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Mohikanerin

WHC' Humanoid Crashtest [6/20]

a.d. Vakany, v. Huracan

WHC' Humanoid Crashtest [6/20]
Mohikanerin, 26 März 2022
Zion, Friese, Veija und einer weiteren Person gefällt das.
    • Mohikanerin
      [​IMG]

      kapitel sechston | 28. April 2022

      Binomialsats / Maxou / Otra / Lubumbashi / Satz des Pythagoras / St. Pauli’s Amnesia / WHC' Humanoid Crashtest / Alfred‘s Nobelpreis /
      HMJ Divine / Ready for Life / Einheitssprache / Legolas


      Vriska
      Du schaffst das, schrie die Stimme in meinem Kopf während die Worte kaum hör meinen Mund verließen. Die Hände krampften fest am Waschbeckenrand und meine Augen musterten das verschlafene Ebenbild im Glas. Entdeckten dabei kleine Spritzer von Zähneputzen auf der sonst makellosen Oberfläche, die meinen Puls hochfahren ließen innerhalb weniger Sekunden. Noch bevor diese Kleinigkeit nachhaltig meine Stimmung beeinflusste, schlich mir der so kleine Welpe um die Beine. Einiges an seinem Körper mutete bereits nach einem Hund an, während die Pfoten weiterhin wie Clownsschuhe wirkten. Die letzten Wochen forderten mich zum äußersten, was nicht nur das Training mit Eskil lag, sondern vielmehr der Tatsache geschuldet war, dass ich mit Lina mehr teilte, als unsere neue Hütte. Wir sprachen es nie aus, aber jeder für sich fühlte den Schmerz der Trennung. Niklas setzte kaum noch ein Fuß auf unserem Hof, was sie am Abend verstummen ließ. Ich kannte mittlerweile den Grund dafür, aber behielt Stillschweigen darüber, dass er viel mit seinem neuen Hengst trainierte. Dieser brachte tagtäglich andere Probleme mit sich. So stand er beispielsweise vor einigen Tagen allein in der Halle herum, hatte sich offenbar aus der Box befreit und kleinen Spaziergang über den Hof gemacht. Glücklicherweise waren die Tore verschlossen. So wollte sich niemand ausmalen, was hätte passieren können. Und Erik? Er hatte viel zu tun mit seinem Studium und Fredna zeigte sich noch trotziger, was ich keine Minute aushielt. Also blieb uns nur das abendliche Telefonat. Mit meiner Stute hingegen ging es voran, auch wenn mich noch immer Angst trieb, mich auf sie zu setzen. Hatte ich mir vorgenommen, es heute zu versuchen? Ja, aber würde ich es wagen? Ich wusste es nicht. Also doch, ich wusste es. Bereits bei der Wahl einer Schabracke platzte mir der Kopf. Schwitzig rutschten meine Hände vom Waschbeckenrand ab, ein Zeichen mehr, dass ich endlich zum Stall gehen sollte. Bei einem Blick zur Uhr, die im Flur hing über der Kommode, die Lina liebevoll dekoriert hatte mit ihren Habseligkeiten, vibrierte es noch stärker in meiner Brust.
      Meine Füße setzten sich wie von selbst in mein Zimmer, das noch immer vollgestellt mit den Umzugskartons war, als hätten wir erst gestern die alles hinübergebracht. Nur war dem natürlich nicht so. Das einzig sortierte im Raum war mein Laptop auf dem kleinen Beitisch. Hektisch durchsuchte ich die Kartons, ein Kleidungsstück nach dem anderen landete auf dem Fußboden, bis ich schließlich meinen Lieblingspullover überzog und die graue Thermoreithose. Plötzlich schlug der Hund an. Neugierig streckte ich meinen Kopf durch die Tür und blickte in ein schockiertes Gesicht, das ebenso meins hätte sein können in dem Moment.
      “Du bist wach?”, strauchelte Lina, eher überrascht als bedauert. Abermals wanderten meine Augen zur Uhr. Es war kurz nach elf Uhr, also konnte ich es sogar nachvollziehen. Vor vier traf man mich in letzter Zeit nicht an.
      “Seltsamerweise ja”, nickte ich und prüfte mein Handy. Es gab heute einen Termin, der vermutlich dazu beitrug, dass ich den ersehnten Energieschub bekam, der so lang verschlossen in meinem Inneren lag.
      “Wie kommt’s, hast du dich entschieden wieder unter den Normalsterblichen zu Wandel?”, erkundigte sie sich interessiert.
      “Erik kommt nachher, aber ich wollte es dir nicht früher sagen, weil”, ich stoppte, um ihren Gesichtsausdruck näher unter die Lupe zu nehmen, der aber unverändert blieb, “ich hatte Angst dich damit zu verletzten. Und ich habe meinen Pulli gefunden.” Mit meinen Fingern fummelte ich den unteren Saum zurecht. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, doch bisher lief es ziemlich gut, außerdem musste ich nicht zum Training nach Kalmar fahren, weil Eskil seinen Hintern hier herbewegt.
      “Würdest du dein Chaos da mehr unter Kontrolle haben, müsstest du auch nicht suchen”, belehrte sie mich halbherzig, wohl wissend, dass diese Kritik ohnehin nichts verändern wird.
      Wie ein Irrlicht im Nebel schien für den Bruchteil einer Sekunde eine Gefühlsregung in ihren Augen zu flackern, die so schnell wieder verschwand, wie sie gekommen war: “Und Danke für deine Rücksicht, aber ich komm schon klar. Schön, dass Erik kommt.”
      “Wir bleiben aber nicht, also keine Sorge”, lachte ich, um die unangenehme Spannung im Raum zu lösen, die sich eher meinerseits aufgebaut hatte. Aber deutlich interessierter, war ich nun auch an ihrem Erscheinen, denn all die anderen Tage hatte sie nicht einmal versucht, an meine Tür zu klopfen, stattdessen bekam ich das Gefühl, dass sie sich immer mehr in das Hofgeschehen selbst einordnete und den Anschluss fand.
      “Und offenbar wolltest du etwas von mir?”, hakte ich mit gespitzten Lippen nach.
      “Jap, der neue Einsteller ist da”, sprach sie und ein freudiger Ausdruck trat auf ihr Gesicht.
      “Ich hatte am Board gelesen, dass eine neue Stute kommt. Dann hast du die beiden schon gesehen?”, auch in mir kam ein Funkeln auf, schließlich waren neue Pferde immer toll.
      “Nicht nur gesehen, ich habe gerade auch schon mit ihm gesprochen”, grinste sie. Ungewöhnlich, dachte ich. In der Regel gehörte Lina nicht zu den kontaktfreudigen Menschen, die neuen Leuten als Erstes entgegentraten.
      “Ihm? Oh, jetzt wird es interessant. Sieht er gut aus? Dann muss ich mich wohl doch etwas lebendiger zeigen”, entschied ich deutlich entschlossener und verschwand direkt wieder im Badezimmer. Sie folgte mir, beobachtete, wie ich im Handumdrehen meine Schminke auftrug, damit die Augenringe bestmöglich versteckte und schließlich noch den Lidstrich aufzog. Meine Augenbrauen waren bereits vorhin schon gemacht worden.
      “Ja, also hässlich ist er nicht”, sprach sie, “und seine Stute ist auch ziemlich schick.”
      „Dass ich das noch erleben darf. Hübsche Menschen auf dem Gestüt“, kam es lüstern über meine Lippen, als wären alle anderen nicht von Gott gesegnet. Selbst bei dem Gedanken konnte ich nur leicht den Kopf schütteln. Schließlich hatte ich ganz andere Sorgen, doch nun war es Zeit den Herren mit eigenen Augen zu sehen. Ich legte dem Hund sein Geschirr an, schnappte mir die erstbeste Jacke und verließ mit Lina die Hütte. Unverändert lag eine dichte Schneedecke über Schweden, die jeden noch so kleinen Ast unter sich vergrub und augenscheinlich für immer behielt. Natürlich würde spätestens im Frühjahr wieder erwachen, doch bis dahin würde noch einiges an Zeit ins Land ziehen. Mit meinen Augen hielt ich bereits Ausschau nach unserem neuen Freund, entdeckte bis auf Jonina allerdings niemanden. Sie beachtete uns nicht einmal, sondern drehte mit Otra ihre Runden auf der Ovalbahn. Vermutlich sah sie uns nicht, zumindest hoffte ich, dass sie irgendwann zu verstand kommen würde und niedriger die Nase hielt.
      „Also wo ist er?“, versuchte ich mehr Informationen aus Lina zu quetschen, als nur noch wenige Meter vor uns lagen zum Stallgebäude. Auf den Paddocks zu den Boxen beobachteten uns bereits Ivy und Smoothie. Auch Lubi hatte wohl meine Stimme vernommen und wieherte einmal. Höflich winkte ich ihr zu, was im Nachhinein betrachtet, ziemlich dumm war. Aber das Pferd nickte, als hätte sie meine Geste verstanden.
      “Eben war er dabei, sein Zeug in die Sattelkammer zu räumen. Ich nehme an, das wird sich nicht groß geändert haben”, gab Lina nicht mehr Informationen als notwendig, um die Frage zu beantworten.
      „Verstehe“, musterte ich sie intensiv und trat durch das große Tor in die Stallgasse ein. Uns dicht folgte der junge Hund, der so gut wie nie von meiner Seite weichte.
      Als gäbe es einen Anlass zum Feiern, standen dort Harlen und Tyrell. In ihren Gesichtern breitete sich ebenfalls Erstaunen aus, wie zuvor bei Lina.
      „Dass man dich noch mal antrifft“, scherzte mein Bruder, der umgehend einen Schlag an der Schulter kassierte.
      „Ist ja nicht so, als hättest du dich auch blicken lassen können“, rollte ich mit den Augen, aber lief umgehend weiter zur Sattelkammer. Hinter mir tuschelte es, was mich nicht weiter beeindruckte. Ich wollte endlich wissen, was hier so unglaublich geheim war, dass man es nicht aussprach.
      “Vriskaaa, jetzt sei mal nicht so, dein Bruder erfreut sich doch nur deiner Anwesenheit”, brachte Lina ihr Unverständnis hervor, “geh lieber nachsehen.” Sie tippelte, wie ein Kind dem man eine Überraschung versprach neben mir her, als könne sie es kaum Abwarten, meine Reaktion zu sehen. Skeptisch warf ich noch mal einen Blick zu hinüber, bis das Knarren der Dielen unter unseren Füßen ertönte und im nächsten Moment vor der Tür verharrte. In der Sattelkammer klang hektisches Rascheln, Schritte und ich öffnete die wieder Augen. Bevor überhaupt ein Wort über Lippen huschte, musste ich erst einmal tief Luft holen. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet, konnte aber nachvollziehen, warum sie so ein Geheimnis daraus gemacht hatte. Nicht nur, dass er urplötzlich verschwunden war, betraf es vermutlich auch der Tatsache, dass es zwischen uns sehr schnell, sehr unangenehm geworden war. Eigentlich totaler Blödsinn, wenn ich vom aktuellen Standpunkt zurücksah.
      „Du? Was? Warum?“, stammelte ich verwirrt, bekam anstelle einer Antwort eine Umarmung. Auf seinen Lippen lag ein vertrautes Lächeln. War damit alles gut? Unsicher huschten wieder meine Augen zu Lina, die ein wenig, wie ein Schulkind wirkte, das gerade die beste Freundin mit dem Schwarm verkuppelte. Plötzlich schluckte ich. War er? Konnte das sein? Bestimmt nicht, das wäre unmöglich.
      In meinem Kopf kam die Verarbeitung all dieser neuen Informationen verzögert an. Und müde war ich zusätzlich auch noch. Nur eine Frage konnte ich stellen, die so sehr auf den Lippen brannte, wie Kaffee, den ich zu schnell trank. Aber diese musste erst einmal warten.
      „Majvi hat von dir erzählt. Also bist du mit Erik zusammen?“, kam Ju mir mit seiner Frage zu vor. Eigentlich hätte ich mir denken können, dass dies nicht unbeantwortet bleiben konnte.
      „Ja“, schoss es wie eine Patronenhülse aus meinem Mund, obwohl es sie schwerer wurde den Kontakt aufrecht zuhalten. Etwas in mir zögerte bei jedem Anruf, aber ich machte weiter, wie immer, um so etwas wie Alltag zu verspüren.
      „Freut mich“, lächelte er weiterhin zuvorkommend und sortierte währenddessen Dinge aus einer riesigen Tragetasche in den Schrank. Es zeigte sich, dass offenbar jeder mit einem Pferd unglaublich viel Krimskrams besaß und ich kein Einzelfall war. Etwas unschlüssig, was der nächste Schritt sein würde, stand ich mit Lina an der Tür herum. Jeder seiner Handgriffe wurde von uns genaust gemustert, bis Ju sich uns zuwandte.
      “Nun möchte ich das sagenumwobene Pony sehen”, sprach er mit spöttischem Unterton.
      “Spar dir den Spott. Du wirst schon sehen, wie gut die beiden zusammenpassen”, wand Lina sogleich ein.
      „Ist das so?“, verwundert drehte ich mich zu ihr. Bisher fühlte sich Maxou eher wie ein unwilliges Berittpferd an, dass genauso schnell die Lust verlor an der Arbeit. Sie war empfindlich, reagierte auf jede Veränderung mit Ignoranz und zeigte sich ebenso ungeduldig an der Doppellonge wie auch im freien Laufen, eine reine Beschäftigungstherapie als ernsthaftes Training.
      “Ja”, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen, “ihr müsst nur noch richtig zusammenfinden, dann wird das schon.”
      „Hattest du auch so Schwierigkeiten mit Ivy?“, lag es mir schon seit Langem auf der Zunge. Beinah befreiend fühlte es sich an, als es endlich ausgesprochen war. Ich hatte keine Ahnung, zumindest vermittelte man das mir jeden Tag aufs Neue und dann eine Gurke zu kaufen? Wohl nicht die klügste Idee.
      “Das kommt auf die Betrachtungsweise an, würde ich sagen. Aufgrund seines Zustandes und ich vermute, sein junges Alter spielt da auch mit rein, war seine Aufmerksamkeitsspanne, genauer gesagt ist sie noch heute manchmal, extrem kurz und die Ungeduld war gerade zu Anfang auch problematisch. Aber wir haben unseren Weg gefunden damit umzugehen, das hat nur ein wenig Geduld erfordert”, berichte sie bereitwillig über ihren Hengst.
      “Ich hatte ihn gar nicht in so einem schlechten Zustand in Erinnerung”, versuchte ich die Bilder aus dem April wieder vor das innere Auge zu bringen, die ziemlich verschwommen aufblitzten und mich nichts erkennen ließ. Sosehr ich mit zu gekniffenen Lidern mich dazu zwang, Altes wieder hochzuholen, verblieben abgefragte Bilder im tiefen Wasser.
      “Dann muss ich deinem Gedächtnis wohl ein wenig auf die Sprünge helfen”, entgegnete sie, kramte ihr Handy hervor und tippte ein paar Mal gezielt darauf herum, bevor sie mir den Bildschirm zudrehte. Auch Ju warf einen neugierigen Blick auf das Gerät. Außer in der Farbe bestanden nur wenig Ähnlichkeiten, die eindeutig darauf wiesen, dass es sich um das gleiche Pferd handeln sollte. Der Schädel Divines wirkte auf dem dünnen Hals gigantisch, identisch galt auch für die kräftig gebauten Beine, die einen Körper trugen, der maximal die Hälfte der Masse hatte, wie jetzt. Kaum zu glauben, dass das Plüschmonster dieses Tier, mit den wenigen Fusseln, auf dem Foto sein sollte.
      “Oh nein”, zoomte ich noch einmal genauer an das Tier heran, “hast du wirklich gut hinbekommen, den Kleinen. Willst du vielleicht die Gurke haben?”
      “Danke, aber nein. Ich glaube sowohl dein Freund als auch das Pony selbst hätte ein Problem damit”, schmunzelte sie nur.
      “Ach, der ist doch nie da”, konnte ich es mir nicht verkneifen, mich eher selbst mit der Tatsache herunterzuziehen als Außenstehende, “und die mag mich nicht mal, also alles gut.”
      Aufgeregt kam auch Welpi wieder herein, begrüßte Ju mit einer intensiven Geruchsabnahme, ehe der Hund wieder umdrehte und verschwand. Den Schritten zu folgen, kamen noch andere Leute, wodurch auch wir drei zur Box der Ponystute liefen, die nur wenige Schritte von dem Eingang der Sattelkammer lag.
      “Also sie schenkt dir meistens mehr Aufmerksamkeit als Redo mir manchmal. Das ist doch schon mal was”, scherzte Lina und streckte Maxou, die den Kopf über die Boxentür erhob, die Hand mit einem Leckerli hin. Mit abgeklappten Ohren schnappte sie danach und schon war es verschlungen, als würde sie nie etwas bekommen. Leises Brummen ertönte aus der Nachbarbox, aus der auch Lubi die kleine Versammlung musterte. Unentschlossen, welches Tier ich meine Aufmerksamkeit widmete, stand ich zwischen beiden Fronten, wendete den Kopf von einer Stute zur anderen.
      „Dann zeig doch mal was“, schien Ju für meinen Geschmack zu fordernd die Wortwahl zu treffen. Ganz ruhig Vriska, redete ich abermals auf mein Gewissen ein, das rasend den Motor in der Brust antrieb und damit das Blut in den Adern scheuchte.
      „Da gibt es nichts zu zeigen“, zitterte meine Stimme, „ich setze mich nicht rauf.“
      “Entspann dich, Vriska”, sprach Lina und legte mir die Hand auf die Schulter, “du musst doch nicht reiten, wenn du nicht willst. Vor allem nicht so, du machst Maxi sonst ganz nervös.”
      „Mehr oder weniger hatte ich mehr Elan erwartet, wenn man sich ein Pferd kauft“, mischte auch Mann sich wieder ein, reichte dem Tier ebenfalls ein Leckerli. Zack, das Krokodil hatte die Nahrung im Handumdrehen verschlungen.
      „Erwartung erfülle ich eher selten“, lachte ich.
      “Man hätte auch erwartet, dass man sich als erstes Tier nicht freiwillig einen Pflegefall ans Bein bindet und siehe nur, sie tat es trotzdem”, zuckte Lina nur mit den Schultern, stimmte schließlich auch in das Gelächter ein. Von dem ursprünglichen schlechten Zustand war mittlerweile nicht mehr viel übrig. Die Hufe sind geschnitten und vorn beschlagen, die Genickbeule in Behandlung und der Pilz schon besser. Vor der Box hing ihr Halfter, das ich, ohne groß nachzudenken griff und umlegte. Sie giftete auch mich an, worauf ich nicht ein ging. Maxou unternahm bisher keinen Versuch, mich zu verletzen. So schienen die angelegten Ohren eher ein an erlerntes Verhalten zu sein, um die Menschen von sich fernzuhalten. Ich band die Stute in der Putzbucht an und nahm zuallererst ihre Decke vom Rücken. Das schmutzige Ding landete direkt über eine Halterung und dann verschwand in der Sattelkammer, um ihre Putztasche zu holen. Unter den strengen Augen meiner Mitstreiter strich nur einige Male über das saubere Fell und säuberte ihre Beine, die übersät von Matsch waren.
      „Na, warst du heute mal draußen?“, flüsterte ich dem Tier liebevoll zu. Interessiert stellte sie ihre Ohren auf und senkte den Kopf. Ihre Lippe fummelte an meiner Kapuze herum, als gäbe es dort etwas Leckeres zu entdecken. Eine Antwort bekam ich natürlich nicht.
      In der Sattelkammer stand allerdings vor der Frage, ob ich es nicht zumindest versuchen sollte. Vorbereitet war ich auf alles. In der letzten Woche kam ihr Semi-Cavesson an und die Schabracken bereits vor Wochen. Nur über den Sattel war ich unsicher. Intensiv musterte ich mein Modell, das ich ursprünglich für Glymur gekauft hatte. Die Gelpolster sollten sich an kleinste Unebenheiten anpassen und die Länge könnte ebenfalls gleich sein. Bevor der Gedanke überhaupt verarbeitet war, nahm ich den Schoner ab und trug ihn herunter, über die Schulter hatte ich den Zaum. An meinem Ohr klimperte das Metall aufeinander, während die Finger nervös an den Polstern zuckte. Meine Schritte versuchte ich auch über das Leder hinwegzusehen. Heute zu stolpern, wäre ein Reinfall.
      „Nimmt jemand nun doch die Herausforderung an?“, scherzte Ju. Tatsächlich überkam mir ein Schub an Energie durch Linas gutes Zureden, zumindest was meine Motivation des Reitens betraf. Das führte mir auch die Möglichkeit vor Auge, dass ich jederzeit absteigen konnte, sollte die Stimmung nicht passen.
      „Ja“, sagte ich mit geschwellter Brust.
      Maxou musterte zunächst den Sattel, zuckte einmal als ich Schabracke auflegte. Mit jeder Bewegung ging vorsichtig vor, als wäre die Stute eins der verrückten Jungpferde, obwohl das Attribut auch auf sie passte.
      Hoch motiviert verlor ich die anderen beiden aus den Augen, aber vernahm, dass sich auch mein Bruder und Tyrell zu ihnen gestellt hatten. Leise tönten ihre Stimmen im Echo der hohen Decke durch die Halle, als ich mit Maxou erste Übungen zum Warm werden wiederholte. Wie immer begann ich mit dem Übertreten, um den heutigen Aufwand ihrer Flexibilität zu prüfen. Sie war steif, wenn auch fleißig. Mit jedem Schritt, den sie tiefer zum Schwerpunkt setzte, lobte ich Maxou. Gefallen wollte sie, möglich vorausdenken, ohne dabei hektisch zu werden, eine schöne Eigenschaft für ein Tier, aber für mich äußerst schwierig im Training. Mit jeder Lektion forderte sie neues Wissen, als wäre ich ein Lexikon, dass ihr die Welt erklärte. Aber wie sollte ich jemanden eine Welt erklären, die ich nicht einmal verstand.
      Die Stimmung des Pferdes änderte sich. Aus der Mitarbeit wurde Gegenarbeit. Einen Schritt ihr zu erklären, entlockte die entgegensetzte Wirkung. Verhalf ich der Stute, sich mehr zu tragen, kippte sie noch stärker auf die Vorderhand. Ungezügelt schlug sie mit dem Schweif um sich und versuchte dabei in verkürzten Tritten, Raum zwischen uns zu schaffen. Ich gab ihr diesen. Aus der Ferne betrachtete ich, wie sie abwesend durch den Sand trat, weder mir noch den Zuschauern an der Bande ihre Aufmerksamkeit schenkte. Deutlich interessanter wirkte die Bodenbeschaffenheit, die sie intensiv mit den Nüstern abfuhr und schließlich wieder bei mir landete. Verzückt drehten sich die Ohren. Ihren Kopf hielt sie erhoben, als wäre sie ein Erdmännchen auf einem Hügel. Bei den zuckenden Bewegungen wackelte die kleine Palme, die Maxou weiterhin von mir bekam. Niedlich war sie schon.
      Mit einer Hand griff ich nach den, über ihren Hals hängenden, Zügel, um sie herauszuführen. So weit kam ich allerdings nicht. Das Gespräch am Rand der Bande verstummte und noch bevor ich überhaupt das Schiebetor erreichte, wurde ich aufgehalten.
      “Möchtest du es nicht mal probieren, dein Pony zu reiten?”, erklang Linas Stimme, in der ein klitzekleiner Hauch von Enttäuschung mitschwang.
      „Bin ich nicht deutlich zu schwer?“, hegte ich weigere Zweifel an der Idee.
      „Vriska. Ernsthaft? Du wiegst vermutlich weniger als der Sattel“, lachte mein Bruder herzlich und bekam umgehend ein Schulterklopfen von Tyrell, der vermutlich Ähnliches dazu beitragen verspürte. Innerlich änderte das allerdings nichts.
      “Solang du nicht vorhaben solltest Stunden zu reiten, sollte Maxou das Schaffen”, wand nun auch meine Kollegin zuversichtlich ein.
      „Ihr wollt doch nur sehen, wie ich in Sand lande“, rollte ich abfällig mit Augen. Maxou folgte mir weiter zur Aufstiegshilfe, die mit einem Handgriff aus der Bande geklappt. Das Tier musterte das seltsame Holz, das plötzlich neben ihr war. Aufgeregt prusteten die Nüstern Luft heraus, was im Echo der Reithalle noch lauter klang, als neben ihr zu stehen. In der Zeit zog in den Sattelgurt um zwei Löcher fester, dabei stellte sich heraus, dass ich für sie eindeutig einen kürzeren brauchte. Nur noch ein Loch an den Strupfen standen zur Verfügung auf beiden Seiten. Egal, wie sehr ich an jeglichen Riemen am Sattel fummelte und zog, die Stute hatte nur Augen für die Aufstiegshilfe. Wie ein Vogelstrauß regte sie ihren Hals zu ihr und begann zu quietschen, wenn sie es berührte. Seltsames Tier. Tatsächlich gab, dass mir die Möglichkeit aufzusteigen, auch wenn ich lieber die rückenschonende Methode verwendet hatte.
      Im Sattel, eher thronend als sitzend, atmete ich tief durch und tätschelte liebevoll ihren feuchten Hals. Mein Blick lag fest zwischen ihren Ohren, um abschätzen zu können, ob Maxou das böse Brett noch angreifen würde oder im nächsten Moment zur Seite sprang. Nichts dergleichen geschah, als ich sanft die Waden ans Pferd legte. Ihre Ohren drehten sich aufmerksam in meine Richtung und schon setzte sie mit weiten Schritten durch den Sand. Vollkommen Pony untypisch spürte ich jedes Abfußen der Hufe mit einer langen Wischbewegung durch den Sattel. Vor mir wedelte die Palme weiterhin. Nach einer Runde auf der ganzen Bahn, wendete ich wieder zur Mittellinie ab, hatte dabei nicht einmal die Zügel aufgenommen, hielt an und stieg wieder ab. Maxou drehte ihren Kopf zu mir, als wolle sie fragen, was los sei. Wieder tätschelte ich den Hals und flüsterte ihr Lob ins Ohr. Auch ein Leckerli verschlang der Strauß sofort.
      „So, ich saß darauf“, sagte ich zur Truppe am Rand.
      “Siehst du, dein Pony ist ganz brav”, grinste Lina offensichtlich zufriedengestellt, “aber das nächste Mal würde ich gerne mehr als eine Runde sehen.”
      „Nur gut, dass ich keine Aufstiegshilfe bin“, lachte ich. Maxou war abermals daran stehen geblieben, um das Brett zu inspizieren, als hätte sich ihr Zustand verändert. Dieses Mal wurde sie aufdringlicher, stupste mit dem Maul kräftig dagegen, immer wieder und wieder, bis das Holz schließlich sich löste und in den Ausgangszustand zurücksprang. Das Pony erschrak, sprang einige Tritte zur Seite, aber kehrte ohne großen Umweg wieder zu mir. Ihren Kopf legte sie auf meiner Schulter ab, als hätte sie einen großen Dienst an der Gesellschaft verrichtet. Sanft strich ich über ihr Maul.
      „Mausi, du kannst in der Box schlafen“, flüsterte ich mit schielendem Blick zu ihr. Sie hatte die Augen geschlossen und genoss offenbar die kleine Massage an den Nüstern.
      „Ist das immer noch das Pony, welches sich nicht mag?“, scherzte sie kleine Brünette entzückt, „Ihr zwei schaut so niedlich aus.“
      Bevor irgendwer entschloss diese Situation auf irgendeiner Art und Weise zu dokumentieren, zog ich einmal leicht am Zügel, um das Pony vorwärtszukommen. Sie atmete genervt aus, aber folgte mir.
      „Ich glaube, dass sie verstanden hat, dass man sich mit mir verstehen muss, um ein einfaches Leben zu haben“, zuckte ich währenddessen mit den Schultern. Mein Bruder begann zu lachen, so sehr, dass er sich verschluckte und Ju ihm den Rücken klopfte. Männer. Wieder rollte ich mit den Augen. Mir fiel es noch immer schwer, all diesen kleinen Moment zu schätzen, wenn jemand fehlte.
      Hinter dem Tor begrüßte mich mit dem höchsten Einsatz des ganzen Körpers Hundi, der zwar bisher noch Fred genannt wurde, aber aufgrund Eriks Tochter, dringend einen anderen Namen benötigte. Maxou giftete den Hund einmal an, als er auch um ihre Beine herum sprang.
      „Die meint das nicht so“, beruhigte ich ihn. Flüchtend hatte er sich an meine andere Seite gesellt, als müsste ich ein schützendes Schild bilden zu dem Ungeheuer. In der Stallgasse kamen wir zur Ruhe. Unsere Zuschauer hatten sich verflüchtigt.
      “Vriska warte”, stoppte mich Ju, als ich gerade eine andere Decke holen wollte.
      “Was los?”, wandte ich mich ihm zu. Nur für einen Atemzug hielten meine Augen an seinem Gesicht fest. Ich blieb nicht unbemerkt. Ein zartes Lächeln huschte über seine Lippen, während er versuchte, andere Punkte im Raum anzuvisieren. Wir kannten uns kaum, gar nicht, aber ich spürte noch immer die fadendünne Verbindung zwischen uns. Oder war es nur Einbildung?
      „Es tut mir leid“, platzte es mir heraus.
      „Was?“, fragte er mit gerümpfter Nase.
      „Das“, konnte ich nur stammeln, „dass ich dich verletzt habe.“
      Ju lachte.
      Nun war ich verwundert. Ging es nicht darum?
      „Du machst dir aber auch viele Gedanken.“
      „Ja. Nein. Du warst doch plötzlich wie vom Erdboden verschluckt und hast nicht geantwortet“, deutlich empörter, als ich wollte, purzelten die Worte aus meinem Mund.
      “Und du willst mir jetzt sagen, dass das mit dir zu tun hatte?”, seine Hand strich mir eine lockere Strähne aus dem Gesicht. Leicht spürte ich eine Kälte, die von ihm ausging, auf der Wange. Gänsehaut durchzog sich von oben nach unten.
      “Was soll ich sonst denken?”, hauchte ich mit kratziger Kehle. Mir wurde klar, weshalb ich mich all die Tage in der Hütte verschanzt hatte. Jede noch so kleine Berührung eines anderen brachte das Blut in Wallungen, nichts, außer der soziale Entzug konnte sich dem entgegenstellen. Selbst jetzt, in einer noch gewöhnlichen Situation, fand ich keinen klaren Gedanken.
      “Deshalb wollte ich mit dir sprechen”, nahm er endlich die Hand von meiner Wange weg, „ich war mit Amy bei Stockholm. Wir haben an höheren Sprüngen geübt, weil mir das Vertrauen an der Höhe fehlte. Außerdem zieht sie auf dem Platz mehr an als im Gelände, deswegen bin ich auch hier. Turniere bleiben zwar auf der Tagesordnung, aber nicht unter dem Zwang des Teams.”
      Erleichterung kam über mich. Die zittrigen Hände beruhigten sich und kontrollierte meine Atmung wieder. Zunehmend ergab es Sinn, aber ich wusste trotzdem nicht, mit seinem plötzlichen Erscheinen umzugehen.
      “Aber das hättest du doch sagen können”, jammerte ich.
      “Das stimmt, aber ich wusste nicht, was Niklas sagt. Schließlich … du kennst ihn. Er ist eine sehr einnehmende Persönlichkeit”, grinste er weiter.
      “Schon. Aber hier kannst du doch auch nicht springen?”
      “Tyrell meinte, dass in der Halle öfter mal gesprungen wird, ebenso fliege ich morgen Richtung Spanien zum letzten Turnier”, hängte er das Halfter zurück, dass die ganze Zeit in seiner anderen Hand war.
      “Die Arme muss andauernd von A nach B”, schmollte ich, “wann bist du wieder da?”

      Einige Stunden später

      Eskil
      Im Schnee versunken blitzten die dunklen Dächer unter der weißen Decke bereits aus der Ferne auf. Nur noch wenige Meter fehlten zur Einfahrt, dann knirschte der Schotter unter den Reifen meines Autos. Entlang der Baustelle stellte ich es ab und setzte die Füße durch den Schnee. Mit einem Atemzug kitzelte jede Nuance in der Nase. Lieblich vernahm ich die Gerüche der Pferde, die Feuchtigkeit des morschen Holzes aus dem Wald und Öl der Maschinen. All das zeichnete den Moment.
      “Hej”, wedelte Harlen vom Eingang der Reithalle zu mir mit seiner Hand.
      “Lang nicht gesehen”, grinste ich. Wüsste ich nicht, dass er meine Nachrichten ignorierte, hätte ich mich mehr über diese Begegnung gefreut.
      „Stimmt“, nickte er, „Du trainierst mit meiner Schwester, sagt man sich?“
      „Das ist richtig.“
      „Sie wartet schon mit Lina auf dich“, erklärte er. Zusammen liefen wir den langen und äußersten hellen Gang neben der Reithalle entlang. Überall her ertönte Hufschlag und zwischendurch hörte man auch Pferde schnauben, sowie leise Kaugeräusche. So heimisch ich auch versuchte mich zu fühlen, raubte mir die kleine Stalltour den Atem. Es fühlte sich genauso unangenehm an, wie die Fragen meines Vaters vor Jahren, wann ich als richtiger Mann endlich eine Freundin vorstellen würde. Er wusste, dass vom anderen Ufer war, aber tat es bis heute als eine Phase ab. Seitdem mied ich nicht nur Unterhaltung jeder Art, sondern auch den Kontakt.
      “Möchtest du etwas zum Trinken? Einen Kaffee?”, fragte Harlen, als ich schwieg.
      “Ja, gern”, lächelte ich, um weitere Unannehmlichkeiten zu überspielen. Es funktionierte besser als ich dachte, denn sein ernster Gesichtsausdruck lockerte sich wieder und er verschwand die Treppe hinauf zu einem der schwarzen Häuschen in diesem riesigen Gebäude. Obwohl Vriska schon einiges erzählt hatte und ich Jonina mehrmalig hier absetzte, konnte ich mir nicht ausmalen, wie gigantisch das Gebäude von innen war. Mein Blick folgte ihm, bis er im Türrahmen verschwand und ich wie angewurzelt an der Bande stand. Dann bemerktem mich die beiden Mädels.
      “Da bist du endlich”, warf sich Vriska wagemutig um meinen Hals. Ungewöhnlich fest drückte sie sich an mich. Es schien ihr eine Ehre zu sein, mich auf dem Gestüt willkommen zu heißen. Aber gleichermaßen fühlte es sich an, wie das, was Jonina und ich seit Jahren hatten und woran der Zahn der Zeit nagte. Leise schnaufte ich.
      “Wer von euch beiden hat geputzt?”, musterte ich Lubi in der Putzgasse. Ihre Beine waren am Kronenrand noch voll mit Matsch, da wollte ich mir nicht vorstellen, wie schmutzig es unter den Bandagen sein könnte.
      “Der Jemand, der sein Pferd eigentlich immer nur zu zwanzig Prozent putzt”, entgegnet die kleine Brünette und schien damit die Schuld von sich zu weisen.
      “Was heißt hier immer”, echauffierte sich Vriska umgehend und verschränkte die Arme. Lubi öffnete aus dem Halbschlaf die Augen, bekam dabei beinah die Hände ab, hätte ich die Blonde nicht vom Pferd weggezogen.
      “Es sind mindestens siebzig”, fügte sie noch hinzu.
      “Naja, Zahlen sind ja nicht so meine Freunde, aber siebzig sind es sicher, nur wenn man die eindeutig sichtbaren Bereiche nimmt”, entgegnete Lina vorwitzig.
      „Also, wenn wir bedenken, dass ihr Kopf ungefähr so lang ist wie ihr Schulter und“, dann stoppte ich Vriska in ihrem Redefluss.
      „Es reicht, wir wissen alle, dass du zumindest in dem Punkt klüger bist als wir.“
      Nickend nahm die Tatsache hin und holte aus dem Putzkasten noch mal eine Bürste, um die zumindest noch freien Stellen vom verbleibenden Staub zu entfernen. Im seichten Licht der indirekten Leuchten schwebten die Partikel durch die Luft und schienen uns ein Ballettstück aufzuführen. Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, wurde mir mein Kaffee gereicht, der genauso ein Kunststück aufführte.
      „Danke“, sagte ich grinsend und wärmte mir die Hände. Es war kälter als ich dachte.
      Schließlich hatte Vriska ausreichend das Pferd geputzt und führte sie auf den Platz in der Halle. Ich setzte mich zusammen mit Lina an den Rand, um zuallererst das Aufwärmen zu beobachten.
      “Wie kommt es eigentlich, dass du heute hier bist und Vriska nicht wie sonst mit Lubi rüberfährt?”, fragte sie interessiert und versuchte so ein Gespräch zu starten.
      “Erik hatte mich darum gebeten, weil die beiden heute noch irgendwo hinfahren und es sehr spät werden würde. So genau drückte er sich nicht aus, aber es macht mir auch keine Umstände und meine Schwester ist ebenfalls froh”, erklärte ich ihr und nippte an der Kaffeetasse. Die warme, bittere Flüssigkeit hatte an Temperatur verloren, wodurch es trinkbar wurde. Im Augenwinkel behielt ich Lubi, die gehorsam wie immer im Schritt lief.
      “Stimmt ja, die beiden wollten ja noch weg”, wiederholte sie die Information mehr für sich selbst, “aber cool, dann habe ich mal die exklusive Gelegenheit, mitzuerleben, wovon Vriska immer erzählt.”
      „Könnte aber etwas grob werden. Du kennst sie ja, immer schwierig.“
      Beim Vorbeireiten vernahm sie die Worte, wollte gerade ansetzen sich zu beschweren, aber mit einem einfachen Handzeichen, sorgte ich für Ruhe. Mich beeindruckte ihre übertriebene kindliche Art nicht, zu viel Zeit verbrachte ich mit meiner Schwester am Telefon, die aus wirklich jeder Mücke einen Elefanten zu pflegen schien.
      “Was du nicht sagst, wo Vriska ist, ist ein Hauch von Dramatik auch nicht weit”, lachte die Brünette, “aber dann wird es hier immerhin nicht so schnell langweilig.” Ein leichter Windzug brachten etwas von der kalten Luft in das Gebäude, woraufhin Lina den Reißverschluss ihrer Jacke ein Stück höher zog und im gleichen Zug den Schal hineinstopfte.
      „Willst du meine Jacke?“, sagte ich, drauf und dran den Windbreaker über den Kopf zu ziehen.
      “Äh, und du erfrierst dann nicht?”, beäugte sie mich argwöhnisch, schlug das Angebot aber auch nicht ab. Im Handumdrehen hatte ich den wärmenden Stoff von mir entfernt und ihr gestülpt. Tatsächlich fror ich schon, aber würde jederzeit bei Vriska mit laufen können und dann genügend Wärme verspüren.
      Wir unterhielten uns eine Weile über Linas Hengst, der sogar beim erlauschen seines Namens sich meldete. Zumindest sagte sie dies, als eins der Pferde ertönte. Eine geballte Welle an Wissen traf mich. Sie kannte ihr Pferd und beinah seine vollständige Lebensgeschichte. Hätte ich mir ausmalen können, dass Divine derartig Vieles erlebt hatte, wären meine Fragen andere gewesen. Doch schien es nun, als kannte ich die Rasse Freiberger in allen Facetten. Umso spannender wurde es, als sie von Redo und Rambi, ihren anderen Errungenschaften, erzählte. Die Worte weise gewählt, ohne dabei überschwänglich oder überheblich zu klingen. Bei ihr fühlte man sich weniger schlecht, wenn man etwas nicht wusste. Ich hegte eine Sympathie für die Brünette, konnte zu gleichen Teilen spüren, was Niklas an ihr fand. Natürlich verlor ich immer mehr den Blick für Vriska, die allerdings auf dem Reitplatz ein solch herrliches Bild auf der größten Stute zeigte, dass es mich mit Wehmut überkam, sie nicht in Stockholm begrüßen zu dürfen.
      „Und das ist dein Werk?“, kam Harlen von der Seite dazu, mit einem dampfenden Tee in der Hand, einem, dem Geruch zufolge, Früchtetee.
      „Nicht alles“, grinste ich ergeben und setzte mich dabei etwas gerade hin, auch meine Arme, die ich zuvor noch verschränkt vor meinem Oberkörper hielt, fielen locker auf meine Schenkel.
      „Aber war das gut? Ich sehe sie öfter mit dem Pferd auf dem Platz, aber dieses hüpfen kannte ich nicht.“
      Zugleich lachten Lina und ich. Besagtes Hüpfen war eine hohe Kunst in der Kontrolle und Einheit mit dem Tier – Einer-Wechsel.
      „Du hast überhaupt keine Ahnung, oder?“, fragte lieber noch einmal nach, um den Fettnäpfchen auszuweichen.
      „So würde ich das nicht sagen. Beispielsweise ist mir bekannt, dass Lubi ein Dressurpferd darstellt und sehr weit ausgebildet ist. Vorrangig aus dem Vergleich zu Tyrells Tieren, die im Vergleich sehr schwerfällig wirken und ein Rennpferd ist sie auch nicht. Ach, und das andere von meiner Schwester ist ein Pony, ein wilder Mix“, drehte er sich zu uns und präsentierte mit hektischen Gesten sein Wissen. Immerhin, das Notwendigste schien ihm bekannt.
      „Darauf kann man doch aufbauen und wenn man deine Schwester so anschaut, könnte aus dir sicher auch ein Traummann“, da musste ich schlucken, ehe ich weiter sprach: „Ich meinte, natürlich traumhafter Reiter werden.“
      “Sicher, dass du nur das meintest, das eine schließt das andere nicht aus”, lachte Lina.
      „Lina“, sagte ich flüsternd und empört zu ihr, stieß ihr vorsichtig mit dem Ellenbogen in die Seite.
      “Okay, hab verstanden, sensibles Thema. Bin schon still”, entgegnete sie friedfertig.
      „Ein anderes Mal“, gab ich ihr nickend zu verstehen. Besagter Herr bekam davon nur wenig mit, zu sehr hing er an seiner Schwester, die noch am lockeren Zügel einige Übergänge im Trab abfragte.
      „Also, wann setzt du dich mal auf ein Pferd?“, hakte ich gespannt nach.
      „Schätzungsweise“, Harlen schaute auf seine Finger, bewegte einen nach dem anderen, „gar nicht.“
      Sprache wirkungsvoll einzusetzen, lag der Familie offenbar im Blut.
      “Wenn du glaubst, du könntest auf einem Pferdehof leben, ohne jemals auf einem gesessen zu haben, irrst du dich. Das hat mein Bruder nämlich auch immer behauptet ”, entgegnete Lina amüsiert.
      „Oh, cool, ist er auch Geschäftsführer? Das wäre ein grandioser Zufall! Wo hat er studiert?“, das Leuchten trat in seine hellen Augen und eine Wucht an Fragen traf auf Lina, die überfordert von der Euphorie wirkte.
      “Ich fürchte, da muss ich dich enttäuschen. Jyrki arbeitet im Kommunikationsmanagement beim finnischen Reitsportverband und studiert hat er in Helsinki”, beantwortete sie seine Fragen dennoch.
      „Ah, aber immer noch mit Pferden unterwegs. Ich staune, dass deine Schwester nichts erzählt hatte, wo sie so schwärmte von dir und deinem Hengst“, sprach Harlen ohne den Blick von ihr zu lösen.
      „Vriska, das reicht doch langsam“, unterbrach ich das Gespräch, als ich die Kleine bemerkte, die erneut das verschwitzte Pferd angaloppierte. Sofort parierte sie durch, aber schielte verärgert zu mir. Linas Blick wendete sich kurz zu der Sandfläche, bevor sie das Gespräch nahtlos fortsetzte: “Ja, Juli ist manchmal ein wenig verplant und wie sie ihre Prioritäten setzt, ist nicht immer ganz nachvollziehbar, nicht mal für mich. Aber was ihr bei unserem Bruder fehlt, ist, denke ich, das eigene Pferd.”
      „Wir hätten da sicher etwas“, schaute sich Harlen um, als würde er das passende Pferd suchen – Ohne den Herren zu kennen, noch eins der Tiere.
      „Harlen, hör auf. Ich glaube nicht, dass Linas Bruder ein Rennpferd sucht“, mischte nun auch Vriska ein, die eine Volte vor uns drehte.
      „Wer hat die denn heute kaputt gemacht?“, lachte ihr Bruder und tat abermals ihrer Aussage als unnötig ab. Mehr konnte auch nicht dazu beitragen, so verschwand sie so schnell, wie sie kam.
      „Ich schätze, dass es an mir liegt, aber ich kann damit umgehen. Morgen kommt sie ohnehin wieder an, wenn was ist“, zuckte ich mit den Schultern, mit dem Gedanken, dass Vriska immer sehr launisch war. Der Fakt, dass sie ihren Freund laut eigenen Erzählungen kaum noch gesehen hatte, und auch an seiner Treue zweifelte, verstärkten das alles noch.
      Ich seufzte. Die Mädels machten es sich aber auch nicht leicht bei ihrer Partnerwahl. Meine Augen huschten unbewusst zu Harlen, aber als sich die Blicke trafen, wand ich mich wieder zu Lina. Ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, war ihr dies nicht entgangen, ließ es aber freundlicherweise unkommentiert und schwenkte zurück auf das ursprüngliche Gespräch.
      “Ich muss deiner Schwester wohl zustimmen, ein Rennpferd sucht er sicher nicht und bedauerlicherweise sucht er aktuell gar kein Pferd. Ich habe es schon oft genug versucht, jedes Mal hat er einen neuen Grund, warum es gerade nicht passt ”, sprach sie schulterzuckend.
      “Dann hat er aber nicht viel gemeinsam”, stellte ich mit Bedauern fest.
      “Ja, das war schon immer so, was sieben Jahre Altersunterschied halt so ausmachen”, sagte sich nahezu gleichgültig, als käme ihrem Bruder ohnehin keine große Bedeutung zu. Im Inneren verspürte ich ein kratziges Gefühl. Schleichend, aber fest entschlossen umklammerte es die Organe, strich auf dem Weg nach oben die Kehle entlang, um mir den Atem abzuschnüren. Mit leicht zittrigen Fingern malte ich mein Tattoo am Unterarm nach, verspürte, dass wieder Sauerstoff meine Lungen spülte. Ich wollte keinesfalls unsägliche Gefühle ihrerseits auslösen, doch trat immer wieder in Fettnäpfchen.
      “Bleibst du noch, oder musst du gleich los?”, holte mich Harlen vollständig aus der Trance heraus.
      “Ich weiß nicht”, stammelte ich und sah fragend zu Lina, als wüsste sie eine Antwort darauf.
      “Ich würde dir ja gerne weiterhelfen, aber ich kenne deine Tagesplanung nicht”, entschuldigte sie sich, “aber vielleicht siehst du mal in deinem Handy nach.”
      “Zeit ist nicht das Problem”, flüsterte ich und schluckte, um endlich das Kratzen zu verlieren, vergeblich.
      “Verstehe”, wisperte sie und nickte, “ich habe noch ein wenig Zeit, also bleib ruhig noch.” Ein herzensguter Ausdruck lag in ihren Augen, als sie ermutigend lächelte. Der Klumpen löste sich endlich. Durch den Mund nahm ich einen kräftigen Atemzug.
      > Jag tycker att han är bra, men jag vet att han har något på gång med min syster. Båda håller tyst om det, men hon är en dålig lögnare.
      “Ich finde ihn gut, aber ich weiß, dass er was mit meiner Schwester hat”, ich seufzte und blickte in die großen Augen meiner Gegenüber, “Die Beiden verschweigen es, aber sie ist eine schlechte Lügnerin.” Um weniger verletzt zu wirken, zuckte ich mit den Schultern. Eigentlich sprach ich ungern über das Thema, aber ich wusste nicht, wem ich es hätte sonst erzählen können. Lina fasste es gut auf, fummelte bei der Erzählung an ihren lockeren Strähnen herum, schwenkte den Blick immer wieder von Harlen zu mir.
      > Åh jag är ledsen. Men ge inte upp, jag har en känsla av att det fortfarande kan hända.
      “Oh, das tut mir leid”, brachte sie ihr Mitgefühl zum Ausdruck, bevor sie versuchte ein paar aufmunternde Worte zu finden, “aber gibt nicht auf, ich habe da so ein Gefühl, dass das noch werden kann.”
      > Tror du att jag är hans typ?
      „Denkst du, ich bin sein Typ?“, konnte ich nicht anders als zu fragen. Leider kam Vriska mit einem ernsten Blick dazu. Hatte sie unser Gespräch belauscht?
      Bevor mir weiter darüber nachdachte, stelle Harlen noch einmal seine Frage, dieses Mal mit mehr Nachhall, als hätten wir ihm nicht zugehört. Dem war natürlich nicht so, also stand ich auf, um ihn zu folgen. Lina kam uns auch nach, aber bog dann ab, um Vriska mit dem Pferd zu helfen. Ob sie Räuberleiter machten, um den Sattel abzunehmen? Allein die Vorstellung vergnügte mich.
      “Wollen wir nicht bei den Mädels bleiben?”, fragte ich Harlen, der gerade zur Treppe hinauf wollte.
      “Ich dachte, dass wir erst einmal kurz sprechen. Allein.”
      Willkommen zurück, kratzige und trockne Kehle, wie du mir gefehlt hattest.

      Vriska
      Nachdem Eskil ohne Verabschiedung verschwunden war, standen Lina und ich noch eine Weile in der Stallgasse. Harlen hatte Essen gemacht, was mir die Entscheidung für heute abnahm. Zunehmend wurde es ruhiger. Keiner sah dem anderen in die Augen, nur Tyrell erzählte fröhlich von den Pferden.
      „Möchtest du nicht heute mal Crash kennenlernen? Ich habe sie vor ein paar Tagen hochgeholt“, bot er mir eins der Nachwuchspferde an. Auf Crash war ich seitdem kennenlernen scharf. Die Stute strahlte Persönlichkeit aus, zog einem, nicht nur dem Aussehen geschuldet, in den Bann. Lina wirkte nicht so, als würde sie verstehen, um welches Pferd es ginge, aber das würde sie noch erfahren. Meinen Teller stellte ich auf der Spüle ab und stürmte den Flur entlang. Einen kurzen Augenblick dauerte es, bis ich Linas eilige Schritte wahrnahm, die mir zu folgen schienen.
      “Warte, ich will auch das Pferdchen sehen”, rief sie mir nach, ”das muss ja ziemlich spannend sein, bei deiner Reaktion.”
      Ich stoppte.
      Sie holte auf.
      „Du wirst schon sehen. Die Stute sieht nicht nur extrem gut aus, sondern läuft auch noch vorzüglich. Ihre Erziehung ist nur so, semi, aber sie ist auch erst fünf und war sehr lange auf der Weide, also darf sie das“, ich kam gar nicht aus dem Schwärmen heraus. Griff mir beim Vorbeilaufen nur Maxous Lammfellhalfter. Dieses stellte ich beim Laufen ein und schnappte immer wieder nach Luft, um nicht zu ersticken.
      „Und Tyrell hat immer gesagt, niemand darf an das Pferd ran. Deswegen“, ich stoppte.
      Der Clown stand am Zaun, blickte und beide mit ihren verträumten Augen an. Hatte ich schon erwähnt, dass ich so was wie verliebt war? Verkaufen wollte er sie nicht, aber irgendwann, das schwöre ich, werde ich mir das Pferd krallen!
      „Da, das“, zeigte ich Lina die graue Stute.
      „Wow, sie ist wunderschön, mit ihrer außergewöhnlichen Scheckung“, seufzte sie entzückt.
      „Sie hat sogar ein Herzchen am Widerrist.“
      Mit den Worten taucht ich durch Stromzaun und legte der Stute das Halfter um. Sie trug ihren Kopf hoch, den Hals leicht gewölbt. Das Fell war struppig, einige lockere Haare wirbelten durch die Luft, als ein kleiner Windzug kam. Ihre Mähne war auf der rechten Seite und ziemlich mitgenommen.
      „Ich glaube, da müssen wir gleich mit der Schere ran“, murmelte ich leise. Lina nickte zustimmend, obwohl es nicht einmal an sie gerichtet war. Doch auch ihr Blick wich dem Tier keine Sekunde aus. Sie öffnete uns das Tor. Nur in Schlangenlinien durchquerten wir es, wovon auch der Weg zur Halle geprägt war. Grummelnd begrüßte ein Pferdekopf nach dem anderen sie und besonders Ivys Boxenpartner, Lego, fand gefallen an der Stute. Aus dem Grummeln wurde ein Wiehern, bei dem auch Nobel mit einsetzte. Sie interessierte sich nur wenig für die Annäherungsversuche. Ihren Ohren drehten sich bei jedem Geräusch, aber bewegte nicht einmal ihren Kopf.
      “Ich glaube, Lego findet sie auch überaus toll”, grinste Lina, wollte den Hengst kurz über den hellen Kopf streicheln, doch dieser entzog sich ihr genervt, um sich wieder seinem Flirt zu widmen. Der Warmblüter wölbte seinen Hals imposant auf, brummelte und lief, sofern es der Platz in der Box erlaubte, vor uns auf und ab. Ich war mir nicht ganz sicher, ob die Verwunderung in Linas Gesicht von der Stute herrührte, die noch immer kein Interesse zeigte, oder vom Verhalten des Hengstes.
      „Vielleicht mag sie keiner Männer, wofür ich Verständnis hätte“, lachte ich und klopfte ihren Hals. Eine große Staubwolke schwebte über ihr, die zusammen mit einzelnen Haaren zu Boden ging.
      “Immerhin interessieren sich welche ernsthaft für sie”, nuschelte sie gedämpft, ”Ich habe selten so viel Einsatz von dem Herrn da gesehen.”
      „Ach Lina“, sah ich mit überzogenem Schmollmund zu ihr herüber, „Niklas wird schon demnächst vorbeikommen. Ich meine, lass doch nicht so mit dir umgehen. Erkläre ihm, dass du extra hergekommen bist für ihn und wenn ihr komplett ungestört sein wollt, dann gehe ich zu Harlen oder Tyrell.“
      Lina schien sich nur marginal für meine Hilfe zu interessieren, stattdessen versuchte sie erneut den Rapphengst zu streicheln, der wie ein Tiger am Gitter hin und her lief. Dann kann ich auch nicht helfen.
      Ich führte Crash noch die letzten Meter zur Putzbucht und befestigte langsam die beiden Stricke an der Seite des Halfters. Kritisch beäugte sie diese, schnappte einmal nach ihnen, aber stand ansonsten ruhig da. Das Putzen stellte kein Spektakel dar.
      „Das sagt sich immer so leicht, aber mal sehen“, bekam ich schließlich doch noch eine verhaltene Reaktion. Nachdem Legolas sogar das angebotene Leckerli verschmäht hatte, kam sie zu Putzplatz nach, stecke das getrocknete Obst stattdessen in Cash Schnauze, die es gierig verschlang.
      Sie schnappte sich dann auch eine Bürste, um das lockere Sommerfell zu entfernen. Der Wechsel war kaum erkennbar, wenn ich es mit dem Plüschbären im Nebenstall verglich. Sogar Ivy platzte aus allen Nähten. Aber was sollte schon an Fell nachgeschoben werden bei einem Mix aus Trakehner und Lusitano?
      Immer mit dem Blick auf mein Handy, für die Uhrzeit, sah ich mich im Stall um. Eigentlich sollte jeden Moment Erik eintreffen und einen richtigen Plan für die Stute lag auch nicht vor. Longieren konnte ich nicht, denn die Halle war voll und der Platz voll geschneit. Gerade als Lina einige Vorschläge machte, trat mein Wunsch in Erfüllung. Wie ein Propeller kreiste der Schwanz des Ungetüms, als es ungezügelt auf uns zu rannte. Crash hob erschrocken den Kopf und trat dabei einige Schritte zurück, so weit wie es die Schnüre ihr ermöglichten. Jaulend toste der Rüde um uns, wollte so gern an mir hochspringen und auch Lina ein Küsschen geben, doch seine gute Erziehung verbot es. Stattdessen saß Trymr vor uns, tippelte mit den Vorderpfoten auf dem Boden und der Schwanz wischte die losen grauen Haare der Stute von links nach rechts. Ich kniete mich zu ihm runter. Er drückte seine Schnauze in mein Gesicht, rieb sich an mir. Kalte Eiskristalle zerflossen an der Haut und das kleine Rinnsal verkroch sich in meinem hohen Kragen.
      “Das reicht”, flüsterte ich dem Hund zu, der immer mehr die Feuchtigkeit an mir verteilte. Stattdessen drehte er sich auf den Rücken und mit weiten, kreisenden Bewegungen kraulte ich seinen Bauch durch. So sehr, dass ich für einen Augenblick das große Ganze verlor.
      „Dann kann ich wohl wieder gehen“, sagte eine wohlbekannte Stimme zu mir und tippte mich an der Schulter an. Langsam hob ich meinen Blick.
      “Also, wenn du das so sagst. Klar, danke, dass du Trymr vorbeigebracht hast”, feixte ich, ohne die Hände vom Hundebauch zu lösen.
      “Freut mich, dann, Lina, dir auch noch einen schönen Tag”, grinste Erik zu ihr. Ich hatte ihr die Aufgabe überreicht, die Mähne ordentlich zu machen. Meine zitternden Hände hätten es vermutlich nur noch schlimmer gemacht. Auf der anderen Seite flocht sie die losen Strähnen zu einem niedlichen Zopf, die dem Hals der Stute noch mehr schmeichelten.
      “Ne, den Hund darfst du da lassen, aber deine Freundin, musst du mitnehmen, sonst verkriecht sich das Wesen der Nacht wieder in seiner Höhle”, protestierte sie, was bei dem amüsierten Lächeln, allerdings nicht allzu ernst zu nehmen war.
      “Warte?”, drehte er sich verwundert aus seinem provokanten Weggehen wieder zu uns um, “wo hat sie sich verkrochen?”
      Ich zog meine Brauen nach oben und signalisierte Lina mit einer Handbewegung in Höhe des Halses, dass sie nicht weiter sprechen sollte. Kurz blickte sie mich verwundert an, aber schien das Signal nicht ganz so deuten zu können. Deshalb schloss ich meine Augen, um die Standpauke mit Fassung zu tragen.
      “Naja, … Vriska hat sich die letzten Wochen nicht so häufig außerhalb ihres Zimmers blicken lassen”, erläuterte sie zögerlich.
      Ich wollte im Boden versinken. Erik wusste nicht davon und jedes Mal, wenn er mich nach meinem Arbeitstag fragte, dachte ich mir eine neue Geschichte aus. Es gab Dinge, die ihm wichtig waren, wozu leider ein geregelter Arbeitstag zählte und, dass ich nachts einige Pferde arbeitete, würde nichts daran ändern. Viel mehr galt sein Grundsatz, dass ich mich in jeder sozialen Interaktion mit einbringen sollte. Aber ich war nicht in der Stimmung dafür, nicht einmal heute.
      “Unglaublich, das kann nicht sein”, sagte er verärgert und trat, den Schritten zufolge, die mit jedem lauter wurden, näher an mich heran. Langsam öffnete ich die Augen. Mit verschränkten Armen stand er vor mir, sah mit seinem ernsten Blick zu mir herunter. Er seufzte, als ich nicht auf ihn reagierte und schüttelte dabei mit dem Kopf.
      “Fräulein, wieso?”, tadelte Erik.
      “Was, wieso?”, fauchte ich.
      „Ich denke, das reicht jetzt, steh auf, so kannst du nicht mitkommen“, rollte er mit den Augen und reichte mir die Hand. Natürlich kannte ich ihn mehr oder weniger ausreichend, dass ich aus seinen Augen den aktuellen Gemütszustand ablesen konnte. Er war sauer auf mich, versuchte es aber durch eine gewisse Höflichkeit zu überspielen. Außerdem schien er für den Tag mehr geplant zu haben und ich wollte mich nicht ihm streiten, also nahm ich das Angebot dankend an.
      “Du kennst du Regeln”, flüsterte er in mein Ohr.
      Ich nickte und zog mich aus dem Aufstehen an ihn heran.
      “Es tut mir leid, wie kann ich es wieder gut machen?”, funkelte ich mit verführerischem Blick zu ihm hoch. Sein Gesicht wandelte sich zu einem Grinsen, dass ebenfalls davon überzeugt war, das Angebot anzunehmen.
      “Später”, gab er mir einen Kuss auf die Stirn und nahm die Hand von meinem Rücken weg.
      Lina hatte sich wieder dem Pferd zugewandt. Mir lag auch für sie eine Entschuldigung auf der Zunge, aber es würde nichts nutzen. Aber ich schwieg.
      “Lina, willst du noch mit Crash was machen?”, fragte ich alibimäßig im Gedanken daran, dass die Halle ohnehin überfüllt war.
      “Ähm, ich denke, wir würden in der Halle nur stören, also nein”, ließ sie mich an ihrem Gedankengang teilhaben. Unsicher huschten ihre Augen zwischen ihm und mir Hin und Her. Es war wieder diese eine Sache.
      “Dann lass uns die Stute wegbringen”, lächelte ich und bewunderte das Werk, was vorrangig sie an dem Pferd verrichtet hatte.
      “Hast du eindeutig toll hinbekommen”, lobte ich Linas Arbeit auf dem Weg zum Paddock. Der kalte Wind kam wieder auf. Am Horizont verschwand die Sonne hinter den Kronen der Bäume und zauberte ein seichtes rotes Licht über den Hof, selbst der Schnee leuchtete fabelhaft. Augenblicklich verlor ich mich in der Märchenatmosphäre. Mich überkam eine unersichtliche Melancholie. Sie sehr ich mich woanders hin wünschte, vordergründig in eine andere Zeit, in der ich ehrlich im Gegenüber war, mich selbst kontrollieren konnte und keinen unnötigen Gedanken an unfassbare Menschen verlor. Niklas war einer davon. Immer wieder erwischte ich mich dabei, an ihn zu denken und mir vorzustellen, wie eine Beziehung mit ihm aussehe. Was ich anderes machen würde, an Linas Stelle, was unfair war.
      “Das meiste war doch schon vorher da, aber danke”, trat wieder diese eigenartig herabstufende Haltung bei ihr ein, wie es so häufig der Fall war, wenn es um ihre erbrachten Leistungen ging.
      “Ach, hör doch auf, dich immer schlechter zu machen, als du es bist”, seufzte ich, manchmal nervten mich solche Aussagen, besonders von Menschen, die mir etwas bedeuteten. Sie konnte es sich vermutlich nicht vorstellen, aber sie war nach langem wieder so etwas wie eine richtige Freundin, auch wenn ich, durch mein eigenes Verhalten, nicht über alles sprechen konnte.
      Sie nahm der Stute das Halfter auf dem Paddock ab. Crash hatte nichts anderes vor, also in den Unterstall zu laufen und dann Kopf in das Heu zu strecken zum Fressen. Für einen Augenblick standen wir am Zaun, aber der kalte Windzug machte es beinah unfähig länger, als eine Minute hier zu stehen. Selbst in Eskils Windbreaker zitterten ihre zarten Knie.
      “Man, du klingst schon wie Samu”, entgegnet sie augenrollend, “aber ich werde versuchen daran zu arbeiten. Könnten wir das allerdings irgendwo klären, wo ich nicht erfriere?” Hoffnungsvoll blickte sie den Weg, entlang den wir kamen, als wolle sie ihr Anliegen noch unterstreichen.
      „Dann scheint wohl etwas Wahres darin zu liegen“, sagte ich mit voller Übersetzung und setzte mich mit knirschenden Schritten in Bewegung. Noch bevor wir überhaupt am Rolltor zum Stall ankamen, fing uns Erik ab.
      „Wir gehen zur Hütte“, sprach dieser und zog mich zur Seite. Er wusste nicht einmal, wo diese lag, aber schien ein Ziel vor Augen zu haben. Verunsichert blickt mich Lina an, aber ich hatte genauso wenig Ahnung davon, was der Herr vorhatte. Bei jedem anderen hätte ich wohl äußerst schändliche Gedanken gehabt, aber was ihn betraf, war ich mir sicher, dass ich von anderen nichts mitbekommen würde. Ja, ich zweifelte weiter daran, dass es ihm mit mir ernst war, obwohl er es schon oft genug zu Beweis gestellt hatte, dass es Erik wichtig war, mit mir zusammen zu sein.
      Angekommen in der Hütte steuerten mich meine Beine automatisch zur Kaffeemaschine, während meine Finger gierig das Gerät einschalteten. Für Lina, die noch immer wie ein Eisblock auf der Couch kauerte, setzte ich einen Tee an.
      „Erik, möchtest du etwas zum Trinken?“, bot ich ihm an, was er allerdings verneinte. Stattdessen trocknete er die Hunde ab. Trymr war dem Junghund weiterhin skeptisch gegenüber und suchte lieber die Nähe zu mir, während der gefleckte an Lina hing.
      Kurze Zeit verschwand meine Mitbewohnerin in ihrem Zimmer und kehrte mit bequemerer Kleidung zurück. Nur ich stand noch in meiner dicken Reithose im Raum und wartete sehnsüchtig darauf, dass das Getränk eine angenehmere Temperatur bekam. Wie bestellt und nicht abgeholt, lehnte Erik an der Wand.
      „Setz dich bitte, du machst mich nervös“, ermahnte ich ihn.
      „Gut so, dann ziehst du vielleicht um“, schien er nur wenig Verständnis für mein Leid zu haben.
      „Ich weiß doch noch nicht mal, wo du mit mir hin willst, also scheine ich, alle Zeit der Welt zu haben“, wollte ich seine Anwesenheit nicht ganz so sehr akzeptieren, wie es ein Teil meiner Gedankenwelt verlangte.
      „Wir sind zu einem Geburtstag eingeladen“, erklärte Erik grob.
      „Ach ja? Welchen?“, kam mir seine Antwort zu allgemein vor.
      „Vater.“
      Ich musste schlucken. Ihn wiederzusehen, war einer meiner nächtlichen Gedanken, die mir den Schlaf raubten. Nur schwer konnte ich mir vorstellen, wie ich Vidar vor die Augen treten sollte. Zu sehr … nein, das wäre falsch. Ich konnte nicht einmal den Gedanken näher beleuchten, ohne eine Gänsehaut zu bekommen.
      “Dein Vater hat Geburtstag?”, schaltete Lina sich ziemlich irritiert in das Gespräch ein.
      „Offensichtlich scheint Niklas dich nicht eingeladen zu haben“, murmelte Erik mitleidig. Er wirkte enttäuscht über dieser Tatsache, noch deutlicher, als es in ihrer Stimme hauchte. Wie konnte ihr Kerl nur so abweisend sein? Abartig.
      „Können wir sie nicht mitnehmen, schließlich …“
      Erik ließ mich nicht einmal aussprechen, sagte stattdessen: „auf jeden Fall kommt sie mit. Wenn ich jetzt schon immer dahin fahre, obwohl ich vorher kaum integriert wurde, sollte Lina dort mehr als Willkommen sein.“
      “Ihr … ähm … Ihr müsst mich nicht aus Mitleid mitnehmen”, stammelte sie überfordert, “Ich möchte mich nicht aufdrängen.” Die Enttäuschung in ihrem Blick war unverhüllt, als sie uns wie ein scheues Reh anblickte.
      „Sag’ nicht so was. Du bist schließlich kein Hund. Also, zieh‘ dich hübsch an und los geht’s“, sprühte er nur so vor Tatendrang, wohingegen ich noch immer in dem Gedanken gefangen war, dass wir Vidars Geburtstag feierten. Seit mehr als einer Woche sprach er mit mir darüber, dass heute etwas Besonderes auf der Tagesordnung stand, doch wollte mir nie mehr mitteilen als „wirst schon noch merken“.
      „Babe, du auch“, zog er mich leichten Ruck am Arm aus meiner Position heraus. Da Lina in einem der Zimmer verschwand, ergab es sich, dass das andere nur meins sein konnte und dort führte er mich in meiner leichten Trance. Wir trafen auf mein Chaos, kein sortiertes, vielmehr standen wir vor den halb ausgepackten Kartons, über die einige getragene und ungetragene Kleidungsstücke thronten. Irgendwo lag auch sein Mantel.
      „Es reicht, wenn du keine Reitsachen anziehst“, erklärte Erik, als er einen leichten Überblick über die Unordnung hatte. Ich zog währenddessen meine Jacke aus, die ich noch immer anhatte.
      „Und nicht diesen Pullover“, musterte er mich als Nächstes. Es war nicht in meinem Sinne, dieses Kleidungsstück anzubehalten, dennoch interessierte mich, was genau sein Problem darstellte.
      „Wieso?“, fragte ich kurz und hob den schwarzen Stoff über meinen Kopf, dabei löste sich der Zopf und meine Haare fielen durcheinander über die Schultern, lose verblieben im Inneren hängen. Mit einem Schritt trat er an mich heran und schob in Zeitlupe eine Strähne zur Seite, die über meinen Augen hing. Seine Hände fühlten sich unglaublich warm an. Wohlwollend verteilte sich dieses Gefühl in meinem Körper, machte es mir unmöglich, dem verträumten Blick seiner Augen zu entweichen. Schon die kleinste Zärtlichkeit raubte mir den Atem, unglaublich, dass nach der vergangenen Zeit noch immer anfühlte wie beim ersten Treffen.
      “Bekomme ich eigentlich keine respektable Begrüßung?”, flüsterte er. Seine Augen schielten langsam zur Tür, die noch weit offen stand und seinen Plänen im Weg.
      “Ach, ich dachte, ich sollte mich umziehen? Und Lina ist bestimmt auch gleich so weit”, grinste ich überheblich und wollte gerade nach ihr fragen, als er die Tür schloss. Die Andere hielt mir den Mund zu und stemmte mich gegen jenes Holz. Am Rücken spürte ich die leichten Erhebungen der Ornamente und biss mir, nach einem Kuss lüsternen, auf die Lippe. Nur Millimeter trennten seine von meinen. Der warme Atem aus seiner Nase kitzelte die winzigen Haare in meinem Gesicht, verriet mir im Rhythmus, dass auch er vollkommen unter Strom stand.
      “Der ist neu, oder?”, lenkte ich vom Thema ab, fuhr mit immer wieder mit meinen Augen von seinem wohlgeformten Gesicht zu seinen Schuhen hinunter und hoch.
      “Wer?”, zog er vor Verwunderung die Brauen hoch,
      “Dein Anzug”, merkte ich an und legte die Hände an seiner schmalen Hüfte ab, um ihn etwas näher an mich heranzuziehen. Ich wollte mehr von seiner Verbundenheit spüren, die Wärme, die noch immer von ihm ausging. Doch kam eher nicht zu mir heran, sondern verharrte an Ort und Stelle.
      “Es überrascht mich, dass es dir auffällt”, merkte Erik mit einem leichten Lächeln an und blickte zu meinen Fingern, die weiterhin oberflächlich den Stoff umspielten. Immer wieder verhakten sich die Spitzen in den Gürtelschlaufen am Bund. Er hinderte mich daran, das eingesteckte Hemd herauszuziehen.
      “Mittlerweile kenne ich deine Auswahl und Rot hattest du bisher nie gezeigt, sehr gewagt.”
      Wirklich rot war der Stoff nicht, vielleicht minimal. Es könnte ein Weinrot sein, mit sehr viel dunkeln Fasern, dass man nur aus der Nähe die Rotpigmente erkannt. Im richtigen Winkel sah man, metallisches Glitzern hindurchblitzen.
      “Gefällt er dir nicht?”
      “Alles an dir sieht aus, aber noch besser, wenn du nichts trägst”, sprach ich leise, mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen. Aber Erik schien noch immer etwas zu verstecken.
      “Dann warte mal”, stoppte er, um näher an mein Ohr zu kommen, “darunter habe ich auch Neues.”
      Ich schluckte.
      “Vielleicht sollten wir langsam fertig werden, schließlich.” Für wohl eins der ersten Male fand ich keine Ausrede. Lina würde sich ohnehin vor dem Umziehen noch frisch machen und vielleicht sogar Schminke auftragen, denn es war ihr erster Besuch bei der Familie. Da musste man einen guten Eindruck hinterlassen, zumindest lief es so in ihrem Leben – das anständige, nette Mädchen vom Dorf.
      “Deine Augen sagen anderes”, schmunzelte er, strich mir abermals eine Strähne aus dem Gesicht, die sich hinter meinem Ohr gelöst hatte.
      “Was sagen sie denn?”, erkundigte ich mich.
      “Vieles, aber nicht, dass du gehen möchtest.”
      Eine gefühlte Ewigkeit verging, ehe er mich aus dem liebevollen Gefängnis entließ, weiterhin ungeküsst, als gäbe einen Schwur, den wir damit brechen würden. Aus einem der Kartons zog ich mein einziges Kleid heraus, das nicht wie ein Vorhang an mir herunter hing und mich noch dünner wirken ließ, als ich es ohnehin schon wohl. Am liebsten hätte ich mich ein Pullover übergezogen, um meine herausstechenden Knochen an der Schulter und Halspartie zu verstecken, doch Erik hielt mich von diesem Vorhaben ab. Mit seinen Fingerspitzen umspielte er mein Dekolleté.
      „Du siehst wunderschön aus, mein Engel“, flüsterte er und gab mir einen sanften Kuss auf den Hals. Danach folgten weitere. Zwischen all seiner Liebkosen entfachte sich weiter die Flamme in mir. Aus meinem raschen Atmen wurde ein Stöhnen und bevor Lina die Geräusche hätte hören können, neigte Erik seinen Kopf und erlöste mich mit einem leidenschaftlichen Kuss auf den Lippen. Meine kalten Finger huschten zum Bund seiner Hose, zogen das Hemd heraus und berührten die glühende Haut darunter. Er zuckte zusammen, stöhnte beinah schmerzerfüllt, aber löste sich nicht von mir. Lang fuhr ich an seinem Becken herum, um immer weiter zwischen Haut und Hose zu gelangen, aber dann klopfte es an der Tür. Sofort löste ich mich von ihm. Erik steckte in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit das Hemd zurück in die Hose und richtete seinen Schritt. Dann öffnete ich die Tür.
      “Also meinetwegen können wir dann los”, verkündete sie. Ihr zarter Körper steckte in einem zartblauen, hochgeschlossen Pullover, kombiniert mit einem dunklen, in Falten gelegten Rock, der vorteilhaft ihre Figur umspielte. Eine Sache, die bei Lina natürlich nicht fehlen durfte, waren die kleinen geflochten Details in ihrer Frisur, die einen idealen Gegensatz zu dem schlichten Outfit bildeten.
      “Wow”, stieß Erik nur vor lauter Überwältigung heraus und bekam von mir den Ellenbogen in die Rippen. Nun stöhnte er vor Schmerz, verdient.
      “Aber ich muss ihm zu stimmen”, stammelte ich eingeschüchtert. Meine Finger fummelten an dem fallenden Stoff herum, der nicht ansatzweise so schön saß, wie an ihr. Ich sah an mir herunter, stellte fest, dass nichts dieses Outfit retten könnte. Von den Schultern abwärts begann mein Körper zu beben, als würde mich eine Lawine treffen. Es ging nicht darum, dass sie Konkurrenz darstellte, sondern viel mehr, dass ich ihr nicht das Wasser reichte. Alles an ihr leuchtete, strahlte eine gewaltige Macht aus.
      “Ich bleibe hier”, schwafelte ich verloren und versuchte mit meinen Händen den Reißverschluss am Rücken zu finden, vergeblich. Je länger die Finger nach dem Zipper fischten, umso verzweifeltere Geräusche gab ich von mir.
      “Engelchen”, sagte Erik zu mir und griff nach meinen Armen, um mich vom Rücken fernzuhalten, “es ist alles okay. Du siehst wunderschön aus. Verstehst du das? Niemand wird euch beide vergleichen, wenn das deine Sorge ist. Ich liebe dich, hörst du mich?”
      Tränen drangen aus meinen Augen heraus. Lina verschwand kurz aus dem Türrahmen und hielt eine Packung Taschentücher in den Händen als sie zurückkehrte.
      “Tut mit leid … ?”, sprach sie behutsam, reichte mir eines der Tücher, “Aber dein Mann hat recht, du siehst gut aus.”
      “Ich sehe aus, wie ein nasser Sack”, stotterte ich verhalten, aber wollte auch keine Diskussion anfangen. Komplimente nutzen ohnehin nichts, um meine Meinung zu ändern. Dankend nahm ich das Tuch entgegen und tupfte langsam unter meinen Augen, um die Schminke nicht noch weiter zu verwischen.

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      zeitliche Einordnung {Ende Oktober 2020}
    • Mohikanerin
      Dressur E zu A | 12. August 2022

      Glimsy / Minelli / WHC' Humanoid Crashtest / Maxou / Drivblesa

      Die Ohren gespitzt und der Blick neugierig zu dem schwarzen Ding in meinen Armen, beäugte mich Crash ganz genau, was ich vorhatte. Das junge Pferd hatte die ersten Schritte zum Reitpferd hinter sich, kannte das Reitergewicht und auch schon die ersten Hilfen. Somit legten wir den Grundriss für die Dressur, die heute auf dem Plan stand. Zur Sicherheit kam Lars mit in die Reithalle. Glimsy, die Nour unbedingt wieder fahren wollte, sollte erst mal im Sattel antrainiert werden. Ihr bisheriges Programm, seitdem sie aus Visby hierherkamen, bestand aus lockeren Ausritten am langen Zügel, nur wenig förderlich für die Muskulatur.
      „Bist du so weit?“, fragte mein Kollege freundlich nach, als ich den Gurt ein Loch fester zurrte.
      „Jetzt“, erklärte ich und ließ das Sattelblatt los.
      Er hielt am Steigbügel gegen, dass ich mich langsam in den Sattel schwingen konnte. Die Stute zuckte einmal zusammen. Lobend strich ihren Hals und steckte ihr ein Leckerli zu, dass sie eilig hinunterschlang. Als auch Lars auf dem Rücken des Pferdes saß, folgte ich zunächst in der Abteilung. Aufmerksam musterte Crash die Reithalle, ohne dabei eilig zu werden oder kopflos. Stattdessen war ein Ohr bei mir. Das andere drehte sie wie ein Sehrohr im Seekrieg. Willkürlich kaute Crash auf dem Gebiss, eher als wollte sie feststellen, ob es immer noch da war. Wenn es nach mir ginge, würde sie Gebisslos reiten, aber gerade bei den jungen Tieren in der Gewöhnungsphase war es meinem Chef wichtig, dass sie zunächst klassisch gearbeiteten wurden.
      Nach einer ausgedehnten Schrittphase mit Zirkeln, einfachen Schlangenlinien und Stangen, trabten wir in der Abteilung an. Aufgeregt trat das Kaltblut vor uns voran, während Crash in voller Entspannung folgte. Der entstehende Abstand störte sie nicht, stattdessen hielt sie das geforderte Tempo. Ich trabte leicht. Mit leichtem Druck hinter dem Gurt und Gewichtsverlagerung lenkten wir auf den Zirkel, trennten damit die Abteilung vollständig auf. Crash blieb fleißig bis zum Schluss. Auch Lars konnte im Laufe der Einheit noch Glimsy zur Ruhe bringen mit den grundlegenden Elementen der Dressur. Die Stute kam an den Zügel heran und die Schritte wurden gleichmäßiger.
      „Langsam wird es“, sagte er in der Stallgasse und nahm ebenfalls die Trense meiner Stute mit zur Sattelkammer. Ich löste stattdessen die Sattelgurte, um diese schließlich zur Seite zu hängen. Noch weitere Pferde waren auf dem Plan.
      „Das passt so gut. Ich bin auch gerade fertig geworden“, lachte Nour.
      „Sehe ich.“ Ein zartes Lächeln legte sich auf meine Lippen.
      „Mal wieder schlechte Laune?“, musterte sie mich.
      „Weiß nicht“, zuckte ich mit den Schultern, „alles wie immer, schätze ich.“
      „Du bist wirklich nie zufrieden. Aber wird schon“, langsam nickt sie einmal und führte Minelli an mir vorbei. In den großen dunklen Augen des Pferdes konnte ich ebenfalls Vorwürfe spüren. Mir kam abermals das Gefühl, hier nicht mehr hinzugehören. Es schrie förmlich in meinem Kopf.
      Nachdem Crash endlich aufgefressen hatte, brachte ich die Stute zurück auf den Paddock, um mich schließlich meinem eigenen Pferd zu widmen. Maxou kam auf mich zu getrottet und steckte den Kopf durch die Öffnung der Box. Interessiert zuckten die Ohren. Dann schnappte das Krokodil nach mir, nur, um sich ein Leckerli zu erbetteln. Durch Erik hatte das intelligente Pony schnell gelernt, wie man an die Dickmacher kam und in möglichst kurzer Zeit, sehr viele bekam. Nur ich sträubte mich, dem hinzugeben. Stattdessen schob ich sie weg und legte das Halfter um. Sie folgte mir zum Putzplatz, ohne weitere Versuche zu starten, mir ein Leckerli abzuschwatzen. Weiterhin hing ihr Blick an jeder Bewegung. Lars, der Glimsy ihre Decke umlegt hatte, kam mit der Fuchsstute zurück, die seit einiger Zeit zum Fahren bei uns war. Es fehlte an dem Grundverständnis für Hilfen und Balance. Da ich mich weiterhin sträubte, eins der Kaltblüter zu bewegen, übernahm er das.
      „Wieder auf den Platz?“, fragte Lars und legte die Bürste zurück in den Putzkasten.
      „Natürlich“, lächelte ich zuversichtlich. Aus der Sattelkammer holte ich mein Pad und ihr gebissloses Zaum. Er zurrte den Sattel fest, als ich wieder kam und ihm gleich tat. Maxou legte kurz die Ohren an, aber spürte, dass es wie immer nur das Pad war. Einen passenden Sattel hatte ich bis heute nicht, aber sah auch einen Grund dafür. Mit dem Pad waren wir beide zufrieden und sie lief zuverlässig damit.
      Zusammen betraten wir die Reitbahn und während Lars bereits Aufstieg und am langen Zügel warm ritt, arbeitete ich zunächst mit dem Pony vom Boden aus. Runde für Runde wurde sie elastischer im Genick und gab nach. Den Blick hielt Maxou bei mir, obwohl Blessa öfter sehr nah kam und das Pony Artgenossen verschmähte. Stolz klopfte ich ihren Hals.
      Schließlich führte sie in die Mitte der Reitbahn und stieg auf. Im Trab und Galopp forderte ich einfache Bahnfiguren und Handwechsel, legte die komplette Einheit einzig auf Einsteiger und Anfängerlektionen aus. Ihre Ausdauer gab mehr her, doch ihr Geist war noch immer in einem Nebel gelegt, der sich nur langsam lüftete. Das Pony hatte Stress bei jeder einzelnen Einheit. Mit Vertrauen und Ruhe versuchte ich ihr die nötige Sicherheit zu bringen, aber sie verschloss sich schnell. So kam auch die Arbeitsverweigerung zurück. Die Zügel gab ich vollständig nach und stieg ab. Maxou schnaubte ab und kaute. Nun hatte sie sich ein Leckerli verdient, das sie gierig verschlang. Ihre dunklen Augen blickten friedfertig in meine Richtung. Auch Lars war fertig und stieg von der Fuchsstute ab.
      „Und, wie war das Rennpferd unter dem Sattel?“, hackte ich freundlich nach, als wir zurück zum Putzplatz liefen.
      „Für irgendwen wird sie später ein toller Freizeitpartner“, erklärte er zuversichtlich und strich über den Mähnenkamm.
      „Später? Sie ist doch schon Neun“, skeptisch warf ich einen Blick auf Blessa, die vollkommen verschwitzt nach trottete.
      „Schon, ja, aber noch bleibt sie Rennpferd. Zumindest für dieses Jahr.“

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      zeitliche Einordnung {April 2021}
    • Mohikanerin
      Harmonie in der Working Equitation / Western E zu A | 30. September 2022

      WHC’ Humanoid Crashtest / WHC’ Griechischer Wein / El Montino / Héliosa /Sakura Blomst / Aldaire


      Der September brachte eine bunte Mischung aus Farben und Charakteren auf das Lindo Dalen Stuteri. Unter einem strahlend blauen Himmel versammelten sich Reiter und ihre treuen Gefährten, um sich der Herausforderung der Working Equitation in Stufe A zu stellen. Die Vielfalt der Pferderassen und Persönlichkeiten spiegelte sich in jedem Training wider – ein wahrhaftiges Abenteuer in Harmonie und Teamwork.

      Gemeinsam mit der aufgeweckten Stute, Humanoid Crashtest, die von allen nur liebevoll ""Crash"" genannt wurde, startete ich in den Tag. Ihr graues Fell mit der auffälligen Zeichnung strahlte im Sonnenlicht, und ihre neugierigen Augen funkelten voller Energie. Crash hatte eine Vorliebe dafür, Kleidungsteile zu klauen, und ich war stets darauf vorbereitet, meine Handschuhe oder Jackel zurückzuerobern.
      Heute aber stand eine andere Herausforderung bevor: Die Working Equitation forderte von uns Präzision und Geschicklichkeit im Umgang mit verschiedenen Hindernissen.
      Neben uns sammelten sich weitere Reiter und ihre Pferde, von eleganten Barock-Reitpferden bis zu einem anmutigen Lusitano. Hannes führte seinen gelehrigen Hengst, genannt Winni, mit stolzem Blick auf den Parcours. Alec und der charmanter Andalusier El Montino, liebevoll Tino genannt, zeigten eine enge Bindung, die von Respekt und Vertrauen geprägt war. Vriska hatte Héliosa unter dem Sattel. Alec bat sie aufgrund ihrer Gangerfahrung die sensible Stute im heutigen Training zu reiten. Eskli und Saki verkörperten eine gelassene Präsenz. Finn führte den vertrauenswürdigen Berberhengst Aldaire mit einer Mischung aus Stolz und Anerkennung.

      Unsere ersten Übungen führten uns durch den Parcours, der mit unterschiedlichen Aufgaben gespickt war. Crash war neugierig auf die verschiedenen Hindernisse und zeigte sich anhänglich, während sie immer wieder versuchte in meine Stiefel hineinbeißen. Als wir die Toraufgabe erreichten, bei der wir das Pferd rückwärts durch ein Tor navigieren mussten, war Crash jedoch in ihrem Element. Sie war geschickt und aufmerksam, als ich sie durch den engen Durchgang manövrierte.
      Winni und Hannes bewiesen ihre Zusammenarbeit, als sie geschmeidig zwischen den Stangen hindurchritten und dabei jede Wendung kontrollierten. Tino und Alec meisterten die Gehorsamsaufgabe mit Bravour, bei der sie bestimmte Figuren und Linien auf dem Boden nachritten. Ihre Einheit als Team war spürbar.
      Héliosa und Vriska zeigten eine beeindruckende Demonstration des Tölts, einer besonderen Gangart ihres Lusitanos. Sie bewegten sich in einer fließenden Bewegung vorwärts, als würden sie im Rhythmus der Musik tanzen. Saki und Eskli meisterten die Geschicklichkeitsaufgabe mit Leichtigkeit, bei der sie Bälle auf Pfähle beförderten, während Aire und Finn ihre Verbindung auf die Probe stellten, indem sie souverän über eine Brücke ritten, die laut knarrte und schwankte.
      Der Tag verging wie im Flug, während wir uns durch den Parcours arbeiteten und Hindernisse überwanden. Die Vielfalt der Charaktere und Rassen machte das Training zu einem einzigartigen Erlebnis. Jedes Pferd zeigte seine eigene Persönlichkeit, und jedes Team zeigte seine individuelle Stärke.

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      Springen E zu A
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      Ein Tanz der Vielfalt / Dressur A zu L | 26. Februar 2023

      WHC’ Poseidon / Vyctor / WHC’ Pumpkin G / WHC’ Humanoid Crashtest / PFS’ Caruso / Fraena von Hulshóf / Seiltänzer TE / Jora / Camille / Fanya / Cremella / WHC’ Colourful Lifestyle / Northhumbria

      Der Monat Februar brachte eine bunte Mischung an Pferdepersönlichkeiten und Herausforderungen auf das Lindö Dalen Stuteri. Als Dressurreiterin freute ich mich auf die abwechslungsreiche Trainingssession, die vor uns lag. Jedes Pferd hatte seinen eigenen Charakter und seine individuellen Bedürfnisse, und ich war gespannt darauf, mit ihnen als Team zu wachsen und zu lernen.
      Camille, die aufmerksame Freibergerstute, beeindruckte mich mit ihrer Ausstrahlung und ihrem feinen Gespür für meine Hilfen. Wir arbeiteten daran, ihre Natürlichkeit und Leichtigkeit zu bewahren und gleichzeitig ihre Bewegungen präzise zu kontrollieren. Die Harmonie, die wir entwickelten, war beeindruckend, und ich fühlte, wie sie jeden Schritt mit Freude und Eifer machte.
      Teddy, das temperamentvolle Barock-Reitpferd, war eine Herausforderung, die ich mit Begeisterung annahm. Seine Energie und Konzentration forderten mich dazu auf, klare und präzise Signale zu geben, und wir arbeiteten hart daran, eine starke Verbindung aufzubauen. Mit Geduld und Feingefühl entwickelte sich Teddy zu einem zuverlässigen Partner, der sich bemühte, jede Aufgabe mit Bravour zu meistern.
      Fanya, die misstrauische und zurückgezogene Freibergerstute, war eine echte Überraschung. Wir nahmen uns Zeit, um ihr Vertrauen zu gewinnen und sie aus ihrer Schale zu locken. Ihre verfressene Natur half uns dabei, eine positive Verbindung aufzubauen, und wir arbeiteten behutsam daran, ihr Selbstvertrauen zu stärken. Jeder Fortschritt wurde von uns beiden mit Freude gefeiert, und ich spürte, wie Fanya mehr und mehr aus sich herauskam.
      Gji, der ruhige und liebenswerte Barock-Reitpferde-Hengst, war ein wahrer Genuss zu reiten. Seine Gelassenheit und Ausgeglichenheit machten jeden Ritt zu einem entspannten Erlebnis. Wir verfeinerten seine Bewegungen und arbeiteten an seiner Balance, um seine natürlichen Talente voll auszuschöpfen. Gji war ein wahrer Gentleman, der mit seiner sanften Art mein Herz eroberte.
      Poseidon, das mutige und freundliche Canadian Sport Horse mit den leuchtenden blauen Augen, war ein echter Star. Seine Verspieltheit und sein Selbstbewusstsein beeindruckten mich, und wir hatten viel Spaß beim Training.
      Vyctor, der flinke und arbeitswillige schwedische Warmbluthengst mit der auffälligen Fuchsschecken-Farbe und den blauen Augen, forderte mich immer wieder aufs Neue heraus. Seine Schnelligkeit erforderte von mir ein gutes Timing und eine klare Kommunikation. Wir entwickelten uns stetig weiter und ich spürte, wie sich unsere Bindung vertiefte.
      Crash, das anhängliche und neugierige Barock-Reitpferd, war ein wahrer Charakter. Ihre Vorliebe, Kleidungsteile zu entfernen, brachte uns oft zum Lachen, und ich konnte nicht anders, als ihr liebenswürdiges Wesen zu schätzen. Wir arbeiteten behutsam daran, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und ihre aufgeweckte Art in positive Bahnen zu lenken.
      Caruso, der liebenswerte und energiegeladene New Forest Pony-Hengst, war ein echter Wirbelwind. Sein Temperament forderte mich dazu auf, gelassen und ruhig zu bleiben, und wir hatten viel Spaß dabei, neue Übungen auszuprobieren. Seine Treue und Unerschrockenheit waren bewundernswert, und ich fühlte mich geehrt, ihn als Partner zu haben.
      Fraena, das aufgeweckte und gelassene Shetland Pony, zeigte eine beeindruckende Ruhe und Freundlichkeit. Obwohl sie nicht geritten wurde, genossen wir gemeinsame Spaziergänge und beschäftigten uns mit Bodenarbeit.
      Cremella, die dominante und lebensfrohe Shetland Pony-Stute mit der auffälligen Silver Bay Dun-Farben, war eine wahre Persönlichkeit. Ihre Frechheit und Dominanz forderten mich dazu auf, klare Grenzen zu setzen, und wir fanden einen Weg, miteinander zu kommunizieren und einander zu respektieren.
      Styler, der energiegeladene und dominante Canadian Sport Horse-Hengst mit dem Silver Bay Dun-Farben, brachte uns oft zum Staunen. Seine Ausdrucksstärke und sein Mut machten jede Trainingseinheit zu einem aufregenden Erlebnis. Wir arbeiteten daran, seine Energie in positive Bahnen zu lenken und seine Dominanz in eine starke Partnerschaft umzuwandeln.
      Humbria, die ungeduldige und sensible Traberstute, war eine Herausforderung, die ich mit Einfühlungsvermögen annahm. Ihre Sensibilität erforderte von mir ein sanftes Vorgehen, und wir arbeiteten behutsam daran, ihr Vertrauen zu gewinnen. Mit Geduld und Belohnung fanden wir eine gemeinsame Sprache, und Humbria zeigte sich von ihrer besten Seite.
      Der Monat Februar im Dressurreiten auf Stufe L war geprägt von Vielfalt, Herausforderungen und Lernerfolgen. Jedes Pferd brachte seine eigenen Talente und Persönlichkeiten mit sich, und ich fühlte mich geehrt, Teil dieses facettenreichen Teams zu sein. Als Reiterin wuchs ich mit jeder Trainingseinheit und entdeckte die Freude an der Vielfalt des Dressurreitens. Unsere gemeinsame Reise hatte gerade erst begonnen, und ich war voller Vorfreude auf alles, was noch vor uns lag. Gemeinsam würden wir weiter tanzen und uns in der wunderbaren Welt des Dressurreitens weiterentwickeln.
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      Dressur L zu M
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      kapitel fyrtiotvå | 4. April 2023

      Maxou / Anthrax Survivor LDS / Sign of the Zodiac LDS / Fire to the Rain LDS / Astronaut in the Ocean LDS / Millennial LDS / Mockup / Schleudergang LDS / Mondlandung LDS / St. Pauli’s Amnesia / HMJ Divine / Ready for Life / Northumbria / Blávör / May Bee Happy / WHC' Humanoid Crashtest / Eichkatze / Sisko / Meltdown / Pay My Netflix / Trotaholic / Crazy Love

      Seit dem Renntag, und meinem ziemlich irrelevanten Geburtstag, verflogen die Tage wie im Flug. Mein Pferd – immer noch kaum zu glauben, dass ich vollkommen allein eins besaß – beanspruchte viel Zeit, schließlich hatten wir ein ziemlich kurzfristiges Ziel. Glücklicherweise war Mocki bereits angeweidet, konnte somit in der Nacht, wie alle anderen Pferde, auf die Weide. Für ihn war es noch alles neu auf dem Hof, also zeigte ich ihm erst einmal alles. Der Osteopath hatte kurzfristig einen Termin frei und kam am Tag nach der Ankunft. Gleichzeitig zeigte er mir weitere Handgriffe, die ich täglich durchführen sollte. Es waren reine Wellenessmaßnahmen, um die Vielzahl von Verspannungen zu lösen. Besonders in der Schulter, im Genick zeigte Mockup seine schmerzlichen Stellen. Zur Unterstützung kam er trocken unter das Rotlicht für eine halbe Stunde und am Nachmittag longierte ich ihn an der Doppellonge. Bereits nach zwei Tagen konnte ich eine Verbesserung feststellen, obwohl ich die Einheiten Schrittarbeit begrenzte. Wenn er von selbst ein paar Meter traben wollte, ließ ich es zu.
      Heute war der vierte Tag unserer Arbeit. Neugierig stand er bereits an der Boxentür, als ich die Stallgasse betrat und ein neues Halfter in der Hand hielt. Bevor mein Arbeitstag begann, war ich zum Reitgeschäft nach Kalmar gefahren. Neben einem Lammfellhalfter in Grau und Blau kamen mir noch passende Gamaschen, Glocken und Bandagen zwischen die Finger, die ich natürlich auch mitnahm.
      „Na schau mal“, begrüßte ich den Fuchs in hohen Tönen. Mit aufgeblähten Nüstern nahm er den Gegenstand unter die Lupe und ließ sich brav auf halftern. Der Weg an den Boxen vorbei, war das einzige, woran wir noch, vom Boden aus, arbeiten mussten. Auf dem Untergrund rutschte er mit den Hufeisen, aber ich wollte diese ohnehin entfernen. Zufälligerweise war Lars gerade Schlendrine beschäftigt.
      „Laaaars?“, fragte ich mit großen Augen, als wir an ihm vorbeikamen. Die Pferde schnupperten interessiert aneinander, aber fanden einander nur wenig relevant für weitere Interaktionen.
      „Jaaaa?“, wiederholte er in derselben Tonart und stellte das Bein ab.
      „Würdest Mocki die Eisen vorn abnehmen?“, formulierte ich freundlich.
      „Solltest du das nicht selbst schaffen?“, wunderte er sich. Ganz Unrecht hatte er mit dieser Annahme nicht, schließlich war es ein Teil meiner Ausbildung. Jedoch stellte sich ziemlich schnell heraus, dass ich nur wenig begabt darin war.
      „Schon ja, aber ich bin doch zu doof dafür“, gab ich kleinlaut zu.
      „Na gut, in zwanzig Minuten“, ließ er sich überzeugen und setzte die Arbeit fort. Hintergründig hörte man die Schläge auf das Eisen, aber Mocki beirrte dies keines Wegs. Er folgte mit dem Blick jeden meiner Schritte, als ich die Weidedecke vom Rücken nahm und an dem Haken an der Putzbucht anhing. Kaum hatte ich die Bürste weggebracht, kam Lars dazu. Freundlich hielt er dem Pferd die Hand entgegen. Dieser blähte einmal die Nüstern auf, dann stieß Mocki die Luft hörbar aus.
      “Warum sollen die Eisen ab?”, musterte Lars den Beschlag.
      “Er rutscht und das ängstigt ihm”, erklärte ich kurz gebunden.
      „Hast du dir Gedanken gemacht, wie es dann weitergeht? Ich meine, der Gute läuft seit zwei Jahren nur auf Beschlag und wenn er mit nach Finnland soll, könnte es ungewohnt werden“, klärte er auf. Ehrlich gesagt, war die Idee auch nur von mäßigem Erfolg geprägt. Wir diskutierten Alternativen, die ebenso wenig von Erfolg gepriesen waren. Ich wollte ihn Barhuf, aber Lars riet mir davon ab. Zwischenzeitlich kam Lina dazu, mit Mola. Die Pferde waren sich zuvor schon begegnet, dennoch war der Junghengst der Artgenossin skeptisch gegenüber. Dabei machte die Stute nichts, sie stand nur da und kratzte den Kopf am Holzbalken.
      „Aber wenn du keinen Kunststoff willst, bleibt nur noch Gummi“, seufzte Lars, dem mittlerweile die Ideen ausgingen.
      „Was wäre denn so schlimm daran, wenn er nichts an den Hufen hat?“, rollte ich mit den Augen.
      “Der wird dir in spätestens zwei Tagen lahm gehen bei dem harten Boden hier am Hof. Etwas muss er gegen die Stöße bekommen, sonst kannst du dein Ziel vergessen.”
      Zunehmend war Lars genervt und machte seinen Unmut meiner Sturheit gegenüber klaren Ausdruck. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, tänzelte wie auf heißen Kohlen über den Beton.
      “Ich schätze Lars könnte recht damit haben”, wand Lina zurückhaltend ein, “vielleicht solltest du das probieren mit dem Gummi, zumindest für den Übergang.”
      “Meinst du? Seine Hufe sehen doch super aus“, sprach ich nach unten gebeugt und fuhr mit meinem Daumen über das Horn. Die Struktur war fest, kein Riss in der Wand. Wer auch immer ihm vorher beschlug, sollte eine Auszeichnung bekommen.
      „Vivi, am Ende ist es deine Entscheidung, aber sprich mit Basti, der kennt das Pferd schon länger und du fährst doch nachher ohnehin zu ihm“, seufzte Lars. Er hatte sich auf die Zwischenwand gesetzt, wissend, dass es noch eine Weile dauern würde, bevor eine Entscheidung fiel.
      “Nein, Vriska, ich bin kein Hufschmied”, entgegnet meine Kollegin ehrlich, “aber ich denke ich jetzt komplett vom Beschlag zu nehmen, könnte ihn erheblich beeinflussen. Stell dir vor, du läufst jahrelang dauerhaft mit Eisenschuhen an den Füßen herum, das ist ein ganz anderer Bewegungsablauf.”
      “Na so ein wenig kenne ich mich auch aus”, erklärte ich wahrheitsgemäß, auch wenn ich mich häufig blöd stellte, “wäre Gummi eine ernstzunehmende Alternative oder ist eine blöde Idee, die jemand auf dem Markt hatte, um Geld zu verdienen?”
      Unterhalten stieß Lars Luft aus und schüttelte leicht den Kopf.
      “Es wirkt beinah so, als hättest du nichts mit den Pferden am Hof zu tun. Ini kam mit Gummischuhe zurück und wir haben angesichts der Erfolge nichts am Beschlag geändert. Seitdem haben wir es auch bei Mill und Enigma am Huf. Besonders für junge Pferde wird es empfohlen, denn sie dämpfen die Last maximal und sollen die Durchblutung fördern”, legte er die Vorteile nah. Nebenbei hatte mein Handy hervorgezogen und überlegte, auch bei Basti mir Informationen zu holen, denn das Internet selbst, sagte genau das, was Lars mir mitteilte.
      “Sorry, wenn ich störe, aber ich brauche deine Meinung”, tippte ich. Natürlich antwortete er direkt, hatte er sonst keine Hobbys?
      “Hau raus.”
      “Was denkst du von Gummi? Sinnvoll, oder nicht?”, flogen meine Finger die Tastatur. Es dauerte. Die drei Punkte bebten in der Ecke und eine Sprachnachricht kam an. Wie immer grinste ich breit, wenn wir miteinander schrieben. Um den Unmut seiner Belegschaft nicht zu befeuern, hielt ich es bei den nötigsten Nachrichten, obwohl ich ihm jede Sekunde schreiben wollte.
      “Klingt nach ganz schön coolem Zeug, Beschlag, der die Durchblutung fördert”, überlegte Lina.
      “Ähm, was?”, horchte ich auf, bemerkte, dass ich nur halb dem Gespräch folgte. Dann tippte ich auf die Sprachnachricht, zu blöd, es allein zu hören.
      „Ach Harley“, seitdem er auf dem Kaufvertrag ermitteln konnte, dass ich einen Zweitnamen hatte und diesen im Leben mied, zog er mich damit auf, „das Gespräch über Bienchen und Blümchen sollten doch deine Eltern mit dir führen. Grundsätzlich befürworte ich die Nutzung von Gummis, außer du hast andere Vorstellungen.“ Mit hochroten stand ich in der Putzbox und wollte am liebsten im Abfluss versinken, aber eine nächste Nachricht folgte sofort: „Ich schätze jedoch, dass du Gebiss, Gurt oder Eisen meintest, aber ja, alles hat sein für und wider. Mocki kommt mit Gummi jeder Art gut zurecht.“
      “Upsi, da sollte sich jemand differenzierter ausdrücken”, lachte die kleine Brünette reichlich amüsiert über die Angeleinheit.
      “Maaaaaan”, beschwerte ich mich zutiefst in Pein gehüllt.
      “Du musst dich nicht dafür schämen, scharf auf ihn zu sein”, munterte mich Lars ungewöhnlicherweise auf.
      „Damit machst du es nicht besser“, echauffierte ich mich und lief nervös Kreise.
      „Aber er scheint dem auch ganz offen gegenüber, was man ihm nicht verübeln kann“, rief er mir noch nach, aber ich versuchte mir die Ohren zuzuhalten.
      „Vriska, ist doch nichts dabei. Beruhige dich“, versuchte Lina, zu mir durchzudringen, „du machst alle noch ganz verrückt.“
      “Okay, okay, okay”, stammelte ich losgelöst.
      Ich atmete tief durch.
      “Danke für deine Hilfe, aber so genau wollte ich deine Präferenzen nicht wissen”, tippte ich grinsend und steckte schließlich das Handy zurück in die Jackentasche.
      “Dann bekommt Mockup nun Gummi an die Hufe”, beschloss Lars. Er richtete sich auf und verschwand für einen Moment, um den gewünschten Beschlag aus dem Lager zu holen. Hintergründig hörte man ihn fluchen und krachen, als würde er die Ware nicht finden. Schließlich kehrte er zurück, als ich selbstständig begonnen hatte, die Nieten zu öffnen und hielt bereits das erste Hufeisen in der Hand in der Hand.
      “Ach, jetzt schaffst du es selbst?”, schmunzelte Lars.
      Den Rest übernahm er. Meinem Pferd ging es nicht schnell genug. Er versuchte den Huf abzustellen und erst, als ich wieder an den Kopf kam und langsam die Finger hinter den Ohren kreisen ließ, entspannte er. Lina brachte Mola weg, aber setzte sich interessiert dazu. Von der Arbeit mit meinem Fuchs bekam sie nur peripher etwas mit. Ich bemühte mich früh im Stall zu sein, wenn die anderen noch mit dem Abäppeln beschäftigt waren und am Abend sehr spät, wenn jeder in der Hütte saß.
      „Soll heute wieder nur für mich kochen?“, fragte ich Lars, als er fertig war mit dem Beschlag. Nur im Stand sah ich bereits Besserungen am Fuchs. Seine Schulter war entspannt und der Rücken weicher – Faszinierend, dieser Gummibeschlag.
      „Ich weiß es noch nicht, kommt darauf, an, ob sich noch jemand meldet“, sagte er grinsend.
      „Ach, stehen die Damen wieder Schlange?“, lächelte ich.
      „Wer weiß das schon, ein Gentleman genießt und schweigt.“ Selbst sicher stolzierte er an mir vorbei, um das Werkzeug an seinen Platz zu bringen. Ich ging meiner Routine mit dem Pferd nach. Einen Schmerzpunkt nach dem anderen behandelte ich mit unterschiedlichen Druckstärken. Die Stricke hatte ich gelöst, denn er stand ruhig und sollte sich strecken können. Das tat Mocki auch. Genüsslich kaute er, gähnte und kam der Entspannung nah.
      „Immer wieder faszinierend“, staunte Lars, der wohl schon ein paar Minuten an der Seite stand.
      „Hattest du es nicht in der Ausbildung?“, hakte ich nach und drückte etwas stärker an den Muskel am Hinterbein.
      „Doch schon, aber was du nicht gut warst beim Schmieden, war ich in Physio.“
      „Verstehe, soll ich dir was zeigen?“, bot ich an. Interessiert nickte er und ich erklärte zunächst die unterschiedlichen Druckstärken, dabei auch der Einsatz von Arm und Handfläche ein wichtiges Thema. Wie ein Kleinkind verschlang mein Kollege das Wissen und versuchte sich selbst an Mockup. Der Hengst war anfangs irritiert, aber nach einigen Wiederholungen gelang es auch ihn, das Pferd in Trance zu versetzen.
      „Ziemlich cool, danke dir“, lächelte Lars und blickte mit seinen grünen Augen zu mir hinunter, als würde er etwas erwarten.
      „Ist etwas?“, beäugte ich ihn, ohne den Augenkontakt zu lösen.
      „Kannst du das auch beim Menschen?“
      „Ein wenig, aber Pferde sind einfacher“, sprach ich.
      „Okay, dann essen wir heute zusammen“, beschloss Lars, bevor er ein Halfter holte und sich einen der aktiven Trabern fürs Training schnappte. Die Pferde vom gestrigen Renntag hatten Pause und standen noch immer auf der Weide. Sie hatten es sich verdient.
      „Mich beschleicht das Gefühl, Lars möchte mehr als nur mit dir Essen“, schmunzelte Lina, die alles interessiert, von ihrem Sitzplatz aus mitverfolgt hatte.
      „Da stößt er auf taube Ohren“, sprach ich und befestigte den Pulsmesser am Pferdebauch. Mocki wachte nur langsam aus der Entspannung auf, mit dem Gefühl des Gurtes riss er die Augen auf. Hektisch setzte er einen Schritt zurück. Ich hielt ihm noch ab Halfter.
      „Ganz ruhig“, flüsterte ich ihm gut zu und tätschelte den angespannten Hals.
      „Wie hältst du das eigentlich aus, ist das nicht anstrengend, ihm ständig Widerstand leisten zu müssen?“, erkundigte sie sich.
      “Du meinst Lars gegenüber?” Sie nickte.
      “Sagen wir es mal so”, ich atmete einmal durch, denn bisher hielt ich kommenden Informationen verschlossen, “wir haben Bedürfnisse und an manchen Tagen gibt es keinen Grund, ihm Widerstand zu leisten. Er hört sofort auf, wenn ich es ihm sage.“
      „So habe ich das nie betrachtet, aber durchaus nachvollziehbar“, entgegnete sie verständnisvoll.
      “Ich mag ihn, aber Nour hat mir von Anfang an glaubhaft gemacht, dass Lars nur auf kurzfristige Dinge aus ist. Außerdem, Basti”, die letzten Worte verschluckte ich, nicht wissend, wie ich die vorherrschende Situation formulieren sollte. Er bedeutete mir unglaublich viel, aber, wie er selbst sagte, war ich nur eine Freundin.
      „Ist aber auch immer komplex bei dir, als würdest du es geradezu anziehen“, sprach die Kleine mitleidig.
      „Es ist okay, gibt Schlimmeres“, winkte ich ab, „immerhin den Pferden geht’s gut.“
      Ich führte Mockup zur Führanlage. Er durfte sie bereits von außen kennenlernen und begutachtete das klapprige Ding. Sie war in keinem guten Zustand mehr, musste andauernd repariert werden, aber im Zuge des Umbaues hatte Tyrell bereits angekündigt, dass wir eine neue bekamen. Wann das genau sein würde, stand noch in den Sternen, aber bisher kamen die Bauarbeiten voran. Teile neuen Gebäude waren schon ausgehoben und ein Fundament gegossen. Im Wald – wo eine weitere Stallanlage entstand – konnte man schon Wände erkennen, aber ich war nicht oft dort.
      “Aber dir sollte es doch genauso gut gehen“, seufzte sie, doch gab es gleichzeitig auf, dies weiter infrage zu stellen, “aber jetzt mal wirklich, ich bin erstaunt, wie schnell du Pferde wieder hinbekommst. Erst Happy und jetzt bei Mocki auch wieder.”
      “Ich kenne die Vergangenheit der beiden nicht und fasse sie nicht mit Samthandschuhen an, insbesondere Mocki scheint mir, bis auf die Verspannungen, kerngesund. Er soll nur unglaublich langsam sein”, erklärte ich meinen Eindruck.
      “So langsam sieht er gar nicht aus”, sagte sie und betrachtete die langen Beine des Fuchses.
      “Sehr oberflächlich von dir”, schmunzelte ich. Parallel änderte ich die Richtung der Anlage. In Zeitlupe wendete er auf der Hinterhand und stieß mit dem Kopf gegen das Metall. Perplex sah er sich aber, aber begriff nur so halb, dass er selbst dagegen gekommen war. Im Schritt lief Mocki voran. Das klügste Pferd war er nicht.
      “An etwas muss man das doch festmachen”, zuckte sie mit den Schultern.
      “Die haben alle lange Beine”, stellte eine bekannte Stimme von der Seite fest. Bevor ich begriff, wer plötzlich bei uns war, bekam ich einen schwarzen Pferdekopf ins Gesicht. Mit der Oberlippe fummelte Amy das Brillengestell von meiner Nase, erst dann zog Ju sein Pferd zur Seite.
      “Ja, da hast du nicht unrecht”, nickte Lina nachdenklich, “Woran erkennt man es dann?” Neugierig inspizierte die Stute nun auch sie und begann verspielt an ihren Zöpfen zu knabbern.
      “Training und Charakter. Das Pferd muss im Aufbau Sauerstoff im Blut speichern können, oder so. Ich weiß es nicht mehr so genau, wie die physischen Belange sind, aber dafür ist Lars da. Ansonsten, es braucht diesen Funken an Lust, schwer zu erklären”, sagte ich nachdenklich. Für einen Moment wurde mir klar, dass meine Ausbildung im Islandpferdebereich die dümmste Idee von allen war, denn bis auf die zwei Berittpferde, hatte ich nichts mehr mit den Tieren zu tun. Dabei begann die Ausbildung im Trabrennsport, bevor ich Hals über Kopf wechselte.
      “Klingt kompliziert. Gut, dass das für meine Ponys irrelevant ist”, lacht sie.
      “Was machst du eigentlich mit deinen?”, mischte auch Ju sich in das Gespräch ein.
      “Sie rollen auf Vierbeinen durch den Wald”, übernahm ich kurzerhand die Antwort. Böse Blicke trafen mich.
      “Wir rollen nicht!”, entgegnete sie trotzig, bevor sie mit einem freundlicheren Ton fortsetzte, “Mit Ivy versuche ich aktuell die Basics zu verfeinern, bevor es in der Dressur weitergeht. Redo steht theoretisch ebenso im Dressurtraining, aber ich habe aktuell nicht das Gefühl, dass sie Spaß daran hat, deshalb sind wir viel im Wald.”
      “Vielleicht braucht sie nach der Dienstzeit eine richtige Pause, mit einem Baby oder so”, schlug Ju vor. Während die beiden sich über ihre Pferde unterhielt, erhöhte ich die Geschwindigkeit der Anlage. Einmal knatterte es laute, aber dann bewegte sich doch noch der Motor schneller.
      „Haustechniker wäre eine Investition wert“, dachte ich insgeheim, aber war froh, dass der Hengst nur zusammen schreckte und trabte. Auf dem Handy warf ich einen Blick auf seine Herzfrequenz, trotz der geringen Geschwindigkeit zeigte er einen hohen Wert, für ein trainiertes Rennpferd nicht zufriedenstellend. Skeptisch sah ich ihn an, aber würde es weiterhin beobachten. Hoffentlich fällt Finnland nicht ins Wasser, schließlich stand viel auf dem Spiel.
      „So, Mädels, ich muss weiter“, verabschiedete sich Ju grinsend und führte Amy in den Stall.
      Ich seufzte.
      „Er ist schon ziemlich hot“, gab ich Lina in leisen Tönen zu verstehen. Ein breites schmunzelt, trat auf ihr Gesicht: “Du stehst also noch auf ihn.”
      “Jetzt übertreiben wir mal nicht, aber ich wäre nicht abgeneigt”, holte ich sie auf den Boden der Tatsachen zurück.
      “Ja ja, nicht abgeneigt”, grinste sie, “aber kann man dir auch nicht verübeln.”
      “Du willst mich offenbar fest in den Armen eines Typen sehen”, schüttelte ich unterhalten den Kopf.
      “Ich möchte nur, dass du glücklich bist und wenn ein paar starke Arme dabei helfen, unterstütze ich das”, setzte sie ein Statement.
      “Aber nur ein paar starke Arme wären mir eine Hilfe”, grinste ich, in Gedanken wieder bei Basti.
      “Eines Tages wird er erkennen, was er gutes verpasst”, antwortete sie und es klang beinahe wie eine Versprechung.
      “Für eine Affäre wäre er offen, aber ich schaffe das emotional nicht”, seufzte ich. Allein, dass ich immer wieder auf das Thema mit ihm zurückkam, verdeutlichte mir, wie schwer die Situation war. Mit gesenktem Kopf blickte ich zum Fuchs, der schnaubend im Kreis lief.
      “Das kann ich verstehen, das könnte ich auch nicht”, stimmte sie zu, “Aber verliere die Hoffnung nicht, wenn du mich fragst, ist an Nelly etwas seltsam.”
      “Aus dem Buschfunk hörte ich, dass sie wohl nicht so treu ist, wie sie sich gibt”, zuckte ich mit den Schultern.
      In der Führanlage schepperte es, dann stand die Anlage.
      “Seriously?”, keifte ich und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Weit und breit war keiner der Männer zu sehen, also musste ich das panische Pferd selbst aus dem Käfig bekommen. Mockup stieg und trat heftig gegen die Gitter. Beruhigend sprach ich auf das Tier ein, bis er sich schüttelte und die Hufe auf dem Boden behielt. Langsam schob ich die Abteilung. Angekommen am Aus- und Eingang, befestigte ich den Strick. Wir liefen hinaus. Der Fuchs zitterte am ganzen Körper, schnaufte, als wäre er vor dem Teufel davongelaufen. Sanft tätschelte ich den Hals und führte ihn im Schritt auf dem Vorplatz.
      “Armer Mocki, wir benötigen dringend ein neue Führanlage, das ist ja eine Zumutung”, schüttelte sie den Kopf, “aber ja, was Nelly angeht, habe ich so etwas auch gehört.”
      “Aha, du bist im Buschfunk der Traber unterwegs?”, staunte ich nicht schlecht. Das Chaos um die Anlage ignorierte ich, schließlich lag das außerhalb unserer Entscheidung. Gehorsam folgte Fuchs, schaute sich in der Gegend um. Erneut lobte ich.
      “Indirekt”, lachte sie, “ viel mehr dem des weniger rasanten Fahrsports.”
      “Sie fährt Kutsche?”, fiel ich immer weiter aus allen Wolken, wieso wusste sie so viel?
      “Ja, sogar gar nicht so schlecht, habe ich gehört”, führte Lina weiter aus.
      Hörbar atmete ich aus.
      “Also eine bessere Freundin für dich”, sprach ich eher zu mir, als zu ihr gerichtet. Ihr Blick sagte mir jedoch, dass sie jedes einzelne Wort genau vernommen hatte.
      “Rede keinen Quatsch”, schüttelte sie entschieden den Kopf.
      Ein paar undeutliche Worte verließen meine Lippen, dann bogen wir in den Stall ein. Am Anbinder befestigte ich nur einen der Stricke und entfernte den Frequenzmesser. Ungeduldig wartete der Fuchs auf sein Futter. Bevor ich dieses aus der Futterkammer holte, schaltete ich das Solarium an. Mocki scharrte mit den Hufen, hörte erst auf, als Lina ihn maßregelte.
      “So, guten Appetit”, stellte ich ihm die Schüssel hin. Vorbeugend mischte ich Tonerde an, um seine Beine und Kruppe zu teilen, einzuschmieren. Lars hatte mir empfohlen – als wir mit Mockup am Stall ankamen – ihn damit zu behandeln. Lina stand an die Wand gelehnt daneben und scrollte auf ihrem Handy umher. Den Bewegungen zu Urteil hing sie auf Instagram herum. Dabei veränderte sich ihren Gesichtsausdruck von freudig, über amüsiert, bis zu genervt.
      “Menschen sind doch blöd”, rollte sie mit den Augen und steckte das Gerät wieder weg.
      „Was tun sie denn Böses?“, hakte ich nach, wissend, dass es vermutlich ähnliches war, was ich seit Wochen bekam. Statt einer Antwort zog sie das Gerät wieder hervor und zeigte mir die Kommentare ihres letzten Posts, indem sie, neben den Fortschritten ihres Hengstes, auch offen über die Motivationsprobleme von Redo berichtete. Im ersten Anblick schienen die Kommentare übersäht mit positivem, doch bei genauerem Hinsehen, tauchten immer negative Dinge auf. Einige Kommentare kamen von naseweisen Kindern, die sich aus ihrer Weltanschauung heraus bereits an Gebiss und Sattel störten. Doch was Lina vermutlich viel mehr der Dorn im Augen war, waren jene Personen, die ihre Kritik nicht nur äußerst unfreundlich ausdrückten, sondern über das eigentliche Thema hinaus, ziemlich persönlich wurden. Kritik fanden sie an eigentlich allem und zwei recht schreib freudige Damen, gingen sogar so weit über sie herzuziehen und ihr gesamtes Umfeld herzuziehen. Teilweise konnte ich die Negativität nachvollziehen, denn einige Dinge missfielen mir ebenfalls, aber kein Grund, dies zu äußern oder gar zu veröffentlichen. Vielmehr war es „wir haben unterschiedliche Ansichten“, weshalb ich mich zurückhielt.
      „Blockieren und löschen“, sagte ich distanziert und begutachtete mein Werk an den Pferdebeinen, „die werden immer so weiter machen, weil sie persönliche Differenzen haben und dich als geeignetes Opfer betrachten, schließlich bist du für sie nur Pixel und nicht aus Fleisch und Blut.“
      „Mhm, blöd nur, dass Pixel Gefühle haben“, murmelte sie unbestimmt und ließ das Handy in der Jackentasche verschwinden. Ihre sonst übertrieben gute Stimmung war von ihr gewichen.
      „Je mehr Menschen du erreicht, umso mehr mit wertlosen Charakterzügen finden dich. Du kannst es nicht jedem recht machen. Solang du hinter deiner Arbeit stehst, ist doch alles gut“, versuchte ich ihr einen anderen Standpunkt zu vermitteln. Es war unglaublich, wie Menschen es als ihr Recht erachteten, jedem die eigene Meinung im Internet zu unterbreiten. Am Ende betitelten sie es als Meinungsfreiheit, die sich allerdings auf die Straffreiheit und politischen Verfolgung bezieht.
      „Soll ich mir mal deine unmotivierte Tonne anschauen?“, schlug ich aus der Stille heraus vor, die sich im Putzbereich gelegt hatte. Mockup schlief abermals und Lina schaute undefiniert ins Nichts. Es dauerte einen Moment, bis eine Reaktion kam, doch dann nickte sie langsam: “Ja, bitte.“
      Dass sie dem zustimmte, machte mir die Dummheit dahinter bewusst. Auch wenn Lina ebenso klein wie ich war, konnte ich mir nur schwer vorstellen, dem Pferd eine klare Hilfe geben zu können.
      Ich brachte den Fuchs mit Decke zurück in seinen Laufstall, dort stürzte er sich auf seine Heulage. Zur gleichen Zeit holte Lina den Rappen. Sie befreite den Rappen vom Schmutz und ich wechselte meine Kleidung, zumindest zog ich Stiefel über die Arbeitshose und vorsichtshalber befestigte ich meine Sporen. Aus dem Schrank funkelte mich die Schutzweste an, die ich ebenfalls überwarf.
      “Du siehst aus, als hättest du großes vor”, betrachte meine Kollegin mich interessiert. Die dunkle Stute hatte bereits Gamaschen an den Beinen und ließ entspannt die Unterlippe hängen.
      „Ich möchte es nicht riskieren, schließlich steht Großes auf dem Plan“, erläuterte ich meine Intention.
      “Ich denke nicht, dass da notwendig sein wird, aber deine Sache”, sprach sie und verschwand mit einem winzigen Schmunzeln auf den Lippen in die Sattelkammer. Wenig später kehrte sie zurück, mit Sattel und Trense. Mit dem Schließen des Gurtes erwachte die Stute langsam aus ihrer Ruhephase, stellte alle vier Hufe wieder auf den Boden und streckte sich vom Hals zum Rücken.
      „Wirklich gut sieht der Sattel nicht aus“, stellte ich auf ersten Blick fest und löste den Gurt wieder. Eher teilnahmslos stand Lina daneben und beobachtete, wie ich mit der Hand am Polster entlangfuhr. Bereits in der Mitte bildete sich eine Brücke. Zudem kippte der Sattel leicht nach hinten, was ihr ebenfalls Schmerzen bei Belastung bereitete. Einzig mit einem Kopfschütteln kommentierte ich das vor mir liegende und nahm ihn herunter. Aufgrund der kurzen Sattellage sowie vergleichbar breiten Kammer würde so schnell keinen Ersatz in der Sammlung finden, stattdessen holte ich eins der dicken Korrekturpads. Hinsichtlich der Situation würde es der Stute Erleichterung bringen, aber war ganz klar, keine Lösung auf Dauer. Ich legte das Pad zwischen Sattel und Schabracke. Gebiss und Trense passten aus meiner Sicht, also schloss ich den Helm und führte das Pferd zum Reitplatz hinaus.
      Der Sand war frisch abgezogen. Ein leichter Wind wehte den Duft von Frühling an uns heran. Zum Beginn wärmte ich Redo vom Boden aus auf. Sie arbeitete konzentriert, wenn auch holprig. Vermutlich kamen ihr die Hilfen spanisch vor, aber sie versuchte es nach ihren möglichen Kräften. Dann zog ich den Gurt ein Loch fester und schwang mich in den Sattel. Wie vermutet, saß ich wie Prinzesschen auf der Erbse und um Längen breiter als auf anderen Pferden. Obwohl ich mich nicht wohlfühlte auf dem Kaltblüter, nahm ich mich dem Problem an. Von Anfang an trieb ich aktiv, hörte jedoch auf, wenn sie das geforderte Tempo erreichte. Dann lobte ich ausgiebig. Zumindest ergab sich mir, warum Lina so geschafft war, wenn sie von Redo abstieg.
      „Jetzt siehst du, was ich meine und du hast noch Glück, dass sie heute nicht auch noch die Stute raushängen lässt“, seufzte Lina, „so extrem treibig ist sie fast nur in der Bahn.“ Die Kleine wirkte ziemlich unglücklich darüber, dass sich die Rappstute bei mir nicht wirklich anders verhielt. Allerdings wärmte ich das Pferd noch auf, welche große Veränderung sollte dabei auftreten?
      „Mit Stuten kann ich umgehen, allerdings kennen wir uns nicht“, versuchte ich sie mit den Fakten etwas zufriedener zu stimmen, was keinerlei Veränderung bewirkte. Nach einem Handwechsel begann ich die Zügel kürzer zufassen und auf gebogenen Linien, die Rittigkeit zu fördern. Zwischendrin stoppte ich, richtete rückwärts und versuchte jede folgende Lektion unvorhersehbar zu gestalten. Damit kam ich voran. Redo hielt ihre Ohren bei mir und war leicht in der Hand. Je schneller die Wendungen und Figuren wechselten, umso genauer reagierte sie auf meine Schenkelhilfe. Durch das vermehrte Untertreten kam sogar ein annehmbares Tempo zustande. Schließlich trabte ich an. Energisch trieb ich sie voran und schob im Sattel das Pferd voran. Der erste Tritt ohne Hilfe folgte und ich parierte wieder durch in den Schritt, um die Hand aus der Ecke heraus zu wechseln und den Schenkel anzulegen. Es wurde deutlich besser. An meine Vorstellung von der korrekten Umsetzung der Hilfen kam das schwarze Pferd jedoch nicht heran, aber es war mein Problem. Lobend holte ich sie zurück und ließ sie abkauen. Gerade einmal zwanzig Minuten arbeiteten wir intensiv. Redo blähte aufgebracht ihre Nüstern, kam allerdings der Losgelassenheit nahe. Lina beobachte das Ganze von der Bande aus, betrachte jeden Tritt mit Argusaugen, wobei sich ihr Gesichtsausdruck nur geringfügig veränderte. Nach wie vor wirkte sie mit der Gesamtsituation nicht glücklich.
      “Ach Lina, was stört dich denn so?”, seufzte ich, den Hals der Stute tätschelnd.
      “Wozu mache ich das eigentlich …”, murmelte sie, ”das hat doch alles keinen Sinn.” Wie sie das so sagte, bekam ich das Gefühl, dass das Problem nicht allein bei der Stute lag.
      „Muss alles einen Sinn ergeben? Grundsätzlich verdienst du Geld auf dem Hof und die hier, sind deine Freizeitbeschäftigung, etwas eintönig, aber ist doch schön, wenn dich etwas begeistert“, versuche ich gewählt mich auszudrücken. Die Sorgen und Ängste anderer zogen sich durch mehrere Generationen und aus irgendwelchen Gründen suchte jeder nach einem Sinn. Vielleicht war der Sinn, Spaß zu haben und das sollte doch reichen.
      Sie seufzte: “Vielleicht hast du recht.”
      „Dann reitest du mal deine Tonne ab, ich habe noch zu tun“, sagte ich schließlich und sprang aus dem Sattel. Lina drückte ich die Zügel in die Hand, um schließlich im Stall wieder meine Ausrüstung abzulegen und in die bequemeren Stallschuhe zu steigen. Alles andere fand seinen Platz zurück in den Schrank.

      Vor Stunden überlegte ich noch, ob ich wirklich die Lust und Energie hatte, erneut nach Kalmar zu fahren. Allerdings fiel die Entscheidung recht schnell, als Lina begann an mir zu hängen wie eine Klette. Ihr fehlte die Beschäftigung, also schob ich ihr Blávör zu, die ich seit Monaten mit ritt. Max war ohnehin egal, wer seine Stute bewegte, solang sie mal vom Paddock konnte. Für Humbria stand schnelles Fahren auf dem Trainingsplan und erstaunlich gut, konnte Lina im Galopp mithalten. Zwischendurch verlor sie den Anschluss und kürzte dann ab. Auch bei den nächsten Trainingspferden wurde ich sie nicht los. Es war ein Tag, an dem auch Nour wenig Zeit für sie übrighatte und die kleine Brünette nur schwer selbstständig eine Beschäftigung fand. Im Wald trafen wir auf Alexa, die, mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, auf Happy einen Ausritt veranstaltete.
      Mit den Worten „ich fahre gleich zu Basti“ wurde ich schließlich meinen Anhang los. Sie interessierte sich blendet dafür, was ich auf dem Hof wollte, aber konnte sich nicht dazu durchringen, danach zu fragen, ob sie mitdürfte. An der Fernstraßenauffahrt rauschte Niklas in seinem Porsche an mir vorbei, was mir zumindest beantwortete, wieso sie nicht gefragt hatte. Vor den Ställen parkte ich das Auto ab und begab mich auf die Suche nach Basti.
      „Vriska, oder?“, fragte ein junger Herr, wenige Jahre jünger als ich.
      Zustimmend nickte ich. Er stellte sich als Timo vor. Binnen kürzester Zeit ergab sich eine nette Unterhaltung. Seit ungefähr einem Jahr war er auf dem Hof, pflegte die Pferde und übernahm den Großteil der anfallenden Stallarbeit. Dabei hatte er überhaupt keine Erfahrung im Umgang, benötigte einzig etwas Geld zum Leben.
      “Basti müsste gleich so weit sein, wollen wir noch eine rauchen?”, fragte Timo und hielt mir seine Schachtel Zigaretten entgegen. Dankend nahm ich das Angebot an.
      „Über dich wird viel gesprochen“, sagte er plötzlich, als kurzzeitiges Schweigen eintrat.
      „Das passiert mir häufiger“, schmunzelte ich, um die Verlegenheit zu überspielen. Je häufiger ich es hörte, umso schlechter kam ich mir dabei vor.
      „Also kaufst du viele Pferde?“, wunderte sich Timo.
      „Nein, das nicht“, ich wollte gerade zum ‘aber’ ansetzen, als Basti hinter einem Stallgebäude hervorkam und mich angrinste. Obwohl ich versuchte, meinen Gesichtsausdruck möglichst neutral zu halten, spürte ich den Widerstand im Kiefer. Bis zum Hals schlug mein Herz, so sehr, dass die Finger aufgrund der fehlenden Durchblutung begannen zu kribbeln.
      „Schön, dass du es einrichten konntest“, begrüßte er mich. Seine Augen wanderten unentschlossen über meinen Körper, als wüsste er ebenso wenig, ob eine Umarmung angebracht wäre. Ich zog einen Mundwinkel nach oben.
      „Danke für deine Hilfe, Timo, wenn du möchtest, darfst du Feierabend machen. Den Rest schaffen wir allein“, verabschiedete er seinen Angestellten und zusammen liefen wir in den Stall. Kaum hatte Basti einen schweren Schritt auf den Beton gesetzt, hörte man das Brummen mehrere Pferde. Einige drehten sich, um den Kopf über weiß gestrichene Fronte zu strecken. In jeder Box stand eins, hauptsächlich Braune, zwischendurch ein Rapp oder Fuchs. Meltdown konnte ich nirgendwo entdecken, allerdings gab es noch zwei weitere Gebäude.
      „Dann erzähl doch mal“, wir setzten uns in einen kleinen Aufenthaltsraum. Die Wände waren mit rötlichem Holz vertäfelt, darüber hingen Bilder. Sie zeigten allerlei Erfolge der Familie und auch welche von ihm entdeckte ich dazwischen. Aktuell waren diese nicht, das aktuellste war von 2013, also lagen acht Jahre zu heute dazwischen. Basti zündete sich darin eine Zigarette an. „Wie läuft es mit Mockup?“
      “Ich dachte, dass ich hier sei, um deine Pferde zu begutachten?”, fragte ich eingeschüchtert, noch immer überwältigt von dem, was mich umgab. Auf einem Schrank standen unordentlich Pokale und Decken übereinandergestapelt, die vermutlich zu den Auszeichnungen gehörten.
      “Hast du es eilig? Abhalten von deinen Plänen, möchte ich dich natürlich nicht”, grinste er im Begriff, sich aus dem Plastikstuhl zu erheben.
      „Nein, ich habe Zeit mitgebracht“, stoppte ich sein Vorhaben. Er legte den Arm wieder locker auf die Lehne und drückte sich in das bedrohlich knackende Plastik. Leicht bogen sich die Beine nach hinten.
      Ich begann zu erzählen vom Stress in der Führanlage, aber dass er sonst, gute Fortschritte machte. Dass ich ihn bisher noch nicht gefahren war, verschwieg ich Anfangs. Durch seine immer spezifischer werdenden Fragen kam diese Tatsache zügig ans Tageslicht.
      „Also startet ihr nicht in Visby?“, hakte er skeptisch nach.
      „So genau habe ich darüber noch nicht nachgedacht. Bruno fährt bestimmt samt Familie hinüber, aber wir haben bisher keine Nennung gemacht“, erklärte ich. Vorsorglich schaute ich im System nach, das meine These bestätigte.
      „Hoffentlich entscheidest du dich noch dazu. Ich würde gern Mocki mit dir sehen.“
      Basti drückte die Zigarette aus und stand auf. Interessiert folgte mein Blick, um zu erfahren, was er vorhatte. Er öffnete den kleinen weißen Schrank und holte einen dunkelblauen Fleecepullover heraus. Wie eingefroren starrte ich ihn an, als Basti den dicken Pullover über den Kopf zog und oberkörperfrei im Raum stand. Unbewusste schnappte ich nach Luft, denn obwohl er nicht dem Katalogmann in meinem Kopf entsprach, regte sich deutlich etwas in mir. Seine eher schmale Silhouette schmeichelte mir sehr und dem kurzen Blick zu mir entnahm ich, dass sich bewusster war, was er tat, als er zugeben wollte.
      Ich schluckte.
      „Wollte mich noch entschuldigen“, stammelte ich überfordert.
      „Wofür?“ Basti runzelte die Stirn, dabei zog er die Arme in die Ärmel.
      „Für die komische Nachricht vorhin“, kam es wie Balsam für die Seele von den Lippen. Meine Augen richtete ich Richtung Boden, um seinem Gesichtsausdruck zu entkommen. Ich spürte den strengen Blick förmlich auf der Haut brennen. Noch deutlicher formte sich ein Kribbeln in der Körpermitte. Langsam hob ich mein Kinn nach oben. Bedrohlich nah stand er bei mir, zumindest so nah, dass ich hätte meine Arme ausstrecken können, um ihn zu berühren.
      „Es muss dir nicht leidtun. Ich habe deine Nachricht bereits verstanden“, schmunzelte Basti und ich meine, in der Tonlage etwas Verführerisches zu entdecken. Mittlerweile hatte er den Stoff über den Körper geführt, obwohl ich mir wünschte, einen längeren Anblick auf seine freiliegende Haut gehabt zu haben. Dennoch war jeder Moment mit ihm ein inneres Blumenpflücken.
      „Gut, ich wollte das nur klarstellen, denn“, kaum hörbar, kam ein Seufzen hervor und verschluckte die letzten Worte.
      „Mh? Denn was?“, hakte er sogleich nach.
      „Nicht wichtig. Also, bei wem soll ich Hand anlegen?“, wechselte ich das Thema. Ich wusste bisher nur von Netflix, allerdings konnte ich mir vorstellen, dass mir direkt weitere Pferde zugeschoben werden, wenn ich schon mal da bin. Ebenso war es bei dem letzten Mal.
      „Du provozierst es aber auch, dass man dich falsch versteht, oder?“, scherzte Basti. Peinlich berührt schlug das Herzklopfen um und flutete mein Gesicht mit Blut. Für einen Moment vergrub ich es in meinen Händen.
      “Man, du machst mich irre”, jammerte ich und folgte ihm in den Stall.
      „Ich dachte an Netflix und Ole. Nelly wollte, dass du dir Crazy anschaust, aber ich brauche dich lebend“, sprach er ohne auf meine Aussage einzugehen. Die Worte ließen mich mit gemischten Gefühlen zurück. Einerseits war die bloße Erwähnung ihres Namens ein Messerstoß ins Herz, andererseits fühlte ich mich geschmeichelt, dass er mich brauchte.
      Aus der Box führte Basti den ersten Rappen heraus, putze ihn und ich fühlte ihm auf den Zahn. Gedanklich versuchte ich mich von dem mich umgebenden zu distanzieren, obwohl ziemlich schwer war, wenn er neben mir saß und jeden Handgriff beobachtete. Zwischendurch zog er das Handy hervor und tippte darauf herum. Was darauf genau geschah, sah ich nicht. Aber Basti grinste. Neugier brannte bis zu Nägeln, jedoch hatte ich die Baustellen des Pferdes zu begutachten. Die Praktik brachte Netflix bereits nach zehn Minuten Entspannung. Langsam schlossen sich seine Augen und er kaute genüsslich.
      “Meine Güte. Auf den Luxus deiner Zauber-Fingerchen kann man nur neidisch sein”, sprach Basti aus der Stille heraus, mit einem Grinsen auf den Lippen.
      “Wieso sollte man darauf neidisch sein? Jeder kann das lernen”, stellte ich mit leichter Irritation fest.
      Amüsiert schnappte er nach Luft.
      “Diese Unschuld in deinem Verständnis finde ich bemerkenswert”, gab Basti offen zu verstehen. Vermutlich war Linas Naivität ansteckend, dabei versuchte ich ein Blatt vor den Mund zu nehmen, um mich ins rechte Licht zu rücken.
      „Sag‘ doch, was du möchtest, dann kann ich dir besser behilflich sein“, schlug ich vor, ohne den Blick vom Pferd abzuwenden.
      „Woran denkst du denn?“
      „Das steht hier nicht zur Debatte“, knackend löste sich eine Verspannung im Rücken und Netflix schüttelte sich schnaubend, „ich möchte wissen, worauf du anspielst.“
      “Wir verschieben das Gespräch”, seufzte Basti überraschend distanziert und stand auf.
      “Ich warte ungern und nicht lange”, stellte ich zum Schluss noch fest.
      Es trat Schweigen ein. Mit gekonnten Bewegungen löste er den Strick und brachte Netflix zurück in die Box, um schließlich Ole zu holen. Für den Großteil meiner Beschäftigung war Basti verschwunden und kehrte erst zurück, als die letzten Griffe an der Kruppe machte. An dem Schecken war weniger verspannt, sodass wir schnell in den Zustand der Losgelassenheit kamen. Die angesprochene Stute wurde mir nicht bereitgestellt. Wir rauchten gemeinsam eine Zigarette bei mir am Auto, tauschten Floskeln und Vermutungen zum Renntag in Visby auf, bevor ich gekränkt in den Stall fuhr. Niklas’ Fahrzeug stand tatsächlich auf dem Parkplatz, also hatte ich Ruhe vor Lina.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // Vriska Isaac // 38.552 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende April 2021}
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    26 März 2022
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    Note: EXIF data is stored on valid file types when a photo is uploaded. The photo may have been manipulated since upload (rotated, flipped, cropped etc).


  • Rufname: Crashi, Humi
    Alter: 4 Jahre / geboren: 2018

    Aktueller Standort: Lindö Dalen Stuteri, Vadstenalund [SWE]
    Unterbringung: Stutenpaddock

    –––––––––––––– a b s t a m m u n g

    Aus: Vakany

    MMM: Ysun ––––– MM: Mystical Star ––––– MMV: Pacey
    MVM: Cor de la Bryére––––– MV: Co Pilot de la Bryére––––– MVV: (Larnella)


    Von: Huracan
    VMM: Unbekannt ––––– VM: Unbekannt ––––– VMV: Unbekannt
    VVM: Unbekannt ––––– VV: Unbekannt ––––– VVV: Unbekannt


    –––––––––––––– b e s c h r e i b u n g

    Geschlecht: Stute
    Rasse: Barock-Reitpferd [BRP]
    Farbe: Mausfalbeschecke
    Abzeichen: Scheckungsbedingt (Kopf, Beine)
    Stockmaß: 165 cm

    Charakter:
    Anhänglich, neugierig

    *Könnte Kleidungsteile entfernen
    *Denkt, es sei ein Labrador
    *findet blöd, dass die anderen Stuten nicht spielen

    –––––––––––––– g e s u n d h e i t

    Gesamteindruck: gesund, im Training
    Krankheiten: keine
    Beschlag: Barhufer

    –––––––––––––– z u c h t

    Stand: 26.03.2022

    [​IMG]

    Gencode: Ee aa nD nO
    DMRT3: -
    Herkunft: Whitehorse Creek Stud, Cadomin [CAN]
    Züchter: Whitehorse Creek Stud

    Zuchtzulassung: Nein
    Zugelassen für: -
    Verleih: Nein [-]

    Gesamtnote: -
    Breeders Crown: -
    Gänge: 3

    Nachkommen:
    -

    Schleife
    Veranstaltung


    –––––––––––––– l e i s t u n g

    [​IMG] [​IMG] [​IMG]

    Dressur A [M] – Springen E [A] – Military E [M] – Fahren E [E] – Western A [A] – Distanz E [L]

    September 2022 Harmonie in der Working Equitation, Western E zu

    Niveau: National


    August 2022
    Dressur E zu A

    –––––––––––––– s o n s t i g e s

    Ersteller: Mohikanerin
    VKR: Mohikanerin
    Bezugsperson: Jeder, der eine Birne dabei hat
    Besitzer: Tyrell Earle

    Punkte: 2

    Abstammung [4] – Trainingsberichte [2] – Schleifen [0] – RS-Schleifen [0] – TA [0] – HS [0] – Zubehör [0]

    –––––

    Spind – Hintergrund