Was das Englische Vollblut für Rennveranstaltungen bedeutet, das ist der Lipizzaner für die Hohe Schule. Durch die Spanische Reitschule in Wien ist diese Rasse berühmt geworden. Lipizzaner sind ausgesprochen schöne, im barocken Pferdetyp stehende Tiere, fast immer Schimmel und von großer Grazie, Rittigkeit und einem athletischem Körperbau. Gerade letzteres macht sie besonders geeignet für die brillanten Vorstellungen der »Schulen über der Erde« - Croupade, Courbette und Capriole. Allerdings haben auch gerade diese Eigenschaften die Einsetzbarkeit des Pferdes auf vielen anderen Gebieten eingeschränkt, da es sich kaum frei, schnell und selbständig bewegen kann. Der Name der sich in Wien (Österreich) befindenden »Spanische Reitschule« zeigt schon, woher die Pferde ursprünglich stammen. Die Gründerherde bestand aus Abkömmlingen spanischer Pferde (Andalusier), die von den römischen Imperatoren anläßlich größerer Feierlichkeiten gern vorgeführt wurden. Erzherzog Karl II. brachte damals neun Hengste und 24 Stuten von Spanien nach Österreich und begründete damit das Gestüt in Lipizza in der Nähe von Triest, das damals noch zu Österreich gehörte (heute zu Jugoslawien). Während der Napoleonischen Kriege wurde das Gestüt dann fast vollständig zerstört - glücklicherweise ohne die 300 Pferde, die zuvor in Sicherheit gebracht worden waren. Kaum zurückgekehrt, mußten sie 1805 nach Djakovo in Slawonien fliehen. Als sie 1815 wieder zurückkehrten, hatte die Zucht innerhalb dieses Jahrzehnts schwer gelitten, vor allem machten sich inzwischen große Degenerationserscheinungen durch Inzucht bemerkbar. Doch nun begann wieder ein sorgfältiger Zuchtbetrieb, und Kaiser Franz Joseph 1. ordnete an, daß die Pferde wieder nach Lipizza kommen sollten, wo die Zuchtbedingungen ideal waren. Diese Zuchtpläne wurden leider durch den Ersten Weltkrieg durchkreuzt. Wieder einmal mußten sich die wertvollen Zuchthengste und vierjährigen Stuten auf die Reise begeben. Sie kamen nach Laxenburg, einem Gestüt in der Nähe von Wien, während die anderen Tiere in ein schon seit langem bestehendes Gestüt in Böhmen gebracht wurden - nach Kladrub. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Lipizza Italien zugeschlagen, und die Pferde wurden zwischen Italien und Osterreich aufgeteilt. Die österreichischen Pferde kamen in das heutige Gestüt Piber in der Weststeiermark, die italienischen blieben in Lipizza. Die Geschichte ihrer - vorläufig - letzten Flucht wurde übrigens in einem Film von Walt Disney erzählt (»Wunder der weißen Hengste«), in dem die Evakuierung von Hostau in der Tschechoslowakei, wohin die Pferde aus Lipizza und Piber im Zweiten Weltkrieg gebracht worden waren, ins sichere Bayern gezeigt wird. Nach Kriegsende kamen die Pferde endgültig nach Piber. Während der gesamten Zuchtgeschichte ragten sechs große Hengste heraus, auf die sich die gesamte Zucht begründet und auch noch heute alle Lipizzaner zurückzuführen sind. Der erste große Hengst war Pluto, ein original spanisches Pferd, das 1765 im dänischen Königsgestüt von Fredericksborg geboren wurde. Danach kam der Rappe Neapolitano Conversano, ebenfalls von spanischer Herkunft. 1779 wurde der Falbe Favory im Kladruber Gestüt geboren. Ein weiterer Neapolitaner - Neapolitano - kam 1770 in Poesina in Italien zur Welt. Der Araberschimmel Siglavy ist Jahrgang 1810, und der letzte, Maestoso, wurde 1819 von einem Neapolitaner-Hengst aus einer spanischen Stute geboren. Das Pedigree eines jeden Tieres kann man anhand der Brandzeichen erkennen, mit denen jedes Fohlen im Alter von sechs Monaten gezeichnet wird. Das »P« steht für Piber und wird zusammen mit der österreichischen Kaiserkrone auf die linke Kruppe gebrannt. Das »L« für Lipizzaner ist auf der linken Wange. Auf der linken Sattellage werden zwei Buchstaben eingebrannt, die die Hengst- und Stutenlinie zeigen - »C« für Conversano, »F« für Favory, »M« für Maestoso, »S« für Siglavy, »P« für Pluto und »N« für Naepolitano. Die Zuchtnummer des Fohlens selbst wird auf der rechten Sattellage eingebrannt. Größe: durchschnittlich zwischen 150 und 155 cm. Farbe: hauptsächlich Schimmel, selten Braune. Fohlen werden mit dunklem Fell geboren. Kopf: schön geformt, leichtes Ramsnasenprofil. Große Augen, enge Nüstern. Hals: gut aufgesetzt, mit fülliger Mähne. Gebäude: kräftiges Kompaktpferd mit guten Muskeln und großer Gurtentiefe. Hinterhand: sehr mächtig, hoch aufgesetzter Schweif mit dichtem, seidigem Haar. Gliedmaßen: kurze Röhren, flache Gelenke, schön geformte Hufe.
Lipizzaner Dunkelgraue Fohlen stehen neben strahlend weissen Lipizzanerstuten auf der Weide des Gestüts Lipica in Slowenien. Karg ist die Landschaft, die die Pferde umgibt, steinig und steil sind die Weiden. Doch den Pferden scheint das nichts auszumachen, trittsicher springen die Fohlen umher. Auf den ersten Blick kann man kaum glauben, dass die dunklen Fohlen einmal genauso weiss und elegant sein werden wie ihre Mütter. Wunderbare Verwandlung Doch genau so ist es! Alle Lipizzanerfohlen werden dunkel geboren. Egal ob mausgrau, dunkelbraun oder fast schwarz – mit jedem Jahr werden die Kleinen nicht nur grösser, sondern auch heller. Bei den Halbstarken kann man das gut sehen. Einige Stellen in ihrem Fell sind bereits weiss, andere noch immer grau. Erst im Alter von etwa acht bis zehn Jahren sind die meisten endlich einfarbig weiss. Schönheit und Trittsicherheit sind aber nicht die einzigen Stärken der slowenischen Pferde. Berühmt geworden sind sie vielmehr durch ihr besonderes grosses Talent für die Hohe Schule. Wie alle Barockpferderassen, zu denen die Lipizzaner gehören, heben sie ihre Beine beim Gehen weit nach oben. Das ist eine gute Voraussetzung für die schwierigen Übungen. Ausserdem sind sie intelligent und lernwillig und haben viel Kraft. All diese Eigenschaften brachten die Lipizanner an den Wiener Hof: Schon Kaiserin Sissi liess ihre Kutsche von den schneeweisen Pferden ziehen. Weil man in Wien die klassische Reitkunst hoch schätze, gab es ausserdem eine Hofreitschule, in der die ansprungsvollste Art der Reiterei trainiert wurde. Und zwar auf Lipizzanern! Richtig beeindruckend sieht es aus, wenn sie die Übungen der Hohen Schule vorführen oder gar die Schule über die Erde. Damit bezeichnet man die ganzen Lektionen der Hohen Schule, bei der das Pferd nicht mit allen vier Beinen auf dem Boden steht. Dazu gehört zum Beispiel das Aufstellen des Pferdes auf die Hiterbeine, in der Reitersprache Levade genannt. Die schwierigste Lektion ist die Kapriole. Dabei springt das Pferd aus dem Stand mit allen Vieren gleichzeitig in die Höhe und schlägt auf dem Höhepunkt des Sprungs mit den Hinterbeinen aus. Wie in alten Zeiten Die Spanische Hofreitschule in Wien gibt es heute noch. Was das Reiten angeht, scheint hier die Zeit stehen geblieben zu sein. Man reitet dort heute noch genau nach den gleichen Regeln wie vor hundert Jahren. Die Reiter tragen die traditionelle dunkelbraune Dienstuniform des 19. Jahrhunderts und auch die Pferde werden noch genau so gesattelt wie zu Sissis Zeiten. Weil die Lipizzaner mit den Jahren zu den Wiener Hofpferden geworden sind, hat man in Österreich ein eigenes Lipizzanergestüt gegründet. Im Bundesgestüt Piber kommen die Pferde zur Welt, die später ihr Können in der Hofreitschule zeigen. Wie ihre Artgenossen in Lipica sind such die jungen Pferde von Piber im Sommer in den Bergen. Das fördert ihre Trittsicherheit und trainiert Muskeln und Sehnen. Drei Jahre dürfen die Pferde ihre Zeit auf den Weiden verbringen und mit ihren Artgenossen toben. Erst im Alter von dreieinhalb Jahren werden die Hengste gemustert – nur die besten kommen nach Wien. Hier werden sie eingeritten, lernen die Lektionen der Hohen Schule und zeigen schliesslich in der Hofreitschule einem begeisterten Publikum ihr Können. Steckbrief: Herkunft: Ursprünglich stammen die Lipizzaner aus dem Ort Lipica in Slowenien. Seit 1915 werden sie aber auch im österreichischen Bundesgestüt Piber gezüchtet. Grösse: 148 bis 158 Zentimeter Stockmass Farbe: Fast alle Lipizzaner sind weiss. Ganz selten gibt es Rappen und Braune. Eignung: Lipizzaner sind tolle Reitpferde, machen aber auch vor der Kutsche eine gute Figur und natürlich bei Showauftritten. Besonderheiten: Lipizzaner sind “Spätzünder”. Deswegen werden die Tiere später als andere Rassen eingeritten und ausgebildet, sie bleiben dafür auch länger fit. Es gibt dreissigjährige Lipizzaner, die noch geritten werden.