Scouting is a game for boys - Bow River Ranch Story
Geschrieben von Veija im Blog Veijas Real Life Gedöns ^-^. Ansichten: 1233
Weiter gehts mit einem neuen Part (den ich dann dreigeteilt bei den Pferden einfügen darf, weil er zu lang ist)
Viel Spaß beim Lesen, falls es jemand liest.
Scouting is a game for boys
Zeitliche Einordnung: Mai/Juni 2021
211018 Zeichen von Ravenna & VeijaYlvi
Ich schlug die Hand vor den Mund, spürte, wie meine Nase verräterisch zu kribbeln begann. Dann tippte ich O’, die neben mir auf der Terrasse saß, auf die Schulter, deutete in die Richtung, aus der ich die Jungs vernahm. Tschetan und Nicholas kehrten mit den Rindern wieder zurück, die in den Bergen verloren gegangen waren. Wir hatten das letzte Mal am Abend von den beiden gehört. Erst jetzt spürte ich, wie sehr die Anspannung von mir abfiel. Schon die aufreibende Suche am Abend von Betsy hatte ein ziemliches Gefühlschaos in mir ausgelöst. Sie war auch meine Verantwortung. In all dem Trubel um Tschetan und die Rinder, die Reparaturen vom Zaun, hatte ich dabei kein Auge auf sie gehabt. Vorwürfe hatten mich in der Nacht lange wach gehalten. Nach meiner Arbeit im Büro hatte ich mich hier auf die Terrasse verzogen um immer wieder auf den Hauptweg zu starren. “Sie sind wieder zurück!” hauchte auch O’ neben mir. “Sag du Caleb Bescheid, ja?” sprach ich zu ihr. O’ fackelte nicht lang meiner Bitte nachzukommen.
Ich kämpfte weiter mit den Tränen, während ich dem kleinen Treck entgegen lief. Alle wirkten ein wenig abgekämpft. Besorgt bemerkte ich die ganzen Kratzer in Tschetans Gesicht. Einige glühten rot - sie mussten sich leicht entzündet haben. Cayce kam gleich hinter Louis aus den Stallungen gelaufen. “Ich nehme euch die Kühe ab”, verkündete Cayce schon von Weitem.
Betsy und Kaya kamen aus dem Haupthaus gelaufen.
“Thibló!” rief Kaya und warf sich Tschetan um die Brust. Sie mochte es vielleicht nicht ganz so gezeigt haben, aber auch sie hatte sich Sorgen gemacht. Eine Hand an den Zügeln erwiderte er die Umarmung der beiden Mädchen und musste auch kurz darauf die Meine ertragen. Als ich leise aufschluchzte vor Freude, spürte ich wie Tschetans Umarmung ein wenig fester wurde. Ich musste zu ihm aufsehen, als er mich ein Stück von sich fort hielt. Dann lächelte er, wischte mit einer Hand meine Träne von der Wange und murmelte Worte die ich nicht verstand. Wann war er eigentlich so gewachsen? Jetzt hier in diesem Moment sah ich ihn ihm nicht mehr den schlaksigen Jungen. Etwas an dieser Reise hatte ihn erwachsen werden lassen. Weinte ich deshalb? War es möglich Stolz für ein Kind zu empfinden das man nicht selbst ausgetragen hatte? Anders konnte ich mir mein Wirrwarr an Gefühlen nämlich nicht erklären. Er hielt einen Arm weiterhin um meine Hüfte als sich Betsy an ihn wandte.
“Sollen wir beide die Pferde versorgen?”, bot sie sich an. Tschetan lächelte breit, aber erschöpft.
“Danke für das Angebot, aber ich würde Sungila gern selbst versorgen. Vielleicht geht ihr Nicholas ein wenig zu Hand.” Er deutete auf seinen Freund. Nicholas sah ein wenig überrascht drein als ihm Betsy direkt die Zügel aus der Hand nehmen wollte. Offenbar hatte er nicht mitbekommen, was Tschetan gesagt hatte. Ich legte ihm die Hand auf die Brust. “Komm dann rüber ins Haupthaus, ja? Ich wärm euch ein wenig Essen auf. Außerdem würd ich gern deine Kratzer versorgen.” Ein Lachen mit geschlossenen Lippen, dann küsste mich Tschetan auf die Stirn.
“Waschté, Iná.” Dann zwinkerte er und verschwand mit Nicholas an seiner Seite in Richtung der Stallungen, um mich ein wenig verblüfft stehen zu lassen. Auch Kaya brauchte einen Moment um ihrer Freundin zu folgen. Ihr Blick huschte zwischen mir und Tschetan hin und her.
Es war das erste Mal, dass Tschetan mich Mutter genannt hatte. Nicht nur für mich … sondern auch für Kaya war das eine neue Erfahrung. Einen Moment blieb sie stehen und sah mich, fast ein wenig verwirrt, an. Dann lief sie ihrem Bruder nach. Ich musste mich auch einen Moment sammeln und rannte vor lauter Überraschung gegen eine Wand. Ich erschrak, wusste jedoch in dem Moment, in dem ich einatmete genau, in wen ich hinein gelaufen war. “Caleb!”
“Vorsichtig, nicht zu übereifrig”, schmunzelte er. “Ich bin eigentlich nicht wirklich für ihn verantwortlich, aber…ihr müsst unfassbar stolz sein. Denn…ich bin es. Wirklich. Ich bin gespannt auf seine und Nicholas Erzählung.” Ich konnte nur Calebs Blick hinter den anderen her lächeln. Natürlich war auch er stolz. Tschetan hatte im Grunde seinen Besitz gerettet … die Pferde, die Kühe- sie alle waren Kapital für die Ranch, reines Geld. Auch wenn der Wert für Caleb natürlich weit darüber hinaus ging. Plötzlich trat eine andere Person in unseren kleinen Kreis.
“Er ist mit dieser Aufgabe zum Mann geworden”, sprach Louis Stimme mit dem selben väterlichen Stolz wie ihn auch Caleb gehabt hat. Wieder fing meine Nase an verräterisch zu kribbeln und ich schluchzte auf.
“Ach nun hört doch auf!”, sprach ich lachend, aber verzweifelt weil sie mich wieder zum Heulen gebracht hatten. Caleb klopfte mir grinsend auf die Schulter, Louis nahm mich halb in den Arm … und mit dem freien Arm den ich noch hatte zog ich auch Caleb nah an mich heran. Das alles hatten doch tatsächlich wir getan. Mir kam dabei ein afrikanisches Sprichwort in den Sinn, das ich vor einige Zeit in einem Film aufgeschnappt hatte: ‘Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.’ – und unsere Ranch war wohl das beste Dorf der Welt.
Caleb
‘tick… tick…’ lauschte ich meiner Armbanduhr. Der Raum war erfüllt von einer kurzen Stille. Erneut öffnete sich die Tür, jemand kam herein und setzte sich in unsere Runde dazu. Wieder fingen Tschetan und Nicholas von neuem an, ihre Geschichte zu erzählen. Wie oft hatte ich den Anfang bereits gehört? Zwei, nein drei Mal? Aber das war egal. Es war vollkommen egal. Ich könnte den Anfang der Geschichte auch hundert Mal von Neuem anhören, ich würde jedes Mal das Gleiche empfinden. Stolz. Unglaublichen Stolz, dass die Beiden die Kühe gefunden und alle wohlbehalten zurückgekehrt waren.
Tschetan kam nun endlich zu dem Punkt, an dem er einen Abgang von Sungila gemacht hatte. Nicholas unterbrach ihn: “Und dann … das hättet ihr sehen müssen, macht die Stute eine 180 Grad Drehung und rennt ins Gebüsch. Den armen Tschetan hat sie einfach mitgezogen. Das ging alles so schnell! Bestimmt fünf Meter hat sie ihn durch die Dornen gezogen – es war alles voll! Sein Gesicht zerkratzt, die Haare voller Dornen und …”
“Na nun übertreib nicht”, holte Tschetan ihn zurück auf den Boden der Tatsachen, “es waren vielleicht zwei Meter. Sungila hat selbst gemerkt, dass das wohl keine so gute Idee war, da hinein zu springen. Ich hab mich dann aber mit Nicholas‘ Hilfe befreit“, beendete er seinen Satz an Nicholas gewandt und erzählte dann für uns alle weiter.
„Das klingt nach einem richtig tollen Abenteuer! Uns hat Cayce nur durchs Tal gehetzt.“ Octavia sah sich in der Runde um, Cayce fehlte noch. „Meinst du da stimmt was nicht mit den Rindern?“ Ich horchte auf.
„Wenn etwas nicht stimmen würde, dann hätte er schon einen von uns gerufen“, beschwichtigte ich sie und wandte mich an Nicholas. „Ich danke dir für deine Unterstützung, das war nicht selbstverständlich.“
„Hab ich gern gemacht, es ist zum Glück ja alles gut gegangen. Es hat sogar Spaß gemacht! Ich hab Tschetan schon gesagt, dass ich das gerne nochmal machen würde. Ein paar Tage im Sattel, unterm Sternenhimmel schlafen und sich von der Natur ernähren. Nur … nächstes Mal möchte ich nicht nur von Grünzeug leben!“ Er schaute Tschetan direkt an, beide grinsten.
„Erzähl!“, sagte Betsy und rutschte unruhig auf der Bank hin und her.
Tschetans Magen knurrte. „Wo wir von Essen sprechen …“, Ylvi erhob sich, öffnete die Ofentür und nahm die Steaks und die Fritten heraus, teilte es auf zwei Teller auf und stellte sie den Jungs vor die Nase. „Kommt, lasst sie mal wieder zu Kräften kommen. Mit weiteren Fragen löchern könnt ihr sie später noch.“ Ich blickte zu Ylvi rüber. Sie benahm sich so … fürsorglich. Die Mutterrolle schien ihr zusehends leichter zu fallen. Ich lächelte in mich hinein, erhob mich und setzte mir den Hut auf den Kopf.
„Na dann geh ich mal nach unseren Ausreißern und nach Cayce gucken.“
„Ich komm mit“, fügte Betsy an und sprang von der Bank. Ich hatte ein paar der Stühle durch eine schöne Bank ersetzt. Besonders Kaya und Betsy nahmen gerne darauf Platz. Ich hatte aber auch schon Laurence und Dolly darauf sitzen und Kaffee trinken sehen.
„Caleb warte!“, Aimee stand auf, „hier, die sind ja noch von dir.“ Sie überreichte mir meine Kleidung, die O ihr am vergangenen Abend gegeben hatte.
„Wenigstens auf einen von euch ist Verlass.“ Ich blickte O direkt an, bekam aber lediglich ein Schulterzucken zur Antwort. „Komm“, sagte ich an Betsy gewandt, legte die Kleidung im Flur auf die Kommode und verließ das Haus. Mir fiel zunächst gar nicht auf, dass uns jemand folgte. Als ich jedoch zwei Mädchen hinter mir kichern hörte, wusste ich, dass Kaya das Haus mit uns verlassen hatte.
Bei den Rindern angekommen konnte ich Cayce nirgends sehen. „Wo ist der denn jetzt abgeblieben?“, fragte ich mehr mich selbst als die Mädchen und schaute mich um. Die Herde hatte sich beruhigt. Fast alle Kälber lagen im saftigen Grün und schliefen, während sich ihre Mütter und die anderen Tiere die Bäuche vollschlugen. Beim Kauf von Bow River hatte ich eine Herde von um die 30 Tieren gehabt, nun waren es noch 13 Erwachsene und 4 Kälber von diesem Jahr. Vor dem letzten Winter waren die Jungbullen verkauft worden, weiß Gott warum davon so viele in der Herde gewesen waren. Mit den 17 Tieren hatte ich, neben den ganzen Pferden, dennoch genug – mehr mussten es nicht mehr sein.
Cayce tauchte in meinem Blickfeld auf. Er hielt eine Dose Blauspray in der Hand und wank mich zu sich rüber. “Hab den halben Stall danach abgesucht, war nicht in der Kiste, wo es hätte sein sollen”, murmelte er und ging auf eines der Kälber zu. “Das blutet vorne an den Beinen, scheint irgendwo hängen geblieben zu sein.” Cayce wies mich an, mich auf den Hals des Tieres zu knien, damit es nicht aufspringen konnte, nachdem wir es auf die Seite gelegt hatten. Noch bevor die neugierige Mutterkuh uns erreicht hatte, waren besagte Stellen mit dem Blauspray eingesprüht und wir konnten uns vom Acker machen. “Hab die anderen Tiere auch kontrolliert, mir ist nichts weiter aufgefallen.”
“Danke Cayce.”
“Die sehen ganz schön müde aus”, meinte Betsy und zeigte auf die schlafenden Kälbchen.
“Gib denen einen halben Tag, dann springen die wieder hier über die Wiese”, lachte Cayce, “wir müssen mal schauen ob wir die Tiere erstmal hier auf der Weide lassen, bis der Zaun repariert ist. Das ist ja eigentlich eine der Jungpferdeweiden.” Ich nickte und überlegte.
“Wir lassen sie erstmal hier, den Zaun zu reparieren dauert ja auch nicht ewig … apropos, kannst du dir Bellamy und Brian schnappen und schon mal anfangen fahren? Ich muss noch zwei Telefonate erledigen. Nicholas Eltern haben mich angerufen wegen Rocket, ob ich einen Platz für ein Berittpferd frei habe – und ich wollte noch bei den Züchtern von Benny anrufen, ob sie noch so ein farblich tolles Pferd zum Verkauf haben.”
“Hast du nicht bald mal genug Pferde, Caleb?”, Cayce sah mich fragend an, “eigentlich könnte ich mir mal noch eins zulegen. Neben Shorty wäre ein zweites rancherfahrenes Pferd nicht schlecht.” Er sah mich fragend an.
“Ich schau mal in meinen Unterlagen, vielleicht wäre eine meiner cuttinggezogenen Stuten ja was für dich?”
“Ich tendiere zwar eher zu einem weiteren Wallach … aber ja, schau mal.”
“Hmmm”, überlegte ich und sortierte Pferdenamen in meinem Kopf, “hol dir sonst mal Tate für die Arbeit, vielleicht könntest du was aus ihm machen?”
Cayce nickte und verschwand mit dem Spray in der Hand zurück in die Stallungen.
“So, Mädels. Was macht ihr jetzt?”
“Ich glaube … wir gehen ausreiten”, verkündete Betsy Kayas und ihren Plan selbstsicher. Kaya nickte nur.
“Passt auf euch auf.”
“Jaja, immer.” Damit verschwanden die beiden in Richtung des Paddocks, auf dem noch die Pferde für die Ferienranch standen.
*
Ylvi
Mit zwei größeren Kartons in den Armen stiefelte ich hinter Betsy gerade die Treppe im Haupthaus hinauf. Vorsichtig darauf bedacht, mein Gleichgewicht nicht zu verlieren, tastete ich nach den Stufen. Die Kartons waren nicht schwer, aber ätzend zu greifen. Betsy hatte sich in den letzten Tagen dazu entschieden, was von dem Kram aus dem Bungalow noch in ihr Zimmer sollte. Direkt hinter mir hörte ich das Ätzen von Caleb und Tschetan. Die beiden mussten gerade eine der Kommoden die Treppe rauf befördern. Gerade in dem Moment fing Calebs Handy an zu klingeln. “Verdammt, wenn das jetzt Nicholas Eltern sind krieg ich die Krise”, murrte er.
Seit beinahe zwei Tagen versuchte er die Familie zu erreichen, aber irgendwie war das Ganze wie verhext. Entweder sie verpassten einander oder der Zeitpunkt war ungünstig. “Du könntest auch einfach rüber fahren”, kam es vom Treppenabsatz ganz altklug von Betsy. Tschetan lachte leise.”Genau Caleb. Du könntest auch einfach rüber fahren.” Offenbar hatten die Kids damit das schlagende Argument gehabt, denn stumm trugen die beiden Männer das Möbelstück bis ins Zimmer. Betsy und Kaya standen inmitten des Chaos, das nun Betsys Zimmer war. Ganz überwältigt stand sie etwas verloren darin.
“Was hälst du davon: wir bringen hier eine Art Grundreine hinein und die Männer schicken wir zur Ranch von Nicholas Eltern?” Betsy nickte mir milde lächelnd dankbar entgegen. Ich drehte mich zu Caleb. “Schnapp dir am besten auch Nicholas. So oft wie der Junge aktuell hier ist, können sich seine Eltern bald nicht mehr an sein Gesicht erinnern.”
“Darf ich fahren?!” fragte Tschetan aufgeregt.
Ich deutete auf den jungen Mann: “Du, bist erst 15!”, im selben Zug drehte ich mich halb zu Caleb, der sich gerade von Betsy verabschiedete, “wag es dir bloß nicht ihn fahren zu lassen.”
Tschetan murrte ein wenig vor sich her. “Komm schon, du hast nur noch einen Monat bis zu deinem Geburtstag. Das Warten sollte doch kein Problem werden.”
Als die Geräusche verstummt waren, drehte ich mich zu den Mädchen um. “Was waren deine Ideen Betsy?”
“Drüben im Bungalow hatte ich mein Zimmer irgendwie größer im Sinn”, dabei klang sie etwas bedrückt. Auch ich sah mich erstmal kurz um, verschaffte mir einen Überblick. Rief mir ins Gedächtnis, was wir in welche Schubladen geladen hatten.
“Was hälst du von der Idee deine Sachen auch nochmal zu sortieren? Alles womit du ohnehin nicht mehr spielst, die Klamotten die du nicht mehr trägst? Einiges davon könnten wir versuchen zu verkaufen, das geht direkt in dein Sparschwein. Alles andere spenden wir?” Das war für Betsy kein neuerliches Unterfangen. Wir hatten genau denselben Prozess erst bei Kaya unternommen, als Tschetan ausgezogen war. Sie hatte sich ein etwas “erwachseneres” Zimmer gewünscht. Betsy allerdings kämpfte noch immer damit nicht alles von ihrem Vater loslassen zu können. Meiner Meinung nach war viel zu viel von dem Zeug im Keller gelandet und wir würden es vermutlich nie wieder benutzen. Einer 12 - jährigen konnte ich allerdings auch schlecht sagen was in meinen Gedanken dazu vor sich ging – “Ins Grab kannst du ohnehin nichts mitnehmen”. Daher hatte ich da versucht, eine Neutrale Position zu haben.
“Ich denke da gibt es so einiges mit dem Andere mehr anzufangen wissen als ich”, kam Betsys ungewöhnlich nüchtern betrachtete Antwort. “Da hinten in der Kiste sind lauter Puppen drin …die …”, sie seufzte “hat mir zwar meine Mama gekauft, aber ich denke wirklich ein anderes Kind wird sie genauso mögen wie ich.”
Damit gingen wir ans Werk. Wir leerten einige der Klamottenkisten. Kaya zauberte aus der Federtasche einen dicken schwarzen Filzer mit dem wir die Kisten beschrifteten mit “trash” “keep” und “sell”.
Mitten in der Arbeit lugte Louis plötzlich durch die Tür in das Zimmer. Kaya lächelte ihm entgegen. “Ist Tschetan in der Nähe?” fragte er mit gedämpfter Stimme. Ich schüttelte den Kopf.
“Ich hab ihn mit Caleb und Nicholas rüber zu den Eltern von Nicholas geschickt.”
"Fantastisch", damit kam Louis nun ganz ins Zimmer. Auf den Armen balancierte er einen runden Karton. Mein Gesicht hellte sich auf.
“DAS ging aber flott!”
“Unsere Frauen haben eben flinke Hände”, feixte er besonnen. Ich kommentierte das mal lieber nicht. Louis kam hinunter zu uns auf den Boden. Im Schneidersitz ließ er sich nieder und schob den Karton näher zu mir. Auch die Mädchen kamen nun neugierig heran. Louis nahm quälend langsam den Deckel von der runden Schachtel. Darin befand sich etwas verborgen unter Verpackungsmaterial – wie ich wusste – ein Hut. Ich erlaubte mir das Papier beiseite zu nehmen.
Unsere Blicke fielen auf einen schwarzen Hut im Cowboystil. Louis nahm ihn vorsichtig heraus. Rund um die Krempe war der Hut mit hunderten kleinen Perlen bestickt. Kleine Vierecke in den Farben gelb, weiß und schwarz lösten sich mit kleinen Dreiecken in rot ab. Ein Lederband schlang sich um die Erhebung des Hutes. Das Leder war naturfarben, würde sich also im Laufe der Zeit durch die Sonne von selbst verfärben und eine besondere Patina bekommen. Auf das Leder war an einer Stelle ein weiterer geformter Streifen genäht worden. Diese sah aus, als könne man dort etwas hinein stecken. Louis griff ein weiteres Mal in den Karton. Ich erkannte erst auf den zweiten Blick, was es war. Hörte aber wie Kaya nach Luft schnappte. Louis öffnete seine Hand. Darin lag eine große weiß/bräunlich schwarze Feder. Sie war ein Stück größer als seine Hand. Ihre Ränder schienen ein wenig ausgefranst. Nur ihr unteres Ende war weiß, darin befanden sich einige der Sprenkel. Das Braun war wunderschön gemustert. “Eine Adlerfeder?” fragte ich. Ich wusste, dass die Tiere unter Naturschutz standen. Sogar der Besitz einer solchen Feder war schwierig.
“Logan hat sie mitgebracht. Sie hat einst seinem Vater gehört”, sprach er stolz. Damit nahm er sie und steckte sie in die kleine Lasche die an den Hut genäht worden war. Ich jedoch horchte auf. “Logan?”
“Ja, sonst wäre das Paket länger unterwegs gewesen. Logan hat den Hut und die Feder aus Pine Ridge mitgebracht.” Über das letzte Jahr hinweg hatte Logan selten Zeit auf der Ranch verbracht. Er war oft in der Reservation gewesen, irgendeinen Verwandten pflegen, Kinder unterrichten.
“Wird er jetzt eine Weile bleiben?”, fragte ich. Louis sah zu den beiden Mädchen, schien zu überlegen, wie viel er sagen sollte. Ich erkannte, dass da mehr dahinter war. “Ich denke, er wird eine Weile bleiben, ja.”
“Oh fein! Dann kann ich ihn mit meinen Worten überraschen”, strahlte Kaya. Dabei fiel mir ein … natürlich, Logan wusste nicht, dass Kaya ihre Sprache wiedergefunden hatte. “Wann bekommt Tschetan den Hut?”, fragte sie weiter. Louis zuckte mit den Schultern.
“Ich hatte vor, ihm den Karton einfach auf’s Bett zu stellen. Ganz unspektakulär.”
Kaya und Betsy zogen einen Schmollmund. “Wir wollen seine Reaktion sehen!!”
“Louis und ich überlegen uns da etwas. Bring du den Hut in Sicherheit. Die Mädels und ich haben noch ein wenig zu tun hier.” Damit deutete ich Diffus auf das gelichtete Chaos um uns herum.
“Gut, dann bis zum Abendessen?”
“Vergiss nicht wir wollten später noch die Zäune an den Nordhängen kontrollieren. Wir hatten dort lang keine Rinder drauf. Aber Caleb und Cayce haben die Weiden für die Herde samt Kälber ausgesucht. Bevor wir sie dahin treiben, sollten wir die nochmal prüfen.”
Ich schlug mir mit der Hand an die Stirn. “Ja, gut das du mich daran erinnerst. Wir machen hier schnell. Dann in 2 Stunden im Stall!”
Tschetan
Im Flur setzte sich Caleb seinen Hut auf den Kopf, die Sonne begann nun langsam schon ätzend vom Himmel zu scheinen. Meinen Alten konnte ich nicht mehr benutzen – mittlerweile war er zu klein für meinen Kopf. Also schnappte ich mir eines der Tücher und band es mir über die Haare, also um meine beiden geflochtenen Zöpfe. Ich war stolz, wie lang sie im vergangenen Jahr gewachsen waren. Aimee hatte mich in Sachen Haarpflege ein wenig unterstützt. Ich sprach es nicht direkt an, aber dafür war ich ihr doch etwas dankbar.
“Such du am besten mal Nicholas. Ich hol derweil den Wagen. Wir treffen uns an der Auffahrt”, meinte Caleb beiläufig.
Ich musste gar nicht lang suchen, denn ich hatte Nicholas, nachdem Ylvi mich zum Tragen helfen abkommandiert hatte, in den Stallungen der Hengste zurückgelassen. Da ich die Boxen oft genug allein gemistet hatte, wusste ich, dass man damit eine ganze Weile beschäftigt war.
Tatsächlich fand ich Nicholas nur vier Boxen weiter von der Stelle, an der ich ihn verlassen hatte. Mit Kopfhörern auf den Ohren schaufelte er eine Mistgabel Pferdemist und Pellets auf die Karre. Bevor er mich dabei erwischen konnte, wie ich ihn anstarrte, trat ich näher an sein Blickfeld heran. Ob sein Schrecken nur gespielt war oder nicht, konnte ich nicht ganz deuten. Aber er hielt sich die flache Hand an die Brust, seufzte. Schob sich dann die Kopfhörer in den Nacken. “Scout, du hast mich erschreckt!”
Ich fühlte mich noch ein wenig unsicher und war froh, dass meine heiß werdenden Ohren vom Tuch um meinen Kopf bedeckt waren. Nicholas hatte mich in den letzten Tagen begonnen so zu nennen. Er war ohnehin der Meinung, dass jeder einen Spitznamen benötigte. Nach unserem Abenteuer mit den Kälbern, hatte er diesen für mich gewählt. Meinen Vorschlag, ihn Lassie zu nennen, hatte er nicht witzig gefunden. Noch überkam es mich mit Scham, dass er mich Scout nannte. Meiner Meinung nach war das Ganze keine allzu anspruchsvolle Sache gewesen.
“Ich hatte nicht vor dich zu erschrecken. Aber Ylvi hat beschlossen dir Feierabend zu verschaffen. Caleb wollte zu deinen Eltern hinüber, da sie am Telefon nie zueinander finden.”
“Hilfst du noch eben dabei den Mist hier loszuwerden?”
“Kipp ihn zurück in die Box”, feixte ich, drängelte Nicholas aber von seiner Position und ergriff beide Griffe der Schubkarre, wollte gerade los stiefeln, da spürte ich Zug am Kragen meines Shirts.
“Ich meinte eigentlich das Schaufeln in den Container!” Ich sah nur leicht über die Schulter, lief weiter ungeachtet des Zuges auf meine Kehle bis Nicholas los ließ und so etwas wie ‘unverbesserlich’ seufzte. Er beeilte sich vor mich zu kommen, um die breite Tür der Stallungen aufzuhalten. Dort ums Eck befand sich unsere Mistplatte, die in den letzten Stunden offenbar schon jemand entleert hatte! So konnte ich einfach rauf fahren und die Karre am hintersten Ende entleeren.
“Das war einfach”, stellte ich zu Nicholas gewandt fest. Die Karre und die Mistgabel in die Abstellkammer zu verfrachten stellte nun kein Problem mehr dar.
Nicholas verschwand noch eben im Bad in Stalltrakt, wusch sich Hände und Gesicht. Ich lehnte an der Tür, warf ihm das Handtuch ins Gesicht, als er gerade danach greifen wollte. “Komm schon, sonst fährt Caleb ohne uns!” drängelte ich nun doch etwas.
Caleb
Nach etwa einer dreiviertel Stunde Fahrt passierten wir gerade die Aspen Crossing Train Station, als ich den Blinker setzte und vor Mossleigh auf die Range Road 250 abbog. Nach einem erneuten Blick in den Rückspiegel ließ ich den Wagen ausrollen und hielt am Straßenrand an. “Verpetz mich ja nicht an Ylvi”, zischte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen, grinste dann jedoch in Richtung des Beifahrersitzes, auf dem sich Tschetan befand. Seine Miene hellte sich auf, in sekundenschnelle sprang er aus dem Wagen, lief um die Motorhaube herum und wartete ungeduldig darauf, dass ich ausstieg. Schneller als ich schauen konnte, nahm er meinen Platz hinter dem Steuer ein und begann damit, Sitz und Spiegel passend für sich einzustellen.
Wenn wir mit dem Truck bei den Weiden unterwegs waren, hatte ich ihn schon des Öfteren fahren lassen. Da er sich dort ganz gut angestellt hatte, hielten sich meine Sorgen, auf einer richtigen Straße könnte etwas passieren, in Grenzen.
“Denk an … ja … und fahr jetzt langsam.. lenken nicht vergessen, sonst landen wir im Graben.” Okay zugegeben, ein wenig nervös war ich dennoch.
“Darf ich auch gleich ein Stück fahren?”, fragte Nicholas auf einmal von hinten und steckte seinen Kopf zwischen den beiden vorderen Sitzen nach vorne.
Ich lachte. “Auf gar keinen Fall.”
“He, warum nicht?”
“Wie alt bist du eigentlich?”
“Ich bin 15.”
Verwundert drehte ich mich halb zu ihm um. “Und wann wirst du 16?”
“Nächstes Jahr im … Februar.”
“Dann frag mich im Januar nochmal.”
“Aber …”, wollte er protestieren, wurde jedoch jäh von mir unterbrochen.
“Ich lerne in einer halben Stunde deine Eltern kennen, würde wohl keinen guten Eindruck machen, wenn ich ihnen gleich zu Beginn sagen muss, dass ihr Sohn meine Karre geschrottet hat?” Tschetans Mundwinkel zuckten belustigt nach oben. Ich folgte seinem Blick zum Rückspiegel, durch den er Nicholas beleidigtes Zurücksinken in seinen Sitz beobachtete.
“Mach dir nichts draus”, murmelte er, “für Januar hast du doch quasi eine Zusage.”
“Das hab ich so nicht gesagt”, protestierte ich und wechselte vielsagende Blicke zwischen Tschetan und dem Nicholas - Spiegelbild.
“Komm … gib dir einen Ruck, Caleb.”
Ich blickte Tschetan mit hochgezogener Augenbraue an, ließ seine Aussage jedoch unkommentiert. Ich schaute wieder zur Straße und gab ihm die Anweisung, nun hier links abzubiegen und bei der Nächsten nach rechts. Von hier an ging es so lange geradeaus, bis wir wieder auf den Highway stoßen würden. Kurz vorher hielten wir an, tauschten erneut die Plätze und fuhren das letzte Stück bis in die Nähe von Queenstown. Von der Range Road 221 bog ich ein letztes Mal nach rechts ab auf die Township Road 194, ehe wir den Hof auf der rechten Seite erblickten.
Hinter dem Wohnhaus befand sich eine kleine Stallung. Zur linke Hand ein wenig Weide mit Wald und einem Unterstand, zur rechten Hand einige Paddocks und ein größeres Stück Koppel, welches in kleinere Sektionen unterteilt war.
“Hier links beim Wald stehen unsere drei Pferde”, erklärte Nicholas und zeigte nach vorne. Am Zaun im Schatten der Bäume stehend erkannte ich die Tiere.
“Die gehen wir uns gleich als Erstes anschauen”, kommentierte Tschetan.
“Zuerst”, sagte ich mit Nachdruck, “gehen wir hallo sagen.”
Wir saßen schon eine ganze Weile in der Küche des gemütlichen Hauses. Nicholas Eltern, Tamara und Aiden Brixton, stellten sich als unglaublich nette Leute heraus, die nur leider ihr Telefon fast nie mit sich führten.
“ … und so sind wir zur Deckstation gekommen”, beendete Aiden gerade seine Erzählung, wie sie den kleinen Hof hier gekauft und zu ihrem Beruf gekommen waren. Viele der Hengste standen zur Decksaison hier und waren für diese Zeit aus dem Training. Verließen sie den Hof wieder, wurde das Training vielerorts wieder aufgenommen. Rocket entstammt eines Tausches, war hier in der kleinen Wallachherde aufgewachsen, brauchte nun aber dringend eine andere Aufgabe. Er war bereits für ein halbes Jahr zum Einreiten weg gewesen. Man merkte ihm aber nun an, dass er mit den drei Wallachen nicht mehr zurecht kam und sich langweilte. Ständig war er hinter den älteren Tieren und forderte sie zum Spielen auf. “Ich glaube, wenn er in eine kleine, gleichaltrige Herde kommt, wo die Pferde mit ihm spielen, wird er wieder viel ruhiger – außerdem würde ihm Training ganz gut tun und …”
“Okay, jetzt, wo es ums Geschäftliche geht, verabschieden wir uns. Wir gehen eine Runde mit unseren Pferden ausreiten.” Nicholas erhob sich, Tschetan tat es ihm gleich.
“Nehmt stattdessen doch lieber die beiden Füchse der Mädels, die haben mal wieder Bewegung nötig”, nickte Tamara den Jungs zu.
“Okay, Ma.” Damit verließen sie den Raum und auch sogleich das Haus.
Aiden räusperte sich. “Wo waren wir.. ach ja, genau. Wir hatten überlegt, Rocket zu verkaufen, würden ihn aber vielleicht lieber ins Training geben. Er ist Reining gezogen, soll trainiert und auf Turnieren vorgestellt werden. Wenn er sich gut macht, kommt er nochmal her, um zu Decken … außerdem hätten wir da seit Kurzem noch zwei Standardbreds und einen Draft Mix.”
Bei Letzterem horchte ich auf. “Draft Mix?”
“Ein Percheron - Quarter Horse Mix. Romeo, wunderschönes Tier!”, schwärmte Tamara, “etwas größer und stämmiger als die üblichen cuttinggezogenen Quarter, absolut klar im Kopf und unglaublich lieb.”
“Den möchte ich mir direkt anschauen!”, verkündete ich mit großem Interesse und stand auf. Aiden tat es mir gleich, geleitete mich zur Tür und wir gingen zu den Stallungen. ‘Das wärs noch für die Ranch’, dachte ich und folgte Aiden gespannt.
Tschetan
“Du wirst dich vielleicht ein wenig umgewöhnen müssen”, sprach Nicholas neben mir. “Umgewöhnen?”
“Wirst du gleich sehen”, grinste er verschmitzt.
Mit den beiden Füchsen am Strick stiefelten wir zur Seite des Gebäudes, an dessen Außenwand eine solide Eisenstange zum Anbinden diente. In der Sattelkammer angekommen ahnte ich langsam, was Nicholas gemeint haben könnte. “Die Pferde sind keine Quarter, richtig?”
“Die beiden Füchse nicht”, feixte Nicholas. Ich griff nach dem Putzkasten, den er mir herüber gab. Mit halbem Grauen starrte ich darauf. Er war knallpink mit rosafarbenen Verschlüssen. “Die beiden gehören derselben Familie. Deren Töchter sind in einem Auslandsjahr, also sind die Hengste beide hier zum decken.”
“Fantastisch.” Ich wusste wie englisches Equipment angelegt wurde, schließlich gab es auch auf der Ranch durch O’ durchaus Pferde, die nicht den Westernsattel trugen. Richtig angefreundet hatte ich mich jedoch nie mit ihnen. “Alles klar. Ich reite ohne Sattel”, verkündete ich daher. Drehte ohne eine Antwort abzuwarten auf dem Absatz um – mit dem pinken Albtraum an einem Ende des Arms hängend. Ich musterte gerade beide Pferde genauer. Vorher hatte ich sie mir nicht so genau angeschaut. Sie waren deutlich feingliedriger als die stämmigen Quarter, die ich mittlerweile gewohnt war. Allerdings auch nicht so groß, wie die wenigen Vollblüter von Bow River. Ich konnte die Rasse tatsächlich nicht erkennen. Trotzdem waren beides genügsame und hübsche Pferde.
”Foxtrotter”, sprach Nicholas plötzlich neben mir.
“Mhm?”
“Du hast sie so angestarrt. Die beiden sind Missouri Foxtrotter. Nur falls du ergründen wolltest, was für Rassen die sind.”
“Aber wieso bildet man sie dann nicht Western aus?”
“Vermutlich, weil die beiden Distanzritte gehen. Mit ihrer besonderen Gangart eignen sie sich da hervorragend für.”
Wir putzten die Beiden nur in der Sattellage über, huschten dann in die Kammer zurück, da wir möglichst viel Zeit auf dem Ritt verbringen wollten.
“Macs Sattel ist der da”, Nicholas hatte seinen bereits auf den Arm gehievt und griff gerade nach der Trense. “Die daneben ist auch von deinem.”
Ich ignorierte also den Sattel und griff nur nach der Trense ehe ich Nicholas hinaus folgte. “Das war also kein Scherz?”
“Nein, ich kann mich an diese englischen Sättel einfach nicht gewöhnen.”
“Ich fühl mich ohne Sattel immer ziemlich unsicher”, gestand Nicholas mir.
Ich zuckte die Schultern: “Das ist keine Schande, aber du könntest es üben. Vielleicht auf Sungila, sie hat tolle Gänge.”
“Du würdest sie mich reiten lassen?”
“Natürlich…ich darf doch jetzt auch Mac reiten.”
Während des Auftrensens hatte ich allerdings meine leidliche Not. Da waren plötzlich so viele Schnüre! Für Sungila hatte ich manchmal nur ein Bosal oder immer öfter ein sogenanntes War Bridle. Ich schielte ab und an zu Nicholas hinüber. Der war allerdings noch mit dem Sattel beschäftigt. Gerade als ich einen Schritt zurück machte, um mein Werk zu betrachten, trat ich Nicholas auf die Zehen, denn er stand plötzlich hinter mir.
“Erster.”
“Oh Sorry!”, sagten wir wie aus einem Munde. Dann sah ich ihn verwirrt an.
“Erster?”, ich lehnte mich mit mehr Gewicht auf das eine Bein. Die Trense fehlte am Kopf seines Fuchses.
“Erster Auftritt”, Nicholas lächelte, “meine Eltern sind…oder eher waren begnadete Tänzer. Als ich klein war waren wir oft im Training unterwegs oder so. Und immer wenn mein Vater meiner Mutter auf die Zehen getreten ist. Hat sie gezählt. Und das eben? War dein erster.”
“Und letzter”, murmelte ich, “was musst du dich auch so heran schleichen?”
Nicholas legte seinen Kopf leicht schief, ein Mundwinkel halb nach oben gezogen: “Und ich dachte, du wärst der Leisere von uns.”
“Zum eigentlichen Problem – ich hab’ da ‘nen Riemen übrig”, damit hielt ich den schmalen Riemen vor sein Gesicht.
Nicholas schielte leicht zu Mac hinüber.
“Der ist mir auf dem Weg rausgefallen. Hab Nachsicht mit mir, ja?” Nicholas gab ein kleines unterdrücktes Lachen von sich.
“Häng ihn einfach über die Stange, das is nur der Sperriemen. Brauchst du ohnehin nicht.” In seinen Worten griff er sachte nach meiner Hand, schnappte sich den Riemen und hängte ihn über die Eisenstange.
“Du meinst also alles richtig verschnallt?” Nicholas nickte.
“Dann mach dich schonmal mit Mac vertraut, dann mach ich Cheese weiter fertig.”
“Cheese?”
Nicholas zuckte die Schulter: “Die hingen wohl schon immer aneinander. Also heißen sie Mac n’ Cheese.” Ich konnte nicht ohnehin die geschlossene Faust vor der Stirn kreisen. Zu lang hatte ich mit Kaya die Zeichensprache verwendet. Nicholas kannte das Zeichen mittlerweile auch und schien mir mit seinem Lächeln zuzustimmen.
“Mach du den Käse fertig. Ich komm selbst auf das Pferd.“ Ich griff mir ein Büschel der kurzen Mähne von Mac, hüpfte leicht auf der Stelle, um mich dann mit Schwung auf dem blanken Pferderücken nieder zu lassen.
“Vielleicht sollte ich wirklich mehr üben, ohne Sattel zu reiten”, merkte Nicholas an, bevor wir uns endlich auf den Weg machen konnten, die Umgebung auszukundschaften.
Caleb
Im Stall angekommen blieben wir allerdings zunächst bei Rocket stehen. ‘Rocking Waves’, stand auf dem Boxenschild. Toller Name für ein unglaubliches tolles Tier! Der Palominohengst hatte eine gewellte, dichte und lange Mähne, welche gerade zu Zöpfen geflochten war. Auch der Schweif befand sich in einem dicken Geflecht.
“Ich würde dir ja anbieten, dass du ihn mal testen kannst vor dem Mitnehmen, aber leider haben wir hier keinen Platz oder ähnliches”, murmelte Aiden, doch ich wank ab.
“Das ist kein Problem, ich muss den jetzt hier nicht reiten. Auf Bow River werde ich dazu noch Gelegenheit genug bekommen”, antwortete ich, schnappte mir dennoch das Halfter an der Boxentür und ging zum Hengst rein. Er streckte mir den Kopf entgegen, ließ sich willig aufhalftern und in die Stallgasse führen. Dort begutachtete ich ihn, ließ ihn mir einmal von Aiden vortraben und stellte ihn zufrieden wieder in die Box. “Ich bin mir sicher, dass ich meine Freude mit ihm haben werde.”
Aiden nickte und ging eine Box weiter, in der ein schicker Blue Roan mit blauen Augen stand. Ich lachte: “Mit den Augen passt er zu dreiviertel der Tiere auf meiner Ranch.”
Aiden horchte auf. “Ach ja?”
“Ja”, lachte ich und nahm den Hengst an die Hand.
“Vierjährig”, erklärte Aiden, “gezogen vom Lindö Dalen Stuteri. Vandal LDS ist sein voller Name, von Alfred’s Nobelpreis aus der Rainbeth.”
Ich hörte ihm aufmerksam zu, ehe ich mir den Hengst ebenfalls vortraben ließ. “Der gehört auch euch?”, fragte ich, ehe er das Tier wieder in die Box stellte.
“Genau, den haben wir gekauft und noch einen vom LDS, hier, komm.” Damit gingen wir zu einer der hintersten Boxen. “Heldentum LDS, von Wunderkind aus der Götterdämmerung. Negativ auf alle Scheckgene.”
“Das ist doch ganz klar ein Frame Overo?”, fragte ich verwundert und beobachtete Aiden dabei, wie er den Kopf schüttelte.
“Nein, alles negativ. Der ist auch nicht der erste Bunte aus der Anpaarung. Das LDS forscht wohl gerade daran, weshalb er und seine Geschwister, ein oder mehrere, so aussehen, wie sie aussehen.”
“Interessant”, schlussfolgerte ich, “deshalb habt ihr den gekauft? Mit der Farbe lässt er sich später wohl besser vermarkten.”
“Exakt”, Aiden lachte und führte mich endlich zu dem Pferd, von dem wir eben im Haus gesprochen hatten, “das ist Romeo, eigentlich Fancy Like Romeo. Vater ist ein Percheron, Mutter ein Cutter.”
“Den darf ich bestimmt auch mal rausholen?”
“Tu dir keinen Zwang an.”
Mit dem Halfter, welches an seiner Box hing, ging ich zu dem Hengst rein. Romeo brummelte leise, sah von seinem Heu auf und kam mir einen Schritt entgegen. Ich streichelte ihm sanft über den Schopf, zog ihm das Halfter an und führte ihn in die Stallgasse. Er folgte willig, ließ die Ohren spielen und sah sich um. Am Ende des Stalles brummelte eines der Tiere, Romeo wandte nur den Kopf und schaute in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Wenige Sekunden später, ohne einen Ton von sich zu geben, schaute er wieder zu mir. “So einer fehlt mir noch”, lachte ich. Ich wollte ihn zurück in die Box stellen, doch Aiden bestand darauf, ihn auch ein wenig vortraben zu lassen. Entgegen meiner Erwartungen stellte ich kaum einen Unterschied zu einem echten Quarter fest. “Toller Beweger”, schlussfolgerte ich, ehe Romeo wirklich wieder in die Box kam.
Wir schauten uns noch ein paar der anderen Deckhengste an.
Gerade, als ich den Stall wieder verlassen wollte, hielt mich Aiden zurück.
“Hör mal Caleb, dass du Rocket mitnimmst, ist ja beschlossene Sache. Aber hast du noch Kapazitäten für die anderen drei Pferde? Romeo, Hero, also Heldentum und Vandal? Mir fehlt es hier im Moment an allen Ecken, die stehen sich nur die Beine in den Bauch. Zum Decken kann ich sie ja noch nicht nehmen, weil sie noch nicht gekört sind. Tamara und ich dachten, es wäre eine gute Idee, auch eigene Hengste zu halten und nicht nur mit Fremden zu arbeiten. Leider scheitert es an der Zeit. Tamara arbeitet zusätzlich in einem Diner in Mossleigh, die Rechnungen wollen schließlich bezahlt werden, deshalb ist sie weniger hier, um zu helfen.” Aiden klang aufrichtig, aber auch ein wenig verunsichert. “Verkaufen wollte ihr sie nicht, oder?”
Er schüttelte den Kopf: “Nein, erstmal nicht. Vermutlich wäre Vandal aber das erste Pferd, welches wir anbieten würden. Nicht, dass er nicht auch toll wäre, im Gegenteil. Aber man hat seine Lieblinge …”, er zuckte lächelnd die Schultern.
Ohne noch länger überlegen zu müssen, legte ich ihm die Hand auf die Schulter. “Das bekommen wir hin.”
Eine halbe Stunde und ein ganzer Stapel Papierkram später hängte ich gerade Aidens Trailer an meinen Truck. Wir hatten abgemacht, dass ich die Tiere jetzt sofort mitnehmen würde. Den Trailer könnte einer meiner Leute die Tage zurückbringen oder sie würden ihn holen kommen.
Das erste Pferd auf dem Hänger war Heldentum. Hero, der mir zeitweise ein wenig tollpatschig vorkam, stolperte beim ersten Schritt die Rampe hoch und ging in die Knie, ehe seine Nase mit der Rampe kollidierte. Aiden, der den Hengst führte, zuckte erschrocken zusammen. Auch Tamara, die sich mittlerweile zu uns gesellt hatte, schnappte erschrocken nach Luft. Ich machte, mit Vandal am Strick, einen Satz auf die Beiden zu, doch Hero hatte sich bereits wieder aufgerappelt und schüttelte sich einmal kurz.
“Das müssen wir aber noch üben”, sprach Aiden an den Hengst gewandt und streichelte ihm einmal durch die zottelige Mähne. Schließlich folgte der Hengst ihm ohne weitere Probleme die Rampe hinauf. Als Aiden wieder herauskam sagte er an mich gewandt: “Hab grade noch geschaut, weder am Bein noch an der Nase hat er sich was getan. Falls er doch später etwas klamm laufen sollte, kannst du ja nochmal nach ihm schauen?”
Ich nickte und versicherte ihm, dass er bei mir in guten Händen sein würde. Vandal ging kooperativ hinter mir her, erschreckte sich allerdings kurz vor dem dumpfen Geräusch, als er mit einem kleinen Satz hinter mir her auf die Rampe sprang. Ich wartete kurz und ließ ihm Zeit, sich umzuschauen. Dann ging er zügig mit mir nach vorne und ließ sich ohne Probleme anbinden.
Rocket folgte Aiden zügig in den Hänger während Romeo ein wenig vor sich hin schlurfte. Vier komplett unterschiedliche Pferde würde ich gleich mit zurück nach Bow River holen.
In der Zwischenzeit waren Tschetan und Nicholas von ihrem Ausritt zurück. Letzterer wirkte ein wenig zerknirscht. Noch bevor ich nachfragen konnte, setzte er an: “Echt bewundernswert, dass Tschetan auf dem Pferd sitzt wie festgeklebt. Davon kann ich nur träumen!”
“Ich hab dir ja angeboten Sungila beim nächsten Mal zu reiten, dann lernst du das.”
“Sungila?”, fragte ich verwundert.
“Na Connies Blue Splash oder so heißt die doch”, Tschetan zuckte mit den Schultern.
Endlich dämmerte es mir. “Colonels Blue Splash”, schlussfolgerte ich, “wurde ja früher Connie gerufen, bis du sie umbenannt hast. Wie rufst du Like a Prayer eigentlich mittlerweile?”
“Yumni.”
“Stimmt.”
Nicholas Vater räusperte sich. “Bleibst du jetzt hier, Junge? Ich könnte deine Hilfe noch bei den Wallachen gebrauchen.”
“Ist gut”, antwortete Nicholas, “bis dann ihr zwei.”
Wir verabschiedeten uns ehe wir uns in den Wagen setzten. “Jetzt kann ich dich nicht fahren lassen, hab da hinten vier Pferde drin stehen.”
“Vier?”, fragte Tschetan ungläubig und half mir, das Gefährt aus der engen Ausfahrt hinaus zu manövrieren, indem er mir den Abstand zum Zaun auf seiner Seite weitergab.
“Vier”, wiederholte ich lachend und bog nach links in Richtung des Highway ab, “zwei Standardbred, also Traber, Rocket und einen Quarter - Percheronmix.”
“Was machst du damit?”
“Die sind alle nur zur Verfügung. Der Plan ist sie zu trainieren und zu kören, dann gehen sie wieder zurück zum Decken.”
Tschetan nickte vielsagend. “Du brauchst echt nicht noch mehr Pferde.”
Ich lachte. “Du meinst ich könnte mal welche verkaufen?”
Wieder nickte er.
“Hattet ihr einen schönen Ausritt?”, fragte ich ihn dann und lenkte das Gefährt wieder auf die Straße zurück in Richtung Mossleigh.
Tschetan
Ich starrte ein wenig in die Ferne. Die Antwort war nicht ganz einfach. “Ich bin noch nie ein Gangpferd geritten”, sagte ich daher etwas abwesend, “beide Hengste waren Missouri Foxtrotter.”
Caleb ging nicht ein auf die Tatsache das ich ihm nicht direkt geantwortet hatte. “Bist du deshalb ohne Sattel geritten, weil sie besonders bequem sein sollen?”
“Nicht wirklich. Ich konnte mich mit dem Gedanken in den Englischsattel zu steigen nicht anfreunden.”
Caleb lachte laut auf. “Das kann ich nachvollziehen.”
“Die Landschaft war anders als im Tal bei uns…viele Felder voll Getreide. Wir mussten uns ziemlich oft an die Wege halten. Ich kann verstehen, dass Nicholas mehr Zeit bei uns verbringt.”
Ich rutschte etwas unsicher auf dem Polster herum. “Nicholas er…er war ziemlich neugierig.” Caleb sah mich von der Seite etwas schief an. Zum dritten Mal an diesem Nachmittag war ich froh um das Tuch über meinen Ohren. “Naja, auch er hat keine Glasaugen. Er hat nach dir und Ylvi gefragt”, ich seufzte tief, “ich weiß nicht wieso….ob ich angeben wollte, weil ich mehr weiß, oder einfach, um das Geheimnis nicht mehr nur allein zu bewahren. Ich hab ihm erzählt, dass ich euch beide in der Ebene beobachtet habe”, ich legte eine Hand über meine Augen, um seinem Blick auszuweichen. Doch meine Scham hatte mich dazu bewogen, ihm die Wahrheit zu sagen. “Ich hab ihn schwören lassen, es nicht zu verraten. Das wird er nicht. …er…er ist ein Freund.” Jetzt sah ich doch an meine linke Seite, suchte im Blick von Caleb nach Wut. Stattdessen musste ich ein schmales Lächeln auf seinen Lippen erkennen.
“Hast du bisher tatsächlich niemandem davon berichtet?”, sprach er überrascht. Ich verneinte ohne Worte seine Frage. “Bist ein feiner Kerl. Es ist in Ordnung, dass er es weiß. Sogar Louis weiß davon.”
Die Aussage ließ mich dann aber doch kurz nach Luft schnappen. “Wirklich?”
“Ylvi, ja…sie hat es mir erzählt.”
“Verwirrend wie er so ruhig bleiben kann. Ich meine, du hast ihn geschlagen …”, murmelte ich, ohne darüber nachzudenken.
“Nachträglich bin ich nicht stolz darauf.”
Ich zuckte die Schultern. “Du kannst es nicht mehr ändern – und trotz deiner Wut durften wir bleiben.”
“Junge, wann bist du so erwachsen geworden?” Caleb sah mich mit hochgezogener Augenbraue kurz an, bevor seine Aufmerksamkeit wieder der Straße galt. Ich machte mir eben um vieles Gedanken. Plötzlich gaben Caleb und auch mein Handy einen Ton von sich. Anhand meines Tones erkannte ich die Gruppe der Ranch. Ich zog es mir etwas ungelenk aus der Hosentasche, las kurz und musste dann schmunzeln.
“Dolly schreibt dann, dass du einen Zahn zulegen sollst, die anderen haben kein Bock ewig auf das Abendbrot zu warten”, feixte ich.
Caleb wedelte mit den Händen, Richtung der Uhr im Truck. “Wir haben noch eine Stunde Zeit!”
“Sei fair, sie kann ja nicht riechen, dass wir schon im Auto sitzen. Soll ich Cayce und Louis schreiben, sie sollen in 40 Minuten mithelfen, die Pferde zu entladen?”
“Keine schlechte Idee.”
Ich tippte also schnell eine Nachricht an Louis, kopierte diese, um sie dann auch direkt an Cayce zu verschicken. Louis gab nur einen Daumen als Antwort. Cayce schrieb ein “PferdE?” worauf ich nur mit einem schulterzuckenden Emoji antwortete.
Ylvi
Ich ließ die Palominostute langsam an den Zaun heran treten, schwang dann ein Bein über ihren Rücken, ohne den Bügel zu belasten, die rechte Hand hielt dabei beide Zügel und ruhte auf dem Knauf. Kurz sortierte ich Zügel und Haare in meiner Hand. Dann lobte ich Honor. Wir hatten es uns mehr und mehr zur Aufgabe gemacht die Pferde, die für die Ferienranch sein, sollten zu reiten. So wurden sie nicht nur an das Terrain sondern auch an unterschiedliche Reiter gewöhnt. Auf dem Plan hatte ich gesehen, dass sich Honor eine ganze Weile nicht bewegt hatte, daher hatte ich für den Ausritt heute auf sie zurückgegriffen. Ich drehte mich nach Louis um, blaue Augen schauten mir aus einem fast schwarzen Gesicht aufmerksam entgegen. Er hatte sich an einem seiner aktuellen Trainingspferde bedient. Skip war eine breitbrustige Blue Roan Stute mit auffallend blauen Augen. Auch sie sollte auf lange Sicht für die Ferienranch genutzt werden. Allerdings machte sie sich so gut am Rind, dass Caleb sie vielleicht doch lieber hier auf der Ranch behalten wollte.
Wir verließen die Einfahrt der Ranch Richtung Norden.
“Wann hast du vor Tschetan den Hut zu übergeben? Beim Abendessen später?”
“Puuh ich hab überlegt ihn einfach in sein Zimmer zu legen. Tschetan ist doch eher der Typ für wenig Aufmerksamkeit. Ich wollte keine große Sache draus machen.” Ich schob beim Denken leicht die Unterlippe nach vorn. "Tatsächlich wäre das wohl in seinem Sinne. Wobei ich bei der Entdeckung schon sehr gern sein Gesicht sehen wollen würde!"
"Vielleicht fragen wir Kaya später. Allerdings bin ich auch sicher Logan möchte seine Reaktion sehen. Daher wäre es nur fair das ganze doch beim Essen zu veranstalten?"
“Wo du gerade von Logan sprichst. Wie kommt es, dass er wieder hier ist? Hat er nicht zuletzt viel in der Reservationsschule unterrichtet?” Offenbar traf ich damit einen wunden Punkt, denn unvermittelt ließ Louis sein Pferd - harscher als nötig gewesen wäre - in einen flotten Galopp fallen. Ich ließ ihn gewähren. Für gewöhnlich würde er mir die Antwort auf meine Frage geben – eben in seiner eigenen Zeit. Wir galoppierten also schweigend über die Ebene, bis er Skip durchparierte. Ich gab darauf acht, dass meine Palominostute nicht ständig versuchte das hohe Gras zu fressen. Auch um mich davon abzuhalten, Louis erwartungsvoll anzuschauen. Nur durch den Schleier meiner offenen Haare sah ich ihn manchmal an. Es wirkte als sei er auf dem Pferd zusammengesunken.
“Ich hab mich die letzten Monate seinem Willen verwehrt”, sprach er, bevor wieder eine Weile Schweigen zwischen uns herrschte. Aber ich versuchte nicht zu bohren.
“Logan… er wollte, dass Tschetan, jetzt wo er älter ist, zurück in die Reservation kommt. Sie waren nicht glücklich, als ich damals die Entscheidung traf, mit euch nach Kanada zu ziehen – oder überhaupt Tschetan aus der Reservation zu holen”, er seufzte schwer, “die Hochzeit mit dir hat dem ganzen noch mehr Feuer gegeben.”
Ich konnte nicht anders als verwirrt das Gesicht zu verziehen, konnte nicht ganz alle Gegebenheiten miteinander verknüpfen. Das schien auch er zu verstehen.
“Weißt du, einige der Ältesten sind der Auffassung, dass einige mehr Wert sind, als Andere. Tschetans Vater war ein direkter Nachkomme eines bedeutenden Lakota, dessen Name dir ohnehin nichts sagt. Aber für unser Volk ist er von großer Bedeutung. Und auch Tschetans Mutter stammt aus einer … mhm … ‘reinen’ Verbindung. Das macht aus Tschetan, nunja … einige würden ihn wohl Vollblut-Native nennen.”
Ich schluckte. Die Worte und Gedankengänge erinnerten mich unweigerlich an Geschehnisse des dritten Reiches. Ich wusste, dass Amerika durchaus ein “Rassenproblem” hatte, dass es allerdings selbst unter den Natives ein Thema war, überraschte mich.
“Ich wollte Tschetan von all dem fern halten. Von den Problemen, die ich in meiner Kindheit hatte … und von diesem Denken. Deshalb hab ich mit voller Überzeugung dem Umzug nach Kanada zugestimmt. Logan hat die letzten Monate immer wieder gefordert, dass der Junge zurückkehrt. Aber solange er nicht volljährig ist, soll er sich auf andere Dinge konzentrieren. Logan bat darum, dass Tschetan den Sommer in der Reservation verbringt.”
“Ich finde das sollte er ganz allein entscheiden.”
“Ganz deiner Meinung. Logan war … weniger begeistert. Schwaffelte irgendwas von ‘ich würde den Jungen seiner Kultur entziehen’ … dabei vergisst er, dass ich ihm schon unsere Traditionen weitergebe. Noch schlimmer an der Sache ist, dass er Kaya völlig vergisst”, jetzt begann er sich fast in Rage zu reden, was ich sonst nur selten bei Louis erlebte, “es hat ihn beinahe nicht interessiert, dass sie mittlerweile spricht, was für eine aufgeweckte junge Erwachsene aus ihr wird.”
Frustriert warf er die Zügel auf den Hals und es sprach definitiv für die kleine Roanstute, dass sie völlig unbeeindruckt von seinem Gebaren blieb. Die Verwirrung hatte sich etwas gelöst, trotzdem kam ich nicht umhin eine weitere Frage zu stellen.
“Aber warum? Doch nicht etwa, weil sie ein Mädchen ist?”
“Noch viel trauriger…sie haben nicht beide den selben Vater.”
Überrascht sah ich Louis an, dass hatte ich bisher nicht gewusst. Es war für mich auch keine relevante Aussage. Offenbar hatten beide Väter kein interesse an ihren Kindern gezeigt, denn sonst würde sich nicht Louis um sie kümmern. Sie waren seine Kinder, daran gab es keinen Zweifel. Auf seltsame Art und Weise waren sie auch die Meinen. Zumindest schien sich ab und an etwas wie Mutterinstinkt in mir zu regen.
“Das bedeutet wohl, dass Kayas Vater keiner tollen Blutlinie entstammt? Das schmettert mich etwas nieder…ich dachte in eurer Community ist Rassismus kein Problem. Zumindest nicht untereinander. Schließlich kann ich mich da lebhaft an das Indian Relay erinnern.”
“Glaub mir, nach den Jahrhunderten der Nichtachtung sollte man meinen, es sei kein Problem. Aber in einigen älteren Kreisen ist es das leider. Ich selbst war in meiner Jugend davon betroffen … es hat mich, nunja etwas hochnäsig gegenüber anderen gemacht. Erst als wir die Reservation verlassen haben, da hab ich gemerkt, dass meine Ahnen außerhalb keinerlei Rolle spielen. Das möchte ich an die beiden weitergeben. Sie sollen ihr Volk und ihre Kultur kennen, sie lernen die Sprache der Ahnen. Beide sollen wissen, woher sie kommen. Gleichzeitig sollen sie aufwachsen wie alle anderen Jugendlichen auch. Offene junge Erwachsene werden.”
Ich trieb meine Stute etwas näher an Louis heran, stieß mit dem einen Fuß leicht gegen seinen Haken. Sein Blick hob sich in meine Richtung … ich lächelte ihn offen an. “Ich glaube das wissen beide sehr zu schätzen. Lass uns heute Abend mit Tschetan darüber sprechen…und auch mit Kaya. Ich finde beide sollen entscheiden, ob sie in die Reservation möchten für einige Zeit. Auch Kaya hat dazu ein Recht.”
Louis ließ die Roanstute anhalten, lehnte sich dann zu mir hinüber um dankend die Hand auf meinen Oberschenkel zu legen.
Caleb
Am Hof angekommen parkte ich den Trailer vor dem Hauptstall. Rocket und Romeo, die bei den Brixtons ebenso zusammengestanden hatten wie Vandal und Hero, würden auf zwei der stallnahen Paddocks untergebracht werden. Tschetan sprang aus dem Wagen und ließ sofort zur Laderampe hinter dem Hänger. Cayce lugte aus der offenen Stalltür heraus, ehe er sich die staubigen Hände an der Hose abklopfte und zu uns kam. Louis stand etwas weiter weg, gestikulierte und teilte mir so mit, dass er etwas anderes zu tun hatte. Ich nickte, winkte ab und sah ebenfalls ein Nicken, ehe er auf dem Absatz kehrt machte und in Richtung Bungalow joggte. Etwas fragend blickte ich ihm hinterher, schaute dann jedoch wieder zu Tschetan und Cayce, die bereits die beiden Quarter ausgeladen hatten.
“Vier Pferde?”, fragte Cayce verwundert und kratzte sich am Kopf.
“Keine Sorge”, lachte ich, “die sind nur zur Verfügung. Der Palomino ist Rocking Waves und der Rappe ist ein Percheron - Quartermix namens Fancy Like Romeo. Die könnt ihr zusammen auf den ersten Paddock links stellen, die kennen sich. Die anderen beiden, Vandal LDS und Heldentum LDS können auch zusammen. Am Besten auf den zweiten Paddock links.”
Während Cayce und Tschetan die beiden Hengste wegbrachten, betrat auch ich den Hänger und band Vandal los, führte ihn von der Rampe und band ihn kurz an der Seite an, damit ich auch Hero abladen konnte.
“In welchen Farbtopf is der denn gefallen?” Cayce starrte den Hengst ungläubig an, während Tschetan sich mit Vandal bereits auf den Weg machte.
“Das versucht das LDS in Schweden gerade rauszufinden. Der Kerl ist negativ auf alle Scheckgene.”
“Was du nicht sagst.” Cayce kratzte sich am Kopf, rückte seinen Hut wieder zurecht und schaute dann zu mir rüber. “Ich kam noch gar nicht dazu, dir Bescheid zu sagen. Ich hab Tate ausprobiert, hatte ihn mit zur Weide, wo wir die Kühe stehen haben. War ein bisschen holprig, der hat mich beim Reiten fast ins Bein gebissen. Er wollte einfach nicht nah genug ans Tor ran, damit ich es auf bekam. Musste dann sogar absteigen … beim Rausreiten hat es dann jedoch geklappt. Bei den Kühen ist er noch etwas ängstlich, aber ich denke, wenn ich da dran bleibe, könnte der was für mich sein.”
Ich lachte kurz, nickte dann aber vielsagend. “Tate ist einfach ein Pferd für eine Person. Dem tut das gar nicht gut, wenn die Reiter ständig wechseln. Hol den mal die nächste Zeit vorwiegend mit für die Rancharbeit und sag mir in ein paar Wochen nochmal Bescheid, wie er sich macht, ok?”
Cayce nickte. Am Paddock angekommen öffnete er uns das Gatter, so dass wir die beiden Junghengste hineinführen und loslassen konnten. Als wir wieder draußen waren und das Tor geschlossen hatten, setzte er erneut an: “Außerdem waren Louis und Ylvi heute den Zaun an den Nordhängen kontrollieren, so dass wir die Kühe bald umtreiben können. Da ist alles in Ordnung gewesen.”
Erneut nickte ich, ehe wir uns den Pferden zuwandten. Die beiden ‘älteren’ Hengste stürzten sich sofort auf das noch verbliebene Gras, während die beiden Jungspunde am Zaun auf und ab liefen und aufgeregt wieherten. Die Pferde der Ranch waren auf den Paddocks und Weiden so verteilt, dass die neuen Tiere sie nicht sehen, aber hören konnten. Ein paar der Tiere antworteten ihnen, nach kurzer Zeit allerdings fingen die zwei auch an zu fressen.
Als mein Handy vibrierte, zog ich es aus der Tasche und betrachtete den Bildschirm. “Dolly ruft zum Abendessen. Dann machen wir den Hänger gleich sauber und stellen ihn zur Seite – entweder wird er die Tage abgeholt oder wir fahren ihn nochmal rüber”, erklärte ich Cayce, welcher nickte und sich diese Information im Hinterkopf abzuspeichern schien.
Als Tschetan eine andere Richtung als wir anschlug, wandte ich mich ihm zu. “Kommst du nicht mit?”
Er schüttelte den Kopf. “Ylvi schrieb gerade, dass wir heute Abend drüben essen.”
Ich schaute ihn fragend an, kommentierte seine Aussage allerdings nur mit einem “Dann lasst es euch schmecken”.
Als Cayce und ich am Haupthaus ankamen, flog uns die Tür entgegen. Kaya stapfte ohne ein Wort an uns vorbei in Richtung des Bungalows.
“Die scheint nicht begeistert”, lachte Cayce und hielt mir die Tür auf. “Ich glaub Dolly hat eines ihrer Lieblingsgerichte gekocht. Da wäre ich auch beleidigt.”
Wir lachten beide kurz, ehe wir ins Esszimmer gingen und uns setzten.
Dort herrschte reges Treiben. Octavia erzählte wild gestikulierend von den Fortschritten beim Einreiten von Leuchtfeuer und den bequemen Gängen ihrer Scheckstute Kara, Bellamy unterhielt sich mit Laurence über Birk und Myrk, bei denen es mal Zeit wurde, sie tatsächlich mal an eine Kutsche zu spannen. Die beiden hatten bereits eine Menge Arbeit in die Tiere gesteckt, um sie optimal darauf vorzubereiten.
“Ich müsste sogar noch eine Kutsche haben”, mischte ich mich in das Gespräch ein und sah, wie sie sich mir beide schlagartig zuwandten.
“Oh echt? Das wäre super!”, sagte Bellamy direkt, wandte sich dann aber wieder Laurence zu und besprach das weitere Vorgehen im Training.
Unmerklich schüttelte ich den Kopf. Falls die zwei dann doch so weit wären, dass sie die Kutsche brauchen würden, käme das Thema auf, wo ich sie denn stehen hätte.
“Brian wie lief es heute mit deinen Trainingspferden?”
“Gut, gut. Hope war wie immer ein Schatz, die macht es mir so einfach. Plankton, Conti und Witch hatte ich nur im Round Pen. Conti kann ich ja eh nicht reiten, hab mich sowieso gefragt, wieso du sie mir eingeteilt hast?”
Ich klatschte mir die Hand an den Kopf. “Da habe ich mich verschrieben. Chico hätte da stehen sollen, nicht Conti. Hat den heute jemand bewegt?” Ich schaute in die Runde, alle schüttelten den Kopf. “Dann machst du den Morgen, ja?”
Brian nickte und sagte dann: “Becks und Moonie bin ich noch geritten … das waren meine für heute.”
“Gut, danke. Cayce wie hat es bei dir ausgesehen?”
Er überlegte kurz, kramte dann einen Zettel aus der Hosentasche. “Man muss ja organisiert sein”, grinste er, “Shorty hatte frei, Zues hab ich auch nur gefüttert, Courtesy hab ich auch nur auf den Paddock gebracht, da müssen wir mal dringend wieder nach den Hufen schauen. Berry hatte einen schlechten Tag, glaub der hatte noch gut Muskelkater vom Gelände gestern. Hab ihn nur locker eine halbe Stunde geritten. Saintly und Vulture hab ich im Round Pen laufen lassen, Benny war in der Führanlage. Bisschen Schritt und Trab. Sky und Cody bin ich beide geritten. War okay.”
“Alles klar. Und was hast…”
“Mister Caleb!”, ermahnte mich Dollys Stimme neben mir harsch. “Jetzt wird gegessen. Lasst den Tag hinterher Revue passieren, es wird doch alles kalt!”
In Laurence Lachen stiegen wenige Sekunden später alle anderen ein. Gerade als ich nach dem Topf greifen wollte, vibrierte mein Handy. Eine Nachricht von Ylvi, sie aßen drüben im Bungalow, sie mussten etwas mit den Kindern besprechen. Zunächst wollte ich die Nachricht nicht beantworten, schickte dann jedoch ein ‘Daumen hoch’ ab, ehe ich mich den Töpfen widmete.
Dolly nahm nun auch, neben Laurence, Platz und füllte sich ihren Teller.
Nach dem Abendessen begaben sich Cayce und ich wieder zum Trailer, um die Streu auszukehren und ihn innen sauber zu machen, ehe ich ihn schließlich zur Seite fuhr. Ich schaute noch einmal nach den Neuankömmlingen, erledigte meine Abendrunde und ging dann zurück ins Haus, um die Papiere der neuen Pferde in die richtigen Ordner einzuheften. Außerdem kümmerte ich mich noch um ein paar Rechnungen, die ich online begleichen konnte. Zwischen diesen fand ich ein Schreiben des Jugendamtes. Ich schluckte. Der Tod von Dell war schon ein paar Wochen her, der Besuch Ylvis und mir auf dem Jugendamt ebenso. Ich hatte die Tatsache, dass bezüglich Betsys Verbleib noch gar nichts geklärt war, zur Seite geschoben.
Mit zittrigen Fingern öffnete ich den Umschlag, atmete dann jedoch erleichtert auf. Ihnen fehlten lediglich ein paar Daten, um eine vollständige Akte anlegen zu können. Flink füllte ich das Formular aus, steckte es in einen neuen Umschlag und legte den Brief ins ‘zur Post’ - Fach.
Schließlich fuhr ich den PC herunter, ging ins Wohnzimmer, setzte mich auf den Sessel und schaltete den Fernseher ein.
“Hier steckst du.” Eine altbekannte Stimme ließ mich über den Sitz nach hinten schauen.
“Ich war bis grade im Büro, wo hast du mich denn gesucht?”
“Na im Stall. Da war aber schon alles dunkel. Hab Blue noch gute Nacht gesagt.”
Ich grinste. Sue stand im Moment nicht am Stall, dafür sagte sie Blue jeden Abend gute Nacht. “Ich wollte noch ein wenig fernsehen, bevor ich ins Bett gehe. Magst du mitschauen?”
“Was gucken wir denn?”, fragte mich Betsy, ehe sie sich aufs Sofa legte, dann jedoch wieder aufsprang und mich voller Enthusiasmus ansah, “es gibt einen neuen Pferdefilm. Da muss ein Stadtmädchen aufs Land zu ihren Großeltern und mag eigentlich gar keine Pferde. Aber da ist dieses eine Pferd, zu dem sie eine Verbindung hat. So wie ich zu Sue und…”
“Okay, okay … du hast mich überzeugt.”
Ylvi
Zu Kayas Missfallen hatten wir uns beim Abendessen vom Gelage drüben im Haupthaus entzogen. Louis und ich hatten beschlossen, in Ruhe bei einem gemeinsamen Essen mit den Kindern zu sprechen. Caleb hatte ich eine kurze Nachricht mit einer kleinen Erklärung gegeben. Ich wusste gar nicht so richtig, warum ich ihm das mitteilen wollte, doch es hinterließ ein weniger schuldiges Gefühl in mir zurück. Das fragile Band an Vertrauen, dass wir in den letzten Wochen aufgebaut hatten, wollte ich nicht zerstören.
Gemeinsam mit Louis stand ich in der Küche und fischte gerade ein triefendes Frybread aus dem großen Topf mit Öl. Der Teig war etwas anders, aber grundsätzlich versetzte mich das Gericht immer nach Deutschland auf Weihnachtsmärkte auf denen Langos verkauft wurde. Louis hielt mir den Teller hin, auf dem ich die große Scheibe Fladenbrot zu seinen Geschwistern legen konnte. In einer anderen Pfanne briet Karibufleisch. Ich war gespannt, wie es schmecken würde. Louis und Tschetan hatten das Tier vor einiger Zeit selbst geschossen.
“Rieche ich da etwa Frybread?”, verkündete Tschetan, als er barfüßig ohne Oberteil im Rahmen der Tür zur Küche stehen blieb. Seine Haare waren noch nass vom Duschen. “Brauch nicht zu lang, ist bald alles fertig. Ist Kaya schon hier?”
“Gerade zur Tür rein!”, verkündete ihre glockenhelle Stimme aus dem Flur. Ihr buschiger Kopf schob sich neben ihrem Bruder in mein Blickfeld. Ihr ganzes Gesicht war ein wenig staubig. Ich schob fragend die Augenbraue nach oben, kommentierte es aber nicht.
“Ist das Bad frei?”
“Geh nur, ich brauch nur ein T-Shirt.” Damit verschwanden beide Kids wieder aus dem Türrahmen.
“Ob sie schon wieder vom Pferd gefallen ist?”, fragte ich halb besorgt in Richtung Louis.
“Sie läuft, sie kann sprechen. Nächstes Mal wird sie vorsichtiger sein.”
Manchmal tat ich mich schwer mit der Art seines Volkes, ihre Kinder zu erziehen. Niemals wurden sie getadelt oder ihnen ihre Fehler vorgehalten. Also hatte ich mich dessen angepasst, kollidierte dennoch von Zeit zu Zeit mit den Grundsätzen, wie ich selbst aufgezogen wurde.
Keine 10 Minuten später versammelten wir uns alle um den Tisch herum. Darauf fanden sich mehrere Schalen mit Fleisch, Gemüse und einer Sour Creme. So konnte jeder selbst entscheiden, was er auf seinem Fladenbrot haben wolle. Da ich nicht genau wusste, wie wir das eigentlich ansprechen sollten, sah ich etwas zu Louis hinüber. Er beugte sich zu Boden. Mit den Worten “Bevor wir anfangen, hab ich da etwas für dich Tschetan.”
Der angesprochene schob mit dem Handrücken seinen Teller ein wenig aus dem Weg und zog halb ehrfürchtig den Karton zu sich heran. Sah dann von Louis zu mir. Langsam hob er den Deckel des Kartons an. Kaya streckte sich, obwohl sie den Hut bereits gesehen hatte. Nur schwer konnte sie das gespannte Grinsen verbergen. Tschetan spähte hinein. Schloss dann schnell den Deckel wieder, sah wieder von einem zum anderen. Schließlich machte er den Deckel doch sehr schnell auf. Sah hinab auf das was im Karton wahr. Seine Augen zeigten Unglauben. Glänzten aber, als er den Hut vorsichtig aus dem Karton holte. Dann schlug er sich eine Hand vor den Mund, als er unter dem Hut die große Feder sah. Um den Kiel war Leder gewickelt, kleine rote Perlen angenäht.
“Ist sie echt?” hauchte Kaya, sah dann zu Louis um seine Antwort zu sehen. Er nickte nur mit einem Lächeln.
“Tschetan, setz ihn auf, ich steck dir die Feder in den Lederriemen!”, ergriff Kaya wieder das Wort, während ihr Bruder Hut und Feder noch ehrfürchtig in der Hand hielt. Nur langsam erwachte er aus der Starre, setzte sich den Hut auf den Kopf, um ihn dann ein wenig zu neigen, damit Kaya ihm die Feder an den Hut stecken konnte. Als er zu uns herüber sah voller Freude und Stolz, konnte ich das Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Tschetan stand auf, umarmte erst Louis der sich erhoben hatte. Louis sprach Worte in Lakota die nur für den Jungen bestimmt waren, sonst hätte er sie in Englisch gesprochen. Anschließend umarmte Tschetan mich. Die Worte die er mir dabei ins Ohr flüsterte ließen mich völlig vergessen, das er mir danach einen Kuss auf die Stirn drückte. Dann schenkte er mir sein breites Grinsen, denn er wusste sehr wohl, wie sehr er mich aus dem Konzept gebracht hatte. Auch seine kleine Schwester bekam eine fette Umarmung. Während meine Gänsehaut noch anhielt, eröffnete ich das Essen. Wir ließen uns Zeit bis jeder seinen Teller befüllt hatte.
“Deine Feder stammt von Logan… damit verbunden ist eine kleine Bitte seinerseits”, fing ich an, doch Louis unterbrach mich.
“Tatsächlich kam es eher einem Befehl gleich. Er würde es ziemlich begrüßen, wenn wir zurück in die Reservation kämen. Den Wind habe ich ihm direkt genommen. Allerdings wollte er dich für die Ferien zurück nach Pine Ridge holen”, sprach er direkt an Tschetan. Der hörte erstmal auf mit dem Kauen.
“Wir haben allerdings beschlossen, euch beide einzuweihen”, fuhr ich weiter fort, “Louis und ich waren uns einig, dass ihr beide diese Entscheidung selbst treffen solltet. Ihr seid alt genug, um solche Sachen für euch selbst entscheiden zu können.”
Tschetan und Kaya sahen sich an. "Müssen wir uns jetzt entscheiden?", fragte Kaya etwas zerknirscht.
Ich schüttelte den Kopf. "Lasst euch das in Ruhe durch den Kopf gehen."
Caleb
Am nächsten Morgen, gleich nachdem ich aufgestanden war, versuchte ich es erneut bei den Züchtern von Benny. Ich hatte schon so oft angerufen, aber nie jemanden erreicht, ähnlich wie bei den Brixtons, nur dass ich nicht mal eben nach Montana fahren konnte.
So war es auch dieses Mal. Ich entschied mich nun dazu, ihnen eine E-Mail zu schreiben. Vielleicht wären sie darüber besser zu erreichen.
Tatsächlich dauerte es nur eine halbe Stunde, da ploppte eine neue Mail in meinem Postfach auf. Sie freuten sich darüber, dass ihr Thiz Bye Bye Bay nun in Kanada auf der Bow River Ranch stand und ich ihm die Zeit geben würde, die er brauchte, bevor er wieder in den Showring treten würde. Momentan hätten sie einige Jährlinge zu verkaufen, ich könne sie gerne einmal anschauen kommen. Um mir vorab schon mal ein Bild zu machen, waren der E-Mail Bilder der Pferde angehängt.
20 Stück um genau zu sein. Auf jedem Foto befand sich ein anderes Pferd.
“Die sehen ja toll aus.”
Ich zuckte merklich zusammen. Betsy stand neben mir und betrachtete die Fotos der Pferde. “Wie lange stehst du eigentlich schon da?”
“Seit du die Fotos aufgemacht hast.”
“Ich hab dich gar nicht kommen hören…”
"Hab's gemerkt.” Sie grinste mich an und zeigte auf das Foto eines Rappschecken. “Das ist hübsch.”
Ich schmunzelte, vergrößerte es und machte es wieder zu, um das Bild eines anderen dunklen Schecken aufzumachen. “Das ist aber auch toll.”
Betsy seufzte. “Die sind alle toll … huch guck mal, der ist ganz weiß! Run Outta Colour”, sie lachte, “der Name passt.”
Länger als gedacht blieb ich am Foto des weißen Hengstes hängen, las mir die Abstammung und die Farbgenetik durch. Schließlich seufzte ich. “Der ist taub. Durch die Farbe. Kostet auch nur einen Apfel und ein Ei, trotz der guten Abstammung.”
"Wenn's doch aber ein liebes Kerlchen ist …” Betsy zuckte die Schultern. “Wir sind jetzt übrigens los zur Schule. Bis später.”
Betsy wollte gerade den Raum verlassen, da stand ich auf und machte einen Schritt auf sie zu. “Schickst du Aimee grad noch her? Ich muss ihr noch was mitgeben für in die Stadt.”
“Ich kann das auch mitnehmen?” Betsy schien entrüstet.
Kurz musste ich überlegen, griff dann ins Fach ‘zur Post’ und steckte den Brief des Jugendamtes zwischen die anderen Umschläge. “Halt die gut fest und verlier keinen.”
“Jaja, tschau Cowboy.”
Ich schaute ihr noch eine Weile nach. So hatte sie mich lange nicht mehr genannt.
Nachdem ich den Züchtern von Benny ein paar Daten, an denen ich sie besuchen könnte, geschickt hatte, sah ich nach draußen. Dort buckelte Cayce mehr, als dass er ritt, mit Tate in Richtung Wald. Ich grinste in mich hinein. Ich gab den beiden noch zwei Wochen, dann waren sie ein eingespieltes Team.
Wenn er mit dem Rappschecken unterwegs war, würde Shorty heute wieder ein freier Tag auf der Koppel bevorstehen.
Ich widmete mich wieder meinem Bildschirm, beantwortete ein paar E-Mails und ging dann in den Stall, um auf dem Trainingsplan ein paar Änderungen vorzunehmen. Als Erstes musste ich in Cayces Spalte das Conti in Chico ändern. Die Stute trug ich in Aimees Spalte ein. Vielleicht würde ich Ylvi auch noch überzeugen können, die Stute ein paar Mal unter ihre Fittiche zu nehmen, so dass Aimee nicht gezwungen war, sie regelmäßig zu bewegen. Die Jugendliche war nicht bei mir eingestellt und half freiwillig bei den Pferden. Tschetan war ebenfalls kein Angestellter, dennoch schien er mit jeder neuen Aufgabe mehr Verantwortung zu übernehmen und über sich hinaus zu wachsen.
Dude, Ace, Barbie, Damon, Blue, Gangster, Batman, Till, Unitato, Champ; ging ich die Namen der Zuchthengste auf dem Trainingsbrett durch. Auf meinem Klemmbrett schlug ich eine Seite um und fand die Jungpferde vor, die ich ein wenig umverteilen musste.
Cayce kümmerte sich zusammen mit Brian und mir um das Einreiten folgender Pferde: Cat, Izzie, Sophie, Katie, Goldy und Joker.
Crystal trug ich bei Bellamy ein. Die Stute musste im Moment einfach nur regelmäßig locker bewegt werden.
Die restlichen Jungpferde: Atlantis, Mila, Queen, Rosy, Nora, Bailey, Elvis, Seth, Sugar, Soul, McDreamy und Dazzle standen noch immer nach Stuten und Hengsten aufgeteilt auf den Jungpferdekoppeln etwas abseits der Ranch. Die sechs Junghengste verstanden sich wunderbar und ich war froh, dass ich sie in Gesellschaft halten konnte.
Nach einem Blick auf Octavias Trainingsspalte war ich mir sicher, dass es gut war, dass die Vollblüter nicht mehr hier am Stall standen, sondern an der Trainingsbahn. Pria, Drama, Tigres Eye, Culain, Clyde und Filly, rief ich mir die Namen ins Gedächtnis. Noch von ihr hier am Hof standen Soul, die den gleichen Spitznamen hatte wie mein Appaloosanachwuchshengst, Nini, Cira, Moonie (die den gleichen Spitznamen hatte wie mein Red Dun Quarter Hengst), Hunty, Raspberry, Trooper und Shiner. Ich schüttelte den Kopf. Viel Arbeit für eine Person.
Ich zückte mein Handy und tippte eine kurze Nachricht an sie. >>Bin grad am Trainingsbrett deine Pferde durchgegangen. Für Prias Colourful Soul und Moonshine LDS musst du dir neue Spitznamen überlegen. Sonst verwechselt man die immer mit BR Heart N’ Soul und How ‘Bout Moonies<<
>Ich glaube DU musst dir neue Spitznamen aussuchen<
Seufzend rieb ich mir die Augen. Es war viel zu früh am Morgen, um mit ihr herum zu diskutieren.
Als mein Handy sich wieder bemerkbar machte, nahm ich es genervt aus der Hosentasche in die Hand, zog meine Augenbrauen dann jedoch fragend zusammen. Luchy Blackburne vom Whitehorse Creek Stud fragte, ob ich Cleavant zurücknehmen würde, da sie bei den Reitschulpferden ein wenig aussortieren mussten. Cleavant war zwar einer der Lieblinge, aber die Reitschüler wurden auch immer älter und größer, so dass viele von ihnen den Wallach gar nicht mehr reiten konnten.
Ich bedankte mich für die Nachricht und sagte ihr zu. Clay wäre eine gute Bereicherung für die Ferienranch – und da die Tiere sowieso im Offenstall standen, würden wir das mit seiner Allergie schon in den Griff bekommen.
Luchy antwortete mir, dass sie das Tier umsonst abgab. Ihr war es wichtiger, den Wallach in guten Händen zu wissen. Sie würde drüben alles fertig machen und ihn am späteren Nachmittag zu mir bringen. Ich konnte es kaum erwarten, denn der kleine Schecke war mir in guter Erinnerung geblieben.
Mein Weg führte mich nun zu den Ferienranchpferden. Mit Cleavant waren es mittlerweile 11 Tiere. Dizzy stand, so lange er noch Hengst war, bei den Junghengste drüben auf der Weide. Die Stuten Yumni und Sungila befanden sich seit einigen Wochen auf einem stallnahen Paddock, da Tschetan viel mit ihnen arbeitete. Die anderen Stuten Honor, Chou, Jade, Kristy, Shanee, Kiss und Layla waren auf einem gemeinsamen Koppelstück untergebracht.
Letztere wollte ich mir heute schnappen, um mit ihr zu den Fohlen und Stuten zu reiten. Auf dem Weg dorthin traf ich Bellamy, der Dakota am Strick führte.
“Unterwegs zum Ausreiten oder zum Training?”
“Ausreiten.”
“Hast du Lust mit zu den Stuten und Fohlen zu kommen?”
“Klar, treffen wir uns gleich hinten am Weg, der zu den Tieren führt?”
Ich nickte, “bis gleich.”
Bellamy und ich ritten eine Weile schweigend nebeneinander her, ehe ich ihn fragte: “Wie gehts dir eigentlich so?”
Er schaute mich schief von der Seite an. “Hast du mich gerade ernsthaft gefragt, wie es mir so geht?”, er schmunzelte, “was ist denn bei dir kaputt?” Er lachte und schüttelte merklich den Kopf, setzte dann zu einer Antwort an, bei der er durch Dakotas Stolpern unterbrochen wurde. Kota rappelte sich allerdings direkt wieder auf, so dass sein Griff ans Horn nicht von Nöten gewesen war. Bell räusperte sich kurz. “Mir gehts ganz gut, würde ich sagen.”
“Mmmhhmm”, kommentierte ich, um ihm noch ein wenig mehr zu entlocken. Es funktionierte.
“Drüben im Bungalow komm ich mit O super zurecht. Auch wenn sie morgens beim Duschen vieeeel zu lange braucht und es bei beinahe jeden Tag nur für eine Katzenwäsche reicht.”
“Dann musst du wohl früher aufstehen”, lachte ich.
“Früher aufstehen!”, prustete er los, “pah! Dann steht O auch früher auf und schmeißt mich wieder aus dem Bad.”
Ich musste lachen. “Frauen.” Um zur Stutenkoppel zu gelangen mussten wir einen kleinen Bachlauf durchqueren. “Ich weiß noch gar nicht, was die gute Layla hier von Wasser hält … geh du mal vor, Bellamy.”
Er schnalzte, gab Kotas Zügel vor und ließ sie einen Schluck des kühlen Nass trinken, ehe er sie sanft antrieb und sie den Bach durchquerten. Layla tat es ihnen, entgegen meiner Erwartung, gleich. Sie senkte den Kopf, schnupperte am Wasser, trat mit dem ersten Huf zunächst zögerlich hinein, ehe sie den Kopf hob und ihren Weg zügig fortsetzte.
“Man darf manchmal nicht zu viel drüber nachdenken.”
“Hm?”
Bellamy drehte sich zu mir um. “Na bei den Pferden. Manchmal macht man aus einer Mücke einen Elefanten, obwohl gar nichts ist. Trooper ist da so ein Kandidat. Ich helfe O ja beim Einreiten …”
“Ja, ich hab euch schon ein paar Mal gesehen”, warf ich ein.
“Der macht sich wirklich gut. Ich hab da auch schon ein paar Mal draufgesessen. So ein lieber Kerl – wenn man aus der Mücke keinen Elefanten macht. Trooper macht alles mit, ist neugierig und gelassen, einfach ein angenehmes Pferd. Macht man selbst aber eine Show und packt ihn panisch an … dann geht er da voll mit und du kannst die Arbeit mit ihm vergessen.”
“Das ist mir bisher gar nicht aufgefallen.”
“Wie auch, du hast ja nicht oft zugeschaut”, feixte Bellamy und trabte Dakota locker an. Ich tat es ihm gleich, um wieder zu ihm aufzuschließen. “Ich überlege ja, ob ich ihr den Hengst nicht abkaufe.”
“So?”
“Ich mag den. Finde er passt zu mir. Mir würde ein zweites Pferd ganz gut tun, neben Dakota … außerdem hat Cayce jetzt auch ein weiteres Pferd bekommen!”
Ich schmunzelte. “Ob Cayce Tate übernimmt stellt sich noch raus.” Wir parierten die Pferde durch, da wir an der großen Koppel angekommen waren. “Außerdem hätte ich bestimmt noch ein Westernpferd für dich, falls du eins übernehmen möchtest. Hmmm”, überlegte ich, welche Pferd er in der letzten Zeit des Öfteren trainiert hatte, “Hope zum Beispiel oder Plankton.”
Bellamy schien zu überlegen. “Hope soll doch ein Reitschulpferd werden oder auf die Ferienranch, hab ich gedacht?”
“Ich tendiere eher zum Reitschulpferd, für die Ferienranch haben wir schon so viele gute Pferde. Heute Mittag kommt noch eins dazu”, ich zog meine Antwort mit einer theatralischen Pause in die Länge, “Cleavant kommt zurück.”
“Der kleine Braunschecke mit den blauen Augen? Der mit der Allergie?”, fragte er neugierig nach.
“Genau der. Die Meisten von Luchys Reitschülern sind ihm zu groß geworden und zum Rumstehen ist er zu schade. Als sie mir eben schrieb, dass sie ihn abgibt, hab ich sofort zugesagt. Seine Allergie hat sie im Moment ziemlich im Griff, Luchy hat gesagt wenn er viel draußen steht und sich bewegt gehts damit.” Ich stieg vom Pferd und band sie außen am Zaun an. Candy und Devil waren nicht freundlichsten Genossen. “Und was ist mit Plankton?”, fragte ich dann, während ich Bellamy das Zauntor aufhielt und es hinter ihm wieder schloss. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg in Richtung des Waldstückes, in dem ich die Stuten vermutete – falls dort niemand war, würden wir sie am und um den Bach herum finden.
“Plankton ist auch ein nettes Kerlchen”, ergriff Bellamy wieder das Wort, “aber irgendwie passen die klassischen Westernpferde nicht zu mir, findest du nicht auch?”
“Auf Alan hast du immer gut ausgesehen!”, widersprach ich ihm, “vielleicht wäre nächstes Jahr Elvis oder Nora etwas für dich?”
Bellamy schüttelte den Kopf. Heftiger, als es nötig gewesen wäre. “Elvis braucht immer klare Regeln. Der testet in einer Tour. Außerdem ist er ein Sohn von Candy. Man muss sich das Leben nicht schwerer machen, als es ohnehin schon ist.”
“Eh”, unterbrach ich ihn, “der ist zwar von Candy, aber Alan ist der Vater. Der hat auch was zum Pferd beigetragen!” Das erste Pferd, welches ich sah, war Sue. Direkt daneben stand Rose, etwas abseits Girl.
“Das mag sein”, fuhr Bellamy fort und zeigte rechts am Wald vorbei, wo sich Candy und Devil aufhielten. Mit dabei stand Smartie, was ungewöhnlich war. “Aber Candy schlägt da mehr durch!” Er lachte auf. “Und Nora … ist zwar auch von Alan … aber Bella ist die Mutter. Und Bella ist die Mutter von Candy. Damit mach ich mir das Leben auch schwer.”
“Ach das ist doch Quatsch. Guck dir Izzie an! Die macht sich gut unter dem Sattel.”
“Bei dir vielleicht!” Bellamy war entrüstet die Arme in die Luft. “Mit mir macht die was sie will.”
“Vielleicht solltest du da mal an dir und deinem Auftreten arbeiten?”
Bellamy blieb mir eine Antwort schuldig. Easy und Gin kamen auf ihn zu und durchstöberten seine Westentaschen nach etwas Fressbarem. Während er umzingelt war, Elsa und Ginny gesellten sich ebenfalls zu ihm, hielt ich Ausschau nach den anderen Stuten und den Fohlen. Aquila, Magic, Lol, Crow, Tex, Stormy, Striga und Whiz. Das waren alle Stuten und Mutterstuten, die sich hier auf der Weide befanden. Wimpy, welche sich bei ihrer Mutter Devil befand, war bisher das Einzige Fohlen für dieses Jahr. Bei den anderen würde es nicht mehr lange dauern.
Die Jährlinge Siri, Rebel, Willa und Angel standen gemeinsam mit Miss und Lena am Hof. Nach einigen ganz erfolgreichen Trainingsversuchen war es Lena doch zu viel geworden. Sie war blind und verfiel bei den letzten Malen immer gleich in Panik, aus der sie sich nicht so schnell herausholen ließ. Ich hatte mich deshalb dazu entschieden, sie komplett aus dem Sport und aus der Arbeit zu nehmen. Sie verbrachte ihre Tage am Hof und schien damit sichtlich zufrieden.
“Weißt du was mir gerade einfällt?”, wandte ich mich wieder an meinen Begleiter. “Alaric. Das wäre ein Pferd für dich. Elena verkauft den gerade. 10 jähriger Friesenmixhengst, freundlich und aufgeschlossen. Sie hat mich gebeten, mich mal umzuhören.”
“Was ist denn da noch drin, außer Friese?”, fragte Bell mich interessiert.
“Das weiß ich leider nicht”, gab ich ehrlich zu, “aber der ist braun und nicht schwarz. Ich such dir gleich mal ein Fotos raus.” Gesagt, getan. Ich durchforstete mein Handy nach einem Bild des Hengstes, während ich immer wieder Pferdenasen vom Bildschirm wegschieben musste. Als Candy, Devil, Wimpy und Smartie mit angelegten Ohren auf uns zukamen, stoben alle anderen Stuten wie von der Tarantel gestochen davon. “Weiber …”, murmelte ich und hielt bei einem Bild des Braunen an. “Hier, guck.”
“Hübsch sieht er ja aus.” Bellamy streichelte Smarties Hals. “Seit wann gehört die eigentlich dazu? Und vor allem seit wann hängen Candy und Devil zusammen rum?”
“Da fragst du den falschen”, ich zuckte die Schultern, “keine Ahnung, wann das passiert ist. Es wundert mich genauso, wie es dich wundert … aber hast du gesehen, was für ein tolles Fohlen Devil und Blue bekommen haben? Wenn das mal keine Traumfarbe ist!”
“Sieht Siri ähnlich – also von der Scheckung.”
“Ja, ein wenig. Oh …” Ich rückte mir meinen Hut zurecht. “O schreibt gerade, Luchy ist mit Cleavant schon da. Sie warte aber solange, bis wir zurück sind.”
Zügigen Schrittes gingen wir zurück zu den beiden Pferden, die neugierig den Hals über den Zaun streckten, um sich mit den anderen Stuten zu beschnuppern.
“Lass dir das mit Ric und Plankton mal durch den Kopf gehen, Trooper kannst du dann ja immer noch dazu holen.”
“Ich denk drüber nach.”
Wieder auf der Ranch angekommen war Cleavant bereits ausgeladen und O unterhielt sich angeregt mit Luchy. Sie hatte den Wallach am Strick und ließ ihn am Rand eines Paddocks ein wenig grasen.
“Hallo Luchy!”, begrüßte ich sie freundlich, lenkte mein Pferd in ihre Richtung und stieg ab. Ich drückte es Bellamy in die Hand, der nach einer kurzen Begrüßung Luchys in Richtung Stalls verschwand. Ich schaute ihm kurz nach, ehe ich mich dem Wallach zuwandte.
“Hey Cleavant”, sagte ich die Hand ausstreckend und seinen Hals berührend. Der Braune hob den Kopf und musterte mich kurz, ehe er ihn wieder senkte und weiter fraß.
“Ganz verhungert, der Arme”, lachte Luchy und übergab mir den Strick. “Ich hab leider gar nicht so viel Zeit und müsste jetzt auch wieder los.” Sie ging nach vorne zum Transporter, klaubte einen Stapel Papiere vom Beifahrersitz und drückte sie mir in die Hand. “Da stehen auch seine letzten Behandlungen drauf, falls er einen Schub bekommt meld dich gerne, dann helf ich.”
Ich bedankte mich und wir winkten ihr kurz hinterher, während sie das Gelände über die lange Auffahrt verließ. “Na Kleiner, kennst du dich noch aus?”
Als wir in Richtung der Paddocks gingen, auf denen die Ferienranchpferde untergebracht waren, hob Cleavant zusehends den Kopf, wieherte und bekam immer mehr Antwort.
“Wo stellst du den denn jetzt hin?”, fragte mich O und lehnte sich an den Zaun, hinter dem die Stuten untergebracht waren. “Kannst ihn ja schlecht zu Dizzy stellen.”
“Nein, den muss ich erst kastrieren lassen … ich stell ihn jetzt hier nebenan auf den leeren Paddock und stell ihn dann die Tage zu den Stuten rein, der kennt ja die gemischten Herden.”
O nickte. “Ich bin dann mal nochmal rüber zu meinen, ich wollte mit Hunty gleich noch eine Runde ins Gelände.”
“Viel Spaß.”
Tschetan
Die Feder am Hut befestigt, den Karton eng an die Brust gedrückt und den Hut auf meinem Kopf schlenderte ich über den Hof. Die laue Nacht hatte sich über die Ranch gelegt, aber ich konnte noch nicht hinüber ins Haupthaus. Ich zog mein Handy heraus. Schrieb eine Nachricht. Löschte sie wieder. Dachte nach. Schrieb eine Zeile, nur um wieder alles weg zu klicken. Dann steckte ich das Smartphone wieder in die Tasche. Da pingte es.
>>Was schreibst du denn so lange?<<
Ich starte auf die Nachricht von Nicholas. Ertappt.
>Ich wusste nicht was ich schreiben soll.<
>>Vielleicht sowas wie - noch wach?<<
>Vielleicht.<
>>Was ist denn? Du bist doch sonst nicht karg an Worten?<<
Ich schlenderte hinüber in den Stall, schaltete das Licht ein, schoss mehrere Selfies. Sah mir alle Bilder an … um Nicholas dann ein Bild hinüber zu senden.
>>Scout! Wow, wo hast du den denn her?!<<
>Den haben mir Louis und Ylvi geschenkt….Louis hat mich damit quasi in den Bund der Männer aufgenommen. Große Sache für die Jungs meiner Ahnen. Ich bin noch ganz überwältigt.<
>>Gab's son richtiges Mannbarkeits-Ritual?<<
Ich schmunzelte und schaltete das Licht wieder aus, ließ mich aber in der Stallgasse auf den Boden sinken. Schrieb Nicholas von dem Essen, dem Frybread und erklärte ihm, wer Logan war. Das leichte Mahlen der Zähne des Pferdes hinter mir in der Box erfüllte dabei meine Ohren. Ich las nochmal was ich geschrieben hatte und schickte den Text mit dem Pfeil weg.
>>Klingt ehrlich gesagt ganz schön kompliziert mit Logan. Ich hab niemals gedacht, dass es innerhalb eurer Community solchen Rassismus gibt. Dieser ganze Kontinent hat ein arges Problem. Und Logan ist jetzt hier um, was? Dich und Kaya im "Lakota sein" zu unterrichten?<<
>Ich denke das ist Teil seiner Intention, ja. Allerdings hat er nicht vor, das hier zu tun. Er will uns unbedingt nach Pine Ridge holen für die Zeit der Ferien.<
Es brauchte lange, bis eine Antwort kam.
>>Darf er das so einfach entscheiden?! :O<<
>Nein. Louis und Ylvi haben deshalb das Essen gemacht. Sie lassen uns die Wahl, wir dürfen beide selbst entscheiden. Ich war erstmal zu perplex eine Wahl zu treffen.<
5 Minuten wartete ich auf eine Antwort. Nicholas schien lange darüber nachzudenken. Oder wie ich vorhin, seine Antworten immer wieder zu löschen. Schließlich standen dort nur 3 Worte.
>>Wirst du gehen?<<
Im Dunkeln erhob ich mich, presste den Hutkarton wieder an meine Brust, schlenderte durch die lange Gasse. Mit jedem Schritt abwägend. Doch eigentlich war die Antwort klar. Bevor ich die Schiebetür des Stalltraktes öffnete, tippte ich eine einzige Nachricht an Nicholas:
>Und mir den Sommer mit dir entgehen lassen?<
Bis ich oben in meinem Zimmer war, sah ich mir seine Antwort nicht an. Aber Nicholas hatte mir ein GIF geschickt in dem sich 2 Strichfiguren umarmten. Meine Augen blieben darauf hängen, sodass ich seine Antwort darunter erst gar nicht sah.
>>Die Pferde die wir trainieren, die geplanten Ausflüge mit allen. Ich seh es schon kommen! Das wird der Sommer unseres Lebens!<<
Ylvi
Ich lag im Dunkeln wach. Wälzte mich im Bett umher, drehte mich auf die andere Seite. Starrte wieder hoch an die Decke, spürte, wie die Muskeln in meinem Körper zuckten. Dann richtete ich mich auf.
"Ylvi, verdammt. Steckt da in deinem Inneren heute ein Wespennest?"
" 'tschuldige..Ich kann heute einfach keinen Schlaf finden."
"Gar nicht zu merken…", grummelte Louis halb verschlafen aus der Düsternis. Dann bewegten sich die Decken, ich spürte seinen Kopf in meinem Schoß. "Wenn du dich bewegen willst kannst du mir ja den Kopf streicheln?", brummte er. Ich musste auflachen. Manchmal verhielt er sich wie ein Stubentiger.
"Hast du vorhin mitbekommen was Tschetan gesagt hat?", leicht fuhr ich dabei durch den langen Haarschopf von Louis. Dieser antwortete nicht, aber ich spürte sein Kopfschütteln. "Ina… er hat mich Ina genannt als er sich bedankt hat. Dabei habe ich Kayas Gesichtsausdruck gesehen… sie schien einen Moment… erschüttert."
Ina war der Begriff für Mutter in der Sprache der Lakota. Tschetan hatte mich seine Mutter genannt. Ich wusste wie fluid die Verwandtschaftsverhältnisse in den meisten Indigenen Kulturen waren. Kaya und Tschetan hatten Louis schon immer Vater genannt, seitdem sie bei uns lebten. Doch nie hatte einer der beiden Kids mich als Mutter bezeichnet. So sehr mich die Bezeichnung vorhin zu Tränen gerührt hatte, so hatte ich die Bestürzung von Kaya gesehen. Ihr Schweigen und ihre verhaltene Art im Verlauf des weiteren Abends hatten mir gezeigt, dass sie verwirrt schien. Beim zubettgehen hatte ich sie darauf ansprechen wollen. Allerdings nicht gewusst, wie ich am besten anfangen sollte. Auch Louis meldete sich erst nicht zu Wort.
"Das erklärt ihre steinerne Art."
"Ob sie ihrem Bruder nicht zustimmt? Ob sie beleidigt ist?", fragte ich besorgt.
"Möchtest du denn Mutter von ihr genannt werden?"
"Nein… ich… will und kann ihre Mutter gar nicht ersetzen. Ich hatte doch mit Kindern nie Berührungspunkte bis zu den beiden. Mit ihrem Mutismus anfangs war es so schwer. Mit Tschetan war es einfacher, er war bereits ein junger Teenie als er zu uns kam." Ich hielt inne, starrrte nur in die Dunkelheit. Lange blieb es still.
"Vor einiger Zeit hatte ich ein Gespräch mit ihr darüber. Betsy hatte es angestoßen. Sie hat Kaya gegenüber erwähnt, dass sie Angst hat Dells Gesicht zu vergessen. Wie das ihrer Mutter. An dem Abend fand ich Kaya weinend im Bett. Hat mich ‘ne Weile gekostet ihr alles aus der Nase zu ziehen."
Louis richtete sich jetzt auf. Nur vage konnte ich seine Silhouette vor mir erkennen. Doch ich musste es auch nicht. "Sie macht grad eine schwierige Phase durch. Tatsächlich schiebt sich immer mehr dein Gesicht in die Erinnerung ihrer Mutter. Ihre eigene war nie da… und wenn sie da war, dann betrunken oder high. Kaya hat so wenige Erinnerungen an eine normale Mutter. Die einzigen guten Erinnerungen an eine Vorbildperson in ihrem Leben… das bist du. Sie hat, ähnlich wie Betsy, Angst, ihre wirkliche Mutter zu vergessen. Ich denke… heute Tschetan zu hören, wie er dich Mutter nennt, lässt sie denken, dass auch er seine Mutter längst vergessen hat."
"Sollte ich darüber mit ihr reden?"
Louis griff nach meiner Hand, strich über den Handrücken. "Ich denke das ist etwas, dass Kaya selbst für sich herausfinden muss. Falls sie Probleme hat, wird sie mit Tschetan darüber sprechen, oder mit Betsy. Versuch dir einfach nicht zu viele Gedanken darüber zu machen."
"Pfft.."
"Leichter gesagt als getan, ich weiß", lachte Louis sanft, dann zog er mich am Nacken zu sich heran. Unsere Lippen berührten sich zärtlich in der Dunkelheit und während seine Finger auf Wanderschaft gingen… klopfte es ganz leise an der Tür. Dann steckte Kaya plötzlich einen Kopf durch die Tür.
"Seid ihr noch wach?", flüsterte sie ebenso leise. Ich hörte Louis leichtes Auflachen, spürte seine Stirn an der Meinen. Unendlich langsam glitt seine Hand von meiner Brust.
"Nein Kaya, wir sind noch wach", flüsterte ich mit belegter Stimme.
"Darf ich bei euch schlafen? Mein Zimmer erscheint mir heute so leer."
"Rutsch rüber Louis!"
Dann kuschelte sich Kaya vorsichtig neben uns – da war ich wirklich froh um das große Kingsize Bett.
"Gute Nacht ihr beiden", flüsterte Louis, legte seinen Arm um Kaya. Seine Hand kam auf meiner Schulter zum liegen und streichelte die Stelle. Und mit diesem Empfinden auf der Haut und Kayas langsamer werdendem Atem in meinem Nacken fand auch ich endlich meinen Schlaf.
Cayce
“Und du sollst den jetzt ausprobieren? Schon vor dem Frühstück?”, fragte ich an Bellamy gewandt, der den dunklen Westernsattel auf den Rücken des braunen Hengstes legte. Ich erhielt nicht sofort eine Antwort, Bellamy schien mit dem Festzurren des Sattelgurtes beschäftigt. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand, sah ihm dabei zu, wie er sorgfältig die Länge der Bügel kontrollierte. Erst dann wandte er sich mir und Tate zu, der bereits fertig gesattelt darauf wartete, dass wir endlich los konnten.
“Caleb hat gesagt, ich soll dem eine Chance geben. Das mach ich jetzt. Aber ich habe das Gefühl, dass die klassischen Westernpferde nichts für mich sind.” Er lachte kurz auf. “Außerdem möchte ich, was du bestimmt schon mitbekommen hast, Octavia Trooper abkaufen.”
Ich zog die Augenbrauen nach oben. “Trooper, wer ist das nochmal?” Man konnte schließlich nicht alle Pferde hier mit Namen und Spitznamen kennen, vor allem nicht die Pferde von O.
“Der Palomino.”
Ich sah ihn weiterhin fragend an.
“Das Polopferd.”
Nun ging mir ein Licht auf. Natürlich. “Mir war sein Spitzname entgangen”, meinte ich schulterzuckend. “Den reitet ihr beide doch gerade ein?”
Bellamy nickte, zurrte die Trense fest und schien nun endlich fertig zu sein. Ich stieß mich von der Wand ab und verließ nach einem Nicken Bellamys zuerst die Stallgasse. Draußen gurtete ich nach, ehe ich mich in den Sattel schwang. Tate legte, wie immer, die Ohren an und kaute überaus genervt auf dem Gebiss herum. “Irgendwann werden wir zwei noch Freunde, Tate.”
“Hast du was gesagt?”, fragte Bellamy, der nun neben mir auftauchte und sich meinen Schecken genau anschaute. “Der sah auch schon mal freundlicher aus.”
Eine Antwort auf seine Frage blieb ich ihm schuldig. Stattdessen antwortete ich: “Der braucht einfach ein wenig. Du weißt doch, er hat es nicht so mit Umstellungen. Ich hoffe aber, dass er sich mit mir und unserer Arbeit anfreundet. Denn falls ja, geht er wohl in meinen Besitz über.”
“So?”, Bellamy horchte auf, “jeder braucht ein zweites gutes Pferd.”
Ich lachte. “Genau. Außerdem fehlt mir eins, was ich für mich ausbilden kann. Die Trainingspferde schön und gut, aber da ist alles festgelegt und geregelt.. mit Shorty kann ich machen was ich will und die Freiheit habe ich jetzt für Tate auch bekommen.” Ich schnalzte und wir gingen im Schritt los. “Also Bellamy, wo wollen wir hin?”
Er schien einige Zeit überlegen zu müssen, so dass ich Tate schon einmal in Richtung der Bungalows lenkte. Bellamy und Plankton folgten mir schweigend. Der dunkelhaarige machte eine gute Figur auf dem Hengst. Richtige Westernpferde standen ihm durchaus.
“Extreme Trail”, lachte er und trabte den Hengst neben mich. “Lass uns die Pferde einfach mal im Gelände so richtig testen. Plankton würde das gut tun. Außerdem könnten du und Tate euch besser kennen lernen.”
Ich nickte und trabte den Hengst an. Nach einem kurzen Schweifschlagen wurde der Schecke schneller und zog Plankton mit sich mit.
Hinter den Bungalows galoppierten wir die Pferde an und verließen das Ranchgelände durch den hinteren Wald.
Caleb
Beim Verlassen des Haupthauses setzte ich mir meinen Hut auf den Kopf und schloss die Tür hinter mir. Das Frühstück war gerade beendet, die Kids in die Schule und der Hof wie leergefegt. Von Cayce wusste ich, dass er und Bell mit Tate und Plankton unterwegs waren. Ich deutete es als gutes Zeichen, dass er den Wallach heute erneut ritt – und natürlich, dass Bellamy sich Plankton annahm.
Mein Weg führte mich zunächst zu Cleavant, der, wie auch immer er das geschafft hatte, nicht mehr auf seinem Paddock stand sondern sich munter unter die Ferienranchstuten gemischt hatte. Ich schüttelte den Kopf, fing ihn mir dennoch aus der Herde heraus und schaute ihn einmal von oben bis unten an, ob er sich etwas getan hatte. Mir fiel keine Schramme oder sonstige Verletzung ins Auge, so dass ich ihn wieder in die Herde entließ. Kurz kam mir ein Gedanke, den ich sogleich jedoch wieder verwarf. Conti würde die kleine Dude Ranch Herde mit ihrer Ponygröße durchaus bereichern, allerdings fasste sie so schwer Vertrauen, dass ständig wechselnde und unerfahrene Reiter gar nicht gut für die kleine Stute sein würden. Ich war froh, dass sie und Aimee so gut harmonierten, dieses Team wollte ich dadurch nicht zerstören.
Bei den vier anderen Neuankömmlingen schaute ich auch kurz vorbei. Hero und Vandal grasten friedlich, Rocket und Romeo betrieben gegenseitige Fellpflege.
Als ich Richtung Stall ging, sah ich Ylvi und Louis mit Futterschüsseln in Richtung der Jährlinge gehen. Unwillkürlich schaute ich ihnen nach, sah Ylvis angestrengten Gang, da sie sich wieder mehr aufgeladen hatte, als sie eigentlich tragen konnte.
“Du schaust sie schon wieder so an.” Laurence räusperte sich hinter mir.
Perplex drehte ich mich um. “Wie denn?”, war die erste Frage, die mir in den Kopf schoss.
“Oh Junge… so, wie man keine verheiratete Frau ansehen sollte.” Er machte auf dem Absatz kehrt und ließ mich verwirrt zurück.
So wie man keine verheiratete Frau ansehen sollte?
Diese Frage beschäftigte mich den ganzen Morgen. Meine fehlende Konzentration wirkte sich auch auf das Training der Pferde aus. Vulture baute einen Buckler nach dem Anderen ein – untypisch für ihn, das Thema hatten wir eigentlich ausdiskutiert.
Brian, der mit uns in der Halle war und Cody ritt, konnte wohl irgendwann nicht mehr Schweigen.
“Mensch Caleb, lass den doch vorne mal los. Der hat gar nicht die Chance, mal runter zu kommen wenn du den so festhälst.”
Ich grummelte etwas unverständliches vor mich hin, lockerte die Zügel ein ganzes Stück und ritt den Hengst auf dem Zirkel im Schritt. Heute war nicht der Tag, um schwierige Lektionen zu üben.
Als mir diese einfache Übung allerdings auch nicht gelingen wollte, sprang ich aus dem Schritt vom Pferd, nahm mir den Hut vom Kopf und fuhr mir einmal durch die Haare. Dann platzte ich mit der Sprache heraus: “Findest du auch, dass ich Ylvi mit einem Blick anschaue, mit dem ich sie als verheiratete Frau nicht anschauen dürfte? Laurence sagte das heute morgen zu mir und…”
“Ja.”
Völlig perplex starrte ich ihn an. “Ja? Mehr hast du nicht zu sagen?”
Brian hielt Cody neben uns an, legte die Zügel ums Horn und lehnte sich darauf, um sich ein wenig zu mir runter zu beugen. “Ja, ich finde, du siehst sie so an.”
Seufzend rieb ich mir die Schläfen. “Ich dachte, es würde einfacher werden.”
“Inwiefern?”
“Zeit heilt alle Wunden und so, du kennst doch das Sprichwort.”
Lachend schüttelte Brian den Kopf. “Ich habe eure Geschichte ja nicht hautnah erlebt, aber sowas heilt die Zeit bestimmt nicht.”
“Danke, für deine aufmunternden Worte”, murmelte ich und streichelte Vultures Hals.
“Du meinst: danke, für deine ehrlichen Worte.”
“Jaja, wie auch immer.”
“Und jetzt hör für den Moment auf, daran zu denken. Denk an Vulture und das, was ihr zwei heute noch erreichen wollte. Es bringt weder dir noch ihm etwas, wenn du hier und jetzt mit den Gedanken nicht bei der Sache bist.”
Damit hatte er Recht. Ich seufzte, gurtete nochmal kurz nach und setzte mich, ohne weitere Gedanken an Ylvi zu verschwenden, aufs Pferd.
Für den Rest unserer Trainingseinheit strengte sich Vulture besonders an, sodass wir zum Abschluss noch eine gemütliche, die Gedanken baumelnde Runde ins Gelände gingen.
Weit kamen wir allerdings nicht, da hörte ich hinter mir Hufgetrappel und ein: “Caleb, warte!”
Ylvi. Ich seufzte.
Ich setzte mich tief in den Sattel, streckte die Beine leicht vor und Vulture blieb stehen. Ylvi trabte mit Kiss auf meine Höhe auf, ehe sie die Stute in den Schritt durchparierte und auch ich meinen Hengst mit einem kurzen Schnalzen wieder antreten ließ.
“Hab gesehen, dass du raus gehst. Da dachte ich, ich schließe mich dir an.”
“Hm”, antwortete ich wortkarg.
“Hattest du keinen guten Morgen?”
“Doch doch, schon.”
Ylvi schwieg, schien zu überlegen, was sie als nächstes sagen sollte. Sie entschied sich jedoch dazu, zu schweigen und einfach stumm neben mir her zu reiten.
Schließlich, als ich mich gerade mit der Stille angefreundet hatte, sagte sie: “Wir haben Tschetan gestern den Hut gegeben und ihm von Logans Absicht erzählt. Er hat sich sehr über den Hut gefreut, möchte allerdings den Sommer auf der Ranch verbringen.”
Ich nickte. “So?”
“Kaya allerdings möchte in die Reservation und da haben wir, also Louis und ich, uns gedacht, ob Betsy sie nicht vielleicht begleiten möchte?”
Das war also der Grund, weshalb sie zu mir aufgeschlossen hatte. Ich überlegte kurz. Betsy würde Abwechslung mit Sicherheit gut tun. Kaya wäre nicht alleine, sie hätte ihre beste Freundin bei sich und Betsy würde endlich etwas zu sehen bekommen, was sie nicht ständig an ihren Vater erinnerte. “Von mir aus gerne, fragst du sie später?”
Ylvis Nicken nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, während ich weiter starr geradeaus schaute.
“Caleb, ist alles in Ordnung mit dir?” Ich vernahm einen Anschwung von Besorgnis in ihrer Stimme. Als ich gerade zu einer Antwort und einem gelogenen ‘Alles ist gut’ ansetzen wollte, hörte ich Cayces lautes Fluchen.
Ohne weiter über eine Antwort nachzudenken, galoppierte ich Vulture harsch an und lenkte ihn in die Richtung, aus der das Stimmengewirr zu kommen schien. Ylvi setzte mir ohne zu zögern nach, ehe wir zusammen bei Cayce und Bellamy ankamen.
Tate buckelte, mal wieder, was das Zeug hielt, während Cayce sich krampfhaft am Horn festzuhalten schien. Bellamy, der abgestiegen war und Plankton, der das ganze amüsiert zu beobachten schien, standen etwas abseits, während Cayce fluchend seine Runden drehte.
Ich warf einen Seitenblick zu Ylvi, die Cayce mit aufgerissenen Augen anstarrte. Schließlich fing ich schallend an zu lachen. Bells und Ylvis Blick flogen fragend zu mir rüber. Cayce warf zwischen seinen Flüchen ein “Nicht witzig” ein.
Als Tate meinem Vulture zu nah kam, quietschte dieser auf und schlug mit einem seiner Vorderhufe harsch auf den Boden. Das veranlasste Tate dazu, einen Satz nach hinten zu machen und das Buckeln augenblicklich bleiben zu lassen.
“Wie ich sehe, habt ihr zwei euch angefreundet.”
“Dieser dumme Gaul!”, fing Cayce an, schwang sich jedoch dann von dessen Rücken und sammelte sein Lasso wieder ein, welches sich an einem umgestürzten Baum verfangen hatte. “Beim ganzen bisherigen Ritt war der super, trittsicher, verlässlich, ein Musterschüler wie Plankton, der Bellamy übrigens extrem gut steht”, fing er an zu erzählen, “und dann werf ich das Lasso und die Sau fängt wieder an zu buckeln wie verrückt. Der macht das mit einer Ausdauer, die glaubst du nicht!”
Ich schmunzelte und entschied mich dazu, etwas Öl ins Feuer zu gießen. Cayce brauchte das manchmal. “Also bei mir hat der noch nie gebuckelt.”
“Nie gebuckelt!”, Cayce redete sich in Rage, “das glaubt man doch nicht! Nie gebuckelt… das kannst du wem anders erzählen, pah!”
Als Cayce sein Rope wieder aufgewickelt hatte, setzte er sich erneut in den Sattel, nahm die Zügel in die linke Hand und schwang das Lasso, um den Baumstamm erneut zu fangen. Tate stand da wie eine Eins, rührte sich nicht vom Fleck und spielte neugierig mit den Ohren.
“Ich weiß nicht, was du hast. Klappt doch.”
Cayce murmelte etwas Unverständliches, löste das Lasso und befestigte es wieder am Horn seines Sattels. Auf dem Absatz machte er kehrt und schlug den Weg Richtung Ranch ein.
“Ich glaube, ich sollte ihm folgen.” Mit diesen Worten trabte Bellamy ihm hinterher. Auf meine Frage, wie es denn mit Plankton klappte, zeigte er mir ein flüchtiges ‘Daumen hoch’.
“War es nicht etwas gemein, ihn so auszulachen?”, fragte mich Ylvi, als wir unseren Weg fortsetzten.
“Ach was, Cayce hatte doch alles unter Kontrolle. Außerdem buckelt Tate so nett, dass man sich gut auf ihm halten kann. Hat er bei mir auch schon.”
“Aber du sagtest doch…”
“Ja, sagte ich. Ich wollte Cayce anstacheln. Der braucht das, Tate passt zu ihm.” Schmunzelnd schaute ich zu ihr rüber. Möglichst darauf bedacht, sie nicht mit ‘diesem Blick’ anzusehen. “Wie gesagt, ich gebe den beiden zwei Wochen, dann gibt Cayce ihn nicht mehr her.”
Ylvi kicherte. Sie sah süß aus, wenn sie kicherte und… sofort wandte ich meinen Blick wieder geradeaus. Ich konnte so nicht fühlen – ich durfte so nicht mehr fühlen.
Ylvi
Ich 'bereute' direkt, als ich mit Kiss aufritt, dass ich Caleb hinterher geritten war. Es machte auf mich ein wenig den Eindruck, als hätte er lieber allein sein wollen. Auch meine eindringlichen Fragen ließen in mir den Verdacht erhärten. Nun hatte er mich allerdings an seiner Backe und nach der Begegnung von Cayce und Bellamy schien sich seine Art wieder ganz stark gewandelt zu haben. Ich konnte nicht umhin seine Reaktion… vielmehr seinen Blick auf mein herzliches Lachen zu bemerken. Seine plötzliche Starre, die darauf folgte. Nur schwer konnte ich das Seufzen unterdrücken. Was ich jedoch nicht verhindern konnte, war mein innerliches Zusammensinken im Sattel. Selbst Kiss bemerkte meine Starre, wurde ein wenig unruhig und rempelte dabei gegen Vulture, wobei beide Pferde unsere Knie zwischen sich einklemmten. Ich trieb Kiss mit dem Bein wieder nach außen, die Schamesröte in meinem Gesicht. Gern hätte ich meinen Hut tiefer ins Gesicht gezogen, allerdings trug ich keinen.
Wir waren so gut auf Kurs gewesen. Wieder eine Freundschaft zu formen. Ich hatte wirklich gedacht, das würde sich alles wieder in die richtige Richtung entwickeln. Doch mir waren Calebs Blicke nicht entgangen. Auch nicht das Tuscheln der Mitarbeiter. Gott! Noch viel schlimmer – Tschetan hatte gesehen, wie wir uns geküsst hatten. Mehr als einmal!
Ich räusperte mich: "Caleb denkst du daran, dass wir am nächsten Wochenende eingeladen sind auf den Geburtstag drüben auf der Ranch der Morrissons?"
"Hab ich noch im Kopf...", sagte er, dabei stur nach vorn schauend.
"Louis und ich haben uns darüber schon unterhalten. Ich hab sogar mit Dolly gesprochen. Was schenkt man denen?"
Caleb lachte auf, er hatte ebenso wie ich schon das Vergnügen gehabt dort drüben zu sein. "Tja, was schenkt man Millionären", murmelte er etwas … neidisch? Spöttisch?
"Ich bin mir sicher, die haben uns auch nur aus Höflichkeit eingeladen… oder um mit deren Prunk anzugeben?", erwiderte ich darauf.
"Hab ich dir eigentlich erzählt, dass sie versucht haben, Cayce abzuwerben?"
"Haben sie nicht!"
"Haben sie...", Caleb sah mich aus dem Augenwinkel flüchtig an.
"Arrogante Geldsäcke", grummelte ich überrascht.
"Hat deren Geburtstag wieder so ein dämliches Thema?"
Mit Grauen erinnerte ich mich an das Thema "Rom" aus dem letzten Jahr. Jeder Gast hatte eine lächerliche Robe tragen müssen. Alles war in weiß und Marmor gehalten worden.
"Pfft, DU hast dich letztes Jahr schön raus gehalten!" Dieses Mal ließ ich Kiss mit Absicht näher an Vulture heran, um Calebs Knie einzuklemmen. Dieses Mal jedoch schien der Hengst genervt und schnappte in die Richtung meines Reittieres. Caleb grinste mich verschmitzt an. Ich streckte ihm nur meine Zunge raus.
"Also, gibt es ein Thema?"
"Ich glaube 'Glamour' stand in der Einladung."
"Besteht also die Chance auf dich in Heels und Kleid?"
"Und dich ohne Hut?"
"Niemals!"
Ich schüttelte den Kopf und lachte herzhaft. Da war er wieder…Calebs treuer…verruchter Blick aus seinen blauen Augen, der auf mir lag. Würde es jemals einfacher werden, ihn um mich zu haben?
Caleb
Nach meinem Ausritt, unter der Begleitung von Ylvi, führte mich mein Weg wieder ins Haus. Die Züchter von Benny wollten mir mehr Bilder ihrer zu verkaufenden Jährlinge zuschicken. Weit kam ich allerdings nicht, denn mein Blick blieb auf Dolly hängen, die dabei war, die Regale im Wohnzimmer abzustauben. Als ich meinen Blick im Raum wandern ließ und schließlich an den Bildern auf dem Kaminsims hängen blieb, lächelte ich. Dort standen so viele schöne Erinnerungen!
“Oh Mister Caleb, ich habe Sie gar nicht kommen hören”, entschuldigte Dolly sich und wischte ihre Hände an der Schürze ab, nachdem sie von der kleinen Trittleiter abgestiegen war.
“Ach Dolly, wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst mich einfach Caleb nennen”, ich schmunzelte, kratzte mich jedoch verlegen am Kopf und trat weiter in den Raum hinein. “Ich habe mir gerade die Bilder auf dem Kaminsims angeschaut und festgestellt, dass dort viele schöne Erinnerungen ihren Platz gefunden haben.”
Dolly nickte, betrachtete ebenfalls die Bilder und sagte: “Es ist schön zu sehen, dass auch Betsys Eltern einen Platz hier gefunden haben.” Sie wandte sich wieder um, griff nach einem der Bücher und zog es aus dem Regal, um es auf den Tisch zu legen, damit sie dort wischen konnte. Dies tat sie auch mit den weiteren Büchern aus der gleichen Reihe.
Als sie beim letzten Buch angekommen war, flatterte aus diesem ein Foto zu Boden und kam mit der bedruckten Seite nach unten zum Liegen.
“Huch, so etwas…”, kommentierte Dolly das Herunterfallen und bückte sich, um das Bild aufzuheben. Auch ich machte einen Schritt auf sie zu, doch sie kam mir zuvor.
Sie hob das Foto auf, drehte es um und schaute es an. Mit einem warmen aber auch traurigen Lächeln sah sie zu mir hoch. “Sehen Sie selbst, Mister Caleb.”
Mit diesen Worten reichte sie mir das Foto. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, starrte eine ganze Weile auf die Erinnerung in meiner Hand. Zu sehen waren Verena, Chocolate, Nachtschwärmer und ich. In ihrer rechten Hand hielt sie den Hengst am Zügel fest, in der linken die Turnierschleife eines ersten Platzes. Sie grinste überglücklich in die Kamera. In meiner linken Hand hielt ich Fly locker am Strick, in der Rechten die Turnierschleife eines zweiten Platzes. Mein Blick richtete sich nicht auf die Kamera, sondern auf Verena. Er kam ‘diesem Blick’, mit dem ich Ylvi ansah, ziemlich gleich.
Ich seufzte und sah zu Dolly hoch. “Ich kann mich noch genau an diesen Tag erinnern. Wir sind in der gleichen Klasse gestartet, es gab nicht viele Teilnehmer … dennoch hat Verena mit Chocolate den 1. Platz belegt, während ich es mit Fly nur auf den 2. Platz geschafft habe. Das hat sie mir ewig vorgehalten!” Ich lächelte gequält und ließ meinen Blick wieder über die anderen Bilder schweifen.
“Es gehört auch hierher”, Dolly deutete auf den Kaminsims, “dieses Bild gehört auch dazu. Warten Sie, Mister Caleb, ich hole schnell einen Bilderrahmen!”
“Aber nicht doch, ich mach das schon …”, setzte ich an, doch sie hatte den Raum bereits verlassen. ‘Dieser Blick’, hallte es in meinem Kopf nach. Hatte ich Verena dieselben Blicke zugeworfen, die ich Ylvi jetzt zuwarf – jetzt wieder zuwarf?
Ich konnte keine weiteren Gedanken fassen. Dolly betrat das Wohnzimmer und hielt einen schwarzen Bilderrahmen in die Höhe. “Ich habe auf die Schnelle nur diesen hier gefunden. Mit seinem glänzenden Schwarz sticht er zwar wirklich aus den anderen hervor …” Sie griff vorsichtig nach dem Bild, welches ich ihr ohne zu zögern gab, entfernte die Verpackung und rahmte es mit flinken Fingern ein.
Nach einem letzten prüfenden Blick überreichte sie mir den Rahmen, drückte mir mütterlich die Hand und widmete sich dann wieder ihrer Arbeit.
Ich senkte erneut den Blick, lächelte, strich mit dem Finger über das Glas und stellte das Bild schließlich auf den Kaminsims. Es fand einen Platz direkt neben einem Bild Verenas mit ihrem geliebten Gipsy. Wehmütig drehte ich mich um und verließ das Wohnzimmer.
Als ich mich später durch die Fotos der Jährlinge klickte, blieb ich nicht lange alleine. Betsy gesellte sich zu mir, zog sich den Stuhl von Ylvis Tisch heran und setzte sich neben mich. Sie war noch immer begeistert von dem Pferd ‘ohne Farbe’, also dem Schimmel, der kein Schimmel war.
“Der ist so hübsch mit seinen blauen Augen, die sehen richtig feurig aus!”
“Die sind doch nicht rot…”, murmelte ich und vergrößerte das Kopfbild des Tieres.
“Wieso rot?”
“Na wenn er rote Augen hätte, könntest du sagen, die sehen feurig aus. Aber doch nicht mit dem schönen blau!”
Betsy zog einen Schmollmund, nahm mir die Maus aus der Hand, zoomte wieder aus dem Bild heraus und klickte das Vorherige an: “Aber guck doch, hier schimmern die ganz anders und sehen irgendwie … feurig aus!”
Nach genauerer Betrachtung musste ich ihr zustimmen. Auf diesem Foto sahen seine Augen wirklich … feurig aus. “Passt aber nicht zu seinem Charakter.”
“Hm?”
“Na die feurigen Augen. Laut Beschreibung ist der unglaublich mutig und geht auf alles unerschrocken zu. Er ist freundlich und neugierig. Aber leider eben taub.”
“Ich find ihn trotzdem cool!”
“Aber nicht für die Zucht, Betsy.”
“Du hast nicht gesagt, dass du eins von denen für die Zucht kaufen möchtest”, sie schien kurz zu überlegen, “du hast eigentlich noch gar nichts dazu gesagt … wieso schaust du dir die Pferde da überhaupt an?”
Ich lachte kurz auf. Betsy war ein Fuchs. Natürlich schaute ich mir die Tiere nicht einfach nur zum Spaß an. Benny hatte mich durch seine Farbe begeistert. Deshalb wollte ich herausfinden, was die Züchter noch so zu bieten hatten. “Ich guck mir die Pferde natürlich mit Kaufgedanken an”, beantwortete ich ihre Frage, “ob fürs Turnier oder die Zucht kann ich dir nicht sagen, aber vermutlich eher für die Zucht. Schließlich haben die ein paar echt schicke Farben … guck hier, der Rapphengst von heute Mittag. Sowas sieht man auch nicht alle Tage!” Ich vergrößerte das Bild des Rappsplashhengstes. Er war komplett weiß, besaß lediglich ein schwarzes Ohr.
“Ich mag das Feuerpferd”, kommentierte Betsy fast trotzig und klickte die anderen Fotos ohne großes Interesse durch. “Jap, ich mag das Feuerpferd.”
Grinsend schüttelte ich den Kopf. “Sag bloß …”, murmelte ich, schloss dann jedoch die Fotos und wandte mich ihr zu. “Hat Ylvi schon mit dir gesprochen wegen Kaya und Logan?” Betsy nickte. “Magst du mitfahren?” Wieder nickte sie.
“Ich freu mich wirklich schon drauf – ist nur schade, dass Tschetan nicht mitkommt.”
“Ja das ist wahr”, stimmte ich ihr zu, “allerdings bin ich schon etwas froh, dass er hier bleibt – in zehn Wochen Ferien kann er hier einiges mit anpacken.”
Betsy lachte scherzhaft auf. “Der Aaaaarme”, täuschte sie Mitleid vor, ehe sie sich erhob.
“Warte mal kurz”, ich stand ebenfalls auf und rückte meinen Stuhl an den Tisch, ehe ich ihren wieder an seinen Platz an Ylvis Tisch stellte, “wie lange seid ihr dann eigentlich weg? Die ganzen Ferien?”
“Ich bin mir gerade gar nicht sicher, das muss ich nochmal nachfragen.”
Ich nickte und warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Betsy folgte meinem Blick. Noch bevor ich etwas sagen konnte verkündete sie: “Zeit fürs Bett. Gute Nacht, Caleb.”
“Gute Nacht.”
Damit war sie verschwunden. Ich würde dran denken müssen, Louis oder Ylvi zu fragen, wie lange die Mädchen wegfahren würden – mit dem Hintergedanken, dass es Betsy vielleicht gar nicht erlaubt war, zu reisen. Schließlich war die Adoption in vollem Gange.
Ylvi
Obwohl mir die Augen bereits weh taten und ich immer wieder blinzeln musste, weil ich irgendwie drohte über dem Buch einzuschlafen, konnte ich mich gerade nicht losreißen. Allerdings konnte ich mir plötzlich ein Lachen nicht verkneifen… und ein gemischtes Aufstöhnen aus Lachen und Verblüffung. Ich streckte meine Knie aus, schüttelte den Kopf und ließ auch den Arm samt dem Buch auf meinen Oberschenkel sinken. Spürte wie das leichte Lachen meine Schultern zum Zucken brachte. Das war einfach zu absurd.
Mein Blick ging zu der großen Standuhr, sie zeigte gerade kurz nach 21 Uhr an. Das Pendel bewegte sich behende von einer zur anderen Seite. Dolly hatte sich bereits in Richtung Bett verzogen. Louis hatte noch in Calgary zu tun. Daher hatte ich mich noch nicht in Richtung des Bungalows begeben, sondern hatte nach dem Abendbrot noch ein wenig im Büro gearbeitet und war anschließend mit meinem neuen Buch auf der Liegelandschaft hier im Wohnzimmer versackt.
Plötzlich merkte ich eine kleine Bewegung am Rande meines Sichtfeldes. Als sich meine Augen scharf gestellt hatten, erkannte ich Caleb, der im Türrahmen stand. Für wie lange er dort wohl stand?
“Was liest du da? Scheint sich ja zu lohnen, wenn es dich zum Lachen bringt.”
“Och, wenn du eine Vergewaltigung, Fieber durch Infektion und das verfüttern des eigenen Haustieres amüsant findest”, sprach ich sarkastisch, allerdings erntete ich nur einen verwirrten Ausdruck von Caleb. Er kam näher, nahm das Buch aus meinem Schoß und blickte konsterniert auf den Titel.
“Das wird dir …”
“Die Töchter der Ilian” sprach er, in sehr holprigem Deutsch. Ich zog die Augenbraue nach oben.
“Ich wusste nicht, dass du Deutsch sprichst.” Caleb hob abwehrend die Hände, um dann mit hartem Akzent “Bisschen” zu murmeln. Um ihn nicht weiter zu Foltern wechselte ich wieder zum Englischen, einer Sprache die mir mittlerweile genauso einfach von den Lippen ging wie meine Muttersprache. Ich hatte nur ein Paket einer Freundin aus Deutschland erhalten. Eine meiner einstigen Lieblingsautorinnen hatte ein neues Buch geschrieben, das hatte sie mir mit deutschen Snacks zugeschickt. Ich musste gestehen, mir gefiel die Geschichte zunehmend immer besser. Ich nahm ihm das Buch wieder aus der Hand, legte einen kleinen Schnipsel als Lesezeichen hinein.
“Es scheint mir nicht um Pferde zu gehen.” bemerkte er.
“Tatsächlich nicht. Ist eher eine Fantasy Geschichte, als Jugendliche hab ich sie geliebt. Aber irgendwann hatte ich das Gefühl, nur noch dieselben Geschichten mit unterschiedlichen Namen zu lesen. Da bin ich eher auf Historisches umgestiegen. Außerdem hab ich da draußen genügend Pferde…ich muss nicht noch von lesen.” Das brachte Caleb zum Lächeln. “Um ehrlich zu sein…früher konnte ich nicht viel mit Büchern anfangen. Aber seitdem hier im Wohnzimmer die Wände immer mehr zur Bibliothek ausarten, habe ich mich schon für ein paar erwärmen können.” Ich folgte seinem Blick. “Ich fürchte tatsächlich, dass wir irgendwann eins der Gästezimmer einstampfen müssen, um für mehr Regale Platz zu finden. Dolly hat schon welche in das Esszimmer verfrachtet.”
“Ich fürchte, das ist auch nicht das einzige, was expandiert.” seufzte Caleb. Damit deutete er in Richtung des Kamins. Dort war mir bereits der neue schwarze Bilderrahmen aufgefallen. Erst jetzt trat ich näher heran, um mir das Motiv anzusehen. Caleb erkannte ich direkt, bei den Pferden war ich allerdings völlig verloren. Tatsächlich blieb ich auch eher an Caleb hängen...sein Blick. Etwas in mir versetzte mir einen Stich. Eine Mischung aus… Bewunderung und… ja wie nennt man es - Verehrung? Ein Blick voller Liebe. Das konnte ein blinder mit Krückstock erkennen. Er galt der jungen Frau neben ihm. Verena. Ich habe sie leider nie kennengelernt. Aber viele der Bilder hier auf dem Kaminsims zierten ihr Gesicht.
“Auf dem Turnier hat sie mich einfach in Grund und Boden geritten”, sprach Caleb neben mir in Erinnerung schwelgend.
“Ich hab mal einen Ritt von ihr und Gypsy auf YouTube entdeckt. Sie hatte wirklich ein Händchen für Pferde…”
Weißt du, wer mich sehr oft an sie erinnert?”, ich schüttelte den Kopf.
“Tschetan. Manche Dinge fallen ihm so natürlich in die Hand mit den Pferden. Ab und an hat der Junge zwar mehr Glück als Verstand. Aber sein Sinn für Pferde…ist dem von Verena wirklich verblüffend ähnlich.”
"Förderst du ihn deshalb so?”
“Das auch, aber auch um meiner wegen. Mich hat damals niemand gefördert, das kann ich jetzt alles zurückgeben. An Tschetan…an Kaya und auch Betsy. Großer Themenwechsel. Wie lang bleibt Kaya in der Reservation? Wir müssen morgen mal klären, wie lange Betsy überhaupt verreisen darf.”
“Tatsächlich eigentlich gar nicht. Nur mit einem Erziehungsberechtigten. Ich hab’ da im Laufe des Tages schon mit der Behörde gesprochen. Gerade da sie die Grenzen von Kanada verlassen. Deshalb hat Louis beschlossen, die Mädchen und Logan zu begleiten. Dann darf Betsy für eine Zeit von 2 Wochen das Land verlassen.” Ich steckte mir das geschlossene Buch unter die Achsel, sah dann von meiner Betrachtung der Kaminbilder zu Caleb. Sein Blick flackerte schnell in eine andere Richtung, schien sich neu zu sortieren und schaute mich dann direkt an.
“Da hast du schon wieder schneller an Dinge gedacht als ich”, seufzte er.
Ich klopfte ihm locker die Schulter und lächelte: "Das lernst du auch noch. Anfangs war ich als Adoptivmutter völlig überfordert.”
Caleb
Ich schnaubte. “Wäre sie ein Fohlen, wüsste ich, mit ihr umzugehen!”
Ylvi schüttelte belustigt den Kopf. “Gute Nacht, Caleb."
“Gute Nacht, Ylvi.”
Mit diesen Worten verließ sie den Raum – und schließlich das Haus, wie ich an der zufallenden Haustür hören konnte. Ich ließ einen letzten Blick über die Bilder schweifen. Aber natürlich!
Mein Weg führte mich – leise, denn Tschetan und Betsy schliefen ja schon, nach oben in mein Schlafzimmer. Dort öffnete ich einen Schrank und kramte mich durch einen Haufen Hemden und Hosen, ehe ich sie fand. Die Kiste mit Bildern, die ich wieder vom Kaminsims entfernt hatte.
Ich setzte mich aufs Bett, stellte die Bilderkiste neben mir ab und wischte einmal über den Deckel. Es hatte sich doch etwas Staub darauf angesammelt, so lange war sie nicht mehr geöffnet worden. Ich zögerte, hob dann jedoch den Deckel an und legte ihn kurzerhand neben die Kiste auf die Bettdecke. Keines der Fotos befand sich noch in einem Rahmen, weshalb ich einen Teil auf die Hand nahm und sie durchschaute. Pferde, Pferde und noch mehr Pferde befanden sich auf den Bildern.
Ich legte den durchgeschauten Stapel zur Seite und nahm einen neuen. Bilder vom Rodeo, Bilder von Louis und mir, von Verena, von Aaron und Alexis, von Bellamy und Octavia, von der Gips Reminder Ranch und schließlich, bei den letzten Bildern, von Ylvi und mir.
Mit zitternden Fingern griff ich nach einem Foto, in dessen Moment ich überglücklich gewesen war. Ylvi und ich auf einem Ausritt, ich lehnte mich zu ihr rüber und küsste sie, während sie das Handy hielt und ein Selfie schoss. Das nächste Foto war einen Moment später aufgenommen worden, als ich mich von ihr gelöst und sie mit ‘diesem Blick’ ansah. Wann war das passiert? Wann waren die Schmetterlinge in meinem Bauch zurückgekehrt? Ich hatte sie doch sorgfältig in die hinterste Ecke verbannt…
Ungeachtet der in der Kiste verbliebenen Fotos packte ich alle zurück, schloss den Deckel und stellte sie wieder in den Schrank. Seufzend fuhr ich mir durchs Haar. Länger als sonst strichen meine Hände hindurch. Die blonden Locken brauchten mal wieder dringend einen Haarschnitt. Am morgigen Tag würde ich Dolly danach fragen, es war nicht das erste Mal, dass sie mir die Haare schnitt.
Ich machte mich bettfertig und kroch unter die Decke. Wohlwissend, dass meine Gedanken wohl die ganze Nacht kreisen würden.
“Hübsch siehst du aus, Caleb”, zog Octavia mich zum wiederholten Mal auf und streichelte mir durch die kurzen Haare.
“Mensch O, kannst du deine Pfoten mal bei dir behalten?”, fuhr ich sie scherzhaft an und setzte mir den Hut auf den Kopf, bevor sie zu einer neuen Attacke ansetzen konnte.
Meine blonden Locken waren verschwunden, Dolly hatte sie ein wenig zu kurz geschnitten, allerdings passten sie jetzt wunderbar unter den Cowboyhut, welchen ich nicht ständig wieder nach unten drücken musste, weil die Locken ihn anhoben.
“Auf der Glamourparty kann ich mir richtig vorstellen, wie deine kurzen und gepflegten Haare deinen Look verschönern”, machte O weiter.
“Die Locken waren auch gepflegt…”, grummelte ich in meinen Bart hinein, erntete jedoch nur ein Kichern, in das Ylvi einstimmte. “Ach, du bist also auch ihrer Meinung?!”
Ylvi fuchtelte wild mit den Händen vor ihrem Körper herum, um mich zu beschwichtigen. “Neeeein, auf keinen Fall.” Ihr Grinsen verriet sie jedoch.
Betsy unterbrach das Gelächter, als sie mit ihrem Koffer gegen den Rahmen der Haustür rumpelte. “Ich helf’ dir, warte.”
Mit einem Satz stand ich vor der Tür, griff nach dem Koffer und hob ihn schließlich behände in den Kofferraum des Wagen.
“Ah, da kommt Louis auch schon mit Sue”, sagte Octavia, was mich herumfahren ließ. Nach einem kurzen Gespräch mit Louis hatten wir uns dazu entschieden, dass die drei eigene Pferde mitnahmen. Sue und Kiss waren schnell für die Mädchen gefunden worden, am Pferd für Louis hatte es allerdings gehapert. O hatte ihm Pria angeboten, doch als Tschetan sagte, er würde sich wünschen, dass er Sungila mitnimmt, war die Entscheidung schnell gefallen.
“Magst du sie reinführen?”, wandte sich Louis an Betsy und hielt ihr den Strick hin.
“Klar.” Sue ging wie immer grottenbrav auf den Hänger und ließ sich anbinden.
Wenig später kam Tschetan mit Sungila und Kaya mit Kiss. Beide Pferde wurden eingeladen und die Rampe geschlossen.
Betsy, die neben mir stand, legte ich einen Arm um die Schulter. “Jetzt heißt es wohl, auf Wiedersehen zu sagen", murmelte ich.
Betsy sah zu mir hoch und lächelte. “Zwei Wochen ist doch gar nix, die gehen soooo schnell vorbei, ich würde lieber länger fahren!”
Ich schluckte. “Betsy du weißt, die zwei Wochen ist das, was uns erlaubt ist und…”
“Ja, Caleb. Ich weiß.”
Wann war sie bloß so erwachsen geworden?
Ich umarmte sie einmal fest und spürte, dass ihr Druck, mich zu umarmen, dem Meinen ziemlich gleich kam. “Ich wünsche dir ganz viel Spaß, ja? Und du darfst dich ruhig zwischendurch mal melden!” Meine letzten Worte kamen fast einem Tadel gleich, aber Betsy wusste genau, wie sie gemeint waren.
“Wann immer ich Netz habe”, meinte sie allerdings schulterzuckend und löste sich von mir, um ihr Shirt zurecht zu ziehen.
Dann verabschiedete sie sich vom Rest der Truppe. Mein Blick flog zu Ylvi und Louis hinüber, die sich flüsternd unterhielten, während sie Kaya und Tschetan fest umarmten. Die Kinder lösten sich von ihnen, um sich nochmal kurz gegenseitig zu drücken. Als Ylvi und Louis zum Kuss ansetzten, wandte ich mich ab und sah Betsy weiter zu. Am Rande meines Blickfeldes konnte ich trotzdem den Kuss der beiden sehen. Verstohlen huschten meine Augen zu ihnen hinüber und ich registrierte den Wangenkuss. Bevor ich dies jedoch weiter hinterfragen konnte, zog mich Betsy an der Hand in Richtung Auto. Die anderen folgten uns.
Auch ich verabschiedete mich von Kaya, nickte Louis mit einem “Pass gut auf die Mädchen auf” zu und wollte mich gerade abwenden, als ich seine Stimme hinter meinem Rücken vernahm. Ich wandte mich ihm wieder zu.
“Caleb?” sprach Louis leiser in meine Richtung: "Hab du ein Auge auf Ylvi und Tschetan, ja?” Ich nickte… etwas verzögert. Hatte Louis gezwinkert? Nein, das musste Einbildung gewesen sein.
Durch die offenen Fenster winkend verließen die drei den Hof. Aus dem Augenwinkel sah ich Tschetan, der einen Arm um Ylvi legte, die sich leicht nach Halt suchend gegen ihn lehnte. Ich seufzte. Zu gerne würde ich den Platz mit ihm tauschen, Ylvi Halt bieten und… ja was eigentlich? Darüber musste ich mir endlich klar werden, auch wenn es eigentlich zu spät war. Oder gab es Hoffnung? Der Wangenkuss wollte nicht aus meinem Gedächtnis verschwinden.
“So”, riss O alle Anwesenden aus ihren Gedanken. “Du und du”, dabei zeigte sie auf Ylvi und Aimee, “wir fahren jetzt shoppen. Ich kenne einen Laden in Calgary, da finden wir genau das Richtige für die Party morgen Abend!” Sie wandte sich Tschetan zu und wollte erneut ansetzen, doch der suchte sofort das Weite.
“Gute Entscheidung, Tschetan”, rief ich ihm lachend hinterher, während er in Richtung der Stallungen joggte.
“Du wolltest den wirklich mit auf unseren Mädelstrip nehmen?”, grinste Aimee.
“Ach was, wir brauchen doch jemanden, der unsere Kleider und die Schuhe und den Schmuck trägt!”
Ylvi stöhnte auf.
“So schon mal gar nicht, Ylvi! Wir könnten… ähm Bellamy, du kannst doch bestimmt mitkommen?”
Doch Bellamy schüttelte den Kopf, zeigte auf Laurence und murmelte “Haben was vor”. Damit verschwanden die zwei in Richtung des Reitplatzes, gefolgt von … Dolly? Ich starrte ihnen hinterher.
“Caleb, dich frag ich erst gar nicht…”, murrte O, “obwohl es deinem Kleiderschrank durchaus gut tun würde, wenn du mit drei Frauen shoppen fahren würdest.”
Ich schüttelte den Kopf. “Habt ihr nicht gesehen, dass Dolly hinter Bellamy und Laurence her ist? Ich muss schauen, was die drei im Schilde führen… aber euch viel Spaß.” Ich zwinkerte den Damen zu und folgte Dolly.
Ylvi
“Das zieh ich auf gar keinen Fall an”, murrte ich durch den dicken Stoffvorhang. O’s Stimme kam nur gedämpft aus der Kabine rechts neben mir. “Komm raus, ich will es sehen!”
“Nein!”
“Sonst komm ich rein.”
“Sei nicht albern.”
“Komm schon wir sind unter uns”
Skeptisch sah ich auf das, was O’ mir rausgesucht hatte. Fetzen Stoff wäre der passendere Begriff gewesen. Es lag eng an meinem Körper. Machte mir bewusst, wie sehr ich in den letzten Jahren abgenommen hatte. Nur knapp bis unter die Rundung meines Hinterns reichte es. Was mich dazu veranlasste, es weiter hinunter zu ziehen. Diese Tat allerdings hatte zur Folge, dass deutlich mehr meines Ausschnitts zu sehen war als mir lieb war. Also zupfte ich alles wieder weiter nach oben. Seufzte erneut. Eigentlich war es hübsch… rot und schwarz. Mit roten Pailletten am Rand des Ausschnitts. Aber so verdammt KURZ. Ich war kein Teenie mehr!
“Wir warten”, flötete nun Aimee vor meinem Vorhang. Ich steckte nur den Kopf hinaus. Sah neben Aimee O’ stehen. In einem ganz ähnlichen Kleid wie auch ich trug. Sie streckte mir Höllenschuhe entgegen. “DAMIT ..”, ich ließ sie gar nicht weiter sprechen, “AUF gar keinen Fal.l”
Aimee stöhnte. “Ylvi shoppen macht mit dir keinen Spaaaaß. Du sollst sie ja nicht direkt tragen, aber mal anziehen!”
Shopping. Ich hasste es. Ich war schon immer der Typ schlicht und praktisch gewesen. O’ sah umwerfend in ihrem Kleid aus. Und ja, auch ich sah in diesem Kleid nicht schlecht aus. Mit dem Unterschied, dass sich O’ und auch Aimee in ihren Outfits unglaublich fühlten. “Ich seh aus wie verkleidet”, murmelte ich daher etwas deprimiert.
“Zieh die an, wir wollen ja nur mal ein Foto machen!”, ermunterte mich O’.
Ich streckte also den Arm durch den Vorhang, schloss ihn hinter mir und quetschte meine Zehen in die Schuhe. Sie waren hoch. SO HOCH. Mindestens 10 cm… plus dem komischen Plateau, das die Sohle dazu gab. Das waren Schuhe zum Sitzen. Nicht aber zum Stehen, geschweige denn zum Tanzen. Ich suchte ein wenig mein Gleichgewicht. Versuchte mich daran zu erinnern, wann ich das letzte Mal solche Schuhe getragen hatte. Meine Reitboots, die mir Caleb in New Mexico geschenkt hatte. Die waren seit Jahren das höchste an Absatz. Mit Wehmut dachte ich jetzt an meine Boots. Nervös seufzend öffnete ich dann den Vorhang. Machte ein paar unsichere Schritte in Richtung des Flures, der zu den Kabinen führte.
"Wow", hauchten beide Damen wie aus einem Munde, sogar eine Frau, die gerade die andere Kabine anvisierte, nickte mir aufmerksam zu. Sofort spürte ich Hitze in meine Ohren schießen. "Das ist viel zu kurz Leute, ehrlich."
"Aber du siehst so Hammer aus. Jetzt noch eine tolle Kette und Dolly, die dir die Haare macht. Du stiehlst allen die Show."
"Oder ziehst die Blicke auf dich", damit zwinkerte Aimee O' zu. Der Gedanke, was Caleb zu meinem Aufriss sagen würde, schoss mir durch den Kopf. Neben dem Gedanken, dass Aimee genau diesen Blick gemeint haben könnte. "Lass uns wenigstens ein Foto machen, ja?
“Ihr gebt ohnehin keine Ruhe, wenn wir keine machen.”
Es folgten also einige Selfies, Bilder nur zu zweit. Und tatsächlich konnte ich darüber hinaus sogar vergessen, in welchem Aufzug ich hier herumstand und posierte. “Okay, Kompromiss. Die Schuhe bleiben. Aber ein Kleid mit… naja etwas mehr Stoff,ja?”
O’ klatschte begeistert in die Hände. Ich warf mir fix meine anderen Klamotten über, behielt allerdings die Heels an, um ein besseres Gefühl für sie zu bekommen. Aufmerksam schaute ich mir die Kleider alle an. Man merkte deutlich meine Präferenzen… schwarz… oder rot. Allerdings hatten die Mädels bereits auf der Autofahrt beschlossen, dass ich kein rein schwarzes Kleid tragen sollte. Du gehst schließlich nicht auf eine Beerdigung. Die hatten wir wahrlich erst gehabt. Die Schwierigkeit für mich war, das Thema im Kopf zu behalten bei der Auswahl des Kleides. Aimee kam zwar 2x mit Kleidern, allerdings in einem schrecklichen Blauton. Dann sah ich ein Kleid an einer der Mannequin, die mitten im Laden stand. Es entsprach dem Vokuhila - vorn kurz, hinten lang. Der Rock war abgesetzt mit leichtem Spitzenstoff. Alles ab der Hüfte war eine feste Korsage, die auf dem Rücken geschnürt wurde. Die Träger gingen vom Ausschnitt nach oben. Waren allerdings eher Deko als nützlich. Bei näherer Betrachtung konnte ich sehen, dass sie sogar abnehmbar waren. Der Korsage Teil des Kleides war auch in roter Spitze gehalten, die Ränder waren abgesetzt mit schwarzen Glitzersteinen.
“Ich glaube du kannst aufhören zu suchen!”, hörte ich O’ durch den Laden brüllen. Dann stand sie neben mir, schaute mich an und sprach in normaler Stimmlage: "Ylvi hat sich entschieden.”
Aimee kam durch den Laden gehuscht, schaute auf das Mannequin vor uns. “YLVI! Korsage?!” Ich sah mit hochgezogener Augenbraue Richtung Aimee. Hörte ich da Verwunderung?
“Tjaa, meine Dame, als du noch in den Windeln gesteckt hast. Glaub es oder glaub es nicht. Bin ich gern in Korsage herumgelaufen. Neben den Pferden war Cosplay eine Zeitlang eins meiner Hobbies. Am liebsten als Steampunk!”
“Ganz neue Erkenntnisse”, murmelte O’ überrascht.
Ich hatte allerdings Glück. Das Kleid war noch in meiner Größe da, also musste die arme Verkäuferin es nicht der Mannequin ausziehen. Damit in der Hand verschwand ich nochmal in die Kabine, zog mich um. Brauchte allerdings die Hilfe von O’ um die Korsage zu schließen.
“Ich geb’s zu…das andere war sexy. Aber in dem da strahlst du richtig. Wahnsinn. Denen fallen die Augen aus. SO haben sie dich noch nie gesehen.” Ich zwinkerte O’ zu. An der Kasse bekam ich zwar einen kurzen Moment Schnappatmung als der Preis angezeigt wurde. Schließlich zückte ich aber meine Kreditkarte und zahlte einfach. Es gab sicher einen anderen Anlass an dem ich alles nochmal tragen konnte. Aimee schluckte auch ein wenig, allerdings hatte sie sich das Kleid so ausgesucht, dass sie auch beim Abschlussball an der Schule getragen werden konnte.
“Papa wird mich umbringen,” murmelte sie trotzdem in meine Richtung als O’ zahlte. Ich griff in mein Portemonnaie, schob ihr einen 100 Dollar schein zu.
“Es sind ja bald Ferien. Übernimm ein paar meiner Stalldienste und wir sind quitt, ja?” Schelmisch grinsend schnappte Aimee mir den Schein aus der Hand. Umarmte mich. Alles unbemerkt von O’.
“Heee… krieg ich etwa keine Umarmung?”, fragte diese prompt, als sie sich wieder zu uns drehte. Als Antwort boxte ich ihr einfach nur leicht in die Seite. Mit Tüten bepackt verließen wir den Laden wieder.
“Mädels, ich weiß ja nicht wie es euch geht. Aber mir hängt der Magen in den Kniekehlen”, sprach ich zu den beiden.
“Ich dachte, das erwähnt niemand!”, seufzte Aimee.
“Ich finde, die Ranch kann noch ein wenig länger auf uns verzichten.”
Caleb
Schon eine ganze Weile stand ich mit Dolly am Zaun und schaute Laurence und Bellamy dabei zu, wie sie Fahrübungen mit Myrk und Birk machten.
“Hat Bellamy schon gefragt, wo die Kutsche steht?”, fragte mich Dolly wie aus dem Nichts. Bevor ich ihr antworten konnte, starrte ich sie einige Sekunden an. Seit wann interessierte sie sich überhaupt für die Arbeit mit den Pferden?
“Nein, noch nicht”, antwortete ich ihr wahrheitsgemäß und fuhr mir einmal durch den kurzen Bart, “erwähnt hatte ich sie ja schon erwähnt aber…”
“He Caleb!”, rief Bell mir zu und kam mit Birk an den Zaun. “Wie sieht's eigentlich aus mit der Kutsche, ich glaub die zwei sind soweit.”
Dolly und ich wechselten vielsagende Blicke, ehe wir schallend zu lachen anfingen. Bellamys zielstrebiger Blick wisch Verunsicherung, doch als Dolly ihn aufklärte, lächelte er wieder.
“Ich kann sie aus dem Schuppen rausziehen, kommt ihr mit den Pferden da hin?”
“Ist das nicht noch zu gefährlich?”, fragte Dolly dann und ich fragte mich nun wirklich, was sie geritten hatte.
Mit hochgezogener Augenbraue sah ich zu Bellamy rüber, der uns in aller Ausführlichkeit erklärte, was Laurence und er schon alles mit den Pferden geübt hatten. Er fügte ebenfalls an, dass er sich ganz sicher war, dass es ein Leichtes für die beiden Pferde sei, nun eine richtige Kutsche zu ziehen.
Dolly wollte auf Laurence warten und mit ihm zusammen zum Schuppen kommen, so dass ich schon mal alleine vorging. Dabei nahm ich Cayce wahr, der mit Tate an der Hand in Richtung der Paddocks ging.
Als ich am Schuppen ankam, hörte ich hinter mir schon leises Hufgetrappel. Mit einem kleinen Knarzen um dem Gedanken, die Rollen unbedingt nochmal ölen zu müssen, schob ich das Tor zur Seite auf. Zum Vorschein kam eine kleine, unter einem großen weißen Tuch versteckte, schwarze Zweispännerkutsche.
Als die anderen bei mir ankamen, klatschte Dolly einmal verzückt in die Hände. “Los Mister Caleb, entfernen sie schon das Tuch!”, sprach sie aufgeregt.
Als ich kurz zu Laurence sah, der ruhigen Blickes Dolly dabei beobachtete, wie sie sich freute, ging mir ein Licht auf. Ich schmunzelte, zuppelte dann jedoch das Tuch von der Kutsche und zog sie mit Bellamys Hilfe, der den braunen Hengst kurzerhand in Laurence’ Hand drückte, ein Stück nach vorne.
Alles Zubehör zum Einschnallen der Pferde lag auf den Sitzen verteilt. “Eigentlich war sie aufgeräumt zurückgestellt worden… zumindest als ich sie das letzte Mal in Benutzung hatte.” Da dämmerte es mir. “Klar, ich hatte sie vor einer Weile mal an eine der Nachbarranches ausgeliehen für deren Fahrt zum 25. Hochzeitstag! Da muss ich nochmal ein ernstes Wörtchen mit ihnen reden!”
“Ach”, meinte Laurence jedoch beschwichtigend, “passt schon. Dolly, traust du dir zu, Myrk kurz festzuhalten? Dann kann ich dabei helfen, die Gurte zu sortieren.”
Dolly nickte unsicher, jedoch mit einem leichten Lächeln auf dem Gesicht. Während Bellamy zurückging um Birk festzuhalten und Laurence Myrk an Dolly überreichte, sortierte ich schon die Gurtungen und fing zwei Stapel an. Einen für Myrk und einen für Birk. Myrk und Birk. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Wenn das keine passenden Namen für zwei Kutschpferde waren, wusste ich auch nicht.
Laurence half mir und zu zweit war alles schnell sortiert. Beim Anlegen jedoch verließ Dolly der Mut und sie hielt mir den Strick hin. Mit einem Nicken griff ich danach und hielt den Hengst fest, während Laurence alles anlegte. Auch Birk machte keine Probleme, so dass wir die Tiere gemeinsam an die Kutsche spannten.
Laurence setzte sich auf den Kutschbock und nahm die langen Fahrzügel in die Hand. Bellamy und ich gingen jedoch zur Sicherheit, einer rechts und einer links, die ersten Meter neben den Pferden her.
Birk und Myrk machten einen großen Schritt nach dem anderen, als hätten sie nie etwas anderes getan!
Laurence hielt an, drehte sich nach hinten um und wank Dolly heran. “Dolly komm, genieß eine kleine Kutschfahrt mit mir!”
Bellamy setzte zum Widerspruch an, verstummte jedoch nach einem “Ssssshhht” und einem Grinsen meinerseits.
Langsam trat Dolly auf uns zu, ließ sich von mir und Laurence auf die Kutsche helfen und strahlte dann übers ganze Gesicht. “Wie in alten Zeiten!”, verkündete sie freudig. Laurence schnalzte, wackelte ein wenig mit den Zügeln und das ungleiche Pferdegespann ging wieder im Schritt los.
Bellamy und ich blieben zurück. Während ich vor mich hin grinste, starrte mein Gegenüber ihnen eingeschnappt hinterher.
“Ich wusste gar nicht, dass Dolly sich für Pferde interessiert”, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus.
“Tut sie auch nicht.”
“Wofür dann?”
Ich sah ihn verdutzt, aber auch verständnislos an. “Hast du das gerade ernsthaft gefragt? Mein Gott Bellamy, du brauchst dringend eine Freundin.”
“Haha, das sagt der Richtige.”
Ich ging nicht weiter auf seine Aussage ein, drehte mich nur um und schaute in den Schuppen. “Bist du jetzt irgendwo eingeteilt?” Bellamy schüttelte den Kopf. “Gut, dann kehr hier bitte mal durch, solange die Kutsche weg ist. Ich muss nochmal ins Büro.”
Auf dem Weg dorthin schaute ich auf mein Handy. In der Stallgruppe ploppte ein Foto nach dem Anderen auf. Gucken konnte ich allerdings keines, denn Vulture zog meine Aufmerksamkeit auf sich, der durch den Zaun gegangen war. Er hatte Cody allein gelassen und leistete nun Joker und Goldy Gesellschaft. “So war das aber nicht gedacht, Jungs…”, dachte ich und war froh, dass die Hengste sich nicht die Köpfe einschlugen.
Tschetan
Ich stöhnte etwas genervt. Eigentlich hatte ich mein Handy auf laut, um den Anruf von Nicholas nicht zu verpassen. Jetzt allerdings dudelte es in einer Tour - ich bekam quasi minütlich Live-Updates der Shoppingtour. Worunter auch die Zeit litt, denn ich hatte gefühlt erst die Hälfte der Boxen fertig, die ich normalerweise schaffte. “Aimee, so hätte ich auch mitkommen können!”, fluchte ich milde mein Telefon an. Es war ein Haufen Bilder gekommen. Ich sah nach oben. Wollte ich mir das wirklich geben? Drückte dann aber doch auf den Button mit dem Download, um mir dann erstaunt das Telefon und auch das Bild näher heran zu zu holen. Ylvi?! Ich konnte nicht umhin zu registrieren, wie mein Herzschlag bei der Betrachtung der Bilder kurz etwas anzog. Alle drei Frauen sahen gut aus, um nicht zu sagen… sexy. Ich verdunkelte den Bildschirm. Schüttelte den Kopf. Schaufelte fleißig scheiße in die Karre, nur um dann verstohlen noch einmal durch die Bilder zu gehen. Würde das Ylvis finales Outfit sein? Ich spürte, wie ein wenig Sorge in mir aufstieg. Der Aufzug würde unfassbar viele Blicke auf sich ziehen. Ganz besonders einen.
Viele meiner Klassenkameraden würden bei der Party sein. Schon in vorherigen Gesprächen hatte man Ylvi als “Milf” bezeichnet. Es war mir unangenehm, diese Worte zu hören. Der Umstand, dass Ylvi tatsächlich hübsch war… und im Grunde genommen auch gar nicht weit fern, altersmäßig von Leuten aus meinem Jahrgang, machte die Sache irgendwie nicht einfacher. Besonders da ich Ylvi wie meine Mutter sah. Ich beschloss, ein Argusauge auf sie und Aimee zu legen. Bryce würde auch da sein. Welche Gedanken ihm in Bezug auf beide Frauen durch den Kopf gingen, hatte er bereits allzu deutlich verkündet. Vielleicht sollte ich Caleb auch davon berichten? Wobei ich mir fast sicher war, dass er Ylvi ohnehin nicht von der Seite weichen würde.
Da Aimee sicherlich eine Antwort erwartete, ich aber nicht die Zeit für große Reden hatte, gönnte ich ihr einen Daumen nach oben. Schließlich hatte ich zu tun! Neben dem halben Stalltrakt standen noch einige Trainingspferde auf meiner Liste. Unter anderem hatte mir Caleb das Training des Trabers Vandal anvertraut. Zumindest war er heute morgen in meiner Liste gestanden. Neben dem Hengst Berry. Letzteren kannte ich zwar vom Namen, musste allerdings einen der anderen Fragen, wo der Kerl eigentlich untergebracht war. Dahinter in der Liste hatte “Körvorbereitung” gestanden. Bei Vandal war keine Info dahinter gewesen. Da musste ich mich mal erkundigen. War Vandal überhaupt eingeritten? Ich stockte, schickte fix eine Nachricht an Nicholas. Der konnte bestimmt bei der Frage helfen. Mit dem Vorhaben, mich jetzt wirklich nicht mehr ablenken zu lassen, widmete ich mich wieder der Box.
“Tschetan!”, ich drückte fest meine Kiefer aufeinander, griff den Stiel der Forke fester, drehte mich dann langsam auf dem Absatz um und sah die Person, die mich gerufen hatte, mit einem Pferd am Zügel auf mich zukommen.
“Cayce”, versuchte ich, weniger gegrummelt, über die Lippen zu bringen.
“Stell die Forke beiseite. Murphy hat die Scheißerei. Der ist mir beim Zaun abreiten keine große Hilfe. Sobald der mal vom Klo runter kommt, macht der deinen Dienst weiter. Hab ich mit Caleb geklärt.”
DAS allerdings war eine erfreuliche Nachricht. Ich stellte also die Forke an die Boxenwand, schloss die Tür, schnappte Cayce die Zügel von Shorty aus der Hand. “Meinetwegen kann Murphy gern länger die Scheißerei haben”, flötete ich.
Cayce warf mir einen skeptischen Blick zu.
“Natürlich tut er mir TOTAL Leid. Nicht schön sowas”, doch Cayce brach nur in schallendes Gelächter aus. Trotzdem war ich dankbar für meinen stabilen Magen. Während ich noch wartete, dass Cayce Tate fertig sattelt, las ich die Antwort von Nicholas.
>> Sorry, Anruf erst heute Abend. Paps schleift mich noch zu diversen Terminen. Aber: Vandal ist bisher ungeritten<<
Und schaute mir das Burger-Foto von Aimee an. Die würden also nicht so schnell wiederkommen.
“Fertig?” fragte Cayce. “Jap. Welche Zäune eigentlich?”
“Stutenweiden. Laurence hat gestern Abend nen Bären da rumschlendern sehen. Wir sollen mal schauen, ob der Zaun intakt ist. Das Signal vom Strom im Haupthaus ist ausgefallen. Verdammt praktisch dieses Wlan Gelumpe. Habs ja anfangs für Unfug gehalten. Tatsächlich spart man sich aber das tägliche Abreiten der Zäune und hat deutlich mehr Zeit für andere Sachen.” Ich schmunzelte in mich hinein und spürte Stolz, denn ich wusste, die ganze Technik hatte Ylvi Caleb angeleiert. Tatsächlich gab es mittlerweile 3 Ranches in der Umgebung, die das System auch bereits nutzetn. Zusätzlich hatte sie angefangen eine App zu schreiben. Sie nahm sich dabei die Zivilisten zur Hilfe. Dafür hatte sie auch ein Wort gehabt, aber gemerkt hatte ich es mir nicht. Abgeschaut war das System von Wal-Websites. Diese nutzen Zivilisten, um Walsichtungen zu markieren. Jeder, der einen Wal fotografiert hatte, konnte auf einer Website die Bilder einschicken. Dort verglich man die Parameter der Wale und konnte so die Routen einzelner Individuen nutzen. Ylvi hatte vor, das für Predatoren in der Umgebung zu machen. Im Frühjahr hatten wir einige Kälber und auch fast ein Fohlen an einen Bären verloren. Zwar waren die Zäune verstärkt worden, aber Alcatraz konnten wir auch schlecht bauen. In der App würde jeder Nutzer auf einer Landkarte die Sichtung von Bären, Wolfsrudeln und auch anderen Wildtieren registrieren können. So konnten Rancher in der ganzen Umgebung dies für sich nutzen. Noch hatte sie die Arbeit daran nicht fertig. Aber wann immer sie Zeit hatte, steckte sie ihre Energie da hinein.
“Caleb hat sich erst geziert. Aber das System hat sich wirklich bezahlt gemacht”, bestätigte Cayce. Nach dem langen Anfahrtsweg der Ranch wandten wir uns nach rechts. Es war erst früher Mittag, aber langsam zog die Sommerhitze ins Land. Sie brutzelte vom Himmel hinab. Unter meinem Lederhut spürte ich, wie sich der Schweiß sammelte. Dennoch war ich dankbar für den Sonnenschutz. Ich zog ihn mir etwas weiter in die Stirn.
“Kleiner Galopp? Noch ist der Weg eben?” fragte ich Cayce, der allerdings keine Antwort gab und direkt im Galopp los schoss. Angeber!
Aimee
Mit einem leisen “Uff” ließ ich mich auf die Couch des Bungalows fallen. Wir hatten tatsächlich noch den ganzen Nachmittag in Calgary verbracht. Ylvi musste noch zur Bank und was auf der Post abgeben, O noch hier und da und nirgendwo einen Abstecher machen. Schlussendlich flirtete sie mit der Bedienung der Eisdiele, in die zunächst nur Ylvi und ich uns verzweifelt verzogen hatten, weil uns die Beine weh taten.
Mein Kopf pochte und ich massierte vorsichtig meine Schläfen. Wie gerne würde ich mir ein heißes Bad einlassen, doch leider besaß der Bungalow keine Badewanne – und Calebs konnte ich schließlich schlecht benutzen. Alleine traute ich mich so eine Aktion auch gar nicht, beim letzten Mal war O es gewesen, die die Aktion in Gang gebracht hatte.
Die Tür des Bungalows öffnete sich und mein Dad kam herein. Er sah ziemlich geschafft aus.
“Was hast du denn gemacht?”
“Ich musste beim Boxen misten helfen. Murphy hat irgendeinen Infekt oder sowas, der war heute nicht zu gebrauchen und kam kaum von der Toilette runter. Später, als es ihm etwas besser ging, habe ich gesagt, er soll gehen und sich ausruhen, er würde sich schon irgendwann revanchieren können.”
“Oh, ich hoffe, es breitet sich nicht aus – was auch immer er hat!”, Mitgefühl schwang in meiner Stimme mit. Er tat mir wirklich Leid, sowas wünschte man niemandem. “Gehst du duschen?”, fragte ich dann an meinen Dad gewandt und gähnte einmal kurz.
Er nickte mir zu, legte eine Hand an seinen Nacken und ließ den Kopf kreisen. “Bin ich gar nicht mehr gewöhnt, diese Art von Arbeit”, er lachte kurz, “was steht bei dir heute noch auf dem Plan? Hast du ein schönes Kleid gefunden?”
Ich seufzte. “Oh ja! O ist wirklich eine gute Hilfe beim Shoppen. Leider nur sehr anstrengend”, ich lächelte ihn an, doch dann schaute ich ein wenig gequält drein, “ich würde soooo gerne ein heißes Bad nehmen, aber unser Bungalow hat ja keeeeeeine Badewanne.”
“Frag doch Caleb, ob du eine im Haupthaus benutzen darfst. Da gibts ja ein paar Badezimmer, ich glaube drei. Eins davon wird mit Sicherheit eine Badewanne haben – abgesehen von Calebs.”
“So?”, fragte ich erstaunt. Ich kannte mich nicht wirklich gut im Haupthaus aus.
“Frag ihn einfach.” Damit verschwand mein Dad im Bad und ich hörte kurze Zeit später den Strahl der Dusche.
Mir wurde ein klein wenig Flau im Magen. Sollte ich Caleb wirklich fragen gehen? Was, wenn er nein sagte oder mich komisch anschaute? … Wieso sollte er mich komisch anschauen? Man Aimee, gib dir einen Ruck!
Ich stand auf, stopfte alles, was ich drüben brauchen würde inklusive neuer Kleidung in eine Tasche und ging rüber zum Haupthaus. In der Küche und im Wohnzimmer war niemand, so dass ich es jetzt für besser hielt, auf mich aufmerksam zu machen: “Caleb?”, rief ich einmal in gemäßigtem Ton. Verwundert über eine direkte Antwort, dass er sich im Büro befand, ging ich zu ihm rüber – das Flattern in meinem Bauch wurde stärker.
“Hey, was gibts?”, Caleb sah von seinem Unterlagenchaos auf. Irgendwie saß er immer im Chaos, wenn er sich im Büro befand.
Länger, als es mir selbst bewusst war, schien ich auf den Schreibtisch gestarrt zu haben, denn ein fragendes “Aimeee?” lenkte meinen Blick nach oben auf den blonden Mann, der mich überaus neugierig anschaute – oder starrte? Jetzt schaute er mich ja doch komisch an!
“Ich… ähm…”, stammelte ich und schalte mich innerlich, dass ich immer zu stammeln anfing, wenn ich mit ihm sprechen musste. Aimee reiß dich zusammen verdammt! Ich schluckte und setzte erneut an: “Brian hat gesagt hier im Haus in einem der… Badezimmer gibts eine Badewanne, ich soll dich fragen, ob ich… eine benutzen darf.” Uff…
Caleb lächelte. “Klar. Allerdings funktioniert das Warmwasser hier unten gerade nicht, aber wenn du keine Stunden brauchst, kannst du die oben bei mir benutzen, die kennst du ja bereits."
“Ja, dein großes Ding kenn ich schon.” Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Caleb grinste mit hochgezogener Augenbraue, während ich mir die Hand vors Gesicht schlug. Das war alles O’s Schuld, die mit diesem Begriff um sich geworfen hatte. “Ich…”, stammelte ich, murmelte ein “Danke” und machte auf dem Absatz kehrt, um die Treppe hoch zu hechten, ins Bad zu laufen und die Türen zu verschließen, ehe ich mich an einer davon zu Boden sinken ließ. Peinlich, Aimee. Peinlich.
Als ich mich nach einer Weile jedoch ins warme Wasser sinken ließ war das flaue Gefühl im Magen und die peinliche Aktion von eben vergessen. Wohlige Wärme umströmte meinen Körper und meine Beine hörten auf, von der ganzen Rennerei, weh zu tun.
Im Bad befand sich eine Uhr, die so leise tickte, dass ich mich wirklich genau konzentrieren musste, um sie zu hören. Immer wieder huschte mein Blick verstohlen auf die Zeiger, sodass ich das Bad trotz der angenehmen Wärme doch nicht so genießen konnte, wie ich es gerne getan hätte. Seufzend zog ich den Stöpsel, stand auf, trocknete mich ab und zog mich wieder an. Eine dreiviertel Stunde hatte ich nun hier verbracht – noch weit weg von ‘stundenlang’.
Ich schloss die Türen wieder auf, öffnete ein Fenster zum Rauslassen des Dampfes und ging wieder nach unten, wo ich Caleb ein flüchtiges “bin wieder weg” zuwarf, ehe ich zurück zum Bungalow ging. Auf dem Weg dorthin sah ich Tschetan am Stall auf einer der Bänke sitzen. Ich wank ihm kurz zu, zeigte auf meine Tasche, in Richtung der Bungalows und dann wieder auf ihn. Er nickte und zeigte von sich zur Bank und schließlich zu mir. Nachdem ich ihm ein Daumen hoch gegeben hatte, brachte ich meine Sachen in mein Zimmer, hängte das Handtuch zum Trocknen auf, föhnte mir meine Haare beinahe ganz trocken, nahm mir ein Päckchen Gummibären und verließ den Bungalow, um zu Tschetan zu gehen. Für mich behielt er seinen Namen bei, auch wenn ihn Nicholas fast nur noch Scout nannte. Tschetan war für mich Tschetan. Meinen Versuch, ihn einfach ‘T’ zu nennen, hatte er abgeschmettert, es gab bereits eine Person am Hof, von deren Name nur noch ein einzelner Buchstabe übrig geblieben war, das genügte seiner Meinung nach.
“Hey.”
“Hey”, antwortete ich freundlich und setzte mich zunächst neben ihn auf die Bank.
“Was hast du ihm Haus gemacht?”
“Wenn du wüsstest”, lachte ich verlegen und hielt ihm die mittlerweile aufgerissene Packung Gummibären hin, von denen er sich ein paar nahm. “Ich wollte heute nach einem unglaublich anstrengenden Tag mit Ylvi und O…”
“Ja, hab die Fotos gesehen”, warf er ein.
“... ein warmes Bad nehmen. Aber die Bungalows haben ja keine Badewanne! Mein Dad sagte dann, ich soll ins Haupthaus gehen, da gibt's, abgesehen von Calebs Bad, noch eins mit einer Badewanne.”
“Ja, unten. Aber das Warmwasser geht da gerade nicht…”
"Ja, das sagte Caleb dann auch, als ich ihn gefragt hatte, ob ich eine benutzen dürfte. Er hat dann gemeint, ich könnte seine Oben nutzen, die würde ich ja bereits kennen. Und weißt du, was ich dann gesagt hab?”
Tschetan sah mich fragend an, kommentierte dann aber doch noch: “Was denn?”
“Ich hab gesagt: Ja, dein großes Ding kenn ich ja schon. Verfluchte O!” Ich ließ mich in seinen Schoß sinken und verdeckte mit dem ihm abgewandten Arm meine Augen. “Bei all den Sachen, die ich hätte sagen können? Warum hab’ ich sowas dummes gesagt?!” Ich sah Tschetans Reaktion nicht, spürte allerdings an seiner ruhigen Atmung, dass er mich zumindest nicht auslachte.
Eine ganze Weile schwieg er, dann meinte er: “Wenn ich so darüber nachdenke, gibt es bestimmt noch viel schlimmere Dinge, die du hättest sagen können.”
Ich nahm den Arm wieder von meinen Augen und sah von meiner liegenden Position nach oben zu ihm. Dann murmelte ich: “Ja… vielleicht. Peinlich war's trotzdem.”
Er zuckte die Schultern, nahm sich noch eins der Gummibären und hielt mir die Tüte hin. Ich nahm das Letzte aus der Packung, ehe er sie sich in die Jackentasche steckte und den Reißverschluss schloss. Dann legte er eine Hand auf meinen Bauch. Das tat er fast immer, wenn ich mich auf seinen Schoß legte. Irgendwann hatte ich sogar damit angefangen, seine Zöpfe durch meine Finger gleiten zu lassen. Wo wir gerade davon sprachen… Ich nahm einen der Zöpfe in die Hand und drehte ihn ein wenig hin und her. “Hast du die heute selbst gemacht?” Er nickte. “Die sehen mittlerweile richtig gut aus, nicht mehr wie buschige Katzenschwänze.” Ich lachte
Tschetan gab ein empörtes “Hey…” von sich, schaute dann jedoch wieder in die Ferne. Er wirkte gerade so abwesend.
Da ich mir allerdings sicher war, dass er mir erzählen würde, was ihn beschäftigte, wenn er es mir sagen wollte, fragte ich nicht nach, sondern schaute ihn einfach nur eine Weile an. Seine Hand auf meinem Bauch wirkte heute schwerer als sonst, schon fast ein wenig unangenehm. Ich räkelte mich und rutschte ein Stück weiter oben. Tschetan hob seine Hand kurz an, legte sie dann jedoch wieder auf meinem Bauch ab. Für einen kurzen Moment flatterte es in meinem Magen. Wo kam das denn plötzlich her? Hatte mich auch erwischt, was Murphy ausgeknockt hatte? Oder waren das… nein. Nicht bei Tschetan. Oder doch?
Plötzlich starrte ich ihn leicht panisch an und richtete mich ruckartig auf.
“Ist alles ok?”, hörte ich ihn fragen, als ich aufstand und mein Shirt wieder gerade zog.
“Ja… war ein langer Tag, ich glaub ich muss mich etwas hinlegen.” Ist ja nicht so, als hätte ich bei dir nicht gut gelegen… “Bis dann.” Damit verschwand ich in Richtung des Bungalows. Seinen vermutlich ratlosen Blick spürte ich nur allzu deutlich in meinem Rücken.
Tschetan
Meine Gedanken rasten. Von einem kurzen Gedanken zum nächsten, ohne dass ich sie zu fassen vermochte. Die Geschwindigkeit verursachte beinahe eine Art Schwindel. Wie ein dichter Nebel, der mich gefangen hielt, ohne dass ich viel von meiner Umwelt wahrnahm. Aimees Gesellschaft tat mir gut. Weniger Nebel und weniger Gedanken, die durch mein Hirn jagten. Trotzdem hatte ich Schwierigkeiten, ihr in diesem Moment meine Aufmerksamkeit zu schenken. Einerseits wollte ich mich ihr anvertrauen, andererseits fand ich einfach nicht die richtigen Worte. Was wollte ich erzählen? Von Ylvi? Meinen Bedenken gegenüber des Kleides vom Bild? Ich wusste ja nicht einmal, ob sich Ylvi dafür entschieden hatte! Von Bryce konnte ich ihr auch berichten, allerdings stieß ich bei Aimee bei dem Thema immer öfter auf Unverständnis. Aber sie hörte ihn auch nicht sprechen in der Umkleide der Jungen. Hörte seine unverschämten Fragen nicht. Noch immer war ich mir nicht ganz im Klaren, ob ich Caleb einweihen sollte. Bezüglich Ylvi hatte ich einfach meine Bedenken. Oder sollte ich Nicholas davon erzählen?
Nicholas. Ein anderes Thema. Ich merkte, wie ich ihn heute auf der Ranch vermisst hatte. Die gemeinsame Arbeit mit ihm machte um so vieles mehr Spaß, als mit dem manchmal schweigsamen Cayce. Er war einfach näher in meinem Alter, da waren gemeinsame Gesprächsthemen einfacher zu finden. Aimee, er und ich gaben eine tolle Clique ab.
Und so rasten meine Gedanken weiter, während ich Gummibärchen in den Mund schob. Meine Hand strich über Aimees Shirt auf ihrem Bauch. Dabei flogen meine Gedanken weiter zu Kaya. Tat ich das mit ihr, würde sie schrecklich anfangen zu giggeln. Die Zeit von 2 Wochen, die ich von ihr getrennt sein würde schienen ewig. Jahrelang waren wir aneinander gekettet gewesen wie Siamesische Zwillinge. Manchmal erwachte ich des Nachts aus meinen Träumen und vermisste ihren zarten Körper neben dem meinen. Auch wenn ich in der letzten Zeit der Malheure froh war, sie nicht neben mir zu haben. Auf KEINEN Fall konnte ich Aimee von meinen Träumen erzählen. Nicht wenn ich nur den Schatten einer Erinnerung an sie hatte. Einen richtigen Reim konnte ich mir auch nicht machen. Oder viel mehr gestand ich mir ihre tiefere Bedeutung nicht ein.
Meine Abwesenheit schien auch Aimee zu spüren. Wie von einer Tarantel gestochen, schoss sie plötzlich auf. Ich hatte nur eine Millisekunde Zeit meinen Kopf beiseite zu nehmen, sonst wären sie kollidiert. Mit einer komischen Ausrede verschwand sie in Richtung des Bungalows. Ich starrte ihr verwirrt hinterher. Ich stöhnte auf, vergrub mein Gesicht in den Händen, die Arme auf den Knien.
“Fantastisch Tschetan. Verjag auch noch deine Freundin”, grummelte ich zu mir selbst. Ich strich mir die kleinen Babyhaare von der Stirn, wischte mir über das Gesicht. Noch war es hell, auch wenn der Abend in die Nacht überging. Ich erhob mich also und lief über den Hof zum Haupthaus. Dort sah ich Ylvi auf der kleinen Holzschaukel auf der Terrasse sitzen. Mit dem Entschluss, zumindest mit ihr zu sprechen, steuerte ich auf sie zu. Allerdings stoppte ich, als auch Dolly durch die Tür trat und sich neben Ylvi setzte. Mist.
Die Müdigkeit hatte allerdings auch noch nicht eingesetzt, also drehte ich ab, um auf die Paddocks hinter dem Haupthaus zu gelangen. Auf einem von diesen hatten wir nämlich Vandal zusammen mit Hero geparkt. In der einsetzenden Dämmerung sah der Hengst beinahe grau aus. Dabei war er eigentlich ein Blue Roan. Der Hengst hob aufmerksam den Blick in meine Richtung. Allerdings schien er sich wohl zu fühlen, denn er lag im Sand. Ich flüsterte leise beruhigende Worte in Lakota, um mich ihm bemerkbar zu machen. Völlig entspannt blieb der Hengst liegen. So konnte ich mich zu ihm setzen zwischen seine eingeknickten Beine und kraulte ihm Hals und Ohren.
“Ich glaube wir werden uns vertragen, was?”, flüsterte ich leise. Kurz zuckte er allerdings zusammen, als mein Telefon klimperte. Neugierig griff ich danach. Ein breites Lächeln, als ich Nicholas Namen sah.
>>Scout! Noch wach?”<<
>Aye, noch wach.<
>>Was ein Tag. Kann ich kurz anrufen?<<
Ich starrte hinunter auf das Handy. Sagte ich ja, würde das Gespräch bis spät in die Nacht gehen, da war ich mir sicher. So lief es immer. Oder das Gespräch würde aufgrund meiner Gedanken ähnlich enden wie mit Aimee. Ich wusste allerdings auch nicht, wie ich es erklären sollte. Also klickte ich auf das kleine Kamera-Symbol und schickte ein Selfie von Vandal und mir.
>Genieß grad die Ruhe auf der Ranch mit ihm.<
>>Schwer zu toppen!<<
>Werd aber gleich auch ins Bett verschwinden. Morgen wird lang genug.<
>>Ich freu mich richtig. War ewig nicht auf ner Party. Bin gespannt, was einige Girls so tragen.<<
>mhm<
>>?!<<
>Ach, die Mädels…also Aimee, O’ und auch Ylvi waren heute shoppen. Ich hab ein wenig Bedenken.<
>>Fürchte das musst du erklären.<<
Ich suchte in meiner Galerie nach den Bildern, schnitt es so zu, dass nur Ylvi zu sehen war. Dann sendete ich es Nicholas zu.
>>Lass mich raten, deine Bedenken heißen Bryce?<<
>Du kennst seine Worte<
>>Ganz ehrlich? Sie ist eine wunderschöne Frau, soll sie es zeigen. Außerdem ist Caleb bei ihr. Du glaubst ja nicht das Bryce da IRGENDWAS versucht.<<
>Du hast ja Recht. Ich sollte mir aufhören Sorgen zu machen.<
>>Das zeigt nur deinen edlen Charakter<<
>Danke, ein wenig Zuspruch hab ich heute gebraucht.<
>>Dafür sind Freunde da.<<
Ich erhob mich, küsste den Hengst zwischen die Augen, um dann ins Haupthaus zu gehen. Meine Schultern ein wenig leichter als noch zuvor.
“Dolly, Ylvi. Gute Nacht”, sagte ich, als ich die Haustür erreichte, tippte damit leicht an meinen Hut. Kurz bevor ich das Handy beiseite legte, schickte ich an Nicholas noch einen Gute Nacht Gruß.
Ylvi
Mit angezogenen Beinen schaukelte ich auf der Hollywoodschaukel vor mir her. Meine Augen folgten den Zeilen des Buches. Ab und an setzte ich ab, um mir einen Schluck vom kühlen Bier neben mir zu gönnen. Die Geschichte hatte einen unerwarteten Wandel genommen. Außerdem befand ich mich auf den letzten Seiten. Mittlerweile war es ungewohnt, in meiner Muttersprache zu lesen, so viel hatte ich mittlerweile mit dem Englischen zu tun. Da ich wieder abgeschweift war, musste ich die letzten 2 Sätze wieder lesen.
“Ist da noch Platz frei?”
“Am ARSCH!”, entfuhr es mir, als klirrend meine Flasche zu Boden fiel. Ich hatte mich tierisch erschrocken, plötzlich eine Stimme neben mir zu hören. “Dolly! Du kannst dich doch nicht SO an mich ran schleichen.”
“Herrje, du bist aber schreckhaft.”
“Ich war so auf das Buch fixiert”, auch wenn das nicht ganz der Wahrheit entsprach. Ich lehnte mich nach vorn und griff die Flasche auf, die trotz dem Sturz nicht kaputt war. Nur das klebrige Bier hatte ich jetzt teilweise auf der Kleidung.
“Kann ich mich zu dir setzen?”
“Klar!”, damit rückte ich beiseite, um Dolly Platz auf der Bank zu machen. Sie selbst hatte ein kleines Glas Wein in der Hand und nippte daran, als sie sich anlehnte.
“Ganz schön verweist, oder?”, fragte Dolly unvermittelt. Da ich ihr nicht ganz folgen konnte, zog sich wie von selbst eine meiner Augenbrauen in die Höhe. Sie deutete mit der Hand, die das Weinglas hielt, in Richtung der Bungalows. “Ich hab’ das Geschnatter der Mädchen heute am Tisch vermisst”, seufzte sie.
“Dabei sind sie erst ein paar Stunden weg. Ich kann noch gar nicht richtig greifen, dass sie wirklich 2 Wochen nicht da sein werden. Ich denke aber Betsy wird es gut tun, mal etwas anderes zu sehen als die Ranch.”
“Alles hier wird das arme Ding an seinen Vater erinnern”, seufzte Dolly.
“Aber erzähl mal, ich hab gehört du bist heute Kutsche gefahren!”, neckte ich sie.
“Schrecklich wacklige Angelegenheit!” Aber ihr süffisantes, leichtes Lächeln, als sie ihr Weinglas an die Lippen setzte, strafte ihre Worte ein wenig Lügen. Ich beschloss allerdings nicht weiter nachzubohren. Es gab nunmal Dinge, über die man lieber schwieg. “Habt ihr Kleider für die Party gefunden?”, lenkte sie stattdessen ab. Also berichtete ich Dolly ein wenig von der Shoppingtour.
“Nächstes Mal musst du als Stimme der Vernunft mit dabei sein.”
"Vernunft papperlapapp”, winkte Dolly in die Luft mit einem Arm. Ihre Wangen waren dabei gerötet. Entweder war das nicht ihr erstes Glas Wein, oder ich hatte soeben unbewusst einen wunden Punkt erwischt. Da keine Erwiderung meinerseits erfolgte, schien sie auch nicht weiter sprechen zu wollen. Also hing ein jeder seinen eigenen Gedanken nach. Dann tauchte aus der Dämmerung Tschetan auf, der uns beiden eine gute Nacht wünschte.
Tatsächlich verabschiedete sich auch Dolly von mir. Allein blieb ich in der nun fast vollständigen Dunkelheit sitzen. Ich starrte zum leeren Fenster des Bungalows. Tatsächlich würde es da drüben schrecklich einsam sein in den nächsten 2 Wochen. Ich verspürte noch nicht den Drang nach Schlaf. Also huschte ich mit dem leeren Bier in der Hand in die Küche. Stellte die Flasche in den Kasten in der kleinen Kammer und wusch meine Hände und einen Teil meines Arms im Becken, damit es nicht mehr klebte.
Mit dem Buch unterm Arm überlegte ich, wohin nun. Sollte ich mir noch eine Wanne einlassen? Dann jedoch fiel mir ein, das Wasser unten funktionierte nicht. Die in Calebs Bad? Ich schüttelte den Kopf, nein. Das wollte ich jetzt nicht riskieren. Also beschloss ich, mich noch ein wenig ins Arbeitszimmer zu setzen. Ich hatte heute keine meiner Bürotätigkeiten zustande gebracht. Irgendwann musste ich mich denen ja auch widmen. Tatsächlich kamen mir die 2 Wochen Abwesenheit von Louis und den Mädchen da auch entgegen. Keine Hausaufgaben, keine Termine, kein Essen kochen. Keine familiären Pflichten für mich!
Nur im Licht der kleinen Schreibtischlampe schaltete ich den PC ein, klickte jeden der 3 Bildschirme einzeln an. Mittlerweile hatte ich eine kleine Bastion um mich gebaut. Mein Blick huschte zu Calebs Schreibtisch herüber, der ausnahmsweise nicht in völligem Chaos unterging. Offenbar hatte er sich anders als ich um ein paar Zettel gekümmert. Seufzend griff ich in die Ablage auf meinem Platz. Ich hatte da noch einige der Rechnungen zu begleichen. Gewissenhaft loggte ich mich also in das Online-Banking ein. Suchte vorher alle Ausgänge ab - es war durchaus schon vorgekommen, dass Rechnungen doppelt eingegangen waren. Verglich dann Name des Empfängers mit den Rechnungsnummern. So konnte ich bereits 2 der Zettel abstempeln und in den Reißwolf geben – das hatte Caleb heute schon erledigt.
Anschließend loggte ich mich in das Spenden bzw. Instagram Konto der Ranch ein. Mittlerweile hatten wir einige Sponsoren, deren Produkte wir promoteten, dadurch erhielten wir einige kleine Geldsummen, die ich auf einem separaten Konto verwaltete. Dort konnten auch Follower Geldspenden für Futter oder so hin schicken. Tatsächlich sammelte ich das Geld dort. Nutze es ab und an für Gewinnspiele. Das kam ganz gut an. Bei der Anzahl der Follower und Pferde der Ranch dachte ich auch seit einiger Zeit über eine Art Patenkonzept nach. Die Leute konnten auch Geld überweisen, waren Paten eines Hengstes oder einer Zuchtstute. Allerdings würde es verdammt viel Arbeit sein, die Paten mit Updates über ihre Zöglinge zu versorgen. Daher war das einfach nur eine fixe Idee in einer Ecke meines Kopfes. Und eine hingeschmierte Notiz in meinem Büchlein.
Aimee
In meinem Zimmer angekommen knallte ich die Tür, fester als ich es beabsichtigt hatte, zu, ehe ich mich aufs Bett warf, mir das Kissen vors Gesicht hielt und einmal tief durchatmete.
Natürlich fragte mein Dad ob alles okay sei, ich antwortete ihm nur ein gepresstes “Ja passt schon”. Zum Glück wusste er mittlerweile genau, wann er mich besser in Ruhe ließ.
Das seltsame Gefühl in meinem Magen war zwar verschwunden, aber es war genau das gleiche, welches ich verspürte, wenn Bryce mich berührte. Konnte das wirklich sein? Wie? Und vor allem warum auf einmal?
>>Ich glaub ich hab mich in T verliebt<<
Meine beste Freundin Katie, die nach meinem Umzug auf Bow River leider viel zu weit weg wohnte, antwortete sofort: >Nicht dein Ernst?!<
>>Ich bin mir nicht sicher. Aber eben… hatte da so ein Gefühl<<
>Erzähl mir mehr!<
Klar, damit würde sich Katie nicht zufriedengeben, also brachte ich sie wieder auf den neuesten Stand und schloss meine Erzählung mit den Erlebnissen von gerade eben.
>Oh shit, ich glaub du hast dich wirklich in ihn verliebt<
Ich wollte ihr gerade antworten, da ploppte eine weitere Nachricht auf: >Und was ist mit Bryce?<
>>Der ist morgen auch bei der Party<<
>Uiui Aimee, gleich zwei Typen an die du dich ranmachen kannst<
Ich schickte ihr einen wütenden Smiley zurück.
>Na was denn?! Freie Auswahl!<
>>KATIE<<
>Hast du eigentlich schon ein Kleid? Zeig mal!<
Ich schickte ihr ein Foto von Ylvi, O und mir.
>WOW!<
…
>Ihr seht alle drei richtig HOT aus! Und die linke ist die, auf die dein Boss so abfährt?<
>>Irgendwie ja aber irgendwie ja auch nicht, das tut jetzt hier auch nichts zur Sache!<<
>Okay, egal. Aimee… schau morgen Abend einfach, wer sich mehr um dich bemüht – und den küsst du dann einfach.<
Ich warf das Handy aufs Bett, ließ meinen Kopf in die Hände sinken und seufzte. Wenn es doch so einfach wäre.
Mein Handy vibrierte ein paar Mal hintereinander. Ich wollte es nicht wieder umdrehen, da ich keine Lust mehr auf ein weiteres Gespräch mit Katie hatte. Als ich es dann aber doch umdrehte, war die oberste Nachricht von Tschetan.
>>Alles okay bei dir?<<
Wieder seufzte ich, setzte ein paar Mal zu einer ehrlichen Antwort an, ehe ich zum wiederholten Mal alles löschte und ein gelogenes >Ja< antwortete.
Tschetan kannte mich mittlerweile – und er hatte gesehen, dass ich eeewig geschrieben hatte. Natürlich fragte er nach. >>Sicher?<<
>Ich hau mich einfach aufs Ohr, war ein anstrengender Tag<
>>Gute Nacht, Aimee<<
>Nacht Tschetan<
Damit und mit einer kurzen Nachricht an Katie, dass ich mir ihren überaus einleuchtenden Vorschlag durch den Kopf gehen ließ, legte ich das Handy zur Seite und ging wenig später ins Bett.
Am nächsten Morgen war ich beim gemeinsamen Frühstück zwar anwesend, aber nur körperlich. O und Ylvi unterhielten sich über die schönen Kleider, während Tschetan ab und an einen Seitenblick zu Caleb rüberwarf, der der Unterhaltung amüsiert folgte.
Als ich plötzlich eine Hand auf meinem Bein spürte, zuckte ich sichtlich zusammen. Mein Blick flog nach rechts, wo Tschetan saß. Die Hand auf meinem Bein war seine.
“Ist alles okay?”, fragte er mich leise. Ich nickte, wandte dann jedoch meinen Blick wieder ab und starrte auf meinen Teller, auf dem das Ei mittlerweile auch nicht mehr warm war. Es hatte zumindest aufgehört zu dampfen. Wie lange schon, das wusste ich nicht.
Tschetan ließ die Hand noch ein paar Sekunden auf meinem Bein liegen, ehe er sie wegholte und sich wieder seinem Essen widmete.
Die Stelle, an der seine Hand gelegen hatte, fühlte sich plötzlich eisig an. Ruckartig stand ich auf, kletterte von der Bank und lief zum Bad, in dem ich mich einschloss und mir etwas Wasser ins Gesicht spritzte.
Wenig später vernahm ich Schritte im Flur, ehe es an der Tür klopfte. “Aimee, alles ok?”
Es war O. Ich öffnete, zog sie hinein und verschloss die Tür wieder. Etwas perplex schaute sie mich an und wartete auf eine Antwort.
“Ich hab ein Problem.”
“Ja, das denk ich mir, wenn du dich hier einschließt und jetzt auch mich mit eingeschlossen hast”, antwortete sie ernst. O konnte tatsächlich mal ernst bleiben.
“Ich weiß nicht, was ich machen soll, da sind zwei… Typen. Ich glaube, ich habe mich verliebt, irgendwie… in beide… vielleicht.”
O schaute mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an, sagte erstmal nichts. Dann setzte sie an, hörte wieder auf, nur um wenig später wieder anzusetzen: “Weißt du Aimee, in deinem Alter, was noch gar nicht sooo weit weg ist von meinem, hat man noch gar keine Ahnung davon, was Liebe überhaupt ist.”
Ich starrte sie an. Das war nicht die Antwort, mit der ich gerechnet hatte, aber O machte weiter: “Er wirft dir einen Blick zu, er berührt dich zufällig und die Berührung fühlt sich gut an, du hast das Gefühl, Schmetterlinge im Bauch zu haben. Wenn er bei dir ist, fühlst du dich gut. Wenn er nicht bei dir ist, vermisst du ihn. Aber versuch nicht ständig panisch davon zu laufen.” O zwinkerte, schloss auf und verließ das Bad.
Ahnte sie etwas?
Wenige Minuten später saß ich wieder am Frühstückstisch und nahm mir vor, mich zusammen zu reißen. Ich war nie der Mensch gewesen, der sofort in Panik verfiel. Ich wusste wirklich nicht, was im Moment mit mir los war.
Ich lächelte Tschetan kurz zu. Er erwiderte mein Lächeln und stand dann auf, um seinen Arbeiten nachzugehen.
Caleb und Bellamy unterhielten sich über ihre Outfits für heute Abend. Beide schienen nicht wirklich preisgeben zu wollen, was sie heute Abend anziehen würden.
Nach und nach leerte sich der Tisch, während ich mich dazu entschied, Dolly ein wenig unter die Arme zu greifen. Weit kamen wir allerdings nicht, denn Caleb steckte seinen Kopf wieder durch die Tür.
“Aimee?”, fragte er vorsichtig und wartete auf eine Reaktion meinerseits. “Murphy gehts noch immer dreckig, kannst du ausnahmsweise beim Misten helfen?”
Ich nickte, sah entschuldigend zu Dolly doch die winkte ab. “Laurence hilft mir immer ein bisschen, ich komm schon klar.”
Ich folgte Caleb zu den Stallungen und tauschte meine normalen Schuhe gegen ein paar der Arbeitsschuhe, die jeder von uns in der Sattelkammer stehen hatte. Wir gingen zu den hinteren Boxen, bei denen Tschetan schon angefangen hatte. Caleb tippte ihm auf die Schulter, er hörte mal wieder Musik.
Etwas erschrocken zog er sich die Kopfhörer aus den Ohren und wechselte einen fragenden Blick zwischen uns. “Ich bräuchte dich heute Morgen bei Vandal, wollte mit dem Einreiten anfangen – und da Murphy noch immer nicht zu gebrauchen ist, hab ich Aimee gefragt, ob sie hier zumindest schon mal anfangen kann”, dann meinte er an mich gewandt, “Laurence kommt dir gleich auch helfen.”
“Na dann, frohes Schaufeln”, Tschetan reichte mir grinsend die Beulengabel. Ich streckte ihm die Zunge raus, als ich nach der Gabel griff und fing an zu schaufeln, als die beiden den Stall verließen und wohl zum Paddockstück von Vandal und Hero gingen.
Etwa eine halbe Stunde später kam mir Laurence zur Hilfe. Ich war darüber unglaublich froh, wenn so viele Boxen wie heute hatte ich schon lange nicht mehr misten müssen. Als wir fast fertig waren, wandte sich Laurence an mich: “Du kannst gerne gehen, schnapp dir doch Conti und reite noch eine Weile entspannt aus. Die Stute wird sich freuen und dir wird das auch gut tun, nachdem du hier so viel geackert hast.”
“Puuuh, danke Laurence!” Ich räumte meine Utensilien zur Seite, tauschte meine Schuhe gegen meine Boots und ging zum Paddock, auf dem Conti zusammen mit Witch untergebracht war. Eine halbe Stunde später verließ ich auf Contis Rücken die Ranch.
Tschetan
Ich sah sie. Sah, wie sie im zügigen Trab die Ranch verließ. Obwohl ich den Drang verspürte, ihr zu folgen, riss ich mich zusammen. Sie ritt selten allein aus. Tat sie es, wollte sie allein sein. Ich seufzte. Sank im Sattel ein wenig zusammen. Irgendwas hatte sich verändert. War meine mentale Abwesenheit von gestern Abend dafür verantwortlich?
“HEY!”, ich zuckte zusammen, riss meinen Blick von der weg reitenden Aimee los. Brauchte einen Moment, um wieder im hier zu landen. Ich war auf dem Platz, unter mir eins der Trainingspferde, die Caleb mir zugewiesen hatte. Ein Cayce, der mir in der Mitte des Platzes stehend, Unterricht gab. Ich hatte kurzzeitig völlig den Fokus verloren. Keine Ahnung, was er mir zugerufen hatte. Offenbar war das nicht ganz unbemerkt geblieben. “Wieder bei der Sache?”
“‘tschuldige.”
“Du könntest ihr folgen, mhm?”, Cayce zeigte in die Richtung, in die Aimee verschwunden war. Kurz darauf huschte mein Blick in die Richtung. Mit der Faust schlug ich auf das Horn des Sattels.
“Ich fürchte, ich wäre nicht erwünscht.”
“Habt ihr euch gestritten?”
“Glaub mir… wenn ich DAS wüsste.”
“Manchmal sind Frauen ein seltsames Völkchen", philosophierte Cayce. Ich fragte mich zwar, was er denn bitte von Frauen verstand, aber ehrlich gesagt wusste ich schließlich auch nicht viel mehr.
“Ist dir schon mal in den Sinn gekommen, dass sie vielleicht mehr von dir möchte?”, fragte Cayce plötzlich zu mir. Mein Blick schoss zu ihm hinab. Fast ein bisschen panisch. War mir das bereits in den Sinn gekommen? Aimee? Verliebt in mich? Ich ließ den Gedanken lange in mir nachhallen. Aber dabei spürte ich nichts, als leichtes Unbehagen auf dem Herzen. Welcher Natur dieses Unbehagen entsprang, vermochte ich gar nicht zu sagen.
“Können wir vielleicht wirklich Ende machen?”
Izzie unter mir wurde zunehmend unruhiger. Die Stute war noch nicht lang unterm Sattel und langes herumstehen war noch nicht ihre Stärke. Cayce sagte nichts dazu, dass ich seine Frage nicht beantwortet hatte. Kurz war mein Gedanke wirklich Aimee zu folgen. Dann beschloss ich es einfach zu lassen. Sie war am Horizont schon kaum zu sehen. Da Izzie noch ganz nass war, ritt ich im Schritt einmal um die Stutenkoppeln herum.
Zurück auf der Ranch machte ich die Stute fertig. Putzte über die verkrusteten Stellen im Fell. Dann sah ich auf das Blackboard an der Stallgasse. Dort stand ein Name, den ich bisher noch nicht auf dem Schirm hatte. Da Laurence in der Stallgasse stand brüllte ich zu ihm rüber. “This Bye Bye Bay? Wo find ich den denn?”
“Ist eigentlich ziemlich auffällig. Arsch ist weiß, ein brauner, breiter Streifen, der über die linke Schulter läuft. Blaue Augen.”
Wo er den Hengst so beschrieb, kam mir zumindest sein Aussehen bekannt vor. “Drüben bei den Paddockboxen, oder?”
“Ganz genau.”
Bevor ich mich auf den Weg dorthin machte, sah ich nochmal auf das Board. Caleb schrieb meist eine Info dahinter, was mit dem jeweiligen Pferd getan werden sollte. Mein Herz machte einen kleinen Sprung >>Ausritt<< stand dort. Tatsächlich war das genau nach meinem Geschmack, nachdem das Training mit Izzie eher unproduktiv gelaufen war. Wenngleich es auch nicht die Schuld der Stute war. Ich zählte noch die Stunden bis zum Abend der Party, sah nochmal auf die Liste. Sah dann auf die Uhr. Eigentlich hatte ich vorgehabt auch Yumni heute noch zu arbeiten. Entschied mich dann aber, es lieber sein zu lassen. Dafür war ich nicht auf der Höhe. Dann wollte ich lieber einen ausgedienten Ausritt mit dem Hengst machen, den man mir zugeteilt hatte. Dann wäre immerhin das Training mit Vandal und Benny gut gelaufen. Der graue Hengst hatte mich heute zum ersten Mal auf seinem Rücken gehabt. Ich war etwas erstaunt gewesen, dass Caleb mir den Vortritt gelassen hatte. Allerdings hatte ich den Hengst in den letzten Tagen schon gut vorbereitet. Jetzt beschloss ich mich aber eher auf den anderen Hengst zu konzentrieren.
An seiner Box stand nicht nur sein offizieller Name, sondern auch "Benny", da klingelte es tatsächlich bei mir. DER Name war mir schon untergekommen. Der Hengst war noch etwas verhalten, seine Ohren bewegten sich hin und her.
"Siehst du mich überhaupt?", flüsterte ich leise belustigt. Eine Maske verdeckte das Gesicht des Hengstes. Dieses Jahr waren die Fliegen und Mücken wirklich fies. Allerdings konnte ich mir auch denken, dass er die Maske trug, um vor allem seine pinke Nasen- und Maulpartie vor Sonnenbrand zu bewahren. Tatsächlich trugen daher einige Pferde so eine Maske - viele hatten ein helles Gesicht. Aber nicht alle waren empfindlich. Benny schien einer zu sein. In der Stallgasse würde er sie allerdings nicht brauchen, daher zog ich sie ihm aus dem Gesicht. Er rieb seinen Kopf an meinem Oberkörper, schüttelte dann den Kopf.
"Na froh, das Ding los zu sein?", murmelte ich, hängte sie vor seine Box und knotete den Hengst davor an. Ich holte sein Zeug, Putzbox, Trense und schnappte mir das Reitpad, das in der Sattelkammer hing. Auf den schweren Sattel hatte ich jetzt keine Lust, da Benny sowieso erstmal wieder Vertrauen fassen sollte. Eine vage Idee, wohin der Ausritt gehen würde, bildete sich in meinem Kopf. Der Mittag war heiß gewesen. Zu einer der tieferen Stellen im Fluss, ruhig genug, um das Pferd hindurch gehen zu lassen, um vielleicht ein wenig zu schwimmen.
"Mhm? Benny? Was sagst du wohl zu Wasser?"
Ich ließ mir noch ewig Zeit beim Putzen, sattelte den Hengst. Brav und unkompliziert ließ er sich die Trense überziehen. Mit zwei Schritten als kleinem Anlauf schwang ich mich unkompliziert auf seinen Rücken auf der Gasse. Kurz zuckte er zusammen, blieb aber am losen Zügel brav stehen.
"Feeeiner Bursche!", lobte ich den jungen Hengst. Beim Verlassen der Stallgasse ritt ich beinahe in Laurence hinein, der gerade mit der Schubkarre in die Gasse wollte.
"Ausritt?"
"Ja, Benny hier soll wieder ein wenig mehr Vertrauen in den Reiter bekommen. Ich hab da auch schon so eine Idee", damit zwinkerte ich Laurence zu, ritt dann weiter – ohne seinen verwirrten Blick zu beantworten. Ich freute mich zu sehr auf das kühle Nass, um mich jetzt aufhalten zu lassen.
Keine 20 Minuten später, außerhalb der Ranch, ritt ich das erste kleine Stück am Fluss entlang. Hier war er allerdings noch zu flach mit vielen großen Felsen. Perfekt, um die andere Seite zu erreichen, aber nicht ganz mein Ziel. Allerdings bot die Wiese hier einen wunderbaren kleinen Pfad. Ich gab Benny hier zum ersten Mal die Möglichkeit, ein wenig die Füße zu strecken. In einem unglaublich großen Satz preschte der Hengst im Galopp davon. Brauchte einige Galoppsprünge, um seine Balance und sein Tempo zu finden. Als er es erst hatte, flog er in einem tollen Kanter über die Ebene. Ich hatte ihn am lockeren Zügel, da ich nicht das Gefühl hatte, er raste mir unter dem Hintern weg. Spornte ihn allerdings auch nicht an. Als Benny deutlich langsamer wurde, gab ich ihm zu verstehen, dass er auch langsamer machen konnte. Von selbst fiel er in den Trab, schnaubte mehrere Male fröhlich ab. Lobend kraulte ich seinen Widerrist. Eine Weile ließ ich ihn noch im Trab, dann hieß ich ihm Schritt gehen. Wir würden bald die Stelle zum Baden erreichen. Dort angekommen, glitt ich von seinem Rücken, befreite den Hengst vom Gurt und Pad, warf mein eigenes Shirt in das Gras. Gefolgt von meinen Shorts. In der Boxer führte ich Benny langsam an das Ufer heran. Ließ ihm Zeit, das Nass zu beobachten. Plätscherte selbst ein wenig darin herum. Dann siegte seine Neugier. Schritt für Schritt folgte er mir. Dann fing auch er an, wild mit einem Fuß das Wasser hinter und unter sich zu schaufeln. Immer weiter ging ich hinein. Bis mir das Wasser bereits zum Bauchnabel ging. Dirigierte Benny etwas tiefer, dann schwang ich mich im Wasser auf seinen Rücken. Hier ließ sich der Hengst gar nicht beirren.
"Na? Wasserratte, ja?", lachte ich. Tiefer hinein ging der Hengst unter meinem Kommando, bis seine Füße die Erde unter sich verloren. Flux ließ ich mich von seinem Rücken gleiten, schwamm auf der Stelle, während Benny erschrocken eine kleine Runde um mich herum machte. Als seine Hufe wieder Boden hatten, schüttelte er den großen Kopf, schnaubte. Leise lockte ich ihn wieder zu mir.
"Na komm schon Bursche, trau dich." Ich schwamm, bis die Zügel leichten Zug gaben. Erst schien Benny etwas starr, gerade als ich wieder zurück wollte, gab er sich einen Ruck und verließ noch einmal den sicheren Boden. Ich gab mir Mühe, die Zügel nicht zu nutzen, um seinen Kopf beim Dirigieren nicht unter das Wasser zu ziehen. Dieses Mal machte der Hengst kräftige Züge hinter mir her, ehe er das andere Ufer erreichte. Begeistert streichelte ich über seinen nassen Leib.
Aimee
Ich war schon eine ganze Weile mit Conti unterwegs. Nachdem ich quasi im Trab von der Ranch geflüchtet und mir zunächst sehnlichst einen Ausreitpartner gewünscht hatte, war ich froh, nun alleine zu sein. Die sensible Stute spürte immer sofort, wenn es mir mal nicht ganz so gut ging, und passte ihr Verhalten dem Meinen an. Heute meinte sie es wirklich gut mit mir. Trittsicher setzte sie einen Huf vor den Anderen.
Ich konnte noch immer kaum glauben, dass die Stute einmal ganz vernachlässigt beim Horse Makeover dabei gewesen war und dass aus ihr nun ein so tolles Pferd geworden war!
Wie um meine Gedanken zu bestätigen, schnaubte Conti ab und fiel aus dem Galopp in einen lockeren Trab, den ich wirklich gut aussitzen konnte. Man merkte ihr an, dass da schon einiges in Training drin steckte.
Aus dem Trab parierte ich sie an der Waldgrenze zum Stand durch und genoss die leichte Brise, die durch mein Haar wehte. Etwas verwundert strich ich mir einmal hindurch. Losgeritten war ich mit einem Haargummi, der meine braun-rötlichen Haare zu einem Zopf zusammengefasst hatte. Unterwegs schien ich ihn verloren zu haben, vielleicht bei unserem letzten Galopp?
“Na komm, Conti. Lass uns hier weiterreiten”, murmelte ich der Stute leise zu und strich ihr einmal über den verschwitzten Hals. Wir setzten uns in Bewegung und hielten uns im gemütlichen Schritt im Schatten der Waldgrenze auf.
Plötzlich blieb die Stute stehen, zog einmal scharf die Luft ein und drehte sich halb nach hinten um.
“Ich habs auch gehört”, sagte ich leise und drehte die Stute einmal komplett. “Da ist etwas ins Wasser gesprungen, hört sich nach etwas Großem an.” Meine Stimme zitterte ein wenig. Hier gab es nicht nur Elche und andere harmlose große Tiere, sondern auch Wölfe und Bären.
Auch wenn ich noch nie in eine brenzlige Situation mit den Raubtieren gekommen war, waren sie mir nicht ganz unbekannt.
Ich versuchte, die Stute abzuwenden und den Weg, den wir eigentlich vorhin hatten gehen wollen, weiterzureiten, doch Conti schien andere Pläne zu haben. Ohne mit der Wimper zu zucken, marschierte sie los – in Richtung des Flusses!
“Conti, wir können da nicht hin! Was, wenn es ein Wolf ist? Oder ein Bär? Oder ein Elch?” Keinem dieser Tiere wollte ich auf dem Rücken der kleinen Stute begegnen. Im Notfall konnten wir zwar weg galoppieren, aber ob wir das gemeinsam taten, dem war ich mir nicht so sicher. So gut war das Band zwischen uns beiden noch nicht.
Wir ritten also weiter. In die Richtung, die uns die Stute vorgab. Hoffentlich geht das gut, dachte ich, ehe sie abrupt stehen blieb und laut wieherte. Als sie Antwort bekam, war ich mir fast sicher, dass es eines der Pferde von Bow River sein musste!
Ich entspannte mich sichtlich. Das merkte die Fuchsstute unter mir auch, so dass sie sich nun von mir im lockeren Trab aufs Wasser zu bewegen ließ.
Von weitem erkannte ich den neuen Hengst von Caleb. Wer da allerdings mit ihm im Wasser war, erkannte ich auf diese Entfernung noch nicht.
Als ich näher kam und die Person im Wasser schärfer wurde, konnte es nur einer sein: Tschetan.
‘Aber versuch nicht ständig panisch weg zu laufen’, hallten Os Worte von heute morgen in meinem Kopf wieder. Okay, ich laufe nicht davon. Diesen Entschluss fasste ich mit all meinem Mut, galoppierte Conti an und ritt auf die beiden im Wasser plantschenden zu.
Ein paar Meter vor ihnen parierte ich zum Schritt durch, setzte ein Lächeln auf und rief ihnen zu: “Das sieht mir aber nach Spaß aus und nicht nach Arbeit!”
Tschetan grinste mich etwas verhalten an. “Heute ist so ein schöner Tag, wer möchte da schon viel arbeiten?”
Bei ihm angekommen hielt ich an und schmunzelte. “Jaja, du hast leicht reden. Ich durfte deine Boxen misten! Was eine scheiß Arbeit.”
Nun lachte Tschetan. So herzlich, dass mir nichts anderes übrig blieb, als in sein Lachen einzustimmen. “Ich habe zwar dafür das erste Mal auf Vandal gesessen – aber das unter Calebs Adleraugen. Und dann hatte ich Reitstunde bei Cayce!” Er klatschte sich mit der Hand an die Stirn.
“Dann hab ich doch lieber Boxen gemistet.” Ich zuckte mit den Schultern und trieb Conti bis zum Ufer des Sees, damit sie ein wenig trinken konnte.
“Komm doch auch rein, Benny hier weiß sich zu benehmen.”
Ich schluckte, gab ihm nicht sofort eine Antwort. Plötzlich war es mir unglaublich unangenehm, mich vor Tschetan auszuziehen. Wie oft waren wir zusammen in der heißen Quelle gewesen, die er gefunden hatte? Wie oft hatte ich mich da vor ihm und den anderen ausgezogen. Klar, da hatte ich einen Bikini an – aber unangenehm war es mir kein einziges Mal gewesen.
Tschetan schien mein Zögern falsch zu deuten und sagte: “Ich kann dir gerne beim Absatteln helfen…”
Lauf nicht weg… ich sah wieder zu ihm hoch. “Warum nicht”, war meine knappe aber freundliche Antwort. Durch aufnehmen der Zügel ging Conti ein paar Schritte rückwärts, so dass ich trockenen Fußes von ihrem Rücken springen konnte. Ich öffnete den Sattelgurt, hievte Sattel und Pad von ihrem Rücken, stellte ihn auf den Boden und ließ die Stute ein wenig grasen, während ich mich auszog.
Aus dem Augenwinkel sah ich Tschetan, wie er sich abwandte und dem Hengst widmete.
Meine Schuhe, Socken und die Hose landeten schnell auf dem Sattel. Beim Shirt zögerte ich kurz, zog es dann jedoch über den Kopf und legte es ebenfalls auf den Sattel, damit ich später alles beisammen hatte.
Mit einem Arm über den Augen, um sie ein wenig von der Sonne abzuschirmen, schaute ich aufs Wasser. Tschetan war ein Stück mit dem Hengst zur Seite geschwommen, um mir Platz zu machen, damit wir reingehen konnten.
Vorsichtigen Fußes, ich hatte ja keine Schuhe mehr an und konnte auf blaue Zehen verzichten, ging ich mit der Stute zum Ufer. Während ich Schritt für Schritt ins Wasser watete, wurde der Druck auf dem Zügel immer größer. “Oh…”, stellte ich mit einem Umdrehen fest, “ich hab keine Ahnung, ob die ins Wasser geht.”
Tschetan machte Anstalten, um mir zur Hilfe zu kommen. Ich gab ihm jedoch mit einem Handzeichen zu verstehen, mich selbst machen zu lassen. Mir war durchaus bewusst, dass er ein besonderes Händchen für Pferde hatte. Das hier wollte ich allerdings alleine schaffen.
“Die ist im Trail ziemlich weit trainiert, eigentlich müsste die Wasser kennen”, warf Tschetan von der Seite ein. Ich nickte ihm dankend zu. Das half mir schon weiter.
Ich ging wieder auf die zu, nahm die Zügel ein wenig kürzer und ging neu mit ihr an. Dieses Mal folgte sie mir, bis sie mit drei Beinen im Wasser stand. Mit dem letzten Huf berührte sie noch das Gras am Ufer. “Manchmal bist du wirklich eine Diva.”
Kaum hatte ich diesen Satz ausgesprochen, stieß sie sich mit dem Hinterbein ab und machte einen riesen Satz ins Wasser – mich hinter sich herziehend.
Da ich die Zügel nicht loslassen wollte, klatschte ich der Länge nach in den Fluss und wurde ein wenig hinterher gezogen, bevor die Stute laut prustend stehen blieb. Schneller, als ich es überhaupt realisieren konnte, spürte ich eine Hand an meiner Seite, die mich auf die Beine zog und mir die nassen Haare aus dem Gesicht strich. Völlig perplex starrte ich von der schnaufenden Stute zum schweigsamen Tschetan.
“Also manchmal…”, sagte ich kopfschüttelnd und fing an zu lachen, “danke fürs Retten.” Damit schlug ich Tschetan leicht gegen den Arm – so wie ich es oft machte. Er schob sich einen seiner Zöpfe von der Brust auf den Rücken und schaute nach Benny, den er ganz perplex einfach hatte stehen lassen.
Während Tschetan weg schaute, musterte ich ihn. Das Wasser stand uns bis zur Hüfte, gab so nur seinen halben Körper preis und… dann schaute er mich an. Er sah mir direkt in die Augen, während ich so dastand und seinen Körper anstarrte. Von all den peinlichen Aktionen der letzten Tage, war dies die peinlichste.
Er räusperte sich, zeigte mit den Lippen in meine Richtung. Eine seltsame Geste an die ich mich erst hatte gewöhnen müssen. Dann grinste er halb verschmitzt. “Gefällt dir was du siehst?”
“Ach du!”, ich boxte ihm gegen die Schulter. Dann ging er nur kopfschüttelnd lächelnd, den Hengst wieder einsammeln. Plötzlich spürte ich das peinliche Gefühl, sich in Wohlgefallen auflösen. Vielleicht hatte O’ Recht - nicht zu viel darüber nachdenken.
Tschetan
Mit dem Hengst am Zügel kam ich ihr wieder näher. “Wollen wir gemeinsam zurück?”
“Wenn du nichts dagegen hast”, ich spähte zum anderen Ufer hinüber. Dort lagen meine Klamotten und die Sachen von Benny. “Ich muss nur rüber. Etwas weiter auf dem Rückweg ist der Fluss wieder flach genug, damit Conti und du ihn durchqueren könnt. Auf der anderen Seite ist der Rückweg weniger weit. Langsam müssen wir uns wohl sputen.”
“Dein Ernst? Ich bin doch wohl nicht für 1x lang legen ins Wasser gekommen. Dann hab ich lieber weniger Zeit später!”, spottete Aimee in meine Richtung.
Ich zuckte die Schultern. “Ich hab ja nur an eure Haare und das Make-Up gedacht”, stichelte ich. Dann drehte ich mich um, fand Aimee nah vor mir. Sie griff mit beiden Fäusten nach den Enden meiner Zöpfe, ihre Augen blitzten, als sie kräftig daran zog.
“Dir ist schon klar, dass DEINE Flussen deutlich länger sind als meine?”
“Pfft, aber ich muss die nicht noch ewig frisieren!”
“Würde dir aber gut tun!”
“Ah ja?”
“Bisschen anders könntest du sie heute schon noch machen”, sie zuckte mit den Schultern, ließ eine der Zopfenden zurück auf meine Brust fallen und hielt das andere Ende in den schlanken Fingern. Fast ein wenig nachdenklich. Ihre Lider sahen aus meiner Perspektive halb geschlossen aus, denn ich war sicherlich einen Kopf größer als Aimee. Sie war diejenige, die mir gezeigt hatte, mehr als nur einen Pferdeschwanz mit meinen Haaren zu machen.
“Woran hast du gedacht?”, sprach ich in gedämpfter Stille, denn Aimee schien in Gedanken grad woanders.
“Vielleicht eine Mischung aus Fischgrät und Französisch?”, da sah sie zu mir auf. Ich zog eine Augenbraue nach oben. Unter dem Begriff Fischgrät konnte ich mir nichts vorstellen. Ihr stechend grüner Blick bohrte sich in meinen.
“Fischgrät?”
Aimee winkte ab, ließ den Zopf fallen. “Muss ich dir mal wann anders zeigen.”
Noch während ihrer Worte, noch während der nasse Zopf klatschend auf meine Brust fiel,
trat sie wieder weiter von mir weg. Tief atmete ich ein. Mir erst jetzt wirklich bewusst, wie flach ich geatmet hatte, während sie mir so nah gewesen war. Zitterte mein Atem da etwa, als ich einatmete? Unwillkürlich trat ich auch einen Schritt nach hinten, stieß mit dem Rücken allerdings in die Flanke von Benny, der noch immer brav bis zum Bauch im Wasser stand. Ich drehte mich langsam zu dem Hengst um. Sein Blick aus blauen Augen, gespitzten Ohren richtete sich auf mich. Ich flüsterte ihm leise Worte auf Lakota zu. Das war… nicht ganz neu. Das hier ähnelte dem Gefühl, das mich nach meinen Träumen beschlich. Ich konnte nicht festmachen, was es war. Nur die vage Ahnung.
Jeder von uns beschäftigte sich ein wenig mit seinem Pferd. Wir schwangen uns auf den Rücken der Pferde, ließen sie ein wenig im Wasser herumlaufen bis hin zu den Stellen, an denen wieder große Steine aus dem Wasser ragten und die Strömung zu schnell wurde. “Nicht zu weit”, warnte ich Aimee. Ein Seitenblick ging auf ihre Armbanduhr. “Lass uns zurück zum Sattel. So langsam sollte die Sonne uns wieder trocknen, dann müssen wir zurück. Bevor sich noch jemand Sorgen macht.”
Wir führten also beide Pferde aus dem Wasser. Ich band Benny an einem der knorrigen Äste mit dem Zügel fest – nicht gänzlich optimal. Allerdings hatte ich auch nicht vor, Caleb vielleicht ein ungewolltes Fohlen zu erklären. Conti zeigte kein größeres Interesse an Benny. Daher nahm Aimee ihr das Zaumzeug einfach ab und ließ sie grasen. Dann knüllte sie ihre Sachen zusammen, legte sie auf die Sitzfläche des Sattels und legte sich mit dem Kopf darauf in die Sonne.
"Ich schwimm nochmal rüber, hol die Sachen von mir auf diese Seite. Dann muss ich später nicht den nassen Benny satteln."
"Mhm", seufzte Aimee mit geschlossenen Lidern. Ich warf noch einen Blick auf die Pferde – ob Conti Abstand wahrte. Dann watete ich nochmal ins kühle Nass, schwamm die wenigen Züge tieferen Wassers hinüber. Klaubte dann alle Sachen auf, war jedoch gezwungen, etwa 50 Meter den Fluss hinauf zu laufen, um zumindest nicht schwimmen zu müssen. Im aufgewühlten Wasser suchte ich auf den glitschigen Steinen einen Weg voran. Ich wollte kurz vor der Party nicht in eine Felsspalt rutschen. Aimee schien mein Herannahen nicht zu bemerken. Schlief sie etwa? Sie hatte ihre Hände hinter dem Kopf verschränkt, die Augen geschlossen. Leichte feuchte auf ihrem Körper. Gänsehaut auf ihrem Bauch. Ich konnte nicht umhin, die Brustwarzen zu bemerken, die sich durch den Stoff ihres nassen BH's abzeichneten. Scheu sah ich woanders hin, froh, dass sie meinen Blick nicht bemerkt hatte. Vorhin hatte ich sie noch aufgezogen, aber eigentlich hatte ich eine Unsicherheit damit verstecken wollen. Plötzlich war etwas anders. Etwas, das ich bisher noch nie benannt hatte. Etwas, das ich bewusst nach ganz außen in meine Gedankenwelt verbannt hatte. Neben dem Sattel legte ich vorsichtig meine Sachen und das Pad in das Gras, ehe ich mich selbst neben Aimee auf den Boden niederließ. Aufgestützt auf einem Arm sah ich Aimee an. Deren Augen sich geöffnet hatten, während ich mich dazu legte. "Ich liebe den Sommer. Meinetwegen könnten mehr Tage so wie heute sein."
"Du machst also gern meine Boxen, fein dann ma..", sie klatschte mit der Hand diffus in meine Richtung, erwischte dabei fast mein Handgelenk und ich fing es mit der freien Hand ab.
“Hey!” protestierte ich leise. Sie streckte mir ihre Zunge heraus. Eine Geste, wie sie oft zwischen uns geschah. Aus dem Reflex heraus drehte mein Körper, mein Kopf schoss. Zwischen uns hallte das Geräusch von Zähnen auf Zähnen, in meiner Kehle ein gespieltes Grollen.
Doch… ich stockte. Spürte wie sich ihr Körper versteifte, merkte den noch etwas erschreckten Ausdruck in ihrem Gesicht. Auch ich selbst war erschrocken. Normalerweise geschah dies im Spiel mit Kaya, aber nicht mit Aimee. Niemals. Unterschwellig. Da war es wieder, dieses Gefühl, mein flacher Atem.
War das der Schreck der Erkenntnis?
Oder? War es das?
War es das, was Ylvi und Caleb immer wieder zueinander zog?
Grüne Augen fixierten die meinen. Dann gab ich dem Gefühl einfach nach, beugte mich vor, küsste Aimee scheu auf die Lippen. Ich wusste nicht wie man küsste, legte meine Lippen nur auf ihre Oberlippe, löste sie nur einige Millimeter, rückte nach unten und küsste genauso scheu ihre Unterlippe. In dem Bruchteil dieser Sekunden, spürte ich wie die Anspannung in Aimees Körper etwas wich, ihre Muskulatur wurde weicher. Ich fühlte mich plötzlich ganz schwindelig. Der Kuss war eine ganz neue Erkenntniswelt für mich, zog mich an, verwirrte mich und stieß mich zugleich ab.
Aimee
Gerade noch hatten wir herumgealbert, plötzlich lagen seine Lippen auf den Meinen. Er küsste mich zart, gar schüchtern und zögerlich. Die riesige Last, die mich die letzten Tage und Wochen gequält hatte, fiel von meinen Schultern. Die Schmetterlinge in meinem Bauch allerdings… stoben wild auseinander, schienen sich fast einen Weg nach außen zu suchen, während ich mich Tschetan leicht entgegen lehnte.
Ich spürte sein kurzes Zögern. Er wich für den Bruchteil einer Sekunde aus, doch ich lehnte mich leicht nach vorne, so dass sie unsere Lippen erneut berührten.
Ich merkte schnell, dass ich die Führung übernahm. Zwar hatte ich keine Erfahrung im Jungs-küssen, doch meine beste Freundin und Katie hatten vor einem Schulball zusammen geübt – man wusste ja nie! Auch wenn ich zu Beginn unserer Übungen der festen Überzeugung war, dass Küssen doch nicht so schwer sein konnte, überzeugte mich Katie eines besseren. Küssen war schwierig. Es machte einen riesen Unterschied, ob die Gefühle mitspielten. Bei Katie und mir waren es kurze Schmatzer gewesen, suchend nach der richtigen Position unserer Köpfe. Beim ersten Versuch waren wir mit der Stirn gegeneinander geknallt – beim Zweiten mit den Nasen, bis wir uns einige waren, wer den Kopf wohin drehen sollte. Beim dritten, vierten, fünften Versuch hörten wir so langsam auf zu kichern und dann? Dann war Katies jüngerer Bruder reingeplatzt, der nicht damit umzugehen wusste, was er dort sah. Natürlich rannte er sofort zu Katies Eltern und verpetzte uns, so dass wir wenig später in der Küche sitzen und uns erklären mussten. Katies Vater sah unsere Aktion locker, belächelte uns mit einer abwinkenden Geste. Katies Mutter allerdings bauschte das Ganze auf und machte ein riesen Drama draus, so dass ich meine beste Freundin zwei Wochen nicht besuchen durfte.
Als sie sich wieder beruhigt und Gras über die Sache gewachsen war, kam Katie eben öfter zu mir zu Besuch, als dass ich mit ihr nach Hause ging.
Ich rief mir in Erinnerung, wie die Küsse mit Katie verlaufen waren. Etwas selbstbewusster als Tschetan eben drückte ich meine Lippen auf die Seinen, lehnte meine Stirn gegen seine und unterbrach so den Kuss, ehe meine Lippen seinen Mund erneut berührten.
Das Flattern in meinem Bauch ließ nach, ich lehnte mich ein wenig nach hinten, öffnete die Augen und schaute in die Seinen. Was ich darin las, war unergründlich.
Ich lächelte ihn schüchtern an.
Tschetan erwiderte das Lächeln, sah dann jedoch zu Boden, um mich kurz darauf erneut anzusehen.
Niemand von uns sagte ein Wort, unser Atem ging kurz und stoßweise.
Fühlte es sich so an? Verliebt sein?
Aber was passierte nach dem ersten Kuss? Beide ritten gemeinsam in den Sonnenuntergang?
Ich hielt die Spannung zwischen uns nicht mehr aus, sodass ich plump sagte: “Hab geübt. Mit meiner besten Freundin… eine Zeit bevor wir umgezogen sind.”
Tschetan starrte mich kurz mit gerunzelten Augenbrauen an, ehe er lachte. “Ich habs gemerkt”, dabei sah er auf die Uhr, “wir sollten nun wirklich zurück.”
Die Sonne hatte uns weitestgehend getrocknet, sodass wir uns anzogen, die Pferde sattelten und uns auf den Rückweg machten.
Tschetan hatte recht behalten: nachdem wir den Fluss an einer flachen Stelle überquert hatten, kamen wir viel schneller wieder auf Bow River an, als wenn wir auf meiner Seite geblieben wären.
Nach dem Versorgen der Pferde zögerte ich. Tschetan stand mit dem Rücken zu mir an Bennys Box und sah dem Hengst beim Fressen seines Kraftfutters zu. Sollte ich zu ihm gehen und ihn erneut küssen? Oder den Arm um ihn legen? Was, wenn uns jemand sah, wollte ich das?
Wieder hörte ich O’s Worte in meinem Kopf. Also atmete ich einmal tief durch, straffte die Schultern und stellte mich neben ihn, nahm seine Hand in die Meine und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.
Ich merkte, wie sich kurz Tschetan versteifte. Dann allerdings drückte er meine Hand und lehnte seinen Kopf an den Meinen.
Wir standen eine ganze Weile so da, jeder in Gedanken.
Als es hinter uns plötzlich rumpelte, fuhren wir beide erschrocken herum – sahen jedoch nur noch den Schwanz einer Katze aus der Stalltür huschen, die einen der Eimer umgeworfen hatte.
Unsere Hände lösten sich voneinander und ein jeder machte reflexartig einen Schritt zur Seite. Gerade als ich etwas sagen wollte, betrat O ziemlich gestresst den Stall. “Herrgott hier bist du! Aimee, los jetzt! Dolly kann nicht zaubern, du musst schon vor ihr sitzen, wenn sie deine Haare machen soll – und überhaupt, du stinkst nach Pferd und… geh duschen! Tschetan du auch, was habt ihr zwei denn getrieben?!”
Etwas schuldbewusst schielte ich zu ihm rüber. Tschetan allerdings setzte ein Grinsen auf und antwortete O ziemlich gerissen: “Ausreiten und schwimmen, hast du das schöne Wetter nicht für… schöne Dinge genutzt?”
O starrte ihn an. “Abmarsch!”
Tschetan grinste mich an, zuckte dann die Schultern und verließ den Stall in Richtung des Haupthauses. O’s und mein Weg führte mich in Richtung der Bungalows.
Eine dreiviertel Stunde später saß ich mit halb geföhnten Haaren im Wohnzimmer des Haupthauses, in dem Dolly abwechselnd etwas an meinen, O’s und Ylvis Haaren werkelte. Geschminkt wurden wir alle von O, die sich in keinem Punkt zurücknahm – bis zum heutigen Tag war mir nicht bewusst, wie viel Schminke man auf einem Gesicht stapeln konnte. Ylvi schien genauso wenig davon begeistert wie ich, protestierte aber ebenfalls nicht.
Trotz dessen, dass sich mein Gesicht anfühlte, als hätte O zum Schminken einen Spachtel benutzt, überschütteten die drei anderen Frauen im Raum mich mit Komplimenten.
Dem nicht genug! Auch Ylvi und O selbst konnten sich kaum vor Komplimenten retten – auch nicht vor Laurence, der seit geraumer Zeit in einem der Sessel vor dem Kamin saß und Dolly bei der Arbeit zuschaute.
“Ich weiß gar nicht, wer denn jetzt wirklich alles mitkommt”, warf ich irgendwann in den Raum und hielt eine Haarsträhne fest, die Dolly mir ins Gesicht gekämmt hatte.
Ylvi pustete sich eine Wimper von der Nase, die vor O’s Wimperntusche reißaus genommen hatte, ehe sie antwortete: “Wir drei. Tschetan, Caleb und Bellamy… Letzterer springt für Murphy ein.”
“Wieso kommt ihr eigentlich nicht mit?”, fragte O dann an Dolly gewandt.
Sie tauschten einen Blick aus, ehe Dolly schlicht antwortete: “Wir bevorzugen einen ruhigen Abend hier auf der Ranch.”
“Hat sie gerade WIR gesagt?!”, formte O fast lautlos in Ylvis und meine Richtung.
Ich kicherte, konnte sie aber auch verstehen. “Also ich freue mich wirklich darauf, Nicholas zu sehen. Der war gefühlt ewig nicht mehr hier gewesen!”
“Ich freu mich auf Eric und Trevor”, warf O ein und betrachtete das Werk, welches sie auf Ylvis Gesicht gezaubert hatte. Smoky Eyes vom Feinsten, dazu ein roter Kussmund.
“Egal was du heute Abend mit den Lippen berührst, Ylvi – überall hinterlässt du deine Spuren”, stichelte O.
“Hat sie grade nicht gesagt…”, prustete jemand hinter uns los. Ich drehte mich um und sah Bellamy im Türrahmen stehen. Er trug einen wirklich schicken Anzug, seine Schuhe funkelten auf Hochglanz.
“Gut siehst du aus”, schlussfolgerte O, nachdem sie ihn von oben bis unten gemustert hatte. Auch ich scannte ihn einmal von Kopf bis Fuß. Gut sah er aus, das musste man ihm schon lassen.
Dolly war da allerdings anderer Meinung. Sie blickte ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an. “Tze, tze, tze. Bellamy so kannst du deine Haare aber nicht lassen. Komm, setz dich hier her.” Dolly schubste mich unsanft vom Stuhl. Mein protestierendes ‘Hey’ überging sie mit einer abwinkenden Geste und einem: “Dauert nicht lange.”
Bellamy nahm Platz, Dolly schnappte sich die Geldose und fuhr mit den Fingern hindurch, ehe sie sich an Bellamys Haaren zu schaffen machte. Seine dunkelbraunen Locken standen in alle Richtungen.
Als Dolly mit ihm fertig war, stand keine mehr in eine falsche Richtung ab. “Und jetzt runter da, Aimee braucht weiter meine Hilfe.”
Bellamy sprang vom Stuhl und leistete Laurence Gesellschaft, indem er sich auf die Couch neben dem Sessel setzte.
Dolly brachte ihr Werk an meinen Haaren zu Ende, ehe sie sich für einen letzten Schliff denen von Ylvi widmete.
Schließlich gingen wir, einer nach dem anderen, ins Bad und zogen uns Kleider und Schuhe an.
Als wir wieder zurück ins Wohnzimmer kamen, standen Caleb und Tschetan bereits darin, die sich langsam zu uns umdrehten.
Calebs Blick, so kam es mir aus dem Augenwinkel vor, lag mit einem ‘Wow’ nur auf Ylvi – wer hätte es gedacht. Tschetan sah mit einem neutralen Blick zu O. Als er Ylvi anschaute, weiteten sich seine Augen ein wenig, ehe er mich mit einem sanften Lächeln anschaute. “Du… ihr… seht unglaublich aus.”
Ylvi machte einen forschen Schritt auf Caleb zu. “Glamourös siehst du aber nicht wirklich aus.”
Calebs Mundwinkel zuckten nach oben. Mit seinem süffisanten Grinsen zog er etwas hinter seinem Rücken hervor und setzte es sich auf den Kopf. Es war ein schwarzer Cowboyhut, dessen Band mit roten und silbernen Glitzersteinen verziert war. Ansonsten trug er nur ein schwarzes, eng anliegendes Tank Top, eine schwarze Jeans und – natürlich passend dazu, schwarze Boots.
“Damit hast du dich aber wirklich ins Zeug gelegt”, meinte O leichtfertig und fuhr einmal an den glitzernden Steinen entlang.
“Ich hab die selbst geklebt”, verkündete er stolz.
Bei all der Aufmerksamkeit, die wir gerade Caleb widmeten, entging mir Tschetans besorgter Blick in Ylvis Richtung allerdings nicht. Als er merkte, dass ich ihn ansah, setzte er ein gequältes Lächeln auf. Ich wusste genau, was in ihm vorging – zumindest was das Ylvi & Caleb Thema betraf. Was uns betraf? Da hatte ich keinen blassen Schimmer.
Tschetan
In meinem Zimmer sah ich auf die Sachen, die ich mir zusammengesucht hatte. Für die Party hatte ich mich sowohl am Schrank von Bellamy als auch von Louis bedienen dürfen. Dolly hatte alles ordentlich gebügelt. Allerdings kümmerte ich mich erst einmal darum, Schweiß, Flusswasser und Pferdegeruch vom Körper und aus meinen Haaren zu kriegen. Mit dem Föhn brauchte ich eine halbe Ewigkeit, bis sie nur noch leicht klamm waren. Ein wenig erstaunt stand ich vor dem Spiegel meines Schrankes. Ich hatte meine Haare ewig nicht offen gesehen. In schwarzen Wellen fielen sie mir bis fast zu meinem Bauchnabel! Mit neuen Socken und Shorts zog ich mir die Hose an, der Stoff war seltsam. Nicht direkt Jeans und auch nicht ganz der dünne von Anzügen. Allerdings passte sie mir mit einem schmalen Gürtel ziemlich perfekt. Mit dem weißen Hemd brauchte ich ein wenig länger, um die ganzen fizzeligen Knöpfe zu verschließen. Eine dunkelblaue Jacke passend zur Hose gehörte auch dazu, allerdings legte ich mir die nur leicht um die Schultern. Mir war jetzt schon viel zu warm. Unsicher stand ich mit der Krawatte da, die beim Hochheben der Jacke zu Boden gefallen war. Da musste ich Bellamy fragen, wie das Teil ging… oder Laurence.
Mit Boots in der Hand fand ich mich mit dem Pulk an Leuten, die dort schon den Weg blockierten, im Wohnzimmer ein und hörte das Schnattern der Frauen aus einem der Bäder. Bellamy erwischte ich auf dem Flur.
“He!”, zischte ich, tippte ihm auf die Schultern. Hielt dann die Krawatte nach oben. “Mit dem Ding komm ich nicht klar.”
Bellamy grinste, klaubte mir den Fetzen Stoff aus der Hand. Ich hob meine Haare an, um sie aus dem Weg waren. Einem Impuls folgend hatte ich sie einfach offen gelassen. In meiner Hosentasche hatte ich jedoch ein Zopfgummi, um einen Dutt zu machen, falls mir die Haare doch auf den Geist gehen würden. Bellamy band mir die Krawatte um, positionierte den Knoten allerdings locker vor meinem Sternum. Im Flur lugte ich nochmal in den Spiegel. Irgendwie war ich mir fast fremd, aber irgendwie gefiel ich mir auch. Im Wohnzimmer bekam ich nur die Hälfte der Gespräche mit. Schließlich kamen die Frauen aus dem Bad zurück, ich hörte sie gerade die Treppe hinunter laufen.
Ich war völlig angetan von den Kleidern, Frisuren und dem Make-up der Frauen. Erleichterung dabei, dass Ylvi ein anderes Kleid gewählt hatte. Auch wenn die Korsage ihr Dekoltee gefährlich offenbarte. Gegen O’ und Ylvi wirkte das Kleid von Aimee beinahe altruistisch, trotzdem konnte ich mir ein mildes Lächeln in ihre Richtung nicht verkneifen. Wunderschön sah sie noch immer aus.
Calebs Hut sorgte für Aufregung. Aha, dafür hatte ich ihm also die Glitzersteine aus Calgary mitbringen sollen. In meinem Kopf blitze ein Bild von Caleb mit Pinzette auf, wie er eifrig Steinchen klebte. Doch ich kam nicht umhin zu bemerken, wie sein Blick lange auf Ylvi hängen blieb. Mit ihm als ihr Wächter müsste ich mir keine Sorgen machen. Trotzdem… ich dachte an mein eigenes unbedachtes Handeln, als ich Aimee geküsst hatte. Leidenschaft. Das war das Wort, was ich gebraucht hatte zu definieren. Leidenschaft war ein gefährliches Gefühl, es ließ einen über seinen Verstand handeln. Bemitleide ich mich gerade selbst? Oder Aimee? Oder bemitleidete ich Ylvi? Ich seufzte tief in mich hinein. Die nächste Zeit, das spürte ich, würde interessant werden.
Die Rückbank des Wagens teilte ich mir später mit O’ und Aimee. Eng zusammengepfercht hockten wir da, versuchten die Schlaglöcher des Wagens auszugleichen. Aimees nackter Oberschenkel am meinem war mir zu allzu bewusst. Außerdem ruhte ihre Hand in der klitzekleinen Lücke zwischen uns, unsere Hände ineinander verschlungen. Die Aufregung spürte ich wieder, wollte am liebsten meine Hand wegziehen. Nicht angeekelt. Aber wegziehen. Meine Gedanken huschten zurück zum Fluss und unseren Küssen. Ihre Worte hatten mich erstaunt. Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, das Mädchen übten, wie man küsste. Ich hatte fest damit gerechnet, dass Aimee bereits Erfahrungen mit Bryce gesammelt hatte. Da war ich nun tatsächlich der erste Junge, den sie geküsst hatte? Vermutlich würde ich Lügen, wenn mich dieser Gedanke nicht ein wenig stolz machte.
Dann schwang mein Gedankenkarussell weiter zu meinen Freunden, zu Nicholas. Küssen zu üben. Mit ihnen? Ich spürte wie sich mir unweigerlich die Haare aufstellten bei dem Gedanken Nicholas zu küssen. Trotzdem.
Der Kuss… die Küsse. Die ganze Situation. Es änderte alles. Ich hatte Angst davor. Ein für alle Mal war ich meinen Gefühlen gefolgt. Gefühlen, Emotionen, die ich bisher nicht verspürt hatte. Nicht in Aimees Richtung. Es verwirrte mich so sehr. Meine Unsicherheit stellte ein Problem dar.
Aimee hingegen schien sich sicherer. Sie hatte sich an mich gelehnt in der Stallgasse. Hielt auch jetzt im Auto, verborgen vor den anderen meine Hand. In diesem Moment und auch jetzt schrie mein ganzer Organismus quasi nach Flucht. Ich wollte gerade nicht hier sein. Nicht fühlen. Nicht existieren. Was beim Schöpfer hab ich mir eigentlich dabei gedacht, Aimee zu küssen?! Vollkommen hirnverbrandt. Ich hatte unsere gesamte Freundschaft aufs Spiel gesetzt, für einige Sekunden puren, vergänglichen Glücks. Ich sah doch schließlich, wohin es Ylvi führte. Trotz allem behielt ich meine Hand, wo sie sich befand. Genoss unseren Körperkontakt und spürte, wie meine Laune stieg. Ein Empfinden stieg in mir auf, das ich bisher nicht gekannt hatte. Bei der Ankunft, als wir uns alle wieder aus dem Auto befreiten. Da vermisste ich dieses Gefühl. Ein Sehnen in der Mitte meines Brustbeins, etwas, das schien mir eben jenes auseinander zu reißen.
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