Of Screws and Metal - Hof-Nebenstory Teil 3
Geschrieben von Occulta im Blog Nebenstorys. Ansichten: 1593
Teil 3
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Mr Harper machte den üblichen, mürrischen Gesichtsausdruck, mit dem man ihn beinahe immer herumlaufen sah. Ich versuchte, nicht zu ihm hinüber zu schielen, als er am nächsten Morgen durch die Halle schlenderte; sondern mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Trotzdem schlich sich mein Blick genau im richtigen Moment zu ihm: er diskutierte gerade mit dem Produktionsleiter und achtete wohl nicht genug auf seine Umgebung - denn im nächsten Augenblick stolperte er über einen am Boden neben der Maschine stehenden Korb. Mir rutschte ein amüsiertes Grunzen heraus, was er leider bemerkte. Missbilligend sprach er: "Very funny Miss Hayes. Instead of laughing you should rather remove this to where no one can fall over it, as someone considerate would normally do." Ich versuchte ein ernstes Gesicht aufzusetzen und murmelte "sorry", aber meine Mundwinkel zuckten hartnäckig nach oben. Als ich zu ihm rüberging, um den Korb aufzuheben, und dabei seinen noch immer beleidigten Ausdruck sah, wurde es nur noch schlimmer. Ich konnte ihn in diesem Moment einfach nicht ernst nehmen - er erinnerte mich zu sehr an diese Internet-Katze mit dem verärgerten Gesicht, die mir Ben vor einer Weile auf einem Meme gezeigt hatte. Wie hiess die noch gleich? Mr Harper fand es wohl überhaupt nicht witzig. "You really seem to find joy in the bad luck of others, don't you?" "No, normally I'm no such person", versicherte ich rasch. "So you specifically enjoy seeing me fall.", meinte er daraufhin, mit gekränktem Unterton. "NO! Of course not! But Sir - if I can be honest for a minute: you should learn to laugh about minor mishaps, then maybe you wouldn't be so bitter all the time. But no offense! I mean - I just rarely see you looking ‚cheerful‘..." Der Produktionsleiter unterbrach mich, bevor ich meine Aussage weiter retten konnte. "Miss Hayes! Do you ever think before you speak?" Mr Harper vollzog eine beschwichtigende Handbewegung und meinte streng an mich gerichtet: "That might be because whenever I meet you Miss Hayes, there's nothing for me to laugh about." Ich schluckte leer. Aber dann formte sich auf seinem Gesicht tatsächlich eine Art Lächeln; als solches deutete ich es jedenfalls, etwas verdutzt. Seine Miene verdüsterte sich sofort wieder, als ich noch immer perplex dastand. "That was a joke. Well, I have no more time to waste." Und damit wandte er sich wieder dem Produktionsleiter zu, der mir warnend zu blitzte, und die beiden Herren entfernten sich. Ich rätselte den ganzen restlichen Morgen darüber, ob das nun gut oder schlecht für mich ausgegangen war.
Am Nachmittag schaffte ich es doch tatsächlich, eine wichtige Sitzung zu verpassen, bei der die Einhaltung der Oberflächenqualitäten und das Werkzeugmanagement diesbezüglich thematisiert wurden. Ich war so konzentriert in das Anpassen eines alten Programmes auf einen neuen Maschinentyp gewesen, dass ich die Zeit völlig ausser Acht gelassen hatte. Ich sprang erschrocken auf, sobald ich endlich einen Blick auf die Uhr warf. Als ich die Treppe zum Sitzungszimmer erreichte, kamen mir bereits die anderen Arbeiter wieder entgegen. Ich liess enttäuscht die Schultern hängen und versuchte, mich unbemerkt unter die Leute zu mischen – vielleicht hatte ja niemand meine Abwesenheit bemerkt. „Miss Hayes. We were missing you.“ Die Stimme des Produktionsleiters dementierte meine Hoffnung. Ich entschuldigte mich und versprach, beim nächsten Mal besser aufzupassen. Er entgegnete, dass er nichts anderes erwarte und bog in die Büroräume ab. Ich setzte das Programmieren bis um drei Uhr fort, dann machte ich einen raschen Rundgang bei den Maschinen und begann anschliessend, meinen Arbeitsplatz Wochenend-tauglich zu machen, denn es war Freitag. Gerade als ich dachte, ich sei mit allem fertig, kam der Produktionsleiter erneut auf mich zu. Ich überlegte einen Moment lang, ob sich eine Flucht lohnen könnte, gab den Gedanken aber genauso schnell wieder auf, als er bereits zu nahe war. „Miss Hayes, could you please make sure that there are no more chips on the floor around the Nakamuras? A photographer is coming on Monday morning, to take some new pictures for the website. We want everything to be as clean and tidy as possible.” Seine Worte waren als Bitte formuliert, doch es war dennoch unmissverständlich ein Befehl. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mich als Strafe für die verpasste Sitzung länger hierbehalten wollte. Seufzend holte ich den Besen. Meine Arbeit an sich war ja zeitweise schon einschläfernd, wenn gerade nichts zum Umrichten zur Verfügung stand. Aber das Wischen im immerzu gleichen Takt wirkte schon fast hypnotisch. Die Uhr tickte so nebenbei munter und unbarmherzig vor sich hin. Gedankenverloren betrachtete ich den nun sauberen Boden und suchte ihn in einem tranceartigen Zustand nach letzten Spänen ab. Mein Kopf fühlte sich leer an, aber es war auch irgendwie angenehm entschleunigend gewesen. Als ich beschloss, dass es sauber genug war, machte ich mich auf den Weg zum Schrank, um den Besen in sein Zuhause zu befördern. Angelo grinste hinter von seiner Kurzdreh-Maschine hervor und gestikulierte, dass ich auf den Besen steigen und davonfliegen solle. Ich tat so, als wollte ich es probieren und legte dann gespielt enttäuscht den Kopf schief, ehe ich den Besen lässig auf meine Schulter nahm und so davonstolzierte. Als ich zwischen den Maschinen hervorkam und den Schrank beinahe erreicht hatte, sah ich zu meiner linken ein kleines Flansch auf dem Boden halb unter einem Spankübel liegen und betrachtete es einen Moment. Seriös und pflichtbewusst wie ich mich fühlte, beschloss ich schliesslich, es darunter hervor zu wischen und zurück in den Korb zu legen. Ich bemerkte dabei nicht, dass Mr Harper den Gang entlanggekommen war und sich gerade mit einem abgebrochenen "Miss Ha-..." an mich wenden wollte. Abgebrochen deshalb, weil ich beim schwungvollen Ent-schultern des Besens ihm diesen in genau diesem Moment an den Kopf klatschte. Ich spürte, dass ich irgendwo angestossen war und drehte mich verwundert um. "Oh my God, I'm sorry!", rief ich entsetzt aus, als ich das Ausmass meiner Tollpatschigkeit erkannte - während er sich sein rechtes Ohr rieb. Innerlich schloss ich einmal mehr mit meiner Stelle ab. "I'm not God. But even so, please be more careful." Zu meiner Verwunderung schien er nicht wütend zu sein, sondern sich über seinen eigenen Spruch zu amüsieren. Ich fragte mich, ob der Schlag vielleicht ein Schädeltrauma bewirkt hatte. Jedenfalls zog ich mich unauffällig zurück zum Schrank, und dann endlich zum Ausstempeln, während er beim Davonlaufen seltsam lächelnd etwas vor sich hinmurmelte.
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"Miss Hayes. The boss will take a tour around the hall today. Please tidy up your workspace as usual." Das war die Begrüssung, die ich ein Weilchen später, an einem schon jetzt vielversprechenden Herbsttag, bekam. Ich fühlte mich damit so früh morgens etwas überfallen; meine Energie reichte gerademal für ein Nicken. Ich startete vorab wie immer die Maschinen, dann begann ich, die Prüfmittel und Blätter zu ordnen, die auf den Tischen daneben lagen. Eine grosse Unordnung hatte ich nicht, denn ich hielt immer eine gewisse Struktur aufrecht, um die wichtigsten Dinge griffbereit zu haben. Ausserdem wollte ich ja nicht den Eindruck einer unseriösen Arbeitseinstellung erwecken. Das Schmutzigste an diesem Morgen war daher wiedermal der Boden, denn dort liefen auch alle anderen Arbeiter drüber und verschleppten jeweils dutzende kleine Späne. Als ich wieder fast wie in Trance die Wischbewegungen ausführte, unterbrach mich der Produktionsleiter abermals. "Miss Hayes, since you're already at it - could you work your way up to the stairs?" Ich hob den Kopf, betrachtete den Gang, den er meinte und verzog die Lippen. "Yeah. Sure." Als ob ich eine Wahl hätte. Ich beschloss, die Sache schnell hinter mich zu bringen. Dabei machte ich wohl einen relativ grimmigen Gesichtsausdruck, denn gleich zwei vorbeilaufende Mitarbeiter klopften mir auf die Schulter und zogen eine Grimasse. Den dritten, der vorüberkam, schielte ich bereits herausfordernd an - bis ich merkte, dass es Mr Harper war. "Good day, Sir", murmelte ich rasch. Er verschränkte skeptisch die Arme und fragte: "What are you doing, Miss Hayes?" "Sweeping the floor", obviously, wie ich unausgesprochen hinzufügte. "I don't remember having hired you as a new member of the cleaning staff." "I'm only doing what I was told to do, Sir." "Who told you?" Ich sah hinüber zum Produktionsleiter, der gerade mit einem bärtigen Mitarbeiter sprach. Mr Harper schüttelte kaum merklich den Kopf, dann meinte er "Leave it be and go back to work“, sein berüchtigtes „I'll tend to it" dazufügend. Ich bedankte mich und lief zügig davon. Anscheinend hatte ich wenigstens diesmal keinen Fehler gemacht. Seit Danny weg war (ja, Mr Harper hatte sich tatsächlich unverblümt „um ihn gekümmert“), waren mir überhaupt nicht mehr so viele Missgeschicke passiert (jedenfalls was die Arbeit selbst betraf). Man konnte fast behaupten, es laufe richtig gut für mich. Sogar meine privaten Probleme begannen, sich wie von selbst zu lösen. Durch meinen nun etwas grosszügiger ausfallenden Lohn konnte ich die Miete rechtzeitig bezahlen und sogar ein kleines Bisschen auf die Seite legen. Mit dem neuen Lohn hätte ich mittlerweile wohl sogar in eine andere, bessere Wohnung umziehen können. Aber dann hätte Ben wieder ganz alleine klarkommen müssen (das könnte ich nicht verantworten); ausserdem hatte ich mich schon zu sehr an meine engen vier Wände gewöhnt. Mum war beim Arzt gewesen und hatte ein paar blutdrucksenkende Medikamente bekommen, die beinahe vollständig von der Krankenkasse übernommen wurden – und Ben hatte gelernt, wie man den Timer der Mikrowelle so einstellte, dass das darin aufzuwärmende Essen geniessbar wurde.
Weil es gut lief, bekam ich Mr Harper in der folgenden Zeit kaum je zu Gesicht. Ich hatte viel mehr mit dem Produktionsleiter zutun, und sah den 'Big-Boss' nur, wenn er einen Kontrollbesuch in der grossen Halle machte. Was mir aber bei unserem sporadischen Small-Talk (wenn man den Austausch eines Guten-Morgen-Grusses so nennen konnte) aufgefallen war: Er sprach jetzt mehr auf Augenhöhe mit mir und das sogar meistens einigermassen freundlich. Ich erkannte zunehmend, dass meine etwas voreilige Einschätzung womöglich unfair gewesen sein könnte, und sein oft mürrisches Auftreten mit dem allgemeinen Stress zusammenhängen musste, nicht direkt mit mir. Angesichts dessen, machte ich mir mittlerweile nicht mehr so viele Sorgen, was die Gewissheit meiner Anstellung betraf. Mein Alltag war also insgesamt deutlich entspannter geworden - auch ohne das dauernde Bodenwischen, das nun ebenfalls auf ein vernünftiges Mass reduziert worden war - manchmal fast schon wieder langweilig. Aber wie mein Leben das so an sich zu haben schien, blieb es nicht lange "gemütlich". Die nächste Katastrophe steckte bereits in ihren Kinderschuhen.
Diesmal war ich sogar wirklich schuld daran. Als ich nämlich eines Morgens wie gewöhnlich die Maschine mit den Medizinalteilen kontrollierte, fiel mir etwas auf, was dort nicht hätte sein dürfen. Um sicherzugehen sah ich mir die Teile unter dem Messmikroskop an und prüfte die Zeichnung gefühlte zehndutzendmal, doch es gab keinen Zweifel. Da war ein kleiner Absatz vor dem Kantenbruch, kaum sichtbar, aber dennoch unabstreitbar. Sofort kontrollierte ich ein paar weitere Teile, aber überall fand ich dasselbe vor. Auch ein Blick auf die kleingedruckten Randbemerkungen auf der Zeichnung machte es nicht besser: dort stand, dass ausgerechnet der Bereich des Teils auf ein anderes Teil passen musste - es war also gewissermassen funktionsrelevant. (Well, shit...) Ich korrigierte die Offset Werte auf der Maschine sofort, aber ich hatte keine Ahnung, wie lange sie schon falsch gelaufen war. Vermutlich war durch die Werkzeugabnutzung, oder durch den Wärmeverzug das Mass gerade so viel gewandert, dass der Kantenbruch nicht mehr übereinstimmte. Wie konnte ich das nur übersehen? Wenn ich Pech hatte, waren die ganzen bisherigen Serien gefährdet. Ich überlegte angestrengt, auf meiner Unterlippe herumbeissend. Soll ich es dem Produktionsleiter melden, oder soll ich hoffen, dass es niemand merkt? Wenn ich es melde, kriege ich garantiert Ärger. Wenn nicht, kriege ich vielleicht keinen, vielleicht werde ich aber auch verklagt und nebenbei natürlich in hohem Bogen rausgeschmissen. Ich entschied mich dafür, es zu melden - denn wenn all die Kindermärchen stimmten, war das der beste Weg, um die Angelegenheit glimpflich abzuschliessen. So machte ich mich auf den Weg, widerstrebend meinen eigenen Strick knüpfend. Der Produktionsleiter reagierte wie erwartet und befahl mir mit ernster Miene, ihm die Teile zu zeigen. Ich präsentierte sie ihm unter dem Mikroskop und wartete, noch immer nervös auf meiner Lippe herumbeissend, ab. "Well, this is bad. Very bad", murmelte er vor sich hin, und ich schluckte leer. "I will report this to Mr Harper. You know that these are for medical purposes, right?" "...yes", antwortete ich vorsichtig. "Then you should also be aware, that the customer can sue us if there is anything wrong?" Er wirkte nicht wirklich wütend, viel eher schlich sich der Ansatz einer Art schadenfreudigen Lächelns in seine Mimik - wobei ich mir das vielleicht auch nur durch meine in den vergangenen Wochen allmählich keimende Abneigung gegen ihn einbildete. "...But it is only a little edge, it shouldn't reeeally make any difference for the final product", stellte ich, halb flehend, fest. "You obviously don't know how modern industry works. They don't care if it's relevant or not. They just take every opportunity to save money, and that of course makes perfect sense, from their perspective." Es erwies sich als offensichtlich unsinnig, sich herauszureden, also schwieg ich. Der Produktionsleiter marschierte davon, um Mr Harper die wundervollen Neuigkeiten zu überbringen. Ich stellte mich inzwischen vor die nächstbeste Maschine und studierte deren Programmdurchlauf - denn die auf dem Steuerungsbildschirm durchhuschenden Zahlen und Werte hatten etwas Beruhigendes. Irgendwann kam ich zu dem Schluss: wenn er mich diesmal nicht rausschmeisst, dann bin ich in der verdammten Hauptrolle eines kuriosen Amateur-Romans.
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Ich hörte nichts, über Wochen. Alles in der Produktionshalle ging seinen gewohnten Gang, keine ungewöhnlichen Sitzungen oder Gespräche. In den Büros dagegen war die Hölle los, vermutlich mitunter wegen der nahenden Weihnachtsferien. Als ich einmal neues Druckerpapier holen wollte, platzte ich geradewegs in eine erhitzte Diskussion, bei der aber zum Glück andere Teile das Thema waren, nicht mein Kantenbruch-Problem. Mr Harper stand mittendrin, und ich fand, dass sich in seinen mürrischen Ausdruck nun noch Müdigkeit eingemischt hatte. Er bemerkte mich zwangsläufig, weil ich das Papier am anderen Ende des Raums erreichen musste - obwohl ich mir Mühe gab, unauffällig der Wand entlang durchzuschlüpfen. Er sagte nichts, und ich war dankbar, das Papier schnappen zu können und diesmal ohne Kommentar davonzukommen. Aber es war eine Frage der Zeit, bis wir ein unangenehmes Gespräch führen würden - da war ich mir sicher.
Am Morgen darauf fühlte ich mich durch und durch elend. Ich hatte kaum geschlafen (gerade mal drei Stunden) und war völlig ausgelaugt. Mit tiefgravierten Augenringen begab ich mich vor den Kaffeeautomaten (die Maschine, die von allen vermutlich am meisten produzieren musste). Mr Harper stellte sich, überraschenderweise, kurz darauf hinter mir an. Auch er wirkte wie immer freudlos und müde, aber dieses Mal schien ich ihn darin zu übertreffen. Das bemerkte sogar er selbst. "Good morning Miss Hayes. You seem a bit gloomy today." Ich seufzte ertappt und wusste nicht so recht, ob es okay war zu antworten; doch dann holte ich Luft und erklärte ihm, was mich bedrückte. "There's this TV show that I'm watching, and - holy shit, it's sooo good. I’ve been watching it all night. But now I have to wait for the next episode. There was a cliff-hanger in the last one, and I reeeeally wanna know what happens next... It's so cruel of them to make us wait this long! Don’t you think?" Mr Harper sah mich an, als hätte ich ihm gerade ein Bild von einem pinkfarbenen Nilpferd gezeigt. Ich erkannte, dass meine verzweifelte Begeisterung nicht übergeschwappt war. Ich zog mich mit einem leicht gezwungenen "well-then" zurück zu meiner Maschine. Er nahm sich ebenfalls seinen Becher und tat so, als wäre nichts gewesen. Danach begegnete ich ihm wieder eine ganze Weile nicht mehr.
Veija gefällt das.
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