Of Screws and Metal - Hof-Nebenstory
Geschrieben von Occulta im Blog Nebenstorys. Ansichten: 854
Of Screws and Metal
Teil 1
_ ____________________________________________________________________ _
Als ich klein war, habe ich einmal mit meinem Vater ferngesehen. Das war, bevor er mich und Mum im Stich gelassen hat, um sich mit einer ‚Arbeitskollegin‘ zu treffen. Es lief eine Doku über Tierärzte in Entwicklungsländern. Dad hat damals murrend weitergeschaltet, weil ihn solch verrückte Gutmenschen, wie er sie gerne nannte, langweilten. Doch ich hatte in den wenigen Sekunden einen Blick in eine Welt erhascht, die mich faszinierte und sich nach Abenteuer anhörte. Es war in diesem Moment, dass sich meine Zukunft vor meinem geistigen Auge entfaltete und ich mir sicher war:
„That’s what I’m gonna be like!“
Ich schmunzelte bei dem Gedanken, dass ich damals so naiv und verträumt gewesen war. Leider hatte ich gerade jede Menge Zeit, um mich an diese sorglosen Momente meines Lebens zu erinnern, denn die Maschine vor mir spuckte alle paar Sekunden silbern glänzende Teile aus, die ich dann messen und auf ein Brett stecken musste – den ganzen Morgen schon. Diese Arbeit war ziemlich trostlos für träumerische, kreative Denker wie mich. Aber so schien das Leben nun mal zu sein: Wie ein launischer Schachspieler, der alle paar Momente seinen Schlachtplan ändert und wieder eine Figur opfert. Vielleicht war dieser Weg auch einfach von Anfang an für mich bestimmt gewesen; vielleicht war ich einfach eine derjenigen, die als Kompensation für all die glücklichen, zufriedenen Menschen herhalten mussten. Irgendwer musste schliesslich die Drecksarbeit machen. Okay, ich meine ich kann froh sein, dass ich überhaupt einen Job und ein Einkommen habe. Mein Arbeitsvertrag ist zwar ziemlich einseitig und alles andere als fair, und der Lohn dürfte auch grosszügiger ausfallen, aber ich bin noch jung und habe mein ganzes Leben vor mir. Irgendwo musste ich ja anfangen, und auch wenn mein Job etwas langweilig ist, habe ich einige Entwicklungsmöglichkeiten. Mechaniker zu sein, ist zugegebenermassen nicht das Ende der Welt, das ginge noch viel schlimmer, tröstete ich mich selbst, und dachte dabei an die schäbigen Soaps und Reality Shows, die abends im TV liefen. Die sah ich mir manchmal ganz gerne an, um mein Selbstwertgefühl zu heben. Seufzend stützte ich mich auf dem Metallkorb auf, in dem die Steckbretter gestapelt wurden. Wie viele Teile habe ich diesen Morgen produziert? 1‘000? 2‘000? Ich weiss es nicht. Wenigstens läuft die Maschine. Als mein Boss um die Ecke kam, richtete ich mich rasch auf und tat so, als würde ich ein paar Korrekturen in die Maschine eintippen. Im Augenwinkel sah ich, dass er mich mit scharfem Blick beobachtete und danach zum Korb ging, um ein Teil herauszufischen. Ich drehte mich zu ihm um und lächelte freundlich, aber er beachtete mich nicht weiter und kramte einen Messschieber aus seiner Hosentasche. Sein grauer Schnauz zuckte, als er die Masse überprüfte. „That’s complete waste. Again.“, stiess er nach einer Weile mit spöttischem Ton aus. Ungläubig sah ich auf die Digitalanzeige. „Impossible! I swear, I did check every peace up until now, and they were all perfect!“, rief ich aufgebracht. “Nonsense. All you ever do is dream and laze around. This is the third time this week, and I’m not gonna tolerate any more of it! I can’t afford to pay someone who only produces rubbish like that.” Mir klappte der Mund auf, und ich war einen Moment lang sprachlos. Mein Gehirn ratterte auf Hochtouren, um rettende Worte zu finden. „Sir, please. I think there must be something wrong with your calliper! And also, those incidents weren’t my fault entirely! I was really working hard to find the reason for the cooling problem, and I double checked the program prior to starting the machine, but someone messed with the coordinates for the screw tap and – “ “Enough! Pack your things, you needn’t come back here tomorrow.” Er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in die Richtung, aus der er gekommen war. Ich fühlte mich ziemlich geohrfeigt. Klar, ab und zu schweife ich etwas ab. Aber ich arbeite immer gründlich und schnell! Ich löste mich aus der Trance und überprüfte die Teile nochmal. Egal, wie viele ich in die Hand nahm und zwischen die geschliffenen Flächen des Schiebers klemmte – sie waren zweifellos in der Toleranz. Und der Schieber selbst musste auch richtig eingestellt sein, das überprüfte ich schliesslich jeden Morgen. Aber das nützte mir auch nichts. Wahrscheinlich muss er wieder irgendwo sparen, und ich bin wie immer die Dumme. Bisher waren es nur Lohnkürzungen, jetzt doch eine Kündigung. Und das erst noch per sofort. Ich bin selbst schuld, dass ich den Vertrag ohne ihn zu hinterfragen unterschrieben habe. Ich hätte ahnen müssen, dass das nicht lange hinhält. Demotiviert schmiss ich die Teile in meiner Hand zurück in den Korb und packte meine Messwerkzeuge, die Trinkflasche und meine Schlüssel in den beigen Beutel, in dem ich die Sachen immer transportierte. Ich warf einen Blick auf den ausziehbaren Spiegelstab, der noch auf dem Tisch neben der Maschine lag. Du warst immer so praktisch, mein kleiner Freund… Ach, das merkt eh keiner. Ich sah mich kurz um, dann steckte ich ihn ebenfalls in den Beutel, „serves you right“ murmelnd. Ich schlurfte zur Stempeluhr, meldete meinen Badge ab und knallte ihn unterwegs der Büro-Tussi von der Personalverwaltung vor die Nase, die nicht einmal von dem Dokument, über das sie sich beugte, aufsah. Ich meinte aber für den Bruchteil einer Sekunde ein selbstgefälliges Lächeln unterhalb ihrer grossen Brille zu erkennen. Wenigstens würde ich einige ätzende Leute hier bestimmt nicht vermissen. Ich konnte allgemein nicht besonders gut mit Leuten umgehen, hatten jedenfalls meine Lehrer früher immer behauptet. Mich kratzte das nicht, denn ich hatte mich daran gewöhnt, während der Arbeit nicht zu reden. Auch sonst mochte ich zum Beispiel abends meinen stillen Rückzugsort, die kleine Wohnung mitten in Birmingham, immer noch lieber als die belebten Strassen und Cafés. Da gab es nur noch mehr Leute, die entweder ein erfülltes Leben hatten und mich neidisch machten, oder allen Mitmenschen böse Blicke zuwarfen, weil sie selbst nichts erreicht hatten. Jeder hatte seine Probleme und Macken – mir reichten meine. Und die waren im Moment wieder erschlagend.
Als ich die Tür zur Wohnung öffnete, fand ich einen Zettel, der darunter durchgeschoben worden war. War ja klar, dass du damit gerade jetzt kommst. Es war eine Zahlungsaufforderung meines Vermieters, was sonst. Ich warf sie genervt auf den Altpapierstapel und setzte mich mit einem Bier auf die Couch. Für einen Moment schloss ich die Augen und lauschte dem Geschimpfe der Nachbarn, die sich wohl wiedermal wegen einer Affäre in die Haare geraten waren. Das passierte bei denen öfter, als der Postbote mir Mahnungen brachte (an dieser Stelle lasse ich Raum für Interpretationen). Entnervt stöhnte ich und vergrub mein Gesicht im Kissen neben der Armlehne. Warum konnte ich in der Schule nicht einfach gute Noten machen, mit einem Stipendium an die Uni gehen und dann auf Forschungsreise irgendwo in Afrika glücklich an Malaria sterben? Stirbt man daran überhaupt noch heutzutage? Egal. Ein Freund mit wohlhabenden Eltern hätte mir auch schon gereicht. Oder wenigstens eine Stelle mit einem grosszügigen Vorgesetzten, der mir ein paar Hunderter mehr abdrückt. Mein Handy klingelte. Ich atmete tief ein, räusperte mich, und nahm ab. „Hi Mum! How are you? … Me? Yea, totally fine. … What? No, no, everything’s good over here. Except for Ben’s cooking – that is something, that’s never gonna improve. … Ah, so why’d you call? … What!? You should go see a doc! … No way you’re gonna be okay like that! … Yeah, I know it’s expensive - … Look, I’m gonna help you pay if it is something serious! Please Mum, promise me, ‘kay? … Love you, too.” Gerade als ich dachte, es würde nicht mehr besser werden. Ja, die Sache mit meiner Mutter… Seit Dad uns verlassen hatte, war sie einfach immer anfällig für Wehwehchen gewesen. Wenn in der Stadt irgendwo eine Grippe im Umlauf war, konnte man darauf wetten, dass es sie erwischte. Aber nun schien es sie mit etwas anderem, ernsterem erwischt zu haben. Ich machte mir sogar ausnahmsweise richtig Sorgen, denn sie hatte am Handy gar nicht gut geklungen. Und diesmal lag es gewiss nicht an den billigen made-in-China-Lautsprechern.
_____
Ich war auf der Couch eingenickt, und erst das laute Knurren meines Magens weckte mich. Es war bereits Abend, ich hatte also den restlichen Nachmittag verschlafen. Eine Schüssel Teigwarensalat diente mir als Mahlzeit, dazu ein Stück Brot, das sogar ziemlich frisch war. Es war ja nicht so, als hätte ich es nötig, mich noch mehr zu quälen. Kochen konnte ich erstaunlich gut, und das half mir, auch mit günstigen Zutaten anständiges Essen auf den Tisch zu bringen. Ganz im Gegensatz zu Ben, meinem bereits erwähnten Nachbarn. Er parasitierte von meinen Kochkünsten und ass oft bei mir, denn er selbst war ein hoffnungsloser Fall, der sonst wohl elendig verhungern würde (selbst mit Tiefkühlpizza…) und ich bekam so wenigstens das Quäntchen Gesellschaft, das mich davon abhielt, zu einer verrückten Tauben-Lady zu werden. Natürlich steuerte er auch seinen Anteil an Zutaten bei. Das erste Mal mit ihm ins Gespräch gekommen war ich, nachdem er seine Küche halb in Brand gesteckt hatte. Wo bleibt er eigentlich? Müsste längst hier sein… Bestimmt hat er wieder seine Schlüssel verloren und kommt nicht zur Haupttür rein. Ich öffnete das Küchenfenster und sah runter. Den Arm hatte er bereits in Richtung meiner Klingel ausgestreckt, als er beim Geräusch des sich öffnenden Fensters erschrocken hochsah. „Oh, ah… Could you please -“ „Yeah, right away.“ Augenrollend lief ich die Treppe runter, mich selbst für mein unglaublich verlässliches Bauchgefühl lobend, und öffnete ihm. Er entschuldigte sich für die Unannehmlichkeit und fürs zu spät kommen. Er war einer dieser Versagertypen, die einfach viel zu nett zu ihren Mitmenschen blieben, obwohl die sie schamlos ausnutzten. Deshalb war er auch hier gelandet, in diesem Viertel. Denn eigentlich hättest du Besseres verdient, Trottel, sagte ich innerlich, als ich ihn beim Herunterschlingen des Teigwarensalats beobachtete. Ich wusste, dass er früher gute Schulnoten gehabt haben musste (im Gegensatz zu mir), weil ich einmal, als er auf der Toilette gewesen war, in seinem Schreibtisch gestöbert hatte und dabei einen alten Aufsatz fand, der wirklich gut bewertet worden war. Er war von Beruf her Journalist, allerdings nur bei einer unbedeutenden Gratiszeitung. Jedenfalls tat er mir irgendwie leid, denn auch er zog das Unglück an, obwohl er keiner Fliege was zu leide tun konnte. Bei mir hatte es wenigstens etwas mit Karma zu tun, da war ich mir sicher.
In dieser Nacht schlief ich unruhig. Ich war eigentlich ziemlich abgehärtet und liess mich durch nichts so schnell aus der Ruhe bringen, aber diesmal war es einfach ein bisschen viel auf einmal geworden. Die gefühlte halbe Nacht starrte ich daher an die Zimmerdecke und versuchte eine angenehme Schlafposition zu finden, was mir aber irgendwie nicht gelingen wollte. Vielleicht hätte ich am Nachmittag nicht so faul rumliegen sollen, überlegte ich.
Der nächste Morgen kam mit dem erbarmungslosen Läuten meines Weckers, den ich im ganzen Trubel vom Vortag nicht abgestellt hatte. Zunächst drehte ich mich nach dem ausschalten mit einer gewissen Genugtuung einfach im Bett um und kuschelte mich wieder in die Decke ein; aber ich konnte nicht mehr einschlafen und bekam höchstens Hitzewallungen. Daher war ich auch an diesem Tag früh auf den Beinen. Nach dem Frühstück nutzte ich den Morgen, um Bewerbungen zu schreiben. Schliesslich konnte ich nicht einfach herumsitzen und nichts tun. Ich brauchte Geld, also musste ein neuer Job her. Ich war es von vorherigen Stellensuchen gewohnt, jede Menge Absagen zu bekommen, also schickte ich vorsorglich mehr als genug Bewerbungsschreiben herum. Ich machte mir nicht die Mühe, die Firmen vorher genauer anzusehen – das konnte ich schliesslich immer noch tun, falls ich eine positive Rückmeldung bekam. In den folgenden Tagen hörte ich erstmal überhaupt nichts, aber am fünften Tag kam tatsächlich eine erste Einladung zu einem Bewerbungsgespräch per Mail angeflattert. An besagtem Termin verbrachte ich eine gefühlte Stunde vor dem Spiegel, um dafür zu sorgen, dass ich professionell und seriös aussah. Eigentlich unnötig, es ist ja kein Büro- oder Servicejob. Aber sicher ist sicher. Ich war keine dieser aufgebrezelten Schönheiten, wie man sie in Magazinen sah. Als Mechanikerin hatte es auch keinen Sinn, sich grossartig zu bemühen: man musste ohnehin jeden Tag mit schmutzig grauen Händen und öligem Haar rechnen. Ich fand mich nicht hässlich, so war es nicht – nur eben nicht übermässig anziehend. Meine gewöhnlichen, mittelbraunen Haare, meine langweilig ebenfalls braunen Augen, die eher geringe Körpergrösse, der etwas dunklere Haut Ton, der mich aussehen liess, als käme ich gerade aus den Ferien in Mallorca (und bei dem ich mir nicht mehr sicher war, ob er nicht doch vom ständigen Schmieröl-Kontakt herrührte). Ich war kein Hingucker, niemand der auffiel. Aber vielleicht konnte ich trotzdem einen klitzekleinen Frauenbonus bei der Stellensuche erwirken? Wobei weiblicher Charme in meinem Job nicht immer unbedingt erfolgversprechend war. Das einzige, worauf ich ziemlich stolz war, waren meine Muskeln. Mein Körper war einigermassen durchtrainiert für den einer Frau, und das ohne Fitnessstudio-Besuche (die konnte ich mir eh nicht leisten). Ich trainierte jeden Tag selbstständig zuhause, oder während der Arbeit, wenn sich gerade eine Gelegenheit ergab. Es passierte auch oft, dass ich mich auf dem Heimweg spontan irgendwo dranhängte, um Klimmzüge zu machen; meistens musste der Kinderspielplatz zwei Strassen weiter herhalten. Man darf sich das nicht falsch vorstellen – ich war kein Bodybuilder oder so. Aber man sah doch, dass ich etwas mehr auf dem Kasten hatte als durchschnittliche Frauen. Ausserdem hatte ich als Teenager mal eine Phase gehabt, in der ich als Zeitungsträger etwas Taschengeld verdiente, damit ich Karate-Unterricht mit meiner damaligen Kollegin besuchen konnte. (Nach ein paar Jahren besiegte ich sie aber auf vernichtende Weise in einem Übungskampf, woraufhin sie mir, eingeschnappt, die Freundschaft kündete. Offenbar hatte ich ein gewisses Naturtalent was Kampfsportarten anging – und vermutlich auch, wenn es darum ging, Kündigungen zu erhalten.) Jedenfalls machte ich längst kein Karate mehr, kannte die Techniken und Bewegungen aber noch in- und auswendig. Das war manchmal ganz praktisch, wenn man sich in den abgelegeneren Quartieren der Stadt in einer schwierigen Situation befand.
Das Bewerbungsgespräch war zwar kein Kampf gewesen, aber die Bilanz davon fühlte sich ziemlich genau so an, wie gerade unsanft auf den Boden gelegt worden zu sein. Der Typ war nicht einmal richtig auf meine Dokumente eingegangen, sondern hatte mir bloss gelangweilt ein paar Standardfragen gestellt und mich danach ziemlich direkt wieder vor die Türe gestellt. Auch bei den nächsten paar Gesprächen hatte ich nicht mehr Erfolg. „Tut uns Leid, wir suchen für das Rohmaterial-Lager eher Personen, die auch höhere körperliche Leistungen erbringen können.“ Arschlöcher. Warum wurde ich dann überhaupt eingeladen, wenn hier solche Vorurteile herrschen? Nur weil ich nicht so grossgewachsen bin, ugh. Das Busticket hätte ich mir auch sparen können. Selbst nach fast einem Monat hatte sich nichts an meiner Situation geändert, ausser, dass ich weitere Mahnungen bekommen hatte und mein Selbstwertgefühl so langsam im Eimer war. Ray Alvy Hayes, du bist vielleicht doch eine grössere Versagerin als du dachtest.
_____
Es war schliesslich ein ganzer Monat vergangen, als ich eine weitere Antwort bekam; dem Datum zufolge auf eine der ersten Bewerbungen, die ich überhaupt abgeschickt hatte. Da sonst im Mailordner seit Tagen gähnende Leere herrschte, klickte ich drauf und überflog den Inhalt. Es handelte sich erstaunlicherweise um eine weitere Einladung zu einem Bewerbungsgespräch. Ben rief von der Küche aus „Anything new?“ Ich sah mir die Website der Firma an. Die „Harper Tech Solutions“ schien eine sehr seriöse, saubere Aktiengesellschaft zu sein, die mehrere Firmenstandorte besass. Einer davon war hier in Birmingham, eigentlich also perfekt für mich. „Yeah, seems so. Tough I think it will be yet another failure. They look too damn posh to take someone like me…” “Try anyways. If you don’t try, you won’t know.” Dass ausgerechnet du immer solche Worte parat hast… Aber stimmt schon. Ich beschloss, mein Glück abermals zu versuchen. „But if I get rejected this time, I’ll look for a part time job at a supermarket or something like that. I’ve had enough of this shit.” “I’m sure it will work out. I have a good feeling, and you deserve to get a worthy job.” “Do I, huh?...”, murmelte ich nur, und schlürfte meinen mittlerweile kalten Tee fertig.
Zwei Tage später stand ich vor dem Eingang der „Harper Tech Solutions, Birmingham“. Ich betrachtete mich ein letztes Mal in einer der Fensterscheiben. Diesmal war ich etwas gewagter gekleidet, denn die Firma schien in einer anderen Liga zu spielen, als meine bisherigen Anlaufstellen. Ich hatte also auf eine weisse Bluse und einen billigen, aber formellen Bleistiftrock gesetzt, und mich ausserdem in mein einziges Paar Absatzschuhe gezwungen. Es hatte zwar Überwindung gekostet, aber wenn ich dafür einen besseren ersten Eindruck hinterlassen konnte, war es das wert. Ich meldete mich im Büro der Firma und wurde in ein leeres Sitzungszimmer geführt. Die Wände waren schneeweiss, die Stühle sahen schick aber unbequem aus, und die Topfpflanze in der Ecke war bei genauerer Betrachtung aus Plastik, was aber nichts daran änderte, dass sie dem Raum ein gewaltiges Stück mehr Leben einhauchte. Mich fröstelte es irgendwie, obwohl es eigentlich nicht kalt sein konnte, denn draussen herrschten Temperaturen um die 26 Grad, und ich hörte nirgends eine Klimaanlage. Nach einer gefühlten Ewigkeit, betrat ein junger Herr das Zimmer. Er trug einen Anzug und sah ziemlich wichtig aus, aber ich schätzte, dass er wieder nur ein Bürolist sein musste, der dazu verdonnert worden war, die Bewerbungen zu bearbeiten. Diese Interpretation wurde auch durch seine abgebrüht wirkende Mimik gestärkt. Da ich bisher mit solch halbherzigen Angestellten in Gesprächen kein Glück gehabt hatte, ging ich sogleich all-in. „Good day Sir, could you perhaps tell Mr Harper, that I would like to talk to him personally, if anyhow possible? I wouldn’t mind to wait for a bit longer, if he’s busy.“ Er runzelte die Stirn und blinzelte erstaunt, dann antwortete er mit kritischer Stimme “Mr Harper is standing right before you. Miss Ray Hayes, I presume? Did you perhaps not even take the effort of researching about our company? You’re the first to not immediately recognise me.“ Shoot! What a great way to start this… “Uhh, no, I really did! I must have overseen your picture, tough…” Und ist der nicht viel zu jung für eine Chefposition? Er kann kaum älter sein als ich! „However. What brings you here, Miss Hayes?“ Ich starrte ihn ungläubig an. “I’m here for the job interview, of course?...” “What, like this?”, meinte er spöttisch, und deutete auf meine Schuhe. „We are looking for a mechanic, not a new coffee fetcher.” Okay, das war’s. “I just thought… I normally don’t dress like this, Sir, I just wanted to leave a good first impression”, war mein Rettungsversuch. “Well, you kind of missed your goal.” Ah, so viel zu ‘den Finger in die Wunde stecken’. “Why would we hire someone like you? And why would we want to hire a woman for the job? I really can’t see why my secretary even invited you”, verkündete er mit gelangweiltem Unterton, wobei er das Wort ‘Secretary’ betonte. Ich wusste einen Moment lang nicht, was ich darauf entgegnen sollte. Was für ein Ekelpaket von einem Chef. Doch dann wurde mir bewusst, dass das womöglich meine letzte Chance war, und er mich zu testen schien. Ich legte mir die folgenden Worte sorgfältiger zurecht als die letzten paar. “Because I work precise and have an eye for small details, I am creative and can come up with interesting new ideas – and I’m pretty good with multitasking, too.” Er musterte mich skeptisch. Weil ich das Gefühl hatte, dass es ihm noch nicht reichte, fügte ich rasch an “I’m also very good at improvising. And I don’t give up easily, since I had to work hard for every little success in my life.“ “So what will you do, if I tell you to leave right now?” Ich öffnete den Mund und atmete ein, brauchte aber noch einen Moment, um die passende Antwort zu finden. “I will try to persuade you, that it would be a mistake to let me go.“ “That so.”, meinte er trocken. Er wandte sich ab und lief zur Tür. Ich klemmte meine Lippen zusammen, mich bereits mit dem Gedanken anfreundend, den ganzen Tag an einer Supermarktkasse zu stehen, oder sogar Toiletten zu putzen. Doch dann sagte er mit einem Blick über die Schulter „Please follow me, Miss Hayes. I will show you around for a bit.“ Ich konnte es kaum fassen. Hat er das jetzt gerade echt gesagt? Ah, aber freu dich nicht zu früh Ray – das war noch lange keine Zusage… Ich folgte ihm, so zügig es meine Schuhe zuliessen. Ich konnte nicht besonders gut darin laufen, weil ich mir flache Schuhe gewohnt war, und die Absätze nur einmal, an der Hochzeit meines Onkels, nach den Überredungskünsten meiner Cousine, gebraucht hatte. Wir betraten die Produktionshalle, und ich zog die Augenbrauen hoch. Die Halle war riesig! Und ich hatte wohl noch nie so viele hochwertige CNC-Maschinen auf einem Haufen gesehen. Alles schien ziemlich neu und sauber zu sein, man fand kaum Späne auf dem grauen Fussboden. Als wir an den Maschinen vorbeiliefen, fragte ich deshalb bewundernd, wann denn die Firma gegründet worden sei. Mr Harper antwortete knapp: „So you really didn’t research much. It was 1992.” Ich schwieg beschämt und beschloss, vorläufig den Mund zu halten, während er mir die Fräs-Abteilung und ein paar teuer aussehende Roboter zeigte. Wär schon verdammt cool, hier zu arbeiten, stellte ich sehnsüchtig fest. Dann, mit einem Seitenblick auf Mr Harper’s mürrisches Gesicht: Andererseits… Mit dem Typ als Boss? Vermutlich will er mit der Führung eh nur Anstand zeigen und mich nicht gleich mit einem Arschtritt loswerden, weil ihn das in schlechtes Licht rücken würde. Aber warum werde ich das Gefühl dann nicht los, dass er nicht gerade der Typ ist, der sich um Anstand schert? Ich meine, mit der Visage, die er unverblümt vor Fremden aufsetzt… Wir endeten die Führung im Rohmateriallager und kehrten danach ins Sitzungszimmer zurück. Diesmal setzte auch er sich hin, gegenüber von mir. „Well? How did you like it?“, fragte er ungeduldig, als ich nicht gleich den Mund öffnete. Ich gab mir Mühe, ernsthaft begeistert zu klingen. “It is fantastic! I would really love to work here, with any of these machines.” “So, you would say that you are not very picky?” Warte, worauf ist das jetzt bezogen? “The job we are offering is mainly about working with the CNC lathes. We postulate excellent programming skills and high stress resistance, since this is a demanding job. Our company is known for precision and reliability, so we do not tolerate any trouble makers or unmotivated people.” “That is no problem, Sir.” “Even if you would have to spend extra hours in the evening on Sundays, to warm up the Machines?”, fragte er herausfordernd. “…Yes, Sir.” “Fine. I will contact you, as soon as we have evaluated the other candidates.” Er stand auf und öffnete die Tür für mich. Ich verabschiedete mich, unsicher lächelnd, und trat raus an die frische Luft. Phu, das war was. Aber am Ende sah es gar nicht sooo schlecht für mich aus, oder? Jedenfalls habe ich nicht gleich eine Absage erhalten, wie die letzten Male. Zuhause wartete Ben auf mich, und fragte sofort „How did it go?“ Ich spannte ihn einen Moment auf die Folter, dann lächelte ich und meinte: „I pretty much fucked up, but I still might have a tiny chance this time. Though I’m glad it’s over for now. That guy was kind of a pain in the ass.” “That’s just what an ordinary boss should be like”, meinte Ben philosophisch.
Zwei Wochen lang wartete ich angespannt auf einen Anruf, ein Mail oder gar einen Brief. Dann war es endlich so weit. „Ben, Ben!“ Ich war kurz davor, ihm die Tür einzurennen, als er verwundert öffnete. „I got it! I got the job!“, rief ich fassungslos, und er klopfte mir begeistert auf die Schulter. Ich konnte es wirklich kaum glauben – wie zur Hölle hatte ich so viel Glück verdient? Und das obwohl bei meinem Vorstellungsgespräch reichlich viel in die Hosen gegangen war. Vielleicht hatte Mr Harper das schon wieder vergessen? Er war ja bestimmt ziemlich beschäftigt, mit all den Angestellten und der Firma; da war es doch gut möglich, dass ihm das ein oder andere Detail mit der Zeit entfiel. Oder vielleicht hatte irgendeine Sekretärin das Aussortieren übernommen? Aber so sehr ich mich freute: mit der Zusage kamen auch die Sorgen. Ich war mir plötzlich doch nicht mehr sicher, ob ich dem was mir bevorstand wirklich gewachsen war. Innerlich hatte ich längst wieder mit einer Absage gerechnet und mir daher nicht viel dabei gedacht, als Mr Harper „high stress resistance“ und „reliability“ erwähnte. Ach was Ray, irgendwie packst du das schon. Schliesslich ist das der bestbezahlte Job, den du je hattest! Den werd‘ ich mir ganz bestimmt nicht durch die Finger gleiten lassen. Und das Geld hatte ich dringend nötig. Mum war immer noch nicht beim Arzt gewesen, obwohl sie es versprochen hatte. Und mein Vermieter wurde langsam unausstehlich. Ben hatte mir seine Hilfe angeboten, aber das konnte ich nicht annehmen, weil er selbst nur knapp genug für sich hatte. Nein, von jetzt an würde alles besser werden. Es musste besser werden.
Waldvoegelchen, Veija und adoptedfox gefällt das.
Du musst eingeloggt sein um ein Kommentar zu schreiben.