1. Diese Seite verwendet Cookies. Wenn du dich weiterhin auf dieser Seite aufhältst, akzeptierst du unseren Einsatz von Cookies. Weitere Informationen

Rigas - Erwachende Legende

Dieses Thema im Forum "Eigene Geschichten" wurde erstellt von Savo, 16 März 2014.

  1. Savo

    Savo Wildfire

    Die Story ist hier immer aktuell, sollte ich mal vergessen, ein neues Kapitel reinzustellen^^)
    Freue mich über Kommis!! :D

    Kurzbeschreibung
    Marius, der Große herrscht mit eiserner Gewalt über die riesige Insel Rigas. Seine treuen Anhänger tyrannisieren die Bevölkerung. Doch es gibt eine Gruppe Rebellen, die auf der ganzen Insel verteilt sind. Naran ist einer von ihnen. Ein junger Rebell, der alles daran setzt, dem Volk zu helfen. Und dann wird eine Legende plötzlich Wirklichkeit..

    Kapitel 1 - Schicksalhafte Begegnung


    Alle saßen wir um den Felstisch, der uns als Versammlungs- und Besprechungsort diente: Milorkan, Alezara, ich und all die anderen, die etwas zu sagen hatten. Selten sieht man alle hohen Tiere der Rebellen zusammensitzen. Doch die momentane Lage lässt uns keine andere Wahl. Gespannt lauschten wir Laxors Worten – jedenfalls die meistens von uns.
    „König Marius hat erneut versucht, das Land jenseits des Meeres für sich zu gewinnen. Er wird diesen Kampf niemals aufgeben, bis er zumindest die wichtigste Hafenstadt Kolee für sich beanspruchen kann. Von da aus kann er sich in Ruhe ausbreiten. Und dann wird er zuschlagen wir ein Lauffeuer.“, knurrte unser Anführer verärgert.
    Verständlicherweise. Marius, der Große, wie er sich selbst gern nannte, ist der Herrscher unserer Insel, die sich von Ost nach West und von Nord nach Süd jeweils über 700 Meilen weit erstreckt. Doch unser Herrscher ist ein Tyrann. Seit er an die Macht gekommen ist, werden die Bürger des Landes ärmer und ärmer.
    „Wenn wir nicht bald etwas unternehmen, wird er sein Ziel bald erreicht haben.“, antwortete ein hochgewachsener Mann mit Ziegenbart und den stechenden Augen eines Falken: Lomar, Anführer über den Rebellenzweig, der sein Quartier im Keller der Tempelruine tief im Winkelwald hatte. Einer der vielen Rebellenanführer, die über ganz Rigas verteilt sind.
    „Laxor, wir können nicht länger untätig rumsitzen!“, insistierte Lomar weiter und unterstrich seine Aussage mit einem wütenden Faustschlag auf den Fels, was ein paar andere zusammenzucken ließ. Lomar war nicht gerade für seine Zärtlichkeit bekannt.
    Laxor allerdings schien das völlig kalt zu lassen. Er saß ruhig da, die Ellenbogen auf den Stein gestützt, die Finger verschränkt und den Mund dahinter verborgen. Doch er blickte Lomar an, mit einem Ausdruck, der den Mann etwas einzuschüchtern schien, denn er setzte sich schweigend zurück auf seinen Platz.
    „Ich bin mir dessen durchaus bewusst, Lomar.“, sprach Laxor, als er wieder die volle Aufmerksamkeit hatte, „Und glaube mir, ich wünsche mir nichts sehnlicher, als das Volk von Rigas endlich aus den Klauen Marius‘ zu entreißen.“
    Er senkte die Hände auf den Tisch und legte damit die beiden Narben frei, die sich einander parallel von seiner linken Schläfe bis hinab zum Kiefer zogen.
    „Aber wir sind noch nicht soweit.“, fuhr er fort, „Wir können nicht nach Alista in den Palast marschieren und König Marius stürzen. Er hat Unmengen an Soldaten, Wachen und Spitzeln. Selbst, wenn wir all unsere Leute zusammentrommeln würden, würden wir noch weit in der Unterzahl sein.“
    Lomar öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, entschied sich dann aber doch, lieber den Mund zu halten.
    Ich lauschte diesem Gespräch schon seit gut drei Stunden, die Arme vor der Brust verschränkt und mit einem mehr oder minder gelangweiltem Blick. Ich war einer der besten Spione der Rebellen diesseits des Peli, des längsten Flusses des Landes. Aber warum ich deswegen immer wieder an diesen Versammlungen teilnehmen musste, verstand ich trotzdem nicht. Ich hörte die meiste Zeit ja eh nur mit halbem Ohr zu und merkte mir nie wirklich, was gesprochen wurde.
    Doch Milorkan bestand jedes Mal aufs Neue darauf, dass ich dabei war.
    „Du bist geschickt, loyal und tapfer.“, meinte er immer, „Wer weiß, vielleicht wirst du die Rebellen eines Tages anführen, also solltest du dich auch für die Ratssitzungen interessieren.“
    Tja, damit bekam er mich immer wieder rum. Eines Tages Rebellenführer zu sein, reizt mich schon ziemlich, doch um ehrlich zu sein, hoffe ich, dass diese ewigen Kämpfe für das Volk endlich mal zum Erfolg und damit zum Ende führen würden. Und das möglichst, bevor Marius das Land hinter dem Meer eroberte und damit seine Macht und seine Truppen weiter ausweitete.
    „Wenn sonst niemand mehr etwas dazu zu sagen hat“, schloss Laxor und erhob sich, „werde ich nun eure Abreise vorbereiten lassen.“
    Er nickte den Anführern der verschiedenen Gebiete Rigas‘ zu, die unter seiner Führung die Rebellen leiteten. Diese erhoben sich ebenfalls und machten sich auf zu ihrem Quartier, das ihnen für zwei Tage zur Verfügung stand, um dort ihre Reisesachen zusammenzupacken und sich anschließend wieder in alle Winde zu verstreuen.
    „Naran.“, ertönte Milorkans Stimme hinter mir, als ich aufstand und in die Höhle verschwinden wollte, in der meine Hängematte hing. Die Sonne war gerade über den Horizont gestiegen, die Versammlung hatte schon früh am heutigen Morgen begonnen und ich wollte noch etwas Schlaf nachholen.
    Doch bei der Stimme meines alten Mentors drehte ich mich brav um und setzte ein interessiertes Gesicht auf.
    „Guck nicht so, ich weiß genau, dass du dir Besseres vorstellen kannst, als einem alten Kauz wie mir zuzuhören.“, murrte er und schlug mir mit seinem Gehstock gegen die Schulter, als ich ihn frech angrinste.
    „Du änderst dich aber auch nie.“, seufzte er.
    „Milo, du kennst mich doch. Ich war schon immer ein Dickschädel und hab lieber geschlafen, als mich um meine Aufgaben zu kümmern.“, meinte ich und zwinkerte ihm zu.
    Mit einem erneuten Seufzer strich er sich durch das kurze, silbergraue Haar, doch dann lächelte er und in seinen Augen blitzte etwas auf, das mir gar nicht gefiel.
    „Shaza sucht nach dir. Sie ist bereit für ihr Training.“, erklärte er dann.
    Ich stöhnte gequält auf. Das hatte ich völlig vergessen!
    Shaza, meine tollpatschige, neugierige kleine Schwester, mit einem viel größeren Dickschädel als meinem, hatte mir das Versprechen abgenommen, dass ich ihr beibringe, wie man ein richtiger Rebell wurde. Und unser Training sollte heute beginnen.
    An dem Tag wusste ich allerdings noch nichts von der Ratssitzung.
    „Kannst nicht-", setzte ich an, doch Milo brachte mich mit einer Handbewegung zum Schweigen.
    „Vergiss es, Junge.“, widersprach er, „Du hast dir diese Suppe eingebrockt, du wirst sie auch auslöffeln.“
    Natürlich. Milo mit seinen schlauen Ratschlägen.
    Schlecht gelaunt vor mich hin grummelnd lief ich also an meinem ehemaligen Mentor vorbei, weg von meinem Plan, mich noch ein wenig aufs Ohr zu hauen.
    Ich lief durch das komplette Lager, das sich in einer riesigen unterirdischen Höhle befand, die man durch einen Tunnel hinter einem Wasserfall erreichte. In dieser Höhle befand sich in der Mitte ein großer, glatter Felsen, der uns als Tisch diente, drum herum dienten alle möglichen Gegenstände uns als Sitzgelegenheiten. Der einzige richtige Stuhl, den wir in einem verlassenen Haus aufgetrieben hatten, wird dabei immer von Milo besetzt.
    Und an den Wänden der Höhle – keiner von uns weiß, wie sowas entsteht – sind überall kleinere Höhlen verteilt. Mal am Boden und mal weiter oben, die man mit Leitern erreicht. So hat jeder von unserem Rebellenzweig einen eigenen Raum, bzw. teilt sich einen größeren Raum mit anderen.
    Ich fand Shaza dann schließlich am Lagerfeuer im hinteren Teil der Höhle, wo sie einen gebratenen Apfel verschlang.
    „Milo sagte, du suchst nach mir.“, sprach ich, als ich hinter sie getreten war.
    Shaza richtete sich erschrocken auf, verschluckte sich an dem heißen Apfelstück in ihrem Mund und lehnte sich hustend an meine Beine.
    Mit verschränkten Armen blickte ich auf sie hinab, bis sie sich erholt hatte und fing mir dann einen verärgerten Blick von ihr ein.
    „Du hast mich ganz schön erschreckt!“, fauchte sie halbherzig und ihr Gesichtsausdruck verzog sich dann zu einer grinsenden Grimasse, als sie mir mit einem Stock ihren Bratapfel entgegenhielt.
    „Hast du schon mal einen Apfel ins Feuer gehalten und dann gegessen?“, fragte sie mit großen Augen, „Schmeckt total toll!“
    „Natürlich hab ich das, aber so toll find ich das nun wirklich nicht. Da beiß ich leichter in einen frischen, saftigen Apfel.“, erwiderte ich, „Aber jetzt zum Thema. Dein Training wartet.“
    Shaza biss noch ein großes Stück von ihrem Frühstück ab, dann sprang sie auf und salutierte übertrieben.
    „Ich bin bereit Käpt’n!“, verkündete sie und spuckte mir kleine Fruchtstücke entgegen.
    Und wieder fragte ich mich, warum ich das verdient hatte. Sie ist meine kleine Schwester, in Ordnung, aber warum muss dann ausgerechnet ich ihre Ausbildung übernehmen?
    „Gehen wir.“, entschied ich augenrollend, machte auf dem Absatz kehrt und lief durch das Lager zum Tunnel, der uns ans Tageslicht führte.
    Shazas hüpfende Schritte folgten mir, bis wir den schmalen Grat zwischen der steilen Felswand und dem Teich, in den sich der Wasserfall ergoss, bevor er zu einem schmalen Fluss wurde, entlang balancierten. Am Ufer angekommen, kniete ich mich erst einmal hin, tauchte die Hände in das eiskalte Wasser und wusch mir Gesicht und Arme. Wenn ich schon nicht ausschlafen konnte, machte mich wenigstens das Wasser etwas munterer.
    „Auf was musst du achten, wenn du das tust, was ich gerade getan habe?“, fragte ich meine Schwester.
    „Darauf, dass du auch sauber wirst, wenn du dich wäschst?“, fragte sie zurück und lächelte mich hoffnungsvoll an.
    „Wenn du Wäscherin werden willst, steht das wohl ganz oben auf der Liste, die du prüfen musst.“, knurrte ich sie streng an, „Da du aber keine Wäscherin werden willst, was musst du dann beachten?“
    Mein Blick reichte völlig aus, um ihr zu verstehen zu geben, dass ich das nicht lustig fand. Und sie verstand auch, dass ich durch meinen Satz zum Ausdruck bringen wollte, dass sie eine Rebellin werden wollte. Doch das sollte man nie laut aussprechen. Man konnte nie wissen, ob jemand in der Nähe war und zuhörte. Obwohl das nicht der Fall war, davon hatte ich mich schon überzeugt. Aber Shaza auch?
    „Ähm… Darauf, dass man sicher ist. Also sicher, dass niemand da ist, der gefährlich ist.“, schlug sie vor, klang dabei aber verdammt unsicher.
    Ich nickte und forderte sie mit einer Geste dazu auf, sich zu vergewissern.
    Angestrengt spähte sie in den Wald hinein, lauschte auf irgendwelche Geräusche und sog sogar laut die Luft ein, ob sie irgendwas Verdächtiges riechen konnte.
    „Nein, außer uns beiden ist niemand da.“, verkündete sie dann mit mehr Sicherheit in der Stimme.
    „Gut gemacht.“, lobte ich sie und Shaza atmete erleichtert auf. Es war wirklich leicht, sie glücklich zu machen. Ein einfaches Lob reichte vollkommen aus.
    „Und was darfst du unter keinen Umständen machen, wenn dich jemand hier sieht?“, fragte ich weiter.
    Sie zögerte. Aber es war gut, wenn sie erst über ihre Antwort nachdachte, anstatt wie aus der Pistole geschossen etwas zu sagen und das wäre dann falsch.
    Geduldig wartete ich auf ihre Antwort, während sie nachdenklich auf ihrer Unterlippe kaute.
    „Ich darf auf keinen Fall zurück in die Höhle, sonst könnte man Verdacht schöpfen, dass dahinter etwas ist. Also mach ich mich besser in den Wald davon, wo ich mich höchst wahrscheinlich besser auskenne als meine Verfolger.“, erklärte sie dann und machte einen kleinen Freudensprung, als ich ihr lächelnd zunickte.
    Dann stand ich auf, steckte die Hände in die Taschen meines alten Mantels und schlenderte in den Wald. Shaza war mir dabei dicht auf den Fersen.
    „Und jetzt?“, wollte sie wissen.
    „Gehen wir in die Stadt, und sehen uns etwas um.“, erwiderte ich.
    Danach schwieg meine Schwester. Wahrscheinlich in ihre Gedanken vertieft.
    Geräuschlos wandelte ich zwischen den Sträuchern und Bäumen hindurch, meine Lederstiefel, die ich einst einem Soldaten abgeluchst hatte, machten nur ein kaum hörbares Geräusch auf dem federnden Waldboden. Shaza hingegen bewegte sich nicht so geräuschlos. Ihre Füße zertraten hier und da einen Zweig. Ein Geräusch, das die Stille des Waldes nahezu wie ein Kanonenschuss durchbrach.
    „Sei gefälligst nicht so laut!“, fauchte ich sie schließlich an, als sie – ich hatte mitgezählt – den dreizehnten Zweig zertrat.
    „‘tschuldige.“, murmelte sie schuldbewusst und gab sich alle Mühe, leiser zu sein.
    Bei Zweig Nummer achtzehn blieb ich stehen, drehte mich zu ihr um und wollte gerade etwas sagen, da ertönte nicht weit entfernt ein anderer zertretener Ast, gefolgt von einem Fluchen und einer Entschuldigung einer anderen Stimme.
    „Da sind-", wollte Shaza gerade ansetzen, doch ich hielt ihr den Mund zu und zog sie hinter eine Brombeerhecke. Die Dornen zerrten an meinem Mantel, als wollten sie ihn mir wegnehmen und zerkratzten meine Hände.
    Shaza hockte mit großen Augen neben mir. Ich hielt einen Finger vor meine Lippen, doch ich brauchte ihr nicht zu sagen, dass sie still sein sollte. Ich konnte die Angst in ihrem Blick sehen, sie würde garantiert keinen Mucks von sich geben.
    Drei Männer tauchten in unserem Blickfeld auf: Soldaten des Königs. Wahrscheinlich auf der Suche nach einem Rebellen, der ihnen entwischt ist.
    „Wenn der Kerl noch in der Nähe war, ist er spätestens dann über alle Berge verschwunden, als du Trottel auf den Ast getreten bist!“, knurrte einer der Männer, ein hochgewachsener, schlanker Soldat, unter dessen Helm ein paar blonde Strähnen herauslugten. Und mit seiner Aussage bestätigte er meine Annahme.
    „Ich sagte doch, dass es mir leid tut.“, beteuerte der jüngere Soldat. Ich schätzte ihn auf achtzehn Jahre, ein gutes Jahr jünger als ich und wahrscheinlich noch in der Ausbildung.
    „Wir hätten ihn nicht mitnehmen dürfen. War doch klar, dass sowas passieren würde.“, meinte der Dritte, der kaum in seine Rüstung zu passen schien, so dick war er.
    „Du brauchst gar nicht reden! Dich hört man drei Meilen gegen den Wind, wenn du durch den Wald rollst!“, verteidigte sich der Junge und fing sich einen Schlag des Dicken auf seinen Helm ein.
    „Hört auf!“, fauchte der Erste, „Der Kerl ist uns entkommen. Daran können wir nichts ändern. Darion werden wir davon aber nichts erzählen! Ich will nicht wissen, was der mit uns anstellen wird, wenn er das herausfindet.“
    Seine Gefährten nickten zustimmend.
    Solche Feiglinge, wenn sie nicht einmal ihre Fehler eingestehen. Ich hob vorsichtig die Kapuze meines Mantels auf meinen Kopf, um meine auffälligen stahlgrauen Haare zu verbergen und richtete mich etwas weiter auf, um über den Strauch zu spähen. Auf der Brust der Rüstungen prangte der goldene brüllende Löwenkopf, das Symbol der Palastwachen. Die sind dem Rebell also von der Burg bis hierher in den Wald gefolgt. Ansonsten sind die silbernen Rüstungen blitz blank poliert, an den Hüften trugen alle drei ein Kurzschwert und in den Händen hielten sie Lanzen. Eindeutig Palastwachen. Mit diesen Lanzen kann man hier im Wald überall hängen bleiben. Warum sind sie ihm gefolgt? Warum haben das nicht die Soldaten übernommen?
    Der Dicke wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    „Lasst uns zurück gehen.“, schlug er vor, „Bevor Darion noch bemerkt, dass wir weg sind.“
    Schnell duckte ich mich, bevor sich noch einer von ihnen umschaute und mich am Ende noch bemerkte.
    Doch durch die Gewichtverlagerung zerdrückte ich mit meinem linken Fuß das trockene Laub, das auf dem Erdboden verstreut lag. Ein erneutes Zerreißen der Waldesstille.
    Der Kopf des großen Soldaten fuhr zu unserem Versteck herum.
    „Wartet.“, zischte er seinen Gefährten zu, „Vielleicht ist unser Freund ja doch noch da.“
    Ich verfluchte meine Unachtsamkeit, spannte alle Muskeln an und wartete noch ein paar Augenblicke ab. Eine Hand wanderte an eines meiner beiden Messer, die am Gürtel meiner Hose hingen.
    Der Mann trat langsam auf uns zu.
    „Saris, ich glaube nicht, dass da jemand ist.“, äußerte der Junge seine Meinung, doch der Soldat, Saris, hob nur die Hand und bedeutete ihm damit, still zu sein, bevor die Hand sich wieder um die Lanze legte, die er jetzt bedrohlich vor sich hielt.
    „Shaza, lauf!“, rief ich und stieß meine Schwester vorwärts. Sie zögerte keinen Augenblick lang und flitzte davon in die Sicherheit des Waldes.
    Ich hingegen stieß mich vom Boden ab, sprang ein gutes Stück rückwärts und schleuderte das Messer in Saris‘ Richtung. Erschrocken wich der zur Seite, das Messer flog haarscharf an seinem Gesicht vorbei und prallte mit einem dumpfen Aufschlag an einen Baum.
    Ich verzog kurz das Gesicht, das war ein verdammt gutes Messer. Ich hoffte, die Soldaten würden es einfach liegen lassen, dann könnte ich es mir später wiederholen.
    Doch zum Trauern blieb mir keine Zeit, denn der Mann hatte sich wieder gefangen, warf seine Lanze in den Dreck und zog sein Schwert.
    Mir blieb keine Wahl, als die Flucht. Gegen drei Soldaten hatte ich keine Chance. Selbst wenn ein Dicker und ein Jungspund dabei waren.
    Also wirbelte ich herum und sprintete los. Ich hörte die wilden Rufe der Wachen hinter mir, Saris brüllte den anderen beiden Befehle zu, aus denen ich heraushörte, dass sie mir folgen sollten. Doch bevor sie sich auch nur in Bewegung setzen konnten, war ich schon auf und davon.
    Ich rannte im Zickzack durch den Wald, schlug Haken wie ein Hase, sprang über umgestürzte Bäume und Felsen, bis ich unter einer uralten Eiche keuchend stehen blieb.
    Ich lehnte mich an den Stamm und ließ mich zu Boden sinken.
    „Verdammt, wo bist du hingelaufen, Shaza?“, murmelte ich und blickte um mich. Sie kannte sich nicht so gut im Wald aus wie ich, aber ich hoffte sehr, dass es ausreichte, um den Weg zum Lager wieder zu finden.
    Ein Geräusch ertönte rechts von mir und mit einem erleichterten Aufatmen stand ich auf.
    „Ich dachte schon, du..“, setzte ich an und hielt geschockt inne.
    Dort, vor mir im Wald, stand nicht meine Schwester. Dort stand der Junge der Palastwache. Wie zum Teufel ist er mir gefolgt?
    „Wie?“, fragte ich atemlos und starrte in die blass grünen Augen.
    „Du bist echt schnell.“, gab der Junge zu und in seiner Stimme schwang nicht einmal ein Funken mit, der darauf schließen ließ, dass er gerade durch den halben Wald gerannt war.
    „Aber du achtest nicht besonders darauf, keine Spuren zu hinterlassen. Ich bin zwar momentan in der Ausbildung zur Palastwache, aber vorher war ich unter den Spähern des Großen Königs der beste Spurenleser.“, plapperte er munter weiter.
    „Interessiert mich nicht besonders, was in deinem Lebenslauf steht.“, gab ich trocken zurück und schob die stahlgraue Strähne zurück unter die Kapuze, die gerade herausgerutscht war. Niemand hat eine solche Haarfarbe. Durch diesen Genfehler wird man mich immer wieder erkennen und ich könnte nie wieder unbemerkt durch die Stadt laufen.
    „Deine Freunde hast du wohl verloren.“, fügte ich mit einem kurzen Blick über die Schulter der jungen Wache hinzu, „Mit dir allein kann ich es locker aufnehmen.“
    Ich griff in meinen rechten Stiefel und zog aus der darin eingenähten Tasche einen Dolch mit beidseitiger Klinge hervor.
    „Mit solch einem Zahnstocher möchtest du mich besiegen können?“, lachte der Jüngling – gut, er war vielleicht nur ein Jahr jünger als ich, aber irgendwie kam er mir doch noch jünger vor – „Dieser Dolch ist doch ein Witz gegen mein Schwert.“
    Damit steckte er seine Lanze in den lockeren Boden und zog sein Schwert.
    „Du bist mir ein verdammt naiver junger Mann.“, meinte ich, „Du bist noch in deiner Ausbildung. Vielleicht bist du ein guter Spurenleser, aber bist du auch ein ebenso guter Kämpfer? Kannst du es mit einem voll ausgebildeten Rebellen aufnehmen, der den Wald kennt, wie seine eigene Hosentasche und der mit dem Dolch umzugehen weiß, wie eine Prinzessin mit ihrem Tafelsilber?“
    Ich grinste ihn frech an und entdeckte für einen Augenblick einen Hauch Zweifel in den Augen des Soldaten.
    „Und du bist ein verdammt hochnäsiger Rebell. Und noch dazu eine ziemliche Nervensäge.“, entgegnete er, hob das Schwert und sprang auf mich zu. Mit Leichtigkeit wich ich ihm aus, führte seine Klinge mit der Meinen ins Leere und gab ihm mit dem Ellbogen einen Schubs, sodass er strauchelnd nach vorn fiel. Jedoch rappelte er sich schnell wieder auf, fuhr mit ausgestrecktem Arm herum und wollte mir wohl so den Kopf von den Schultern trennen. Ich lehnte mich zurück, beobachtete die Spitze, wie sie an meinem Kinn vorbeiflog und verpasste dem Jungen dann einen kräftigen Tritt in die Seite, der ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Mit einem Aufkeuchen, als würde die Luft aus ihm heraus gepresst, landete er auf dem Boden, das Schwert flog ein paar Meter weiter und landete in einem Haufen Blätter.
    Blitzschnell sprang ich vor, die Augen auf die des Soldaten geheftet, der seine nun ängstlich zusammenkniff. Meine Füße landeten zu beiden Seiten, meine Knie hielten seine Arme am Boden und mein Dolch schwebte wenige Finger breit über seiner Kehle in der Luft.
    „Es wäre ein Leichtes, dich nun zu töten, naiver kleiner Kerl.“, hauchte ich ihm entgegen, „Wie ich schon sagte: Du hast keine Chance gegen mich. Dein Freund Saris wäre ein echtes Problem gewesen, aber du nicht.“
    Der Junge öffnete vorsichtig ein Auge und fixierte seinen Blick totenbleich auf meine Klinge.
    „Wirst du mich nun töten?“, stammelte er, „Beende es schnell, ja?“
    „So schnell, wie ihr meine Leute immer zu Tode foltert, um Informationen aus uns zu pressen?“, zischte ich und in meiner Stimme schwang purer Hass mit. Wie viele meine Freunde mussten schon durch die Hände der königlichen Truppen sterben? Doch noch nie hat ein Rebell auch nur ein Wort über unser Versteck oder unseren Anführer verloren. Nicht einen konnten sie kleinkriegen und so würde es auch bleiben.
    „D-dafür kann ich nichts! Ich bin doch nur eine einfache Palastwache!“, versuchte er sich nun rauszureden, „Und noch dazu erst in der Ausbildung!“
    „Und was hättet ihr mit meinem Freund gemacht, wenn ihr ihn erwischt hättet?“, knurrte ich, „Ihr hättet ihm wahrscheinlich jeden Finger einzeln abgeschnitten, gefolgt von den Händen. Schließlich hättet ihr ihm die Zunge rausgeschnitten und erhängt!“
    Meine Hand mit dem Dolch sank tiefer, die Spitze ritzte seine Haut ein wenig auf und ein dünnes Rinnsal Blut lief seinen Hals hinab.
    Wimmernd krallte sich der Junge in die Erde und erwartete sein langsames Ende.
    „Hör sofort auf!“
    Mein Kopf fuhr hoch, der Soldat unter mir riss erschrocken die Augen auf.
    Mit zerrissener Kleidung, aber quicklebendig stand Shaza zwischen den Bäumen und sah mich mit ihren großen, goldbraunen Augen an. Die Augenfarbe war das Einzige, was uns äußerlich verband.
    „Du darfst ihn nicht töten!“, flehte sie, „Er handelt doch nur auf Befehl des anderen Soldaten! Und der auch nur auf Befehl des Königs!“
    Ich sah sie an, in meinem Blick lag blanker Zorn, was sie etwas zurückweichen ließ.
    „Ich bitte dich, Bruder.“
    Wenigstens nannte sie mich nicht beim Namen.
    „Er hätte mich getötet, wenn er gekonnt hätte!“, brüllte ich sie an, „Er hatte es vor! Und wenn ihm das nicht gelungen wäre, bevor seine Freunde hier aufschlagen, hätten die mich gefangen genommen!“
    Ich knirschte mit den Zähnen, versuchte mich zu beruhigen, was mir jedoch nicht sonderlich gelang.
    Sie trat langsam auf mich zu, kniete sich neben mich und nahm mir mit ihren zarten Fingern den Dolch aus der Hand.
    „Lass ihn gehen. Auch er wird uns gehen lassen.“, sprach sie mit ruhiger Stimme und blickte auf den Jungen hinab. In diesem Augenblick kam sie mir nicht vor wie meine kleine, neugierige, tollpatschige Schwester. In diesem Augenblick wirkte sie viel älter, reifer.
    Ich entspannte mich ein wenig und folgte ihrem Blick.
    Die Augen des jungen Soldaten flogen zwischen uns hin und her, dann nickte er.
    „Ich werde Saris und Junogo sagen, dass ich dich nicht finden konnte. Und die Verletzung am Hals kommt von einer Dornenhecke.“, versprach er mit so viel Ehrlichkeit in der Stimme, dass ich ihm einfach glauben musste.
    Einen Moment sah ich ihn noch schweigend an und schwankte in der Entscheidung, ihn gehen zu lassen, doch dann stand ich auf und lief hinüber zu dem Schwert, das er vorhin verloren hatte.
    „Lass dir noch eine Ausrede für dein verlorenes Schwert einfallen.“, riet ich ihm mit einem Grinsen und gab ihm mit einer Geste meines Kopfes zu verstehen, dass er verschwinden sollte.
    Er stand auf, wich nickend ein Stück rückwärts und rannte dann stolpernd zurück in den Wald.
    Ich stand einfach nur da, das Schwert in der Hand, und lauschte seinen Schritten, bis sie in der Ferne verstummten.
    „Du hättest ihn getötet.“, flüsterte Shaza. In ihrem Ton schwang Entsetzen und Trauer mit. „Du hättest ihn einfach umgebracht. Ohne mit der Wimper zu zucken. Wäre ich ein paar Minuten später gekommen, hätte der Kerl eine aufgeschlitzte Kehle gehabt und sein Blut..“ Sie stockte kurz. „Sein Blut hätte an deinen Händen geklebt.“
    Tränen traten in ihre Augen, als sie den Blick auf mich richtete.
    Ich erwiderte ihn und spürte, dass sich nicht ein Muskel in meinem Gesicht regte. Aber ja, ich hätte ihn umgebracht. Selbst dieser Anfänger hätte eine Bedrohung für uns werden können.
    „Hätte ich es nicht getan, hätte er es getan. Er hätte mich so lang hingehalten, bis seine Freunde gekommen wären und die hätten mich dann gefangen genommen oder sofort umgebracht.“, sprach ich leise, „Und die hättest du nicht aufhalten können. Wäre es dir vielleicht lieber gewesen, wenn es anders herum gewesen wäre?“
    Ein kalter Ausdruck trat in meine Augen.
    „Wäre es dir lieber gewesen, wenn sie mich umgebracht hätten?!“, spie ich ihr entgegen, was sie zusammenzucken ließ. Jetzt konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten.
    „Hör auf zu heulen! Was bist du für eine Rebellin, wenn du nicht mit ansehen kannst, wie ein Soldat durch meine Hand getötet wird? Tag für Tag sterben Rebellen durch die Truppen des Königs und du hast soeben verhindert, dass ich für meine Freunde Rache nehmen konnte!“
    „Ich hasse dich!“, schrie sie mich an, wischte sich die Tränen von der Wange, wobei sofort neue Tränen deren Platz einnahmen, und rannte davon in den Wald.
    Ich stand wie angewurzelt da und blickte ihr nach. Das Schwert landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Waldboden.
     
    3 Person(en) gefällt das.

Diese Seite empfehlen