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KG 52 - Freies Thema

Dieses Thema im Forum "Kurzgeschichtenwettbewerbe" wurde erstellt von deivi, 2 Nov. 2016.

  1. deivi

    deivi Don't drink and daif Staff

    Hier findet der 52. Kurzgeschichtenwettbewerb statt

    Stammdaten der Kurzgeschichten:
    - Titel der Kurzgeschichte:
    - Thema der Kurzgeschichte:
    - Verfasst am:


    Thema: Freie Themenwahl

    Regeln:
    -Startgeld von 2 Joellen gehen an mich (deivi)
    -Zahlungsgrund: KG 52
    -Wer nicht überweist wird disqualifiziert
    -Die Geschichte muss von dir geschrieben sein

    Überwiesen haben:
    -Canyon​
     
    Zuletzt bearbeitet: 17 Nov. 2016
  2. Canyon

    Canyon Denkwerkstattbesitzerin

    1935
    Der Anfang der Judenverfolgung
    16. November 2016

    Endlich Schulschluss! Einen so sonnigen Herbsttag sollte man nicht in der Schule verbringen, immerhin könnte es der letzte dieses Jahr sein. Fröhlich pfeifend machte ich mich zu Fuß von meiner Schule aus auf den Weg zu der Arztpraxis meines Vaters, welche ich des Öfteren nach der Schule besuchte.
    Mein Weg führte mich die Löbderstraße entlang in Richtung Stadtzentrum, wo die stets gut besuchte Praxis meines Vaters lag. Rechts und links wurde die Straße von etlichen Läden gesäumt, welche meist gut besucht waren und allerlei Kleinkram und Süßigkeiten boten. Eine kleine Menschenmasse vor einem Kunstgewerbegeschäft zog so meine Aufmerksamkeit auf mich und so neugierig wie ich war, wechselte ich die Straßenseite und mischte mich unter die Menge. Die Hände in den Jackentaschen vergraben, versuchte ich einen Blick auf das zu erhaschen, was alle so interessant fanden. Mit zusammengekniffenen Augen blickte ich auf die blankgeputzte Glasscheibe und konnte einen weißen Zettel erkennen, welcher jedoch von einem Mann mit sehr großem Kopf verdeckt wurde.
    »‘tschuldigung!« mit einer kleinen Entschuldigung zu einem kleineren Mann neben mir, quetschte ich mich mit meinem großen Schulranzen bis ganz nach vorne durch. Erst jetzt konnte ich erkennen was alle so interessant fanden. Eine Liste mit den Namen aller nicht Arier, welche man meiden sollte. Ich wollte mich schon wieder enttäuscht abwenden, immerhin wusste ich von unserem Bekanntenkreis bereits, wer Jude war und wer nicht, als mein Blick zufällig die Nachnamen mit „M“ strich. Mayer, Meiler und, ich konnte es nicht glauben und drängelte mich abermals, ohne Rücksicht auf die Anderen zu nehmen, bis ganz nach vorne durch. Und Möhring. Möhring, unsere Adresse, die Namen meiner Eltern und auch meiner. Mein erster Gedanke war, dass das ein Scherz sein sollte und ich wollte schon laut auflachen, als mir der Gedanke kam, dass es, ganz eventuell, ganz vielleicht doch sein könnte. Erst vor kurzem hatte ich erfahren, dass jeder Nachkomme oder Ehepartner eines Juden auch als jüdisch versippt angesehen werden konnte, obwohl man sich gar nicht selbst als ein solcher ansah.
    Das erste mal las ich mir aufmerksamer den Zettel durch, das erste Mal verstand ich wirklich, was das für einen bedeutete, das erste Mal verstand ich wirklich, was dieser harmlos aussehende Zettel wirklich anrichten konnte.
    Nun konnte ich gar nicht schnell und unauffällig genug mich von der kleinen Menschenmasse entfernen und eine größtmöglichste Distanz zwischen mich und diesen Zettel bringen. Ich spürte die Angst, gemischt mit Unwissenheit und auch einer kleinen Spur Wut in mir aufkochen. Was hatte das zu bedeuten? Warum stand ausgerechnet mein Name auf dieser Liste? Warum hatten meine Eltern es mir nicht gesagt?
    Ich war eigentlich ein sehr offener und freundlicher Mensch und hatte mir in der Nachbarschaft einige Freunde angesammelt. Nicht nur in meinem Alter, auch die ältere Dame vom Gemüsestand, oder ein alter Mann mit kleinem Hund, aber was würden sie tun, wenn es wirklich stimmte? Würde ich all meine Freunde verlieren?
    Ich nahm einen Weg zur Praxis, welchen ich selten und ungern nahm. Die Straße war dunkel und eng, und besonders gut roch es hier auch nicht, aber ich brauchte gerade einen Moment für mich, in welchem ich mir einen klaren Kopf verschaffen konnte.
    Im Jahre 1935 erwartete man eigentlich von der Menschheit, dass sie so langsam aus Fehlern und vor allem den Kriegen der Vergangenheit gelernt hatte, aber stattdessen kamen sie auf solche Ideen? Auf die Idee, dass eine bestimmte Menschengruppe auf Grund ihres Glaubens weniger Wert war und auf die Idee, dass man auch denen das Leben kaputt machen musste, die nur zufällig ein Nachkomme waren, die ihr ganzes Leben sich nie auch nur selbst als Jude gesehen hatte. An diesem wunderschönen Herbsttag schimpfte ich innerlich auf Deutschland, auf die Welt und auf die Menschheit. Meinen ersten Gedanken, dass das alles nur ein Scherz gewesen war, hatte ich schon längst wieder verworfen, so wusste ich doch selbst, dass das alles kein Scherz war, dass meine Heimat Deutschland kurz vor dem Abgrund stand.
    Meine Hände hatten nicht den Weg wieder zurück in die Taschen meiner Jacke gefunden, sondern hingen nun verschwitzt und nutzlos an mir herunter. Nervös kaute ich auf der Lippe und überlegte dreimal, ob ich wirklich zurück auf die Hauptstraße gehen sollte, welche jedoch leider der einzige Weg zur Praxis war.
    Die ersten Meter versuchte ich mir selbst zu sagen, dass all die Blicke der Passanten nur Einbildung waren und nur meiner Angst entsprangen, welche mich gepackt hatte. Immer wieder glättete ich die Falten meines schwarzen Rocks und hoffte, dass der Dreck an meiner rechten Schuhspitze niemandem auffiel. Eigentlich hatte ich sie heute morgen noch putzen wollen-.
    Ich wusste nicht was plötzlich mit mir los war, aber ich fühlte mich wie ein anderer Mensch, spürte die Blicke der Menschen auf mir, als kannten sie mich, kannten sie meinen Namen und so als wüssten sie, dass ich auf dieser verfluchten Liste stand, welchen nur einen Tag nach Inkraftsetzung der Nürnberger Gesetzte an dieser Fensterscheibe aufgetaucht war.
    Der Weg zur Praxis war mir noch nie so lang vorgekommen, was vielleicht auch daran lag, dass ich immer wieder die Straßenseite wechselte, wenn mich fremde Menschen böse anblickten. Früher hatten mich diese Blicke nicht gestört, im Gegenteil, meist hatte ich dann freundlich gelächelt, aber heute war alles anders.
    Ich war völlig fertig mit meinen Nerven, als ich die Steintreppen zur Tür der Arztpraxis hinaufstieg und dann schwach und mit großer Angst vor dem Kommenden, die hölzerne Tür aufdrückte.
    Willkommen neues Leben, dachte ich, bevor ich mich mit bösen Vorahnungen den Erklärungen meiner Eltern stellte. Ab nun würde ich nicht mehr die sein, für die ich mich all die letzten Jahre gehalten hatte.
     
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