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I beg you just to take it easy on me - Bow River Ranch Story

Geschrieben von Veija im Blog Veijas Real Life Gedöns ^-^. Ansichten: 1994

Heyho!
Ich wünsche euch allen frohe Weihnachten, ein paar tolle Tage und auch einen guten Rutsch ins neue Jahr. ♥

Ich lass mal ein Lebenszeichen von mir (und Ravi) da. Viel Spaß beim Lesen, falls es noch jemand liest. :oops:

I beg you just to take it easy on me
zeitliche Einordnung: Juni/Juli 2021

Caleb
Die Morrissons schienen sich mal wieder selbst übertroffen zu haben.
Neben O’s “Wow” schienen auch Aimee und Tschetan die Augen nicht von der prunkvollen Deko abwenden zu können. Ich dagegen warf einen resignierten Blick zu Ylvi hinüber, welche ihn auffing und ebenso zurückwarf.
“Angeber sind sie ja schon… immer gewesen”, murmelte ich. Aus Gewohnheit fuhr ich mir einmal an der Stirn vorbei, um meine Locken aus den Augen zu streichen— nur dass es keine blonden Locken mehr gab, die ich hätte wegstreichen können. Sie waren so kurz geraten, dass ich sie gänzlich unter meinem Hut mit den vielen glitzernden Steinchen verstecken konnte.
Der Chauffeur, ein großgewachsener schlanker Mann, streckte seine Finger gierig nach dem Schlüssel aus, kaum, dass wir den Wagen verlassen hatten.
“Ich soll Ihren Wagen parken.”
Natürlich soll er das, dachte ich, antwortete aber mit einem „Fein“, ehe ich ihm die Schlüssel meines Wagens übergab. Nachdem der Mann eingestiegen und den Wagen gestartet hatte, fuhr er im Schneckentempo davon.
“Der kommt schon unversehrt wieder”, scherzte Ylvi, ehe sie mir kurz auf die Schulter klopfte.
Während O sich bei Bellamy unterhakte und auch Aimee und Tschetan zögernd einen Schritt aufeinander zu machten, schienen Ylvi und ich mehr verhalten. Schließlich lächelte ich sie an. “Sollen wir?”, fragte ich, meinen Arm darhaltend, unter den sie sich kurze Zeit später einhakte, einmal durchatmete und mit mir zusammen die große Eingangshalle betraten.
Sofort wurden wir von Mr. Morrisson unter die Lupe genommen, der die Outfits mit einem zufriedenen Lächeln absegnete.
“Ich bin überrascht, dass Bow River sich so mannstark zeigt – da auf der letzten Party kaum jemand von euch erschienen ist”, murmelte er, während er sich mit einer Hand durch den Bart fuhr.
Arroganter Arsch, dachte ich für mich. Auch Ylvi schien meine Gedanken zu teilen, denn sie wechselte ein paar vielsagende Blicke zwischen mir und Mr. Morrisson. “Ich danke dir für die Einladung”, brachte ich dann doch halbwegs freundlich heraus, “ein passendes Geschenk zu finden, schien uns dennoch fast unmöglich.”
Mr. Morrisson lachte herzlich. Die umstehenden Gäste fielen vermutlich der Höflichkeit halber in sein Lachen mit ein. “Ach… ich habe bereits alles.”
Ylvi überreichte ihm den Umschlag. Nach langem Überlegen hatten wir uns auf einen Essensgutschein geeinigt – in einem der gehobeneren Restaurants in Calgary. Nicht, dass er sich das nicht sowieso selbst leisten könnte, aber Zeit mit seiner Frau zu verbringen, kam wohl eher einer kleinen Strafe als einem Geschenk gleich. Jeder wusste, dass Mr. Morrisson nicht die treuste Seele auf Erden war und nur des Schein wegens noch mit Mrs. Morrisson verheiratet war – und wegen ihrer eingebildeten Kinder. Jason, ihr Ältester, war dieses Jahr 14 geworden. Ihre Tochter Josephine 9. Zum Glück war keines der Kinder von Bow River mit ihnen in einer Klasse. Besonders der Junge hatte es faustdick hinter den Ohren.
Nachdem Mr. Morrisson den Umschlag geöffnet, gelesen und sich schließlich kurz, knapp und mit gerümpfter Nase bedankt hatte, erklärte er uns, welche Räume zur Party gehörten, wo wir die Toiletten und auch das Buffet fanden. Wir bedankten uns und er ging endlich seiner Wege.
“Uff”, sagte Tschetan und drehte sich zu mir und Ylvi um. “Können wir einfach wieder gehen?”
“Ich bin genauso ungern hier wie du, mein Junge”, murmelte ich, “aber lass uns das Beste daraus machen…”
“Wir sehen uns mal um”, meinte Aimee und zog Tschetan an der Hand hinter sich her in einen der anderen Räume. Etwas zögerlich folgte er ihr.
Ylvi, O, Bellamy und ich kämpften uns durch die ganzen, den Weg versperrenden, glitzernden Ballons zur Theke durch.
“Hat jemand Durst?”, fragte Bellamy, ehe er sich auf einen der Barhocker fallen ließ.
“Ich könnte was vertragen”, meinte O und setzte sich links von ihm auf einen freien Hocker.
Auch Ylvi und ich setzten uns, ehe wir etwas zu trinken bestellten und auf einen guten Abend anstießen.

Ylvi
Schließlich war O’ diejenige, die sich in ihrem Barhocker umdrehte, die Ellenbogen auf die Theke gestützt. “Ehrlich, ich kann nicht fassen, dass sie eine fucking Bar in ihrem Haus haben.”
Caleb nippte an seinem Bier, verzog dabei ein wenig das Gesicht, dann murmelte er in sein Glas. “Alter Landadel.” Verlegen sah er von rechts nach links ob die Morrissons noch in der Nähe waren. “Die müssen sich nicht mal Mühe geben, damit sich deren Vermögen vermehrt", sprach er unter belegter Stimme. Schwang da Eifersucht mit?
Ich beugte mich ein wenig zu ihm rüber. “Dafür haben wir die bessere Belegschaft.” Caleb schielte zu mir hinüber. Ich schob leicht die Zungenspitze zwischen meinen Lippen hervor. Wie von O’ prophezeit hinterließen sie an meinem Glas einen leichten Abdruck des Lippenstiftes. Immer wieder zuckte meine Hand zu meinen Lippen, als wollte ich mich kratzen. Es kam selten vor, dass ich Make-Up trug.
Alle konnten zwar verstehen, dass in Calebs Stimme etwas Eifersucht mitschwang, aber gerade Bellamy konnte sich an sehr viel schlechtere Zeiten der Ranch erinnern. Alle konnten das. Was sie aus eigener Kraft gemeinsam geschafft hatten, darauf konnten sie stolz sein. “Tatsächlich, wir haben die bessere Belegschaft.”
O’ beugte sich aus ihrer Position nach vorn, sah mit hochgezogener Augenbraue an ihrem Bruder vorbei in Richtung Caleb. “Angestellten”, quäkte sie in einer gespielt hohen Stimme. Entrüstung stellte der Ton wahr. Caleb belustigte sich darüber nur. Auch Bellamy und ich schlossen sich dem an. Wir alle wussten, dass uns deutlich mehr verband, als nur ein reines Angestelltenverhältnis.
O’ trank den letzten Schluck aus ihrem Becher, ehe sie sich zu ihrem Bruder rüber lehnte. “Komm Brüderchen, wir suchen uns mal die Tanzfläche.” Bellamy gab ein theatralisches Stöhnen von sich. Allerdings verschwand das Geschwisterpaar, Arm in Arm in die Richtung, aus der dumpf die Musik zu hören war.
Ich balancierte auf dem zu hohen Barstuhl ein wenig, den Stühlen fehlte eine Trittfläche, die ich erreichen konnte, also wackelten meine Beine in der Luft.
“Ich geh mal stark von aus, Tanzen willst du auch nicht?”, stellte Caleb die Frage in meine Richtung.
“Auf gar keinen Fall. Lass uns das Buffett suchen, ja?” Die Idee schien ihm zu gefallen, denn er befand sich so schnell auf den Füßen, dass er kurz davor war, mir von meinem Stuhl herunter zu helfen. Seine Arme schossen vor, um mich an der Hüfte zu nehmen, verharrten dann jedoch einen unsäglichen Augenaufschlag in der Luft, denn irgendwie war die Geste auch seltsam.
“Danke, geht schon”, murmelte ich leise und ließ mich wenig elegant vom Stuhl gleiten. Vergaß dabei aber meine fetten Heels, kam ein wenig aus dem Gleichgewicht und fand mich an Calebs Unterarmen. Der jedoch tat, als hätte er es nicht bemerkt, nahm mich einfach unter den einen Arm. Gemeinsam begaben wir uns so auf den Weg in Richtung des Buffets. Dabei bemerkte ich die Blicke der anderen, die auf uns ruhten. Ob sie sich wohl fragten, ob der Cowboy der Bow River Ranch endlich eine Frau fürs Leben gefunden hatte?

Tschetan
Während die Erwachsenen sich erstmalig an der Bar eingefunden hatten, waren Aimee und ich durch die Masse an Menschen gelaufen, um bekannte Gesichter zu finden. Zielstrebig führte Aimee mich durch das Haus in Richtung der Tanzfläche. Ich kam nicht umhin, es zu bewundern. Eine Plattform über dem Pool der Morrisons war errichtet worden. Von unten schien der Pool, oder aber die Fläche aus Glas, selbst beleuchtet zu sein. Langsam wechselte das Licht in den Farben des Regenbogens zu Füßen der Tanzenden vor sich her. Während man unter sich das Wasser des Pools sehen konnte. Ich blieb dann abrupt stehen und zog Aimee leicht an der Hand. Fragend sah sie zu mir. In meiner typischen Art deutete ich mit den Lippen an die rechte Seite der Tanzfläche. Dort hatte man eine Lounge aus mehreren Sitzgelegenheiten aufgebaut. Mein Blick erhellte sich zwar nicht ganz beim Anblick der gesamten Leute, die dort saßen. Meine Laune sank, als neben Nicholas eine der ersten Personen, die mir auffielen, auch noch Bryce war.
“Ist das okay für dich?”, fragte Aimee etwas verklemmt neben mir.
Ich zuckte die Schultern. “Ich kann ja einfach gehen, wenn er irgendwas versucht. Ich lass mir den Abend nicht verderben.” Irgendwie hatte ich im Gefühl, dass die Antwort nicht ganz das gewesen war, was sie hatte hören wollen. Ich ließ ihre Hand los, um zu meinem Kumpel zu gehen. Verlegen blieb Aimee einen Moment länger als nötig stehen, ehe sie mir folgte.
Nicholas erhob sich und lief uns beiden entgegen. “Wollen wir uns eine andere Ecke suchen?” Allerdings blieb seine Frage unbeantwortet.
Ich trat vor. “Eeey, neuer Haarschnitt!”, mit der Hand fuhr ich dem Blonden durch das kurze Haar des Sidecuts, den er sich offenbar hatte stehen lassen. Die unbedachte Geste schien Nicholas zu erschrecken. Reflexartig schoss seine Hand nach oben und fing mein Handgelenk auf.
Zwischen uns beiden blieb ein Moment des betretenen Schweigens – unsere Blicke ineinander fixiert. Aus dem Augenwinkel sah ich Aimee neben uns stehen, ehe sie sich wie mechanisch in Richtung der anderen Jugendlichen bewegte. Nicholas brach schließlich den Blick und ließ mein Handgelenk los.
“Ich schein aber nicht der einzige, der einen neuen Stil versucht. Mir war gar nicht bewusst, dass deine offenen Haare SO lang sind.”
Mir waren die offenen Worte meines Freundes peinlich, etwas schüchtern sah ich zu Boden, strich mir eine Strähne hinter die Ohren. “Ganz sicher fühl ich mich damit nicht”, gestand ich ihm leise. Nicholas suchte meinen Blick, schüttelte den Kopf. “Unsinn! Es ist höchstens ungewöhnlich."

Aimee
Ich ließ mich zwischen Trevor und Eric fallen, die sichtlich verwundert beide ein kleines Stück zur Seite rutschten. Eric hielt mir ein Getränk vor die Nase, welches ich dankend annahm, um einen großen Zug davon zu nehmen. Was um alles in der Welt war das bitte gewesen? Ungläubig starrte ich Tschetan hinterher, wie er sich gemeinsam mit Nicholas auf das Sofa setzte. Etwas verhalten sah er von mir zu Eric und Trevor, ehe sein Blick kurz auf mir ruhte. Dann senkte er ihn.
Unsanft wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als Bryce Eric mit einer unwirschen Geste zur Seite scheuchte. Obwohl der junge Mann in O’s Alter war und Bryce in jeder Situation das Wasser reichen konnte, stand er auf, um dem jüngeren Mann Platz zu machen.
“Es ist so schön, dich hier zu sehen”, sagte er charmant, griff nach einer meiner Hände und küsste sie auf den Handrücken. “Die Party war so langweilig, ohne dich.”
Ich hasste ihn. Bryce war ein widerliches Ekelpaket. Ich war mir sicher, dass er das zu jeder der Frauen hier auf der Party gesagt hatte. Meine anfängliche Schwärmerei ihm gegenüber war vollkommen verschwunden. Als er meine Hand endlich wieder losließ, fuhr ein Schauer durch meinen ganzen Körper. Kein angenehmer, nicht zu vergleichen mit Tschetans Berührungen heute Mittag, nein. Es war ein abstoßender Schauer, der mir zeigte, dass nicht nur mein Kopf, sondern auch mein Körper nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten.
“Ich freu mich auch”, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während ich es tunlichst vermied, in Tschetan und Nicholas Richtung zu schauen.
“Ein schönes Kleid hast du da an”, sagte er schließlich und zupfte einmal an meinem Träger, der meinen tiefen Ausschnitt einigermaßen zusammen hielt.
“Halt deine Finger bei dir”, zischte Tschetan plötzlich vor uns. Er war aufgestanden und zu uns herüber gekommen.
“Ich tu deiner kleinen Freundin schon nichts”, feixte er, hob beide Arme in die Luft und tat so, als würde er sich ergeben.
Tschetan streckte seine Hand zu mir aus, schaute bittend zu mir herunter. Ich ergriff sie ohne zu zögern, stand auf und folgte ihm auf das gegenüberliegende Sofa, auf dem Nicholas alleine zurückgeblieben war. Bryce blickte uns nach. Noch lag sein rastloser Blick auf mir, den ich wirklich nicht zu deuten wusste. Was lag in ihm? Begierde? Verlangen? Ich wusste es nicht. Was ich jedoch wusste, war, dass ich das nicht wollte. Ich wollte seine Blicke nicht auf mir wissen und ich wollte Tschetan nicht so angespannt sehen.
Meinen eigenen Blick senkte ich gen Boden, ehe ich leise seufzte und mich dann mit den Worten “Ich… hol mir was zu trinken”, erhob.
Aus dem Augenwinkel sah ich Bryce aufstehen. Er schaute mir hinterher. Allerdings schob Trevor ihn zurück auf die Couch und sagte etwas, das ich nicht verstand. Erneut stand Bryce auf. Trevor schubste ihn nun deutlicher zurück auf die Couch. Wieder hob er besänftigend die Arme und tat so, als sei er der unschuldigste Mensch auf Erden.
Um zur Bar zu gelangen, musste ich am Buffet vorbei, an dem ich Ylvi und Caleb traf. Letzterer murmelte etwas zu laut in Ylvis Richtung: “Pferd. Die servieren ernsthaft Pferd.”
Ich lachte. Sofort drehten sich die beiden um.
“Wer hätte das gedacht?", meinte ich schulterzuckend und schaute mir das Essen an. Kaum eine der Platten war bisher angerührt– oder wurden sie vielleicht sogar sofort nachgefüllt, sobald auch nur eine Kleinigkeit davon fehlte? Gleich, nachdem ich mir diese Frage gestellt hatte, kam auch schon eine Bedienung herbei und füllte die Salatschüssel, aus der Ylvi sich etwas genommen hatte, auf. Zwei ganze Löffel passten wieder hinein. Das lohnte sich definitiv. Was sie wohl morgen mit dem ganzen übrig gebliebenen Essen machen würde? Bestimmt nicht an die Obdachlosen in Calgary spenden.
Ich ließ Ylvi und Caleb hinter mir, ehe ich mich an der Bar einfand. Dort bestellte ich etwas zu trinken, bevor ich zurück zu den Jungs ging.
Die Runde hatte sich schier verdreifacht. Mit den Neuzugängen stieg auch der Alkoholpegel der Runde. Ich stutzte. Wie lange waren sie denn schon hier auf der Party, dass sie schon so betrunken waren?
“Aimee, setzt du dich?”, fragte plötzlich Nicholas neben mir, der aufgestanden war und auf den Platz neben Tschetan zeigte. Es saßen noch drei weitere Personen auf der Couch, so dass es für uns alle wohl ein wenig zu eng werden würde. Tschetan fing meinen etwas hilflosen Blick auf und rückte ein Stück zur Seite, ehe er neben sich aufs Kissen klopfte.
“Hier ist wohl Platz für alle”, meinte er lächelnd. Ich setzte mich an den Rand des Sofas, Tschetan rückte dann noch ein wenig näher an mich heran, damit Nicholas auf der anderen Seite wieder neben ihm Platz nehmen konnte.
Dann legte er seine linke Hand auf sein Bein. Ungeachtet all der anderen Personen in der Lounge ruhte sein kleiner Finger auf meinem und strich ab und zu minimal daran entlang. Ich lächelte. Das wohlige Gefühl, welches ich bereits am Nachmittag verspürt hatte, breitete sich wieder in meiner Magengegend aus.

Caleb
Mit voll beladenen und bunten Tellern steuerten Ylvi und ich auf die Esstische zu. Der Essbereich war ein wenig abseits des Buffets in einem eigenen Raum, der so prunkvoll geschmückt war, dass ich meinen Kopf beim Eintreten einziehen musste, um nicht an den Luftschlangen hängen zu bleiben. Ylvi, die sich wohl immer wieder auf ihre Schuhe konzentrierte, und mit denen sie sogar ein Stück größer war als ich, schaute einen Moment zu lange zu Boden, denn mit einem “Pfft pfft fpfft” und einer wegwischenden Geste befreite sie sich wieder aus den Luftschlangen, in denen sie Sekunden zuvor hängen geblieben war.
Ich grinste sie an. “Die hätte ich mit meiner freien Hand auch gut hochhalten können.”
Ylvi blieb stehen, richtete sich auf und funkelte mich an: “Ein Gentleman hätte die auch hochgehalten.”
“Dafür zieh ich dir den Stuhl raus”, feixte ich und bot ihr, nachdem ich meinen Teller auf den Tisch gestellt hatte, einen Platz dar.
“Oh, danke – Caleb”, antwortete Ylvi gekünstelt und ließ sich auf dem Stuhl nieder. Octavia schaute verwirrt zwischen uns hin und her, während Bellamy nur in seinem Essen herum stocherte und den Blick nicht hob.
"Schmeckt's nicht?”, löste Ylvi die kuriose Stimmung am Tisch auf, indem sie sich an Bellamy wandte.
“Doch, doch”, brummelte er, “aber ich bin mir nicht bei allen Sachen sicher, WAS ich da gerade esse.” Er lachte und gemeinsam fingen wir mit einem munteren Raten an, wer denn gerade was mit der Gabel aufgepickt hatte.
Nachdem sich Bellamy und ich noch einen Nachschlag holten, bedienten sich Ylvi und O bereits am Dessert. Neben allerlei Nachtisch, an dem man sich sofort bedienen konnte, gab es auch kleine Karten mit Namen drauf. Wenn man sich eine nahm und zurück an den Tisch setzte, kam wenig später eine der Bedienungen, nahm den Zettel mit und kam wenige Zeit später mit der gewünschten Kreation zurück. Dabei handelte es sich hauptsächlich um Eis, welches am Buffet natürlich schmelzen würde.
So kam es, dass ich gerade den letzten Bissen auf meinem Teller verputzt hatte, als Ylvis viel zu großes Eisdessert an den Tisch gebracht wurde.
“Hui, ich glaub da können wir vier alle zusammen von essen”, kommentierte O, die sich bereits einen von der Bedienung mitgebrachten Löffel krallte und mit Schwung in den Becher tauchen wollte. Bellamy hielt sie mit einer schnellen Armbewegung davon ab.
“Nun lass sie doch zuerst selbst mal probieren”, brummelte er, nahm sich aber auch bereits einen der verbliebenen Löffel.
Ylvi lachte kurz und nahm den ersten Bissen. Gespannt wartete der ganze Tisch auf ihre Reaktion. Grinsend schaute sie in die Runde. “Schmeckt mega gut, aber bedient euch. Das schaff ich nie im Leben alleine.”
Das ließ sich O nicht zweimal sagen. Auch Bell und ich aßen Löffel um Löffel, doch auch gemeinsam schafften wir die riesige Portion kaum.
“Hast du dich vielleicht in der Karte vergriffen?”, fragte ich Ylvi, als ich wenig später vom Buffet zurückkam. Ich hatte mir die Desserts selbst auch noch anschauen wollen. “Es gibt Einzelkarten oder Karten für den ganzen Tisch.”
Ylvi sah auf, kratzte sich kurz am Kopf. “Ich glaube, dann werde ich mich wohl vergriffen haben. So eine Portion für eine Person wäre wirklich eine Lebensmittelverschwendung.”
“Pssst, die haben Augen und Ohren überall”, flüsterte ich ihr zu, stimmte aber mit einem Nicken mit ihrer Aussage überein.
“Wieso müssen die eigentlich in allem so übertreiben?”, flüsterte nun auch Ylvi.
“Weil sie es können.” Ich zuckte mit den Schultern und sah mich in der Masse um. An einem Tisch weiter abgelegen entdeckte ich Tamara und Aiden. “Wenn ihr mich kurz entschuldigt, auch hier ruft die Arbeit.”
Damit stand ich auf und fand mich am Tisch der Brixtons wieder. “Hey, kann ich mich dazu setzen?”, fragte ich höflich und setzte mich an den Tisch, nachdem Aiden mir gestikulierend zu verstehen gab, ich solle mich setzen.
“Und wie machen sich die Pferde?”, begann Tamara das Gespräch.
“Gut, gut. Zumindest Vandal. Mit dem Rest habe ich noch nicht wirklich etwas gemacht, die leben sich aber gut ein. Vandal und Hero stehen zusammen auf einem Paddock und Rocket und Romeo, das klappt sehr gut”, erzählte ich. “Tschetan hat jetzt aber auch schon auf Vandal drauf gesessen, das Einreiten macht Fortschritte. Der Junge stellt sich wirklich gut an.”
Tamara nickte, sah zu ihrem Mann rüber und legte ihre Hand in die Seine. “Wir sind wirklich froh, dass sich Nicholas und Tschetan gefunden haben… und auch Aimee ist eine gute Seele an ihrer Seite – nicht so wie Bryce.” Den letzten Namen ihres Satzes flüsterte sie nur noch. Augen und Ohren waren überall – wie ich bereits Ylvi zuvor mitgeteilt hatte. “Wobei einem der Junge schon Leid tun kann.”
Ich horchte auf. Ach ja, dachte ich, fragte dann jedoch ebenso leise: “Wieso das?”
“Er kompensiert damit, was ihm zu Hause fehlt. Sein Elternhaus ist ziemlich zerstritten, auch wenn sie mit dem Dressurstall nach außen hin eine heile Welt vorspielen, fast so wie es hier ist, aber innerlich sind sie ziemlich zerrüttet. Der Vater ist viel auf Reisen, seien es Geschäftsreisen oder Turniere, er ist fast nie zu Hause. Die Mutter allerdings ist immer da, schmeißt den Laden mit Hilfe des Haupttrainers, mit dem ihr eine Affäre nachgesagt wird. Bryce kann zuhause machen, was er will, es kümmert dort keinen so wirklich.”
Ich nickte. Das war mir bisher nicht bewusst gewesen. “Eigentlich ist er wirklich ein armes Kind”, kommentierte ich nach einer Weile des Schweigens. Tamara und Aiden nickten zustimmend.
“Es ist aber dennoch kein Grund, sich SO zu verhalten.”
Wieder nickten beide, ehe nun Aiden das Wort ergriff: “Ich kann nur hoffen, dass jemand ihn endlich mal unter seine Fittiche nimmt und ihm Manieren beibringt.”
“Wenn es dafür nicht schon zu spät ist”, warf Tamara ein und zuckte mit den Schultern, ehe sie kurz seufzte und sich dann erhob, “ich glaube ich gehe mir noch etwas zu essen holen, soll ich dir etwas mitbringen, mein Schatz?”
“Nein, danke. Ich glaube, ich muss mir das nochmal selbst anschauen. Manchmal bin ich nicht so sicher, was ich da gerade gegessen habe."
Lächelnd erhob ich mich. “Das ging mir eben genau so… ich geh dann nochmal zurück zu meinen Leuten, einen schönen Abend noch.”
“Danke, ebenso.” Tamara drückte kurz freundlich meine Schulter, ehe sie mit ihrem Mann zum Buffet ging.
Wieder am Tisch angekommen, fand ich die drei in einer regen Unterhaltung über Ylvis Arzttermine vor. Letztere schien trotz der Schuhe einen Kopf kleiner geworden zu sein, so dass ich mich kurzerhand entschied, sie aus dieser misslichen Lage zu befreien. “Wie sieht es aus, Ylvi. Möchtest du mit mir tanzen?”
Ihre Miene hellte sich auf, sie stand vorsichtig auf, hakte sich unter meinen dargehaltenen Arm ein und ging mit mir zusammen zur Tanzfläche.
“Puh, danke fürs Retten”, meinte sie, als wir uns außer Hörweite befanden.
Ich grinste in mich hinein. “Retten?”
Ylvi sah mich fragend an.
“Ja sag schon, wann war dein letzter Kontrolltermin?”
“Och…”, murmelte sie, knickte dann jedoch ein. “Der Letzte ist schon eine Weile her, aber der Nächste ist in…”, sie überlegte angestrengt, “ich glaube in drei Wochen.”
“Gut. Ich wollte nur sichergehen, dass dein Herz das hier auch aushält.”
Mit diesen Worten stieß ich sie tänzerisch von mir weg, was ein kurzes, erschrockenes Quietschen ihrerseits zur Folge hatte. Ich grinste jedoch nur, drehte sie, ehe ich sie wieder zu mir heran zog und ihre Hand mit der Meinen auf meiner Brust zum liegen kam. Passend dazu spielte die Band – natürlich gab es eine Band, ein langsames Lied. So bizarr diese Situation auch sein mochte, so vertraut war sie dennoch. Ich genoss den langsamen Tanz mit Ylvi unglaublich. Dies war etwas, zu dem wir in unserer Zeit als Paar nie gekommen waren. Ich fühlte mich zuhause, ich fühlte mich geborgen und ich fühlte mich… verliebt. Ich stellte mir die Frage, wie lange ich noch vor meinen Gefühlen davonlaufen konnte? Wann der Zeitpunkt gekommen wäre, endlich klar Schiff zu machen und darüber zu sprechen, was in mir vorgeht.
Meine Gedanken wurden jäh beendet, als die Band zu einem rockigen Lied wechselte. “Jetzt ist’s wohl vorbei mit Kuscheln”, lachte Ylvi amüsiert und fing an, sich im Takt der Musik zu bewegen. Etwas argwöhnisch sah ich in die Runde und schaute mir das Gehampel der Tanzenden an – so etwas war gar nicht meine Musik. “Caleb, hab dich nicht so. Das macht Spaß, du Miesepeter!”
“Miesepeter?”, wiederholte ich. Das ließ ich mir doch nicht zweimal sagen!
Etwas unbeholfen fing ich an, mich mehr oder weniger im Takt der Musik zu bewegen. Dabei schaute ich immer wieder in die Runde, um mir die Bewegungen der anderen Tanzenden abzuschauen.

Tschetan
Zufrieden nahm ich wahr, dass wohl auch endlich Aimee ihren Abstand zu Bryce wahrte. Dadurch, dass es eng war, wurde mir sowohl der Nähe von Aimee als auch Nicholas zu sehr bewusst. Ich konnte kaum mein süffisantes Lächeln auf den Zügen verbergen. Ich hatte Bryce binnen kürzester Zeit sowohl das Mädchen abstreitig gemacht, an dem er Interesse bekundet hatte, auch sein ältester Kumpel Nicholas hatte unwiderruflich seine Seite verlassen.
Aimee schien noch immer ein wenig aufgewühlt. Sie sollte sich nicht allein fühlen, deshalb strich mein kleiner Finger immer wieder nur leicht über die Stelle, an der wir uns unweigerlich berührten.
Ich ahnte einfach, dass ich mich in Bryce nicht irrte. Nicht allein wegen der Tatsache, dass er hasste, was ich war – ein Indianer, sondern seine gesamte Art hatte von Anfang an keine Begeisterung bei mir ausgelöst. Ich hatte schon immer den Drang gehabt, die Frauen meiner Umgebung zu beschützen. Gerade im letzten Jahr hatte ich dieses Verhalten in mir entdeckt. Meiner Schwester gegenüber, die lange Zeit so verletzlich gewesen war. Aber auch Ylvi hatte ich immer wieder argwöhnisch in der Beobachtung. Vorhin hatte ich immer mal wieder nach ihr Ausschau gehalten. Louis hatte mich gebeten, auf sie aufzupassen. Was vielleicht den Instinkt, andere zu schützen noch in mir verschlimmert hatte. Darüber hatte ich auch mit der Schulpsychologin gesprochen. Ich durfte nicht die Bedürfnisse anderer über die Meinen stellen oder mich auf ewig dafür verantwortlich machen, was mit meiner Mutter geschehen war. Ich selbst war damals schließlich noch ein Kind gewesen. Auch an dem Unglück von Dell trug ich keinerlei Schuld. Trotzdem hatte ich schon bemerkt, dass mein Drang seither schlimmer geworden war. Auch Betsy sah ich als Teil meiner Familie an. Nur schwer unterdrückte ich ein Seufzen. Ich vermisste die quirligen Mädchen wirklich! Aimees Oberschenkel zuckte kurz, als wolle sie mir für mein Eingreifen danken.

Später fing die Gruppe an, ein wenig miteinander zu tanzen, wobei ich dann doch lieber auf meinem Platz auf der Couch hocken blieb. Dem Tanz war ich an sich ja nicht abgeneigt, aber die Lieder passten nicht ganz zu dem, was ich sonst so tanzte. Aimee zog mich ein wenig damit auf, dass mir wohl die Federhaube fehlen würde, um richtig tanzen zu können. "Pfft, Federhaube", warf Nicholas etwas sarkastisch ein. Ich sah ihn allerdings von der Seite grinsend an. Aber natürlich! Mich in einer Regalia hatte er bisher noch nicht gesehen. Und auch von meinem Tanz für die Powwows wusste er nichts.
"Warts ab, wenn wir den Laden hier hinter uns gelassen haben - dann zeig ich dir was Aimee meint."
"Aimee würde jetzt gern auch mal tanzen. Wer von euch beiden erbarmt sich meiner?!", drängelte sie.
Nicholas klopfte sich auf die Knie, seufzte theatralisch und ich sah beide in Richtung der Tanzfläche verschwinden. Mein Blick fuhr durch die Menge der Tanzenden, in der Hoffnung, Ylvi vielleicht doch irgendwie zu erspähen. Es dauerte einige Augenblicke, dann jedoch sah ich sie. Calebs Arme waren um ihre Hüfte geschlungen. Zu meiner Überraschung spürte ich keinen Neid. Trotzdem hielt ich an ihrem Tanz eine Weile fest, bis Caleb mich sah. Hatte er mir da zugenickt?

~einige Minuten später~

Bryce drehte die Flasche, gab ihr somit einen guten Schwung. Und während sich meine Augen auf die rotierende Mitte der Flasche fixierten, hörte ich die Worte von Bryce. Ich hörte sie – und fragte mich, wieso wir uns nur auf diese blöde Spielidee eingelassen hatten.
Als die Flasche zum Halten kam, starrte ich auf den Flaschenhals.
“Tschetan. Du glücklicher!”, kicherte eines der angetrunkenen Mädchen, die irgendwie aus Bryce's Bekanntschaft sein mussten. Zumindest kam mir die Brünette nicht bekannt vor. Das Mädchen neben ihr schon, allerdings kam ich nicht auf ihren Namen. Sie flüsterte ihrer Nachbarin etwas zu. Allerdings so laut, dass wir die Worte alle mithören konnten, “oder lucky us. Vielleicht kriegen wir mehr zu sehen.”
Flaschendrehen. Mit der Option – zieh dich aus, wenn du etwas nicht tun willst. Ich saß bereits meines Jackets und Hemdes befreit in der Runde. Sie spekulierten wohl darauf, auch meine Hose fliegen zu sehen. Allerdings wollte ich ihnen diese Genugtuung nicht geben. Trotzdem blieb da ein Problem. Bryce’ Aufgabe für denjenigen, auf den die Flasche zeigte, bestand darin, Nicholas zu küssen. Ich blickte einmal in die Runde. Überging Aimee, die zu meiner linken saß. Sah dann auf Nicholas, der im Schneidersitz zu meiner rechten Platz genommen hatte. Eine stumme Konversation zwischen uns. Ich sah nur sein subtiles Zucken der Schultern. Also drehte ich mich halb, stützte mich auf den Händen auf. Drückte Nicholas meine Lippen kurz auf den Mund und zog mich wieder zurück.
Dann lachte Bryce. Ich blieb in meiner seltsamen, halb aufgerichteten Position und sah ihn an. ”Das ist ja niedlich, nennt du das einen Kuss? Rothaut?”, sein letztes Wort kam nur leise zwischen seinen Zähnen hervor. Es stachelte mich an. Aber eher, um Bryce nochmal eine runter zu hauen. Ich ballte meine aufgestützten Hände zu Fäusten. Als auch die anderen zu protestieren begannen.
“Das zählt nicht!”
“Wir wollen, wenn dann einen richtigen Kuss!”
“... mit Zunge!”
Ich nahm die Stimmen der anderen wahr und sah zu Nicholas hinüber. Hatte er gezwinkert? Noch während ich darüber nachdachte, spürte ich mich an der lockeren Krawatte nach vorn gezogen. Mit dem Schwung schoss leichter Schmerz durch meine Lippen, als sie mit den Zähnen von Nicholas zusammen trafen. Ich kam allerdings gar nicht dazu, nach Atem zu schnappen. Da gab es für den Moment nur Nicholas und mich. Keine anderen um uns herum. Der Kuss war… berauschend. Nicht zaghaft, wie die am Nachmittag mit Aimee, sondern von wilderer Natur. Von außen sah es mit Sicherheit seltsam aus, jeder musste meine Unerfahrenheit sehen. Ich überließ mich dabei ganz Nicholas Führung. Obwohl ich alles ausgeblendet hatte, spürte ich, wie sich die Hand auf meinem Oberschenkel erst verkrampfte, dann verschwand. Allerdings schwamm mein Kopf vollkommen in verschiedensten Empfindungen. Und dann… dann waren Nicholas Lippen fort. Ich öffnete die Augen. Wurde dem hier und jetzt wieder gewahr, meinem schnellen Atem und Nicholas, dessen Hand noch immer meinen Nacken umklammerte. Seinem… erschrockenen Blick? Bryce schien doch tatsächlich sprachlos geworden zu sein. Selbst die Mädels zu seinen Seiten sahen einmal verwirrt drein, die andere hatte sich auf die Lippen gebissen und fixierte Nicholas und mich. Ich musste derweil rot werden, zumindest begannen meine Ohren heiß zu brennen.
Links von mir eine Bewegung, Aimees piepsige Stimme. “Ich geh mal zur Bar was zu trinken holen.” Bryce sah ihr nur hinterher. Dann wieder, fast angeekelt, zu Nicholas und mir. Als hätte Aimee eine Lawine gestartet, löste sich die Runde auf. Jeder zog seine Klamotten an und verließ den Raum, in den wir uns zurückgezogen hatten.
Mit heißen Ohren, verwirrten Gedanken und zitternden Händen zog ich mir das Hemd an. Ein Teil von mir wollte Aimee hinterher, ein anderer warf immer wieder Blicke auf Nicholas. Ich hatte das Gefühl, da sei gerade etwas geschehen, das nicht hätte passieren sollen. Zumindest nicht vor allen. Noch immer schlug mir mein Herz bis in den Rachen und ein ganz anderer Teil von mir machte es mir unmöglich, ohne Aufsehen aufzustehen. Ich sah in die Richtung von Aimee, oder zumindest in die Richtung, in der ich sie vermutete. Langsam erhob ich mich, zog mein Jacket drüber.
“Tschetan?”, flüsterte Nicholas hinter mir, ich blieb stehen. Was für eine verzwickte Situation. Ich wollte Nicholas nicht allein stehen lassen, aber Aimee?
Ich drehte mich zu meinem Kumpel um. Von der Entschlossenheit während unseres Kusses schien nicht viel übrig. Eher schien es mir, als würde er unter meinem Blick in sich zusammensinken. “Wir müssen reden… aber… Aimee….ich”, stammelte ich, sah dann hinüber zur Tür und wieder zurück zu Nicholas.
“In..10 Minuten? Draußen in den Ställen?”, fragte Nicholas. Ich nickte bestimmt.

Ylvi
Ich spürte mehrere Dinge gleichzeitig, vor allem aber die Schmerzen in meinen Knöcheln. Meine Füße wollten WIRKLICH gern raus aus diesen Heels. Calebs Hand an meiner Hüfte war mir beinahe genauso bewusst. Vor allem aber spürte ich langsam den Film aus Schweiß unter meinen Achseln. Mir war warm. “Caleb, ich muss mal von der Tanzfläche runter. Was trinken.”
Ich übergab ihm einfach einer anderen Dame, die auf der Tanzfläche allein stand. Über deren Rücken sah er mich zwischen beleidigten Schlitzen der Augen an. Ich streckte ihm kurz meine Zunge heraus. Schließlich hatte er mich erst dazu gezwungen, auf die Bühne zu gehen, nachdem wir uns am Buffet gütlich getan hatten – okay, er hatte mich auch aus den Fängen von O und Bellamy gerettet, so war es nicht.
Mit ein wenig Geschick hangelte ich mich auf einen der Barhocker, der noch frei war, drehte mich dann auf dem Sitz um und tippte mit dem Finger auf die Bar, um den Typen oder die junge Dame, die bedienten auf mich aufmerksam zu machen. Es war schließlich die junge Frau. Sie hatte ein Piercing zwischen den Löchern ihrer Nase. Ich kam nicht umhin, dass es mich an die Ringe von Bullen erinnerte. Ihre Haare waren schwarz, ein Teil ihres Kopfes war geschoren zum Sidecut. Von ihrem Kinn bis hinauf zu ihren Lippen verliefen einige Striche, die wohl tätowiert sein mussten. Auch auf ihrer Stirn befand sich ein Dreieck aus Strichen, das am Haaransatz begann und spitz zur Nasenspitze zeigte. Als sie näher kam, konnte ich zwischen den zwei Linien sogar kleine Punkte erkennen. Aus klaren braunen Augen sah sie mich an. Ich konnte nicht umhin beim Anblick ihrer Tattoos zu lächeln. Sie musste bemerkt haben, dass ich sie angestarrt hatte. Sie lehnte sich über die Bartheke, auch wenn meine Augen immer wieder über ihr Gesicht scannten.
“Was kann ich dir bringen, Hübsche?” Ob sie wohl jeden so ansprach?
“Wasser”, erwiderte ich auf ihre Antwort. Sie zog eine Augenbraue nach oben.
“Zum Durst löschen wird es wohl reichen”, erwiderte ich verschmitzt.
“Und was willst du danach?”
“Deine Spezialität?”
Sie sah nach unten, lächelte, sah mich dann wieder an. Holy! Ich hatte seit meiner Zeit in Deutschland nichts mit einer Frau gehabt. Sie war… hübsch. Interessant, wegen ihrer Tattoos. Ich wusste nicht, wie ich das Gespräch auf sie lenken könnte. Vielleicht wäre es auch etwas zu übergriffig?
Nachdem das Wasser bereits zur Hälfte geleert war, stellte sie mir plötzlich einen Cocktail vor die Nase. Eine halbe Zitrone hing am Glas. “Meine Spezialität…Sex on the Beach.” Ich konnte nicht umhin zu lachen. Okay, hatte ich vorher noch spekuliert, dann war ich mir jetzt sicher – sie flirtete mit mir. “Falls du nach der Party nichts weiter vor hast… ein Besuch im Keller lohnt sich. Die Morrisons sind… spendabel.” Sie hatte meine Blicke wohl etwas missgedeutet. Wobei ich es vielleicht auch nicht abgelehnt hätte.
In dem Moment bewies Caleb echtes Timing. “Fantastisch, ich nehm auch einen.” Ich sah nach ihrer Aussage auf Caleb, den Drink, dann zur Frau hinter der Theke. Dann begann ich herzhaft zu lachen. Die Situation schien einfach zu gut. Auch die Frau begann zu lachen. Während Caleb nicht ganz wusste, was gemeint war.
"Was?", Caleb erhielt von mir keine Antwort, stattdessen wandte ich mich an die Frau mir gegenüber.
“Ylvi Kills-Bears. Danke für dein Angebot, zu einer anderen Zeit hätte ich vielleicht ja gesagt. Aber irgendwo hier auf der Ranch läuft mein Ziehsohn herum. Aber, du trägst die Kakiniit mit Würde.” Überraschung huschte über ihr Gesicht.
“Kills-Bears…Bow River, richtig?”
Ich nickte.
“Vielleicht sollte ich mal vorbeikommen." Damit ging sie zu einem der anderen Gäste an der Bar.
Caleb sah mich von der Seite an. “Wo bin ich da rein geritten?”
“Ich hab ein wenig geflirtet.”
“Mit einer Frau?”
“Du magst es vielleicht nicht glauben, aber… ja ich hatte auch schon was mit Frauen.”
"Mhm, ungeahnte Dinge.”
Ich lehnte mich vor zu Caleb. “Sie hat etwas Interessantes zu den Morrisons gesagt. Komm mit.” Mit der rechten griff ich nach Calebs Handgelenk, der Sex on the Beach blieb verweist auf dem Tresen stehen. Durch das Haus gehend, suchte ich nach einer Möglichkeit nach unten zu gelangen. Irgendwo mussten wir ja eine Treppe finden, die in den Keller führte. Tatsächlich wurde ich fündig. Ein breites rotes Band trennte den Weg hinunter jedoch vom Rest der Party. Der dämmrige Flur war gerade nicht besucht. Ich ließ die Hand von Caleb los, zog mir die Heels aus. Stieg dann über die Absperrung. Caleb griff nach meinem Oberarm.
“Was genau suchen wir eigentlich?”
“Was weiß ich. Aber hast du Bock auf das da alles?”, unbestimmt deutete ich in Richtung der Party.
“Nein”, kam Calebs schnelle Antwort, womit er mir über die Absperrung hinunter in den Keller folgte. Meine Augen brauchten einen Moment, mich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Ich blieb einfach stehen. Das dumpfe Licht von oben beschien einen Teil des Kellerflures, ich sah zwei Türen jeweils gegenüber einander. Der Rest verschwand in der Dunkelheit. Auf Höhe meiner Brust startete ein roter Streifen auf beiden Seiten der Wand, bis er auch von der Finsternis geschluckt wurde. Die Morrisons nutzen den Keller offenbar nicht nur als Abstellraum für alles, was sonst im Weg war. Sonst würde doch niemand seine Kellerwände streichen!
“Doch Angst?'', sprach Caleb hinter mir leise. Er schien mein Zögern falsch zu deuten. Dann spürte ich seine Hände in meinem Rücken, die mich fordernd vorwärts schoben.
"Pfft." Selbstsicher griff ich nach der ersten Türklinke, drückte sie herunter. Lugte hinein, tastete an der Wand nach einem Lichtschalter. Caleb jedoch fand ihn schließlich, außen im Flur. Ich kniff einen Moment die Augen zusammen, als das Licht an der Decke ansprang und von den unzähligen weißen Fliesen reflektiert wurde. Direkt gegenüber befand sich ein Klo. Caleb pfiff leise. Ich bewegte meinen Kopf also etwas herum, um mehr von dem Bad zu sehen. “Verdammt! Haben die einen fucking Whirlpool in ihrem Bad?!”
“Sieht ganz so aus.”
“Nicht, dass mich Reichtum normalerweise interessiert… Aber so ein Whirlpool”, seufzte ich sehnsüchtig.
“Blubbert auch nur warmes Wasser", meinte Caleb trocken. Ich verzog mein Gesicht, auch wenn er es nicht sehen konnte, da ich noch immer im Türrahmen stand, die Tür nur eine Armeslänge geöffnet. Caleb sah über meine Schulter in das Bad.
“Dein Sinn für Wellness reicht nicht weit, oder?”
Caleb sah mich zweifelnd von der Seite an. “Weißt du, was Wellness ist? Ein gutes Team, bezahlte Rechnungen…kein…”, er fuchtelte mit der Hand ins Bad, “zur Schau stellen davon, wie viel Geld ich auf dem Konto hab.”
Ich stöhnte genervt. Natürlich hatte er Recht. Aber ab und an in nem Whirlpool Platz nehmen… war schon nett. Ich zog die Tür wieder zu. "Komm, da warten noch weitere Türen.”
Hinter den nächsten Türen fanden wir einen kleinen Weinkeller mit richtigen riesigen Fässern vor, sowie einen Raum, der einfach ein voll ausgestattetes Heimkino bot. Langsam bekam ich einen Gedanken dazu, was die Dame an der Bar mit “spendabel” angedeutet haben musste. Im gedämpften Licht des Kinos lief Caleb in Richtung einer zweiten Tür. Öffnete sie. Als ich mich umdrehte, um mich weiter im Raum umzusehen, hörte ich ihn plötzlich auflachen.
“Tze,...okay.” Schwang da jetzt doch Neid mit oder missverstand ich ihn? Mit den Heels in der Hand schritt ich durch die erste Reihe Kinositze auf Caleb und die Tür zu.
"Mhm", kam mir überrascht über die Lippen.
“Wohl ein Kino samt Schäferstündchen,” sprach Caleb belustigt, denn wir sahen einen kleinen Raum, der fast vollständig von einem King Size Bett ausgefüllt war. “Langsam werd ich ja neugierig, was die Morrisons sonst in ihrer Freizeit so tun oder welche Partys hier unten hinter dem roten Absperrband stattfinden”, murmelte Caleb vor sich her. Währenddessen war ich ganz froh, dass es Duster war, in mir stieg die Hitze der Scham auf. Dann tippte ich Caleb auf die Schulter. “Komm, lass uns die nächsten Türen suchen.”

Zurück auf dem Flur lief ich Caleb voran in die Dunkelheit und tastete mich entlang, bis ich auf die nächste Türklinke stieß. In Anbetracht der Tatsache, was wir bisher so gefunden hatten, dessen, was die Barfrau angedeutet hatte, machte ich mir tatsächlich etwas Gedanken darum, ob nicht noch jemand die Party verlassen hatte. Weniger euphorisch und schnell als bisher öffnete ich also die Tür einen Spalt. In dem Raum herrschte tatsächlich keine völlige Dunkelheit. Er besaß ein kleines Fenster, welches jedoch abgedunkelt war. Von draußen kam Licht herein. Ich SAH was sich darin befand. “Ouh mein Gott!”, rief ich aus, meine Hand an den Lippen, weil ich so laut gewesen war und zog die Tür wieder zu. Ich konnte nicht verhindern, welches Bild von den Morrisons plötzlich in meinem Kopf auftauchte. Da waren Seile, Masken… und irgendwas, das mehr an römische Orgien erinnerte, als die Realität. Die Hand rutschte von meinen Lippen zu meiner Stirn, schlug mit der Faust leicht dagegen, als würde ich so die Bilder aus dem Kopf kriegen. Spendabel, hallte es in den Worten der Barfrau wieder.
“Wieder ein Bett? Dieses Mal aber mit Leuten drin?”, fragte Caleb zischend und nach Aufsehen aus. Ich krallte die Hand um die Türklinke. Spannte den ganzen Arm an, als er versuchte, an mir vorbei die Tür zu öffnen. Es entstand ein kleines Gerangel, was ich schon der Kraft wegen gar nicht gewinnen konnte. Allerdings kniff mir Caleb in die Hüfte, sodass ich vor Lachen auf keuchte, da ich super kitzlig war.
Zack, stand die Tür sperrangelweit offen. Ganz genau wie Calebs Mund.
Da Licht auf den Flur fiel, schubste ich Caleb tiefer in den Raum und ging leise pfeifend an ihm vorbei.
“Stille Wasser sind tief.”
“Hättest du dir SOWAS je gedacht?”, meine Arme fuchtelten etwas unbeholfen umher, “I mean… was ist das?”
“Ha! Ylvi…” lachte Caleb sarkastisch auf, um dann fast belehrend fortzufahren, “ein Ort an dem Leute Spaß haben und sich… nehmen, was sie möchten.” Mit diesen Worten und einem kehligen Laut schloss er die Tür hinter sich. Mit einem leisen Klacken fiel sie ins Schloss.
Ich sah es nicht, ich hörte es nur. Während er sprach SAH ich, womit Leute Spaß hatten. Seile, andere seltsame Gerätschaften. Lange Ketten mit Fesseln an den Pfosten des mittlerweile zweiten Bettes in diesem Keller. Wir standen inmitten des Pleasure Rooms der Morrisons. Den sie…offensichtlich auch anderen zur Verfügung stellten, wenn die Frau an der Bar von dem hier wusste. Nur war ich ganz und gar falsch hier. Mir wurde heiß und kalt, dann wieder heiß. Schließlich drehte ich mich zu ihm um. Caleb. Mit ihm. War ich ganz und gar im falschen Raum.
Ich ging an ihn heran, wollte aus dem Raum, doch er stand mir im Weg. Locker an die Tür gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt.
“Sag das nicht so”, flüsterte ich angespannt.
“Wie?”, hauchte er. Nur wenig hob er den Kopf, der Schatten durch den Rand des Hutes verließ sein Gesicht, gab mir den Blick frei auf seine Augen. Sonst bewegte er sich nicht. “Das ist… das hier…ein Ort, an dem Leute Spaß haben. Der ganze Keller ist dem gewidmet.”
“Aber…”, versuchte ich zu protestieren.
“Sei nicht prüde. Der Barfrau wärst du doch gern gefolgt, oder?”
Schweigen meinerseits. Während ich noch einen Schritt näher auf ihn zuging. Jetzt standen wir so nah, dass wir uns beinahe berührten.
“Ich mochte nicht, wie du sie angesehen hast”, fuhr er fort.
“Wie denn?”
“Begehrlich”
“Neidisch?”
“Verlockend, mit zwei Frauen hier unten.”
“Wer sagt, wir hätten dich mitgenommen?”
“Sie vielleicht nicht…”, Caleb zog mich plötzlich mit dem Finger in der Schnürung der Korsage näher zu sich heran, den Kopf leicht schief, wieder verbarg der Hut seine Augen. “Aber du?” flüsterte er.
Raus! Sofort! Schubs ihn beiseite und geh. GEH!
Stattdessen. Tja, stattdessen fanden meine Finger die Türklinke, den kleinen Knauf darunter und drehten ihn. Klack. Abgeschlossen.
“Und jetzt?”, flüsterte Caleb. Ich spürte ihn, seine verkrampfte Hand am Saum des Kleides, seine Fingernägel bohrten sich durch den Stoff. Das Zittern in seiner Stimme. Ich sah nicht auf.
“Haben wir Spaß?”, kamen die Worte flink über meine Lippen. Calebs Daumen fuhr mir den Kieferknochen entlang, zwang meinen Kopf dabei mit Druck nach oben. Seine Hand legte sich dabei sanft um meinen Hals, während sein Daumen weiter über die Kante meines Kiefers strich. Schweigend sahen wir einander an.
Es war falsch. Das mussten wir beide wissen. Das war uns nur zu gut bewusst. Ich jedoch hatte zum jetzigen Zeitpunkt genügend Alkohol im Blut, um nicht mehr ganz Herr meiner Gefühle zu sein. Nicht, dass es als Entschuldigung galt. Ganz und gar nicht.
Caleb tat nichts weiter. Er wartete ab. Wie der Wolf auf der Jagd. Ließ mich die Entscheidung treffen. Sah er den Kampf hinter meinen Augen?
“Wir könnten einfach wieder gehen”, flüsterte Caleb belegt. Er bot mir einen Ausweg, doch eigentlich war die Entscheidung längst gefallen, als ich die Tür abgeschlossen hatte. Vielleicht schon, als ich zu einfach unsere Rangelei aufgegeben hatte. Oder aber, als wir hinunter in den Keller gelaufen waren. Mit einem dumpfen Geräusch fielen meine Heels zu Boden, die ich bis jetzt in der einen Hand gehalten hatte. Meine Haken lösten sich vom Boden und…

Tschetan
Aimee lehnte an der Bar und starrte konzentriert auf ihr Getränk. Neben ihr war Octavia. Während Aimee mit dem Rücken zu mir stand, hockte O' mit den Beinen überschlagen zum offenen Raum hin. Sie sah mich direkt an, als ich auf sie zukam und fixierte mich mit einem Blick, den ich nicht zuordnen konnte. Allerdings zuckte ihr Kopf in einer Geste, die mir zu verstehen gab, dass ich gerade nicht erwünscht war. Sie lächelte jedoch milde. Vielleicht war das so eine Frauensache. Also lief ich durch die Menge an der Bar und an der Tanzfläche vorbei, den Gang aus Lichterketten hinunter, die zu den anderen Bereichen der Ranch führten. Es war grundsätzlich nicht verboten worden, auch die Stallungen zu erkunden. Dort brannte dumpfes Licht, allerdings musste ich den ausgeleuchteten Pfad aus Lichterketten verlassen. Einige Schritte vor mir betrat eine Gestalt die Stallgasse, die ich eindeutig Nicholas zuordnen konnte.
Es war niemand zu sehen. Sorgfältig schloss ich die Tür hinter mir. Ich wusste gar nicht so richtig, was ich eigentlich mit Nicholas besprechen wollte. Das alles hatte sich einfach plötzlich verselbstständigt.
"Tschetan! Das ging schnell."
"O' hat mich fortgeschickt. Aimee war grad bei ihr."
Nicholas kratzte sich verlegen im Nacken. "Es tut mir Leid... ich habs übertrieben. Irgendwie hat sich alles…"
"Verselbstständigt?", lachte ich.
Nicholas seufzte, lachte dann fast genauso verunsichert wie ich. “Bist du mir böse?”, er lehnte gegen die Boxentür, vor der er stand, eine seiner Hände knibbelte im Holz hinter ihm herum.
Ich trat näher an ihn heran, suchte seinen Blick. “Verwirrt… nicht böse.”
“Wir haben denen ne ganz schöne Show geliefert”, verschmitzt lächelte er mich an.
Wieso war es so viel einfacher mit ihm darüber zu sprechen als mit Aimee? “Ich hab Aimee geküsst. Heute Mittag… als wir unten an der Badestelle waren. Irgendwie, irgendwas hat mich dazu getrieben”, kam es über meine Lippen, bevor ich es niemals aussprechen würde. Nicholas zog die Augenbrauen hoch. “Das erklärt ihren plötzlichen Abgang.”
“Und meine Verwirrung", flüsterte ich.
Dann waren da wieder Nicholas Lippen, fragender zunächst. Schließlich fordernder, wieder so anders. Ich spürte den leichten Flaum seines Bartes gegen meine Lippen. Seine Zähne, die mir in die selbige bissen. Ganz automatisch lehnte ich mich näher zu ihm, hörte mich seufzen. Mit geöffneten Augen hielt ich kurz inne, sah in die glänzenden Augen von Nicholas, küsste ihn nun, biss ihm in die Lippe. Ganz wie er es bei mir getan hatte… Bis das Knarzen der Tür zu hören war, bis Aimees erschrockener Ausruf meines Namens zu mir gelangte. Tja, bis ich in eine Art der Erklärnot geriet, die ich mir ja selbst gar nicht bewusst war. Aimee blieb einen Moment stehen, drehte dann um, rannte hinaus.
“Shit!”, schlug ich gegen die Wand hinter Nicholas, erwischte eines der Gitter der Box mit dem Handknöchel und pochender Schmerz breitete sich schlagartig aus. “Ich sagte doch ich bin verwirrt”, brachte ich unterdrückt hervor, “ich muss ihr nach.” Ich hatte noch immer Nicholas Hand an meiner Hüfte, sie krallte sich in mein Jacket. Gehetzt sah er mich an, dann wurden seine Muskeln im Gesicht verhärtet.
“Den Eindruck hatte ich eben nicht”, presste er hervor. Seine Stimme glich einem gedämpften Zischen.
Meine Augen wurden groß, meine Beine wurden augenblicklich wie Gummi… “Es fühlt sich anders an.”
Ich bereute die Worte, gleich nachdem sie meine Lippen verlassen hatten. War es der leichte Konsum von Alkohol oder der Ansturm der Gefühle, mein Körper, der sich betrogen fühlte, als ich von Nicholas weg trat. Aber es kostete mich meine Besinnung zu sprechen. “Ich bin lang genug in Ylvis' Haushalt, um den Unterschied zwischen Lust und Liebe zu kennen.” Dann drehte ich mich um und ließ Nicholas an die Box gelehnt zurück. Jedoch nicht meinen Körper, nicht jenes Körperteil von mir, das gern weiter erforscht hätte, was Nicholas Hand noch in mir hätte auslösen können.
Vor der Tür rief ich Aimees Namen. Sah nach links und rechts, sah dann eine Gestalt aus dem Gang der Lichterketten in Richtung der Dunkelheit des kleinen Waldes rennen. Ich war mir nicht sicher, ob es Aimee war, rannte ihr jedoch hinterher.

Ylvi
Der Kuss war… nicht magisch. Nicht wild. Anders als es der Raum vermuten mochte. Es war… Heimkehr. Ich drängte mich an Calebs Brust, zog seinen Nacken in meine Richtung, damit meine Haken sicheren Stand fanden, denn sonst drohte ich umzukippen. Seine Hände hoben mich an der Hüfte nach oben. Ich stöhnte, da mir die Korsage nur wenig Bewegungsfreiheit gab. Ich spürte, wie schon den ganzen Abend, die Eisenstäbe, die sich unsanft in meine Hüfte bohrten. Trotzdem schlang ich meine Beine um Caleb. Nach Balance suchend, lief er schließlich in Richtung des Bettes. Beim Hinsetzen kam mir wieder ein Zischen über die Lippen. Gerade als er beginnen wollte, die Schnürung der Korsage zu öffnen, führte ich seine Hand zu dem Reißverschluss, der unter meiner Achsel begann. Unendlich langsam zog er zwischen den Küssen meiner Lippen, des Nackens und der Haut über dem Dekoltee daran. Schließlich war mein Brustkorb frei. Automatisch atmete ich tief, sehr tief ein. Caleb hielt inne in den Küssen. Fuhr die Linien auf meiner Haut entlang, die die Eisenstangen hinterlassen hatten. Ich löste mich von seinem Schoß und ließ das Kleid zu Boden fallen. Calebs Hand blieb, wo sie war, fuhr die Linie weiter entlang bis zum Ende. Bereits jetzt sah man den Schatten des blauen Fleckes. Ich sah, wie sich sein Gesicht mitleidig verzog. “Wieso zieht man denn sowas an?”
“Ich hatte vergessen wie schmerzhaft Korsagen sein können.”
“Schmerzhaftes Vergessen.”
“Manche Dinge sind schmerzhaft”, murmelte ich, beugte mich dann vor, suchte seine Lippen, zog ihn auf die Beine und fummelte am Gürtel seiner Hose. Calebs Hand fuhr an der empfindlichen Narbe an meiner Brust entlang, während er den Kuss unterbrach und meine Hand aufhielt, die seine Hose hinunter ziehen wollte. Sein Atem ging schnell, ich spürte seinen bebenden Brustkorb an meiner Haut. Seine Stirn lag an der meinen.
“Wir sollten aufhören”, flüsterte er unter halber Beherrschung seiner Stimme. Sein Griff war nicht stark, viel zu einfach entwand ich ihm mein Handgelenk. Meine Hand griff nach ihm. Ich bekam Calebs leichtes Seufzen zu hören und spürte ihn unter meiner Berührung erzittern.
“Glaubst du das wirklich?”, er kniff mir in die Brust, krallte seine Hand an eine Stelle mit blauen Flecken und küsste mich noch während das Zischen über meine Lippen kam. Den bekannten ‘Point of no return’ hatten wir längst überschritten.
Wir gaben uns einander, ganz in den Empfindungen des anderen. Das Gefühl von Heimkehr stellte sich ein. Als erinnere mein Körper sich an Calebs. Wo Louis sanft war, war Caleb wild. Unter seinen Fingern war ich kein rohes Ei. Das hier war eingespielt. Als ich ihn schlussendlich in mich aufnahm, seinen Kopf in der Beuge meines Nackens, den stoßweisen Atem von uns beiden, verharrte Caleb zwischen zwei quälend langsamen Stößen.
“Ich hab dich vermisst”, flüsterte er beinahe so leise, dass ich es nicht hörte.

Wir kuschelten danach. Völlig egal, dass es weder unsere Decken noch unser Bett war. Egal auch ob wir wussten, wer zuvor hier im Bett gelegen hatte. Caleb hielt mich im Arm. Seinen Atem spürte ich immer wieder über mein Ohr streichen. Sein Arm diente mir als Kissen. Versonnen lag die andere über meinem Körper und strich mir den Rippenbogen entlang.
Ich war… nachdem was passiert war, quasi augenblicklich nüchtern geworden.
“Caleb…wir dürfen nicht schon wieder so anfangen”, ich richtete mich auf, starrte auf meine Knie, spürte das Kribbeln meiner Nase. “Es muss eine Entscheidung getroffen werden.” Ich schlug seine Hand von meinem Körper fort. Nun traten Tränen in meine Augen. Die eigene Hand schlug mir hart gegen den Oberschenkel. “Gosh, ich hätte damals einfach gehen sollen. Kanada verlassen, die Ranch”, sprach ich, rutschte vom Bett… klaubte meinen Slip auf, zog ihn an. Nur damit Caleb meine Handgelenke fasste, als ich gerade nach dem Kleid griff. Er schüttelte mich, nur leicht, aber es zwang mich, ihn anzusehen.
“Sag sowas nicht. Das will ich nicht wieder hören.”
“Es hätte uns eine Menge erspart.”
“Ich bereue nichts. Nichts was heute passiert ist. Aber du hast Recht…du...”
“Ich?”
“Nein… wir… wir müssen eine Entscheidung treffen. Denn du hast Recht. Wir können SO nicht weitermachen. Das macht uns kaputt.”
Ich war so unendlich verwirrt. Die Küsse, der Sex mit Caleb das fehlte. Ich vermisste ihn. An meiner Seite. Doch was geschah mit Louis? Der Adoption der Kinder? Konnte ich das alles einfach hinter mir lassen. Ganz egoistisch, um ein Leben mit Caleb zu führen? Liebte er mich? Liebte ich ihn? Jetzt gerade vermochte ich den Unterschied zwischen Lust und Liebe nicht zu beschreiben.
Ich versuchte meine Handgelenke von Caleb zu befreien. “Bitte…”, flehte ich“, lass mich jetzt gehen. Bitte… ich bitte dich nur… mein es gut mit mir. Ich… ich brauche Zeit.”
Caleb entließ meine Handgelenke, sah nicht dabei zu, wie ich mein Kleid anzog. Stattdessen kleidete er sich selbst an. Ich ließ ihn zurück. Im Flur schluchzte ich. Hoffte auf der Treppe hinauf keinem zu begegnen. Ich ließ sogar meine Heels zurück.

Caleb
Ich fuhr mir durch die Haare, ehe ich meinen Hut auf den Kopf setzte. Das hatte so nicht ablaufen sollen. Leise seufzte ich, schaute zum Bett, in dem ich vor wenigen Minuten noch vollkommen erfüllt gelegen hatte. Ich fuhr mir mit dem Daumen über die Lippen und spürte einen leichten Film Ylvis Lippenstifts darauf. Wir hatten es schon wieder getan. Ich hatte Louis erneut verraten… wir hatten Louis erneut verraten. Konnte ich ihr einen Teil der Schuld in die Schuhe schieben? Heute auf jeden Fall. Ich wusste, dass es falsch war, wusste, dass ich es nicht durfte… sie wusste es auch nur zu gut – und dennoch… dennoch hatten wir wieder zueinander gefunden, uns geliebt und… den Moment genossen, so kurz er auch gewesen war, bevor wir wieder unsanft in die Realität zurückgekehrt waren.
Als ich den Pleasure Room in Richtung des langen Korridors verließ, nahm ich die leise Musik der Party wahr. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass der Raum, in dem wir uns eben befunden hatten, komplett schalldicht zu sein schien — clever.
An der Treppe angekommen, ging ich die Stufen hinauf. Mit jedem weiteren Schritt fiel es mir schwerer, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Ungeachtet der Tatsache, dass eine der Bedienungen mich darauf hinwies, dass ich dort unten nichts zu suchen hätte, stieg ich über das rote Absperrband hinüber, schnappte mein Jackett an der Bar und ging über eine Seitentür nach draußen.
Eine kühle Brise wehte mir um die Nase, ich steckte meine Hände in die Hosentaschen, hob den Blick und atmete einmal tief durch.
Ich wusste gerade nicht, was ich denken oder fühlen sollte, ich kam mir vor wie in einem Traum — vielleicht auch wie in einem Albtraum.
In einiger Entfernung sah ich einen Teil der Stallungen. Die einzelnen Gebäude waren viel prunkvoller und größer als die Ställe von Bow River. Alle Wege waren durch lange Lichterketten beleuchtet, so dass mein Blick sofort auf die zierliche Frau fiel, die in meine Richtung gelaufen kam. Aus der Entfernung vermochte ich nicht aus zu machen, um wen es sich handelte. Als sie jedoch bei mir angekommen war und beinahe, weil sie ihren Blick stets gen Boden gerichtet hielt, in mich hinein rannte, erkannte ich, dass es sich um Aimee handelte.
“Aimee…”, setzte ich an, “was ist passiert?” Erst jetzt sah ich, dass ihre Schminke durch die Tränen, die ihr das Gesicht hinunter liefen, völlig verschmiert war. Sie schniefte einmal und wischte sich durch die Augen, was das Ganze natürlich nicht besser machte.
Aimee blieb stehen, sah erst wieder zu Boden und dann erneut zu mir hoch: “Ich… Tschetan er… und Nicholas…” Sie schluchzte wieder. Ich verstand nur Bahnhof, ließ ihr aber die Zeit, wieder zu Atem zu kommen. “Tschetan und ich haben uns heute Mittag geküsst… und eben beim Spiel haben sich Nicholas und er geküsst… und grade… grade im Stall haben sie sich wieder geküsst!” Aimee schluchzte erneut auf.
Ich nahm sie in den Arm und drückte sie, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Meine eigenen Gedanken hatte ich beiseite geschoben, stattdessen überlegte ich, was ich zu ihr sagen konnte.
“Weißt du… ihr seid jung und müsst… Dinge ausprobieren. Die erste Liebe kann grausam sein und…”, mir fiel selbst auf, was für einen Blödsinn ich da gerade von mir gab. Ich schwieg nun einfach und hielt sie im Arm. Wahrte Aimee auch sonst immer einen gewissen Abstand zu mir, schien sie nun froh darüber, eine Schulter zum Anlehnen zu haben.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich langsam beruhigte und ihre bebenden Schultern nur noch ab und an, vom Schluchzen ergriffen, zuckten. “Caleb… ich möchte nach Hause.” Sie ließ von mir ab und ging einen großen Schritt zurück, um mich direkt anzusehen. “Ich möchte jetzt bitte einfach nach Hause.”
Ich nickte zögerlich. Innerlich zerbrach ich mir gerade den Kopf, wie ich es schaffen sollte, gleich mit Ylvi und Tschetan in einem Auto sitzen zu müssen. Dennoch antwortete ich: “Ich geh nur gerade O und Bellamy holen, kannst du… Ylvi vielleicht schreiben, ob sie und Tschetan auch mitkommen?”
Aimee nickte prompt, doch in ihren Augen sammelten sich bereits wieder die Tränen. Es widerstrebte mir zwar, sie einfach hier so stehen zu lassen, jedoch fehlten mir die tröstenden Worte, um ihr eine Stütze sein zu können. Da war sie vielleicht im Moment besser dran, sich nur ihren eigenen Gedanken zu widmen.
Kaum hatte ich das Wohnhaus wieder betreten, prasselte die Musik in voller Lautstärke auf mich ein. Ich sank ein wenig in mich zusammen, in der Hoffnung, niemandem aufzufallen und nur schnell die beiden Geschwister einzusammeln.
Mein Wunsch wurde nicht erhört, allerdings hätte ich es auch deutlich schlechter treffen können. Ich vermutete die Blakes an der Theke, weshalb mich mein Weg durch den großen Speisesaal führte. Als ich in etwa die Hälfte des Saals durchquert hatte, wank Aiden mich zu sich. “Hast du Nicholas gesehen?”, fragte er. Leichte Besorgnis schwang in seiner Stimme mit.
Ich schüttelte zunächst den Kopf. Dann jedoch fielen mir Aimees Worte wieder ein. In den Stallungen. Er hatte Tschetan geküsst. Oder Tschetan hatte ihn geküsst – ganz gleich der Tatsache, dass der Schwarzhaarige am Nachmittag Aimee geküsst hatte. Das alles konnte ich ihnen aber wohl schlecht sagen, denn es lag nicht in meiner Verantwortung. Stattdessen antwortete ich: “Ich glaube, er war eben mit Tschetan in den Stallungen.”
“Was haben sie denn da gemacht?”, fragte Aiden sichtlich verwundert. Etwas in Erklärnot geraten wollte ich etwas vor mich hin stammeln. Tamara kam mir allerdings zuvor.
“Was macht man schon in einem Stall – na, sie werden sich bestimmt die Pferde angesehen haben!”
Ich lachte verlegen, schaute zur Bar rüber und murmelte, dass ich auf dem Weg zu Bellamy sei.
An der Bar wurde ich schnell fündig. “Wir müssten… fahren.”
Octavia wechselte einen vielsagenden Blick mit ihrem Bruder. “Aimee war eben hier und…”, setzte sie an, doch ich unterbrach sie mit gehobener Hand.
“Aimee wartet draußen, sie ist mir gerade quasi in die Arme gelaufen. Tschetan und Nicholas haben sich im Stall geküsst.” Den letzten Satz flüsterte ich nur noch, damit die umstehenden Leute ihn nicht hören konnten.
O sah mich verwundert an. “Im Stall? Sie war doch… oh… dann ist es wieder passiert. Ich seh nach ihr.” Mit diesen Worten verschwand sie nach draußen und ließ Bellamy und vor allem mich verwirrt zurück.
“Und welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?” Bellamy verschränkte die Arme vor der Brust, sichtlich auf eine Antwort wartend.
Mit diesem einen Satz holte er mich schlagartig zurück in die Realität. Ich stammelte etwas vor mich hin. Bellamy sah mich weiter fragend an. Er hatte nun sogar eine Augenbraue nach oben gezogen, um sein Warten auf eine Antwort zu unterstreichen.
“Ich hab eben mit… Ylvi geschlafen.”
Bellamy verzog keine Miene, lockerte allerdings die verschränkten Arme und steckte die Hände in die Hosentaschen. “Und was machst du jetzt?”
Ich zuckte die Schultern. “Keine Ahnung.”
Er schien zu überlegen, sah einmal in die Runde und trank den letzten Schluck Bier aus seinem Glas, welches er dann zurück auf die Theke stellte.
“Man Caleb, du musst dich echt mal entscheiden.”
Klar, als hätte ich daran nicht schon gedacht – mich zu entscheiden. Als würden diese ‘Sachen’ einfach nur so passieren. “Hast du mal daran gedacht, was das für uns bedeutet?”
Ich starrte ihn an. Mein Blick durchbohrte ihn, während ich seine Worte in meinem Kopf Revue passieren ließ.
Schließlich wiederholte ich sie eisig. “Was es für euch bedeutet?”
“Du weißt, wie ich das meine. Mensch das hin und her zwischen euch, denkst du, wir bekommen das nicht mit?”, Bellamy hob beschwichtigend die Hände. Er schien nicht auf Ärger, sondern auf ein ehrliches Gespräch aus zu sein.
“Mir geht so vieles durch den Kopf”, gestand ich ihm wahrheitsgetreu. “Ich habe daheim eine alte Kiste mit Fotos gefunden. Es waren auch einige von Ylvi und mir dabei, als wir noch ein Paar waren und man ich sags dir, ich vermisse die Zeit. Ich vermisse es, abends neben ihr einzuschlafen und morgens neben ihr aufzuwachen. Ich vermisse es, sie im Arm zu halten. Ich vermisse unsere gemeinsamen Ausritte und ja auch den Sex mit ihr vermisse ich. Aber weißt du, was am schlimmsten ist?”, ich machte eine kurze Pause, “solche Abende wie heute. Ich vermisse all das, was wir als Paar nicht tun konnten. Du hättest uns beim Tanzen sehen sollen… ich hatte nie die Chance, mit ihr zu tanzen. Es hat sich für den Bruchteil einer Sekunde so gut angefühlt! Und dann kamen die Schuldgefühle wieder hoch… Was ich Louis damit antue… also schon wieder angetan habe. Mir fällt so langsam keine Ausrede mehr ein, weshalb ich mich an seine Frau ranmache.” Das Wort ‘Frau’ flüsterte ich beinahe nur noch. Ich sah zu Boden. In Gedanken fügte ich hinzu: Und ich vermisste all die Dinge, die ich mit Verena hätte haben können, wenn ich mich damals getraut hätte, ihr meine Gefühle zu gestehen.
Bellamy schnaubte. Ich sah zu ihm auf und beobachtete ihn dabei, wie er langsam den Kopf schüttelte. “Man ich dachte, du bist nur heiß auf den Sex mit ihr. Aber du liebst sie ja richtig.”
Liebe… ich seufzte erneut.

Als wir nach draußen gingen und bei O und Aimee ankamen, waren ihre Tränen versiegt. Octavia hielt sie im Arm und lächelte uns milde an.
“Sollen wir Laurence anrufen? Von uns kann schließlich niemand mehr fahren”, schlug sie vor und langte nach ihrem Handy, welches sie auf einen der großen beleuchteten Steine gelegt hatte.
Ich gab nicht sofort eine Antwort, sondern sah Aimee an. “Hast du Ylvi erreicht?”
Sie schüttelte allerdings den Kopf.
“Das ist seltsam…“, murmelte ich. „Ich ruf Laurence mal an, vielleicht kann er Brian mitbringen, damit wir meinen Wagen mitnehmen können.“
“Bitte nicht meinen Dad… kann Murphy nicht mitkommen?”
“Dann probier du ihn anzurufen. Wenn du ihn ans Telefon bekommst, ist mir das recht.“

Ylvi
Ich war ein Geist. Eine Art neblige Gestalt, die sich durch die Menge der Menschen nach draußen schob. Erst auf dem Rasen merkte ich zum ersten Mal richtig,das meine Schuhe wohl im Pleasure Room zurückgeblieben waren.
Ein Schluchzen schüttelte mich. Fest drückte ich meine Hand gegen meinen Mund. Verbat mir einen Laut von mir zu geben. Schnell trugen mich meine nackten Füße aus dem Schein der kleinen Laternen am Stallgebäude vorbei. Nur halb nahm ich eine andere Gestalt rennend hinein ins Hauptgebäude wahr. Ich beschleunigte meinen eigenen Lauf, als eine Stimme einen Namen rief. Schließlich verschluckte mich die dumpfe Dunkelheit des kleinen Waldes, der hinter dem Stallgebäude auftauchte. Mein Körper zitterte, da ich nach Atem rang. Geschüttelt von Schluchzern und Lungen, die nach Atemluft verlangten. Offenbar hatte ich zu oft die Luft angehalten. Mein Herz schien den Brustkorb durch heftiges Schlagen sprengen zu wollen. Ich konnte mein Husten und das Schluchzen nicht länger zurückhalten. Hemmungslos weinend gaben meine Beine unter mir nach. Wäre es nicht ohnehin dunkel gewesen, dann hätte ich kaum etwas gesehen. Seltsame Schwärzungen inmitten meines Gesichtsfeldes.
Eine Stimme, Arme, die meine Schultern sanft packten. Ich wollte sie wegstoßen, doch fanden meine Lippen keine Worte, da noch immer eine Mischung aus Husten, Schnappatmung und Schluchzern meinen Körper quälte. Panikattacke. Eine ausgewachsene Panikattacke hatte meinen Geist und Körper gepackt. Mein Geist war verwirrt, ich wollte mich aus der Umarmung winden, denn ein bekannter Geruch stieg in meiner Nase auf. Caleb! Caleb war mir doch gefolgt! Langsam, nur langsam drang die Stimme zu mir durch. Die Melodie eines Liedes, das rhythmische vor- und zurückwiegen. Die Worte verstand ich nicht, denn ich war der Sprache gar nicht wirklich mächtig. Tschetan. Es war Tschetan, nicht etwa Caleb, der mich hier im Arm hielt. Er sprach nicht weiter. Hielt mich einfach nur in seinen Armen, sang leise das Lied, während sein Kinn auf meinem Kopf lag. Irgendwie war das falsch… sollte nicht eine Mutter ihr Kind trösten?
Wieder fragte ich mich wann der Jugendliche so verdammt erwachsen geworden war. Mein Herzschlag, selbst mein Atem passten sich nach und nach an das stetige auf und ab seines Liedes an. Eine repetitive Melodie. Ich erkannte sie als ein Lied, das Louis Kaya so oft vor dem Schlafen gesungen hatte.
“Es tut mir Leid”, flüsterte ich beschämt, als ich mich beruhigt hatte. Fahrig wischte ich mir die Tränen von den Wangen. In der Dunkelheit war ich nicht in der Lage, Tschetans Gesicht zu erkennen.
“Es scheint kein guter Tag für die Liebe zu sein”, flüsterte Tschetan zurück. Worte, die mich ein wenig überraschten, wenn sie auch wahr waren.
“Möchtest du vielleicht darüber reden?”, fragte ich ihn, denn es schien mir nun fast, als sei das beruhigende Lied nicht allein für mich gewesen.
Tschetan schwieg eine ganze Weile. Ich wollte mich aufsetzen, aber Tschetans Arme hielten mich noch immer in der Kneifzange an seine Brust gedrückt. Schwer seufzte der Junge, der offenbar nach Worten suchte. “Ich hab euch immer angeschaut… nicht verstanden. Nicht verstanden, was das eigentlich soll. Hab die anderen Reden gehört. Jetzt steck ich selbst in der Situation… und kann dich verstehen.”
Ich war ein wenig verwirrt. Sprach aber noch nicht, da ich das Gefühl hatte, Tschetans rätselhafte Worte würden noch ergänzt werden. “Unten am Fluss, da hab ich Aimee geküsst. In dem Moment, da… das hat sich so richtig angefühlt. Wie in einer eigenen Blase, da gab es nur sie und mich. In meinem Kopf hab ich sogar schon eine Zukunft mit ihr gesehen. Hier auf der Party… da haben wir uns auf ein blödes Flaschendrehen eingelassen. Bryce hatte beschlossen, derjenige müsse Nicholas küssen. Die elendige Flasche landete auf mir. Was erst als scheuer Kuss begann, war nicht richtig. Die anderen wollten mehr Show… plötzlich hat sich alles verselbstständigt. Aimee ist zu O’... irgendwie wollte ich alles mit Nicholas in den Stallungen klären. Stattdessen… hat er den Kuss wiederholt. Weißt du eigentlich… ich dachte, als ich hier in den Wald rannte, du bist Aimee… sie hat mich und Nicholas entdeckt.”

Das ließ mich doch tatsächlich ein wenig baff zurück. Tatsächlich hatte ich die Chemie der beiden Jungen bemerkt. Schon eine ganze Weile hatte ich im Verdacht gehabt, dass auf beiden Seiten Gefühle im Spiel waren, die sie einander noch nicht eingestanden. Ehrlicherweise jedoch ließ mich die Zuneigung von Tschetan in Aimees Richtung überrascht zurück. Ähnliche Bande hätte ich niemals erwartet.
“Gosh..ich kann beiden nie wieder unter die Augen treten. Wie kann man sich denn bitte in 2 Menschen gleichzeitig verlieben!”
Ich lachte auf. Kam mir fast vor wie eine Irre, als ich da auf dem Waldboden in Tschetans Armen hockte… und einfach lachen musste.
“Unfair”, murmelte Tschetan und knuffte mir in die Schulter.
“ ‘tschuldige.”
“Ich weiß nur zu gut, wie verzwickt die Situation ist. Lass dir von jemandem mit Erfahrung sagen – klär das. Vernünftig mit dir und mit ihnen. Schweig es nicht still. Nicht deine Gefühle. Auch nicht deine Verwirrung. Such das Gespräch. Ehrlich mit beiden. Ich hab das nie wirklich getan und sieh, wo ich jetzt bin.” Erst jetzt ließ mich Tschetan los, meine Hand ruhte noch auf seiner Schulter, die ich sanft drückte.
“Du hast mit Caleb geschlafen,oder?” Im hellen hätte Tschetan meinen beschämten Blick zu meinen Knien gesehen. “Ich kann ihn an dir riechen… und bei deiner Reaktion gerade”, flüsterte Tschetan leise.
Ich schniefte. “Ich fühle mich schrecklich. Und dann auch wieder nicht. Ich hab beide so gern. Tatsächlich IST es möglich, zwei Menschen zu lieben. Die meisten jedoch… kommen damit nicht klar. Weißt du… als ich jünger war, habe ich tatsächlich eine Beziehung geführt mit quasi vier Personen. Ich hatte zunächst eine Freundin, später kam ein Freund dazu… und sie hatte später noch eine weitere Freundin. Ich hatte damals nur mit Lorelei und David Sex, aber Karin war eine tolle Freundin. Ich hab mich nie in einer reinen monogamen Beziehung gesehen. Lange hatte ich keinen Partner, habe der Liebe quasi abgeschworen. Tja… das hab ich alles über Bord geworfen, als ich Caleb und Louis begegnet bin. Lange Rede gar kein Sinn… du siehst ja was draus geworden ist. Wir haben alle drei nicht wirklich miteinander kommuniziert. Mit Louis würde eine polyamore Geschichte wohl sogar funktionieren. Caleb… ist dafür nicht geschaffen.”
“Das klingt hart…dich da jetzt zu limitieren.”
“Hart ist vermutlich die falsche Wortwahl. Es ist kniffliger… doch eins ist klar: ich will beide Männer nicht weiter verletzen. Das kann ich auch meinem Seelenfrieden nicht weiter antun. Wenn selbst die Belegschaft der Ranch darüber spricht… so geht es nicht.”
“Dann haben wir wohl demnächst beide ernste Gespräche vor uns”, seufzte Tschetan, “ich weiß gar nicht, was ich jetzt machen soll.”
“Die Lippen sind das wunde Ende deiner Ängste und deiner Liebe. Sprich mit beiden darüber. Vielleicht schlägst du beiden Dates vor… gemeinsame Unternehmungen, in denen du dir klar werden kannst, für wen der beiden… es nur eine Liebelei ist… Lust sogar… und für wen der beiden du aufrichtige Gefühle hast.”
“Ich weiß zwar nicht, ob sie sich darauf einlassen, aber den Vorschlag werd ich wohl versuchen umzusetzen.”
"Ich glaub noch so ein Drama verträgt die Ranch langsam wirklich nicht", lachte ich leise auf, Tschetan stimmte erst verhalten, dann aufrichtig mit ein.
"Ich will nach Hause, wie sieht es mit dir aus?" fragte er dann schließlich. Wir hatten geplant, das Auto hier zu lassen. Laurence hatte angeboten, uns später abzuholen. Jetzt jedoch mit Caleb in einem Auto zu sitzen… So ausgekotzt, wie ich mich fühlte und sicherlich auch aussah? Ich machte dicke Backen.
"Schon…allerdings. Mit ihnen jetzt im selben Auto sitzen?"
"Klasse, wir haben also denselben Gedanken."
"Laufen?" schlug ich milde vor.
"Dir ist klar, das ist ein 9 Meilen Marsch?"
"Ganz ehrlich, zum jetzigen Zeitpunkt lieber das als Auto."
Damit richtete ich mich auf beide Beine auf. "Kennst du im Dunkeln zumindest ungefähr den Weg?"
"Sobald wir den Highway erreicht haben, eigentlich nur geradeaus."
So verließen Tschetan und ich also die Party. Im Halbschatten der Lichterketten suchten wir uns einen Weg um das Haus herum, krochen durch zwei Büsche, um schließlich auf deren Auffahrt zu kommen und von dort auf den Highway. Ehrlicherweise mussten wir ein seltsames Bild abgeben. Im Korsagenpartykleid, barfuß, völlig verheult und sicherlich zerzaust mit einem Teenager an meiner Seite. Was ich grad nicht alles tat, um Caleb aus dem Weg zu gehen. Das würde ein langer 9 Meilen(etwa 14km) Marsch werden.

Laurence
“Es scheint mir, Miss Dolores, als müssen wir unseren gemeinsamen Abend beenden”, meinte ich, während ich mir die Lesebrille auf die Nase setzte und auf den Display meines Handys schaute, auf dem in Großbuchstaben ‘Caleb’ stand. Dolly warf mir einen milde lächelnden Blick zu, ehe sie aufstand und die beiden Rotweingläser sowie die Teller zur Seite räumte. Wir hatten vorzüglich im Haupthaus zu Abend gegessen. Der Einladung Dollys war ich ohne zu Zögern gefolgt. Wann kam es schon vor, dass wir das ganze Haus für uns alleine hatten?
Wenig später saßen Dolly und ich im Wagen. Auf dem Weg, um Caleb und Co. abzuholen.
“Es ist mir ein Rätsel, wie es Murphy noch immer so schlecht gehen kann.”
“Ich glaube, er hat sich ordentlich den Magen verdorben. Ich habe ihm am Nachmittag einen Tee gebracht, wenig später schien es ihm schon besser zu gehen. Dass er nun aber kein Auto fahren möchte, kann ich verstehen”, meinte Dolly sichtlich besorgt. Sie war wirklich die gute Seele des Hauses und Caleb konnte sich glücklich schätzen, dass sie so viele Aufgaben übernahm. Ganz davon abgesehen, dass ich ihre Anwesenheit stets zu schätzen wusste.
“Ich frage mich nur, warum du Brian nicht wecken solltest.”
“Aimee wollte das wohl nicht. Es scheint etwas vorgefallen zu sein, Ylvi und Tschetan scheinen die Feier zudem frühzeitig verlassen zu haben und sind nicht mehr zu erreichen.”
Dolly schnappte erschrocken nach Luft. “Wo mögen sie nur hin sein? Glaubst du, sie haben sich zu Fuß auf den Weg zurück zur Ranch gemacht?”
“Das glaube ich kaum, es ist doch ein ganz schönes Stück bis nach Bow River.” Ich kratzte mich kurz am Bart, ehe ich das Lenkrad wieder mit beiden Händen umfasste. “Was mag da bloß vorgefallen sein”, murmelte ich, eher für mich selbst als für Dolly. Sie griff meine Worte allerdings auf.
“Vielleicht hatte dieser Bryce wieder etwas damit zu tun. Der Junge macht den Kindern das Leben wirklich schwer, ich habe Kaya und Betsy schon ein paar Mal über ihn sprechen hören. Ihre Worte waren allerdings viel kindlicher, nicht so harsch wie ich Tschetan schon deswegen habe fluchen hören.”
Ich brummte leise. “Ich kann es dir wirklich nicht sagen.”
Einige Minuten später kamen wir am Haus der Morrissons an. Die Einfahrt und der gesamte Weg bis zum Haus war von leuchtenden Girlanden geziert. Aus dem Augenwinkel sah ich Dollys leuchtende Augen, die sich daran nicht satt sehen konnte.
Ein Mitarbeiter zeigte mir den richtigen Weg zum Haus, denn nicht alle der Wege waren für die Autos freigegeben.
Ich kam kaum zum Halten, da wurde bereits eine Hintertür aufgerissen. “Gott sei Dank, Laurence.” Aimee schwang sich in den Wagen und setzte sich in die Mitte. Links und rechts von ihr nahmen die beiden Geschwister Platz.
Caleb hielt Dolly die Tür auf und reichte ihr, nachdem sie ausgestiegen war, den Schlüssel zu seinem Wagen. “Das Auto ist schon geholt worden, er steht hier vorne links. Ich danke dir wirklich, Dolly.”
Sie lächelte mild. “Nichts zu danken, Mister Caleb.”
Als hätte sie geahnt, dass er zum wiederholten Mal ansetzen und ihr mitteilen wollte, dass sie ihn einfach nur Caleb nennen soll, hob sie kurz die Hand und wandte sich dann ab, um mir zu winken und zu Calebs Wagen zu gehen.
Als Caleb sich schließlich setzte, flog die Hintertür wieder auf und O stolperte aus dem Wagen. “Wir können sie ja wirklich schlecht alleine fahren lassen. Ich fahr mit Dolly.” Mit diesen Worten verschwand sie und musste schließlich tatsächlich in ihren hohen Schuhen joggen, um Dolly noch zu erwischen. Sie hatte den Motor bereits gestartet und war einige Meter vorgefahren.
Ich sah ihr hinterher. Als ich meinen Blick schließlich abwandte und kurz in den Rückspiegel sah, konnte ich Aimee sehen, die von der Mitte wieder nach links gerutscht war. Sie hielt ein Taschentuch in der Hand und tupfte sich damit die Tränen ab, die über ihre Wangen liefen.
Niemand im Wagen wusste so recht etwas zu sagen, so dass wir, hinter Dolly herfahrend, das wunderschön geschmückte Anwesen der Morrissons schweigend hinter uns ließen.

Caleb
Ich begleitete Aimee zum Bungalow. Obwohl sie mich mehrfach darum bat, sie alleine gehen zu lassen, beharrte ich unnachgiebig darauf, sie wenigstens bis zur Tür zu bringen. Ich wollte sie in ihrem Gemütszustand, der meinem beängstigend glich, nicht alleine lassen. Sie schloss die Tür auf und atmete tief ein und aus, was ich an ihren sich hebenden und senkenden Schultern erkannte. Dann machte sie einen Schritt ins Innere des kleinen Hauses, ehe sie sich umdrehte. Mit ihren geröteten und verquollenen Augen schaute sie scheu zu mir hoch. Sie hauchte mir ein “Danke” entgegen. Mein Nicken wartete sie kaum merklich ab. Dann schloss sie die Tür. Ich blieb noch einen Moment stehen. Es dauerte ein paar Sekunden, dann hörte ich ihre leisen Schritte, die sie ins Innere des Hauses trugen. Erst dann wandte ich mich ab und musste mich dem Chaos in meinem Kopf wieder alleine stellen. Irgendwann musste es doch auch mal gut sein, oder nicht?
Schweren Schrittes ging ich auf das Haupthaus zu, doch wie von selbst fand ich mich wenige Minuten später im Stall wieder. Ich schaltete das Licht nicht an, machte mich durch Schnalzen jedoch für die Pferde bemerkbar. Ich vernahm das gleichmäßige Mahlen der Tiere, die sich sofort wieder ihrem Heu widmeten und mir keine Beachtung schenkten. Neben einem Brummeln, welches ich nicht sofort zuordnen konnte, ließ mich Blues Wiehern meinen Weg zu seiner Box finden. Ich öffnete die Tür und ging hinein. “Na mein Großer”, sagte ich leise, ging auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf den bemuskelten Hals. Der Hengst streckte mir sofort seinen Kopf entgegen und schnupperte an meiner anderen Hand. Vermutlich in der Hoffnung, dass sich darin etwas zu fressen befand. “Du hast es so leicht, mein Freund”, ich lachte leise in mich hinein, “deine Liebschaften werden für dich ausgesucht.”
Erneut brummelte eines der Pferde. Das Geräusch zog meine Aufmerksamkeit auf sich, denn noch immer wusste ich nicht, von wem es kam. Ich verließ die Box von Blue wieder, zog sie hinter mir zu und ging langsam in der Stallgasse auf und ab. Vor Bennys Box blieb ich stehen. Er streckte den Kopf heraus und machte den Hals lang. Wieder das Brummeln, dieses Mal viel lauter. “Du brummelst mich an”, schlussfolgerte ich, streckte die Hand aus und berührte ihn sanft an der Nase. “Seit wann machst du das denn?”, fragte ich den Hengst. Natürlich gab er mir keine Antwort.
Benny hatte sich wunderbar eingelebt und war in der Zeit, die er jetzt hier war, richtig aufgeblüht. Der Hengst hatte Potenzial, wenn man ihn mit Ruhe und Geduld trainierte. Zu Beginn unserer gemeinsamen Zeit war es mir leider jedoch nicht nur einmal passiert, dass er sofort in die alten Muster zurückgefallen war und resigniert hatte.
Ich blieb noch eine Weile an seiner Box stehen, ehe ich mich doch auf den Weg ins Haupthaus machte. Immer wieder schaute ich auf mein Handy, ob eine Nachricht von Tschetan oder Ylvi zu sehen war – nichts, wie schon die ganze Zeit.
Im Flur des Hauses knipste ich das Licht an und warf im Vorbeigehen einen Blick in die Küche. Ich stockte in der Bewegung, knipste auch dort das Licht an und sah mir an, was auf dem Tresen stand: eine Flasche Whiskey, die auf einem Zettel stand. ‘Ich dachte, die könntest du brauchen.’ – Bellamy
Ich schmunzelte kurz. Ja, die konnte ich brauchen.
Aus dem Schrank nahm ich mir ein Glas, ehe ich meinen Weg durchs Haus weiter fortsetzte. An Tschetans Zimmertür klopfte ich kurz. Als ich keine Antwort vernahm, öffnete ich sie einen Spalt und lugte hinein… niemand da.
Als ich auch beim Rausschauen aus meinem Fenster in Louis Bungalow kein Licht sah, machte ich mir langsam Sorgen. Ich schrieb beiden eine kurze Nachricht mit der Bitte, sich doch bei mir zu melden, da ich mir Sorgen machte, wo sie wären.
In meinem Zimmer angekommen, stellte ich zuerst Glas und Flasche auf meinen Nachttisch. Dann hängte ich meinen Hut an seinen Platz, entledigte mich meiner Partykleidung und zog mir etwas bequemes an. Der bizarre Anblick des schwarzen, mit Glitzersteinchen beklebten Hutes, der eher an das Outfit eines Buckle Bunnys erinnerte, entlockte mir ein kurzes Lächeln. Wie bei so vielen Dingen im Leben trügte oft der Schein. Bizarr wie dieser Hut unter meinen anderen, doch sehr schlicht gehaltenen Hüten auffiel, wie ein bunter Hund.
Ich dimmte das Licht, nachdem ich mir Glas und Flasche geschnappt hatte. Beides stellte ich am großen Panoramafenster ab, durch das ich einen Großteil der Ranch überblicken konnte. Gerade als ich mich setzen wollte, kam mir die Kiste mit den Fotos wieder in den Sinn. Ich ging dorthin, wo ich sie verstaut hatte und nahm sie mit zum Fenster, wo ich sie neben mir abstellte, mich setzte und endlich einen Schluck Whiskey einschenkte – dass sich kein Eis im Glas befand, störte mich im Moment nicht weiter. Ich konzentrierte mich schon voll und ganz auf die Kiste, deren Deckel ich nach dem ersten Glas des braun-wässrigen Getränks öffnete und durchschaute. Ich erwischte mich dabei, wie ich Schluck für Schluck und Glas für Glas ins Land der Träume abdriftete und meine mich auffressenden Gedanken nach und nach zu einem wirren Chaos wurden, ehe mir die Augen zufielen und die Fotos zu Boden segelten.

Ylvi
“Wirklich es reicht”, sprach Tschetan konsterniert in die Dunkelheit. Seine Schritte waren nicht mehr zu hören, er schien also stehen geblieben zu sein. Nur langsam holte ich bis zu der Stelle auf, an der Tschetan stand. “Entweder ich trag dich jetzt ein Stück Huckepack oder wir gehen endlich hoch zum Highway und lassen uns mitnehmen. Barfuss bis nach Hause laufen war ja wohl ne blöde Idee.”
Angesichts meiner schmerzenden Füße und meinem eigenen Humpeln, hatte er wohl nicht ganz unrecht. “Schieb es auf den Alkohol?”, versuchte ich, den etwas grummeligen Jugendlichen zu beruhigen.
Der lachte auf. “Na los, ab auf meinen Rücken.”
“Ich fürchte, da haben wir nur ein Problem…"
Tschetan seufzte schwer, beinahe theatralisch. “Du wirst schon nicht zu schwer sein.”
“Haha, das ist es gar nicht. Aber dieses Kleid hat eine Korsage, ich hab jetzt schon Schmerzen von den Eisenverstrebungen an der Hüfte. Huckepack wird das nicht angenehmer.”
“Dann zieh es aus. Häng dir mein Jackett über", meinte mein Ziehsohn sachlich.
Da ich dagegen kein Argument hatte, fummelte ich nach dem Reißverschluss an der Seite, öffnete ihn und wand mich aus dem Kleid heraus. Tschetan reichte mir sein Jacket. Anschließend fand ich mich auf seinem Rücken wieder. Mit mir auf dem darauf lief er weiter, bis er eine Stelle fand, an der er ohne Probleme die Böschung hinauf zum Highway kam.
"Dir ist das wirklich nicht zu schwer?”, piepste ich dann doch ein wenig Kleinlaut.
“Ich hau dich gleich”, knirschte Tschetan.
Langsam hatte ich wohl seine Geduld überstrapaziert. Ich hatte ihn vor einiger Zeit die Böschung hinunter gezogen, als ich den Klang von Laurence Karre meinte gehört zu haben. Tatsächlich hatte ich mich in diesem Moment unsichtbar gewünscht.
Gut eine Stunde nach meiner tollen Idee, in die Böschung zu rennen, hatte ich das ganze dann doch irgendwie bereut.
“Bevor du mir noch umkippst… geh die Böschung hoch. Vielleicht haben wir Glück… und jemand nimmt uns mit”, merkte ich dann ein wenig kleinlaut an.
“Beim großen Geist, du gibst endlich auf", seufzte Tschetan. “Bist du dir sicher, dass du nicht irgendwo Indigenes Blut in dir hast? Du bist stur wie meine Großmutter.”
Ich war mir ehrlich nicht sicher, ob das wütend war oder ob er mich aufziehen wollte. Um seine Nerven zu schonen, sagte ich gar nichts. Langsam bewegte sich Tschetan die leichte Böschung hinauf, als er auf dem Asphalt ankam, hörte man das Knirschen der Steine unter seinen Schuhen. Und zu meiner Scham auch seinen mittlerweile stoßweise kommenden Atem.
“Los lass mich runter”, murmelte ich irgendwann. “Du musst dir und mir nichts beweisen.” Ich seufzte laut auf. Tschetan lief einfach weiter. “Tschetan wirklich. Lass es. Wir bleiben hier am Rand sitzen. Hier ist zwar nicht mehr viel los auf der Straße… aber irgendwer wird uns schon mitnehmen können.”
Langsam löste Tschetan seinen Griff um meine Oberschenkel und ließ mich sanft seinen Rücken runter rutschen. Deutlich spürte ich meine schmerzenden Füße. Ich würde vermutlich noch die nächsten Tage von meiner hervorragenden Idee haben. “Verdammt ey, ich hätte mein Handy nicht liegen lassen sollen”, stöhnte ich zum aberhundertsten Mal.
“Ich hätte mich gar nicht zu deiner tollen Idee hinreißen lasen sollen,” seufzte Tschetan, aber jetzt konnte ich deutlich seinen Schalk in der Stimme hören.
Ich stupste ihm diffus gegen die Schulter. “Naja …ich bin immerhin die Erwachsene.”
“Vorhin warst du mehr als angetrunken, nicht ganz zurechnungsfähig.”
“Na Danke”
“Nur die Wahrheit.”

Wir saßen eine ganze Weile in der Dunkelheit, dann stupste mich Tschetan an. “Da, Licht. Steh auf. Dann halten wir den Fahrer an.” Hastig zog ich mir mein Kleid immerhin so über die Hüften, dass es aussah, als würde ich einen Rock tragen. Nur in Unterwäsche und einem Anzug als Oberbekleidung wollte ich niemandem entgegentreten. Halbwegs knöpfte ich die Anzugjacke zu. Die Lichter kamen indes näher. Tschetan sah ich nun im Licht des Scheinwerfers, wie er da stand, den Arm raus hielt. Das Fahrzeug wurde immer größer, es schien ein Truck zu sein. Jetzt mussten wir nur noch hoffen, dass der Fahrer auch anhielt. Es schien allerdings tatsächlich, als würde das Fahrzeug seine Geschwindigkeit verringern. Mein Herz schlug schneller, wenn der Fahrer uns tatsächlich fahren würde… könnten wir innerhalb von einer halben Stunde im Bett liegen.
“Der Truck hält!”, jubelte jetzt auch Tschetan.
“Wir sehen vermutlich ärmlich genug aus.”
Der Truck hielt an. Wir bewegten uns auf die Seite des Fahrers und schauten nach oben. Eine Person, die ich nicht ganz erkennen konnte, sah auf uns herab.
“Meine Güte Lady! Wo zum Geier haben sie ihre Schuhe gelassen? Wurden sie ausgeraubt?”
“Nicht ganz. Aber könnten sie uns vielleicht bis Bow River mitnehmen? Wissen sie wo die Ranch ist?”
“Klar, hüpft rein. Allerdings müsst ihr mir den Weg zeigen. Ich kenn die Gegend hier kaum. Fahre nach Karte.”
Mit leichtem Humpeln lief ich mit Tschetan um die Schnauze des Trucks herum. Tschetan öffnete die Tür, wartete bis ich hinein gekraxelt war und kletterte nach mir hinauf. Ich war mir bei der Stimme zuvor nicht sicher gewesen, jetzt jedoch war es unverkennbar. Vor mir saß eine lilahaarige, stark geschminkte Frau. Sie streckte mir freudig lächelnd den Arm entgegen, um mir die Hand zu schütteln. “Lesley O’Melly, freut mich euch kennenzulernen.”
Beherzt griff ich nach ihrer Hand. “Ganz auf unserer Seite. Sie retten uns die Nacht.”
“Dann schnallt euch mal an.”
Ich musste schmunzeln. Wäre ich Lesley auf der Straße begegnet, hätte ich ihr so ziemlich jeden Job zugetraut, nur nicht den einer Truckerin. Tschetan reichte mir meinen Gurt herüber, da er halb drauf gesessen hatte. Anschließend rollten wir los.
Es folgte neben der einfachen Wegbeschreibung zur Auffahrt der Ranch eine runde SmallTalk, wie wir um die Uhrzeit eigentlich in unsere Lage geraten waren. Lesley hatte gut was zu schmunzeln. Wir bedankten uns herzlich bei der Truckerin - mir hatte sie deutlich die Nacht gerettet.
“Nächstes Mal sind wir Erwachsen und fahren mit den anderen zurück. Einverstanden?”, flüstere ich entschuldigend in Richtung Tschetan. Auf dem Grasstreifen neben dem Zaun der Auffahrt war das Laufen beinahe angenehm. Hinüber bis zur Tür des Haupthauses bestand Tschetan nochmal darauf, mich zu tragen.

Erst im Wohnzimmer ließ er mich auf die Couch sinken. Im Licht der kleinen Stehlampe konnten wir uns ein erstes Bild vom Zustand meiner Fußsohlen machen. Man erkannte deutlich Blasen an den Fußballen, eine tiefe Schnittwunde… und etliche Kratzer an den Knöcheln von Dornen.
“Bleib ja hier sitzen”, orderte Tschetan an. Ich hörte ihn erst in der Küche etwas kramen, sah wie er durch den Flur lief, bis er schließlich mit vollen Armen wieder zurück kam. “Louis bringt mich um, dass ich nicht vernünftig aufgepasst habe”, seufzte er tadelnd und stellte eine große Schüssel Wasser ab. Beherzt griff der Teenager nach meinen Knöcheln und tauchte die Füße in das warme Wasser. Vorsichtig wusch er sie mir. Ich ballte die Hände zu Fäusten und biss mir auf die Lippe. Ich war hochgradig kitzelig, der Impuls zu Lachen war größer als die ziependen Schmerzen der Schnitte. Aber eisern versuchte ich Tschetan die Füße nicht zu entziehen. Er nahm den ersten gewaschenen Fuß aus dem Wasser. Schmierte etwas Jodsalbe auf die Schnitte und Kratzer. Locker machte er einen Verband um den Fuß. Mit dem anderen Bein verfuhr er genauso. “Der Schnitt hier ist nicht so tief, es scheint auch nichts drin zu stecken. Behalt den trotzdem gut im Auge.”
“Wer ist hier eigentlich der Erwachsene?”, brummte ich missmutig. Tschetan schien zu beschließen, auf die Aussage nur mit einem stoischen Gesicht zu reagieren. Ja guut, mein Trotz hatte uns vielleicht heute ziemlich in die Scheiße geritten.
“Kann ich dich jetzt allein lassen?”
Ich streckte Tschetan für die Frage die Zunge raus. Umarmte ihn dann jedoch fest, bedankte mich und wünschte ihm eine gute Nacht. Auch wenn draußen vermutlich demnächst die Sonne aufgehen würde. Leise Schritte hörte ich die Treppe hinauf gehen, als Tschetan auf sein Zimmer verschwand. Ich zog mir das Kleid vom Körper, warf es erstmal achtlos auf den Boden und humpelte dann in Richtung des Bades. Dort wühlte ich im Wäschekorb nach einem Shirt oder Hemd, das nicht völlig verschwitzt oder verstaubt war. Dann zog ich mir eines über, um nicht völlig nackt auf der Couch zu schlafen. Anschließend kehrte ich zurück, kam jedoch nicht zur Ruhe. Hunderte von Gedanken rasten im D-Zug Verfahren hinter meinen Augäpfeln durch mein Hirn. Kaum einen davon konnte ich vernünftig fassen. Nur den einen. Ich wollte nicht allein hier unten auf der Couch liegen. Jede noch betrunkene Faser meines Körpers wollte zu Caleb. Auch wenn jede nüchterne Zelle in meinem Hirn wusste, dass ich noch vorhin vor ihm geflüchtet war.
Trotzdem bewegte sich mein Körper leise humpelnd in die Fleecedecke geschlungen die Treppe hinauf. Mit vorsichtigem Druck öffnete ich Calebs Tür. Ich raffte die Decke enger um mich, ging hinein und schloss genauso leise die Tür. Dann blieb ich stehen wo ich war. Überzeugt Caleb müsse allein vom Trommeln meines Herzschlages wach werden. Erinnerungen an eine andere verschlossene Tür. Calebs Atem auf meiner Haut. Seinen Geruch in der Nase. Allerdings nahm ich auch etwas anderes wahr. Auf den Zehenspitzen bewege ich mich vorwärts. Plötzlich kollidierte ich mit etwas auf dem Boden. Ein stimmloser Schreckenslaut kam mir über die Lippen. Halb konnte ich mich fangen, stolperte, mein rechter Fuß kam schmerzhaft auf den Boden. Meine Arme fuchtelten in der Luft. Gerade als ich dachte, wieder festen Stand zu haben, rutsche ich auf etwas Glattem auf dem Boden aus. Ich fiel zu Boden wie ein Baum, oder eher im halben Spagat, da mir das rechte Bein in die eine Richtung rutschte, während das linke stehen blieb. Als mein Ellenbogen zuerst mit dem Boden in Kontakt kam und mein restlicher Oberkörper folgte, hörte ich ein ungutes Knirschen. Mir stieg ein anderer Geruch in die Nase… und alle meine Schmerzrezeptoren im Hirn meldeten sich alarmierend. Alles geschah im Bruchteil weniger Sekunden. Irgendwo in diesem Chaos hatte ich dumpf ein verstörtes “Ngnn?” wahrgenommen, dass jetzt einer richtigen Stimme wich.
“Was? WER ist da?”, lallte ein Caleb irgendwo neben mir. Krauchen, wirres auf dem Boden rum wühlen, schließlich ging das Deckenlicht an.

Laurence
"Wirklich ein verrückter Abend." Dolly sah zu mir herüber und ließ den Schlüssel von Calebs Wagen durch die Finger gleiten.
"Wahrlich ein sonderbarer Abend", schien sie meine bereits gesagten Worte zu wiederholen.
Ich räusperte mich kurz und wandte mich Dolly nun ganz zu. "Ich habe gedacht…", setzte ich an und suchte nach den richtigen Worten, ehe ich weitersprach, "Sie könnten mit zu meinem Bungalow kommen und wir lassen den Abend so schön ausklingen, wie er begonnen hat?" Unsicher trippelte ich von einem auf den anderen Fuß und konnte ihre Antwort nur ungeduldig abwarten. Als sich ein Lächeln um ihre so sanften Lippen legte, fiel mir schlagartig ein Stein vom Herzen.
"Sehr gerne." Sie wandte sich bereits zum Gehen, blieb dann allerdings stehen und drehte sich mir wieder vollends zu. "Nennst du mich nach diesem schönen Abend endlich Dolly?"
Ich starrte sie zunächst etwas ungläubig an. Mir war gar nicht bewusst gewesen, dass ich sie, genau wie Caleb es tat, Miss Dolores nannte. "Aber… aber sicher!", stammelte ich etwas unbeholfen, hielt ihr dann jedoch meinen Arm hin, unter den sie sich dankend einharkte.
"Na dann wollen wir mal."
Im Bungalow angekommen, zog ich ihr einen Stuhl des Küchentisches hervor und bot ihr einen Platz an. “Möchtest du noch ein Glas Wein? Oder lieber Wasser, Dolly?” Beim Klang ihres Namens aus meinem Mund schien sie schüchtern zu lächeln.
“Ich würde noch ein Glas Wein mit dir trinken, danke… Laurence.” Sie zuppelte etwas nervös ihr Oberteil zurecht, bevor sie den Blick von mir abwandte. Ich lächelte in mich hinein. Nie hätte ich gedacht, auf Bow River so etwas wie Liebe zu finden. Freundschaft ja. Aber Liebe? In meinem Alter?
Die Weingläser fanden ihren Platz auf dem Tisch. Eines für Dolly, eines für mich. Ich öffnete eine neue Flasche, denn die angebrochene stand schließlich im Haupthaus und goss ihr zuerst etwas ins Glas. “Danke”, sagte sie leise. Es folgte ein Nicken meinerseits, ehe ich mein Glas hob und mit ihr anstieß.
“Auf dass unser Abend einen gemütlichen Ausklang findet, nach der Unruhe vorhin.”
Dolly lächelte, stieß an und trank einen Schluck. Ich tat es ihr gleich und stellte das Glas dann wieder auf dem Tisch ab. Sie seufzte kurz, ehe sie zu mir aufsah. “Ich hoffe, mit Aimee ist alles okay… und mit Caleb.”
Ich nickte. Caleb hatte fertig ausgesehen. Nicht so, wie Aimee, aber ganz auf der Höhe schien er auch nicht zu sein. “Ich frage mich außerdem auch, wo Ylvi und Tschetan abgeblieben sind.”
“Ich wette, dass sie beide etwas damit zu tun haben.”
Ich sah zu ihr auf und blickte fragend drein. “Meinst du?”
“Ja. Bei Caleb bin ich mir doch ziemlich sicher. Und bei Aimee… ich glaube, dass sie in Tschetan verliebt ist.”
“Waren die beiden nicht heute mittag zusammen zum Fluss?”
Dolly nickte. “Als sie zurückkamen, schienen sie bester Laune zu sein.”
Daraus schlussfolgerte ich, dass auf der Party wohl etwas vorgefallen sein musste. Ich seufzte. “Jung zu sein ist kompliziert.”
Dolly lachte auf. “Jung zu sein? Alt zu sein ist ebenso kompliziert! Man möchte einen schönen Abend mit einem tollen Mann verbringen, wird aber als Notfalltaxi bestellt und muss alles stehen lassen.”
Ich stimmte in ihr Lachen ein und trank einen letzten Schluck des Weines. Somit hatte ich mein Glas geleert. Mit der Flasche in der Hand sah ich fragend zu Dolly, sie schüttelte jedoch den Kopf. “Ich bin doch ziemlich müde und denke, dass ich schlafen gehe.”
Schneller als mir bewusst war, hatte ich mich erhoben und streckte schon einen Arm nach ihr aus.
“Wenn du möchtest, kannst du gerne hier übernachten. Ich habe ja das kleine Gästezimmer und…”
“Sehr gerne”, antwortete sie schlagartig und unterbrach mich so mitten im Satz, ehe sie aufstand und nach meinem Arm griff. “Ich war tatsächlich noch nie in in einem der Bungalows, die hier stehen. Wenn ich mal auf der Ranch übernachte, dann in einem der Zimmer im Erdgeschoss”, erzählte sie und ging neben mir her aus der Küche raus in den schmalen Flur.
Ich grinste. “Also, falls du eine Führung brauchst, den Flur sowie Küche und Esszimmer kennst du ja bereits. An der Küche ist nur noch eine kleine Vorratskammer. Hier gegenüber ist ein Wohnzimmer. Weiter hier im Flur entlang ist rechts mein Schlafzimmer, links das Gästezimmer und geradeaus ein Bad. Damit ist die Führung auch schon abgeschlossen. Die anderen Bungalows sind wohl etwas größer, drinnen war ich tatsächlich auch noch nie.” Ich öffnete die Tür des Gästezimmers, knipste das Licht an und führte Dolly hinein. “Ich hol dir etwas zum Umziehen.”
Als ich mit einem T-Shirt und einer Jogginghose wieder das Zimmer betrat, hatte Dolly mir den Rücken zugewandt und betrachtete die Bilder, die dort auf der Kommode standen. Als sie mich hörte, nahm sie eines in die Hand und drehte sich lächelnd zu mir um. “Das bist wohl du in früheren Zeiten.”
Ich nahm ihr das Bild lächelnd ab. Das waren noch Zeiten, dachte ich. “Ja, mit Flipper und Bugs. Flipper war ein Pferd mit einem Herz aus Gold und Bugs war mein erster und einziger Hund. Als er irgendwann starb, fühlte es sich immerzu falsch an, mir einen neuen Hund zu holen. Dabei ist es geblieben.”
Dolly nickte verständnisvoll und stellte das Bild wieder an seinen Platz, ehe sie mir die Kleidung abnahm. “Damit komme ich klar, ich danke dir.”
Ich stand ihr nun ganz nah gegenüber. Während sie mich freundlich anlächelte, wischte ich mir nervös mit einer Hand über die Hose. Schließlich gab ich mir einen Ruck. “Ich wünsche dir eine gute Nacht, Dolly”, sagte ich, beugte mich vor und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
“Gute Nacht”, kam es ein wenig zögerlich von ihr. Als ich mich abwandte, um in mein Schlafzimmer zu gehen, erhaschte ich einen kurzen Blick auf ihre geröteten Wangen. War der Wein Schuld daran? Oder schien sie etwas verlegen? In mich hinein grinsend schloss ich die Tür hinter mir und verschwand in meinem Zimmer.

Caleb
Ich starrte sie an. Ylvi. In eine Decke ein oder ausgewickelt, ich war mir da gar nicht mal so sicher, inmitten der Fotos, über denen ich wohl eingeschlafen war. Mit aller Mühe versuchte ich meinen Alkoholpegel in die letzte Ecke meines Gehirns zu verbannen, um ein paar richtige Worte herauszubekommen. Das schien zu funktionieren, allerdings blieb ich stumm. Mir wollte einfach kein Laut über die Lippen kommen.
Schließlich ergriff Ylvi zischend das Wort. “Hilfst du mir jetzt hier mal hoch oder stehst du nur da und starrst mich blöd an?”
Ich setzte mich augenblicklich in Bewegung, umfasste sie mit beiden Armen und zog sie samt Decke, die ich ihr mehr oder weniger wieder um den Körper wickelte, auf die Beine. Erst jetzt fielen mir die Verbände um ihre Füße auf und die Besorgnis, die ich noch vor ein paar Stunden verspürt hatte, schlug mit voller Wucht wieder auf mich ein. “WO warst du? Was ist passiert? Ist Tschetan auch heimgekommen?”
Ylvi zischte wieder, blieb mir eine Antwort schuldig, drehte sich einfach um und schaute sich die Fotos auf dem Boden an. Von allen Fotos, die sie hätte aufheben können, stand sie mit einem der Bilder von Louis und mir auf einem Rodeo wieder auf. Der Lakota hielt mich im Schwitzkasten, während wir über beide Ohren lachten. Am oberen linken Rand hatte jemand in fast unleserlicher Schrift “Kola” hingekritzelt. Ich schloss kurz die Augen, ich konnte mich noch genau an den Tag erinnern – und auch daran, dass Louis mich dort zum ersten Mal Freund genannt hatte.
Ylvis' Augen füllten sich mit Tränen. Als sie sich zu mir umdrehte, erkannte ich das verräterische Schimmern darin. Ich machte einen Schritt auf sie zu, doch sie schüttelte kaum merklich den Kopf, was mich innehalten ließ. “Ich möchte, dass wir darüber reden, Caleb”, sie machte eine lange Pause und ich bereitete mich emotional darauf vor, was jetzt wohl kommen würde, “ich kann nicht leugnen, dass ich Gefühle für dich habe. Aber auch die Art, wie ich für Louis empfinde, ist echt. Die Hochzeit war nur eine Möglichkeit, Kaya und Tschetan aufzunehmen, sonst hätte er sie verloren – und es war eine Möglichkeit für mich, zu bleiben.” Sie machte wieder eine Pause. Dieses Mal jedoch viel länger. So kam es mir zumindest vor, denn es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis sie wieder weitersprach. “Die Liebe und der Respekt kamen erst nach der… Anziehung. Bald ist Kayas 12ter Geburtstag… Louis und ich haben schon oft darüber gesprochen, unsere Ehe zu öffnen. Der Respekt bleibt, aber wir sind füreinander nicht ganz das, was man als perfekt bezeichnen würde. Ich will und ich muss das in Ruhe für mich sortieren. Denn euch beide kann ich schließlich nicht behalten. Das ist nicht deine Art zu leben. Von dir kann ich sowas nicht verlangen.” Sie legte das Foto wieder auf den Boden und nahm sich beim Aufstehen jenes, welches uns bei einem Ausritt zeigte. Vor einiger Zeit hatte ich genau dieses Foto in den Fingern gehabt. Wir beide auf den Pferden und wir küssten uns.
Ich schluckte schwer. “Ylvi”, flüsterte ich fast und sah ihr dabei zu, wie sie den Arm mit dem Bild sinken ließ, ehe sie sich ganz zu mir umdrehte und mich mit glitzernden Augen von unten ansah. “Ich liebe dich.” Sie wusste, wie viel Überwindung es mich gekostet haben musste, diesen Satz auszusprechen, denn so ungläubig, wie sie mich ansah, schien sie die Worte nicht realisieren zu können. Ich sagte es noch einmal. “Ich liebe dich. Ich liebe dich, seit du hier aufgetaucht bist und mein Leben durcheinander geworfen hast. Seit ich dich nachts mit dem Gewehr bedroht und dich für einen Einbrecher gehalten habe.” Ich lachte kurz auf, weil mir die Stimme wegzubrechen drohte. Ich ging nun tatsächlich einen zögerlichen Schritt auf sie zu. Sie ließ es zu, so dass ich sie in eine Umarmung schließen konnte. Ich würde sie nicht küssen. Einmal, nur ein verdammtes Mal würde ich alles richtig machen. “Louis sagt mir nach, ich sei ein Wolf. Ein einsamer Wolf”, flüsterte ich an ihrem Ohr, “ich beiße um mich und lasse niemanden wirklich nah an mich heran. Dir wird nachgesagt, ein Rabe zu sein. Wölfe und Raben leben zusammen und gehen eine Symbiose ein.” Ich lockerte meine Umarmung, ging einen Schritt zurück, hielt sie aber noch an den Schultern fest. “Aber was, wenn das nicht alles ist? Was, wenn du meine Wölfin bist?”
101870 Zeichen, von Ravenna und Veija
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