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Mohikanerin

// Vrindr von Atomic [0]

v. Ártali van Ghosts / a.d. Willa

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// Vrindr von Atomic [0]
Mohikanerin, 11 Okt. 2022
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    • Mohikanerin
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      kapitel fyra.ett | 15. September 2021

      Otra // tc Herkir // Milska // Vrindr von Atomic // Narcissa // Iridium // Spooky Gun For Mister Einstein

      Im Kampf gegen die Armut tat ich alles, was konnte. Doch, das Ende nahte. Die letzten Ersparnisse steckte ich in die Behandlung von Otra, die sich schwer am Huf verletzte und ein Geschwür bildete. Nun war ich pleite, nicht in der Lage einen Kredit aufzunehmen und keines der Verkaufspferde fand einen Besitzer, somit blieb mir nur eine Sache – Ich musste das Gespräch suchen und mit Tyrell eine Lösung finden. Dann kam noch Ilja, aber eine Sache nach der anderen.
      Die Reitschule lief außergewöhnlich gut und die Kinder hatten auch Spaß dabei, die Pferde auf Turnieren vorzustellen. Somit konnte ich mit einem gewissen Einkommen jeden Monat rechnen, aber durch Otras Klinikaufenthalt musste ich nicht nur ein wertvolles Reitschulpferd auf unbestimmte Zeit in Rente schicken, sondern auch Kosten auf mich nehmen, die schier unmöglich waren, zu bewältigen. Glymur hatte einige Wochen später auch mein letztes Geld verschlungen, ja, Tyrell gab einen großen Anteil dazu, um Vriska diese Chance zu ermöglichen, aber aktuell, brachte er nicht die Einnahmen, die wir uns erhofften. So auch mit Herkir. Er stand nach seiner Ankunft in Schweden zwar bei einem benachbarten Gestüt zum Decken für vier Wochen, aber nur wenige der Stuten haben aufgenommen und einen weiteren Deckakt wollten die Besitzer nicht. Somit erstattete ich einen Teil des Betrags.
      „Na komm“, sagte ich freundlich zu Vrindr, der ich das grüne Halfter über den Kopf zog und aus dem Paddock holte. Die junge Stute war erst seit einigen Wochen unter dem Sattel, aber beherrschte bereits die Grundelemente des Reitens. Sie verstand den Schenkel und auch den Einsatz des Zügels. Die Grundgänge saßen und bei Übergängen zum Schritt, kamen auch gerne einige Schritte Tölt. Für den heutigen Tag hatte ich mir vorgenommen die Gymnastizierung im Sattel zu beginnen. Deswegen sattelte ich sie nach dem Putzen. Misstrauisch sah ich hoch zum Himmel. Aus der Ferne zogen dunkle Wolken auf, nach dem den ganzen Tag strahlend blauer Himmel sich zeigte und ich mit Milska sogar im Shirt ausreiten war.
      „Hoffentlich werden wir nicht nass“, lachte ich und stieg nach einigen Runden im Schritt auf. Elsa saß geduldig am Zaun, beschäftigt, ihren Ball noch weiter kaputtzumachen. Unruhig laute die Stute auf dem Gebiss herum, rollte sich ein und trat einige Schritte zurück, als ich Zügel fasste zum Aufsteigen. Ich wartete, bis sie ruhiger wurde, erst dann, legte ich mich über den Sattel. Weiter trat sie zurück und ich führte Vrindr erneut eine Runde über den Platz. Erst bei dem dritten Anlauf zu den Aufstiegen blieb die Stute ruhig und akzeptierte, dass sich jemand auf sie setzen wollte. Sie schnaubte ab. In einem gleichmäßigen Viertakt drehten wir weitere Runden im Schritt, auf der ganzen Bahn und auf dem Zirkel. Zunehmend zog ich den Zügel nach und motivierte sie dazu, sich mehr fallenzulassen und aktiver Vorwärtszutreten. Im Trab fiel es ihr leichter sich zu senken und sogar vorwärts abwärts zu laufen. So entschied ich die ersten seitwertsweisenden Hilfen einzusetzen. Vom Boden aus gelang es Vrindr bereits die Schulter und die Kruppe zur geforderten Seite zu senken und darauf wollte ich aufbauen. Ich hatte mir die Gerte zur Hilfe genommen, um sie zielgenau zu punktieren. Am Himmel kamen die dunklen Wolken immer näher, was auch die Stute zunehmend verunsicherte und als ein plötzlicher Sturzregen begann, ritt ich sie ab. Elsa flüchtete in die Sattelkammer und einige Zeit später, waren auch wir im Trockenen. Ich legte der Scheckin eine Abschwitzdecke drüber und wechselte meine Jacke. Der Regenschauer wurde nicht weniger, aber normalisierte sich in eine gleichmäßige Frequenz aus Tropfen, die nicht mehr Eimerweise vom Himmel flossen.
      Die restliche Planung des Tages hatte sich erledigt und ich brachte die Stute zu den anderen. Ich wollte ursprünglich noch Cissa Korrektur reiten, da sie in der letzten Reitstunde sehr zickig wurde und jegliche Hilfen ignorierte, nur stupide geradeaus lief, angeheftet an den anderen Pferden vor ihr. Somit widmete ich mich meinem Haushalt. Nach dem Duschen, Essen und Raubtierfütterung rief den kleinsten der Familie zurück. Ilja versuchte seit Tagen mich zu erreichen, doch jedes Mal schlief ich oder war mit Reitunterricht beschäftigt. Es tutete eine ganze Weile, bevor den Anruf entgegennahm. Er klang erleichtert und auch freute mich mal wieder seine Stimme zu hören.
      „Aber jetzt komm bitte zur Sache, deine Nachricht klang sehr ernst. Was ist los?“, fragte ich nach einer Weile Small-Talk. Natürlich ahnte ich, worauf es hinauslief, aber hoffte innerlich auch, dass es nicht so drastisch sein würde. Doch damit lag ich falsch.
      „Mylessa hat sich von mir getrennt. Von einem auf den anderen Tag sollte ich Iri und Einstein holen. Nun sitze ich hier, irgendwo an der Grenze zu Kanada und muss in weniger als sechzig Stunden das Land verlassen, weil mein Visum abgelaufen ist. Bruce, ich weiß nicht, was ich tun soll“, schluchzte er am anderen Ende und mir fehlten die Worte. Wie sollten wir innerhalb so kurzer Zeit organisiert bekommen, dass seine Pferde nach Schweden kämen und das ohne Geld? In der Nachricht berichtete er, dass alles weg sei, da ihm bei der Reise zum Motel im Bus das Portemonnaie geklaut wurde. Wenigstens seinen Pass hatte er woanders verstaut, sonst wäre es noch schwieriger.
      „Ilja, wir machen das so. Ich versuche morgen mit Tyrell zu sprechen und dann versuchen wir dich und deine Pferde hierherzubekommen, okay?“, blieb ich zuversichtlich. Ihm bliebe noch die Ausreise nach Kanada, aber das verschwieg ich. In mit tausenden Lösungsmöglichkeiten zu bombardieren, würde niemanden ans Ziel bringen, außerdem wäre es schön, wenn das Trio sich wieder vereint.


      © Mohikanerin // Bruce Earle // 5690 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang September 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel nio | 9. Dezember 2021

      Vrindr // Lubumbashi // Form Follows Function LDS // Erlkönig // Alfred’s Nobelpreis // Satz des Pythagoras // Vintage // Forbidden Fruit LDS

      Vriska
      Lubi mümmelte genüsslich ihr Heu, wie alle anderen Pferde auch. Ansonsten war es still im Stall. Trymr lag neben mir auf dem Boden und beobachtete jeden meiner Schritte, während ich der Stute die Decke wechselte und die Transportgamaschen anlegte. Immer wieder sah ich auf mein Handy, hoffte, dass Niklas endlich da sein würde. Erik hatte sich noch immer nicht gemeldet, als hätte es uns nie gegeben, als würde sein haariger Freund nur ein lästiges Anhängsel sein, den er bei irgendjemanden abladen musste. Den ganzen Tag über lief der Hund mit den gespitzten Ohren vor die Tür, vermutlich in der Hoffnung, dass sein Herrchen wieder kommen würde, aber die Enttäuschung war groß, wenn nur einer der Einsteller kam oder Eltern ihre Kinder zum Unterricht vorbeibrachten. Bruce hatte heute bereits zwei seiner Pferde mit in den Reitunterricht eingebaut und alles wirkte so unglaublich vertraut, wie vor drei Jahren. Vor drei Jahren, als ich die Familie kennenlernte und auch mein Herz verlor auf dem Rücken der Tiere. Ich hatte mir Vrindr geschnappt, eine junge und äußerst sture Jungstute aus seiner Zucht. Auf der Ovalbahn drehten wir unsere Runden.
      „Da bist du“, unterbrach Niklas meine innerliche Tageszusammenfassung.
      „Wo dachtest du, sollte ich sein?“, fragte ich, „im Bett wartend auf dich, um von meinem Ritter mit geschwellter Brust gerettet zu werden?“
      Ich lachte.
      „Das wäre mal gewesen!“, grinste auch er, „aber nein, ich dachte schon draußen. Also beeil dich.“
      „Ja, ja. Ich komme schon“, sagte ich, griff nach dem Strick und öffnete die Tür der Box.
      Neugierig erhob sich der Kopf der großen Stute und ihre dunklen Augen funkelten mich erwartungsvoll an. Freundlich strich ich ihr über den Kopf. Dann hängte ich den Strick in den unteren Ring und führte sie hinaus. Hinter mir schaltete ich das Licht aus.
      „Muss der Hund wirklich mit?“, fragte mich Niklas, als Lubi selbstständig die Hängerklappe hinaufstieg und er auf der Fahrerseite einsteigen wollte. Auch mir war nicht ganz wohl bei der Sache, aber offensichtlich ging ich nun unter die Hundebesitzer.
      „Natürlich“, antwortete ich trocken. Dann öffnete ich eine der hinteren Türen, damit er es sich auf der Rückbank bequem machen konnte. Innerhalb von Sekunden verteilten sich kleine graue Haare auf die Rückbank. Ich verstand nun auch, warum Erik so einen Überzog hatte. Vielleicht sollte ich das auch noch kaufen gehen.
      „Warum hast du denn noch?“, kam Niklas auf das Thema über Trymr zurück, während ich noch immer verträumt in seine Richtung sah.
      „Weil“, überlegte ich laut, „ich denke, dass ich mich sonst ziemlich einsam fühlen würde.“
      Verblüfft sah Niklas zu mir, seine Augenbrauen zogen sich zusammen und auf seiner Stirn bildeten sich exakt zwei Falten. Falten, die er von seinem Vater hatte. Falten, die Erik ebenfalls hatte. Ich vermisste ihn.
      „Warum fühlst du dich so?“, zögerte er zu fragen. Zwischen den Worten lagen Pausen. Aber ich wusste es nicht.
      „Es ist einfach so ein Gefühl“, blickte ich zum Fenster heraus, an dem die Lichter vorbeizogen. Wie so oft wurden meine Augen glasig, doch schaffte es, meine Tränen zu verbergen. Ich stellte auch mir selbst jeden Abend im Bett diese Frage, aber es gab keine logische Erklärung. Erst als ich Erik bei mir spürte, auch wenn Fredna stets zwischen uns lag, wusste ich, dass es richtig war. Doch es gab auch Zweifel, die vorrangig in dem Moment neben mir saßen und den Kopf verdrehten. Erik gegenüber fühlte es sich nicht fair an, so zu tun, als wäre da nichts. Ich hätte mit ihm darüber sprechen können, denn er bot von selbst öfter an, endlich die Katze aus dem Sack zu lassen. Aber ich drückte mich davor, denn sobald die Worte ausgesprochen waren, wurden sie real. So wusste ich aber auch, dass es ihm, aus unerklärlichen Gründen, egal war. Ob egal dafür das richtige Wort war? Keine Ahnung, auf jeden Fall würde es kein Problem für ihn darstellen. Für mich sollte es aber klar in meinem Kopf ablaufen, bevor ich mich jemanden vollends nähren konnte. Erik war der Richtige — nur zum falschen Zeitpunkt.
      „Vriska, hast du mir überhaupt zugehört?“, vernahm ich Niklas Worte. Der Motor war verstummt und vor mir leuchteten die Lampen vom Hof in Kalmar.
      „Nein“, gab ich zu, „ich war in Gedanken verloren.“
      „Dann hoffe ich, dass du gleich aufmerksamer bist“, rollte er mit den Augen und stieg aus dem großen Auto. Niklas wirkte plötzlich wieder so distanziert, verärgert. Zu gern würde ich mich erinnern können, was er sagte, aber in meinem Kopf herrschte stille. Ich entschied die Stute am Hänger fertig zu machen und holte sie heraus. Er stand noch einen Moment neben mir und tätschelte tatsächlich den strohigen Kopf des Hundes, den er zuvor von der Rückbank holte. Beide beobachteten jeden meiner Schritte, bis Niklas sich verabschiedete, um Form fertig zu machen.
      „Herr Olofsson?“, verließ es unwiederbringlich meine Lippen. Überzeugt drehte er sich um und blieb stehen. Seine Augen funkelte im Licht der Wegbeleuchtung und bis auf uns, war niemand zu sehen. Unüberlegt trabte ich zu ihm und legte meine Arme um seinen Hals. Alles, was dann passierte, kam aus den Tiefen meines Inneren. Erst rückte ich meine Lippen auf seine, bevor meine Hand langsam den Gürtel seiner Hose öffnete.
      „Vriska, das geht nicht“, flüsterte er mir betörend ins Ohr. Sein lautes Atmen verstummte, als ich die warme Hand sein Gemächt hielt.
      „Soll ich aufhören?“, sprach ich leise und begann seinen Hals zu küssen. Meine Augen hielt ich geschlossen, fühlte eine wohlige Wärme in mir. Es fühlte sich gut an einmal die Kontrolle zu haben. Kontrolle darüber, was ich wollte, was ich fühlte und was ich begehrte.
      „Nein, eigentlich nicht“, noch immer kam die Worte nur zaghaft aus seinem Mund und drückte seine Hände fest an meinen Po, während meine sich weiterhin von oben nach unten bewegte.
      „Aber man erwartet uns schon. Später?“, schlug Niklas dann vor und griff nach meinem Am.
      „Mal schauen, aber ich denke nicht. Hat mir schon gereicht“, schmunzelte ich und wischte meine Hände ab der Hose ab. Wie ein begossener Pudel blickte er an mir herunter, stand angewurzelt an der Stelle und begriff nicht so recht, dass ich Lubi satteln wollte. Ich warf ihm noch einen Luftkuss zu, dann drehte er sich um und lief kopfschüttelnd in den Stall. Gewonnen.
      Die Stute schloss langsam ihre Augen und schnaubte mehrfach ab, als ich die Bandagen an ihren Beinen befestigte. Den halben Tag lang übte ich das zusammen mit Bruce. Ich war natürlich noch nicht ansatzweise so schnell wie die anderen, aber immerhin stimmte nun das Ergebnis.
      „Kandare heute“, kam Chris zu mir gelaufen, der vermutlich von Nik erfuhr, dass ich auf dem Parkplatz stand. Zum Glück hatte ich sie eingepackt. Ich öffnete die knarrende Tür des Hängers, nahm das Zaum und hängte das andere zurück. Am Halfter führte ich Lubi zur Halle, gefolgt von Chris mit seinem Wallach.
      „Du machst Erik krank vor Sorge, weißt du das?“, sagte er aus dem Dunst heraus. Trymr spitze seine Ohren und drehte sich um, als suche er nach ihm. Aber natürlich war er nicht da und der Hund folgte mir weiter. Ich zuckte mit den Schultern und blieb stumm.
      „Vriska, was ist dein Problem?“, wurde er ernster.
      „Ich bin das Problem“, antwortete ich wenig überrascht und trieb die Stute etwas aktiver.
      „Na immerhin hast du das erkannt“, lachte er, „dann muss das mit Niklas auch enden.“
      „Aha“, versuchte ich meine Abneigung dem gegenüber zu überspielen.
      „Ich habe euch gesehen, deswegen sage ich das. Wenn er dir so wichtig ist, dann stell dich nicht zwischen seine Beziehung“, mahnte er.
      „Er will es auch“, zuckte ich mit den Schultern.
      „Ja, aber er kann nicht nein sagen. Deswegen musst du stark sein“, setzte er unbehelligt fort, „deine Probleme sind klein im Vergleich zu seinen.“
      Ach so ist das also, regte ich mich innerlich auf. Ich wusste nicht, dass man Probleme miteinander vergleichen konnte, um zu beurteilen, welche größer waren.
      „Und das schließt du woraus?“, erkundigte ich mich.
      Chris seufzte.
      „Ich weiß es einfach. Aber: wenn du ihm eine gute Freundin sein willst, dann stelle dich zurück und konzentriere dich auf das, was du haben kannst“, bar er mich erneut. Abstreiten, dass er recht hatte, konnte ich nicht. Seine Einwände waren berechtigt und vermutlich war es auch das, was ich hören musste.
      „Warum sagst du mir so was überhaupt?“, fragte ich im Moment der Stille, bevor wir den Flur zur Halle betrachteten. Chris blieb stehen und sah mir tief in Augen.
      „Ganz einfach“, begann er und atmete noch einmal tief durch, „es nervt unheimlich zwischen den Fronten zu stehen. Du hetzt die beiden immer mehr aufeinander auf und siehst es nicht einmal.“
      Das traf mich nachhaltig. Direkt entfloh ich dem Blickkontakt und setzte die Stute wieder in Bewegung, doch Chris stellte sich uns in den Weg.
      „Bitte Vriska, wenn dir beide so wichtig sind, wie du augenscheinlich zeigst, dann entscheide dich für Erik. Du kennst ihn nicht. Deswegen kann ich dir nur sagen, dass er sich noch nie so ins Zeug gelegt hat, auch wenn er Fehler macht“, plötzlich verstummte er, als wüsste er deutlich mehr als ich. Verwundert zog ich Brauen zusammen und musterte ihn.
      „Ach ja? Fehler also? Was denn?“, hakte ich skeptisch nach.
      „Also hat er nicht?“, seine Worte kamen zögerlich und äußert verhalten.
      „Nein, jetzt sag mir, was du weißt“, drängte ich. Die Neugier in mir verstärkte sich, auch wenn mein Herz es gar nicht wissen wollte. Erik war für mich die Unschuld in Person. Alles, was er bisher für mich tat, erstreckte sich mit mehr Leidenschaft, als ich mir vorstellen konnte. Er war rücksichtsvoll, vielleicht etwas forsch, aber immer darauf bedacht, das Richtige zu tun. Auch wenn es mich in den wenigen Tagen zusammen auf dem Gestüt etwas nervte, dass Erik sich nicht mehr so sehr ins Zeug legte, wie Kanada. Viel mehr war er nur da, beschäftigte sich jedoch nicht mit mir.
      „Du sprichst am besten mit ihm, oder du lässt es. Ich denke, dass das besser für euch beide wäre“, Chris seufzte und sah ins Innere. Auf dem Sand schwebte Niklas bereits auf seiner Rappstute und auch Eskil war zu sehen. Mein kleines Herz freute sich tatsächlich das Riesenbaby wiederzusehen.
      „Wenn du das sagst“, antwortete ich nur und durfte endlich weiter. Trymr legte sich vor dem Tor auf dem Teppich und sah mir geduldig nach. In der Halle holte ich die Kandare aus meiner Jacke und trenste Lubi auf. Entspannt begann sie zu kauen und über die Aufstiegshilfe erklomm ich das Pferd.
      Im Schritt am langen Zügel begann ich auf dem dritten Hufschlag meine Runden mit der Stute zu drehen. Sie schnaubte häufig ab. Hier in der Halle war sie, im Vergleich zur heimischen, entspannter. Ich bekam das Gefühl, dass sich alle Blicke zu mir richteten. Die Anspannung stieg ins Unermessliche und durch meinen Kopf flogen die Gedanken, alles Schlechte erschlug mich. Was machte ich hier eigentlich? Panisch sprang ich vom Rücken der Stute, ließ sie unbedacht stehen und rannte hinaus. Nun sahen wirklich alle zu mir, doch nur Trymr folgte mir. Ich lief einfach, wusste nicht, wohin und wieso, aber ich lief. Meine Schritte fühlten sich gigantisch an, und, obwohl alles um mich herum nur noch schwarz war, zog es an mir vorbei. Plötzlich hörte ich ein Auto, wusste nicht wo, aber ich hörte es. Aus einem wurden immer mehr. Dann öffnete ich die Augen.
      Ich stand auf der Brücke über der Fernstraße. Meine Knie sackten zusammen und ich knallte auf den Boden. An meiner Hand spürte ich etwas Warmes und Weiches. Dann bewegte es sich aufgeregt, berührte mich sanft an der Seite. Entgegen meiner Erwartung war es nicht eins meiner Körperteile. Trymr stand neben mir und versuchte, dass ich aufstand. Aber mir fehlte die Kraft, mich vom kalten Nass zu erheben. Seine Haare kitzelten im Gesicht. Langsam strich durchs Fell, versuchte mir klar darüber zu werden, was gerade schon wieder passierte. Ich machte aus einer Mücke einen Elefanten, ertrug es nicht mehr, ständig der Idiot sein zu müssen und unbewusst eine Freude dabei zu empfinden. Mich nervte es nur noch in meinem Körper zu stecken.
      Wieder berührte mich die Schnauze, jedoch intensiver und mit mehr Elan. Er steckte seinen Kopf zwischen Körper und Arm, lehnte sich vorsichtig an mich heran. Seine Wärme übertrug sich auf mich. Auf Stelle wollte ich einschlafe, wusste aber, dass es mitten im Nirgendwo auf einer Brücke nicht wirklich die klügste Entscheidung war. Es wurde kälter. Der Wind kam auf, durch Lkw und weitere große Fahrzeuge, die alles beben ließen. Ich sah hoch zu den Sternen, den wenigen, die am Himmel standen und nicht durch graue vorbeiziehende Wolken bedeckt wurden. Trymr zitterte.
      > „Ska vi gå hem?
      „Wollen wir nach Hause fahren?“, fragte ich den Hund. Wie vom Blitz getroffen, sprang er auf und der Schwanz wedelte eilig. Meine kalten Beine sträubten sich eine Bewegung, doch aus meiner Kraftlosigkeit drückte ich mich nach oben, schließlich konnte ich nicht ewig hier herumliegen. Ich taumelte beim Laufen, aber Trymr Ponygröße half dabei nicht umzukippen. Innerlichen zählte ich jeden Schritt, wischte mir immer wieder durchs Gesicht, denn die Tränen liefen noch immer, obwohl es mittlerweile viel mehr Schluchzen wurde, als wirkliche Flüssigkeit. Ich konnte sie nicht aufhalten. In mir schrie es, ich zitterte und wollte nicht mehr.
      „Vriska“, kam mir Eskil erleichtert entgegengerannt. In den Händen hielt er eine Decke, als wusste er schon, dass ich ziemlich unterkühlt sein würde.
      „Wir haben uns alle Sorgen gemacht“, sagte er dann. Aus mir kam kein einziges Wort, auch das Wimmern hatte aufgehört. Alles, was mir blieb, war die quälende Leere. Er legte seine warmen Hände auf meine vom Regen durchnässten Schultern und führte mich zur Reithalle, die plötzlich unglaublich heiß erschien. Am ganzen Körper glühte es.
      „Ich denke, du brauchst eine Pause“, kam Herr Holm zu mir. Noch immer starrte ich nach vorn, nichts an mir rührte sich bis auf das Zittern, dass mich begleitete. Immer mehr Leute kamen auf mich zu, redeten auf mich ein, bis Niklas aus der Ferne brüllte:
      > Om ni alla pratar med henne kommer det inte att hjälpa henne. Dra åt helvete.
      „Wenn ihr sie alle vollquatscht, ist ihr auch nicht geholfen. Verpisst euch.“
      Danke Niklas. Bis auf Eskil verabschiedeten sich alle mit gesenktem Kopf und plötzlich waren wir nur noch zu dritt. Herr Holm nickte mir noch zu, wirkte aber ziemlich erleichtert. Seine Worte klangen zuvor enttäuschend, aber ich schätze, dass sie es nicht waren. Zumindest erhoffte ich mir das. Zeit verstrich, wie viel? Keine Ahnung. Ich nahm nur wahr, dass Eskil irgendwann verschwand und Niklas Lubi bewegte. Sie beide flogen über den hellen Sand der Halle, glänzten im warmen Licht der Lampen. Chris' Worte hallten noch immer durch meinen Kopf. Wenn ich etwas für ihn tun will, soll ich mich zurückhalten, stark bleiben. Aber ich war nicht stark, ich schätzte mich schon immer als schwach ein.
      Irgendwann stand ich auf und lief zum Auto. Trymr blieb vor der Tür sitzen. Nur eine Sekunde gab ich ihm, mir zu folgen, bis es mir egal wurde. Es nieselte und der raue Wind zog unter der Decke an meiner nassen Hose entlang. Wieder begann ich zu zittern. In meinen Taschen suchte vergeblich nach meinem Handy und auch den Schüsseln.
      „Du willst doch so nicht nach Hause?“, musterte mich Niklas und folgte mir mit Lubi aus der Halle. Denn Hufschlag hinter mir, hatte weder bemerkt, noch für voll genommen. Alles, was hörte, waren die lüsternen und auch bedrohlichen Stimmen in meinen Kopf, der Wind, der an einem Dach rüttelte und lautes, blechendes Heulen auslöste.
      „Was denn sonst?“, murmelte ich mit heiserer Stimme. Ich konnte offenbar noch sprechen, wenn auch nur sehr unverständlich. Mit meiner Aktion sorgte ich wohl dafür, dass die Erkältung Rückkehrern würde, vielleicht sogar als Lungenentzündung. Im Krankenhaus könnte man mir besser helfen, hoffte ich.
      „Ich kann und will dich so nicht allein lassen“, gab er zu und legte seine Hand auf meine Schulter, „wir bleiben hier im Vereinshaus. Dort gibt es eine Einliegerwohnung, die aktuell leer sein müsste.“
      Mir fehlten die Worte, also schwieg ich. Trymr kam mittlerweile dazu, wedelte sanft mit seinem Schwanz und blickte zitternd an mir hoch.
      „Wenn du es nicht für mich tun willst, dann für einen haarigen Freund. Dem ist auch kalt“, scherzte er und strich dem Hund über den Kopf. Ich sah zu ersten Mal, dass er sich ihm überhaupt nährte. Also nickte ich und begleitete Niklas in den Stall. Die Abschwitzdecke der Stute war mittlerweile auch komplett durchnässt. Er hänge den Stofffetzen über eine Schnur vor der Box und holte aus der Sattelkammer eine andere, während ich langsam den Gurt des Sattels öffnete. Um den Sattel von Rücken zu nehmen, fehlte mir die Kraft. Also schlug ich nur die Bügel über die Sitzfläche und entfernte die Kandare. Lubi hielt ruhig ihren Kopf und begann sich erst zu kratzen, als das Halfter drum war. Die Box quietschte und knarrte. Niklas kam wieder, nahm den Sattel und reichte mir vorher die Decke. Lieblos warf ich sie über das Pferd und befestigte die Gurte.
      „Royal Equest, sehr nobel“, neckte ich Niklas beim Betrachten der gesteppten, dunkelblauen Decke. An der Seite war sein Name geschickt und der seiner Stute in einer geschwungenen Schrift in Gelb. Etwas stolz las ich beides. Dass Form jetzt schon so tief in sein Herz schaffte, bestärkte meine Annahme, dass er mit ihrem guten Karten haben würde.
      Niklas nickte.
      Ich brachte Lubi in eine der freien Boxen, holte noch Heu und dann schalteten wir das Hauptlicht aus. Nur noch einzelne gedimmte Lichter erhellten den Stall, sodass die Tiere nicht im komplett Dunklem standen. Niklas drückte noch auf diversen Knöpfen, deren Bedeutung mir nicht nur unbekannt war, sondern auch vollkommen egal, herum, bis er zufrieden lächelte und die Tür hinter uns schloss. Draußen war Ruhe eingekehrt. Der Wind beschloss nur noch seicht zu wehen und der Nieselregen hatte sich verabschiedet. Trymr zitterte noch neben mir.
      „Kommst du jetzt?“, drehte sich Niklas zu mir um. Ich bemerkte gar nicht, dass er losgelaufen war.
      „Ja“, antwortete ich heiser. Am Wegesrand erhellten uns kleine Lampen den Weg, die in Baumstämmen und anderen Hölzern eingearbeitet waren, bis wir an dem riesigen Haus ankamen, vor dem wir vor einigen Wochen gegrillt hatten. Alles war mit durchsichtigen Folien abgedeckt und wirkte wie bei einem Verkauf, wie man es aus Serien kannte. Dann öffnete er die große schwarze Tür. Im Inneren schaltete sich automatisch das Licht an. Der Flur war lang. Zur Rechten befand sich eine breite Treppe und zwei Türen, auf der anderen Seite waren noch mehr Türen und der Flur endete ich einem weitreichenden Zimmer. Wir nahmen die Treppe, bis Niklas abbog und eine weitere Tür aufschloss. Auch hier erhellte sich alles automatisch. Mitten im Raum stand ein Kingsize-Bett, dass wie frisch bezogen wirkte, dem gegenüber stand ein TV Board und darüber hing ein Fernseher an der Wand. Links stand eine Schiebetür offen zu einem geräumigen Badezimmer und um die Ecke rechts eine kleinere Küche, in der Niklas verschwand. Ich stand wie angewurzelt noch an der Eingangpforte und wusste nichts mit mir anzufangen.
      „Willst du was trinken?“, fragte er.
      Ich nickte.
      „Auch ein Glas Rotwein?“
      „Es ist“, sprach ich, sah zu der Uhr, die in dem kleinen Durchgang hing, „kurz vor drei, warum sollte ich da Alkohol trinken?“
      „Damit du locker wirst“, zuckte Niklas mit den Schultern und nahm beherzt die Flasche. Sie ploppte laut beim Öffnen und er setzte sie an seinen Mund. Wenigstens ein Glas hätte er sich nehmen können.
      „Ich gehe duschen“, murmelte ich und hänge die Decke über einen Stuhl. Dann lief ich zum Badezimmer und holte mir ein Handtuch aus einem kleinen Regal. Alle rochen wie neu und fühlten sich unglaublich weich an.
      „Du wirst wohl noch Kleidung brauchen, oder?“, kam er ungefragt rein und ich bedeckte mich schlagartig.
      „Nächstes Mal klopfst du“, rollte ich mit meinen Augen.
      „Nichts, was ich noch nie sah“, zuckte er wieder mit seinen Schultern und legte mir ein weißes Shirt an die Seite und eine kurze Hose, sowie blaue Socken mit dem Vereinslogo darauf. Besser als nichts, dachte ich und verschwand unter dem warmen Wasser. In meinem Kopf kehrte Ruhe ein, die Stimmen verstummten und ich fühlte mich endlich befreit von allem. Nichts konnte mir diesen Moment vermiesen.
      Ich spürte noch die Wärme an meinen Füßen, die über den Boden in mir aufstieg. Nach der Dusche ging es mir bedeutend besser. Sogar ein Lächeln huschte über meine Lippen.
      „Okay, und wo schlafe ich?“, fragte ich. Niklas klopfte neben sich und hielt die Decke nach oben. Der Fernseher lief, eine Serie schätze ich. Erst als ich einen genaueren Blick darauf warf, stellte ich fest, dass er Wallender schaute, Krimi also. Wer hätte das nur ahnen können? Wirklich wohlfühlte ich mich nicht bei dem Gedanken, mich zu ihm zu legen, erst recht nicht, weil er bis auf einer Unterhose nichts trug, aber ohne zu protestieren oder meine Bedenken zu äußern, kroch ich unter die Decke. Trymr hatte ein provisorisches Abendessen von Niklas bekommen und lag müde auf einem Teppich zwischen Bett und Fernseher. Kurz sah er auf, als ich mich ins Bett legte, aber senkte sich direkt wieder. Niklas richtete sich auf, legte seinen Arm gekonnt um mich und kam mir deutlich näher, als ich wollte. Im nächsten Moment spürte ich seine Hitze an mir, die auch umgehend unter meiner Haut zuckte und ein Ziehen im Unterleib auslöste. Mein Kopf lag an seiner Schulter und meine Hand auf seiner Brust. Leichte Stoppeln fühlte ich beim sanften Streichen darüber und seine Muskeln zuckten.
      „Vriska?“, flüsterte Niklas, ich murmelte, „schläfst du schon?“
      Jetzt nicht mehr. Ich öffnete meine Augen wieder, nur leicht, aber sie waren offen.
      „Was ist denn noch?“, fragte ich verschlafen.
      „Du reitest morgen früh noch mal, bevor wir abfahren. Da sind wir allein in der Halle“, strich er mir liebevoll einige Strähnen aus dem Gesicht. Ich nickte bloß, bevor mich das Land der Träume wieder einholte.

      Lina
      Niklas Auto stand noch immer im Hof, obwohl es schon halb elf war. Die beiden hätten schon längst zurück sein sollen vom Training und so allmählich begann ich mir Sorgen zu machen, ob vielleicht etwas passiert sei. Immer wieder tigerte ich ruhelos durch die Wohnung, blickte auf mein Handy oder starrte aus dem Fenster in der Hoffnung Scheinwerfer oder so etwas zu erkennen. An Schlaf konnte ich nicht einmal denken, nicht so lang ich im Ungewissen schwebte. Im Fernsehen lief irgendein seltsamer Film, keine Ahnung worum es ging, denn ich schaffte es keine zwei Sekunden der Handlung zu folgen. Eigentlich hatte ich ihn nur eingeschaltet, in der Hoffnung ein wenig Ablenkung zu finden, doch das Gebrabbel, nervte mich ziemlich bald, sodass ich ihn ausschaltete. Die plötzliche Stille zwischen den Wänden wirkte unheimlich, sorgte nur dafür, dass ich noch nervöser wurde. Ich wünschte, meine Schwester wäre noch hier, sie wusste immer was zu tun war oder zumindest wie sie mich beruhigen konnte.
      Zusammengekauert saß ich auf der Couch, starrte abwechselnd auf die Uhr an der Wand und mein Handy. Die Zeiger näherten sich allmählich immer mehr Mitternacht und mit jeder verstreichenden Sekunde wuchs meine Anspannung nur noch mehr.
      Bereits vor einer Stunde hatte ich Niklas eine Nachricht geschrieben, warum sein Auto noch immer dastand, ob alles okay bei ihnen sei, doch bisher kam nichts zurück. Es war nicht ungewöhnlich nicht sofort eine Antwort von ihm zu erhalten, aber das war in diesem Fall nicht gerade beruhigend.
      Endlich verkündete mein Handy mit ein Ping, den Eingang einer Nachricht. Als ich vom Sofa aufsprang, stieß ich beinahe die Tasse von dem kleinen Tischen herunter, so eilig griff ich nach dem Gerät. Was ich dort las, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren und ich musste es mehrfach lesen, bevor ich glauben konnte, dass ich mir das nicht nur einbildete. Nein, die Worte standen ganz eindeutig da, Vriska hatte versucht, Selbstmord zu begehen.
      Wie fremdgesteuert tippten meine zitternden Finger eine Nachricht, hoffte, dass es ihr den Umständen entsprechend gut ging und dass ich froh war, dass er sich um sie kümmerte. Keine Ahnung, ob das die richtigen Worte in einer solchen Situation waren oder ob es überhaupt richtige Worte geben konnte.
      Eine Ewigkeit starrte ich nur auf den dunklen Bildschirm vor mir, unfähig mich zu regen oder einen Gedanken zu fassen. Um mich herum schien es noch stiller geworden zu sein, einzig mein rasender Puls drang in meine Ohren.
      Scheiße, war der erste Gedanke, der durch meinen Kopf schoss. So schlecht ging es ihr also, so schlecht, dass sie offenbar keinen Ausweg mehr sah. Wie hatte ich das nur übersehen können? Vriska lebte direkt vor meiner Nase und ich hatte es nicht mitbekommen! Wie konnte das passieren? War ich so mit mir selbst gewesen, dass ich gar nicht richtig merkte, was um mich herum geschah? War ich jetzt ein schlechter Mensch, weil ich mich erst um mein eigenes Seelenheil gekümmert hatte? Tausende solche Fragen schossen mir durch den Kopf, darunter auch immer wieder die Frage, ob ich etwas hätte ändern können, wenn ich mich anders verhalten hätte oder mehr auf Vriska geachtet hätte.
      Zufällig richtete sich mein Blick auf die Uhr. Erst jetzt nahm ich wahr, dass es schon weit nach einer Uhr war, auch wenn meine Gedanken immer noch Karussell fuhren sollte ich zumindest versuchen zu schlafen, ich würde meine Energie noch benötigen. Mein Leben war zwar ein Ponyhof, aber Ponys bewegten sich nicht von allein. Mechanisch, wie ein Roboter machte ich mich bettfertig, versuchte meine kreisenden Gedanken zu ignorieren, doch sobald ich im Bett lag und in die Dunkelheit starrte, kam diese in voller Intensität zurück. Erst in den frühen Morgenstunden verstummten sie endlich und ließen mich in einen traumlosen Schlaf sinken.

      Vriska
      Die Nacht war kurz, aber äußerst erholsam. In meine Nase kroch ein würziger und schmackhafter Geruch, der mir Wasser in den Mund laufen ließ. Langsam öffnete ich meine Augen und drehte mich wie üblich durchs Bett, streckte mich, bevor meine Füße auf den warmen Boden trafen. Dass Niklas nicht mehr im Bett lag, fiel mir zwar auf, aber kümmerte mich nicht. Denn dem Geruch zufolge stand er in der Küche und machte sich Frühstück. Trymr stand vor mir, freute sich und begann mit seinem täglichen Ritual. Seine düstere Stimme bebte bei jedem Jaulen. Aufgeregt trat er herum und legte seinen Kopf auf meinen Oberschenkeln ab.
      „Ach schön, du bist pünktlich wach“, trat Niklas aus dem Zwischengang zur Küche hervor. Immerhin hatte er es geschafft, eine Hose anzuziehen. Sein Oberteil fehlte noch, damit ich mich nicht noch schlechter fühlte hier zu sein, als ich es tat. Ich wendete meinen Blick von seinem Körper ab und widmete mich wieder dem Hund.
      „Er war schon unten und hat auch gegessen. Also kannst du dich einzig allein auf dich konzentriert“, strahlte er und drehte sich wieder weg. Verdutzt sah ich ihm nach, fest verankert an dem Punkt, wo er zuvor stand. So viel Aufopferung hatte ich nicht von Niklas erwartet, aber freute mich tatsächlich darüber.
      „Jetzt beeile dich, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit, ich habe gleich noch Dienst in Kalmar“, rief er aus der Küche. Na gut, also stand ich endlich auf von der Bettkante und lief ins Badezimmer. Dort machte ich mich rasch frisch und zog meine Sachen von gestern wieder an, die Niklas offensichtlich in den Trockner geschmissen hatte und aufgehängt. Am Tisch erwartete er mich bereits.
      „Ich möchte nichts essen“, murmelte ich heiser. Meine Stimme verschwand langsam wieder, aber dann bemerkte ich die weiße Tasse mit einer dampfenden dunklen Flüssigkeit. Ausnahmslos musste, dass Kaffee sein und ich nahm einen Schluck. In meiner Kehle floss die warme und bittere Substanz hinunter. Direkt fühlte ich mich besser.
      „Doch, du isst was. Hast du dich mal angeschaut?“, fragte er ernst.
      „Ja, aber was geht dich das an?“, verteidigte ich mich.
      „Ich fühle mich für dich verantwortlich, solang niemand auf dich aufpasst. Also, iss“, lächelte Niklas. Wer sollte denn auf mich aufpassen? Meinem Handy zufolge hatte sich niemand Gedanken gemacht, dass ich nicht nach Hause gekommen war. Allerdings würde Tyrell spätestens am Abend dich darüber aufregen, dass sein Auto nicht an seinem Platz stand. Also nickte ich nur und pulte mit der Gabel auf dem Teller herum. Der Konsistenz deutete auf Tofu hin, aber mein Auge sagte Ei. Niklas wusste jedoch, dass ich niemals ungeborene Kinder von Hühnern essen würde, also musste es Tofu sein. Nach der ersten Gabel davon im Mund bestätigte sich meine Annahme und es schmeckte unbeschreiblich gut. Mein Hirn weigerte sich dennoch zu akzeptieren, dass ich aufaß und die Hälfte verblieb auf dem Teller.
      „Ich denke nicht, dass Lina das hier gefällt“, seufzte ich.
      „Dass wir zusammen frühstücken?“, fragte er ungläubig beim Abräumen des Tisches. Trymr bekam meine Reste und verschlang sie so gleich.
      „Nein“, begann ich, atmete tief durch, „das alles hier. Es tut mir leid.“
      „Jetzt höre auf, tausendmal darüber nachzudenken. Vielleicht ging das auf dem Parkplatz zu weit, aber sonst habe ich einer Freundin in einer schweren Situation geholfen. Mehr nicht“, lächelte er. Erleichtert war ich nicht, aber akzeptierte seine Ansicht. Was war das nur, dass ihn und seine nur schemenhaft vorhandenen Gefühle jeden Tag auf den nächsten als Verteidigungsstrategie nutzte, um meine eigenen zurückzustellen? Ich fühlte mich schlecht zu jemanden wie ihn aufzusehen und immer den Gedanken zu haben, dass ihn mir warmhalten müsste, obwohl es jemanden in seinem Leben gab. Jemanden, der nicht ich war. Dabei vergaß ich mich selbst, vergaß das auch jemanden hatte, der mir so viel gab. Doch Erik hatte innerhalb kürzester Zeit dafür gesorgt, nicht mehr interessant zu sein. Er bemühte sich nicht, um etwas wie eine Beziehung zu führen, sondern hatte in Schweden direkt das Gefühl vermittelt, schon seit Jahrhunderten an meiner Seite zu sein.
      „Komm, Kleines. Dein Schiff wartet“, legte Niklas schützend auf meine Schulter und ich legte meinen Kopf nach hinten, um zu ihm aufzusehen. Sein Aftershave lag prägnant in Luft und kitzelte in der Nase, auch wenn es ziemlich ätzend wirkte.
      „Fahren wir zusammen zur See?“, fragte ich übertrieben melodramatisch. Er lachte, dann nickte er und lief zur Tür. Ich folgte ihm. Nicht mehr von meiner Seite weichend trabte Trymr, denn ich mittlerweile nicht mal mehr an eine Leine befestigte.
      Auf dem Gestüt herrschte nahezu eine friedhofähnliche Stille. Aus der Ferne vernahm man einen Traktor und ein paar Pferde wieherte. Hinter einer dicken und grauen Wolkenfront versteckte sich die Sonne. An einem Samstagmorgen hätte ich mehr Bevölkerung erwartet, aber so akzeptierte ich es auch. Im Stall brannte bereits das Hauptlicht und die Türen zum Paddock waren offen. Einige Halfter hängen im Gang, ganz allein waren wir also nicht.
      „Ich würde gerne auf den Fleeceplatz“, sagte ich entschlossen und sah zu Niklas, der vor Lubis Box stand. Die Stute sah interessiert über die Front und kaute genüsslich.
      „Können wir machen“, zuckt er mit den Schultern. Niklas setzte sich in Bewegung und verschwand in der Sattelkammer. In der Zeit nahm ich das Halfter von der Front, holte das riesige Pferd heraus. Als Erstes entfernte ich ihre Decke.
      „Kannst du mir geben“, kam Niklas zurück und nahm seine Decke entgegen, während er die Putztasche an die Seite gegenüberstellte. Wann hatte er das Ding eigentlich aus dem Hänger geholt? Die rosa Tasche, die sonst sehr abgestimmt zu ihrem sonstigen Equipment war, musste Zeitnah ersetzt werden. Am liebsten würde ich auch jeglichen Zaum der Stute ersetzen und die roségoldenen Gebisse, aber dafür fehlte das nötige Kleingeld. Also ich konnte vom auszubildenden Lohn fabelhaft Leben, aber für solche Ausgaben war ich nicht vorbereitet. Rücklagen für mögliche Reparatur am Auto hatte ich, aber würde nicht für ein eigentlich fremdes Pferd investieren, also musste ich noch eine Weile damit klarkommen, dass Anna sie in einem typischen Mädchenlook einkleidete. Tatsächlich hätte sich mein altes ich darüber ziemlich gefreut, aber ich hatte mich weiterentwickelt und vordergründig sehr verändert.
      „Muss ich dir jetzt noch erklären, wie man ein Pferd putzt?“, lachte Niklas. Er stand urplötzlich hinter mir und legte seine Hand auf meine. Mit einer streichenden Bewegung bürsteten wir zusammen über das kurze Fell der Stute. Verwirrt drehte ich mich zu ihm um und blickte mit zusammen gekniffenen Augen zu ihm hoch.
      „Ich schaffe das allein“, drückte ich ihn weg und durfte selbst weiter machen. Er lachte noch immer. Idiot. Zum Glück verschwand er dann wieder, holte wieder das Sattelzeug und begann sie fertig zu machen. Das Fell war so gut wie sauber, was sollte auch dreckig werden, wenn sie eine Decke trug. Die Hufe hatte ich auch gereinigt, wobei ich merkte, dass der Hufschmied langsam mal kommen sollte. An der Seite wuchs bereits die Hufwand über das Eisen und der allgemeine Zustand wirkte auch sehr besorgniserregend. Hufe sollten eine gewisse Länge haben, aber ihre Waren viel zu steil und lang, um, dass sie die nötige Griffigkeit haben konnte und vernünftig abrollte.
      „Sind Sie so weit, der Herr?“, fragte ich Hulk an der Wand, der seine Augen auf dem Handy verloren hatte.
      „Oh“, sagte er. Wie bei etwas erwischt, steckte Niklas sein Handy weg und folgte mir.
      „Aber an eine formale Ansprache könnte ich mich gewöhnen“, lachte er dann.
      „Selbstverständlich, wenn Sie das gernhätten, Herr Olofsson“, kicherte ich, als wir am dunklen Reitplatz ankamen, der unschuldig neben den Ponypaddocks ruhte. Weitere Menschenseelen waren nicht in Sicht, was Niklas wohl nutzte, mit beinah bedrohlich nah zu kommen. Seine warmen Hände lagen an meinem Hals, drückten sanft meinen Kopf nach oben, dass ich gezwungen war, den innigen Blickkontakt zu halten. In seinen mehrfarbigen Augen funkelte die Lust. Der Griff wurde fester und eine Atmung tiefer.
      „Willst etwa nicht“, flüsterte Niklas verführerisch.
      Ich schluckte, konnte aber meinen Blick nicht abwenden.
      „Doch“, atmete ich schwer, „aber es geht nicht.“
      Genervt rollte er die Augen nach oben und ließen von mir. Zum Glück, denn noch länger hätte ich die Fassade nicht mehr halten können. Da nichts mehr von ihm kam, außer einem Kopfschütteln, führte ich Lubi in die Mitte des Platzes und gurtete noch einmal nach. Mit einem großen Schritt stieg ich in den Bügel und drückte mich in den Sattel hinauf. Ihre Widerristhöhe war nicht gerade niedrig bei einem Maß von hundertachtzig Zentimetern.
      “Du bist ziemlich langweilig geworden über Nacht, weißt du das?”, rief mir Niklas, beinah eingeschnappt, zu und stand mit verschränkten Armen am Zaun.
      “Wenn Sie das meinen”, lachte ich, “aber mit dem Trainer rumzumachen ist wohl nicht die feine englische Art.”
      “Ach, ich bin jetzt also dein Trainer?”
      Ich zuckte mit den Schultern.
      “Scheint so”, fügte ich hinzu und hielt Lubi vor ihm an.
      “Na dann, Ferse weiter runter, Schultern zusammen und Knie mehr an den Sattel. Weiter”, wurde sein Ton ernster und klopfte der braunen Stute auf den Po. Sie richtete ihre Ohren nach hinten, bis meine Hilfe kam zum Anreiten. Sie schnaubte ab.
      Besten Gewissens versuchte ich seinen Befehlen folgezuleisten, auch wenn es mir an einigen Stellen wirklich schwerfiel. Niklas verlangte dem Pferd und mir nicht nur physisch etwas ab. Nach einer intensiven Trabphase mit Versammlungen und Seitengängen, folgten Verstärkungen. Zwischendrin hielten wir an, wendeten auf der Hinterhand und aus der Bewegung heraus wieder in den Trab. Mir blieb dabei nicht viel Zeit, um über irgendetwas nachzudenken oder eine seiner Übungen anzuzweifeln. Kurz Verschnaufpausen durften wir machen aber mussten dann umgehend an derselben Stelle fortfahren. Im Galopp schaltete mein Kopf sich nahezu vollständig ab. Ich konzentrierte mich einzig allein auf seine Worte und bewegte meine Arme sowie Beine nur noch nach Gefühl, wusste nicht, worauf das hinauslief.
      “Wir werden jetzt noch seinen Zweiwechsel machen auf der Diagonalen”, sprach er und zeigte auf H. Dort bog ich ab und galoppierte drei Sprünge auf der geraden Linie. Dann folgte der erste Wechsel. Im Genick stellte ich sie minimal und legte im selben Atemzug meinen bisher inneren Schenkel vom Gurt zum Verwahren höher. Niklas zählte im Takt, wann ich wieder wechselte und das Pferden springen ließ. Erschöpft kaute Lubi mir die Zügel aus der Hand, schnaubte mehrfach ab und streckte den Hals unter das Buggelenk. Immer wieder lobte ich sie durch Streichen über den Hals. Ich war nicht nur vom Pferd begeistert, sondern auch von meiner Leistung.
      “Danke für Ihre Hilfe”, lachte ich Niklas an, der mit einem zufriedenen Lächeln noch am Zaun stand und von seinem Handy aufsah.
      “Kein Problem”, kam es als Antwort, doch er schien noch zu überlegen, “bekomme ich jetzt eine Gegenleistung?”
      Seine Augen begannen zu funkeln, als gäbe es einen Grund dafür. Ich drückte ein Auge langsam zu und zog dabei meine Lippe mit nach oben. Der Sache traute ich nicht ganz.
      “Was wollen Sie für eine Gegenleistung? Geld?”, fragte ich nach, ohne meinen skeptischen Blick von ihm zu wenden. Wieder überlegte er, zumindest tat er so. Niklas spitzte seinen Mund und beobachtete die Wildgänse am Himmel.
      “Schau mal”, sagte er auf einmal sehr überrascht und zeigte hinter die Zugvögel. Zwischen Wolken tauchte ein besonderer Vogel auf. Ich hatte ihn mittlerweile Tobias getauft, denn er verfolgte mich. Natürlich könnte es auch weiblich sein, doch mir fiel dieser Name als Erstes ein. Tobias war ein Gerfalke, der eigentlich nicht in Gefilden wie diese zu finden war. Wir hatten Winter und von Nähe erkannt ich, dass er kein Jungtier war. Nur Jungtiere zogen im Herbst für einige Wochen Richtung Dänemark und legten mehr als dreitausend Kilometer vom Brutnest zurück. Alttiere verblieben meistens im Norden Finnlands oder Islands. Auch oben in Schweden wurden Tiere dokumentiert, aber eigentlich nicht an der Ostküste ziemlich südlich.
      “Das ist Tobias”, lachte ich und sah wieder zu Lubi, die dem Vogel hoch oben am Himmel keinerlei Beachtung schenkte.
      “Was? Du kannst doch einem Gerfalken nicht den Namen Tobias geben. Was stimmt in deinem Kopf nicht?”
      “Alles”, scherzte ich weiter.
      “Gehört der dir?”, fragte Niklas verwundert nach. Ja, klar. Ich hielt mir Raubvögel, wie andere, Katzen.
      “Nein, Herr Olofsson”, klärte ich auf, “Tobias kommt immer, wenn ich Entscheidungshilfen brauche, als wäre er ein Zeichen des Universums.”
      Niklas musterte mich.
      “Du bist wirklich nicht mehr ganz dicht. Aber was offenbart Tobias dir denn?”, fragte er dann doch überzeugt.
      “Was weiß ich? Sonst kann ich genau sagen, was Tobias mir mitteilt, doch heute bin ich sprachlos und erfreue mich seiner Präsenz”, zuckte ich mit den Schultern. Mir schwante Böses, was Niklas als Nächstes sagen würde. Ich konnte mir skizzenhaft vorstellen, was er als Gegenleistung erwartete und würde nun auch noch Tobias, meiner Entscheidungshilfe in der Not, als Grund aufführen. Was würde passieren, wenn ich meinem Vogel nicht nachkommen würde und einfach auf meine Vernunft hörte? Eigentlich wollte ich das Schicksal nicht herausfordern. Also trieb ich Lubi aktiver nach vorn, um mehr Raum zwischen ihm und mir zu gewinnen. Auf der gegenüberliegenden Seite drehte ich einige Volten und auch eine Acht, bis er wirklich noch eine Antwort fand. Mir lief es kalt den Rücken herunter, als Niklas den Mund öffnete.
      “Also”, quälte er mich absichtlich und pausierte, bis er weitersprach, “du solltest dir schon eine kreativere Gegenleistung ausdenken als Geld.”
      “Wenn Sie es so wollen, überlege ich mir etwas Schönes, aber das sollten Sie im Voraus mit Ihrer Partnerin klären. Ich möchte nicht, dass Sie meinetwegen in Erklärungsnot geraten”, blieb ich standhaft. Wieso, ich ihm etwas schuldig war, erschloss sich mir aber auch nicht. Im Zimmer zeigte er sich noch distanziert, als wäre es das normalste der Welt jemandem zu helfen und nun verlangte er eine Gegenleistung dafür. Diese Gegenleistung sollte aber offenbar tiefer eindringen, als es mir lieb war. Ich schüttelte den Kopf, nein. Nichts mehr würde unter der Gürtellinie ablaufen.
      “Übertreibst du nicht ein wenig, dass du immer nur an Lina denkst?”, kam er langsam auf mich zu. Meine Augen zogen sich schlagartig weit auf.
      “Offensichtlich tun Sie das nicht, also gehört das nun in mein Aufgabenfeld”, rollte ich mit den Augen. Kaum zu fassen, dass er so mit der Tatsache umging, eine Beziehung zu führen, für die er mehr oder weniger selbst in die Wege leitete. Undankbar, wirklich. Lina tat wirklich Vieles für ihn, folgt sogar extra in ein sehr weit entferntes Land. Natürlich war es mit Samu eine glückliche Fügung und Tobias schlug zu, dennoch hätte sie sicher ein besseres Leben auf dem WHC mit ihrem magischen Einhorn und Menschen, die sie kannte und vertraute. Mir zu vertrauen wäre auch keine gute Idee, nicht mal ich selbst konnte das.
      “Ich merke schon, plötzlich interessiert dich, was andere denken”, kam seine hochnäsige Art wieder, als hätte ich ihm gerade vor allen Menschen bloßgestellt. Prüfend sah ich mich um, aber niemand schien zu uns zu sehen oder dem Gespräch zu folgen. Dann stieg ich ab. Niklas ballte seine Fäuste und trat wie ein wütendes Kind durch die Fleece Fetzen.
      “Niemand kann etwas dafür, dass Sie eine Beziehung führen”; zuckte ich mit den Schultern. Schlagartig drehte er sich um zu mir, kam einige Schritte auf mich zu und legte wieder seine Hände an meinen Hals. Meine Atmung wurde erneut tiefer, aber ich versuchte mir vorzustellen, was für schlimme Dinge Lina passieren würden oder könnten. Ich wollte nicht, dass sich in Situationen wiederfand, die ich beinah tagtäglich durchlebte.
      “Niklas, lass mich los”, sagte ich ernst.
      “Beantworte mir eine Frage”, stellte er schon wieder Forderungen.
      Ich nickte.
      “Wenn du urplötzlich deinen sonst so vergötterten Kerl abgeschossen hast, weil du Angst hast vor den Gefühlen, die du mir gegenüber empfindest und ich zugegebener Maße auch – Was stört dich an ihm?”
      Was redete er da? Hatte er getrunken? War die Flasche Wein vielleicht nicht nur das nächtliche Getränk der Wahl, sondern auch zum Frühstück? Den Teil mit den Gefühlen versuchte ich bestmöglich zu ignorieren, denn das lief so nicht, selbst, wenn es Lina nicht geben würde. Es stand für uns fest, dass es nur eine nette Zeit zusammen sein sollte mit viel Spaß, aber ohne eine tiefgründige Bedeutung. Daran hielt ich gedanklich fest.
      “Erik”, ich seufzte, ihm von seinem Bruder zu erzählen, fühlte sich falsch an, aber jemanden musste ich mich öffnen. Trymr, der am Tor saß und alles haargenau beobachtete, spitzte die Ohren.
      “Erik war sich seiner Sache zu sicher und damit wirkte er plötzlich so langweilig. Ich will jemanden, der was erleben möchte, nicht nur mit seiner Tochter irgendwo hinfährt, wodurch ich dann allein zu Hause sitze. Er soll sich anstrengen und mehr Elan zeigen. Keine Ahnung, klingt bescheuert”, zuckte ich mit den Schultern.
      “So?”, kam er wieder sehr nah und konnte seine Finger nicht von meinem Hals lassen.
      Aber ich nickte.
      “Dann sag es ihm”, schlug Niklas vor.
      “Nein, soll er sich selbst etwas einfallen lassen”, antworte ich trocken und durfte endlich mein Pferd zurückbringen. Müde trottete die Stute mir nach in den Stall. Mittlerweile fühlte sich die Gasse. Eine gutaussehende, deutlich größere, jüngere Dame kam auf uns zu, musterte uns von oben bis unten.
      „Seid ihr endlich fertig mit herummachen“, pikierte sie eingeschnappt. Niklas und ich sahen einander ziemlich schockiert an.
      „Was auch immer du gesehen haben willst“, begann er entschlossen zu sagen, „entspricht nicht der Wirklichkeit. Wir haben über ihren Freund gesprochen.“
      Ahja, gut. Dann spiele ich mal mit, dachte ich und nickte.
      “Ihr werdet schon noch sehen, wo das endet”, betrachtete sie uns weiter, griff nach den Zügeln ihres Pferdes und verließ die Gasse.
      “Du bist doch nur neidisch”, rief ich noch nach. Das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen, derartige Behauptungen an den Kopf geworfen zu bekommen, auch wenn sie stückweise recht hatte.
      “Auf dich? Hast du mal in den Spiegel geschaut? Außerdem habe ich es gar nicht nötig, mir jeden Tag neue Dinge einfallen zu lassen, damit auch wirklich jeder hier am Hof auf dich schaut und mit mir in Kiste hüpfen will”, schnaubte sie.
      Mir war neu, dass, bis auf Niklas, jemand dringend ein Bedürfnis hatte, das nur mit mir befriedigt werden konnte. Er sah ihr noch nach und bekam meinen Ellenbogen in die Seite.
      “Aua”, störte er sich und sah böse zu mir herunter.
      “Hör auf ihr auf den Arsch zu glotzen”; flüsterte ich.
      “Wieso? Ich darf doch wohl noch gucken, wenn du mich nicht machen lässt”, schmollte Niklas theatralisch. Man, hör auf so zu sein, das macht mich verrückt!
      “Aus guten Gründen und jetzt hilf mir lieber, du musst gleich arbeiten”, erinnerte ich ihn. Dann sammelte er die Sachen ein von Lubi, während ich mich mit Hund und Pferd auf die kleine Reise zum Hänger machte. Dort nahm Niklas mir netterweise den Sattel vom Rücken des Tieres und lud alles ein. Lubi lief zufrieden die Rampe hinauf, mit einer Decke bekleidet und den Transportgamaschen an den Beinen.
      Im Auto fielen mir immer wieder die Augen zu, obwohl ich mir nicht sicher war, ob es eine gute Entscheidung war, ihn ans Steuer zu lassen. Erst wenige Meter vor dem Hof wurde mir klar, dass ich gegenüber Lina in Erklärungsnot geraten würde, sollte sie mich fragen anstelle ihres tollen Freundes, warum sein Auto noch dastand und ich erst vierzehn Stunden später nach dem eigentlichen Training wieder am Hof war. Aber natürlich hatte Tobias dafür gesorgt, dass mit einem langen beigen Mantel auf der Terrasse stand, mit der Hand am Ohr und dem Blick unseres Autos folgte.
      “Na toll, darauf habe ich jetzt Lust”, murmelte ich und lehnte mich tief in den Sitz.
      Niklas lachte.
      “Jetzt stell dich nicht so an, was soll schon passieren?”, kommentierte er und provozierte mich mit seiner Hand auf meinem Oberschenkel.
      “Finger weg!”, beschwerte ich mich, “Vielleicht frisst sie mich, dann wäre ich wenigstens weg und sie satt.”
      Er lachte wieder.
      “Was ist denn bitte so lustig? Soll ich dich mal in das Gefühl hineinzuversetzen?”, versuchte ich an seine Vernunft zu appellieren.
      “Viel Erfolg”, grinste er und fuhr weiter langsam entlang. Beherzt griff ich ihm in den Schritt, nicht unbedingt sanft, sondern herausfordernd, mit Intention, als wäre es eine Vorbereitung für eine schnelle Nummer im Auto. Seine Augen wurden größer und als ich langsam die Knöpfe der Jeans öffnete, hielt er mich am Handgelenk fest.
      “Ist okay, ich verstehe es”, stammelte Niklas und schloss wieder alles.
      Gewonnen. Zwei zu null für mich, genau genommen, hatte ich schon drei Punkte und er zumindest einen. Unwichtig. Ich lag in Führung.
      Niklas parkte das Auto auf dem Parkplatz und stieg aus. Er fummelte sich erneut an der Hose herum und sah dabei unter seinen abgestützten Arm hindurch, den er am Dach lehnte. Dann öffnete er plötzlich mit seiner rechten Hand die Knöpfe wieder und den Stoff ein Stück nach unten, gerade so, dass ich alles sehen konnte, aber von hinten alles normal wirkte. Peinlich berührt sah ich weg, nach dem ich zu intensiv hinsah und stieg aus dem Auto. Niklas richtete sich gerade und schloss alles im Handumdrehen.
      “Mit dem rasieren üben wir noch mal”, lachte ich und lief zum Hänger. Es ging ums Pferd, na klar. Zumindest, wenn jemand fragten sollte.
      “Das ist dann wohl trotzdem ein Punkt für mich”, scherzte er und warf den Schlüssel über das Dach zu mir. Nur mit einem Schritt nach hinten konnte ich das Ding fangen und rempelte geradewegs gegen mein Auto, dass mich als Bedrohung ansah und laut begann zu piepen. Ich trat noch mal gegen und es wurde wieder leise.
      “Zwei”, triumphierte Niklas.
      “Genaugenommen habe ich drei und du jetzt zwei, okay?”, offenbarte ich meine Zählung.
      Er nickte. Langsam kam Lina angelaufen, sprach noch so etwas wie eine Verabschiedung in ihr Handy, glaube ich zumindest, denn eigentlich verstand ich kein Wort davon. Doch, die Tatsache, dass sie kurz darauf das Gerät wegpackte, unterstützte diese Hypothese.
      “Schön, dass ihr auch wieder auftaucht. Ihr habt ja erstaunlich gute Laune”, sagte sie kurz angebunden, blickte zwischen uns her. Wo hatte sie denn ihre sonst so gute Laune verloren.
      „Ich freue mich auch dich zu sehen“, lächelte aufgesetzt falsch, „aber okay. Soll ich lieber einem Typen nach heulen, der seinen Hund einfach bei mir abgeladen hatte und plötzlich zu einem Waschlappen wurde? Wenn dir das lieber ist, schaffe ich das.“
      Dann zuckte ich mit den Schultern, beide sahen mich verwirrt an, aber das fühlte sich an, wie mein Moment und ich wetterte weiter.
      „Offensichtlich ist seine Tochter ansteckend, ich nicht mehr interessant genug, um Macht zu demonstrieren. Er traut sich ja nicht mal richtig zu kuscheln, weil er dann eine Beule in der Hose bekommt, wie tragisch“, rollte ich immer wieder mit den Augen und schmiss das Zeug der Stute aus dem Kofferraum. Vermutlich ging das nun doch inhaltlich etwas zu weit, aber ich musste gerade überspielen, dass ich ihn in Wahrheit wirklich vermisste, auch wenn’s soweit stimmte. Wichtig war auch, mir nicht einzugestehen, dass ich keine Entscheidung treffen konnte oder wollte. Ich hätte gerne die Wahl, wer bei mir war.
      „Das reicht“, stoppte Niklas mich, in dem er meinen Arm zur Seite zog. Eigentlich wollte ich gerade zum nächsten Manöver ansetzen, aber bekam einen kleinen Zettel in die Hand gedrückt, denn ich unauffällig in meiner Hosentasche verschwinden ließ. Das meinte ich, wenn ich sagte, dass es mit Erik langweilig sei. Ja, wir mussten uns nicht vor neugierigen Blicken schützen, aber trotzdem.
      Lina fehlten die Worte, aber ihr Freund wusste sie auf etwas anderes zu lenken. Gab es dafür auch Punkte? Wenn ja, war er mir einiges voraus, einfach so zu tun, als wäre nichts gewesen. Aber ich sei Gewissen- und Morallos, logisch. Ich hatte noch anderes zu auf meinem Plan, holte zunächst Trymr von der Rückbank, der erst mich begrüßte und dann Lina aus Niklas Armen riss. Innerlich lachte ich ziemlich darüber, aber dann fiel meine Aufmerksamkeit auf den dunklen Anhänger am Auto.
      „Ich komme doch schon“, sagte ich zu Lubi, die begann im Hänger zu trampeln und zu wiehern. Neugierig streckte den Kopf durch die Seitentür und schnüffelte interessiert. Sanft strich ihr mit meinen kalten Fingern über das weiche und warme Maul. Dann wühlte ich ein Leckerli heraus, dass sie gierig verschlang. Hinten öffnete ich die Klappe allein, den die beiden Verliebten hatten überhaupt kein Interesse daran, mir noch ansatzweise zu helfen. Aber selbst ist die Frau! Lubi wartete mit dem langsamen Rücktreten, bis ich die Stange entfernt hatte und an der Seite stand. Dann liefen wir zusammen in den Stall, in dem die Box auf sie wartete. Die Decke nahm ich ab und warf sie in die Ecke, um aus der Sattelkammer eine gefütterte zu holen. Kurz überlegte ich eine von uns zu nehmen, denn das altrosa konnte ich langsam nicht mehr sehen, aber ich fad auf Anhieb sonst keine, die ihr passen könnte und gefüttert war. Also musste das Ding herhalten. Ruhig wartete sie, bis ich fertig war und die beiden Türen zum Paddock öffnete. Immer wieder streckte Lubi ihre Oberlippe nach einem Heuhalm aus, um ihn mit chirurgischer Genauigkeit zu zerkauen.
      “So, viel Spaß”, sagte ich und klopfte auf ihren Po, als sie ins Freie stürmte. Interessiert streckte sie ihren Kopf über die hohen Gitter und flirtete mit Nobel. Der Fuchshengst stand auf dem ersten Paddock und trabte aufgeregt am Zaun entlang, machte jedoch keine Anstalten intensiv zu versuchen, zu der Stute zu gelangen. Ihre Aufmerksamkeitsspanne dem Pferd gegenüber hielt auch nur kurz an, bevor der Heusack interessanter wurde. Neben Lubi blickte mich Smoothie interessiert an, danke! Die Schimmelstute erinnerte mich daran, dass ich noch den kleinen Zettel von Niklas bekommen hatte, der in meiner Hosentasche seinen Platz fand.
      In der Stallgasse setzte ich mich auf eine der Bänke und Trymr hatte sich auf meine Füße gesetzt, den Blick fest zum Rolltor gerichtet. Ich hielt den sehr klein zusammengefaltet Zettel in der Hand, wechselte immer vom Hund zu dem Stück Papier. Egal, was darauf stehen würde, war es das wert? Sollte ich mir überhaupt darüber Gedanken machen, es mir durchlesen und damit die Welt verändern? Es war ein typisches Problem, entweder ich blieb im Ungewissen, in dem ich das Ding verbrannte und nicht mehr daran dachte, oder ich öffnete es und. Und was? Ich wusste es nicht, aber meine Vermutung war groß, dass ich damit den Zeitstrang änderte in etwas, das nur kurzzeitig anstand, kurzzeitig Spaß machte und die Zukunft negativ beeinflusste. Meine Knie wippten aufgeregt.
      “Komm, wir gehen erst mal rüber. Bei einem Kaffee kann ich besser denken”, sagte ich zu Trymr, der ohnehin nichts verstand. Aber er folgte mir zum Haus. Von Lina und Niklas war nichts mehr zu sein, auch sein Auto stand nicht mehr. Aber der Hänger war geschlossen und auch die Seitentür zu.
      “Danke”, flüsterte ich ins Leere, als spreche ich mit einem ominösen Hofgespenst, dass heimlich aufräumte.
      Meine Hütte war kalt und still. Wenig Licht fiel durch die hohen Fenster und ich drückte zunächst auf den Lichtschalter, um einen Überblick zu bekommen. Verwundert sah ich zu dem schwarzen Koffer, der neben der Couch stand. War das nicht der von meinem Bruder? Er hatte diesen eigentlich im Schrank verstaut und nicht dort hingestellt. War er hier? Trymr schnüffelte interessiert alles ab, folgte vom Koffer ins Schlafzimmer. Schockiert hielt ich mich an der Wand fest.
      “Was machst du hier?”, rief ich aufgebracht. Harlen drückte sich verschlafen von der Matratze hoch.
      “Wie spät ist es?”, murmelte er.
      “Kurz vor Zwölf”, antwortete ich.
      “Dann lass mich noch ein paar Minuten.” Umgehend drehte er sich wieder ins Kissen. Was genau passierte hier? War ich die Einzige, die die Welt nicht mehr verstand? Ich glaube kaum. Rücksichtslos zog ich mich um, schlüpfte in eine viel zu große Jogginghose und wechselte meinen Hoodie gegen einen anderen. Dabei nahm ich fein säuberlich den Zettel aus der Reithose und steckte ihn an die Seite in meine lockere Hose. Die Tasche hatte einen Reißverschluss, denn ich überzeugt hochzog. In der Küche funkelte mich die Kaffeemaschine an, die mir innerhalb kürzester Zeit ein Heißgetränk zubereitete und dabei laute Geräusche verursachte.
      “Muss das sein?”, beschwerte sich Harlen genervt aus dem Schlafzimmer.
      “Ja, du bist hier eingebrochen und ich muss auch leben”, lachte ich nur und nahm die Tasse entgegen. Vom Haken griff ich mir eine dicke Jacke, in der eine Schachtel Zigaretten steckte. Bewaffnet, mit allem, was ich brauchte, lief ich hinaus auf die Terrasse und setzte mich auf einen der Holzstühle an meinem kleinen Tisch.
      Der Glimmstängel kratzte ekelhaft im Hals, aber nach zwei weiteren Zügen normalisierte sich der Geschmack wieder. In Kombination mit dem Kaffee fühlte ich mich ungewöhnlich frei. Trymr blieb im Haus, aber saß vor einem der Fenster und starrte genau in meine Richtung, um mich nicht aus den Augen zu verlieren. Ich musste diesen Zettel lesen, strömte es durch meinen Kopf und ich holte das geknickte Papier heraus. Langsam öffnete ich es, hielt die Augen geschlossen. An meinem Hals pulsierte die Hauptschlagader und meine Finger zitterten in der Kälte. Meine Knie wippten wieder aufgeregt und ich musste mehrfach tief durchatmen, um nicht die Fassung zu verlieren. Du schaffst das Vriska, flüsterte ich mir leise zu und öffnete die Augen.
      > Glöm inte Erik, ha honom i åtanke, men hitta en distraktion för att hålla huvudet kallt.
      “Vergiss Erik nicht, behalte ihn im Hinterkopf, aber suche dir eine Ablenkung, um einen klaren Kopf zu behalten”, las ich in Niklas ordentlicher Handschrift auf dem Kästchen Papier. Darunter standen noch Ablenkung und eine Telefonnummer. Nervös biss ich mir auf meinem Daumen herum, solange, bis ich Schmerzen empfand. Einerseits tat er alles dafür, dass ich nicht mit Erik Zeit verbrachte, aber andererseits, setzte Niklas sich dafür, dass ich mich an ihm festhielt. Er verhielt sich genauso inkonsequent mit seinen Aussagen wie ich, obwohl ich ihn immer als sehr ausdauernd und genau einschätzte. Aber was solls? Ich speicherte die Nummer als ‘Avledning’ ein. Direkt bot es mit iMessage an und ich verfasste an meine Ablenkung. Es konnte nur eine weitere Nummer von Niklas sein, denn mich an irgendwen weiterzuleiten, schien nicht sein Fachgebiet zu sein.
      “Hej Avledning”, tippte ich. ‘Gesendet’ wechselte direkt zu ‘Gelesen um 12:04 Uhr’. Mein Herz schlug Purzelbäume, als die drei Punkte gleichmäßig sich wellenartig bewegten, bis sie endeten und eine graue Nachricht erschien. Ich schloss meine Augen und sperrte das Handy aufgeregt. Was passierte hier?
      “Keine Namen, keine Bilder, nur der Moment”, leuchtete es auf dem Bildschirm, als ich doch nachsah. Niklas saß vermutlich im Auto, also wie würde er das schreiben sollen? Vielleicht war es doch nicht? Aber mir egal, ich brauchte Ablenkung, das stand fest. Ich stimmte der Nachricht zu, die umgehend gelesen wurde, aber eine Antwort kam nicht direkt. Mehrfach sah ich auf das leere Display des Handys, bis ich den Boden der Tasse betrachtete und entschied mein Chaos zu beseitigen.
      Obwohl ich ungewöhnlich motiviert den Hänger ausräumte und säuberte, ließ mich der Zettel in Gedanken nicht mehr los. Ich hatte alles getan, was er von mir wollte, aber es kam nichts. Was sollte das für eine Ablenkung sein? War es vielleicht noch Niklas, und wenn nicht, wer dann? Welchen Grund gab es, dass ich die Handynummer von jemanden wild Fremdes bekam? Auch, dass mein Bruder urplötzlich wieder da war und tat, als wäre nichts geschehen, brachte mich aus dem Konzept. So sehr, dass ich blind in Lina hineinlief, die gerade Vintage durch die Gasse führte. Seine Beine waren vollständig mit Matsch bedeckt, sowie sein Bauch und auch ihre Stiefel. Mürrisch knurrte sie mich an.
      “Tut mir leid”, murmelte ich beschämt.
      “Schon okay, aber mach das nächste Mal deine Augen auf”, brummelte sie und setzte das Pferd wieder in Bewegung. Ihr Ton irritierte mich, auch wenn ich nachvollziehen konnte, dass Lina nicht wirklich gut auf mich zu sprechen war.
      “Ich wünsche mir den Sommer zurück”, rief ich ihr nach, ohne mich einen Schritt bewegt zu haben. Die Schubkarre knallte auf den kalten Beton. Vinnies Ohren drehten sich kurz nach hinten, aber er blieb ruhig.
      “Welchen Teil davon? Das Chaos oder das Wetter?”, ging sie auf meine Aussage ein, ohne dabei anzuhalten. Mein Kopf senkte sich intuitiv, während meine rechte Hand energisch den linken Unterarm zerdrückte.
      “Das was wir hatten”, sagte entschlossen, aber es kam keine Reaktion. Also atmete ich noch mal tief durch, sah hoch an die Decke zu den freistehenden Balken und unterdrückte meine Tränen.
      “Meine beste Freundin ist zwei Tage vor meinem Geburtstag im April gestorben”, sprach ich unberührt aus, “ich bin mit ihr zum Kindergarten gegangen. Jetzt ist sie weg, für immer und alle anderen auch.” Lina verharrte für ein paar Sekunden in der Bewegung, bevor sie sich umwand. Der eben noch so misslaunige Ausdruck auf ihrem Gesicht war milderer geworden. Stumm kam sie zurückgelaufen, schloss einfach ihre Arme um mich.
      “Das tut mir wirklich leid für dich, das muss schrecklich für dich sein”, sprach sie leise und es klang wirklich aufrichtig.
      “Ihr Tod war nicht das Schlimmste daran, sondern das es niemanden interessierte. Jeder von uns machte weiter, wie zuvor, als wäre nichts passiert”, offenbarte ich das Tiefste in mir, “Keiner sprach darüber, sie wollte nicht einmal mich sehen und ich bekam auch keine Einladung zur Beerdigung. Alles war einfach zu Ende, weg. Es tut mir leid”, wechselte mein Hirn wieder das Thema. Gerade als ich dazu ansetzte, mich dafür entschuldigen zu wollen, dass ich in einem Bett mit ihrem Freund schlief, intensivierte sich die Umarmung und ich verstummte. Vielleicht gab es Dinge, die zu einem späteren Zeitpunkt geklärt werden sollten, denn ich wollte den Typ nicht und das musste sie wissen.
      “Es ist schrecklich, sich nicht verabschieden zu können”, sagte sie sanft und es schien mehr als nur bloßes Mitgefühl in ihren Worten zu liegen. Sie drückte mich noch einmal fest bevor sie die Umarmung löste und mich mild anlächelte. Ich lächelte zurück.
      Wieder wollte mein Hirn endlich das Thema beenden, als mich das Vibrieren in meiner Hosentasche schlagartig meine vollständige Aufmerksamkeit verlangte. Neugierig griff nach dem Gerät. Anstelle einer Nachricht waren es sogar drei von demselben Kontakt.
      “Ich hatte zu tun – Jetzt will ich dich – Woran denkst du gerade?”, perplex sah ich auf das Display, dann hoch zu Lina, die mich irritierte musterte. Der Ausgangspunkt dafür sollte mein viel zu strahlendes Gesicht sein, dass alle Muskeln anspannten, die man für Freude benötigte und das übertrieben kräftig. Je mehr ich mich anstrengte, das wieder loszuwerden, umso stärker wurde es. Unangenehm, wenn es gerade noch um die schmerzhafteste Erinnerung meines Lebens handelte.
      “Das müssen ja erfreuliche Nachrichten sein”, sprach sie das offensichtliche aus, “Ich werde dich dann mal damit allein lassen, Vinnie wartet.” Sie war schon im Begriff den Weg mit dem Hengst fortzusetzen, als sie sich noch einmal umwand: “Falls du mich noch mal brauchst, weißt du ja, wo du mich findest.”
      Plötzlich vibrierte es erneut.
      “Antworte.”
      Schnell tippte ich auf dem Touchscreen: “Ich unterhalte mich gerade mit meiner Arbeitskollegin”, und antwortete ich nickend zu Lina, “Danke, du kannst auch jederzeit rüberkommen, aber klopfe vorher. Mein Bruder ist manchmal ziemlich knapp bekleidet.” Dann lachte ich und spürte in meinen Händen schon wieder die Vibration im Sekundentakt. Hatte es sonst keine Hobbys? Besonders die erste Nachricht lief mir kalt den Rücken herunter.
      “Wenn ich dir schreibe, dann hast du zu antworten, egal was deiner Meinung nach wichtig erscheint.” Ich schluckte. Meine Kehle fühlte sich unglaublich rau an und in meinem Bauch begann es zu kribbeln. Halt, stopp Körper, so funktioniert das nicht. Aber die Anzahl der Nachrichten ebbte erst ab, als ich begann langsam eine Antwort zu formulieren mit zittrigen Fingern. Anstelle einer bedeutungslosen Entschuldigung schrieb ich: „Okay, ich werde mich daran halten in Zukunft.“
      Schon nach dem nächsten Atemzug tauchten die drei Punkte in der linken Ecke wieder auf. Dann folgte eine Nachricht und eine weitere, wieder die Frage, woran ich gerade dachte. Interessierte es sich wirklich dafür? Durch meinen willkürlichen Versuch Lina zu vermitteln, dass ich ihren Freund nicht mehr belästigen werde und der kleine Zettel seltsame Schwingungen in meinem Kopf auslöste, schwebte noch Niklas noch verankert in der Gedankenwelt.
      „Darf ich vorher meine Aufgabe beenden und danach dir berichten, bitte?“, bat ich freundlich um etwas Zeit. Wenn ich die Schubkarre im Weg stehen ließe, nur um eine relativ lange Nachricht zu tippen, dann würde in fünf Minuten irgendwer darüber fallen. Das wollte ich vermeiden. Meine Bitte wurde bewilligt, aber ich hätte nur zehn Minuten. Auf meinem Handy stellte ich den Timer auf neuen Minuten, steckte es weg und rannte förmlich mit der eiernden Karre zum Misthaufen, der hinter dem Heulager sich befand, also mehrere Meter entfernt. Hektisch pochte mein Herz in der Brust und konnte sich nicht ganz vorstellen, worauf das alles hinauslaufen würde. Seine Nachrichten lösten ein unermessliches Interesse seinerseits aus, oder ihrerseits? Eher unwahrscheinlich, dass solche Worte von einer Frau stammten oder das Niklas nicht so weit dachte, dass es vielleicht mal passieren könnte. Hirn! Stopp! Über den Bildschirm flogen erst wenige Nachrichten und dennoch überlegte ich schon, wie sich seine Haut auf meiner fühlen würde, sein Geruch, der mich in der Nase kitzelte oder ob er eine maskuline Stimme hätte mit Feinheiten, die sie besonders machten.
      Mein Handy klingelte als Zeichen, dass der Timer abgelaufen war. Somit blieb mir noch eine Minute, um eine Nachricht zu schreiben. Im Laufen flogen meine Daumen über den matten Bildschirm und wussten nicht genau, ob ich von Niklas Technik erzählen sollte, oder wie sehr ich mir gerade nach ihm sehnte.
      „Ich dachte gerade darüber nach, wie sehr ich es vermisse in der Nacht, jemanden bei mir zu haben, der mich genauso sehr wollte wie ich ihn. Mich dazu bringt, Dinge zu tun, die sonst keiner verlangt und hemmungslos in mich eindringt“, entschied ich zu schreiben. Damit würden beide Gedanken gut zueinanderpassen.
      „Was würdest du dafür geben mich dazuhaben?“, kam es direkt als Nachricht.
      „Wir kennen uns nicht, dennoch“, mein Finger schwebte über dem w, aber konnte mir noch sicher sein, in welche Richtung das weitergehen würde, „würde ich mich darüber freuen.“
      „Freuen? Sicher, dass das deine richtige Wortwahl ist?“, erkundigte er sich. Aber nein, sie war es nicht. Wohl dabei mit ihm zu schreiben und zu sagen, dass ich ihn ins Bett drücken würde und mit allen meiner Mittel in eine andere Welt befördern wollte, fühlte ich mich nicht. Aber ich entschied genau das zu schreiben und jeder Augenblick, jedes Atmen und Pochen in meiner Brust wusste, dass es richtig war, mit einem Fremden meine tiefsten Wünsche teilen zu können. Gedanken und Träume, die mich tagtäglich quälten und durch Niklas so fassbar wurden. Wurde er dadurch weniger interessant? Nein, aber ich fühlte mich plötzlich kontrollierter, wieder Herr über meine Gefühle und Handlungen, auch wenn man zweiteres erst einmal sehen musste, wenn er in meiner Nähe war. Frohen Mutes schlürfte ich über die Terrasse in die Wohnung und fiel auf die Couch, ohne mich umzusehen. Trymr sprang direkt zu mir und legte seinen Kopf auf meinen Schoß. Seine Augen bewegten sich langsam zu mir nach oben, das Weiß kam zum Vorschein und leise jammerte der Rüde.
      > Trymr, tyvärr vet jag inte när din herre kommer tillbaka.
      “Trymr, ich weiß leider nicht, wann dein Herrchen wieder kommt”, strich ich dem Hund über den Kopf. Langsam kaute er und schluckte dann. Ich konnte auch nicht nachvollziehen, warum er ihn hierließ und nicht einmal sagte, wann er ihn abholte. Offenbar war es eine Selbstverständlichkeit, dass Erik, wenn er Zeit hatte für mich, einfach wieder mit Fredna kommt. Aber nein, nicht mit mir. Allerdings konnte ich nicht erwarten, dass ich Informationen bekam. Ich hatte ihn blockiert, um zu schauen, ob er mich auf anderen Wegen versuchen würde zu kontaktieren, aber nichts. Wichtig schienen wir also beide nicht zu sein. Frustriert sah ich hinunter auf mein Handy, ich hatte zwei neue Nachrichten von Avledning.
      “Ich denke nicht, dass du dem würdig bist, meine Anwesenheit spüren zu dürfen. Beweise dich erst mal”, folgte ich mit meinen Augen den Worten, nach meiner Frage, wann ich spüren dürfte, wovon er sprach. Würdig, damit begann wieder das Thema, dass ich mich irgendwem erst einmal beweisen musste. Einem Fremden etwas Gutes zu tun, wirkte in meinem Kopf so leicht, doch er wusste, was er tat, als gäbe es nichts Einfacheres. Obwohl mir klar war, dass es nur ein Traum sein konnte, hielt ich daran fest.
      “Sollte ich mir Gedanken machen?”, ertönte plötzlich eine ernste Männerstimme hinter mir. Für mehrere Sekunden stoppte mein Atem und panisch fiel mein Handy zu Boden. Immer, wenn ich dachte, dass es kaputt sein, klang es dumpf, aber ich spürte innerlich, dass das Ding auf irgendwas gefallen ist. Der Schock saß noch tief.
      “Hör auf mich so zu erschrecken”, fauchte ich meinen Bruder an, der liebevoll seine Arme von hinten um mich schlang und mir einen Kuss auf die Haare gab. Angeekelt wehrte ich mich aus seiner Befestigung und holte mein Handy vom Boden aus.
      “Ja, super”, antwortete ich mit scharfer Stimme und in meinen Augen funkelte der Hass. Der Bildschirm war vollständig in seine Einzelteile aufgelöst und seltsame Streifen formten sich hinter dem Glas. Damit hatte sich wohl die Bekanntschaft beendet, mir auszumalen, was er tat, wenn ich ihm nicht Folge leistete, beängstige mich.
      “Vriska, ich”, stammelte Harlen unschuldig, “das wollte ich nicht. Was machen wir jetzt?”
      “Wir? Du musst dir jetzt Gedanken machen, weil ich das so schnell wie möglich zurück brauche”, rollte ich mit den Augen und stand frustriert auf, um auf der Terrasse den Krebs zu füttern. Mehrfach setzte mein äußerst liebenswerter Bruder noch zu Entschuldigungsversuchen an, die ich allesamt ignorierte.
      Aufgrund fehlenden Zeitmessers starrte ich Ewigkeiten, die sich später als vier Minuten herausstellten, in die Leere und zog an dem Glimmstängel. Meine Lunge brannte und in meinem Rachen kratze alles. Je kräftiger ich atmete, umso stärker rückte der Schmerz in den Vordergrund. Ich hatte es geschafft über meinen Schatten zu springen, jemanden von meinem Schicksal zu erzählen und im selben Zuge meinen Traummann kennenzulernen. Das Wort beschrieb ihn ganz gut, denn es existierte nur diese eine Version von ihm in meinem Kopf, die weniger real erschien, als ein paar Buchstaben auf einem, kaputten, Bildschirm.
      “Vivi, warum bist du auf einmal so eingeschnappt? Letzte Woche hättest du mich nicht so angefallen, wenn dein Handy kaputtgegangen wäre”, versuchte Harlen ein klärendes Gespräch zu führen. Wieder funkelte ich ihn erbost an, aber versuchte mich ebenfalls daran, ruhig zu bleiben. Mein Traummann hatte sich bestimmt auf die Suche begeben zur nächsten Kandidatin.
      “Du hast mir gerade eine Chance versaut”, fluchte ich.
      “Chance? Du meinst, die seltsamen Nachrichten mit dem Kerl? Vivi, du bist mit Erik zusammen, vergessen?”, zog er seine Augenbrauen nach oben und fasste sich einige Male durch sein leicht nach oben gestyltem Haar.
      Ich zuckte mit den Schultern.
      “Wir sind nicht mehr zusammen”, erklärte ich kurz gebunden und starrte wieder in die Leere. Meine Zigarette hatte den Heldentod erlitten und lag bis zum Filter verbrannt im Aschenbecher neben den anderen Kameraden, die erfolgreich in die Schlacht zogen, aber nie ihre Familie wiedersehen werden. Ich seufzte und fühlte mich teilweise wie meine Stummel.
      “Was hast du schon wieder getan?”, rollte er mit seinen Augen und setzte sich dazu, bemerkte dann aber, dass Trymr jeden seiner Schritte genau beobachtete. Kurz öffnete den Mund, als würde er noch etwas fragen wollen, aber verstummte dann.
      “Es ist nicht in Ordnung, dass du direkt davon ausgehst, dass ich etwas getan habe”, knurrte ich, “aber ich habe es beendet, weil mir etwas fehlte bei uns.”
      “Sex?”, lachte Harlen. Ich schob meine Unterlippe über die obere und drückte das Kinn nach oben zu einem Schmollmund. Meine Augen bewegten sich nach oben, dann nickte ich. Noch immer lachte mein Bruder und legte grundlos seine Hand auf mein rechtes, wippendes Knie unter dem Tisch.
      “Kaum zu glauben, dass er ein Olofsson ist”, antwortete er.
      “Was hat das damit zu tun und woher weißt du das?”, wunderte ich mich.
      “Das hat bei uns in der Firma ziemlich die Runde gemacht, nach dem wir dank deiner Hilfe nun fein raus sind”, lächelte er stolz.
      “Warte”, unweigerlich kratzte ich an meiner rechten Hand, “das komische Gespräch hat dafür gereicht, das Familienunternehmen aus einem Skandal wie diesem zu verhelfen?”
      “Das ist also nicht der Grund?”, fragte mein Bruder später, als es wieder still geworden war.
      “Nein”, ich zog noch einmal kräftig Luft und Rauch ein, “ich erinnere mich an nichts mehr und Erik hatte es mir anderes erzählt. Spätestens jetzt müsste er mir aber einiges erklären.”
      Harlen nickte.
      “Aber warum machst du das schon wieder?”, tastete er sich langsam an die seltsame Firmenfeier heran.
      Ich zuckte mit den Schultern. Es gab keinen Grund dafür, eigentlich hatte nichts einen Grund. Vieles tat ich einfach, weil ich es wollte. Vielleicht bewies ich mir selbst etwas damit, aber eins stand fest – es bereitete mir einen mordsmäßigen Spaß, den Rausch der Gefühle mit älteren Männern, die mich als kleines Püppchen ansahen und genauso behandelten. Ein Psychologe würde das genauer erklären können, vermutlich war das der Grund, warum ich meine Sitzungen schwänzte. Ich brauchte niemanden, der mir mein Leben erklärte und vermutlich auch als ungesund erklärte.
      “Darum”, antwortete ich mit Versatz.
      “Aber was machst du jetzt wegen meines Handys?”, wechselte ich rasch das Thema. Vielleicht war er noch da und wartete auf mich, ich hoffte es.
      “Sieh hier”, sagte Harlen und zeigte ein Handy vom Festland auf einer Kleinanzeigen-Anwendung. Ich nickte. Wortlos stand er auf, verschwand in der Wohnung, kam viele Minuten später wieder angezogen heraus, mit meinem Autoschlüssel in der Hand. Er verabschiedete sich. Trymr spitze die Ohren, folgte seinen Schritten, bis er aus dem Sichtfeld verschwand. Innerlich erdrückte es mich schon, dass ich mich nur schemenhaft an den Akt erinnerte, denn ich wollte schon wissen, ob es gut war. Jedoch konnte soweit aus Erfahrung sagen, dass ich mir darum keine Sorgen machen musste. Nur ein entspanntes Wochenende sah anders aus, besonders, wenn ich in der nächsten Woche das erste komplett eigene Berittpferd vor Ort habe und auch Fruity noch reite.
      Ich lief hinein, holte aus dem Kasten ein Craftbier von den netten Leuten an der Ecke, bei denen Tyrell öfter für alle bestellte. Das Erste floss in Sekundenschnelle meine Kehle hinunter und das zweite folgte sogleich. Die Druckbetankung endete bei vier und zwei weiteren in der Hand, als Weggestaltung. Mit dem Hund im Schlepptau klopfte ich bei Lina an der Tür. Es fühlte sich an, als wartete ich Stunden auf sie, bis sie endlich öffnete.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 73.376 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte September 2020}
    • Mohikanerin
      Dressur E zu A | 31. Dezember 2021

      Moonwalker LDS // HMJ Holy // Einheitssprache // Klinkker LDS // Northumbria // Ready for Life // Schleudergang LDS // Milska // Hallveig från Atomic // Narcissa // Vrindr von Atomic // Spök von Atomic // Legolas

      Mit einem lauten Klirren fiel nur wenige Meter von uns entfernt das Rolltor aus der Verankerung. Heinz, der nur noch einige Zeit bei uns war zum Beritt, sprang zur Seite und streckte den Kopf zur Linken, um zu prüfen, woher dieses schreckliche Geräusch stammte. Immerhin sorgte es dafür, dass die klirrende Kälte vor dem Stall blieb. Der Hengst hatte sich wieder dem gelben Futternapf gewidmet und dampfte weiter unter dem wärmenden Licht der roten Birnen.
      Zuvor beschritten wir eine erfolgreiche, wenn auch kurze, Reiteinheit mit Tyrell, der gleichzeitig Walker an der Hand schulte, zum Lösen von Verspannungen. Zunehmend kam der helle Hengst ins Gleichgewicht und lernte auch entspannt zu sein, wenn andere Pferde sich in der Halle befanden. Von vornherein war es klar, dass er sich schwer, nicht die Ranghöhe bei der Arbeit zu genießen, die er sich hart mit Frost erkämpfte. Deswegen überlegten wir noch, die Paddocks zu teilen, um allen Pferden die nötige Ruhe gewährleisten zu können. Den Herren neben mir interessierte das alles jedoch überhaupt nicht. Heinz hatte zwar eine gewisse Blütigkeit mütterlicherseits geerbt, aber ihm kam auch die Ruhe seines Vaters zugute, was ihn zu einem treuen und ausgeglichenen Partner machte. Deswegen, und natürlich auch seiner Optik, war es nicht verwunderlich, dass er schnell Anhänger fand und ein schönes Zuhause in Deutschland. Brooke, eine, die mir bisher als Springreiterin bekannt war und an der einen und anderen Stelle als aufsteigender Stern angesehen wird. Zumindest hatte ich das einmal in einem der Onlineartikel gelesen aus meiner ehemaligen Heimat, neben Tratsch und Klatsch aus der Reiterszene.
      „Vriska, machst du dich dann bitte Humbria bereit?“, sagte Tyrell, der Walker zurück auf den Paddock brachte.
      Ich nickte.
      Neugierig blickte mich die dunkle Stute an, als ich mit dem Halfter in der Hand am Tor stand und ihren Namen rief. Tag täglich war Humbria motiviert mit mir zu arbeiten und auch fand meinen Reiz darin, der Stute den Weg zu zeigen in das Leben eines gesunden Reitpferdes.
      Die kleinen Steine knirschten beinah friedlich unter unseren Schritten, während die Idylle von dem Lärm der Maschinen auf der anderen Seite des Gestüts gestört wurde. Sosehr ich auch versuchte mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass sich der Hof auf kurz oder lang zu einem der renommiertesten entwickeln würde, sah ich kritisch in die Zukunft. Ich liebte das alles hier, wie es war und es gab keine Notwendigkeit etwas zu verändern, aber meine Stimme hatte kein Gewicht.
      Schwermütig seufzte ich, als ein Fuß, nach dem anderen den Betonboden betrat und ich schließlich die Stute fertig machte. Auch Lina war bereits damit beschäftigt ihre neuste Errungenschaft zu putzen. Das Pferd war ebenfalls komplett rasiert und benötigte dementsprechend nur mäßige Fellpflege. Humbria legte immer wieder die Ohren an, als Redo freundlich sie inspizierte. Einmal quietschte sie sogar auf. Konsequent ignorierte ich ihr Verhalten, das mussten die beiden unter sich klären.
      In der Sattelkammer betrachtete ich nachdenklich die Auswahl an Schabracken und Sätteln. Für gewöhnlich würde ich den Wolken-Sattel von Lubi nehmen, doch aus unerklärlichen Gründen nahm ich das Schulungspad und dazu meine Filzunterlage aus der Schweiz, die bisher wie ein gehüteter Schatz in meinem Schrank hing. Behutsam nahm ich den Schutz von ihr ab und betrachtete das kleine Vermögen. *‘Ich sollte weniger Geld ausgeben für so was’*, überlege ich augenblicklich, aber zuckte mit den Schultern und lief hinaus, nach dem ich noch die Trense vom Haken nahm.
      „Ich gehe schon in die Halle“, nickte Lina mir zu und führte die Rappstute aus der Bucht heraus. Nur kläglich folgte sie, streckte den Hals so lang sie konnte, ehe der erste Schritt nach vorne sich setzte. Dann folgte einer nach dem anderen und nur noch der Hufschlag war von den Beiden zu hören. Urplötzlich verschwand wieder meine Motivation, was vermutlich damit zusammenhing, dass Jonina mit Halli die Gasse betrat, gefolgt von Bruce, der jedoch ohne Pferd unterwegs war. Schnell drehte ich mich wieder zur dunklen Stute, um den Baumwohlgurt zu befestigen.
      „Heute wird es eine große Runde“, lachte Bruce und klopfte mir auf die Schulter.
      Ich nickte, aber schwieg.
      Noch immer konnte ich mir nicht erklären, wie ich so schnell meine Angst gegenüber großen Pferden ablegen konnte. Die Fahrt nach Kanada hatte alles verändert. Fortan setzte ich neue Ziele, versuchte mich wieder zu einer besseren Form meiner Selbst zu entwickeln. Aber was dachte ich andauernd über das nach? Der Tod meiner besten Freundin zog sich wie ein roter Faden durch mein Leben, nagte an mir und ließ mich nicht los. *Wird es jemals erträglich?*
      Von der Seite stupste mich die dunkle Stute an und versuchte mich wieder in die Realität zu holen. Ihre Augen funkelten fröhlich im warmen Licht der Deckenstrahler. Im sicheren Abstand zu den anderen beiden Damen führte ich Humbria im Schritt durch den tiefen Sand, viel mehr, um mich selbst auf diese Einheit vorzubereiten, als die Stute. Sie war ruhig und sogar deutlich geschmeidiger im Genick als die Tage zu vor.
      „Vriska, jetzt steige endlich auf. Das sinnlose Herumführen bringt dem Pferd nichts“, schnaubte Tyrell aus den Kopfhörern, aber widerwillig zog ich an den Zügel zu der Aufstiegshilfe. Das Schulungspad verfügte nicht über Steigbügel und stellte damit die erste Herausforderung dar, doch mein Trainer kam freundlicherweise dazu und drückte sanft mein Bein nach oben. Einmal schüttelte Humbria mit dem Kopf, aber wartete geduldig, bis ich vernünftig im Leder saß. Vorbereitend prüfte ich meinen Sitz, spürte direkt, dass ich rechts höher saß als links und der Kopf des Pferdes wieder nickte. Langsam setzte ich das Tier in Bewegung, wirklich langsam. Ein Tritt nach dem anderen setzte sie nach vorn, jedoch genau an meiner Hilfe. Mithilfe der Zügel holte ich den Kopf nach oben, um die Geschmeidigkeit im Genick zu behalten und setzte mich tief in den Sattel. Doch als Lina, bereits im Mitteltrab, fiel mir die Stute aus dem Rahmen. Trotzig schnaubte Humbria ab.
      „Sei geduldig mit ihr. Noch vor drei Wochen lief sie auf der Bahn, da kann sie dir auch heute keine Hochleistung im Sand bringen“, korrigierte mich Tyrell. Seine Sprüche waren mir bekannt und die Intention noch viel mehr, aber ein kleiner innerlicher Teufel versuchte mir immer ins Gewissen zu sprechen, dass es bei anderen so viel einfacherer war und ich allein diesen täglichen Kampf hatte.
      „Okay, aber was soll ich tun?“, murmelte ich in das kleine Mikrofon an meiner Brust.
      Seufzten ertönte in meinen Ohren.
      „Hör ihr zu, was sagt sie? Und im Unterschied dazu, was sagst du ihr? Gib ihr die Zeit. Am besten fernab der anderen, viel weiter im Inneren. Erst, wenn ihr auf einer Ebene kommuniziert, könnt ihr die Schiefe ausgleichen. Außerdem muss der Schub weg, aber daran bist du auch gewillt zu Arbeit, wie ich sehe“, holte er weit aus. Wie ein Anfänger fühlte ich mich, als säße ich zum ersten Mal auf dem Rücken eines Pferdes, aber weit davon war ich auch nicht entfernt. Drei Jahre Erfahrung machen mich nicht zu Profi, wenn auch der unter 25 Jahren Kader eine glückliche Fügung darstellte.
      Im Inneren arbeitete ich im Stillen mit Humbria, konnte von jedem Abwenden sie besser ausgleichen, bis sie schließlich geschlossen stehen bleiben konnte und mich in den Kurven nicht mehr nach Außen hob. Die anderen Beiden Reiter erschienen im Kontrast so viel weiter. Lina trabte entspannte mit Redo, galoppierte gezielt aus dem Schritt an und konnte die Rappstute durch wenige Hilfen zurücknehmen. Auch Jonina auf Hallveig konnte sich sehen lassen, wenn auch unvergleichbar. Die braune Isländerstute brachte enormen Schwung an den Tag, was Auswirkung auf die Tragkraft hatte. Im Tölt strampelte sie wie ein Weltmeister und was so wirklich das Ziel der Beiden in der Reithalle war, konnte ich nur erahnen. Als hätte Tyrell meine Gedanken erhört, kommentierte er ihre Reitweise. Bruce saß still daneben. Eine kleine Diskussion entbrannte darüber, was richtig und was falsch sein. Ich schnappte vor Verwunderung nach Luft und konzentrierte mich wieder auf den Chaoten unter mir.
      Behutsam drückte ich beide Haken in die Seite der Stute und die Gerte wedelte gezielt. Aus dem versammelten Schritt heraus, baute sich Humbria auf, bekam einen bombastischen Schwung an Energie und sprang direkt in den Galopp, den man beinah als Schulgalopp bereits ansehen konnte. Es war das erste Mal, dass sie aus sich herauskam und den Brustkorb hob, dass ich dieses Angebot nur annehmen konnte für einige Tritte und dann die Zügelverbindung beendete und lobte. Wie ein hungriges Krokodil drehte sie sich zu mir und öffnete das Maul, um auf das Leckerli zu warten. Natürlich bekam sie aus, angesichts der Tatsache, dass sie unausstehlich wurde, wenn es keins gab. Ja, es war eine schlechte Angewohnheit, woher auch immer diese Stammen sollte, aber wir arbeiteten daran. So gab es keins mehr beim Holen vom Paddock, was mittlerweile verkraftbar war.
      Ein letztes Mal auf der anderen Hand wollte ich die Energie aus ihr herausholen. Bekam sogar den gewünschten Trab, den ich mit einer weiteren treibenden Hilfe ins Arbeitstempo verstärkte und mir auf dem vierten Hufschlag die Zügel aus der Hand kauen ließ. Zur gleiche Zeit waren die anderen Beiden in einer Abteilung unterwegs, trabten auf einer Schlangenlinie mit vier Bögen und galoppierten sogar zusammen auf einem sehr großen Zirkel. Aus dem Augenwinkel betrachtete auch Humbria dies. Voller Freude sprang ich beim nächsten Halt aus dem Pad und lobte die Stute ausgiebig.
      „Gut ihr Beiden, dann kannst du mir auch die Ente fertig machen“, sagte Tyrell zu mir, bevor ich Kopfhörer rausnahm und das Mikrofon stummte. Die Ente war kein anderes Pferd als Schleudergang, eins seiner Nachzuchten. Ich verstand nicht genau, wie er auf die Idee kam, das Barock-Reitpferd neu zu erfinden, aber mein Chef tat es und das beinah radikal. Unsere Ente hatte dichtes Langhaar mit einem mittellangen Hals, die Schulter schräg und reichte markant in den Rücken hinein – rundum, dem Zuchtprogramm entsprechend. Aber was man erst bei einem zweiten, und vor allem genaueren, Blick sah, war, dass dieses Pferd sehr ungeschickt lief. Ente hatte sich nicht unter Kontrolle, wirkte wie ein junges Tier, das vor wenigen Stunden lernte sich zu bewegen. Das machte die Arbeit mit ihr zu einem großen Problem, oder wie mein Chef zu sagen pflegte: Es ist kein Problem, sondern eine Herausforderung. Deswegen war ich froh, den nötigen Abstand zur Stute zu haben.
      Northumbria fraß genüsslich ihre Kraftfuttermahlzeit im Solarium und ich hatte mich mit einem Halfter bewaffnet, um die Ente vom Paddock zu holen. Wie alle anderen stand sie mit dem Po Richtung wird vor dem Unterstand, der Kopf gesenkt und von Motivation eher weniger geprägt. Genauso verlief auch das Holen und fertig machen für’s Training. Mit mir zusammen erreichte auch Bruce die Reithalle, hatte dabei seine große Hoffnung: Spök. Die junge, und ziemlich hübsche, Stute aus Krít lief mit wippenden Ohren neben ihm her, auf dem Rücken einen Longiergurt und in seiner Hand die Doppellonge.
      „Und, wann wirst du dich draufsetzen?“, erkundigte ich mich.
      „Jonina saß gestern das zweite Mal im Sattel und nächste Woche möchte ich mit ihr eine kurze Runde in den Wald in Begleitung“, erzählte Bruce und ging weiter zum Tor.
      Die Ente hatte ich geputzt und gesattelt, bevor Tyrell kam, um sie abzuholen. Dann nahm auch ich Humbria wieder aus dem Solarium heraus. Obwohl das Pferd nahezu trocken war, legte ich ihr wieder die grüne Weidedecke auf den Rücken und stellte sie weg. Direkt lief sie in den Unterstand und begann das Heu zu knabbern. Von der Seite kam Jonina dazu, hatte offenbar Halli weggestellt und nun Milska sowie Cissa in der Hand.
      „Bruce wollte, dass du sie Korrektur reitest“, gab sie mir die gescheckte Stute. Durch den dichten Schopf funkelten ihre Augen, wovon eins blau war und das andere tiefschwarz. An der linken Ohrspitze befand sich ein kleiner Fleck, ansonsten war ihr Kopf hell. Bruce hatte mir schon von der Stute berichtet. Angeschafft für die Reitschule, stellte sie sich als eine Herausforderung dar für junge Leute, da sie zwar geduldig war und sehr zuverlässig den Hilfen folgte, hatte sie Tage, an den nichts lief.
      Aufgeregt pochte mein kleines Herz in der Brust, drohte sich den Weg ins Freie zu suchen. Cissa erfüllte beinah alle meine Anforderung, rein optisch, zu einem Traumpferd. Die Augen waren treu und groß, die Ohren Aufmerksamkeit und die Gelenke kräftig. An den Fesseln hing viel Behang und das Langhaar war dicht. Neugierig stupste sie mich an, beobachtete jeden meiner Schritte im Stall und konnte es scheinbar gar nicht abwarten, sich zu präsentieren. Glücklicherweise hatte ich meinen eigenen Sattel, musste demnach Bruce nicht stören, der mit Spök die Anforderungen einer A-Dressur vom Boden aus erarbeitete. Mit einer Lammfellunterlagen konnte ich kleinere Unebenheiten zwischen Rücken und Sattel ausgleichen und legte darunter die grüne Otter-Schabracke, die natürlich um einiges zu groß war, aber das störte mich nicht. Da ich nicht wusste, was auf mich zukommen würde, legte ich ihr noch einfachere schwarze Gummiglocken an die Vorderbeine, ehe wir auch wieder in die Halle gingen.
      Die Brüder konzentrierten sich vollständig auf die Handarbeit mit den beiden Stuten, bemerkten mich nur peripher, auch Lina nickte nur, als ich „Tor frei“, rief. Auf der Mittellinie stellte ich mich auf und gurtete nach. Dabei immer im Augenwinkel die elfjährige Stute, die noch immer sehr genau meine Schritte beobachtete. Zum Kennenlernen nahm ich die Zügel in die rechte Hand auf Höhe des Widerristes und trieb sie mit der Gerte, in der linken Hand, schrittweise los. Unbalanciert taumelte sie nach vorn, wenig davon begeistert, dass ich sie einrahmte. Aber Meter für Meter, die wir hinter uns ließen, kam Cissa in ihren Schwerpunkt. Der Unterschied von einem Gangpferd ihrer Art war unverkennbar. Sie war in der Lage, die Schulter und Vorderhand zu heben, ohne dabei den Rumpf mitzunehmen und sich dabei mehr zu tragen. Jeden Schritt, den sie bei alldem in die richtige Richtung machte, belohnte ich mit einem Leckerli. Zufrieden mit der bisherigen Handarbeit schwang ich mich auf ihren Rücken und trabte auf dem Zirkel an. Mir fehlte der Vergleich, aber bequem trabte ich leicht, fühlte mich ungewöhnlich auf ihr. Für mein eigenes Vergnügen töltete ich auch einige Male die Bahnfiguren einer Anfänger Dressur in Verbindung mit vorbereitenden Seitengängen. Im Tölt fiel es ihr leichter sich in der Schulter zu wegen und mobil zu sein, während die Kruppe sehr steif an seiner Stelle blieb. Wenige Schritte kamen, wenn ich gezielt das Gewicht nach innen verlagerte, dabei die Stellung des Genicks am Zügel hielt und außen schob. Ja, seitwärts Bewegungen waren in einer so frühen Phase des Tanzes im Sand außergewöhnlich, aber durch Tyrell hatte ich es zu schätzen gelernt Pferden von Anfang an das Tragen zu vermitteln. Besonders für ein Gangpferd war es wichtig Tragkraft zu bekommen, denn Schwung und Schubkraft waren von Natur aus zu genüge da. Wie auch schon mit Humbria hörte ich auf, als es am besten lief. Ohne sie wirklich abzureiten, sprang ich ab und führte sie heraus.
      „Hufe noch“, erinnerte mich mein Bruder, der diese Sparmaßnahme auf Biegen und Brechen durchbringen wollte.
      „Das ist so unnötig“, rollte ich mit den Augen und griff nach dem Hufkratzer neben dem Tor. Zugegeben, Cissa hatte wirklich viel Sand zwischen dem Grip und zufrieden setzte er seinen Weg fort.
      „Wo willst du eigentlich, schon wieder hin?“, rief ich noch nach, aber bekam bis auf ein freches Grinsen, keine Antwort.
      Cissa hatte sich eine Portion Kraftfutter verdient und ich mir eine Pause. In der Futterkammer mischte ich die alle Zutaten laut ihres Speiseplans zusammen und mir reichte ein Apfel. Da auch sie vollkommen verschwitzt nicht auf das Paddock zurückkonnte, durfte sie eine Einheit im Rotlicht genießen. Da Lina und Tyrell noch eine Einzelstunde hatten, setzte ich mich an den Rand.
      Der Hengst hatte einen wunderschönen Zopf entlang des Mähnenkamms bekommen und sie selbst trug ihr Haar auch wie eh und je geflochten. Im Gleichklang wippten die Zöpfe im Takt des Schrittes. Rambi, oder Einheitssprache, wie er auf dem Papier hieß, machte sich seines Geschlechtes alle Ehre. Den Rumpf groß aufgebäumt trug er sich auf der Hinterhand, dabei den Schweif leicht aufgestellt und immer wieder drückte er sich von der Gebrauchshaltung weg. Dabei brummte er schrittweise, oder wieherte. Von draußen kamen mehrere Antworten der anderen Männer und auch die eine oder andere Stute beteiligte sich an dem innigen Gespräch.
      „Ihr solltet miteinander arbeiten, nicht gegeneinander“, hörte ich Tyrell sagen, bevor Lina den Hengst mit großem Kraftaufwand anhielt. Er schüttelte den Kopf und mit der Kruppe stieß er gegen die Bande, untermalt von einem leisen Brummen.
      „Und wie?“, fragte Lina. Dann begann eine ausführliche Erklärung über die Hengsterziehung und was alles dazu gehörte mit einem neuen Pferd ein Team zu werden. Gespannt hörte meine Kollegin, und auch Freundin, zu, aber mich nervte das Geschwafel. Das Glück war auf meiner Seite, so piepte das Rotlicht zweimal und Cissa hatte aufgefressen. Mit dem Handtuch neben der Bucht, wischte ich zur Kontrolle durch Fell, trocken.
      „Kann ich in den nächsten Tagen noch einmal mit ihr arbeiten?“, hoffte ich mit einem Ja beantwortet zu bekommen von Bruce, dem ich am anderen Stall begegnete, um Cissa zurück auf ihren Paddock zu stellen. Er blieb stehend und musterte uns beide. Aufgeregt fummelte meine Hand an dem kleinen Gummi, der als Etikett am Bund meiner Jacke hing. Natürlich konnte trotz aller Anspannung, das Grinsen auf meinen Lippen nicht verbergen. Die Mundwinkel zuckten vergnügt.
      „Natürlich“, lachte er mit seiner Hand auf meiner Schulter. Ein altes, aber wohlbekanntes Gefühl breitete sich durch meinen Blutkreislauf aus – Familie. *Seid ihr das?*

      Aus Schulungszwecken hatten Lina und ich zusammen mit Holy am Kappzaum gearbeitet. Die junge und trächtige Stute kannte die Grundlagen der Légèreté, umso angenehmer war es, dass sie etwas in Bewegung kam. Mit ihrem Kugelbauch konnte man kaum denken, dass erst in vier Monaten das Fohlen kommen sollte. Jeder ihrer Schritte wirkte wie eine Herausforderung, aber die Arbeit half der Stute an der Tragkraft zu arbeiten. Schließlich wollte auch das Baby getragen werden.
      „Du musst die Hilfen korrekt am Bauch setzen, da wo auch dein Schenkel liegen würde“, zeigte ich Lina noch einmal mit so viel Geduld und Freundlichkeit, wie ich aufbringen konnte. Ja, nicht jeder konnte sofort Profi sein, denn ich war es auch nicht, aber Hilflosigkeit irritiert mich.
      „Okay“, lächelte sie. Erneut legte Lina ihre Hand an das Gebiss, um das Genick der Stute in eine leichte Stellung zu nehmen und mit der Gerte am Bauch bewegte sich Holy schrittweise nach innen.
      „Kann ich euch allein lassen, oder brauchst du noch meine Hilfe?“, erkundigte ich mich einige Minuten später, als Lina mit Holy an der Haltung arbeitete.
      „Nein, alles gut“, winkte sie, aber rief mir noch nach, „Was hast du jetzt noch vor? Mit Humbi Ausreiten?“
      Lachend hielt ich an.
      „Eigentlich wollte ich mit Bruce raus, da er mit Spök nicht allein den Wald beschreiten möchte“, grinste ich fröhlich und hüpfte hinaus.
      Aus der klirrenden Kälte, deren Wind unsanft durchs Land zog, wurde zwar kein Hochsommer, aber es war trockener. Die Luft stand, erzeugte eine angenehme Frische, sodass ich in meinem Outdoor Pullover wieder in den Wald konnte. An dem dunklen Stoff der Ärmel klebten überall Pferdehaare. Ich hatte aufgegeben jeden Tag sie zu entfernen, aber warum auch? Ungewöhnlicherweise gefiel mir, die kleinen Fellmonsterreste an mir zu tragen.
      Wie ein alter Hase lief Spök neben Vrindr durch den Wald, den manch ein Pferd als den gruseligsten Teil des Gestüts empfand. Von allen Richtungen ertönte lautes knacken des Unterholz und meine sogar einen Hirsch gehört zu haben, als wir auf die Trainingsbahn abbogen. Die gescheckte Stute sah sich mit angewinkelten Ohren in der Gegend um, schien nach bekannten Orten zu suchen oder einem Gespenst, das es natürlich nicht gab. Bruce scherzte derweil.
      „Kannst dir vorstellen Cissa in deine Obhut zu nehmen bis zum nächsten Jahr?“, fragte er nach einem Stück, das wir getrabt waren.
      „Vorstellen ja, aber ich denke, meine Zeit gibt das nur schlecht her“, antwortete ich entrüstet. Tyrell schob mir im Arbeitsplan immer mehr Pferde zu und auf meinem eigenen Pony hatte ich bis heute nicht gesessen, obwohl es bei ihr mehr die Angst war, etwas falsch zu machen, als meine Zeit. Gleichzeitig benötigte Lubi sehr viel Bewegung. Morgens begann es mit einer halben Stunde Führanlage und abends stand sie häufig noch im Aquatrainer, dazwischen arbeiteten wir an der Hand oder hatten eine lange Einheit auf dem Platz. Die Stute war wissbegierig und nur schwer müde zu bekommen, kein Wunder, wenn sie in Kalmar täglich drei Stunden Training hatte vor meiner Zeit. Die Besitzer legten viel Wert darauf, dass sich der Trainingsstand ihrer Stute verbessert und dabei sollte auch die Ausdauer auf dem gewünschten Stand befinden. Außerdem hatte ich auch meinen Freund, der sich nach gemeinsamer Zeit sehnte, die ich aktuell in den Hintergrund schob und dabei selbst auch den Boden unter den Füßen verlor. Wenn es so weitergehen würde, könnte ich wieder im Teufelskreis landen oder bei Niklas.
      „Es würde schon reichen, wenn du mit ihr zwei bis drei Mal auf dem Platz arbeitest. Sie ist sehr motiviert in ihren Gängen in der Dressur und bei euch hatte ich das Gefühl, dass es passt. Also würden wir uns beide darüber freuen“, baute Bruce mich auf. Den restlichen Weg durch den Weg dachte ich darüber nach, konnte aber keine Entscheidung treffen, bevor ich mit einer außenstehenden Person die Situation besprochen hatte. Damit sei es nicht getan, auch meinen Zeitplan sollte ich dafür noch einmal genau studieren, doch zuvor sollte die Vrindr versorgt werden.
      Bei der Rückkehr in den großen Stall, durchquerte ich den Weg an den Stutenpaddocks, auf dem Holy wieder am Heu zupfte mit Girlie zusammen. Auf dem Sand daneben folgte mir der Blick von Humbria, die bereits am Morgen eine kurze, aber intensive Einheit auf dem Reitplatz genoss. Ein Lächeln huschte mir über die Lippen bei dem Gedanken, dass die Stute so große Lernerfolge zeigt. Ja, es gab Rückfälle, die sich als impulsive Ausfälle zeigten. Sie sprang hektisch durch den Sand, ignorierte ihren Reiter komplett und Tyrells Meinung zur Folge half dabei nur Absteigen und das ruhige Vermitteln der Lektion vom Boden. Dem kam ich nach und tatsächlich beruhigte sich das Rennpferd dabei.
      „Nachbesprechung ist essenziell“, erinnerte Tyrell, als wir uns im Büro versammelten. Lina und ich hingen zusammen auf einem Sessel, während Jonina allein auf dem daneben saß und mich mit ihren durchdringenden Blicken löcherte. Unauffällig versuchte ich die junge Dame zu analysieren, verstand aber nicht, welches Problem sie mit mir hatte. *Egal?*
      „Nun gut, da keiner von euch Einwände hat, fahre ich fort. Northumbria entwickelt sich großartig, so gut, dass sie sich eine Woche Pause verdient hat. Lockere Ausritte würden ihr guttun, aber keine intensiven Versammlung, lieber durchparieren in den Halt, um anschließend einige gezielte Tritte rückwärtszusetzen. Demzufolge wirst du in den Einheiten Walker bekommen. Lina, deine Stute ist großartig, aber wir sollten an einem anderen Punkt mit ihr weiterarbeiten. Die Anfänger Einheiten sind zu leicht, wodurch sie auf blöde Ideen kommt, umso wichtiger ist die Zeit mit deinem Hengst. Außerdem solltest du ihm Glocken anlegen, am besten sogar auf dem Paddock. Auch du Jonina kannst mit den Isländern gut an das Niveau der Anderen ansetzen, aber ich schätze, du schaffst das auch mit meinem Bruder. Zum Abschluss möchte ich euch noch sagen, dass wir morgen der theoretische Kurs beginnt und dabei gern dich und Rambi zum Vorzeigen hätte. Und, dein Freund kommt noch?“, erkundigte sich Tyrell, worauf Lina nickte, „sehr gut, dann sehen wir uns alle morgen um zehn Uhr in Raum 102.“
      Den freie Nachmittag nutze ich tatsächlich für ein Training mit Cissa auf dem kleinen Reitplatz, denn auf dem großen herrschte reger Wechsel der Einsteller und sogar Zickerei, wovon ich bestmöglichen Abstanden nahm. Neugierig beobachtete sie abermals jeden meiner Schritte, ein Zupfen an der Jacke hier und warmer Atem in meinem Gesicht da. Dennoch trat sie unruhig von einem Huf auf den anderen, dabei klimperten die Eisen einige Male, was mich an Tyrells Worte an Lina erinnerte. Auch Cissa sollte wohl besser Glocken zum Schutz tragen. Demnach holte ich alles Nötige aus der Sattelkammer, vergaß wie sooft den Helm, und befestigte das Zubehör korrekt.
      Für die heutige Einheit entschied ich besonders viel Wert auf Ruhe zu legen, die sie von vornherein an dem Tag nicht hatte. Es fiel ihr schwer den Schwerpunkt in der Mitte zu finden, setzte mich immer wieder nach außen, obwohl ich in den Kurven deutlich innen sitzen müsste. Im Stand nahm ich den Bügeltritt zur Hilfe, um das Gewicht gezielt zu verlagern und setzte die Einheit fort. Ihre Balance nahm zu, so legte ich mit sanften Impulsen an Geschwindigkeit zu und wiederholte die wichtigen Figuren der Anfänger Dressur. Kaum zu glauben, aber in meinem Kopf eröffnete sich, wieso auch das so wichtig war zu üben. Durch eine klare Linienführung spürte ich bei jedem Schritt, ob die Hufe ordnungsgemäß fußten, welche Defizite das Pferd unter dem Sattel vorwies und ihr leichter fiel. Cissa war rechts hohl. Besondere Auswirkungen hatte diese schiefe auf ihre Schulter. In den wenigen Metern Tölt, die sie in den Ecken im Trab zwischendurch machte, blieb das eine Bein deutlich länger am Boden und hielt sich tiefer in der Luft. Häufige Handwechsel und auch Kehrwendungen auf der Vorderhand ermöglichten es mir, die Körperteile akkurat zu mobilisieren. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist, deswegen schwang ich mich nach weiteren Runden im Trab aus dem Sattel und lobte die Stute ausgiebig.
      Am Horizont verabschiedete sich die Sonne langsam, ein Zeichen, dass ich die letzte Reiteinheit des Tages in die Halle verlagern sollte. Erneut war ich mit Lina verabredet, die mit Redo noch an der Longe arbeitete und mit mir zusammen die Hengste plante zu bewegen. Klinkker hatte vor der Abreise noch ein Training und bei meiner Kollegin entwickelte sich so etwas wie Ehrgeiz, um morgen mit Rambi morgen zu glänzen. Sie sprach nicht offen darüber, aber ich sah dieses Leuchten in ihren Augen, das sich ausbreitete, wenn ich Fragen zu dem hübschen Hengst stellte.
      In der Sattelkammer durchsuchte Lina hektisch ihren Schrank, der sich mittlerweile zu einem kleinen Paradies aus Schabracken verwandelt hatte. Gut, bei mir wurden es, gefühlt, ebenfalls immer mehr. Einige der Stücke hatten sogar noch das Etikett daran. Noch bevor ich meine abschließende Wahl traf, griff ich nach meinem Handy. Der Sperrbildschirm war überseht von Benachrichtigungen, wovon die meisten uninteressant waren, doch eine Nachricht, weckte direkt mein Interesse – *Avledning*. Prüfend schwebten meine Augen von links nach rechts. Alle wussten davon, aber ich wollte besonders das Treffen in weniger als einem Monat weiterhin geheim halten.
      „Wenn es sich glücklich macht, nutze die Chance. Ich sehe keine Nachteile darin“, las ich in seiner Nachricht. Zuvor berichtete ich von Cissa, natürlich nur indirekt. Das Thema Pferd und Reiten waren für viele zu kompliziert, besonders emotional gesehen, dass ich ihm dies ersparte.
      „Okay, dann werde ich es versuchen“, schwebten meine Finger über die dunkle Tastatur.
      „Nein, du versuchst es nicht. Du machst das“, antwortete er umgehend und verlor mich selbst in der Konversation.
      Offenbar hatte ich es mir unbewusst auf den Polstern inmitten des Raumes bequem gemacht, denn Lina stand vor und tippte mich auf den Beinen an. Eingeschüchtert fuhr ich hoch, was dem Schrecken geschuldet war.
      „Eigentlich will ich dich ungern stören, aber die Pferde warten auf uns“, lächelte sie.
      Ich rollte mit den Augen. *War es ihre übertriebene Freundlichkeit oder die reine Tatsache, dass ich mein Handy weglegen sollte, die mich nervte?*
      Rambi sah einmalig aus. Lina hatte wirklich Talent dafür, das Outfit ihres Pferdes, auch wenn nicht wirklich ihr gehörte, abzustimmen. In der geflochtenen Mähne trug der Hengst ein violettes Band, die Schabracke ebenfalls in dieser Farbe und aus der Wühlkiste mit Glocken hatte sie tatsächlich auch welche gefunden, die dazu passten. Außer acht sollte man auch die Trense nicht lassen, die nach ihren Farbwünschen gemacht hatte. Das Kletterseil in dem beerigen Violett fand ich noch in meiner Sammlung aus alten Schnüren und bis auf den letzten Zentimeter hatte ausgereicht, um ihr ein schönes Zaum zu gestalten. Ich hingegen hatte eine beliebige Schabracke gewählt in Grün und sehr unpassend dazu trug Klinkker dunkelblaue Bandagen mit Wolle als Unterlage, worauf ich im Internet stieß.
      „Wenn du mich brauchst, musst du mich über das Headset kontaktieren“, sagte ich zu Lina und stellte bei den Geräten die korrekte Frequenz ein. Zustimmend nickte sie und schwang sich in den Sattel. Einige Meter entfernt reihte ich mich auf der Mittellinie auf, gurtete nach und setzte mich ebenfalls auf den Rücken des Tieres. Interessiert drehte er den Kopf zu mir, musterte genau meine Bewegungen. Gezielt setzte ich mich ins Leder. Das letzte Pferd eines Tages war immer eine Herausforderung für meine Konzentration, umso mehr hatte ich das große Ganze im Kopf.
      Klinkker brachte sich gut in die Arbeit ein. Bereits nach einigen Runden im verkleinerten Viereck balancierte sich der Hengst und brachte eine hohe Konzentration an Tragkraft auf. Daraus entschied ich mehr am Schwung anzusetzen, die Schubkraft herauszuarbeiten. Ein Ansatz dafür stellten Schritt-Galopp-Übergänge und Rückwärtsrichten.

      Erst im Nachgang erfuhr ich, wie Lina mit ihrem Hengst zu kämpfen hatte. Abermals präsentierte Rambi sich mit den schlimmsten Hengstmanieren, die ein Pferd an den Tag bringen konnte. Sie schaffte es jedoch einige Bahnfiguren mit ihm zu erarbeiten und näher an die Ansprüche der Anfänger Dressur zu rücken.
      „Was denn das für ein Kaffeeklatsch?“, lachte Niklas, der mit Smoothie an der Tribüne vorbeikam. Böse schielte ich zu ihm.
      „Weiterbildung, eine Aktivität zum Vertiefen, Erweitern oder Aktualisieren von Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen“, gluckste ich. Lina stieß mir im selben Moment mit zwei Fingern in die Seite. Aua, formte ich auf meinen Lippen. Sie grinste.
      „Endlich, du kannst schließlich nicht immer das dumme Blondchen bleiben“, gab er noch hochnäsig zu verstehen und setzte sich wieder mit der Schimmelstute in Bewegung. Im Herzen brannte die Sehnsucht, wenn auch hintergründig, aber sie war da. Seufzend drehte ich mich weg, als sie aus dem Sichtfeld verschwanden.
      Tyrell hatte Samu gebeten sich auf Lego zu setzen und seine normale Dressurarbeit zu zeigen. Neben der kleinen Gruppe vom Hof saßen auch noch andere Außenstehende. Von verschiedenen Höfen kamen sie her, versuchten besser zu verstehen, was es mit der Ecolé de Légèreté auf sich hat. Einige bekannte Gesichter gab es natürlich, die regelmäßig bei Tyrell Unterricht nahmen. Anhand des Rappen zeigte er auf, welche Probleme das Pferd hatte, inwieweit eine Lektion bereits zu früh angefangen wurde und es nicht am Reiter liegt. Dann begann ein tiefsinniger Monolog über den Druck der Gesellschaft und der heutigen Turnierkultur. Wichtig war ihm der Punkt, dass er kein grundlegendes Problem mit der Turnierlandschaft hatte, sondern wie gerichtet wurde und die Rücksichtslos die Tiere ausgebildet wurden. Mit einigen Tipps konnte Legolas sich mehr Fallen lassen und Samu die Hilfen gezielter einsetzen, um dem Hengst klar und deutlich zu vermitteln, was er von ihm wollte.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 31.853 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte Oktober 2020}
    • Mohikanerin
      Dressur A zu L | 28. Februar 2022

      Hallveig från Atomic // Vrindr von Atomic // Milska // Schleudergang LDS // British Gold // Mystic Fantasy Dahlia // Ready for Life // Einheitssprache

      Leise rieselt der Schnee, oder so. In ungebändigten Schwalle fegte der Wind die Flocken über den Hof, die bereits weit verteilt am Fell der braunen Stute hingen. Hall trottete mit straften Strick mir nach in den Stall und schüttelte sich zunächst, weniger weiß, dass ich entfernen musste. Grob putzte ich ihren Kopf sowie Sattel- und Gurtlage. Das Wetter forderte förmlich die Gymnastizierung der Nachwuchsstute, die aktuell die Grundlagen der Ausbildung begriffen hatte.
      In der Reithalle traf ich auf Bruce, der selbst Vrindr arbeitete und die junge Dame, die aktuell ein Praktikum auf dem Hof absolvierte, saß auf Milska. Unruhig pendelte die Schimmelstute mit ihrem Schweif und auch fühlte mich so eingeengt wie das Pony, als ich die Haltung der Zügel da. Aber ich hielt mich für das Erste aus der Situation heraus, schließlich war unser Chef da, der Situation im Griff haben sollte. Sie wirkte erfahren im Umgang mit Pferden, aber spezifisch für Isländer, konnte ich nicht beurteilen. Vielleicht würde sich das in den nächsten Wochen ändern. Es gab Hoffnung, soviel spürte ich.
      In der Mitte der Halle ließ ich die Stute einige Runden um mich herum Übertreten, bevor ich Gurt fester zog und mich in den Sattel schwang. Wie gewohnt trottete das Pferd mit kurzen Schritten voran. Ich griff die Zügel etwas nach und gab im Wechsel halbe Paraden, trieb dabei aktiv, um den Viertakt gleichmäßig zu spüren. Die Übergänge erleichterten mir die Arbeit daran. Auch durch den Tölt kam Hall langsam zur Ruhe. Je mehr ich mich nur auf das Pferd und mich konzentrierter, umso besser gelang mir Kontakt zu finden. Durch Schlangenlinien und weitere Wendungen setzte sich das Pferd mehr, kam zur Geraden und schließlich im Galopp bot sie sogar gezielt den Außengalopp an.
      Am Höhepunkt des Trainings gab ich ihr die Zügel und ritt im Schritt noch einige Runden, bevor ich abstieg und Hall ihr Futter mischte. Noch immer verwirrt von dem System, stand ich vor dem Monitor in der Sattelkammer und starrte die leeren Worte an. Es standen die genauen Messwerte da, doch fand ich die Eimer nicht. Die klackenden Schritte hinter mir, verrieten, dass Hilfe kam.
      “Endlich”, zeterte ich, aber rechnete nicht damit, dass urplötzlich Harlen hinter mir auftauchte. Der Eisbrocken in meiner Brust knackte und sprang wie ein junges Kaninchen durch den Schnee. Ich konnte es mir nicht verkneifen, einen kräftigen Atemzug zu nehmen und mir nichts anmerken zu lassen. Auf dem Gestüt gelang es mir, ihm aus dem Weg zu gehen. Sein Jammern “wollen wir mal wieder etwas machen?” nervte mich. Wollte ich es nicht akzeptieren, dass wir einander näher kamen und es genossen? Oder war es den Gefühlen meines Bruders geschuldet, der sich allerdings eine neue Liebschaft anlachte? Es sollte so keinesfalls laufen, aber noch immer stand ich vor dem Problem, das System nicht nutzen zu können.
      „Ich hätte nicht gedacht, dass du dich überhaupt noch traust, mit mir sprechen“, lachte Harlen und schenkte mir ein kurzes Lächeln.
      „Viel zu tun, tut mir leid“, tat ich es ab. Er nickte einmal, aber ließ es im Raum stehen.
      Also ergriff ich wieder das Wort: „Aber wenn du schon mal da bist, kannst du mir eventuell helfen?“, zeigte ich zusätzlich auf den Monitor.
      „Selbstverständlich.“
      Zusammen suchten wir die Eimer, um der Stute ihre Futterportion zuzubereiten. Das Rascheln blieb auch bei Hallveig nicht unbemerkt. Aufgeregt kratzte das Pferd mit den Hufen auf dem Betonboden und hörte trotz meiner Ermahnungen nicht auf. Noch heller leuchteten ihre Augen, als ich schließlich mit der grünen Schüssel aus dem Raum kam. Harlen folgte mir und stand so dicht neben mir, dass seinen Atem an meiner Wange spürte. Das Häschen erwachte wieder, lebhafter als zuvor.
      “Könntest du einen Schritt zur Seite gehen?”, versuchte ich ihn weiter aus meinem Leben auszuschließen.
      “Was passiert, wenn ich es nicht tue?”, grinste er wieder.
      “Dann melde ich dich für Belästigung am Arbeitsplatz”, zuckte ich mit den Schultern. Erst jetzt entschloss er meine Bitte nachzukommen, auch wenn ich den Schmerz in seinen Augen förmlich spürte, als würde das Kaninchen urplötzlich kraftlos im Schnee versinken. Schweigend drehte er sich weg und verschwand im schlechten Wetter vor der Tür. Schon nach wenigen Metern verschwamm seine Silhouette zwischen den Flocken.
      Während Hallveig mit vollem Genuss ihr Müsli kaute, hatte ich mich auf eine der Aufstiegshilfen platziert und mir eine Abschwitzdecke über die Beine gelegt, um keine weitere Blasenentzündung zu bekommen. Auch Neele, die Praktikantin, war mittlerweile mit der Schimmelstute in den Stall gekommen. Sie schien besser mit dem System klarzukommen, denn schon nach weniger als einer Minute kehrte sie mit der gefüllten Schüssel zurück, in die Milska ihren Kopf steckte.
      “Woran habt ihr gearbeitet?”, fragte ich freundlich und erwachte aus der Starre.
      “Versammlungen und Anlehnung. Sie war heute deutlich motivierter als gestern”, erfreute sich Neele. Natürlich, ich hatte bereits gute Ansätze erarbeitet, damit fehlte nicht mehr viel zum nächsten Schritt der Ausbildungsskala. Auch Bruce kehrte einige Zeit später mit Vrindr wieder. Die Stute machte ebenfalls Fortschritte, die man keinesfalls verschweigen sollte. Losgelassen unterhielten wir uns über die Pferde und verabredeten uns für ein Mittagessen im Gemeinschaftsraum.
      Auf dem Weg durch die große Reithalle bemerkte ich den besten Freund von Blondies Mitläufer. Ich hatte mich schon gewundert, keinen der beiden im Stall zu erblicken, auch wenn es anfangs mich nicht wunderte. Blondie, oder Vriska wie sie alle benannten, sah man nur selten im Stall und da hatte sie stets schlechte Laune. Mit Lina hingegen gab es keine Probleme, aber mehr als die herkömmlichen Floskeln tauschten wir einander nicht aus. Samu, wenn ich mich nicht irrte, sah auf ihrer Rappstute, die mit gleichmäßigen Tritten durch den Sand schwebte und einen hohen Grad der Versammlung zeigte. Genauso zuverlässig lief Redo an den Zügel heran. Zur gleichen Zeit war auch eine Frau auf Linas anderen Pferd in der Halle – die eigentliche Besitzerin, wie man mir später mitteilte. Rambi war genauso weit in der Skala, auch wenn ihm der Galopp noch sehr schwerfiel. Bei einem Kampfgewicht, wie er es aufwies, würde ich mich ebenfalls ungern bewegen. Als drittes Pferd in der Runde arbeitete Folkes Freundin mit Schleudergang.
      Ein kräftiger Geruch von Erdnuss und Koriander kam mir bereits beim Öffnen des Gebäudes entgegen, intensivierte sich, je näher wir der Gemeinschaftsküche. Das Grummeln in meinem Magen erinnerte mich daran, dass das Essen zum richtigen Moment angesetzt war. Ausnahmsweise hatte Harlen gekocht, was mir kurz den Hunger verschlug, aber beim nächsten Atemzug setzte das Gefühl wieder ein. Ich hängte meine Jacke an den Haken, zog die Schuhe aus und setzte mich auf die Bank. Elsa, die zuvor noch bei Harlen hochsah und auf Essen hoffte, kam zur mir anlaufen. Die Hündin blickte auch mich mit großen Augen an.
      “Ich habe leider nicht für dich”, präsentierte ich ihr meine leeren Hosentaschen und strich über ihren Kopf.
      “Und, wie gefällt es dir bisher?”, erkundigte sich Bruce und stellte für jeden auf den Tisch, während Neele auf ihr Handy starrte. Schnell huschten ihre Finger über den Display und auf den Lippen lag ein strahlendes Lächeln.
      “Es ist toll, danke für die Möglichkeit”, sah sie von dem Gerät hoch. Endlich legte sie es weg und widmete sich unseren Vorgesetzten.
      “Gern, wir freuen uns jemanden, wie dich im Team willkommen heißen zu dürfen”, sagte er, als wäre eine junge Dressurtussi genau das, was wir für die Isländer benötigten. Wenn es nach mir ginge, könnte man jemanden mit mehr Gangpferdeerfahrung dazu holen, aber was weiß ich. Vielleicht doch. Sie erst seit zwei Tagen auf dem Hof und Harlen hatte diesen einen Blick, den er auch mir zuwarf. Auch am Tisch fiel es mir auf.
      “Jonina, hast du dir schon überlegt, ob Glanni noch zur Fizo soll?”, schien Bruce den Unmut meinerseits zu spüren.
      “Ich bin mir nicht sicher, weil es ziemlicher Stress für ihn ist”, schluckte ich zunächst die Portion herunter, bevor ich ihm antwortete. Natürlich wäre es nur klug einen Hengst zu haben, wenn er auch zur Zucht geeignet war. Glanni entsprach den Zuchtidealen eines Isländers, aber lag es in meinem Interesse seine Gene auf der Welt zu verteilen?
      “Mit Willa oder sogar Thögn könnten tolle Fohlen zur Welt kommen und ich kenne auch jemanden, der eins der Tiere kaufen würde”, erklärte er mit leichtem Nachdruck.
      “Ich werde darüber nachdenken, aber was steht denn noch auf dem Plan?”, versuchte ich wieder zur Arbeit zurückzukommen, doch Neele erzählte freudig über Pferde, von denen am Tisch noch jemand hörte. Entgegen meiner Erwartung versuchte Harlen sogar dem Geschwafel über die beiden Dressurpferde zu folgen. Aber ganz ehrlich? Wer sollte etwas über British Gold und Mystic Fantasy Dahlia, die mit den gleichen Prozenten eine L Dressur in der regional Liga in Kanada gewannen.

      © Mohikanerin // Jonina // 8949 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte November 2020}
    • Mohikanerin
      Gang E zu A | 15. März 2022

      Narcissa // Vrindr von Atomic // Milska // Otra // Spök von Atomic

      Neuer Tag, neues Glück. So sagt man das doch, oder? Ich wollte heute auf die Bahn. Folke war bereits mit dem Schneepflug darüber gefahren, um den Schnee zur Seite zu schieben. Die Kies Oberfläche wurde nicht sichtbar, aber das reichte mir. Die vier Stuten, die heute auf dem Plan standen, waren voll beschlagen mit Grip und Spikes, was mir eine Leichtigkeit war, die Tiere in ihrem Element zu schulen. Mit Narcissa ritt ich bereits im Schritt auf der Bahn. Es war ruhig auf dem Hof, ohne das Getümmel. Die meisten waren Kiel auf einer Pferdeauktion. Auch ich hätte mitfahren können, aber wollte lieber die Zeit nehmen in der kleinen Winterpause die Isländer im Tölt zu festigen. Normalerweise betreute Bruce die Scheckenstute, doch er hatte sich den Tag freigenommen, um Zeit für sich selbst zunehmen. Eine weise Entscheidung, wie ich fand.
      Am langen Zügel ritt ich zunächst im Schritt, wechselte einige Male die Hand, bevor ich langsam etwas mehr Kontakt zum Pferdemaul aufbaute. Mit halben Paraden machte ich sie Aufmerksamer und mit einer treibenden Hilfe setzte Narcissa im Tölt an. Wiederholend bremste ich sie ab, zurück in den Schritt, hielt an und startete erneut durch. Das half sowohl mir als auch dem Pferd genauer auf alles zu achten und sie mehr ans Bein zu holen. Besser setzte sie sich auf die Hinterhand, bis ich schließlich einige Runden ohne Rollen im Tölt hinlegte und zum Ende hin auch noch etwas trabte und galoppierte. Damit beendete ich die Einheit. Im Stall bekam sie ihr Futter, während ich Vrindr putzte.
      Die junge Stute lief bereits sicher im Tölt, aber fehlte es noch an der Kraft, um den massiven Schwung der Vorderhand auch kontrollieren zu können. Auch mit ihr feilte ich an den Übergänge, legte dabei aber mehr Wert auf die Flüssigkeit, dass die Beine richtig abzufußen zur Gangart. Sie tendierte dazu Schwebetritte zu machen oder im Boden zu versinken und dabei den Körper zu verschieben. Die Grundgänge lief die Stute zuverlässig.
      Fortlaufend arbeitete ich Milska, die immer mehr zum Reitpferd wurde und vorbereitet wurde die Körung wurde. Zu gleichen Teilen ging es auch mit Otra wieder ins Training, die zwar durch ihre Verletzung am Huf, die bereits abheilt, noch beeinträchtigt ist, aber zu wenig Auslauf hat. Deswegen ging ich mit ihr in die Halle, für einen weicheren Unterboden. Zwischendurch bockte sie durch die übermäßige Energie, aber ich wusste damit umzugehen. Gerade als ich Spök vom Paddock geholt hatte, klingelte mein Handy. Mein Bruder wieder mal, der offenbar ein Problem hatte mit seinem Auto.
      “Wollen wir ihm helfen?”, flüsterte ich der Stute zu, die weitere Heuhalme im Maul kaute. Sie nahm sich öfter etwas mit, um für später etwas zu haben. Schnaubend schien mir die Stute zuzustimmen und ich brachte sie wieder zurück. Als Schwester hatte man es nicht immer leicht, vor allem, wenn man eigentlich immer erreichbar war. Aus dem Schrank holte ich meine Papiere sowie den Autoschlüssel und spielte Taxi.
      Geschlagene zwei Stunden später, weil ich ihn erneut zum Hof fuhr, damit er nachher nach Stockholm fahren konnte, kam ich wieder an. Spök stand am Zaun, blickte mich mit den blauen Augen an, als konnte sie gar nicht abwarten, endlich geritten zu werden. Mit aller Zeit der Welt putze ich sie, legte das Sattelzeug darauf und führte sie zur Ovalbahn. Entspannt arbeitete ich vom Boden aus und stieg auf. Die Vorbereitung bevorzugte ich nicht im Sattel zu machen. Begonnen töltete ich sie auf kurze Distanzen an, um sie nicht zu überfordern und als wir eine halbe Runde zurücklegten, beendete ich.

      © Mohikanerin // Jonina Mattsson // 3561 Zeichen
      zeitliche Einordnung {November 2020}
    • Mohikanerin
      Gang A zu L | 30. Juni 2022

      Vrindr von Atomic / Otra / Narcissa

      Der Regen beruhigte sich, sodass ich nach dem Palomino Hengst mit den Stuten fortsetzen konnte. Jonina holte Narcissa vom Paddock und Otra, da sie einen fortgeschrittenen Ausritt hatte. Die junge Dame, die sie begleitete, wollte mit der Schecken Stute im April das erste Turnier reiten. Im Wald konnten alle besser Trainieren. Sie nahmen die Runde auf der Grasbahn und erreichten damit eine gute Aufrichtung und Haltung der Pferde, wie mir im Nachhinein erzählt wurde. Zur gleichen Zeit sattelte ich Vrindr, die immer mehr zum Reitpferd wurde. Nach einer Pause über Weihnachten schöpfte die Stute neue Kraft und lief freudig durch den Sand. Zuvor verlor das junge Pferd Spaß an der Arbeit, stolperte häufig und ignorierte meine Hilfen. Umso glücklicher war ich. Vrindr longierte ich die letzten Tage und nahm sie als Handpferd mit.
      Die Einheit in der Reithalle an dem Tag wollte ich reiten. Schon beim Satteln wurde sie zappelig und als wir ankamen im Sand, beruhigte sie sich. Vor dem Aufsteigen arbeitete ich an der Hand. Vrindr besserte sich, kaute aktiv am Gebiss und stieg schließlich auf. Dennoch ritt ich zunächst Schritt auf großen Biegungen, trabte und töltete. Im Programm legte ich auch viele Übergänge und Handwechsel fest. Stets musste sie auf meine Hilfen achten, damit sie nicht auf blöde Ideen kam. Nach einer halben Stunde hörte bereits aus. Vrindr bekam noch Futter und konnte zurück auf den Paddock.

      © Mohikanerin // Bruce Earle // 1420 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Februar 2021}
    • Mohikanerin
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      Beschlag | 14. Juli 2022

      Milska / Narcissa / Otra / Vrindr von Atomic / Hallveig från Atomic

      “Denkst du daran, dass heute der Schmied kommt?”, erinnerte mich Bruce und biss am Brötchen ab bei dem morgendlichen Team-Frühstück.
      “Selbstverständlich”, grinste ich. Klappernd stellte ich das Geschirr in die Spüle und ließ etwas Wasser darüber laufen.
      “Super, dann kann ich die Berittpferde machen”, sagte er entschlossen.
      Am Stall wartete ich bereits seit zwanzig Minuten. Milska und Narcissa scharrten ungeduldig im Gang, als endlich der große, weiße Transporter vorfuhr und einige Meter vor dem Eingang hielt. Vollkommen gerädert stand der hagere Mann vor mir, in der Hand einen Kaffeebecher und in der anderen sein Handy. Er hatte wohl keine gute Nacht, dachte ich ins Geheim.
      Lächelnd begrüßte ich ihn und seinen Helfer, erklärte, dass zwei von den fünf Pferden bereits im Gang standen. Die Hufe hatte ich sauber gemacht und sogar abgespült. Damit sollte schon mal ein Teil der Arbeit von ihm, erledigt sein. Sie bedankten sich herzlich und begannen die Eisen zu entfernen. Eins nach dem anderen landete in einem schwarzen Plastikeimer, bevor geraspelt wurde. Während der Helfer noch die Hufwand kürzte, suchte Herr Wellik den passenden Beschlag im Auto. Wenn ich überlegte, wie unaufgeräumt ich unsere Sattelkammer empfand, stellte seine Ordnung, ein reines Chaos dar. Allerdings fand er, was er gesucht hatte. Die Stuten standen still, ließen sich das ständige Heben und Senken der Hufe zu, bis endlich der Kaltbeschlag fest am Pferd war. In der Zeit holte ich Otra, Vrindr und Hallveig. Zwei der Drei bekamen ebenfalls Eisen an die Hufe, während Otra ihren abbekam, um zum Hengst zu können.
      Nach insgesamt drei Stunden waren alle Pferde fertig, der Schmied noch immer erschöpft und offenbar froh, dass er weiter konnte. Mit seinem Gehilfen sprang er ins Auto und zischte vom Hof. So hatte ihn bisher nicht erlebt, aber konnte mir gut vorstellen, wie anstrengend die Arbeit war.

      © Mohikanerin // 1893 Zeichen
    • Mohikanerin
      Ankunft im Chaos | 20. Juli 2022

      Erlkönig / Raleigh / Glanni frá glæsileika eyjarinnar / Monet
      Otra / Narcissa / Blávör / Hallveig från Atomic / Saints Row / Vrindr von Atomic / Voodoozirkus / Vrindr von Atomic / Willa / Þögn / Snotra

      Tasmania / Sign of the Zodiac LDS / Nachtschwärmer / Forbidden Fruit LDS / Ruvik / Lotti Boulevard / HMJ Holy

      Nachtzug nach Stokkholm LDS / L‘Épirigenys LDS / Ours de Peluche LDS / WHC' Email / Mitternacht LDS / Yumyulakk LDS / CHH' Death Sentence / Halldór von Atomic / Liv efter Detta LDS / Sighvatur från Atomic / Kría von Atomic / Mondlandung LDS / Kempa

      Polka Dot / WHC' Griechischer Wein / Sakura Blomst / Sisko / WHC' Oceandis / Snúra

      WHC' Ritter Der Rose / WHC' Guardien / Gneisti från Atomic / Connerys Brownie


      Natürlich kommt es immer anderes, als man denkt, aber, dass ich von einem Chaos im nächsten lande, lag außerhalb meiner Denkleistung. Der erste Tag vom Praktikum war ziemlich cool. Man zeigte mir den riesigen Hof. In einem Teil standen die Sport- und Rennpferde, in dem kleinen die Islandpferde und Ponys, bei denen ich sein würde. Allerdings war die Stimmung gedruckt und später erfuhr ich auch warum. Eine Kollegin floh von einem zum anderen Tag in den Urlaub, zumindest wurde das gesagt. Sie sei wie ein Teil der Familie, weshalb man es ihr nicht übel nehmen konnte. Die genaue Geschichte musste ich mir zusammenlegen, immer mal wieder schnappte ich einzelne Stücke davon auf. Nicht, dass es nicht wirklich interessierte aber mittlerweile war sie wieder da. Gesprochen haben wir bisher nicht, nur provisorisch. Vriska war ein seltsamer Mensch: Übertrieben freundlich, wankelmütig und unberechenbar. Die andere Kleine, Lina, kam verschlossen daher, sehr in sich gekehrt, doch als ich eines Tages entdeckte, wen sie an ihrer Seite, nahm ich Abstand, obwohl wir uns das eine oder andere Mal nett in der Reithalle unterhielten. Dass ich jemals auf Knasti treffen würde, außerhalb eines Turniers, hätte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen können.
      „Neele, kommst du mit?“ Jonina kam aus dem Stall, in der Hand hielt sie zwei Stricke.
      „Gern, wenn nimmst du?“, hakte ich nach. Einige der Pferde müssten noch bewegt werden aber vor allem mit Monet wollte ich gern in den Wald. Oft war bisher nicht ausreiten. Es lag eher an meiner begrenzten Zeit, als an meinem Pferd.
      „Ich dachte, wir nehmen unsere“, schlug sie lächelnd vor. Zum Glück!
      Wir liefen zu den Hengsten, die etwas weiter weg standen, genauer gesagt, neben dem Reitplatz. Dort standen auch Erlkönig, der Fuchs ihres Bruders und Raleigh, ein anderer Einsteller Hengst, der aktuell am Huf verletzt war.
      Freundlich brummte mich Monet an, als wir an der Ecke in sein Blickfeld liegen. Die Ohren standen kerzengerade nach oben, der Kopf ebenso aufgestellt und seine Hufe tänzelten aufgeregt auf der Stelle. Glanni, Ninas Hengst, interessierte sich nur wenig für uns. Er zupfte an seinem Heunetz im Unterstand, selbst das diese Kaltblut wirkte neugieriger als der Fuchs. Mit einem Blick zu meiner Kollegin wurde mir allerdings klar, dass die beiden wunderbar zusammenpassten. Auch ihre augenscheinliche Begeisterung breitete sich nur mäßig im Gesicht aus, vermutlich einer der Tage, an dem man sein Pferd dem Tier zur Liebe bewegt.
      Im Stall unterhielten wir uns über dieses und jenes, nichts sonderlich relevantes. Zwei neue Reitschüler waren für den nächste Tag angemeldet, weshalb Jonina meine Einschätzung über die Wahl der Pferde wissen wollte. Otra und Narcissa waren auf jeden Fall eine Idee, aber auch Kempa, die Einstellerin war und zwischendurch im Betrieb mitlief, könnte für Ältere etwas sein. Blávör, ebenfalls ein wenig beschäftigtes Einstellerpferd, hingegen wäre zu anspruchsvoll.
      „Du kannst morgen mit ihr auf die Bahn“, schlug die Kollegin vor.
      „Ja, warum nicht“, grinste ich und klopfte die Bürste am Holz ab. Einige der kleinen weißen Haare schwebten wie kleine Feen in der Luft, glitzernd durch den Staub im Strahl der Sonne, die durch das Fenster und ihr Licht schenkte. Der zauberhafte Moment hielt nur kurz an, denn Monet schlug mit Schweif und wirbelte die Partikel auf. Mit einem dumpfen Klacken flog die Bürste in meine Putzkiste. Ich lief hinüber in die Sattelkammer, schnappte mir all das nötige Sattelzeug und legte dem Pferd alles an, als auch die Huf sauber waren. Jonina war zu dem Zeitpunkt schon lange fertig, aber wartete geduldig, dass auch ich so weit war. Es faszinierte mich, wie sonderbar wenig Zeit die Leute hier am Hof in die Fellpflege investierten. Allerdings sah Glanni auch aus wie ein Plüschtier, das gerade aus der Waschmaschine kam.
      Wir ritten den schmalen Weg an der Baustelle entlang, um von dort den Wald zu erobern. Dabei begegneten wir Bruce, der mit einer kleinen Gruppe von zwei Reitschülern ausreiten war. Anhand der Pferde erkannt ich, dass es Fortgeschrittene waren. Hallveig und Saints Row konnten Stimmungsschwankungen haben, während die eine Stute ziemlich guckig an uns vorbeiritt, interessierte sich die andere nur wenig für die Hengste. Monet brummte ein paar Mal. Beruhigend tätschelte ich seinen Hals. Es faszinierte mich immer wieder, wie entspannt die Ponys aus dem Norden waren. In meiner Heimat wäre das Treffen deutlich hektischer verlaufen. Meine Augen hingen noch einen Moment an der Gruppe, bevor Jonina sich an mich wandte: „Lass uns hier abbiegen, dann können wir noch nach Pferden auf der Weide schauen.“
      Ich nickte, damit sparte ich tatsächlich den Kontrollgang, der am heutigen Tag auf meiner Liste stand. Zunächst ritten wir an den Hengsten vorbei, die verteilten auf dem kargen Grün ein paar Halme zupften. Die bunte Gruppe bestand aus allen erdenklichen Pferden, einige alte Renter-Wallache standen in der einen Ecke, in der anderen Jährlinge und dazwischen der Rest. Bei den Stuten sah es ähnlich aus. Allerdings waren die tragenden Stuten getrennt von den Jungpferden, um in den kommenden Wochen Leben auf die Welt zu bringen.
      „Wer ist das?“, zeigte ich ein kleines Pony in der letzten Ecke.
      „Du, das weiß ich gar nicht. Manchmal tauchen hier Pferd auf und manchmal fehlt eins. Es ist nicht so, dass ich die kenne. Wir schauen nur, ob sie leben und atmen“, lachte meine Kollegin und trieb ihren Fuchs etwas schneller am Zaun entlang. Tatsächlich wunderte mich auf diesem Hof nichts mehr. In meiner Vorstellungen waren Gestüte wie diese besser organisiert und hoffte auch darauf, dass dieser eine Ausnahme war. Geschichten, die an mich herangetragen wurden, klangen wie erfunden, besonders in Anbetracht, wie der Betrieb am Laufen blieb. Ein paar Mal überlegte ich, das zu fragen, aber behielt es für mich.
      Endlich im Wald angekommen, trabten wir die Pferde an und ritten eine gemütliche, wenn auch kalte, Runde auf der Bahn.

      © Mohikanerin // Neele Aucoin // 5980 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Februar 2021}
    • Mohikanerin
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      Routineuntersuchung | 04. August 2022

      Vrindr von Atomic / Hallveig från Atomic / Steinway HMK

      Einen Stall weiter ging es gleich weiter mit zwei deutlich plüschigeren Kandidaten. Auch für die beiden Isländer Vrindr von Atomic und Hallveig från Atomic stand eine Zuchtschau an. Jonina brachte mir die beiden Tiere nacheinander. Die freundlichen Ponys ließen sich artig untersuchen. Sie waren gepflegt und in perfekter Verfassung für das anstehende Ereignis. Nach Beendigung der Arbeiten auf der kleinen Halbinsel konnte ich mich somit auf den Weg zum letzten Kunden machen, wo ein royaler Hengst auf mich wartete, Steinway HMK.

      © Wolfszeit // 531 Zeichen
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    atomics.valley.
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    Mohikanerin
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    11 Okt. 2022
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  • Vrindr ist 5 Jahre alt.

    Aktueller Standort: Atomics Valley, Lindö [SWE]
    Unterbringung: Stutenpaddock


    –––––––––––––– s t a m t a v l a

    Aus: Willa [Isländer]
    MMM: Unbekannt ––––– MM: Unbekannt ––––– MMV: Unbekannt
    MVM: Unbekannt ––––– MV: Unbekannt ––––– MVV: Unbekannt


    Von: Ártali van Ghosts [Isländer]
    VMM: Unbekannt ––––– VM: Aqua ––––– VMV: Unbekannt
    VVM: Unbekannt ––––– VV: Hikandi ––––– VVV: Unbekannt



    –––––––––––––– h ä s t u p p g i f t e r

    Zuchtname: Vrindr von Atomic
    Rufname: Vrindr
    Farbe: Pseudo Mausfalbschecke
    [Ee aa nd1 nT ]
    Geschlecht: Stute
    Geburtsdatum: 31. Mai 2016
    Rasse: Isländer [IS]
    Stockmaß: 139 cm

    Charakter:
    Vrindr, geboren in einer ungestümen Nacht, zeichnete sich schon als Fohlen
    durch kräftige Gliedmaßen und ihren sturen Kopf aus.
    Sie folgt stets dem Ruf der Freiheit und muss öfter gebeten
    werden etwas zu tun, bevor sie eine Aufgabe ausführt. Neben
    ihrer Sturheit kommt eine große Unsicherheit dazu, die nur
    überwunden werden kann, mit einem guten Willen. Vrindr muss dem
    Reiter vertrauen können und sich sicher fühlen. Sie reagiert
    empfindlich auf ihre Umgebung und braucht Ruhe bei der Arbeit.


    –––––––––––––– t ä v l i n g s r e s u l t a t

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    Dressur L [L] – Springen E [L] – Militay E [L] – Fahren E [E] – Distanz E [E] – Gangreiten L [L]

    Ebene: National

    Dezember 2021
    Training, Dressur E zu A

    Februar 2022
    Training, Dressur A zu L

    März 2022
    Training, Gang E zu A

    Mai 2022
    1. Platz, 327. Gangturnier
    3. Platz, 328. Gangturnier
    3. Platz, 333. Gangturnier
    1. Auslosung
    1. Platz, 334. Gangturnier

    Juni 2022
    Training, Gang A zu L

    Juli 2022
    2. Platz, 336. Gangturnier

    August 2022
    2. Platz, 342. Gangturnier


    –––––––––––––– a v e l

    [​IMG]

    Gekört durch SK482 im Oktober 2022.

    Zugelassen für: Isländer; Speed Racking Horse
    Bedingung: -
    DMRT3: CA [Viergänger]
    Leihgebür: 380 J. [Kein Verleih]

    Fohlenschau: 0,00
    Materialprüfung: 7,82

    Körung
    Exterieur: 8,44
    Gesamt: 8,25

    Gangpferd: 8,13


    –––––––––––––– a v k o m m e r

    Vrindr von Atomic hat 0 Nachkommen.
    • 20xx Name (von: Name)


    –––––––––––––– h ä l s a

    Gesamteindruck: gesund, im Training
    Krankheiten: keine
    Beschlag: Falzeisen [Stahl], Voll


    –––––––––––––– s o n s t i g e s

    Eigentümer: Bruce Earle [100%]
    Pfleger: Bruce
    Trainer: Bruce
    Reiter: -
    Züchter: Atomics Valley, Ort [GER], Bruce Earle
    VKR / Ersteller: Mohikanerin

    Punkte: _gekört


    Spind – HintergrundKörung

    Vrindr von Atomic existiert seit dem 31. März 2021.