Geschichten - Grütze
Geschrieben von Ravenna im Blog Caed Crevan. Ansichten: 437
Ich glaub das hab ich vor bestimmt zwei Jahren mal angefangen, jetzt "beendet"...das sollte ursprünglich mal der Beginn des Buches werden, bis ich umentschieden hab. xD
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Stetiger Regen prasselte gegen ein kleines Fenster an den Schrägen der Wände hinab. Dieses
Geräusch war alles einnehmend, drang an ihre Ohren und führte sie beinahe in den Wahnsinn.
Anfangs hatte sie versucht ihn zu ignorieren, dann mit leisem Summen zu überdecken. Jetzt jedoch
war kein einziges anderes Geräusch zu vernehmen, wie gern hätte sie sich die Hände auf die Ohren
gepresst um das stetige tropfen nicht hören zu müssen.
Doch der leichte Schmerz in ihren Handgelenken, der Widerstand gegen sie machte ihr nur wieder
deutlich wo sie sich hier befand. Im Halbdunkel des Raumes schloss sie ihre Augen, der Verstand
waberte noch immer irgendwo zwischen Wirklichkeit und Traum. Die Medikamente hatten diese
Auswirkung auf ihren Geist. Der Regen verursachte ihr Kopfschmerzen, die durch die rumorende
Übelkeit in ihren Eingeweiden nicht unbedingt verbessert wurden. Schleierhaft schossen Fetzen
von Erinnerungen in ihren Gedanken umher, die sie nach all den Momenten die sie bereits wach
war nicht zu fassen vermochte. Ihr eigener Verstand hatte sich in eine Art Waffe gegen sich selbst
gerichtet – sie vermochte sich selbst nicht mehr zu trauen.
In den vergangenen Stunden – oder waren es Tage? mit Gewissheit hatte sie lange nicht
gesprochen und als ihre kratzige Stimme durch die Stille hallte, schien es ihr beinahe als würde sie
jemand anderem gehören.
„Mein Name lautet Ariene Sorestes, ich bin 1995 geboren“ begann sie ihr Mantra.
Ein Mantra mit jenen Dingen der sie sich vollkommen sicher war zu wissen, der Rest war
wandelbar geworden. Manchmal erscheinen ihr Dinge zu klar, das Ariene sicher war sie mussten
geschehen sein, dann jedoch konnte sie diese Geschehnisse nur ihren Träumen zuordnen.
Was ist noch wahr?
Einst hatte Ariene sich diese Fragen noch selbst beantworten können, das wusste sie immerhin,
alles war fort gewischt durch die Medikamente hier in in der Psychotherapeutischen Anstalt.
Hör auf dich zu beschweren! Schließlich bist du aus freien Stücken hier hinein gegangen.
Ja! Aber doch nicht um mit Medikamenten gefüttert zu werden, wie eine Geisteskranke.
Du bist Geisteskrank.
Ariene schüttelte, trotz des heftigen Pochens das es auslöste, den Kopf um ihre Stimmen
loszuwerden. Sie waren ihr zu guten Bekannten geworden, ermutigten und demütigten sie
gleichermaßen. Manchmal fragte sie sich selbst ob diese gleichermaßen nur Hirngespinste ihres
Verstandes waren oder jeder Mensch in Gedanken so mit sich selbst rang.
Langsam begann sich ihr Denken aus seiner gummiartigen Verfassung zu schälen. Zumindest
konnte sie wieder an bestimmte Dinge denken manches andere in ihrem Kopf war zu
verschwommen. Ariene wusste gar nicht wirklich was sie hier bekommen hatte – vielleicht eine
Spritze zur Betäubung? Ja da war definitiv irgendetwas mit einer Spritze, sie vermochte aber noch
nicht korrekt danach zu greifen.
Wie lange sie hier bereits auf dem Bett im „Erholungsraum“ lag konnte die junge Frau nicht sagen,
die erste Erinnerung die sich ihr jetzt in den Verstand schob waren Schreie, etwas Warmes auf den
Händen und der kurze prägnante Schmerz, der durch ihren Rücken fuhr als eine Spritze die Haut
durchfuhr.
Einem Seitenblick auf ihre Fingerspitzen zu Urteilen hatte sie wohl jemanden gekratzt oder
vielleicht sogar sich selbst, allerdings spürte Ariene dahingehend keinen Schmerz am Körper. Wie
das geschehen konnte wusste sie also nicht genau.
In einem Punkt jedoch war ich sie unabdingbar sicher, ganz offensichtlich gehörte sie an diese
Liege gefesselt.
Wie gern hätte sie sich gedreht, die Glieder ein wenig gestreckt, doch sie war gefesselt an dieses
Bett. Etwas kaltes, nasses in ihrer Leistengegend machte es ihr fast sicher das sie Aufgrund der
Medikamente oder der fehlenden Toilette hier in ihrer eigenen Pisse lag. Beißend drang der
Geruch in ihre Nase, schien alles andere zu überdecken, als sie tief die Luft einsog.
Was zum Teufel war geschehen?
Ehe sie die Schritte auf dem Gang vernahm, ehe das Klicken des Schlosses den Ton des Regens
übertünchte, spürte Ariene, dass sich dem Raum jemand nährte. Herein schritt einer der Aufseher,
die Haare auf seinem Kopf waren nur spärlich, seine Gesichtszüge von Falten gezeichnet. Mit
fahrigen Fingern begann er die Fesseln zu lösen und half der Frau behutsam auf. Mit aller Kraft
schluckte sie ihre aufsteigende Übelkeit hinunter, versuchte so weit es ging durch den Mund
einzuatmen. Gern hätte sie hier noch ein paar Augenblicke gesessen um ihre Übelkeit zu
bekämpfen. Ohne einen Ton zu sagen schleifte er sie jedoch hinaus auf den Flur, grelles Licht
brannte in den Augen, sodass Sterne vor ihr zu tanzen begannen. Trotzdem hielt er sie
verhältnismäßig sanft an der Schulter, eine andere Hand spürte sie irgendwo in ihrem Rücken. Sie
war sichtlich froh über diese Geste, denn es war ihrer Tollpatschigkeit zu verdanken das sie vor
einiger Zeit die Treppe hinunter gefallen war, noch immer prangten ihr Blessuren auf der Haut.
Gerade auf ihrer relativ hellen Haut konnten sie nur unschwer ignoriert werden.
Ihr Kopf fühlte sich ein wenig besser an, doch das Gehen bereitete ihr Schwierigkeiten, sie musste
dringend etwas trinken!
„Wohin werde ich gebracht?“ fragte sie anstatt nach einem Glas Wasser zu fragen.
„Erstmal befördern wir dich direkt unter die Dusche, anschließend kannst du etwas Essen.“
Essen! Ihr Magen machte in seiner verknoteten Position einen Luftsprung.
Als sie den langen weißen Korridoren folgten, begegneten sie anderen Gestalten, einige hockten
auf dem Boden, lutschten an ihren Daumen während sie abwesend vor und zurück wippten.
Wieder andere waren im Gespräch mit sich selbst. Augenblicklich wünschte sie sich in die beinahe
Stille des Raumes zurück, den sie soeben verlassen hatte. Sie alle hier, sie hatten einen Grund hier
zu sein. Irgendwo sicherlich auch sie selbst, doch so schlimm war es mit ihrem Verstand noch
nicht gekommen. Ariene besaß noch so etwas wie eine eigene Persönlichkeit.
Vereinzelte Schreie ließen die beiden hinter sich, hunderte von Türen, ehe sie schließlich im Bad
angekommen war. Der Berg von einem Mann nahm keine Kenntnis davon, dass er an diesem Ort
keinen Zutritt hatte. Wieder folgte er ohne ein Wort. Auf einer Bank lag ein Stapel neuer Sachen –
das Nachthemd, das sie jetzt trug, war schließlich dreckig.
Auf noch etwas schwachen Füßen lief sie hinüber zu dem Spiegel – ihr blickte eine Gestalt
entgegen, die sie nicht mehr erkannte. Auf den schmalen Schultern lag das Nachthemd, die bleich
gewordene Haut war übersät von blauen Flecken in den verschiedensten Schattierungen.
Augenringe zeichneten sich unter den Augen ab, die trotz des Schlafes nicht zu weichen begannen.
Ihre Haare hatten keine einheitliche Länge mehr, standen in fast alle Richtungen ab, sie waren
schwarz hoben sich wunderbar von den sterilen weißen Fliesen im Raum ab.
Das einzige was ihr noch immer auffiel waren ihre Augen. Diese grünen Teiche, doch waren sie
nicht einfach nur grün, es zogen sich Braun und Gelbtöne in unterschiedlichen Spiralen hindurch.
Die Augen die ihr entgegen blickten, noch immer so voller Stolz und ganz so als wüssten sie mehr
als sie erahnen ließen.
Im Grunde war es genau das, selbst jetzt spürte sie die Präsenz hunderter Menschen, spürte ihren
Lebensfunken. Je schwächer ihr Glimmen, desto mehr Leben war bereits aus ihnen geronnen. Aber
jetzt verschwand diese Präsenz mit jedem Tag den sie hier verbrachte, hörte ich nichts mehr und
sah auch nichts mehr. Sie fühlte sich so blind.
Die Gestalt ihr gegenüber versuchte ein schiefes Lächeln, ehe sie sich das Nachthemd von den
Schultern streifte um in die Dusche zu steigen. Der Dreck an ihren Händen, aus den Haaren, fiel
von Ariene ab das heiße Wasser tat gut.
Als sie der Dusche wieder entstieg waren die Gedanken wieder etwas klarer, die Erinnerungsfetzen
setzten sich zu einem einzigen Bild zusammen. Dieser Mann am Boden, er hatte sie gemaßregelt,
Ariene hatte aus der Kantine einen Apfel mitgenommen. Man hatte ihn ihr aus der Hand
geschlagen, dann hatte man sie auf ihr Zimmer gebracht. Sie hatte einen strengen Essensplan den
sie einzuhalten hatte. Der Mann den alle nur Liam genannt hatten, hatte sie unsanft zu ihrem
Zimmer begleitet, der Schmerz hatte ihr den Atem genommen als sie die Treppe hinab fiel. Kalte
Wut hatte Ariene plötzlich gepackt sie hatte sich erhoben ihm ihre Finger über das Gesicht und
seinen Hals gezogen.
An diesem Punkt jedoch verließen sie ihre Erinnerungen, sie vermochte nicht einmal zu sagen ob
da nicht noch mehr gewesen war. Schon immer hatte sie eine blühende Fantasie besessen, doch
bald hatten ihre Eltern verschiedene Ärzte mit ihr besucht. Mit wachsendem Alter erzählte Ariene
weniger von den sonderbaren Erscheinungen um sie herum. Die Dosis der Medikamente wurde
mit jedem Jahr erhöht oder das Medikament geändert. Als die Wahnehmungen mit Beginn der
Pubertät schlimmer zu werden begannen,konnte Ariene sich nur allzu oft nicht an die Lektionen
der Stunde erinnern. Sie wurde aus der Schule genommen, erhielt zu Hause Unterricht.
Irgendwann fiel auch das aus. Ihre Rebellionen gegen die verrückten Regeln der Eltern wurden
immer heftiger. Immer wieder schlich sie sich hinaus, suchte im Schatten der Bäume, dem Singen
des Windes einen Trost den sie zu Hause nicht fand. Dort fühlte Arienegeborgen, abgeschottet von
all dem anderen Daheim. Das was auch immer sie ihr gaben tat sein übriges, es unterdrückte die
Heftigkeit der Krankheit, die Wahrnehmung um sie herum, doch gleichermaßen erweckte es etwas
in ihr, das bisher so verborgen schien. Es lauerte in einer verborgenen Ecke darauf, in einer
unbeobachteten Stunde hervor zu brechen.
Mit langsamen Bewegungen zog sie sich vor dem Mann wieder an –zumindest hatte er den
Anstand gehabt sich umzudrehen, während sie in der Dusche gewesen war. Nun begleitete er
Ariene zu ihrem Zimmer zurück. Darin standen ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl aus massivem
Holz sowie einer Vase voll von Blumen welche trügerischer Weise aus Plastik bestanden .
Schließlich war sie nur ein einfacher Patient, geisteskrank dazu, jedoch nicht suizidgefährdet.
Deswegen wurde es ihr erlaubt den Luxus einer Blume in all der Tristheit zu genießen, wobei sie
auf solche auch hätte verzichten können. Ein grauer Tag zeichnete sich dort draußen ab, Regen
prasselte auf die Stadt nieder –dort draußen lag die Welt, der sie einmal angehört hatte. Bevor die
Wahrnehmungen begonnen hatten, bevor sich alles verändert hatte. War sie jedoch ehrlich mit sich
konnte sie sich, egal wie sehr sie ihren Verstand in der Zeit zurück reisen ließ, nicht an eine Zeit
erinnern in der die Menschen ihrer Umgebung nicht in verschiedenen Farben zu leuchten pflegten.
Die seltsamen Tiergestalten, die Figuren aus ihren Träumen und den Legenden der Bücher waren
schon immer ein Teil ihres Lebens gewesen. Je länger sie hier ihre Tage fristete desto weniger war
sie sich wirklich sicher krank zu sein. Vielleicht war sie wie eine der Hauptfiguren aus den
wenigen Büchern, die sie hier zu lesen bekam. Eine Figur die nur in einer fremden Welt
festgehalten wurde, bald jedoch ihrem richtigen Schicksal ins Auge blicken musste. Ariene lachte
in sich hinein, ihr war doch eigentlich bewusst das es so etwas wie Magie nur in Büchern gab, die
Wahrheit war anders.
Trotzdem wollte sie nicht länger an diesem Ort sein, sie war umgeben von schweren Fällen die
Ariene nur allzu sehr vor Augen führten wie sie eines Tages vielleicht enden könnte. Schwankend
in der Ecke sitzend, den Kopf vollkommen von dem Medikamentencocktail verwirrt. Ariene
wollte ein anderes Leben für sich, wenn sie sich auch halb freiwillig in diese Klinik begeben hatte.
Nicht das sie ihre Eltern nicht liebte, allen voran ihren Vater. Das Verhältnis zu ihrer Mutter sah
sie selbst als kritisch an, Solena hatte sich irgendwann den Alkohol als Trost gesucht. Ob aus
eigenem Stress heraus oder wegen ihr vermochte Ariene nicht mit Sicherheit zu sagen. Trotz allem
machte sie sich auch zu einem Teil schuldig, schließlich war sie nicht einfach gewesen. An jenem
Tag hatten sich Mutter und Tochter erneut heftig gestritten, in der Phase der Versöhnung hatte
Solena gesagt das endlich etwas passieren musste und Ariene gedrängt eine stationäre Therapie zu
beginnen. Nun war sie also hier, fast zwei Monate waren es ohne das Ariene eine deutliche
Besserung hatte spüren können.Stattdessen machten sie die Empfindungen der vielen Menschen
um sie herum halb wahnsinnig, sie sah nicht nur das Leid der anderen Patienten sie konnte es
spüren, als wären es ihre eigenen Gefühle. Mit langsamen Schritten bewegte sie sich auf das
Fenster zu presste ihren Kopf gegen die Scheibe, spürte die angenehme Kühle und träumte von
einem Leben außerhalb der Mauern von Salty Lake.
Mockingjay und AliciaFarina gefällt das.
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