nächste Mal auf die Jagd gehen, ja?”
    “Es wird also ein nächstes Mal geben?”, fragte Nicholas, als er neben mir auf dem Hauptweg angekommen war. Ich machte eine unbestimmte Handbewegung.
    “Lass uns erstmal dieses Abenteuer beenden”, dann zwinkerte ich und stieg hinter dem Kalb wieder in den Sattel. Bevor Easy unruhig wurde da ich bereits losgeritten war, fand auch Nicholas seinen Weg in den Sattel. Wir trieben nun auf dem breiten Weg die Kühe einfach vor uns her. Der Abstieg hierher war für die Kühe genauso anstrengend gewesen wie für uns, daher ließen wir uns Zeit. “Warte mal, ich setz das Kalb jetzt mal wieder runter”, seufzte ich – darauf hätte ich ja auch kommen können bevor ich aufgestiegen war! Also stieg ich wieder umständlich vom Pferd, löste die Schlinge um die Vorder und Hinterbeine und gab das Kalb zurück in die Obhut der Mutterkuh. Blökend bockte es in Richtung seiner Mutter.

    Hat wer bis hier gelesen? :)
    Mohikanerin gefällt das.
  4. Wieder gibts zwei neue Parts, falls jemand lesen möchte :)

    The Last Ride
    November 2021, by Ravenna & Veija
    Zeitliche Einordnung: März 2021

    Caleb
    Die letzten Tage, ja sogar die letzte Nacht, kamen mir vor wie im Traum. Ich wachte am frühen Morgen mit einem Stapel Blätter auf meiner Bettdecke auf. Ein Teil des Papiers breitete sich auf dem Boden aus. Auf der obersten Seite stand in Großbuchstaben: ‘Adoptionsantrag’. Ich hatte mich also doch nicht getäuscht. Ein Traum, in dem Ylvi vorgekommen wäre, hätte mit Sicherheit nicht eine solche Richtung eingeschlagen.
    Müde rieb ich mir einmal durch die Augen, ehe ich alle Blätter aufsammelte und auf meinen Nachttisch neben dem Bett legte. Ich würde mir den Antrag am Nachmittag anschauen, jetzt musste ich erst einmal in den Stall und… es war, als träfe mich der Schlag. Mit einem Mal kochten alle Emotionen hoch, die ich am gestrigen Tag, für Betsy, so gut zu verdrängen versucht hatte. Ich ließ mich wieder aufs Bett sinken, legte meinen Kopf in meine Hände- und fing an zu weinen. Auch Dells Tod am gestrigen Abend war kein Traum gewesen, nein. Es war die bittere, grausame Realität. Er war fort, einfach so. Plötzlich. Einfach aus dem Leben gerissen.
    Eine ganze Weile saß ich auf meinem Bett und gab mich meinen Gefühlen hin. Sobald ich aufstand, würde ich stark sein müssen. Stark für meine Mitarbeiter und stark für Betsy. Das allerletzte was sie gerade brauchte, waren weinende Erwachsene um sie herum. Es war so schon schwer genug für sie.
    Am vorigen Abend war sie mit Kaya und Tschetan ins Bett gegangen. Louis, Ylvi und ich hatten es für das Beste gehalten, die Kinder nicht zu trennen. Ylvi war mit zu ihnen in den Bungalow gegangen, während Louis und ich dem Rest der Ranch den Tod Dells mitgeteilt hatten. Octavia traf es besonders hart. Sie hatte sich in Bellamys Arme geworfen und bitterlich geweint. Laucene, der jegliches Schluchzen unterdrückte, schien ebenso mitgenommen.
    Nun war es an der Zeit aufzustehen, ich konnte nicht mehr länger hier sitzen bleiben… Also zog ich mich an und ging die Treppe nach unten. Im Haus war niemand, selbst Laurence, der immer als erstes am Tisch saß und seinen Kaffee trank, fehlte. Das Einzige was auf einen frühen Vogel hindeutete, war der warme Kaffee in der Kaffeekanne. Aus dem Schrank nahm ich mir einen der Thermobecher, ehe ich mir den letzten Rest des braunen Getränks hinein schüttete und vorsichtig daran nippte. Kurz verzog ich das Gesicht. Laurence’ Gebräu. Um es auch nur annähernd genießen zu können, kippte ich mir eine Menge Milch hinein. Schließlich ging ich in den Stall. Auch dort traf ich niemanden an. Die Boxen waren nicht gemacht und gefüttert hatte auch noch niemand. Dennoch fiel mir auf, dass einige Pferde fehlten. In der Halle stieß ich dann auf Bellamy, Cayce und Laurence.
    Ich setzte mich auf die Tribüne, legte meine Füße auf den Vordersitz und schaute den drei Reitern einfach eine Weile zu. Es dauerte allerdings nicht lange, da wurde ich bemerkt und das Training stoppte kurz.
    “Wir… ähm…”, fing Cayce an, stockte dann jedoch.
    “Wir konnten irgendwie alle nicht schlafen… zu erst war nur ich hier, dann kamen die anderen dazu”, beendete Laurence den angefangenen Satz von Cayce.
    Ich lehnte mich auf dem Sitz etwas vor, um nicht so laut reden zu müssen. “Ist schon in Ordnung.” Damit stand ich auf und verließ die Halle wieder. Ich wollte ungern in ein Gespräch verwickelt werden, weshalb mich meine Schritte wie von selbst in den Trainingsstall führten, in dem ich schon einmal die morgendliche Fütterung übernahm und die Pferde danach nach draußen brachte.

    Ylvi
    Lange hatte ich wach gelegen neben Louis. War immer wieder aufgestanden um mich zu vergewissern ob die beiden Kinder schliefen. Tschetan hatte sein Bett für Betsy zwar geräumt. Schlussendlich fand jedoch Betsy ihren Weg in das Bett von Kaya. Beide Mädchen hielten sich im Arm. Ihren Schmerz konnte ich nicht verstehen. Aber Kaya war Betsy womöglich in dieser Zeit die beste Stütze. Da der Schlaf nicht einsetzte war ich drauf und dran Tschetan von der Couch zu jagen.
    Als ich nach ihm sah, merkte ich das die kleine Lampe noch brannte. Als er meine Fußtritte vernahm, ging hastig das Licht aus. "Ich hab das Licht noch bemerkt." flüsterte ich in die Dunkelheit hinein. Hörte das leise Rascheln und schließlich das klick des Schalters. "Schlafen sie?" fragte Tschetan, deutete dabei vage mit den Lippen in Richtung des Zimmers der Mädchen. Ich lächelte, nickte ihm zu. "Was hält dich wach?" fragte ich den Jungen. "Die Couch, die ist einfach unbequem…" dann sah er hinab auf seinen Schoß. "Naja...und eigentlich." er machte eine unbedeutende Handbewegung in den Raum. "Bevor das ganze Chaos der letzten Tage passiert ist….also ein Mädchen aus der Schule, die wollte in Calgary mit mir in die Mall. Jetzt weiß ich nicht ob das angebracht ist." Ich schmunzelte ein wenig in mich hinein. Ein Mädchen interessierte sich für Tschetan? Nicht, dass mich das ganze überraschte. Natürlich waren mir die Blicke der Mädchen, sogar junger Frauen schon aufgefallen. Tschetan wurde bald 15 Jahre alt. Er sah seinem Cousin Louis bereits jetzt sehr ähnlich. Seine Gesichtszüge wirkten nicht länger wie die eines Kindes. Sein Gang hatte die Schlaksigkeit verloren. Er sah älter aus als er war. Natürlich hatten die Mädchen seines Alters Interesse an ihm. Und obwohl der Schmerz von Dells Tod allgegenwärtig war. So machte mir dieser Moment bewusst wie andere Bereiche des Lebens einfach weiter gingen. Das Rad des Lebens würde sich weiter drehen. "Ich denke ein Treffen in der Mall ist genau das Richtige, um ein wenig Zerstreuung zu finden. Aber lass mich mit Louis darüber sprechen, wann wir das einplanen können,ja?" Tschetan nickte besonnen. "Schlaf jetzt...morgen wird genug zu tun sein."

    Caleb
    Nachdem alle Pferde auf der Weide oder den Paddocks waren, hatte ich angefangen die Boxen zu misten. Ich wusste gar nicht mehr, wie lange ich bereits im Stall gestanden und geschaufelt hatte.
    “Caleb, kommst du auch was essen? Es ist schon Mittag.”, fragte mich irgendwann eine Stimme hinter mir. Ich wandte mich dieser zu und rieb mir einmal die Augen.
    “Ich äh.. ja, Ylvi”, murmelte ich in mich hinein, stellte die Bollengabel gegen die Schubkarre und folgte der Frau schweigend nach drinnen. Erst dann schaute ich auf die Uhr und erschrak kurz. Das Mittagessen war schon eine Weile vorbei, die Zeit war mir einfach davongelaufen.
    Klar, dass schon alle fertig mit essen waren, so spät wie es war. Nur wo waren sie alle abgeblieben?
    Ylvi setzte sich ebenfalls an den Tisch, lud sich eine kleine Portion des Auflaufs auf den Teller und aß schweigend. Nachdem ich mir ein Glas Wasser befüllt und auf meinen Platz gestellt hatte, nahm auch ich mir etwas zu essen. Das Schweigen dauerte nicht lange.
    “Caleb… wir müssen das mit der Adoption regeln- und wir müssen uns Gedanken zu… seiner Beerdigung machen.”
    Zunächst sah ich nicht von meinem Teller hoch. Als ich es dann doch tat, drohten sich meine Augen erneut mit Tränen zu füllen, die ich mit aller Mühe hinunterschluckte. “Ich bin mir sicher, dass er ein Plätzchen nahe der Ferienranch ausgesucht hätte, wenn er dazu selbst die Chance gehabt hätte. Oben an einer Stelle, wo man in der Ferne die Ranch sehen kann. Wir lassen.. wir lassen ihn einäschern, reiten alle zusammen zur Ferienranch, er in der Tragtasche eines der Pferde.. als seinen letzten Ritt.”
    Ylvi hörte mir gebannt zu, schien mich zu verstehen. Schließlich nickte sie traurig: “Das hört sich wunderschön an.” Wir schwiegen einen Moment. “Aber Caleb, was ist mit den Adoptionspapieren?”
    “Hat das nicht noch ein wenig Zeit?”
    Ylvi verneinte. “Wir müssen uns schnell darum kümmern, bevor uns diese Entscheidung abgenommen wird.”
    Ich seufzte, legte das Besteck auf meinen Teller ab und leerte mein Glas Wasser in einem Zug. “Ich geh die Papiere holen.”

    Ylvi
    “Vielleicht sollte ich besser meine Seele verkaufen!” damit flog der Stift beinahe quer über den Tisch. Caleb lehnte sich nach hinten, verschränkte die Arme vor der Brust. Seine gesamte Stirn lag in Falten. Wir waren bereits eine gute Stunde damit zugange die Papiere der Adoption gemeinsam auszufüllen.
    Es war Chaos. Nicht nur weil Caleb in den letzten Jahren seine Unterlagen nicht vernünftig geführt hatte...nein Dell hatte das quasi auch nie getan. Ich stupste ihn mit der Schulter an. “Ich weiß...mir geht es doch ähnlich. Wir müssen ganz schön blank ziehen vor den Behörden. Aber ist das ganze erstmal durch. Sind wir einen Schritt weiter. Für Betsy ist das die beste Entscheidung. Und zumindest stehen wir bereits in der Verfügung von Dell. So können nicht irgendwelche weiten Verwandten plötzlich einfach Anspruch auf Betsy erheben.”
    “Du hast ja nicht Unrecht….Aber es hat eben schon seine Gründe wieso du mittlerweile für den blöden Papierkram der Ranch verantwortlich bist. Ich versteh die Hälfte von den Sätzen und Vorschriften gar nicht. Das könnte doch immerhin in einer leicht verständlichen Sprache verfasst sein.”
    “Das wäre zu einfach”
    “Na klasse, stattdessen muss ich mich hier herum plagen.”
    “Bier?” kam plötzlich eine fremde Stimme von der Seite. Tschetan stand im Türrahmen, zwei Biere in der Hand. Sein Haar trug er offen. Es schien gerade frisch gewaschen. “Tschetan, du bist mein Retter.” verkündete Caleb schelmisch. Ein zaghaftes Lächeln auf seinen Lippen. Es tat gut das zu sehen. Auch wenn es nur wenige Lidschläge anhielt. Ich angelte über den Tisch nach dem weg geworfenen Stift. “Komm schon. Die Konzentration wieder hier rauf. Es sind nicht mehr viele Seiten.”
    “Das sagst du so einfach.” gerade wollte er die Flasche von Tschetan an die Lippen setzen. Da griff ich danach. Verdutzt sah er mich an. Bestimmt tippte ich auf die Papiere und schob sie ihm zu. “Sieh das Bier als Belohnung.”
    “Hmpf”

    Caleb
    Wir waren bei der letzten Seite des Adoptionsantrages angekommen. Etwas verwundert war ich schon, dass folgende Frage so weit am Schluss, kurz vor den Unterschriften der möglichen Adoptanten seinen Platz fand: Familienstand: [ ] ledig, [ ] verlobt, [ ] verheiratet.
    „Ähm Ylvi..“, murmelte ich und kratzte mir mit den Stift, den ich mittlerweile wieder in der Hand hielt, am Kopf. „Kreuzen wir jetzt ledig und verheiratet an? Oder nur verheiratet? Oder nur ledig?“
    Sie stutzte. „Ich glaube, dass wir sowohl ledig, als auch verheiratet ankreuzen sollten. Das entspricht ja der Wahrheit.“
    Ich setzte also einen Haken bei ledig, als auch bei verheiratet. „Dann sollten wir aber wohl eine kurze Erklärung daneben schreiben, oder? Den Fragen, die dazu auftauchen werden, zuvorkommen?“ Ylvi nickte, ich reichte ihr den Stift und sie schrieb unsere Situation auf. Dass wir zum Zeitpunkt, an dem Dell uns als potenzielle Adoptiveltern auserkoren hatte, ein Paar gewesen sind, dass wir nun getrennt wären, Ylvi verheiratet sei aber dennoch hier auf der Ranch leben würde und sie wie auch ihr Mann meine Angestellten wären. Kompliziert konnten wir.
    Nun fehlten nur noch die Unterschriften. Ylvi sah mich an, ich sah sie an. Tschetan schaute abwechselnd zwischen uns beiden hin und her. Außer unseren Herzschlägen und unserem Atem herrschte völlige Stille. Ylvi setzte den Stift an und unterschrieb zuerst, dann folgte meine Unterschrift. Nun gab es kein Zurück mehr, der erste Schritt zur Adoption Betsys war getan.
    „Ich werde gleich nach Calgary fahren, mich um einige Dinge für die Beerdigung kümmern. Wenn ich es noch früh genug schaffe, kann ich die Unterlagen direkt auf dem Amt abgeben. Fährst du mit?“, fragte ich Ylvi und streckte meinen Arm aus, um an das Bier zu kommen, welches sie mir vorenthalten hatte.

    Ylvi
    Skeptisch hob ich die Augenbraue. “Also entweder, wartest du bis wir wieder zurück sind mit dem hier.” damit tippte ich mit dem Fingernagel gegen das Glas.” oder du lässt besser mich fahren.”
    Caleb zuckte nur mit den Schultern. “Soll mir Recht sein. Fahr du nur.” Damit erhaschte er das Bier aus meiner Hand. Ich schüttelte seufzend den Kopf. Brachte etwas Ordnung hinein in die Unterlagen. Steckte sie zurück in den Hefter. Das schließen des Druckknopfes schien beinahe etwas endgültiges zu haben. “Großer Schritt. Nicht wahr?” kam es im ernstem Ton von Caleb. “Ich….ich weiß wirklich nicht ob ich das kann.”
    “Vater sein?”
    “Ich möchte Dell gar nicht ersetzen.”
    “Caleb, das kann niemand. Aber du kannst für sie da sein. Ihre Vertrauensperson. Ihr Fels in der Brandung. Du bist mit der Entscheidung nicht allein...wir alle werden helfen. Gemeinsam packen wir das.” ich legte meine Hand an seine, strich mit dem Daumen über seinen Handrücken. Spürte wie seine Hand erst zuckte, als wolle er sie weg ziehen. Dann trafen sich unsere Blicke. Und ich war mir nicht ganz im klaren darüber was ich in seinen Augen sah. Es war so vieles unausgesprochenes zwischen uns. Dann nahm er seine andere Hand, fort vom Bier, legte sie auf meine Hand. “Gemeinsam.” ….dann lächelte er “das haben wir eine verdammt lange Zeit nicht gesagt.” Ich spürte wie sich mir die Nackenhaare aufstellten. Begann dieser griesgrämige Cowboy mir etwa tatsächlich zu verzeihen? “Dann lass uns mal losfahren. Ehe es zu spät wird.”

    Caleb
    In Calgary angekommen stolperten wir kurz vor knapp beim zuständigen Amt für Adoptionsverfahren hinein. An der Rezeption wurden wir darauf hingewiesen, dass wir zwar ganz schön spät dran seien, die zuständige Sachbearbeiterin allerdings gleich von einem Besuch im Außendienst zurückkommen würde und sie uns noch kurz reinschieben könnte.
    So setzen wir uns ins Wartezimmer und vertrieben uns die Zeit damit, uns über die Plakate zu Adoptions- und Pflegefamilien zu unterhalten. Schließlich wurden wir aufgerufen und betraten das freundlich eingerichtete Zimmer der uns zugeteilten Sachbearbeiterin, welche nach uns das Zimmer betrat, uns die Hände schüttelte und sich dann hinter ihren Schreibtisch setzte. Sie wirkte auf mich ziemlich jung, ungefähr unser Alter, eventuell ein paar Jahre jünger, hatte rötliche Haare und helle Augen. Ich war mir nicht sicher ob grün, blau oder sogar eine Mischung aus beidem. „Ich bin Hailey Miller und ihre Sachbearbeiterin im Falle der eventuellen Adoption von Betsy Dell. Die Unterlagen haben Sie ausgefüllt dabei, nehme ich an?“ Ylvi nickte hastig und legte sie ihr auf den Tisch. Die Frau uns gegenüber überflog die Papiere grob, nickte schließlich und klappte die Mappe. „Unterschriften sind drauf, die werden gerne vergessen. Auf den ersten schnellen Blick haben Sie alles ausgefüllt. Ich werde Ihre Angelegenheit bei Zeiten prüfen und mich dann bei Ihnen melden. Sie hören also von mir.“ Damit stand die Frau auf, reichte zuerst Ylvi, dann mir die Hand und scheuchte uns mehr oder weniger aus ihrem Büro hinaus.
    Draußen sah Ylvi mich verdutzt an. „Dass das heute so schnell geht, damit hätte ich nicht gerechnet.“
    „Sie hat auch keine Frage zum Familienstand gestellt, was mich wirklich gewundert hat“, antwortete ich, warf Ylvi wieder die Schlüssel des Trucks zu und setzte mich auf den Beifahrersitz. „Jetzt zu den unangenehmen Angelegenheiten“, seufzte ich und beschrieb Ylvi den kürzesten Weg zum Bestatter.
    Die Wahl der richtigen Blumen, der Urne und allem was dazu gehörte war quälend und der Papierkram dazu wollte kein Ende nehmen. Schlussendlich war alles geregelt. In drei Tagen würden wir die Urne abholen dürfen, ebenso wie die Blumen, mit denen wir die Pferde als auch die Stelle, an der wir Dell beerdigen würden, schmücken wollten. Ylvi und die anderen wussten noch nichts davon, aber ein wenig Asche wollte ich oben auf dem Berg verstreuen, ein Teil von Dell verdiente es, frei wie der Wind zu sein.
    Als wir wieder beim Auto ankamen, ließen wir beide uns vollkommen fertig auf die Sitze fallen. Ylvi kämpfte wieder mit den Tränen, verstaute die Unterlagen auf der Rückbank und kreuze meinen Blick für einen Moment. „Ich weiß…“, flüsterte ich und nahm ihre Hand, drückte sie leicht und schwieg. Eine ganze Weile saßen wir so da, ehe sie die Hand wegzog, den Motor startete und wir uns auf die eineinhalbstündige Heimfahrt zur Ranch machten.

    Ylvi
    Die Fahrt...zog sich dahin. Endlos leierten die Lieder hintereinander weg. Keiner von uns fand die richtigen Worte. Keiner füllte die Stille. Stattdessen hingen wir nur den Gedanken hinterher. Es begann bereits zu dämmern als mein Truck die Auffahrt zur Ranch hinauf fuhr. “Der erste Schritt ist tatsächlich getan.” murmelte Caleb als ich den Motor ausgeschaltet hatte. “Pack ich das?”
    Meine Gedanken schweiften zurück. Zu dem Moment da Caleb mit einer angelegten Waffe vor mir stand. Über die Prügeleien die er geführt hatte. All die Momente in den letzten 3...fast 4 Jahren die ich mit ihm erlebt hatte. An all die Geschichten die ich gehört hatte von seiner Zeit auf der Gips Reminder Ranch und davor. “Caleb...ich glaube. Von dem unbeherrschten jungen Cowboy ist nicht mehr viel übrig. Seitdem ich dich kenne hast du uns hier ein neues zu Hause gegeben. Bist Betsys guter Freund geworden. Und für Tschetan sogar ein richtiges Vorbild. Du packst das.”
    “Ohne dich hätte ich den Schritt nicht gewagt.” Ich lächelte ihn schwach von der Seite an. Ich wusste, dass es die Wahrheit war. Ohne mich hätte er vielleicht so einiges nicht gewagt. “Lass uns vorerst...nur an die Beerdigung von Dell denken. Einen Schritt nach dem anderen. Danach kommt alles weitere.”
    “Kommst du noch mit? Schauen ob die Pferde genug Wasser haben.”
    Mein Blick huschte hinüber zum kleinen Bungalow. Dort brannten die Lichter, an der Stelle wo sich unsere Küche befand. Louis bereite sicherlich gerade das Essen vor. Caleb hatte es bemerkt. Er seufzte und wollte beginnen aus dem Wagen zu steigen. “Was?” fragte ich in seine Richtung. “Daran werde ich mich wohl nie gewöhnen….du als Mutter.” ich konnte nicht anders als zu schmunzeln. “Das sagt der richtige...schließlich dürfen wir dich demnächst Papa Caleb nennen.”

    Caleb
    Unsere Wege trennten sich und ich verbrachte den restlichen Tag bei und mit den Pferden. Die tägliche Arbeit machte auch heute keinen Halt vor mir, so dass ich erst wieder daran denken konnte, ins Haus zu gehen, als es bereits dunkel war. Von meinem Arbeitszimmer aus konnte ich die Bungalows sehen. Mit zusammengekniffenen Augen trat ich näher ans Fenster heran. In Dells… Betsys Hütte brannte Licht.
    Schnellen Schrittes ging ich wieder nach unten, schnappte mir an der Tür Jacke und Stiefel und ging nach draußen. Wenig später kam ich am Bungalow an, klopfte an der Tür. Sie war offen, so dass ich hineinging. “Hallo, ist hier jemand?”, fragte ich in die Stille hinein. Nichts war zu hören. Das komplette Haus schien beleuchtet, denn als ich ins Wohnzimmer ging und von dort aus die anderen Zimmer durchkämmte, kam mir jedes Mal ein Lichtschwall entgegen. Im großen Schlafzimmer schließlich fand ich die Person, die dafür verantwortlich war. Vorsichtig schob ich die Tür auf und blickte in Betsys tränenüberströmtes Gesicht. Sie hielt einen von Dells Pullis im Arm und hatte sich damit auf seinem Bett zusammengekauert. Ich senkte kurz den Blick. “Darf ich.. reinkommen?”, fragte ich das Mädchen, welche zaghaft nickte und auf dem Bett ein wenig zur Seite rutschte, so dass ich mich neben sie setzen konnte.
    Ich horchte in mich hinein, wollte nichts falsches sagen. Gab es hier in dieser Situation überhaupt ‘das Richtige’?
    “Möchtest du heute Nacht hier schlafen?”, fragte ich sie dann leise und streckte meine Hand aus, um sie auf ihren Rücken zu legen und sie sanft zu drücken. Betsy nickte, entzog sich aber meinem Versuch ihr irgendwie Trost zu spenden, indem sie den Rücken wegdrückte. “Möchtest du, dass ich hierbleibe?” Keine Reaktion. Dann jedoch nickte sie zaghaft. Ich zog meine Jacke und die Stiefel aus, schlug die Decke zur Seite und legte mich neben sie ins Bett. Nichts war zu hören, außer meinem gleichmäßigen Atem und Betsys leisem Schluchzen. Das Einzige, was ich in diesem Moment für sie tun konnte, war für sie da zu sein, zu versuchen, ihr Halt zu geben; wenn auch nur, dass ich hier im Bett neben ihr lag, damit sie nicht alleine war.
    Das Schluchzen endet. Betsy zog den Pulli enger an sich heran, ehe sie zaghaft etwas näher an mich herangerückt kam. Dann noch ein Stück… und noch ein Stück, bis ich sie schließlich in die Arme schließen konnte. Es dauerte keine fünf Minuten, da erkannte ich an ihrem regelmäßigen Atem, dass sie eingeschlafen war.
    Ich schrieb Ylvi schnell eine Nachricht, dass ich hier mit Betsy im Bungalow sei. Die Lichter ließ ich brennen, denn ich wollte nicht mehr aufstehen und riskieren, dass ich sie weckte- sie hatte den Schlaf so dringend nötig. Und ich ebenso, denn auch mich riss die Erschöpfung wenig später ins Land der Träume.

    Ylvi
    Es vergingen 3 Tage, in denen die ganze Ranch versuchte wieder einen normalen Ablauf des Tages hinzubekommen. Ich befand mich gerade auf dem Heimweg. Die Kids hatten alle einvernehmlich beschlossen wieder zur Schule zu gehen. Sie wollten nicht zu viel vom Stoff verpassen. Außerdem vermittelte ihnen die Schule ein gewisses Maß an Normalität.
    Tatsächlich...war es fast leicht in der Weite der Ranch zu vergessen. Schob man den Gedanken an Tod aus dem Gedächtnis. So konnte man einfach denken, Dell sei irgendwo beschäftigt.
    Nur am Abend, wenn sich alle im Haupthaus versammelten. Ein Platz in der Mitte des Tisches frei blieb. Erst dann kam der Gedanke daran zurück. Wie ein blöder Moment eine Person aus ihrer Mitte gerissen hatte. Aus Gewohnheit, wurde der Platz von jedem der Küchendienst hatte mit gedeckt. Als würde Dell einfach nur zu spät kommen.
    Ich blieb noch einen Moment im Truck sitzen. Auch ich hatte beschlossen heute meine Arbeit im Büro wieder aufzunehmen. Schließlich galt es Rechnungen zu erstellen. Arbeitspläne zu erstellen. In den letzten Tagen hatte ich eher die körperliche Arbeit bevorzugt, aber der Alltag musste nunmal auch weitergehen. Seufzend öffnete ich meine Tür, zog den Kragen meines Pullis höher gegen den kühlen Wind der heute über das Land fegte.
    Im Büro startete ich den Rechner gerade, als das Telefon auf Calebs Arbeitsplatz klingelte. Ich schlängelte mich vorbei am Tisch und dem Beistelltisch, um ranzugehen, bevor die Rufumleitung aktiv wurde.
    “Ja?” - blöde Angewohnheit
    “Mister o’Dell?”
    “Nein, Ylvi ...Ylvi KillsBears”
    “Gut, sie stehen als Kontakt auch in meinen Notizen. Hier ist Miranda McNamara. Ich rufe vom Krematorium aus Calgary an. Die Überreste von Mister Dell können abgeholt werden. Ich würde gern einen Termin zur Übergabe mit ihnen ausmachen”
    Ich musste schlucken. Das war unerwartet schnell gegangen. “Mhm”, ich räusperte mich.
    “Ich könnte die Überreste sogar noch heute abholen. Ich werde am Nachmittag meine Kinder aus Calgary holen.”
    “Wir haben bis 18 Uhr geöffnet. Schaffen Sie das?”
    “Selbstverständlich. Dann würde ich etwa zu 17.30 bei Ihnen vor Ort sein?”
    “Wunderbar. Bis später Miss KillsBears”
    Das Geräusch als ich den Hörer beiseite legte hörte ich kaum, durch das Piepen in meinem Ohr. Der letzte Ritt hinauf zur Ranch stand damit kurz bevor. Wie in Trance schrieb ich Caleb eine Nachricht.
    Das Krematorium rief an. Heute 17.30 Abholung der Urne. Willst du mit?

    Caleb
    Gemeinsam mit Bellamy hatte ich den Tag im Sattel verbracht. Der Alltag pendelte sich schnell wieder ein, zu schnell, wenn man mich fragte. “Wir müssen uns vor dem nächsten Frühjahr und vor den neuen Fohlen Gedanken machen, welche Pferde wir verkaufen sollen”, meinte ich irgendwann und sah zu Bellamy rüber, der seine Stute Dakota ritt. Sie war definitiv nicht meine erste Wahl gewesen, um bei den Rindern vorbei zu schauen, doch er hatte darauf bestanden. Die Stute kam viel zu kurz im Moment und hatte sich einen schönen Ausritt redlich verdient. Ich selbst saß auf Devil, wie konnte es auch anders sein. Die anfangs unberechenbare Stute war zu meinem besten Ranchpferd geworden. Im nächsten Jahr sollte sie ihr vermutlich letztes Fohlen bekommen, erneut von Blue. Somit hatte sie ein Fohlen von Gangster, eins von Unbroken Soul of a Devil, und zwei von Blue. In Bailey, das Stutfohlen von Gangster, steckte ich große Hoffnungen, ein ebenso tolles Ranch- und Cuttingpferd zu werden, wie Vater und vor allem Mutter.
    Wir hatten zur Zeit sowieso einige Verkaufspferde, aber noch fast keines wirklich im Netz angepriesen. Das kam auch Bellamy wieder in den Sinn.
    “Vielleicht sollten wir mal neue Verkaufsfotos schießen? Die Verkaufspferde nochmal kurz ins Training nehmen und ordentliche Fotos machen- dann lassen sie sich gleich leichter verkaufen”, meinte er schulterzuckend. “Ylvi kann dir ja die Fotos machen, das ist kein Problem. Trainingstechnisch haben wir alle im Moment Kapazitäten frei, also sollten wir das auch auf die Reihe bekommen.”
    Ich nickte. Recht hatte er.
    Als wir uns gerade auf dem Rückweg zur Ranch befanden und ich wieder Netz hatte, piepste mein Telefon. Eine Nachricht von Ylvi. Mist, wir waren noch ganz schön weit weg von zuhause. Dennoch antwortete ich ihr ein knappes ‘ja’ und sah dann zu Bellamy. “Lust auf ein kleines Wettrennen nach Hause?” Bellamy nickte. Wir gaben den Pferden Küsschen und galoppierten aus dem Schritt an. Devil ließ sich das nicht zweimal sagen und hängte Bellamy schon nach den ersten Metern ab. Dakota schien das aber vollkommen egal zu sein, denn sie galoppierte einfach in ihrem Tempo hinter uns her. Bellamy lachte nur und ließ sie laufen, ohne sie wirklich anzutreiben. Nach einem weiteren kurzen Blick nach hinten, ob alles in Ordnung sei, schaute ich wieder nach vorne und trieb Devil an. Wie hatte ich das vermisst. Im gestreckten Galopp, ein klares Ziel vor Augen, die Sorgen und Ängste für einen Moment vergessen.
    Dieses Gefühl war jedoch viel zu schnell vorbei, denn als ich nicht mehr weit von der Ranch entfernt war, nahm ich meine Stute zurück und forderte von ihr einen schönen, gesetzten Galopp. Das Leben war eben nicht nur Spaß und Freude.
    Am Hof angekommen wusste ich nicht, wer gerade stärker pumpte. Devil, oder ich. Das fiel auch Cayce sofort auf, der kopfschüttelnd auf mich zukam. “Da haste es aber wieder gut gemeint, nicht wahr?”, tadelte er mich, nahm mir die Stute aber direkt ab, als ich mich aus dem Sattel auf den Boden schwang. “Kannst du die waschen und ins Solarium stellen? Ich muss mit Ylvi nach Calgary… die ähm.. die Urne abholen.” Da war er wieder, der Kloß in meinem Hals. Auch Cayces Miene trübte sich. Er nickte nur, klopfte der Stute den Hals und verschwand in Richtung des Stalles.
    Ylvi fand ich vor dem Haupthaus vor. “Beeil dich”, rief sie mir zu und tippte auf ihren Arm, an dem sich die Uhr befand. “Von wo kommst du überhaupt?”
    “Rinder…”, antwortete ich knapp und schnappte mir ihren Arm, um auf die Uhr zu schauen. Ein paar Minuten hatten wir noch, bevor wir losfahren mussten. “Ich muss schnell noch duschen”, murmelte ich. Das gekeifte ‘Wir müssen los!’ nahm ich gar nicht mehr wirklich wahr. 10 Minuten später saßen wir im Truck und ich erzählte Ylvi von der Idee mit den Verkaufsfotos.

    Ylvi
    Da war er wieder, der feste Klumpen der sich irgendwo in meinem Bauch gebildet hatte. Nicht nur das ich genervt davon war,dass wir viel zu spät los kamen. Es ging wieder normal weiter…..und der Klumpen in meinem Magen. Dieser zog sich munter enger zusammen. Verkaufsfotos machen...war fast genauso schlimm wie heute morgen das Büro zu betreten. “Dann gehen wir das denke ich nach der Beerdigung an”, murmelte ich leise. “Hat heute morgen allen geklappt bei den Rindern?” “Aye” ...Caleb schwieg, schien aber noch etwas anfügen zu wollen. “Leider ist deutlich zu merken...naja uns fehlt halt ein Arbeiter. “ da seufzte er “Ich fürchte neben den Verkaufsfotos muss ich dich wohl auch bitten eine Stellenanzeige zu schreiben. Die Stelle ist schließlich frei.”
    “So früh?” wieso zitterte meine Stimme dabei so?
    Dann spürte ich eine Hand auf meinem Oberschenkel, Calebs Hand. Ich konnte nicht anders, griff danach und suchte den Halt. Eine Träne verirrte sich nun doch aus meinem Augenwinkel. Das war einfach nicht fair. Nicht für Betsy, nicht für uns, nicht für die Ranch. Ich war wütend. Auf das ganze Universum. Vielleicht sogar auf Dell der ohne richtige Vorrichtung diesen doofen Trailer hatte reparieren wollen.
    Erst als ich den Motor abstellte an der Schule um die Kinder abzuholen. Verschwand Calebs Hand von meinem Oberschenkel. Die Stelle blieb einen Moment warm, dann schien sie kälter als zuvor. Als würde sie vermisst werden. Mit den Händen wischte ich etwas grimmig die Tränen weg. In Gedanken beugte ich mich hinüber zu dem Platz der nun von Caleb besetzt wurde. War es auf die Macht der Gewohnheit. Möglicherweise auch die allgemeine Verwirrung und Trauer die aktuell herrschte. Ich küsste raue Lippen. Was flüchtig hatte werden sollen. Was...aus reiner Gewohnheit geschehen war. Eine übliche Verabschiedung von Louis. Wurde plötzlich erwidert. War das ein Seufzen der Verwirrung oder der Erleichterung die ich von Caleb wahrnahm? Ich spürte seine Hand in meinem Nacken. Wieso geriet ich immer wieder in diese Situationen? Ich konnte nicht aufhören. Gewohnheit, mein Körper der sich erinnerte...und der simple Fakt das mein Verstand diesen blöden Cowboy noch immer liebte. Ähnlich wie Caleb lehnte ich mich ihm entgegen. Hing am Kragen seiner Weste, bis mir die Luft ausging.
    Flüchtig, gemurmelt mit einem “Bis gleich.” stieg ich aus dem Auto. Bis mein Verstand realisiert hatte was ich soeben getan hatte. Ich drehte mich nochmal um. Mechanisch, das Gesicht verzogen in Verwirrung, der Mund geöffnet. Dann beschloss ich nichts zu sagen. Verschloss die Tür und stiefelte vom Auto fort. Wie konnte ich jetzt nur wieder einsteigen?
    Noch viel schlimmer, wie sollte ich das aufklären. Mit verkniffenen Augen schüttelte ich den Kopf, rieb mir über die Stirn. Als ich frontal mit jemandem zusammenstieß. Mein Hirn schien noch immer umnachtet. Louis? War mein erster, erschrockener Gedanke. Bis ich...schlaksige Arme wahrnahm, geflochtene Zöpfe. “Tschetan!” entfuhr es mir ..ertappt? erschrocken? Wie viel mochte er gesehen haben? Er war alt genug um zu verstehen...und mitzubekommen was gewesen war. “Alles in Ordnung?” hörte ich da eine gewisse Skepsis in der Stimme des jungen Mannes? Raste mein Herz da etwa? “mhm, alles super.” log ich. Mit dem herben Geschmack von Caleb auf den Lippen.

    Caleb
    Verdattert blieb ich im Auto sitzen, meine Gedanken kreisten. Aus Reflex hatte ich den Kuss erwidert, ohne darüber nachzudenken, was es bedeutete. Nun hatte ich Zeit zum Denken. Seufzend klatschte ich mir die Hand vor den Kopf. ‘Du Vollidiot.’ Diese Worten hallten immer wieder in meinem Kopf nach. Doch Ylvi hatte den Kuss ebenfalls erwidert! Sie hätte ihn abbrechen können, was sie aber nicht getan hat. Und ich? Wieso hätte ich mich zurückziehen sollen, wo sie doch damit angefangen hatte! Weiter kam ich mit meinen Gedanken nicht. Ylvi kam mit den Kindern zurück.
    Die Schultaschen wurden verstaut und die drei Kinder setzten sich auf die Rückbank. Tschetan erzählte munter von der Schule, Kaya und Betsy hörten ihm neugierig zu, Ylvi und ich schwiegen. Am Laden der Bestatterin hielt Ylvi an, wartete im Wagen mit den Kindern. Ich ging nach drinnen, klopfte meine Stiefel kurz auf der Fußmatte ab und sah zu Ms. McNamara, die für unseren Fall zuständig war. “Hallo, Caleb O’Dell”, stellte ich mich erneut vor und reichte ihr kurz die Hand. “Ich wollte die Blumen und die… Urne von William Dell abholen.”
    Ms. McNamara nickte, kramte in ihren Unterlagen und führte mich zu ein paar Kisten. Weiße Blumen hatten wir bestellt, viele verschiedene, aber alles in weiß. Das würde morgen wunderschön aussehen, wenn wir die Pferde damit schmückten und zur Dude Ranch reiten würden.
    Als mein Blick jedoch auf die Urne fiel, hielt ich einmal kurz inne, stockte in der Bewegung. Einen Moment später sah ich zu McNamara. “Sie ist wirklich.. schön geworden.”
    “Wir haben sie extra nach ihren Wünschen gestaltet, die Gravuren waren nicht einfach, aber ich denke, wir haben es doch sehr gut hinbekommen.”
    Die Kisten mit den Blumen waren schnell eingeladen, auch die Urne und den kleinen Grabstein wurde in einer Kiste verstaut, ehe diese ebenfalls eingeladen wurde. Ich bezahlte die junge Frau und verabschiedete mich. “Falls doch etwas fehlen sollte oder sie morgen spontan den Wunsch nach etwas anderem haben, lassen Sie es mich wissen.” Damit verabschiedeten wir uns und machten uns auf den Rückweg zur Ranch.
    “Die Blumen sind wunderschön”, flüsterte ich zu Ylvi rüber. Betsy war eingeschlafen, wer konnte es ihr verübeln. Nachts schlief sie kaum durch, schreckte immer wieder hoch. Die einzige Nacht, in der sie bisher durchgeschlafen hatte, war die gewesen, in der sie und ich in Dells Bett geschlafen hatten. “Die Gravuren auch… in der Urne.” Ylvi blickte zu mir hoch. “Jaja ich weiß, davon wusste niemand etwas. Ihr werdet es morgen sehen.” - als sei es eine Überraschung, auf die sich jeder freuen könnte, Vollidiot, tadelte ich mich innerlich selbst und schaute wieder geradeaus auf die Straße. Niemand sagte auch nur einen Satz zum vorherigen Kuss, nichts.
    Auf der Ranch angekommen räumte ich die Blumen und die Kiste mit Urne und Grabstein in die Garage, wo sie bis morgen stehen bleiben würden. Die Blumen standen alle im Wasser, so dass ihnen dort nichts passieren und sie nicht verwelken würden. Dann ging ich nach drinnen und setzte mich an den Tisch, um mit den anderen gemeinsam Abend zu essen. Neben Kaya und Tschetan saß Betsy, die viel zu müde war um viel zu essen. Schließlich stand Ylvi auf und erklärte sich bereit, das Mädchen ins Bett zu bringen. Momentan schlief sie zusammen mit Kaya drüben im Bungalow von Ylvi und Louis.
    Es hatten fast alle den Tisch verlassen. Lediglich Cayce und Bellamy saßen noch dort. Für meinen Plan kam mir das gerade gelegen. “Was habt ihr zwei heute Abend noch vor?”, fragte ich in die Runde und schaute abwechselnd zwischen den beiden hin und her.
    “Äh.. nichts mehr”, antwortete mir Cayce und schaute neugierig zu mir rüber. Auch Bellamy war noch nicht verplant.
    “Ich brauch eure Hilfe, drüben im Schuppen beim Holz. Also deine erstmal, Cayce. Bellamy du kannst dir meinen Truck schnappen, wir brauchen Schaufeln, Beton, Schrauben, Nägel und sowas.. wir fahren gleich noch rüber zur Ferienranch. Sie bekommt heute Abend endlich einen Namen.”

    Ylvi
    Das Abendessen war ruhig verlaufen. Louis hatte es benommen Betsy und Kaya in ihr Bett zu verfrachten. Mit Tschetan hatten wir noch begonnen einen Film zu schauen. Allerdings reichte meine Konzentration kaum um dem Film zu folgen. Louis hatte seine Hand über die Lehne der Couch um mich gelegt. Seine Finger streichelten mir unablässig über die Schulter. Sie schienen bleischwer. Mich beschäftigte der Kuss. Ich wollte ihn nicht ungeschehen machen. Noch viel schlimmer der Kuss hatte mich an andere Zeiten erinnert.
    Ich konnte das alles gar nicht fassen. Eigentlich sollten meine Gedanken bei Dell sein. Schließlich hatten wir vorhin seine Asche aus dem Krematorium geholt. Hier saß ich allerdings. Konnte nicht fassen was geschehen war. Und war trotzdem drauf und dran hinüber ins Haupthaus zu gehen. War ich eigentlich jetzt vollkommen bescheuert geworden? Ich regte mich in meiner Position, die innere Unruhe ließ mich schwer still sitzen. "Ich muss mal auf Toilette", murmelte ich einem verwirrt zu mir schauenden Louis zu. Gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und erhob mich. Im Bad warf ich mir ein paar Tropfen Wasser ins Gesicht. Betrachtete mein Gesicht im Spiegel. Hatte ich da etwa Augenringe? Ich seufzte schwer, sah hinaus aus dem Fenster. Von hier aus konnte ich einen Teil der Ranch sehen. Verwundert ging mein Blick zur kleinen Lichtquelle an der Seite des Berges. Jetzt war es natürlich duster, aber ich wusste natürlich, dass dort der Berg war. Licht? Oben an der Ferienranch. Verwunderlich. Was tat Caleb um diese Zeit dort oben noch? Vielleicht hatte er noch vor dort oben einiges zu schmücken. Da er mich nicht eingeweiht hatte, beschloss ich sollte es mir egal sein und verließ das Bad wieder. Nur um in ein dunkles Wohnzimmer zurückzukehren. "Tschetan ist ins Bett verschwunden." flüsterte es aus der Dunkelheit. Die Augen stellten sich noch auf sie ein, also nahm ich nur einen kleinen Umriss wahr der auf der Couch saß. "Wer kann es verübeln. Morgen wird…" ich seufzte und spürte schon wieder die Tränen in mir aufsteigen. Louis rückte näher zu mir auf der Couch heran, seine langen Arme schlossen mich in eine warme Umarmung. Seine Finger Strichen mir über den Rücken. Ich wollte jetzt nicht denken. Louis Lippen spürte ich auf meinem Hals, wanderten mein Kinn hinauf. Sein Atem spürte ich in meinen Ohren. Die Gänsehaut lief mir über den Körper. Schließlich fanden sich unsere Lippen. Wie nur konnte sich auch dieser Kuss so natürlich anfühlen? Dies war mein Mann...und dieser Kuss, die Art wie er meinen Körper zu berühren kann. Ich liebte es. Ich liebte ihn. Und trotzdem wusste mein Körper um einen anderen Mann, der eine andere Art des Feuers in mir entfachen könnte. Louis nahm mich auf den Arm, ohne dabei den Kuss zu unterbrechen. Trug mich durch die Dunkelheit zu unserem Schlafzimmer. Schloss fast ein wenig unsanft die Tür. In dieser Nacht spendeten wir uns einander Trost.

    Caleb
    Am nächsten Morgen war ich früh auf den Beinen; also wirklich früh. Ich quälte mich in die Küche und ging schnurstracks zur Kaffeemaschine, von der mir ein wohliger Geruch in die Nase stieg. Ich blickte zuerst auf die Uhr: wir hatten gerade einmal halb 5. Um halb 1 war ich endlich im Bett gewesen, die Arbeiten für die Ferienranch hatten länger gedauert, als ich gedacht hatte.
    Ich schaute mich in der Küche um. Laurence saß in der Ecke auf seinem Platz und grummelte mir ein “Morgen” entgegen. Laurence, Laurence. Immer der erste, der auf den Beinen war, egal wie früh am Morgen man die Küche betrat. Ehe ich mich auf meinen Platz setzte, schenkte ich mir eine Tasse des wohlig duftenden, aber viel zu starken Gebräus ein. Knapp die Hälfte Milch ruinierte die schöne, dunkle Farbe. “Seit wann sitzt du schon hier?”, fragte ich den älteren Mann neben mir, nachdem ich einmal an der Tasse genippt hatte.
    “Etwa eine Stunde. Ich konnte mal wieder nicht schlafen. Außerdem habt ihr gestern Abend ganz schön Krach auf der Ranch gemacht”, tadelte er mich.
    Ich seufzte, legte meinen Hut neben mich auf die Bank und starrte auf meine Finger. “Das war es wert.”
    Zwei Stunden später hatte ich mit Laurence und auch Cayces Hilfe alle Pferde versorgt. Bellamy und Octavia waren auch dazu gestoßen und hatten sich um die Verkaufspferde und die des Nebenstalls gekümmert, so dass wir schon anfangen konnten, die Pferde zu satteln und für den letzten Ritt (The Last Ride) Dells zu schmücken.
    Als alle Pferde hergerichtet waren, zog ich mir den schwarzen Anzug, den ebenfalls schwarzen Hut und die weiße Krawatte an.
    Nach und nach trudelten die Mitarbeiter der Ranch ein. Ich teilte ihnen die Pferde zu und sie setzten sich in den Sattel. Lediglich Betsy und ich standen noch am Boden. Das Mädchen drehte sich zu mir um und sah mich aus geröteten Augen an: “Ich möchte, dass er von Sue getragen wird… von meiner Sue. Ich möchte Blue reiten.”
    Ich nickte, verstaute die Urne in der Satteltasche von Sue und ging Blue holen, den ich für Betsy sattelte und schmückte. Dann saßen wir alle im Sattel. In der linken Hand hielt ich die Zügel von Devil, auf deren Rücken ich saß, in der rechten den Strick des Halfters von Sue, die ich als Handpferd mitnahm.
    Gemeinsam ritten wir vom Hof und machten uns auf den Weg von ungefähr zwei Stunden (da wir viel Schritt gehen würden) zur Ferienranch.
    Betsy auf Blue, Laurence auf Honor, Cayce auf seinem Shorty, Bellamy auf Dakota, Octavia auf Raspberry, Louis auf Whinney, Ylvi auf Kristy, Tschetan auf Alan, Kaya auf Hope, ich auf Devil und… Dell mit Sue.

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    Nach dem Verlassen des Hofes hielten sie sich eine ganze Weile auf dem Feldweg in Richtung Berge auf. Niemand sprach ein Wort, alle schienen in ihren eigenen Gedanken versunken. Plötzlich hielt Octavia, die an der Spitze ritt, an. “Oh, schaut mal!”, sagte sie leise, drehte sich dabei zum Rest der Truppe um und zeigte nach rechts vorne. Dort stand eine Herde Bisons die friedlich graste.
    “Ich habe hier soweit südlich bei uns noch nie Bisons gesehen”, murmelte Caleb. “Lasst sie uns bitte großzügig umreiten, aufschrecken und in Panik versetzen möchte ich sie wirklich nicht.”
    Also verließen sie den Feldweg und wandten nach links auf die großen Wiesen ab. Hier war kaum noch etwas eingezäunt, der Blick reichte soweit das Auge schauen konnte. Um etwas Abstand zwischen die Bisonherde und die Pferde zu bekommen, legten sie eine kurze Trabphase ein. Als die fremden Tiere nur noch kleine Punkte am Horizont waren, wurde wieder zum Schritt durchpariert.
    Nun waren sie am Fluss angekommen, der durchquert werden musste. “Caleb, hey Caleb, schau mal!”, sprach Betsy aufgeregt und zeigte zu den wenigen intakten Bäumen, die es an dieser schmalen Flussstelle noch gab. An den Stämmen machten sich einige Biber zu schaffen. Caleb lächelte. Auch diese Tiere hatte er hier bisher kaum zu Gesicht bekommen. Stetigen Schrittes wateten die Pferde durch die schmale Stelle des Flusses. Die Biber hielten inne in ihrem Tun, beobachteten die seltsamen Tiere, die ihre Ruhe störten, aus ihren schwarzen Knopfaugen. Hinter der Biegung des Flusses die alle durchquert hatten, öffnete sich eine weite Wiese mit vereinzelt stehenden Bäumen, die ihre Schatten warfen. Deutlich waren die tiefen Spuren der Bisons zu sehen. Louis deutete auf sie um Kaya auf sie aufmerksam zu machen. Caleb wendete sein Pferd nicht auf die weite Ebene des Tales, sondern zur Baumgrenze die hinauf in die Berge führte. Ab hier begann die anspruchsvollste Strecke für die Pferde, die sonst eher die flache Ebene gewohnt waren. Auf manchen der Pfade mussten alle hintereinander reiten. “Caleb? Wo führst du uns lang? Das ist nicht der übliche Weg zur Ranch hoch!” rief Ylvi von ihrer Position zwischen Betsy und Kaya. Caleb drehte sich halb im Sattel, lugte unter seinem Hut hervor. “Wir reiten von hinten heran. Da wir keine Rookies sind, sollten wir den Weg packen.” Ylvi schien sich mit dieser Antwort zufrieden zu geben und rückte ihr Kleid am Knie ein wenig zurecht. Im Sattel in einem Kleid war wirklich keine gute Idee gewesen. Als sie nach 2 Umwegen, da der Weg vor ihnen durch einen umgestürzten Baum versperrt gewesen war, schließlich die Gebäude der Ferienranch erreichten, da herrschte leichte Verwirrung was nun eigentlich zu tun war. Jeder stieg aus dem Sattel. Hielten ihre Pferde an den Zügeln. Spiegelten im Grunde Calebs Verhalten wider. Dieser sammelte sich. Sortierte die Zügel seinen Reittieres und die Leine an dessen Ende Sue hing. Drehte sich in Richtung eines kleinen Zaunes. Dort öffnete sich nicht nur der dichte Wald um sie herum. Ein Felsvorsprung ragte einer Nase gleich aus dem Berg. Stand man an seinem Ende, so blickte man in das Tal des Bow River. Von hier aus konnten sie alle die Ranch durch die Bäume sehen. Die Wiesen auf den gegenüberliegenden Weiden erahnen. Ein Schluchzen unterbrach die Stille. Dabei stammte es nicht nur von einer Person. Doch Ylvi fand die Worte die allen auf der Zunge lagen.”Von hier aus wird er über das Tal wachen...und alle beobachten können. Das ist ein perfekter Ort.” Sie griff nach Calebs Hand, entwand ihnen die Zügel von Devil. Um ihm den möglichen Freiraum zu geben mit Blue näher an den Zaun zu gehen. Dort war bereits eine kleine Mulde ausgehoben worden. Tannenzweige lagen darum. Ein kleiner Haufen,in ihm eine Schaufel um die Erde später wieder zu verschließen. Alle wandten plötzlich ihre Blicke in Richtung des Himmels, als das Rufen von Gänsen über ihnen zu vernehmen war. Noch kündigte die Temperatur nicht davon, doch der Sommer schien früh in diesem Jahr zu kommen, wenn sich die Gänse auf den Weg in den Norden machten. Ob sie wohl Dells Seele mit auf Reisen nahmen?
    Zusammen mit Sue trat Caleb an das Grab heran. Den Zaun am Abgrund hatte er am vergangenen Abend noch mit Cayce und Bellamy gebaut, er würde ihn gleich noch brauchen. Der Cowboy öffnete die Packtasche des Sattel, entnahm die Urne und stellte sie neben das Grab auf den Boden, dann führte er Sue zurück zu Ylvi, die die Stute festhielt.
    Schließlich ergriff er das Wort: “Knapp dreieinhalb Jahre war Dell bei uns gewesen. Hatte nach dem Tod seiner geliebten Frau und Mutter seiner Tochter bei uns ein neues Zuhause gefunden. Vom Fremden zum Stallburschen, zur Hand für alles und schließlich zum Freund. Sogar zum guten Freund, einer meiner Besten. Er stand mir immer mit Rat und Tat zur Seite, half mir auf die Beine, wenn es mir mal nicht so gut ging oder ich wieder… zu aufbrausend wurde, so dass ich jemanden hätte in der Luft zerreißen können. Er hat mir gezeigt, was es überhaupt bedeutet, ein Vater zu sein. Ich kann mich noch genau an unser Gespräch am Frühstückstisch erinnern vor ein paar Tagen.. da habe ich ihn gefragt, wie es ist, Vater zu sein. Wisst ihr was seine Kernaussage war? ‘...aber Caleb, es ist das Schönste im Leben…’”, Caleb seufzte. “Aber auch ich habe ihm geholfen. Wenn er mal nicht weiter wusste, mit der Welt überfordert war, da war ich für ihn da gewesen- wie Freunde das so machen. Ich habe gestern mit Betsy gesprochen. Sie hat mir gesagt, ich darf einen Teil seiner Asche über das Tal verstreuen. Dell verdient es, über die Ferienranch zu wachen, er verdient es, weiterhin in unserer Mitte zu sein, er verdient es, immer einen Blick auf Bow River zu haben ; aber er verdient es auch, frei zu sein. Frei wie der Wind.” Mit diesen letzten Worten ging Caleb auf die Urne zu, stellte sich zum Zaun und… zückte sein Handy, klickte etwas darauf herum und startete das Lied, welches er extra für diesen Moment ausgesucht hatte. Aus den Boxen hinter ihnen lauschten alle den leisen Klängen der Musik, ehe eine Frau zu singen anfing.

    “Pack my bags cause I'm headed farther south
    Turn around, see the chaos of this house
    The road ahead is dark and lonely
    It's so cold and it's so stormy
    And it looks like I'm the only one around
    I'm going where the world ends and the sky begins
    Leaning over the edge but pushed back by the wind
    Reaching out for heaven but I pull my arm back in
    I'm standing where the world ends and goodbye begins
    I think I'm lost but I have no place to go
    Should I start walking back, try to find someone I know
    But the road behind is dark and lonely
    It's so cold and it's so stormy
    And it looks like I'm all on my own
    I'm standing where the world ends and the sky begins
    Leaning over the edge but pushed back by the wind
    Reaching out for heaven but I pull my arm back in
    I'm standing where the world ends and goodbye begins
    I'm going where the world ends and the sky begins
    Leaning over the edge but pushed back by the wind
    Reaching out for heaven but I pull my arm back in
    I'm standing where the world ends and new life begins” - ‘Where the World Ends von Layne Elizabeth’

    Während des Liedes öffnete Caleb die Urne, nahm Betsy kurz in den Arm, die sich zu ihm gesellt hatte und stellte sich auf die unterste Latte des Zaunes. Betsy tat es ihm gleich, sie hatten das so abgemacht und er hatte es ihr versprochen. Als das Lied verstummt war, herrschte für einen kurzen Moment Ruhe. Schließlich ergriff Caleb erneut das Wort und sprach: “I'm standing where the world ends and goodbye begins.” Er streckte seinen Arm über den Abgrund, neigte die Urne gen Boden und schüttelte sie leicht auf und ab, so dass die Asche nach unten rutschte. Die ausgeschüttete Asche wurde von einer Windböe erwischt und schien im Wind zu tanzen. Zunächst stieg sie etwas nach oben, ehe sie sich schnurstracks auf den Weg zum Boden machte. Kurz bevor sie aus unserem Sichtfeld verschwunden war, wurde sie von einem Adler durchstoben, der sich seinen Weg nach oben suchte, kurz vor uns abwendete und in die Weite des Tales hinaus flog. Nun war es auch um Caleb geschehen, der, um Betsy ein Fels in der Brandung sein zu wollen, versucht hatte, nicht zu weinen. Eine Träne nach der anderen kullerte seine Wange hinunter, als er vom Zaun stieg, Betsy hinab half und die Urne ins Grab legte. Ein Mitarbeiter nach dem Anderen warf eine weiße Blume ins Grab. Zum Schluss auch Betsy und Caleb, ehe der Mann sich die Schaufel nahm und das Loch zu schaufelte. Betsy drückte sich an ihn. Caleb nahm sie fest in den Arm.
    So standen sie eine ganze Weile einfach nur da, starrten die aufgetürmte Erde an und weinten. Nicht nur Betsy und Caleb. Alle Mitarbeiter, nein Freunde Dells, weinten um ihn, zückten Taschentücher und fielen einander in die Arme.
    Caleb sah auf. Es war eine Mädchenstimme zu hören, leise und unbekannt. Zunächst sah der Mann runter zu Betsy, die vor sich hin schluchzte… Als er den Blick schweifen ließ blieb er an Kaya hängen. Sie sprach! Die stumme Kaya! Caleb traute seinen Ohren kaum.
    Auch die anderen schauten sie an, hörten ihr zu. Die schmale Gestalt hatte sich halb umgedreht. Als würde sie nicht zu den anderen sondern ihrem Pferd sprechen. Die Hände um die Zügel waren fest um sie geschlungen, weiß traten ihre Knöchel hervor. Die Worte die sie sprach verstand niemand. Nicht, weil Kaya zu leise sprach. Nein..es waren Worte gesprochen in Lakota. Viele der Gäste drehten sich daher zu Louis und Tschetan um, doch diese waren zu baff um den anderen eine Übersetzung zu geben. Zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Mutter sprach das Mädchen. Ylvi und Louis stürzten vor. Tschetan hatte seine kleine Schwester bereits in die Arme genommen. Wirbelte sie herum und flüsterte. “Es ist gut deine Stimme zu hören, kleine Schwester!”
    Die anderen Verteilten sich. Begannen die Pferde zusammen zu treiben. Oder irgendwo sicher anzubinden. Jeder einzelne konnte an das kleine Grab heran gehen. Seine ganz persönlichen Worte an Dell richten. Betsy lief, mit Calebs Hand in der einen auf die kleine Familie zu die Kaya umarmten. Kayas Augen strahlten. Und obwohl der Schatten von Dells Tod über ihnen allen hing. So sah man das Lächeln in den Gesichtern der kleinen Gruppe. Auch Betsy schenkte ihrer Freundin ein Lächeln. Kaya zog sie in eine Umarmung, wieder ihre zarte, raue Stimme die Betsy ins Ohr flüsterte “Ich bin jetzt für dich da, čhuwé(große Schwester).” Betsy hatte Kaya den Schmerz erleichtert als sie ihre Mutter so plötzlich verloren hatte. Die stetige Stille zwischen ihnen hatte Betsy nie für einen Grund genommen Kaya nicht zu akzeptieren. Und hier, auf dem Plateau der Ferienranch, am Grab des Vaters ihrer Freundin gab sie das Versprechen wie eine Schwester für Betsy zu sein. Und plötzlich fand sich die ganze Familie in einer Umarmung wieder. Ylvi schlang die Arme um das Mädchenpaar, Betsy die noch immer Calebs Hand hielt, zog diesen näher zu sich. Und auch Louis und Tschetan gaben sich einen Ruck um diesen Moment zu genießen. Als würden sie Kayas Versprechen damit besiegeln wollen. Von der kleinen Versammlung unbeobachtet sah man den alten Mann die Gruppe fixieren. Laurence's sowieso faltiges Gesicht, zeigte ein schmales Lächeln.
    Sie verbrachten beinahe den ganzen Tag auf der Ferienranch. Als die Sonne sich ganz langsam gen Erde neigte und so den Sonnenuntergang ankündigte, machten sie sich wieder auf den Weg zurück zur Ranch. Weit kamen sie allerdings nicht, denn Caleb wählte dieses Mal den Haupteingang zur Ferienranch, ritt durch ein Schild, hielt davor an und ließ die ganze Gruppe umdrehen. “Die Ranch hat einen Namen!”, quietschte Octavia und stellte sich in die Bügel ihres Pferdes, um den Namen besser lesen zu können. “Dells Rookie Ranch.”
    “Das ist es also, was ihr gestern Abend so spät noch hier gemacht habt”, schlussfolgerte Ylvi und sah mit einem Lächeln zu Caleb.
    Betsy kamen erneut die Tränen. Sie saß nun auf Sue, Blue hielt Caleb in der rechten Hand und nahm ihn als Handpferd mit nach Hause. “Ich danke dir, Caleb”, waren Betsys Worte an ihn. “So bleibt er unvergessen.”
    Caleb seufzte. Dieses Mädchen hat in ihrem Leben schon so viel mitmachen müssen, so viel Leid und Tod erfahren, dass es gut und gerne für zwei Leben reichen würde.
    “Ich dachte… weil er die Ferienranch so geliebt hat und viel hier gearbeitet hat.. und… und nun hier begraben ist… ein besseres Andenken hätten wir ihm nicht machen können.”
    Alle stimmten ihm nickend zu. Auch Louis lächelte, ihm schien der Name ebenfalls zu gefallen.
    Etwa zwei Stunden später, so langsam wurde es wirklich dunkel, erreichte die Mannschaft die Ranch. Die Pferde wurden versorgt, die Abendrunde abgeschlossen und die Menschen verteilten sich auf der Ranch. Louis nahm die Kinder mit in den Bungalow, es war höchste Zeit, dass sie ins Bett gingen.
    Ylvi machte noch einen kurzen Zwischenstopp im Büro, überflog die heute liegengebliebenen E-Mails und entschloss, sie am nächsten Tag zu beantworten, denn es war nichts wichtiges dabei. Sie machte gerade den Computer aus und wollte den Raum verlassen, als Caleb ins Zimmer gestürmt kam. Er hielt einen aufgerissenen Brief in der Hand.
    “Verdammt Ylvi, wir haben ein Problem”, knurrte er und drückte ihr den Brief in die Hand. Ylvi las die fett geschrieben Wörter laut vor: "Vorladung zum Adoptionsantrag Betsy Dell”

    Dells Rookie Ranch
    Februar 2022, by Ravenna & Veija
    Zeitliche Einordnung: April 2021
    Ylvi
    "Ich habe vorhin mit der Adoptionsbehörde telefoniert. Wir haben einen Termin für den Montag in knapp einer Woche bekommen. Um 18 Uhr. Dann sollten die gröbsten Arbeiten auf der Ranch erledigt sein."
    2 Tage hatten wir wie gelähmt damit verbracht auf de Brief zu antworten. Hatten uns die Verantwortlichkeit hin und her geschoben. Heute in der Bürozeit fand ich endlich den Schneid den Hörer in die Hand zu nehmen. Am Telefon hatten sie mir leider keine Auskunft über den Grund der Vorladung geben wollen. Einerseits zitterte ich. Hatte das Ganze mit der ungewöhnlichen Situation zwischen Caleb und mir zu tun? Oder war es ganz anders...hatte sich tatsächlich noch Verwandtschaft finden lassen die Betsy zu sich nehmen wollte? Wie sollten wir das den beiden Mädchen nur beibringen. Caleb sah von seinen Unterlagen auf. "Das erscheint mir gerade wie eine Ewigkeit. Wie sollen wir die Zeit nur überbrücken?" Da es mir ganz ähnlich ging, zuckte ich nur mit den Schultern. Schließlich deutete ich aber auf das was Caleb da so eifrig in den Händen hielt. "Wir könnten quasi damit starten, die Verkaufspferde zu fotografieren. Das Wetter da draußen ist quasi perfekt. Leicht Bewölkt, die Blätter färben sich bunt. Die Pässe der Pferde scheinst du ja bereits sortiert zu haben? Meine Kamera wäre ebenfalls startklar."

    Caleb
    Gesagt, getan. In Windeseile fanden wir uns auf dem Reitplatz wieder. Die beiden Pferde, die für heute Morgen angedacht waren, waren Alan und Homy. Von Homy (General’s Coming Home) behielten wir das letztjährige Stutfohlen BR Homecoming Queen, weshalb ich mich dazu entschlossen hatte, den Hengst nun zu verkaufen. Mit Queen, deren Mutter Face Down ja bei der Geburt verstorben war, hatten wir so einen Glückgriff gemacht, dass wir die Vaterlinie nun in einem anderen Stall zur Verfügung stellen wollten.
    Ähnlich war es mit Alan’s Psychedelic Breakfast. Von ihm blieb sein letztjähriges Hengstfohlen BR Alans Smart Dream sowie zwei seiner Stutfohlen, BR Sheza Topnotch Babe und BR Black Pamina. Sein Verkauf würde mir etwas schwerer fallen, doch ich war mir sicher, dass er ein gutes Zuhause finden würde. Seine Nachkommen würden sein Erbe hier auf Bow River weiter vertreten.
    Wir konnten leider nicht alle Pferde behalten. Der letzte und auch diese Fohlenjahrgang war so unglaublich stark, so dass wir uns von ein paar alten Pferden trennen müssen.
    Wir starteten mit ein paar Portraits und Ganzkörper Bildern der Pferde, zunächst ohne Ausrüstung, dann mit.
    Schließlich folgten Reitfotos und Videos. Die beiden Pferde merkten genau, dass ich mit den Gedanken nicht bei der Sache war. Vor allem Homy nutzte dies schamlos aus. Ich wank Ylvi ab. Sie sollte aufhören Fotos zu machen, ich müsste den Hengst zunächst nochmal schön weich bekommen, bevor sie weiter draufhalten konnte.
    Schließlich klappte es dann doch.
    Später schauten wir uns am PC gemeinsam die Fotos an, suchten die passenden heraus und Ylvi fing mit der Bearbeitung an, während ich einen kurzen Text zu den Tieren verfasste und auch den Preis festlegte. Ganz billig waren sie nicht, aber sie waren beide erfolgreich im Sport, waren gekört und hatten gute Nachzuchten, was man außer Acht lassen durfte. Alan setzte ich mit 1300 Joellen und Homy mit 1100 Joellen an.
    Dann drehte ich mich zu Ylvi um. Sie nickte mir zu, sandte mir die Fotos rüber auf meinen PC und ich konnte sie der Verkaufsanzeige hinzufügen.
    “Uff”, seufzte ich, nachdem ich auf ‘absenden’ gedrückt hatte. “Verkaufen ist immer schwer, besonders bei Pferden, die man schon länger hat.”
    Ylvi nickte, lächelte kurz und wendete sich dann wieder ihrem Bildschirm zu. Schließlich sagte sie: “Wir bräuchten auch nochmal neue Fotos der Fohlen und Jährlinge, schau mal, wann wir sie das letzte Mal abgelichtet haben.” Ich stand auf und ging rüber zu ihrem Bildschirm, auf dem ich McDreamy erblickte, wie er auf wackeligen Beinen stand und mit seinem viel zu langen Hals versuchte, etwas Gras zu fressen.
    “Der sieht jetzt ganz anders aus, wie ein richtiges Pferd schon!”, lachte ich und Ylvi nickte erneut.
    “Deshalb müssten wir neue Bilder machen… direkt?”
    “Okay.”

    Ylvi
    “Lass uns fix zwei der Pferde trensen und dort hinauf reiten. Ich denke ein bisschen Beine und Seele baumeln lassen tut uns beiden sicherlich gut." Den Vorschlag musste Caleb tatsächlich kein bisschen überdenken. "Dann lass und gleich 2 aus dem Trainingsstall nehmen, die haben immer etwas Bewegung nötig."
    "Wen auch immer du mir zuweisen möchtest."
    Caleb rieb sich über das Kinn. Auf dem ich jetzt erst so richtig bemerkte das er sich in den letzten Monaten hatte einen Bart stehen lassen. Oder in den letzten Wochen? Warum fiel mir das erst jetzt auf. Als Caleb merkte das ich ihn anstarrte, schlug ich verschämt meinen Blick nieder. "Ich denke Plankton und Nic sind keine verkehrte Wahl. Nic hatte ich dabei für dich im Sinn."
    Im Stall bemühten wir uns tatsächlich nicht mal damit den Ponys ihre Trensen zu verpassen. Mit einfachen Knotenhalftern half mir Caleb auf den Rücken von Nic. Schwang sich in einem eleganten Sprung auf Plankton, während wir Richtung Osten die Ranch verließen um an den Hängen vor der Ferienranch, mein Hirn hatte sich an den neuen Namen noch immer nicht gewöhnt, nach der Herde den Jungpferde ausschau zu halten. Im Grunde war das allerdings beinahe nicht nötig - die gesamte Herde schien dermaßen neugierig auf Artgenossen. Sie stromarten bereits aus den Teilen des Waldes die Hänge hinunter in die Ebene, in Richtung des Zaunes. Ungewollt hielt ich Nic an. Sah den Pferden dabei zu, wie sie sich ihren Weg uns entgegen suchten. Ein schweres Gefühl schien sich plötzlich von meinen Schultern zu lösen. Ein Seufzen kam über meine Lippen. Schließlich, bevor ich es noch ganz begriffen hatte, schluchzte ich auf. Tränen liefen mir die Wangen hinunter. Ich wusste nicht mal wieso. Aktuell schien ich mit allem überfordert. Der Kuss mit Caleb hing mir im Gedächtnis. Die Tatsache, dass Tschetan uns gesehen haben musste. Ich noch keinen Mut gefunden hatte Louis davon zu erzählen. Dells Tod. Die Tatsache, dass Kaya nun tatsächlich begonnen hatte zu sprechen. Die Angst, dass Betsy all das hier vor uns, vielleicht nicht mehr lang haben würde. Diese Angst war fast genauso groß wie jene gewesen diese Ranch für immer zu verlassen. Plötzlich zog mich jemand von meinem Pony. Calebs Arme schlangen sich wortlos um meinen Körper, während ich von Schluchzern überwältigt wurde.

    Caleb
    So standen wir eine ganze Weile im feuchten Gras. Unsere beiden Pferde hatten die Köpfe gesenkt und fraßen seelenruhig vor sich hin. Ich vernahm ein leises Schnauben, dann herrschte wieder Stille- bis auf das Schluchzen Ylvis.
    An Dells Beerdigung hatte es mich überkommen, ich hatte mich der Trauer hingegeben, geweint. Nun allerdings, jetzt hier bei Ylvi, versuchte ich stark zu bleiben. Ihr ein Fels in der Brandung zu sein.
    “Das ist einfach nicht fair”, murmelte Ylvi und drückte sich enger an mich.
    “Was im Leben ist schon fair”, antwortete ich zwischen zusammengebissenen Zähnen und fuhr ihr mit einer Hand über die Haare. War es fair, dass die Frau, die ich geliebt hatte tot war? War es fair, dass die Frau, der ich mich geöffnet hatte, mit einem anderen verheiratet war? War es fair, dass sie jetzt hier in meinen Armen lag und weinte, anstatt sich ihrem Ehemann zu öffnen? Nichts davon war fair. Weder das Leben, noch der Tod. Wir konnten uns nur damit abfinden und nach vorne schauen. Ein Schritt nach dem Anderen. Auf einen Tag folgt ein Anderer.
    “Wir werden das schon hinbekommen, Ylvi. Es wird alles wieder gut.” Da war es wieder. Das Verlangen, was mich in der letzten Zeit immer wieder überkommen hatte. Wieder entfacht durch den Kuss Ylvis vor ein paar Tagen im Auto. “Es wird alles wieder gut...,”, murmelte ich erneut, hob ihren Kopf mit meinem Zeigefinger an und legte meine Lippen auf die Ihren. Ich küsste sie und es fühlte sich an wie damals. Vertraut, nach Zuhause. Obwohl mich ein schlechtes Gewissen überkam, ließ ich nicht ab von ihr, legte ihr meine Hand in den Nacken und zog sie so ein wenig enger an mich heran. Nach einem kurzen Zögern erwiderte sie den Kuss, wurde fordernder.
    Schließlich lösten wir uns voneinander, sahen uns an. Niemand sagte ein Wort, ehe wir uns in einem erneuten Kuss wiederfanden.

    Tschetan
    Mir perlte der Schweiß von der Stirn. Ich stand inmitten einer Box, meine Gummistiefel in der nassen Plörre, die der Hengst hinterlassen hatte. Ehrlich gesagt war mir gar nicht bewusst in wessen Box ich gerade stand.
    Aber das dämliche Vieh hatte seinen Arsch so lang an der Tränke geschubbert, bis selbige abgebrochen war. Und die gesamte Wasserleitung hatte munter fröhlich die Box,sowie den Gang gewässert. Heute morgen hatte mich also eine Masse aus Scheiße, Wasser und Stroh in der Stallgasse erwartet. Das noch vor Schulbeginn!
    In Windeseile hatte ich zumindest mal das Wasser abgestellt. Nun stand ich also in der Sauerei. Die Ablenkung kam mir allerdings gerade Recht. Zu viel das mir durch den Kopf ging. Simples Schaufeln brachte mich fort davon.
    “Tschetan!”
    “WAH!” schrie ich, zuckte sogar richtig zusammen. Sah mich um nach dem Ursprung der Stimme.
    “Bist du verrückt? Hast du mal auf die Uhr geschaut? Du musst zur Schule. Mach hin! Ich hab nicht wieder Lust auf euch zu warten” zeterte Octavia mich an. Noch im Schreck klammerte ich mich an die Mistgabel. “Hee!” sie winkte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht umher “Schau nicht wie ein Schellfisch.” Ich stellte die Gabel vor der Box ab. Tauschte meine Gummistiefel. Während O mir dabei zu sah. So richtig wusste ich ihren Blick nicht zu deuten. “Hattest du schon Frühstück?” fragte O in ihrem üblichen Ton. “Bisher nicht.” kam mir die knappe Antwort über die Lippen. “Dann schlag ich vor, du bewegst dich unter die Dusche. Du stinkst.” flüsterte sie in einer zuckersüßen Stimme. Fast augenblicklich fingen meine Ohren zu glühen an. Hervorragender Morgen.

    Aimee
    Ich hatte gerade das letzte Pausenbrot geschmiert da kam Tschetan in die Küche gestolpert. Seine langen Haare zu nassen Zöpfen geflochten sprang er quasi über den Tisch auf die Rückbank, schmierte sich in einer Schnelligkeit, die mich nur staunen ließ, ein Brot und stopfte es sich gefühlt komplett in die Backen. “Mal wieder zu spät dran”, lachte ich und reichte auch ihm eine der Tüten, in die ich das Essen gepackt hatte.
    “Na einer von uns muss doch hier auf dem Hof was helfen, Caleb rastet aus wenn wir hier nicht mit anpacken”, schmatzte er mir entgegen.
    “Mach den Mund beim Kauen zu- oder besser, mach den Mund leer, bevor du etwas sagst.”
    “Jaja…”
    Octavia platzte in die Küche, schaute uns Schulkinder einen nach dem Anderen mit einem Todesblick an und sagte: “Ab ins Auto!”
    Tschetan, Kaya, Betsy und ich flüchteten geradewegs aus dem Haus und nachdem ich das ‘Ich sitz vorn’- Spiel gegen Tschetan verloren hatte, nahm ich hinter O Platz. “Ääääätsch”, hörte ich vom Beifahrersitz, gefolgt von einem “Aua, sag mal spinnst du?!”. Ich hatte Tschetan gegen die Schulter geboxt.
    Eineinhalb Stunden später waren wir in Calgary angekommen. “Ich komm euch später abholen”, sagte O, ermahnte uns, die Türen des Wagens fest zu zu machen und fuhr dann zu ihrem Termin- was auch immer sie hier in Calgary zu erledigen hatte.
    “Sehen wir uns in der Pause?”, fragte ich in die Runde und ging nach einem allgemeinen Nicken meiner Wege.

    Tschetan
    In dem Versuch mich etwas bequemer hinzusetzen, erhob ich mich leicht auf dem Stuhl. Meine langen Beine passten kaum unter den Tisch. Ich musste, wenn ich sie lang streckte aufpassen sie nicht zwischen die Beine meines Vordermannes zu schieben. Anschließend starrte ich aus dem Fenster. Dieser Tage fiel es schwer mich zu konzentrieren. In meinen Noten spiegelte sich das ein wenig wieder. Aber auf der Ranch konnte ich vieles davon aufholen. Der Schulstoff fiel mir nie schwer. Manchmal war ich sogar fast ein wenig unterfordert damit. Mein Starren aus dem Fenster blieb jedoch nicht unbemerkt. Plötzlich versperrte mir eine Gestalt den Ausblick. Mein Blick wanderte vom Rüschen und Blumen verzierten Rock, hinauf zum rosa Strick Pulli. Um schließlich in die blauen Augen von Mrs. Schuyler zu schauen.
    Irgendwo, ganz tief unter ihrem sehr verwirrenden Kleidungsstil war sie sicherlich hübsch. In den meisten Fällen wirkte sie allerdings nur lächerlich und das nicht nur wegen ihrer Größe von nur 1,50 m. Sie schien auch nicht sonderlich viel von den First Nations zu halten. Das hatte ich bereits einige Male deutlich zu spüren bekommen. Ihre Hände hatte sie in die Hüften gestützt. “Ich gehe stark davon aus, dass du meinem Unterricht nicht gefolgt bist?” sprach sie mahnend. Da mein Hirn einen Moment brauchte um ihre Worte zu verarbeiten, schaute ich sie wenige Augenblicke verklärt an. Das ganze schien sie irgendwie zu irritieren. Sie leckte sich nervös über die Lippen. Dann legte ich den Kopf schief, grinste leicht und sprach in meiner süßesten Stimme “Nein, tut mir Leid Mrs. Schuyler.” Tat ich ihr etwa plötzlich Leid? Das Lehrerkollegium wusste sicherlich um den Todesfall auf der Ranch. In der letzten Zeit verhielten sich so einige Frauen in meiner Umgebung äußerst seltsam. “Ich sammle mich einen Moment und arbeite wieder mit. Versprochen.” Mrs. Schuyler schien darauf keine weiteren Einwände zu haben, tapperte auf kurzen Beinen wieder vor zum Smartboard...um ihren Unterricht in Sozialkunde fortzusetzen. Vielleicht fiel mir jetzt wieder ein, wieso ich dem Unterricht nicht hatte folgen wollen.
    Nicht das ich die weibliche Anatomie langweilig fand, aber sie erinnerte mich zu sehr an das was mein Kopf seit einigen Tagen auseinander nahm. Zu sehr an Ylvi...und an Caleb. Und ihren Kuss. Oder vielmehr Küsse. Ich hatte gedacht der im Auto sei eine einmalige Sache gewesen. Doch vorgestern hatte ich sie auf einem Ritt mit Dakota erneut gesehen. Ich konnte mit diesem Wissen nicht umgehen. Noch hatte ich niemandem davon erzählt. Allein mit mir ausgetragen. Einerseits...meinte ich zu verstehen was sie zueinander zog. Andererseits kannte ich mich damit nicht aus. Weder mit Frauen, noch mit Beziehungen. Mich verwirrte sogar die Anziehung die ich gegenüber Octavia empfand. Seither stürzte ich mich in die Arbeit auf der Ranch. Sie war geradlinig. Folgte ihren eigenen Regeln, während alles andere meinen Verstand zu sehr durcheinander brachte. Mein Verständnis von Liebe war...gelinde gesagt wohl als durchwachsen anzusehen. Mit dem Umzug zur Ranch hatte ich zumindest ein Verständnis für Familie entwickelt. Nur erschütterte Ylvi dieses gerade in meinen Grundfesten.

    Aimee
    „Aimee wie lange bist du jetzt hier in der Klasse?“, fragte mich meine Sitznachbarin, was mich erst zum Grübeln und dann zum Lachen brachte.
    „Ich glaube... drei, vier Monate? Letzten Dezember sind mein Vater Brian und ich auf die Bow River Ranch umgezogen. Caleb hatte neues Personal gesucht, mein Vater unterstützt ihn beim Training der Pferde”, antwortete ich während ich mit meinem Stift immer wieder die grauen Linien nachfuhr, die die Mähne meines gemalten Pferdes darstellen sollte. Ich hatte schon immer gezeichnet, mal mehr, mal weniger. In letzter Zeit und mit dem neuen Leben auf der Ranch war das etwas hinten runtergefallen, doch hier im Unterricht, in der Selbstlernzeit, fand ich wieder Motivation dazu.
    “Psst, der Lehrer kommt”, flüsterte mir jemand von rechts zu. Sofort blätterte ich in meinem Block eine Seite weiter. Gerade rechtzeitig. Fast.
    “Aimee ich weiß, dass du noch relativ neu hier bist und auch, dass privat bei euch allen viel los ist aber ich bitte dich, konzentriere dich und mach die Aufgaben. Malen kannst du im Kunstunterricht.” Mit diesen Worten nahm er mir mein gemaltes Bild weg. Ich wollte protestieren, stand schon halb auf. Doch Louis, der links von mir saß, zog mich an der Schulter wieder auf meinen Platz zurück, schüttelte den Kopf. “Leg dich nicht mit dem an”, flüsterte er mir zu und zuckte kurz mit den Schultern.
    In der Pause erzählte ich Tschetan davon. Natürlich hatte ich mein Bild nicht zurückbekommen, sondern es war im Müll gelandet. Mein Gegenüber reagierte aufbrausend, doch auch ihm gab Louis zu verstehen, dass wir uns nicht mit diesem Lehrer anlegen sollten. Es wurde geredet. Dass die Kinder von der Bow River Ranch Sonderbehandlungen bekamen, dass sie zeitens viele Fehltage aufwiesen. Jetzt einen Aufstand wegen eines Blatt Papiers zu schieben, wäre nicht förderlich.
    In der zweiten Pause stellte ich mich zu Kaya und Betsy. Die beiden waren in der selben Klasse. Tschetan ein paar darüber, ich eine über ihm. Die beiden Mädchen waren nicht wirklich für ein Gespräch zu gewinnen, weshalb ich mich umschaute. Tschetan sah ich gerade nicht, aber die anderen Jungs und Mädchen, die in Gruppen umher standen, schauten immer mal wieder zu uns rüber und tuschelten. Bildete ich mir das nur ein, weil Louis heute davon gesprochen hatte? Oder wurde wirklich so viel über uns geredet?
    Ich entschied, der Sache auf den Grund zu gehen und Tschetan zu suchen. Während ich umherging, schnappte ich immer wieder Gesprächsfetzen auf. Es wurde über die Schule gesprochen, das Wetter, die Lehrer. Kein einziges Mal bekam ich etwas über uns mit. Einige Grüppchen verstummten allerdings auch, als ich an ihnen vorbeikam.
    Wo trieb sich Tschetan eigentlich schon wieder herum? Nahe des Footballfeldes fand ich ihn schließlich. Dort stand er mit ein paar anderen indianischen Kindern und unterhielt sich mit ihnen auf einer Sprache, die ich nicht verstand. Ich blieb mit einigem Abstand stehen, winkte ihn zu mir herüber und lächelte den Anderen im Kreis freundlich zu. Diese drehten sich jedoch einfach weg. Verwirrt wandte ich mich meinem Freund zu. “Hab ich denen was getan?”, platzte es aus mir heraus. Das war doch eigentlich überhaupt nicht das, weshalb ich ihn mir hergerufen hatte.
    “Nein.” Mehr Antwort bekam ich nicht. Okay… dann musste ich mich wohl damit zufrieden geben.
    Ich räusperte mich. “Ich ähm… ist dir etwas aufgefallen, dass die Anderen über uns reden?”, fragte ich ihn dann. “Es war mir gar nicht bewusst… aber eben als Louis das erzählt hat, und mein Mathelehrer eben im Unterricht. Und wie er mit mir gesprochen hat: ‘Aimee ich weiß, dass du noch relativ neu hier bist und auch, dass privat bei euch allen viel los ist aber ich bitte dich, konzentriere dich und mach die Aufgaben.’”, äffte ich meinen Mathelehrer nach. “Hast du davon was bemerkt?”

    Tschetan
    Gossip also. Ich seufzte schwer. "Aimee, Aimee...du gibst einfach zu viel darauf was andere über dich denken könnten." Dabei legte ich einen Arm um ihre Schulter. "Ich achte nicht darauf. Aber was dein Lehrer da gesagt hat, klingt schon ein wenig seltsam. Dabei muss man zugeben.Wir Ranch-Kids werden schon manchmal anders behandelt." Dabei dachte ich nicht nur allein an die Bow River. In der Fahrgemeinschaft, sowie der damaligen Versammlung um Heim-Unterricht. Da waren es mehr Eltern gewesen, die einen Bus-Shuttle gewünscht hatten. Im letzten Semester der Schule hatte der auch noch funktioniert, doch über den Schneereichen Winter war das wieder abgebrochen. So hatten wir uns alle in Fahrgemeinschaften organisieren müssen. So wechselten aktuell alle mit einem Auto auf der Ranch, sowie der umliegenden Ranches ab. Aimee legte den Kopf schief "mhm, du magst vielleicht Recht haben.Ich find es einfach nur auffällig." sprach sie konsterniert. "Nur Mrs. Schuyler ist in letzter Zeit so seltsam. Du kennst sie? Die junge Lehrerin mit Hang zu Rüschen und rosa Strick-Sachen?"
    "Die Sozialkunde-Lehrerin?" "mhm, genau die."
    "Tut mir Leid...ich kenn die zwar flüchtig. Aber im Unterricht habe ich sie nicht. Inwieweit ist sie denn seltsam? Ich liebe ja ihr lockiges Haar." schwärmte Aimee. "Haar hin oder her. Meine Freunde hatten, aufgrund ihrer Herkunft aus dem Reservat schon so einige Probleme mit ihr. Auch an mir ist das nicht ganz vorbei. Letztens musste ich mal wieder Nachsitzen bei ihr. Ich bin vielleicht ein wenig unaufmerksam im Unterricht." ich kratzte mir am Kopf dabei. Sollte ich Aimee von Ylvi und Caleb erzählen? Sie war noch nicht lang da. Aber in den wenigen Monaten eine wirklich gute Freundin geworden.

    Aimee
    “Hm, ist denn alles ok?”, fragte ich den jungen Mann und schälte mich aus seinem mich umfassenden Arm, um ihm wieder gegenüber zu stehen und ihn ansehen zu können. Dieser winkte nur ab und schaute in Richtung der Schulglocken, die uns mit ihrem Klingeln zu verstehen geben, dass wir uns für die letzten zwei Stunden wieder zurück ins Schulgebäude begeben sollten. “Bis später”, verabschiedete ich mich von Tschetan, für den mir einfach kein geeigneter Spitzname einfallen wollte, um wieder in mein Klassenzimmer zurück zu gehen. Beim Hineingehen langte ich flink in den Papiermüll und zog mein Bild wieder heraus.
    An meinem Platz angekommen glättete ich es sorgfältig mit meinem Ärmel, ehe ich es in meinen Block steckte- sicher verwahrt vor weiteren Lehrern, die es mir wegnehmen könnten.
    Die letzten beiden Stunden vergingen wie im Flug. Draußen traf ich Kaya und Betsy wieder, mit denen ich schon einmal zum Auto ging. O holte uns wieder ab. Da Tschetan nicht da war, krallte ich mir den Beifahrerplatz und streckte ihm die Zunge raus, als er sich auch endlich bequemte, zu uns rüber zu kommen. Kaya und Betsy unterhielten sich auf der Rückfahrt munter. Tschetan und ich schienen beide eigenen Gedanken nachzuhängen, denn niemand von uns sagte ein Wort.
    Auf der Ranch angekommen ging es zum gemeinsamen Mittagessen, danach an die Hausaufgaben. Ich blieb am Küchentisch im Haupthaus sitzen, eine der wenigen Gelegenheiten, den Trubel hier hautnah mitzubekommen. Caleb stiefelte ein und aus und beachtete mich nicht weiter. Ylvi ging ein und aus, immer darauf bedacht, an der Küche vorbei zu huschen und immer genau gegenteilig zu Caleb. Ging er raus, kam sie rein. Ging er rein, kam sie kurz danach raus. Die Beiden waren mir ein Rätsel.
    “Na Aimee, brauchst du noch lange?”, fragte mich Laurence, der auf einmal in der Tür zum Flur stand.
    Ich sah auf, schlug mein Heft zu und sah ihn strahlend an. “Gerade fertig geworden!”
    “Gut, kannst du mir mal bei der neuen Tränke helfen? Ich bekomm die Schrauben nicht gut rein. Wird wohl doch Zeit, dass ich mir eine Brille hole”, grummelte der alte Mann und ich folgte ihm schweigend.
    Tschetan hatte so etwas heute Morgen erzählt, dass einer der Hengste in einer Box die Wassertränke zerstört hatte. Wir brauchten nicht lange, da konnte ich wieder meiner Wege gehen. Ich steuerte auf den Bungalow meines Vaters und mir zu, in dem ich in mein Zimmer ging und mich umzog. Als ich den Bungalow wieder verlassen wollte, stand Tschetan vor der Tür. “Ich äh.. hast du Lust auf einen Ausritt? Caleb sagte wir dürften Chou und Jade mitnehmen.”

    Tschetan
    Nach den Hausaufgaben, sowie dem Beritt zweier Trainingspferde von Caleb, hatte ich mich mit der Bitte auf einen Ausritt aus seinem Dunstkreis retten können. Wie ich mit ihm umgehen wollte, oder besser sollte mit dem Wissen das ich hatte wusste ich nicht. Normalerweise fiel es mir nicht schwer mit ihm solche Sachen zu besprechen. Manchmal hatte ich ihm mehr anvertrauen können als meinem Onkel. Mit dem Bruch in meinem Vertrauen hatte ich nun wirklich ein Problem erreicht das ich nicht wirklich zu klären wusste.
    Aimee erschien mir daher wie die naheliegendste Wahl. Zu einem Ausritt musste sie selten überredet werden. In der Stallgasse quatschten wir über belanglose Dinge. Ließen uns Zeit damit die Pferde fertig zu machen, schließlich blieb es immer länger hell. Die Sonne schien sogar manchmal schon so sehr vom Himmel, dass sie einem die Haut wärmte. Ich hielt Chou vorn am Zügel fest, während Aimee sich in den Sattel schwang. Ehe ich es mir auf dem Rücken von Jade bequem machte. Ihr entging mein Zeichen mit den Lippen den Weg zu weisen. Also wiederholte ich die Geste mit der Hand. "Manchmal vergesse ich, dass du nicht wie ich aufgewachsen bist." Aimee drehte sich halb zu mir um, Verwirrung in ihrem Blick. "Wir geben oft mit vorgeschobener Lippe eine Richtung an, oder deuten auf andere Personen. So " damit wiederholte ich die kleine Geste. "Das ist mir so geläufig. Selbst Ylvi kannte das. Aber in der Schule oder mit dir. Vielen entgeht das einfach."
    "Warum macht ihr das auch?"
    "Mit dem Finger oder der Hand auf andere zu weisen ist schrecklich unhöflich." Aimee grinste breit "Bei uns auch, aber ich glaube niemand kam auf die Idee einfach die Geste zu verändern."
    "Du kannst eben noch eine ganze Menge von mir lernen." ich drückte meinen Rücken durch, schob die Brust heraus und schaute 'weise' wie möglich drein. "Musst du kacken?" fragte Aimee spöttisch, trabte Chou an und verschwand einen Moment aus meinem Blickwinkel. Ohne nachzudenken gab ich Jade die Zügel vor. Schrie "Yihaaw" und preschte im Galopp an ihr vorbei. Chou hatte keine Schwierigkeiten damit mir und Jade zu folgen. Nachdem der Pfad in den Wald allerdings verwurzelter wurde parierte ich das Pony durch. "Mach das nicht nochmal!" schimpfte Aimee mit mir. Doch das Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. Natürlich wusste ich, dass Aimee ein bisschen aus der Übung war mit dem Reiten. Sie war zwar auf einem Pferderücken aufgewachsen, hatte die letzten 6 Jahre aber in der Stadt gelebt und keine Pferde gesehen. Ich war mir sicher, hätte sie mich erreicht, dann hätte sie mir wütend auf die Schulter geschlagen. Das war eine ihrer seltsamen Angewohnheiten. Trotzdem entschuldigte ich mich nicht, es war schließlich nichts passiert. "Sieh dir lieber diesen Ausblick an!" stichelte ich, deutete in Richtung des Bow River der sich unter uns erstreckte. Der Galopp hatte den leichten Anstieg in den Wald genommen. “Erinnert ein wenig an den auf der Ferienranch.” sprach Aimee zögerlich. Ihr war es unangenehm über Dell’s Tod zu sprechen. Sie hatte den Mann schließlich kaum gekannt. “Tatsächlich, das ist mir so direkt noch nie aufgefallen. Allerdings ist es der falsche Hang.” Ich gab Jade das Zeichen weiter voran zu laufen.
    “Tschetan...sag mal, normalerweise bist du ein wenig gesprächiger mit mir. Bedrückt dich irgendwas? Ich hatte auf dem Schulhof schon das Gefühl du möchtest etwas loswerden.” Ich zuckte mit den Schultern. “Schon ja, aber irgendwie finde ich die richtigen Worte nicht.”
    “Sprech sie einfach aus.Richtige Worte lassen sich schwer finden.”
    “Ich hab...vor ein paar Tagen gesehen wie sich Caleb und Ylvi im Auto vor der Schule geküsst haben. ...und dann am Sonntag, also gestern. Hab ich auf meinem Trainingsritt mit Dakota gesehen wie sie auf der Ebene standen. Erst hat er sie nur umarmt. Und plötzlich haben sie sich innig geküsst. Sie waren ein Paar, weißt du. Bevor Louis sie geheiratet hat. Ich weiß das war..naja mehr aus Zweckmäßigkeit. Sie hätte sonst die Ranch verlassen müssen. Aber ich sehe auch wie sie zu uns ist...mit Louis umgeht. Ich verstehe nicht viel von Liebe...aber die Art wie sie Louis anschaut. Das bilde ich mir doch nicht ein? “ bei meiner Unsicherheit blieb Jade plötzlich stehen, sodass Chou beinahe in sein Vorderpferd hinein lief.

    Aimee
    “Oh shit”, bekam ich gerade noch über die Lippen, da hing ich am Hals meines Pferdes. Die Zügel hatte ich aus Reflex fallen gelassen, um mich selbst am Tier festzuhalten. Zum Glück hatte Chou nur aus dem Schritt einen Satz zur Seite gemacht, so dass es mich nicht komplett vom Rücken gefegt hatte.
    “Mein Gott, Aimee”, bekam ich von Tschetan zu hören, der lachend die Augen verdrehte und mich wieder aufs Pferd schob. Auch langte er nach meinen Zügeln, um sie mir wieder in die Hand zu drücken.
    Ich schaute ihn schmollend an. “Jaja, du darfst jetzt gerne wieder aufhören zu lachen.” Wir ritten weiter. Ich war ihm noch immer eine Antwort schuldig.Es war wirklich schwer für mich, Caleb, Louis und Ylvi einzuschätzen. Genau das antwortete ich Tschetan schließlich auch. “Ich habe immer mal wieder ein paar Bruchstücke mitbekommen, von den Dreien. Dass Ylvi zuerst mit Caleb zusammen gewesen ist, dann mit Louis. Anscheinend gibt es öfter Streit, was die betrifft?” Tschetan nickte. “Hmpf…”, murmelte ich und lenkte Chou durch die tiefhängenden Äste, bis wir ganz oben auf dem Hügel angekommen waren, von dem aus man das gesamte Tal überblicken konnte. Ich atmete einmal tief ein. Oh wie hatte ich das vermisst, diese Landluft und die großen Weiten von… nichts. Okay nichts war es nicht wirklich, aber keine Straßen und Autos oder Hochhäuser oder… “Aimee, hallo, komm wieder hierher zurück”, lachte Tschetan und legte seine Hand kurz auf mein Bein.
    “Ist ja gut”, grummelte ich, drehte Chou so, dass seine Hand von meinem Bein rutschte und sah zur Bow River Ranch rüber. “Ich verstehe Caleb und Ylvi aber auch nicht… meine Eltern haben sich getrennt und kämen nie auf die Idee, nochmal etwas miteinander anzufangen und…”
    “Ich glaube Caleb und Ylvi haben sich nie richtig getrennt.”
    “Hm?”
    “Na… Louis hat sie geheiratet, damit sie bleiben konnte. Auf der Ranch. Ich glaube, sie haben nie richtig Schluss gemacht.”
    “Oh”, war meine knappe, verwunderte Antwort. “Aber das ist doch trotzdem kein Grund.. ich mein.. ach was weiß ich denn schon.” Ich zuckte die Schultern. Tschetan sah mich ebenso ratlos an. “Komm, lass uns zurückreiten.”
    Wir wählten dieses Mal einen leichteren Weg, so dass wir viel auf der Geraden traben und galoppieren konnten.
    Auf dem Hof angekommen kam uns Laurence entgegen, der nicht sehr erfreut aussah. Ich wechselte einen kurzen, hilfesuchenden Blick mit Tschetan, ehe das Donnerwetter losging. “Wenn ihr nochmal so vom Hof prescht wie die Bekloppten… dann wars für ein paar Wochen das letzte Mal, dass hier einer von euch ein Pferd reitet!”
    “ ‘tschuldigung, Laurence”, murmelten Tschetan und ich synchron. “Kommt nicht wieder vor.” Laurence nickte und tigerte um uns herum. “Die werden jetzt hoffentlich gewaschen und ins Solarium gestellt. Was habt ihr mit denen gemacht?”
    Tschetan ergriff das Wort, erklärte sich und versicherte ihm, dass wir die Pferde waschen und anschließend unter das wärmende Solarium stellen würden. Noch war es zu kalt, um sie an der Luft trocknen zu lassen.

    Tschetan
    Ich pulte an dem getrockneten Schweiß in Jades Fell herum. Wir standen gemeinsam unter dem Licht des Solariums. Chou war etwas ungeduldig, sodass Aimee das Pferd immer wieder korrigierte. “Aimee. Ignoriere das Scharren einfach. Du weißt doch...Aufmerksamkeit ist Aufmerksamkeit, auch wenn das Pferd scharrt.” Der Blick den ich über Chous Rücken zugeschickt bekam, hätte mich wohl getötet, wenn Blicke solcherlei Dinge vermochten. Ich konnte nicht anders als ihn mit einem breiten Grinsen zu erwidern. Aimee seufzte “Du bist fast so schlimm wie Caleb.” dabei rollte sie die Augen. Ich zuckte die Schultern “Das hat gar nichts mit Caleb zu tun. So hab ich es gelernt. Lakota strafen ihre Kinder nicht. Sie müssen ihre Erfahrungen selbst machen. Stattdessen wurden uns lehrreiche Geschichten erzählt. Kein Elternteil bei Verstand würde gegen seine Kinder die Hand erheben.” Zumindest war es in alten Zeiten so gewesen...Louis hatte uns so erzogen. Auch meine Großmutter. Mein Vater jedoch, wenn er zu viel Alkohol getrunken hatte. Ich schaute hinab zu meiner Hand die noch immer mit der verschwitzten Stelle spielte. Das war ein Thema an das ich nicht gern dachte. Genauso wie den Tod meiner Mutter. Aimee sprach mich nicht an, es herrschte eine ganze Weile einfach nur Schweigen. Dafür war ich ihr Dankbar. Sie wusste manchmal ganz genau, wenn es sich nicht lohnte weiter nach zu bohren.
    “Ich denke wir können die zwei wieder auf die Paddocks bringen.” murmelte Aimee irgendwann zu mir. “Ich will nur noch schnell die Schweißkruste aus dem Fell bürsten.”
    “Das ist keine schlechte Idee.” erwiderte Aimee. Seite an Seite bürsteten wir beiden Pferden die Rückenpartie. Trotzdem sie beinahe trocken waren, beobachteten wir beide Pferde noch dabei wie sie sich ausgiebig im Dreck wälzten. “Tschetan?” ich drehte mich suchend nach der Stimme um, die meinen Namen gerufen hatte, es war Ylvi gewesen. “Hast du deine Schwester in der letzten Stunde zufällig gesehen?”
    “Tut mir Leid, ich war auf einem Ausritt.”
    “Diese zwei Kids machen mich wahnsinnig. Also, wenn du Kaya oder Betsy irgendwo siehst - schick sie zum Bungalow. Es wird Zeit für das Abendessen. Bist du heute dabei? Oder isst du drüben mit den anderen?” Ich schenkte Aimee einen Seitenblick. Ihre Lippen formten das Wort ‘Drüben’.
    Dabei fiel mir etwas ein. “Hast du drüben im Haupthaus mal nach den beiden gesucht? Schließlich wird Betsy über kurz oder lang dort ihr Zimmer beziehen. Ich denke vor dem Kamin in der Bibliothek werden sie es sich bequem gemacht haben.” Nicht das sie sich sonderlich für die Bücher dort interessiert hätten. Vielmehr den riesigen Bildschirm den Laurence dort vor einigen Wochen aufgehängt hatte.

    Laurence
    Gähnend schaute ich nach oben, als eine Gestalt in die Bibliothek gepoltert kam. Es war Ylvi, die sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht strich. “Hier habt ihr euch verkrochen!” Damit meinte sie vermutlich eher Kaya und Betsy als mich. “Was schaut ihr euch da eigentlich an?”, setzte sie nach, schnappte sich die Fernbedienung und knipste die Kiste aus. “Es gibt Essen, kommt. Du auch Laurence.”
    Im Esszimmer angekommen fiel mir sofort auf, dass Ylvi den Weg zur Haustür eingeschlagen und rausgegangen war. Aß sie nicht mit uns? Ich überflog den gedeckten Tisch mit einem kurzen Blick. Zwei Teller zu wenig. Ylvi und Louis.
    Kurzerhand nahm ich Platz und schaute zur Tür, als Tschetan und Aimee den Raum betraten. Ich sah sie fragend an und bekam schließlich von Tschetan Antwort: “Jade und Chou sind wieder auf ihren Paddocks.” Kurz nickte ich, ehe ich zu Caleb sah, der sich mit Betsy unterhielt. Seit neustem haben wir die Sitzordnung am Tisch etwas geändert, so dass die Kleine neben Caleb saß. Dieser Platz war ehemals Ylvi zugeteilt gewesen.
    Dolly hatte sich wieder die größte Mühe gegeben. Lasagne gab es am heutigen Abend und alle schlugen sich die Bäuche voll. Was Louis und Ylvi drüben wohl aßen?
    Ich war froh, dass wir morgens und abends gemeinsam hier am Tisch sitzen und essen konnten. Die Haushaltshilfe Dolores, liebevoll von uns allen Dolly genannt, war eine unglaubliche Bereicherung- und das schon über einen geraumen Zeitraum hinweg! “Dolly, setz dich doch und iss auch etwas mit uns”, bot ich ihr an und rückte auf der Bank ein Stück zur Seite. Sie nickte lächelnd und setzte sich mit einem Teller und Besteck neben mich.
    Die Mitarbeiter unterhielten sich munter, es herrschte eine lockere Stimmung. Schließlich war es Zeit, den Tisch abzuräumen. Wir hatten uns angewöhnt, dass jeder seinen Teller nach dem Essen in die Spülmaschine stellte. Dolly nahm uns zwar viel Arbeit ab, aber das bekam jeder auch gut selbst auf die Reihe und entlastete sie so ein wenig. “Bis morgen früh, Dolly”, verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg in den Stall. Heute war ich mit der Abendrunde dran.

    Tschetan
    “Wo hast du Kaya gelassen?” kam eine Stimme aus der Dunkelheit. Ich zuckte doch tatsächlich zusammen als Aimees Stimme plötzlich auftauchte. “Übernachtungsparty drüben bei Betsy. Bedeutet...endlich mal wieder in meinem Bett schlafen!” Aimee zog verwirrt das Gesicht kraus.
    “Betsy hat in den letzten Wochen so oft bei uns geschlafen. Da war die Couch mein Bett”
    “Stimmt, die Bungalows sind alle gleich geschnitten. Du hast kein eigenes Zimmer.”
    “Richtig. Es war mal in der Sprache das ich rüber in das Haupthaus ziehe...aber irgendwie kam das Thema nie wieder auf.”
    “Und du findest das okay dir mit deiner 12 jährigen Schwester und ihrer Freundin das Zimmer zu teilen?”
    “Das ist schon...naja in Ordnung. Im Reservat haben wir oft zu 5 in einem Raum geschlafen. Ich kenn es tatsächlich gar nicht anders.”
    “Ouh...tut mir Leid, ich vergess das immer wieder.”
    “Schon gut.” winkte ich ab. “Gut...dann mal gute Nacht.” ich winkte ihr zu, öffnete die Tür und verschwand im inneren. “Wo ist Kaya?” ich musste ein wenig Grinsen. Innerhalb weniger Minuten dieselbe Frage gestellt zu bekommen. “Sie schläft drüben bei Betsy.”
    Ylvi seufzte “Vielleicht sollten wir mit ihr sprechen...es ist ja schön das sie so erwachsen wird. Aber sollte sie uns nicht um Erlaubnis fragen?” fragend sah sie sich zu Louis um. Der machte eine Geste die sie nicht verstand. “Sie hat ihrem Bruder bescheid gegeben. Sie ist nicht weit fort.”
    “Ja also dann.”
    “Ich wünsche euch beiden eine gute Nacht.” damit ging ich zur Couch. Umarmte Louis...und gab Ylvi einen Kuss auf die Wange. Nur weil ich gesehen hatte was zwischen ihr und Caleb vorgefallen war, wollte ich vorerst nicht anders mit ihr umgehen. Noch wusste ich nicht was ich mit meiner Information anstellen würde. Aber es hatte gut getan Aimee heute davon zu erzählen.

    Caleb
    Sonntagabend. Die Woche war wie im Flug vergangen. 11 Tage war Dell nun schon begraben. Oben auf dem Hügel auf dem nun die neue Ferienranch trohnte. Dells Rookie Ranch. Den Sommer über würden wir an den Gebäuden arbeiten, so dass sie zum Winter hin einzugsbereit war. Ich saß in meinem großen Sessel im unteren Wohnzimmer vor dem imposanten Kamin und schauten den Flammen zu, die sich immer wieder ihren Weg nach oben suchten, züngelten wie eine Schlange, um im nächsten Moment wieder in sich zusammen zu fallen. Ich nahm einen Schluck des Bieres, welches sich in meiner rechten Hand befand. In meiner Linken drehte ich Vultures Anhänger, das kleine Gewehr, immer wieder hin und her. Ich war mir sicher gewesen, ich hätte es wieder am Halfter meines Hengstes befestigt. Wie also konnte ich es dann in der Tasche meines Hemdes finden?
    Meine Gedanken schweiften, ich war aufgeregt, unruhig. Morgen Abend war der Termin auf dem Jugendamt wegen Betsy. Am Telefon wurde uns nicht verraten, um was es ging. Wieder nippte ich an der Flasche, steckte den Anhänger zurück in meine Tasche und beobachtete weiter die Flammen. Schließlich schloss ich meine Augen und lehnte meinen Kopf seufzend zurück gegen die Kopfstütze des Sessels. *klong* “Prost, Caleb”, trällerte Octavia, die gerade mit ihrer Flasche an meiner angestoßen hatte, ehe sie sich aufs Sofa setzte. Ihr folgten Cayce, Murphy und Bellamy, die sich ebenfalls im Raum verteilten und munter miteinander anstießen. Ich grummelte etwas unverständliches, drehte den Sessel und wohnte ihrer Unterhaltung bei. Octavia unterhielt sich über Bellamy hinweg mit Murphy, dass sie mit den Fortschritten von Soul absolut begeistert wäre. Bellamy derweil warf immer wieder ein, dass sich seine Dakota gemacht hätte, seit wieder Zeit da war, um sie regelmäßig zu arbeiten.
    “He Cayce, was macht Shorty?”, fragte ich den braunhaarigen Mann der mir am nächsten saß. Shorty war beim letzten Zusammentreiben der Kühe in den Stacheldraht gekommen, als er einer ziemlich übel gelaunten Mutterkuh ausweichen musste.
    “Halb so wild”, murmelte er und nahm einen Schluck aus der Flasche. “Es heilt gut. Ich denke, ihn nehm ihn morgen wieder mit.”
    “Wenn du ihm dennoch etwas mehr Ruhe gönnen möchtest, nimm ruhig weiterhin Gangster oder Devil. Es sei denn… du suchst die Herausforderung. Dann schnapp dir Crystal. Eigentlich bräuchte sie mehr Routine…”
    “Routine?”, lachte Cayce. “Um Routine zu entwickeln, müsste die erstmal eine ordentliche Grundausbildung am Rind haben und… verdammt.”
    Alle lachten, auch die, die unserem Gespräch bisher nicht wirklich gefolgt waren. “Du hast deine Aufgabe für die nächsten Wochen gerade selbst festgelegt.”
    “Noch irgendwelche Jobs, die du mir aufdrücken willst?”, murrte er und rollte dabei theatralisch mit den Augen.
    “Nein, nein. Erstmal nicht.”
    Mir war gar nicht aufgefallen, dass Ylvi den Raum betreten und sich auf den zweiten Sessel, mir gegenüber gesetzt hatte. Ich nickte ihr zu, hob mein Bier und wir beide tranken einen Schluck.
    Nach und nach leerte sich der Raum, bis es nur noch wir beide waren, die sich darin befanden. Einzig und allein das Knacken des Feuers bewahrte uns davor, uns in peinlicher Stille gegenüber zu sitzen.

    Ylvi
    Ich hatte versucht ihm aus dem Weg zu gehen. Aber zwischen den Schlucken von Wein und Bier hatte ich den Moment verpasst das Zimmer frühzeitig zu verlassen. Das Knacken des Feuers...und mein gelegentliches blättern war zu hören.
    Ab einem Punkt zwischen den Gesprächen hatte ich mich dem Buchregal zugewandt. “Das hast du lang nicht getan.” durchbrach Calebs Stimme plötzlich die Stille.
    “Mhm?” fragte ich verwundert.
    “Ich hab dich eine ganze Weile nicht mehr lesen sehen.”
    “Reine Ablenkung.”
    “Solltest du die Ablenkung nicht drüben bei deinem Mann suchen?” Wieso betonte er das Wort Mann nur so sehr? Ich klammerte mich an das Buch auf meinem Schoß. “Caleb, bitte..”
    “Was? Ich dachte ich hätte dich vergessen...und dann fängst du mit diesem...ja was...Spiel? An.”
    Ich musste schwer schlucken, sah ihn an wie ein verschrecktes Reh. Irgendwie hatte er ja Recht. Aber da draußen auf der Ebene, da hatte er mich schließlich geküsst! “Also wieso bist du hier?”
    “Ich...ich wollte dir Gesellschaft leisten..Morgen ist ein wichtiger Tag. Wir haben beide Angst. Vielleicht mag es dir nicht einleuchten. Aber Betsy ist auch in meinem Haushalt ein und aus gegangen. Ich bin für sie genau so eine Ansprechpartnerin wie du es bist. Ich fände es schrecklich sie zu verlieren. Ich dachte…”
    “Ich glaube nicht das du denkst..” sprach Caleb bitter. Ich klappte mein Buch zu. Fein, wenn er meine Gesellschaft nicht wollte. “Nein, vielleicht denke ich dieser Tage nicht ganz rational. Aber wir haben auch eine ganze Menge durchgemacht. “ ich erhob mich aus dem Sessel. Musste jedoch einen Moment inne halten. Meine Beine im Schneidersitz hatten begonnen zu kribbeln, jetzt waren sie eingeschlafen. Von meinem Standpunkt aus sah ich Caleb an, der sich noch einen Schluck von seinem Bier nahm. Den Flaschen auf dem Tisch zu schließen auch nicht unbedingt seine erste. Und bei meinen Worten hatte er nur aufgelacht. Er schien auf Streit aus...oder sprach der Alkohol aus ihm? Dann deutete er mit der Flasche auf mich. “Ich versteh dich einfach nicht. Gerade schien es als würden wir zu einem normalen Miteinander zurückkehren können. Und dann...küsst du mich.” Ich wollte diese Konversation nicht, also humpelte ich, trotz eingeschlafenem Fuß aus dem Raum. Ich hatte gerade seinen Sessel erreicht. “Du solltest dich wirklich entscheiden was du willst.” nicht nur Caleb hatte zu viel getrunken.
    Ich hatte noch gar nicht vernünftig darüber nachgedacht, da war ich bereits herumgewirbelt und das Schallen meiner Ohrfeige klang durch den Raum. Calebs Körper, an jahrelange Prügeleien gewohnt, schoss aus dem Sessel auf.Die Bierflasche fiel dabei dumpf auf den Teppichboden. “Nur zu..” drohte ich, auf meiner Wange lief eine Träne der Wut hinab. Mein Blut kochte.Ich sah ihm in die funkelnden Augen. “Du hast deine Chance vertan.” damit stieß ich meinen Finger in seine Brust. “DU hast damals nichts getan. Dabei hab ich gedacht...ich hab gedacht ich würde dir irgendetwas bedeuten. Eine Woche lang...hab ich mir die Augen ausgeheult. Du bist mir aus dem Weg gegangen. Ich dachte du hättest mich abgeschrieben…” flüsterte ich unter dem Einfluss des Alkohols, weinte dabei stumme Tränen und schlug ihm auf die Brust. “Louis war derjenige der mich davor bewahrt hat diesen Ort zu verlassen. Erst war es nur Anziehung, aber auch er brauchte die Hochzeit um die Kinder zu behalten. Die Zuneigung kam erst mit der Zeit. Es ist unfair mich dafür zu verurteilen. Du hattest deine Chance.” schluchzte ich.
    “Du hast dich entschieden...ich hatte...Angst. Angst dich zu fragen. Bist du vielleicht mal auf die Idee gekommen mich danach zu fragen? Nein...stattdessen hast du dich meinem besten Freund an den Hals geworfen, Ylvi. Du hast mich zerstört. Mein Vertrauen missbraucht. Keine Lügen...kannst du dich an das Versprechen noch erinnern?” knurrte Caleb mir zu. “Ich habe dich nie belogen, Caleb. Ich habe dir die Wahrheit gesagt.”
    “Dann verrat mir mal...wieso dein Mann da drüben in seinem Bungalow sitzt...und du hier bist,mhm? Belügst du dich selbst so sehr? Wohin gehört dein Herz Ylvi.”
    “Du bist nicht fair...Zwing mich nicht zwischen euch wählen zu müssen.” schluchzte ich. Wollte mich umdrehen um zu gehen. Das ganze Gespräch hatte sich in eine völlig falsche Richtung entwickelt.
    Um meiner Verwirrung und Frustration noch mehr Futter zu geben, fand ich mich plötzlich in einem stürmischen Kuss wieder. Lippen auf den meinen. Meinem Hals. Zähne die an meinem Ohrläppchen knabberten. Ich seufzte hinein in die Zärtlichkeiten. Obwohl mein Verstand befahl mich sofort von ihm loszureißen. Was sollte das hier eigentlich werden. “Sag mir das ich aufhören soll.” forderte Caleb. “Caleb” stotterte ich, meine Knie zitterten. Seine Arme zogen mich enger an ihn. Er wusste wie sehr ich unter seinen Armen zu zerfließen konnte. Schon von seiner ersten Berührung vor all der Zeit. “Muss ich dich wirklich zwingen mich zu wählen.” hauchte er atemlos in mein Ohr. Natürlich war die Antwort nicht so einfach. Das musste selbst Caleb wissen. Ich krallte meine Finger in seinen Rücken, als er mich an der Hüfte packte und mich auf seinen Arm hob. “Caleb, wir…..nicht..”
    “Du wolltest mir doch Ablenkung schenken, lass mich jetzt nicht allein.” Mein Verstand...ein kleiner Teil davon schrie an ihm zu widerstehen. Aber der Teil, der ihn vermisst hatte, dieser Teil öffnete meine Beine für ihn und hieß ihn willkommen. Die Scham...sie kam erst später. Warum nur hatte sich mein Herz, mein Verstand und mein Körper zwei Männern verschrieben?

    Caleb
    Wir saßen im Wartezimmer des Jugendamtes. Ylvi hatte sich, ‘damit es besser aussah’ widerwillig auf den Stuhl neben mich gesetzt, obwohl wir beide innerlich nach Abstand zu schreien schienen. Der gestrige Abend hatte mich zum platzen gebracht. Meine Gefühle, Wut, die ich so lange angestaut hatte, war einfach explodiert. Ich war zwar aus dem Sessel aufgesprungen und hatte einen Satz auf Ylvi zugemacht, aber die Hand gegen sie erhoben hätte ich niemals, nie.
    War es eigentlich nur Wut, die da in mir brodelte? Nein. Es war Enttäuschung, Unsicherheit, Verletzbarkeit, Verrat, Wut und.. Trauer. Ja, traurig über die Umstände, in denen sich die Ranch gerade befand. Traurig darüber, dass wir jetzt hier saßen und jemand anderes über das Schicksal von Betsy entscheiden würde obwohl in Dells Testament glasklar stand, dass Ylvi und ich für sie sorgen sollten.
    Wir wurden aufgerufen und konnten ins Zimmer unserer Bearbeiterin Hailey Miller gehen, bei der wir ja schon einmal gewesen waren.
    Schweigend setzten wir uns hin und warteten auf die Frau. Niemand von uns sagte ein Wort oder sah den anderen an. Die Fahrt hier nach Calgary war mir schon wie eine Ewigkeit vorgekommen.
    “Guten Morgen Mr. O’Dell und Misses Kills-Bears. Ich möchte direkt zum Punkt kommen, bevor ich lange um den heißen Brei herumrede. Ich habe die Auflagen geprüft und wurde stutzig, als ich mich mit dem Familienstand von Ihnen Beiden beschäftigt habe. Sie, Mr. O’Dell sind ledig und Sie, Misses Kills-Bears sind mit einem… lassen Sie mich nachschauen, Louis Kills-Bears verheiratet, welcher zwei Kinder: Kaya und Tschetan adoptiert hat von seinem… verstorbenen Schwester”, die Frau schwieg und blätterte in ihren Unterlagen hin und her. Wie tief mochte sie wohl gegraben haben?
    “Ich kann Ihnen gemeinsam das Sorgerecht für Betsy Dell nicht übergeben, auch wenn Mr. William Dell diesen Wunsch in seinem Testament hinterlassen hat.”
    Stille. Schweigen. Fassungslosigkeit.
    “Nein?”, kam es irgendwann leise von Ylvi, die ihre Hände auf ihrem Schoß nervös hin und her bewegte.
    “Nein, leider nicht.”
    Ich schluckte schwer. Was bedeutete das für Betsy? Musste sie jetzt doch in ein Heim? Gab es Verwandte? Hatte sich jemand gemeldet? Würde man sie uns wegnehmen?
    “Ich kann, unter diesen Umständen, nur einem von Ihnen das Sorgerecht übertragen. Meiner Erfahrung nach wäre das Kind besser bei Ihnen aufgehoben, Misses Kills-Bears. Sie sind verheiratet und ziehen bereits zwei Kinder groß, während Sie Mr. O’Dell ledig sind und keine bisherigen Kinder vorweisen können. Auch habe ich die Befürchtung, dass sie mit der Aufgabe ein Kind großzuziehen neben ihren anderen Arbeiten als Ranchbesitzer überfordert sein könnten.”
    Uff. Der hatte gesessen. Ich ballte eine meiner Hände zu einer Faust, während ich mit der anderen meinen Hut vom Kopf nahm und mir durch die wieder viel zu langen Haare strich. Da war sie erneut. Die Wut, gegen die ich in letzter Zeit wieder viel zu oft hatte ankämpfen müssen. Ylvi schaute besorgt zu mir rüber, ich sah, wie sie aus dem Augenwinkel auf meine Faust starrte, zögerlich ihre Hand darauflegte und sie erst wieder wegnahm, als ich meine Finger entspannte und die flache Hand auf meinem Bein platzierte. Dennoch blieb die Wut.
    Bevor ich etwas dummes sagen konnte, ergriff Ylvi das Wort. “Ist das jetzt ihr finales Urteil? Ich meine.. Caleb hat sich in den letzten Tagen und auch schon vor Dells Tod um das Mädchen gekümmert, sie vertraut ihm, kommt mit Problemen zu ihm und sucht bei ihm Trost. Sie und Kaya verstehen sich wunderbar, sind viel zusammen aber ein kleiner Umzug ins Haupthaus, zu Caleb, hat schon stattgefunden. Außerdem ist…”, sie stockte, “... meine Familie auch auf der Ranch und somit nie weit weg. Wir… wir stehen Caleb mit Rat und Tat zur Seite.”
    ‘Danke’, formte ich lautlos in Ylvis Richtung mit meinen Lippen. Sie nickte kurz, sah dann wieder nach vorne zu Miss Miller. Ylvi wusste genau, wie viel mir an Betsy lag und dass ich es nicht ertragen könnte, sollte sie nicht bei mir bleiben dürfen.
    Auch ich setzte an um mich zu rechtfertigen, wurde jedoch schnell von der Frau unterbrochen: “Es tut mir sehr Leid, aber ich habe meine Entscheidung für ein vorläufiges Sorgerecht bereits getroffen. Ich kann Louis & Ylvi Kills-Bears das Sorgerecht für Betsy Dell übertragen, dazu muss Mr. Kills-Bears natürlich noch hierher kommen und dem zustimmen.”
    “Moment, vorläufiges Sorgerecht?”, warf Ylvi ein und ließ auch mich wieder aufhorchen.
    “Ja, genau. Ein vorläufiges Sorgerecht. Wenn Sie das wünschen, Mr. O’Dell, würde ich sie einer Prüfung unterziehen, um zu schauen, ob ich Sie für fähig erachte, in nahe Zukunft das alleinige Sorgerecht für das Kind zu übernehmen. Dazu würde ich Ihnen ein paar Unterlagen mitgeben, die Sie bitte ausgefüllt zurückschicken. Außerdem würde ich Sie ein paar Mal unangekündigt besuchen kommen, um die Umstände vor Ort zu prüfen.”
    “Ja.” Schneller als ich hätte über ihre Worte nachdenken können, hatte das Wort ‘ja’ meinen Mund schon verlassen. Ja, ja, ja. Was gab es da noch zu diskutieren?
    Miss Miller überreichte mir die Unterlagen und wandte sich nun wieder an Ylvi. “Ich möchte gerne noch mit Ihnen alleine sprechen… Mr. O’Dell ich danke Ihnen für Ihr kommen und erwarte die Unterlagen zeitnah zurück.”
    Mit diesen Worten stand ich auf, blickte zu Ylvi herab die mich aus leicht verquollenen Augen ansah und verließ den Raum, nur um mich dort auf einen der Stühle fallen zu lassen und die Papiere in den Händen hin und her zu drehen. Zehn Minuten vergingen, zwanzig Minuten vergingen. Mittlerweile war ich aufgestanden und tigerte im Flur auf und ab. Letztendlich ging ich nach draußen, um weiter zu warten. Ich hielt es im Gebäude nicht mehr aus. Immer wieder warf ich einen Blick auf die Unterlagen. So viele Fragen! So viel was das Amt über mein Leben wissen wollte. ‘Verhältnis zu den eigenen Eltern’, ‘Wie sieht ein typischer Tagesablauf aus?’, ‘Trinken Sie Alkohol’? und und und. Ich wirbelte herum und trat mit aller Kraft gegen den Mülleimer, der hinter mir gestanden hatte. Er flog über den Gehweg und entledigte sich all seiner Inhalte. “Verdammte Scheiße!”, fluchte ich und fing dennoch an, alles wieder aufzuheben, in den Mülleimer zu stecken und das blöde Teil wieder dorthin zu stellen, wo es hingehörte.
    Nach einer halben Stunde öffnete sich die Tür und Ylvi trat heraus, ging schnurstracks ohne ein Wort zu sagen an mir vorbei, stützte sie sich an einen der Bäume und atmete ein paar Mal tief durch. Alle meine Gefühle wischen Besorgnis, als ich mich neben sie stellte und eine meiner Hände auf ihren Rücken legte. “Ylvi, ist alles in Ordnung?”
    “Ja.. ja.. es ist nur…”, sie richtete sich wieder auf. “Caleb, verdammt. Reiß dich doch mal zusammen! Durch das Fenster vom Zimmer, in dem wir eben saßen, kann man genau hier herunter schauen. Meinst du dass du den Mülleimer über den Gehweg getreten hast bringt dich Betsy auch nur einen Schritt weiter?”
    “Was weißt du schon!”, knurrte ich sie an, wollte mich umdrehen und zum Wagen gehen. Ylvi griff nach meinem, setzte zu einem neuen Satz an doch ich entzog mich ihr und ging zum Wagen.
    Auf der ganzen Rückfahrt sprach ich mit ihr kein Wort, auch wenn sie ein paar Mal versuchte ein Gespräch zu starten.
    Auf der Ranch angekommen packte sie mich wieder am Arm. “Caleb, hör mir doch kurz zu…”
    “Nein, lass mich in Ruhe!” - Kindskopf. Ich stieg aus, schnappte meine Papiere und wollte ins Haus gehen. Ylvi war aus dem Wagen gesprungen und hatte sich vor die Motorhaube gestellt, um mich noch zu sehen. “Ja, Caleb, lauf ruhig wieder davon, das kannst du ja besonders gut!”
    Die Tür des Haupthauses knallte ich besonders feste zu, lehnte mich mit dem Rücken dagegen, schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Verdammte Scheiße…

    Ylvi
    Erst schritt ich hinterher, blieb dann nach 3 Längen stehen, verschränkte meine Arme vor der Brust um zu sehen ob er nochmal raus käme. Scheinbar war das allerdings nicht der Fall. Also seufzte ich. Verschloss die Türen des Autos, nachdem ich meine Tasche raus gefischt hatte. “Lief das ganze nicht gut?” kam die skeptische Frage von meinem Ziehsohn. “Eigentlich...naja schon. Anders als Caleb das wollte, aber zumindest kann Betsy vorerst auf der Ranch bleiben.”
    “Anders? Darf ich? Also willst du es erzählen?”
    “Vorerst wird sie mir und Louis anvertraut. Wir bekommen vorübergehende Pflegschaft für Betsy.”
    “Das hat ihm nicht gefallen.”
    “Hat es nicht nein….vielleicht aber noch weniger die Tatsache. Naja, das Amt will prüfen wie geeignet Caleb als Vaterfigur ist...alleinstehend, mit seiner Vergangenheit, der Rancharbeit. Wir mussten komplett blank ziehen. Und Caleb wird sich einigen Untersuchungen und Besuchen unterziehen müssen. Das kann ein langer Prozess werden. Am Ende könnte es sogar sein, dass er nie die Pflegschaft für Betsy bekommt. Ich kann seinen Zorn verstehen.”
    Tschetan ließ sich keine Regung anmerken. Schaute nur zu der Tür, die hinter Caleb ins Schloss gefallen war. Nur seine Augenbrauen zuckten ein wenig. “Ich fürchte wir können ihm in der Sache wenig helfen.” Ich sah den jungen Mann an, manchmal zeigte sich in Tschetan die beginnende Weisheit des Alters. Ich spürte ein unbestimmtes Gefühl in der Brust. War es Stolz? Ich legte eine Hand auf seine Schulter. “Ich fürchte nicht wirklich. Aber..” ich lächelte ein wenig. “Vielleicht ein wenig Ablenkung verschaffen. Frag ihn doch ganz ungeniert nach einem Ausritt. Mit den Mädchen zusammen. Ich denke das wird ihn auf andere Gedanken bringen. Sprech am besten nicht an..was du eben mitbekommen hast.”

    Tschetan
    Ich war zwar nicht unbedingt begeistert davon die Mädchen auf den Ritt mitzunehmen. (Manchmal wünschte ich mir dann doch meine stumme Schwester wieder). Aber ich Verstand sehr wohl ihren Gedanken dahinter.
    Ich überbrückte also die Distanz zur Haustür. Drückte die Klinke hinunter und stieß gegen einen Widerstand auf der anderen Seite. “Verdammt nochmal verschwinde, Ylvi” brüllte es auf der anderen Seite von Caleb. Ich schmunzelte, ließ den Spalt ein Stück offen. “Das letzte Mal als ich schiffen musste, hatte ich was zwischen den Beinen.” sprach ich ganz tonlos sachlich. Calebs Gesicht erschien im Spalt der Tür. “Oh Tschetan, mit dir hab ich nicht gerechnet.”
    “DAS hab ich soeben bemerkt. Eigentlich...naja ich wollt die Mädels auf einen Ausritt entführen. Cayce meinte ich solle dich fragen welche Pferde. Da hab ich direkt gedacht du könntest mit. Die Zäune bei den Rindern auf der oberen Weide checken. Das hatten wir letztens erst im Gespräch, erinnerst du dich?” Gut das ich dieses Gespräch noch im Sinn hatte. Hoffte allerdings keiner der anderen Jungs hatte die Aufgabe schon aufgedrückt bekommen. Sonst fiel mir in diesem Moment nichts besseres ein.

    Caleb
    Ich seufzte, rappelte mich auf und ging einen Schritt zur Seite, damit die Tür ganz geöffnet werden konnte. “Wir könnten die Pferde mitnehmen die ich für die Ferienranch trainieren will. Honor (A Walking Honor), Chou, Jade, Kristy (Kristy Killings) und Shanee (Honey’s Aleshanee). Such dir welche aus, nur Kristy kommt auf jeden Fall mit- unter dir oder unter mir. Ich komm gleich.” Mit diesen Worten schloss ich die Tür und bekam die Antwort, die Tschetan mir entgegenbrachte, gar nicht mehr mit. Mein Weg führte mich hinauf in mein Zimmer, von dessen großem Fenster aus ich Tschetan beobachten konnte, wie er auf die Stallungen zuging. Ich beobachtete ihn dabei, wie er Steine des Schotterweges bei jedem seiner Schritte durch die Gegend kickte.
    Ich wandte mich vom Fenster ab und zog mich kurz um. Andere Jeans, ein anderes Hemd und eine ärmellose Weste- so warm war es noch nicht.
    In der Küche füllte ich mir kurz ein Glas Wasser und trank dieses in einem Zug. Ein paar Minuten stand ich ans Waschbecken gestützt, ließ meine Gedanken schweifen. Etwas in mir, und wenn es nur ein kleiner Funke war, wünschte sich das Rodeoleben zurück. Immer auf Tour, immer unterwegs, immer unter Leuten. Keine Pflichten, keine Aufgaben, keine Verantwortung. Nichtmal Liebe. Liebe zum Sport, ja. Liebe zu den Tieren, ja. Doch eine Liebe zu einem anderen Menschen? Nein. Spaß, der stand im Vordergrund, aber durch das ständige Umherreisen war es nie mehr geworden. Und nun? Heute? Besaß ich eine Ranch. Bezahlte Mitarbeiter, beherbergte meine.. eine.. Liebe mit ihrem Mann, war eigentlich auf einem guten Weg gewesen, ein Kind zu adoptieren! Herr im Himmel, ein Kind für Caleb O’Dell!
    Das Glas stellte ich in die Spülmaschine, schnappte mir im Rausgehen meinen Hut und zog mir die Stiefel an, ehe ich draußen auf vier gesattelte Pferde traf. Drei davon waren schon besetzt von Tschetan, Betsy und Kaya. Verdutzt schaute ich in Tschetans Gesicht. Wie lange hatte ich in der Küche gestanden und vor mich hin geträumt?

    ~ etwa eine Woche später ~

    Tschetan
    “Du hättest ihn einfach in Ruhe lassen sollen.”
    “Tschetan…nun schau mich nicht so an. Bryces Vater sitzt im Schulrat. Du hast viel riskiert.”
    Ich funkelte Aimee an, die vor mir auf dem Boden hockte, um mir ins Gesicht zu schauen. Bitterkeit klang in meiner Stimme mit. “In Ruhe lassen? Findest du? So wie er dich in Ruhe ließ?” Hatte Aimee gerade die Augen gerollt? “So ist Bryce nun eben manchmal. Du kennst ihn nicht.” Das Auflachen konnte ich mir nicht verkneifen.
    “Ich habe doch gesehen wie du versucht hast ihn abzuwehren. Für mich sah das nicht nach Spaß aus…”, ich verstummte einen Moment “und falls es so ist bist du nicht diejenige für die ich dich gehalten habe. Jemanden wie Bryce einen Freund zu nennen.” Aimee richtete sich auf. Die Hände in die Hüften gestemmt.
    “Was soll das jetzt bitte bedeuten?”
    “Dass du eine seltsame Auswahl an Freunden hast.”
    “Und was ist mit dir? Deine Freunde kriegen ja kaum ein englisches Wort von den Lippen. Und die Blicke, wie sie mich mustern.”
    Mein Blick zuckte zu ihr herunter. “Das kannst du doch wohl nicht Ernst meinen. Du vergleichst mich und die anderen mit Bryce? Weißt du wie er mich nannte? Rothaut! Ha! Natürlich hast du, du hast ja immerhin eng an ihm da gestanden. Und sollte es dir vielleicht entgangen sein. Dich hat er dabei auch beleidigt.”
    “Und? Was weiß ich was deine indianischen Freunde da so sprechen?”
    “Wasicu withko(verrückte Weiße)” entfuhr es mir unwillkürlich in meiner Sprache, dabei fuhr ich mir mit der Faust im Kreis über die Stirn. Ich wollte diese Unterhaltung nicht weiter führen. Rein aus Gewohnheit machte ich das Zeichen für Ende. Verschränkte die Arme und starrte konsterniert vor mir her. Aimee indes funkelte mich wütend an. Nicht in der Lage, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. “Genau das mein ich! Viel Spaß beim Warten. Such dir ein anderes Taxi zurück zur Ranch! ICH fahre!” Ich sah ihr hinterher, wie sie sich keck das rotbräunliche Haar über die Schulter warf. Nichts verstand sie. Vielleicht hatten die anderen Recht. Freundschaften mit Weißen brachten nur Probleme. Aimee hatte es in ihrem Leben so furchtbar einfach gehabt. Sie konnte nicht verstehen wie es für mich und die anderen war. Gehasst allein für das was wir waren. Welche Leiden vergangene Generationen durchgemacht hatten. Wie wenig wir noch immer in der Gesellschaft verankert waren. Bryce hatte das heute eindeutig bewiesen. Sein Vater war Großgrundbesitzer. Seine Firma baute geradewegs eine Pipeline durch das heilige Land der Tsuu T’ina Nation. Dem Stamm aus dem viele meiner Freunde entstammten. Weder Bryce noch Aimee hatten eine Ahnung, welche Gefühle das auslöste.
    Nicht allein wie er Aimee begrapscht hatte. Für mich hatte es nicht gewirkt als sei das ganze Spaß gewesen. Ich hatte ihn gebeten sie in Ruhe zu lassen. Bryce jedoch hatte gefragt ob ich Probleme damit hätte, wenn er sich meiner Sqaw widmen würde. Ich hatte zwischen den Zähnen hervorgezischt, dass Aimee nicht meine Freundin sei. Und kurz blitzte in mir der Gedanke auf, dass es diese Aussage vielleicht gewesen war - das was Aimee vielleicht wirklich so wütend machte. Denn wieso sollte es Aimee stören, dass ich Bryce ins Gesicht geschlagen hatte? Natürlich erst, nachdem er mich eine Rothaut genannt hatte..und die Dreistigkeit besessen hatte einen meiner Zöpfe zu packen.
    Da war mir eine Sicherung geplatzt. Ich hatte schließlich nichts provoziert. Noch mehr nagte die Sache an mir, das ICH jetzt hier vor dem Zimmer des Direktors hocken musste…nicht etwa Bryce.

    Caleb
    “Ja.. nein.. ja ich verstehe…das macht Sinn.. okay..”, ‘tuuuuut, tuuuuuut’, “Moment, ich muss auflegen hier kommt ein anderer Anruf rein. Ja, ja ich melde mich. Nein, sie brauchen nicht..” ‘Klack’. Aufgelegt. Der neue Futterlieferant war wirklich ein Idiot. Beschwerte sich, bis hier raus auf die Ranch zu fahren. Wir sollen das Futter in der Stadt abholen.
    Ungläubig schüttelte ich den Kopf und nahm den neuen Anruf an. “Principal Webber am Apparat, spreche ich mit Louis Kills Bears? Nein? Ach, Mister O’Dell Sie stehen hier auch in den Unterlagen, dann spreche ich mit Ihnen. Ich möchte, dass Sie Tschetan Kills Bears von der Schule abholen, er hat einen Mitschüler geschlagen. Alles Weitere besprechen wir gleich in meinem Büro.” ‘Klack’. Was waren die Personen am anderen Ende der Leitung bloß alle so unhöflich heute? War es zu viel verlangt, das Gespräch mit einem ‘auf Wiedersehen’ oder mit einem ‘bye’ zu beenden?
    Seufzend erhob ich mich aus meinem Stuhl. Ach Tschetan… wo war er jetzt schon wieder hineingeraten?
    Wenige Minuten später, ohne Ylvi oder Louis gefunden zu haben, um Bescheid zu geben was mit Tschetan los war, saß ich im Truck und telefonierte erneut mit dem Futterlieferanten herum. Wenn ich schon wegen Tschetan extra nach Calgary fahren musste, dann konnte ich auch gleich das Futter in einem mitnehmen. Aus diesem Grund hatte ich einen der großen Pferdehänger am Wagen hängen. Schnell konnte ich damit nicht unterwegs sein- aber nach etwas mehr als einer Stunde parkte ich mit meinem Gefährt 5 Parkplätze des Schulgeländes zu, setzte mir beim Aussteigen aus dem Wagen meinen Cowboyhut auf den Kopf und kämpfte mir meinen Weg durch neugierige Schüler hinauf zum Büro des Direktors.
    Nachdem ich mich bei der Sekretärin angemeldet hatte, ließ sie mich weiter durchgehen in das kleine Vorzimmer, in dem der Junge saß. Mit einem ‘Warum um Himmels Willen muss ich jetzt hier her kommen?’ starrte ich Tschetan an. “Caleb… Aimee und ich…”, weiter kam er nicht denn die Tür zu Principal Webbers Büro öffnete sich und er bat uns beide hinein. Ich konnte ihn nicht leiden, schon von Anfang an nicht. Ihm gegenüber hegte ich stets Misstrauen, sogar die Vermutung, er konnte die Kids von der Ranch nicht ausstehen- egal um welches es sich handelte.
    Tschetan und ich setzten uns vor den riesigen Schreibtisch ihm gegenüber und warteten, dass er etwas sagte. Ohne um den heißen Brei herum zu reden erzählte er mir eine Geschichte, die ich so nicht zu glauben vermochte. “Tschetan hat einen unserer Schüler, Bryce, brutal ins Gesicht geschlagen, nachdem dieser mit Aimee Carter… eng zusammen gestanden hatte. Ich habe bereits mit Bryce gesprochen, er ist sich keiner Schuld bewusst und…” Ich lachte so herzlich auf, dass Tschetan zusammen zuckte.
    “Bitte? Er ist sich keiner Schuld bewusst? Das glauben Sie und ich nicht, dass Tschetan hier jemandem ohne Grund ins Gesicht schlägt. Jetzt erzählen Sie mir noch einmal die wahre Geschichte, warum ich hier sitzen muss.”, knurrte ich.Tschetan war selten ruhig, daran erkannte ich, dass die Geschichte sich auf keinen Fall so zugetragen hatte, wie mir der Principal weismachen wollte.
    “Nun gut. Tschetan, erzähl uns doch deine Sicht des Vorfalls.”
    Tschetan erzählte. Zunächst zögerlich, doch im Verlauf wurde mir immer mehr bewusst, welch verlogene Kinder hier auf dieser Schule herumliefen.
    “Also an dieser Schule ist Mobbing und Lügen absolut okay, sich dagegen zu wehren allerdings nicht? Was hätte Tschetan machen sollen? Danke und Amen sagen?”, ich fing - wie immer- an mich in Rage zu reden.
    “Mister O’Dell bitte unterlassen Sie diesen sarkastischen Ton. Uns ist es wichtig, ein harmonisches Miteinander zu fordern und zu fördern. Wir sitzen nun gemeinsam hier um darüber zu sprechen, welches Disziplinarverfahren auf Tschetan zukommt und…”
    Ich nahm meinen Hut vom Kopf, fuhr mir einmal durch die Haare und warf einen kurzen Blick zum Jungen, der rechts neben mir auf seinem Stuhl immer kleiner wurde. Ihm war das Ganze hier sichtlich unangenehm und ich merkte ihm an, dass er nicht sagen konnte, was er wollte. “Mister O’Dell, haben Sie mir zugehört?”
    “Nein”, antwortete ich wahrheitsgetreu, setzte meinen Hut wieder auf den Kopf, stand auf und legte Tschetan eine Hand auf die Schulter mit einem Blick der ihm ‘Steh auf’ signalisierte. “Der gute Tschetan hier wird dann wohl auf der Ranch eine Woche die Boxen misten müssen. Mit schmerzender Hand von seinem Schlag wird das gewiss kein Spaß, das genügt als Disziplinarmaßnahme”, das letzte Wort sprach ich absichtlich ziemlich lächerlich aus, “des Weiteren fordere ICH, als besorgter… Sorgeberechtigter… dass dieses mobbende Arschloch sich seine zukünftigen Worte ganz genau überlegt- und wenn ich auch nur im entferntesten mitbekomme, dass er sich unserer Aimee erneut nähert, komm ich wieder und reiß ihm den Arsch auf. Schönen Tag noch, Mister Principal.”
    Mit diesen Worten und einer heruntergeklappten Kinnlade des Principals verließen Tschetan und ich das Büro, das Schulgebäude und schließlich im Pick Up sitzend das ganze Schulgelände.
    Wir fuhren zum Lieferanten, luden gemeinsam die Futtersäcke in den Hänger und machten uns auf den Heimweg zur Ranch.
    Schließlich fand Tschetan seine Worte wieder und sprach mit mir: “Caleb… ich weiß nicht, ob du alles jetzt besser oder schlimmer gemacht hast, aber den Blick von Webber… dafür hat es sich allemal gelohnt.”
    Ich lachte. “Glaub nicht, dass das mit den Boxen ein Witz war.”
    “Ich… ich weiß. Aber Bryce hatte es verdient, er….so behandelt man niemanden.”
    “Warum bist du eigentlich so ausgeflippt? Doch nicht wegen der Worte, die er zu dir gesagt hat? Was war wirklich der Grund?”
    “Er hat meine Zöpfe angefasst”, antwortete er mir zwischen zusammengebissenen Zähnen. Ich wusste um die Bedeutung der Zöpfe und konnte Tschetans Wut und seinen Ausraster nun besser verstehen. “Bitte sag Louis und Ylvi nichts hiervon- und sag Aimee nichts vom Gespräch. Ich möchte selbst noch einmal mit ihr reden.”
    “Dann hüten wir beide wohl nun ein Geheimnis des Anderen”, murmelte ich und sah kurz zu ihm rüber. Fragezeichen spiegelten sich in seinem Blick wieder.
    “Was meinst du?”
    Wieder traf mein Blick den Seinen. “Ich habe gesehen, dass du uns beobachtet hast. Ylvi und mich, als wir uns geküsst haben.”
    Tschetan schwieg.
    “Warum hast du mich nicht darauf angesprochen?”
    “Ich verstehe es nicht, deshalb. Ylvi und Louis sind verheiratet… wieso küsst sie dich dann?”
    “Ein ‘es ist kompliziert’ reicht dir bestimmt nicht als Antwort, oder?”, fragte ich ihn und lächelte zu ihm rüber. Tschetan schien es jedoch gar nicht zum Lachen zu sein. “Tschetan ich kann es dir auch nicht richtig erklären. Ylvi und ich sind durch so viele Höhen und Tiefen und… du weißt, dass Louis sie geheiratet hat, damit sie bleiben konnte.” Ich stockte und überlegte mir die nächsten Worte genau. Schließlich konnte ich schlecht zu ihm sagen: ‘Bestimmt liebt er sie gar nicht richtig. Oder gar nicht mehr richtig.’ Das ging mich nichts an, diese Worte standen mir nicht zu. Stattdessen sagte ich: “Wir haben nie richtig Schluss gemacht, nie wirklich über das gesprochen, was Tatsache war und ist. Ja, ich habe noch Gefühle für sie und ja ich weiß, dass das falsch ist… aber gegen seine Gefühle anzukommen, so zu tun als gäbe es sie nicht, sie nicht durchzulassen und ihnen keine Macht zu geben.. puh. Auch das habe ich lange versucht… und wir beide haben ja gesehen, wohin es letztendlich geführt hat.”
    Tschetan schwieg wieder, er schien nachzudenken. Schließlich sagte er: “Du weißt, dass es falsch ist?”
    Ich nickte. “Ich weiß, dass es falsch ist.”
    “Dann ist dein Geheimnis bei mir sicher.”

    Tschetan
    War Liebe falsch? Konnte man seine Liebe zwischen mehreren Personen aufteilen? Tatsächlich hatte ich bereits solche Dinge bei Google gesehen. Dokumentationen am Abend geschaut. Das Begreifen dessen was ich sah, tat mir allerdings schwer.
    “Und was erzählen wir jetzt wieso Amy mich hat sitzen lassen?” Caleb sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. “Streit im Paradies?”
    Ich verschränkte die Arme vor der Brust. “Was heißt Streit? Sie hat sich tierisch darüber aufgeregt was ich getan habe! Ich versteh die Frauen nicht.”
    Da ertönte plötzlich ein schallendes Lachen von dem Cowboy neben mir, was mir die Situation nicht unbedingt behaglicher machte. Caleb versuchte 2x zu einer Antwort anzusetzen, musste aber immer wieder prusten. Ich rollte die Augen. “Glaub mir, Tschetan. Manchmal verstehen die sich selbst nicht.”
    “Na der Wahnsinn.”
    “Ich hab dich einfach abgeholt damit du mir bei den Säcken Futter hilfst. Nur falls einer fragt, Aye?”
    “Aye” gab ich Caleb seine typische Piraten-Antwort. Die mich manchmal ebenso verwirrte wie die Frauen.
    Zurück auf der Ranch verzog ich mich auf die Außenpaddocks. Ich brauchte jetzt körperliche Arbeit um nicht nachdenken zu müssen. In den Ohren laute Musik von “a tribe called red”. Ich hatte unter der Anleitung von Louis im Winter begonnen ein wenig PowWow zu tanzen. Vielleicht würde ich mich ähnlich wie er in diesem Jahr zu meiner ersten seit Jahren anmelden. Irgendwo in meinen alten Sachen musste sich meine alte Regalia befinden. Vieles würde mir mit Sicherheit nicht mehr passen, aber vielleicht konnte Ylvi mir dabei helfen einiges zu überarbeiten. Sie hatte ein Recht gutes handwerkliches Geschick dafür. Ich schreckte zusammen als mir plötzlich jemand mit der Hand auf die Schulter schlug. “Meine Güte. Wie laut hörst du Musik?” vernahm ich O’s Stimme.
    “Eh…sehr laut?”
    “Ich wollt mit den Jungs später rüber zur heißen Quelle. Kommst du mit?”
    “Jungs?” ich stand vollkommen auf dem Schlauch
    “Ach, denen der Nachbar…Ranch? Na du weißt schon dem Haufen Bereiter vom etepetete Stall nebenan.” Mein noch immer wirres Gesicht veranlasste O die Augen zu rollen und noch etwas anzuführen “Rennen in viel zu engen Hosen rum. Klingelt's?” Jetzt ging mir ein Licht auf. Im nächsten Tal hatte ein Dressurstall aufgemacht. Viele der Bereiter waren in O’s Alter. Auch dort lebten einige Familien, deren Kinder die Schule in Calgary besuchten. Ich konnte zwar wenig mit deren Reitstil anfangen, allerdings waren die Typen alle schwer in Ordnung.
    “Lass mich das mit Ylvi und Louis klären, dann bin ich dabei.”
    “Wunderbar!”

    Octavia
    Eine dreiviertel Stunde später saßen Aimee, Tschetan und ich auf den Pferden, um den Jugendlichen aus dem Dressurstall entgegen zu reiten. Die Quelle befand sich etwa in der Mitte. Betsy und Kaya hatten mitkommen wollen, doch Ylvi schien sie auf wundersame Weise davon abgehalten zu haben. Ich glaube sie wollten zusammen Cupcakes backen. “Können wir?”, fragte ich in die Runde und kontrollierte noch einmal, ob die Packtasche an Shanee (Honey’s Aleshanee) richtig verschnallt war. Tschetan hatte sich, auf Geheiß von Caleb, für Layla (Sweet like Chocolate) entschieden. Aimee für Honor (A Walking Honor). “Von Layla hab ich tatsächlich noch nicht viel gesehen. Die ist auch noch nicht wirklich gefördert worden, oder?”, fragte ich Tschetan, der, was das Training der Westernpferde und Calebs Arbeiten, immer besser im Blick hatte als ich.
    “Nee, die läuft bisher nebenbei. Caleb hat sich jetzt entschieden, dass sie auch für die Guest Ranch trainiert werden soll.”
    “Apropos Guest Ranch…”, überlegte ich “wann gehts denn da weiter?”
    Tschetan zuckte nur mit den Schultern. “Ich glaub Caleb hat gerade andere Probleme.”
    Mit diesen Worten trabten wir die Pferde vom Ranchgelände und galoppierten sie auf dem Feldweg an.
    Eine halbe Stunde später trafen wir auf die Jugendlichen des anderen Stalles. Sie schlossen sich uns an und gemeinsam ritten wir ein Stück zurück, ehe es hoch zum Fluss und der heißen Quelle ging.
    Dort angekommen tauschten wir die Trensen der Pferde gegen Halfter, ehe wir sie an den Bäumen anbanden, damit sie grasen konnten.
    Aimee und ich waren die einzigen Mädchen, vom anderen Stall kannte ich nur die beiden älteren Jungs, Eric und Trevor. Nachdem Aimee mich zur Seite gezogen hatte und mir kleinlaut von den jüngeren Kerlen erzählte, wusste ich auch ihre Namen. Bryce und Nicholas. Bryce war derjenige, den Tschetan heute morgen geschlagen hatte. Deshalb war dieser auf dem Ritt so kleinlaut gewesen. Nicholas dagegen hatte Frage um Frage zu den Westernpferden gestellt.
    Nachdem wir uns umgezogen und in die Quelle gesetzt hatten, schaute ich zu Tschetan, der immer noch drein schaute wie sieben Tage Regenwetter. Ich nickte ihm unbemerkt zu. Zunächst erwiderte er nichts, doch dann nickte er mir zurück. ‘Dann ist alles ok’, schlussfolgerte ich.
    Langsam ließ ich mich nach unten ins warme Wasser sinken. Tschetan hatte die Quelle vor einiger Zeit bei einem Ausritt gefunden. Seither kamen wir regelmäßig hier hin. Hätte er gewusst, dass Bryce unter den Jugendlichen des anderen Stalls wäre, hätte er sie mich nicht hier her einladen dürfen. Ich hatte das leider auch nicht vorher gewusst, denn dann wären wir ohne sie hier hoch geritten.
    Eric und Trevor hatte ich durch Zufall in der Stadt kennengelernt und wir hatten uns ein paar Mal getroffen.
    “He Tavia, guck mal was ich mitgebracht hab”, riss mich Trevor aus den Gedanken und warf mir eine kleine Flasche in die Hände, die ich aus dem Wasser nach oben riss und Aimee vollspritzte. Von der Seite hörte ich nur ein “pffpfpfpfttt” und nahm ein Armfuchteln wahr. “Oh jetzt wird es interessant”, murmelte ich und betrachtete die Flasche Bier in meiner Hand. Trevor gab auch Eric eine der Flaschen, während er den vier ‘Kindern’ Root Beer gab. “Nett”, quittierte Bryce diese tolle Geste, schien sich damit aber dennoch zufrieden zu geben.

    Tschetan
    Als sich hinter den älteren Jungs noch zwei weitere Pferde aus der Dämmerung schälten, hatte ich eigentlich direkt wieder Lust mein Pferd zu wenden. Da hockte doch tatsächlich Bryce auf einem der Tiere. Nicht nur, dass wir gerade unterwegs waren zu einer geheimen Location - denn mit den Erwachsenen hatte ich das Wissen noch nicht wirklich geteilt, er war auch noch einer derjenigen, die ich ganz besonders gerade nicht um mich haben wollte. Über seinen Kumpel Nicholas vermochte ich wenig zu sagen - schließlich kam er neben Bryce selten zu Wort. Ich unterdrückte also ein Seufzen, biss die Zähne aufeinander. Und schwor mir den Typen einfach zu ignorieren.
    Umso überraschter war ich gewesen, als Nicholas Stimme die meiste Zeit zu hören war. Er unterhielt sich abwechselnd mit Aimee und O' und stellte einige fundierte Fragen zu den Westernpferden. Obwohl er auf einem der Pferde des Dressurstalles, in einem englischen Sattel hockte, schien er dort nicht wirklich zu Hause. Im Gegensatz zu den Anderen trug er zum Beispiel auch keine der üblichen engen Hosen, sondern eine normale Jeans. Ich lenkte Layla vorsichtig näher an die Gespräche. Lauschte den Fragen und den Antworten der Mädchen, beteiligte mich aber ansonsten herrlich wenig mit den anderen.
    Trevor und Eric hatten uns jüngeren Root Beer mitgebracht - immerhin eine nette Geste. Allerdings musste ich trotzdem schmunzeln. "Seit wann halten wir uns denn an die Gesetze des Landes?" fragte ich hinüber zu O'.
    Auf der Ranch nahm man es für gewöhnlich nicht ganz so genau mit dem Alkoholverbot unter 21. Ganz besonders Ylvi hielt das Gesetz für "Mumpitz" wie sie immer sagte. Ich hatte allein Probleme das Deutsche Wort überhaupt zu artikulieren. Ich für mich entnahm dem Alkohol nicht viel. Der meiste schmeckte furchtbar, das wenige gute Bier - ließ sich Ylvi aus ihrer Heimat Deutschland schicken. Außerdem hatte ich in meiner Kindheit oft genug gesehen was der Alkohol mit den Menschen anstellte, welche Hemmungen er niederbrach. Daran war nichts ehrenhaftes. Meine Ahnen hatten es nicht umsonst Feuerwasser genannt. O' winkte meinen Satz ab. "Ja gut, aber vielleicht sollten wir damit nicht vor allen prahlen." lachte sie fröhlich.

    Aimee
    Ich nippte an meinem Root Beer und sah immer mal wieder auf. Sobald ich nach links schaute, sah ich Bryce direkt an. Er war wirklich hübsch. Ein Junge, der mir gefiel. Sobald ich nach rechts schaute, sah ich Tschetan direkt an. Ein Junge, der irgendwie wie ein Bruder für mich geworden war. Manchmal schien ich mir aber nicht ganz sicher, ob es das wirklich für uns war. ‘Wie Geschwister’. Ich hatte bisher nie ernst mit ihm darüber gesprochen. Vielleicht wurde es mal Zeit?
    Andererseits.. war da Bryce. Er sah mich für das an, was ich war. Eine Freundin. Nicht eine Schwester. Allerdings schien er Tschetan heute morgen so beleidigt zu haben, dass Letzterer ihm eine reingehauen hatte. Ich war nicht mehr sauer auf Tschetan, eher auf Bryce und mich. Aber nicht heute Mittag. Jetzt genoss ich das warme Wasser, die Gesellschaft und das… Leben.
    Erneut nahm ich einen Schluck aus der Flasche. Plötzlich spürte ich einen Handrücken an meinem linken Bein, welcher langsam hoch und runter fuhr. Etwas panisch sah ich zunächst runter ins Wasser, dann hoch in Bryce Gesicht. Rechts von mir spürte ich eine Regung im Wasser. Tschetan griff, in meine Richtung, hinter sich. Dabei berührte eines seiner Beine das Meine. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Fand ich es jetzt toll, dass Bryce mein Bein streichelte? Oder fand ich es toll, dass Tschetan mich berührt hatte? Seine Berührung war nur flüchtig und unbeabsichtigt gewesen, die von Bryce mit voller Absicht.
    Tschetan beugte sich weiter nach hinten. So sehr, dass ich ihm Platz machte und ein Stück nach vorne rutschte. “Klappt das da?”, fragte ich ihn verwirrt und drehte mich um, um zu schauen, was er denn da eigentlich tat. Er hob einen flachen Stein auf, drehte ihn in den Händen und warf ihn dann in den Fluss. Er hüpfte zweimal übers Wasser und sank aufs Flussbett hinab. Schließlich setzte er sich wieder richtig hin.
    Bryce behielt seine Hand bei sich. Hatte Tschetan das gerade extra gemacht?

    Tschetan
    “Ah…wunderbar bei diesem Wetter.” seufzte Trevor, ließ sich bis zum Kinn weiter in den Pool gleiten. Der Boden bestand aus feinem Sand. Große Findlinge trennten die heiße Quelle vom Rest des Nebenarms des Bow River. “Ich hab gar nicht gewusst, dass es in Kanada auch heiße Quellen gibt, die nicht erschlossen sind. Das letzte Mal hab ich auf Island in einer gesessen.”
    Das Gespräch nahm eine Wende die mir ganz entgegen kam. Zwar hatte Bryce seine Hände von Aimee genommen. Wie ich weiter damit verfahren wollte, das wusste ich nicht. Ich wusste nicht was ich eigentlich wollte. Sollte ich versuchen ihr näher zu kommen? Ich sah wie Selbstsicher O’ sich zwischen den älteren Jungs verhielt. Eric hatte einen Arm um ihre Schulter, was in mir ebenfalls ein seltsames Gefühl aufkommen ließ. Trevors Worte kamen kaum an meine Ohren, bis O’ das Wort an mich richtete. “Keine Ahnung….Tschetan hat den Ort gefunden. Wie kommt das?” ich starrte auf das Wasser, dann zu O’ “Mhm?”
    “Trevor fragte gerade. Wie es kommt, dass der Pool nicht längst mit Touristen überschwemmt ist.” Ich schluckte. Sah wie alle mich erwartungsvoll ansahen. Und einen Moment länger als nötig blieb mein Blick an Bryce hängen. Was er wohl dachte?
    “Das liegt vor allem daran…dass dieser Teil des Landes, und des Flusses….auf Native American Land liegt. Ich war hier mit Freunden aus der Schule wandern, als ich die Quelle entdeckt hab.”
    “Das ist das Land der Siksika. Nicht wahr?” fragte Eric nun. Milde überrascht hob ich die Augenbraue. Es kam selten vor das sich jemand mit den First Nations auseinander setzte. “Du hast Recht, ja.”
    “Lebst du auch dort? Im Reservat? Versteh mich nicht falsch. Ich hab viel von der Welt gesehen, bevor ich mich als Bereiter hier beworben habe. Ich hab einen Faible für First Nations.”
    “Na großartig. Wollen wir jetzt nach Federn suchen und schreiend um die Quelle rennen?” beschwerte sich Bryce lautstark. Ich machte den Rücken gerade, ballte die Faust unter dem Wasser. Bereit ihm noch eine zu verpassen. Er taxierte mich. O’ richtete sich auf, schlug mir die flache Hand auf die Brust um meine Vorwärtsbewegung zu stoppen. “Entweder, du benimmst dich, oder du gehst.” grollte sie in Richtung Bryce. “Fein. Ich gehe.!” Damit erhob er sich aus dem heißen Wasser. Wischte sich das Wasser vom Körper. Als er gerade nach der Trense seines Pferdes griff, drehte er sich um. “Nicholas!” brüllte er. Sein Freund zuckte zusammen im Wasser, sah in die Runde, erhob sich. Und zur Überraschung von allen: “Aalso, ich denke ich werd noch eine Weile hier bleiben”, sagte er mit bebender Stimme. Er wusste, dass Bryce diese Entscheidung nicht mögen würde. Dann sah sich Bryce zu Aimee um “Aimee?”. Reflexartig legte ich Aimee unter Wasser die Hand auf das Knie. Hielt sie fest. Ich wusste nicht wieso, aber ich wollte auf gar keinen Fall das sie mit Bryce ging. Es blieb ruhig bis wir Bryce zwischen den hohen Felsen nicht mehr sahen. Nur das Rauschen des Flusses neben uns. “Hui…ich das tut mir Leid. Vielleicht hätte ich das Thema nicht aufbringen sollen. Ich wusste ja wie sein Vater…” ich winkte ab.
    “Ich will ja nicht sagen ich hätte mich dran gewöhnt, aber…ich kenn das. Man ist öfters Anfeindungen ausgesetzt. Zu deiner Frage….nein. Ich lebe nicht in der Reservation. Nicht mehr zumindest. Allerdings, bin ich kein Siksika. Ich bin Lakota.” sagte ich mit einem gewissen Stolz in der Stimme.
    “Du bist weit fort, vom Land deiner Ahnen.” stellte Eric fest und ich war dankbar für das Mitgefühl das in seiner Stimme mitschwang. Ich spürte plötzlich eine Hand auf der meinen, die ich noch nicht von Aimees Knie genommen hatte. Sie zog mich zurück in eine sitzende Position neben ihr. Nicholas machte uns Platz. “Dann können wir froh sein das es First Nations Land ist. Wir werden immer unsere Ruhe hier haben.” brach Trevor die Stille. O’ schmunzelte. “Da magst du Recht haben. Also…keine fetten Partys hier. Die können wir uns für andere Gelegenheiten offen lassen.”
    “Tschetan, ich dachte einen Augenblick du willst ihm nochmal eine verpassen.” witzelte O’ um die Stimmung zu lockern.
    “Ich hätte gut und gern Lust dazu gehabt.”
    “Besser nicht, du hättest ihn aus den Latschen gehauen. Bryce hat Oberarme wie ein Baby.” stellte Trevor belustigt fest. “Meistens versteckt er sich hinter seinen bulligen Freunden.” damit schenkte er Nicholas einen vielsagenden Blick. Der Junge rückte, etwas ungemütlich, weiter an die Felsen in seinem Rücken. “Ich bin auch nicht Stolz drauf. Früher…da war er anders.” Nicholas sah sich nach seiner Flasche Root Beer um, musste dabei hinter mich greifen.

    Nicholas
    “Wisst ihr zuhause da haben meine Eltern auch ein paar Westernpferde. Ich bin nämlich gar kein Englischreiter”, gab ich preis und sah dabei zu den Pferden, die genüsslich grasten. Zumindest ein paar davon.
    Die Tiere der Bow River Ranch hatten ihre Köpfe gesenkt und sich damit abgefunden, angebunden zu sein und nur in einem kleinen Radius das saftige Grün abpflücken zu können. Die Pferde, die wir mitgebracht hatten allerdings, schienen sich damit nicht zufrieden geben zu wollen. Starlight, die Stute die ich ritt, hängte sich immer wieder in den Strick, rempelte eins der Bow River Pferde dabei ständig an. Dieses schien jetzt genug von dem Zirkus zu haben, hob schlagartig den Kopf und biss die Stute in die Schulter. Starlight machte einen empörten Satz nach vorne und quietschte, weshalb alle anderen Pferde auch die Köpfe hoben und nervös schnaubten. Das Pferd neben Starlight legte noch immer die Ohren an und taxierte das Tier. Gerade als ich die Situation auflösen wollte, stand Tschetan aus dem Wasser auf und ging zu den Pferden rüber. “He, Layla, lass die mal in Ruhe”, sagte er ruhig zu der Dunkelfuchsstute und legte ihr eine Hand auf die Kruppe. “Ist das deine?”, fragte ich Tschetan, welcher mir erst antwortete, als er wieder im Wasser war.
    “Nein, auf Bow River hab ich kein eigenes Pferd. Die gehören fast alle Caleb, wir dürfen die meisten davon aber reiten. O’ hier hat ein paar eigene Pferde, aber alles… keine Westernpferde”, lachte er.
    “He ich hatte mal Westernpferde! Und Dakota wird von Bellamy mittlerweile ja auch Western geritten.”
    “Was hast du eigentlich mit den ganzen Vollblütern vor, O’?”. fragte Aimee schließlich.
    “Verkaufen.”
    Nun horchten alle auf. “Echt?”, mischte sich Trevor verwundert in die Unterhaltung ein.
    “Ja, ich merke, dass ich immer mehr im Westernsattel zuhause bin. Kein Wunder, auf einer Westernranch voller Westernpferde und Cowboys.” Alle lachten, die Stimmung hatte sich so gelockert, seit dem Bryce abgedampft war.
    “Ich wollte die Pferde Pineforest anbieten oder Phoenix Valley. Dann weiß ich wenigstens, dass sie weiterhin ordentlich trainiert werden und sich später gut in der Zucht machen.”
    “Erzählt mal, wie es so auf der Ranch ist?”, fragte ich dann in die Runde. Aimee erzählte, Tschetan erzählte und O erzählte. Ich konnte mir alles bildlich vorstellen.
    “Ihr könnt doch mit rüber kommen, dann zeigen wir euch die Ranch. Caleb oder Cayce können euch und die Pferde später bestimmt zurückfahren, das ist kein Problem.”
    Trevor schaute auf sein Handy, was er in seiner Hosentasche neben der Quelle verstaut hatte. “Ich hab gleich Training. Wenn ich das absage, bekomm ich die Hölle heiß gemacht”, meinte er und sah zu seinem Kumpel Eric rüber. “Sieht wohl so aus, als müssten wir uns verabschieden”, erklärten die beiden älteren Jungs und sahen zu mir. “Aber du kannst ja mitreiten, Bryce spielt heute auch den restlichen Tag die beleidigte Leberwurst.”
    Ich nickte. Warum nicht?

    Tschetan
    “Schade das Louis die Indian Relays aufgegeben hat. Einige deiner Vollbüter wären sicherlich dafür geeignet.” O’ zog eine Augenbraue nach oben. “Aber grundsätzlich könntest du das doch auch tun,oder nicht?”
    Ich zuckte mit den Schultern. “Schon, aber ganz ungefährlich ist es nicht. Ich weiß nicht wie Ylvi und Louis darüber denken. Da helf ich lieber bei dem Training der Westernpferde.”
    “Du hilfst da mit?” fragte Nicholas erstaunt neben mir. Noch bevor ich eine Antwort geben konnte, fiel Aimee mir ins Wort. “Wenn er so weiter macht, dann ist er bald der beste Trainer am Stall. Caleb vertraut ihm seine besten Pferde an.” Ich senkte betreten den Kopf. “Jetzt übertreib mal nicht.” murmelte ich. “Naja, ganz Unrecht hat sie nicht. Du sitzt manchmal auf Pferden, von denen würde ich nur träumen kann“, erwiderte O’ trocken. Ich wusste, dass es stimmte. Doch ich war nicht der Typ dafür, vor anderen anzugeben. Ich rutschte ungemütlich im Sattel herum, bei dem bewundernden Blick, den mir Nicholas von der Seite zuwarf. “Vielleicht sollte ich den Stall wechseln.”
    “Wir geben keinen Reitunterricht”, gab ich wahrheitsgemäß von mir.
    “Aber Hilfe bei der Rancharbeit braucht ihr doch sicherlich? Im Westernsattel fühl ich mich einfach wohler.”
    “Vielleicht lässt sich was finden. Darüber müsste man mal mit Caleb sprechen”, warf Aimee ein. Darauf erwiderte ich nichts. Ich hatte einfach im Hinterkopf, dass Nicholas zu oft bei Bryce rumhing. Der Gedanke, diesen Idioten vielleicht auch auf der Ranch zu wissen, missfiel mir. Deshalb versuchte ich erst gar keine Bande der Freundschaft zu Nicholas entstehen zu lassen. Ich misstraute ihm.

    Caleb
    Gleich als ich auf der Ranch angekommen war, machte ich mich daran, das Futter abzuladen. Zum Glück kamen mir Brian und Bellamy zur Hilfe, so dass alles ziemlich schnell an seinem Platz verstaut war.
    Da es noch relativ früh war, entschloss ich mich dazu, noch rüber zur Ferienranch zu reiten.
    Dazu machte ich mir meinen Vulture fertig. Er war noch nicht so viel im Gelände gewesen, und vor allem nicht alleine. Das würde also abenteuerlich werden.
    Ich wollte schon ein wenig Werkzeug mit hoch nehmen, so dass ich die Satteltaschen am Sattel des Hengstes befestigte und packte. Einerseits mit nützlichen Utensilien, andererseits mit Papier und Stift, um mir aufzuschreiben, woran wir in der nächsten Zeit arbeiten wollten.
    Als ich aus dem Stall raus ging traf ich auf Bellamy. “Ich reite hoch zur Ferienranch und schau, ob ich heute schon was machen kann. Dann weiß einer wo ich bin.”
    “Okay alles klar. Soll ich dann das Futter für heute Abend fertig machen? Du wirst ja eine Weile brauchen.”
    “Ja, das wäre top. Könntest du dich heute Mittag auch noch um das Training von Cody und Ginger kümmern? Lass die einfach im Round Pen ein bisschen laufen. Falls du dann noch Lust und Zeit hast… Nic bräuchte auch mal wieder Bewegung.”
    “Nic?”, fragte Bellamy verwirrt und schien nachzudenken. “Ach du meinst Moonie! Mensch, nenn den doch einfach mal um. Nic kann sich keiner merken!”
    Wir beide lachten, dann gurtete ich Vultures Sattel nach und schwang mich rauf. Absolut gesittet verließen wir das Ranchgelände. Als ich ihn dann jedoch antrabte, durfte ich erst einmal ein paar Buckler aussitzen.
    “Gehts jetzt wieder? Funktioniert dein Hirn jetzt wieder so, wie es funktionieren soll?”, fragte ich den Braunen kopfschüttelnd, verlangte nun aber über ein langes Stück einen gleichmäßigen, ordentlichen Trab. Erst als er mir schön genug lief, parierte ich ihn zum Schritt durch. So konnte er etwas verschnaufen, bevor ich ihn gleich angaloppieren würde.
    Ich hatte die Strecke an der Rinderkoppel vorbei gewählt, so dass wir diese einmal überqueren konnten. Eine Abkürzung sozusagen. Es stellte sich jedoch als gar nicht so einfach raus, das Tor von diesem Pferd aus zu öffnen. Ständig sprang er zur Seite, tänzelte vor sich hin oder ließ mich gar nicht nah genug heran.
    Da ich heute keine Zeit zum Rumdiskutieren hatte, stieg ich kurzerhand ab, öffnete das Tor vom Boden aus und schloss es wieder, nachdem wir beide die Wiese betreten hatten. Ich stieg wieder auf und manövrierte Vulture auf die Rinderherde zu. Je näher wir ihr kamen desto mehr prustete der Hengst und machte den Hals rund. “Man glaubt dir wirklich nicht, dass du Cutting gezogen bist, mein Freund.”
    Völlig unbeachtet dessen, dass er wieder zu tänzeln anfing, lenkte ich ihn souverän durch die Herde durch. Die Zügel der Kandare hatte ich nun leider fast auf Anschlag, weil Vulture den sterbenden Schwan spielen musste.
    Als wir auf der anderen Seite fast wieder aus der Herde raus waren, trabte ich ihn locker an, was sich hinterher als Fehler herausstellte. Eines der Rinder machte neben uns einen Bocksprung und überholte uns von hinten. Vulture, so explosiv wie er manchmal sein konnte, machte erst einen Satz nach vorne, ehe er die Beine in die Hand nahm und im Galopp davonstob. Dieses Pferd war noch sowas von grün, fluchte ich innerlich und sortierte die Zügel, ehe ich den einen langsam immer mehr annahm. Den ‘one rein stop’ kannte er vom Anreiten. Alle Pferde der Ranch kannten ihn. Man nahm einen Zügel langsam immer mehr auf, bis die Nase des Pferdes eines der Reiterbeine berührte. Die Pferde wurden automatisch langsamer und blieben irgendwann ganz stehen, da man sie so komplett aus dem Gleichgewicht brachte. Auch Vulture hielt irgendwann an. Das Rind hatte es aufgegeben uns zu verfolgen. Nach ein paar weiteren Metern waren wir am Tor angekommen. Ich stieg dieses Mal direkt ab, um ein erneutes Theater zu vermeiden.
    Eine gute halbe Stunde später waren wir fast an der Ferienranch angekommen, wir mussten nur noch durch den Wald nach oben reiten.
    Als ich die Ferienranch durch die Bäume erblickte, hielt ich Vulture an und starrte einfach nur das Schild “Dells Rookie Ranch” an. Dell… die letzten Tage hatte ich die Gedanken an ihn zur Seite geschoben. Der Alltag hatte uns wieder. Damit aber auch weitere Sorgen und Probleme.
    “Na komm”, sagte ich zu Vulture, schnalzte kurz und wir ritten unter dem Namensschild hindurch, direkt auf den Zaun zur Klippe zu. Dort, wo ein Teil der Asche von Dell begraben war. Ich stieg vom Pferd, kniete mich hin und nahm den Hut vom Kopf. In Gedanken sprach ich ein paar Worte.
    Dann setzte ich mir meinen Hut wieder auf den Kopf und fing an, mit Vulture im Schlepptau die Ranch abzulaufen. Nebenbei machte ich mir immer wieder Notizen, was alles gemacht werden musste. Hier oben befanden sich drei Hütten in einem mehr oder weniger guten Zustand. Außerdem zwei Koppeln und ein in der Mitte geteilter Offenstall, der an beide Wiesen angrenzte. Perfekt, um die Pferde hier oben nach Stuten und Wallachen zu trennen.
    Allzu viel konnte ich hier heute alleine nicht erreichen, doch hier zog ich mal eine lose Schraube fest, dort hammerte ich etwas, hier schnitt ich etwas ab oder zupfte Unkraut raus, wo definitiv keins wachsen sollte.
    Leider verlor ich die Zeit völlig aus den Augen. Ich schaute nämlich erst wieder auf die Uhr, als es anfing, kalt zu werden. “Mist…Komm Vulture, wir müssen zurück.” Übernachten konnte man hier oben nämlich nicht- noch nicht.
    Vulture, der sich dem Gras gewidmet hatte, schien wenig davon begeistert, nun wieder aufbrechen zu müssen. Widerwillig ließ er mich die Trense wieder über das Knotenhalfter ziehen. “Wenn du so weitermachst gibts für dich ein paar Tage hardcore Anstandstraining”, murrte ich, schloss den Kinnriemen und schwang mich nach dem nachgurten in den Sattel.
    Beim Verlassen der Ranch schaute ich noch einmal zum Schild zurück. Dells Rookie Ranch. Ich hoffte, wenn ich einmal starb, würde auch jemand als Andenken an mich eine Ranch nach mir benennen. O’Dells Pro Ranch wäre ein schöner Name.
    Es schüttelte mich. Eigentlich wollte ich noch lange nicht sterben… aber man konnte ja nie wissen.
    Der Ritt zurück zur Ranch dauerte dieses Mal wesentlich kürzer an. Wir galoppierten dieses Mal aber auch mehr- gesittet, versteht sich.
    An der Bow River Ranch angekommen traf ich auf die Kids, die heute Mittag unterwegs gewesen waren. Sie hatten einen fremden Jungen dabei.
    “Hey ihr”, sagte ich freundlich und streichelte den verschwitzten Hals meines Hengstes.
    “Was hast du denn mit dem gemacht?”, fragte Tschetan mich und zeigte mit vorgeschobener Lippe, wie er es so oft machte, auf mein Pferd.
    “Wir waren oben bei der Ferienranch. Ich hab mir Notizen gemacht was alles zu tun ist, damit wir da bald anfangen können.”
    Tschetan nickte vielsagend, dann ergriff Aimee das Wort: “Hör mal, das hier ist Nicholas von dem neuen Dressurstall drüben im Tal, er ist aber eigentlich Westernreiter, nur hängt er drüben viel rum wegen seinem Freund Bryce. Falls du Arbeit hast würde er hier gerne ab und an mal aushelfen.”
    Bryce. Als Aimee diesen Namen nannte, flog mein Blick unauffällig zu Tschetan, der unbemerkt seinen Kopf hin und her bewegte.
    Ich zog eine Augenbraue hoch, schaute dann jedoch wieder zu Aimee. Nicholas wirkte auf den ersten Blick nett, aber… “Im Moment brauchen wir tatsächlich keine Hilfe… aber wenn wir drüben bei der Ferienranch anfangen sieht die Sache wieder ganz anders aus. Aimee kann sich ja bei dir melden, falls sich was ändert?”, schlug ich freundlich vor.
    “Vielen Dank, Mr. O’Dell”, antwortete mir der Junge, was mich kurz zum Schmunzeln brachte. Sah ich etwa so alt aus?
    “Caleb.”
    “Okay, danke Caleb.”
    “Geht schon mal vor, ich komm gleich”, schickte Tschetan die drei in Richtung Stallung.
    “Also… DER Bryce?” Tschetan nickte mit zusammengebissenen Zähnen.
    “Ich misstraue Nicholas, er hängt zu viel mit Bryce rum.”
    Ich nickte verständnisvoll. “Auf den ersten Blick scheint er mir nicht wie dieser Bryce vorzukommen. Lern ihn doch kennen, wenn du dein ok gibst stell ich ihn ein.”
    Tschetan nickte erneut und wandte Layla zum Gehen.
    “Ach übrigens, Tschetan”, setzte ich an und strich Vulture wieder kurz über den Hals. “Falls du Lust hast hier ein wenig mehr Verantwortung zu übernehmen… such dir doch ein oder zwei der Jungpferde für die Ferienranch aus und mach aus ihnen zuverlässige Arbeitstiere.“
    Der Junge sah mich mit großen Augen an. “Echt?”
    “Echt.”
    MeisterYoda und Occulta gefällt das.
  5. Und wieder sind 3 Berichte fertig, die ich euch nicht vorenthalten wollte. Vielleicht liest sie ja wirklich jemand- ansonsten dient das hier einfach nur der chronologischen Sammlung.

    Richtige und falsche Entscheidungen
    August 2020, by Veija
    Caleb
    Ich stand am Zaun des ehemaligen Paddocktrails von Ylvi. HMJ Saintly, Valravn, Sunka und Inyan tummelten sich dort. Ylvis Stuten Lady Gweny und Fylgia hatten einen neuen Platz gefunden, denn sie konnten schlecht mit den Hengsten zusammen stehen bleiben.
    Aus dem Augenwinkel sah ich Betsy, die sich an den Hals ihrer Stute Sue (Black Sue Dun It) lehnte und vermutlich wieder weinte. Meine Hand wanderte zu meiner Brust, in der ich, wie die ganzen letzten Tage auch schon, einen schmerzhaften Stich verspürte. Wieso konnte das Leben nicht fair sein?
    Aber lasst mich von Anfang an erzählen.

    Ende April
    “Gleich haben wir es geschafft, Tschetan”, munterte ich den Jungen neben mir im Flugzeug auf, der irgendwie ganz grün um die Ohren aussah. Er war wirklich nicht zum Fliegen gedacht. Ich war mir nicht sicher, ob ihm schlecht war oder ob sonst etwas nicht stimmte, denn er brachte nur ein zusammengepresstes: “Gut”, raus.
    Die Maschine landete, wir durften uns los schnallen und nach wenigen Minuten wurden die Türen geöffnet. Tschetan sprang auf, machte einen Satz über mich drüber und rannte quasi aus dem Flieger raus. Einige der Passagiere beschwerten sich lautstark, Andere sahen mit einem fragenden Blick zu mir. “Dem hat das Fliegen nicht bekommen.” Zack. Das reichte ihnen wohl als Aussage, denn sie sollten mich nicht nerven. Auch ich hatte die Schnauze voll vom Fliegen und freute mich, endlich wieder kanadischen Boden unter den Füßen zu spüren.
    Vom Fach über unseren Sitzen zog ich das Handgepäck zu mir runter, ging zum Ausstieg und übersprang tatsächlich die letzte Stufe der Treppe, um mit einem lauten ‘wumms’ auf dem Boden zu landen. Ich streckte mich, zog einmal tief die Luft ein und hielt dann Ausschau nach Tschetan.
    “Könnten Sie.. ich würde auch gerne aussteigen”, meldete sich eine Stimme hinter mir zu Wort. Ich lachte in mich hinein, ging wortlos ein paar Schritte zur Seite und sah den Jungen in diesem Moment zur Laderampe verschwinden. Von Cayce oder Bellamy oder irgendeinem Mitarbeiter der Ranch, die mit dem Hänger eigentlich schon hier sein sollten, fehlte jede Spur.

    Bellamy
    Ich hatte Caleb zugesagt, dass ich ihn und Tschetan vom Flughafen abholen wollte. Ich war dabei den Pferdehänger an den roten Pick Up Truck von Caleb anzuhängen, als es krachte und ein Reifen des Anhängers in sich zusammen sank. “Mist verfluchter!”
    Keimend richtete ich mich auf, ließ meinen Blick über den Hof schweifen und rief ein paar Mal laut nach Dell. Der Vater von Betsy war ein Ass im Reparieren von allen möglichen Maschinen. Ich hatte ihn schon oft dabei beobachtet, wie er immer wieder Verbesserungen vornahm und Werkzeug, welches vor allem durch Caleb einer riesigen Unordnung unterlag, von ihm neu sortiert wurde. Er wollte seine Arbeitsutensilien alle am richtigen Platz wissen.
    “Deeeeelll!”, rief ich noch einmal laut und schnappte mir mein Handy, um ihn anzurufen. Der Hof war so riesig, dass wenn er bei den Koppeln war, er mich natürlich nicht hören konnte.
    Zum Glück hob er ab. “Dell du musst zum Haupthaus kommen, wollte gerade den Pferdehänger anhängen, da hat sich ein Reifen verabschiedet. Kannst du den tauschen?... Gut… gut ich hol dich ab, ich komm sofort.”
    Wenig später stand Dell zusammen mit mir am Hänger. Er beäugte den Reifen kritisch. “Das dauert eine Weile. Pünktlich kommst du nicht mehr zum Flughafen, selbst wenn ich mich beeile. Du kannst versuchen den Hänger abzuhängen und den kleinen anhängen, aber wollte Caleb nicht explizit den Großen mit viel Platz?”, fragte mich der junge Mann und ich nickte.
    “Ich telefonier mal rum, ob ich was passendes finde.”

    Ylvi
    Mit einem der Trainingspferde von Octavia am Strick hängend bewegte ich mich über den Haupthof der Ranch. Dell, halb unter dem Hänger liegend, der Truck stand herum. Bellamy mit einem genervten Ausdruck im Gesicht, das Telefon an das Ohr gepresst. Lief er wie ein Uhrmännchen hin und her. “Scheiße!” ertönte als er aufgelegt hatte, bei dem Ausruf fuhr ich etwas zusammen. “Was ist denn hier los?”
    “Wir wollten längst los, der Reifen vom Trailer hat sich verabschiedet.”
    “Keinen Ersatz gefunden?”
    “Keiner mit einem ähnlich großen Trailer. Was machst du?”
    Ich hob mein Handy. “Einen Moment.”

    Ich legte auf grinste breit. “Gut dann wollen wir mal los. Ich hab uns einen Trailer besorgt.” Bellamy sah ein wenig ungläubig drein. “Woher?”
    “Du glaubst gar nicht was man für Themen bei öden Elternversammlungen haben kann. Eine Freundin von Betsy und Kaya wohnt ganz in der Nähe...die haben auch einen kleinen Betrieb. Und einen Trailer den sie uns leihen! Los!”
    Eine gute Viertelstunde später befanden wir uns auf der Straße Richtung Flughafen. Ich tippte eine Nachricht für Caleb ins Handy, dass das Unheil abgewendet worden war und wir uns auf dem Weg befanden. Ich wusste nicht ob er die Nachricht lesen würde, aber bisher waren wir nur knapp eine halbe Stunde zu spät. Wenn der Hengst noch immer sediert sein würde, dann gäbe es wohl keine Probleme ihn auf den Hänger zu befördern. Wobei Tschetan am Telefon berichtet hatte das er eigentlich Recht zugänglich wäre. Mich persönlich freute es dass Caleb sich begann mit dem Jungen so gut zu verstehen.


    Caleb
    Auch ich ging zur Laderampe des Flugzeuges und betrat diese wortlos. Tschetan stand neben dem Hengst und streichelte langsam seinen Hals. „Alles gut, Großer. Du hast es fast geschafft und bist dann für immer zuhause.“
    Während die Beiden dort so vertraut miteinander die kurze Stille genossen, suchte ich mir einen der Flughafenmitarbeiter und schilderte ihnen, dass unser Trailer leider Verspätung hatte und es noch etwas dauerte, bis wir abgeholt werden würden. „Kein Problem Mr. O‘Dell“, antwortete mir der junge Mann. „Dieser Flieger muss erst morgen wieder los, Sie haben also alle Zeit der Welt.. naja zumindest bis ich später Feierabend mache.“
    Ich lachte und bedankte mich bei ihm. Mittlerweile, oder besser gesagt wieder, war ich hier bekannt wie ein bunter Hund. Von Calgary aus flog die Ranch alle Pferde ein und aus. Auch die Trainingspferde landeten hier und kamen von hier mit zur Ranch.
    Mein Handy klingelte. Zum Glück hatte ich es vor unserem Flug aufgeladen und währenddessen ausgemacht, so dass ich noch ein wenig Akku besaß. „Hey Tschetan, Ylvi und Bellamy sind auf dem Weg. Es gab ein Problem mit dem Anhänger, aber Dell ist schon dabei ihn zu reparieren.“
    “Okay ist gut”, antwortete mir der Junge.
    Eine gute halbe Stunde später waren die Beiden am Flughafen. Tschetan fiel Ylvi in die Arme und Bellamy klopfte mir kurz brüderlich auf den Rücken. “Gut, dass du wieder da bist.”
    In aller Windeseile, aber dennoch mit der nötigen Ruhe luden wir HMJ Saintly auf den Anhänger und machten uns auf den Heimweg.
    Während der Fahrt erzählten der Junge und ich viel von Schweden. „Nichts für mich. Absolut nichts für mich“, beendete ich die Erzählung und erhaschte einen fragenden Blick von Ylvi, auf den ich jedoch nicht mehr einging, denn wir waren gerade auf dem großen Hof angekommen.
    „Wir stellen ihn auf einen der kleinen Paddocks, evtl kann ihn jemand später in de Stall stellen aber lassen wir ihn zunächst mal draußen“, gab ich die Anweisung und stieg aus dem Wagen aus. Wir luden Saintly aus, stellten ihn auf den Paddock. Die Sedierung wirkte noch immer ein wenig, denn er hob nur leicht den Kopf, sah sich um und ließ ihn dann wieder sinken. “Ihr könnte ihn euch ja noch anschauen, ich muss ins Bett.”

    Ylvi
    Schweden war nicht seine Welt gewesen, oder der Stall dort? Die Frage brannte mir unter den Nägeln. Allerdings wollte ich ihn auch nicht um seinen wohlverdienten Schlaf bringen. Also ließ ich die Frage vergehen, hob die Hand zum Gruß und wünschte ihm eine gute Nacht.
    Er hatte mir gedankt, das ich den Trailer der Rollinsons besorgt hatte. Sonst hatten wir noch nicht viele Worte gewechselt. Es war noch immer ein wenig seltsam. Tschetan neben mir riss weit den Mund auf. “Ich fürchte ich muss auch ins Bett. Der Flug war grässlich. Ich kann mir nicht vorstellen wie einige Menschen gern in diese Blechdosen steigen.” Ich musste schmunzeln. Blechdosen war ein ganz passender Ausdruck.
    “Hoch über den Wolken zu sein hat dir also nicht gefallen?” Tschetan zuckte die Schultern “Vielleicht sollten wir das Fliegen doch eher den Geschöpfen der Luft überlassen. Ich freu mich sobald meine Schenkel wieder den Körper eines Pferdes unter sich spüren. Ich denke morgen nehme ich mir Valravn für einen schönen Ritt in die Berge!” verkündete der Junge und gähnte noch einmal herzhaft.
    Leise schlich er sich in das Zimmer in dem seine Schwester bereits schlief. Demnächst würde es womöglich Zeit das wir aus dieser Schuhschachtel auszogen. Ein Jugendlicher im Zimmer mit seiner jüngeren Schwester wäre wohl auf Dauer ein wenig seltsam.
    Louis saß noch auf der Couch ein Buch in der Hand. Ich ließ mich neben ihn plumpsen, legte meinen Kopf an seine Schulter und überflog die Zeilen die er las, ohne deren Inhalt wirklich in mir aufzunehmen. “Hab Dell vorhin geholfen den Trailer zu reparieren. Anschließend waren wir draußen mit den Mädels. Dell ist Inyan geritten, ich selbst Gweny und die Kids hatten Fylgia und Sue. Hoffe das war in Ordnung?” Ich lächelte “Die Pferde gehören zur Familie, natürlich darfst du auch entscheiden wer wen reitet, du Trottel.”
    “Wen nennst du einen Trottel?”
    “Na dich!”
    Das Buch landete mit einem klatschen auf dem Boden,als er mir seine Hände um die Schultern legte und begann mir seine Hände sanft an den Hals zu legen. Dann spürte ich Küsse auf meiner Nase. “Dein Trottel.” Ich streckte die Zunge heraus.“Dieser Trottel allerdings. Muss nochmal rüber ins Haupthaus. Mein Laptop ist noch da..und einige der neuen Fohlen müssen noch auf die Website. Dazu bin ich vorhin nicht gekommen. Hab im Flur allerdings den Schlüssel nicht gefunden.” Louis legte den Kopf kurz schief.
    “In der Küche auf der Anrichte liegt er rum.”
    “Wenn ich dich nicht hätte.”
    “Dann wärst du Tod. Dein Kopf ist wahrlich nicht der Beste.” ich grinste ihn doof an, streckte die Zunge heraus. Dabei spielte er auf die Aktion auf dem Berg an, der Tag an dem mein Herzschrittmacher versagt hatte.
    Ich schnappte mir den Schlüssel, lief hinüber zum Haupthaus und in das kleine Büro in dem Caleb seine Arbeit verrichtete und in dem seit neustem auch ein Schreibtisch für mich stand. Ich schrak ein wenig zusammen als ich mich umdrehte und plötzlich Caleb im Türrahmen stand.

    Caleb
    Mit meinem Koffer bepackt startete ich meinen Weg in Richtung Haupthaus. Ich öffnete die Tür, trat ein, schloss sie wieder hinter mir und legte meinen Hut auf die Kommode, die rechts neben der Tür stand. Dies war eine so routinierte Bewegung, dass ich zunächst nicht realisierte, dass der Hut von der Kommode auf den Boden purzelte und vor meinen Füßen zu liegen kam. “Was zur…”, fing ich an und wandte meinen Blick nach rechts. Was sich in mein Blickfeld schob, gefiel mir absolut nicht, Hüte. Übereinander und nebeneinander gestapelt. Die Meinen dazwischen. Das gäbe morgen früh am Frühstückstisch eine Standpauke.
    Nichtsdestotrotz fand mein Reisehut dennoch irgendwie einen Platz, so dass ich meinen Weg in mein Schlafzimmer ohne weitere Zwischenfälle fortsetzen konnte.
    Dort angekommen stellte ich den Koffer in die Ecke, stellte mich an mein großes Panoramafenster und zog einmal tief die Luft ein. Zuhause - und ja, es fühlte sich wie Zuhause an, mit allen Fasern meines Körpers. Endlich. Nach all der Zeit, allen Höhen und Tiefen hatte ich für mich etwas gefunden, das ich so nennen konnte- Zuhause. Etwas unwirklich war es ja schon, dass all das, was ich von hier sehen konnte… und noch so viel mehr, mir gehörte. Die Ställe, die Paddocks, die Weiden… die Pferde, ja sogar die Kühe gehörten mir.
    Eine Sache oder besser gesagt eine Person hatte sich allerdings von mir abgewandt. Ylvi. Ihren Blick im Auto schien ich wohl richtig gedeutet zu haben, denn noch im Ansetzen eines Satzes, hatte sie den Mund wieder geschlossen und kein Wort verließ ihre Lippen. Mist… schon wieder waren meine Gedanken dahin gewandert, wo ich sie nicht haben wollte und von wo ich sie auch nicht so einfach wegbekommen würde.
    Ich seufzte, schlafen konnte ich wohl erstmal vergessen. Also führte mein Weg mich in mein Büro, in dem ich den Rücken einer Frauengestalt wahrnahm. Mein Blick fiel allerdings zunächst auf den zweiten Schreibtisch. Ein… zweiter Schreibtisch?
    Die Frau drehte sich um und ich erkannte Ylvi darin. “Was macht der Schreibtisch in meinem Büro?”, fragte ich sie harsch, ohne auf ihren kurzen Schockzustand einzugehen. Ich war müde, genervt und hungrig- außerdem waren meine Gedanken nicht da, wo ich sie gerne hätte.
    “Na irgendwo musste ich doch arbeiten.”
    “Ist gut, passt schon”, murrte ich, schob mich an ihr vorbei und setzte mich auf meinen Stuhl. Hier fiel mir das Chaos, welches mir schon im Flur begegnet war, wortwörtlich wieder in den Schoß. Beim schwungvollen Hinsetzen knallte ich mit der Lehne an den Tisch, so dass einer der Papierstapel von Bellamy umkippte und sich über mir und dem Boden verteilte. “Verdammter Mist…”, fluchte ich und bückte mich, um die Papierseiten aufzuheben.


    Ylvi
    Wieder diese mürrische Ausdruck um seine Mundwinkel, in seiner Stimme. Offenbar hatte ich den Schreibtisch nicht ihm, sondern vermutlich Bellamy zu verdanken. Ich sah wie er sich setzte, ich sah wie ihm die Papiere zu Boden glitten. Und dann zuckte ich zusammen. Denn es war ein lautes Pochen zu hören, ein Laut des Schmerzes von Caleb und seine Hand die sich an die Stirn packte. Beim Abtauchen nach den Papieren hatte er mit der Stirn die Tischkante erfasst. Einige weitere leise gemurmelte Flüche ertönten als ich mich erhob um ihn zu unterstützen. “Soll ich dir ein Kühlakku holen?” murmelte ich, nur knapp mein Lachen unterdrückend. Sein Blick hob sich, funkelte mich an. Und, ich wusste nicht was es war. Aber plötzlich schmolzen seine Gesichtszüge zusammen und er grinste, seine Schultern zuckten und er lachte. Da ich nicht sicher war wie er es auffassen würde, wenn ich einstimmte lächelte ich nur unsicher. Es dauerte nur einen Moment, dann sammelten wir gemeinsam die Zettel zusammen. “Das erinnert mich an die Zeit, als wir uns gemeinsam durch die Unterlagen gequält haben. Kurz nachdem Bellamy mir die Ranch überschrieben hat. Man war das eine Arbeit.”
    “Wir haben 3 Tage gebraucht.” erinnerte ich mich.
    “Wobei wir natürlich deutlich schneller gewesen wären, so...ohne Unterbrechungen.” Ich spürte wie mir die Ohren heiß wurden, war jetzt froh darum das meine schwarzen Haare diese gut überdeckten. Ja, wir hatten uns damals Zeit gelassen, nicht nur für die Unterlagen, sondern auch füreinander. Da ich daran nicht weiter denken wollte, griff ich wieder nach einem der Blätter zu meiner rechten, legte sie auf den Stapel den Caleb bereits angelegt hatte. “Ich wollte gerade noch die neuen Fohlen auf die Website packen. Und ein paar der angenommenen Anfragen an dich weiterleiten.” wechselte ich flux das Thema. Ich wollte Caleb nicht mit Gedanken an die Vergangenheit beschäftigen. Dabei schwirrten mir diese gerade selbst im Sekundentakt durch den Kopf. Seine Anwesenheit machte diese Tatsache nicht unbedingt einfacher. Vielleicht sollte ich doch woanders mein Büro einrichten.

    Caleb
    Ich seufzte kurz auf, nickte dann allerdings. “Dann kannst du dich dazu ja an deinen neuen Schreibtisch setzen.”
    “Eigentlich wollte ich nur meinen Laptop holen und… ach was, ich setz mich noch ein bisschen hierher.” Ich sah sie kurz an, doch sie wich meinem Blick aus. Was wollte sie eben sagen? Den Laptop schnappen und zurück zu Louis gehen?
    Mit den Zähnen knirschend widmete ich mich wieder den Unterlagen auf dem Tisch. Dabei fielen mir die Vordrucke zur Registrierung der Fohlen in die Hände. “Sag mal Ylvi ist da eigentlich schon irgendwas beantragt?” flatternd hielt ich der jungen Frau eines der Blätter hin.
    “Caleb wenn du so zappelst seh ich gar nix”, schlussfolgerte sie mürrisch, weshalb ich sofort mit dem Gezappel aufhörte und das Stück Papier mit beiden Händen möglichst zitterfrei festhielt.
    “Die Fohlen. Wurde da schon eins eingetragen?”
    “Nicht, dass ich wüsste. Ich schau mal in den E-Mails.”
    “In den E-Mails siehst du das nicht.. warte ich geh mal auf die Homepage”, antwortete ich und tippte in die Tasten, nachdem ich meinen PC hochgefahren hatte. Es dauerte ein paar Minuten, bis alle geladen hatte und ich… nichts vorfand. “Nope.. gar nix. Keine Beantragung, also auch keine Bearbeitung.” Ich seufzte. “Hast du schon passende Bilder für die Papiere gemacht? Vorne, hinten, etwaige Kopfabzeichen und beide Seiten der Fohlen?”
    “Nein.. nur ein paar einfache Bilder für die Website, die meisten sind in Bewegung.”
    “Dann hast du morgen eine Aufgabe…. musst schauen ob dir jemand helfen kann, ich hab zu tun.” Da war er wieder. Der patzige, abweisende Caleb, der noch immer nicht genau wusste, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Einerseits wollte er ihr einfach nur die Kleider vom Leib reißen… andererseits sträubte sich jede Zelle seines Körpers dagegen, sie je wieder anzufassen- und wie immer, wenn er nicht weiter wusste, stieß er die Menschen auf unliebsame Weise von sich weg.
    “Von welchen Anfragen hast du eben gesprochen?”

    Ylvi
    Ich nahm seine Art hin, irgendwie hatte ich sie ja verdient. Aber falls er vor hatte mich damit von sich fortzutreiben so funktionierte das nicht. Dazu hatte ich ihn in den Jahren in denen ich nun schon auf der Ranch lebte zu sehr kennengelernt. Stattdessen fachte es etwas in mir an. Diese unbekannte Seite in mir die nur Caleb zum klingen brachte. “Für die Fotos werd ich mir wahrscheinlich Dell schnappen, falls du ihn morgen nicht anderweitig eingeplant hast? Er hat die Stuten samt Fohlen am besten im Kopf und bei den Geburten geholfen, denke da kommen am besten Fotos zustande.”
    “Warte, die Anfragen krieg ich nicht mehr zusammen.”
    Ich angelte um den Tisch herum nach meinem Mac, klappte ihn auf und ging mit diesem wieder hinüber zu Calebs Schreibtisch. “Das ich eine Instagram-Seite für die Ranch angelegt habe, mit täglichen Postings und ab und an Storys hatte ich dir ja bereits erzählt. Dort ist eine Anfrage eingegangen von einer jungen Chinesin, die gern als Working Student zu uns auf die Ranch kommen würde. Warte, ich kopier den Text schnell in eine Email, dann kannst du dir selbst ein Bild machen von ihr.” Ich tat wie geheißen, hängte an die Weiterleitung auch gleich die andere Mail ran. Dabei handelte es sich um eine Anfrage von zwei Reportern bezüglich den Makeovers. Caleb war mittlerweile ein International bekannter Trainer, die angelegte Instagram-Seite hatte da sicherlich auch seine Hände mit im Spiel. Einerseits brachte das der Ranch mehr Kunden ein, allerdings bekam ich über den Account auch Anfragen anderer Art, die Caleb nie zu lesen bekam. Die mir jedoch durchaus manchmal einen Stich versetzen.

    Caleb
    Ich überlegte. “Keine Ahnung ob Dell was zu tun hat, ich blick hier in Bellamys Plänen mal wieder nicht durch”, murmelte ich und kramte in meinem Blätterhaufen hin und her. “Versuchs mal im Computer…”, kam es leise von Ylvi. Ich starrte sie kurz an, wandte dann jedoch meinen Blick wieder auf den Bildschirm. Nach ein paar kurzen Klicks hatte ich die Arbeitspläne auf dem Schirm. “Kannst Dell mitnehmen.” Ylvi nickte zufrieden.
    Mit dem Mac kam sie rüber an meinen Tisch und zeigte mir die Instagramseite, deren Existenz ich verdrängt hatte.
    Ich starrte auf den Bildschirm und sah ein paar Posts, über Training und den ganz normalen Alltag, der hier tagtäglich ablief. Von ihrem Bildschirm sah ich wieder rüber zu meinem, auf dem nun die E-Mail aufploppte. Die Anfrage der Working Studentin und die Anfragen der Reporter. “Wie alt ist die Chinesin denn?”, fragte ich Ylvi, die kurz zu überlegen schien.
    “Ich glaube in einer kurzen Anfrage vorher hat 18 gestanden.”
    “Okay, was minderjähriges will ich hier nicht haben.”
    “Warum das nicht?”
    “Bürokram. Das macht alles komplizierter.” Mit dieser Antwort schien Ylvi sich zufrieden zu geben. “Kannst du ihr schreiben, dass wir sie gerne einmal per Skype kennen lernen würden? Sie soll sich bitte bis… nächste Woche um diese Zeit hier per E-Mail melden. Dann sehen wir weiter.”
    “Ist notiert. Was machen wir mit den Reportern?”
    “Gute Frage… spricht eigentlich nichts dagegen. Fragst du an, wann sie kommen sollen?”, fragte ich sie nun etwas freundlicher. “Und jetzt erzähl mir mal etwas über diese Instagramseite. Haben wir schon viele Follower? Kommen deshalb mehr Aufträge zum Training rein?”

    Ylvi
    Ich klickte auf unser Profilbild, womit sich quasi die Startseite unserer Ranch öffnete. Dann deutete ich auf eine Zahl. “Siehst du das?”
    Caleb kam beugte sich weiter vor, sah auf die Zahl knapp über meinem Zeigefinger. “30,5k” meinte er etwas fragend. “Wofür steht das K?”
    “Tausend.”
    Kurz kam keine Antwort, nur ein Seitenblick.
    “Meinst du etwa...knapp 30.000 Leute interessiert was wir hier treiben?!” fragte der Cowboy überrascht. Ich musste schmunzeln. Diese Welt des Internets war ihm nicht so vertraut. “Tatsächlich ja. Als ich die Seite angelegt habe, wollte ich sie einfach als Projekt nebenher führen. Aber mittlerweile kommen viele der Trainingsanfragen die ich dir weiterleite, über Instagram rein. Oft werden auch Fragen gestellt.” Ich biss mir auf der Lippe herum. “Tatsächlich habe ich schon darüber nachgedacht, den weiteren Trainingsverlauf von Saintly zu dokumentieren. Vielleicht von Zeit zu Zeit Videos zu machen. Wahlweise könnte man Online-Kurse und Fragerunden anbieten. So haben Leute die Chance Dinge zu lernen ohne die lange Reise zu uns auf sich zu nehmen. Die Preise könnten geringer gehalten werden, damit das Wissen zu gutem Pferdetraining auch den weniger gut betuchten zugänglich sind. Das ist alles nur fixe Ideen in meinem Kopf, man muss sehen wie das umsetzbar ist.” meinte ich zum Ende um meine Ideen ein wenig herunterzureden. Caleb stattdessen sah mich von der Seite an. War das Bewunderung in seinem Blick?
    “Ich glaube..Bellamy dieser Idiot hat damals als er dich eingestellt hat keinen schlechten Fang gemacht.”
    “Du hast nicht den Fehler gemacht mich fortzuschicken.”
    “Glaub mir...das wollte ich, wirklich.”
    “Ich weiß...und ich bin jeden Tag dankbar das ich an diesem Ort bleiben durfte.”
    “Ohne euch würde etwas fehlen...die Kinder, du...ja sogar Louis. Tschetan macht einen guten Job. Ich glaube...wenn er fleißig in der Schule lernt, sich weiterhin an der Arbeit mit den Pferden beteiligt. Dann reitet er uns allen in 10 Jahren etwas vor.”
    War das fast so etwas wie väterlicher Stolz der da in seiner Stimme mitschwang? Es war zumindest Zuneigung. Die Reise und die Arbeit mit Saintly hatte den Jungen und den Cowboy aneinander geschweißt. Plötzlich kam mir dabei ein Gedanke. “Caleb, wo du gerade Tschetan erwähnst. Der Bungalow war von Anfang an etwas eng. Hättest du vielleicht ein Zimmer im Haupthaus für Tschetan? Langsam kommt er in ein Alter in dem wir nicht mehr von ihm verlangen können sich das Zimmer mit seiner jüngeren Schwester zu teilen. Es liegt ihm fern sich darüber zu beschweren, aber ich denke sein eigenes Reich, macht es ihm auch leichter die Aufgaben für die Schule zu erledigen.”

    Caleb
    Ich konnte nichts anderes sagen, ich war begeistert von der Instagramseite. Auf Nachfrage, ob die Ranch auch Facebook oder sonst etwas im Internet besaß, verneinte Ylvi. Lediglich die Homepage besaßen wir noch. Gespannt schaute ich ihr dabei zu, wie sie auf der Seite hoch und runter scrollte, und mir die bisherigen Posts zeigte. Auf die Frage, wer denn alles Zugang zur App hatte, deutete Ylvi auf sich. Nur sie, bisher. Mir war das auch ganz lieb, wenn das vorerst so blieb. Für so etwas war sie ja eingestellt worden und es kam nicht so gut, wenn die halbe Ranch durcheinander immer wieder Bilder und Geschichten postete. Auf ihre Aussage zu Saintly nickte ich. Solange sie sich um die Bilder und die Posts kümmerte.
    Kurzerhand wechselte sie das Thema, kam auf Tschetan und die momentane Situation im Bungalow zu sprechen. “Natürlich ist das machbar”, antwortete ich ihr. “Ein bisschen mehr Bewegung im Haus wird mir wohl auch gut tun, sonst vereinsame ich noch.” Ich lachte gekünstelt. Meine Aussage entsprach der Wahrheit. Das Haus war so still, seit ich alleine hier lebte. Octavia und Bellamy teilten sich einen Bungalow und auch die anderen waren nur für kurze Zeit hier im Haus gewesen, dabei gab es genug Zimmer. “Ich habe aber auch schon überlegt, kleinere Häuser auf das Gelände zu bauen.” Ylvi horchte auf, klappte den Laptop zu und setzte sich auf den freien Stuhl vor meinem Schreibtisch.
    “Wie kommst du darauf?”
    “Es ist wie du sagst. Der Bungalow ist für euch alle zum Beispiel zu klein. Für O und Bellamy reicht er dagegen vollkommen aus. Hier im Haupthaus wäre für euch alle zwar Platz aber ich…” Ich sprach nicht weiter. Ylvi konnte sich bestimmt denken, was ich hatte sagen wollen. “Deshalb die Idee mit den kleinen Häusern. Wir müssten nur einen geeigneten Platz finden. Ich wollte noch ein wenig Wald roden und Paddocks bauen. Generell muss hier auf dem Gelände noch einiges passieren.”
    “Was schwebt dir denn sonst noch so vor?”, fragte Ylvi mich und nahm ein leeres Blatt von meinem Tisch. Ebenfalls einen Stift. Sie fing sofort an, Dinge untereinander zu notieren. Ich fragte schon gar nicht mehr, was sie da immer tat oder warum sie das machte.
    “Ich würde die Ferienranch gerne ans Laufen bringen. Dazu müsste drüben aber mal gründlich aufgeräumt werden. Die umgefallenen Bäume rundherum weg, Rasen mähen, die Häuser innen und außen auf Vordermann bringen, das Außengelände gestalten und natürlich eine andere Inneneinrichtung… und was dort gebaut werden muss, ist ein kleiner Offenstall mit einem Stück Weide für die Pferde der Ferienranch. Ich hab da schon ein paar unserer Pferde hier im Blick.”
    “Ach ja? Welche denn?”, fragte Ylvi neugierig.
    “Warte ich hatte doch.. die Liste.. irgendwo.. ah hier! Ah ja, Sue. Die stand mal drauf, hab sie aber durchgestrichen. Es würde Betsy das Herz brechen, wenn sie die Stute nicht immer um sich herum haben könnte.. dann es sind eigentlich viel zu viele.. ich hatte an 5 Pferde gedacht- erstmal. Ich mein wenn keine Gäste da sind müssen wir ja auch jeden Tag rüber, um nach ihnen zu sehen und sie zu bewegen…”, ich machte eine Pause und holte Luft, um nochmal anzusetzen, “Wenn sie nicht verkauft werden finde ich BR Homecoming Queen und BR Hollywoods Dream Anthem geeignet. Falls sie sich unter dem Sattel auch so zeigen, wie sie zur Zeit sind. Von Octavia ist es Flashlight. Sie benötigt die Stute nicht zur Zucht. Also hat sie gesagt ich soll sie Western umschulen- auch eine gute Story für Instagram- und dann für die Ferienranch ausbilden. Des Weiteren, falls nicht gebucht oder schon tragend: Kristy Killings, Jade, Chou, Miss Independent… von den Trainingspferden Honey’s Aleshanee, A Walking Honor, Lady Blue Skip, Ginger Rose und Colonels Blue Splash… und von den Jungpferden noch BR Dissident Whiz, aber nur evlt. das wäre glaub ich der einzige Wallach dann drüben, und A Walking Dignity.” Ich sah zu Ylvi auf. “Wie gesagt, das sind alles nur Vorschläge und es ist auch noch nichts fest.”

    Ylvi
    Ich zog eine Augenbraue nach oben, sah auf meine Mitschriften in Steno und sah Caleb wieder an. “Na aber für Vorschläge, sind deine Überlegungen schon ziemlich ausgereift.” sprach ich halb belustigt.
    “Aber die Überlegungen finde ich prima. Das sind alles gute Ideen. Glaub mir an Besuchern wird es uns wohl auch nicht fehlen. Die Seite bei Instagram existiert erst seitdem du uns verkündet hast das wir bleiben können. Das ist quasi fast wie ein Selbstläufer. Wir haben viele spannende Geschichten die wir wiedergeben können.” Ohne genauer darüber nachzudenken ließ ich mich auf die Stuhllehne nieder, verstaute meine Notizen in der Tasche meines Macs.
    “Pack sie nicht zu weit weg. Wir könnten sie gebrauchen.”
    “Natürlich nicht, ich werd eine digitale Liste erstellen daraus. Bellamy in allen Ehren, aber diese Zettelwirtschaft die er veranstaltet ist ja nicht zum Aushalten.” damit deutete ich unwirsch über die vielen einzelnen Papiere auf dem Tisch. Caleb lachte. “Aber ich hab auch viel lieber mal einen Zettel in der Hand.”
    “Das kann ich voll verstehen, Caleb. Aber es gibt nunmal einige Arbeitsschritte die man optimieren kann. Ist das der Fall bin ich gern bereit dies einzuführen. Erinner dich nur mal an die Zeit als die Weidezaungeräte noch alle per Hand angeschlossen werden mussten.”
    “Touché die Idee mit den WLAN Steckdosen war tatsächlich eine deutliche Verbesserung. Und...auch die Instagram-Seite war eine gute Idee. Dafür muss ich dir danken.” Ich drehte mich halb zu ihm um, wurde mir nun bewusst wie Nahe ich bei ihm saß. Ich sprang auf in der Hoffnung es würde nicht zu hastig aussehen, griff nach dem Mac, schloss den Bildschirm und presste ihn an meine Brust. Schließlich sah ich Caleb wieder an. “Das ist doch quasi mein Job. Dafür brauchst du dich nicht zu bedanken.” Es folgte keine direkte Antwort darauf, ich nahm aber wahr wie sich der mürrische Ausdruck um seine Züge gelegt hatte. Er sah plötzlich entspannter aus.
    Die nächste Stunde sagte keiner ein Wort während jeder seiner Arbeit nachging. Caleb sortierte die Papiere und Zettel die er zu Boden geworfen hatte. Beständig lag das Geräusch eines Lochers in der Luft, das klicken der großen Heftordner, wenn er sie wieder schloss. Begleitet wurden diese Geräusche von meinen Fingern die flux und routiniert über die Tastatur flogen um einen neuen Text, kleinen Text zu den Fohlen zu schreiben, die Bilder korrekt anzuordnen. Trotzdem spürte ich seine Blicke auf mir von Zeit zu Zeit. Als alles erledigt war, ich den Bildschirm runter klappte, huschte mein Blick zur Uhr. Es war gerade 21 Uhr. “So, die Website ist wieder auf dem aktuellsten momentanen Stand. Die Bilder von morgen, werd ich dann anschließend noch ergänzen.”

    Caleb
    Bei den ganzen Papierstapeln auf meinem Schreibtisch musste ich den Boden für die offenen Ordner nutzen. Blätter sortieren, lochen, den richtigen Ordner auf dem Boden suchen und einheften. Natürlich vorher kontrollieren, ob etwaige Rechnungen schon bezahlt, angezahlt oder vergessen waren. Dazu räumte ich fast bei jedem dritten Blatt die Tastatur wieder frei und rief die E-Mails auf. “Warum muss Bellamy immer so ein Chaos veranstalten…”, murmelte ich und war mir sicher, dass ich das Organisatorische viel besser im Griff hatte, als er.
    Ylvi sagte etwas, dass mich den Kopf heben ließ. “Okay, alles klar. Ich hoffe du und Dell habt morgen Erfolg. Passt aber auf mit Candy (DunIts Smart Investment), die ist ein Biest im Moment. Nehmt sonst ein paar Halfter für die Stuten mit und auch O. Die kommt mit Candy am Besten klar. Von Devils (Wimpys Little Devil) Fohlen macht ihr besser auch Fotos aus einiger Entfernung. Ich trau ihr kein bisschen, wenn sie ein Fohlen bei Fuß hat.”
    “Oh.. das wusste ich noch gar nicht”, sagte sie überrascht.
    “Ja… Candy ist da wirklich eigen und hat einen großen Beschützerinstinkt. Devil hält sich eh fast immer abseits auf, kann aber aggressiv werden, wenn ihr jemand zu nahe kommt.”
    “Gut, dass du mir das nochmal gesagt hast”, meinte Ylvi, ehe sie anfügte: “Gute Nacht, Caleb.”
    “Gute Nacht, Ylvi.” Somit verließ sie den Raum und ließ mich alleine zurück. Ein komisches Gefühl, nicht mehr gemeinsam ins Bett zu gehen. Wobei ich mich mittlerweile ja schon daran gewöhnt hatte. Ich blieb noch etwa eine halbe Stunde, dann fielen auch mir die Augenlider immer wieder zu. Ich vertagte das weitere Chaos auf den nächsten Tage, oder den darauffolgenden, und ging hoch in mein Zimmer. Wenige Augenblicke später lag ich im Bett und schlief ein.

    Ylvi
    Louis hatte sich mit seinem Buch ins Schlafzimmer zurückgezogen. Das Kissen lag ihm im Rücken, sein Kopf auf die Brust gesunken und das Taschenbuch zusammengeklappt. Als ich jedoch das Zimmer betrat schnellte sein Kopf erschrocken hoch. “Eingedöst?” sagte ich belustigt, während ich mir meine Klamotten vom Körper entfernte. Louis legte das Buch beiseite, nickte und kuschelte sich in sein Kissen. Als ich mich dazu gesellte legte sich sein Arm um meine Hüfte, zog mich eng an sich. Ich beschloss also ihm die Neuigkeiten von Tschetans Zimmer drüben im Haupthaus eher beim Frühstück anzuvertrauen. Jetzt schien er dazu nicht mehr Aufnahmefähig.

    “So...wir haben Halfter, ich hab meine Kamera, genügend Akkus. Eine Liste der Fohlen. “ ging ich die Liste noch einmal durch. Die Tür des Pick-Ups stand dabei offen. Dell stand auf der anderen Seite und hörte zu. In seinem Rücken konnten wir Betsy und Kaya auf den beiden Pferden Fylgia und Valravn sehen. Tschetan hatte nicht mitkommen wollen. Caleb und er hatten einiges in den anderen Ställen und mit Saintly zu tun, der tägliche Pflege benötigte. Die beiden Mädels würden durch den Wald zu den Wiesen der Stuten und Fohlen geritten kommen, um uns später beim Fotografieren zu helfen und zu beobachten. Wobei mir, nach Calebs Beschreibungen einiger Stuten es lieber wäre, wenn die beiden die Wiese nicht betraten. Allerdings hatte Dell seiner Tochter den Wunsch nicht ausgeschlagen, also hatte ich Kaya auch nicht verweigert ihre Freundin zu begleiten.

    Dell
    Bereits am Abend hatte mich eine Nachricht von Caleb und kurz darauf von Ylvi erreicht, dass ich der Frau am nächsten Morgen bei den Bildern für die Fohlen helfen sollte.
    Ich freute mich riesig über diese Abwechslung, denn neben Stallarbeit, Reparaturen und dem Kümmern um meine Tochter hatte ich hier auf der Ranch bisher keine weiteren Aufgaben.

    Am nächsten Morgen waren wir bereit zur Abfahrt, nachdem Ylvi zum dritten Mal die Liste des Equipments gecheckt hatte. Allerdings vergaß sie jedes Mal etwas. „Ylvi du hast noch immer was vergessen“, meinte ich beiläufig, als ich sie durch die geöffneten Türen des Wagens anschaute.
    Sie blickte mich wie ein aufgescheuchtes Reh an, in ihrem Kopf schien es zu rattern. Eine Antwort fand sie jedoch nicht. Grinsend sah ich zu ihr rüber und hob die kleine Tüte, die ich auf den Fahrersitz gelegt hatte, hin und her schwenkend nach oben. „Leckerlis?“
    Ylvis Gesichtszüge entglitten ein wenig, sie schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn.
    „Wie konnte ich das vergessen. Ooooh man!“
    Nun konnte es jedoch losgehen. Wir setzten uns in den Wagen, ich startete den Motor und wir fuhren zur Weide der Stuten und Fohlen. „Caleb sagte, dass Devil mit ihrem Fohlen vermutlich etwas abseits steht. Einige sind auf dieser Seite, ein paar aber auch durch den Wald und den kleinen Fluss auf der anderen Seite, aber das werden wir ja gleich sehen.“
    „Findest du es denn eine gute Idee, dass die Mädchen mit auf die Koppel kommen? Candy kann ja schon… gefährlich werden..“, meinte Ylvi und sah mich besorgt an.
    „Ich denke Betsy wollte vor allem wegen Sue mitkommen, sie ist ja immer noch sehr traurig, dass das Fohlen verkauft ist… von den anderen Pferde können wir Kaya und Betsy ja ein wenig weg halten.“ Damit schien die junge Frau zufrieden.

    Ylvi
    Wir waren bereits gut vorangekommen. Ich trug meine große Kamera an einem Band um meine Schulter, Dell hatte es sich nicht nehmen lassen mir die Tasche aus der Hand zu nehmen. Zusätzlich zu Leckerlis und den Halftern. Ich musste immer wieder schmunzeln. “Ich kann es mir nicht nehmen lassen, aber du siehst aus wie ein Packesel.”
    “Wer weiß, vielleicht hab ich vor das im nächsten Leben zu werden?”
    “Dazu hast du ja noch massig Zeit, aber an deiner Stelle würd ich noch ein wenig an meinem Karma arbeiten.” ich kannte mich nicht wirklich mit den Lehren Buddas aus, nur rudimentär das man dort aufstieg sobald man gute Taten vollbrachte. “Das habe ich vor. Jetzt helfe ich dir mit den Fotos. Und im Laufe der Tage widme ich mich dem alten Truck.”
    “Sag bloß der ist schon wieder im Eimer?”
    “Nicht im Eimer, aber irgendwas tropft.”
    Ich schüttelte den Kopf. Caleb hing wirklich an diesem blöden Truck. Wir hatten ihn schon öfter von einem anderen überzeugen wollen. Allerdings war man dabei eher auf taube Ohren gestoßen. “Dann wünsch ich dir mal viel Erfolg dabei. Ich kann mich noch an das letzte Mal erinnern. Deine Flüche sind über den ganzen Hof gefegt. Betsy hat an dem Tag beschlossen lieber bei uns das Abendessen zu verbringen.”
    “Schauspiel, alles Schauspiel.” erwiderte Dell. Ich hielt mir die Kamera vor die Nase, sah ihn drüber hinweg an. Und sah sein breites Grinsen.
    Ich schüttelte den Kopf, schaltete die Kamera wieder an, sah durch den Sucher um endlich die Fotos von Sues schwarzem Fohlen, BR Black Pamina, zu beenden. Von 15 Fohlen hatten wir bereits 5 geschafft. Die Mädels waren noch nicht hier, sie hatten sicherlich einen Umweg durch den Wald genommen. Allerdings gestaltete sich das gar nicht so einfach, die kleine Stute war ziemlich verschmust und suchte immer wieder meine Nähe. Ich hatte schon auf ein kleineres Objektiv getauscht um sie besser zu erwischen.

    Dell
    Während Ylvi sich Sues (Black Sue Dun It) Fohlen Nima (BR Black Pamina) vergnügte und so langsam sichtlich genervt von der eigentlich niedlichen Aufmerksamkeit war, schaute ich auf unsere Liste und harkte die Namen, der fünf schon fotografierten Fohlen ab. Da waren Auntis (Heretic Anthem) Ziehfohlen Queen (BR Homecoming Queen) und ihr eigenes, McDremy (BR Hollywoods Dream Anthem), die uns beide wirklich in die Karten gespielt hatten. Queen, als auch McDreamy blieben stets in der Nähe der Stute, sprangen aber auch ab und zu ein wenig zur Seite. Genau diese Momente passte Ylvi ab, um ein paar Bewegungsfotos zu schießen. Für die Fotos, die Ylvi für die Papiere machen musste, nahm ich die Fohlen immer kurz ans Halfter. Den meisten passte dies nicht so sonderlich, so zum Beispiel BR Sheza Topnotch Babe. Die kleine Stute von Bella Cielo stellte sich wirklich an wie der Teufel. Normal war sie sehr ruhig und verschmust, gar auch anhänglich. Heute war sie allerdings mit dem falschen Huf aufgestanden, denn sie stieg mir ständig an der Hand.
    “So hat das glaub ich keinen Sinn”, hatte Ylvi gesagt und mir empfohlen, das Halfter doch nochmal auszuziehen. Ich hatte getan wie mir geheißen, das Halfter abgemacht und siehe da, die Stute stand wie eine eins. Ylvi beeilte sich mit den Bildern und nickte mir zu. Als ich gerade die Hand ausstreckte, um die Stute zu streicheln, sprang sie von jetzt auf gleich 180 Grad um die eigene Achse und galoppierte davon. “Toll”, murmelte ich und kratzte mich verlegen am Kopf. “So viel dazu.”
    Die Fotos von BR General Pleasure, der ein Sohn von Magnificient Crow war und in ein paar Monaten nach Österreich ziehen würde, waren innerhalb weniger Minuten im Kasten.
    Auch Daisy (BR Lovely Gun) und Shark (BR Twenty 4 Killings), die nach Evergrenn Acres umsiedeln würde, zeigten sich kooperativ.
    Die Jungpferde, von denen wir keine Fotos brauchten, drängten sich allerdings ständig dazwischen. So waren es Leuchtfeuer di Royal Peerage, die Jungstute von Octavia sowie Blue Fire Cat, Dual Shaded Ace und A Walking Dignity, die ihren größten Spaß mit den mitgebrachten Utensilien hatten. “Yes, alles im Kasten!”, jubelte Ylvi auf einmal, als ich mich gerade nach den restlichen Halftern bückte. Die Jungstute Leuchtfeuer erschrak, machte einen Satz und knallte gegen mich. Natürlich verlor ich sofort das Gleichgewicht und fiel mit einem lauten plumps auf den Boden, was die anderen Pferde, die ihre Rüssel auch alle im Zubehör stecken hatten, natürlich auseinanderstoben ließ- und mit ihnen die ganze aufgescheuchte Herde.
    Ich setzte gerade meinen Cowboyhut wieder auf den Kopf und wollte mich aufrichten, da erschien eine Hand in meinem Blickfeld. “Sorry Dell”, sagte Ylvi schüchtern lächelnd und half mir wieder auf die Beine.
    “Dass die schon so viel Kraft haben”, kommentierte ich meinen kleinen Unfall und klopfte mir den Dreck von der Hose. “Ich glaube wir müssen jetzt ein wenig warten, bis die sich alle wieder beruhigt haben- es sind ja jetzt wirklich alle Pferde davongerannt.” Ich zog ein beleidigtes Gesicht, raffte alle Materialien auf dem Boden zusammen und schmiss sie auf die Ladefläche des Trucks. Gleich darauf landete mein Hintern auf der Klappe, ehe ich auf den Platz neben mich klopfte. Ylvi schien zunächst ein wenig unsicher, schwang sich dann jedoch neben mich. “Ich vermute, die sind alle im Wald oder sogar rüber auf die andere Seite”, schlussfolgerte ich, als ich mit bloßem Auge kein Pferd mehr entdecken konnte. “Wer noch hier sein könnte, wären Devil (Wimpys Little Devil) und Bailey (BR Wimpys Bright Gangster), die ist ja meistens alleine irgendwo hier vorne am Waldrand”, erklärte ich Ylvi und schaute nach links, von wo aus ich die beiden Mädchen kommen sah. “Schau mal”, dabei streckte ich meinen Arm in die Richtung, in der man die Köpfe von Kaya und Betsy sah, “dann können wir auch noch grade warten, bis sie hier sind.”

    Ylvi
    Die beiden Kids brauchten bis sie ihre Pferde an die Pfähle gebunden hatten und zu uns hinüber gelaufen kamen. Ich schmunzelte dabei. Wer hätte gedacht das mein bockender Valravn eines Tages von einem schmalen Mädchen geritten wird? Selten stieg oder bockte er noch. In Fact...unter mir schon, aber die anderen schienen wunderbar mit ihm klar zu kommen. Während wir warteten kontrollierte ich nochmal den Akku, den Stand der Speicherkarte. Und pustete ein wenig des Staubes vom Objektiv. Da stupste Dell mich an. Am Waldrand erschien ein Pferd auf das er deutete “ Schau, dort kommt Candy (DunIts Smart Investment).” ich hob die Augenbrauen, sah zwischen den beiden Kindern und der Stute einher, doch ihre Aufmerksamkeit galt dem kleinen Wesen das hinter ihr auf der Anhöhe nun zu sehen war. Ihr Fohlen, der Hengst Elvis (BR Alans Smart Dream) lief gemächlich auf sie zu. Nur um dann nach der Milchquelle zu suchen. Mit schnellen Handgriffen wechselte ich das Objektiv, sah durch den Sucher. Und hatte ein idyllisches Bild wie der Hengst bei Candy trank. “Die Pferde sind ja alle weg!” sprach Betsy aufgeregt. “Nur hinter den Hügel gelaufen und im Wald verstreut.” Betsy zog einen Flunsch “Hätten wir dann direkt auf den Ponys bleiben können?”
    “Fylgia vielleicht. Aber als Wallach Ravn in der Herde zu haben, besser nicht.” antwortete ihr Vater. Kaya schmunzelte nur über die wenige Begeisterung von Betsy.
    “Dann machen wir uns mal auf den Weg den Hügel hinauf.” sagte ich fröhlich, nahm Kaya bei der Hand und stiefelte gezielt los. “Habt ihr beiden den Weg gut gefunden?”
    “Klar, Caleb ist den Weg zu den Koppeln letzte Woche schon mal mit uns geritten. Ich bin so oft es geht hier um am Zaun nach Sue zu schauen. Caleb hat mir untersagt die Weide ohne Aufsicht zu betreten.”
    “Und dein Vater untersagt dir das auch!” sprach Dell mit Nachdruck “Candy ist nicht gerade nett zu Leuten die ihr und dem Fohlen zu nah kommen. Ich halte das zwar für keine guten Eigenschaften um damit zu züchten...aber die Entscheidungen liegen ja nicht bei mir.”

    Dell
    Während Ylvi Kaya an die Hand nahm, stellte sich meine Tochter Betsy sogleich neben mich und stieß mich mit ihrem Arm an, bis ich ihre Hand in meine schloss. Sie lächelte zu mir hoch, ich sah sie ebenso freundlich an. Sie hatte sich wirklich gemacht und den Tod ihrer Mutter mittlerweile gut weggesteckt- es war auch schon lange her. Ob sie sich überhaupt noch daran erinnerte?
    “Aber Izzie mangelt es ja auch an nichts”, riss mich Ylvi wieder aus den Gedanken.
    “Hm?”
    “Na BR Dress to Impress, Candys erstes Fohlen. Damit ist Caleb ja wirklich begeistert. Papa war ja aber auch Blue (Gun and Slide), dieses Mal ist es Alan (Alan’s Psychedelic Breakfast), auch ein eher ruhiger Kandidat.”
    “Da hast du schon Recht”, antwortete ich ihr und nahm Kaya zu mir an die Hand. Ylvi brauchte nun wieder beide Arme für die Kamera. Elvis präsentierte sich wirklich gut vor der Kamera. Candy legte nur zusehends die Ohren immer flacher an den Kopf. “Kaya und Betsy ihr geht ein paar Meter hinter mich, das gefällt mir gar nicht, was Candy da macht… Ylvi pass du auch auf!”
    Aber da war es schon zu spät. Kaya und Betsy waren quietschend einen Satz nach hinten gesprungen, ich machte einen großen nach vorne und schmiss Candy eines der Halfter entgegen, welche ich um die Schulter gehängt hatte. “Lass das du Zicke!”, fuhr ich sie an und baute mich so gut ich konnte vor ihr auf. Ylvi war vor Schreck wie versteinert und hatte sich keinen Zentimeter bewegt, krampfhaft umklammerte sie ihre Kamera und starrte die Stute an.
    “Hau ab!”, wiederholte ich und machte, wild wedelnd mit dem zweiten Halfter von meiner Schulter, der Stute zu verstehen, dass sie Land gewinnen sollte. Schließlich drehte sie sich um, umsprang ihr Fohlen ein paar Runden und galoppierte dann wieder in Richtung des Waldes.
    “Alles ok bei euch?”, fragte ich an die Mädchen gewandt, die sich in den Armen lagen. Da hatten sich zwei aber wirklich ziemlich erschrocken.
    “Ja, jetzt ist alles ok, Dad”, antwortete mir meine Tochter und ließ langsam von ihrer Freundin ab. Kaya nickte mir schüchtern zu. Erst dann drehte ich mich wieder zu Ylvi um. “Bei dir auch alles gut?”
    “Damit hätte ich nicht gerechnet”, sagte sie außer Atem und ließ die Kamera sinken. “Vermutlich hab ich das sogar noch mit aufgenommen.” Sie schaute auf den Bildschirm der Kamera und klickte eine Weile auf den Tasten hin und her. “Ja, das ist mit drauf. Das zeig ich Caleb später!”
    “Genau das ist der Grund, weshalb Caleb, und auch ich, euch verboten haben, alleine hierher zu kommen. Es ist ja nicht nur Candy, vor Devil müsst ihr euch auch in Acht nehmen.”
    “Aber was ist denn mit Sue? Wenn Candy so gemein zu uns ist, dann ist sie bestimmt auch gemein zu meiner Sue.” Betsy ließ den Kopf hängen, schien traurig zu sein.
    “Nein, Sue ist schlau, sie geht Candy einfach aus dem Weg- und wenn das nichts hilft dann kann sie sich wehren.” Ich ging zu Betsy und hob ihr Kinn mit meinem Zeigefinger nach oben. “Sie tut Sue nichts, keine Sorge.” Sie lächelte wieder, legte mir die Arme um die Hüfte und umarmte mich. “Danke, dass du uns beschützt hast, Dad.”

    Candy war schon einige Minuten weg, da kamen Soul (BR Heart N’ Soul), das einzige Appaloosafohlen diesen Jahres, Seth (BR Double Gunslide) und Atlantis (BR Atlantis Dream) auf uns zu. “Die drei sind in Ordnung”, sagte ich zu den Mädels und ließ sie langsam auf die Fohlen zugehen. Seth hielt zunächst ein wenig Abstand, so dass Ylvi den Hengst in aller Ruhe fotografieren konnte. Schließlich kam er auch auf die Mädchen zu. Soul schien allerdings keine große Lust zu haben, die Mädchen teilen zu müssen, weshalb er ein paar Schritte wegtrabte. “Ylvi deine Chance!” Ich lachte und wuschelte auch einmal der kleinen dunklen Stute Atlantis durch den Schopf.
    “Jetzt fehlen noch drei Fohlen, Ylvi”, sagte ich zu ihr, als sie die letzten Fotos der drei vorwitzigen Fohlen geschossen hatte. “Ich vermute, die sind auf der anderen Seite, oder irgendwo da beim Bach.” Um dorthin zu gelangen, mussten wir durch den Wald gehen. Da wollte ich die Kinder allerdings nicht mitnehmen, denn Candy würde auch dort sein.
    “Betsy und Kaya geht bitte zurück zum Truck, wir fotografieren nur noch die drei letzten Fohlen und dann kommen wir auch.”
    “Ist okay, Dad. Ich glaube wir reiten auch zurück. Oder noch eine kleine Runde, und dann zurück. Oder Kaya?” Diese nickte.
    “Reitet aber nicht zu weit weg!”, fügte Ylvi noch an, ehe wir uns umdrehten und in Richtung Wald gingen. Immer wieder warfen Ylvi und ich einen Blick über die Schulter, ob die Mädchen auch wirklich den Weg zurück zu den Pferden einschlugen.
    Die restlichen Fotos bekamen wir nicht ganz ohne Zwischenfall in den Kasten. Nachdem Dissident Whiz’, das Fohlen von Tainted Whiz Gun, abgelichtet war, wollte Ylvi die Stute verscheuchen, um besser an Raised und Rosy (BR Raised to Slide) dran zu kommen. Raised from Hell, die neben Ylvi stand, schreckte hoch und rannte sie einfach über den Haufen. Fluchend war ich zu ihr gerannt und hatte ihr wieder auf die Beine geholfen. “Was ein Chaos hier.”
    Schließlich war es uns doch gelungen. Auch die Bilder von BR Colored in Style, die Tochter von Smartie (GRH’s A Gun Colored Lena) waren dann noch schnell geschafft. Fix und fertig gingen wir zurück zum Truck, mit dem wir dann wieder zur Ranch zurückfuhren.
    “Das war mal eine willkommene Abwechslung”, sagte ich zu Ylvi, als ich ausstieg und die Halfter vom Rücksitz in die Hand nahm.
    “Aber anstrengend”, kommentierte Ylvi lachen, wandte sich kurz um und schien sichtlich beruhigt, als sie Kaya, Betsy und nun auch Tschetan aus dem Stall kommen sah.
    “Ich mach mich dann auch mal wieder an meine normale Arbeit, bis dann Ylvi.”

    Caleb
    Ylvi und Dell waren schon eine ganze Weile vom Hof verschwunden. Mittlerweile war es kurz nach Mittag. Die Pferde auf meine Liste waren versorgt. Die Hengste alle auf den Paddocks, die Boxen gemistet und ich hatte auch schon Kraftfutter für den Abend in die Tröge verteilt.
    Zwar hatte ich noch einiges an Papierkram vor mir, das konnte ich jedoch getrost auf heute Abend verschieben, so dass ich nun noch Zeit für mein HMJ Pferd HMJ Saintly hatte.
    Ich ging auf den Paddock des Hengstes, halfterte ihn auf und ging zum Putzplatz des Stalls, in dem er stand. Dort putzte ich einmal schnell über, ehe ich mich dazu entschied, ein wenig mit ihm spazieren zu gehen. So konnte er den Hof besser kennen lernen und ich hatte genügend Zeit, ein Auge auf alles zu werfen. Unterwegs traf ich Cayce, Laurence und Brian, die auf dem großen Reitplatz waren und Shorty (Whitetails Shortcut), Playboy (I’m a Playboy) und Silent Bay trainierten. Natürlich hielt ich dort an und musste meinen Senf zum Training dazu geben.
    Schließlich kam Cayce zum Zaun und schaute mich ernst an. “Hast du nichts besseres zu tun?”
    “Nein, grade eigentlich nicht”, grinste ich, während er kopfschüttelnd seinen Shorty abwandte und sich wieder seiner Aufgabe widmete. Cayce und Shorty waren ein tolles Team. Es wurde wirklich Zeit, dass ich meinen Vulture (Smart Lil Vulture) weiter trainierte, so dass wir nochmal gemeinsam ropen konnten. Bei meinem Glück und Vultures weniger Erfahrung würde ich nicht nur einmal im Sand landen, während Cayce mich schallend auslachen würde.
    Saintly und ich gingen weiter, kamen am kleinen Reitplatz vorbei, auf dem Octavia mit Soul (Prias Colourful Soul) ihre Runden drehte. Aimee stand am Zaun und beobachtete sie. Ich hielt mich nicht lange auf, denn mit Aimee hatte ich nicht wirklich etwas zu sprechen- Octavia war ja beschäftigt. Seit die junge Frau mit ihrem Vater auf die Ranch gekommen war, hatte ich noch nicht oft das Vergnügen eines Gespräches gehabt. Generell war sie eher wie ein Geist. Sie war mal hier, mal da- aber fiel nicht wirklich auf.
    An den Jungferdekoppeln stoppte ich und beobachtete zunächst die Hengste. Vulture spielte mit Cody (tc Mister’s Silvermoon Cody). Der Hengst hatte es bis jetzt in seinem Leben nicht wirklich einfach gehabt. Er stand noch nicht im Training, genoss seine Jugend in vollen Zügen. Auch Joker (BR Colonels Lil Joker) und Goldy (BR Colonels Golden Gun) waren nicht weit weg und zankten wieder miteinander herum. Sky (PFS’ Unclouded Summer Skies), Berry (GRH’s Funky’s Wild Berry) und Chico (Chic N’ Shine) standen gemeinsam am Heu und schienen die Ruhe zu genießen, dass sie endlich mal Platz am Ballen hatten.
    Mit Saintly am Strick, der sich sehr für die anderen Pferde zu interessieren schien, ging ich weiter zur Stutenkoppel. Luna (Special Luna Zip), Katie (Jacks Inside Gunner), Gun Sophie, Gin (Ginger Rose), Connie (Colonels Blue Splash), Crissy (Captains Blue Crystal) und Izzie (BR Dress to Impress) galoppierten auf uns zu, als sie mich mit dem fremden Hengst auf sie zukommen sahen. Auch HMJ Saintly, der bisher sehr ruhig an der Hand war, hob den Kopf und wieherte ihnen zu. Mittlerweile klang sein Wiehern auch wieder wie das eines Hengstes, nicht so kläglich und jämmerlich. Er tänzelte ein wenig an der Hand und wollte den Stuten unbedingt imponieren. “Na sowas aber auch”, kommentierte ich sein Verhalten und zuppelte ein paar Mal am Strick. Mein Blick schweifte einmal durch die Herde, morgen würde es ihnen auch wieder an den Kragen gehen, für dann war das Training fest eingeplant.
    Als Saintly begann an der Hand unerträglich zu werden, spazierte ich zurück zum Paddock, in den ich ihn wieder stellte und den Riegel des Tors mit dem Schloss versah: sicher war sicher. Dann ging ich wieder zurück ins Büro und widmete mich dem Schreibkram, den ich heute morgen liegen gelassen hatte.

    Ylvi
    Ich ließ meine Kamera auf den Tisch fallen, der erstaunlicherweise noch immer im Büro stand, und ließ mich selbst auf den Stuhl sinken. “Puhh.” stieß ich dabei hervor. Caleb sah von seinem Schreiben auf, zu mir herüber. “Ihr habt reichlich lang gebraucht.”
    “Sind ja auch nicht grad kleine Wiesen.” meinte ich energisch. “Außerdem hat mich Hell (Raised from Hell) umgerannt, als sie dabei war Tainy (Tainted Whiz Gun) zu verscheuchen. Als wär der Angriff von Candy nicht genug gewesen.” sprach ich läppisch daher. “Angriff?” fuhr Caleb besorgt fort. Mit einer Geste meiner Hand winkte ich ab. “Dell hatte alles im Griff. Ich war allerdings so erschrocken, dass ich erstarrt bin. War haarscharf. Hell hat anschließend den Rest erledigt. Immerhin ist der Ausrüstung nichts passiert.” Ich sah zum ersten Mal seitdem wir die Ranch am Vormittag verlassen hatten auf die Uhr. Das Zifferblatt zeigte 15 Uhr - wir hatten tatsächlich lang gebraucht.
    Mir schmerzte der Rücken, außerdem die Füße vom vielen Laufen. Aber immerhin hatten wir die letzten Bilder von Rosy (BR Raised to Slide) geschafft. BR Dissident Whiz hatte uns ebenfalls besonders schöne Vorlagen für Fotos gegeben als er mit BR Colored in Style gespielt hatte. An dem Glas Wasser nippend, öffnete ich den PC.
    “Die Bilder laufen nicht weg, wenn du willst kannst du dich auch anderen Aufgaben widmen.”
    “Stör ich dich?”
    “Nicht direkt, aber wenn ein Pferd dich umgerannt hat. Dann möchtest du vielleicht lieber ein heißes Bad nehmen, statt am PC zu arbeiten.”
    “Da magst du vielleicht Recht haben.”
    “Das...klingt nach einem Aber?”
    “Der Bungalow verfügt leider nur über eine Dusche.”
    “Ich denke du kennst dich noch aus?”
    Ich zog eine Augenbraue nach oben. Bot er mir etwa an hier im Haupthaus das Bad zu benutzen? Ich zögerte nicht lang. Nicht das er es sich anders überlegen würde.
    “Weißt du noch wo die Gäste Handtücher sind?”
    “Wenn du nicht umsortiert hast, klar.”
    Und damit verschwand ich die Treppe hinauf. Aus dem Schrank im Flur fischte ich mir eines der Handtücher, nahm ein zweites, kleineres für die Haare. Huschte dann ins Bad. Stand einen Moment an der Tür, die Hand halb ergriffen nach dem Schlüssel. Erinnerte mich an ein anderes Mal, eine andere Zeit in der ich die Tür nicht abgeschlossen hatte. Ich wusste nicht was mich dazu bewog, doch ich ließ die Tür geöffnet. Sah zu wie sich die Wanne langsam begann zu füllen, streifte die Kleidung vom Körper und glitt in das wohlig warme Wasser hinein. “Caleb, das war eine hervorragende Idee.” murmelte ich und schloss entspannt die Augen.

    Caleb
    Ich sah Ylvi hinterher, als sie das Büro verließ. Wenige Sekunden später sank mein Blick wieder auf den Papierstapel, durch den ich mich noch immer kämpfte. Verfluchter Bellamy. Eigentlich hätte ich ihn von Anfang an dazu rufen sollen, denn er hatte schließlich dieses Chaos verbreitet. Vielleicht war es aber auch gut, dass ich hier alleine saß, denn so konnte ich mich wieder ausbreiten- nicht nur auf dem Schreibtisch, sondern auch auf dem Boden.
    Dabei fiel mir der Arbeitsvertrag von Louis Bekanntem, Logan Otaktay ins Auge. Wirklich Zeit hatte ich noch immer nicht gefunden, das Gespräch mit ihm zu suchen und ihm Aufgaben zu verteilen. Apropos Aufgaben… irgendwo mussten sich die Trainings- und Stallpläne befinden… wenn ich doch nur… “Mist.” Da waren sie gewesen und flatterten nun durcheinander zu Boden. “Aaaaaah Bellamy!”
    “Hm?” Da stand der junge Mann in der Tür. “Ich war grade in der Küche und hab mir was zu trinken genommen… was hab ich jetzt wieder angestellt?”
    “Du hast hier pures Chaos verbreitet! Ich bin schon nicht der beste Freund des PC’s, aber meine Zettelwirtschaft hat wenigstens Ordnung! Ich weiß nicht, was du hier wieder fabriziert hast, dabei war ich doch nur zwei Wochen weg!”
    Bellamy schien zu überlegen, knibbelte am Etikett der Plastikflasche herum. “Ich äh.. habe versucht... “
    “Chaos zu veranstalten.”
    “Nein. Also ich blicke da durch. Wenn du willst, kann ich dir helfen.”
    “Nein, danke. Ich hab eh schon alles umsortiert… aber geh mal in die Ställe und bring mir die dort hängenden Pläne, ich vergleich sie mal hier mit und änder sie gegebenenfalls nochmal um, dass alles aktuell ist.”
    “Okay, wird gemacht, Chef.” Damit verschwand der dunkelhaarige Mann.
    Es dauerte nicht lange, da knarzte meine Tür. Ich streckte den Arm aus und wollte die Blätter in Empfang nehmen. Die Hand, die sich mir entgegen streckte war braungebrannter, als ich gedacht hatte, weshalb ich aufsah. “Oh, hallo Tschetan. Hat Bellamy dich damit geschickt?” Der Junge nickte. “Bellamy sagte Ylvi müsste hier irgendwo sein, ich wollte sie etwas fragen.”
    “Ja, sie ist im Bad. Ich geh sie holen, warte hier.” Damit stand ich auf und ging, nicht über die jetzige Situation nachdenkend, zum Bad, in dem sich Ylvi seit geraumer Zeit befand. Kurz vor der Tür, mit der Hand an der Klinke, bremste ich meinen Schritt, schloss kurz die Augen und seufzte leise. Statt einfach hineinzugehen, so wie ich es früher getan hatte, klopfte ich zögerlich an der Tür. “Ylvi ich… Tschetan ist hier, er sucht nach dir.” Auf der anderen Seite der Tür hörte ich, wie das Wasser in Bewegung geriet. Eine Antwort ihrerseits wartete ich gar nicht erst ab, denn ich drehte mich augenblicklich auf dem Absatz herum und ging zurück ins Büro. “Sie kommt wohl gleich.”

    Ylvi
    Das Klopfen drang durch das Wasser nur dumpf an meine Ohren, ich musste genau hinhören um Calebs Worte zu verstehen. Mittlerweile war das Wasser eher kalt, als warm. Meine Haut war geschrumpelt und einige Teile davon überzogen von einer leichten Gänsehaut. Ich zog mich also aus dem Wasser - so schnell es eben ging. Eine Stelle an meiner Hüfte hatte mittlerweile eine unangenehme Lila Färbung eingenommen. Und meinen Rücken konnte ich nicht ganz drehen.
    Daher dauerte es länger als sonst bis ich meine Gliedmaßen in die Kleidung gezwängt hatte, ein Handtuch um meine schwarzen Locken geschlungen und die Treppe hinunter gefunden hatte. Ich steckte den Kopf durch die Tür, Tschetan hockte auf meinem Schreibtisch, Caleb halb verzweifelt über den Papierbergen. Vielleicht sollte ich mich von ihm einweisen lassen. Meine Sortierung wäre sicherlich zuverlässiger als die von Bellamy. Schoß es mir durch den Kopf. “Kaya und Louis haben das Abendessen vorbereitet, ich soll dich rüber holen.” grinste Tschetan breit.
    “Louis hat gekocht?” fragte Caleb belustigt.
    “Zumindest haben wir jetzt einige Gerichte die er zuverlässig zubereiten kann , OHNE uns alle zu vergiften.” feixte Tschetan.
    “Wie er sagt..und zumindest ist Kaya dabei.”
    “Ist das nicht noch mehr Chaospotential?”
    “Das werden wir sehen, fürchte ich.”
    Ich griff nach meiner Kameratasche, die mir der Junge aus der Hand nahm. Die Drehung war nur halb so elegant wie ich sie gern gehabt hätte. “Du humpelst?” fragte Tschetan überrascht. Ich nickte nur. “Ist ein bisschen blau.” murmelte ich. Ich ging einfach mal davon aus, dass Caleb ihm berichtet hatte was passiert war. Skeptisch sah er mich an, dann öffnete er mir die Tür um mich hindurch zu lassen. Als sich meine Hüfte wieder an Bewegung gewöhnt hatte, machte sie keine weiteren Anstalten.

    Trotzdem entging dem findigen Auge meines Mannes nicht das ich nicht flüssig lief. Das musste eindeutig am Beruf liegen! “Frag nicht…”
    “Was ist passiert?”
    Ich seufzte “Dumme Sache, hab mich von nem Pferd umrennen lassen.”
    “Candy?”
    “Nein, Raised from Hell. Aber alles gut.”
    Louis kam um den Tisch herum, zog sich die Handschuhe von den Händen, die eben noch die Lasagne-Form auf den Tisch gestellt hatten. “Du läufst aber nicht als sei alles gut.” Zielsicher und besorgt schaffte er es nach mir zu greifen, bevor ich mich ihm entziehen konnte. Er schob das Shirt an genau der richtigen Stelle nach oben. “Kühlsalbe, am besten noch vor dem Essen.” orderte er an. Kaya hopste von ihrem Stuhl, signalisierte mir mich zu setzen. Kurze Zeit später gab Kaya mir die Salbe in die Hand, die sie mir Gewissenhaft auf die Stelle schmierte. “Mensch, die Lasagne ist ja gar nicht angekohlt!”
    “Kaya hat vor dem Ofen gesessen um zu schauen, wann sie gold-gelb ist.”
    “Du hättest auch einfach die Zeit im Auge behalten können.”
    “Gehört nicht zu meinen Stärken.”
    “Timing? Andere Zungen würden etwas anderes Behaupten.”
    Louis kam näher, beugte sich vor. Und küsste mir auf die Stirn. “Würden sie?”

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    Mitte Mai
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    Caleb
    Seit dem Vorfall mit den Mutterstuten waren ein paar Wochen vergangen. In der Zwischenzeit war allerdings auch etwas passiert, mit dem ich so nie gerechnet hätte. Kaya hatte gesprochen. Nicht zu mir, nicht zu Louis oder sonst einem Erwachsenen, nein. Sie hatte bei HMJ Saintly gestanden und mit ihm gesprochen.
    Ylvi und ich waren dabei gewesen sie und den Hengst zu beobachten. Heimlich und ganz leise, so dass sie uns nicht bemerke. und dann sprach sie mit ihm. Sagte, dass dieser Ort sie geheilt hatte und dass auch Saintly geheilt werden würde.
    Wie durch ein Wunder war dem wirklich so. Saintly machte sich immer besser, baute auf, wurde aufgeweckter und vor allem pfiffiger. Es war gar nicht so leicht, ihn in der Stallgasse angebunden zu behalten, weil er ständig an den Seilen herum spielte. Das ging mittlerweile so weit, dass ich ihn mit Ketten am Halfter sicherte, falls er die Knoten an den Führstricken aufbekam. Das Lösen der Ketten war für ihn unmöglich.
    Auch seine Boxentür war doppelt gesichert. Am Tor des Paddocks befand sich ja schon lange ein Schloss.
    Auf dem Hof begegnete mir Cayce, welcher Easy Going im Schlepptau hatte. “Ich geh ne Runde mit ihr auf den großen Platz, dann noch ein wenig raus. Kommst du mit?”, fragte er mich, doch ich schüttelte den Kopf.
    “Ich nehm mir Vulture, hab mit ihm noch was vor.”
    Cayce nickte, setzte dann seinen Weg fort.
    Der Meine führte mich zum Paddock des Braunen. Er kam sofort an den Zaun und holte sich eine Streicheleinheit ab, ehe ich ihn aufhalfterte und in den Stall ging. Dort putzte ich ihn kurz über, sattelte ihn, hängte das Rope ans Horn und ging zum kleinen Platz. Ich wollte vermeiden, dass Cayce mich sah. Die Frage nach dem gemeinsamen Ropen sollte eine Überraschung werden, weshalb es mir ziemlich gut passte, dass er gleich den Hof verließ.
    Auf dem Platz angekommen gurtete ich nach und schwang mich in den Sattel. Nach einer Aufwärmphase, die länger als gedacht dauerte, stieg ich wieder ab, löste das Lasso vom Sattel und fing an, es neben dem Hengst zu schwingen. Ein wenig kannte er das Prozedere ja schon, so dass er nur mit den Ohren spielte.
    Jetzt kam es drauf an. Ich setzte mich wieder in den Sattel, nahm die Zügel in die Hand, in der ich auch die loops hatte und fing an, das Lasso neben und über dem Hengst hin und her zu bewegen. Nachdem ich dies ein paar Mal gemacht hatte, nahm ich es über den Kopf und fing an, es zu schwingen. So weit, so gut. Ohne über die Konsequenzen nachzudenken, ließ ich es am Kopf des Hengstes vorbei nach vorne auf den Boden sausen, als hätte ich nach etwas gezielt, was ich hätte fangen wollen.
    Vulture machte einen erschrockenen Satz zur Seite und preschte nach vorne. Meine Bewegungen waren so routiniert gewesen, so oft schon hatte ich Lassos vom Pferd aus geschwungen, dass ich total vergessen hatte, dass ich dies bei Vulture noch nie gemacht hatte. Dementsprechend rechnete ich natürlich nicht mit der Reaktion des Pferdes und flog, ohne lange darüber nachdenken zu können, vom Pferd in den Sand. Vulture hüpfte noch zwei, drei Schritte nach vorne, eher er verdutzt stehen blieb, sich umdrehte und mich schief ansah. Ganz nach dem Motto: du warst doch gerade noch nicht da unten?!
    Beim Aufstehen klopfte ich mir die Hose vom Staub ab, ehe ich das schallende Lachen in meinem Rücken hörte. “Ich fass es nicht, den Supercowboy schlechthin hat es vom Pferd gehauen!” Da stand Octavia am Zaun, zusammen mit Betsy und Dell. Während sie mich auslachte, blickte Dell zerknirscht drein. Betsy war schon auf halbem Weg zu mir und machte wenige Meter vor mir langsam, denn sie wusste, dass sie mit dem Laufen Vulture erschrecken würde.
    “Ist dir was passiert, Caleb?”, fragte sie besorgt und blieb kurz vor mir stehen.
    “Nein, alles gut. Sowas kann auch den Besten passieren.”
    “Das hab ich gehört! Den Besten, haha!”, rief Octavia vom Zaun aus, was mich dazu brachte, ihr die Zunge raus zu strecken.
    Betsy kicherte. “Hihi, Cowboy, das macht man aber nicht!”


    Ylvi
    “Na Cowboy, wie ist es auf dem Boden der Tatsachen gewesen?” fragte ich feixend als Caleb das Büro betrat. Der blieb ein wenig verwirrt im Rahmen stehen “Boden der…” dann rollte er die Augen, stöhnte “Betsy!” entfuhr es ihm.
    “Keine Sorge, sie hat es mir nicht erzählt. Naja, nicht direkt zumindest. Vorhin im Auto, auf dem Weg zum Tanzkurs.” Die Schule hatte diesen Kurs empfohlen, um Kaya auch mit anderen Kindern außerhalb der Schule in Kontakt zu bringen. Seit ein paar Wochen besuchte sie diesen alle zwei Wochen nun mit Betsy gemeinsam. Ich hatte beide Kids dorthin gebracht. Nebenbei hatte ich Betsy beiseite genommen, sie schwören lassen Kaya nicht zu drängen und ihr anschließend erzählt das ich sie hatte sprechen hören. Das junge Mädchen war ganz aufgeregt gewesen bei der Vorstellung ihre Freundin auch eines Tages sprechen zu hören. Aber sie hatte mir Versprochen Kaya davon noch nichts zu erzählen. Sie sollte selbst entscheiden können wie und wann sie mit einem Menschen sprechen wollte. “Bist du noch immer bei den Bildern?” fragte mich Caleb. Ich nickte, drehte ihm den Bildschirm zu und zeigte ihm ein Bild von A Shining Chrome. Wir hatten uns in den letzten beiden Tagen vorgenommen, die Verkaufspferde noch einmal zu sortieren und zu fotografieren. “Immerhin sind die Seiten der Zuchtpferde nun vollständig. Jeweils mit Bild, Gencode und einer kurzen Beschreibung des Charakters. So können sich Fremde eine gute Übersicht der Pferde geben. Die Fohlen sind nun ebenfalls ergänzt. In dem Zuge habe ich die ganzen Papiere fertig gemacht. Die hab ich die nach Alphabet sortiert auf den Tisch gelegt. Schau nochmal drüber. Ist alles in Ordnung, dann werd ich die morgen mit in die Stadt nehmen. Louis, Dell und ich haben einen Termin in der Schule.”
    “Schule? Sag bloß die Prügelei zieht noch Kreise?” fragte Caleb erstaunt, richtete sich aus der gebückten Haltung auf und schritt hinüber zu seinem Platz. Daher sah er meine abwertende Geste nicht. “Nein, das ist vom Tisch. Wir haben eine Besprechung mit der Schulleitung. Ob vielleicht Home Schooling eine Option wäre. Dann könnte man sich die Fahrt nach Calgary sparen. Die Kids würden einen Lehrer hier zur Ranch bekommen. Kinder von außerhalb könnten ebenfalls hierher kommen. Otis McCann von der Nachbarranch und seine ältere Schwester zum Beispiel. Deren Eltern haben nicht immer Zeit sie zur Schule zu bringen. Sie fehlen oft. Der Weg hierher wäre nicht so weit.”
    “Das ist schon ein Punkt. Aber meinst du Kaya damit einen Gefallen zu tun?” Ich lehnte mich im Stuhl weiter zurück, kaute auf meiner Unterlippe herum. “Das waren tatsächlich ebenfalls meine Überlegungen. Das bringt mich auf die Idee vielleicht eher dafür zu Sorgen das ein Schulbus eingerichtet wird! Gerade Tschetan möchte ich ungern von Gleichaltrigen trennen. Sie sollten auch etwas anderes zu sehen bekommen als die Ranch.”

    Caleb
    Ich blieb vor meinem Schreibtisch stehen, warf einen Blick auf die Papiere der Pferde, ehe ich einen Bogen machte und auf dem Stuhl Platz nahm. Ganz oben auf dem Stapel lag das Papier von Daisy. Ein tolles Pferd, schon lange versprochen für Ethel Evergreen, Tiaras Mutter. Auf jeden Fall eines, was ich behalten würde, wenn sie doch noch abspringen würden.
    Erst dann sah ich wieder auf, mein Blick traf den von Ylvi: “Ich hab mich in Schweden glaub ich ein bisschen bei Tschetan verplappert gehabt… erwähnt, was ihr vorhabt mit dem Homeschooling. Er war alles andere als begeistert. Deshalb glaube ich, dass ein Bus wohl die bessere Alternative ist.”
    “Du hast schon mit Tschetan gesprochen?”, kam es vom Nachbartisch.
    “Versehentlich. Es ist mir rausgerutscht… sprecht deshalb vorher nochmal mit ihm, bevor ihr morgen zur Schule fahrt.” Ylvi nickte, senkte den Kopf und kümmerte sich um ihre Bilder.
    Ich ging derweil die Papiere durch. Die Fotos waren wirklich gut geworden. Fotografieren konnte Ylvi, das musste ich ihr lassen.
    Eine gute halbe Stunde später hatte ich alle Papiere auf ihre Richtigkeit überprüft. “Passt alles.” Den korrigierten Stapel nahm ich in die Hand und brachte ihn zu Ylvis Schreibtisch rüber, um ihn da auf einen freien Platz zu legen. Gedankenverloren strich ich mir einmal durch die Haare, ehe ich auf die Uhr sah. “Mist.”
    “Hm?”
    “Ich hab Murphy schon wieder vergessen.”
    “Hab gehört der nimmt jetzt Reitstunden bei dir, wie schlägt er sich denn?”
    “Immer besser, hätte ich nicht gedacht.” Damit verschwand ich aus dem Büro und joggte- ja joggte, hinüber zum Stall. Dort stand Murphy schon mit einem fertig gesattelten Blue.
    “Wird ja auch Zeit”, warf er mir zerknirscht an den Kopf, löste den Führstrick aus der Trense und ging mir hinterher zum kleinen Reitplatz. “Aufsteigen und warmreiten”, wies ich ihn an und schaute Cayce dabei zu, wie er I’m a Playboy um sein inneres Bein traben ließ. “Wie macht der sich eigentlich?”, fragte ich ihn. Den Mixhengst, naja eigentlich war er kein Mix sondern eine anerkannte Rasse, hatte ich gar nicht auf dem Schirm, geschweige denn schon einmal drauf gesessen.
    “Wird immer besser. Das Losrennen beim Aufsteigen hab ich so weit im Griff, dass er das zumindest bei mir nicht mehr macht. Ansonsten wird er immer lockerer. Der hört gut zu, strengt sich toll an.”
    “Das ist gut.” Playboy hatte ich aus Mitleid aufgenommen. Es gab einen großen Verkauf einer Bekannten, die auch den “Quartermix” zum Verkauf inseriert hatte. So richtig Interesse zeigte jedoch niemand an dem schicken Tier, weshalb ich ihn schließlich aufgenommen hatte. Was machte ein weiteres Pferd schon? Vielleicht würden er und die “Quartermix”stute Striga einmal tolle Fohlen produzieren. Apropos Striga… “Wann hat eigentlich einer zuletzt auf Striga gesessen?”, fragte ich Cayce, als er wieder an mir vorbei kam.
    “Weiß nicht, glaub vor einer Woche.”
    “Vor einer Woche?!” Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Wenn die Reitstunde mit Murphy erledigt war, konnte ich nicht mehr aus dem Büro rauskommen, bis die neuen Trainingspläne geschrieben waren.

    Ylvi
    Es klopfte leise an der Bürotür, Louis schmaler Kopf schob sich durch die Tür. “Genug für heute, komm. Die Pferde sind gesattelt, lass uns einen Ausritt machen!” Die Gelegenheit ließ ich mir nicht entgehen. Ich klappte den Bildschirm zu und ließ mich von Louis an der Hand zur Haustür bringen. Draußen standen Kaya und Tschetan mit jeweils zwei Pferden am Strick. Fylgia trug einen Westernsattel, Valravn nur eine einfache Decke. Auch Sunka trug einen Westernsattel und für mich hatten sie Inyan fertig gemacht. “Nicht Gweny?” fragte ich verwirrt in Louis Richtung. “Es tut so gut Sunka wieder in der Nähe zu haben. Ich fühle mich auf ihm ebenso wohl wie Inyan.” Das konnte ich verstehen. Ich fühlte mich auf meiner Fylgia auch am wohlsten, diese schien ich jetzt allerdings so gut wie an Kaya “verloren” zu haben.
    Im Quartett verließen wir also den Hof. Im Wald mussten wir zunächst im Trott hintereinander her reiten. Erst als sich der Weg verbreiterte ließ ich Inyan neben Ravn laufen. “Caleb hat sich also verquatscht?” meinte ich neutral zu Tschetan. Dieser gab keine Regung, ließ mich einfach weiter erzählen. “Das mit dem Home Schooling, das wäre also nicht dein Fall?” Tschetan knirschte etwas mit den Zähnen. “Ich weiß es ist umständlich für euch uns zur Schule zu bringen. Die Idee ist ja wirklich cool. Aber ich würde meine Freunde aus der Schule wirklich vermissen. “
    “Wir hatten die Idee uns vielleicht eher darum zu bemühen eine Buslinie für die Kinder von Außerhalb zu organisieren. Was hälst du davon?” Er antwortete nicht in Worten, aber nickte und strahlte mir eifrig zu. Dann deutete er mit den Lippen auf seine Schwester “Ich weiß zu schätzen das du sie beschützen willst. Aber du behebst das Problem nicht indem du sie vor der Welt in Schutz nimmst.”beendete er den Satz leise. Als er das sagte klang er älter, sehr viel älter als seine 13 Sommer. Ich sah ihn an, nickte bedächtig. Er hatte Recht. Das hatte auch Louis schon einmal gesagt. Es waren indirekt auch Calebs Worte gewesen. Dell hatte sich diesbezüglich nicht geäußert, aber wenn ich ehrlich war, Dell sprach so etwas selten an. Dazu war er einfach zu charmant. Ich hoffte für ihn wirklich das er eines Tages vielleicht eine neue Liebe entdecken würde. Er hatte so viel zu geben...und manchmal erdrückte er seine Tochter damit. Manchmal konnte ich aber auch seine Blicke voller Schmerz sehen. Ich hatte nur ein Foto gesehen, doch hatte es genügt um zu erkennen wie ähnlich Betsy ihrer Mutter sah. Das Haar, ihre Gesichtszüge. Mit jedem Jahr würde diese Ähnlichkeit mehr werden, da war ich mir fast sicher. “Wo hängst du eigentlich wieder mit deinen Gedanken?”
    “Mhm?”
    “Ja ganz genau.” feixte Louis.
    “In den Wolken, das solltest du doch wissen.” lächelte ich ungeniert. Er zwinkerte mir zu, trieb Sunka dicht an Inyan heran, sodass sich unsere Knie berührten. Ließ mich dabei nicht aus den Augen. “Ich hab gefragt ob wir einen kleinen Galopp vagen sollen.” Ich gab keine Antwort stattdessen machte ich Gebrauch von Inyans hervorragender Ausbildung. Ich ließ den Wallach aus dem Schritt gelassen angaloppieren. Ein kleiner Seiten und Rückblick zeigte mir das auch bereits beide Kids im Galopp waren, Louis bildete mit Sunka das Schlusslicht. Um das Ex-Rennpferd nicht auf der Stelle rennen zu lassen, beschleunigte ich Inyan, Fylgia reihte sich neben uns ein. Ich sah das Strahlen auf Kayas Gesicht. Locker hielt sie die Zügel des Knotenhalfters in einer Hand, die andere lag auf ihrem Schenkel. Festbetoniert. Genauso saß sie im Sattel. Genau wie ihr Bruder. Ich hingegen hatte noch einiges zu tun. Am frühen Abend hatte ich, zum ersten Mal seit langem, eine Reitstunde bei Caleb. Ich konnte nur hoffen er würde mir keines der schweren Pferde unter den Hintern setzen. Eigentlich hatte ich mit einem meiner Pferde teilnehmen. Caleb hatte mir da allerdings den Wind aus den Segeln genommen. Auf den Wallach Cielos konnte ich wohl nicht hoffen.

    Caleb
    Schon seit einer Stunde saß ich wieder am Schreibtisch. Die Reitstunde mit Murhpy war wirklich gut gewesen, er wurde immer besser, strengte sich richtig an. Galoppiert war er heute allerdings noch nicht, auch wenn ich ihm das versprochen hatte. Morgen Nachmittag allerdings würde es dann soweit sein, sollte nicht schon wieder etwas dazwischen kommen.
    Mit den Paddockplänen war ich jetzt fertig, so dass nun eigentlich noch die Trainings- und Boxenpläne an der Reihe waren, aber dazu hatte ich absolut keine Lust, denn dass es mich heute morgen bei dieser einfachen Übung aus dem Sattel gehauen hatte und so viele das gesehen hatten, nagte an meinem Ego.
    Entschlossen klatschte ich mir auf die Oberschenkel, stand auf, nahm meinen Hut von der Fensterbank und ging nach draußen. Im Rausgehen schnappte ich mir meine Jacke vom Kleiderhaken hinter der Tür und marschierte in den Stall. In der Bewegung blieb ich plötzlich stehen. Cielos stand ja gar nicht hier im Stall, der war ja am Reitplatz. Wer hatte eben nochmal die Pläne überarbeitet? Ich mit Sicherheit nicht.
    Aus dem Stand machte ich also kehrt, stiefelte zum Reitplatz und fand den Wallach auf Anhieb im zweiten Paddock. Ich halfterte ihn auf, ging zum Stall, putzte und sattelte ihn, hängte ein Lasso an den Sattel und ging auf den Platz. Dort gurtete ich nach, ehe ich mich in den Sattel setzte.
    Nach ausgiebigem Aufwärmen testete ich ein paar Reiningmanöver an, wir waren ja nicht nur zum Spaß hier auf dem Platz. Nachdem er sich dort allerdings auch sehr gut anstellte, hielt ich ihn an und fing an, das Lasso vom Horn los zu machen und neben ihm zu schwingen. Gipsy blieb ruhig stehen, er kannte das ja schon. Eine Weile schwang ich das Lasso rechts und links neben ihm, ehe ich es über seinen Kopf hinweg nach vorne warf. Er spielte mit den Ohren, blieb allerdings ruhig stehen. Dann fing ich an, aus der Bewegung heraus zu werfen. Erst im Schritt, dann im Trab und schließlich auch im Galopp. Wir hatten gerade die Tonne aus dem Galopp gefangen und einen Sliding Stop hingelegt, da bemerkte ich Ylvi am Zaun. Wie lange sie wohl schon da stand?
    “Hast du meine Reitstunde vergessen?”, fragte sie mich sofort und ich schüttelte den Kopf, klopfte Gipsys Hals und löste das Lasso von der Tonne. “Ich darf Gipsy reiten?”, fragte mich Ylvi ungläubig.
    “Ich äh.. nein.. Geh dir Gangster (Gunners Styled Gangster) holen, ist hinten auf dem zweiten Paddock, neben HMJ Saintly.” Wieder sah sie mich ungläubig an.
    “Gangster? Bist du dir sicher?”
    “Wird Zeit, dass du mal was anspruchsvolles unter den Hintern bekommst”, antwortete ich ihr knapp und wickelte das Rope auf. “Wenn du fertig geputzt und gesattelt hast komm hier auf den Platz. Wenn du beim Satteln, besonders bei den Boots Probleme haben solltest, Laurence ist drüben im Stall beim Putzplatz.” Damit galoppierte ich wieder an und suchte mir eine andere Tonne auf dem Platz aus.

    Ylvi
    "Gangster, komm schon, das is doch jetzt nicht dein Ernst?" ich klopfte dem Pferd mittlerweile zum dritten Mal am Hinterbein herum. Keine Reaktion. Außer das er sich mit seinem vollen Gewicht auf dieses stellte. So ein Sturkopf! Also griff ich beherzt zwischen seine Sehnen, erschrocken schnellte das Bein mit einem Mal doch nach oben. So konnte ich den letzten Hinterhuf des Hengstes doch noch auskratzen.
    Schon das aus dem Paddock führen hatte sich als Abenteuerlich herausgestellt. Das machte mir wenig Hoffnung auf den Ausgang der Stunde. Etwas anspruchsvolles hatte Caeb gesagt. Hatte er damit aber STUR gemeint?
    Zumindest verlief das Satteln ohne weitere Probleme, nichtmal die Boots bereiteten mir Schwierigkeiten. Allerdings würden die Bügel wohl welche machen. Ich bekam sie nicht auf meine Länge. Ich begann also mit viel Gefummel die Fender abzufriemeln. "Ich glaube nicht, dass Caleb glücklich sein wird, wenn du ihm Equipment klaust." kommentierte Dells Stimme plötzlich hinter mir. Ich drehte mich um, zog einen Schmollmund. "Ich soll den doch Reiten. Aber ich krieg die Bügel nicht auf meine Länge! Wenn du mir kürzere besorgen würdest? Die von Inyans Sattel am besten."
    Dell ließ sich zum Glück nicht zweimal bitten, half mir das ganze Konstrukt wieder zusammen zu bauen. Schließlich war ich auf und davon.

    Ich hatte regelrechte schwitzige Hände, was nicht am Wetter direkt liegen konnte da ein stetiger Wind durch die Bäume säuselte. Es war der erste Unterricht seit Monaten. Natürlich hatte ich von Louis Lektionen auf Inyan und auch Ravn absolviert. Caleb hingegen war noch eine ganz andere Hausnummer. Als ich den Platz betrat, schien er das Training mit Gipsy beendet zu haben. Denn er saß nicht länger auf dem Wallach, sondern dieser war am Rande des Platzes angebunden. "Du bist reichlich spät."
    "Ich war Gezwungen die Fender zu Tauschen."
    "Ah ja, ich vergaß Stummelbeine."
    "Danke mach dich noch drüber lustig."
    "Na los, rauf mit dir."
    Ich stellte den Hengst neben mir auf. Warf die Zügel geordnet über das Horn, stellte den linken Fuß in meinen kurzen Bügel und schob mich in den Sattel. Gangster blieb seiner Ausbildung entsprechend völlig entspannt dabei stehen. "Good boy." lobte ich ihn mit meiner Stimme. Caleb begutachtete mich einen Moment skeptisch. Trat dann heran und klopfte auf mein Knie. "Raus aus den Bügeln." Ich legte den Fuß also ein ganzes Stück nach vorn, während Caleb geschäftig den Fender um zwei Löcher länger machte. Ich sah sein Gesicht nicht während er sprach, aber ich konnte das Lächeln hören. "Wir machen aus dir irgendwann auch noch ein Country Girl, Englisch Lady." Er ergriff meinen Fuß an der Wade, schob ihn in den Bügel zurück und half mir auch mit der anderen Seite. Ich fühlte mich gleich näher am Pferd, meine Füße waren lockerer. Ironischerweise, hätt ich wohl bei dieser Länge die anderen Fender behalten können.

    Caleb
    “Beim Westernreiten sind die Bügel immer viel länger, dachte das wüsstest du mittlerweile”, kommentierte ich das, was ich gerade tat und konnte Ylvi dabei beobachten, wie sie ihre Lippe vorschob. Das tat sie öfter, wenn ihr etwas nicht passte, sie aber dazu nichts weiter sagen wollte.
    Während ich Gangster (Gunners Styled Gangster) und Ylvi auf die ganze Bahn wegschickte, kam Dell an den Zaun und fragte mich ein paar Dinge wegen der Boxen. “Ist okay, die können heute Nacht draußen bleiben. Misten kannst du die Boxen also auch morgen noch.”
    “Oh das ist gut. Dann mach ich mich jetzt nämlich fertig. Ich hab Betsy versprochen mit ihr ins Kino zu fahren.”
    “Und jetzt wolltest du mich als buh- Mann hinstellen, wenn du noch hättest misten müssen? Ha, ich kann doch auch nichts dafür, dass du damit so langsam bist!” Ich sah ihn grinsend an, doch Dell schob die Lippe vor. Hatte er sich das etwa von Ylvi abgeschaut?
    “Nein, Caleb, ich äh…”
    “Ist schon gut. Habt einen schönen Abend ihr zwei.” Damit wandte ich mich wieder Ylvi zu, die irgendwie ihre Schwierigkeiten mit Gangster zu haben schien. “Ylvi was machst du da?”, fragte ich sie gerade heraus und sah ihre Versuche, ihn zum losgehen zu animieren.
    “Zuerst machst du die Beine dran. Feste. Nicht hochziehen, streck die Beine und mach die dran. Hand hoch, nicht annehmen, nur wenn er vorwärts geht. Dann nimmst du an und geh rückwärts, so weit wie er vor gegangen ist. Wenn der den Rücken nicht anspannt und den Kopf runter nimmt hau mal zu. Ylvi zuhauen!” Ich knirschte mit den Zähnen, ging auf die Beiden zu und nahm ohne Vorwarnung Ylvis Bein und haute es einmal mit Kraft gegen Gangsters Bauch. Dieser legte kurz die Ohren an, senkte aber nach einem abermaligen sehr festen Klopfen von Ylvi den Kopf. “Lockerlassen und losgehen. Wenn die Rübe hoch kommt, Beine ran und dann annehmen. Erst locker lassen wenn er nachgibt, kommt da nix, haust du zu… geh mal einfach ein paar Runden im Schritt und Reite ein paar Bahnfiguren, Trab kommt später.” Gangster war ein schlaues Kerlchen, er merkte sofort dass nicht ich es war, der da auf seinem Rücken saß und dass sein heutiger Reiter keine Sporen anhatte- Ylvi war heute zum ersten Mal auf dem Hengst und schien ein wenig unsicher. Zudem konnte der Schecke unglaublich stur sein. Mit dem Annehmen und Nachgeben hatte Ylvi für die nächsten Minuten genug zu tun.


    Ylvi
    Vorwärts, rückwärts. Ich war völlig verwirrt was Caleb jetzt eigentlich von mir wollte. Als er dann etwas energischer mit mir und dem Hengst sprach zuckte ich zusammen. Huh war ihm am Morgen eine Laus über die Leber gelaufen?
    Unsicher ließ ich den Hengst wieder antreten. Nutze die Pylonen um kleinere Volten zu reiten. Mit jedem Schritt machte ich mich vertrauter. Der Hengst schritt deutlich anders vorwärts. Er reagierte auf feinste Bewegungen meines Beckens. Jedes Mal wenn ich meine Oberschenkel anspannte, drehte Gangster mir ein Ohr zu. Deutlich auf Anweisungen wartend. Also probierte ich mich aus. Ließ ihn anhalten, ein zwei Schritte rückwärts und anschließend wieder vorwärts. Neben den Bahnfiguren fragte ich Gangster nach leichten lateralen Bewegungen um ihn über die Seitengänge zu gymnastizieren.

    Caleb
    Ich ließ Ylvi weitestgehend in Ruhe, solange sie keine Fehler machte. Sie war in ihrem Element, eins mit dem Pferd und schien die Außenwelt auszublenden. Gangster war ein anderes Kaliber. Nicht unbedingt feiner, aber sensibler und reagierte manchmal übertrieben auf die kleinsten Hilfen.
    Die Stunde verlief allerdings gut. Am Ende waren jedoch Ylvi als auch der Hengst klatschnass geschwitzt und schienen ziemlich fertig zu sein. Gipsy, den ich am Zaun angebunden hatte, freute sich darüber, dass ich mich wieder ihm zuwendete und ihn wieder mit zum Stall nahm. Dort sattelten wir beide Pferde ab, Gangster bekam eine Dusche und konnte noch ein wenig in der Sonne trocknen.
    “Ich glaube, den Muskelkater spür ich morgen noch”, sagte Ylvi scherzhaft. Ich nickte kurz, erwiderte ihr Lächeln, kümmerte mich dann jedoch um das Verstauen der Futtersäcke, die jemand hier in den Füßen hatte liegen lassen. War das nicht auch Dells Aufgabe gewesen? Ich zuckte innerlich mit den Schultern. Er hatte sich einen schönen Abend mit seiner Tochter verdient. Betsy kam oft zu kurz, bei dem was hier immer alles los war. Da wollte ich ihm deshalb am nächsten Tag keinen Rüffel versetzen.
    “Wenn Gangster trocken ist bring ihn auf seinen Paddock zurück”, wies ich Ylvi als nächstes an und verschwand mit Gipsy um die Ecke, um auch ihn zurück auf die Koppel zu bringen.
    In meinem Kopf ging ich die Liste durch, die ich heute noch zu erledigen hatte. Es war gar nicht mehr so schrecklich viel. Heu zu den Rindern fahren und auf der Ferienranch vorbeischauen. Vielleicht konnte ich mir da Bellamy oder sogar Octavia mitnehmen, letztere war begeistert von der kleinen Ranch, auch wenn sie bisher noch nicht oft da gewesen war.

    Am nächsten Tag wollte ich mich nochmal um die Verkaufspferde kümmern und diese noch einmal durchreiten. Nur weil sie zum Verkauf standen hieß das nicht, dass sie sich einfach nur die Bäuche vollschlagen sollten. Anfangen tat ich mit Chapter 24, General’s Coming Home und Chocolate Shades. Geplant war für den Vormittag kein weiteres Pferd, aber das Training dauerte nicht lange, so dass ich noch zwei weitere Pferde, Citizen Fang und Whinney unterbekam.
    Ich aß in aller Ruhe Mittag und war unglaublich froh, dass wir nun eine Haushaltshilfe besaßen, die sich darum kümmerte, so dass ich nach einer kurzen Mittagsruhe nicht erst noch aufräumen und spülen musste, sondern mich gleich wieder aufs Pferd setzen konnte. Neben Picture of a Ghost und Verdine brachte ich Kisshimbye und Sweet like Chocolate in die Führanlage, ehe ich mir Cruel Twist of Fate schnappte und den jungen Wallach noch reiten konnte.
    Gegen Nachmittag war noch Abadon all Hope an der Reihe. Die anderen Verkaufspferde hatte ich mir in den letzten Tagen schon vorgeknüpft.

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    (leider ein doofer Storycut aus… Gründen, man oh man, dann gehts halt anders weiter :3)

    Mitte August

    An einem späteren, extrem heißen Sommerabend, gegen 20 Uhr saß ich im Büro und starrte auf eine Verkaufsseite. Neben Heza Bat Man, auf den ich schon lange ein Auge geworfen hatte, standen nun auf einmal auch alle Pferde von Johanna Röder zum Verkauf. HMJ8345’s Continental, How ‘Bout Moonies, Blanton’s Gentleman, Four Bar Chocolate Becks und auch Chapman, aber sobald ich auf die Anzeige klickte, wurde er mir schon als verkauft angezeigt. Ich seufzte, griff sofort zum Hörer und telefonierte gut zwei Stunden mit Johanna.
    Nach unserem Telefonat stand alles fest: Conti blieb schon einmal direkt bei uns und in den nächsten Tagen würden die drei Hengste hier eintrudeln… außerdem, so informierte mich gerade meine neue E-Mail vom Pferdehandel van Heeringen, hatte ich auch den Zuschlag für das schicke Paint Horse, Heza Bat Man bekommen.
    Auf meinem Stuhl hüpfte ich einmal kurz auf und ab. Yes! Damit konnte ich meine Startpferde für die Juturity um ein wirklich gutes, neue Pferd erweitern. Wie er sich wohl im Training machen würde?

    Schon früh am nächsten Morgen war ich dabei, auf dem Hengstpaddock ein wenig für Ordnung zu sorgen. GRH’s Unbroken Soul of a Devil sowie Small Town Dude erfreuten sich des doch noch kühlen Wetters und ließen ein paar Luftsprünge ab, als ich sie mit der Schubkarre aus dem Weg schubste. Auch Zues stand in der Sonne und rupfte ein paar schmale Grashalme aus dem Boden. Als er mich sah hob er den Kopf und stoppte kurz in der Kaubewegung
    Bei den Stuten sah es da schon anders aus. Cup Cake stand zusammen mit California Rose und Frosty Lagoon im Unterstand, während GRH’s Unbroken Magic sich ausgiebig wälzte. “Du bist ein Schwein. Gar keine feine Dame wie zum Beispiel Stormborn”, schmollte ich und knipste schnell ein Foto des Oreopferdes, ehe mein Blick zu Kholáya, My sweet little Secret, Only Known in Texas, Snapper Little Lena und Tortured Witch HMJ 6693 glitt. Witch würde ich eventuell mit Conti zusammenstellen, so müssten sich die beiden Stuten vielleicht sogar noch kennen.

    Wenig später schaute ich bei Ginny my Love, GRH’s Aquila T Mistery und Lovin’ Out Loud vorbei. Ginny hatte ich samt Fohlen in der vergangenen Nacht reingeholt, da die Stute nicht so fit schien. Da sie heute Morgen allerdings wieder super aussah, verlud ich sie kurzerhand zusammen mit Aquila und Lol in den Hänger, um sie wieder zurück zur Stutenkoppel zu bringen. Ab Morgen würden wir damit beginnen, die Fohlen abzusetzen. Dazu würde ich alle Pferde wieder an den Hof holen und sie auf die Paddocks verteilen. Da sie so viel Gesellschaft hatten und sich auf der Koppel auch schon ziemlich weit von den Müttern entfernten, rechnete ich nicht mit einem großen Drama.
    Wieder am Hof angekommen sah ich Cayce mit Till Death auf dem Platz. Laurence saß auf Chocolate Dream und Bellamy stand am Rand, hielt GRH’s Bellas Dun Gotta Gun in der einen, Hollywoods Silver Dream in der anderen Hand fest. “Reitet einer von euch heute noch Nachtschwärmer mit?”, fragte ich in die Runde und hatte sofort die Aufmerksamkeit aller auf dem Platz auf mich gezogen. Cayce nickte.
    “Klar, kann ich machen. Sonst noch wen außer der Reihe?”
    “Nein, nur ihn. Ich helf Octavia gleich noch ein bisschen bei ihren Pferden. Die anderen sind für heute versorgt oder haben frei. Außerdem sollen gegen Abend die neuen Pferde kommen.”
    Cayce nickte und trieb Till wieder an. Der Hengst machte sich gut, geritten wurde er von jedem gerne und ich war wirklich froh, dass ich doch endlich die Chance bekommen hatte, ihn zu mir zu nehmen.
    Im Stalltrakt von Octavia angekommen staunte ich nicht schlecht, als dort eine kleine schwarz gescheckte Stute stand.
    “Das ist Breia LDS, kurz Nini. Ein Stutfohlen von Skrudur und Bree. Ist vor ein paar Tagen angekommen. Ich wollte dich fragen, ob ich sie zu den anderen Fohlen stellen kann, wenn du die morgen hier rüber zur Ranch holst.”
    Ich musste ja schon sagen… eigentlich bekam ich alles mit, was hier auf meinem Hof passierte. Wieso hatte ich das nicht mitbekommen?
    “Caleb du musst schon was sagen, schau mich nicht so geschockt an!”, meinte Octavia und sah nun etwas verunsichert zu mir herüber.
    “Ja.. ja klar. Ich hab nur gar nicht mitbekommen, dass du ein Pferd gekauft hast. Vor allem nicht so einen.. Mix.”
    “So ein Mix ist sie gar nicht. Der ist anerkannt als Zelter. Google das mal.”
    Ich schmunzelte. “Ja mach ich die Tage.. wobei brauchst du Hilfe?”
    Octavia drehte sich auf der Stelle herum und marschierte zum Ausgang des Stalles, kreuzte den Hof und ging auf ihre Paddocks zu. “Ich hätte gerne die Rennpferde wieder an der Rennbahn. Ich habe einen Jockey gefunden und bräuchte deine Hilfe beim Verladen.”
    Im Kopf ging ich die Pferde einmal durch, ehe ich nickte. “Wer so0ll denn alles mit?”
    “Drama Baby, Tigres Eye, Peacful Redemption und Wildfire xx. Culain kommt auch mit rüber, der wird jetzt angeritten und Tasmania hätte ich gerne als Track Pony dabei.”
    “Und was ist mit Pria?”
    “Priamos Ruffia Kincsem soll keine Rennen mehr laufen. Ich würde aus ihr eventuell nächstes Jahr noch ein Fohlen ziehen und ansonsten darf sie ihren Vorruhestand genießen, indem sie ein Geländepferdchen für mich wird. Mal schauen, was man aus ihr noch so rausholen kann.”
    Ich nickte, konnte sie bei ihrer Entscheidung voll verstehen. “Was hast du denn mit den anderen Pferden so vor?”, fragte ich dann und blickte zu ihr rüber, während wir schon die ersten Pferde mit zum Stall holten und zum Transport fertig machten.
    “Mit Magic Lanijos bin ich mir noch immer nicht so ganz sicher, auch nicht mit Ceara Isleen… Dakota ist ja Bellamy, der sollte sie nur mal öfter reiten. Mit Pocahontas habe ich ja erst kürzlich einen Springkurs gemacht. Die entwickelt sich super, braucht aber genügend Zeit zum Verarbeiten. Raspberry… klar. Dazu brauch ich nichts weiter zu sagen- und Absolute Bullet Proof muss ich auch mal wieder weiter trainieren… wo bleibt nur immer die verdammte Zeit?”
    Ich lachte, Octavia stimmte mit ein. Tja, wo blieb nur immer die verdammte Zeit?

    Wieder im Büro angekommen zückte ich mein Handy und wollte mir die neusten Pferdeanzeigen anschauen, rief dabei sogar eine Person für genauere Infos an.
    Lange konnte ich mich allerdings nicht am Telefon aufhalten, denn die Pferde von Johanna kamen gerade an.
    Ich seufzte, legte in aller Eile auf und sprang auf die Beine, um nach draußen zu gehen und die drei Pferde in Empfang zu nehmen; Conti war durch ihr Training ja sowieso schon bei uns. Ich freute mich, dass sie bleiben durfte und für ihr Leben nun ein Zuhause gefunden hatte, welches für immer das Ihre sein würde.
    Während Nic (How ‘Bout Moonies) irgendwie etwas zerpflückt aussah, stellten sich Four Bar Chocolate Becks und Blanton’s Gentleman, der schnell den Spitznamen Plankton bekam, als wirklich super gut gepflegte Pferde heraus. Was mit Nic passiert war würde ich in nächster Zeit noch in Erfahrung bringen.

    Am nächsten Morgen war es dann so weit. Die Fohlen würden abgesetzt werden. Dazu war ich mit fast allen meinen Mitarbeitern und den Trailern zur Weide gefahren, hatte alle Tiere aufgeladen und nun waren wir an der Ranch angekommen, ließen die Pferde aus den Trucks auf den Reitplatz, um sie dort zu sortieren. Die drei Jungpferde Dignity, Ace und Kat hatten wir ebenfalls mitgebracht, denn sie würden mit dazu kommen.
    Nachdem sich die Pferde nun etwas beruhigt hatten trennten wir die Stuten von den Fohlen und brachten die erwachsenen Tiere auf eine der hinteren Paddocks, die Fohlen und Jungpferde schließlich auf einen großen Paddock nahe des Hauses.
    Die erste Nacht war für alle ein wenig unruhig. Die Fohlen waren nicht gerade begeistert, dass sie nicht mehr so viel Platz und vor allem ihre Mamas nicht mehr um sich hatten, doch sie würden es schon überleben.
    Ein paar Tage später sah die Sache schon wieder anders aus. Die Fohlen hatten sich eingelebt und lernten alle nach und nach das Fohlen ABC. Erst wenn sie dieses wirklich aus dem FF beherrschten, würden sie wieder auf eine der großen Koppeln kommen, bis zum nächsten Jahr, wenn sie wieder genau hier mit den den Fohlen des nächsten Jahres landen würden.
    Aus dem Augenwinkel sah ich Laurence und Birk zusammen auf dem Platz. Er nahm seine Aufgabe wirklich genau und es freute ich, dass die beiden immer mehr zusammenwuchsen. Auch, wenn er nichts davon wusste, dass der Hengst bei uns bleiben würde.

    Etwa drei Wochen später war es so weit und einige Fohlen sollten den Weg in ein neues Zuhause finden. Dies war leichter gesagt als getan, denn es taten sich Probleme auf. Pamina, die eigentlich an Zion gehen sollte, konnte aufgrund der Reitsportaufgabe nicht mehr umziehen. Und auch General Pleasure hatte kein Glück, denn neben ihm, der jetzt bleiben musste, war ich auch gezwungen Bittersweet Temptation erneut aufzunehmen. Der mittlerweile Wallach sah fast aus wie unser neue Hengst Small Town Dude, was ihn jedoch nicht davor bewahrte, wieder zu uns zurückkommen zu müssen.
    Wer allerdings ein tolles neue Zuhause bekommen würde, zum Glück eine Person, die zu ihrem Wort stehen konnte und die keine plötzlichen Schicksalsschläge hatte erleiden müssen, war Tiara Evergreen. Zu ihr würden nicht nur Shark und Daisy umziehen, sondern auch Chapter, Picture of a Ghost und Kisshimbye. Letztere war schon einmal im Besitz ihrer Mutter gewesen, die keine schlechte Arbeit mit ihr geleistet hatte.
    Ob alle Entscheidungen, die ich in den letzten Tagen getroffen hatte die richtigen waren? Das würde sich zeigen.

    Tiaras Besuch auf Bow River
    November 2020, by Sosox3 & Veija
    Tiara | Der Flug war holprig gewesen und Caleb hatte mir heute Nacht um 4 noch mein Zimmer gezeigt, wo ich die nächste Zeit schlafen würde. Verschlafen rieb ich mir die Augen und stand so langsam auf. Zuhause wäre ich schon längst bei den Pferden gewesen und hätte mit den ersten schon in die Halle gemusst. Ich sah auf meine Uhr und richtete mich dann auf. Es blieb mir nicht aus mich zu strecken und steckte mir die Haare zu einem Dutt hoch. Ein Seufzen verließ meine Lippen und ich schritt aus der Tür raus. Der Weg zum Frühstücksraum gestaltete sich als ziemlich einfach und ich fand den Raum ziemlich schnell. Als ich jedoch die ganzen Jungs darin sah, stockte mir kurz der Atem. “Guten Morgen, Jungs”, versuchte ich mich locker zu machen und sah suchend nach Caleb.

    Cayce | Am frühen Morgen nach dem Aufstehen hatte ich bereits ein paar Pferden das Kraftfutter gegeben, sie auf die Koppeln und Paddocks gebracht und die Boxen gemistet. Ich wollte Caleb ein wenig Arbeit ersparen, da er heute Nacht erst um vier Uhr zurückgekommen war. So konnte er ruhigen Gewissens ausschlafen, was er jedoch vermutlich ohnehin getan hätte.
    Nach der Arbeit ging ich ins Haupthaus, in dem es schon wunderbar nach Waffeln roch. Die Haushaltshilfe machte eigentlich nie Waffeln, es sei denn wir hatten Besuch. Hatte ich etwas verpasst? Als ich ins Esszimmer ging, saßen dort die üblichen verdächtigen und stopften sich schon die Bäuche voll. Caleb fehlte natürlich. Auch der vermeintliche Gast, der jedoch wenig später den Raum betrat und uns grüßte. Mit gefüllten Backen sah ich auf und erwiderte ihren Gruß. Auch die anderen Jungs murmelten etwas, ehe wir uns alle kurz ansahen. Bevor die peinliche Stille jedoch unerträglich wurde, stand Octavia mit Bellamy in der Tür. “Tiara!”, sagten Beide fast gleichzeitig und umarmten sie kurz. “Schön, dass du es nochmal zu uns geschafft hast. Komm, setz dich… Travis mach Platz”, sagte Octavia und schlug Travis gegen den Arm, der murrend seinen Teller schnappte und Platz machte.

    Tiara | “Hey”, sagte ich zu O und Bellamy und wandte mich direkt zu den beiden. Ich schlängelte mich an den Jungs vorbei und nahm Octavia erst einmal in den Arm. Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen und sah dann zu dem blonden jungen Mann, der mir soeben Platz gemacht hatte. “Dankeschön, Trav….or?”, sagte ich vorsichtig. Ich hatte vorhin nicht richtig zugehört und mich nur auf den Ruf meines Namens konzentriert. “Erzähl mal, wie läuft’s mit den Mustangs? Quisqui sieht man ja ab und an auf einem Turnier. Wie macht sich Tweekay?”, O sprudelte nur so und ich konnte nachvollziehen, warum das der Fall war. Tweekay war mal in dem Besitz der beiden gewesen und ich hatte schon ein paar Fortschritte mit ihm gemacht, aber ans reiten war nicht zu denken. “Es läuft eher schleppend… Meine Eltern sind nicht mehr so begeistert und wollen mich nicht mehr so gerne auf dem Hof haben, aber Tweekay geht’s gut. Ihn kann man jetzt mittlerweile führen, ohne, dass er versucht einen dabei umzubringen.” Harte Arbeit und langer Weg aber meine Geduld hatte sich ausgezahlt.

    Cayce | Tiara also… von ihr hatte ich doch schon einmal gehört. “Travis”, korrigierte Trav Tiara, die ihn so eben noch Trevor genannt hatte- eigentlich auch ein ganz cooler Name. Während sie so mit Octavia redete aß ich weiter meine Waffeln und bedankte mich, als ich Nachschub bekam. Auch Tiara wurde ein Teller gereicht, so dass nun nur noch Caleb, Brian, Aimee, Dell und Betsy fehlten. Aber die würden vermutlich alle später frühstückten.
    Beim Mustangthema horchte ich auf, hörte aufmerksam zu. Kurz überlegte ich, ob ich Tweekay kannte, war mir da aber nicht so sicher.
    “Wieso wollen deine Eltern dich nicht mehr auf dem Hof haben?”, fragte O unseren Gast und alle Anwesenden am Tisch warteten gespannt auf ihre Antwort.

    Tiara | “Ist eine gar nicht so spektakuläre Geschichte. Wir haben ja einen Praktikanten da, ganz netter Junge, sehr bemüht und 3 Jahre älter als ich. Anfangs konnte ich ihn nicht gebrauchen, jetzt jedoch kümmert er sich gerade um meine Pferde. Ich hab mich in der letzten Zeit mehr auf mein Training und das Training meiner Pferde konzentriert und meine Eltern finden es nicht so gut, dass ich kein Geld ins Haus bringe und wollen jetzt entweder, dass ich mehr Aufträge annehme oder aber Boxenmiete für meine Pferde zahlen soll. Ich schau mich also jetzt nach was eigenem um. Und hole Alex dann als Unterstützung mit”, erklärte ich meine Situation. Ein wenig kindisch war das ganze schon … wie fast jede unserer Familiendiskussionen. Die Waffeln schmeckten echt lecker und ich hatte ziemlich schnell den Teller leer. Ich sah noch einmal zu meiner rechten und sah einen ziemlich genervten Travis neben mir, der nur noch die Augen rollte. “Das hab ich gesehen”, sagte ich zu ihm und sah ihn gespielt sauer an. O hatte ich ziemlich lieb gewonnen und wusste, dass sie Whiskey vor noch gar nicht allzulanger Zeit zu Brooke gegeben hatte. “Achja O, Whiskey ist jetzt gekört macht sich Prima, der kleine Psycho.”

    Cayce | Ich überlegte. War nicht vor kurzem eine Ranch hier in der Nähe zu verkaufen gewesen? “Hier in der Nähe ist eine kleine Ranch zu verkaufen.. ich weiß ja nicht, welche Ansprüche du hast, aber Caleb oder ich könnten mit dir bestimmt einmal rüberfahren und sie anschauen… falls Kanada für dich in Frage käme”, meinte ich schulterzuckend und stopfte mir den Rest meiner Waffel in den Mund. Nun war mein Teller auch leer. Tiara nickte, ehe sie sich an Travis wandte. Was sie mit ihm hatte, da wurde ich nicht schlau draus.
    “Oh Whiskey?! Das ist toll, das freut mich! Du musst dir unbedingt später meine Pferde anschauen… ich hab sogar einen Zeltermix, den hab ich mir irgendwie andrehen lassen. Was ich mit Nini soll, bin ich mir noch nicht sicher.. aber hübsch ist sie- und eine Tochter von Bree und Skrudur!” Tiara grinste, schien die beiden Eltern wohl zu kennen.
    Ich stand derweil auf, brachte meinen Teller in die Spülmaschine und nahm meinen Hut von der Anrichte. “Lass es mich wissen, wenn du dir die Ranch anschauen möchtest”, sagte ich zu, nickte ihr einmal zu und verließ dann den Raum.

    Tiara | Ich sah neugierig auf, als Cayce von der Ranch sprach. "Das… Das wäre super!" Vor meinem Inneren Auge hatte ich mir schon alles ausgemalt und ich grinste nun vor mich her. "Was ist denn ein Zelter?", fragte ich Octavia und sah sie fragend an. Ich kannte Traber und Isländer, aber ich wusste nicht, was ein Zelter ist. Ich verfolgte noch kurz unser Gespräch ehe ich mich zur Spülmaschine aufmachte und meinen Teller samt Besteck rein räumte. Das Anwesen war riesig und ich würde später nochmal die Zeit haben mir alles gut anzuschauen. Ich stolperte fast über meine eigenen Füße und das wäre jetzt echt das letzte was ich gebrauchen konnte. Wo steckte Caleb eigentlich, er könnte mir ruhig mal alles zeigen, wenn er mich schon mit zu sich auf den Hof nahm. Ich hoffte, mich hatte keiner gesehen, wie ich fast den Boden küsste und rappelte mich wieder auf.

    Caleb | “Ein Zelter…”, mischte ich mich ins Gespräch ein, welches ich eine Weile vom Flur aus belauscht hatte. “... ist ein Mix aus zwei Gangpferderassen. Den Sinn versteh ich zwar nicht, aber für manche macht das wohl Sinn.” Dabei streckte ich Octavia die Zunge heraus und bekam nicht mit, weshalb Os Blick an mir vorbeiflog, sie zunächst panisch schaute, dann aber in schallendes Gelächter ausbrach. Tiara warf ihr einen gemeinen Blick zu, ehe sich beide wieder normale ansahen. Weiber… “Willst du zu erst mit O ihre Pferde anschauen oder soll ich dir erst den Rest der Ranch, bis auf Os Pferde, zeigen?”

    Tiara | "Aaachso", sagte ich verwirrt zu Caleb. "Aber heey, da bist du ja! Zeig mir ruhig erst die Ranch und dann zeigt O mir ihre Pferde und dann sagst du mir wo ich mit anpacken kann", grinste ich ihn an. Warum waren Männer eigentlich immer so ernst? Fing ja heute schon gut an. Erst Travis und jetzt Caleb. Die scheinen alle keinen Spaß am Morgen zu haben. Ich philosophierte noch ein wenig ehe ich mich verabschiedete und mich hastig zu meinem Zimmer begab. Ich zog mich um, das was ich auch immer bei uns am Stall anhatte. Das konnte auch dreckig werden, obwohl es gut kombiniert war.

    Caleb | “Okay dann machen wir das so”, antwortete ich auf ihre Aussage und nahm mir aus dem Schrank einen extra großen Thermobecher, in den ich mir Kaffee füllte. Tiara verschwand, würde sich wohl umziehen gehen.
    Ich derweil setzte mich noch kurz an den Tisch, besprach mit Cayce und Laurence ein paar Dinge des heutigen Tages, stopfte mir eine Waffel in den Mund und sah Tiara mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ihre Outfits waren immer… top kombiniert. Sollte ich sie damit Ställe ausmisten lassen, damit die anderen was zu lachen hatten? Vielleicht in den nächsten Tagen.. heute wollte ich noch nett sein.
    Wir gingen also auf den Hof und steuerten sofort meinen roten Pick Up an. “Ich dachte, du wolltest mir den Hof zeigen?”, fragte mich Tiara unsicher, öffnete jedoch die Beifahrertür und setzte sich in den Truck.
    “Exakt, aber meinst du ich lauf alles ab?” Dann fuhr ich los. Zeigte ihr die beiden Reitplätze, die beiden Round Pens, die Halle, die Ställe, die Paddocks. Alles, was sie eh schon gesehen hatte, als sie mit Valhalla auf dem Reiningkurs gewesen war. Neu war allerdings, dass die Fohlen nun abgesetzt und in einer großen Gruppe hier am Hof standen. Dorthin fuhr ich als letztes- die Rinder und großen Weiden würde ich ihr ein andermal zeigen.
    “Hier stehen auch deine beiden Fohlen… oder waren die für deine Mutter?”

    Tiara | "Du hast so ein großes Anwesen… Ich bin neidisch!", sagte ich mit großen Augen und sah ihn an, als er mit mir die Ställe abfuhr. Er sah nur kurz rüber und konzentrierte sich dann weiter auf die Rundfahrt. Ich hatte das vorletzte Treffen nicht vergessen und war von seinem Können noch immer begeistert." Die Fohlen sind meiner Mutter… wobei ich mir es gerade anders überlege und ihr nur eins mitbringe." "Wie? Nur eins mitbringen?" Ich sah seinen Blick aus dem Augenwinkel und grinste nur. "Wir hatten einen Deal!" "Ich hab nie gesagt, dass ich das andere nicht nehme. Nur, dass ich es nicht ihr bringen werde."

    Caleb | “Und wen willst du für dich behalten? Stute oder Hengst, Daisy oder Shark?”, fragte ich sie doch bekam nicht sofort eine Antwort. Viel mehr war sie gerade damit beschäftigt, zu erst Daisy über die Nase zu streichen, dann Shark. Ich weiß gar nicht mehr wie die Rufnamen entstanden sind. Irgendwie war das bei Daisy einfach so passiert. BR Lovely Gun… Daisy… das passte einfach.
    Und Shark? Tja, Shark hatte in seiner Scheckung eine Flosse, die der eines Haies unglaublich ähnlich sah. Charakterlich strahlte er durch seinen Kampfgeist. Daisy glänzte durch ihren will to please und dem Menschen alles Recht zu machen. Wer war da wohl eher geeignet für Tiara?

    Tiara | "Shark. Er hat den Kampfgeist. Ich will meiner Mutter nicht so einen Brocken geben, wenn er mal groß ist. Der hat eine gute Zukunft vor sich." Caleb nickte. "Gute Entscheidung." "Und was steht jetzt an?" Ich war etwas Ungeduldig. Lag vielleicht auch daran, dass ich auf jemanden ein Auge geworfen hatte. Warum hatte ich auch so einen Faible für Typen die einen auf Hard to Get taten. Ich sah Shark noch einen Moment an und kraulte ihm dann den Rücken. Der kleine war schon gut gewachsen und ging mir nun bis über die Hüfte mit seinem Stockmaß. "Was macht Travis eigentlich hier bei dir auf dem Hof?"

    Caleb | “Ich würde Daisy sofort behalten. Aber verkauft ist verkauft”, sagte ich verlegen und fuhr mir einmal mit der linken Hand an den Hut.
    “Travis?”, fragte ich sie etwas ungläubig. “Der ist immer da, wo Octavia ist. Ich weiß nicht ob er ein Auge auf sie geworfen hat.. Murphy ist da ja auch noch im Rennen.” Ich lachte, sah wie sich ihre Miene kurz verzog. “Wir gehen gleich zu O und Trav, aber hast du die anderen Fohlen gesehen? Mir sind leider Käufer abgesprungen, ich hab noch einiges zum Verkauf… da hinten der Dunskin Appaloosa, BR Heart N’ Soul, von Hollywoods Silver Dream aus der Baby Doll Melody, tolles Kerlchen… oder Nima, die kleine Rappstute. Von Alan aus der Sue. Sollte eigentlich zu Juna oder Luna nach Österreich, daraus wurde dann aber nichts mehr… und General Pleasure, von General’s Coming Home aus der Crow sollte zu Zion, sie hat den Verkauf aber auch annuliert...und die blonde, die Bella so ähnlich sieht ist tatsächlich ihre Tochter. Papa ist Alan. Der helle mit den dunklen Beinen ist McDreamy, von Hollywoods Silver Dream und Heretic Anthem… vielleicht behalt ich den auch, wird mal ein guter Reiner durch den Papa… und Queen. Ziehfohlen von Heretic Anthem nachdem Face Down ja gestorben war… na, Interesse an einem für deine neue Ranch? Ich hab auch noch einige Pferde ab 3 Jahren aufwärts, die im Training sind.” Wieder lachte ich. Verkaufen? Das konnte ich… dabei fiel mir ein, dass die beiden Fohlen und auch die anderen Pferde für Tiaras Mutter noch gar nicht bezahlt waren.

    Tiara | "Ich hab leider mehr Interesse an den Mustangs, aber ich schau mal, was ich tun kann.”, murmelte ich. Ich sah über die Weide der Absetzer und schaute mir jedes vorgestellte Fohlen an. Sie waren alle toll, aus guten Linien, aber ich hatte momentan schon genug um die Ohren. “Caleb… ich habe gehört, dass hier in der Nähe eine Ranch verkauft wird. Weißt du ob da was dran ist?” Die Neugier hatte mich gepackt und ich sah den großen Blonden gespannt an. Es war schon wieder ziemlich frisch in dieser Septemberwoche und ich hätte mich deutlich wärmer anziehen sollen, jetzt fröstelte es mich und ich hatte die meiste Zeit Gänsehaut an den Oberarmen und zitterte ab und zu hörbar. Morgen wäre ich höchstwahrscheinlich krank und liege im Bett.

    Caleb | “Ja genau, hab das ganz kurz am Rande vor ein paar Tagen mitbekommen. Lass uns kurz zu O und Trav gehen, du ziehst dir was wärmeres an und dann fahren wir rüber. Der Besitzer, ein älterer Mann, ist eigentlich immer da. Er verkauft das Anwesen weil seine Kinder in die Stadt gezogen sind und seine Frau schon vor einer ganzen Weile gestorben ist. Da sieht es zwar aus wie Kraut und Rüben, weil da schon seit Jahren kein Vieh mehr gehalten wird, aber wenn du dir die Arbeit antun willst und dort aufräumst und alles auf Vordermann bringst, hast du eine tolle, kleine Ranch.”
    Ich wartete ihre Antwort kurz ab, ehe wir uns auf den Weg zum Stalltrakt machten, in dem die Pferde von Octavia standen. Travis, Murphy und auch O waren fleißig dabei, die Boxen zu misten. Die Pferde befanden sich schon fast alle draußen. “Caleb du kommst mir gerade Recht, können du und Tiara die restlichen Pferde rausbringen? Wildfire xx, Peacful Redemption, Tigres Eye und Birk?”
    Ich nickte. “Klar.”

    Tiara | “Viel Arbeit bedeutet niedrigerer Preis”, grinste ich. Mir war bewusst, wie viel Arbeit das werden konnte. So war es bei unserem jetzigen Stall ja auch gewesen. Dad hatte so viel Arbeit reingesteckt und Mom machte gerade alles kaputt. Brav wie ein Hund folgte ich Caleb in den Stalltrakt und sah mir im Vorbeigehen die Pferde an, die noch in den Boxen standen, bis wir bei den dreien angekommen waren. Ich sah zu Caleb, der sich die Halfter schnappte und mir gleich zwei davon entgegen streckte. “Und welche nehm ich jetzt?”, fragte ich ihn verwirrt. Das größere Halfter konnte nur dem Kaltblut gehören, aber das andere konnte ich nicht zuordnen. “Das ist von Peacful Redemption.” Ich versuchte die Stimme zu zuordnen und sah dem Blonden gleich ins Gesicht. “Danke.” Mein Gemurmel konnte man kaum verstehen und ich nahm mir erst Birk und dann Clyde.

    Caleb | Tiara konnte Clyde und Birk zusammen nach draußen führen, während ich mir als erstes Wildfire schnappte. Zusammen brachten wir die drei Hengste nach draußen, ehe wir nochmals in den Stall gingen und ich mir die schöne Rappstute Tigres Eye ans Halfter nahm. Sie kam raus zu den Stuten. Wieder im Stall angekommen unterhielten wir uns noch kurz mit O und Trav, ehe wir noch zu meinem kleinen Sorgenkind gingen. “Vom HMJ hast du was mitbekommen, oder?” Tiara nickte. “Das hier ist einer, HMJ Saintly. Hat sich schon gut gemacht- und dass das HMJ verlängert wurde kommt mir ungemein zu Gute. So habe ich noch mehr Zeit ihn auszubilden.”
    “Ein tolles Pferd, passt farblich zu deinen anderen.” Ich nickte. Farblich passte er wie die Faust aufs Auge.
    “Magst du dir noch was wärmeres anziehen, ehe wir rüber zur Ranch
    fahren?”

    Tiara | “Ja, bitte. Ist doch kühler hier, als ich dachte.” Caleb blieb heute ziemlich wortkarg. Ich bekam nur ein kurzes Nicken und schon stiegen wir ins Auto um rüber zum Haus zu fahren, wo ich mir schnell einen weißen, flauschigen Pullover schnappte, der mich dann garantiert warm halten sollte. Ich beeilte mich die Treppe runter, stolperte wieder fast und sah beim Aufrappeln in Cayce Augen. “So im Stress?” Sein Grinsen wurde breiter und ich richtete mich auf. “Ich will Caleb nicht warten lassen.” Mehr als ein Lachen vernahm ich nicht und ging zurück zum Auto. “Bist du soweit?” Ich nickte Hastig und schnallte mich an. Ein Ding, das ich aus Deutschland im Kopf hatte und immer wieder das Problem in anderen Ländern belächelt zu werden.

    Caleb | Ich startete den Truck und wie verließen über die lange Einfahrt meine Ranch. So ganz nebenan war das zum Verkauf stehende Anwesen nicht. Nach einer guten halben Stunde kamen wir dort an, fuhren durch das Eingangstor und auf den Hof vor dem Haupthaus. Schon von hier sahen wir, dass die Zäune repariert werden müssten, bevor jemals nochmal ein Pferd drauf dürfte. Das Gras stand hoch, die Bäume und Hecken wucherten ziemlich alles zu. Tiaras Blick wirkte zerknirscht, doch ich beschwichtigte sie sofort. “Wenn die Stallungen und das Haus intakt sind, ist das hier doch kein Problem. Ein paar Tage Arbeit und.. die Hecken sind weg, das Gras gemäht. Zäune kann man aufbauen.”
    Wirklich zufrieden schien sie damit nicht. Ich schätzte sie auch so ein, dass sie alles perfekt haben wollte. Das ging allerdings nicht, ohne Arbeit reinzustecken. Dafür war die Ranch günstig.
    Ich stieg aus und ging zur Haustür. Tiara folgte mir und lief fast in mich hinein, da ich wieder einen Schritt nach hinten gemacht hatte, um nicht mit der Nase an der Tür zu kleben. Sie allerdings hatte den Blick nach hinten gerichtet und dies gar nicht bemerkt. Ich räusperte mich kurz, sah dann aber jedoch zur geöffneten Haustür hoch, an der nun der alte, er war wirklich alt, Besitzer der Ranch stand. “Hallo ich bin Caleb, wir haben telefoniert. Das hier ist Tiara, sie interessiert sich für die Ranch.”
    “Caleb, schön sie kennen zu lernen- und sie natürlich auch, Tiara. Es freut mich, dass die Ranch eventuell in den Besitz eines bereits ansässigen geht.”
    Ich lächelte kurz. “Tiara kommt zwar nicht von hier, aber wie du bereits weißt, wohne ich drüben auf Bow River. Tiara hat mich schon ein paar Mal besucht und sich in unser schönes Land verliebt- deshalb will sie jetzt hier bleiben.”
    “Das ist schön. Ich hole mir noch gerade eine Jacke, dann können wir den Rundgang starten.”

    Tiara | Es schien wirklich viel Arbeit zu sein, die auf mich wartete. Noch war ich alleine, wenn ich die Ranch übernehmen sollte. Mit Alex hatte ich noch nicht gesprochen, ich wusste also auch noch nicht ob er mitkommen würde. Arbeiter hatte ich auch noch keine und auch sonst würde ich erstmal vor dem nichts stehen. Aber hey. Ich hätte dann nette Nachbarn. Als der ältere Herr sich seine Jacke übergezogen hatte, führte er uns ziemlich langsam, so wie es seine alten Knochen es noch schafften, zu den ersten Stallungen.
    Die Boxen waren in einem guten Zustand, das Holz war gepflegt, nicht marode. Die Wände müssten gestrichen werden, die Sattelkammer war in einem einwandfreien Zustand nur das Dach machte mir etwas sorgen. “Caleb, können wir gleich kurz reden?”, fragte ich ihn mit einem besorgten Blick. Caleb nickte, doch wir sahen uns noch die anderen Gebäude an, die in einer noch weniger Guten Verfassung waren. Die Aufteilung an sich gefiel mir jedoch ganz gut.
    “Ich weiß ja, dass hier viel arbeit reingesteckt werden muss, aber ich hab gehört, Dächer sind teuer. Also sie zu erneuern oder zu reparieren… In die Reithalle muss neuer Boden und der ganze Kleinkram hier muss auch noch gemacht werden”, ich hatte meine Bedenken geäußert und wartete nun auf seine Antwort. Wir standen ein wenig abseits und ich war froh, dass er mit dabei war, denn ich konnte zu schlecht so große Entscheidungen alleine treffen.

    Caleb | Während des Rundgangs erzählte der Mann immer wieder von der Zeit, als seine Frau noch lebte und die Ranch voller Pferde gewesen war. Allein durch seine Erzählungen entstand ein Bild vor meinem inneren Auge, wie schön es einmal hier gewesen sein muss.
    Nach der Führung nahm mich Tiara beiseite, erklärte mir ihre Bedenken. Ich überlegte kurz. “Ich kann von Bow River vielleicht etwas Geld übrig machen, zumindest um das Dach schon einmal zu reparieren und den Sand in der Hall auszutauschen… dann könntest du Kundenpferde trainieren, das bringt Geld ein- und dann Stück für Stück umbauen und ausbauen und wenn alles läuft, kannst du mir das Geld zurückzahlen- oder hilfst eben bei mir mit, wenn ich Hilfe brauche… es ist viel Arbeit, ja. Es ist viel Geld, ja. Wenn du das hier willst helfe ich dir gerne, aber sei dir von vornherein sicher, dass du dann auch hier bleibst und nicht im Endeffekt alles umsonst war.”

    Tiara | Ich sah ihn mit großen Augen an. Das war ein großes Entgegenkommen seinerseits. “Caleb… das ist verdammt viel Geld...Ich muss eine Nacht drüber schlafen und mit Alex reden, ob er mitkommen würde. Ansonsten muss ich gucken wo ich Arbeiter her bekomme, aber auch die muss ich dann bezahlen. Ich denk drüber nach, denn der Hof ist schön und hat alles was ich brauche…” Ich wollte einerseits nichts überstürzen, aber auch nicht direkt dicht machen. Ich musste dem ganzen hier eine Chance geben. Mit meiner Mutter wurde ich wohl nicht mehr warm und zu Dad hatte ich gerade gar keinen Kontakt mehr, weil meine Mutter es nicht wollte. Zwei Sturköpfe, die nicht einsahen, dass beide was falsch gemacht hatten.
    Wir gingen wieder zu den alten Mann und ich sagte ihm, dass ich mich morgen früh gleich melden würde. Er nickte, wir verabschiedeten uns und wir setzten uns wieder in den Truck. “Caleb? Darf ich dich was fragen?” “Ja? Was denn?” “Warum bist du so großzügig zu mir? Die zwei Wochen ‘Praktikum’, das Vorzeigen der Ranch….”

    Caleb | Ich nickte, als sie ihre weiteren Bedenken äußerte. Wenig später saßen wir wieder im Truck, ich startete den Motor und wir verließen die Ranch. Erst dann antwortete ich auf ihre Frage: “Na ich will Valhalla in der Nähe haben. Was ein tolles, aber schwieriges Pferd.”
    “Haha, witzig.” Wir lachten beide kurz.
    “Aber warum nicht? Das Geld ist ja auch nicht geschenkt, das bezahlst du mir schön zurück… aber ich habe so eine große, gut laufende Ranch. Warum dann nicht kleinere Höfe unterstützen?”
    “Ja okay du hast Recht.” Damit verlief die Rückfahrt zur Bow River weitesgehend schweigend. Wieder dort angekommen kam mir schon Cayce entgegen und ich ahnte nichts Gutes. “HMJ Saintly ist schon wieder auf der anderen Koppel. Er hat das Zwischenpanel aufgemacht, wollte ihn gerade wieder einfangen gehen.”
    “Lass nur ist gut, mach ich selbst”, antwortete ich ihm, streckte die Hand aus und er gab mir Halfter und Strick. “Der gute Saintly, immer für eine Überraschung gut.”
    Mit Tiara im Schlepptau gingen wir zur Koppel, betraten das Stück, auf dem der Hengst zusammen mit Alan und Blue stand. Auf der Seite, auf die er eigentlich gehörte standen Shorty und Gipsy, die brav grasten und dem offenen Tor keine Beachtung schenkten.
    Der braune Scheckhengst ließ sich anstandslos einfangen. Tiara beschäftigte Blue und Alan während ich ihn zurückbrachte und das Tor wieder schloss. Cayce war schon mit einer Kette herbeigeeilt, wie wir einmal um Tor und Pfosten befestigten. “Jetzt kommt er nicht mehr hier raus.”
    “Aber wie ruhige die anderen zwei Hengste geblieben sind”, sagte Tiara erstaunt, die nun auch wieder zu uns aufgeschlossen hatte und nun Shortys Hals streichelte.
    “Wären es Gangster oder Hollywood gewesen, zu denen er ausgebrochen wäre, hätten wir jetzt alle Pferde in die Klinik fahren können. Nicht alle Hengste sind so umgänglich wie diese beiden.”

    Tiara | “Ich kenn das, Tweekay kann ich auch nicht mit dem Tigerschecken auf die Weide lassen. Die bringen sich um, auch wenn Quisquilloso normalerweise sehr ruhig und kommt mit anderen Hengsten klar, nur nicht mit Tweety. Was ich aber eigentlich sagen wollte: Was ist wenn Saintly mit Alan und Blue besser klar kommt als mit Shorty und Gipsy. Also vielleicht ist es nur Augenscheinlich so, dass Shorty, Gipsy und er besser passen als er mit Alan und Blue. Immerhin standen die beiden immer noch grasend auf der anderen Weide und haben sich nicht mal darum geschert, dass ein Herdenmitglied weg ist”, wandt ich ein und sah die beiden Jungs an. Ich hörte ein Seufzen von Caleb und Cayce hatte nur aufmerksam zugehört. Ich spürte eine Vibration in meiner rechten Jackentasche und sah auf mein Handy. Alex rief an. Er wollte jetzt sicher nicht wissen wie es mir geht. “Ich muss kurz rangehen”, sagte ich und ging ein paar Schritte zur Seite. “Hey Alex, was gibts?” - “Wir haben den Tierarzt hier, Chaa ist beim Toben auf der Weide gestürzt und hat nun einen Ast im Brustkorb, er muss geröngt und in die Klinik gebracht werden. Ich wollte dir nur sagen, dass ich mich um ihn kümmern werde, wenn das okey ist?” Seine Stimme brach am Ende a. Er war aufgeregt, genauso aufgeregt wie ich eigentlich auch sein sollte. Schließlich war er mein Nachwuchspferd und ich hatte ihn ziemlich lieb gewonnen. “Bring ihn in die Klinik und mach alles, was sie verlangen. Ich lass dir Geld zu kommen und halte mich auf dem Laufenden…. Alex, danke, dass du da bist.” Dann legte ich auf und ging ziemlich ruhig wieder zu den beiden hin und konnte einfach nichts sagen. Der Schock war noch zu frisch, zu tief.

    Caleb | “Da magst du Recht haben. Ich habe Saintly bisher einfach zu Shorty und Gipsy gestellt, weil es gepasst hat. Es findet eh bald nochmal eine Umstellung der Pferde statt, also nach dem Winter wird neu aufgeteilt.”
    Während Tiara telefonieren ging unterhielt ich mich mit Cayce über das abendliche Training, dem ich auch noch beiwohnen müsste. Drei Pferde standen heute noch auf meinem Trainingsplan. Wir verließen die Koppel und warteten auf Tiara, die ziemlich… verändert wirkte. “Tiara alles ok?”, fragte Cayce sie, doch sie reagierte nicht. Worum ging es wohl bei dem Telefonat?
    “Tiara?”, fragte ich sie nun und langsam schien sie wieder zurück in die Gegenwart zu finden.
    “Chaa, mein Nachwuchspferd muss in die Klinik, sieht übel aus.”
    Cayce als auch ich zogen scharf die Luft ein. “Ich kann dir einen Flug nach Hause buchen”, meinte ich zu ihr und legte ihr meine Hand auf die Schulter.

    Tiara | “Nein.. Alex kümmert sich drum, er fährt ihn in die Klinik und die sollen ihn flicken. Das haben sie damals bei meinem ersten Pferd auch geschafft. Und der hatte einen deutlich schwereren Unfall gehabt. Alex schafft das.” Ich merkte wie ich hektisch wurde und wie ein Wasserfall die Worte aus meinem Mund fielen. Ich sah kurz auf Calebs Hand, die er mir auf die Schulter gelegt hatte und spürte wie in meinen Augen sich die Tränen sammelten. Ich wollte jetzt nicht heulen. “Was steht heute noch an?”, versuchte ich verschluchzt das Thema zu wechseln.

    Caleb | “Okay dann wir das Pferd in guten Händen sein, mach dir nicht zu viele Sorgen”, versuchte ich sie zu beruhigen. Ich konnte mir vorstellen, wie schlimm das sein musste, so weit weg von seinen Pferden zu sein und dann solch eine Nachricht zu bekommen. Tatenlos in einem anderen Land zu sein, ohne etwas ausrichten zu können.
    Ich räusperte mich, nahm meine Hand wieder von ihrer Schulter und sah zu Cayce. Dieser schüttelte kurz den Kopf. Auf ein Pferd lassen würde ich sie heute bestimmt nicht mehr. “Cayce fährt gleich zu den Rindern raus und verteilt ein wenig Kraftfutter an die Mutterkühe, da kannst du gerne mit… ich trainiere noch drei Pferde aber… sei mir nicht böse, aber reiten lassen will ich dich jetzt eher nicht.”

    Tiara | “Ne, das ist auch besser…”, stimmte ich ihm zu und sah ihn an. Er hatte Recht. So würde ich auch niemanden aufs Pferd lassen. Ich hängte mich an Cayce an und schwieg die meiste Zeit im Auto während ich aus dem Fenster in die Landschaft schaute. “Cayce? Wofür habt ihr die vielen Rinder? Ich mein, ihr seid doch eher in der Reining unterwegs oder nicht?”, sammelte ich mich und sah wieder nach vorne auf die Straße. Andererseits konnte ich mir die Gründe auch zusammendenken. Irgendwie musste ich mich ja auf andere Gedanken bringen.

    Cayce | Ich fing schallend an zu lachen. “Warum wir die ganzen Rinder haben? Caleb wollte die haben- der Verkauf und die Schlachtung bringt Geld. Mehr ist es nicht… außer, dass die eine Unmenge an zusätzlicher Arbeit verlangen.”
    Auf der Weide waren wir schnell fertig. Alle Tiere sahen gut aus, jedes Tier kam nach vorne zum Fressen. Tiara streichelte sogar einer der Mutterkühe über den weichen Kopf. Die Tiere schoben immer mehr Winterfell und waren nun mehr als flauschig. “Warte noch einen Monat dann ist das Fell doppelt so lang.”
    “Doppelt so lang?” Tiara schien geschockt.
    “Klar, hier wirds im Winter kalt. Die müssen ordentlich Fell schieben, werden ja nicht eingedeckt wie die Pferde.”
    Wir standen noch eine Weile am Zaun und beobachteten die Kühe, ehe wir die leeren Eimer wieder auf die Ladefläche des Trucks legten, einstiegen und den Rückweg antraten.
    “Das Essen müsste gleich auch fertig sein, bin gespannt was die Liebe Dolly uns wieder gekocht hat.”

    Tiara | Rinder waren schon süß. Essen, das war es, dass meine Laune jetzt anheben konnte. “Sind dann auch wieder alle von heute morgen dabei?”, fragte ich mit großer Neugierde. Vielleicht auch mit einer kleinen Hoffnung auf den Hübschen, mürrischen Blonden wiederzusehen. “Ich geh doch stark davon aus.” Cayce lächelte und ich grinste nur. “Dolly macht aber echt gute Waffeln”, sagte ich ehe wir auch schon am Haus ankamen, das Auto abstellten und uns auf dem Weg rein noch unterhielten.
    In dem Raum von heute morgen angekommen, waren schon fast alle da, zumindest so wie ich es in Erinnerung hatte. Nur einer fehlte mal wieder, wie am Morgen auch schon. “Cayce, hältst du uns noch einen Platz frei, ich geh mal den Chef rufen”, noch ehe er was sagen konnte, hatte ich auf dem Absatz kehrt gemacht und war auf dem Weg in die Reithalle. Zu Fuß war vielleicht eine Blöde Idee aber ich kam gut voran.
    In der Reithalle angekommen erblickte ich Caleb beim Abreiten von Cody und ich sah ihm kurze Zeit gebannt zu. “CALEB!”, rief ich durch die Halle, denn er hatte mich noch nicht sehen können. “ESSEN IST FERTIG! DIE WARTEN SCHON!” Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich versucht, ihn nicht zu erschrecken.

    Caleb | Neben Izzie und Vulture, die beide ihren Job wirklich gut gemacht hatten, war ich schon seit einer halben Stunde mit Cody auf dem Platz. Ich war wirklich froh, dass der junge Hengst endlich seinen Weg in meine Zucht gefunden hatte. Ihm standen einige Türen offen und nach dem Winter wollte ich ihn und auch ein paar der anderen Jungpferde auf kleineren Turnieren starten.
    Ich war gerade dabei, den Hengst abzureiten, als mich eine Stimme unsanft zusammenschrecken ließ. Cody, der noch lange keine Nerven aus Stahl hatte, hüpfte durch mein Zusammenzucken mit einem Satz nach vorne. “Whoaaaa”, bremste ich ihn ab, nahm ihn rechts extrem auf und rollte ihn ein, damit er keine Chance mehr hatte, nach vorne weiter davon zu laufen. “Bist du des Wahnsinns, ihr kennt alle die Jungpferde und wisst dass ihr da nicht so rumbrüllen….”, fing ich an zu fluchen, ehe ich Tiara am Zaun stehen sah. Zerknirscht ritt ich auf sie zu. Sah, dass ihr meine Predigt ein wenig dick getan hatte. “Sorry, hab dich nicht direkt an der Stimme erkannt… sei froh dass du nicht hier arbeitest, denn dann hättest du die Standpauke- und glaub mir, da wär noch was danach gekommen, wirklich verdient.”

    Tiara | “Die hätte ich wohl auch verdient, hehe”, sagte ich kleinlaut und widerholte nochmal mein Anliegen. “Das Essen ist fertig…” “Ja, ich bring den gleich weg”, murrte er wieder. Okey… blond und mürrisch waren wohl mein Typ…. wenn ich mir das recht überlegte, stimmte das sogar. Alle meine Exfreunde waren blond und doch ziemlich abweisend gewesen, zum Anfang immerhin. “Okey, ich nerv dich dann noch weiter”, flüsterte ich beinahe und schaute ihm noch ein bisschen zu.
    Der Roan war ein verdammt hübsches Pferd und hatte eine tolle Abstammung. “Wo hast du Cody eigentlich her?”, fragte ich ihn neugierig. Caleb hatte immer ein gutes Händchen für gute Pferde, er müsste mal mit mir auf eine der Auktionen gehen. Vielleicht hatte ich da mal Glück.

    Caleb | Ich ritt den Hengst noch ein paar Runden im Schritt trocken, ehe ich gemeinsam mit Tiara zum Stall ging. Dort beantwortete ich auch ihre Frage. “Leider Gottes aus einer Tierschutzaktion. Der Hengst ist nicht zum ersten Mal beschlagnahmt worden- nur dieses Mal hab ich ihn da raus bekommen. Hatte ihn vorher schon ein paar Mal kaufen wollen, auch für viel Geld, meine Angebote wurden aber immer ausgeschlagen. Auch als er zum ersten Mal beim Tierschutz stand, hab ich ihn nicht rausbekommen… beim zweiten Mal wurde ich sofort angerufen und hab ihn- für mehr Geld als nötig, dort herausgekauft. Im wahrsten Sinne des Wortes war der Hengst schweineteuer. Aber seine Mutter ist ein unglaublich gutes Pferd, hab davon glaube ich noch zwei Enkel und ein oder zwei Urenkel hier im Stall stehen… von den guten Linien kann man nie genug haben.”
    “Da hast du Recht”, lachte Tiara. “Meinst du, du könntest mal mit auf eine Auktion kommen? Vielleicht sogar von den BLM Mustangs? Da geht es aber weniger um Abstammung sondern mehr um das Exterieur. Du scheinst aber auch dafür ein gutes Händchen zu haben.”
    “Klar, kann ich machen. Auch wenn ich mich mit Mustangs nicht so gut auskenne, aber äußerlich sind sie den meisten Quarter recht ähnlich.”
    Mit diesen Worten packte er Cody in eine der Abschwitzdecken mit seinem drauf gestickten Namen, stellte ihn in eine der Boxen und gab ihm seine Portion Kraftfutter. Die anderen Boxen waren bereits mit Pferden gefüllt, die alle zufrieden ihr Heu mümmelten.
    Gemeinsam gingen die Beiden nach drinnen, setzten sich auf die freien Plätze und langten beim Essen kräftig zu. Dolly hatte Burger gemacht. Zwar nur aus der Pfanne und nicht vom Grill, aber lecker waren sie allemal.
    Auch Travis langte kräftig zu, warf Tiara aber immer wieder einen Seitenblick zu.

    Tiara | Es hatte mich fröhlich gestimmt, dass er mich einmal begleiten würde auf eine der Auktionen. Immerhin hielt ich viel von seiner Meinung, schließlich war er auch mein Trainer. Nachdem er den Junghengst weggepackt hatte, setzten wir uns an den Tisch und als ich in diesen selbstgemachten, frischen Burger biss, war es ein Orchester der Geschmacksnerven, das mich packte. “Der Burger schmeckt so gut”, ich konnte es mir nicht verkneifen mit vollem Mund meine Begeisterung kund zu tun. Caleb hielt sich nur die Hand vor das Gesicht und O fing an zu lachen. “Dafür, dass du so aussiehst wie du aussiehst, bist du trotzdem ein Bauer!”, schmunzelte Caleb und ich boxte ihm gespielt auf den Oberarm. “Du Arsch.” Nun musste ich auch kurz lachen und ich schmierte mir mit der Serviette gespielt vornehm das Fett, dass mir am Mundwinkel runter lief ab. Hin und wieder vernahm ich den Blick von Travis, so sehr ich auch wollte, konnte ich ihm gerade keine Aufmerksamkeit schenken. Das würde sowieso nach hinten losgehen. Wenigstens war ich gerade glücklich und lachte trotz der schlechten Nachricht. “My Lord, man reiche mir eine Serviette”, befahl ich Cayce spielerisch und mit einem Lachen gleich im Anschluss.

    Caleb | Cayce stand auf, nahm eine der Servietten, ging um den Tisch herum und kniete vor Tiara nieder. “Habt ihr heute alle Lack gesoffen?”, fragte ich kopfschüttelnd in die Runde, beteiligte mich aber am großen Gelächter und war froh, dass Tiara für eine Sekunde nicht an ihr krankes Pferd denken musste. Sie würde Alex bestimmt später noch einmal anrufen und ich drückte alle Daumen, dass es dem Pferd gut ging.
    Nach dem deftigen Burger verwöhnte uns Dolly noch mit einem selbstgemachten Eis. “Glaub mir, das gibts wirklich nur zu besonderen Anlässen oder bei gern gesehenen Gästen”, lachte ich und gab Tiara noch eine Kugel Eis. Sie war meines Erachtens eh zu dünn… und der Genuss von Eis stimmte grundsätzlich glücklich- aaalssooo.
    “Ich mach gleich noch die Abendrunde, Travis ist heute mit dran. Willst du uns begleiten oder hier drinnen vorm warmen Kamin bleiben?”

    Tiara | Das Eis schmeckte vorzüglich und ich gönnte mir noch einen Nachschlag. “Eigentlich wäre es mir zu kalt und ich würde liebend gerne am Kamin sitzen, aber ich denke ich komm mit. Ich bin ja zum arbeiten hier”, grinste ich und sah zu Travis.
    Ich hoffte, dass es für ihn okey war, das war auch der Grund, weshalb ich ihn ansah. Der Blonde zuckte nur mit den Schultern. “Alles klar, dann kommst du mit”, beschloss Caleb dann und ich brachte mein Geschirr zu Dolly. “Danke, es hat echt gut geschmeckt”, bedankte ich mich herzlich und gab Caleb kurz zu verstehen, dass ich mir schnell eine Jacke holen würde, ich würde dann an den Truck kommen.

    Caleb | Travis und ich gingen bereits zum Truck und unterhielten uns darüber, was die nächsten Tage anstand. O würde morgen mit ihm in aller herrgottsfrühe zur Rennbahn fahren, um ihre Pferde laufen zu sehen. Sie setzte sich schon eine ganze Weile nicht mehr selbst drauf, dafür hatte sie drüben Angestellte. Die jungen, unerfahrenen Jockey und Jockettes kosteten kaum etwas, konnten die Pferde aber locker trainieren. Bald würden sie sowieso in die Winterpause gehen.
    Tiara kam in dicker Jacke zu uns. “Trav geht zu den Fohlen und Jungpferden auf die Paddocks, ich geh einmal durch die Ställe, wo willst du mit?”
    Ob sie sich am Anfang bewusst gewesen war, dass sie nur mit einem mitgehen konnte?

    Tiara | Da ich bei den Fohlen auch mein eigenes hatte, wollte ich natürlich zu Sharky. “Ich denke, ich geh mit Trav, dann seh ich Shark wieder”, grinste ich und hielt mich an Travis. “Okey, dann mal los.” “Wie kamst du eigentlich zu dem Praktikum?” Ich hätte nie gedacht, dass er so das schweigen brechen würde, aber gut. Die Sache zwischen Caleb und mir, die verschwieg ich. Das war unser Deal, das durfte keiner wissen. “Er war bei uns zum Training mit Valhalla und da sie so ein typisches Weibsbild ist und sie es liebt mir das Leben schwer zu machen, sollte ich hier noch ein bisschen mehr Erfahrung sammeln.” Ich machte eine kurze Pause. “Und bald bin ich wohl öfter hier in der Nähe, wenn alles klappt.” “Wegen der Ranch?” Ich stockte kurz. “Woher weißt du das?” War er in der Nähe gewesen als wir darüber geredet hatten?

    Travis | “Ach stimmt, von Valhalla hab ich ihn… fluchen gehört. Aber die scheint sich ja dann gut gemacht zu haben wenn du jetzt hier zum Training bist und nicht mehr zum Korrekturreiten oder sowas.”
    Wir gingen beide weiter, ehe ich kurz auflachen musste. “Na von Caleb, von wem denn sonst?” Tiara fühlte sich ertappt. Natürlich von Caleb. “Und was hälst du davon?”, fragte sie mich geradeheraus doch bekam nur ein Schulterzucken. “Ein bisschen weibliche Gesellschaft tut Caleb gut- und auch Octavia, ihr scheint euch ja zu verstehen. Hier gibt es nicht so viele Frauen, O muss sich ständig gegen uns Kerle behaupten.”
    Tiara lachte. Sie waren nun an den Paddocks angekommen und betraten das große Offenstallzelt, in dem einige der Fohlen schon schliefen. “Eins… zwei… [...] sieben, acht [...] alle da.”
    Dasselbe machten wir auch noch beim anderen Paddock, ehe wir zu Caleb aufschlossen, der gerade den Zuchtstall fertig kontrolliert hatte. “Ab auf die Couch und den Abends ausklingen lassen!”

    Tiara | Ich musterte ihn. Ein bisschen weibliche Gesellschaft tut Caleb gut … Es hallte weiter in meinem Kopf. Was meinte Travis damit? “Ist Ylvi nicht mehr da?”, fragte ich ihn verwirrt durch seine Aussage. “Doch doch.” Ich summte nur ein hmm und sah dann in die Dämmerung und entdeckte Shark auf Anhieb. “Also ich könnte noch was starten”, lächelte ich die beiden an.
    Ich war noch nicht müde, ich hatte heute nicht viel gemacht umso mehr wollte ich jetzt noch unternehmen. “Sicher Tiara? Du wolltest doch noch Alex anrufen”, wandt Caleb ein. “Stimmt… “, sagte ich und sah auf mein Handy. In Deutschland wären es jetzt 4:13. “Ja, ne ich glaub, das muss ich morgen früh machen. Alex hört sein Handy eh nicht, wenn er schläft.” “Ja gut, ist ein bisschen früh, dann mach das morgen früh”, sagte Caleb dann. “Ist auch besser, wobei er mir schreibt, wenn Chaa es überstanden hat, aber bisher kam nichts”, ich zuckte mit den Schultern.

    Travis | Ich überlegte kurz. “Zwischen aufs Sofa werfen und fern schauen und noch was starten ist aber ein riesengroßer Unterschied.”
    “Ja ich mein halt noch was machen, wie sich nur ins Bett zu legen und zu schlafen.”
    “Okay okay, Caleb alle bei dir?”
    “Jo, alle bei mir.”
    Damit gingen wir in Richtung des Haupthauses. “Ich zieh mich noch grad um dann komm ich rüber zu euch”, sagte ich zu den beiden und verschwand zu meinem Bungalow, in dem ich mich schnell umzog und dann im Wohnzimmer wieder zu den beiden aufschloss.
    Caleb hatte sich auch ein anderes Hemd angezogen, Tiara sah ebenfalls anders aus, aufreizender, was ich nach einem Seitenblick in ihre Richtung mitbekam. Bevor sie meinen Blick bemerkte, schaute ich zur Seite und warf mich auf die Couch, auf die sich dann auch Tiara setzte. Caleb saß zu unserer Rechten auf dem Sessel und nippte an seinem Bier.

    Tiara | Ich hatte mir obenrum nur ein kurzes schwarzes Top und die passende beige Sweatjacke angezogen, dazu trug ich noch eine beige Jogginghose, die etwas weiter ausfiel, da ich sie in der Herrenabteilung gefunden hatte. ‘Angel’ stand auf dem kleinen Aufnäher, wo ursprünglich mal das Nike-Zeichen beheimatet war. Ich musste schmunzeln, wenn man mich fragen würde ob ich wirklich so ein Engel sei. Caleb wusste bereits, dass ich auch anders sein konnte und nachdem ich seit kurzen auch gepierct war, war es immer mal wieder ein kleines Rätsel, welche Unterwäsche ich am besten trug, um sie in meiner Situation als Trainer in den kleineren Klassen nicht durch mein Hemd durchscheinen zu lassen.
    “Danke Caleb, dass du auch mir ein Bier angeboten hast”, sagte ich gespielt enttäuscht und rieb mir eine imaginäre Träne vom Auge. “Ich dachte eher du willst irgendein Tussigetränk”, grinste er mich verschmitzt an und gab mir eine Flasche rüber. “Dass ich nicht ganz so sehr Tussi bin, das solltest DU ja wohl wissen”, sagte ich und zog eine Augenbraue hoch ehe ich meine Flasche öffnete und auch einen Schluck nahm. “Was ist mir dir Travis? Trinkst du nichts?”

    Travis | “Was soll das denn heißen? Dass gerade Caleb weiß, dass du nicht so eine Tussi bist?”, lachte ich, stand auf und ging einmal um den Tisch herum, um mir auch ein Bier zu schnappen. Caleb hatte sie ans andere Ende, also vor seine eigene Nase gestellt. Gut für ihn, aber alle anderen mussten aufstehen, um eins zu bekommen. Tiara hatte er zwar eins rüber gereicht, mir aber nicht.
    Auf meine Frage bekam ich weder von Tiara, noch von Caleb eine Antwort, weshalb ich mich mit dem Schweigen zufrieden gab und mich stattdessen mit einer anderen Frage an unseren Gast richtete: “Wie lange willst du eigentlich bleiben? Und hast du die Ranch drüben gekauft?”

    Tiara | Das war knapp gewesen. “Eigentlich zwei Wochen, aber ich denke ich nehm die Ranch, auch wenn es viel Arbeit ist.” “Das ist viel Arbeit, das kann ich dir sagen.” “Ach Caleb, ich schaff das schon, wenn Alex da ist, kann er mir erstmal helfen die Paddocks frei zu schneiden. Dann können wir die Pferde schon mal rüber holen und uns um die Boxen kümmern. Das Haus kann ich ja als letztes machen.”
    “Aber erstmal muss ich den Vertrag unterschreiben. Bin also noch was hier”, erzählte ich Travis und machte es mir dann bequemer in dem ich mich an die Rückenlehne der Couch anlehnte. Das Bier kam zwar nicht an das deutsche ran, aber immerhin konnte man es trinken.

    Travis | “Was soll das denn heißen? Willst du dich etwa hier einnisten, bis die Ranch drüben fertig ist?”, lachte ich und nahm einen Schluck Bier aus der Flasche, ehe ich sie wieder auf den Tisch abstellte und meinen linken Arm auf die Rückenlehne der Couch legte. Mein Arm berührte ganz leicht die Haare von Tiara.
    “Ich mein… den Platz habt ihr hier ja auf jeden Fall.. und Caleb hat gesagt ich kann hier helfen. Außerdem steht Shark ja noch hier. Bis der abgesetzt ist, kann ich noch bisschen mit ihm trainieren.”
    “Apropos…”, fing Caleb an. “Wenn du die nächsten Tage oder je nachdem Wochen Langeweile hast, darfst du dir gerne die Fohlen schnappen und das Fohlen ABC mit denen üben.”

    Tiara | “Hmm, bring mich doch dazu”, grinste ich ihn an und fuhr dann fort. “Aber ja, das kann ich gerne machen, das macht mir teilweise mehr Spaß als das Bereiten von Pferden.” “Umso besser, Dual Shaded Ace ist zwar schon was älter, aber der kann auch noch nichts.” “Wiee der kann noch nichts , Caleb, das ist enttäuschend. Du hast wertvolle Zeit verstreichen lassen”, stöhnte ich und hielt mir schauspielernd die Hand vors Gesicht. “Ich muss mich halt auch um die Großen kümmern, ich hab hier genug zu tun. Mach dich nützlich.” “Du wirst sehen, die Fohlen werden mich lieben”, zog ich die Augenbraue hoch und nahm noch ein Schluck von meinem Flaschenbier. “Reitest du eigentlich auch, Trav?”, fragte ich vorsichtig. Bisher hatte ich ihn noch nicht auf dem Pferd gesehen.

    Travis | Ich lauschte dem Gespräch zwischen Tiara und Caleb interessiert, trank zwischendurch immer mal wieder genüsslich einen kleinen Schluck aus meiner Flasche.
    Verlegen zuckte ich mit den Schultern, als Tiara mich fragte, ob ich reiten könne. “Deine Frage muss ich leider klar verneinen. Ich hab zwar schon mal draufgesessen aber reiten kann man das beim besten Willen nicht nennen.. ich kann Pferde führen und putzen, füttern und Boxen misten und das wars dann auch schon. Aber… Murhpy hat angefangen zu reiten, bekommt ab und an Unterricht von Caleb. Vielleicht sollte ich das auch mal in Angriff nehmen?”
    “Ich hab schon für Murphy kaum Zeit.. aber vielleicht schnappen du und Tiara euch morgen einfach eins der ruhigen Pferde und sie zeigt dir ein bisschen was?”

    Tiara | Du kannst mehr im Umgang als so mancher Reitschüler im Stall meiner Freundin”, grinste ich und nickte dann eifrig, als Caleb mich fragte. “Klar gerne! Das kriegen wir hin. Du musst mir nur sagen, welche die ruhigen Pferde sind”, sagte ich und stellte die Leere Flasche weg um mich dann etwas schwungvoller wieder auf meinen Platz fallen zu lassen. Mir war Travis Arm gar nicht aufgefallen, bis ich ihn grade etwas unsanft an meinem Kopf spürte. “Sorry Trav”, mit großen Augen sah ich ihn an. Mir tat es echt leid, manchmal war ich zu tollpatschig. “Soll ich den weg holen?”, fragte er etwas verunsichert, als ich mir den Kopf rieb. “Nein, ist schon okey.”

    Travis | “Der liebste von allen ist unser Hengst Blue. Der arme Kerl wird immer als Schulpferd missbraucht. Betsy lernt auch auf ihm, ebenso wie Murphy. Ansonst nehm Alan oder A Walking Honor”, antwortete Caleb und Tiara nickte. Der blonde Cowboy stand schließlich auf, streckte sich einmal und verabschiedete sich dann ins Bett.
    Nun saßen Tiara und ich alleine im Wohnzimmer. Toll, danke Caleb. “Und was machen wir zwei Hübschen jetzt noch?”

    Tiara | “Erzähl mal was über dich. Du weißt mehr über mich als ich über dich. Ich mein, du weißt, dass ich aus Deutschland komme und die Nachbarranch kaufen will.”
    “Hält dich denn nichts mehr in Deutschland? So gar nichts? Freunde oder Familie?” “Klar werde ich meine Freunde vermissen, aber ich bin sowieso die meiste Zeit bei den Pferden und hier hab ich meinen Trainer in direkter Nähe. Mit meinen Eltern hab ichs mir verkracht und der einzige der noch zu mir steht ist Alex.”
    “Und Alex ist wer? Du redest so viel von ihm?”, er war neugierig, nur völlig auf dem falschen Pfad, was Alex betraf. “Alex ist nur unser Praktikant, der ist auch bald zuende mit dem Praktikum, aber er ist gut. Er macht gute Fotos und kann inzwischen die Pferde versorgen, ohne dass ich Angst haben muss, dass sie zu wenig oder zu viel bekommen. Und jetzt erzähl mal was von dir.” Ich drehte mich mit angewinkelten Beinen zu ihm und hörte aufmerksam zu.

    Travis | Ich hörte ihr zu, stellte ein paar Fragen. Als sie fertig mit erzählen war, sollte ich ihr etwas über mich erzählen, was die Stimmung schlagartig kippen ließ. “Hmm”, murmelte ich und schwieg dann wieder, ehe ich ein paar Mal ansetzte, dann jedoch wieder verstummte. “Ich arbeite schon eine ganze Weile hier auf der Ranch. Familie hab ich nicht mehr, meine Freunde haben sich damals abgewandt, als ich einen anderen Weg eingeschlagen habe… was soll dir ein einfacher Stallbursche schon groß von seinem Leben erzählen?”, ich kratzte mich am Kopf und zuckte dann lächelnd die Schultern. “Ich mach hier meinen Job, verdiene Geld und bin unter netten Leuten.”
    Tiara nickte, schien sich aber noch nicht mit dieser Antwort zufrieden zu geben. “Wieso haben sich deine Freunde von dir abgewandt?”
    Mein Blick änderte sich, ich schaute sie nicht mehr ganz so freundlich an. “Das ist eine Sache, die ich nicht einfach ausplaudere.” Damit war das Thema für mich gegessen, mehr Antwort würde sie nicht bekommen. Ich nahm meinen Arm derweil von der Rückenlehne, stand auf und sammelte die leeren Flaschen ein, ehe ich sie in die leere Kiste brachte. “Ich glaub ich hau mich aufs Ohr, muss ja rüber zu meinem Bungalow laufen… gute Nacht.” Damit verabschiedete ich mich und ließ eine wohl leicht verdutzte Tiara zurück.

    Tiara | Okey… das nenn ich mal Abgang. “Gute Nacht”, flüsterte ich kaum hörbar und sah ihm verwundert nach. Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet, er hätte zumindest mal warten können, so musste ich nun alleine im Schein des Mondes durch die Dunkelheit zu meinem Zimmer laufen. Ich legte mich auch ziemlich schnell aufs Ohr und versuchte nicht so viel über die vorige Situation nach zu denken.
    Am Morgen wurde ich unsanft aus meinem Schlaf gerissen und sah auf die Uhr. 5:24 Uhr. Ich konnte Alex anrufen. Beep...Beep… “Alex?” “Hey Titi, Chaa geht es den Umständen entsprechend gut. Es wurde nichts wichtiges getroffen, ganz so, als sei der Holzblock an den Organen vorbei geschlängelt."" Alex, danke… Danke für alles. Du bist einfach der Beste. " dann hieß es für mich auch schon ab zum Frühstück.

    Caleb | “Oh guten Morgen Tiara!”, sagte ich freundlich und zeigte auf einen der leeren Stühle. Bisher waren wir alleine am Frühstückstisch. “Hast du gut geschlafen?”
    “Geschlafen ja, allerdings nicht viel.. ich musste auch erstmal mein Zimmer wiederfinden.” Ich horchte auf, sah sie fragend an. “Hm?”
    “Na Travis hat mich einfach sitzen lassen.”
    “Wieso das denn?”
    “Hab ihn einfach nur gefragt, ob er mir was über sich erzählt, er weiß durch dich so viel von mir. Dann ist er komisch geworden und gegangen.”
    “Hmmm”, es stand mir nicht zu, ihr etwas über Travs Vergangenheit zu erzählen. “Gestern war für ihn ein langer Tag, nimm es ihm nicht übel. Wenn er dir etwas erzählen will, warte bis er von sich aus anfängt, dräng ihn nicht.”
    “Caleb was soll das denn nun schon wieder heißen?”
    Ich seufzte. “Du weißt dass Bellamy und Octavia aus dem Gefängnis kommen, oder? Sie sind nicht die Einzigen von dort. Mehr steht mir nicht zu, dir zu erzählen.” Jetzt hatte ich Tiara wohl vollends verwirrt.

    Tiara | Gefängnis…? Was? "Öhm, ne das wusste ich jetzt nicht", sagte ich verwirrt und sah mit großen Augen auf den Tisch. Das würde aber erklären, wieso er so komisch wurde bei dem gestrigen Gespräch. "Aber Caleb, das ist jetzt an sich doch nichts schlimmes. Ich mein, ich hab ihn jetzt kennen gelernt und nicht vorher. Er scheint mir jetzt ein Vernünftiger Mann zu sein?"
    "Das ist er auch, Tiara. Wir reden wann anders darüber", schnitt er das Gespräch ab und deutete auf die Tür, wo gerade O und Travis reinkamen. Ich sah kurz zu Travis, nickte ihm freundlich grüßend zu und sah dann wieder zu Caleb.

    Travis | Auch ich nickte Tiara zu, grüßte Caleb und setzte mich an den Tisch. Das Frühstück verlief wie immer. Wir sprachen viel über die Arbeit, ehe Caleb mich daran erinnerte, dass ich an meine Reitstunde gleich mit Tiara denken solle. “Ich vergess das schon nicht, Boss”, murmelte ich und schaute dann zu Tiara. “Wenn du fertig bist können wir von mir aus los. Blue steht im Hengststall in seiner Box.”

    Tiara | Stumm nickte ich ihm zu und aß die letzten Bissen meines Frühstücks. “Wir können”, gab ich Travis bescheid und stand auf um mein Geschirr weg zu bringen. Travis folgte mir um dann an mir vorbei zwischen den Trucks zu verschwinden. Als ich ihn ein paar Meter fand, konnte ich die Anspannung von seiner Seite aus spüren. “Hey, es tut mir leid. Mir tut es leid, dass ich gestern nach deiner Vergangenheit gefragt hab. Ich hätte nicht nachhaken dürfen und es tut mir leid. Können wir jetzt ganz normal weiter machen? Es liegt mir nämlich sonst im Magen...”

    Travis | Ich schwieg sie eine Weile an, ehe ich antworte: “Ach was alles gut, es war für mich ein langer Tag und ja..” Damit war das Thema für mich gegessen.
    Im Stall angekommen putzten und sattelten wir Blue weitgehend schweigend, ehe wir gemeinsam in die Halle gingen. Ich gurtete nach, stellte die Steigbügel auf meine Länge ein und sah dann zu Tiara. “Also satteln kannst du ja, das muss ich dir schon mal lassen.”
    “Klar, das mach ich ja auch oft. Aber reiten kann ich nicht… geh ich zu erst drauf oder du?”
    “Ich würde den ein paar Runden reiten, dann tauschen wir”, antwortete sie mir, machte die Bügel ein paar Löcher kürzer und stieg auf. Blue, artig wie er es gelernt hatte, wartete so lange auf der Stelle, bis sie die Zügel aufgenommen und das Kommando zum Losgehen gab.

    Tiara | Blue war nicht nur ein ‘ruhiges’ Pferd,nein, er war ein Lehrmeister. Ein richtig guter dabei. Ich nahm die Zügel einen Hauch auf und gab ihm eine Hilfe zum losgehen. Ich legte viel Wert auf ordentliches Warm reiten und deshalb ritt ich mit ihm einige Bahnfiguren im Schritt, ehe ich ihn auf dem Zirkel vermehrt traben ließ. Danach ritt ich noch eine ganze Bahn im Galopp ehe ich zu Travis ritt und einen Meter weiter Abstieg. Blue kaute derweil auf dem Gebiss rum und wartete geduldig darauf, dass Travis aufstieg. “So ich hab ihn jetzt ein bisschen warm gemacht, was kannst du denn schon? Oder fangen wir am besten im Schritt an?” Fragte ich ihn nochmal, nachdem er aufgestiegen war.

    Travis | Die Reitstunde war ein voller Erfolg gewesen. Tiara war eine gute Lehrerin. Die Stunde hatte wirklich Spaß gemacht und ich war mich sicher, dass ich einiges daraus mitnehmen würde.
    Am Abend saßen wir gemeinsam am Esstisch und unterhielten uns über belanglose Dinge, ehe Caleb Tiara nun die Fragen aller Fragen stellte. “Kaufst du die Ranch nebenan nun?”
    Tiara schien eine kurze Zeit zu überlegen, dann legte sich ein Lächeln auf ihr Gesicht. “Und wie ich die kaufe. Aber ich brauch da wirklich eure Hilfe…”
    “Kein Problem, die bekommst du!” Auf dieses freudige Ereignis stießen wir erst einmal gemeinsam an- und auch darauf, dass es ihrem Pferd Chaa wieder besser zu gehen schien.


    (Das Gute an diesem Bericht: er ist einfach toll. :D Das schlechte: es sind über 110k Zeichen, heißt für jedes Pferd 2 Beiträge, yeah! D: )

    Being mortal- Wir sind sterblich.
    Februar 2021, by Ravenna & Veija
    Caleb
    Während ich in das Wartezimmers des Krankenhauses stolperte und so beinahe alle Aufmerksamkeit auch mich lenkte, scannte mein Blick den Raum nach dem Antlitz eines einzigen Menschen. Eines kleinen Menschens; Betsy.
    Das Mädchen stand am Fenster, wandte mir den Rücken zu. Eine Hand auf dem Fensterbrett, die Andere in der von Ylvi, die sich direkt neben ihr befand. Auch sie schaute zum Fenster hinaus, wirkte in sich zusammengesunken.
    Neben mir eine Regung, dann eine Hand auf meiner Schulter. „Fangen Sie wieder an zu atmen, nicht dass Sie uns hier noch zusammenklappen“, war die einfache Aussage einer älteren Dame, derer ich nun meinen Blick zuwandte und reflexartig einmal tief Luft holte. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich sie angehalten hatte, spürte jetzt allerdings ein leichtes Brennen meiner Lunge. Meine rechte Hand zur Brust hebend ging ich einen Schritt auf die beiden Frauen zu. Auf halber Strecke wandte Ylvi mir den Kopf zu. Mit ihren blau unterlaufenen, tränenverquollenden Augen schüttelte sie kaum sichtbar den Kopf.
    Ich seufzte tief, schloss einmal kurz die Augen und als ich sie wieder öffnete, starrte ich direkt in Betsys kleines, ebenso tränenüberströmtes Gesicht. Sie sagte kein Wort aber ich spürte all den Schmerz, die Trauer und auch die unbändige Wut in ihrem Blick. Ich wollte etwas sagen doch mein Mund wollte einfach keine Worte formen. Stattdessen ging ich in die Hocke, breitete die Arme aus und hoffte, dass das Mädchen der stillen Aufforderung nachkommen würde. Augenblicklich löste Betsy sich von Ylvi, begab sich in meine geöffneten Arme und schmiegte sich schluchzend so fest an mich, dass mir der Cowboyhut vom Kopf fiel. In jeder anderen Situation hätte ich ihn sofort vom Boden aufgehoben, doch in diesem Moment war der Hut auf dem Boden das kleinste meiner Probleme, denn während mein Hemd langsam Betsys Tränen durchsickern ließ, rollten zunächst vereinzelt auch Tränen bei mir, ehe ich mich der eigenen Trauer hingab und ebenso bitterlich anfing zu weinen.

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    Eine Woche zuvor
    Caleb
    Wenn ich sagen würde, ich wäre schon eine ganze Weile auf den Beinen, wäre das mit Sicherheit gelogen; aber ich war… schon eine ganze Weile auf den Beinen.
    Ich stand am Fenster meines Schlafzimmers und ließ den Blick über den Hof schweifen. Schon einige Zeit dachte ich über eine kleine Feier im Haupthaus nach. Keine Feier im eigentlichen Sinne, einfach einen Abend, an dem wir gemütlich zusammensitzen und das bisherige Leben Revue passieren ließen; natürlich bei gutem Essen und für die Erwachsenen mit Alkohol.
    Klar, wir saßen zum gemeinsamen Frühstück auch das ein oder andere Mal zusammen, aber dort besprachen wir immer nur den Tagesablauf und fokussierten uns aufs Geschäft, auch wenn nicht immer alle Mitarbeiter am Frühstück teilnahmen. In letzter Zeit hatten sich Dell und Betsy immer öfter ausgeklinkt, was aber daran lag, dass Dell weniger Arbeit auf dem Hof und somit mehr Zeit am Morgen für seine Tochter hatte.
    Da so gut wie kein Pferd momentan in der Box stand fiel das Misten am Morgen fast gänzlich weg- dies würde sich zum Winter hin leider jedoch wieder ändern.
    Mein morgendlicher Gang führte mich nach der Dusche nur kurz in die Küche. Dort schnappte ich mir meinen Thermobecher Kaffee, dieser war größer als jede Tasse, die im Schrank stand, und ging ins Büro. Es wartete heute wieder einiges an Papierkram auf mich und wenn ich den morgigen Tag freimachen wollte, musste ich das heute erledigen.

    Ylvi
    Ich genoss die sanfte kühle die von meiner Hand in meine Stirn überging. Während gleichzeitig mir heiß und kalt wurde. Ganz zu schweigen von dem fiesen Ziehen im unteren Rücken.
    Daher zuckte ich völlig zusammen als sich die Tür zum Büro schwungvoll öffnete. Orientierungslos sah ich Caleb den Raum betreten, seinen großen Becher Kaffee in der Hand. “Oooh Kaffee!” seufzte ich hoffnungsvoll. Denn die Motivation aufzustehen. Die war ziemlich gering. “Es steht noch welcher in der Kaffeemaschine, sogar warm!” berichtet er mir. Während mein Hirn Sauer auf seine offensichtliche gute Laune war. Ich hingegen schwankte irgendwo zwischen Heulen und Aggression. Was der Knoten in meiner Gebärmutter, aber nur zum Anlass nahm um sich ein kleines Stück mehr zusammenzuziehen. Nur knapp unterdrückte ich mein Stöhnen. Ich brauchte dringend eine Schmerztablette um diesen Tag zu überleben. Nicht das ich meine Periode ohnehin schon verfluchte. Manchmal extrem Schmerzhaft, manchmal kam sie ewig nicht. Man mochte vielleicht den Unfall als Kind und die damit einhergehende Verletzung meines Unterleibes dafür verantwortlich machen. Aber auch andere Frauen litten unter Mens-Schmerzen.
    “Puh, ich würd so gern zuschlagen. Aber den Schluck gönn ich wem anders. Schmerztabletten und Kaffee sollen sich nicht so gut machen.”

    Caleb
    Schmerztablette? Ich horchte auf. “Schmerztablette?”, fragte ich sie dann. “Was hast du?” Am heutigen Morgen war ich wohl ausnahmsweise wirklich in Plauderlaune, weshalb ich sie auch einfach gerade heraus gefragt hatte.
    “Frauenprobleme”, bekam ich als knappe Antwort. Dann würde ich sie wohl lieber mal nicht zu viel nerven, dachte ich und stand auf, um den Raum kurz und schweigsam zu verlassen. Als ich wiederkam, hatte ich eine Flasche Wasser in der Hand und reichte sie Ylvi. “Wäre zwar nicht nötig gewesen, aber danke.” Beim Zurückgehen zum Schreibtisch sah ich ihre Flaschensammlung neben dem Schreibtisch. Sie hatte sich dort einen kleinen Vorrat hingestellt, um nicht immer zum anderen Haus laufen zu müssen. Idiot- dachte ich und setzte mich wieder schweigend auf meinen Platz.
    “Was macht… die Instagram-Seite? Haben wir mehr Follower bekommen, seit du auch das Training mit HMJ Saintly postest?”

    Ylvi
    Ich gab es natürlich nicht direkt zu, aber mir den Weg hinüber ins Haus sparen zu können war goldwert. Ich steckte mir die Pille zwischen die Lippen, nippte und schluckte. Und trank noch zwei weitere Schlucke um sie nicht in der Speiseröhre zu spüren. Dann erst konnte ich mich der Frage von Caleb widmen. Ich winkte ab. “Ach frag bloß nicht. Die Follower kommen, es gehen nur wenige. Schaut man sich die Statistiken an sind es viele weibliche Follower, dabei ich das Alter von 16-45 wirklich alles vertreten. Allerdings kommen so viele Anfragen an Nachrichten. Ich könnt quasi hier übernachten und nur diese beantworten. Ich musste auch die Mail von unserer Website nehmen. Wir wurden mit Spam und sinnfreien E-Mails BOMBARDIERT. Aktuell versuch ich der Lage da ein wenig Herr zu werden.” antwortete ich wahrheitsgemäß. Es machte mir Spaß. Wir hatten einige tolle Beiträge über die letzten Wochen schreiben können. Diese Fragenflut war dann aber doch ein wenig anstrengend. “Außerdem wird immer wieder gefragt ob wir nicht mal einen Live-Stream veranstalten könnten.” Das hatte Caleb bisher abgelehnt. Ich selbst hatte einige bereits gemacht, die Leute so virtuell über die Ranch geführt. Aber Caleb hatte sich bisher noch ein wenig gesträubt sich vor die das Smartphone zu hocken. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Es war schon seltsam nicht in real mit anderen Menschen zu sprechen.

    Caleb
    Ich musste kurz lachen. “Viele weibliche Follower? Vor allem… was wollen die sechzehnjährigen? Ich hoffe du postet keine Bilder wo ich und die anderen Jungs oberkörperfrei herumlaufen.” Ylvi stimmte kurz in mein Lachen ein, gab mir aber keine Antwort, die das Gegenteil bezeugte, pah!
    “Was meinst du mit Spam und sinnfreien Anfragen?”, ich überlegte… mir fiel aber tatsächlich nicht wirklich etwas ein, was Fremde uns an sinnlosen Anfragen schicken sollten. Ylvi würde da jedoch gleich Licht ins Dunkle bringen.
    “Vielleicht kann ich mich ja doch irgendwann mit dem Gedanken anfreunden, mal so einen Livestream zu machen. Ich meine wenn das von so vielen gewünscht wird?” An meinem Bildschirm öffnete ich still und heimlich Instagram, wollte mir mal anschauen, was Ylvi dort so postete. Doch ohne Benutzerkonto kam ich nicht rein. Ich schmollte kurz, überlegte und fragte sie dann doch, ob sie mir nicht an ihrem Handy die letzten Beiträge zeigen könnte.

    Ylvi
    Mit seinem Bürostuhl rückte er ein wenig zur Seite als ich mich erhob um ihm alles zu zeigen. Ich scrollte mit ihm einige Zeit durch den Feed. Zeigte ihm die Vorstellung einiger Mitarbeiter mit einem kleinen Bild in den Highlights. Neugieriger als ich es für möglich hielt wollte er sogar ein paar der Nachrichten lesen. “Meinetwegen kannst du auch ein paar Beantworten.” sagte ich leise lachend.
    Ich überließ ihm also mein Handy, denn die halb hockende, halb stehende Position neben dem Tisch war irgendwie ziemlich unbequem. Also kehrte ich zurück an den Schreibtisch. Langsam spürte ich auch wie die Tablette wirkte, das Zittern in meinem Körper fand endlich ein Ende. Meine Konzentration konnte so wieder auf die Probleme vor mir gerichtet werden. Ich hatte schließlich noch andere Arbeit vor mir!
    Tschetan und Kaya würden demnächst aus der Schule kommen. Wir hatten im Gespräch mit der Schule und den Kids direkt das Home Schooling schließlich aufgegeben. Stattdessen hatten wir uns eingesetzt das ein Schulbus die Kids abholte und auch wieder zurück brachte. Caleb hatte uns zur Förderung sogar Geld der Ranch zur Verfügung gestellt. Das hatte ich ihm gar nicht zugetraut. Aber er hatte nur abfällig lächelnd gesagt er könne schließlich nicht verantworten das seine besten Mitarbeiter ständig im Auto hockten um die Kinder wegzubringen. Damit hatte er mich völlig übergangen und Louis und Dell zugezwinkert. Manchmal war er eben ein rechter Schelm. Ich lugte über den Bildschirmrand zu Caleb. Ausnahmsweise sah man sein Gesicht, da er drinnen keinen Hut trug.
    Sein Gesicht war aschfahl, die Augen auf mein Handy gerichtet. Seine Ohren schienen zu leuchten. “Na? Da wird sogar ein Cowboy rot bei solchen Sachen.” scherzte ich.
    Caleb
    So viele, unfassbar tolle Kommentare unter den Fotos! Ich war begeistert, scrollte mich von oben bis unten durch und beantwortete einige der Fragen. Auf die Frage, wann es denn endlich mal einen Livestream mit dem Kopf der Ranch geben würde, antwortete ich ein paar Mal: Bald. Liebe Grüße, Caleb
    Noch während ich mich weiter durch laß, ploppten unten immer mehr Herzen auf. Ich klickte also darauf und wurde immer wieder zu meinem Kommentar zum Livestream zurückgeleitet. “Ylvi ich komm hier immer wieder zurück…”, sagte ich ein wenig verzweifelt zu ihr, stand auf und ging zu ihr rüber. Sie zeigte mir kurz, was das Problem war. Also setzte ich mich wieder auf meinen Stuhl und beantwortete munter Fragen. Das könnte ich den ganzen Tag lang machen!
    Bald fiel mir oben rechts ein Pfeil auf, auf dem eine rote Zahl stand- und keine Kleine. Ich drückte drauf und kam wohl zu den Privaten Nachrichten. “Darf ich die durchlesen?”
    “Klar”, kam es vom anderen Schreibtisch.
    Also las ich ein paar der Nachrichten, antwortete kurz- natürlich gab ich mich immer als… ich zu erkennen, denn bisher hatten die Personen ja immer nur mit Ylvi geschrieben. Ich dachte schon das wären viele, aber als ich auf ‘Nachrichtenanfragen’ klickte, wurde ich quasi von Texten erschlagen. Ich klickte ein paar an, verzog ein paar Mal schüttelnd den Kopf- bis ich zu einer Nachricht einer offensichtlich minderjährigen, jungen Dame kam, die uns ein paar… Nacktfotos geschickt hatte. ‘Sweet Dreams’ stand mit einem Kusssmiley darunter.
    Ich starrte den kleinen Bildschirm an, sagte nichts. Blickte dann zu Ylvi hoch, drehte den Bildschirm, damit sie wusste, was ich meinte. “Bekommen wir viele solcher Nachrichten?!”
    “Ja. Was meinst du denn, was ich mit sinnlosen Nachrichten gemeint habe…”
    “Ich mein.. wie alt ist sie? 14? Oh mein Gott…” Ich stand auf und drückte Ylvi ihr Handy wieder in die Hand.
    “Sind es nur Bilder von Mädchen oder auch von Jungs?”

    Ylvi
    Die Zeiten in denen ich rot geworden wäre waren längst vorbei. Ich zuckte also mit den Schultern. “Natürlich auch Jungs...Männer. Einige sind an mich gerichtet andere auch durchaus an die Männer der Ranch. Ich blockiere die Profile meistens, reagiere nicht auf die Nachrichten. Hätte niemals gedacht ,dass ein Profil das über das Leben hier auf der Ranch aus ist - solcherlei Nachrichten erhält”
    “Sollten wir in dem Stream erwähnen ...naja dass solche Sachen nicht gewünscht sind?” ich winkte ab. “Das wird die ganze Sache womöglich nur anstacheln. Aber ich habe da die Idee vielleicht einfach nochmal Aufmerksam darauf zu machen - was wir im Internet veröffentlichen verbleibt dort oft für Jahre. Das viel schlechtes mit Bildern im allgemeinen angestellt werden kann. Aber die passenden Worte dazu sind mir noch nicht gekommen.”
    “Die Idee ist gut….mit dem Schreiben kann ich dir allerdings wenig helfen fürchte ich. Nicht mein Fachgebiet.” damit deutete er auf den Bildschirm seines PC’s an dem er sicherlich einige E-Mails zu verfassen hatte. Zumindest hatten wir in den vergangenen Wochen die Zettelwirtschaft von Bellamy beseitigen können. Ordnung in einige der Prozesse gebracht und endlich einen ausgereiften Businessplan.
    Caleb hatte sich sogar damit anfreunden können, einige der Arbeitspläne und Aufgaben auf meinem alten Tablet zu organisieren. Ein geteilter Kalender. Eine Art Planner-App in der Aufgaben zugewiesen werden konnten. Bestanden zu einzelnen Prozessen Fragen konnte noch immer zum Telefon gegriffen werden. Caleb gab es nicht zu. Aber ich spürte zusehends wie ihm meine Hilfe mit der Digitalisierung gefiel. Vor allem hatten wir unseren einstigen Flow wieder gefunden. Als würde der Funke der Freundschaft wieder beginnen zu erstarken. Diese Entwicklung machte mich zusehends glücklicher. Die Liebe die ich in meinem Herzen noch immer für ihn empfand machte mir ein zusammensein mit ihm aber auch schwer. Wie konnte es sein? Das mein Herz sich gleichermaßen an zwei unterschiedliche und doch so gleiche Männer gehangen hatte. "Was meinst du? Heute Abend nach dem Essen drüben im Kaminzimmer der LiveStream?"

    Caleb
    Ich war ein wenig überfahren von Ylvis Aussage. Stimmte dem aber sofort zu, dass wir darauf aufmerksam machen mussten, dass Fotos und auch Beiträge über Jahre hinweg im Internet verweilten.
    “Heute Abend schon der Stream?”, ich zuckte die Schultern. “Warum nicht, dann hab ich's hinter mir.”
    “Caleb so schlimm wird es schon nicht sein. Zieh dir was nettes an und sei einfach du selbst, dann klappt das.”
    “Also soll ich, wie immer, mürrisch und schlecht gelaunt sein.”
    Ylvi klatschte sich mit der Hand an die Stirn. Sah mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Doch als ich grinste, stieg sie in mein Grinsen ein und wandte sich wieder ihren Aufgaben zu. Das Handy gab ich ihr zurück, ehe auch ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm lenkte. Bis zum Stream hatte ich noch ein paar Stunden Zeit, so dass ich noch eine halbe Stunde hier im Büro verbringen, dann aber nach draußen zu den Pferden gehen wollte.
    Die halbe Stunde neigte sich gerade dem Ende zu, da betrat Dell das Büro, nickte Ylvi kurz zu und setzte sich auf den Stuhl, der mir gegenüber. Auffordernd sah ich ihn an, doch er sagte zunächst kein Wort. Ich wusste schon, was er wollte. Zumindest konnte ich es ahnen- Zeit mit seiner Tochter.
    “Ich äh.. wollte fragen, ob du mir heute Abend frei geben kannst?”, rückte er dann doch mit der Sprache heraus.
    Wirkte ich wirklich so angsteinflößend auf meine Mitmenschen?
    “Ich würde gerne mit ihr zusammen in die Stadt gehen, Betsy will unbedingt einmal in dieses All you can eat Sushi Restaurant und danach würden wir noch ins Kino gehen.. ich brauch nur jemanden, der meine Fütterung und die Boxen übernimmt.”
    “Wie viele Boxen hast du?”
    “20 sind es im Moment misten und füttern. Es sind aber nicht alle Pferde im Stall, ein paar bleiben draußen.”
    Ich überlegte kurz. “Ylvi was meinst du wie lange brauchen wir, bis wir den Stream am Laufen haben?”
    Ylvi runzelte schon wieder die Stirn. Scheinbar hatte ich ihr wieder eine meiner technisch dämlichen Fragen gestellt.
    “Wir gehen da hin wo wir gutes Internet haben und ich drücke auf diesen Knopf, das wars.”
    “Können wir dann nicht im Stall anfangen? Dann kann ich neben dem Misten was sinnvolles tun und wenn ich keine Antwort parat hab, schwenkst du einfach auf dich um. Dann sehen die Menschen auch sofort was von der Ranch und der Arbeit.”

    Ylvi
    In Anbetracht vom kommenden Herbst. Der nasskälte die draußen auf mich wartete. War ich nicht ganz überzeugt. Sinn machte die ganze Sache aber schon. "Klar, ich denke das macht einen guten Eindruck. Außerdem sehen die Leute dann auch das du nicht einen auf Boss und Rich Kid machst, sondern auch in die tägliche Arbeit involviert bist."
    "Der Arbeitsbulle quasi" dabei warf er sich in die Brust. Dell sah ein wenig wirr von mir zu Caleb und wieder zurück. Der wusste natürlich nicht ganz worum es ging. "Hab ich jetzt also frei?" fragte er daher fast ein wenig unterwürfig. "Na klar." nahm ich Caleb die Antwort vorweg, streckte ihm seitlich die Zunge heraus als er seine Position veränderte. Theatralisch warf er die Hände in die Luft. "Gut, da man mich nicht zu brauchen scheint. Caleb verlässt das Büro!" damit erhob er sich tatsächlich. Dell hingegen blieb noch sitzen. "Betsy hat außerdem gefragt ob nicht Kaya auch dabei sein dürfte. Ich denke Louis wird später noch bei dir vorbeischauen um das ganze abzusprechen. Nur das du schon Bescheid weißt." "Danke , Dell."
    Damit verließ auch er das Büro.
    Da ich mich nicht wirklich auf meine Arbeit konzentrieren konnte, schaltete ich das MacBook aus. Schloss die Tür hinter mir. Nur um mich draußen auf die Suche nach meinem Mann zu begeben. Was auf einer Ranch der Größenordnung gar keine leichte Aufgabe war. Mir begegnete tatsächlich eher zweimal Murphy. O' war es schließlich die meinte ihn das letzte Mal in Richtung des Reining Platzes laufen gesehen zu haben. Dort begegnete er mir dann tatsächlich. Er arbeitete gerade mit einem jungen Rappquarter, den Nachbarn hier zum Training abgeliefert hatten. Da er noch in seine Arbeit vertieft schien. Wartete ich. Aber wie immer, bewies er seinen sechsten Sinn für Dinge, nur kurze Zeit später wandte sich sein lächelndes Gesicht auf mich. Mit dem Pferd am Strick kam er zu mir herüber, strich mir über den Scheitel. "Du siehst müde aus." ich winkte ab, er wusste welche Zeit des Monats war. Und auch wenn nicht mehr so streng, wie seine Vorfahren. So hielt er sich von mir als menstruierende Frau fern. Es war noch immer seltsam würde es wohl auf ewig bleiben. Zum Anfang hatte ich dieses Verhalten nicht verstanden. Er schlief dann auf der Couch. Ich hatte erst Lilly danach Fragen müssen. Das war - wie so vieles eines der Dinge die ihn so traditionell machten. "Caleb hat mir vorhin schon eine Schmerztablette besorgt" eine seiner Augenbrauen hob sich leicht. "Hat er das?" "Eifersüchtig?" sprach ich halb im Scherz. Den undurchdringlichen Blick vermochte ich nicht zu durchschauen. "Dell hat die Kids und mich eingeladen zum Sushi essen...und ins Kino. Ich habe dran gedacht ihn zu begleiten." Natürlich hatte er daran gedacht. Ich lächelte milde "Das wird bestimmt klasse. Auch wenn ich neidisch auf das Sushi werden könnte." "Sollen wir was mitbringen?"
    "Gute Idee."
    "Ich weiß." Über den Zaun hinweg, gab er mir einen leichten Kuss auf die Stirn, ehe seine Arbeit ihn wieder einspannte.

    Caleb
    Mein Weg führte mich sofort in den Stall, in dem ich mich umsah und mich mal wieder in einem riesigen Chaos befand. Wie lange hatte ich diesen Stall hier nicht mehr betreten? Drei Tage? Vier Tage?
    Es sah aus wie Kraut und Rüben… also fing ich zunächst einmal an, alle Utensilien wie Mistgabeln, Beulengabeln und Besen wieder an ihren Platz zu hängen. Ich leerte die Schubkarre auf dem Misthaufen und stellte sie schon einmal in die erste von zwanzig Boxen. Bevor ich jedoch mit dem Misten anfangen wollte, portionierte ich das Kraftfutter in die dafür vorgesehenen, mit Namen beschrifteten Eimer. Die Internetmenschen mussten nicht sehen, was die Pferde zu fressen bekamen.
    Dann fing ich mit dem Misten an, bis mir auffiel, dass ich vorher vielleicht noch etwas essen gehen könnte- wer wusste schon, wie lange der Stream dauern würde? Nach einem Blick auf die Uhr war ich mir auch sicher, dass das Essen bereits auf dem Tisch stand.
    In der Küche traf ich auf Bellamy und O die sich angeregt über das nächste Galopprennen unterhielten. “Willst du Pria nicht aus dem Sport holen?”, fragte ich O während ich mich setzte.
    “Doch. Aber ich hab ja noch andere Pferde. Clyde und Wildfire könnten mehr laufen, ebenso Tigres und Drama… aber nicht mehr dieses Jahr. Ich trainier die auf für eine letzte Saison und dann nehm ich sie alle aus dem Galopprennsport raus.”
    “Ach was?”
    “Ja, ich will mit denen allen in Richtung Vielseitigkeit, das macht mir mehr Spaß. Außerdem.. außer Pria ist keines der Pferde wirklich gut darin. Warum also nicht etwas anderes probieren?”
    Ich zuckte mit den Schultern, setzte mich auf meinen Platz am Kopf des Tisches und schaufelte mir etwas vom Eintopf auf den Teller. Dazu gab es Brötchen, die ich kleinriss und ebenfalls auf den Teller legte. Mit dem Löffel tunkte ich sie in den Eintopf, so dass sie sich richtig schön vollsaugten.
    Das Essen verlief ruhig, es gesellten sich noch ein paar Mitarbeiter dazu. Ich war mir nicht sicher, ob Ylvi auch dazustoßen würde. Normalerweise aß sie mit Louis und den Kindern zusammen drüben. Aber da die drei gleich wegfahren würden, würde sie uns vielleicht noch Gesellschaft leisten.

    Ylvi
    Ich sprang vor der Terrasse auf und ab um den Matsch ein wenig von den Füßen zu bekommen. Auf den Abend hatte leichter Nieselregen eingesetzt. Ich entledigte mich im Flur schließlich meiner feuchten Jacke. Sowie dem Filzhut der mir meine Frisur platt gedrückt hatte. Bevor ich an einen LiveStream denken konnte, verlangte mein Magen nun vehemmend nach Essen. Gerade da die Düfte aus der Küche ein erneutes Knurren auslösten. Mein Frühstück war nicht sonderlich üppig ausgefallen.
    Mit dem Betreten der Küche hoben sich vereinzelte Blicke, die sich anschließend dem Eintopf widmeten. Zielstrebig ging ich auf meinen Platz direkt neben Caleb zu. Seltsam war es schon. Ich wohnte bereits fast ein Jahr gemeinsam mit Louis. Essen taten wir meistens mit den Kindern. Aber der Platz blieb dennoch oft frei. War es aus reiner Gewohnheit. Oder teilten mir die Mitarbeiter unbewusst mit an wessen Seite ich hätte besser bleiben sollen? Natürlich waren diese Gedanken idiotisch. Das ganze konnte ich einfach der Gefühlsduselei meiner Periode zu schreiben. Was in meinem Kopf nur wieder los war. Dankend nahm ich von Bellamy einen Teller Eintopf entgegen. Begierig nahm ich mir auch eines der Brötchen. Die Haushälterin war Dolores, kurz von allen Dolly genannt, einzustellen war auch eine der Neuerungen gewesen. Sie kümmerte sich liebevoll um die Ordnung in den Häusern der Mitarbeiter, der Ferienhäuser und dem Haupthaus. Versorgte alle mit genug Essen. Machte Erledigungen in der Stadt. Sie hatte über den Sommer sogar begonnen einen kleinen Gemüsegarten neben dem Haus anzulegen. Die 53 jährige wohnte ebenfalls in einem der kleinen Bungalows. Sie konnte vor allem hervorragend Kochen. Was die Anzahl der Mitarbeiter die nicht mehr nur allein für sich kochten doch deutlich erhöht hatte. Noch fanden alle knapp in der Küche Platz. Genüsslich nahm ich zwei Bissen vom Eintopf. Anschließend sah ich zu Caleb. “Bereit für den Stream?” sprach ich mit gedämpfter Stimme. Murphy und O’ unterhielten sich zwei Plätze weiter. Angeregtes Stimmengewirr erfüllte die Küche.

    Caleb & Ylvi
    Caleb stopfte sich gerade das letzte Stückchen des Brötchens in den Mund, trank den letzten Schluck aus seinem Glas und sah dann zu Ylvi auf. “So langsam werde ich irgendwie doch nervös”, gestand er ihr wahrheitsgetreu und kratzte sich kurz am Kopf. “Kannst du den Stream gleich anfangen und irgendwann erst auf mich umschwenken?”
    Zunächst antwortete die junge Frau nichts, stand lediglich auf und ging in den Flur, in den ihr Caleb folgte. Sie zogen sich an, Caleb setzte seinen Hut auf den Kopf und gemeinsam gingen sie in Richtung des Stalles, in dem Caleb bisher noch nicht wirklich viel erledigt hatte.
    “Ich kann von mir aus anfangen”, antwortete Ylvi ihm dann, während sie ihr Handy zückte und Caleb sich daran gab, die Box auszumisten. Um die Hände frei zu haben friemelte die junge Frau aus ihrer Jackentasche ein kleines Stativ. Welches ihr ermöglichte ihr Handy anzubringen an die Stäbe der Box. Anschließend öffnete sie Instagram, wechselte vom privaten Account auf den der Ranch. Der Stream musste sich ein wenig herumgesprochen haben. Am Nachmittag hatte sie in der Story eine kleine Ankündigung gemacht. Es dauerte nur wenige Sekunden da kamen bereits die ersten Besucher. Es flogen die Herzchen und von überall aus der Welt kamen Grüße. “Willkommen zum ersten Livestream der Bow River Ranch mit dem Boss des ganzen Ladens. Hier im Hintergrund: Caleb O’Dell! Sag hallo Caleb!” Ylvi trat ein wenig zur Seite. Gab jetzt dem Auditorium freie Sicht auf Caleb, der in seiner üblichen Manier, eine Hand zum Gruß an den Cowboyhut nahm. Klischee dachte Ylvi sich bei seinem Move. Sie schüttelte nur den Kopf. “Da wir den Stream ziemlich spontan gemacht haben - dachte ich mir gestalten wir das ganze als FAQ. Daher stellt ruhig die Fragen die euch auf der Seele liegen.”
    Tatsächlich kamen viele Fragen wie es ihnen ging, die sowohl Caleb als auch Ylvi wahrheitsgemäß beantworteten. Einige der Fachfragen stellte Ylvi laut. Während Caleb zur Kamera sprach, nahm sie ihm die Forke aus der Hand und hievte Stroh in die Schubkarre. Zweimal während der Beantwortung von Fragen wechselten die beiden jeweils die Box. Während sie gerade dabei waren in die Dritte zu wechseln. Stolperte Ylvi über einen der Eimer auf dem Boden. Noch während ihr ein Aufruf der Überraschung über die Lippen kam, schaffte Caleb es gerade so nach ihr zu greifen. Mit einer Hand an ihrer Hüfte. “Hu, das war knapp.” suchte auf dem Betonboden nach dem Handy mit den Augen. Und hörte während des Bückens die Frage von Caleb “Alles klar?” “Nur der Schreck.” Ylvi hob das Handy auf. Dank Hülle war nichts passiert. “Und das meine Lieben, sollte Grund sein kein Zeug unnötig in der Gegend rumstehen zu lassen.” Ylvi wechselte die Kamera, deutete auf den Übeltäter.” Ihnen hatten nun knapp 200 Leute zugeschaut. Und plötzlich schienen die Herzen sich zu überschlagen. Caleb sah gar nicht auf das Handy, er arbeitete weiter. Da er merkte das keine weiteren Fragen kamen und Ylvi ihn nur bei der Arbeit filmte. Hielt er inne, sah Ylvi an. “Keine Fragen mehr?” Ylvi räusperte sich. Verzog etwas das Gesicht, dann schien sie zu entscheiden es sei ohnehin egal. “Seid ihr ein Paar?” Stille. Caleb räusperte sich auch. “Gute Freunde. Ylvi ist mit meinem Freund Louis Killsbears verheiratet.” Das war der Moment in dem der Livestream ablief. Die Zeit war auf 90 Minuten begrenzt. Caleb fuhr fort. Die Antwort von ihm hatten ihre Zuschauer nicht mehr mitbekommen. “Die Antwort ging nicht mehr durch. Vielleicht sollte ich die Info...naja ergänzen zur Mitarbeitervorstellung.”
    “Das wäre wohl… sinnvoll”, antwortete Caleb und machte sich wieder an die Arbeit. Er war mittlerweile an der letzten Box angekommen, streute sie mit Stroh und fuhr die volle Schubkarre auf den Misthaufen. Zähneknirschend betrat er erneut den Stall, warf Ylvi einen Blick zu, die wild auf ihrem Handy herumtippte. “Änderst du das jetzt gleich schon?”
    “Nein, aber da der Livestream zu Ende war beantworte ich die letzte Frage einmal in der Story.” Von den ganzen ‘#calvi’ Kommentaren, die eindeutig Ylvi und Caleb als Paar galten, erzählte sie dem Blonden nichts.
    “Verteilst du noch das Kraftfutter hier in den Boxen? Die Eimer sind alle fertig und beschriftet sind sie ja auch. Dann fang ich schon einmal an, die Pferde rein zu holen.”
    Ylvi nickte, machte sich sofort an die Arbeit und schnappte sich einen Eimer nach dem Anderen, die sie in die Futtertröge schüttete. Nach und nach brachte Caleb die Pferde in den Stall, die sich sichtlich über eine frisch gemachte Box freuten. Der leichte Nieselregen war einem stärkeren Regen gewichen und nach einem Wink von Caleb fing Ylvi an, die Decken derer Pferde zu tauschen, die mittlerweile triefend nass geworden waren. Zum Glück konnten die Decken in einer extra Kammer mit Waschmaschine auch zum Trocknen aufgehängt werden. Die meisten Decken waren mit Namen bestickt, so dass es ihr leicht fiel, schnell voran zu kommen.
    “Nächste Woche soll es wieder um die 20 Grad werden, nachts aber nur drei. Dann haben wir wieder einiges zu tun… abends eindecken, morgens ausdecken.” Caleb seufzte. Ylvi war drauf und dran ihn zu fragen, was er hatte, da der Seufzer offensichtlich nicht den Decken gegolten hatte, was sie an seinem Seitenblick zu ihr vermutete. Typisches Calebverhalten, unschöne Situationen einfach todschweigen.
    “Ich danke dir für die Hilfe, den Rest bekomme ich alleine hin”, winkte er ab und verließ den Stall. So schnell ließ sich Ylvi allerdings nicht abschütteln, denn das Haus war ohne Louis und die Kinder ziemlich leer. Selbst ein ruhiges Bad konnte sie nicht nehmen, denn dort war keine Badewanne vorhanden. Dafür hätte sie Caleb wieder fragen müssen, um das Bad im Haupthaus nutzen zu können.
    “Was musst du denn noch machen?”, fragte sie ihn stattdessen und blieb eine ganze Weile auf seiner Höhe, bis sie sich ein bisschen zurückfallen ließ.
    Erst dann drehte Caleb sich um, sah sie aus zusammengepressten Augen an. Der Wind peitschte ununterbrochen von unten und jagte ihm die Regentropfen in die Augen. “Ich will noch rüber zu HMJ Saintly, werde ihn auch reinholen. Er muss nicht bei dem Wetter draußen stehen, der ist eh noch angeschlagen… und dann wollte ich noch bei den Stut- und Hengstfohlen vorbeischauen.”
    “Gut, dann komm ich mit. Vielleicht bin ich dir dennoch eine Hilfe.” Hatte er sie abwimmeln wollen so sagte er nichts. Es gab auch kein Nicken. Draußen schlugen sie ihre Kragen an der Jacke höher, die Hüte tiefer in das Gesicht gezogen. Zwei dunkle Gestalten in der beginnenden Dämmerung, ein jeder mit den eigenen Gedanken beschäftigt.

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    Louis, Kaya, Tschetan, Dell & Betsy
    Dell hatte das Büro von Caleb und das Haus zügig verlassen, um auf die Suche nach Betsy und Louis zu gehen. Den Lakota fand er schließlich am Reiningplatz mit einer schwarzen Stute. “Caleb hat das ok gegeben, wir können fahren. Ylvi weiß auch schon Bescheid.”
    “Okay dann treffen wir uns in… einer dreiviertelstunde in meinem Bungalow?”, fragte ihn Louis. Dell nickte und verschwand, immer noch auf der Suche nach Betsy.
    Er fand sie schließlich auf der Koppel. Nicht bei Sue, dafür bei Sues Fohlen Pamina. Kaya und Tschetan standen ebenfalls dort und streichelten die Stutfohlen. Es war toll, dass die Pferde von Anfang an Kinder gewohnt waren. “Hört mal Betsy und ich wollten in die Stadt fahren, Sushi essen gehen und dann ins Kino. Ich hab schon mit Louis gesprochen, wenn ihr auch Lust habt würden wir alle zusammen fahren”- wildes Nicken von allen drei Kindern. Kaya und Betsy klatschten sich einmal kurz ab. “Ihr müsstet euch alle nur… nochmal umziehen und vermutlich auch noch schnell duschen.” Wieder nickten sie alle. “Wir treffen uns gleich bei euch im Haus, Tschetan und Kaya.”
    “Bis gleich”, trällerte Betsy, gab Pamina einen Kuss auf die Nase und verließ langsam die Koppel. Sie wusste genau, dass sie bei den Pferden nicht laufen durfte und dachte fast immer daran. Im Haus steckte Dell zuerst Betsy unter die Dusche, eher er selbst schnell drunter sprang. In Windeseile waren sie beide angezogen.
    Im Bungalow der Killsbears, erwartete Vater und Tochter ein eigensinniges Bild. Hintereinander standen Kaya, Tschetan und Louis da. Eingehend damit beschäftigt sich die Haare zu kämmen. Wie selbstverständlich sah er wie sich seine Tochter Betsy einen der Stühle schnappte, ihn hinter Louis stellte und gleichermaßen begann die Reihe fortzusetzen. Dell sah auf seine Hände hinab und ließ sich seufzend auf einen der Küchenstühle nieder. "Ich fühl mich wie ein schlechter Vater. Das einzige das meine Hände zustande kriegen ist ein fusseliger Pferdeschwanz." Damit deutete er auf das Gebilde an Betsys Hinterkopf. Die 11 jährige kicherte. "Dafür können deine Hände andere geschickte Sachen!" ein kurzes zustimmendes Brummen kam Dell über die Lippen. Louis nahm die Worte auf. "Wir haben eben alle unsere Talente. Schau ich in das Innere eines Wagens kann ich höchstens sagen, wenn der Motor fehlt."
    "Vielleicht hast du deine Kindheit ein wenig zu lang damit verbracht dir die Haare zu flechten." Louis ließ keine Regung im Gesicht erkennen, aber Dell kannte den Lakota gut genug um seine zuckenden Mundwinkel zu sehen. Als alle bis auf Betsy fertig gekämmt und geflochten waren. Begann Louis damit Betsy die Haare aus dem Pferdeschwanz zu ziehen, kämmte sie vorsichtig durch, nur um sie dann mit drei Strängen zu verflechten. “Noch ein Sommer nur draußen, die Haare kohlschwarz. Und sie geht als eine von Deinen durch. “schmunzelte Dell. Sah auf seine Tochter und spürte ein Gefühl in sich aufsteigen. Mit jedem Sommer konnte er mehr von ihrer Mutter in seiner Tochter erkennen.
    Louis Mundwinkel zogen sich leicht nach oben. Tschetan und Betsy fingen an zu lachen. “Betsy Killsbears, das wärs noch”, meinte der Junge und verschwand in eines der Zimmer, um sich umzuziehen.
    Kaya schaute Louis zu, stand dann aber schließlich auf und kam wenig später mit einer Jacke zurück.
    “Sind alle fertig?” - zustimmendes Nicken, Tschetan war mittlerweile auch wieder aufgetaucht. “Ich hab gedacht wir nehmen mein Auto. Es ist zwar nicht so komfortabel wie das von Caleb zum Beispiel aber man kommt von A nach B und die Kinder passen alle auf die Rückbank.
    Während die Kinder schon zum Auto vor liefen, schlenderten Louis und Dell gemütlich hinter ihnen her. “Es fällt mir von Tag zu Tag schwerer, in ihr Gesicht zu schauen”, gestand Dell ihm. “Sie sieht ihrer Mutter immer ähnlicher, es ist so unglaublich schwer… ich werde jeden Tag mehr mit ihr und dem Tod konfrontiert.”
    Louis senkte kurz den Kopf, ließ sich weiter zurückfallen, was Dell ihm gleich tat. “Der Tod gehört im Leben dazu, Dell. Genauso wie das Leben. Deine Frau hat dir deine wunderbare Tochter geschenkt, die euch Beide auf ewig vereinen wird. Sieh die Gedanken als Geschenk an, nicht als Last. Auch wenn es schwer fällt.”
    Am Auto angekommen hatten sich die Kinder bereits hineingesetzt. Dell griff zum Türgriff, hielt dann allerdings inne. “Danke”, hauchte er fast tonlos in die Dunkelheit. Dennoch vernahm er ein kurzes Nicken von Louis.
    Die Fahrt nach Calgary verlief ruhig. Eine angenehme Spannung lag in der Luft. Noch fühlte sich das Mädchen nicht wohl genug. Kaya hatte begonnen zumindest mit den Pferden zu flüstern. Tschetan und auch Ylvi hatten es bereits gehört. Betsy war vor 3 Wochen zu ihm gekommen. Ihre Augen voller Tränen, aber ihr Mund hatte gelächelt. Kaya hatte ihren Namen gesagt. Ylvi und der Lakota hatten am Abend darüber gesprochen. Fast ein wenig...enttäuscht das Kaya beschlossen hatte ihre ersten Worte an Betsy zu richten. Wie Louis es allerdings sah? Betsy gehörte mit in den Kreis der Familie. Kaya und sie verbrachten jede Minute beieinander, sie waren sich so Nahe das sie Schwestern sein könnten. Selbst er, der nicht ihr Blut teilte fühlte Stolz in sich, wenn sie gemeinsam mit Kaya auf einem Ausritt waren. Ob es wohl daran lag ,dass er in einer großen Familie aufgewachsen war? "Welchen Film habt ihr euch eigentlich ausgesucht?" fragte der Lakota schließlich in die Runde.
    “Was eine Frage, den Pferdefilm über das kleine Indianermädchen und ihr Pferd!”, rief Betsy aufgeregt von der Rückbank. Kaya nickte zustimmend, Tschetan schlug sich mit der Hand an den Kopf. Der Junge wurde langsam zu alt für die beiden Mädchen, interessierte sich zusehends für andere Dinge. Er half mehr auf der Ranch mit, packte an wo er nur konnte und schien enttäuscht, wenn seine Hilfe abgewimmelt wurde. Octavia, die mit den beiden Mädchen so froh war, konnte kaum etwas mit dem Jungen anfangen. Mittlerweile fragte er sie schon gar nicht mehr, ob sie Hilfe bräuchte.
    Bellamy war da ganz anders. Er freute sich stets über eine helfende Hand und mutete dem Jungen manchmal sogar fast zu viel zu. Es fehlte wirklich ein weiterer Junge in Tschetans Alter auf dem Hof.
    Mittlerweile waren die fünf in der Stadt angekommen. Dell parkte das Auto und gemeinsam gingen sie zum Restaurant, in dem sie an ihren reservierten Tisch gebracht wurden. Zu ihrer rechten befand sich eine Art Laufband, auf dem Teller im Schneckentempo an ihnen vorüberzogen. “Und davon kann man sich jetzt einfach nehmen, was man möchte?”, fragte Betsy neugierig. Dell und Louis nickten synchron.
    “Zeigt einfach auf was ihr wollt oder sagt uns Bescheid und wir geben es zu euch rüber”, antwortete Louis, der mit gegenüber von Dell, ebenfalls am Laufband saß. Neben ihm saß Tschetan. Neben Dell saß Betsy und am Kopfende Kaya- so saß sie zwischen ihrem Bruder und ihrer Freundin.
    Das gemeinsame Essen war im Nu vorbei und sie befanden sich wieder alle im Auto, um zum Kino zu fahren. Tschetan beteiligte sich während des Essens kaum an den Gesprächen. Louis sah ein wenig besorgt zu dem jungen Lakota hinüber. Ob er es bereute für den Abend zugestimmt zu haben? Erst später, als der Film bereits lief fiel es ihm auf. Der Todestag seiner Mutter nährte sich zum zweiten Mal. Kaya war vielleicht zu jung um sich daran zu erinnern. Der Ältere Tschetan jedoch schon. Louis nahm sich vor mit dem Jungen in der nächsten Zeit einen Ausflug allein zu unternehmen. Er mochte es vielleicht noch nicht gern sehen, aber langsam verließ Tschetan das Kindesalter.

    Caleb&Ylvi
    "Wie bitte?"
    "Ob du noch rüberkommst, ein Bier trinken? Oder...in anbetracht deiner klappernden Zähne. Wohl eher...Kamin und einen Tee?" die junge Frau sah Caleb an. Da hatte er die vergangenen 2 Stunden geschwiegen. Jetzt da er es brach. Konnte sie kaum glauben, was sie da hörte. Allerdings wollte sie ungern das Angebot ausschlagen. "Wenn du so fragst, gern. Das Haus drüben würde ohnehin so leer sein." Caleb führte den Weg, während Ylvi ihm die Treppe hinauf ins Haupthaus folgte. Auf der kleinen hölzernen Terasse, entledigten sich beide von ihren Regenmänteln. Die junge Frau schlotterte, die plötzliche Kälte setzte ihr zu. Daher frohlockte sie bei den Gedanken gleich vor dem warmen Kamin zu sitzen. Bereits vor 2 Tagen hatte sie das getan, gemeinsam mit O' in Gespräche vertieft. Zum heizen der unteren Etage hatte Dolly den Kamin daher bisher jeden Abend entzündet.
    Calebs Abende sahen immer gleich aus. Er am ins leere Haus, ging zum Kühlschrank und nahm sich ein Bier, mit dem er sich auf die Couch, die Terrasse oder oben vor sein großes Fenster setzte. So stand er nun routinemäßig vor dem Kühlschrank. Öffnete ihn, hielt dann jedoch inne. Er wollte gar kein Bier, sondern Wasser aufsetzen für den Tee.
    Ylvi war derweil im Wohnzimmer verschwunden. Der lange Regenmantel und die dicken Stiefel hatten sie davor bewahrt, klatsch nass zu sein. Der Mantel war durch nass, aber ihre Kleidung darunter war trocken. Dennoch stellte sie sich eine Weile vor den Kamin, ehe sie sich mit einer Decke auf dem Sofa einrollte.
    Wenige Sekunden später stieß Caleb wieder zu ihr, stellte ihren Tee vor sie auf den Tisch, setzte sich aufs Sofa und setzte seine Tasse vor ihn ab.
    Eine ganze Weile schlürften beide schweigend ihren Tee, ehe Caleb das Wort ergriff. “Ylvi, wie geht es dir?”
    Eine Frage und deren Antwort, die ihn lange Zeit nicht interessiert hatte. Doch die Trennung war nun schon eine ganze Weile her, es war einige Zeit verstrichen und er war… über sie hinweg. Nicht ganz, das würde er nie sein. Aber soweit, dass er sie mit vollem Ernst fragen konnte, wie es ihr ging.
    Er merkte, dass er sie mit dieser Frage überrumpelt hatte, so ganz aus dem Nichts, dennoch wartete er geduldig auf eine Antwort. Verdutzt starrte die junge Frau ihn an. Nicht sicher welche Antwort ihn wirklich interessierte. Wie weit sollte sie zurück greifen in der Beantwortung seiner Frage? Schlussendlich blieb sie ihm diese Antwort schuldig.
    O' und Bellamy betraten schnatternd den Raum. In den Händen hatten sie zwei Flaschen, deren Inhalt eigentlich nur der selbstgebrannte von Lawrence sein konnte. Die Etiketten die Flaschen waren nur halbherzig abgerissen worden. Bellamy hatte vier Gläser in der Hand. "Da du mal wieder Kinder-frei hast. Zeit für ein bisschen Spaß!" sprach O' a Ylvi gerichtet aus. Während sich O' ungeniert mit auf die kleine Couch fallen ließ, sodass Caleb und Ylvi ein wenig enger rücken mußten damit genug Platz war. "Spaß?" fragte Caleb in die Runde. Vielsagend auf die Flaschen und Gläser schauend. Der Cowboy ahnte worauf das ganze hinaus gehen konnte.
    Bellamy griff in die Tasche seines Sweaters und warf ein Kartenspiel auf den Tisch. "Eine Runde Romé hatten wir lang nicht mehr." Ylvi plusterte ihre Wangen auf. "Die Regeln müsstet ihr mir aber nochmal auffrischen. Alles krieg ich nicht zusammen."
    Mit jeder neuen Runde leerte sich auch eine der Flaschen. Die Runde wurde lockerer. Bis Bellamy der zum vierten Mal in Folge verloren hatte, Romé für beendet erklärte. Seine Motivation war im Keller angekommen. "Womit heitern wir dich wieder auf?" fragte Ylvi belustigt, die eben die letzten drei Runden für sich entschieden hatte. "Wir müssen auf jedenfall die Flaschen leer kriegen." betonte O'. Was widerum ein fragendes Gesicht von Caleb hervorrief. Bellamy sprang ein "Die sind wohl schon älter, die müssen weg. Meinte Lawrence." "Ah prima und da dachtet ihr das wär ne prima Idee die uns anzudrehen?" O' zuckte lächelnd mit den Schultern. "Never have I ever!" "Bitte?" kam es wie aus einem Munde von Caleb und Ylvi. O' klärte sie schließlich auf "Das tun wir um die Flasche leer zu kriegen. Die Regeln vom Spiel sind allen bekannt?"
    “Ich hab noch nie… nicht im Gefängnis gesessen”, fing O an und verwirrte die gesamte Mannschaft.
    “Hä? Muss ich jetzt trinken, wenn ich schon mal im Gefängnis gesessen hab, oder wenn ich noch nicht im Gefängnis gesessen habe?”
    “Letzteres.”
    Ylvi war die Einzige, die einen Schluck aus ihrem Becher trank. "Okay, das ist eine Geschichte die mich brennend interessiert." diesen Teil aus dem Leben der beiden jüngeren war Ylvi bisher unbekannt. "Und wer stellt jetzt die nächste Frage? Uhrzeigersinn, oder diejenigen die getrunken haben?"
    "Da du die einzige warst. Bist du dran."
    "Ich hab noch nie ...eine Bank ausgeraubt." um der Frage die dieser vorausging vielleicht auff den Zahn zu fühlen.
    Niemand trank.
    “Wer ist denn dran wenn niemand was getrunken hat?”, fragte Ylvi erneut. Bell und O sahen sich an, entschieden sich dann einfach dazu, dass die Person links von der, die zuvor die Frage gestellt hatte, dran war- also Caleb.
    “Ich hab noch nie… etwas gestohlen.”
    Bellamy und Octavia hoben schweigend ihre Becher zum Mund und tranken beide einen grooooßen Schluck. Caleb grinste kurz und sah die beiden amüsiert an. Natürlich wusste er über sie Bescheid. Nun galt sein Blick Ylvi. Musste sie trinken oder nicht? Ylvi hob den Becher, sah über ihn hinweg in die Runde. "Das ist wahrscheinlich Auslegungssache."
    "Ah ja?"
    "Naja, etwas materielles habe ich noch nicht gestohlen. Aber einigen das Herz."
    O' sah in die Runde. "Na dann, schluck,schluck würd ich meinen." Dabei sah niemand wie Caleb die Augen nieder schlug.
    "Ich hab noch nie...einen prekären Text an die falsche Person geschickt." kam es von Bellamy.
    “Was heißt denn bitte prekär?”, fragte O und fuhr sich einmal durch die langen Haare.
    "Naja, du weißt schon. Schmutzig Textchen...ein paar Bildchen?"
    "Wow, das ist die wievielte Frage? Und dann schon so ein Niveaulimbo?" spach Caleb, prostete allerdings in die Runde und trank- ebenso wie alle anderen.
    “Was passiert denn nun, wenn alle trinken müssen? Und vor allem.. Bellamy du Doofkopf, es geht darum dass die anderen trinken und nicht du selbst!”, protestierte O und schlug ihrem Bruder gegen den Arm.
    “Na wenn alle trinken müssen- macht eure Becher leer. Es gibt Nachschub für alle”, formte Bell kurzerhand die Regeln neu und forderte alle in der Runde auf, ihre Reste auszutrinken und sich etwas neues von ihm schütten zu lassen.
    Nun war Octavia wieder an der Reihe mit der fünften Frage… “Ich hab noch nie… mit mehr als 10 Leuten in meinem Leben geschlafen.”
    “Was ein Nivau…”, deutete ihr Bruder an, zuckte dann jedoch die Schultern. “Na dann lasst es uns spannend machen..”
    Caleb trank. Sonst niemand.
    "Mhm...um das ganze wieder auf Kurs zu bringen. Ich hab noch nie..ein Tattoo gestochen bekommen." setzte Ylvi fort, musste allerdings nun doch selbst einen Schluck nehmen. Von Caleb wusste sie schließlich bereits das er keines besaß. War allerdings überrascht die Geschwister trinken zu sehen. "Na? Überbleibsel aus Knacki-Zeiten?" fragte sie belustigt."
    “Woher du das nur erraten konntest…”, Bellamy lachte, stand auf und zog… blank. Also naja, er zog sein Shirt hoch und zeigte am unteren Rippenbogen ein Messer. Ylvi sah Octavia auffordern an, die ebenfalls aufstand und ihr Shirt nach oben zog. Calebs Blick senkte sich fast beschämend zu Boden, als sie ihren Sport-BH ein Stück nach oben schob. Unter ihrer rechten Brust hatte sie ebenfalls ein Messer.
    “Na auf die Geschichte bin ich aber echt gespannt… auf die und auf die andere, von dem Klauen”, meinte Ylvi schulterzuckend.
    “Nun bist du dran”, forderte O sie jetzt auf, ihr Tattoo zu zeigen, weshalb sie hatte trinken müssen. Fast unauffällig, aber nicht für alle Personen im Raum unsichtbar drehte Caleb seinen Kopf noch weiter weg, während Bellamy es sich nicht entgehen ließ, Ylvis Tattoo zwischen ihren Brüsten zu begutachten, auf der es nicht nur das Tattoo sondern auch einige Narben zu sehen gab. “Starr nicht so.” Dabei hielt O ihrem Bruder die Hände vor die Augen, bis Ylvi wieder komplett angezogen war. Auch Calebs Blick hob sich wieder. “Es wundert mich ja, dass du keins hast. Hast du wirklich nicht besoffen irgendwo in einer ramschigen Ecke eins von einem Bucklebunny verpasst bekommen?”
    “O werd nicht frech”, zischte der Blonde nur und überspielte Os Frage mit einer neuen, für das Spiel angemessenen: “Ich hab noch nie… Strippoker gespielt.”
    "O!" kam es überraschend von Bellamy, der zusehen musste wie seine Schwester kleinlaut, aber frech blinzelnd einen Schluck trank. "Da tun sich ganz andere abgründe auf." murmelte Caleb, leise zu Ylvi. Als wolle Bellamy genau an diesen Anknüpfen "Ich hab noch nie...beim Sex an eine andere Person gedacht." Bell und O' setzen dieses Mal aus. Dafür waren es Caleb und Ylvi die gemeinsam einen Schluck tranken. Nicht ohne sich dabei zu Fragen, wem diese Gedanken wohl galten. Caleb konnte, dem mittlerweile erreichten Pegel zu Schulden, nicht an sich halten. Lehnte sich leicht zu Seite und flüsterte "Musstest du an mich denken während dieser Typ aus Deutschland bei dir war?" Doch er erhielt keine Antwort. Und er vermochte nicht zu sagen. Ob die Röte in ihrem Gesicht vom Kamin, dem Alkohol oder der Scham kam. Bell und O' merkten von diesem Moment der beiden nichts, denn sie hatten eifrig die Becher aller Spieler wieder gefüllt. "Dann bin wohl ich dran!" zwitscherte O' zufrieden. “Ich hab noch nie...eine Schlägerei gehabt.”
    Die beiden Jungs setzten sofort zum Trinken an und nahmen einen größeren Schluck, als sie eigentlich hätten nehmen müssen. O beugte sich über den Tisch und zog die Becher runter. “Hey, hey ihr beiden. Ihr müsst doch nicht einen Schluck pro Schlägerei trinken”, lachte sie. Auch Ylvi stimmte in ihr Lachen ein.
    “Dann würden die Becher nicht reichen”, murmelte Caleb, langte zur Flasche und schüttete sich nach. Auch den Becher von Bellamy füllte er wieder auf. Würden sie weiterhin so große Schlücke trinken, dann wäre die Flasche nach einer weiteren Runde leer. "Ich habs geahnt, ich bin wieder dran." seufzte Ylvi
    "Ich hab noch nie... vor der Polizei fliehen müssen."
    "Du lässt nicht locker,oder?"
    Ylvi schüttelte daraufhin den Kopf, deutete in Bellamys Richtung an wie sie ihren Becher hob. Blieb in der Runde allerdings die einzige, die nicht trinken musste. "Das sind sie...die braven, prüden Deutschen." zog Bell sie auf. "Wir brauchen nur andere Fragen um sie zum Trinken zu kriegen." kam es von Caleb, der triumphierend lächelte. "Ich hab noch nie ….jemanden nackt gesehen obwohl ich es nicht sollte." damit spielte er auf seinen Aufmarsch in die Küche an, als sie damals mit Max gerade gefrühstückt hatte.
    “Für deine Gemeinheit von Frage müsstest du eigentlich deinen ganzen Becher leer trinken”, brachte Ylvi zwischen zusammengepressten Zähnen heraus, ehe sie einen Schluck trank. Doch auch Octavia nahm einen Schluck aus ihrem Becher. Kurz darauf sahen Caleb und Ylvi sie auffordernd an, während sich Bellamy verlegen am Kopf kratzte. Octavia warf ihm einen Seitenblick zu: “Einen Anblick, den ich leider nie in meinem Leben vergessen werde.” Caleb prustete los, steckte die Anderen mit seinem Lachen an und kam- des Alkohols geschuldet, nicht mehr dahinter. “Caleb trink noch einen Schluck, dann gehts dir gleich besser”, schmunzelte O und sah zu Bell, der wieder mit einer Frage an der Reihe war. Vielleicht hatte der Blonde sich bis dahin wieder eingekriegt.
    “Ich hab noch nie... Eifersucht verspürt, als mein Ex-Partner eine Neue oder einen Neuen hatte.”
    “Wow…” Mit einem Mal verstummte Caleb und trank einen Schluck aus seinem Becher, während die anderen nur mit den Schultern zuckten.
    Nun war Octavia wieder an der Reihe. “So Leute… Butter bei die Fische. Ich hab noch nie...darüber nachgedacht, was einen nach dem Tod erwartet… auch wenn ich jetzt selbst trinken muss.” Sie zuckte kurz mit den Schultern und trank einen Schluck. "Wenn man dabei ist zu sterben...dann denkt man nicht daran. Eigentlich." Ylvi sah nach unten auf ihren Becher im Schoß "denkt man gar nicht." O' schlug sich mit der Hand vor den Mund. Sie hatte vergessen was im vorletzten Jahr passiert war. Sie schüttelte den Kopf und trank schließlich. "Aber überlebt man es, dann dreht sich dein ganzes Sein beinahe um diese Frage." seufzte sie. So hieß es in dieser Runde trinken für alle. Was aber auch bedeutete - die Becher wurden erneut gefüllt, die zweite Flasche angebrochen. Die Stimmung wurde lockerer, gelassener. Ylvi fand sich näher an Caleb sitzend wieder, Schulter an Schulter. Während sein Arm locker hinter ihr und O' auf der Rückenlehne lag. Es brauchte ein wenig Koordination um zu ermittelt,wer denn nun eigentlich als nächstes dran sei. Es war Ylvi. "Da wir offenbar die Anstandsfragen ja sowieso hinter uns gelassen haben. Ich hab noch nie...eine Einladung für einen Dreier bekommen."
    “Wieso bin ich schon wieder der Einzige, der trinken muss”, grummelte Caleb vor sich hin, nahm die Hand hinter Ylvi nach vorne und trank einen Schluck, ehe er den Becher wieder abstellte und seine Hand wieder zurück an den Platz auf der Rückenlehne der Couch legte.
    “Bist du nicht…”, murmelte Octavia, trank einen Schluck und grinste Bellamy frech ins Gesicht.
    “Ooooh O, das hättest du besser nicht gemacht”, mischte sich Caleb ein. “Ich hab noch nie… einen Dreier gehabt”, lautete die nächste Frage und brachte niemand anderes zum Trinken, als Octavia.
    “Lalalala”, trällerte Bellamy, schloss die Augen und hielt sich die Ohren zu. Die anderen drei brachen in heiteres Gelächter aus.
    “Iiiiich hab noch nie… jemanden gedatet, der eigenartig war.” So lautete Octavias Frage, die sie zweimal wiederholen musste, da Bellamy noch immer so tat, als würde er weder sehen noch hören können; niemand trank. “Okay dann will ich nochmal.”
    “Du darfst aber nur einmal”, meldete sich ihr Bruder zu Wort.
    “Ich will aber nochmal.”
    “Dann lass sie doch, Bell”, sprach Caleb und wartete gespannt auf die nächste Frage. Sie nahm ihren Becher an die Lippen, tippte den Rand im Takt ihrer Gedanken daran. "Ich hab noch nie….Sex in einem Auto, Zug oder Bus gehabt."
    Bellamy sah seine Schwester an. "Himmel, wer würde denn…" verstummte aber als Ylvi hastig einen Schluck trank, um sich dann zu erklären "Um alle zu beruhigen...es war KEIN öffentliches Verkehrsmittel. Aber meine Jungfräulichkeit, die hab ich in einem Bulli verloren." Woraufhin Ylvi den anderen ersteinmal erklären musste was, denn genau ein Bulli wäre. Denn mit Van konnten die anderen drei deutlich mehr anfangen. "Wo wir dann dabei wären…..ich hab noch nie mit mit einem Arbeitskollegen geschlafen." feuerte Bellamy die nächste Frage in den Raum. Die war fies, denn alle wussten schließlich das Caleb und Ylvi eine gemeinsame Vergangenheit teilten. Allerdings flog ihm die Kinnlade hinunter als auch Octavia an ihrem Becher nippte. Bellamy grummelte "Hoffentlich hat das nichts mit der Dreierfrage zu tun gehabt. Den bring ich um." O' sah ihn keck an. "Wieso...den?"
    “Also ich wars nicht! Himmel, O ist wie eine kleine Schwester für mich!”, haute Caleb raus und bekam einen Schlag gegen den Hinterkopf. Er war sich nicht sicher, ob er von rechts, also von Ylvi, oder von links von Octavia gekommen war.
    “Das will eine Frau hören. ‘Du bist wie eine kleine Schwester für mich’, pah!” - der Schlag war eindeutig von links gekommen.
    “Aber um nochmal auf die wichtigere Frage zurück zu kommen.. warum eigentlich Bell?”
    “Weil ich mir nicht vorstellen will wie du einen Dreier mit… keine Ahnung, Caleb und Cayce hast.”
    “Whoaaa, whoaa, halt mich da bitte raus Bell!”
    “Und wenn es keiner von der Ranch hier war sondern… im Gefängnis? Oder sogar mit Frauen?”
    “Heilige.. O da warst du minderjährig und hör auf mir so ein Kopfkino zu bereiten!”
    “Bell beruhig dich. Der Dreier und das mit den Arbeitskollegen sind unterschiedliche Dinge, die ich hier nicht weiter erläutern werde.” O zuckte mit den Schultern. “Außerdem müsste es in Calebs Fall heißen: Ich hab noch nie mit meinem Chef geschlafen.” Das machte die ganze Sache nicht besser. Ylvi, die mit den Gedanken gerade nicht so richtig bei der Sache gewesen war, hob den Becher zum Mund und trank, was eine wahre Welle des Gelächters auslöste. In diesem Moment zeigte Bellamy ein Flusspferd Gähnen. "Puh, ich denke ich hab für heute genug Sache über meine kleine Schwester erfahren. Ich werd mich mal aufs Ohr hauen. Morgen heißt es wieder arbeiten." O' sah auf die Uhr an ihrem Handgelenk "Streng genommen..ist seit einer Minute morgen. Aber ich geh mit dir Konform. Ich werd mitkommen." "Du kannst schön in dein eigenes Bett. Nachher stellt man uns noch als Inzest-Ranch dar." O' schlug sich die Hand an die Stirn.
    "Du hattest eindeutig zu viel."
    "Natürlich!"
    Ylvi deutete in Richtung der Becher. "Lass das Stehen, ich räum das später weg." Das Geschwisterpaar verabschiedete sich, verließ noch immer schwatzend den Raum. Ylvi ließ sich nach hinten sinken, seufzte. "Ich merke erst jetzt das ich solche Abende vermisst habe." sie schaute zum Tisch, zog eine Schippe mit den Lippen. "Nur doof das der Tee, den du mir gemacht hast, jetzt kalt ist."
    "Ich könnte versuchen dir einen neuen zu machen."
    "Lass das lieber. Mir ist ohnehin nicht mehr Kalt."
    Sie sah ihn dabei von der Seite an, spürte nun in ihrem Hinterkopf seinen Arm auf der Lehne. Sich plötzlich mehr bewusst seiner Nähe. "Es ist schwierig." murmelte sie. "Ich...ich führe ein Leben das ich mir so nicht hätte vorstellen können. Tschetan und Kaya sind mir ans Herz gewachsen. Ich liebe meinen Mann, aber…" dabei senkte sie den Kopf. "aber...ich kann nicht leugnen was meine Träume mir zeigen."
    "Ich bereue es. Jeden verdammten Tag. Ich hätte kämpfen sollen. Damals." Caleb suchte ihren Blick. "Ich denke….wir haben beide unsere Fehler gehabt. ...Ich hab noch nie...das Gefühl gehabt egoistisch gehandelt zu haben." flüsterte sie, um aus dem Becher aus ihrem Schoß zu trinken.
    “Ich hab noch nie… eine Entscheidung so lange hinausgezögert, bis mir sie jemand anderes abgenommen hat.” Damit musste Caleb nun selbst trinken. Der Abend nahm Züge an, die er in nüchternem Kopf und mit klaren Gedanken niemals angenommen hätte. Aus dem Bauch heraus (oder folgte er da doch seinem Herzen?) stellte er Ylvi folgende Frage: “Was zeigen dir deine Träume?” Er schien nicht vergessen zu haben das man sich auf ihre Träume verlassen konnte. "Manchmal tief in der Nacht, wenn Louis schläft. Dann wünsche ich mich an deine Seite zurück." antwortete sie wahrheitsgemäß "Ich kann nicht leugnen was mein Herz mir mitteilt. Ich verstehe es selbst noch so wenig." Ylvi balancierte den Becher zwischen ihren Oberschenkeln, während sie sich die Hände vor die Augen hielt. Caleb nahm der jungen Frau den Becher ab, stellte ihn gemeinsam mit dem seinen auf den Tisch. Nur um ihr die Hände vom Gesicht fortzuziehen. "Ich hab es ja verstanden. Es hat eine Weile gedauert...aber ich hab es verstanden. Louis...er war deine Chance zu bleiben. Ihr hattet eine gemeinsame Geschichte. Vielleicht war es deine Art dich bei ihm zu bedanken...er hat dir dein Leben gerettet." Caleb wischte die Tränen fort die ihr über die Wange zu laufen drohten. "Wir haben damals beide seltsam gehandelt. Aber…" Ylvi schüttelte den Kopf. "Nicht zwing mich nicht….zwing mich nicht dazu mich zu entscheiden." flüsterte sie ihm zu. Kaum hörbar. "Wer spricht von entscheiden?" Und dann...waren da plötzlich seine Lippen auf den ihren. Ein Gefühl von Heimat. Ein aufeinandertreffen von bekannten Seelen. Ihre Körper zogen sich zueinander hin, Calebs Hand suchte sich einen Weg unter ihr Shirt. Dann unterbrach sie den Kuss, ihre Hand umklammerte sein Handgelenk. Stirn an Stirn saßen sie da. Plötzlich lachte Caleb. "Verdammt. Ich kann Louis nicht mal mehr böse sein, das er dich geküsst hat. Ich muss mich ja selbst zusammenreißen dich nicht die Treppe hinauf in mein Bett zu tragen." ...keine Veränderung ihrer Position. Erst langsam befreite Caleb seinen Arm. Umarmte Ylvi, ließ sich nach hinten auf die Couch sinken. Ihr Kopf auf seiner Brust, ihr Oberkörper umschlungen von seinen Armen. "Verdammt." murmelte er nochmal.

    Louis, Kaya, Tschetan, Dell & Betsy
    “Woooooow”, schwärmte Betsy noch immer von dem Pferdefilm, den sie alle zusammen soeben gesehen hatten. Dell war noch zur Toilette, weshalb sie drinnen im warmen Kino auf ihn warteten. Tschetan grummelte ein paar mehr oder minder zustimmende Worte, ihm war der Film zu kitschig und zu mädchenhaft gewesen. Kaya allerdings teilte Betsys Meinung, weil sie bei jeder ihrer Aussagen kräftig nickte. Louis kratzte sich am Kopf, ließ den Mädchen jedoch ihre Freude, auch wenn der Film voller Fehler gewesen war.
    “Morgen früh mal ich Sue so an, wie das Mädchen ihren Akecheta (bedeutet wohl Krieger :D) angemalt hat. Mit den roten Ringen ums Auge und die Streifen am Bein.”
    “Du weißt schon…”, begann Tschetan doch Louis legte ihm kurz eine Hand auf die Schulter, schüttelte den Kopf und gab ihm so zu verstehen, dass er Betsy nur machen lassen sollte.
    “Ich erklär es ihr morgen früh”, sagte er leise, nur für Tschetans Ohren bestimmt.
    Dell schloss wieder zur Truppe auf. Sie gingen alle gemeinsam zum Auto, stiegen ein und er startete den Motor, um die Heimfahrt anzutreten. “Das sollten wir öfter machen.” Dell brach die Stille. Allerdings antworteten ihm nur Louis und Tschetan, Kaya und Betsy waren beinahe sofort eingeschlafen, sobald er losgefahren war.
    “Da haben wohl zwei etwas nachzuholen.” Vergangene Nacht hatte Besy bei Kaya übernachtet. Gott allein weiß, wann die beiden endlich die Augen zugemacht und geschlafen hatten.
    Auf der Ranch angekommen schaltete Dell den Motor aus und drehte sich zeitgleich mit Louis nach hinten. Die Mädels schliefen noch immer. “Tragt ihr sie jetzt etwa ins Bett oder kann ich sie wecken?”, fragte Tschetan und machte schon Anstalten, an seiner Schwester zu schütteln.
    Dell und Louis schauten sich an, hatten denselben Gedanken im Kopf und sagten zeitgleich: “Wir tragen.”
    Leise wurde also ausgestiegen, die Mädchen aus den Gurten befreit und sich bis zum Morgigen Tag verabschiedet. Dell mit seiner Tochter Betsy auf dem Arm gingen in ihren Bungalow, Tschetan und Louis, der Kaya auf dem Arm hatte, gingen in den Ihren.
    Lautlos öffnete Dell die Haustür, schloss sie hinter sich wieder und steuerte auf Betsys Zimmer zu, wo er mit der freien Hand die Bettdecke zurückschlug und das Mädchen in ihr Bett legte. Er öffnete gerade den Reißverschluss ihrer Schuhe, da hob sie den Arm und rieb sich einmal durch die Augen. “Hmm?”, fragte sie verschlafen und richtete sich halb auf. “Sind wir schon wieder zuhause?”
    “Ja, meine Kleine, seit ein paar Minuten.”
    “Dad kann ich bei dir übernachten heute, bitte?” Diese Frage hatte sie ihm schon lange nicht mehr gestellt. Einerseits war er froh, dass sie es endlich schaffte, alleine in ihrem Bett zu bleiben und dass die Albträume aufgehört hatten. Andererseits kam ihm selbst sein Bett in letzter Zeit viel zu kalt und leer vor.
    “Natürlich. Ziehst du dich um und kommst dann rüber?” Betsy nickte zustimmend.
    Dell verließ das Zimmer seiner Tochter, machte einen Abstecher im Bad und zog sich dann ebenfalls in seinem Zimmer um. Er schlug gerade seine Bettdecke rüber, da stand seine Tochter mit ihrem Kuscheltierpferd, natürlich war es schwarz, so wie ihre Stute Sue, in der Tür. “Komm, kuschel dich schon mal ein, ich mach das Licht aus.”
    Kurze Zeit später fand sich Dell ebenfalls im Bett wieder. Seine Tochter in den Armen, an seinem Bauch das Kuscheltierpferd.
    “Weißt du… du bist der beste Dad auf der ganzen Welt. Ich hab dich unglaublich lieb.” Mit diesen Worten kuschelte sich das Mädchen noch enger an ihren Vater heran.
    “Womit hab ich das denn verdient?”, flüsterte er ihr ins Ohr und wartete geduldig auf ihre Antwort, doch Betsys Atemzüge wurden länger, gleichmäßiger und sie blieb ihm die Antwort schuldig.

    Ylvi & Caleb
    Stille lag über dem Raum. Nur das einsame Licht des Feuers, sowie eine kleine Lampe in der Nähe der Tür erleuchteten den Raum. Das Knacken aus dem Kamin blieb das einzige Geräusch. Caleb strich versonnen über die Finger die Ylvi auf seiner Brust liegen hatte. Tiefe, gleichmäßige Atemzüge zeigten dem Cowboy das sie bereits schlief. Waren ihre Träume auch in diesem Moment gefüllt von ihm? In seinen umnachteten Gedanken tauchte die Frage aus dem Spiel auf. Sah wie Ylvi trank. Ich hab noch nie...beim Sex an eine andere Person gedacht. flackerte Bells Frage durch seinen Verstand. Er schaute hinab auf Ylvis Gesichtszüge. Als er sich einer Bewegung im Türrahmen gewahr wurde. Louis trat gerade in das Licht der kleinen Lampe. Die beiden geflochtenen Zöpfe lagen unter seinen verschränkten Armen. Wie so oft gab es keine Regung auf dem Gesicht des Lakota. Beide Männer starrten sich ob der Dunkelheit gegenseitig ins Gesicht. Caleb nahm fast mechanisch seine Hand von Ylvi, wollte hinter sich greifen um aufzustehen. Da machte Louis eine Geste. Sie bedeutete Ende. Dann drehte sich der Lakota um. Hatte Caleb da ein Lächeln auf seinem Gesicht gesehen?

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    Louis
    Das ich darauf gewartet hatte wäre übertrieben gewesen. Viel mehr überraschte mich meine Reaktion. Im Schatten des Flures hatte ich sie beobachtet. Zwei Körper eng verschlungen. Hatte gesehen wie Caleb sie ansah.
    Wieso war da keine Eifersucht in mir? Fühlte ich mich zu sicher? Wegen eines blattes Papier? Meines Namens den Ylvi trug? Ich wusste nur zu gut wie sehr sie sich ihren Gefühlen hingab. Selbst am Tag der Hochzeit hatte ich gewusst, das in ihrem Herzen immer die Liebe für Caleb bleiben würde. Meine Schritte gingen hinaus in die Dunkelheit des Hauses. Caleb war wie ein Bruder für mich. Wir hatten einander in den letzten Jahren mehrere Male unser Leben bewahrt. Mein Herz war bei dem Anblick der mir wichtigsten Menschen in meinem Leben nicht zerbrochen. Hatte ich stattdessen...Stolz verspürt?
    Ich hatte Caleb zu verstehen gegeben zu bleiben wo er war. War gegangen...noch jetzt zuckten meine Mundwinkel mit einem Lächeln. Liebte ich Ylvi weniger? Ich blieb stehen, schaute hinauf in den bewölkten Himmel. Horchte tief in mich hinein. Bis mein Bauchgefühl mir eine Antwort zu geben vermochte. Mir fehlte in diesem Bezug einfach jegliches Gefühl von Eifersucht. Eher ein bestimmendes Gefühl völliger Verwirrung. Mit diesem im Kopf kehrte ich zurück in das Bett.

    Caleb
    ‘Fuck, fuck, fuck, fuck’, dachte ich unentwegt, warf meinen Kopf zurück gegen die Rückenlehne des Sofas und seufzte tief. Wie lange hatte Louis schon da gestanden? Was hatte er gesehen- und vor allem: warum war er einfach gegangen, nicht jedoch ohne mir vorher ein Zeichen zu geben, ich solle liegen bleiben? Und lag wirklich ein Lächeln auf seinem Gesicht, als er sich umdrehte?
    Der Lakota würde mir keine reinhauen, so wie ich es bei ihm getan hatte. Er würde auch nur im äußersten Fall zurückschlagen, sollte es erneut zu einem Kampf kommen.
    Alles nur wegen dieser einen Frau, bei der ich zu Beginn des Abends gedacht hatte, ich wäre über sie hinweg. War ich nicht. Augenscheinlich- und dann war ich auch noch so dumm gewesen sie einfach zu küssen! Setzte ihr Flausen in den Kopf, sie müsse sich nicht zwischen mir und Louis entscheiden. Verdammt sie hatte sich entschieden. Vor einem Jahr schon. Seit einem Jahr war sie die Frau an der Seite von Louis. Wie lange hatten wir uns gegenseitig gebraucht und aufgebaut? Auch ein Jahr? Weniger? Länger? Ich wusste es schon gar nicht mehr.
    Was würde mein dummes, egoistisches Verhalten für die Zukunft bedeuten? Hatte ich mein Recht verspielt, egoistisch zu handeln?
    Sollte ich Ylvi sagen, dass Louis uns gesehen hatte? Wobei… sie lagen nur zusammen auf der Couch- angezogen. Keine Spur von Romantik oder einem Kuss… Würde Ylvi ihm erzählen, was vorgefallen war? Würde sie ihm erzählen, was ich ihr vorgeschlagen hatte? Dass sie sich nicht entscheiden müsse? Ich wusste, dass Lakota ihre Frauen mit ihrem Kola, ihrem Freund, teilten. Wollte ich das? Stand das im Raum? Was würde das für die Ranch heißen? Dass wir hier lebten, wie die Wilden?
    Ylvi fing an sich zu bewegen, löste sich aus meinem Griff. Sie richtete sich auf und sah zu mir hoch, rieb sich einmal mit der Hand durch die Augen. “Caleb was ist los? Warum spannst du dich so an?”
    Meine Gedanken rasten. Noch immer unsicher, was ich ihr erzählen sollte, oder ob ich ihr überhaupt etwas erzählen sollte. Hatte ich dieses Mal die Eier in der Hose, ihr die Wahrheit zu sagen? Oder trug sich der Kampf wieder einmal nur in meinem Kopf zu? Der Caleb aus dem letzten Jahr hätte ihr vermutlich nichts gesagt, geschwiegen und das Gespräch zunächst mit Louis gesucht- oder eben auch nichts gesagt. Der heutige Caleb war erwachsener, reifer geworden und wollte vor seinen Problemen nicht mehr davonlaufen. Ich wollte sie anpacken, mich ihnen stellen. Ganz so wie meinen Dämonen, die mich nachts so häufig um den Schlaf brachten. Um diesen entgegen zu wirken schien dies ein guter, erster Schritt zu sein.
    Doch war es erwachsen und vernünftig, zu erst mit ihr und nicht mit Louis zu reden? Fiel ich ihm mit meinem Verhalten nicht in den Rücken?
    Ich entschied mich dazu, Ylvi die halbe Wahrheit zu erzählen- ‘verdammter Idiot’, hallte es in meinem Kopf wider.
    “Louis stand eben im Türrahmen, hat uns gesehen. Als ich aufstehen wollte, hat er mir das Signal zum sitzenbleiben gegeben und ist... gegangen.”

    Ylvi
    Ich schnappte plötzlich nach Luft, mir bis dahin nicht bewusst das ich die Luft angehalten hatte. Ich fühlte mich schlagartig weder neblig vom Schlaf, noch vom Alkohol.
    Wie sollte ich Caleb erklären das Louis und ich in dieser Sache keine Geheimnisse voreinander hatten? Mir war jedoch nicht gänzlich klar wieso Louis die Situation nicht aufgelöst hatte. Natürlich….er war nicht Caleb. Seine Gedanken setzte mein Mann nicht direkt in Aktionen um. “Caleb...Louis und ich. Wir sprechen darüber. Das war ein Versprechen nach unserer Hochzeit. Wir würden uns alles erzählen.” ich sah auf die Hände in meinem Schoß nicht ganz sicher was ich sagen wollte. Ich wollte ehrlich mit Caleb sein, aber die Worte auszusprechen war so schwer. Ich setzte an. Verstummte. Setzte wieder an. “Dass ich Gefühle für dich habe. Ich kann nicht ahnen bis wohin sein Verständnis geht. Aber...ich weiß nicht. Dass er ging.” ich sah und deutete zum Türrahmen, sah dann wieder direkt in Calebs Augen. “Ich weiß nicht ob das Louis Art war…”ich lachte kurz auf “uns eine Erlaubnis zu geben...für was auch immer.” und dann spürte ich das Kribbeln in meiner Nase und schluckte um nicht weinen zu müssen..”Oder seine Art mir Bewusst zu machen das ich mich entscheiden sollte. Wir uns entscheiden sollten.”

    Caleb
    Ich wusste ehrlich nicht was ich ihr antworten sollte, saß stattdessen einfach nur stumm da. Die Zahnrädchen in meinem Kopf rasten unaufhörlich, formten Worte und ließen sie wieder verschwinden.
    “Es kann auf jeden Fall nicht auf ewig so weitergehen. Ich habe wirklich gedacht ich sei über dich hinweg, bin es aber augenscheinlich nicht. Dich beziehungsweise euch vom Hof zu schmeißen ist allerdings auch das allerletzte, was ich möchte. Außerdem würde ich Betsy damit das Herz brechen, das könnte ich nie im Leben wieder gut machen”, ich seufzte tief, vergrub meinen Kopf in meinem Händen, schloss die Augen und verharrte einen Moment so.
    “Ylvi was machen wir hier eigentlich überhaupt? Was soll der Mist?” Langsam fing ich an mich wieder in Rage zu reden, sprach zuerst Dinge aus, bevor ich darüber nachdachte. “Wie soll das hier weitergehen? Dass wir uns alle paar Wochen betrinken, uns küssen oder andere Dinge machen und du dann zurück zu Louis gehst und neben ihm im Bett einschläfst?” Ich stand auf, fing an um den Wohnzimmertisch und die Couch herum zu tigern. “Ich kann mich nicht konzentrieren, bin ständig abgelenkt. Abgelenkt davon, nicht über uns nachzudenken. Dich nicht zu packen und zu küssen, dich nicht mit in mein Bett zu nehmen. Ich denk sogar darüber nach dich einfach zu umarmen, wenn du neben mir stehst, meinen Kopf an den Deinen zu legen und einfach deine Nähe zu spüren, dich bei mir zu haben. Wie soll ich das aus mir rausbekommen? Was soll ich machen? Wenn du eine Lösung weißt, sag es mir. Ich kann das auf jeden Fall nicht mehr, es macht mich wahnsinnig.” Beim letzten Wort blieb ich stehen. Zwischen Couch und Tisch war ich wieder genau vor Ylvi angekommen, schaute sie von oben herab an und atmete einmal schwer.

    Ylvi
    Ich konnte nicht anders als das Tränen meine Wangen hinab liefen. “Ich...Ich wünschte bloß ich könnte zwei Personen sein. Eine...die liebende Frau, eine gute Mutter für Kaya und Tschetan. Zufrieden, mit dem was ich habe, wie ich es bin. Die zweite? ...jemand anderes, jemand neues. Vielleicht nur für einen Tag..damit ich an deiner Seite sein kann, dich küssen, dein Bett teilen....ohne mich illoyal gegenüber Louis zu fühlen.”
    “Und du glaubst….du wärst damit zufrieden? Oder...ich?” Caleb nahm eine Strähne meines Haares und steckte es mir hinter die Ohren. “Ich habe es erst nicht begriffen. Bis heute nicht. Aber ich sehe eure Blicke, denselben mit dem du mich anschaust.” “Caleb..” seufzte ich “Hab Geduld mit mir. Wie ich Geduld mit dir hatte...bis ich, wir, eine Lösung haben..” ich wische fahrig meine Tränen fort. “Danke...für den Abend. Aber...ich, ich sollte gehen.”
    Ich verzichtete auf den nassen Regenmantel, sogar meinen Hut. Ich zog nur die Stiefel an und joggte hinüber zum Bungalow.Ich schloss leise die Tür. Fand meinen Weg auf Socken hinein in das Schlafzimmer das ich mit Louis teilte. Gedämpftes Licht kam von einer Lampe, über der ein gelbes Tuch hing. Daneben rauchte ein Bündel Salbei in einer Schale. Ich wusste um die Bedeutung. Louis schrak auf als ich den Raum betrat. Wir sahen einander nicht an. In Klamotten legte ich mich neben ihm ins Bett. “Darf ich fragen?” setzte er an. “Nein Louis.” ich seufzte und schniefte gleichzeitig. “Frag mich nichts” Stattdessen rückte er ein Stück näher, nahm mich in den Arm. Mein Kopf nun auf seiner Brust, während ich einfach nur weinte. Ich hatte nicht die Kraft jetzt darüber nachzudenken was für eine Entscheidung ich treffen wollte...treffen sollte. Mein Herz liebte zwei Männer...und es zerriss mir selbiges. Es spürte Liebe und Mitleid für beide Männer die ich auf die eine oder andere Weise betrogen hatte.

    Caleb
    ‘Ich wünschte bloß ich könnte zwei Personen sein’, dieser Satz hallte Minuten, nachdem Ylvi den Raum und sogar das Haus verlassen hatte, noch immer in meinem Kopf nach. ‘Hab Geduld mit mir. Wie ich Geduld mit dir hatte, bis ich, wir eine Lösung haben.’ Eine Lösung haben? Ich hatte alles ruiniert. Hätte ich sie bloß nicht geküsst, ihr nicht nahegelegt, was in mir vorgeht. Hätte ich Schweigen sollen? Nein, mit Sicherheit nicht. Ich hatte etwas sagen müssen, meinen Gedanken freien Lauf gewähren müssen… und von jetzt an: musste ich mit den Konsequenzen leben. Der Jetzige Zustand hätte mich auf Dauer von innen heraus zerfressen. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber ich fühlte mich einsam wie schon lange nicht mehr. Auf dem Hof war vom Frühstück morgens bis zum Abendessen abends immer etwas los. Ich hatte Menschen um mich herum, manchmal mehr als mir lieb war. Von jungs bis alt, mit allen kam ich aus und war froh um jeden Einzelnen, den ich hier hatte. Aber spät abends, wenn ich alleine auf der Couch saß und die Mitarbeiter ihre Wege in die Bungalows angetreten hatten, dann fühlte ich mich einsam. Ging ich abends alleine in ein leeres Bett, fühlte ich mich einsam. Stand ich morgens alleine auf, fühlte ich mich einsam. Ging ich morgens runter zum Frühstück an den gedeckten Tisch, der voll mit meinen Mitarbeitern saß, war das Gefühl der Einsamkeit verflogen.
    Saß ich mit Ylvi zusammen im Büro, verspürte ich eine große innere Anspannung, bei der ich ständig versuchte, sie nicht nach außen hin durchkommen zu lassen.
    Bisher hatte es funktioniert, bis zum heutigen Abend. Ob es dem Alkohol oder Louis Reaktion geschuldet war, wusste ich nicht. Tatsache war, dass ich meine Gedanken ausgesprochen hatte und ich sie nicht wieder zurücknehmen konnte.
    Ylvi hatte mich vor ihrem Verlassen eben darum gebeten, ihr Zeit zu geben. Zeit, eine Lösung zu finden- und genau das würde ich jetzt tun. Es gab diese Momente im Leben, da musste man sich zusammenreißen, nun war einer dieser Momente gekommen.

    Caleb
    Am nächsten Morgen tauchte ich erst spät beim Frühstück auf, lediglich Dell und Betsy saßen noch am Tisch, alle anderen waren schon auf der Ranch unterwegs und fingen mit ihren Arbeiten an.
    “Wars gestern schön im Kino gewesen?”, fragte ich an Betsy gewandt und trank einen langen Zug aus meiner Kaffeetasse.
    “Oh ja und wie! Darf ich mir Sue nehmen und sie wie ein Indianerpferd anmalen? Das hat das Mädchen im Film auch gemacht mit ihrem Pferd, bitte, bitte, bitte!”
    Ich grinste kurz, sah zu Dell der nur mit den Schultern zuckte. “Ja darfst du. Nimm sie aber mit auf einen der kleinen Paddocks, dann kann sie ein bisschen fressen, sieht die anderen Pferde und wenn sie keine Lust mehr hat kann sie weggehen, aber nicht weglaufen. Pass nur auf, dass du sie auf einen der Stutenpaddocks stellst, nicht auf die andere Seite zu den Hengsten… sind Tschetan und Kaya auch dabei?”
    “Kaya ist immer dabei, Tschetan weiß ich nicht.. aber ich glaube, Louis wollte mir da noch was erklären.”
    ‘Zusammenreißen...zusammen… reißen…’ “Wenn Louis dabei ist, umso besser. Geh gleich mal rüber und frag ihn ob er Sue sogar mit dir von der großen Koppel holen kann.” Ich hoffte, dass er Betsys Einladung folgen würde. So wusste ich wenigstens, welchen Bereich der Ranch ich heute meiden würde. Das Büro und die Stutenpaddocks.
    “Dell kannst du gleich nach dem Pferdehänger schauen? Seit Cayce und Bell mich und Tschetan mit Saintly vom Flughafen abholen sollten, steht der hier herum und ist kaputt. Ich kann auch deinen Stalldienst übernehmen, gar kein Problem.”
    “Also wenn das so ist… natürlich.”
    Betsy stopfte sich das letzte Stück ihres Brotes in den Mund, stand auf, umarmte ihren Vater mit den Worten “Hab dich lieb” und ging dann nach draußen. “Hab dich auch lieb…”, murmelte er, aber seine Tochter war schon lange verschwunden.
    “Ich hab mir beim besten Willen niemals vorstellen können, einmal so viele Kinder um mich herum zu haben. Ich bin von einer festen Beziehung und Vater sein meilenweit entfernt, ich mein… bei mir hier im Haus kommen und gehen sie, ich hab die Kids nie 24 Stunden am Tag um mich herum… aber, wie ist das Leben eigentlich überhaupt, wenn das Kind… von einem selbst ist? Man Vater ist?
    “Wie es ist Vater zu sein?”, wiederholte er meine Frage in einfachen Worten. Ich nickte, dann antwortete er: “Es ist anstrengend… es bereitet dir unendlichen Kummer. Wenn Betsy krank ist oder es ihr nicht gut geht, leide ich mit ihr, manchmal sogar mehr als sie. Ich weiß nicht wie es wäre, wenn ihre Mutter noch da wäre… aber Caleb, es ist das Schönste im Leben.”
    Ich nickte wieder, lächelte ihn an. Dann stand ich auf, füllte Kaffee in meine Thermoskanne, bedankte mich bei Dolly für das Frühstück und begab mich dick eingepackt nach draußen. Dort steuerte ich sofort auf den Trainingsstall zu, fernab von den Stutenkoppeln oder dem Bungalow von Ylvi und Louis.

    Louis fand die beiden Mädchen auf einem der Paddocks. Sue fraß genüsslich an der Schubkarre voll Heu. Kaya und Betsy waren in Gummistiefeln begeistert dabei Farbe, nicht nur auf Sue, sondern auch sich zu streichen. Wehmütig lehnte er sich an den Zaun, seufzte leise. Wann nochmal hatte er sich ausgesucht ein Vater zu sein? Das war einer der Momente in denen er es nicht mochte.
    "Louis! Schaut Sue nicht toll aus! Wie gestern in dem Film." seufzte Bety verträumt. Louis sah zu Kaya, aus ihren Zöpfen hatten sich die Strähnen gelöst, flatterten wild im Wind. Und er versuchte sich daran zu erinnern, als ihre Mutter noch gelebt hatte. Kaya war damals noch in Windeln umher gelaufen, in einer für sie angefertigten Regalia hatte sie an der Seite ihrer Mutter begonnen zu tanzen. Viel zu lange hatte Louis seine eigene Regalia nicht getragen. "Kommt mal hier rüber Mädels." winkte er die beiden Mädchen heran, setzte sich auf den Rand der Badewanne, die hier als Tränke diente. Auch die Kids setzten sich neben ihn. Dann deutete er auf Sue, die weiter ungeniert ihr Heu fraß. "Könnt ihr euch daran erinnern? An die Geschichte von Wakan Tanka? Was habe ich dabei zu seinem Namen erzählt?" Betsy und Kaya sahen ihn an, Kaya machte ein Zeichen. Und wie es für die beiden mittlerweile üblich war sprach Betsy die Worte für sie. "Du hast gesagt Wakan..das heiße Heilig. Sein Name bedeutet Großer Geist. Hat das etwas damit zu tun was du mir gestern erzählen wolltest?" fragte Betsy neugierig. Louis lächelte ihr zu antwortete jedoch nicht. "Als die ersten Siedler mit ihren Pferden dieses Land betraten wussten die Leute unseres Volkes nicht was sie da vor sich sahen. Es transportierte große Lasten, konnte weite Strecke laufen ohne zu ermüden. Sie dachten sie hätten es mit etwas heiligem zu tun. Man kannte kein Wort für diese Geschöpfe also nannte man sie Sunka Wakan. Sie nannten also das was sie vor sich sahen heiliger Hund." beide Kinder folgten dem Blick des Mannes der mit den Lippen eine kurze Geste in Richtung der Stute machte. Er ließ Betsy eine ganze Weile Zeit. Dies war nicht die erste Lehrstunde über das Leben der Lakota oder viel mehr. Nicht die erste über alle Indigenen Völker. "Heißt das...ich darf Sue nicht mehr anmalen? Es sieht doch so schön aus!" seufzte Betsy
    Louis sah das blonde Mädchen von der Seite an, bevor er ihr zu lächelte. Er schüttelte beruhigend den Kopf. "Du bist ein Kind. Aber du bist dabei erwachsen zu werden. Und wie bisher. Möchte ich das du verstehst. Für Tschetan, Kaya, mich und viele andere Indigene ist es da draußen gar nicht so einfach. Nicht wie hier auf der Ranch. Am Ende des Tages, wenn das Wasser dir die Farbe von der Haut gewaschen hat. Dann bist du wieder einfach nur Betsy." Betsy sah zu Boden, fast ein wenig enttäuscht. "Eure Kultur ist keine Verkleidung ich weiß. Bist du mir böse?" damit sah Betsy ihn wieder an. "Ich wäre dir nur böse, wenn du nicht lernen würdest. Komm ich erkläre euch ein paar der Zeichen, die man mir beibrachte. Die WarPaint eines jeden Kriegers war unterschiedlich und auch nicht jedes Pferd wurde mit den gleichen Zeichen bemalt. Das kam ganz darauf an ob das Pony ein Büffelläufer oder ein Kriegspony war."
    Für die nächsten zwei Stunden lernten beide Kinder durch die kleinen Geschichten die Louis ihnen erzählte. In der Kultur seines Volkes wurden die Kinder nicht bestraft. Es gab unzählige Lehrreiche Geschichten die dazu dienen sollten die Kinder zu erziehen. Louis selbst war nicht auf die selbe Weise erzogen worden. Doch mit den Geschichten der Ältesten kannte er sich aus.

    Ylvi
    Ich war müde und verheult aufgewacht. Schlaf hing in den Augenwinkeln, meine Klamotten die ich gestern nicht mehr ausgezogen hatten hingen an mir. Fast ein wenig feucht. Ich konnte mich nur vage an meine Träume erinnern, aber ich musste geschwitzt haben. Ich schlich mich leise aus dem Zimmer unter die Dusche. Draußen war es noch dunkel. Die Anzeige der Uhr in der Küche zeigte mir das es kurz vor 6 war.
    Wie ein Geist stand ich in der dunklen Küche. Mein Bademantel hielt mich nur vage Warm..noch rann mir ein Tropfen Wasser über das Knie. Auf leisen Füßen schlich ich mich in unser Schlafzimmer zurück, fand im Zwielicht den Schrank und zog einige neue Sachen für mich hervor. In der Dunkelheit konnte ich Louis nicht sehen. Aber die Scham drückte mich nieder, also verließ ich den Bungalow. Noch würde niemand auf sein, aber es sprach nichts dagegen bereits die Decken der Pferde abzunehmen, die Boxen zu misten. Ich brauchte jetzt Beschäftigung!
    Vielleicht würde ich mir zum Mittag eines meiner Trainingspferde entführen um einen Ausritt zu machen.

    Caleb
    Eine ganze Weile schon war ich dabei, Dells Boxen zu misten, die Pferde umzudecken, nach draußen zu bringen und schon das Futter für den Abend vorzubereiten. Bei den Pferden, die nur Mineralfutter und Kraftfutter bekamen, wartete ihr Futter am Abend bereits im Trog. Das waren auch die Pferde, die momentan nicht wirklich im Training standen.
    Alle anderen, besonders die, die ich so gut wie jeden Tag ritt, weichte ich Rübenschnitzel auf. Die konnte ich erst beim reinholen der Tiere in den Trog schütten, da sie sonst das restliche Kraftfutter zu einem labbrigen Brei aufweichen würden.
    Die Stutenkoppeln umgehend schaute ich noch bei HMJ Saintly vorbei, der momentan ein Luxusleben führte. Herumstehen und Fressen, was könnte es besseres geben.
    Da ich doch nicht drum herum kam, einige E-Mails zu beantworten, schlich ich mich ins Büro, welches zum Glück leer war, schnappte mir das Tablet und ging damit hoch in mein Schlafzimmer, wo ich mich vors Fenster setzte und mit dem Blick auf den Hof E-Mails beantwortete. Ich konnte Bellamy mit einigen der Pferde bei der Führanlage sehen, Louis und Betsy bei Sue sowie Dell beim Pferdeanhänger. Ich hoffte, dass er ihn wieder zum Laufen bringen würde.
    Doch kaum hatte ich ein, zwei Mails beantwortet, musste ich mich doch runter ins Büro setzen, da das Akku den Geist aufgegeben hatte.

    Dell
    Nach dem Frühstück war ich zunächst wieder in den Bungalow gegangen, um mir andere Kleidung anzuziehen. Die Jeans, mit der ich die Ställe mistete, war zum Reparieren des Anhängers nicht wirklich geeignet, denn sie hatte zu wenige Taschen.
    Ich schlüpfte in meine Arbeitshose- die mit den extra vielen Taschen, und machte mich zum Anhänger auf den Weg. Da wo er jetzt stand kam ich nicht gut dran, weshalb ich Calebs Truck dranhängte, um ihn mir auf den Hof zu ziehen. Caleb hatte was erwähnt, dass er sein Auto später brauchen würde, weshalb ich es wieder abhing und ein paar Meter nach vorne fuhr.
    Nachdem ich nun auch meine Arbeitsutensilien alle beisammen hatte, schaute ich mir einmal an, wo denn das Problem war. Schon beim Fahren war mir aufgefallen, dass der Hänger ziemlich schief war. Zunächst schaute ich mir also den Reifen an. Doch wenn dieser platt gewesen wäre, wären Bellamy und Cayce schon auf die Idee gekommen, ihn zu ersetzen. Also musste ich weiter drunter gehen und fand eine Stelle an der Achse, die sich verzogen hatte. Genaueres sah ich nicht, dafür musste ich mir den Hänger wohl aufbocken, um weiter drunter zu kommen- eine Aufgabe, die ich schon hundert mal erledigt hatte.
    Ich war mir sicher, ich könne den Schaden ohne großen Aufwand beheben, weshalb ich auch den Reifen drauf ließ. Ohne noch lange weiter darüber nachzudenken, bockte ich mir den Hänger auf, legte mich auf den Rücken und robbte mich zu der Stelle vor, die ich genauer unter die Lupe nehmen wollte.

    Bellamy
    Heute war einer dieser Tage, an denen ich mit dem falschen Bein aufgestanden war und mich das Gefühl nicht losließ, dass der Tag schrecklich werden würde. Dabei hatte ich heute gar nicht viele Aufgaben zu erledigen oder irgendwelche Sachen zu machen, auf die ich keine Lust hatte. Mir lag einfach ein Gefühl im Magen, dass heute kein guter Tag war.
    Ein Scheppern riss mich aus meinen Gedanken wieder in die Gegenwart zurück. Die Führanlage hatte den Geist aufgegeben. “Toll. Wirklich toll. Dann kann es heute ja nur noch besser werden…”, murmelte ich, ehe ich die beiden Führstricke von Magic und Tex schnappte, die Anlage mit der Hand weiterdrehte, um die beiden Pferde ans Halfter zu bekommen und mich auf den Weg zum Stall machte.
    Wieder hörte ich ein Krachen, dieses Mal jedoch etwas weiter weg. “Was hat denn nun schon wieder den Geist aufge… Oh mein Gott!” Die Stricke der Pferde glitten mir beim Anblick dessen, was ich vor mir sah, einfach aus der Hand. Ich rannte los, ganz gleich was die Tiere machen würden, die könnten wir später wieder einfangen.
    “Scheiße… hörst du mich? Oh Gott… HILFE!”, in einem wahrlichen Schockzustand brüllte ich so laut ich konnte, doch auf der weitläufigen Ranch würde mich vermutlich niemand so einfach hören können.
    Ich schien jedoch Glück zu haben, Ylvi lief auf mich zu. “Ylvi ruf einen Krankenwagen! Schnell!” Sie stoppte in der Bewegung, kramte ihr Handy aus der Tasche und lief wieder auf mich zu. Neben mir ließ sie sich auf die Knie fallen. “Was ist passiert? Hörst du mich… Dell?!”
    Keine Reaktion. Die Wagenheber, mit der Dell den Hänger aufgebockt hatte, war gebrochen. So war der Hänger mit voller Wucht nach unten gekracht und hatte Dell unter sich begraben. Dieser reagierte nicht mehr, ich wusste nicht einmal ob er atmete!
    “Bellamy atmet er? Die vom Rettungsdienst sind unterwegs…”
    “Ich weiß es nicht, wie soll ich denn dran kommen? Sollen wir den Hänger hochheben??”
    “Nein, bloß nicht. Wir müssen warten, die Feuerwehr kommt auch hierher, wenn wir den Hänger heben und er bekommt nicht sofort Hilfe… stirbt er.” Ylvi versuchte die Tränen zurückzuhalten und dem Mann am anderen Ende des Hörers Antworten zu geben.
    “Bellamy versuch herauszufinden, ob er atmet…”, gab sie mir die nächste Anweisung.
    Ich schluckte, kroch vorsichtig ein wenig unter den Hänger und blickte direkt in eine große Blutlache, die sich von Dells Kopf auf den Boden ergoss.
    Regungslos, wie erstarrt blieb ich liegen und starrte seinen Kopf an. Überall… war Blut… er hatte die Augen geschlossen… wirkte tot… “BELLAMY!”, schrie Ylvi mich nun an. “ATMET ER NOCH?”
    Zaghaft befreite ich mich aus meiner Erstarrung, hob eine Hand nach vorne und hielt sie unter seine Nase. Ich spürte einen ganz schwachen Luftstoß, legte zwei Finger an seinen Hals und kontrollierte seinen Puls, welcher ebenfalls schwach, aber noch da war.
    “Ganz schwach, Atmung und Herzschlag”, gab ich Ylvi Bericht und krabbelte wieder unter dem Anhänger heraus. “Ylvi er hat eine große Wunde am Kopf, liegt in einer ziemlichen Blutlache.” Ich versuchte mich zu besinnen. Wie oft schon hatten damalige “Bekannte” mir von Situationen erzählt, in denen sie beim Raub handgreiflich geworden waren oder sogar absichtlich Menschen verletzt hatten, um sie zu beklauen. O und mir war das nie passiert, noch nie hatten wir einen Mensch absichtlich oder unabsichtlich verletzt. Einmal war ich dabei gewesen, als mein Partner auf einen Menschen geschossen hatte. Mir sollte der Anblick von Blut nichts ausmachen, aber es war etwas ganz anderes auf einen fremden zu schießen oder seinen Freund hier, in seinem eigenen Blut liegend, vorzufinden.

    Ylvi
    Man konnte die Anspannung im Saal förmlich in Stücke schneiden. Auch ich konnte auf meinem Stuhl nicht vernünftig sitzen, mit tat der Hintern weh. Außerdem hatte ich taube Knie. Allerdings wollte ich mich auch nicht bewegen. Louis war vor 3 Stunden mit Betsy ins Krankenhaus gefahren. Bellamy war inzwischen wieder gefahren. Calebs Truck hatte wieder gesponnen, daher musste er warten bis Bell zurück war um selbst ins Krankenhaus zu kommen.
    Wir warteten bereits 5 Stunden im Wartezimmer des Krankenhauses. Ich hatte jetzt erst eine klare Vorstellung davon wie es Louis und Caleb ergangen sein musste, als ich die Patientin gewesen war. Louis hatte eine Hand um die meine geschlungen. Ich hatte Betsys Kopf auf meinem Oberschenkel. Das Kind hatte geweint. Selbst jetzt in ihrem unruhigen Schlummer der Erschöpfung zuckten ihre Schultern. Mechanisch strich ich ihr über die Stirn, durch das blonde Haar. Plötzlich wurden unsere Namen aufgerufen. Da ich mich nicht rühren wollte, erhob sich Louis an meiner statt. Eine der Ärztinnen erklärte ihm genau was nun mit Dell passierte. Ich brannte darauf auch zu hören was los war. Doch ich wollte die gerade schlafende Betsy nicht wecken. Keine Regung sah ich im Gesicht meines Mannes. Erst als die Frau sich herum drehte und ging strich sich Louis Seufzend die losen Haare aus dem Gesicht. Seine Backen plusterten sich auf,die Luft entwich seinen Lippen auf dem Weg zurück zu mir. Ich hielt Betsys Ohr zu, während mir Louis leise in mein Ohr flüsterte. "Sie haben ihn wieder zusammen geflickt. Aber seine Reaktionen auf sämtliche Tests, sieht nicht gut aus. Noch ist es zu früh um zu sagen er sei Hirntod, die Prognose allerdings ist schlecht." Ich starrte hinunter auf den Kind. Alsbald würde sie womöglich mehr mit ihrer Freundin teilen als sie ahnte. Wie nur sollte ich ihr erklären, dass nach ihrer Mutter nun auch der Vater ihre Welt verlassen würde? Ich schluchzte auf, das war einfach zu viel. Da erscholl eine zarte Stimme von meinen Knien her. "Er wird nicht wieder gesund,oder?" Betsy richtete sich auf. Sah uns beide an. Plötzlich wirkte sie viel älter als sie es in Wahrheit war. Ich konnte nur mit dem Kopf schütteln. Ich zog Betsy an meine Brust. Mir fehlten ohnehin die Worte, welche Bedeutung hätten sie jetzt auch noch?

    Caleb
    Wenige Minuten später, nachdem ich mich ins Büro gesetzt hatte klingelte mein Telefon. Die Rinder waren unten am Fluss durch den Zaun gegangen und unterwegs in Richtung der Hauptstraße. Ich seufzte, manchmal, wenn man am wenigsten Zeit hatte, kam einem sowas noch dazwischen.
    Ich legte das Handy auf den Schreibtisch, zog mir die Stiefel, die ich der Bequemlichkeit halber eben ausgezogen hatte, wieder an und ging dick eingepackt und Schal und Jacke nach draußen. Sogar unter dem Hut hatte ich eine Mütze auf dem Kopf. Es war kalt geworden, hier in Kanada.
    Im Stall traf ich den Mann, den ich gesucht hatte: Cayce. “Hey Cayce schnapp dir Shorty und triff mich am hinteren Ausgang der Ranch, Richtung Fluss. Wir müssen die Rinder nochmal einfangen die sind da durch den Zaun, Mr. Lance hat mich gerade angerufen.”
    “Okay ich beeil mich.”
    Während Cayce zu den Nordkoppeln lief steuerte ich die Südkoppeln an, denn dort stand Gipsy, der zwar schon eine Weile nicht mehr an den Rindern gearbeitet hatte aber zur Zeit besser im Training stand als Gangster oder Devil.
    Fünfzehn Minuten später traf ich auf Cayce und Shorty, die ebenfalls Packtaschen mit Werkzeug und Zaunstücken zum Reparieren besorgt hatten.
    Wir brauchten etwa eine dreiviertel Stunde bis zu den Rindern, trieben sie über eine halbe Stunde zusammen, reparierten den Zaun und ritten wieder eine dreiviertel Stunde zur Ranch zurück, wo mich der Schlag traf: auf dem Hof standen Feuerwehrleute und die Cops, die sich den Hänger anschauten, an dem Dell heute morgen gearbeitet hatte. Ich trieb Gipsy im flotten Galopp auf die Männer zu, hielt ihn an und sprang von seinem Rücken. “Was ist hier passiert?”

    “Caleb beruhig dich, wenn du aufs Lenkrad einschlägst, startet der Motor immer noch nicht”, versuchte Cayce mich zu besänftigen. Der verdammte, alte Truck sprang mal wieder nicht an, weshalb ich keine Möglichkeit hatte, jetzt nach Calgary ins Krankenhaus zu kommen.
    Dell hatte einen schlimmen Unfall gehabt. Der Hänger war auf ihn draufgefallen, schon vor Stunden. Weder Cayce noch ich hatten unsere Handys auf der Einfangaktion dabei gehabt, weshalb uns niemand hatte erreichen können. Mittlerweile wusste ich, dass Ylvi, Louis und Betsy im Krankenhaus waren und warteten. Bellamy befand sich gerade auf dem Rückweg zur Ranch, damit ich mit dem anderen Truck nach Calgary fahren konnte.
    Arme Betsy.. ich konnte mir gar nicht ausmalen, wie es ihr gerade erging.
    Als ich Bellamy die Einfahrt hochfahren sah lief ich ihm schon entgegen. “Ich halte hier die Stellung!”, rief Cayce mir nach, ich winkte ihm kurz und riss dann die Beifahrertür des Trucks auf.
    “Ich… hatte sowieso vor wieder zurück zu fahren…”, murmelte Bellamy, wandte und fuhr wieder zurück dorthin, von wo er gerade gekommen war- nämlich zum Krankenhaus, in das Dell eingeliefert worden war.

    Während ich in das Wartezimmers des Krankenhauses stolperte und so beinahe alle Aufmerksamkeit auch mich lenkte, scannte mein Blick den Raum nach dem Antlitz eines einzigen Menschen. Eines kleinen Menschens; Betsy.
    Das Mädchen stand am Fenster, wandte mir den Rücken zu. Eine Hand auf dem Fensterbrett, die Andere in der von Ylvi, die sich direkt neben ihr befand. Auch sie schaute zum Fenster hinaus, wirkte in sich zusammengesunken.
    Neben mir eine Regung, dann eine Hand auf meiner Schulter. „Fangen Sie wieder an zu atmen, nicht dass Sie uns hier noch zusammenklappen“, war die einfache Aussage einer älteren Dame, derer ich nun meinen Blick zuwandte und reflexartig einmal tief Luft holte. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich sie angehalten hatte, spürte jetzt allerdings ein leichtes Brennen meiner Lunge. Meine rechte Hand zur Brust hebend ging ich einen Schritt auf die beiden Frauen zu. Auf halber Strecke wandte Ylvi mir den Kopf zu. Mit ihren blau unterlaufenen, tränenverquollenden Augen schüttelte sie kaum sichtbar den Kopf.
    Ich seufzte tief, schloss einmal kurz die Augen und als ich sie wieder öffnete, starrte ich direkt in Betsys kleines, ebenso tränenüberströmtes Gesicht. Sie sagte kein Wort aber ich spürte all den Schmerz, die Trauer und auch die unbändige Wut in ihrem Blick. Ich wollte etwas sagen doch mein Mund wollte einfach keine Worte formen. Stattdessen ging ich in die Hocke, breitete die Arme aus und hoffte, dass das Mädchen der stillen Aufforderung nachkommen würde. Augenblicklich löste Betsy sich von Ylvi, begab sich in meine geöffneten Arme und schmiegte sich schluchzend so fest an mich, dass mir der Cowboyhut vom Kopf fiel. In jeder anderen Situation hätte ich ihn sofort vom Boden aufgehoben, doch in diesem Moment war der Hut auf dem Boden das kleinste meiner Probleme, denn während mein Hemd langsam Betsys Tränen durchsickern ließ, rollten zunächst vereinzelt auch Tränen bei mir, ehe ich mich der eigenen Trauer hingab und ebenso bitterlich anfing zu weinen.

    “Caleb?”, riss mich Louis Stimme aus den Gedanken. “Die Ärzte wollen mit dir reden… mit dir und Ylvi.”
    Ich sah auf, stand vom Boden auf und reichte Betsy die Hand, um auch ihr vom Boden auf zu helfen. “Mit mir und Ylvi?”
    “Ja, ihr seid als Notfallkontakte angegeben worden und… mehr weiß ich nicht, Ylvi wartet bereits vor der Tür.”
    Ich nickte, drückte noch einmal feste Betsys Hand, ehe Louis das Mädchen in den Arm nahm. Wieso hatte Dell Ylvi und mich gemeinsam als Notfallkontakte angegeben?
    Draußen angekommen folgte ich dem Arzt sowie Ylvi in einen separaten Raum, dessen Tür geschlossen wurde, ehe der Mann im weißen Kittel ein Klemmbrett herausnahm und sich vor uns stellte.
    “Ich möchte sie nicht anlügen, es sieht wirklich schlecht aus. Wir haben alle getan was wir konnten, aber die Verletzungen waren zu schwerwiegend. Um ihn für Hirntod zu erklären, ist es offiziell noch zu früh. Wir würden gerne 48 Stunden abwarten und in gewissen Abständen unsere Test wiederholen. Wenn wir bis dahin noch immer keine Reaktion erkennen können, müssen wir über weitere Schritte wie das Abschalten der Maschinen sprechen… Dell hat sie beide gemeinsam als seine Notfallkontakte angegeben. Was seine Tochter”, er suchte auf seinem Zettel nach dem Namen des Kindes, “Betsy angeht.. Wir können eine liebevolle Sozialhilfe anrufen, die sie in Obhut nimmt, bis der Papierkram geklärt ist und…”
    “Kommt gar nicht in Frage”, antwortete ich und schüttelte den Kopf. “Betsy bleibt in unserer Obhut und kommt zur Ranch mit zurück. Sie kennt uns, sie kennt die Ranch. Das ist ihr Zuhause. Da wird es doch eine Möglichkeit geben?” Wie schaffte ich es, in dieser Situation so ruhig zu bleiben? Ich war selbst von mir überrascht. Im Kopf ging ich bereits durch, was ich Betsy erzählen müsste, was mich unglaublich traurig stimmte. Die nächsten Tage, Wochen und Monate würden die Hölle für sie werden. Nicht, dass es schon schlimm genug war, seine Mutter in so jungen Jahren zu verlieren. Nein. Nun verlor sie auch noch ihren Vater. Offiziell konnten sie ihn noch nicht für tot erklären, aber er war kurz davor. Aufwachen würde er nicht mehr, es gab nur noch einen Weg für ihn.
    “Ich… ich bin mir sicher, dass dies in Ordnung geht. Ich spreche noch einmal mit unserer Sozialabteilung und gebe Ihnen in kürze Bescheid. Wenn sie möchten, können sie zu Herrn William Dell ins Zimmer. Überlegen Sie jedoch gut, ob Sie das Mädchen mitnehmen möchten oder ob der derzeitige Anblick ihres Vaters nicht zu viel für sie ist… Intensivstation Zimmer 23.”
    Damit verabschiedete sich der Arzt und ließ eine völlig baffe Ylvi und mich zurück. Eine ganze Weile sagte niemand von uns etwas, dann entschieden wir uns, zunächst alleine zum Zimmer zu gehen, um zu schauen, ob wir Betsy den Anblick ihres Vaters zumuten konnten.
    Bei Dell angekommen schlug Ylvi sofort die Hand vor den Mund. In seinem Hals steckte ein Beatmungsschlauch, um seinen Kopf hatte er einen großen Verband. Sein Gesicht hatte weniger abbekommen als erwartet, weshalb wir uns entschieden, Betsy zu ihm ins Zimmer zu holen, da er noch immer wie ihr Vater aussah und nicht wie ich zunächst vermutet hatte, völlig entstellt war.
    Betsy betrat wenige Minuten später zusammen mit Louis das Zimmer. Sie schluchzte, auch wenn so langsam keine Tränen mehr aus ihren Augen hinauskommen wollten.
    “Kann ich… mich zu ihm legen?”, fragte sie Ylvi leise, welche nickte und ihr aufs Bett half. Keiner von uns vermochte ein Wort zu sagen. Was auch? Betsy wusste vermutlich genau, was hier los war und dass wir ihren Vater nicht mehr mit nach Hause nehmen würden.
    Das Mädchen war durch die vielen Stunden total ausgelaugt, weshalb sie sich kurze Zeit später, im Krankenhausbett ihres Vaters, in den Schlaf geweint hatte. Mit einem kurzen Nicken befahl ich Ylvi und Louis in den Flur.
    “Was machen wir jetzt?”, fragte ich in die Runde und knetete nervös meine Hände. Mit aller Kraft hielt ich die Tränen zurück, dafür war nun nicht der richtige Zeitpunkt.
    “Wir warten noch eine Weile hier und fahren dann zurück zur Ranch? Wir dürfen bestimmt nicht die ganze Nacht hier bleiben”, meinte Louis.
    “Könnt ihr Betsy mit zu euch beziehungsweise Kaya nehmen? Wie erklärt ihr den beiden, was passiert ist?”
    “Ich weiß es noch nicht”, gestand Louis mir wahrheitsgetreu. “Aber wir nehmen sie heute Nacht mit zu uns. Morgen sehen wir weiter.”
    Ich nickte zur Antwort ehe wir wieder ins Krankenzimmer gingen und darauf warteten, dass die Besuchszeit vorbei war und wir nach Hause gehen mussten.

    ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

    22:00 Uhr - Stunde 2 von 48
    "Ich hab Betsy zu Kaya ins Bett gelegt, sie ist völlig fertig. Beide schlafen jetzt." antwortete Ylvi flüsternd auf die beiden fragenden Blicke der Männer am Küchentisch des Bungalows. Calebs Hut lag auf dem Tisch, er strich sich gerade mit beiden Händen von seinen Augen durch seine Haare. "Ich wünschte ich könnte auch so schlafen. Mir brennen die Augen, aber ich glaube kaum das ich in den nächsten Stunden schlaf bekomme." Die junge Frau ließ sich ebenso erschöpft auf den Stuhl nieder, nur um dann wieder aufzustehen in Richtung Schrank. "Es ist so schrecklich nichts tun zu können."
    Klirrend stellte sie eine Flasche Whisky sowie drei Gläser auf den Tisch. "Ich denke der kann uns allen nicht schaden." damit goß sie jedem etwas ein. Das würden die längsten 48h ihres Lebens werden.

    6:00 Uhr - Stunde 8
    Louis hatte sich mittlerweile auch ins Bett verzogen. Caleb und Ylvi saßen an dem kleinen Tisch. Die Zeit zog sich in dürren Fäden. Schweigen zwischen ihnen. Ylvis Hand fuhr nervös immer wieder den Rand des leeren Glases entlang. Die Flasche stand fast unberührt in der Mitte des Tisches. Jeder hing seinen Gedanken nach. "Wieso er wohl uns beide eingetragen hat?"
    "Mhm?" Ylvi hob den Kopf und verzog die Augenbrauen, die junge Frau hatte die Frage nicht verstanden. "Dell, uns beide hat er als Kontakte eingetragen. Wieso?"
    "Findest du nicht das ist offensichtlich?" Caleb zuckte mit den Schultern. "Er hat keine andere Familie, falls ja so hat sie nicht viel Interesse an Betsy oder Dell gezeigt. Du bist das näheste was einer Bezugsperson für Betsy gleicht. Und ich...ich denke die Eintragung stammt noch aus der Zeit, als wir ein Paar waren. Drinnen gelassen hat er es sicherlich auch...um zu gewährleisten, daß Betsy einen Ansprechpartner hat. Darum hat er mich mal gebeten." Nun sah Caleb die junge Frau etwas verwirrt an. "Im Sommer….da hat er mich gebeten mich um Betsy zu kümmern..bei Fragen um Frauensachen. Die Pubertät steht in den Startlöchern..und dann nur mit einem *verschrobenen Vater* aufzuwachsen sei ungünstig." Als sie Dells Worte wiedergegeben hatte, nutze sie seinen texanischen Akzent um klar zu machen das es sich um seine Worte handelte. Caleb erwiderte darauf nur ein bedächtiges Kopfnicken, dann riss er den Mund weit auf. Sein Gähnen steckte auch Ylvi an. "Ich denke wir sollten auch schlafen gehen." kommentierte Caleb mit einem Japsen. "Wach vor den Handys zu sitzen bringt die Zeit auch nicht schneller dazu zu vergehen."
    "Willst du auf der Couch schlafen?" fragte Ylvi und deutete auf das kleine Wohnzimmer .
    "Ich wäre gern in der Nähe von Betsy, ja." So leise wie möglich bereiteten sie also für Caleb die Couch zum Schlafen vor. Gerade als sich Ylvi verabschieden wollte, kam eine verschlafene Betsy aus dem Zimmer von Kaya und Tschetan getappert. Mit einem müden Blick sah sie in Richtung Caleb auf der Couch. "Darf ich bei dir schlafen?" kam es ihr über die Lippen. Der Blonde lächelte, tappte neben sich. "Komm her." Betsy sprang beinahe zu ihm unter die Decke, kuschelte sich an ihn. Ylvi beugte sich über das Mädchen strich eine Strähne aus ihrem Haar, küsste sie auf die Stirn. "Gute Nacht." flüsterte Ylvi. "Ich mach das Licht aus." sagte sie dann in gedämpfter Stimme. "Ylvi? Bleibst du auch?" halb aufgerichtet, fragend sah Betsy Ylvi an. Der Blick der Frau ging von dem Mädchen zu dem Mann hinter ihr. Er sah sich um, als wolle er schauen ob genug Platz da war. Gerade als Ylvi ansetzen wollte das die Couch zu klein war. Rückte Caleb ein wenig weg. "Wir rücken einfach alle zusammen."
    Also fand sich die junge Frau wenige Augenblicke später auf der Couch wieder. In ihren Arm gekuschelt, schlief das Mädchen beinahe schon wieder. Ihr kleines Gesicht war in Richtung Caleb gedreht. Sein Arm lag über dem Kind und ruhte auf Ylvis Hüfte. Die ganze Situation war völlig absurd. Ylvi wusste sie würde keinen Moment schlafen können. Doch noch während sie diesen Gedanken fasste, entführten sie die regelmäßigen Atemzüge ihrer Bettgenossen in einen traumlosen Schlaf.

    10:00 Uhr - Stunde 12
    Gefühlt war der Blonde mit Betsy und Ylvi im Arm eingeschlafen, da riss ihn die ihm ins Gesicht scheinende Sonne schon wieder aus dem Schlaf. Nach einem Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk wusste er, dass es höchste Zeit war einen kurzen Abstecher im Stall zu machen. Aber konnte er gehen? Betsy hatte sich zu ihm und Ylvi gekuschelt. Was würde sie denken, wenn sie aufwachte und er wäre weg? Wobei Betsy den Tagesablauf auf der Ranch ganz genau kannte… außerdem wäre Ylvi ja noch da.
    Also setzte er sich langsam und zögerlich auf, langte nach dem Tisch und kletterte vorsichtig über die beiden schlafenden Frauen hinüber. Als er sich gerade über Ylvi befand, öffnete diese die Augen und ihre Blicke trafen sich. Mit der einen freien Hand legte Caleb seine Finger über die Lippen, zum Zeichen, dass Ylvi nichts sagen solle. Er machte eine Essensgeste, zeigte dann nach draußen und sah Ylvi nicken- sie schien verstanden zu haben.
    Im Stall traf er auf einige der Mitarbeiter, denen er stets nur mit Kopfschütteln berichten konnte, dass es keine Neuigkeiten bezüglich Dells gab. Schneller als sonst deckten sie die noch im Stall verbliebenen Pferde um, brachten sie nach draußen und Caleb delegierte das Boxenmisten an seine Mitarbeiter ab, damit er wieder zurück zu Betsy gehen konnte.
    Mittlerweile war es schon 12:00 Uhr mittags, Ylvi und die drei Kinder saßen am Esstisch. Louis stand in der Küche und schien eine Kleinigkeit zu kochen. Das flaue Gefühl im Magen, sich jetzt dazu zu setzen schob Caleb ganz schnell beiseite. Er würde auch in zwei Tagen noch genug Möglichkeit haben, sich in der Gegenwart von Louis und Ylvi unwohl zu fühlen.

    12:00 Uhr - Stunde 14
    “Louis kannst du mir einen Kaffee mitmachen?”, fragte er den Lakota, welcher kurz nickte und sich der Kaffeemaschine widmete. Wenig später stand eine wohl duftende Tasse auf dem Tisch, in die Caleb ein wenig Milch kippte und langsam daran nippte. Niemand sagte etwas, alle saßen schweigend am Tisch. Betsy starrte ins Leere, Kaya drehte die Gabel in ihrer Hand hin und her. Selbst Tschetan, der immer am quasseln war, schien im Moment keine Worte zu finden.
    “Fahren wir später nochmal zu Dad?”, durchsprach Betsy die unangenehme Stille und schaute zunächst zu Caleb, dann zu Ylvi, welche letztendlich das Wort ergriff: “Ja, natürlich. Gleich nach dem Essen.”
    “Ich hab keinen Hunger…”, erwiderte das Mädchen und richtete den Blick gen Boden.
    Caleb seufzte kurz, rückte auf der Bank ein wenig näher an das Mädchen heran und nahm sie in den Arm. Sie lehnte sich sofort gegen ihn, schlang ihre kleinen Arme um seinen Körper und fing wieder an zu weinen. “Ich kann mir vorstellen, dass du keinen Hunger hast, Betsy. Mir geht es genauso. Aber wir müssen alle etwas essen, auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist. Du möchtest doch nicht umkippen.”
    “Aber damit ist meinem Dad auch nicht geholfen, wir können nichts machen, damit es ihm besser geht”, schluchzte das Mädchen. “Der große Geist wacht über ihn.” flüsterte Tschetan zu ihr, während er einen Arm um sie legte.
    Louis hielt mit seiner Hand inne, die gerade zum Mund fuhr um sich den Kaffee einzuverleiben. Er hielt sie in der Luft. "Vielleicht könnten wir eine kleine Healing Ceremony machen. Tschetan erinnerst du dich? Wie damals für deinen Onkel."
    "Ich könnte die Trommel für dich schlagen, während du singst." sprach der Junge andächtig.

    14:00 Uhr - Stunde 16
    Die Fahrt zum Krankenhaus war für alle erdrückend gewesen. Die Hälfte der Leute musste im Warteraum sitzen bleiben. Tschetan hatte versprochen ein paar der Heilpflanzen im Wald zu suchen. Sowie eine gute, ruhige Stelle für die Zeremonie und ein Feuer zu suchen. Louis und Kaya durften die Intensivabteilung nicht betreten. Caleb und Ylvi saßen, Hand in Hand, auf den Stühlen im Zimmer. Dell angeschlossen an viele piepsende Geräte, das Pumpen und Zischen der Beatmungsmaschine. Und dazwischen auf der Bettkante das Mädchen. Ylvi spürte wie es ihr kalt den Rücken herunter lief. Der Ausdruck ihrer Augen. Nicht leer. Nicht länger verweint. Sondern geklärt. In diesem Moment schienen die Augen einer Erwachsenen aus dem Gesicht eines Kindes auf die Situation zu schauen. Und was sie sahen war der Tod. Die Ärzte hatten bereits davon berichtet, das sein Nieren kurz davor waren seinem Körper den Dienst zu versagen. Die Hoffnung des Erwachens das wir noch vor einigen Stunden gehabt hatten schwand immer wieder.

    22:00 Uhr - Stunde 24
    Am späten Nachmittag, gegen 17 Uhr waren sie alle wieder zurück zur Ranch gefahren. Dies war Betsys Idee gewesen. Sie hatte gesagt, dass dort genug Arbeit auf alle von ihnen warten würde, als dass sie es sich erlauben könnten, den ganzen Tag im Krankenhaus zu sitzen. Betsy, Kaya und Tschetan hatten den Rest des Tages im Bungalow von Louis und Ylvi verbracht. Letztere leistete den Kindern Gesellschaft. Louis als auch Caleb kamen den Arbeiten auf dem Hof nach.
    Gegen 20 Uhr klingelte das Telefon. Das Krankenhaus. Sie sollten, wenn sie Dell noch lebend sehen wollten, sofort kommen.
    Gegen halb 10 waren sie alle in Calgary angekommen. Louis, Ylvi, Betsy und Caleb. Cayce und Bellamy passten auf Kaya und Tschetan auf.
    Hier saßen sie nun, Louis auf einem Stuhl in der Ecke des Intensivzimmers, Ylvi und Caleb auf je einer Seite des Bettes. Betsy im Arm ihres Vaters. Sie hatte sich an ihn gekuschelt, weinte bitterlich, auch wenn die Tränen erneut versiegt waren.

    Gegen 22 Uhr verstarb Dell im Beisein derer, die für ihn in den letzten Jahren zur Familie geworden waren.

    ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

    3 Uhr - Stunde 5
    Als das Licht angeschaltet wurde, gab der Blonde ein brummendes Grunzen von sich. Im Reflex zog er sich die Decke vor seine Augen. Sein Schlaf, oder eher das Ruhen im Bett wurde je unterbrochen. Im Schlafanzug, mit großen Augenringen stand Ylvi vor seinem Bett. Allerdings vermochte er dies nicht zu sehen - wir erinnern uns?
    Stattdessen gab ihr hastiges Gequatsche ihre Identität preis. Er spürte wie etwas auf seine Decke geworfen wurde. Anschließend bewegte sich die Matratze. "Caleb? Hast du gehört?!" Sie zog ihm die Decke weg, sein genuscheltes Nein, entfuhr ihr ein Seufzen. Dann wedelte sie mit einem Haufen Papier vor ihrer Nase. "Caleb, hör zu. Du musst dich entscheiden. Entweder du übernimmst Verantwortung, oder die Behörden könnten entscheiden, dass sie woanders besser aufgehoben wäre."
    Caleb griff nach dem Haufen Blätter, blinzelte die Müdigkeit fort.
    'Adoptionsantrag' -waren was die Druckbuchstaben auf dem ersten Zettel verkündeten.
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  6. (Zeichen waren voll im vorherigen Blog, deshalb hier weiter)

    Umzug auf die Bow River Ranch - Canadian Flair

    Mai 2019, by Ravenna & Veija

    Mitte Feb. 2019
    Ylvi
    “Nehmen Sie bitte den Arm einmal nach oben.” der Weisung des Arztes folgend hob ich meinen linken Arm. Dabei tastete er an der Narbe herum die zurückgeblieben war von der zweiten OP für den herzschrittmacher. Die OP Wunde war gut verheilt. Was mich in den letzten Jahren gestört hatte war mittlerweile nur ein Schatten. Diese und die anderen Narben gehörten eben zu mir.
    “Kann ich denn jetzt wieder in den Sattel steigen, richtig anpacken?” fragte ich sehnsüchtig. Die Ranch steckte mitten im Umzug. O und ihre Pferde waren bereits drüben. Bellamy und Caleb organisierten die nächsten Flüge für die nächsten 20 Pferde die Cayce und Murphy zur neuen Ranch bringen würden. Unbeobachtet hatte ich bereits schwerere Arbeiten verrichten wollen, aber Bellamy und Caleb hatten Adleraugen auf mir. Der Arzt bedeutete mir mich wieder richtig anzukleiden. “Generell steht dem nichts im Wege. Denken sie aber bitte an ihren nächsten Kontrolltermin im Mai in Calgary. Nur zur Sicherheit damit meine Kollegin dort ihren Fall kennt.” ich nickte Pflicht gerecht. “Passen Sie trotzdem auf ihre Frau auf.” wandte sich der Arzt mit den Worten an Caleb. Seit meinem letzten Besuch hier hatte mich Caleb höchstpersönlich zu den Terminen gebracht. War besorgt gewesen als sich die Wunde ein wenig entzündet hatte, nachdem ich die Pflege hatte schleifen lassen zwischen Weihnachten und Neujahr. Wir hatten Mitte Februar, alles war vorbei. Ich hatte die ätzende Physiotherapie hinter mich gebracht. Man konnte dann auch mal aufhören mich zu bemuttern. Caleb lächelte, tippte sich an den Rand seines Hutes und murmelte ein “Aye”. Ein Wort das er von Svejn hatte. Er hatte mir die alten Bilder gezeigt...Verena,Svejn...ja ich habe sogar die Geschichten von Sarah und Cayden zu hören bekommen. Menschen die ich nicht gekannt hatte, die aber auf den Bildern aufgetaucht waren. So hatte ich auch Bilder von Moon zu Gesicht bekommen, dem Hengst der Gealachs Großvater war. Neben den Organisationen hatten wir Stunden damit verbracht durch diese Erinnerungen zu gehen. Ich hatte es genossen, gern jedem seiner Worte gelauscht. Mir ein Bild aufbauen können von der Person die er einst gewesen war. Oft hatten uns auch Bellamy und Octavia dabei zugehört. Auch Laurence hatte einen um den nächsten Abend Geschichten erzählt. Oft hatte ich einfach nur inmitten all dieser Menschen gesessen, ihnen stumm gelauscht. Ich hatte zuvor nicht gewusst wieviel Spaß das machte. Ich hatte sie alle noch ein Stück weiter kennenlernen dürfen.
    Caleb begleitete mich aus dem Krankenhaus heraus. Mein Gang war schwungvoll. Ich durfte wieder auf den Rücken eines Pferdes. Ich hatte vor zwei Wochen schon probiert mich auf Fylgia davon zu machen. Allerdings hatte Caleb wohl auch Betsy für sich gewonnen. Mit Caleb hinter sich her ziehend war sie nämlich in der Stallgasse aufgetaucht. Relativ wortlos hatte er mir die Stute aus der Hand genommen, Betsy auf ihren Rücken verfrachtet und beschlossen der kleinen eine Reitstunde auf ihr zu geben. Er hatte sich bedankt, dass ich sie vorbereitet hatte. Natürlich hatte ich das nicht dafür getan. Ich war sauer gewesen….Sauer auf ein 9 jähriges Kind! Ich hatte also am Rand gesessen, während Betsy einen kleinen Parcours mit Fylgia absolviert hatte. Jetzt allerdings, durfte ich wirklich wieder in den Sattel steigen.
    Die Fahrt über gingen wir eine Liste der Pferde durch die als nächstes Richtung Kanada ziehen würden. In zwei Wochen würde ein Umzugsunternehmen kommen. Wir hatten es in Auftrag gegeben. Alle Habseligkeiten aus den verschiedenen Häusern würden dann zum neuen Heim gebracht werden. Eine Woche später war der Flug von mir und Caleb geplant, im Gepäck unsere letzten Habseligkeiten und alle restlichen Pferde. “Sag mal. Was hälst du von der Idee das Louis mitkommt? Er hat sogar einen Käufer für seine Bar.”
    Das war eine überraschende Nachricht gewesen, Ende Januar hatte Louis sich entschlossen mit nach Calgary zu kommen. Er wollte wieder auf einer Ranch arbeiten, dabei kam ihm die neue Stellenausschreibung von Caleb gelegen. Seine jüngere Schwester Lilly würde ihn begleiten. Außerdem hatte er die Pflege für Kaya und Tschetan übernommen, Cousin und Cousine, deren Eltern nicht mehr lebten. Tschetan hatten wir bereits auf dem Indian Relay kennengelernt. Ein Junge von 12 Jahren, etwas ungestüm, ein guter Reiter. Seine jüngere Schwester Kaya kannte ich nur aus den Geschichten von Lilly.

    Caleb
    Ich war wirklich überrascht, als Ylvi mir davon erzählte, dass Louis mit nach Kanada kommen wollte. “Und das will er wirklich?”, fragte ich sie nochmals und sie nickte. “Er will wieder auf einer Ranch arbeiten. Und du brauchst noch neue Leute. Lilly kommt ja auch mit. Und Kaya und Tschetan. Dann hat Betsy auch Gesellschaft.”, schwärmte sie weiter und ich nickte. “Ich mein… wenn er mitkommen will, kann ich ihn nicht daran hindern. Tut gut noch jemanden dabei zu haben, der genau weiß, wie der Hase läuft.” “Caleb der Hase läuft gar nicht. Der hoppelt.” “Haha, ja sehr witzig.”, antwortete ich ihr und knuffte sie leicht in die Seite, musste dann aber auch lachen.
    “Heute sollen nochmal Pferde rüber fliegen. Zusammen mit Cayce und Murphy. Dann sind es ab heute Abend nur noch Bellamy, du und ich die hier sind.”, erklärte ich ihr. Irgendwie war alles schrecklich schnell gegangen. Direkt nach Weihnachten wurden die Pferde umgemeldet, ich als neuer Besitzer eingetragen, der Kaufvertrag für die neue Ranch in Kanada ausgefüllt und Stellen ausgeschrieben, obwohl noch niemand dort war. Es hatten sich einige gemeldet, aber ich hatte das in dem ganzen Trubel, der dann folgte, aus den Augen verloren. Ich war wieder für zwei Tage rübergeflogen, hatte mich dort mit einer Baufirma getroffen und erste Pläne ausgearbeitet, wie ich die Ranch ausbauen wollte. Vor dem Herbst würden die Stallungen nicht fertig sein, so wie ich sie haben wollte. Also hatte ich mich kurzerhand umentschieden und wollte zusätzlich zu den Offenställen auf den Koppeln, rund um den großen Reitplatz überdachte Penalboxen mit kleinen Paddocks. Für unsere Pferde, aber auch für Gastpferde. Das allerdings war sehr schnell realisierbar und würde auch fertig sein, sobald wir mit den ersten Pferden rüberkommen würden. 30 Boxen waren geplant, 15 an jeder langen Seite des Platzes. Das würde schon einmal viel weiterhelfen. Den Umbau der Stallungen wollte ich trotzdem noch. Nur würde dies eben bis zum Herbst dauern. Wirklich brauchen würden wir die Stallungen erst im nächsten Winter.
    Auch mussten Gästehäuser bzw. Wohnmöglichkeiten für die Ranchmitglieder gebaut werden. Ich würde mit Ylvi zusammen im Haupthaus wohnen. Im oberen Stockwerk war eine wirklich schöne Wohnung eingerichtet worden. Im unteren Teil des Hauses gab es eine Küche mit einem großen Essbereich, ein Badezimmer, einen großen Wohnbereich und ein paar kleine Schlafzimmer. Also eher etwas für Gäste, als für Mitarbeiter. Zusammen mit der Baufirma hatten wir uns die geeigneten Stellen zum Bau von kleinen Häusern, ähnlich wie WG’s, angeschaut. Jedes dieser Häuser sollte zwei Etagen haben und Platz für bis zu 5 Menschen bieten. Zwei dieser Häuser waren geplant, außerdem drei kleine Bungalows mit Platz für je 3 Menschen.
    Soweit so gut. Nachdem dies alles feststand, konnte ich wieder nach New Mexico fliegen und allen erklären, was soweit geplant war. Und dann… dann fing es auf einmal an, wirklich stressig zu werden. Octavia und Travis waren die ersten, die mit O’s Pferden zusammen nach Kanada fliegen würden. Wir hatten uns von einem Transportunternehmen große Trailer geliehen, damit wir mit unseren kleineren Anhängern, in den je drei Pferde passen, nicht tausend mal fahren mussten. Das Ein- und Ausladen der Pferde auf dem Hof und auf dem Flughafen war nicht das Problem. Das Einladen in die Boxen zum Fliegen schon eher. Nachdem einer der Menschen dort mich so aufgeregt hatten durch den Umgang mit den Pferden, hatte ich ihm die Liste aus der Hand genommen und dirigierte meine Tiere und Mitarbeiter nun selbst. “Tigres Eye… Priamos Ruffia Kincsem… BR Prias Raveday… Drama Baby… Raspberry… I’ve got a blue soul… Prias Colourful Soul… Tasmania… Candlejack… Culain… Daryl Gone Mad… Peacful Redemption… PFS’ Snap in Style… Wildfire xx....” Das war die erste Gruppe gewesen. Per Videochat hatte ich das Ausladen in Calgary beobachtet, was wesentlich besser geklappt hatte, als das Theater hier.
    Kaum eine Woche später organisierten Bellamy und ich den nächsten Flug für 20 Pferde, bei dem eigentlich Cayce und Murphy dabei sein sollten, jedoch plante ich kurzfristig um und schickte statt Murphy zwei Stallburschen mit, Jesse und Connor. Die würden sie drüben dringender brauchen, als wir hier. Zum zweite Trupp Pferde, deren Einladen am Flughafen schon viel besser klappte, gehörten: PFS’ Unclouded Summer Skies, BR Dress to Impress, BR Colonels Lil Joker, Jacks Inside Gunner, Colonels Blue Splash, BR Colonels Golden Gun, Moon’s Gealach, Cleavant ‘Mad Eyes’, Ceara Isleen, Væna fra glæsileika eyjarinar, Skrúður, Blazing Flame, Chocolate Dream, Abe’s Aeflric, Seattle Slew, Sir Golden Mile, Stiffler, Cielos, Baby Doll Melody und Bella Cielo.
    “Caleb? Hey Caleb? Ich hab Bell am Telefon, der Transporter ist da, um weitere Pferde mit zu holen.”, sagte Ylvi und riss mich so aus meinen Gedanken. “Okay, okay. Sag ihm wir sind gleich da.”, erklärte ich ihr und fuhr ein wenig schneller zur Ranch zurück. Zwischen dem ganzen Umzug war ich auf einen Absetzer in Alberta aufmerksam geworden, Dual Shaded Ace. Der Hengst hatte anfangs gar nicht zum Verkauf gestanden, doch nach langem hin und her hatte der Besitzer sich erbarmt. Vorausgesetzt, er würde ein paar Decksprünge von ihm bekommen, wenn er gekört wäre. Dem hatte ich so natürlich sofort zugestimmt und ihn dann… eigentlich für viel zu viel Geld gekauft. Er hatte es gut gehabt und nur zwei Stunden Fahrt auf sich nehmen müssen, um zur Bow River Ranch zu gelangen.
    Endlich waren wir auf dem Blakes Crow Meadow angekommen. Ich parkte den Wagen, stieg aus und ging sofort auf den Fahrer zu. Kurz schüttelte ich ihm die Hand, ehe Bellamy mir die Liste der Pferde in die Hand drückte, die wir jetzt einladen mussten. Gruppe eins, welche jetzt sofort eingeladen werden würden, waren: Colonels Smokin Gun, DunIts Smart Investment, Ginny my Love, GRH’s A Gun Colored Lena, Jade, Kristy Killings, Raised from Hell, Wimpys Little Devil, A Walking Honor, Black Sue Dun It, California Rose, Chou, Easy Going. Die zweite Gruppe, die später folgen würde, bestand aus: Face Down, Ginger Rose, GRH’s Aquila T Mistery, GRH’s Unbroken Magic, Heretic Anthem, Honey’s Aleshanee, Lady Blue Skip, Magnificient Crow, My sweet little Secret, Only Known in Texas, Picture of a Ghost, Snapper Little Lena, Stormborn und Striga.
    Als dritte und vorerst letzte Gruppe würden am späten Abend die Hengste folgen: Bittersweet Temptation, Whitetails Shortcut, Alan’s Psychedelic Breakfast, Genuine Lil Cut, Gun and Slide, A Shining Chrome, Hollywoods Silver Dream, Chapter 24, Citizen Fang, Chocolate Shades, General’s Coming Home, GRH’s Bella’s Dun Gotta Gun, GRH’s Funky’s Wild Berry, GRH’s Unbroken Soul of a Devil, Gunners Styled Gangster, Whinney und Zues. Mit diesen ganzen Pferden würden Laurence, Murhpy, Dell und natürlich Betsy auf die Reise gehen. Dell und Betsy mit dem ersten Flug, Murphy mit dem zweiten und Laurence mit den Hengsten. Betsy war gar nicht auszuhalten gewesen, so sehr war sie allen um die Beine herum gesprungen und hatte jedem erzählt, dass sie sich auf die Reise freute und hoffte, dass alle gut gehen würde.
    Am Abend kehrte jedoch endlich Ruhe ein. Bellamy versorgte die ganzen Verkaufspferde, während ich mich um meine beiden verbleibenden Pferde Nachtschwärmer und Smart Lil Vulture gekümmert hatte. Ylvi hatte nun endlich das ok ihres Arztes, wieder mit anpacken zu dürfen, weshalb ich sie alleine zu ihren Pferden Inyan, Lady Gweny, Fylgia und Valravn gehen ließ. Bellamy hatte sich wider erwarten bereit erklärt, noch eine Weile hier zu bleiben und die Pferde zu verkaufen. Im Mai wollte er dann nachkommen, spätestens. Dann sollte auch die Ranch in neuen Händen sein. Interessenten gab es viele, doch sie alle wollten den Preis drücken. Und das nicht gerade wenig. Ich gab Bellamy zwar in der Angelegenheit wirklich viel Freiheit, aber verschenken sollte er das Anwesen nicht. Das Geld kam schließlich nicht nur mir, sondern auch ihm zugute. Apropos Geld… nicht alle waren so erfreut über die Rinderherde gewesen, wie ich es war. Schon am ersten Tag hatte Cayce die halbe Herde einfangen müssen- da zu diesem Zeitpunkt noch keines der Ranchpferde drüben war, hatte er sich kurzerhand bei jemandem Pferde und Cowboys leihen müssen. “So knüpft man neue Freundschaften!”, hatte ich am Telefon gesagt und nur ein spöttisches Schnauben zur Antwort bekommen. “Ich hoffe du schaffst bald deinen Arsch hier rüber. Die Vollblüter machen mich wahnsinnig. Ich will die Ranchpferde hier haben!” “Ja, Cayce. So schnell geht das alles leider nicht.”, war meine niederschmetternde Antwort gewesen. Jetzt mittlerweile hatte er jedoch sein Pferd drüben und auch fast alle anderen Pferde, mit denen es einfacher war, die Kühe einzufangen.
    Ich hatte mich gerade mit Bellamy zusammen vor den Fernseher gesetzt, als auch Ylvi dazustieß. “Na, Arbeit erledigt?”, fragte Bellamy sie und sie nickte. “Es tut so gut, endlich wieder selbst arbeiten zu dürfen.” “Das klingt ganz nach dir.”, murmelte ich und wurde dafür in den Arm geboxt. “Hör mal Bellamy und ich sprachen gerade über Louis, Lilly und die beiden Kinder. Es wäre vielleicht sinnvoll, mal rüber zu fahren und mit ihm zu reden. Er hat ja schließlich auch noch Pferde. Kommen die mit, bleiben die hier, wo will er wohnen und und und… das sollten wir alles klären, bevor wir mit dem Rest nach drüben fliegen und vor unvollendeten Tatsachen stehen.” Ylvi nickte. “Klar, aber heute nicht mehr. Für heute haben wir alle genug getan.”, sagte sie und setzte sich zu mir auf die Couch. “Haben sich die anderen schon gemeldet?”, fragte sie mich und ich nickte. “Laurence und sein Flug fehlen noch, der Rest ist gut angekommen und alle Pferde haben den Flug gut überlebt.” “Das ist gut.”, erwiderte Ylvi und schaute zum Fernseher. Zu dritt ließen wir den Abend ausklingen. Lange hielten wir es nicht vor dem Fernseher aus, da wir alle todmüde und kaputt waren. Bellamy verabschiedete sich irgendwann und verschwand ins Haupthaus, Ylvi und ich machten uns auch auf den Weg ins Bett, wo wir auch ziemlich schnell einschliefen. Sobald am nächsten Morgen die Pferde versorgt waren, würden wir mit Louis reden. Darüber, wie er sich seine Zukunft vorstellte.

    Ylvi
    Mein Kopf lag auf Calebs Arm, mein Nacken war vollkommen verspannt bei der Position. Ich wollte mich allerdings auch nicht übermäßig bewegen um ihn nicht zu wecken. Seine andere Hand ruhte auf meiner Hüfte. Seltsam wie selbstverständlich wir mittlerweile jeden Abend in dasselbe Bett stiegen.
    Ich spürte seinen Herzschlag an meiner Schulter, ruhig und gleichmäßig. Sein Atmen das mich am Anfang so sehr gestört hatte, weil er oft mit geöffnetem Mund schlief, war mir nun so vertraut. Ich rutschte ein wenig weiter nach unten um meinen Kopf von seinem Arm zu nehmen, da schlang sich sein Arm um meine Hüfte fester um mich. “Morgen.” murmelte er in meine Haare. Ich hatte mir angewöhnt sie zu einem Zopf zu flechten, ich spürte den Druck in meinem Nacken. “Caleb, meine Haare” flüsterte ich lachend..”Und morgen.” Caleb befreite meinen Zopf von seinem Körpergewicht, zog mich herum , sodass ich ihn ansehen konnte. “Unser vorletzter Tag hier.” “Irgendwie seltsam...vor einem Jahr war ich zum ersten Mal hier. Jetzt geht es mit einer ganzen Ranch in ein komplett anderes Land. Uns erwarten ganz schöne Abenteuer.” mutmaßte ich. Außerdem hatte ich ein paar mehr an Pferden dazu gewonnen. “Wie könnte ich das vergessen? Ich hab dich für einen Dieb gehalten.” ich lachte, nickte. Ja, wie könnte ich je die auf mich gerichtete Waffe vergessen?
    Caleb zog mich enger an sich, seine Hände schoben sich unter mein Shirt, seine Zähne spürte ich an meinem Hals. Augenblicklich spürte ich die Antennen in meinem Körper erwachen...es war einfach viel zu lang her. Ein zischendes Ausatmen kam von mir. “Alles in Ordnung?” Ich gab keine Antwort, sondern küsste ihn einfach...er sollte bloß nicht aufhören.
    Vier Stunden später sattelte ich gerade Valravn. Direkt daneben machte Louis Inyan fertig. Caleb stand an der anderen Seite des Anbindeplatzes mit Vulture. Der Vorschlag alles weitere doch bei einem Ausritt zu besprechen war von mir gekommen. Louis war auf den Anruf von Caleb zur Ranch gekommen um zu besprechen wie und wann er umziehen würde, auch wegen seiner beiden Pferde. Aber wirklich Lust das im Büro zu machen hatte ich nicht verspürt. Daher mein Vorschlag mit dem Ausritt. Damit waren beide einverstanden gewesen. Außerdem hatten wir so noch einmal die letzte Chance uns von dieser Landschaft zu verabschieden.
    “Alle Bereit?” fragte Caleb, schwang sich behende in den Sattel. Neben mir sprang auch Louis auf den blanken Rücken von Inyan. Auch bei Ravn hatte ich mich für ein Reitpad mit Lammfell entschieden, musste mir dafür allerdings eine kleine Erhöhung suchen um in den Sattel zu kommen. Wir ritten im Schritt in Richtung der alten Stutenkoppeln. Vulture vorne weg. Die Ranch so verlassen zu sehen war gruselig. “Dann verrat mir doch mal welcher Hund dich gebissen hat für die Idee mitzukommen?”

    Louis
    Die wärme die von Inyan zu mir aufstieg fühlte sich wunderbar an. Auch wenn meine Muskulatur jetzt schon rebellierte. Seit dem Herbst hatte ich mich auf kein Pferd mehr setzen können. Zu viel war in der Bar zu tun gewesen. Zu oft war ich in die alte Heimat gefahren um dort Dinge zu erledigen, vor allem zu Regeln. Es war sonst nicht Calebs Art Fragen so unverblümt zu stellen, aber er wollte natürlich wissen was ihm bevorstand. In den letzten Monaten hatte sich einiges in seinem Leben geändert. Die Übernahme der Ranch war für ihn schon immer ein kleiner Traum gewesen. Wie oft hatten wir zu Rodeo-Zeiten davon geträumt? Dann hatte er wegen des Unfalls aufhören müssen. Und ich selbst? Tja..ich hatte für meine Familie aufgehört. Meinen Vater hatten die Rodeos am Leben erhalten, bis er bei einem Unfall ähnlich wie dem von Caleb querschnittsgelähmt war. Meine Mutter war bereits früh gestorben. Kaum noch erinnerte ich mich an ihr Gesicht. Für die Familie hatte ich selbst die Rodeos aufgegeben. Mit wenig Aussichten in Pine Ridge jemals eine vernünftige Arbeit zu finden war ich nach New Mexico gekommen. Die Bar hatte Lilly, mich und meinen Vater gut versorgt, aber es kostete Zeit. Die Pflege unseres Vaters hatte Lilly bis zu seinem Tod übernommen. Sie hatte selbst viel aufgeben müssen dafür, hatte mir auch oft in der Bar geholfen. Nun hatte sich die Schwester meines Vaters mit ihren Drogen das Leben genommen. Unschi, Großmutter hatte ihre beiden Kinder zu sich genommen. Ich war hin gefahren in den vergangenen Monaten um zu versuchen sie zu unterstützen. Schließlich war die Entscheidung gefallen beide zu mir zu nehmen. Die Wohnung über der Bar war zu klein für uns gewesen. Ich wusste um die Wünsche von Lilly. Familie wurde für unser Volk groß geschrieben...und ich wollte nicht das Lilly noch mehr verzichten musste.
    Erst nach all diesen Überlegungen brach ich mein Schweigen. “Ylvi hat dir sicherlich erzählt, das ich vor zwei Wochen meine Cousinen zu mir genommen habe. Kaya und Tschetan brauchen meine Zeit...ein geregeltes Leben. Das kann ich nicht bieten, wenn ich eine Bar leite. Das könnte ich aber wenn ich bei euch auf der Ranch arbeite. Außerdem genug Leute die die Kinder mit im Blick haben können. In Calgary haben sie die Chance eine gute Schule zu besuchen..” Caleb hatte mir gelauscht, die Zügel locker in der Hand auf den Knauf seines Sattels, die andere ruhte auf seinem Oberschenkel. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, denn es lag im Schatten seines Hutes. Jeder schwieg auf seine Weise, für Ylvi war das genannte ja nicht gänzlich neu. Caleb musste jedoch verstehen...er kannte die Umstände in Pine Ridge...die Drogen, der Alkohol, die Armut und die umgehende Verzweiflung. “Ich heiße dich gern im Team Willkommen, wenigstens noch jemand der Ahnung von der ganzen Arbeit hat. Cayce und du werden mir mit den Rindern sehr gut helfen können. Vor Ort könnten wir dich wahrscheinlich gut in ein Haus mit Betsys Vater stecken. Hast du dir schon Gedanken gemacht wie du deine Pferde rüber schaffst?” kam es von Caleb. Schwer unterdrückte ich ein Seufzen. “Darum muss ich mich nicht mehr kümmern. Sunka und Zinkala-win habe ich verkauft.” Calebs Kopf zuckte in meine Richtung. Von Ylvi kam ein vollkommen erschrockenes “WAS?!” und auch Caleb schien diese Frage ins Gesicht geschrieben. “Ich hab genug Pferde um mich die ich dann betreue. Außerdem...außerdem ermöglicht mir das Geld aus dem Verkauf der beiden Lilly auf das College in Calgary zu schicken. Sie ist ein heller Kopf, wenn ich das schon nicht auf die Kette bekommen habe zu studieren. So soll sie ihre Möglichkeiten doch wenigstens nutzen. Pferderennen sind auch gefährlich...ich muss auch an Kaya und Tschetan denken. Sie hatten es in ihrem jungen Leben wohl schwer genug.” ich schwieg kurz, musste dann doch Lachen. “Wir werden wirklich alt, Kola.” “Vielleicht solltest du dir endlich Mal eine Frau zulegen,mein Freund” murmelte Caleb, zwinkerte mir zu. “Mein Herz hab ich leider bereits hoffnungslos verloren. Das braucht bis es vergisst.” Ylvi sah mich an, senkte dann den Blick auf den Hals ihres Wallachs, sprach nicht. Caleb konnte die kurze Konversation nicht bemerkt haben. Dafür schien ich Talent zu haben. Schon einmal hatte ich die Frau eines anderen begehrt.

    Caleb
    So ganz wusste ich nicht, was ich ihm antworten sollte. So schwieg ich einfach und ließ die Umgebung auf mich wirken. Schon übermorgen würde ich Albuquerque verlassen. Es war ein gutes Zuhause für mich gewesen, in das ich zurückgekehrt war. Ein Zuhause und doch so viel mehr. Ich hatte mir eigene, neue Pferde zugelegt, hatte alte zurückbekommen und auch mit den bereits Vorhandenen hatte ich viel arbeiten können. Ich war wieder in den Trainingsbetrieb eingestiegen und einige Pferde trainiert. Dann war Ylvi aufgetaucht und hatte mein ganzes Leben auf den Kopf geschmissen. Wenn ich so darüber nachdachte, hatte sie es besser gemacht. Und auch Louis, der in meiner Nähe gewohnt hatte, hatte mir viel geholfen. Alte Zeiten aufleben lassen war etwas schönes, wenn man es mit einer anderen Person teilen konnte.
    Und jetzt waren wir an einem Wendepunkt angekommen. Louis hatte Kinder, Gott, Louis hatte Kinder. Er war jetzt sozusagen ein Vater. Louis… war Vater. Lilly war zwar auch bei ihm, aber das hier war etwas vollkommen anderes… Vulture schnaubte und fiel in einen lockeren Galopp. Er zuckte nervös mit den Ohren, als ich ihn durchparierte. Vermutlich konnte er fühlen, dass ich in Gedanken mal wieder nicht hier war und noch immer keine wirkliche Antwort wusste. Ich schaute kurz nach hinten und blickte in die fragenden Gesichter von Louis und Ylvi. Leise seufzend schaute ich wieder nach vorne. “Caleb?”, fragte Ylvi mich irgendwann und ließ ihr Pferde das von Louis überholen, um zu mir aufzuschließen. “Stimmt etwas nicht?”, fragte sie mich doch ich nickte. “Doch, doch. Alles okay. Ich habe nur an etwas gedacht…” Ylvi sagte nichts mehr, ließ ihr Pferd langsamer werden und ritt wieder hinter mir her.

    Ylvi
    Die ganze Geschichte hinter Louis Beweggründen dann nochmal direkt von ihm zu hören war eigentlich ganz gut. Lilly hatte wirklich großes Glück ihn als Bruder zu haben. Wobei er in seinem Leben viel geopfert hatte um sie aufzuziehen. In Anbetracht seiner Familienverhältnisse keine leichte Entscheidung. Schon allein die Tatsache das er Kaya und Tschetan bei sich aufnahm sprachen für seinen Familiensinn. Ich fragte mich wirklich wieso es keine Frau an seiner Seite gab. Caleb schien denselben Gedanken zu haben. Denn er sprach es an. Als Louis davon sprach sein Herz hoffnungslos verloren zu haben ruhte sein Blick auf mir. Ich hatte den Blick mit ihm unterbrochen und auf Ravns Hals geschaut. Ich hatte sowas in den letzten Monaten schon beinahe vermutet. Nie jedoch eine wirkliche Bestätigung bekommen. Um ehrlich zu sein hatte ich sie auch nicht haben wollen. Mit Caleb war das ganze schon verworren genug. Wir hingen in der Schwebe...weder zusammen noch wirklich getrennt. Das Wissen das da nun Louis war...das verwirrte mich nur noch mehr, denn auch er war mir so wichtig geworden. Ohne ihn wäre ich dort auf dem Berg gestorben. Niemand sprach. Auch Caleb hatte keine wirkliche Antwort auf diese Worte zu haben. Ahnte er etwas? Vulture war nervös, galoppierte ohne sichtbare Hilfe an und wurde von Caleb direkt wieder durchpariert. Louis und ich sahen zu ihm. Ravn drängte nach vorn...aber eine wirklich klare Antwort hatte ich nicht von Caleb. So hieß ich Ravn wieder langsamer.
    An anderer Stelle öffnete sich die Wiese vor uns. Ravn war deutlich angespannt, seine gesamte Muskulatur war zum reißen gespannt, nur meine Hand am Zügel verhinderte das er lief. So ein Galopp eignete sich jedoch auch wunderbar um die Gedanken klar zu kriegen, die Kälte würde ihr übriges tun. Also gab ich die Hand vor. Aus dem Schritt preschte Ravn vor, meine freie Hand krallte ich in seine wenige Mähne. Hinter mir hörte ich den mir mittlerweile vertrauten Lakota Schrei “Hoka Hey! Hoka Hey!” aus dem Augenwinkel sah ich Inyan heran preschen. Direkt neben mir Ritt bereits Caleb auf Vulture, der Hengst legte sich flach in den Galopp. Auf kurzen Rennen waren diese Pferde einst gezüchtet worden. Ravn war kein schnelles Pferd. Vulture und Inyan hatten keinerlei Mühe meinem Wallach zu folgen. Der Wind pfiff mir in den Ohren, die Kälte schlug mir unbarmherzig ins Gesicht. Mein Lachen wurde mit dem Wind von meinen Lippen genommen. Caleb lachte zumindest auch, gab seine Zügel weiter vor, hielt den Hut auf seinem Kopf. Auch Inyan nahm an Tempo zu. Ravn unternahm nicht einmal den Versuch mit den anderen beiden Pferden Schritt halten zu wollen. Stattdessen parierte ich ihn zu einem leichten Trab. So fit war ich noch nicht wieder. Auch das Rennen der beiden ging nur noch etwa 100 Meter, dann schienen sie genug zu haben, parierten und warteten bis Ravn und ich im Schritt aufgeholt hatten. “Bis ich wieder so einfach mehrere Meter galoppiere muss ich wohl noch etwas warten.” meinte ich belustigt. Inyan stand still. Der jüngere Vulture tänzelte, Caleb hatte seine Müh den Hengst ruhig zu halten. Das Rennen schien ein wenig die Stimmung gelockert zu haben. Allerdings blieb es trotzdem ruhig um Caleb, mit den Gedanken war er weit fort. Ich wusste das man ihn in solchen Momenten besser nicht störte. Die Pferde suchten sich im leichten Schnee selbst ihren Weg nach Hause.
    Meine Füße waren Eisklumpen, ich saß noch immer auf dem Pferd. Die Aussicht mit den kalten Füßen auf dem harten Boden zu knallen war nicht sonderlich erbauend. Caleb hatte sich von uns getrennt, da Vulture für die Nacht in einer der Boxen unterkommen würde. Seufzend ließ ich mich vom Pony rutschen, ging leicht in die Knie als mir der Schmerz von den Knöcheln aufstieg. Außerdem spürte ich jeden verdammten Muskel in meinen Beinen. Ich hielt mich daher an Ravn fest, der geduldig stand während ich mich wieder fing. Über seinen Mähnenkamm hinweg sah ich Louis. Er schien nicht zu bemerken das meine Aufmerksamkeit auf ihm lag. Seine Stirn hatte er auf die von Inyan gelegt, seine Hand strich immer wieder den Hals des Wallachs entlang. Ich konnte die Bewegung seiner Lippen sehen, aber kein Wort verstehen. Mein Starren schien nicht unbemerkt zu bleiben. Louis öffnete seine Augen wieder, sie huschten zu mir. Ich räusperte mich. “Louis...du weißt..du könntest ihn wieder haben, oder? Ich ..” seine erhobene Hand unterbrach meinen Redeschwall, er schüttelte den Kopf. “Dann wäre es mir zumindest eine Ehre, wenn du ihn reitest wann immer du willst, ja?” Es kehrte wieder sein Schalk zurück, ich bekam seine weißen Zähne zu gesicht. “Waschté” mehr kam nicht von ihm. Er zog Inyan die Trense vom Kopf nur um ihn in den Offenstall zu entlassen. Hastig beeilte ich mich auch Ravn vom Pad zu befreien, zog auch ihm die Trense vom Kopf und lockte ihn in Richtung des Tores, welches mir von Louis noch offen gehalten wurde. Ich stiefelte vor Ravn in den Paddock, neugierig trat auch Inyan jetzt an mich heran. Seine Nüstern pusteten mir seinen Atem auf die kalten Wangen, während Ravn an meiner Tasche zu zuppeln begann. Lady Gweny hielt sich ein wenig im Hintergrund. Fylgia kam mit angelegten Ohren angelaufen, schnappte Inyan in den Hintern der daraufhin aus dem Weg ging. Nur Ravn ließ sich von ihr nicht beirren. Ich streichelte natürlich auch Fylgia, die so nach meiner Aufmerksamkeit fragte. Damit keiner zu kurz kam stiefelte ich auch noch zu Gweny, prustete ihr in die Nüstern, kraulte ihre Lieblingsstelle an der Brust und den Ohren. Louis stand noch immer am Tor, sein Blick ruhte die ganze Zeit auf mir. “Sie mögen dich wirklich alle.” ich sah mich um...inmitten all meiner Rappschecken, zuckte lächelnd die Schultern. “Scheint so. Aber jetzt lass uns reingehen und was warmes zu trinken besorgen. Ich spür meine Zehen nicht!”
    Im Haupthaus hatte sich irgendwer des Kamins angenommen, Louis war in die Stallungen gegangen um Caleb Bescheid zu geben. In der Küche bereitete ich Kaffee vor, füllte sie in die Thermoskanne. Führte Reste der Brownies zutage und brachte alles auf einem Tablet in das Wohnzimmer. Louis kam als erstes zur Tür hinein. “Caleb ist gleich da.” Ich saß auf dem Teppich vor dem Kamin, rieb meine Hände und Füße. Meine Gedanken hingen nun bei Caleb, während ich in die Flammen starrte. Irgendwie war er heute wieder einmal besonders ruhig gewesen. Das hatte sicherlich mit den Ereignissen die noch vor uns stünden zu tun, auch ich war deshalb aufgeregt. Manchmal konnte ich verdrängen verstehen zu wollen was in Caleb vorging. Jetzt gelang mir das nicht..auch weil ich mannhaft damit beschäftigt war die Worte von Louis von mir zu drängen. Natürlich hatte ich es bemerkt...ich hätte blind sein müssen nicht zu spüren wie es um ihn stand. Und ich machte mir Vorwürfe….vielleicht, wenn Dinge anders wären. Dann hätte ich mir sogar vorstellen können Louis eine Chance zu geben. Im Grunde würde das meinem Herzen wohl weniger schaden als das was Caleb und ich irgendwie teilten. Hände an meinen Füßen...ich zuckte zusammen, mein Kopf ruckte herum. Louis hatte sich zur mir auf den Teppich gesellt, seine Hände hatten nach meinen Füßen gegriffen, massierten sie. “Da du so in Gedanken warst, dachte ich mach ich weiter womit du aufgehört hast?” Irritiert sah ich ihn an, entspannte dann allerdings meine Muskulatur. Massagen konnte ich ja wohl nicht von der Hand weisen. Die Vernunft in meinem Hirn schrie allerdings etwas anderes. Ich war unfair. Ich ließ mich einfach nach hinten fallen, schloss die Augen. Genoss die Zuwendung und die Wärme des Kamins. Vergessen die Brownies und der Kaffee.
    Das ins Schloss fallen der Haustür, die Schritte den Flur hinauf. Sie ließen mich erneut zusammen zucken, ich richtete mich abrupt auf, entzog Louis meine Füße. “Kaffee?” kieckste ich, sprang auf und hielt Louis die Kanne entgegen. Ernten tat ich seinen schelmischen Blick, ein wissendes, beinahe arrogantes Lächeln. Er gab seine Antwort indem er nickte. Gerade als die ersten Tropfen in die Kanne fielen betrat auch Caleb den Raum. “Ohh davon nehm ich bitte auch eine Tasse.” Also bekam auch Caleb seine Tasse Kaffee, er ließ sich auf dem Teppich neben Louis nieder. “Ich hab sogar ein paar Brownies aufgetrieben.” damit schob ich den Teller an den Rand des Tisches. Dann reichte ich Caleb seine Tasse, gab in meine einen Schuss Milch und hockte mich dann auch auf den Teppich. Für unsere Abreise ist schon alles vorbereitet. In 5 Stunden kommt der Trailer um uns samt Pferden einzusammeln. Anschließend geht es zum Flughafen.” “Dem Abenteuer entgegen” murmelte ich. Keine Erwiderung. Stille, dann sprach Louis. “Ich werde wohl erst in einem Monat nachkommen. Hab hier noch ein paar Behördengänge zu erledigen.” “Meld dich einfach, wenn es los geht.”
    Eine Viertelstunde später verabschiedete sich Louis von uns. Caleb und ich ließen uns anschließend wieder vor dem Kamin nieder. Mein Kopf lag an seinem Rücken, nebenher dudelte der TV aber so richtig schien keiner dem Programm zu folgen. Ins Bett zu gehen lohnte sich nicht für die wenigen Stunden.

    Caleb
    Ich war an diesem Abend mit den Gedanken noch immer nicht wirklich hier. Wo ich war? Keinen blassen Schimmer. Warum ich weg war? Nicht die geringste Ahnung. So vieles würde sich wieder ändern, von jetzt auf gleich. Hatte ich nun endlich das, was mich im Leben glücklich machte? Oder würden wir in einer Weile wieder umziehen? Was war es, dass das Leben ausmachte? Die Freunde? Die Familie? Geld? Ruhm?
    Diese Frage konnte wohl jeder nur für sich selbst beantworten. Meine Antwort stand in den Sternen. Weit weg, und doch ganz nah. Oder doch so fern?
    Ich beugte mich zu Ylvi rüber und gab ihr einen Kuss auf den Hals. „Ylvi wir könnten… uns die Zeit ein wenig vertreiben…“, flüsterte ich, drehte ihren Kopf zu mir und küsste sie auf die Lippen. „Jetzt da du… sogar eine kurze Strecke galoppieren konntest…“,murmelte ich weiter und küsste sie erneut. Ylvi lächelte kurz, rutschte dann zu mir herüber und setzte sich auf meinen Schoß. „Könnten wir…“, flüsterte sie und legte ihre Hand in meinen Nacken. „Jetzt, da du wieder redest und deine Gedanken sortiert hast..“, sagte sie frech und nahm meine Unterlippe zwischen ihre Zähne, zog leicht daran und ließ sie wieder los, ehe sie mir in die Augen sah und mich dann wieder küsste. „Ich hatte bloß so vieles im Kopf.. aber lass uns da im Flieger drüber reden...oder in Kanada...“, schlug ich ihr vor und sie nickte. Viele Möbel waren nicht mehr hier, die Couch allerdings stand noch in unserem Wohnzimmer. Ich stand auf, hielt Ylvi an mir fest und legte sie auf die Couch. Vorsichtig stützte ich mich rechts und links von ihr auf dem Sofakissen ab und beugte mich zu ihr runter, um sie erneut auf den Hals zu küssen. Wir wechselten eine Weile Küsse, ehe ich langsam Ylvis Oberteil über ihren Kopf zog. Auch ihre Hose und Unterwäsche war schnell verschwunden. Meine Sachen streifte ich mir über Kopf und Beine und schmiss sie ebenfalls neben das Sofa…
    Nach einem Blick auf die Uhr sprang ich hastig auf. “Ylvi komm.”, sagte ich und zog sie mit mir auf die Beine. Wir hatten viel zu lange auf dem Sofa verbracht und so langsam würde es eng werden, was Pferde verladen und den Flug anging. “Die drüben köpfen uns, wenn wir den Flieger nicht kriegen.”, lachte ich und sammelte meine Kleidung auf dem Boden ein, zog sie an und stand dann Bellamy gegenüber, der sich in der Küche einen Kaffee gemacht hatte. “Wie lange stehst du denn schon hier?”, fragte ich ihn und richtete mein Hemd. “Glaub mir, lange genug.”, sagte er und zwinkerte mir zu. Ich rollte mit den Augen, schlug ihn gegen die Schulter und setzte dann meinen Hut auf den Kopf, den ich hier in der Küche hatte liegen lassen. Ylvi kam nun auch zu uns und wir beide tranken schnell eine Tasse Kaffee, stopften noch einen der Brownies in den Mund, die Ylvi vom Wohnzimmertisch mitgebracht hatte, ehe ich in den Stall zu meinen beiden Hengsten hastete. Bellamy trug ich auf, Ylvi zu helfen, denn sie hatte mehr Pferde fertig zu machen.
    Vulture als auch Nachtschwärmer waren nicht sehr begeistert, dass ich sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf riss. Nachtschwärmer ließ sich jedoch leichter aus der Box führen und für den Transport fertig machen, als Vulture. “Du bist eine Zicke.”, knurrte ich ihn an und ruckte einmal am Führstrick, als ich die Nase voll hatte. “Hör auf jetzt und benehm dich einmal deinem Alter entsprechend.”, sagte ich und legte die letzte Transportgamasche an. Der Trailer, der die Pferde mitnehmen sollte, war schon da, weshalb ich meine beiden Pferde schon auf die Rampe führte und im Inneren anband. Ylvi und Bellamy kamen nun auch und brachten die Pferde rein. “Bellamy lädst du das Zubehör mit den Kisten auf meinen Pick Up, Ylvi und ich holen schnell unsere Taschen.”, sagte ich zu ihm und er nickte, ehe er im Stall verschwand. “Jetzt aber schnell.”, lachte ich, nahm Ylvis Hand und lief zurück zum Haus. “Und du meinst der hat uns wirklich gesehen oder gehört?”, fragte mich eine unsichere Ylvi, als wir im Haus angekommen waren. “Ich glaube er blufft.” Ich lachte, warf mir meine Tasche über den Rücken und nahm die Größere von Ylvi auch in die Hand, so dass sie nur ihr Handgepäck tragen musste. Draußen auf dem Hof angekommen hielt ich abrupt an und drehte mich nochmal zur Haustür um. Ich schaute mir das Haus an, drehte mich einmal im Kreis und ließ meinen Blick über das gesamte Gelände schweifen. “Kaum zu glauben, dass wir diesen wunderbaren Ort verlassen.” “Oh Caleb jetzt werd nicht sentimental.”, sagte Ylvi und knuffte mich in die Seite. “Komm… bereit?” “Bereit.”

    Ylvi
    Ich spürte eine wärme in mir...fast als würde ich schwitzen...und dann musste ich doch wieder breit Lächeln. Bluffte Bellamy tatsächlich nur? Falls ja...so gab ihm Caleb definitiv genug zum Grübeln als er mit mir Hand in Hand ins Haus lief. Auch als wir am Trailer standen, den Blick auf die Ranch gerichtet, hielt er meine Hand fest umschlossen. Uns gingen verschiedene Gedanken durch den Kopf. Bellamy stand auf der Treppe des Haupthauses. Er würde noch eine ganze Weile hier bleiben, die Pferde versorgen, Verkäufe organisieren. Vor allem aber die neuen Besitzer einweisen.
    Es ging auf zu neuen Ufern.
    Es war angenehm die Fahrt über noch einmal dösen zu können. Der Fahrer saß vor uns, während Caleb sich zu mir auf die Rückbank gesellt hatte. Über einen Bildschirm konnten wir gut alle 6 Pferde beobachten. Sie standen in dem Trailer her zur Fahrtrichtung. Gweny schien etwas nervös, ich konnte ihr Ohrenspiel sehen. Die Nähe von Inyan und Fylgia schien ihr allerdings gut zu tun. Ich hatte erst etwas bedenken gehabt die beiden Stuten mit den Hengsten zu transportieren. Aber wir hatten diese zuerst eingeladen...anschließend waren meine Wallache gefolgt als Puffer. Anschließend hatten wir Gweny eingeladen, als letztes hatten wir Fylgia auf den Trailer gepackt. Ich war aufgeregt. Seit dem ersten Besuch im Dezember war ich nicht mehr hier gewesen. Caleb hatte sich “geweigert” mich mitzunehmen. Klar er hatte viel zu tun. Aber ich war einfach gespannt was in der Zwischenzeit alles passiert war. Ich tappte vor Aufregung mit meinem Bein, plötzlich krallten sich Calebs Finger in meinen Oberschenkel, drückten ihn hinunter. Ich sah zu ihm Lächelte verzeihend. “Du machst mich vollkommen wirr, Weib.” knurrte er mir ins Ohr. Ich ließ mich also weiter zurück in die Autositze sinken. Sah wieder auf den Bildschirm.
    Am Flughafen ging alles glatt, die Pferde wurden vor Ort gecheckt, die Pässe kontrolliert. Dann führten wir sie jeder einzeln in die für sie vorgefertigten Boxen. Fylgia war wie nicht anders zu erwarten, vollkommen ruhig. Daher drückte ich sie dem Fahrer in die Hand, der ja auch seine Erfahrung mit Pferden hatte. Ich selbst führte Gweny aus dem Hänger. Dann jedoch gab es ein schrilles Kreischen, das natürlich von Ravn kam. Der Wallach riss sich los von dem Flughafen mitarbeiter, trabte aufgeregt an Gweny und mir vorbei und hielt erst an als er neben Fylgia zum stehen kam. Ich rollte mit den Augen. Dabei hatte ich gehofft sein Kletten-Verhalten hätten wir langsam im Griff. Allerdings war das hier auch eine außergewöhnliche Situation. Das weitere Verladen verließ dann doch etwas geordneter.
    “Uff...und wieder 7 Stunden den Arsch platt sitzen.” murmelte ich eher zu mir selbst. Caleb verstaute eben mein Handgepäck, da ich selbst zu klein war um dort ran zu kommen. Der Frau neben mir am Fenster entlockte es allerdings ein Lächeln. Ich erhob mich um ohn durch zu lassen. Ich saß sehr viel lieber im Gang auf längeren Flügen. Caleb nahm seinen Hut ab, setzte sich neben mich hin und legte den Hut auf seinen Schoß. “Zumindest haben wir so nochmal ein bisschen Ruhe.” “Ruhe?...denkst du das wirklich?” Caleb zog eine Augenbraue hoch, sah mich an. Ich hob meine Hände “Ich hab schwitzehände, muss die ganze Zeit an die Pferde da unten denken. Ruhe würd ich das nicht bezeichnen.” meine Stimme klang dabei schaal und heiser. Mir war sogar ein bisschen schlecht bei dem Gedanken an die Pferde. Caleb zog mir an einem meiner flechtzöpfe die über meine Schultern fielen. Dafür erntete er einen verwirrten Blick. Was war das denn jetzt? “Na sieht...bei dem Gesicht sind deine Gedanken jetzt wohl nicht bei den Pferden.” kommentierte er lachend. Dafür bekam er einen Faustschlag gegen die Brust. “Och duu!”

    Caleb
    Ich stieg in ihr Lachen ein. Die Frau neben uns kam mir irgendwie bekannt vor, auch wie sie uns zuhörte und grinste, wenn wir etwas witziges sagten. Irgendwann wandte ich mich ihr zu. “Entschuldigen Sie, kennen wir uns?”, fragte ich die Frau und sie nickte. “Wenn sie Caleb O’Dell sind, dann ja.” In meinem Kopf kramte ich nach Namen oder Orten, doch so richtig wollte mir keiner einfallen. “Ist schon eine lange Zeit her.. damals in Las Vegas auf einem großen Turnier. Ich habe dich beim Team Roping total abgezogen.”, lachte sie. “Nein, Kit? Wow, dass ich dich nochmal wieder treffe!”, ich beugte mich zur ihr rüber, gab ihr einen Kuss auf die Wange und umarmte sie kurz. “Kit und ich waren früher wirklich.. Erzfeinde, wie man so schön sagt. Das eine Mal gewann sie, das andere Mal gewann ich. Wie lange ist das her… etliche Jahre!”, ich lachte. Dann schaute ich von Ylvi zurück zu Kit. “Das ist Ylvi. Eine… sehr gute Freundin von mir.”, ich legte ihr kurz meine Hand aufs Bein. Für Kit reichte diese Geste wohl. “Soso…”, schmunzelte sie und sah uns beide abwechselnd verschmitzt an. “Ich hab dich aber wirklich nicht erkannt, du hast dich total verändert!”, wandte ich mich wieder an meine alte Bekanntschaft. “Was ist aus deinem braunen Lockenkopf geworden? Und deine Stute… Halley.. hast du die noch?” “Meine braunen Locken sind blonden Haaren gewichen. Irgendwann hab ich sie mir dann abrasiert und jetzt wachsen sie nach. Sind aber noch nicht sonderlich lang, wie du sehen kannst.”, erklärte sie mir. Wie hätte ich sie auch erkennen können? “Halley habe ich schon lange nicht mehr, sie ist bei ihrem ersten und einzigen Fohlen gestorben. Der kleine Hengst hat es auch nicht geschafft. Das war vor.. drei Jahren. Seit dem saß ich nicht mehr auf dem Pferd.” “Das tut mir Leid.”, kam es von Ylvi, die sich hinter meinem Rücken bestimmt etwas ausgeschlossen fühlte, bei unserem Gespräch. Generell schaute sie nicht wirklich glücklich drein. Ob ich sie eben verletzt hatte? Aber was waren wir denn? Freunde? Freunde mit gewissen Vorzügen? Verliebt? Auch eines der Dinge, was mir ständig im Kopf herum schwirrte. Louis spielte da auch eine große Rolle. Er meinte zwar ich würde nichts merken, aber ich kannte ihn. Ich merkte, wenn er etwas im Schilde führte. Auch Ylvi hatte gestern Abend sichtlich seltsam gewirkt, als sie den Kaffee mit einer Quietschstimme verteilt hatte.
    “Und was arbeitest du im Moment?”, fragte ich sie. “Nichts, bin auf der Durchreise. Mal hier, mal da etwas.” “Wenn du noch Arbeit suchst, wir sind gerade auf dem Weg zu meiner neuen Ranch.” “Was? Du? Eine Ranch? Wow Caleb das freut mich für dich!”, sagte sie lachend und gab mir einen Klaps aufs Bein. “Endlich, Cowboy. Ich dachte schon du wirst nie sesshaft.” “Also eigentlich… war ich schon lange Zeit sesshaft.”, korrigierte ich sie. “Ich komme euch auf jeden Fall mal besuchen!”, sagte sie. “Klar, wieso auch nicht. Schließlich fliegen wir in die gleiche Richtung.” Wir unterhielten uns noch eine Weile. Ylvi döste in der Zwischenzeit immer wieder weg. Auch ich war nicht den ganzen Flug wach. Kurz vor der Landung wachte ich jedoch wieder auf und hatte Ylvis Kopf auf meiner Schulter liegen. Eine sehr gute Freundin… Dieser Satz ging mir immer wieder durch den Kopf und ließ mir keine Ruhe. Auch Kit sah mich grinsend an, als ich meinen Kopf sachte auf den von Ylvi sinken ließ. “Ach komm Caleb. Das da ist mehr als.. ich zitiere: sehr gute Freunde.”, sagte sie zu mir und schien nun wirklich eine Antwort haben zu wollen. “Es ist kompliziert. Reicht dir das als Antwort?”, ich sah sie an. “Nein… ich muss wohl doch zu dir auf die Ranch kommen, wenn ich mehr wissen will.”, sagte sie lachend und ich stimmte in ihr Lachen mit ein. Auch Ylvi regte sich wieder, nahm ihren Kopf von meiner Schulter und sah raus. “Landeanflug. Hab auch nichts mehr von den Pferden gehört, denen scheint es gut zu gehen.”, erklärte ich ihr und sie nickte beruhigt. Dann ging es runter.

    Ylvi
    Traf mich ein Tritt in die Magengegend? Nein...wir hatten nie darüber gesprochen was wir eigentlich waren. Kit zu erklären wie und was es war hätte zu lang gedauert. Natürlich...ein zugeständnis von Caleb hätte mir besser gefallen, mein Herz schien sich ein wenig zu verknoten. Als jedoch seine Hand auf meinem Bein lag, seine Finger kurz zudrückten. Da durchlief mich mit einem mal eine unfassbare Wärme, der Knoten in meinem Herzen schien sich zu lösen. Zitterte ich? Oder war das flaue Gefühl im Magen eher auf den beginnenden Start zu schieben?
    Ehrlich gesagt bekam ich weiter gar nicht wirklich mit was die beiden zu besprechen hatten. Zu sehr kreisten meine Gedanken um Calebs Worte. Ich ertappte mich dabei wahllos ins leere zu Starren. Ich hasste in diesem Moment was es in mir tat. Es wühlte mich auf. Machte mich Glücklich und Ängstlich. Machte mich aber auch so unfassbar wütend. Wieso passierte das ausgerechnet mir? Mir die ich jahrelang versucht hatte so etwas von mir weg zu stoßen. Fühlte sich so jeder der sein Herz an jemanden verloren hatte?
    Irgendwo in meiner ewigen Starrerei, dem lauschen von Calebs gleichmäßigem Barriton war ich eingeschlafen. Die Momente in denen ich wach war, nicht weiter relevant..ich wechselte höchstens meine Position im Sitz. Zwischendrin hatte ich bemerkt, dass sich die beiden nicht mehr unterhielten. Da wurde mir bewusst wie oft Caleb früher unterwegs gewesen sein musste...er schien ja wirklich den halben Kontinent zu kennen. Mit einem Lächeln schlummerte ich ein letztes Mal davon. Erst das Lachen von Caleb ließ mich wieder wach werden. Ich rieb mir die Augen, unterdrückte ein Gähnen. Draußen war es hell. Schnee lag überall herum.
    Wir trennten uns von Kit, der wir eine gute Reise wünschten. Sichtlich erschöpfte Pferde (was sicherlich auch an der Sedierung lag) , brachten wir auf den Trailer des Fuhrunternehmens. Einen Vorteil jedoch hatte die klirrende Kälte dann doch - sie machte mich wacher. Nachdem wir fertig mit dem Aufladen waren, fühlte ich mich längst nicht mehr so gerädert. Die Straßen waren frei, in nur 20 Minuten würden wir fast da sein. “Es hat schon Vorteile das wir nicht mehr fast 2 Stunden in die nächste größere Stadt fahren müssen.” dabei sah ich aus dem Fenster auf die verschneite Landschaft. Beim letzten Mal hatte noch keiner gelegen.

    Caleb
    Die Verabschiedung von Kit fiel mir doch schwerer, als ich gedacht hatte. Es war immer wieder schön alte Bekannte zu treffen und die alten Zeiten aufleben zu lassen. Eine Person würde ich jedoch nie wieder sehen, diese Zeit würde ich für mich alleine, immer in meinem Herzen tragen. Das konnte mir keiner nehmen, solange ich lebte.
    Die Pferde einzuladen ging sehr schnell, Vulture benahm sich sogar seines Alters entsprechend und machte mir das Leben nicht schon wieder schwer. Ylvi und ich waren todmüde, wobei sie ziemlich wach blieb und nur ich es war, der ständig einnickte und durch eine Kurve oder einen Hubbel in der Straße den Kopf hoch riss.
    Endlich waren wir am Tor zur Ranch angekommen. Bow River Ranch. Es war mit Abstand das schönste Schild, welches ich seit langem gesehen hatte- und dabei gehörte auch das mir. “Oh schau Mal Ylvi, wie schön!”, sagte ich auf einmal hellauf begeistert und klebte mein Gesicht förmlich an die Scheibe, denn links stand meine Rinderherde auf der Weide, während rechts einige Pferde grasten. “Genau so habe ich mir das vorgestellt. Wie toll das aussieht!” Ylvi lachte. “Du kommst ja aus dem Staunen nicht mehr raus.”, murmelte sie und sah zu mir rüber. Ich nickte, noch immer sichtlich begeistert, und schaute dann nach vorne, wo die halbe Ranch schon mitbekommen hatte, dass wir endlich ankamen. Allen voran standen Cayce und Octavia. Letztere mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht. Das Fahrzeug hielt an und Ylvi und ich stiegen aus. Sofort wurden wir von O umarmt und ich bekam auch einen Kuss auf die Wange. Cayce jedoch kam mit verschränkten Armen auf uns zu. “Tauchst du auch endlich mal auf, du alter Hund.”, sagte er, fing dann an zu lachen und umarmte zu erst mich, dann Ylvi. Auch Dell, Betsy und Murphy umarmten uns kurz, ehe sie das Equipment der Pferde ausluden. Die anderen waren auf der Ranch verteilt und arbeiteten. “Dann komm Ylvi, lass uns unsere Pferde ausladen.”, sagte ich zu ihr, nachdem ich unsere Taschen auf der Treppe zum Haupthaus abgestellt hatte. Die würden wir später wegräumen, die Pferde hatten schon viel zu lange im Trailer gestanden. Nachtschwärmer drückte ich Cayce in die Hand, Vulture lud ich selbst aus, tauschte seinen Transportschutz gegen koppeltaugliches Equipment und brachte ihn dann auf eine der kleinen Koppelstücke, wo die Hengste untergebracht wurden. Auch Nachtschwärmer wurde auf eines der Stücke gestellt. Die Pferde von Ylvi kamen alle zusammen auf die noch freie Weide mit dem Offenstall. “Caleb es gibt noch einiges, dass geklärt werden müsste.”, sagte Cayce zu mir, als wir wieder zurück zum Haupthaus gingen. “Ich weiß. Aber zu erst muss ich ins Bett, das ist der schlimmste Jetlag den ich je hatte.”, sagte ich zu ihm, hob meine sowie die große Tasche von Ylvi auf und ging ins Haus. “Hier hat sich auch einiges getan, aber das zeig ich dir morgen.”, erklärte ich Ylvi. “Lass uns hoch gehen und uns aufs Ohr hauen.” Ylvi folgte mir zielstrebig, wurde dann jedoch langsamer, als ich ihr die Tür zu einem Schlafzimmer aufhielt. “Na komm, stimmt schon alles so.”, sagte ich zu ihr, trat hinter ihr ein und schloss die Tür.

    Ylvi
    Ich war etwas verwirrt..”Ich würd nur schnell mein Zeug in mein Zimmer bringen, dann komm ich wieder her?” ich war halb in den großen Raum hinein gegangen. Hielt dann jedoch Inne...er hatte in einer Art Panoramafenster Ausblick hinaus auf die Weiden der Farm. Es gab bisher noch leere Bücherregale an der einen Wand. Daneben befand sich ein kleiner Ofen. Gegenüber ein Bett das den Ausdruck riesig definitiv verdient hatte. Außerdem gab es auch einen großen Schrank.
    Mir blieb bei dem Anblick schon die Atmung weg...die ganze Einrichtung entstammte dem Landhausstil..war allerdings auch wieder schlicht gehalten. Es stand kein unnützes Dekor umher. Mein Blick wurde wieder gefangen genommen von der Aussicht aus dem Fenster. Dann spürte ich von hinten einen Körper der sich an den meinen schob..Calebs Hände griffen von hinten sanft um meine Hüfte. In dieser Bewegung drehte er uns..er schien sich auf das Fensterbrett gesetzt zu haben. “Du hast mir überhaupt nicht zugehört,oder?” “Mhm?” fragte ich halb da halb im Staunen. Das Lachen aus Calebs Kehle verschaffte mir eine Gänsehaut, wie es sein Atem in meinem Nacken immer tat. Mein Körper dieser ewige Verräter. Dann spürte ich ihn jedoch Seufzen. “Es gäbe schon einen Raum in dem….also.” wieder kurze Stille er druckste, ich wartete wollte ihn nicht stören. Vielleicht ahnte ich auch bereits was er sagen wollte, doch ich wollte es von seinen Lippen hören. Ich wusste wieso ich an ihm lehnte...es würde ihm schwerer Fallen, wenn ich ihm in die Augen sah. “Ich dachte, da wir ja ohnehin schon so oft beim jeweils anderen im Bett schlafen...Ich dachte das hier könnte unser Zimmer sein?” “Ist das etwa eine Frage Mr. O’Dell?”” flüsterte ich heiser. “Befehlen könnte ich dir ohnehin nichts...und ich bin kein Typ der Bettelt...ich denke das weißt du.” Ich schubste meinen Ellenbogen nach hinten. “Och duu!” schimpfte ich wieder. Drehte mich dann um und sah ihn an. “Damit gehen die Gefühlskrüppel wohl ein neues Kapitel an, hm?” Caleb nahm den Kopf schief, zog die Schultern hoch. “Sieht ganz so aus.” Erst wollte ich ansetzen, das ich mir das vor einem Jahr nicht hätte denken können...Wir hatten es nicht angesprochen...aber im Grunde machten wir damit vor der ganzen Ranch Publik das wir ein Paar waren...bzw. Caleb tat dies. Schließlich hatte er das ganze hier eingefädelt. Ich lächelte, umarmte ihn einfach nur und platzierte meinen Kopf an seiner Brust. Allerdings nicht lang bis mich ein Gähnen unterbrach. “Ab ins Bett!” damit packte mich Caleb plötzlich, schwang mich wie einen nassen Sack über seine Schulter und ließ sich dann gemeinsam mit mir auf das Bett fallen. Ich streifte Hose, Socken ab. Befreite mich von meinem BH und zog mir mein Shirt wieder an. Caleb tat es mir gleich, nur blieb er nur in Shorts. Auf einen Knopfdruck fuhr die Jalousie herunter, schlagartig war es dunkel im Raum. Ich fand wie von selbst in seinen Arm, hörte sein gleichmäßiges Atmen. Die Bow River Ranch würde für alle ein neuer Anfang sein. Mit diesem Gedanken schlief ich ein.

    Anfang März
    Caleb
    So langsam kehrte etwas Ruhe ein- wirklich nur sehr langsam. Cayce hatte nach meiner Ankunft sehr viel zu besprechen gehabt. Und wie ich schnell feststellen musste, war noch wahnsinnig viel zu tun, bis wir die Ranch halbwegs fertig nennen konnten. Gerade war es neun Uhr morgens, wir saßen alle in der großen Küche des Haupthauses zusammen und frühstückten. Es hatten sich wirklich alle gut eingewöhnt. Sowohl die Zwei- als auch die Vierbeiner. Dass Ylvi und ich zusammen in diesem Haus und im selben Zimmer wohnten schien niemanden überrascht zu haben. Unser Outing hatte ich mir viel spannender vorgestellt gehabt, als es letzten Endes gewesen war. Betsy hatte heute frei, weshalb ich sie mit Sue zu den Rindern mitnehmen wollte. So zumindest der Plan. “Betsy hast du heute schon was vor?”, fragte ich, zuerst in Richtung Betsy, dann in Richtung ihres Vaters. “Ähm nein, wollte mit Sue ausreiten, sonst noch nichts.”, erwiderte sie. “Das passt doch, magst du mit mir zu den Rindern mitkommen? Sie stehen in Richtung Ferienranch, ist ein Stückchen bis dahin.”, erklärte ich und sah zu Dell, der nickte. Erst dann schaute ich wieder zu Betsy und lächelte sie freundlich an. “Nur wenn Ylvi auch mitkommt.”, sagte sie und schaute mich grinsend an. “Soso.. Ylvi?”, fragte ich in Richtung der jungen Frau gewandt. “Klar, warum nicht.”
    Gesagt, getan. In Windeseile waren Sue, Devil und Inyan geputzt und gesattelt. In den Satteltaschen, die wir allen drei Pferden übergeworfen hatten, war ein wenig Werkzeug für eventuell kaputte Zäune und Thermoskannen mit warmem Kaffee und Kakao für Betsy. “Dann kanns ja losgehen.”, sagte ich und trieb Wimpy an. Mit ihr ritt ich vor, in der Mitte folgte Betsy und das Schlusslicht bildete Ylvi mit Inyan. Im gemütlichen Schritt wateten die Pferde durch den Schnee. Nach einer Weile sah ich die Bäume am Fluss und auch vereinzelte Rinder, die im Schnee nach etwas zu fressen suchten. “Ich muss wohl nachher nochmal neues Heu her fahren.”, sagte ich zu mir selbst und schrieb es auf meine To-Do Liste. Ich musste wirklich so langsam mal anfangen, die Dinge aufzuschreiben. So viel konnte sich ja kein Mensch merken!
    “Und, sind sie nicht hübsch?”, fragte ich Betsy, die mittlerweile neben mir ritt. Auch Ylvi hatte zu uns aufgeschlossen, als ich die Zügel annahm und wir drei stehen blieben. “Die haben ja auch alle weiße Gesichter!”, sagte sie aufgeregt und schaute zu Devil, die ebenfalls ein weißes Gesicht und blaue Augen hatte. “Haben die auch blaue Augen? Oh sag… die müssen blaue Augen haben!”, quasselte sie vor sich hin doch ich schüttelte den Kopf. “Nein, keine blauen Augen.” “Oooooh…”, kam es enttäuschend von ihr, ehe sie den Blick abwandte und ihn über die Herde gleiten ließ. “Kommt, wir reiten zum Zaun und schauen, ob alles in Ordnung ist.”, sagte ich und die beiden nickten, ehe wir uns wieder in Bewegung setzten. Den ganzen Vormittag verbrachten wir hier draußen. Als wir wieder auf der Ranch ankamen, waren wir wahrhafte Eiszapfen. Jesse, Connor und Murphy wurden von mir dazu verdonnert, sich um die Pferde zu kümmern, damit wir reingehen und uns aufwärmen konnten. Wir saßen eine Weile gemütlich vor dem Kamin und schlürften warmen Kakao. Plötzlich sprang ich auf, hastete zum Küchentisch, nahm mir einen Block und einen Stift und fing an zu kritzeln. “Was schreibst du da?”, fragte mich Betsy doch statt einer Antwort bekam sie nur “Schhh.. schh..” zu hören. Auch Ylvi hatte sich zu mir rüber gebeugt und schaute auf den Block. Oben drauf stand in großen Buchstaben: To Do, gefolgt von Spiegelstrichen mit Dingen, die ich erledigen musste. Als erstes stand dort: Rinder Heu. Fett unterstrichen.

    Ylvi
    Ich las die Punkte der Liste durch. “Wie wärs, du die Rinder...und ich kümmer mich um Punkt vier?” Die Stuten umweiden?” Ich hing halb über seiner Schulter, sah wie er die Hand hob und unleserlich daneben krackelte: Ylvi.
    Gut damit schien die Aufgabe wohl verteilt zu sein. “Oooh darf ich helfen?!” sah mich Betsy bittend an. Ich plusterte die Backen auf. Klar, Hilfe wäre nicht schlecht. Allerdings hatte ich dabei eher an jemanden wie O gedacht...oder Cayce. “Meinetwegen kannst du mit kommen.” sagte ich schließlich mit den Achseln zuckend. Wieder angepellt vor der Tür liefen wir jedoch Louis in die Arme. “Louis!” rief ich aufgeregt, lief dem Indianer entgegen und umarmte ihn stürmisch. Erst dann nahm ich Lilly wahr. Neben ihr stand ein wütend drein blickendes Kind, das mir allerdings schon fast bis unters Kinn ging. Seine Haare waren anders als die von Louis kurz, standen in alle möglichen Richtungen ab. Unverkennbar schien das Tschetan zu sein. Ich winkte ihm zu, erhielt jedoch keine Antwort. Halb hinter Lilly stand ein Mädchen, ihre Haare befanden sich in zwei geflochtenen Zöpfen. Mit einer Hand klammerte sie sich einen Stoffhasen vor die Brust die andere hielt sich an Lillys Hand fest. Scheu sah sie hinter dem Rücken der jungen Frau hervor. Ich umarmte also Lilly weitaus weniger stürmisch. Sah dann zu dem Mädchen. “Hey..ich bin Ylvi. Louis hat dir vielleicht schon von mir erzählt?” Schweigen. Ich deutete auf Betsy neben mir. “Schau...das ist Betsy. Sie müsste in deinem Alter sein.” wieder keine Antwort, nur diese unglaublich traurigen Augen die mich anstarrten...dann hinüber zu Betsy. “Sie spricht nicht”, seufzte Lilly leise. “Wieso spricht sie nicht?” plapperte Betsy. Rein aus Reflex schubste ich ihr an die Schulter. “Aber sie hat Ohren die hören. Sprich nicht als wär sie nicht da!” tadelte ich das Mädchen. Gosh, ich war nicht ihre Mutter! Augenblicklich tat mir mein Verhalten leid. Betsy sah auf den Boden. Ich drehte mich halb zu Louis. “Caleb ist drinnen. Er wollte zwar noch Heu fahren, aber ich denke ihr habt noch viel zu besprechen. Lilly , wenn du möchtest kannst du die Kinder rein bringen?” “Ach...die beiden wissen sich meistens ganz gut zu beschäftigen. Kann ich dir helfen?” Das Angebot kam mir fast wie gelegen. “Das kannst du tatsächlich!Betsy und ich wollten gerade die Pferde holen um die Stuten umzuweiden. Wir könnten dich auf Ravn packen. Eine Hand mehr ist sicher nicht schlecht.”
    Tschetan schien an sich zwar ein wenig seltsam wütend auf alle, doch er nahm seine kleine Schwester pflichtbewusst unter seine Hand. Ich bot ihm an auch ins Haus hinein zu gehen falls ihnen Kalt wurde.
    Im Stall kam mir Cayce entgegen. “ Cayce! Warte mal eben. Die neue Verstärkung ist da, Louis ist gerade bei Caleb. Was hattest du gerade vor?” “Futter ist fertig...ich wollte Heu zur neuen Stutenweide bringen.” “Prima, wenn du eh im Traktor hockst, bringst du auch was bei den Rindern vorbei? Hatte Caleb vor, aber ich weiß nicht wie lange er dafür braucht.” Cayce fasste sich an den Hut, nickte “Aye Chefin.” drehte bei und ging. Dabei hatte er nicht spöttisch geklungen. Chefin? Perplex sah ich ihm nach. Schüttelte dann den Kopf. Lilly und ich halfen Betsy beim Sattel von Sue, denn so ganz allein hievte sie den Sattel noch nicht auf den Rücken der Stute. Für alles andere behalf sie sich mit einer kleinen Trittleiter.

    Caleb
    Ich hatte Ylvi und Betsy leise bis zur Tür gehen hören, dann jedoch mischten sich vertraute Stimmen unter die Ihren. Louis war wohl da. Auf die beiden Kinder war ich ja wirklich sehr gespannt. So würde etwas mehr Leben auf den Hof kommen- und mehr Arbeit natürlich, bei drei Kindern- und Lilly.
    Das seltsame Gespann bestehend aus Louis, Tschetan und Kaya kam zu mir ins Wohnzimmer. Ich stand auf und fiel zuerst meinem alten Freund in die Arme. “Hallo Louis.”, sagte ich und klopfte ihm auf den Rücken. “Hallo ihr zwei, ich bin Caleb.”, stellte ich mich vor und blickte freundlich zu ihnen runter. “Ihr könnte gerne raus gehen und euch ein wenig umsehen. Kommt nur wieder rein, wenn es zu kalt wird.”, sagte Louis zu den Beiden, welche nickten und dann aus dem Raum verschwanden. Louis derweil setzte sich aufs Sofa, nahm sich ebenfalls eine Tasse Kakao. “Habt ihr den Flug gut überstanden?”, fragte ich ihn, und er nickte. “Die Kinder haben zum Glück fast die ganze Zeit geschlafen, Kaya ist noch ängstlicher, als sie es ohnehin schon ist.”, antwortete er und ich nickte. “Ist auch für sie eine große Umgewöhnung.”, meinte ich und legte meinen Notizblock zur Seite. “Eigentlich solltet ihr ja auf die kleine, alte Ferienranch ziehen. Zusammen mit Dell und Betsy. Nun ist es aber so, dass die Häuser noch nicht ganz fertig sind. Einer der Bungalows ist fertig, da sind zwar nur drei Schlafzimmer, aber eines mit Doppelbett. Da könntet ihr übergangsweise wohnen. Tschetan und Kaya zusammen? Dann müsste es passen.” “Klar, das ist kein Problem. Wo wohnen denn die anderen?” “Verteilt auf der Ranch. Octavia wohnt im Moment mit Travis hier, die anderen in den restlichen, halbfertigen Häusern. Hat alles doch ein bisschen länger gedauert.”, erklärte ich. “Wenigstens machen sie im Stall große Fortschritte, die 30 Außenboxen sind schon so gut wie fertig, sie mussten jetzt aufhören zu bauen wegen dem plötzlichen Schnee. Aber noch ein paar Dachplatten dann können wir Pferde dort hinein stellen.”, sagte ich zu ihm und er nickte.
    Gerade, als ich zu einem neuen Satz ansetzen wollte, kam Cayce ins Wohnzimmer. “Du könntest echt mal auf dein Handy schauen. Du musst jetzt die Arbeiten offiziell verteilen, nicht nur unter der Hand.”, grummelte er und umarmte Louis kurz. “Was ist denn?”, fragte ich ihn. “Ich habe dir geschrieben, dass Ylvi mich abgefangen hat und gefragt hat, ob ich auch Heu zu den Rindern bringen soll. Wollte ich jetzt machen, aber von dir wollte ich wissen ob ich ihnen auch Stroh mitnehmen soll, da wir dringend neues Heu bestellen müssen und die Kühe das Stroh besser vertragen als die Pferde.”, quatschte er drauf los. “Ja, ist gut. Ich schreibs mir auf mit dem Heu.”, antwortete ich ihm, bevor er wieder nach draußen ging. “Chef zu sein ist schon etwas anderes, als Chef zu spielen.”, lachte Louis, während ich auf meinem Block herum kritzelte. “Oh ja, wem sagst du das.”
    Wir redeten noch eine Weile über die Arbeit auf der Ranch, und dass er sich einfach zunächst einmal einbringen solle, wo immer er Arbeit sehen würde. Die persönlichen Aufgaben würden nach und nach dazu kommen. Da ich Wert darauf legte, jeden Morgen zusammen hier zu frühstücken, hatte ich die jeweiligen Listen mit den täglichen Aufgaben in den Flur gehangen. So sah sie morgens jeder und konnte seinen Namen hinter eine Aufgabe schreiben. “Ich werde dann mal sehen, wo die zwei Kinder abgeblieben sind.”, sagte Louis. “Wenn du sie hast komm nochmal her, ich zeige euch den Bungalow.”, bot ich ihm an doch er winkte ab. “Wir finden den schon.”, meinte er und verschwand dann auf dem Hof.
    Wieder zurück im Wohnzimmer schnappte ich mir den Hörer und rief bei einem Heulieferanten an, bei dem Verena auch immer Futter besorgt hatte. Wir hatten Glück und er konnte sogar heute noch liefern. Den Rest des Tages verbrachte ich zusammen mit Murphy und Travis damit, die kleinen, eckigen Heuballen vom Laster in die Scheune zu werfen und zu stapeln. Die großen Rundballen luden wir mit dem Traktor ab und stapelten sie in der Halle nebenan. Gegen Abend löste sich der Trubel auf dem Hof auf. Ich stand vor dem großen Fenster im Schlafzimmer und sah über den Hof. Hier war es wirklich wunderschön. Ich war gespannt, wie es hier aussehen würde, wenn alles zu blühen anfängt.

    Ylvi
    Nachdem wir uns damit vergnügt hatten die Stuten auf die andere Weide zu bringen, war es etwas schwierig gewesen Betsy los zu werden. Nicht, dass mir das Kind auf die Nerven ging...sie erledigte ihre Aufgabe zusammen mit Sue ja wirklich gut. Allerdings schien Lilly irgendwas auf der Seele zu brennen. In Gegenwart des Kindes schien sie keine Worte an mich richten zu wollen. So war die Arbeit schweigend verlaufen, abgesehen von den Berichten Betsys über den Umzug, die ersten Wochen und natürlich ihre neue Schule. Als wir Kaya allein über den Hof hatten schlendern sehen hatten Betsy die Gelegenheit genutzt um vielleicht Freundschaft zu schließen. Lilly hatte ihr erklärt das Kaya ein bisschen anders war, nicht sprach. Betsy hatte die Nachricht nickend aufgenommen und war anschließend davon gelaufen.
    “Louis wird es nicht einfach haben.” seufzte Lilly als sie Betsy hinterher sah. “Ich hab mich ja bisher nicht getraut zu fragen…” erwähnte ich ohne eine direkte Frage zu stellen. “Kaya war dabei als ihre Mutter sich die Pulsadern aufgeschnitten hat. Tschetan hat sie gefunden. Kaya hat seitdem kein Wort gesprochen. Die Ärzte sprechen von Mutismus. Irgendwann wird sie schon wieder anfangen...aber so ängstlich wie sie auch ist. Vielleicht tut es ihr ganz gut zusammen mit Betsy zur Schule zu gehen, oder die Ranch an sich. Aber ich mach mir schon Sorgen um Louis. Er hat so viel getan für mich...jetzt schickt er mich zur Uni und soll mit den Kindern allein bleiben?” “Calgary ist nicht weit fern...ruf mich an und ich hol dich ab. Außerdem geb ich dir das versprechen öfter mal nach ihm zu schauen,ja?” Ich hatte sie in den Arm genommen. Allerdings hatte ich auch keine Ahnung. Wie brachte man ein Kind dazu zu sprechen nach so einem Erlebnis? Vor allem aber auch in Anbetracht der Dinge die das Kind ja auch vorher bereits erlebt haben musste. Betsy schien Kaya die Ranch zu zeigen. Mehrere Male kamen sie an uns vorbei. “Betsy? Komm mal rüber.” rief ich, winkte sie heran. “Fylgia ist heute noch nicht bewegt worden. Wenn ihr wollt könnt ihr mit ihr eine kleine Runde um die Koppeln machen. Ich denke auch Kaya wird ihre Freude haben.” Damit hatte ich dann auch meine Ponystute an Bewegung für diesen Tag abgespeist. “Oh können wir mit Halsring raus?” Ich schüttelte den Kopf. “Auf dem Platz irgendwann anders...aber noch kennt sie ja nicht viel von der Umgebung. Nimm bitte das Sidepull.” Damit verschwanden beide Kinder, Betsy nahm Kaya vertrauensvoll an der Hand. Als sie uns später begegneten, sahen wir eine lächelnde Kaya auf dem Rücken meiner Ponystute, Betsy führte sie am Zügel. Kaya drückte noch immer mit einer Hand den Stoffhasen an ihre Brust. Lilly schluckte schwer, lächelte dann aber seelig. “Andere Kinder werden ihr gut tun. So quirlig wie Betsy ist.” “Vor allem haben sie auch eines gemeinsam. Auch Betsy hat vor einiger Zeit ihre Mutter verloren...sie kennt den Schmerz der damit einher geht.” sprach ich traurig. Lilly antwortete nichts darauf. Wir halfen noch dabei die Rundballen zu verstauen. Anschließend verzog ich mich für einige Stunden in mein Büro im Haupthaus. Caleb hatte es mir einrichten lassen...es war klein, aber die Aussicht in Richtung der Berge war toll. Die neue Website für die Bow River Ranch war an der Reihe. Ich hätte natürlich die alte einfach wiederverwenden können. Aber mir war nach etwas neuem gewesen.
    Es war bereits 21 Uhr als ich mich von der Arbeit lösen konnte, draußen strahlte mir der abnehmende Mond entgegen. Wie üblich wenn Schnee lag erschien der Nachthimmel in einem dunklen Rot. Ich schaltete den PC aus, schnappte mir mein Handy und schlenderte durch den Flur die Treppe hinauf in das Zimmer das ich mir mit Caleb teilte. Es fühlte sich mittlerweile ganz normal an. Für Aufregung hatte das Outing nicht wirklich gesorgt….ganz so als wäre es den anderen bereits klar gewesen. Ich blieb im Flur noch einmal stehen...schaute aus dem Fenster auf den Hof. Von hier aus konnte ich Licht im Bungalow sehen in dem Dell, Betsy und nun auch Louis und seine Familie untergebracht waren. Bisher hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet...aber mein Versprechen auf Louis acht zu geben...auf die beiden Kinder. Es jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich konnte es nicht zuordnen, wandte meinen Blick ab und ging hinauf. Als ich die Tür hinter mir schloss sah ich Caleb am Fenster stehen, das Feuer loderte im Kamin. Kurz war ich versucht “Ich bin zu Hause Liebling” spöttisch zu sagen, dann lächelte ich ihm einfach nur zu. Caleb löste sich vom Fensterbrett, zog mich an der Hüfte zu sich und küsste mich. “mhm..das wollt ich den ganzen Nachmittag tun.” murmelte er. Welch seltsame Worte von ihm...und da war er wieder, der Schauer an meinem Rücken.

    Schicksal
    ca. August 2019, by Ravenna & Veija
    Ylvi
    Die letzten Tage waren vergangen wie in einem unheimlichen Traum. Wir hatten versucht von Kanada aus die Klärung des Visums in Gang zu bringen. Leider war das nicht von Erfolg gekrönt. Mit meiner Beschäftigung auf der Ranch genügte es nicht um das Visum zu verlängern. Auch die nötigen Untersuchungen nach meiner OP waren nicht ausschlaggebend gewesen.
    Ich hatte bereits alles nötige mit meinen Eltern geklärt. Vorerst würde ich bei ihnen unterkommen bis ich wieder nach Kanada reisen durfte. Wie oft ich des Nachts wachgelegen hatte konnte ich gar nicht mehr zählen. Unzählige Tränen waren geflossen. Zu groß die Angst in meinem Inneren das ich vielleicht gar keine dauerhafte Genehmigung bekommen würde. Caleb hatte sich als stark an meiner Seite versucht...seine wirklichen Gedanken jedoch blieb mir momentan verborgen. Seine Arme um meine Hüfte des Nachts gaben mir jedoch den nötigen halt. Noch zwei Wochen reichte meine Genehmigung...dann musste ich Kanada auf ungewisse Zeit verlassen. Das machte mich völlig fertig.
    Einem Geist gleich lief ich seit Tagen über die Ranch. Ravn hatte mich vorgestern aus dem Sattel befördert - ich war nicht bei ihm gewesen. Dafür hatte ich mit einem blauen Fleck am Bauch den Preis gezahlt. Deutlich war der Abdruck des Horns zu erkennen. Deshalb waren Westernsättel eigentlich mal nicht meine Lieblinge gewesen.
    Was würde geschehen, wenn ich tatsächlich keine Genehmigung bekam? Nicht nur würde das meine...ja Beziehung zu Caleb auf eine harte Probe stellen oder das Ende bedeuten. Was würde aus den Pferden? Mittlerweile hatte ich 5 von ihnen. Inyan wäre versorgt...ich wusste das sowohl Tschetan als auch Louis den Wallach bewegen würden. Ich hatte doch erst vor einiger Zeit begonnen mit Gealach zu arbeiten. Lady Gweny...Ravn und Fylgia. Letztere würde ich natürlich nachholen. Doch sie erneut über Kontinente mit dem Flugzeug zu transportieren. Das würde ich ihnen ungern antun wollen. Das beste wäre sie auf der Ranch zu belassen. Es gab Leute die sich ihrer annehmen würden. Aber ich? Ohne Pferd? Schwer vorstellbar. Ich wollte nicht weg….hier war meine Heimat!

    Ich schluchzte erneut schwer auf. Spürte die sanften Nüstern eines Pferdes in meinem Gesicht. Inyans Punkte fielen mir sofort auf als ich die Augen wieder öffnete. Ich stand hier inmitten meiner Herde, gelehnt an den kräftigen Hals meines Valravn und weinte mir- mal wieder - die Augen aus dem Kopf. Verzweiflung war wohl das richtige Wort für meinen derzeitigen Zustand. Schritte in meinem Rücken. Kleine Füße, zögerliche die folgten. Meine Augen hielt ich geschlossen. Versuchte das laute schluchzen zu unterdrücken schaffte es ja doch nicht. Ich spürte eine raue Hand auf meiner Schulter. Eine ungleich zartere Bewegung an meiner Hüfte. Ich wusste das Kaya sich an mich lehnte. Ihre zarten Arme lagen um meine Hüfte. Ob das Mädchen verstand welch Kummer mich plagte oder ob sie einfach meine Tränen trocknen wollte wusste ich nicht. Es gab keine Worte. Nur ihre Umarmung. Die Hand auf meiner Schulter die sanften Druck ausübte. Ich holte keuchend Luft, die ich offenbar angehalten hatte. Blinzelte durch den Schleier der Tränen, drehte den Kopf und sah Louis. Wie kam es nur das ausgerechnet immer er da war? Sollte nicht Caleb an seiner Stelle sein? Zu meiner allgemeinen Verzweiflung hatte sich innerhalb der letzten Woche auch noch vollkommene Verwirrung gesellt. Letzteren sah ich nur nachts, wenn ich vor lauter Tränen erschöpft im Bett einschlief, nicht mehr in der Lage die Augen offen zu halten. Ich spürte förmlich wie sich Caleb mir entzog. Hatte was wir teilten noch eine Chance? Oder stand der Kuss mit Louis unausgesprochen zwischen uns?
    Wir standen alle stillschweigend im Unterstand zwischen den Pferden die sich hierher zurückzogen, wenn die Sonne zu sehr vom Himmel brannte. Nicht wie in Mexico...aber warm genug. Mir gelang es zwar immerhin meine Atmung und die Tränen in den griff zu bekommen, während wie so da standen. Meine Gedanken glichen aber eher einen Sturm. Ich entzog mich schließlich der Hand auf meiner Schulter, duckte mich um Kaya in den Arm zu schließen und hauchte ein “Danke” in ihr Ohr. Das Mädchen löste sich von mir, lächelte und huschte dann aus dem Gebäude. “Ich vermute mal du hattest keinen Erfolg mit dem neuen Antrag?” seufzte Louis. Ich schüttelte hoffnungslos den Kopf. “Ich habe am Morgen mit meiner Familie telefoniert damit ich vorerst bei ihnen unter komme. Bisher habe ich noch keinen Flug buchen können. Ich will nicht fort.”
    Im Reflex fand sich meine Hand in der von Louis wieder, ich starrte darauf, flackerte zu ihm hoch und er nahm seine Hand fort als habe er sich verbrannt. Wir hatten den Kuss nie wieder erwähnt. Aber er stand bei jeder Berührung der letzten Tage noch immer zwischen uns wie ein Damoklesschwert. “Sag wenn ich irgendetwas tun kann, ja?” ich hatte keine Kraft für eine Antwort nickte nur...und wand mich dann zwischen den Ponys davon aus dem Unterstand.

    Caleb
    >>Meine Aufenthaltsgenehmigung ist abgelaufen..ich muss Kanada verlassen bis die Visumsfrage geklärt ist.<<, immer wieder hallten diese Wort in meinem Kopf nach. Für uns alle war das ein Schock gewesen, insbesondere Ylvi und mich. Sie konnte die Ranch nicht einfach verlassen. Was würde aus den Pferden werden… was würde aus uns werden? Innerlich fluchte ich. Immer… und immer wieder. Hätte ich mich damals nicht auf sie eingelassen, würde mir ihr Abschied auch nicht so schwer fallen… Hätte ich mich nicht auf sie einlassen sollen? Doch. Natürlich. Unsere gemeinsame Zeit war zwar von Höhen und Tiefen geprägt gewesen… und was irgendwie als “Zeitvertreib” angefangen hatte, war ernster geworden. Eine Möglichkeit, wie sie auf jeden Fall hierbleiben konnte, konnte ich ihr bieten. Mit einem Ring. Aber wollte ich das? Caleb O’Dell verheiratet? Mit einer Deutschen? Nicht mit jemandem vom Rodeo, was sich wohl alle Welt denken würde. Ich verwarf den Gedanken wieder. Dazu war ich nicht bereit… aber wenn sie so bleiben durfte?
    Ich atmete einmal schwer durch und konzentrierte mich wieder auf meine Reitschüler. Ab und zu, wenn gerade wieder ein bisschen Luft auf der Ranch war, hatte ich angefangen, ein wenig Reitunterricht zu geben. Gerade waren Gipsy und Shorty auf dem Platz. Cayce hatte mir seinen Wallach für George geliehen. Der junge Mann hatte wirklich Talent! Auf Gipsy saß ein junges Mädchen, etwa so alt wie George. Lizzy. “Beine ran Liz.”, rief ich ihr rüber und schaute dann wieder zu George, der Shorty auf dem Zirkel galoppierte. Lizzy trabte den hellen Wallach gerade ganze Bahnen. “Das sieht schon gut aus!”, rief ich beiden rüber und winkte sie dann zu mir. “Wir gehen heute noch ein bisschen an die Manöver. Lizzy du wartest hier bei mir, Gipsy und George sind zuerst.”, erklärte ich und sie positionierte ihr Pferd an der Bande. “Du startest bei X, galoppierst zwei langsame und dann einen schnellen Zirkel. An X stellst du ihn gerade und lässt ihn wechseln. Dann einen schnellen und zwei langsame Zirkel. An X Stoppen. Dann geb ich weitere Anweisungen.”, sagte ich und schickte ihn los. Mir war gar nicht aufgefallen, dass sich Betsy, Tschetan und Kaya hinter mich an den Zaun geschlichen hatten, und zusahen, bis Betsy mir auf die Schulter tippte. “Hey Cowboy.”, sagte sie lachend und ich knuffte sie in die Seite. Die beiden anderen Kinder sahen mich argwöhnig an. Einen richtigen Draht fand ich nicht zu ihnen, es war aber vermutlich auch noch zu früh, zu urteilen. “Kannst du mir gleich auch noch Unterricht auf Blue geben?”, fragte mich die kleine und ich nickte. “Wenn du ihn dir jetzt fertig machen gehst und sofort her kommst, ja. Ich muss gleich zu den Rindern hoch. Könnt ihr mir Devil auch fertig machen?”, fragte ich die Kinder. Mir war aufgefallen, dass alle drei nach einer Aufgabe auf der Ranch suchten. Ja, sie waren Kinder. Ja, sie spielten viel… aber bevor sie anfingen allen möglichen Unsinn zu machen, gab ich ihnen lieber Aufgaben. “Tschetan und Kaya wenn ihr mitkommen wollt könnt ihr Sue und Face Down satteln.” Wider Erwarten nickten beide und verschwanden dann mit Betsy. Sollte ich Louis noch fragen, ob ich die beiden mitholen durfte? Ich schrieb ihm eine kurze WhatsApp und bekam nur ein OK zur Antwort. Ich glaube er war froh, wenn die beiden Beschäftigung bekamen. “Jetzt nochmal zu euch.”, sagte ich zu den beiden Reitern auf dem Platz. “George nochmal.” Ich schaute ihm zu und nickte. “Abreiten und wegbringen.”, erklärte ich ihm. “Lizzy willst du auch mal versuchen? Lass Shorty ruhig von sich aus umspringen, der ist in der Ausbildung schon weiter als du. Er macht vieles alleine. Lass die Zügel locker, leg dein äußeres Bein ran und er macht das.”, erklärte ich ihr und sah ihr bei ihren Zirkeln zu. “Prima. Reicht.”, sagte ich und schaute ihnen beim Abreiten zu. Nun kamen die Kinder mit den vier Pferden zurück. Blue brummelte die Stuten an und machte seinen Hals ganz schön rund. “Betsy ruck mal kräftig am Zügel, der hat sich zu benehmen, hier wird jetzt nicht gedeckt!”, rief ich ihr zu und sie machte, was ich von ihr verlangt hatte. Sofort hörte Blue auf und konzentrierte sich wieder auf das Mädchen. Ich nahm Devil entgegen und nach dem nachgurten schwangen wir vier uns in den Sattel. Der Ritt zu den Rindern war sehr schweigsam. Ab und zu erzählte Betsy etwas, ansonsten konzentrierten wir uns auf den Weg. Neben viel Schritt trabten wir auch eine kurze Strecke und galoppierten auch ein Stück. “Bei den Rindern bleibt ihr auf alle Fälle im Schritt.”, erklärte ich den Kindern. Ich ritt zwar das einzige Pferd mit Cow Sense, man konnte aber nie wissen. “Ich möchte auch nur kontrollieren, ob alles ok ist, mehr nicht.”, erklärte ich ihnen und öffnete den Zaun, damit sie alle durchreiten konnten. Nachdem ich selbst durchgeritten war, schloss ich ihn wieder und trabte auf sie zu. Die Rinder waren auch schon zu sehen. Gemütlich kamen wir immer näher. “Bleibt hier stehen.”, sagte ich und ritt alleine zwischen den Rindern durch. Ein Kalb machte mir ein bisschen Sorgen, so dass ich mir mein Lasso nahm und es einfing. “Whoaaa…”, sagte ich zu Devil, sprang ab legte das Kalb auf die Seite. Er hatte sich in ein wenig Stacheldraht verfangen. “Mist..”, fluchte ich. Das hieß eigentlich, dass der Zaun irgendwo defekt war. Ich entfernte den Stacheldraht und nahm aus der Satteltasche ein wenig Blauspray, was ich dem Kalb auf die Wunde sprühte. Dann ließ ich es wieder laufen, rollte mein Lasso auf und ritt zu den Kindern zurück. Ich zückte mein Handy und rief Cayce an. “Ja, Caleb hier. Komm mal mit dem Truck zu den Rindern, hier hatte sich ein Kalb im Zaun verfangen, ich bin mit den Kindern hier, wir reiten einmal rundherum und schauen ob etwas kaputt ist.” “Cayce kommt mit dem Truck her, wir teilen uns auf. Betsy kommst du mit mir links rum? Tschetan und Kaya könnt ihr rechts rum am Zaun vorbei reiten?”, fragte ich sie und sie nickten. “Betsy hast du die Walkie Talkies dabei?” Sie nickte und gab Tschetan ohne zu zögern eins davon. ”Wir treffen uns auf der anderen Seite. Wenn was ist…”, erklärte ich und zeigte auf das Walkie Talkie in Betsys Hand. Sie nickten und ritten zurück zum Zaun. Wir folgten ihnen und unsere Wege trennten sich.
    Tatsächlich fanden Betsy und ich nahe der Hütten ein Stück Zaun, der kaputt war. “Sagst du den beiden Bescheid? Sie sollen trotzdem weiter reiten und nachschauen.”, sagte ich zu Betsy und sie nickte. Auch Cayce sagte ich Bescheid, dass er schon mal hier hoch kam und den Zaun reparierte.
    Tschetan und Kaya fanden unten am Wald noch eine Stelle, die Betsy und ich uns anschauten. Auf dem Weg dorthin war uns Cayce mit dem Truck begegnet, so dass ich mir von ihm ein wenig Werkzeug mitgenommen hatte und den Zaun reparieren konnte. “Danke für eure Hilfe.”, sagte ich zu den dreien und steuerte Devil in Richtung Heimweg. Ich öffnete den Kids wieder den Zaun, schloss ihn und wir ritten zurück zur Ranch. Dort stand schon die Heulieferung auf dem Hof, die ich ganz vergessen hatte. Bellamy kam schon ziemlich genervt auf mich zugelaufen. “Wo sind denn die Papiere schon wieder?!”, fragte er und hielt Devil an. “Ich mach die fertig, kümmer du dich ums Heu.”
    Ich stieg ab, grüßte den Lieferanten kurz und lief dann ins Haus. Nach einer Weile hatte ich die verflixten Zettel und die Rechnung gefunden. Ich drückte ihm alles in die Hand und lief einmal quer über den Hof zum Traktor, um die Heuballen abladen zu können.
    Als ich eine Stunde später damit fertig war, aß ich in der gemeinsamen Küche schnell etwas und fiel ins Bett. Ylvi schlief bereits im Bett. Am nächsten Morgen war ich auch schon vor ihr wach und in der Stadt. Es gab dort noch einiges, was ich wegen der Umbauten regeln musste.

    Ylvi
    Calebs Seite des Bettes war kalt, leer. Wie so oft in letzter Zeit. Hatte ich anfangs noch einen Knoten im Hals verspürt, war es nun nur einem Seufzen gewichen. In den vergangenen Tagen, den Wochen seit den Brief hatte ich zu oft gemixte Signale von ihm erhalten. Oder hatte es bereits zuvor begonnen?
    Ein halbes Jahr war vergangen seitdem wir Weihnachten gemeinsam gefeiert hatten. 6 Monate in denen so viel passiert war.
    Ich warf die Decke von mir fort. Vor dem Haus fehlte der rote PickUp..er schien also auch gar nicht auf der Ranch zu sein. Ich zuckte die Schultern, zog mich fix an. Anschließend genehmigte ich mir ein fixes Frühstück in der Küche. Laurence kam herein, sah mich und lächelte. “Caleb schon wieder auf Wanderschaft?” “Aye” antwortete ich dem alten Mann knapp. Ich wollte jetzt eigentlich keine Konversation führen. “Habt ihr bereits miteinander geredet?” bohrte dieser allerdings weiter nach. Meine Hand die eine Tasse Kaffee Richtung Lippen bewegt hatte hielt inne. Verwirrt sah ich Laurence an. “Er könnte dich mit Leichtigkeit hier halten. Ich hab dem Trottel schon zweimal gesagt er soll dir einen Ring an den Finger stecken.” grummelte Laurence in seinen stoppeligen Bart. Ich schluckte. Das war nie zum Thema gekommen. Ich hatte sogar keinen Gedanken daran verschwendet. Niemals hatte ich mich verheiratet gesehen. Nichtmal mit Caleb hatte ich diese Gedanken gehabt. Natürlich...wir hatten einander viel gelehrt. Von emotional unbrauchbar hatten wir uns zumindest zu etwas wie einer Beziehung hinreißen lassen. Wie viel Bestand diese hatte zeigte sich nun sehr gut - keine. Waren wir am Ende einander nur Lehrmeister gewesen?
    Aber natürlich...mit einer Heirat würde ich bleiben können...ohne Probleme sogar. Ich würde nie wieder ein Visum beantragen müssen. “Pack ihn bei den Eiern und sprich es an. Du würdest fehlen hier auf der Ranch.” damit verließ Laurence die Küche. Aber ich wusste...ich würde Caleb darum niemals bitten. Ein Gefühl welches ich nicht zu beschreiben vermochte machte mir bewusst - eine Heirat mit Caleb würde niemals funktionieren.
    Ich verzog mich in den Offenstall meiner Pferde. In der morgendlichen Sonne machte ich deren Paddock sauber, schob die schwere Schubkarre vor mir her zum Misthaufen quer über den Hof der Ranch. Dort angekommen, keuchte ich bereits wie ein Maikäfer. Noch war ich nicht gänzlich an diese Arbeit gewohnt. Cayce begegnete mir mit einigen der Rinder. Mir fiel auch kurz der wieder aufgetauchte rote PickUp auf. Um Caleb möglichst nicht zu begegnen setzte ich mich ab. Ich schnappte mir eine der Trensen, war unschlüssig welches der Pferde ich nehmen wollte. Schlussendlich fiel die Wahl auf Valravn. Nur am Rande nahm ich wahr das Inyan nicht da war. Mit wenigen Handgriffen legte ich ihm die Trense an, schwang mich auf den Rücken und verschwand in Richtung der Hütte in den Hügeln. Dort oben gab es um die Koppeln der Jungpferde einige schöne Pfade. Wir tauchten gerade ein in das Dickicht des Waldes als ich Hufgetrappel hinter mir vernahm. Neugierig drehte ich mich um. Dort näherte sich Inyan. Auf seinem Rücken saß Louis. Sie waren noch weit entfernt. Konnte ich so tun als habe ich sie nicht gesehen? Ich hieß Ravn angaloppieren. Allerdings versagte mir der Hengst den Dienst. Zu hart waren meine Beine in seinen Bauch gepresst. Stattdessen bäumte er sich vorn auf. Darauf nicht vorbereitet rutschte ich mit meinen Shorts hilflos einfach seinen Rücken hinab. Sicher landete ich auf meinen Beinen. Dieser Fail entlockte mir ein leichtes Lächeln. “Hast du andere Pläne,ja?” flüsterte ich meinem Wallach zu. “Ich habe dein Pferd verzaubert.” kam es stattdessen von Louis der meine Worte gehört haben musste. “Ist das so?” wandte ich mich an ihn, zog die Augenbrauen hoch.Ich sah wie sich Louis gleichfalls von seinem Pony schwang, neben mir stehen blieb und grinsend lächelte. “Möchtest du lieber spazieren?” ich zuckte die Schultern. Louis klopfte meine Schulter, schob die Unterlippe vor und ging voran. Offenbar nahm er mir jetzt die Entscheidung ab.
    Wir liefen lange den Weg hinauf. Schweigend. Kaum Worte zwischen uns. “Caleb ist ein Narr….ich würde nicht zögern.” sprach Louis dann endlich die Worte mit denen er all die Schritte bis hier her gehadert hatte. Ich musste nicht fragen. Ich ahnte, nein wusste sogar, das er die kurze Konversation mit Laurence gehört haben musste. Da waren andere Schritte im Flur gewesen als Laurence aus dem Haus gegangen war. Ich hatte mich also nicht verhört. Louis war stehen geblieben, ich spürte plötzlich seine Hand an meinem Handgelenk. Nicht fest, beinahe bittend. Meine Nackenhaare stellten sich auf, ich sah auf seine Hand...dann huschte mein Blick zu ihm auf...ich spürte wie er die Hand von meinem Handgelenk nehmen wollte. “Wenn die Dinge anders wären.” hörte ich Worte...verstand dann das sie aus meinem Mund kamen, das mein Verstand sie produziert hatten. Ich wusste das es keine Lüge war. Schon eine ganze Weile waren da Gefühle für Louis gewesen...entfacht nicht erst durch seinen Kuss. Dieser Idiot hatte mir beinahe ebenso schnell mein Herz gestohlen wie Caleb. Das sich letzterer nun von mir entfernte...glich beinahe der Verdammnis. “Ich muss schon die ganze Zeit über diesen Impuls unterdrücken.” kam es gedrungen von Louis. Wieder mein Blick in seine Augen. Ich sah das funkeln in ihnen….wieder bedurfte es keiner Worte. Trotzdem glich Louis einem wartenden Schakal. “Dann tu es nicht.” Verräter! schrie es kurz in mir. Dann verlor ich mich in dem Kuss mit Louis. Weniger zaghaft als jener erste vor ein paar Wochen. Zudem mit dem Unterschied das ich mich von ihm einnehmen ließ. Kein Abstand mehr zwischen uns, seine Hand auf meiner Hüfte, in meinem Haar. Meine eigenen Hände um ihn geschlungen. Ich spürte mich wanken, von ihm gehalten stand ich jedoch sicher. Louis brach den Kuss, ich erschrak drehte mich plötzlich fort...die Hände gekrallt in Ravns Mähne. Was war das nur mit ihm? Ich musste schwer einatmen..mein Bauch spielte genauso verrückt wie meine Gedanken. Louis kam zu mir, sein Kopf legte sich auf meine Schulter. “Du kannst mich nicht belügen...auch ich bin in deinem Herzen...das weiß ich nun.” flüsterte er in einer tiefen Stimme. Dann war er fort. Ich nahm seine Schritte wahr. Dann die von Inyan. Als ich mich zu ihm drehte saß er bereits wieder auf dem Wallach. Sein Gesicht hatte beinahe etwas triumphierendes..”Du weißt wo du mich für deine Entscheidung findest.” er trieb dem Wallach die Füße in den Bauch, dieser preschte aus dem Stand im Galopp den Waldweg wieder hinab. Ravn wollte hinterher, kurz hatte ich zu tun, den manchmal widerspenstigen Wallach zu zähmen. Ich sah in die Richtung von Louis und Inyan die immer kleiner wurden. Oh ja...ich wusste wo ich ihn fand...und auch wenn er die Frage nicht ausgesprochen hatte. Ich kannte sie...wusste welches Angebot er mir soeben unterbreitet hatte.

    Caleb
    Ich saß hinterm Steuer meines Pick Ups und starrte ins Leere. Es regte mich auf, dass ich nichts tun konnte, nein es kotzte mich wirklich an, nichts tun zu können… oder tun zu wollen. Jeden Tag ging ich spät ins Bett, jeden Tag stand ich früh auf und es war wirklich so, dass ich Ylvi aus dem Weg zu gehen versuchte. Ich hatte heute morgen ein Treffen in Calgary vorgeschoben, um nicht mit ihr aufwachen zu müssen. Ich hatte ein Treffen gehabt, so war es nicht… nur war dieses schon seit ein paar Stunden vorbei. Als sich mein Blick wieder gefangen hatte und ich seufzend meine Augen schloss, klopfte es an der Scheibe. “Sir, sie stehen schon eine ganze Weile im Parkverbot, bitte fahren sie den Wagen weg.”, sagte mir einer der Polizisten, die neben meinem Auto standen. Der andere im Polizeiwagen schaute düster zu mir herüber. Ich nickte nur stumm, startete den Motor und fuhr zum Geschäft, um noch ein paar Leckerlis für die Pferde und ein wenig neues Putzzeug zu kaufen. “Hey Caleb.”, begrüßte mich die junge Frau an der Kasse. “Wie läuft es so auf der Ranch?”, fragte sie mich nett. “Viel Arbeit. Ist immer viel Arbeit.”, erklärte ich ihr und bezahlte meine Einkäufe, ehe ich alles auf die Ladefläche des Pick Ups warf und wieder zur Ranch fuhr. Als ich ausladen wollte, gesellte sich Laurence zu mir. Ich schaute zu ihm rüber und er hatte wieder dieses: ich erzähle dir jetzt eine Lebensweisheit und du kannst nichts dagegen tun, nur zuhören. "We accept the love we think we deserve: from Stephen Chbosky.”, sagte er ohne mich auch nur im Ansatz auf so ein Zitat vorzubereiten. “Und du mein Freund, bist gerade auf einem ganz falschen Weg. Warum behälst du sie nicht hier? Du weißt, dass du es kannst und du weißt auch, dass du jemanden wie sie verdient hast. Lass die Liebe zu und frag sie endlich, ob sie dich heiraten will!”, fügte er an und packte mich an der Schulter. Laurence packte für sein Alter wirklich, wirklich feste zu. “Nimm sie nachher mit auf einen Ausritt. Du brauchst keinen Ring, frag sie einfach. Frag sie bevor es zu spät ist.” “Bevor sie weg ist…”, korrigierte ich ihn doch er schüttelte nur den Kopf. “Bevor es zu spät ist, Caleb. Du warst in letzter Zeit nicht viel hier. Es gibt.. sie hat.. sie bekommt hier andere Chancen.”, stammelte er und schaute in mein fragendes Gesicht. Selbst nachdem er meine Schulter losgelassen hatte und gegangen war, stand ich noch immer stocksteif neben meinem Truck und dachte über seine Worte nach. Es gibt für sie hier andere Möglichkeiten, zu bleiben? Was meinte er damit? “Hey Caleb!”, rief mir Octavia zu, die gerade mit Raspberry an mir vorbei ritt. Da kam mir eine Idee. “Hey O warte, ich hol mir ein Pferd und komm mit dir mit!”, rief ich ihr zu und hatte im Handumdrehen Vulture gesattelt und zu ihr aufgeschlossen. “Dass du Zeit hast, mit mir auszureiten.”, lachte O und strich ihrer Stute kurz über den Hals. “Das hast du wohl Laurence zu verdanken.”, murmelte ich. “Wieso das?” “Er hat mir eben wieder eine seiner Weisheiten unter die Nase gebunden und gesagt, wenn ich will, dass Ylvi bleiben kann, soll ich um ihre Hand anhalten, bevor es dafür zu spät ist und sie eine andere Chance bekommt, hier zu bleiben. Weißt du, was er damit meinte?”, fragte ich sie ganz offen und ehrlich und hielt Vulture an, um ihre folgenden Worte besser verstehen zu könne. “Weißt du… Ylvi und Louis… sie sind sich glaube ich näher gekommen.”, erklärte sie mir. Ich schloss für eine Sekunde seufzend meine Augen, ehe ich sie wieder öffnete und meinen Hengst wieder antrieb. “Was weißt du darüber?”, fragte ich sie schließlich. “N..nichts weiter. Wirklich nicht.”, antwortete sie mir und lenkte ihre Stute auf den linken Pfad rüber. Wir ritten eine Weile schweigend nebeneinander her, ehe ich sie fragte: “Sollte ich denn? Soll ich sie fragen, ob sie mich heiraten möchte?” O lachte kurz auf. “Caleb das kann ich dir doch nicht beantworten.“

    Ylvi
    Wir sahen uns an. Was tat ich eigentlich hier? Wie auf Drogen hatte mich der Weg am Abend nicht zum Haupthaus gebracht. Stattdessen stand ich auf der Türschwelle von Louis. Meine Hände im Rücken verschränkt. Ich zog mir die Haut neben meinen Nägeln ab. Der leichten Feuchtigkeit zu urteilen die ich spürte musste ich bereits Bluten. Der Schmerz drang jedoch nicht zu mir durch. “Willst du rein kommen?” Nein “Ja” hauchte ich.
    Mir war als würde ich mein Herz in der Brust nicht länger schlagen hören. Mit betreten seines Flures fiel plötzlich all die Anspannung ab. In meinen Gedanken war kein Caleb mehr. Nur der Wille an diesem Ort zu bleiben blieb zurück. Louis fasste meine Schultern schob mich vom Flur leise in Richtung seines Schlafzimmers. “Die Kinder sind schon im Bett.” flüsterte er mir zu. Da das Gästehaus nicht über ein Wohnzimmer verfügte und die Küche in Richtung Haupthaus ging, schien das Schlafzimmer die beste Wahl um ungestört zu sprechen. Mir wurde bei dem Gedanken allerdings flau in der Magengegend. Dann schloss sich die Tür hinter uns. Zum ersten Mal seit der Türschwelle sah ich Louis wieder direkt in die Augen. Die Haltung seines Körpers, seine Augen..sie sprachen von gespielter Gefasstheit. Diese Beherrschung die ich auch bei Lilly gesehen hatte. Die typisch war für einige Natives. Trotzdem sah ich den lauernden Schakal in seinen Augen wieder. Louis stellte keine Frage. Wir sahen einander nur an. Er wartete geduldig bis ich endlich den Mut fand die Worte über meine Lippen zu bringen. Sekunden wurden zu Minuten. Dann begann er plötzlich zu Lachen, einfach so. Ich legte den Kopf schief. Die Anspannung löste sich und plötzlich lachte auch ich scheu. Louis überbrückte die Distanz zwischen uns...zog mich an seine Brust und wir lachten weiter. “Wann müssen wir uns um einen Termin in Calgary kümmern?” flüsterte er schließlich als ich noch scheu hüsteln musste. Hatte ich gedacht Caleb und ich agierten gut miteinander...so bedurfte es mit Louis keiner Worte. Er würde mich zur Frau nehmen. Ich hatte diese Entscheidung bereits getroffen und er wusste es auch ohne das ich es ausgesprochen hatte. Das ganze wirkte beinahe surreal. Wir würden das liebende Ehepaar spielen müssen, wenn die Auslandsbehörde die Ehe prüfte. Doch würde ich die liebende Ehefrau spielen müssen? Das ganze könnte viel zu einfach werden. Die Art mit der er mich ansah, berührte und beschütze machten es mir so unfassbar einfach. “So früh wie möglich.” hauchte ich - schließlich müsste ich in weniger als einer Woche verschwinden. Louis schob mich ein wenig fort von sich, hoch mein Kinn. “Das ist das verrückteste was ich jemals getan habe.” sprach er, wieder halb lachend. Ich konnte nicht umhin das Lachen zu erwidern. “Gewöhn dich schonmal dran. Das Leben mit mir kann aufregend werden.” “Aber nicht das du mir aus den Latschen kippst wie das letzte Mal.” “Dafür hab ich ja jetzt einen neuen Schrittmacher und regelmäßige Kontrollen.” ich dachte an jenen Tag auf dem Berg. Ich wäre dort oben gestorben. Louis hatte mich am Leben gehalten. Hatte mein Leben gerettet. Vielleicht hatte das Universum damals bereits einen Wink gegeben wem ich mit meinem Leben trauen konnte. Erinnerte mich auch an seine seltsamen Worte. “Was ist mit der Symbiose?” Louis schaute leicht verwirrt. “Damals..auf dem Berg. Bevor ich ausgenockt bin. Du meintest das Caleb ein Wolf sei, während du in mir einen Raben siehst. Du sprachst davon, dass diese beiden Geschöpfe in einer Symbiose lebten. Ist das jetzt hinfällig?” “Ah..jetzt erinnere ich mich. Dabei darfst du aber nicht vergessen. Raben binden sich fürs Leben. Es kommt der Tag an dem eine Symbiose nicht länger ausreicht.” Plötzlich kam mir etwas in den Sinn. “Du wolltest es schon damals,oder? Du...dich beschützt auch ein Rabe als Totem. Nicht wahr?” Wir standen noch immer in dieser Umarmung beieinander, er zog mich wieder an seine Brust. “Thečhíȟila.” Louis hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. Seine Hände krallten sich in meinen Rücken, die Hüfte. Ich hörte das leichte Knurren von seinen Lippen. Kein ton der mich überraschte. Mochte ein Rabe ihn schützen, so blieb er für mich selbst doch der Schakal. Ich fand mich selbst dabei wie ich die Geste wiederholte, meine Fingernägel krallten sich in seinen Rücken, die Schulterblätter. Spürte seine Zähne an meinem Hals. Caleb so ähnlich und doch so anders. Ich bot ihm den Hals dar, legte das Gewicht auf meinen Hacken, gehalten von seinen Armen. Mein Körper war ein elender Verräter. Er war es schon bei Caleb gewesen. Bei Louis tat er keine Ausnahme. Nur mit dem Unterschied das sich hier auch mein Verstand nicht dagegen zu wehren versuchte. Ich biss die Zähne fest aufeinander als Louis Hand seinen Weg unter mein Shirt fand. Die letzten Wochen der Ungewissheit, des Alleinseins. Endlich nicht mehr allein sein. Er spielte und neckte mich. So leicht fand ich mich ein in dieses Spiel. Sanft wurde ich auf einer Decke aus Fell gebettet. Als er zu mir kam fand er mich offen vor sich. Ein Kuss auf meine Lippen, dann spürte ich ihn in mir. Diese Vertrautheit war überwältigend. Wir agierten wie Zahnräder die nahtlos ineinander griffen.
    Louis hielt mich danach im Arm, während sich unser Atem nur langsam beruhigte. Ich spürte sein Gewicht auf mir, meine Hand kratzte über seinen Rücken. Fühlten die Muskeln, die Wirbelsäule und den kleinen Film aus Schweiß über unseren Körpern. Worte lagen mir auf den Lippen die sie dennoch nicht verließen. Ineinander verschlungen schliefen wir ein. Im Halbschlaf merkte ich noch wie Louis die Felldecke über uns breitete. Das erste Mal in Monaten schlief ich völlig unbehelligt.

    Caleb
    Seit Wochen war ich immer dem selben Muster gefolgt. Spät ins Bett, früh wieder raus. Ich hatte das Gespräch mit Ylvi vermeiden wollen, denn sie hatte bis jetzt immer tief und fest geschlafen. Heute war dem nicht so, denn sie war nicht da, und ich konnte mir denken, wo sie sich aufhielt. Es war die unruhigste Nacht seit Langem und als am Morgen der Wecker klingelte, fühlte ich mich wie vom Zug überrollt.
    Das Frühstück mit den Arbeitern verlief größtenteils schweigend. Octavia warf mir ein paar mitfühlende Blicke zu, doch sagen tat niemand etwas zu mir. Meinen Kaffee füllte ich in einen Thermobecher, ehe ich meinen Hut von der Ablage auf meinen Kopf setzte und das Haus verließ. Noch immer waren weder Louis, noch Ylvi oder die Kinder zu sehen. Ich hatte einen anderen Weg einschlagen wollen, doch meine Füße führten mich zielsicher zum Offenstall von Ylvis Pferden. Als ich sie auch hier nicht sah, atmete ich hörbar erleichtert auf. War es wirklich Erleichterung, die sich von meinem Herz löste? Oder Gewissheit? Wo sollte sie sonst sein? Ich beschloss meine Gedanken in die hinterste Ecke meines Kopfes zu verbannen und mich auf die anstehende Arbeit zu konzentrieren. Auf einer Ranch war schließlich immer etwas zu tun und sei es nur das Herumfahren mit dem Truck, um den Anderen aus dem Weg zu gehen. Dazu sollte es allerdings nicht kommen. Ich war zurück ins Haus gegangen, um meine Schlüssel zu holen. Als ich wieder rauskam und zu meinem Auto gehen wollte, sah ich Louis und Ylvi auf dem Hof, die in Richtung des Haupthauses gingen. Ylvis Blick fiel von Louis auf meinen roten Pick Up, zurück zu Louis und schließlich zu mir. Als sich unsere Blicke trafen, blieb ich stocksteif stehen und… Ruckartig war Louis Hand von Ylvis Hüfte verschwunden. Besänftigend hob er seinen Arm und machte einen Schritt auf mich zu, ehe er erneut stehen blieb und auf meine geballten Fäuste starrte. Meinen Schlüssel hatte ich schon lange auf den Boden fallen lassen. “Es ist nicht das… wonach es aussieht.”, meinte er in einem ruhigen Ton. “Das ist es nie.”

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    Allein durch diesen Satz kochte die ganze angestaute Wut in dem blonden Mann hoch, die sich die letzten Wochen, ja sogar die letzten Monate angesammelt hatte. Caleb machte noch zwei, drei Schritte auf die Beiden zu, ehe er erneut stehen blieb und abwechselnd zwischen ihnen hin und her schaute. “Caleb… ich… wir…”, fing Ylvi an und machte einen kleinen Schritt auf Caleb zu. Louis, der die Augen nicht mehr von den Fäusten seines Gegenübers lassen konnte, stellte sich schützend vor sie. “Hast du Angst dass ich eine Frau schlage? Hältst du mich für so jemanden? Louis komm schon!”, schnaubte Caleb. Die Gedanken des Mannes bewegten sich in einer Abfolge von Bildern, Sätzen und Taten die ihm fast den Verstand zu nehmen drohten. Zwischen seiner unbezwingbaren Wut schwankte er in den Gefühlen für die Frau die dort neben seinem langjährigen Freund stand. Seine zur Faust geballten Finger, gruben sich in die Haut seiner Handfläche. Eine Art der Erinnerung wo er sich befand. Ylvi biss sich auf ihre Lippen, ihr Blick glich dem eines geschreckten Rehs. Der Indianer streckte die Schultern, sein Gesicht gab keine Regung seiner inneren Gefühle Preis. Caleb kannte ihn, kannte diese Regungslosigkeit. Louis beobachtete ihn ganz genau, würde blitzschnell reagieren können. Caleb war sich bewusst. Schlug er zu. Dann würde Louis nicht unbeteiligt bleiben. “Ich sah dich nie eine Frau schlagen. Dafür hast du zu viel Respekt.” Louis gab ein Seufzen von sich. “Ich frage mich nur wie viel Respekt in dir für mich noch übrig geblieben ist. Ich sprach falsch. Es ist genau wonach es aussah. Caleb...ich habe ihr gegeben, was du nicht gewillt warst zu tun. Wochenlang hattest du eine Wahl. Verurteilst du mich dafür ihr die Chance zu geben zu bleiben wohin es ihr Herz zieht? Und damit meine ich nicht mich Kola….sondern vielmehr diesen Ort.”
    Caleb lauschte den Worten seines Gegenübers, horchte in sich hinein und versuchte mit allen Mitteln seinen Körper und die Wut nicht die Oberhand gewinnen zu lassen. Ruhig zu bleiben, zuerst nachzudenken, bevor er handelte. Diese Beherrschung zu erlangen hatte ihn Jahre gekostet und er war sich in diesem Moment ganz und gar nicht sicher, ob nicht doch alles umsonst gewesen war. Nicht nur die Arbeit, seine unbändige, plötzlich ausbrechende Wut in den Griff zu bekommen, sondern auch sein Zulassen der Gefühle. Sich jemandem öffnen, ihn Platz in seinem Leben finden zu lassen nach dem Tod der Frau, die er so sehr geliebt hatte. Von emotional unbrauchbar bis hin zu jemanden, der wieder lieben konnte, ja Liebe zuließ. Doch nun stand er hier. Wurde von eben dieser Person betrogen...mit seinem besten Freund. Der Mensch, der ihm vor Jahren das Leben gerettet hatte und ihn schon lange begleitete. Genau dieser Mensch hatte die Nacht mit seiner Freundin verbracht. “Damit meinst du nicht dich,mein Freund?”, keifte der Cowboy den Indianer an. “Statt vorher mit mir zu reden hüpfst du einfach mit ihr ins Bett?”, setzte Caleb nach und machte noch einen Schritt auf Louis zu. Ylvi verschwand für kurze Zeit aus seinen Gedanken, mit ihr würde er später reden. “Caleb komm runter… wir können darüber reden.”, versuchte Louis die Situation zu retten, doch der Mann ging darauf nicht ein. Er war jetzt nah genug an ihm dran, um auszuholen und zuzuschlagen. Seine Hand zuckte, seine Faust wurde geballter, er atmete schwer… doch schlug noch nicht zu. “Ich warte.”, knurrte er. Louis sah dem alten Freund in die Augen, sah die Wut darin. Er wusste egal für welche Worte er sich entscheiden würde. Es wäre nicht genug. “Es tut mir Leid.” sprach er aus tiefster Seele.

    Der Indianer bemerkte die schnelle Bewegung, seine Ohren hörten den entsetzten Aufschrei von Ylvi. Im selben Augenblick reagierte jede Zelle seines Körpers mit Schmerz. Ein kräftiger Kinnhaken hatte ihn getroffen. Caleb hielt sich die Knöchel der rechten Hand, doch seine Augen funkelten zwischen den anderen beiden hin und her. Ein kalter Blick streifte sie beide. “Mir auch.”

    Auszeit
    Oktober 2019, by Ravenna
    Ich spielte nervös mit dem Ring an meinem Finger. Die Freundschaft von Caleb und Louis hatte sich sichtlich abgekühlt. Louis Gesicht hatte lange Zeit Spuren von Calebs Schlag gezeigt. Wir waren 2 Tage später ganz unspektakulär zum Standesamt gegangen. Keine Feier, kein Aufriss. Ich hatte kurzzeitig überlegt meinen Namen zu behalten. Doch völlig in Gedanken hatte ich vergessen das zu erwähnen. So stand in meinem Pass nun der Name “Ylvi Kills-Bears”

    Fast ein wenig irrsinnig. Bedeutete doch mein Vorname Wölfin. Danach hatten wir uns für eine Auszeit entschieden. Louis wollte Abstand zwischen sich und Caleb bringen. Wir mussten uns irgendwie miteinander auseinander setzen. Ich lebte plötzlich mit ihm zusammen. Ich war eine Ehefrau. ICH! Noch dazu hatte ich außerdem auch die Verantwortung für zwei Kinder. Eines davon sprach kein Wort. Tschetan hatte sich schnell damit abgefunden das ich jetzt eben dazu gehörte. Louis und ich hatten uns in die Arbeit gestürzt. Wir beide hatten uns entschieden beim Training der Pferde zu helfen. So war die Wahl auf einen Auftrag der Townsend Acres gefallen. Drei Ponys galt es dort im Geländespringen vorwärts zu bringen. Louis konnte damit zwar doch eher weniger anfangen. Allerdings konnte er die Gelegenheit auch nutzen um sich die Zeit im National Park dort zu vertreiben. Vielleicht konnten wir Kaya in dieser Zeit doch irgendwelche Worte entlocken.

    Außerhalb des Gestüts hatten wir daher eine kleine Ferienwohnung mieten können, der Wagen brachte mich jeden Morgen zu den Stallungen. Elisa Cranfield hatte uns dabei über Freunde einen guten Preis machen können. Die junge Frau befand sich etwa in meinem Alter erschien mir freundlich und offenherzig. Auch wenn Louis zu Anfangs ein wenig Neugirig beäugt worden war - kam ja nicht alle Tage vor einen Native American vor sich zu haben. Sein verschlossenes Gesicht konnte auch durchaus etwas respekt einflößend sein. Elisa befand sich etwa in meinem Alter, hatte mir auch Joline Carpani vorgestellt meine Ansprechpartnerin wenn es um Sachen mit den Pferden ging. Elisa selbst war auch stets am rotieren auf dem Gestüt. Auch hier gab es viel zu tun, wie es auch auf der Ranch der Fall war. Ich vermisste die Bow River Ranch. Ich vermisste meine Pferde. Auch wenn mir das Training hier Spaß machte mit den Pferden. Insgesamt waren es zwei Hengste und eine Stute. Alle hatten eine Sonderlackierung, wobei es mir besonders der Hengst Burnin' Unbridled Dreams angetan hatte. Von allen nur Dajun genannt war er ein Reitponyhengst in der Farbe Buckskin Roan. Sein Kopf schien dabei noch völlig braun, während Äonen von weißen Stichelhaaren seinen Körper zierten. Von den dreien war er auch das unkomplizierteste der Ponys. Während ich mich mit dem Hengst bereits ab Tag zwei auch im Sattel hatte beschäftigen können, so waren Pina und Allelujah dann andere Sorten gewesen. Dajun hatte schöne Gänge, hatte eine gute Grundausbildung genossen und stand wirklich fein an den Hilfen. Wir hatten die ersten Tage auf dem Platz verbracht. Ich hatte mich mit Burnin' Unbridled Dreams erst ein wenig vertraut machen wollen. Erst dann hatte ich den Schritt gewagt auf den Geländeplatz zu gehen. Kleinere Sprünge hatten wir bereits auf dem Platz ausprobiert. Mit dem nötigen Go ausgestatet schien der kleine auf dem eingezäunten Gelände allerdings keine große Begeisterung für das Springen zu zeigen. Beim ersten Ritt im Gelände scheute er allerings nicht über kleinere Äste auf dem Weg auch zu überspringen. So hatte ich mich in der zweiten Woche mit ihm am Halfter der Strecke mit Sprüngen angenommen. Ihm die einzelnen Sprünge gezeigt. Auch wenn einige dabei gewesen waren die noch nicht in A Höhe lagen. Ich war neugierig auf seine Reaktionen darauf. Mutig hatte er sich den Baumstämmen, dicken Balken und Heuballen gestellt. Ohne Probleme hatte ich mit ihm gemeinsam drüber springen können. Tschetan hatte mich dabei begleitet. Wir waren nicht ganz allein hierher gekommen. Wir hatten Inyan und Gweny mit auf die Reise genommen. Zum einen hatte ich die Gelegenheit nutzen wollen mit Gweny die Hindernisse hier zu springen. Zum anderen hatte natürlich Louis einen Narren an der Scheckstute gefressen. Vom ersten Tag an hatte er sie haben wollen. Faktisch war ihm das gelungen. Der Mustang-Mix hingegen trug die beiden Kinder sicher durch das hier fremde Gelände. Wenn er auch Dajun ein wenig aufheizte. Aber der Junge hatte die Lippen geschürzt, deutete damit auf den Hengst. “Gutes Pferd. Mutig. Ein richtiger Springer!” ich nickte nur bedächtig. Konzentriert auf meine Arbeit. “Vielleicht solltest du ihn dir klauen?” “Honch! Neein.” stöhnte der Junge erschrocken, tätschelte den Wallach unter sich. “Inyan wäre doch dann enttäuscht. Dann würde ich lieber den Hengst der aussieht wie der Sand der Wüste.” sprach er geschwollen. Es brauchte nicht lang um zu wissen welchen er meinte. Allelujah war der zweite Hengst den ich trainierte. Ein Palomino. Ebenfalls ein Reitpony. Von der Größe wie Burnin' Unbridled Dreams allerdings deutlich breiter in der Brust. Der Hengst besaß im Gegensatz zu ersterem auch bereits Erfahrungen im Geländespringen. Allerdings hatte er so seine Vorbehalte was Fremde anging. Allerings schien sich das ganze nur auf Erwachsene zu beschränken. Selbst Elisa hatte neugierig beobachtet wie der Hengst den ich im Round Pen zurückgelassen hatte nach einer ersten Kontaktaufnahme vollkommen unbeschwert mit dem zwölfjährigen Jungen gespielt hatte. Wild hatten sich die beiden gegenseitig gejagt. “Sonst hat Allelujah wirklich Respekt, ja regelrecht Angst vor Männern. Fast ein wenig seltsam ihn so zu sehen.” “Tschetan hat wirklich ein Händchen für Pferde. Du müsstest mal sehen wie mühelos er meinen Ravn reitet. Der duldet nicht jeden auf seinem Rücken. Aber für dieses Kind reitet er regelrecht durch das Feuer.”

    Seither konnte ich beobachten wie der Junge jeden Morgen dabei half den Hengst zu füttern oder auf die Weide zu bringen. Louis hatte bereits seinen Dank an Elisa ausgesprochen für ihre Gastfreundschaft. Mit dem Jungen gemeinsam hatte auch ich mich mehr mit dem Hengst auseinander setzen können. Erst ein wenig in der Bodenarbeit. Dann hatte ich mich zwischen dem Training von ihm, Pina und Dajun auch außerhalb mit ihm beschäftigt - Abend von der Weide zurück in die Paddockbox bringen. Erst in der zweiten Woche hatte ich mich auf seinen Rücken geschwungen. Zunächst wie bei dem anderen Hengst auf dem Platz. Anschließend in Begleitung von Joline auch auf die Geländestrecke.Sie saß auf einem Pony dessen Name mir entfallen war und begleitete mich einfach zur Unterstützung. Allelujah wusste ganz genau was zu tun war. Vor jedem Sprung schossen seine Ohren nach oben, seine Galoppsprünge kräftiger. Ich konnte mit jedem Sprung spüren wie er sich zusammenzog um dann vor dem ersten Hinderniss sich kräftig vom Boden zu lösen. Schon bei den kleinen Hindernissen die eher zur Sektion E und A gehörten sprang er einen Satz drüber hinweg der eigentlich zu viel war. Vermögen hatte dieser goldene Blitz allemal! In der L ging es darum einen Pacours auch mindestens 8 Sprüngen zu schaffen. Die Höhe betrug dabei etwa 1,15 meter. Einen Wassergraben gab es zu überwinden. Außerdem eine Kombination aus Treppe. Erst ging es hinauf, dann einen Sprung und anschließend schon wieder von diesem Podest herunter. Allelujah parkte zweimal, tänzelte er er sich den Sprung hinunter vagte. Für den ersten Tag an den neuen Hindernissen war ich dann aber doch zufrieden und schickte ihn wieder auf die Weide. Nach dem Mittagessen schnappte ich mir Burnin' Unbridled Dreams um mit ihm die ersten Sprünge unter dem Reiter dort zu absolvieren. Tschetan passte auf seine Kaya auf. Louis begleitete mich mit Gweny. Dieser ahm vor uns die Sprünge souverän mit der Vollblutstute und ich ließ Darjun mit ordentlcihem Abstand auch die Hindernisse überwinden. Wie zwei Tage zuvor zu Fuß zeigte er keine Angst. Allerdings zeigte sich hier seine gesteigerte Motivation - das Springen der Naturhindernisse schien ihm deutlich mehr zu gefallen als die Stangen im Viereck zu überwinden. Ich musste dabei lächeln. Auch mir gefiel die Arbeit draußen mit den Pferden eher als im begrenztem Viereck. So griff jeder Tag in den nächsten im Training der beiden Hengste. Da uns niemand hetzte ließ ich mir mit deren Fortschritten Zeit. Nahm sie nicht jeden Tag heraus um mit ihnen zu springen. Ich nutze auch die freie Zeit um mit den Kindern und Louis Unternehmungen zu machen. Das ich Gweny mit hier her genommen hatte zeigte sich auch als Vorteil in der Arbeit mit Allelujah. Als ich den ersten Tag des Springens mit ihm die Treppe so versemmelt hatte versuchte ich mich an den diversen Sprüngen auch mit meiner Stute. Schnell stellte ich fest, dass mir das Hindernis selbst auf ihr ein wenig Respekt einflößte. Unter Louis Augen sprang ich also auf meiner erfahrenen Gweny genau die etwas furchteinflößenden Sprünge. Damit gewann ich an Sicherheit. Was Allelujah und mir im weiteren Training half.


    Ende August hielt schließlich der Herbst Einzug in Kanada. Es begann plötzlich zu regnen. Das Wetter behinderte mich beinahe eine Woche lang im Training mit den beiden Hengsten. “Hast du mir zugehört?” fragte Louis leicht lächelnd. Ich war so sehr versunken gewesen in die Gedanken der letzten Zeit das ich seine Frage nur zur Hälfte mitbekommen hatte. Seine große Hand legte sich auf meine Finger, die noch immer den Ring am Finger hin und her schoben. “Hast du?” ich schüttelte entschuldigend den Kopf. “Erzähl es mir noch einmal.”

    “Lillith hat vorhin angerufen. Sie wollte eigentlich dich sprechen. Aber da du noch mit Pina in der Halle gewesen bist hab ich sie angewiesen später anzurufen.” Ich horchte auf. “Ist sie noch immer nicht zurück in der Uni?” Louis verneinte meine Frage “Sie hat sich von Caleb wohl ein wenig zu sehr auf der Ranch einspannen lassen. Sie kann ihm einfach keinen Wunsch abschlagen.” Diese Information war mir tatsächlich neu. “Ah ja?” darin schwang echte Neugier mit hinein. “Sie ist ja auch mit ihm aufgewachsen...als sie jünger war hat sie ganz schön für ihn geschwärmt. Ich denke davon hängt noch immer etwas mit.” Ich konnte mir die junge Frau nur schwer in einer Schwärmerei vorstellen. “Wie es ihm wohl geht?” es war das erste Mal seit unserer “Flucht” von der Ranch das wir seinen Namen wieder erwähnten. “Er wird sich noch mehr in die Arbeit stürzen, grimmig zu jedem und alles sein und seine wahren Gefühle so gut es geht vergessen wollen. Wir kennen ihn beide.” kurzes Schweigen “Ich bereue manchmal was ich ihm damit angetan habe. Aber irgendwie muss er damit klar kommen. Vielleicht wird es die Freundschaft auf ewig zerstören. Aber… ich weiß einfach, dass ich das richtige getan habe.” damit kam er mir näher, hob mein Kinn und küsste mich sanft auf die Nase. Das tat er öfters. Ich hatte es zunächst als seltsam empfunden, doch mittlerweile mochte ich diese Bekundung der Zuneigung. “Wie war das Training mit Pina?” überging er das bedrückende Thema rund um Caleb. “Ziemlich gut. Zwar wurde zu jung zu viel mit ihr gemacht, aber sie hat trotzdem so einen ausgeglichenen Grundcharakter und einen will-to-please.” ich musste lächeln “Ganz ehrlich...davon könnte Fylgia sich mal ne Scheibe abschneiden. Pina hab ich allerdings erstmal nur vom Boden aus gearbeitet. Durch den Regen und ihre Zeit im Offenstall war sie ohnehin klitschnass. Für die nächste Zeit habe ich mit Elisa abgesprochen das wir sie eindecken - nur falls der Regen weiter Einzug hält.” Louis verzog ein wenig die Augenbrauen. Der Lakota hielt nicht sonderlich viel davon Pferde in eine Decke zu packen. Das war auch der Grund wieso meine Vollblutdame bisher keine trug. Das würde ihr erster Herbst im kalten Kanada werden. Grundsätzlich kannte sie zwar auch kalte Temperaturen aber der plötzliche Wechsel von Texas nach Kanada hatte ihr doch einiges an Fellwechsel beschert. Sie schob bereits jetzt ordentlich Fell. Pina hingegen erstrahlte beinahe noch im Glanz des Sommers.


    Am nächsten Tag hatten die Wettergötter endlich erbarmen, nach einer Woche des Regens startete die zweite Augustwoche mit strahlendem Sonnenschein. Als ich die Stallgasse mit Pina an der Hand verließ, hielt ich mein Gesicht erstmal in die Sonnenstrahlen. Herrlich! Obwohl ihre Strahlkraft um 8 Uhr morgens noch nicht allzu heftig war, so hoffte ich doch das es etwas besser werden würde. An der Aufstiegshilfe im Hof hielt ich die Ponystute an, schwang das Bein über ihren Rücken und ließ mich in den Sattel gleiten. Neugierig schnupperte sie an meinen Wanderschuhen, die sicherlich nach den anderen Pferden riechen mussten. Kurz sortierte ich mich, dann ging es im flotten Schritt zum Springplatz. In der letzten Woche hatten wir uns die Sprünge bereits bei einem Spaziergang beschaut. Da Pina keine Unsicherheiten gezeigt hatte, am Sprung deutlich Spaß hatte. Da übersprang ich dieses Mal den Fakt ihr das Springen erst vom Boden zu zeigen. Zwischen dem Parcours wärmte ich uns beide ordentlich auf, nutze dazu auch die Trabstangen die überall umher lagen. Erst danach ritt ich den ersten Sprung mit Pina an. Sie spitze aufmerksam die Ohren, zog ein wenig an Tempo an und setzte mit mir über den Sprung hinweg. Sie zeigte auch bei den nächsten beiden Hindernissen keinerlei Scheu vor deren aussehen. Meine Fylgia parkte doch durchaus mal vor dem ein oder anderen Geländesprung. Pina schien diese Eigenschaft wirklich überhaupt nicht zu teilen. Auch bei den Sprüngen der Klasse E befand sich eine Treppe. Dort musste hinauf gesprungen werden, ein kleiner Busch überwunden und anschließend ging es sanft wieder bergab. Ich vertat mich zweimal ein wenig in den Abständen, dann kamen wir etwas zu kurz am Sprung an. Dabei rettete mich dann wirklich diese willige Ponydame und entschied ein wenig selbst die Distanz. Dafür das Pina noch keine Erfahrung hier draußen auf der Geländestrecke hatte machte sie ihre Sache besonders gut. Davon berichtete ich schließlich auch Joline als diese mit einem Pony in der Stallgasse beschäftigt war. “Ja Pina ist hier wirklich aufgeblüht. Vielleicht hat sie das ihre Vergangenheit ein wenig vergessen lassen.” “Kann gut sein, davon hab ich schon ein paar Mal was gehört. Gerade bei Stuten. Aber mal eine andere Frage. Ich wollte schauen wie weit Alleluja und Dajun sind mit ihrem Training. Magst du am Nachmittag mit raus kommen? Dann tauschen wir gern mal die beiden untereinander. Dann seh ich auch mal von außen wie die beiden sich anstellen.” Joline nickte eifrig “Oh ja gern!” “Gut, dann bereits ich gemeinsam mit Tschetan später Allelujah vor.” “ Der Junge hat wirklich einen Narren an dem Hengst gefressen,oder?” ich musste dabei breit Grinsen. “Ziemlich ja.”

    Tschetan ließ es sich am Nachmittag nicht nehmen uns zum Geländeparcours zu begleiten. Innerhalb weniger Minuten hatte er dem Wallach Inyan das Halfter übergestreift und ritt neben uns ohne Sattel einher. Auch Elisa hatte vom gemeinsamen Training gehört und wollte sich ein Bild meiner Arbeit machen. Ich war jetzt schließlich beinahe 1,5 Monate hier auf Townsend Acres zu werke. Ich war dabei sichtlich nervös. Es war mein erster Auftrag den ich erledigte außerhalb der Ranch. Natürlich wollte ich den guten Ruf von Caleb nicht durch den Sand ziehen. Dementsprechend brachte meine Nervosität auch Allelujah etwas aus dem Konzept. Also ließ ich zunächst Joline und Dajun den Vortritt. Während ich nur halb deren Sprüngen folgte, atmete ich bewusst ein und aus. Meditation hat mich in der letzten Zeit gut beruhigen können. Dann erst konnte ich aufmerksamer Burnin' Unbridled Dreams beobachten wie er mit Joline die Sprünge meisterte.
    Ich begann damit Allelujah ebenfalls ein wenig warm zu reiten. Ich nahm aus dem Augenwinkel wahr das auch Tschetan mit Inyan einige der Hindernisse überwand. Konzentrierte mich dann aber doch eher auf den Hengst unter mir. Allelujah brannte wirklich darauf zu springen, also ließ ich ihn die ersten Hindernisse überwinden. Ritt einige Volten um das Tempo ein wenig herauszunehmen. Dann ging ich die Treppe an, die uns einige Zeit probleme bereitete. Etwas stockig brachten wir das Hindernis hinter uns. Sowie noch ein paar andere. Dann hielt ich bei Joline an, die bereits schon nicht mehr auf Burnin' Unbridled Dreams saß. “Ich bin gespannt. Die Treppe da hinten scheint ihm entweder noch nicht geheuer oder es liegt einfach an mir. Ich denke ich gebe ihm dort nicht die nötige Sicherheit.” Damit tauschten wir die Pferde. Wie vermutet - gemeinsam mit Joline überwand der Palominohengst die Treppe ohne ein sichtbares Zögern. Ich grinste breit. Es lag also an mir.

    Während Elisa und ich uns darüber unterhielten über die Fortschritte der beiden Hengste hielt sich Tschetan respektvoll im Hintergrund. “Ich denke wirklich für die beiden ist das Training beendet. Sie nehmen die Sprünge sicher und ohne Probleme. Für Starts auf den gängigsten Turnieren sind sie somit gut gewappnet. Mit Pina arbeite ich noch eine weitere Woche dann ist auch sie auf dem Stand der beiden anderen.” Elise hörte Aufmerksam zu “Ich denke auch die Arbeit mit den beiden ist durch. Ich würde nur gern noch jemandem für seine Hilfe Danken.” sie winkte Tschetan heran, der offensichtlich Neugierig auf Inyan heran getrabt kam. “Du hast in der letzten Zeit viel geholfen, wenn es um Allelujah ging. Da der Hengst dich ja zu mögen scheint. Möchtest du ihn einmal reiten?” Tschetan gab keine Reaktion. Sah von dem Palominohengst nur langsam zu mir, die Frage konnte ich beinahe hinter seinen Augen sehen. Ich gab ein kleines Nicken von mir. Dann erhellte sich sein Gesicht. Er rutschte von Inyan herunter, murmelte ein paar Worte auf Lakota. Das Pony blieb wie angewurzelt an seinem Platz stehen, während sich Tschetan ohne weitere Mühe behende in den Sattel des Hengstes schwang - ohne dabei auch nur die Steigbügel zu nutzen. Elisa und Joline zogen beide die Augenbrauen nach oben. “Wie ein richtiger Cowboy!” wollte Joline ihn damit Loben. Ich biss mir dabei bereits auf die Lippen, Das waren die falschen Worte. Tschetan kniff die Augen zusammen, schien Joline zu taxieren. “I am Lakota. “ sprach er stolz “not a Cowboy.” wobei letzteres Wort ausgespuckt wurde. Dann gab er die Zügel vor, spornte Allelujah an. Der Hengst sprang in feiner Manier aus dem Stand in den Galopp. Außerdem ließ es sich der Junge nicht nehmen einen Kriegsschrei von den Lippen zu lassen. Ich schüttelte dabei nur lachend den Kopf. “Seht es ihm nach. Er ist sehr stolz auf seine Herkunft und reagiert da manchmal ein wenig seltsam. “ Joline winkte ab. Elisa grinste “Voll ins Fettnäpfchen gefasst.” “mhm” brummte Joline. Dann sahen wir wie Tschetan ein paar der Sprünge mit dem Hengst sprang. “Aber eins muss man sagen, reiten kann er!”

    Am Abend amüsierte sich Louis sichtbar über die Geschichte von Tschetan. Allerdings trieben ihm fast Tränen in die Augen als ein kleines Glucksen den Tisch bereicherte. Kaya erschrocken über den Ton schlug sich die Hände vor den Mund. Sie hatte einen Laut von sich gegeben! Sie sah von einem zum anderen. nahm die Hände fort und lachte breit in die Runde. Ihr großer Bruder nahm sie fest in den Arm und auch Louis sprang auf um sie zu umarmen. Ich sah der Szene zu, dann wackelte die Hand von Kaya aufgeregt. “Genau.. komm her. Du gehörst dazu.” flüsterte Louis.

    Die nächsten Tage über lag meine Aufmerksamkeit dann wieder nur auf Pina. Die Stute war easy going. Und so ließ ich Joline früher als geplant austesten was die Stute unter meiner Anleitung gelernt hatte. “Sie ist wirklich eine tolle Stute. Sie folgt den feinsten Hilfen. Manchmal habe ich das Gefühl man müsste nur Denken was man von ihr möchte und sie führt das aus. Ich glaube sie möchte es einfach jedem Recht machen und ein Stück wieder geben. Elisa hat mir ein wenig von ihrer Vergangenheit erzählt. Das sie sich trotzdem so entwickelt hat ist klasse.” lobte ich die Stute auf dem Weg zur Strecke. Ich hatte mich dieses Mal auf Gweny gesetzt um auch meine Vollblutstute auf der Strecke nochmal zu springen. Ich hatte bereits die Rückreise von 1000 Kilometern zurück zur Bow River Ranch im Kopf. Ich freute mich riesig auf Fylgia und Valravn. Nur der Begegnung mit Caleb sah ich zwiegespalten entgegen. Vorerst schob ich den Gedanken jedoch an den Rand meiner Aufmerksamkeit. In stummer Übereinkunft hatten Joline und ich begonnen die Ponys warm zu reiten, die ersten Trabstangen anzupeilen und schließlich die ersten Sprünge. “Pina ist einfach traumhaft zu reiten.” seufzte Joline “Dem kann ich nur zustimmen. Wäre sie nicht hier in der Zucht, dann wäre sie sicherlich ein tolles Nachwuchspony für Jugendliche die im Sport weiterkommen wollen.” meinte ich dabei ernst. “Denkst du dabei an den Jungen?” ich schüttelte erheitert den Kopf. “Er springt zwar ganz gern mal. Aber für den Sport in Englischer Reitweise...nein. Falls er nach Louis schlägt dann wird er sich wohl eher auf diversen Rodeos umhertreiben sobald er Älter wird.” “Also doch ein Cowboy?” feixte sie. Ich zwinkerte ihr zu “Sag ihm das nur nicht.”

    Am Abend verließ ich das Büro von Elisa, wir hatten alle formalitäten geklärt. Ein Teil der Unterstellkosten meiner beiden Pferde hatten wir mit dem Preis für meine Arbeit verrechnet. Das Geld würde direkt an die Ranch überwiesen werden. Schließlich war ich dort Angestellt. Ich lächelte über das ganze Gesicht, denn ich hatte für meine Arbeit gute Kritik und Lob erhalten. Für meinen ersten Job als Trainer in dieser Art war ich zufrieden damit. Das alles hatte ich auch der Ranch zu verdanken. In dem Jahr das ich dort verbracht hatte, durfte ich mein Wissen um das Training mit Pferden nochmal deutlich verbessern. Als ich noch einmal in Richtung des Paddocks lief um mich von Pina, Burnin' Unbridled Dreams und auch Allelujah zu verabschieden traf mich dann allerdings ein kleiner Schock. Die beiden Roans hatte ich bereits erledigt, mir fehlte nur der Palominohengst. Dieser stand angebunden am Anbinder vor seiner Paddockbox. Jemand war dabei ihn zu putzen. Die Statur...die Klamotten...und vor allem der Cowboyhut mit dem blonden Haarschopf darunter ließen keine Fragen aufkommen. “Caleb?!” entfuhr es meinen überraschten Lippen.

    Little moments
    Februar 2020, by Veija & Ravenna
    Caleb
    Ich saß zusammen mit meinen Mitarbeitern am Frühstückstisch und genoss meinen Kaffee und die Ruhe. Alle Arbeiten für den heutigen Tag waren eingeteilt und so konnte jeder nun stillschweigend sein Essen genießen. Zumindest so lange, bis Betsy die Treppe hinab gestürmt kam und mit ihrer kindlichen Quietschestimme rief: “Schnee! Leute es schneit! Ooooh… es ist ja alles weiß!” “Hat ja auch die ganze Nacht geschneit.”, murrte ich und sah sie über meine Kaffeetasse hinüber an. “Ich schnapp mir sofort Sue und geh mit ihr ausreiten!”, trällerte sie, ehe sie den Raum und schließlich das Haus verließ, was ich am Zuknallen der Haustür bemerkte. “Hat jemand Zeit mit ihr ausreiten zu gehen?”, fragte ich in die Runde. Octavia nickte und stand sofort auf. “Raspberry würde ein Ausritt mal wieder gut tun.”
    Octavia verschwand ebenfalls aus dem Haus. Seit Sue gekrönt war, war ihr Wert um einiges gestiegen. Sie gehörte zwar noch immer Betsy, aber sie durfte nicht mehr alles alleine mit der Stute machen. Leider war Sue nicht tragend, dafür aber einige andere Stuten. 2020 würde das erste Jahr werden, in dem Zuchtfohlen verkauft werden würden. Es stand noch nicht fest, welche Fohlen weggehen würden. Welche allerdings behalten wurden, das stand schon lange fest. Ein Fohlen aus Lena und Gangster würde bleiben, Devils Fohlen würde bleiben und das Fohlen aus der Leihstute Aerith und Hollywood. Ebenso das Fohlen von Tainted Whiz und dem Fremdhengst Dissident Aggressor.. Das Fohlen von Ginny und Barbie war sogar schon reserviert worden von einer alten Bekannten. Zur Zeit war ich sogar ein wenig auf der Suche nach einem Zuchtpartner. Was sich da ergeben würde, das stand noch in den Sternen. Was jedoch sicher war, dass wir diesen Winter über die neuen Jungpferde anreiten würden. Octavia hatte einiges wobei sie meine Hilfe brauchte und auch bei den Westernpferden der Ranch war einiges vom Jungpferdestall in den Hauptstall umgezogen. Auch das Training der anderen Pferde würde im Winter nochmal aufgenommen werden, so dass wir nächstes Jahr mit einer guten Stückzahl in die Turniersaison starten konnten. Die Zuchthengste, die personalbedingt dieses Jahr leider viel zu viel gestanden hatten, würden auch wieder an den Start gehen und die Ranch präsentieren.
    Ich überlegte auch, im März oder April ein Westernturnier hier auf der Ranch zu organisieren, nachdem der ganze Trubel um das Joelle Horse Makeover vorbei war.
    Ich trank meinen letzten Schluck Kaffee und sah nochmals in die Runde. Heute war der 31.12., das Jahr war vorbei. Viel hatte sich seit dem letzten Jahr hier nicht getan.
    Dass sich im nächsten Jahr allerdings einiges ändern würde, das stand schon lange fest. Ich hatte mich endlich entschieden, was ich mit meiner eigenen Ranch anfangen wollte. Westernpferde. Turnier, Zucht, Freizeit.
    Dafür mussten uns natürlich einige Tiere verlassen. Mit Octavia hatte ich ewig lange hin und her überlegt und diskutiert, welcher ihrer Tiere weggehen würden, und… ob überhaupt Pferde von ihr uns verlassen würden. O war dem Ganzen jedoch absolut nicht abgeneigt. Silent Bay, dessen Besitzer bislang immer noch Bellamy gewesen war, wurde auf meinen Namen überschrieben und wechselte recht schnell in den Hauptstall.
    So hatte Octavia nun noch 10 Pferde, die auch fast ihre gesamte Zeit in Anspruch nehmen würden. Neben Pria blieb auch ihre älteste Tochter Colourful Soul, die Halbblutstute von Colour Paint. Ihr letzter Neuzugang, Leuchtfeuer di Royal Peerage blieb auch und zauberte uns immer wieder ein Lächeln ins Gesicht, weil wir den deutschen Namen allesamt nicht richtig aussprechen konnten. Raspberry, wer hätte es anders gedacht, blieb auch. Dakota allerdings würde uns verlassen. Sowie eine ganze Menge Englischer Vollblüter. Auch wenn viele den Besitzer wechseln würden, für einige hatten wir auch schon Interessenten, würde Octavia sieben Stück behalten. Pria, wie schon genannt, Tigres Eye, Drama Baby, Candlejack, Culain, Peacful Redemption und Wildfire. Cleavant ‘Mad Eyes’ und Ceara Isleen blieben nach viel Diskussion ebenfalls. Also besaß Octavia weiterhin 12 Pferde, nicht nur 10.
    “Laurence und Cayce bewegt ihr die Stuten heute ein bisschen? Ich kümmere mich mit Bellamy um die Hengste. Murphy du kannst dir Connor schnappen und schaust mal bei den Fohlen vorbei. Fohlen ABC müsste bei allen sitzen, schau mal was sie noch wissen. Joker, Katie und Goldy könnt ihr beide mit in den Hauptstall bringen, für die fängt jetzt der Ernst des Lebens an. O macht ihre Pferde heute ja alleine.”, sagte ich in die Runde und schaute in nickende Gesichter, gefolgt von zustimmendem Gemurmel. “Na dann ab an die Arbeit- und heute Abend feiern wir Silvester!”
    Quietschende Stühle, sich stapelnde Teller und klirrende Tassen. Ruck zuck war der Tisch abgeräumt, alles an seinem Platz verstaut und jeder auf dem Weg nach draußen.

    Ylvi
    Ich trampelte von einem Fuß zum nächsten. Um mich herum hundert andere Menschen, schreie gingen durch die Luft. Sie kamen von den Menschen die auf ihren Pferden die vereiste Straße herunter ritten, aber auch von denen die sie willkommen hießen In der Reitermenge suchte ich nach den Kindern und Louis. Am Strick führte ich einen aufgeregten Ravn, eine entspannte Fylgia. Valravn ließ sich von der Stimmung um ihn herum ziemlich beeindrucken. Ich selbst verspürte einfach nur Ehrfurcht. Der Schauer der sich über meinen Rücken zog konnte aber durchaus auch von der Kälte stammen. Die Gruppe von Reitern wurde begleitet von großen Autos. Louis hatte den Ritt mitreiten wollen. Auch Tschetan war seit beginn an dabei. Kaya hatte den Ritt auf Fylgia begonnen. War jedoch bald zurückgefallen und sichtlich erschöpft gewesen. So hatte sie zwei Tage ausgesetzt. Doch für den letzten Tag hatte sie Tschetan auf Inyan mitgenommen. Jetzt sah ich die drei in den Massen der Reiter. Andere bunt geschmückte Reiter kamen an mir vorbei. Der Chief Bigfoot Memorial Ride fand hier am Wounded Knee sein Ende, an dem am 29.12.1890 das Massaker stattgefunden hatte. Mit Absicht hatte ich mich aus dem Ritt herausgehalten. Soviel Empathie ich auch aufbrachte für Louis, für all die Generationen an Lakota vor ihnen, ich gehörte nicht zu diesem Volk. Anders als Louis und seine Cousins. Trotzdem erfasste mich das Gefühl der Gemeinschaft, kleine Tränen rannen mir über die Wangen. Ich sah verfrorene Kinder in schlechter Kleidung, auf abgefressenen Ponys. Unter ihnen fielen meine 4 Exemplare natürlich auf. Louis ritt Gwenny auf blankem Rücken. Was wohl ihre Vorbesitzer sagen würden, wenn sie das gekörte Vollblut ihr zwischen den “Indianerpferden” umher rennen sahen? Ich verschob den Gedanken nach hinten. Es ginge sie ohnehin nichts an. Ein schreiender, aber grinsender Tschetan ritt an mir vorbei, Kaya winkte begeistert von ihrem Platz vor ihrem Bruder. Ich winkte zurück. Louis ritt vorn. Er war einer der Standartenträger. Sein Gesicht war bemalt. Völlig schwarz mit weißen Punkten. Zu alten Zeiten hätte er mit diesem Gesicht schrecken bei weißen Siedlern erzeugt. Mich hatte es zunächst auch erschrocken. Dann hatte er mir von seiner Vision erzählt. Das seine Bemalung eine starke Medizin besaß. Im Galopp ritten sie auf das verschneite Feld. Die Träger der Standarten in der Mitte, während der Rest der Reiter um sie herum ritt. Trommelschläge erschollen und die ganze Situation war völlig losgelöst.
    Die anschließende Ansprache, das Gebet ...das ging wie im Traum an mir vorbei, nicht allein da sie in Lakota gesprochen wurde. Wie viel verstanden wohl die beiden Kinder? War ich nicht in der Nähe dann sprach Louis oft mit Tschetan in ihrer Sprache. Da Kaya nach wie vor nicht sprach. Konnte ich nicht viel zu ihren Sprachkenntnissen wissen. Schließlich hoben alle die rechte Faust. Die letzten Worte kamen auch an meine Ohren. “May the 7th generation rise!”

    3 Stunden später saßen alle im Auto. Auf dem Hänger standen wieder 4 Pferde, mit denen wir von der Pine Ridge Reservation aufbrachen. Gwenny und Inyan waren sicherlich froh über diese Ruhe. In den vergangenen zwei Wochen waren sie täglich mehrere Meilen gelaufen. Auch meine Fylgia hatte diverse Kilometer bestritten. Valravn war jediglich von mir bewegt worden, musste aber mit da wir ihn nicht allein zurücklassen wollten. Vor uns lag nun eine 1500 Kilometer lange Reise um noch vor dem Jahreswechsel zurück auf der Bow River Ranch zu sein. Während wir zunächst beim Horse Makeover geholfen hatten, waren wir Mitte November aufgebrochen um Verwandtschaft der Kinder in Pine Ridge zu besuchen. So war dann auch Louis eingeladen worden den 200 Meilen Ritt mitzumachen. Beide Kinder hingen in ihren Sitzen und schliefen. Ich fuhr, während ein sehr müder Louis auf dem Beifahrer hockte. “Herrlich, wenn die Füße zum ersten Mal wieder richtig auftauen.” ich sah ihn skeptisch von der Seite her an. “Herrlich? Ich hab das als äußerst schmerzhaft in Erinnerung.” Louis zuckte die Schultern, streckte die Zunge raus. “Schlaf ruhig ein wenig. Dann wechseln wir wenn du wach bist.”
    Mittlerweile hatten alle 4 Ponys eine unfassbare Routine mit langem stehen auf dem Hänger, ich selbst mit dem Fahren. Dem Ziel sah ich mit gemischten Gefühlen entgegen. Ich freute mich wahnsinnig darauf alle wieder zu sehen. Die Arbeit auf der Ranch fing an mir zu fehlen. O hatte uns zurückgebeten. Sie wollte die Familie beisammen Wissen wenn der Jahreswechsel von statten ging. Wir hatten zunächst gezögert. Uns aber schlussendlich dafür entschieden. Früher oder später mussten wir Caleb wieder unter die Augen treten um eine Einigung zu finden. Durften wir mit unseren Pferden auf der Ranch bleiben? Würde unser Leben dort fortgesetzt oder mussten wir uns insgesamt ein neues Heim suchen? Besonders der Kinder wegen würde uns eine solche Entscheidung Calebs sehr treffen. Ich hoffte nur O hatte unsere Anwesenheit zur Silvesterfeier nicht verheimlicht.

    Caleb
    ‘Hier stand ich nun. Alleine. Gefangen in meinen Gedanken. Unfähig, etwas zu fühlen oder richtig darüber nachzudenken, was passiert war. Ich hatte alles, alles was ich mir im Leben erträumt hatte. Zwar hatte ich Träume anpassen müssen, um jetzt hier zu sein und meinen Weg nicht nur einmal geändert, aber ich war dort angekommen, wo ich sein wollte. Dennoch hatte es nicht gereicht. Es hatte ihr nicht gereicht. Ich hatte ihr meine Welt zu Füßen gelegt, ja sogar meine Welt für sie umgekrempelt, mich für sie verändert, war ein besserer Mensch und sogar Liebhaber geworden. Romantik? War für mich lange Zeit undenkbar gewesen. Liebe? Wir hatten uns beide kennen gelernt, als wir als “emotional unbrauchbar” abgestempelt worden waren. Ich hatte mich ihr zu schnell geöffnet, war mit Anlauf ins kalte Wasser gesprungen und hatte ihr Platz in meinem Herzen geschaffen. Ich war aufs Ganze gegangen, weil ich gedacht hatte, mit ihr wäre es anders. Mit ihr könnte ich es schaffen. Wir könnten es schaffen.
    Schneller als es mir bewusst gewesen war, wurde ich eines besseren belehrt. Nun war es vorbei. Sie hatte sich für jemand anderen entschieden. Jemanden, der ihr das geben konnte, was sie wohl brauchte und in mir nicht gefunden hatte. Wir waren so gleich und doch so verschieden gewesen. Waren wir einfach nur zwei einsame Seelen gewesen, die sich eine Zeit lang gebraucht hatten? Die sich gefunden hatten, füreinander da gewesen waren, sich aufgebaut hatten und dann wieder alleine fliegen mussten?’
    “Hey Caleb, ist da jemand anwesend?”, riss mich Bellamy aus meinen tiefsinnigen Gedanken. “Ja.. mist…”, murmelte ich und griff schnell nach vorne, damit mit die Mistgabel nicht ganz aus den Händen glitt. In letzter Zeit dachte ich immer weniger an Ylvi… und Louis. Aber jedes mal wenn ich daran dachte, hatte ich die gleichen Gedanken. Ich sah den Schlag, den ich Louis verpasst hatte vor mir, sah sie Beide die Ranch verlassen und eine kleine Stimme in mir hatte sich gewünscht, dass sie nie wieder kommen würden.
    Aber ich hatte überreagiert. Jetzt, fast 3 Monate später, war ich mir wirklich sicher, dass ich überreagiert hatte. Aber so war ich leider. Auch nach 26 Jahren, die ich nun auf der Welt war, war ich noch immer genau so, wie ich als Kind gewesen war. Aufbrausend, schnell wütend, nachtragend, impulsiv, emotional. Ich schloss kurz die Augen, atmete einmal tief durch und öffnete dann langsam meine Lider. Bellamy war eine Box weiter gegangen. Er wusste mittlerweile, dass er mich manchmal besser mit meinen Gedanken in Ruhe ließ. “Heute kommen Louis und Ylvi wieder, oder?”, fragte ich ihn plötzlich und sah, wie er kurz zusammenzuckte. “Ja. Heute Abend. Um zusammen ins neue Jahr zu feiern. “Na hoffentlich küssen sie sich um Mitternacht nicht. Sonst muss ich Louis wieder eine reinhauen.”, sagte ich und grinste Bellamy an. Dieser wusste zu erst nicht, ob er lachen sollte, oder nicht. Entschied sich dann jedoch zu einem Lächeln. “Naja, ich hoffe natürlich nicht. Einmal reicht.”, meinte er schulterzuckend und drehte sich dann um, um die Box weiter zu misten.
    Nach etwa einer Stunde waren wir mit dem Hengststall fertig. Meine Gedanken hatte ich wieder beisammen und war sogar ein bisschen besser gelaunt. Zumindest solange, bis ich vor dem Haus den Truck von Louis sah. Ich blieb stehen, schluckte einmal- setzte dann jedoch meinen Weg fort. Ich konnte nicht ewig vor ihnen davonlaufen.

    Ylvi
    Ich war gespannt auf die Feier am Abend. Ich hatte Caleb gesehen. Wie er stehen geblieben war, den Blick gerichtet auf den Wagen, dann in Richtung Wohnhaus. Er hatte mich hinter den Gardinen nicht sehen können. Nur kurz, dann war er weiter in Richtung Haupthaus gegangen. Das wir dort oben eingezogen waren schien mir beinahe wie in einem Traum fort zu sein. Mit Louis war es anders. Schon allein wegen der Kinder. Tschetan und Kaya waren unsere Aufgabe. Gerade Kaya kostete Kraft. Langsam führte ihre Stummheit in der Schule zu Problemen. Wir mussten sehen, das sie nicht unterging. Die Lehrer schickten uns zu Psychologen. Gleichzeitig hatte ich beschlossen mehr auf der Ranch zu tun. Als Trainer einzusteigen, hatte bereits in unserer Auszeit einige Aufträge erledigt. Ich hatte Blut geleckt. Das neue Jahr stand also bereits mit vielen Neuerungen vor der Tür. 2019 war geradezu an mir vorbei gerauscht so viel war geschehen.

    Fohlenzeit & die vergessene Einladung
    April 2020, by Veija
    Caleb
    “Post für dich”, sagte Bellamy und legte mir die neuen Briefe auf den Schreibtisch. Er zog sich einen Stuhl zu mir herüber und setzte sich mir gegenüber.
    Ich verbrachte in letzter Zeit Minuten, wenn nicht Stunden an diesem Tisch. Anfangs hatte ich gedacht, wenn ich jeden Tag ein paar Minuten hier verbringen würde, wäre das vollkommen ausreichend und ich bekäme alles erledigt. Dem war leider nicht so, so dass ich mir zwischen der ganzen Arbeit regelrechte Bürotage einschieben musste. Tage, an denen ich nicht reiten konnte. Zum Glück hatte ich ein tolles Team, welches meine Trainingspferde auffing. Zusätzlich waren ja nun Brian und Aimee eingezogen. Brian würde mich ebenfalls bei den Westernpferden unterstützen, Aimee würde Octavia ein wenig unter die Arme greifen, sobald sie sich näher kennen gelernt hatten. Ich war mir sogar sicher, dass die Beiden heute Mittag zusammen ausreiten gehen wollten. “Bellamy kann ich was für dich tun?”, fragte ich den jungen Mann irgendwann und schaute von meiner Post hoch.
    “Nein. Nein eigentlich nicht. Ich wollte nur eine kurze Pause machen und dachte mir, ich setzte mich zu dir”, meinte er schulterzuckend. “Und treibe dich ein bisschen in den Wahnsinn.”
    Ich lachte. “In den Wahnsinn treiben? Womit denn?”
    “Indem ich dir bei deiner wirklich aufregenden Arbeit zuschaue, die ich zum Glück nicht mehr machen muss.”
    Kurz schloss ich die Augen und schüttelte lachend den Kopf. “Sei froh”, murmelte ich und sah ihn wieder an. “Eigentlich… wenn du schon hier bist und nichts zu tun hast, kannst du dich auch nützlich machen. Ich hab hier eine Liste für den Store in Calgary und hab eigentlich keine Zeit, selbst einkaufen zu fahren. Würdest du das erledigen?”, fragte ich ihn und Bellamy nickte. Ich gab ihm die Liste und das Geld, ehe er auch schon aufstand und mein Büro verließ. Draußen sah ich ihn in meinen Pick Up einsteigen und den Hof verlassen. Dann widmete ich mich wieder meinem Papierstapel. Es dauerte eine Weile, bis ich die ganzen neuen Kaufverträge und Pässe einsortiert hatte, aber damit war meine Arbeit für heute erledigt und ich konnte raus zu den Pferden gehen.
    Ich wollte heute mal wieder ein wenig mit Smart Lil Vulture auf dem Platz trainieren. Er war mittlerweile so gut wie eingeritten. Ein paar Feinheiten fehlten noch, aber im Großen und Ganzen machte er seine Sache wirklich gut. Vulture konnte ziemlich oft ein riesen Dickschädel sein, was das Training manchmal mehr als schwierig gestaltete.
    Auf dem Weg zum Stall begegnete mir Betsy mit Black Sue Dun It, die sie gerade auf die Koppel brachte. “Caleb wann ist es denn endlich soweit und das Fohlen kommt?”, fragte sie mich aufgeregt.
    “Es kann nicht mehr lange dauern”, meinte ich zu ihr und streichelte der schwarzen Stute kurz über die Nase. Sue war von unserem Hengst Alan’s Psychedelic Breakfast tragend. Ich rechnete sehr stark mit einem Rappfohlen, aber für eine Überraschung war ich immer offen. Farbe würde es dieses Jahr auf jeden Fall genug geben.
    Schade war nur, dass Raspberry nicht aufgnommen hatte. Octavia hatte sich dieses Jahr so sehr auch ein Fohlen gewünscht, neben den ganzen Westernpferdfohlen. Ihr Culain war auch nicht mehr klein, sollte dieses Jahr angeritten werden. Auch Leuchtfeuer di Royal Peerage war schon ein Jährling und hatte eine stolze Größe erreicht.
    Unser Nachwuchshengst Dual Shaded Ace war schon fast zweijährig, Blue Fire Cat dagegen eine stolze Jährlingsstute. Im selben Alter war die vor kurzem Angekaufte Stute A Walking Dignity. Sie war aus der selben Zucht wie A Walking Honor und versprach ein guter Allrounder zu werden.
    Betsy und Sue waren mittlerweile auf der Koppel angekommen, auf der die anderen tragenden Stuten auch schon standen. Sie kamen morgens raus und abends wieder rein, damit jede Stute nachts ihre Ruhe hatte. Ich ging auch stark davon aus, dass die Fohlen vor allem nachts kommen würden. Unter der ganzen Herde fehlte mir aber eins. Face Down. “Betsy wo ist Face Down?”, fragte ich das Mädchen und schaute nochmal über die Koppel. Sie setzte gerade zu einer Antwort an, da hörte ich Laurence’ Stimme hinter mir.
    “Caleb komm schnell in den Stall!”, war die kurze und knappe Aussage des Mannes.
    Ich nahm wortwörtlich meine Beine in die Hand und rannte in den Stall, wo schon unser Tierarzt in Face Downs Box stand und ihr eine Infusion setzte.
    “Wieso hast du mich nicht gerufen?”, knurrte ich fast und ging neben der Stute in die Knie. Betsy stand an der Boxentür und wollte auch zu der Stute kommen, ließ sich aber unwirsch von mir abwinken und blieb stehen.
    Laurence hielt den Beutel mit der Infusion nach oben und schaute zu mir rüber. “Ich hatte gerade die andere Stuten raus gebracht und fing an die Boxen zu misten. Face Down hat sich so seltsam verhalten, weshalb ich sie in der Box beobachten wollte. Vor etwa 10 Minuten ist sie einfach zusammen geklappt, ich hab sofort den Tierarzt gerufen und versucht sie zu beruhigen, da blieb im Moment keine Zeit, auch noch nach dir zu rufen”, entschuldigte er sich kleinlaut.
    Ich nickte, sah zum Tierarzt und beobachtete ihn dabei, wie er die Stute abhörte und dann ein mobiles Ultraschallgerät zu sich rüber zog. Dann herrschte totenstille. Niemand wagte es, auch nur zu atmen. “Wir müssen das Fohlen holen”, sagte der Tierarzt knapp. “Es bleibt keine Zeit mehr in die Klinik zu fahren, wir müssen hier einen Notkaiserschnitt machen”, sagte er, stand auf und lief zu seinem Auto.
    In meinem Kopf rauschte es. Hier einen Kaiserschnitt zu machen war alles andere als üblich und die Chance, dass die Mutterstute das überlebte, war sehr gering. Da brauchte ich den Tierarzt auch nicht nach zu fragen, das wusste ich. Als er wieder in den Stall kam sah er mich an. Ich schluckte einmal, schloss kurz die Augen und als ich sie wieder öffnete fragte ich ihn: “Was soll ich tun?”
    Dann ging alles ganz schnell. Ich schickte Betsy aus dem Stall, sie solle auf die anderen Stuten aufpassen und mir sagen kommen, wenn etwas ungewöhnlich wäre, ehe Face Down sediert und schließlich narkotisiert wurde. Die ganze Zeit während der OP hatte ich ein mulmiges Gefühl im Magen. Schließlich sahen wir das ganze Ausmaß der inneren Verletzungen der Stute. Eine Arterie war gerissen und die Stute blutete innerlich. Auch das Fohlen schwebte in Lebensgefahr, denn es wurde nicht mehr richtig versorgt.
    Wir schafften es das kleine Fuchsfohlen auf die Welt zu bringen, Laurence hatte die Infusion an der Box aufgehangen und kümmerte sich um das Tier, während der Tierarzt und ich versuchten, die Stute zu retten. Leider ohne Erfolg. Sie verblutete uns vor unseren Augen und wir konnten nichts mehr dagegen tun.
    Ich atmete schwer, verkniff mir meine Tränen. So etwas gehörte leider auch dazu. Es war traurig und tragisch, gerade bei der ersten Stute der kommenden Fohlensaison, aber es passierte.
    Wir drehten uns um und kümmerten uns um das Fohlen, welches Laurence bereits mit Stroh abgerubbelt hatte. Das kleine Tier atmete schwer, die Strapazen der letzten Minuten steckten ihm oder besser gesagt ihr, tief in den Knochen. Das kleine Stutfohlen war eine Kämpferin. Mit Hilfe des Tierarztes wurde ihre Atmung von Atemzug zu Atemzug immer besser, sie richtete sich jetzt sogar ein wenig auf. “Was machen wir denn nun mit dir, kleines Pferd?”, fragte ich etwas überfordert in die Runde und sah vom Tierarzt zu Laurence und dann in… Cayces Gesicht.
    “Caleb.. du.. wir haben noch ein Fohlen. Von Heretic Anthem. Ging grade ganz schnell, ein schönes Buckskinhengstfohlen. Gesund und munter”, verkündete er die gute Nachricht.
    Ich überlegte. Dann schaute ich zum Fohlen, und wieder zu Cayce. “Wir könnten versuchen, ob Aunti das Fohlen hier mit annimmt, sie ist die, die mir am ehesten jetzt einfallen würde, die ein weiteres Fohlen akzeptieren könnte.”
    Cayce nickte. Auch unser Tierarzt schien damit einverstanden zu sein. Wir mussten nur warten, bis die Fohlen standen. Dann brachten wir Aunti mit ihrem Hengstfohlen in ihre Box, ehe wir ihr die kleine Fuchsstute vorstellten. Zum Glück war Aunti eben so wie sie war, denn sie schien die Stute zu akzeptieren und ließ sie sogar nach ein paar vergeblichen Versuchen an ihrem Euter trinken.
    Erleichtert atmete ich einmal auf. Das Hollywoods Silver Dream und das General’s Coming Home Fohlen waren beide wohlauf und es sah so aus, als dass Aunti sich wirklich um beide Fohlen kümmern würde.
    Mit der Mutterstute des Stutfohlens ging alles ganz schnell. Der Tierarzt machte sie provisorisch zu und wir entschieden uns, die Stute auf der Ranch zu begraben.
    Nachdem sich alle mehr oder weniger von ihr verabschiedet hatten, begruben Cayce, Laurence und ich das Pferd auf einer der hintersten Weiden, unter einem Baum. Betsy hatte in aller Eile ein kleines Kreuz gebastelt, welches ich natürlich mitgenommen hatte und nun auf ihrem Grab aufstellte.
    Niedergeschlagen kamen wir wieder beim Stall an. Betsy hatte an der Box Wache gehalten. “Wie schlagen sich die beiden Neuen?”, fragte ich sie.
    “Gut. Wirklich gut. Sie trinken abwechselnd und Aunti scheint sie Beide zu mögen.”
    “Das ist gut. Aber aus dem Schneide sind wir noch lange nicht. Was ist denn mit der Kamera, funktioniert die mittlerweile?”, fragte ich in die Runde und blieb mit meinem Blick an Cayce hängen.
    Dieser kratzte sich verlegen am Kopf und sah aus wie jemand, den man auf frischer Tat ertappt hatte. “Ja die.. gehen. Sind mehrere”, sagte er und zeigte einmal zur Decke, auf die vier Kameras, die jede Box im Blick hatten. “Ich muss sie nur noch auf deinem PC aktivieren.”
    “Und einstellen, dass wir auf jedem Handy Zugriff auf die Übertragungen haben”, merkte ich an und er nickte.
    “Erledige ich sofort.”
    Etwa eine Stunde später war ich endlich mit Vulture auf dem Platz. Ich hatte nicht wirklich die Nerven, viel mit ihm zu machen, weshalb ich nur ein wenig an unserer Kommunikation in den Gangarten feilte. Vulture war zwar ein Sturkopf durch und durch, aber wenn man ihm eine Aufgabe gab, konzentrierte er sich und arbeitete wirklich gut mit.
    Meine vorletzte Aufgabe vor dem Feierabend bestand darin, Bellamy auf den neuesten Stand zu setzen und ihm zu helfen, die Futtersäcke von meinem Pick Up in die Futterkammer zu tragen. Der Einkauf war bitter nötig gewesen, denn als ich das Kaftfutter für die tragenden Stuten portionierte, brach ich den letzten Sack der alten Ladung an. “Warte noch mit dem Reinbringen, bis ich das Futter verteilt habe, das gibt sonst zu viel Stress im Stall, grade mit den beiden neuen Fohlen”, erklärte ich Bellamy. Der junge Mann nickte, schnappte sich Eimer und half mir.
    Nun brachten wir nach und nach die Pferde rein, angefangen bei Tainted Whiz Gun. Die Stute war von einem Fremdhengst tragend, genauer gesagt von Dissident Aggressor von Eddi. Von diesem Hengst hatte ich schon ein paar Nachkomme hier herumlaufen, die sich alle prächtig entwickelten. Dissident war jedoch nicht das einzige Fremdpferd, wir hatten die Leihstute Aerith von Tassila, von unserem Hollywoods Silver Dream decken lassen und erwarteten ein Grullofohlen. Wenn es eine Stute werden würde, hätten wir vermutlich schon eine tolle Kombination mit dem Junghengst Ace.
    Als nächstes folgten GRH’s A Gun Colored Lena und Wimpys Little Devil. Beide waren von dem vielversprechenden, erst vor kurzem gekörten Hengst Gunners Styled Gangster tragend. Bei dieser Anpaarung erwarteten wir viel Farbe, und Potenzial!
    Gun and Slide wurde auch gleich zweimal Vater. Ihn hatten wir mit Colonels Smokin Gun als auch Raised from Hell angepaart. Wir hofften, dass er bei beiden Stuten seinen unglaublich lieben Charakter weitergeben würde. Alan wurde gleich dreifach Vater. Einmal zusammen mit Sue, worauf Betsy so sehnsüchtig wartete, eimmal mit DunIts Smart Investment und noch mit Bella Cielo. Auf die Bella und Candyfohlen war ich ja ziemlich gespannt, so war Candy ja eine Tochter von Bella. Würde das Candyfohlen nach der Mama schlagen? Oder sogar nach der Oma? Und würde das Bellafohlen Ähnlichkeiten mit Candy haben?
    Nun fehlten noch Baby Doll Melody und Magnificient Crow, dann waren alle Stuten sicher in ihrer Box angekommen. Crow bekam ein Fohlen von General’s Coming Home, eine Halbschwester zu der kleinen Fuchsstute, die heute Mittag zur Welt gekommen war.
    Melody erwartete ein Fohlen von Hollywoods Silver Dream, ein Halbgeschwisterchen