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Mohikanerin

// Satz des Pythagoras [2]

von Niklas | Stute - Edel Standardbred _zw135

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// Satz des Pythagoras [2]
Mohikanerin, 26 Juni 2020
peachyes, Cooper, Bracelet und 8 anderen gefällt das.
    • Mohikanerin
      [​IMG]

      kapitel arton | 30. Mai 2022

      Maxou / Satz des Pythagoras / Lubumbashi

      Geburtstage, eigentlich eine meiner liebsten Veranstaltungen, doch durch die Menge der Menschen, wurde es zunehmend zu viel. Sonst lief es, mehr oder weniger. Am letzten Wochenende war Niklas da, was Linas Woche um Längen verbesserte, aber ich suchte schnellstens die Flucht in den Stall und in der Hütte, im Zimmer. Sie kochten zusammen, sie sahen zusammen Fernsehen – die Zweisamkeit stresste mich. Dafür freundete ich mich mit meinem Pony immer mehr an, so sehr, dass ich mich nach einem richtigen Sattel umsah. Aber bisher reichte auch das Schulungspad.
      “Seid ihr so weit?”, fragte Harlen an der Tür. Ich für meinen Teil war zumindest angezogen, Lust hatte ich keine, aber Eskil wollte, dass ich zu dem Geburtstag seiner Schwester kam. Und Lina? Sie sollte ebenfalls mitkommen, denn er lud Niklas ein. Seltsame Gegebenheiten, die mich interessierten und etwas Unterhaltung in den leeren Tagen brachte.
      “Schon da”, kam Lina aus ihrem Zimmer gewuselt. Sie stecke in einer hellen Jeans, mit einem ziemlich großen Loch am Knie, kombiniert mit einem schlichten weißen Langarmshirt, dessen Stoff so dünn erschien, als sollte er besser nicht nass werden. Abgerundet wurde das Ganze von ein paar weiße Sneaker an ihren Füßen, die allem Anschein nach ihrer Kreativität zum Opfer gefallen waren, denn es funkelte ein Sternenhimmel aus dem Swoosh.
      Es wirkte so, als würde sie ständig neue Kleidungsteile kaufen, von dem allerdings niemand etwas mitbekam.
      “Na dann los”, hielt er das Holz weiter in der Hand und wir huschten hindurch. Vor der Haustür stand bereits der BMW, hätte ich auch nicht anders erwartet.
      “Wann holst du dir eigentlich ein eigenes Auto?”, fragte ich beim Einsteigen auf der Beifahrerseite.
      “Eine Entscheidung diesbezüglich konnte ich bisher nicht treffen”, antwortete er umgehend und begann aufzuzählen, welche Fahrzeuge infrage kommen würden, aber auch, wieso er jedes von ihnen blöd findet. Es langweilte nicht nur Lina auf der Rückbank, sondern auch mich. Allerdings hatte sie den Welpen bei sich, lenkte sich mit ihm auf der kurzen Fahrt ab. Derweil starrte ich auf den Bildschirm, willig eine Nachricht abzuschicken, die seit Tagen eintippte, löschte und erneut schrieb. Die Finger schwebten und erinnerten sich dabei auch an Linas Worte, dass ich nicht zweifeln sollte, sondern einfach los.
      Ich kann es nicht, murmelte ich mir zu, steckte das Gerät wieder weg und sah seufzend aus dem Fenster. Draußen war es dunkel geworden, schwammig glitten die Lichter der Häuser an uns vorbei. Sie wurden weniger, je näher wir der Brücke zur Überfahrt zum Festland kamen. Nur noch einige Minuten verblieben, bis zur Ankunft bei Eskil. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es dort wohl sein würde, aber das erfuhr ich schneller als mir lieb war.
      “So, da müssten wir sein”, sah sich Harlen um und fuhr im Schritttempo durch die Nebenstraße. Mehrere kleine Häuser standen zu beiden Seiten, doch nur eins war bereits mit mehr als einem Auto zugeparkt. Auch Niklas Sportwagen thronte in der Einfahrt.
      “Endlich mal ein Ort, der normal aussieht und nicht wie eine Ausgabe aus schöner Wohnen”, erfolgte ein fröhlicher Kommentar von Rückbank.
      „Was ist schöner Wohnen?“, wunderte sich Harlen, aber bekam von keinem eine Antwort dazu. Sie sprang sofort aus dem Fahrzeug, als es hielt und nahm den Welpen mit. Der kleine war nicht zu bremsen. Ein weiterer Hund stürmte und entgegen, begrüßte zunächst seinen Gleichgesinnten, ehe er zu meinem Bruder rannte und gar nicht mehr von ihm loskam. Seltsam, dachte ich, aber Trymr hatte mich schließlich auch direkt ins Herz geschlossen.
      Ein kalter Windzug erwischte uns und so schnell wir konnten, flüchteten wir zur Tür. Dort stand bereits Eskil, äußert wenig bekleidet, was sich sogleich im Inneren des Hauses erklärte. Es war nicht riesig, aber ausreichend für die kleine Gruppe. Höflich gratulierte ich dem Geburtstagskind. Meine Anwesenheit wirkte nicht so erwünscht, wie ich dachte, aber ich vermutete, dass ihr Bruder danach verlangte. Sie empfang noch die anderen Beiden, als ich Eskil in die kleine Küche zur gegenüberliegenden Seite folgte. Auf der Küchenzeile standen verschiedene Schüsseln, die neben Salat auch unterschiedliche Snacks beinhalteten.
      „Du siehst gut aus heute“, schmunzelte ich und musterte in der Zeit seinen Körper, den ich so genau nur an dem Morgen auf dem Turnier gesehen hatte. Sein Unterarm zierte ein Tattoo, das bereits blau-grüne Verfärbungen hatte. Er musste es schon länger haben. Nicht mal mein riesiger Sleeve zeigte sich als Chamäleon. Allerdings trug ich selbst im Sommer einen Pullover zur meisten Zeit, wie sollte sich da das Pigment ändern?
      „Und du“, Eskil versuchte offenbar auch ein Kompliment zu finden, „siehst aus wie immer.“
      Welch Freundlichkeit zur späten Stunde. Schon jetzt liefen mir die Schweißperlen am Rücken hinunter und ich entschied mich meinem geliebten Pullover zu entledigen. Ich fühlte mich nackt, schämte mich sogar, obwohl noch deutlich mehr Stoff mich belegte als meinem Gesprächspartner.
      „Wo hast du deinen Freund gelassen?“, erkundigte er sich und reichte mir einen Kaffee. Es gehörte zum guten Ton offenbar, dass man mir immer und überall ein bitteres Heißgetränk anbot. Dagegen gab es nichts einzuwenden.
      “Der hat keine Zeit”, merkte ich bedauerlich an.
      Im Wohnzimmer spielte leise Musik und Gelächter tönte zu ins in den Nebenraum. Von Jonina waren noch zwei Freundinnen da, die mit ihr und meinem Bruder in einem Gespräch gefesselt waren. Lina versank in ihrem Freund, als hätte sie ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen, obwohl er am Morgen am Stall war und mit Smoothie spazieren ging. Ich hatte mir immerhin meinen Trainer gekrallt, der mich nun bis zum Schluss ertragen musste.
      “Das tut mir leid”, legte er seine Hand auf meine Schulter, “Soll ich heute dein Freund sein?”
      Eskil grinste wie ein sechsjähriger bei seiner Einschulung.
      “Ungewiss, ob du dies wirklich möchtest”, lachte ich.
      “Erwartest du Handlungen aus dem tierischen Bereich zu dem Erhalt der Rasse?”, wählte er weise die Worte und prüfte dabei einige Male, ob jemand in die Küche kam.
      “Schon” nickte ich, “aber du musst mir auch nicht alles bieten können.” Während ich lüstern zu ihm hoch schielte, bewegten sich meine Hände an seinem Hosenbund entlang. Kurz bekam ich das Gefühl, dass dieser Scherz im Hauch einer Sekunde seinen Pieck erreichte und sich zur Ernsthaftigkeit wandelte.
      “Und wenn doch?”, strahlte er.
      Ich war verwirrt. Im selben Augenblick nahm ich die Hände wieder von ihm weg und trat ebenfalls einen Schritt zurück. Hatte ich etwas verpasst? Abermals liefen Schweißperlen mir am Rücken hinunter, sammelten sich am Unterrücken in einer größeren Formation und flossen in die Hose.
      “Worauf willst du hinaus?” wurde er ernst.
      Wieder nickte ich.
      “Ich hatte noch nie was mit einer Frau”, zuckte Eskil mit den Schultern und schien es doch ernster gemeint zu haben, als ich dachte. Vielleicht wäre es auch für mich etwas Abwechslung, allerdings verwarf ich den Gedanken schnell wieder, denn je länger ich über Dinge nachdachte, umso realer wurden sie.
      “Kommst du auch mit nach Stockholm?”, wechselte er das Thema.
      “Nein, dafür bin ich noch nicht weit genug”, erklärte ich.
      “Wer sagt das?”, wunderte er sich. Eskil als mein Trainer sollte es natürlich besser wissen, aber die Stimmen wurden zunehmend lauter. Der Riese unter dem Sattel war der Held, während ich nur als Beifahrer auf ihr saß und versuchte sie zu lenken. Wir kamen klar, aber manchmal fühlte ich mich genauso unfähig, wie mich andere hielten.
      “Sagt man sich in der Stallgasse, deswegen reite ich nur noch nachts”, seufzte ich.
      “Ja und das finde ich ziemlich schade, dass du dich immer versteckst. Ich sehe euch immer gerne zu”, tauchte Lina plötzlich in der Küche auf. Erschrocken drehte ich mich zu ihr, bemerkte, dass ich noch immer so nah an Eskil stand, dass es unangemessen wirken könnte.
      „Aber du solltest doch arbeiten und nicht mich bei der Freizeit beobachten“, kicherte ich übertrieben laut, um Abstand zu bekommen. Was passierte hier? Ich wollte weg, aber war doch gerade erst angekommen.
      “Ach, das tu ich doch. Nur halt dann nicht, wenn du mit Lubi über den Sand schwebst”, grinste sie und schien von meinem absonderlichen Verhalten nicht einmal Notiz zu nehmen.
      “Morgen ist noch ein Qualifikationsturnier in Malmö, also wenn du willst –”
      “Nein, wir fahren zum Arbeiten nach Kiel und ich muss weiterkommen, nicht ein unnötiges Turnier reiten”, unterbrach ich Eskil aufgebracht. Beide sahen sich verwirrt an, aber nahmen meine Stimmungsschwankung einfach so hin.
      “Es war nur ein Vorschlag”, entschuldigte er sich und klopfte mir auf die Schulter. Mit einem Grinsen versuchte ich abermals, die schlechten Gefühle zu überspielen. Auf die anderen wirkte es, aber ich konnte mir selbst nichts vorspielen. Dieser Teufelskreis kam jeden Tag, Stunde um Stunde trieb mich diese Unsicherheit, vor allem, wenn Erik nicht bei mir war. Er sollte öfter um mir sein, tat es aber nicht.
      Meine Augen überflogen die Auslage, bemerkten den ungeöffneten Rum. Mit einem Schritt hatte ich in der Hand, entfernte den Überzieher und hatte einen Augenblick später das Glas aufgefüllt. Lauwarm lief mir die Flüssigkeit den Rachen herunter, brannte für einen Augenblick und wurde wieder angenehmer. Der zweite Schluck ging angenehmer in den Körper.
      “Du weißt schon, dass der Abend gerade erst angefangen hat?”, fragte Lina vorsichtig, mit einem Blick auf das vorher gut gefüllte Glas, indem bereits die ein gutes Drittel fehlte. Auch die Uhr an der Wand tickte drängend mit dem kleinen Zeiger kurz vor der acht.
      “Offenbar” nickte ich und nahm einen weiteren Schluck, nun war noch die Hälfte in ihm.
      “Sie hört doch ohnehin nicht auf uns, oder?”, wandte sich Eskil Lina zu, die sich erst einmal eine Limonade aus dem Kühlschrank nahm.
      “Nein, wäre echt eine Sensation, wenn sie es doch täte”, bestätigt sie und scheiterte im selben Zug kläglich am Verschluss ihrer Flasche. Mit einem Kopfzeichen vergewisserte sich Eskil ihr die Flasche abzunehmen und hatte sie mit einer Bewegung offen. Dankend klammerte sie wieder am Glas. Nach einem Schluck wirkte Lina wieder entspannter.
      “Aber es muss doch eine Möglichkeit geben, wie sie etwas Vernunft in ihren Kopf bekommt. Schließlich kann man sie so auf kein einziges Turnier lassen und auf Kinderbetreuung habe ich persönlich keine Lust”, zuckte er mit den Schultern. Interessiert folgte ich dem Gespräch, es war immer wieder ein Highlight, wenn alle anderen sich um mein Wohlbefinden sorgten, obwohl alles gut schien.
      “Ich fürchte, das könnte sich wirklich schwierig gestalten. Ernstzunehmend beeinflussen lässt sie sich schließlich nur von Erik”, überlegte die Brünette, wobei sich tiefe Falte auf ihrer Stirn aufwarfen.
      “Oh, jetzt wird es spannend. Was sagen denn unsere Hobbytherapeuten dazu?”, grinste ich.
      Zunehmend wurden es immer mehr Personen in dem Raum. Niklas schien sich Sorgen zu machen, dass Lina und Eskil sich ohne ihn in einem Raum befanden, denn mich entdeckte er erst, als er seinen Arm um sie geschlungen hatte und an den bebenden Oberkörper zog. Das enge Hemd schmeichelte ihm sehr. Ich lehnte mich ein Stück nach vorn, um meinen Bruder zu betrachten, der allerdings so tief in dem Gespräch festhing, dass mich nicht sah. Nicht ungewöhnlich, denn er verstand sich eigentlich auf Anhieb mit jedem.
      „Was wird das hier? Selbsthilfegruppe?“, überspielte Niklas seine Nervosität mit einem leichten Zittern in der Stimme, dass man bei genauem Zuhören bemerkte. Wieder schmunzelte ich.
      „Fast, die beiden versuchen herauszufinden, wie man mich zur Vernunft bringt, damit ich nicht unangenehm auffalle bei der nächsten Turniersaison“, erklärte ich kurz die Umstände.
      Niklas nickte mit einem schiefen Lächeln und klaute seiner Freundin das Getränk aus der Hand. Demonstrativ versuchte sie es zurückzuerlangen, was aber unmöglich war. Er hielt es so hoch in der Luft, dass nur Eskil hier helfen konnte – und das sogar tat. Für einen Augenblick trafen sich ihre Augen und da war es, dieses Funkeln, ein Gefühl, als wären sie verbunden. Dann hatte Lina ihr Getränk wieder, klammerte sich noch fester daran als zuvor.
      “Und ihr denkt, dass Vriska so schwer zu entschlüsseln ist, wie eine Enigma?”, kam er umgehend zum Thema zurück.
      “Ja, wenn nicht sogar schwerer. Ich glaube nicht, dass sie mittels Mathematik entschlüsselbar ist”, brachte die kleine Brünette überzeugt hervor.
      “Nur, weil Mathematik für dich das pure Grauen ist, mögen es andere unter Umständen”, merkte Niklas an.
      “Ich finde es auch blöd, keine Sorge”, schloss sich Eskil ihrem leicht angewiderten Gesichtsausdruck an. Beide hatten keine Ahnung, aber ich nahm es ihnen nicht übel, mal der Dumme zu sein.
      “Aber”, wandte sich Eskil dann wieder Niklas zu, “wenn du so gut Bescheid weißt, dann kannst du auf sie aufpassen.”
      “Mmm, daraus wird nichts werden”, meldete sich Lina wieder zu Wort, “Erik möchte nicht, dass die beiden mehr Umgang miteinander pflegen als nötig.” Lina erklärte die Lage so sachlich als wäre es Teil einer Lehrveranstaltung.
      “Das erklärt meine Rolle, okay”, drückte er sich zustimmend aus, während ich nur über so eine Lächerlichkeit lachen konnte. Als wäre ich minderjährig und benötigte einen geistigen Beistand.
      “Dann muss er sich wohl kümmern”, fügte Eskil dann mit zuckenden Schultern hinzu. Eigentlich lag er damit gar nicht so falsch, aber würde Erik überhaupt mit auf die Turniere kommen? Vor allem in an bedacht, dass sie nicht für immer im Heimatland stattfinden würden, sondern überall in Mitteleuropa.
      “Lina, wirst du mit Niklas die Turniere begleiten?”, drängte sich mir die Frage in den Kopf und sogleich entsprang sie meinen Lippen. Ihr Freund riss die Augen auf, als hätte auch er sich bisher nur wenige Gedanken darum gemacht.
      “Darüber haben wir bisher nicht gesprochen, aber ich würde, sofern das erwünscht ist, nicht zu viele Umstände bereitet.” Die letzten Worte richtete sie viel mehr an Niklas als an mich und blickte lächelnd zu ihm hoch.
      “Was denn für Umstände?”, hakte er nach.
      “Weiß nicht, ich habe ja nicht so viel Ahnung von dem Ganzen”, legte sie ihre Unwissenheit offen.
      “Lini, du weißt mehr als ich. Also, ich würde sagen, wir wären alle dankbar über deine Anwesenheit”, versuchte ich ihr den Halt der bestehende Gruppe zu geben, aber schüttete den restlichen Inhalt meines Glases in den Rachen, um mir selben Akt noch einmal nachzuschenken. Die Drei sahen einander entschlossen an und Niklas nahm mir die Flasche weg.
      “Das reicht erst mal, du bist vierzehn, da verträgt man das nicht”, lachte er und stellte sie hoch oben auf dem Kühlschrank ab.
      “Na gut. Aber ich bin mir nicht ganz so sicher, ob ich deine Anwesenheit noch zu schätzen weiß, wenn du in Zukunft nicht von der Verwendung dieser Anrede absehen solltest”, beschwerte sich Lina, was auf mich allerdings wenig erst zunehmend wirkte.
      “Okay, aber dann schwirre mit deinem Freund ab, der scheint anderes im Sinn zu haben”, merkte ich die Unannehmlichkeit unterhalb der Gürtellinie an. Beide sahen sich an und Blut strömte in ihre Wangen. Um nicht noch provokanter zu starren, sah ich zu Eskil und schon verschwanden die Beiden, allerdings zu meiner Überraschung im Wohnzimmer und nicht in eine Richtung, die Eskil ihnen anbot.
      “Warum hast du das gesagt?”, versuchte er mehr Informationen zu bekommen, als wäre es ihm auch aufgefallen.
      “Weil keine Reaktion deinerseits wollte”, zwinkerte ich mit einem Auge, was mir nur teilweise gelang. Ich konnte nicht Zwinkern, sondern verzog dabei unkontrolliert das Gesicht. Vermutlich sah es aus, als hätte Spastiken.
      “Dann sollte ich mich bedanken. Aber wollen wir nicht auch hinübergehen? Es ist schließlich der Geburtstag meiner Schwester und nicht meiner”, munterte er mich auf und schließlich liefen wir auch hinüber.
      In einem großen Kissen vor dem Ofen lagen die beiden Hunde, eng umschlungen, mit dem Kopf auf dem Rippenbogen des anderen. Langsam lief ich an sie heran. Sie bemerkten mich nicht, aber auch die anderen im Raum schenkten dem niedlichen Yin und Yang Zeichen keine Aufmerksamkeit. Traurig. Langsam zog ich mein Handy heraus, um zumindest Erik daran teilhaben zu lassen. Kaum blitzte es auf dem Bildschirm auf, schrieb ich: “Sind sie nicht niedlich?” und schickte es über den blauen Pfeil ab. Auf dem Boden neben ihnen saß ich von da an. Hinter mir liefen rege Unterhaltung, bei denen ich mich aber nicht anschließen wollte, hingegen faszinierten mich die schlafenden Hunde.
      Das Handy vibrierte.
      “Oh no”, stöhnte ich laut, sprang auf, nahm die Jacke vom Haken und verschwand vor der Tür. Draußen wehte noch immer ein rauer Wind, aber der Stoff schützte mich vor weiterer Kälte. Ich starrte auf den Sperrbildschirm. Auf dem Bild einer Kaffeetasse, die ich vor Jahren mal im Unterricht fotografiert hatte als kreativ Abgabe mit Jenni zusammen, thronte diese Nachricht. Für einen Moment wünschte ich mir, dass ich mehr Sicherheit empfinden würde, wie zu Zeiten, als dort noch Niklas und seine Stute waren. Je mehr jedoch Lina in meiner Gegend war, umso öfter musste ich das Bild ändern und verlor irgendwann die Lust daran, mich immer darauf vorzubereiten, dass jemand auf mein Handy blicken würde. Aber noch immer leuchtete die Nachricht, unaufhörlich leuchtete sie mich an. Eine, mit der ich nicht gerechnet hätte, aber selbst zu verschulden hatte. Zwei Gläser puren Rum vernebelten mir die Sicht. Bei der Hitze in dem Haus stieg es mir schnell in den Kopf. Es drehte sich und ich war zu blöd gewesen, einmal mehr zu überprüfen, wessen Chat ich noch offen hatte. Nervös lief ich den frostigen Boden auf und ab, hinterließ dabei nach einigen Runden bereits ein Oval, dass man noch Tage später sehen würde – wenn es nicht anfangen würde, zu schneien. Kleine Flocken rieselten vereinzelt vom Himmel hinunter, schwebten wie Asche durch die Luft, bis sie landeten. Einige davon zerschmolzen auf dem Bildschirm und sorgten durch die Gesichtserkennung dafür, dass der Chat offen vor mir lag. Damit sah er, dass ich die Nachricht gelesen hatte. Zittrig hielt ich das Gerät fest und in der anderen Hand eine halb aufgerauchte Zigarette, die langsam von selbst verglühte. Schnell nahm ich einen weiteren Zug, aber bekam noch immer nicht ein Gefühl von Sicherheit, dass ich versuchte zu erlangen. Stattdessen blinkten die drei Punkte auf, erloschen und tauchten wieder auf. Aber das war mir zu viel. Ich wischte den Bildschirm nach oben, schloss das Fenster, sperrte es und steckte es in die Hosentasche. Dann zog ich es wieder heraus und stellte es auf stumm. Die Spannung war zu stark.
      “Ist alles okay bei dir?”, trat auf einmal Lina hinter mir aus der Tür heraus.
      “Tatsächlich habe ich mit dir früher gerechnet”, lachte ich und wandte mich ihr zu, “eigentlich ja. Allerdings schickte ich versehentlich eine Nachricht an die falsche Person und jetzt kann ich damit nicht umgehen.”
      “Das ist doch jedem schon einmal passiert, ist doch nicht so schlimm. Oder ist der Inhalt etwa problematisch?”, versuchte sie mich zu beruhigen und gleichzeitig das Problem nachzuvollziehen.
      Lachend schüttelte ich den Kopf.
      “Nein, ganz und gar nicht. Ich habe ihm nur ein Bild von den Hunden geschickt”, stammelte ich vor Irrsinn und nicht Angst. Langsam wurde mir klar, dass mein Abgang hätte, weniger dramatisch sein können.
      “Du bist ja niedlich, Hundebilder sind doch wirklich nichts Dramatisches, da freut sich der Jemand am Ende noch drüber”, entgegnete sie und gab sich Mühe nicht zu lachen.
      “Ja, aber ich musste ihm Versprechen, dass ich keine Bilder schicke und jetzt ist er bestimmt sauer. Mir hat es besser gefallen, als wir einander ignorierten”, kamen nun doch meine Bedenken zur Vorschau.
      “Ah, es geht also um Mr. X”, ein breites Lächeln trat auf ihr Gesicht, “Ich glaube, das wird er dir nicht allzu übelnehmen, es waren ja nur die Hunde.”
      “Vielleicht mag er Hunde nicht”, merkte ich an.
      “Unwahrscheinlich, sogar du hast die Fellknäule ins Herz geschlossen”, entgegnete sie äußerst positiv.
      “Ich mag Hunde. Sie haben mir nur Angst gemacht, außerdem finde ich es immer noch unfair, dass du mehr weißt”, versuchte ich wieder mehr Informationen aus ihr zu bekommen.
      “Das kannst du so finden, aber ich sag dir trotzdem nicht, das habe ich versprochen”, blockte sie direkt ab. Ich warf ihr einen bösen Blick zu.
      “Dann schaue ich, was er geschrieben hat”, zog ich mein Handy heraus. Ich atmete tief durch und schon war das Gerät entsperrt. Doch nun blieb mir der Atem weg, leicht kippte mir die Kinnlade herunter und auch Lina, die entschlossen auf den Bildschirm blickte, schienen die Augen direkt herauszufallen. Keiner von uns beiden hatte mit so einer Reaktion gerechnet. Zunächst standen dort einige verkraftbare Nachrichten: “Hej. Scheint dir gutzugehen, haha. Ich habe schon auf ein Lebenszeichen gewartet.” In meinen Wagen spürte ich das Blut hineinströmen und der Hals wurde unangenehm trocken, denn es kam auch ein Bild, dass ich beinah die ganze Höhe des Bildschirms ausspannte. “Wir haben dich schon vermisst” stand darunter und dann ein ziemlich intimer Ausschnitt, wenn auch bekleidet. Die Form war klar erkennbar und das nicht nur in Bezug auf seine Hand, die sich an der Hose klammerte.
      “Gut, dass ich betrunken bin”, stammelte ich, ohne vom Bild wegzusehen, das undefiniert auch bei mir ein Ziehen auslöste.
      “Und ich wünschte, ich wäre es”, murmelte Lina, die ihren Blick augenblicklich vom Bildschirm abgewendet hatte.
      “Aber er nimmt dir dein Missgeschick ziemlich eindeutig nicht übel”, fügte sie sie hinzu.
      “Sollen wir dir welchen besorgen?”, fragte ich mitfühlend, nach dem ich entschied, dass einzig Richtige mit dem Bild zu tun – abspeichern und als Sperrbildschirm einsetzen. Jenni war mir wichtig, aber ich musste endlich ins Hier und Jetzt ankommen. Ich drückte mehrmals auf den Button an der Seite des Handys und konnte mich nicht mehr von dem breiten Lächeln auf meinen Lippen lösen.
      “Warum wollen alle solche Bilder, ist das so erstrebenswert?”, stellte sie eine Gegenfrage anstelle einer Antwort. Wenn auch Zweifel bei ihr vorzuliegen schienen, klang auch etwas Neugierde in ihrer Frage mit.
      „Damals in der Schule war es eine Trophäe von manchen Kerlen, welche zu haben, ansonsten weiß ich es auch nicht so genau. Ich war kein Teil von dem Hype, dafür hatte ich zu wenig Interesse an den Individuen“, erklärte ich nachdenklich und hielt vor der Tür an. Dann drehte ich mich wieder in Linas Richtung.
      „In dem Fall jetzt fühle ich mich einfach gut, weil ich endlich was … fassbares zu haben, weißt du? Irgendwie finde ich ihn gut, aber dann ist da noch.“ Ich seufzte unentschlossen. Der Weg zu Erik war so kurz, dennoch stand ich vor Eskils Hütte und wollte am liebsten zu einem Typen fahren, von dem nichts kannte, außer Intimität.
      “Ich glaube, ich verstehe, was du meinst”, sie nickte verständnisvoll, “Und mach dir wegen deines Unbekannten nicht so viele Gedanken. Egal, wie du dich entscheidest, ich kann dir sagen, es ist nichts Verwerfliches dabei.” Ein aufmunterndes Lächeln umspielte ihre Lippen.
      “Dann werde ich mit ihm Schluss machen”, packte ich den Entschluss und öffnete die Tür.
      Überrascht sahen uns die Persönlichkeiten aus dem Wohnzimmer an, als hätten wir Stunden draußen verbracht. Jonina wandte sich allerdings ihren Freunden wieder zu und ich ging zurück in die Küche. Die Jacke flog zuvor an den Haken. Ich warf keinen Blick nach hinten, sondern schnappte mir nur einen Stuhl und kletterte zum Kühlschrank hoch, hatte damit den Rum erneut in meiner Hand.
      “Wenn du schon wieder damit anfängst, teile wenigstens”, forderte Lina, die mir offenbar gefolgt war, nahm mir die Flasche aus der Hand und schenkte uns beiden ein Glas ein. Nachdem ich von dem Stuhl geklettert war, reichte sie mir das Vollere.
      “Natürlich”, grinste ich, änderte jedoch direkt meinen Ton, als sie einen kräftigen Schluck nahm, “aber wieso? Ist mit Niklas etwas vorgefallen?”
      “Nein, alles wie immer”, entgegnete sie, konnte die innere Anspannung allerdings nicht vollständig verbergen.
      “Man sollte nicht trinken, um sich besser zu fühlen”, mahnte ich und nahm selbst einen Schluck. Aus der Hosentasche nahm ich erneut mein Handy hervor, aber schrieb dieses Mal Erik. Wie von Zauberhand schwebten die Finger über den Bildschirm: “Hast du Zeit? Wir müssen kurz reden.”
      Er antwortete umgehend: “Schlechter Zeitpunkt.”
      Ich seufzte.
      “Alles gut, mir geht’s super”, lächelte sie, doch es erreichte nicht ihre Augen.
      “Und was für unerfreuliche Nachrichten hat man dir gerade zugestellt”, versuchte sie stattdessen vom sich abzulenken.
      “Erik hat keine Zeit zum Reden, aber ich kann so nicht weiter machen”, erklärte ich kurz.
      “Das kann ich verstehen, dass er dir fehlt”, sprach sie sanft und verständnisvoll.
      “Also soll ich nicht Schluss machen?”, fragte ich verwirrt nach, als hätte sie mir zuvor nicht zugehört. Sie verwirrte mich und ich mich selbst auch. Vielleicht war ich nicht gemacht für dieses menschliche Konstrukt.
      “Vriska, ich kann dir nicht sagen, was du sollst oder nicht sollt”, Lina seufzte und stellte ihr Glas zu Seite, “Ich weiß nur, Erik liegt unheimlich viel an dir, schon seit Kanada.” Sie hielt inne, als müsse sie über ihre Wortwahl nachdenken, bevor sie weitersprach.
      “Auch wenn es nicht so scheinen mag, er bemüht sich unheimlich um dich, obwohl er gleichzeitig noch mit Fredna und dem Studium jongliert. Er liebt dich wirklich, da bin ich mir sicher. Also überlege es dir und triff deine Entscheidung nicht einfach aus einem Impuls heraus”, sprach sie und es fühlte sich an als würde die Worte tief aus ihrem Herzen kommen.
      “Es geht auch nicht um ihn, sondern, dass ich nichts dazu beitrage”, kamen wir dem eigentlichen Mangel an Vertrauen näher, “und deswegen weiß ich nicht weiter. Ich finde alles interessanter als ihn. Und …” dann stoppte ich im Satz und zog den Ärmel herunter. Obwohl schon fast zwei Wochen dazwischenlagen, strahlte mein Arm noch immer in allen Farben eines Aquarellkasten und hatte sich nur wenig abgeklungen.
      “Er meinte es nicht so, aber ich weiß nicht, was ich davon halten soll”, erklärte ich noch und zog den Stoff wieder hoch. Linas Augen wurden ungefähr so groß wie Untertassen und ein erschrockener Ausdruck trat auf ihr Gesicht.
      „Das ist wirklich kritisch. Warum hast du nicht schon früher etwas gesagt?“, fragte Lina und klang ernsthaft besorgt, bei der Betrachtung der schillernden Haut.
      „Deswegen“, nickte ich zum Türrahmen, in dem Niklas stand, ebenso besorgt, und der ballenden Hand zur Folge, sauer.
      „Du weißt, was ich dir gesagt hatte“, mahnte er und schnaufte beinah wie ein Bulle.
      „Schon okay. Es ist geklärt“, versuchte ich die Situation zu entschärfen, was in an Bedacht der Wortwahl nicht funktionierte. Niklas begann uns einen einfühlsamen Vortrag über häuslicher Gewalt zu halten, den Lina offenbar etwas besänftigte, nur ich hatte irgendwann das Handy herausgeholt und mich durch Instagram getippt. Es gab nichts Neues zu entdecken. Zwischendurch kamen Bilder meiner ehemaligen Freundesgruppe, die offenbar noch zusammenhielten – ohne mich. Schön für sie, dachte ich und scrollte umgehend weiter.
      Eine Nachricht blitzte auf: „Zu privat?“
      Sofort klickt auf sie und biss mir auf der Lippe herum. Er hatte natürlich bemerkt, dass ich die Nachrichten zuvor gelesen hatte, aber nicht antwortete. Nun tat ich es.
      „Nein. Genau richtig“, schrieb ich und spürte, dass das Lächeln mein Gesicht erhellte. Es blieb nicht unbemerkt.
      „Du hörst gar nicht zu, habe ich recht?“, drangen Niklas Worte in meine Ohren.
      „Damit liegst du richtig“, beschwichtigte ich.
      „Wie soll ich das dann verstehen? Willst du, dass er das tut? Ist das so ein Ding bei euch beiden?“, stellte er endlich die richtigen Fragen. Ich blickte erst zu Lina, die abermals große Augen bekam, aber erleichtert sich dem Gespräch enthielt. Wollte ich ihm so viel über mich verraten, wenn er es eigentlich besser wissen sollte? Anders würde ich ihn wohl kaum loswerden. Die Lehne des Stuhls knarrte lang, bis ich die richtige Dosis von Entspannung fand und die Arme verschränkte.
      „Ja, aber der Fleck ist aus einer Diskussion. Dein Vater klärte es“, gab ihm den letzten Impuls, ehe er sich seine Freundin widmete und mit ihr wieder zu den anderen ins Wohnzimmer lief.
      Natürlich war es keine optimale Situation. Allein saß ich in der Küche, vor mir im Glas der letzte Rest der Flasche Rum, die damit zu größten Teilen in meinem Magen schwebte und immer mehr ihre Wirkung entfaltete. Im Kopf drehte sich alles und selbst sitzen fühlte sich an, wie eine Achterbahnfahrt.
      „Besteht noch immer die Möglichkeit für ein Treffen?“, fragte ich meinen unbekannten Verehrer unüberlegt, schließlich gab es seit Wochen Zweifel daran, aber was sollte schon passieren? Schlimmer konnte es im Leben nicht kommen.
      „Ja, du weißt, wann und wo“, kam es direkt als Antwort, nachdem ich auf die vorherige keine bekam.
      Noch mehr als eine Stunde schrieben wir miteinander, bis Erik sich auch mal wieder meldete, als wäre es das normalste der Welt. Ich saß noch immer allein in der Küche, vor allem, um den seltsamen Spielen im Wohnzimmer zu entkommen. Eskil kam mehrfach nach mir schauen, akzeptierte zum Glück, dass ich die Zeit für mich benötigte.
      „Was ist los? Ist etwas auf dem Geburtstag vorgefallen?“, las ich die Mitteilung meines Freundes.
      „Indirekt. Ich zweifle abermals, weil ich dir nicht geben kann, was du verdienst“, tippte ich im Rausch auf den Bildschirm, verschleierte damit auch weiteren Kontext, um ihn nicht zu verärgern.
      „Würde es ein Problem geben, hätte ich es bereits angesprochen“, erinnerte er mich an die Worte. Er hatte schon öfter gesagt, dass er es tun würde. Mir fehlte das Vertrauen darin.
      „Und Eskil hat Bedenken, dass ich mich auf Turnieren angemessen verhalte“, legte ich nahtlos fort.
      „Wie kommt er darauf? Hast du wieder zu viel getrunken?“ Ich konnte förmlich seinen Gesichtsausdruck sehen, die Enttäuschung. Spürte seine Hand auf meiner Schulter, die mich langsam an ihn heranzog, um mich vor weiteren Irrsinn zu schützen. Erik war ein Beschützer, alles, was ich mir immer von meiner Familie gewünscht hätte. Nur Harlen nahm sich dieser Rolle an, beschäftigte sich jedoch mit Fremden.
      Ich stimmte ihm mit einer kurzen Antwort zu.
      „Ich kann für eine Zigarette vorbeikommen, Deal?“, huschten meine Augen mehrfach über den Bildschirm, um mich auch wirklich davon zu überzeugen, dass ich mich nicht verlesen hatte. Noch bevor ich eine Antwort verfassen konnte, flatterte die nächste ein: “Sechs Minuten, dann bin ich an der Tür.”
      Ich zögerte auf dem Stuhl, weiterhin am Handy klammernd, schritten die Zahlen immer weiter voran, aber ich kam nicht los. Das Herz brachte immer mehr Blut in Wallung, bis mir das Gerät aus der Hand rutschte und mein Gesicht bestrahlte. In der Küche war es nahezu dunkel, nur kleine rote Lampen erhellten den Raum. Drei Minuten noch. Mein Fuß wippte unter dem Tisch, von Sekunde zu Sekunde schneller, bis ich mir den letzten Schluck aus dem Glas genehmigte. Im Einfluss der legalen Droge wurden die Knie weich beim Aufstehen und ich fand im letzten Moment noch den Halt an der Tischkante. Ich stieß mich so sehr, dass ich kurz aufschrie.
      “Ist alles in Ordnung hier?”, tauchte Lina im Türrahmen auf und betrachte mich eingehend.
      “Bin nur zu blöd, um meine Gliedmaßen zu verwenden”, grinste ich und hangelte mich langsam zu ihr vor. Eine Minute noch und wenn man genau hörte, erklangen Autoreifen auf der Straße, rollten langsam dem Asphalt entlang. Gleichzeitig klammerte der Wind am Fenster.
      “Was auch immer du vorhast, bist du dir sicher, dass du da unfallfrei ankommst?”, fragte sie und bot damit sogleich indirekt ihre Hilfe an.
      “Erik ist praktisch da, aber du kannst gern mitkommen”, hielt sich mein Gesichtsausdruck. Dann griff instinktiv nach ihrer Hand, drückte meine Finger in ihre, um einen noch besseren Halt auf den Füßen zu finden. Es half nur etwas, aber als ich auch noch die andere Hand um ihren Arm klammerte, fühlte ich Sicherheit und Vertrauen.
      “Okay, dann bringe ich dich mal zu deinem Freund”, lächelte sie warm und geleitete mich zur Tür, natürlich nicht ohne einen Zwischenstopp bei den Kleiderhaken.

      Aus dem leichten Schnee zu vor, wurde ein eisiges Flocken Getümmel, das spielerisch vor den Scheinwerfen tanzte. Doch der Wind zog überall durch meine Kleidung, während Lina nur ein dünnes Jäckchen über den Schultern hatte und einen tiefen Atemzug durch die Nase machte. Sie sah hoch zum Himmel aus dem weitere weiße Schneeflocken auf hinabrieselten und auf der Haut zerschmolzen. Langsam bewegte sie sich mit in der schwingenden Bewegung, als würde sie eins werden mit der Natur, skurriles Kind. Ich ließ meine Hand aus ihrer und stolperte sogleich über die eigenen Füße. Hätte Erik mich nicht in seinen Armen aufgefangen, würde sein Gefährt nun eine hübsche Beule auf der Motorhaube zieren.
      „Danke, dass du da bist“, lallte ich zaghaft in sein Ohr und legte meinen Kopf an seiner Schulter ab. Mit geschlossenen Augen nahm ich stechenden Geruch seines Aftershaves in allen Facetten auf, das durchtränkt war von Nikotin und Schweiß, auch ein Hauch von Apfel lag an ihm.
      „Ausnahmsweise“, sprach er, zog mich dabei näher an sich heran. Zwar wollte ich nicht von ihm ablassen, aber krallte mich noch fester an seinem Stoff.
      Ein leichtes Lächeln legte sich auf Eriks Lippen, als ich aus meiner Hosentasche das Handy kramte und kurz die Uhrzeit überprüfte. Seit sechs Minuten standen wir in der Kälte und keiner von uns beiden hatte sich dem hingegeben, was wir besprochen hatte. Eigentlich verspürte ich auch nur ein Verlangen und das war die Wärme seiner Haut auf meiner, wie die Finger sanft einander vom Stoff befreiten und schließlich innig verbunden zusammenglitten. Bis wir schließlich in voller Rastlosigkeit liebten.
      Erik kramte die goldene Schachtel aus seiner Jackeninnentasche, die ich ablehnte. Mir waren meine Luckys für den Moment lieber, deshalb holte ich die eigene heraus. Auch Lina bot er eine an, die unsicher zwischen ihm und mir schwankte.
      „Baby, sie möchte nicht“, erklärte ich ihm kurz, da sie offenbar selbst keine ablehnenden Worte fand. Dann steckte er sie wieder weg, aber zog mich wieder an sich heran.
      „Eine Sache geht mir nicht aus dem Kopf“, sprach ich zu ihm. Eine Augenbraue hob sich interessiert.
      „Hier kannst du frei reden, niemand verurteilt dich“, sagte Erik.
      „Hattest du die Hose schon mal an?“, musterte den Teil, der aus seinem Mantel hervorblitze und vermutlich über den Knöcheln endete. Ungewöhnlicherweise trug er seine Strümpfe über der Hose, wodurch sich kleine Falten auf dem Stoff bildeten, die dort nicht hineingehörten. Nur die Schuhe waren dieselben, Tag ein, Tag aus, als hätte er sonst keine, was ich mir nur schwer vorstellen konnte.
      „Jetzt, wo du es ansprichst“, schluckte er und verzog auffällig den Mund. Neue Kleidung musterte ich stets an ihm, kannte dadurch schon die eine oder andere Marke. Diese müsste von seinem Lieblingsschneider aus der Innenstadt sein, wenn ich dem Schnitt Vertrauen schenken konnte – auch wenn es für jeden anderen wohl eine gewöhnliche Anzughose darstellen würde.
      „Du kannst da Unterschiede erkennen?“, fragte Lina und ließ einen flüchtigen Blick über die Garderobe meines Freundes gleiten. Irgendetwas an ihrer Mimik mochte nicht so recht zu Betonung der Frage passen, aber vielleicht lag das auch an meiner nicht ganz uneingeschränkten Wahrnehmung.
      „Schon, ja. Natürlich am ersten optischen Merkmal. Nicht jedes Kleidungsstück hat dieselbe Farbe, außerdem trägt er sie manchmal unten etwas weiter und an anderen Tagen nicht“, begann ich jene Merkmale näher zu beleuchten, aber Erik tippte mich an der Schulter an.
      „Schätzungsweise interessiert sie das nur wenig“, schmunzelte er, “aber um deine Frage zu beantworten, nein, hatte ich bisher nicht.”
      Dann musste ich mich irren, dabei schmeichelte ihm das Kleidungsstück so sehr, dass ich meine Hand dafür ins Feuer gelegt hätte. Vermutlich verwechselte ich sie mit einer anderen, die er mir schon präsentierte. Allerdings bewunderte ich alles an ihm, egal, wie sehr Erik sich versuchte zu verstecken. Ich bekam öfter den Eindruck, dass er jemand anderes sein wollte, darin seine ganze Energie steckte, anstelle sich dem zu öffnen, was er war.
      “Dann bin ich froh, dass du sie heute anhast”, funkelte ich ihn an. Auch auf seinen Lippen ein freudiges Lächeln und mit dem Arm zog er mich noch näher an sich heran.
      „So gern ich mir Schmeicheleien von dir anhöre, muss ich dir leider mitteilen, dass ich zurücksollte“, sprach er und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
      Enttäuscht seufzte ich.
      „Kann ich nicht mitkommen? Mich benötigt niemand hier“, versuchte ich ihn von mehr Zweisamkeit zu überzeugen.
      “Vriska, ich glaube kaum, dass Eskil dich eingeladen hätte, wenn er deine Anwesenheit nicht auch wollen, würde, außerdem willst du mich doch nicht etwa mit all denen da allein lassen”, brachte Lina ihre Einwände ein.
      “Solang sich Niklas benimmt, solltest du die doch im Zaum haben, schließlich bist du geistig größer als alle zusammen”, gab Erik zu verstehen, verstummte nach einem kaum sichtbaren Stoß in die Seite.
      “Aber klar, ich lasse dich nicht allein”, überspielte ich meine Unsicherheit mit einem leichten Zucken der Lippen, “sonst wäre es nur halb so unterhaltsam.”
      “Danke, sehr freundlich von dir”, entgegnete sie an mich gewandt”, aber warum sollte Niklas sich nicht benehmen können?” Sie wirkte zwar interessiert, allerdings nicht als hätten die Worte Misstrauen in ihr erweckt.
      „Ach, du kennst ihn doch“, grinste er, „schließlich kennt er seine Grenzen nicht so ganz und muss sie dem Öfteren austesten.“
      Noch mal gut gerettet, stellte ich im Geheimen fest und wir verabschiedeten uns. Mehr als einen flüchtigen Kuss bekam ich nicht. Da ich allerdings auch meine eigene Fahne riechen konnte, nahm es ihm nicht übel. Mit einem Gefühl zwischen Lust und Verlust sah ich dem davonrollendem Fahrzeug noch nach, als hinter uns die Tür sich öffnete.
      „Wollen wir dann auch langsam gehen? Es ist schon spät“, sprach mein Bruder unverfroren. Von Eskil und Niklas war keine Spur zu sehen und die Sorge, dass besagte Grenzen überschritten, erneut überschritten wurden, brachte die jungen Pferde erneut zum Beben. Ich versuchte Harlen mit einem fragenden Blick mehr Informationen zu entlocken, doch gab es die bestehende Verbindung, von vor Jahren, nicht mehr. Also drückte ich in Gedanken nur die Daumen, dass beide Männer sich zügeln konnten.
      “Klar, ich würde mich nur noch schnell verabschieden” lächelte Lina und bewegte sich in Richtung der Türöffnung, bereit hindurchzuschlüpfen.
      Bevor Harlen wieder ein Fuß aus dem Auto setzte, sprang die Kleine ins Fahrzeug und weckte dabei den Welpen auf. Schwanzwedelnd drückte er sich auf ihren Schoß. Dort schlief der Rüde ein. Ich hingegen sprühte wie Lina vor Energie. Fröhlich sprach sie über Nivi, den Junghund ihrer Schwester, der nur etwas älter als das Findelkind sein sollte, zu dessen Namen es noch immer Diskussionen gab. Fred fanden wir gut, doch war der Bezug zu Eriks Tochter zu nah, das eventuell zu Schwierigkeiten kommen könnte, wenn noch länger die Beziehung führen würden.
      „Ist es eigentlich der Vorlauf von Juli und Taavi mit dem Hund?“, kam dann auch mein Bruder zu Wort, der weiterhin brav den Blick zur Straße richtete.
      “Das habe ich mich auch bereits gefragt und ich denke ja. In letzter Zeit bekomme ich verdächtig viele Reels von Hochzeiten und Babys und all dem Kram gesendet”, beantwortet Lina die Frage munter.
      „Kram ist aber eine lieblose Bezeichnung für die Herzensangelegenheit deiner Schwester“, merkte Harlen pikiert an. Er musste aber auch jedes Wort auf wahre Münze legen! Für mich war das Thema klar, ich hatte keine Ahnung und wusste auch nicht, ob ich mir je darüber Gedanken machen würde, stattdessen schwärmte ich weiter über die aufleuchtenden Nachrichten auf meinem Bildschirm.
      “Es ist ja nicht so, dass ich mich nicht für sie freue. Nein, ganz im Gegenteil, das ist wundervoll, dass ihr Leben so gut läuft, aber gefühlte hundert Reels am Tag sind ein paar zu viel”, erklärte sie.
      “Und warum sagst du es ihr nicht? Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie so ignorant ist, wie das Fräulein neben mir”, grinste Harlen.
      “Nicht okay!”, stöhnte ich, aber hielt mich nicht weiter am Ärger fest.
      “Habe ich gestern versucht, aber Nivi und ihr kleiner Bauch schienen von größerem Interesse”, antworte Lina sanftmütig, “Aber bei einem so niedlichen Tierchen, kann ich ihr das auch nicht übelnehmen.”
      „Verstehe“, stimmte er ihr zu. Am Horizont leuchteten schon die kleinen Lampen der Reithallenabendbeleuchtung und ich bekam das unbestimmte Gefühl, noch etwas zu tun. Schließlich war es erst kurz vor eins, da war ich schon sehr oft noch im Training.
      „Lina, hast du noch was vor?“, fragte ich entschlossen und drehte mich neugierig zu ihr um.
      “Nein, was sollte man mitten in der Nacht auch vorhaben?”, lachte sie.
      „Ach mir fallen da einige Sachen ein, vielleicht hat Niklas noch was geplant“, kam es als erste Überlegung, „oder du bevorzugst Ersatzhandlungen, wenn er nicht da ist. Oder schlafen.“
      “Das Thema wollen wir nicht weiter ausführen”, entgegnete sie bestimmt, natürlich nicht, ohne dass zumindest eine hauchzarte Rosafärbung an ihren Ohren zum Vorschein kam.
      „Nur weil du so groß bist wie eine dreizehnjährige, musst du dich nicht wie eine verhalten“, scherzte ich, was beide Insassen des Fahrzeugs nur wenig nachvollziehen könnten.
      „Vriska, zu viel“, mischte sich Harlen ein, der ebenfalls so verklemmt war wie Lina.
      “Was war denn deine eigentliche Intension hinter deiner Frage?”, versuchte zuletzt genannte das Thema in andere Gebiete zu lenken, bevor sie noch die Farbe einer Tomate annahm.
      „Reiten“, konnte ich mir den Wortwitz nicht verkneifen, „ich wollte noch mal ein bisschen was mit Lubi machen.“
      Langsam nahm das Gesicht einen normalen Farbton an und offenbar war mein Witz doch noch tragbar. Wir kamen neben der Reithalle zum Stehen.
      “Na, da komme ich mit, bin ohnehin noch viel zu wach, um schlafen zu gehen”, sprach sie motiviert, “den Riesen und dich bekommt man ja sonst eher selten zu Gesicht.”

      Später im Stall

      In meinem Kopf drehte es sich, weniger Karussell, aber mehr als Erdbewegung, hielt mich jedoch wacker auf den weichen Knien. Lubi hing schläfrig in den Halterungen am Halfter, döste mit angewinkeltem Huf.
      „Ich versuche jetzt was“, strahlte ich förmlich Energie und verschwand in der Sattelkammer, ohne dass Lina weitere Fragen stellen konnte, vielleicht auch, weil mich nichts abhalten konnte von einer Idee.
      Das Schulungspad hatte ich rasch in der Hand, nur an einem Zaum scheiterte ich. So viel an Zubehör gehörte mit zur großen, braunen Stute, dass man schnell den Überblick verlor. Auch in meinem Schrank funkelte mich nichts Passendes für den Augenblick an, dafür etwas anderes. Ich ergriff den Ring und stürmte aus dem Raum. Zur Ausnahme hatte sogar meinen Helm aufgesetzt. Verblüfft blickt mich Lina an, als hätte ich, was weiß ich, getan, aber schien dem nichts aussetzen zu haben. Also legte ich, okay, es war eher ein Schmeißen bei der Größe, das Pad auf ihren Rücken, zurrte den Gurt fest und löste das Halfter samt Halterung vom Kopf. Um den Hals stülpte ich den Halsring und zusammen liefen wir auf den Reitplatz, der offenbar am Abend abgefahren wurde. Ordentlich lag er vor uns, so unberührt und rein, dass es kurz unwohl wurde, diese Ruhe zu stören.
      “Hast du das schon mal gemacht?”, unterbrach Lina voller Neugierde die Stille, noch bevor der erste Huf der Stute den Sand berührte.
      “Nicht direkt”, überlegte ich, “manchmal mit Glymur auf der Bahn, aber für den Tölt auf einer geraden Strecke benötigt man auch nur wenig Einwirkung.”
      Lubi folgte mir mit leichtem Ohrenspiel. Vor dem Stall hörte man die Hengste im Unterstand schnauben, kauen und zwischendurch wieherte eins der Tiere. Sie reagierte nicht auf sie, aber lauschte.
      “Da bin ich mal gespannt. Ich habe mich bisher nie getraut, das auszuprobieren”, entgegnete Lina erwartungsvoll.
      „Du bist noch nie mit Halsring geritten?“, fragte ich noch mal genauer noch. Nur schwer konnte ich mir vorstellen, dass ein Spielkind, wie sie es war, nie auf einem Platz herumdümpelte.
      “Noch nie, wäre nicht ganz richtig. Mit Vilijami bin ich früher öfter so im Gelände gewesen, aber seit dem Unfall kann ich da irgendwie nicht mehr so sorglos herangehen. Also ist es schon ziemlich lange her”, seufzte sie. Melancholie schwang in ihren Worten mit, was verständlich war. Denn auch wenn sie nicht oft über dieses Pferd sprach, konnte man spüren, dass er ihr einiges an dem kleinen Pferd gelegen hatte, auch wenn ich an den Schrein im Wohnzimmer dachte.
      “Verstehe”, nickte ich. Vielleicht würde ich sie zum Abreiten auf die Stute bekommen, aber mein weiteres Vorgehen, überlegte ich erst auf dem Rücken. Mit geneigtem Kopf beobachtete ich Lubi, die in aller Seelenruhe im Sand stand und die einzelnen kleinen Steine beobachtete, als würde ein Frosch darin leben und sich bewegen. Aber nichts bewegt sich, nein, Ruhe schwebte um uns. Mit einer kurzen Dehnungshaltung versuchte ich meine Flexibilität zu testen, aber es wirkte tatsächlich noch so, als würden keine drei Jahre zum letzten Training liegen. Locker stellte ich mich neben sie, testete die Festigkeit des Pads, was mehr oder weniger passen sollte, legte meine Hand an den Gurt und die andere hielt an der leichten Erhöhung nahe dem Widerrist fest. Mit einem gezielten Schwung eines Beines nahm ich die nötige Energie, um mich locker mit den Armen abzudrücken, halb im Körper zu drehen und mit breiter Spannung hineinzugleiten. Kurz fühlte es sich wie ein Hexenwerk an, dass ich noch die Kraft hatte, mein eigenes Körpergewicht hochzustemmen, aber dann lobte ich Lubi, die genauso verwundert sich zu mir umsah.
      Im Schritt musste ich mich erst einmal eingewöhnen über die neue Steuerung, auch wenn der Autopilot zuverlässig auf die Hilfen im Sitz reagierte. Lubi konnte es noch nicht verstehen. Ich saß deutlich höher als im Dressursattel, hatte keine Pauschen und musste somit allein den Schwerpunkt finden. Gar nicht so leicht, wenn man sich daran gewöhnt hatte, aber wir fanden zueinander, erst im Schritt und dann auch im Trab. Mir wurde klar, dass Lubi so viel mehr als ein Verlasspferd war. In der kurzen Zeit konnte ich lernen von ihr, mehr als mit jedes Pferd zuvor gab, umso schmerzlicher wurde Gedanke, was wohl sein würde, wenn ich sie zurückgeben müsste.
      „Lina, was denkst du, kostet so ein Pferd?“, hielt ich neben ihr an und strich Lubi über den Hals.
      “Bei dem Ausbildungsstand”, überlegte sie, blickte dabei in den Himmel als würde sie etwa vor ihrem inneren Auge sehen, “ihre Abstammung wird sich vermutlich auch sehen lassen können … ich denke, das wird so im fünf- bis sechsteiligen Bereich liegen.”
      “Nur? Dann ist das vielleicht eine Möglichkeit”, atmete ich erleichtert aus. Die Stute drehte ihren Kopf zu mir, um sich sogleich ein Leckerli abzuholen.
      “Nur, du bist niedlich”, lachte sie, ”daran muss ich mich echt noch gewöhnen. Aber warum fragst du, hast du vor dir ein eigenes Elitepferd zuzulegen?”
      “Eigentlich nicht, die Versicherung ist bestimmt teuer. Nur für den Fall”, ich seufzte. Aussprechen machte es real, aber ich musste mich dem stellen. “Sollten sie Lubi abgeben, kann sie nirgendwo anders hin.”
      “Das kann ich nur zu gut verstehen, das Abgeben ist immer das schwerste, gerade wenn sie so besonders sind”, nickte sie verständnisvoll. Ich musterte sie noch einen Augenblick, bevor sich die Stute von selbst vorwärtsbewegte und ungeduldig mit dem Kopf wippte. Beidseitig gab ich eine treibende Hilfe, um anzutraben. Ihren Schwung auszusitzen, meisterte ich immer mehr, stolz richtete ich mich noch mehr auf und fand damit den Schwerpunkt. Fordernd kam ein Galoppsprung, den ich mitnahm und durch das höhere Anlegen meines Schenkels vorsetzte. Auf dem Zirkel wölbte sie den Hals. Die Beine setzten im korrekten Takt in den Sand und zum vermutlich ersten Mal spürte ich genau, in welcher Reihenfolge die Hufe setzten. Sonst zählte ich nur im Rhythmus, wie es mit Eskil vorgesagt hatte, ein echtes Gefühl dafür hatte ich nicht. Auch im Wechsel aus dem Zirkel heraus, gab ich im annähernd richtigen Moment die Hilfe, aber Lubi sprang von selbst um.
      Gewonnen an Sicherheit, versuchte ich etwas Neues aus. Bisher hatte ich nur darüber gelesen, aber noch nie ausprobiert. Der Blutalkoholwert schaltete immer mehr Zweifel aus, sodass im Trab auf der rechten Hand bei M Lubi in die rechte Traversale stellte, mit minimaler Einwirkung, dass der Ring am Hals nur den Hals bog in die Stellung. Kurz vor dem Erreichen vom Mittelpunkt schloss ich die Augen, atmete tief durch und beendete den Seitengang, um sie umgehend auf links einstellten und mich diagonal in der Linkstraversale zurück zum Hufschlag zu bewegen. Natürlich hätte ich es auch erst mal im Schritt versuchen können, aber wer nichts wagt, der nichts gewinnt? Überglücklich fiel all die Last von meinen Schultern, ich parierte auf der kurzen Seite durch in den Schritt und klopfte kräftig ihren Hals. Zufrieden schnaubte das Pferd, streckte sich dabei. Auf der kleinen Uhr an der Wand erkannt ich, dass es bereits kurz vor halb drei war, langsam, aber sicher sollten wir zurück.
      “Willst du Abreiten?”, fragte ich Lina, vor der ich anhielt.
      “Wenn du mir garantieren kannst, dass sie auch bei mir so brav bleibt”, entgegnete sie zurückhalten nach kurzem Überlegen und blickte an der großen Stute hinauf.
      “Denkst du, dass dieses Pferd jemals anders sein sollte?” Ich stieg in dem Moment ab und natürlich demonstrierte sie sich von ihrer blödesten Seite. Sie zog ihr Kopf nach oben, flehmte und drehte diesen gähnend. Wieder lobte ich und wartete nur darauf, Lina aufs Pferd zu heben.
      “Ich weiß es nicht. Bei Niklas sieht Smooth auch immer aus, wie ein Lämmchen, aber wir wissen beide, dass sie ein ziemlich temperamentvolles Lämmchen ist”, lachte sie, trat dann aber dennoch an das Pferd und mich heran.
      “Bedenke, dass dein Freund”, unsicher schluckte ich, diese Wortwahl auszusprechen, “riesig ist, stark und kein Vergleich zu uns beiden. Und ich habe Lubi im Griff, also schaffst du das auch.”
      Zuversichtlich gab ich ihr die Möglichkeit über mein Bein eine zusätzliche Stufe zu haben und drückte sie mit den Händen an dem Schuh hoch. Sie wackelte, aber bekam dann zumindest etwas mehr Körperspannung.
      “Na, wenn du das sagst”, entgegnete sie, setzte sich auf dem Rücken des Tieres zurecht, ehe sie Lubi den Hals tätschelte. Kurz wandte Lubi den Kopf, beschnupperte das Bein ihrer neuen Reiterin, bevor diesen wieder folgsam nach vorne wandte.
      “Brauchst du Hilfe?”, erkundigte ich mich höflich nach der zweiten Runde, die die Beiden vorzüglich vollbrachten.
      “Nein, alles super”, antwortete sie mit einem freudigen Lächeln auf den Lippen. Lina thronte nahezu auf dem dunklen Pferd, welches weich und gleichmäßig die Hufe in den lockeren Sand setzte. Mit wenig Einsatz des Ringes, dafür vermehrt mit Gewichts- und Schenkelhilfen lenkte sie die Stute durch die Bahn, die artig ihre Anweisung folgte. Offenbar schien das Warmblut ihr ausreichend Sicherheit zu vermitteln, denn Lina ließ sogar einige Trabtritte machen, bei denen sie nahezu wie angeklebt wirkte.
      “Das funktioniert besser als ich dachte”, teilte Lina ihr Fazit mit als sie nach einer ausreichenden Dauer neben mir hielt. Sie strahlte förmlich als sie Lubi lobend den Hals tätschelte, welche sich auch sogleich noch ein Leckerli abholte.
      „Siehst du“, grinste ich zufrieden, „aber noch ein, zwei Runden, sonst muss ich ihr eine Decke ummachen in der Box.“ Das letzte Wort kam nur halb verständlich heraus, denn ein kräftiges Gähnen hielt mich ab.
      „Entschuldigung“, murmelte ich, erntete erneut verblüffte, aber unkommentierte Blicke.
      Während Lina besagte Runden noch beschritt, hatte ich mich an der Bande hoch gehangelt und auf den Rand gesetzt. Tyrell sagte immer, wir sollen dies nicht tun, doch ich wollte es heute, wie nie zuvor.
      Aus der Innentasche meiner Jacke zog ich das Handy hervor.
      „Na, schon eingeschlafen?“, leuchtete auf dem Bildschirm. Mit dem Daumen wählte ich die Nachricht aus und tippte flink: „Nein, bin gerade noch geritten.“ Einen besseren Einstieg in eine weitere Konversation konnte es nicht geben.
      „Schade, zu gern hätte ich mehr davon gesehen“, tauchte als Erstes auf, gefolgt von: „Oder viel mehr gesprüht.“
      „Vielleicht lasse ich dich ran. Wenn du nett bist“, schrieb ich und ertappte mich dabei, wieder das gewisse Grinsen aufzusetzen, das ich sonst nur bei Erik hatte. In mir herrschte dasselbe Gefühl, nur es mit meiner Ablenkung rein sexueller Natur war.
      „Ich störe nur ungern deinen Flirt, aber Lubi ist trocken“, sprang Lina vor mir vom Pferd. Ich steckte das Handy wieder zurück, wo es herkam, und folgte in den Stall.
      Ihre Gesprächigkeit hatte zunehmend an Euphorie und Energie verloren, versuchte jedoch sich nicht abzuwenden für Ruhezeit. Sie stand neben mir, während die Stute den Kopf in die Gummischüssel steckte und wild mit der Lippe darin wühlte. Aus der Tasche hatte ich wieder mein Handy geholt. Gefühlte Stunden blickte ich nur auf den Bildschirm, verloren mich darin, ehe mich Lina durch ein Tippen wieder in die Wirklichkeit holte. Das Gerät war erloschen und spiegelte nicht mehr als mein müdes Gesicht, dass wir besessen nach unten blickten.
      „Denkst du, man kann zwei Menschen lieben?“, fragte ich meine Kollegin aus dem Nichts.
      „Ja, ich denke, das ist möglich, auch wenn die Chance vermutlich ziemlich gering sind gleich zweimal den richtigen Menschen zu treffen“, antwortete sie tiefsinnig.
      „Den richtigen Menschen? Ich glaube, dass Liebe so nicht funktioniert“, dabei kam mir direkt die Verwirrung in meiner Pubertät in den Kopf, unangenehme Erinnerungen, die verdrängte.
      “‘Der richtige’ ist vielleicht auch ein ungeschickter Ausdruck. Aber für echt Liebe und ich meine hier nicht nur eine erste Verliebtheit oder Schwärmerei, denn das kann man sich auch ziemlich gut einreden, beziehungsweise die Körperchemie bringt da auch gerne ein wenig Chaos hinein. Nein, ich meine die Art von Liebe, die mit tiefer Verbundenheit einhergeht, dafür müssen eine Menge emotionale und sicher auch physische Aspekte stimmen, damit es auch dauerhaften Bestand hat. Ich denke diesen Menschen zu finden, bei dem all wenigstens im Ansatz stimmt ist nicht die aller leichteste Aufgabe”, erklärte Lina ziemlich ausschweifend ihre Ansichten. Bis alle Informationen bei mir ankamen, brauchten einen Augenblick, ehe sie eine Antwort bekam. Dafür, dass sie immer so verschlossen und naiv wirkte, hatte sie deutlich mehr Ahnung als alle anderen zusammen in meinem Leben, was Liebe und Beziehungen betraf.
      „Und das ist bei dir und Niklas?“, kam es mir schändlicher Weise über die Lippen. Lina seufzte schwer und ihr Blick richtete sich irgendwo in die Leere.
      “Ehrlich gesagt … ich weiß es nicht. Die Gefühle sind da, aber da ist … einfach noch so viel Ungewissheit, so viel unbekanntes Terrain ”, sprach sie langsam und drehte abwesend an einer der lockeren Haarsträhnen.
      “Gibt es Dinge, die ich dir beantworten kann?”, versuchte ich ihr mehr Gewissheit zu schenken, sofern es überhaupt möglich war. Eine gefühlte Ewigkeit verging, in der sie in sich gekehrt Löcher in die Luft starrte, nur ihre Finger mussten sich unaufhörlich fortbewegen.
      “Es ist so unheimlich viel, worüber ich immer wieder stolpere. Das meiste sind kleine Belanglosigkeiten, wie die Lieblingsfarbe oder was treibt er eigentlich in seiner Freizeit, neben den Pferden versteht sich. Sind das nicht Dinge, die man wissen sollte über seinen Freund? Ich meine, du scheinst sogar den Kleiderschrank deines Freundes auswendig zu kennen. Ganz zu schweigen von den tiefsinnigeren Fragen, aber vielleicht ist es für so etwas auch einfach noch zu früh …”, sprach sie seltsam offen, als würde die späte Stunde einen schützenden Mantel um alles herum legen.
      „Möchtest du das wirklich von mir beantwortet haben oder dich lieber mit ihm hinsetzen und ein Spiel daraus machen?“, gab ich Lina einen Anstoß, das Beste daraus zu machen.
      “Das klingt tatsächlich ziemlich klug”, stimmte sie nachdenklich zu und löste ihren Blick nun auch endlich von den wundersamen Dingen, welche sie in der Luft anzustarren schien.
      “Na siehst du, dann kann es nur bergauf gehen”, schmunzelte ich.
      Lubi hatte noch immer mit ihrer Schüssel zu tun, obwohl sich darin nicht annähernd ihre normale Ration befand. Aber ihre Müdigkeit verstand ich, außerdem musste sie nicht die Vibration am Bein spüren, die jeden klaren Gedanken erschwerten.
      “Ich glaube, sie hat sich etwas bei Ivy abgeguckt”, scherzte ich.
      “Dann sei froh, dass sie sich nicht abgeguckt hat alles auf dem Boden zu verteilen”, stimmte Lina sich amüsierend zu.
      “Du hast recht”, nickte ich und musste jedoch den Bildschirm mustern. Vermutlich waren es in den vergangenen zehn Minuten um die vierzig Benachrichtigungen. Ein kräftiger Atemzug untermalte die Nervigkeit. Ich bemerkte, dass es nur halb so viele Mitteilungen waren und auch Instagram einen kleinen Teil dazu Beitrag. Erik hatte mir geschrieben, allerdings öffnete sich beim Auswählen des Banners der vorherige Chat. Die Lunge enthielt sich beinah taktisch, die Luft abzulassen und ich klammerte mich am körperwarmen Gehäuse fest.
      „Wow“, brauchte ich als einziges Erstaunen heraus. Abermals hatte er sich an dem Abend, oder Morgen mittlerweile, dazu entschlossen, mir klare Zeichen seines Willens zu schicken. Was zuvor noch von Stoff einer bedeckt war, versteckte sich nun nur zudem hinter seiner Hand. Er gab sich wirklich Mühe dabei, mich zu ködern, nachdem die Regeln Schritt für Schritt häufiger gebrochen wurden. Im Anschnitt befand ich auch seine Bauchmuskulatur unterhalb des Bauchnabels, was auf weiteres Verlangen meinerseits stieß.
      Offenbar starrte ich sehr lange und intensiv auf das Bild, denn Lina schob sich zu mir, um ebenfalls den Bildschirm zu untersuchen.
      „Wow“, drang es nun auch aus Linas Mund, deren Blick sich innerhalb von Sekunden auch bereits wieder vom Bildschirm löste, „Mr. X scheint es ja ziemlich ernst zu meinen.“
      „Könnte man so sagen“, grinste ich, „als würde er wissen, dass ich noch nicht zu hundert Prozent von der Sache überzeugt bin.“
      “Ja, Zufälle gibt es”, entgegnet sie schmunzelnd. Natürlich wusste Lina mehr, aber sie würde mir auch in der Situation nichts Weiteres sagen. Deswegen schnappte ich mir Lubi, die endlich ihre Schüssel geleert hatte und führte sie zur Box. Zufrieden schnaubte sie. Ihren Kopf drückte sie ins Heu und knabberte weiter.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // Vriska Isaac // 58.444 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende Oktober 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel nitton | 04. Juni 2022

      Snotra / Lubumbashi / Maxou / Glymur / Moonwalker LDS / Planetenfrost LDS / Wunderkind / Harlem Shake LDS / Waschprogramm / Form Follows Function LDS / Satz des Pythagoras/ Lu’lu’a / HMJ Holy / Sturmglokke LDS / Enigma LDS / Millennial LDS
      Einheitssprache / Caja / HMJ Divine / Legolas / Ready for Life / Benjamin


      Vriska
      “Du wolltest doch nur schnell deine Haare neu machen”, jammerte Lina hinter der geschlossenen Badtür.
      “Jaha, ich bin doch gleich so weit”, rief ich langgezogen, mit dem Blick auf mein Handy gerichtet. Beinah sekündlich aktualisierte ich die Instagram Startseite und beobachtete, die Zahl neben dem kleinen Herz, das aufleuchtete, stieg. Wir hatten Tyrell von dem kleinen nächtlichen Ritt in der Halle erzählt und er wollte sich am gestrigen Tag selbst davon überzeugen, nur hatte ich dieses Mal den Sattel auf die Stute gelegt. Seiner Begeisterung über meine Leistung folgte der Einsatz der Kamera. Die Ergebnisse waren großartig, landeten deshalb nicht nur auf der Seite vom Gestüt, sondern auch auf meiner. Und was soll ich sagen? Niklas war hoch im Rennen, sich positiv darüber auszusprechen. Selbst Lina, die es sonst kritisch sah, dass ihr Freund Sympathie für mich hegte, freute sich daran.
      Deshalb saß ich auf dem geschlossenen Deckel der Toilette und wollte nicht zur Teambesprechung. Wollen, war eventuell der falsche Ausdruck, denn ich fand keine Motivation durch den angetauten Schnee wieder zurückzulaufen. Wir hatten schon einiges geschafft. Lina machte große Fortschritte im Umgang mit Rambi und ich war mit Snotra ausreiten, die einen anderen Sattelgurt benötigte. Dieser wurde zunehmend zu kurz. Lina scherzte bereits, dass Glymur mehr Erfolg hatte, als vermutet, doch ich bezweifelte es. Dafür war die Zeit zu kurz auf der Weide gewesen. Aber was wusste ich schon.
      “Ich schneide sie dir ab, wenn du jetzt nicht kommst”, ermahnte sie mich noch einmal und nun öffnete ich doch die Tür. Sie stürmte sofort hinein.
      Einen Moment später patschten wir durch den Matsch auf den Wegen zur Halle. Am Himmel zogen kleine Wolken vorbei, der ansonsten verdächtig blau leuchtete. Ein vereinzelter Vogel kreiste über den Bäumen. Der Hof lag still, getaucht in einer wässrigen Decke und umschlossen von Ästen. Alles wie immer, es war ein typischer Montag.
      Im warmen Raum der Mitarbeiter saßen wir als Erstes an unseren Plätzen. Folke trafen wir noch mit Dustin in der Stallgasse und mein Bruder verbrachte womöglich mit Jonina, die sich beide außergewöhnlich nahe standen seit dem Geburtstag. Ich beäugte die Beziehung kritisch, aber äußerste mich nicht dazu.
      „Oh, ihr seid da“, sagte Tyrell und klatschte erfreut die Hände zusammen. Dann begann er mit einer ganz simplen Sache: Neue Berittpferde.
      „Lina, bist du bereit, dich einer Herausforderung zu stellen? Caja ist nicht ganz einfach, schrieb man mir im Voraus und schickte anbei einige Videos“, erzählte er eher, als dass es eine Frage darstellte.
      “Wie darf man ‘nicht ganz einfach’ verstehen?”, hinterfrage Lina mit zusammengezogenen Augenbrauen. Ihr schien bereits klar zu sein, dass es bei solch einer Ankündigung nicht nur um eine einfache Lappalie handeln konnte.
      „Fuchs mit großer Blesse?“, fragte ich verwirrt. Das Pferd war nur bedingt unbekannt in der Region, primär in meinem Umfeld.
      „Ja?“, schloss er sich unserer Stimmung an.
      „Ich habe Gerüchte gehört“, grinste ich teuflisch, als hätte ich mir insgeheim bereit gewünscht, dass etwas daran wahr war. „In Spanien soll Mika schwer mit ihr gestürzt sein beim Vortraining und seitdem kommt keiner mehr an sie heran.“
      „Fast. Der Hauptgrund sind wohl Männer, denen sie nicht mehr vertraut und ihr Besitzer möchte ihr nun ein besseres Zuhause schenken“, erläuterte Tyrell weiter. Linas Augen wurden größer.
      „Aber du schaffst das. Wir haben so viel Zeit wie nötig ist, bekommen, also Stress dich nicht“, blieb er zuversichtlich. Cash reihte sich damit in eine lange Liste von schwierigen Pferden ein, die wir am häufigsten am Gestüt hatten. Vermutlich sprach sich herum, dass wir es eine gute Adresse dafür waren.
      “Wenn du das sagst”, entgegnet meine Kollegin, die noch nicht so ganz überzeugt schien, dieser Aufgabe wirklich gewachsen zu sein, aber auch nicht zu widersprechen wagte.
      „Wenn nicht, kann das bestimmt auch Mateo machen“, sprach er weiter, „ach ja, ihr wisst das noch gar nicht. Diesen sammeln wir in Kiel auf. Mit euch wird er dort die Woche verbringen und macht dann im Anschluss bei uns seinen Bereiter und Trainerschein. Vielleicht möchte er auch bleiben, das hat er sich noch nicht überlegt.“
      Oh, jemand Neues im Team? Das klang interessant. Tyrell hatte ein gutes Gespür dafür, wer zu uns passte und wer nicht. Deshalb bereitete die mir Tatsache keine Bedenken.
      „Und eine Praktikantin bekommen wir auch, aber die wird bei Bruce im Stall sein. Mal schauen, es gibt noch weitere Anfragen für alles Mögliche, jedoch sind so gut unsere Zahlen auch nicht, dass wir jeden und alles einstellen können, vor allem, wenn jeder seine Pferde mitbringt“, dabei blickte er uns beide an, aber begann dann zu lachen.
      “Ach, die zwei Ponys fallen doch gar nicht auf, die futtern auch nur ganz wenig”, scherzte Lina, wohl wissend, dass allein Ivy schon das Doppelte an dem verspeiste, was Maxou zu sich nahm.
      „Natürlich, es sind Shetlandponys“, beschwichtigte Tyrell, „aber noch etwas anderes. Ich bitte euch nicht jedes Pferd in Kiel zu kaufen.“ Seine Augen schielten mehr zu mir als zu Lina.
      „Aber eigentlich staune ich ohnehin, dass du jetzt erst eins hast“, fügte er hinzu.
      „Wirklich?“, hakte ich nach.
      „Wenn du könntest, wäre der Stall voll. Zu gleichen Teilen muss das Pferd aber auch für dein Verständnis perfekt sein.“ Ein belustigtes Lächeln umspielte seine Lippen.
      „So groß sind meine Ansprüche nicht, nur wusste ich bisher nicht, in welche Richtung es gehen sollte. Kein Fuchs, kein Kerl und eigentlich Isländer, doch das ist jetzt durch“, zählte ich die kleinen Feinheiten auf.
      „Aber sowohl Glymur als auch Capi zählen doch zur Gattung Kerl?“, traf Tyrell ins Schwarze.
      „Ja, aber die gehören nicht mir. Es geht vielmehr um das drumherum“, versuchte ich nicht vorhandene Gründe der Geschlechterwahl zu finden.
      „Welches Drumherum? Hier ist Hengsthaltung doch gar kein Problem und Wallach werden meistens bevorzugt.“
      „Schon, aber woher soll ich wissen, wie lange ihr mich ertragt und halbe Kerle sind so langweilig. Außerdem will ich die nicht so intim waschen“, lachte ich.
      “Also, dass man Wallache langweilig findet, kann ich noch verstehen, aber Intimpflege, ernsthaft? Eine wirklich seltsame Begründung”, schmunzelte Lina.
      „Das interessiert mich jetzt, aber auch sonst bist du doch recht offen, was männliche Intimzonen betrifft“, musste Tyrell natürlich noch eine Schippe drauflegen. Ich schloss verzweifelt die Augen und versteckte die ansteigende Röte meiner Wangen hinter meinen Händen. Natürlich hatte er mehr von Harlen erfahren, ansonsten – denken wir besser nicht darüber nach.
      „Man kann doch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen! Obendrein finde ich es einfach eklig, okay? Ich möchte nicht mit meinen Händen in dem Bereich an einem Pferd fummeln“, gab ich ihnen meinen Grund dafür mit kratziger Stimme.
      “Ist ja okay”, grinste Lina, “dann hoffe ich mal für dich, dass dir nicht doch mal eines Tages ein Hengst zuläuft.”
      „Das wird nicht passieren“, blieb ich überzeugt, dass nichts im Leben etwas daran ändern könnte. Es gab so viele Pferde, da würde ich eine andere Möglichkeit finden.
      „Spannend“, blieb Tyrell ebenfalls behaglich, „die Größe scheint doch sonst eher in deinem Blick zu sein.“
      Die Röte intensivierte sich.
      „Tyrell! Das sind Pferde“, versuchte ich an seinen verlorenen Verstand zu appellieren.
      “Gibt es, außer diese Sache sonst noch etwas zu besprechen?”, startete Lina, ein feistes Grinsen auf den Lippen, einen Versuch wieder die essenziellen Dinge zu thematisiert und mich damit aus der seltsamen Situation zu befreien. Zum Glück hakte sie nicht weiter nach, vorher seine wirren Behauptungen stammten. Erleichtert atmete ich aus.
      „Tatsächlich, ja“, sagte Tyrell. „Ihr könntet Divine und Legolas heute mal in die Herde packen und dann schauen, wie die beiden sich machen. Irgendwer von den beiden hat die Selbsttränken beschädigt, deswegen steht dort der Eimer.“
      “Okay, cool. Ich hoffe nur, dass mein Spielkind noch nichts überflutet hat”, kommentierte sie.
      “Leider muss ich dich enttäuschen, noch bevor ihr im Stall wart, haben Folke und ich alles getrocknet. Aber alles gut. Kommt vor”, zuckte unser Chef, wenn er das überhaupt noch war, mit Harlen als Geschäftsführer, mit seinen Schultern.
      Sonst stand nichts mehr an und wir bewegten uns nacheinander aus dem Raum heraus. Im Flur kam uns aufgeregt, der junge Hund entgegen, als er unsere Stimmen hörte. Freudestrahlend bewegte sich sein Schwanz, ehe er sich vor unseren Füßen auf den Boden warf. Wir knieten uns hin, um dem Tier einen Augenblick der Aufmerksamkeit zu schenken, doch mussten dann schon weiter. Die Halfter hingen ohnehin an der Box, wodurch wir geradewegs weiterkonnten.
      “Hallo”, begrüßte Lina ihren hellen Hengst spielerisch und war direkt verloren. Noch einige Male versuchte ich eine Antwort auf meine Frage zu bekommen – vergeblich. Damit wir hier keine Ewigkeit verbrachten, legte ich dem Rappen sein blaues Halfter um, das schon bessere Zeiten gesehen hatte.
      “Also, wann kommt Samu endlich wieder?”, nahm ich einen letzten Anlauf, als ich kurz den Paddock standen und die darin befindenden Pferde interessiert ans Gatter kamen. Leise brummten sich die Tiere an, quietschten und verteilten sich wieder vereinzelnd.
      “Mittwoch kommt er definitiv und wenn es zeitlich passt, wollte er vielleicht heute noch kurz hereinschauen”, antworte sie fröhlich.
      “Oh toll, ist da etwas Besonderes?”, fragte ich.
      Lego rieb seinen Kopf an meiner Schulter, bekam einen Klaps, aber ignorierte diesen konsequent. Immer wieder schob ich ihn zur Seite, bis Lina ihm kurz in die Schranken weißte. Der Hengst spitzte die Ohren und gehorchte ihr.
      “Nicht, dass ich wüsste, aber es wäre nicht ausgeschlossen, dass der schon wieder mit irgendwelchen Überraschungen ankommt”, entgegnet sie frohen Mutes, während sie beiläufig die Haarpracht des Freibergers ein wenig ordnete, obwohl dies vermutlich ohnehin gleich wieder durchgewirbelt werden würde.
      “Als hättest du eine Vermutung”, nickte ich verstehend, zumindest versuchte ich es. Die Beiden waren mir ein Rätsel, aber ich finde sie so niedlich zusammen.
      Aber zunächst mussten die Pferde auf dem Paddock. Deswegen öffnete ich am Griff die Litze. Nacheinander führten wir die Hengste hinein, lösten die Stricke und schon bewegten sie sich zu den anderen. Dominant trabte Rambi aus der Gruppe heraus, um ihnen gegenüber dem Mann zu stehen. Er scheuchte die Beiden herum, aber als Benjamin dazu kam, wurde die Gruppe ruhiger.
      “Ja, Intuition”, lächelte sie, “aber ist mir eigentlich auch egal, Hauptsache, er lässt sich gelegentlich hier blicken.”
      “Er ist auch ein Sahnestückchen. Das schaut man gern an”, sprach ich meinen Gedanken aus, ohne die Augen von den Hengsten zu lösen. Lego hatte sich zwischen zwei anderen Warmblütern begeben und zupfte an dem Heu.
      “Na, lass das mal nicht deinen Freund hören”, feixte sie, “aber Unrecht hast du nicht.”
      “Mein Freund will, dass ich mich mit einem Typen treffe, den ich nicht kenne, nur damit ich mit dem Schlafe, anstelle dass er es tut, also bitte”, wurde ich zum Ende leiser. Ein Hauch von Enttäuschung schwang mit, denn eigentlich wollte ich den Satz eher als Scherz klingen lassen, doch alles daran entsprach der Wahrheit. Den Moment nutzte ich, um mein Telefon zu prüfen, stille. Nicht einmal Instagram unterbreitete mir eine erfreuliche Nachricht, einzig die Uhrzeit und das heutige Datum leuchtete mich an. Dennoch lächelte ich. Obwohl ich beschlossen hatte, meinem Sperrbildschirm wieder eine normale Optik zu verpassen, zeichnete sich dort noch immer besagtes erstes Bild, das mir gesendet wurde. Ich mochte es, nicht nur aus emotionaler Sicht, sondern auch aus ästhetischer.
      “Wie oft hast du schon an Samu gedacht, also aus anderen Gründen?”, fragte ich noch nach, als das Handy wieder in der Jackentasche verschwand.
      “Ich fürchte, eine genaue Anzahl ist schwer zu ermitteln”, scherzte sie, “aber oft, gerade in der hochpupertären Phase, wie du dir vielleicht vorstellen kannst.”
      Versichert huschten meine Augen von links nach rechts, während meine Zähne die Unterlippe hindurchzogen. Kein Thema war so schwierig in meinem Leben wie diese, doch sie konnte das nicht wissen.
      “Von meinen Freunden weiß ich das, ja. Ansonsten habe ich davon einiges Übersprungen und verpasst”, gab ich zu. Aus Serien und Büchern wurde mir das Thema Jugendliebe auch schon nähergebracht, grundlegend nichts, worauf ich neidisch war.
      “Oh, entschuldige, ich wusste nicht, dass das so ein sensibles Thema für dich ist. Aber ich kann dir sagen, es ist keine Lebensphase, die ich gerne wiederholen würde”, setzte sie beschwichtigend nach.
      “Kann ich mir vorstellen”, nickte ich, “aber du und Samu? Grandiose Vorstellung.” Ein freches Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. Vermutlich wäre sie auch deutlich glücklicher mit ihm als mit Niklas, aber das hatte ich nicht zu beurteilen.
      “Findest du? Ich weiß ja nicht so recht”, antwortete sie argwöhnend, schien aber dennoch über meine Worte nachzudenken. Ihr Blick blieb bei ihrem Hengst, der noch immer von ihrem anderen Schützling über den Paddock gescheucht wurde. Keine Bisse, keine Tritte, also hielten sich die Rangdiskussionen noch im Rahmen. So färbte sich aber das saubere helle Fell, immer mehr zu einem Leoparden.
      “Willst du jetzt hören, wie schön eure Kinder aussehen könnten?”, begann ich zu lachen.
      “Ach, jetzt sind wir schon bei Kindern”, amüsiert funkelte es in ihren Augen, “Offenbar hast du genauere Vorstellung über mein Leben als ich selbst.”
      “Natürlich. Grund eins: Hast du dich mal richtig angeschaut? Du bist niedlich. Grund zwei: Dein Leben ist so viel interessanter als meins, deswegen mache ich mir Gedanken, um äußerst seltsame Dinge”, baute ich die Diskussion aus. Sie konnte nicht direkt einordnen, was ich meinte, aber nickte einmal sehr lang, als es im Kopf ankam.
      “Ich habe ja bereits vieles gehört, was ich sein soll, aber niedlich war selten dabei, aber danke”, lächelte sie geschmeichelt, “Aber was ist an meinem Leben dann so viel spannender? Es kommt mir nicht so vor als würde bei dir so wenig passieren.” Sie klang wirklich interessiert an meinem Gedankengang, auch wenn sie stets die Tiere im Auge behielt. Immerhin arbeiteten wir, während die nette Unterhaltung geführt wurde. Viel stand heute ohnehin nicht auf dem Plan.
      “Meine Wortwahl war interessanter und nicht weniger. Dennoch ist es ziemlich einfach, weil es bei dir so geregelter wirkte, bisher und die Erzählungen von deinem Umfeld immer so mitreißend ist”, erläuterte ich.
      “Wenn das so interessant ist, sollte ich vielleicht schon einmal an meiner Biografie arbeiten”, scherzte sie, “Aber Danke für das Kompliment?” Irritiert schielte sie kurz zu mir hinüber, bevor die felligen Vierbeiner wieder die Aufmerksamkeit bekamen.
      „Ich war ein Jahr im Literaturkurs, das könnte helfen“, offerierte ich.
      “Nette Angebot, aber ich glaube, das ist ziemlich viel Aufwand dafür, dass es vermutlich nur dich interessiert”, lächelte sie sanft.
      „Ach, Niklas sollte dafür auch sehr zu haben sein und der kann vermutlich die komplette erste Auflage kaufen“, bemerkte ich beiläufig und verfiel wieder darin, dass ihr bester Freund offenbar auch ihre Jugendliebe darstellte. Romantische Vorstellung, wie ich feststellte und meine womöglich erste und einzige Liebe als kribbelndes Gefühl unter der Haut spürte. Natürlich, Erik war großartig und ich wollte auf eine gewisse Art und Weise für immer bei ihm sein, aber er war nicht … Ich gab mir einen kleinen Klaps auf die Wange, um den Blick wieder für die Tiere zu haben und davon abzukommen. Der Schmerz war stets präsent, aber versteckt, wie chronische Kopfschmerzen.
      “Ich glaube, so funktioniert das nicht, wenn man halbwegs erfolgreich sein wollen würde”, sprach sie grüblerisch und gerade die letzten Worte klangen eher als sei es eher ein hypothetisches Gedankenspiel als eine ernsthafte Überlegung.

      Nach einer weiteren verstrichenen halben Stunde setzten wir uns wieder in Bewegung. Lina nahm sich ihrem Schützling Rambi an, während ich in der Sattelkammer saß und klägliche Aufgaben wie Sattelzeugpflege verrichtete. Eine Trense nach dem anderen nahm ich auseinander, fettete sie ein und baute alle Einzelteile wieder zusammen. Bereits nach der Vierten verlor ich die Lust daran, obwohl noch mehr als zwanzig Stück vor mir lagen.
      „Du bist aber fleißig“, sagte Tyrell und legte den Sattel zurück auf seinen Platz. Seine Schritte hatte ich bereits vernommen, aber man hörte andauernd welche. Selbst über mir knarrte es unregelmäßig.
      „Offensichtlich“, murmelte ich nur. Dabei schloss ich das Reithalfter wieder am Genickstück an.
      „Das war vorhin Spaß“, kam er sofort auf das Thema zu sprechen, was immer wieder in meinem Kopf aufblickte, als wäre es der nervige Wecker am Morgen, der alle neun Minuten ans Aufstehen erinnerte.
      „Freut mich, dass es dir Spaß bereitete“, drehte ich mich zu ihm, mit einem aufgesetzten Lächeln. Widmete mich im Anschluss wieder der Trense, die an ihren Platz zurückkam.
      „Eigentlich wollte ich noch etwas anderes ansprechen“, setzte sich Tyrell mit ernstem Blick neben mich. Wachsam spitzte ich meine Ohren. Die Finger fummelten eine weitere Trense auseinander, aber meine Augen sagen gespannt in seine Richtung.
      „Folke und Hedda werden zurückgehen nach Kalmar, auch Holy lassen sie hier und ich überlege, die Traber nach und nach zu verkaufen“, sagte er mit einem Seufzer. An den Tieren lag ihm viel, umso schwerer wirkte die Entscheidung.
      „Und, was soll ich nun tun?“, versuchte ich mehr in Erfahrung zu bringen.
      „Wäre es möglich, dass du wieder fährst?“, kam er zum Punkt.
      Nein, sagte ich in Gedanken, aber meine Lippen blieben geschlossen. Neben dem harten Training mit Lubi und der anderen Pferde nun auch noch, die Traber in Form zu halten, überstieg deutlich meine Leistungen. Außerdem kam ich selbst kaum auf das nötige Gewicht, wodurch die Rennen für mich nichts sein würden.
      „Es ist in Ordnung, wenn du nicht möchtest. Aber ich würde deine Hilfe benötigen bei der Suche nach jemand Neues“, wartete Tyrell nicht einmal auf meine Antwort.
      „Keine Ahnung, wie ich dir dabei eine Hilfe sein soll, aber ja“, stimmte ich nickend zu, „ich kann auch erst mal, zumindest hier, die Pferde fahren, aber rennen werde ich nicht nennen.“
      Er nickte.
      „Was passiert mit Holy und dem Fohlen?“, kam mir umgehend die Plüschkugel in den Kopf.
      „Die werden wir übernehmen, aber später dann schauen, ob wir sie behalten. Für die Reitschule könnte sie schwierig werden“, erklärte Tyrell. Sprach er von der Reitschule, die bisher nur Ausrede für Pferde war, die er kaufte und keine Notwendigkeit hatten? Gerade mal zwei Reitschüler kamen in der Woche, nichts Nennenswertes für einen weiteren Ausbau.
      „Okay“, nickte ich. Tyrell verließ den Raum und ich widmete mich wieder den Trensen. Aktuell schien sich alles zu ändern. Es kamen immer mehr neue Menschen und im selben Zuge verließen uns andere. Dass es innerhalb weniger Monate derartig viele Veränderungen geben würde, hätte ich nicht denken können. Immer mehr verfiel ich wieder in meinen Trott aus schlechten Gedanken, aber versuchte mich mit den Trensen abzulenken.
      „Die Leute lieben dich“, hörte ich hallend im Flur vor der Sattelkammer. Harlen unterstrich seine Freunde mit seinem Handy hoch in Luft gereckt. Er hatte wohl auch von den Bildern mitbekommen und gesellte sich zu mir.
      „Scheint so“, antwortete ich abwesend, ohne das Zaum aus der Hand zu legen. Den Blick behielt ich ebenfalls daran, um wirklich jede noch so kleine Verschmutzung zu entfernen. Nur noch fünf Stück lagen vor mir.
      „Was ist los?“, fragte er ernst.
      „Nichts.“
      „Für ‚nichts‘ bist du ziemlich seltsam und in dich gekehrt“, merkte Harlen an. Womöglich wieder eine seiner brüderlichen Instinkte, die ihn dazu anstifteten, hartnäckig zu bleiben.
      „Alles wie immer“, konnte ich mich nicht auf ein tiefgründiges Gespräch über meine Gefühle einlassen. In seinem Kopf ratterte es. Seine Hand fuhr durch das nach oben gegeltem Haar und richtete er sich auf.
      „Wir haben mitgeteilt bekommen, welche Pferde ihr in Kiel betreut“, wechselte Harlen gekonnt, das Thema.
      „Cool“, blieb ich desinteressiert. Kiel lag emotional noch so weit entfernt, dass ich darüber noch gar nicht nachdenken konnte. Letztlich war es nur arbeiten an einem anderen Ort, mit weniger Freiheiten.
      „Vivi, könntest du bitte mehr Interesse zeigen?“, appellierte er, aber kam damit nicht wirklich bei mir durch. Die nächste Trense baute ich nach dem Einfetten wieder zusammen. Ich stand auf und hängte sie zurück an ihren Platz. Es müsste jene sein, die wir an Götterdämmerungen verwendeten, zumindest nahm ich sie.
      „Okay, Harlen. Wenn du mich dann in Ruhe lässt, rede ich mit dir darüber“, gab ich schließlich nach. Er verhinderte, dass ich mit der nächsten Trense fortsetzen konnte.
      Zustimmend nickte er.
      „Tyrell musste mal wieder alte Wunden aufreißen, du verheimlichst mir Dinge und ich weiß nicht, wofür mein Herz schlägt“, ratterte ich im Akkord herunter.
      „Du hast recht“, seufzte mein Bruder, „ich war nicht ehrlich zu dir und das tut mir leid.“
      „Und welchen Grund sollte es dafür geben?“, seufzte ich.
      „Es ist kompliziert, deshalb wollte ich nicht darüber reden.“ Seine kurze Aussage klang nach weiterem Schweigen darüber, aber er überlegte auch. Ich hatte mir wieder eine Trense geschnappt, als er weitersprach: „Eigentlich wollte ich nicht hierbleiben, nachdem es mit der Firma geklärt war, aber einige Sachen verhinderten dieses Unterfangen. Papa sieht es nicht gern, dass ich von hier ausarbeite und nun auch noch als zweifacher Geschäftsführer agiere. Ich habe entschieden, dass mein Verwalter das Familienunternehmen vertritt und ich hierbleibe.“
      Harlen sprach um den heißen Brei. Nichts davon wirkte kompliziert oder verriet, wieso er die Entscheidung traf.
      „Du wirst wohl kaum geblieben sein, weil Schweden so schön ist. Dafür sitzt zu viel im Büro“, merkte ich an.
      „Aber das Wetter ist etwas besser.“ Er grinste. Gut, Punkt an ihn.
      „Willst du wirklich wie ich hier auf dem Hof verschimmeln?“, fragte ich.
      „Wieso sollten wir hier verschimmeln? Du planst gerade deine Karriere und ich führe ein erfolgreiches Gestüt, das eine große Zukunft vor sich hat, vor allem, wenn die Weltreiterspiele hier stattfinden sollen. Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet?“ In Harlens Augen funkelten förmlich die Geldscheine, aber er sah auch nur das große Ganze, nicht die Arbeit mit den Tieren.
      „Ich denke nicht, dass ich es so weit schaffe und die ganze Arbeit!“, jammerte ich.
      „Es geht nun mal nicht von heute auf morgen. Für dich ist es immer so einfach.“

      Tatsächlich hatte ich alle Trensen geschafft, noch vor sechs Uhr am Nachmittag. Damit blieb noch genug Zeit, um mich im Stall umzusehen, wer beschäftigt werden wollte. Von Folke verabschieden, stand ebenfalls noch auf dem Plan. Heute war sein letzter Tag, hatte mir noch Harlen mitgeteilt. Dass es so schnell gehen würde, dachte ich nicht. Veränderungen. Allein diese Tatsache lag mir schwer im Magen, aber ich konnte dagegen nichts tun.
      „Rambi war gut?“, fragte ich Lina in der Stallgasse, die gerade Walker gesattelte hatte und den Kappzaum verschnürte.
      „Ja, super“, antwortete sie kurz. Am Sattel passte sie die Bügellänge ein und verschwand im Schritt durch das große Tor. Ihr Zeitplan schien auch voll zu sein. Indessen stand ich am selben Punkt: Welches Pferd sollte noch geritten werden? Lubi hatte Pause, schließlich stand morgen ein intensives Training mit Eskil an und Maxous Beule wurde wieder größer, wodurch ich zunächst auf den Befund der Biopsie wartete. Unser Tierarzt hatte Zweifel geäußert zwischen den Zeilen, aber ich versuchte optimistisch zu bleiben.
      Also schlich ich durch Aufgang der Hengste, sah wie Plano an der Mähne von Wunderkind knabberte, Shaker an der Selbsttränke spielte und jedes Mal zusammenzuckte, wenn knarrend das Wasser zischte. Von der Seite kam Waschprogramm dazu, das seltsame Barockpferd, dass Tyrell einfach so gekauft hatte. Übersät von Matsch, erkannte man kaum die Punkte in dem Fell.
      „Na komm, dann machen wir mal was“, sagte ich entschlossen und stieg durch die Gitter auf den Paddock. Im Handumdrehen lag das Halfter an seinem Kopf. Treudoof folgte mir das Tier in den Stall.
      Nach einer halben Stunde putzen, verlor ich die Lust noch mehr der riesigen Sandflecken zu entfernen und führte ihn einige Meter weiter zur Indoordusche. Langsam schaltete ich den Wasserhahn an, bis es für mich eine angenehme Temperatur hatte. Waschprogramm jedoch machte seinem Namen keine Ehre. Wie ein kleines Kind hampelte er von links nach rechts, um dem lauwarmen Strahl zu entkommen. Vorsorglich entledigte ich mich der Jacke und Pullover. Im nächsten Augenblick stellte es sich als eine gute Entscheidung heraus. Der Hengst schnappte in den Schlauch und mich überkam ein Schwall aus Wasser.
      “Toll gemacht”, sagte ich zynisch und betrachtete mein tropfendes T-Shirt. Unter mir bildete sich eine kleine Pfütze. Gerade, als ich das Shirt auch noch zur Seite gelegt hatte und das Seitentor geschlossen, ergriff Waschi erneut den Schlauch. Ein bitterlicher Kampf um die Hoheit über die gelb-rote Schlange begann. Kurze Zeit dominierte ich den Besitz, konnte große Teile seines Körpers zumindest anfeuchten, bis er mit gestrecktem Kopf das Gummi in die Luft ragte. Zum Glück war die Dusche großzügig angelegt, dass im Hauptgang alles trocken blieb.
      Eingeseift und wie ein begossener Pudel stand der Hengst vor mir, den Hals gesenkt und die Augen mitleidig nach oben gedreht. Als ob es so ein Problem war, dachte ich insgeheim. Aber kaum floss das Wasser wieder, setzte der Kampf fort. Schritte nährten sich, die ich im Eifer des Gefechts kaum für voll nahm. Besagte Person stoppte. Waschprogramm hatte zu dem Zeitpunkt wieder den Schlauch im Maul und musste umgehend dafür sorgen, dass auch wirklich jeder in seinem Umfeld von seinem Leid etwas zu spüren bekam.
      “Gib zu, das macht er in deinem Auftrag”, ertönte Niklas tiefe Stimme hinter mir. Verlockt, der Tatsache zuzustimmen, drehte ich mich zunächst um. Ich schluckte.
      “Ohne meinen Anwalt sage ich nichts. Ich kenne meine Rechte!”, scherzte ich und griff zu dem Handtuch, das allerdings genauso nass war wie das Umfeld. Ich schmiss es zurück über die Stange. Ungewöhnlich schnell hatte er die durchnässte Jacke in der Hand. Das Shirt darunter wies nur kleine Flecken auf, was Waschi schleunigst zu ändern wusste. Einmal wippte er mit seinem Kopf und schon bekam Niklas die nächste Dusche ab.
      “Es tut mir leid, aber du hättest damit rechnen müssen”, sprach ich schulterzuckend und versuchte den Schlauch zu erobern. Dafür schaltete ich diesen aus, schon hatte ich ihn zurück. Zumindest das Shampoo sollte aus dem Fell heraus, dann wäre er von seinem Leid erlöst.
      “Dann muss ich mich wohl von noch mehr trennen”, lachte Niklas und warf mir sein Shirt entgegen. Ein intensiver Schweißgeruch gemischt mit Deo lag mir in der Nase. So schnell ich konnte, legte ich es wieder weg.
      “Nur das Nötigste”, ermahnte ich ihn, aber konnte auch mein Lachen nicht verdrängen.
      “Oh nein, bringe ich dich etwa in Schwierigkeiten?”
      “Eher du dich selbst. Lina könnte jeden Augenblick wieder kommen”, setzte ich die Grenzen. “Aber, was machst du hier?”
      “Eigentlich wollte ich mein Pferd bewegen, aber jetzt muss ich erst mal neue Sachen aus dem Auto holen”, sprach Niklas.
      Ich drehte mich von ihm weg, um nicht noch bei den auffälligen Blicken auf seine Tattoos eine Anmerkung zu kassieren. Verlegen biss auf meiner Unterlippe, schaltete das Wasser ein und entfernte den restlichen Schaum aus dem Fell des Pferdes. Der Abstand zu ihm verhinderte, dass er in den Schlauch schnappte.

      Lina
      Beinahe wie ein Geist hob, sich die helle Gestalt des Hengstes von dem strahlend blauen Himmel ab, der sich in der Pfütze spiegelte.
      “Großer, da ist nichts zu sehen, außer dir selbst”, sprach ich ruhig zu dem Tier. Seit einigen Minuten stand Walker vor der großen Pfütze, die das leichte Tauwetter auf dem Weg hinterlassen hatte und bewegte sich keinen Zentimeter vorwärts. Immer wieder senkte der Schimmel den Kopf, um mit weit geblähten Nüstern in das Wasser zu starren, ganz so als würde gleich ein Hai daraus emporspringen, um ihm in die Nase zu beißen.
      Mit sanftem Druck in die Flanken, forderte ich Walker erneut auf, sich zu bewegen und tatsächlich setzte der Hengst vorsichtig einen Huf in das Wasser.
      “So ist es brav.” Mit lobenden Worten strich ich über das dichte Fell, welches den Hengst umhüllte wie eine weiche Decke. Der Hengst setzte weiter Hufe in das Nass, auch wenn er die reflektierende Oberfläche nicht aus den Augen ließ. Nach der Durchquerung bekam der Hengst ein Leckerli für den Heldenmut sich dem gefährlichen Miniozean zu stellen.
      Weitere Gefahren begegneten uns auf dem Weg in den Stall nicht, allerdings eröffnete sich ein ziemlich seltsames Bild beim Betreten der Stallgasse. Aus der Waschbucht blickte Waschprogramm, mit hängenden Ohren und ließ sich Schicksalsergeben von Vriska abduschen, die dies aus nicht ersichtlichen Gründen ohne Shirt tat. Sollte ein warmer Wintertag doch nicht gleich ein Grund sein, alle Hüllen von sich zu schmeißen. Als sei das nicht bereits fragwürdig genug, stand mein Freund ebenso unbekleidet da, auch wenn er gerade auf dem Weg nach draußen zu sein schien.
      “Habe ich den Sommeranfang verpasst?”, kam mir, schneller als dass ich es überdenken konnte, ein spitzer Kommentar über die Lippen, bevor ich Walker energisch an den beiden vorbei, zum Putzplatz trieb.
      „Schön wäre es!“, schnaubte Vriska, „Der wollte unbedingt, dass wir auch sauber sind.“ Dabei zeigte sie auf Waschi, der die Augen langsam die Augen nach oben schon und schlussendlich in den Schlauch biss. So schnell konnte man Vriska gar nicht folgen, da ließ der Wasserdruck nach und das Pferd vom Gummi.
      “Ah ja”, argwöhnte ich, denn so wirklich sinnig erschein mir diese Erklärung dennoch nicht, “und weil Waschi meint alle wässern, zieht man sich gleich aus?” Auf die Antwort wartend, ließ ich mich aus dem Sattel des hellen Hengstes gleiten. Seine blauen Augen beharrlich auf mich gerichtet, die Ohren spielend, beobachte er, wie ich um ihn herumtrat, um das Halfter zu ergreifen, welches dort an einem Haken hing.
      „Also ich habe mich vorsorglich ausgezogen“, erklärte sie schließlich. Der Hengst hatte sich geschüttelt und sie nebenbei mit dem Schweißmesser das überschüssige Wasser entfernt. „Dein Freund hat es ungeschickter getroffen, deswegen ist er zum Auto.“
      Unverändert nickte ich. Dann nahm ich den Sattel vom Rücken. Im Flur kam Welpi wie ein Pfeil angeschossen, fußelte um meine Beine herum, noch bevor ich überhaupt in der Sattelkammer ankam. Ungewöhnlich frisch roch es, aber nicht so wie Wäsche duftet, wenn man sie aus der Waschmaschine nahm, sondern eher nach Seife und … Lederfett? In der Kammer bestätigte sich meine Vermutung, die Trensen hingen alle ordentlich geputzt und an der Wand und erstrahlten in fettigen Glanz. Hier musste jemand ziemlich fleißig gewesen sein oder hatte viel Langeweile, wobei mir in letzterem Fall ungefähr hundert andere Dinge einfallen, die mehr Spaß machen würden. Schwungvoll hievte ich den Sattel auf seinen Platz und fiel beinahe über den Hund, der mir noch immer zwischen den Füßen herumlief.
      „Vorsicht Kleiner“, lächelte ich und ging mit ihm auf Augenhöhe. Sofort grub der kleine Rüde seinen Kopf in meinem Schoß, während seine Rute wie ein Propeller durch die Luft flog. Freudige Laute drangen aus dem kleinen Brustkorb, während ich ihn ausgiebig kraulte. Nach einem Moment schob ich ihn von mir, schließlich wartete Walker noch auf sein Futter, bevor er zurück zu den anderen in das Matschwetter durfte. Der Welpe schien nicht der Meinung, dass ihm bereits genug Aufmerksamkeit zukam, denn er setzte sich unmittelbar auf meine Füße. Seinen großen Runden Welpenaugen beobachtet jede Bewegung, während ich das Gebiss auswusch.
      “Fred, so geht das nicht, du bist nicht der Einzige, der heute noch meine Aufmerksamkeit möchte”, versuchte ich den Welpen zu erklären. Natürlich verstand er kein einziges meiner Worte und fühlte sie dadurch, genauso wenig inspiriert sich zu erheben. So schob ich den Hund von meinen Füßen herunter auch, bemüht seinen Kugelaugen zu widerstehen.
      “Ach, wer möchte die denn noch?”, drang eine dunkle Stimme schäkernd an meine Ohren. Ich hatte gar nicht wahrgenommen, dass jemand den Raum betreten hatte. Erschrocken fuhr ich herum: “Gott, schleiche dich doch nicht so an.” Im Türrahmen stand Niklas, ein charmantes Grinsen auf den Lippen und vollständig bekleidet. Zugegebenermaßen müsste ich eigentlich leider sagen, denn ohne den verhüllenden Stoff …
      “Habe ich doch gar nicht. Vielleicht solltest du mehr auf deine Umgebung achten, bei deinen tierischen Gesprächen”, unterbrach mein Freund diesen Gedanken, bevor er weitere Form annehmen konnte. Von dem Neuankömmling begeistert, tapste der Welpe ihm entgegen und hüpfte wie ein Flummi an ihm hoch. Mich beschlich das unbestimmte Gefühl, dass Niklas sich auf meine Kosten amüsierte.
      “Das war kein Gespräch”, verteidigte ich mich, “dafür hätte nämlich eine Antwort erfolgen müssen.” Leicht pikiert wand ich mich von ihm ab, um Walkers Trense ordentlich zwischen den anderen zu platzieren.
      “Nicht immer alles so ernst nehmen, Engelchen. Ich scherze doch nur”, beschwichtigte Niklas direkt und hatte mit wenigen Schritten den Raum durchquert. Unmittelbar hinter mir konnte ich seine Präsenz spüren, die Wärme, die sein Körper ausstrahlte, die starken Hände, die sich auf meiner Taille ablegten.
      “Eigentlich ist das sogar ganz niedlich”, flüsterte er mir sanft ins Ohr. Die glühenden Funken, welche in seiner Nähe stets durch meine Adern tanzten, wurden immer mehr, bis eine Flamme zu lodern begann. Es waren weniger die Worte selbst, die all diese Empfindungen anfachten, als mehr die Offenherzigkeit, die in diesem Moment zu liegen schien. Langsam wand ich mich zu ihm um, blickte in seine strahlenden Augen, in denen die Begierde aufblitze. Worte waren nicht vonnöten, denn wie von selbst fanden unsere Lippen zueinander und die Welt um mich herum verschwamm. Sein Geruch, die kurzen Bartstoppeln, die über meine Haut kratzten, jeder einzelne Muskel, von dem mich nur dünner Stoff trennte – all das wirkte so berauschend. Rau und zart zugleich, war die Haut seiner Finger, die zärtlich den Konturen meiner Lippe folgte, als ich den Kuss für eine Atempause unterbrach. Wohlige Schauer rieselten meine Wirbelsäule hinab. Unglaublich, wie viel so eine winzige Berührung auslösen konnte. Erneut senkte er seine weichen Lippen auf meine, diesmal wenige sanft, irgendwie fordernder. Bereitwillig öffnete ich sie, sodass unsere Zungen sich wie in einem Tanz umspielten. Meine Hände glitten aus seinen Nacken hinab, wanderten an seinem muskulösen Oberkörper hinab, bis er meine Finger stoppte. Ganz langsam lösten sich unsere Münder voneinander, doch unsere Blicke hielten einander fest. Das Herz in meiner Brust schlug wild, drohte beinahe aus meiner Brust zu springen und gleichzeitig regten sich noch ganz andere Dinge in meinem Inneren.
      “Weißt du eigentlich, wie wunderschön du gerade bist?”, flüsterte Nik sacht und strich mir eine der dunklen Haarsträhnen aus der Stirn. Dick eingepackt in mehrere Schichten Kleidung, um dem schwedischen Winter zu trotzen, bedeckt mit Matsch und Pferdehaaren. Nicht einmal meine Haare, die ich jeden Morgen zu bändigen versuchte, verweilten lange in gewünschter Ordnung. Alles in allem eher ein Zustand, den ich mit einer anderen Wortwahl, als wunderschön beschreiben würde. Dennoch versuchte ich den Drang ihm zu widersprechen zu unterdrücken und nicke zustimmend. Noch immer loderten die Flammen in meinem Inneren, erweckten eine Sehnsucht. Sehnsucht nach mehr von dem, was er in mir bewegen konnte, mehr Niklas.
      “Ich finde es so schön, wenn du hier bist”, sprach ich schließlich aus, was immer mal wieder in meinem Kopf herumgeisterte, ”kannst du nicht vielleicht öfter vorbeikommen?” Eigentlich kannte ich die Antwort bereits. Neben seiner Arbeit war das Training ziemlich zeitintensiv und irgendwo dazwischen wollte man selbstverständlich auch noch Zeit für Freunde und Familie haben, oder was auch immer mein Freund in seiner Freizeit anstellten. Da sich an diesen Umständen nichts verändert haben würde, war es ziemlich naiv zu glauben, dass seine Zeit mehr geworden sein sollte.
      “Da wirst du spätestens im Frühling glücklich sein. Dann wechseln wir aus Kalmar her”, grinste Niklas.
      “Na gut, dann hoffe ich, dass der Winter schnell vergeht”, lächelte ich zurückhaltend. Wir hatten gerade einmal Anfang November, was bedeute, dass es noch einige Monate bis zum Frühling hin sein würde. Noch viel länger konnten die nordischen Winter werden, wenn man in einen alltäglichen Trott verfiel. Wenigstens gelegentlich vermochten Niklas Besuche ein wenig Licht in die dunkeln Wintertage zu bringen.
      “Apropos Zeit”, er räusperte sich, “kommst du dann mit nach Stockholm?” Natürlich musste diese Frage über kurz oder lang kommen. Ewigkeiten hatte ich mir den Kopf über diese Entscheidung zerbrochen, denn sowohl für Kiel als auch für Stockholm hatte es gute Argumente gegeben. Letztlich war die Entscheidung jedoch auf Kiel gefallen. Denn auch wenn Stockholm mit einer sagenumwobenen Show lockte, bot die Auktion die einmalige Chance einiges zu lernen und Einblicke in eine Welt zu bekommen, die bisher weit jenseits meiner Vorstellungen lag.
      “Ich wäre so gerne mitgekommen, aber leider sind Vriska und ich da bereits auf einer Art Fortbildung”, entgegnete ich bedauernd. Es war auch einfach nicht fair, dass die Ereignisse in denselben Zeitraum fielen.
      Niklas nickte verständnisvoll. “Immerhin sitzt du nicht traurig hier in der Einöde. Aber ich kann dir sicher einen Code besorgen für die Onlineausstrahlung.” Sofort erhellte ein Lächeln mein Gesicht, denn auch wenn es gestreamt nicht ganz dasselbe Erlebnis sein würde, war es immerhin eine Möglichkeit, die beiden Veranstaltungen zu vereinen. Am allerwichtigsten natürlich war es, dass ich Niklas Auftritt mit seiner neuen Stute nicht verpassen wollte.
      „Traumhaft, ich bin schon gespannt, wie Form sich machen wird. Aber sicherlich wirst du wie immer alle umhauen”, schmunzelte ich. Leider bekam ich nur ziemlich wenig von Nikis Training mit seiner schwarzen Schönheit mit, schließlich wollte ich Vriska nicht ständig auf die Nerven gehen, wenn sie mit Lubi zum Training fuhr. Dabei faszinierte es mich immer wieder, wie leichtfüßig und elegant solch ein gigantisches Warmblut wirken konnte, wenn nur der Richtige im Sattel saß.
      “Anders feilt aktuell noch an der Kür für den Freestyle, aber im Großen und Ganzen bin ich zuversichtlich”, blieb er zuversichtlich, obwohl seine Finger ungeduldig am Shirt fummelten.
      “Alles okay? Wenn ich dich aufhalten sollte, kannst du ruhig zu deinem Pferd gehen”, bot ich entgegenkommend an, denn einen anderen Grund für seine Unruhe konnte ich nicht erkennen.
      “Du hältst mich nicht auf”, das Grinsen auf seinen Lippen wurde größer, “nur wollten meine Kollegen nachher noch in eine Bar.”
      “Und deshalb hibbelst du hier so rum?”, hinterfragte ich kritisch, denn mich beschlich das Gefühl, dass der Kerl noch irgendetwas anders im Sinn hatte.
      “Was willst du denn hören?”, er zuckte mit den Schultern und nahm den innigen Blickkontakt von mir. “Ich habe noch anderes zu tun, als hier herumzustehen, auch wenn es nicht nett klingt.”
      Dass seine Stimmung urplötzlich kippte, konnte nichts Gutes bedeuten. Aus dem Regal nahm er den Putzkasten heraus, sowie die Trense der Schimmelstute.
      “Du bist seltsam heute”, sprach ich offen aus, was mir durch den Kopf ging. Dennoch beschloss ich nicht weiter nachzuhaken, wollte ich nicht noch durch meinen Argwohn das Gefühl in ihm erwecken, dass ich ihm nicht vertrauten würde. Wenn es etwas zu bereden gab, würde er das schon ansprechen.
      “Aber dann werde ich Walker mal sein Futter bringen, viel Spaß mit deinem Pony”, setzte ich nach, verharrte noch kurz, ob es noch eine Antwort geben würde oder das Gespräch nun tatsächlich beendet war.
      “Danke dir auch”, drehte Niklas sich noch einmal um und verschwand.
      Auf der Stallgasse wurde ich bereits von dem Schimmelhengst erwartet, der auch sogleich die Schnauze in der Plastikschüssel versenkte. Im Zuge der Überlegung, welchen Vierbeiner ich mich als Nächstes widmen wollte, zog ich mein Handy aus der Tasche. Unmittelbar unter der Verknüpfung zum Hofsystem leuchtete aufdringlich ein roter Punkt in der Ecke der stilisierten Polaroidkamera, den ich geflissentlich ignorierte. Nach einem kurzen Blick vor einigen Stunden hatte ich bereits wahrgenommen, dass meine DMs unter den zahlreichen Reaktionen auf die Story von heute Morgen beinahe explodierten. So viel Aktivität hatte dort zuletzt geherrscht, als das HMJ noch aktiv am Laufen war und ich konnte mir nicht so recht erklären, was die Leute dazu bewegt hatte. Schließlich waren ein paar Pferde, die im Matsch spielten, nicht gerade außergewöhnlich, auch wenn eines davon ein weißer Freiberger war.
      Aber zurück zum eigentlichen Thema. Mit wenigen Klicks hatte ich auch bereits das Tier im Blick, mit welchem ich mich als Nächstes beschäftigen wollte.
      Binnen weniger Minuten hatte Walker sein Futter eingesaugt und sowohl Schlüssel als auch Boden vollkommen Krümel frei zurückgelassenen. So entließ ich den Schimmel zurück auf seinen Paddock, wo er zielstrebig zum Heu und sich zwischen Lu und Plano drängelte. Von den Hengsten aus lief ich unmittelbar weiter zu Holy. Mit jedem Tag schien die Stute runder zu werden, was nicht allein an dem guten Heu lag, welches sie haufenweise futterte. Nein, auch die Überraschung in ihrem Bauch ließ sich nun nicht mehr verstecken. Geschickt schlüpfte ich durch den Zaun zu den Stuten hinein.
      Die geschenkte Plüschkugel stand gemütlich unter dem Dach und knabberte an ihrem Heunetz.
      "Na, Mausi", begrüßte ich den Tinker, "Lust dich ein wenig zu bewegen?" Neugierig drehte sich der dunkle Kopf in meine Richtung. Zart kitzelte der kleine Schnurrbart, der der Stute an der Oberlippe gewachsen war, über meiner Hand, als Holy zart meine Finger beknabberte. Seltsamerweise hatte die Stute sich dieses Verhalten angewöhnt, seitdem es weniger Leckerlis gab. Routiniert zog ich das Halfter über den breiten Ponyschädel, während selbiges geduldig wartete, was Vriskas Aussagen nach, einiges an Zeit und Nerven gekostet hatte. Ich dachte beinahe, dass sie mir artig in den Stall folgen würde, doch Holy schien es eilig zu haben und drängelte an mir vorbei. Dreimal musste ich sie korrigieren, bevor sie sich fürs Erste fügte.
      Freundlich, wie immer, legte Smoothie die Ohren an, als ich Holy an ihr vorbei auf den freien Putzplatz führte. Bis heute war es mir unerklärlich, warum Niklas Stute mit jedem Tag, den ich mit ihr arbeitete, zickiger wurde, interessanterweise nur mir gegenüber. Alle anderen Menschen wurden ignoriert oder, was sie hauptsächlich bei Ju häufig tat, auf Leckerbissen hin untersucht. Meine Hypothese, lautete, dass Smooth eifersüchtig war, weil ich ihr wertvolle Zeit mit Niki stahl, denn sowohl in Kanada als auch noch so lang wie sie in Kalmar stand, war sie noch nicht so launisch gewesen. Wie auch immer. Bei Smoothie konnte ich tun, was ich wollte, sie blieb immer abweisend, was ich mittlerweile so hinnahm.
      Seufzend betrachte ich Holy. Bis zum Bauch war sie bedeckt mit grauen Matschspritzern, die langen Haare an ihren Beinen klebten aneinander und ließen die eigentliche Farbe darunter nur noch stellenweise erahnen. So schön die Puschel an den Füßen auch waren, für so ein Matschwetter schienen sie nur wenig geeignet. Dennoch entschied ich mich dagegen, der Stute die Füße zu waschen, sie würden ohnehin wieder nass und eklig werden.
      Mit einem mehr oder minder sauberen Pony, ausgestattet mit Kappzaum und Longiergurt, ging es schließlich in die Halle.
      “Tür frei”, rief ich, bevor ich das Hallentor langsam aufschob. Bis auf meinen Freund, der mit seiner Schimmelstute gerade an der gigantischen Fensterfront entlang schritt, war die Halle leer. So führte ich Holy in die Zirkelmitte, um dort erst einmal die Doppellonge einzufädeln. Diese notwendige Vorbereitung dauerte heute allerdings besonders lang. Und zwar nicht, weil Holy sich wieder ungeduldig zeigte, nein, viel mehr, weil Niklas Gegenwart ein wenig ablenkend war. Immer wieder zog es meinen Blick auf den definierten Oberkörper, dessen Muskeln sich deutlich unter dem dünnen Shirt abzeichneten. Verführerisch lockten die tintenschwarzen Linien, die sich kunstvoll über seiner Arme wanden, damit ihren Weg bis unter den dünnen Stoff zu verfolgen und die Gebiete zu erforschen, die darunter verborgen lagen. Willkürlich biss ich mir auf die Unterlippe, um die kleinen Flammen zu zügeln, die sich in meinem Innerem entfachen wollten. Stattdessen versuchte ich, mich auf die Leinen in meinen Händen zu konzentrieren.
      “Ich glaube, dafür muss man sich bewegen”, unterbrach seine Stimme die Stille der Halle. Süffisant grinsend hatte er seine Stute unmittelbar vor mir angehalten. Als wolle er seiner Worte noch unterstreichen, ließ er seine Muskeln spielen. Augenblicklich breitete sich Hitze in mir aus und brachte meine Wangen zum Glühen. Beschwerlich wand ich die Augen von Niklas ab und richtete sie auf meine Finger, in denen ein kleiner Leinensalat gebildet hatte.
      "Das tun wir schon fast", entgegnete ich und versuchte die Longen zu sortieren, die sich bei den hastigen Bewegungen allerdings nur weiter ineinander verheddern. Was war nur los, dass meine Hormone heute dermaßen unbeherrschbar schienen. Sonst brachte mich die Anwesenheit meines Freundes nicht so verheerend schnell aus dem Konzept und das, obwohl er zu jederzeit äußerst anziehend wirkte.
      “Soll das eine neue kreative Art werden, eine Longe zu halten?”, stichelte Niklas, bequem auf seiner Stute thronend, die neugierig die Nase zu dem Tinker hinstreckte.
      “Nein”, fluchte ich leise, “ich versuche diesen verdammten Knoten zu lösen.” Frustriert löste ich die innere Leine wieder vom Kappzaum in der Hoffnung so besser zum Knotenpunkt vorzudringen. Weiter erhitzte sich mein Gesicht, diesmal allerdings vor Schmach.
      Sicher war niemand so unfähig, eine Longe bereits beim Einhängen zu verknoten.
      “Na gib schon her, ich helfe dir.” Schneller als dass ich es hätte ablehnen können, war mein Freund bereits aus dem Sattel geglitten und nahm mir den Wirrwarr aus den Händen. Mit zwei Handgriffen hatte er den Knoten bereits gelöst und fädelte die Longe wieder dort ein, wo sie hingehört.
      “Jetzt kommt das hier, in das kleine Händchen”, sprach Niklas ganz nah an meinem Ohr und griff von hinten um mich herum,” und das in das andere.” Der Protest lag mir schon auf der Zunge, als jeden meiner Finger einzeln um die Stränge legte, als würde er mit einem Anfänger arbeiten, doch mein klopfendes Herz ließ mich verstummen.
      “Und jetzt nicht wieder verknoten, Engelchen”, raunte er an meinem Ohr, ein unverhohlenes Grinsen in der Stimme. Kein Zweifel bestand darin, er sich seiner Wirkung bewusst war. Vermutlich hätte er sein Spiel noch weitergetrieben, wäre da nicht die Pferdeschnauze, die sich ungestüm, zwischen uns drückte. Smoothie hatte entschieden, dass es genug war. So entschwand mein Freund aus meiner unmittelbaren Nähe, ließ nur eine Wolke betörenden Duftes zurück. Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich meinen Herzschlag, wieder herunterzubringen und das Gefühl zu durchdringen, welches wie dichter Nebel durch meinen Kopf waberte. Erst als Niklas die Arbeit mit seiner Stute wieder aufnahm, hatte ich so viel Klarheit erlangt, dass ich mich auf den gescheckten Kaltblüter konzentrieren konnte. Unaufmerksam stolperte Holy los und ließ die Hufe unmotiviert durch den Sand schleifen, sie hatte eindeutig keine Lust darauf. Erst nach einiger Schrittarbeit wurde, der Tinker aufmerksamer und begann eine vernünftige Haltung einzunehmen. Aufgrund dessen wie lang es dauerte, bis die junge Stute mir zuhörte, fragte ich im Trab nur kurz eineiige leichte Lektionen ab, bevor ich die Einheit beende. Sichtlich angestrengt gähnte sie, während ich die Longe wieder abbaute und die Anstrengung damit nachließ.
      Ein Blick zu Niklas verriet mir, dass er lange noch nicht fertig war. Smoothie schien jetzt erst richtige wach zu werden und begann mit ihrem typischen rebellischen Verhalten, welches er deutlich besser zu händeln wusste, als ich es tat. Mir tanzte die große Schimmelstute regelmäßig auf der Nase herum und brachte mich damit an manchen Tagen nahe an den Rand der Verzweiflung. Doch auch wenn es sicherlich die bequemere Lösung wäre, die Verantwortung für Smoothie abzugeben, wollte ich nicht schon aufgegeben. Meinen Fähigkeiten vertraute ich dabei zwar nur bedingt, aber dafür vertraute ich auf Niklas Urteil, der mir sein Pferd sicher nicht anvertraut hätte, würde er denke ich würde nicht mit ihr fertig werden. Einen letzten Blick warf ich auf Pferd und Reiter, die, einiger Uneinigkeiten zum Trotz nicht besser zusammenpassen könnten, bevor ich mich widerwillig von dem Anblick löste. Wenn es nach mir ging, könnte ich meinem Freund den ganzen Tag lang zuschauen.
      Mit der müden Plüschkugel im Schlepptau verließ die Halle. Unter dem dicken Winterfell hatte Holy ordentlich zu schwitzen gefangen, sodass ich sie direkt unter dem Solarium parkte. Erschöpft hängte das Tier den Kopf in das Halfter, sobald die beiden Stricken diesen bequem hielten und schloss die Augen. Von der Seite schlich sich Vriska an, die offenbar den Welpen aus dem Büro geholt hatte. Freudig sprang er in unsere Richtung, während sie alles andere als ein Kind der Fröhlichkeit war. Der Uhrzeit zur Folge fehlte das Nachmittagskaffee, deshalb sparte ich mir eine Nachfrage, die ohnehin von nur wenig Erfolg gekrönt sein würde.
      Schweigend stand Vriska neben der Tinkerstute, zupfe aus der Mähne einige lockere Strähnen heraus und ließ sie zu Boden fallen. Ich war zeitgleich mit dem Welpen beschäftigt. Mit dem Schwanz schob er den Dreck von einer Seite zur anderen und sorgte damit, für unschöne dunkle Flecken im weißen Fell.
      „Ich weiß nicht, wie viel du heute aus den Stallgesprächen aufgeschnappt hast, aber“, Vriska nahm einen kräftigen Atemzug, als gäbe es Anlass zur Sorge. „Holy bleibt erst mal, bis das Fohlen da ist, dafür gehen Folke und Hedda zurück nach Kalmar.“
      Sie wich dauerhaft meinem Blickkontakt aus, ohne dabei die Hände von der ohnehin dünnen Mähne zu lassen. Immer mehr Haare landeten auf dem Boden, selbst den Schopf verschonte die Blonde nicht.
      „Oh, das ist schade. Warum gehen die beiden?“, fragte ich nach. Auch wenn zu meinen anderen Kollegen deutlich weniger Austausch bestand als zu Vriska, war das Team dennoch so etwas wie eine kleine Familie, in der jeder seinen festen Platz hatte. Selbst der rebellische Rotschopf, dessen anfänglich Passion für Holy deutlich nachgelassen hatte, hatte seine Platz darin gefunden.
      „Den genauen Grund habe ich schon verdrängt, aber ich schätze, dass er sehr an Kalmar hängt. Schließlich war Folke sein Leben lang bei ihnen auf dem Hof und Hedda hat es weniger weit zur Schule“, sprach sie gezielt, als würde jedes Wort zunächst aus den Untiefen ihr Gedächtnis gezogen werden. Immerhin hatte Vriska vom Langhaar die Finger genommen und massierte die Stirn der Stute. Holy stand mit aufgestelltem Bein, unter dem wärmenden Licht, unter das sich auch der Welpe gelegt hatte.
      „Nachvollziehbar“, nickte ich und begann allmählich zu realisieren, dass diese Nachricht nicht nur einen Verlust, sondern viel mehr einen Wechsel im Team bedeuten würde. Folke war schließlich der Einzige, der sich um das Training der Rennpferde kümmerte und auch wenn Vriska wohl in der Lage dazu wäre, glaubte ich nicht, dass sie den Sattel gegen den Sulky tauschen wollte oder sollte sie doch? Lag darin der Grund für ihr gedämpfte Verhalten?
      „Wie stellt Tyrell sich das mit den Rennpferden kommen? Wird dafür jemand Neues kommen?“, beschloss ich dieser Frage auf den Grund zu gehen.
      “Für dieses Jahr stehen ohnehin nur noch zwei Rennen auf dem Plan, dafür ist Folke genannt und er wird sie fahren, allerdings nur als Jockey. So lang werde ich mich den Tieren widmen müssen, bis jemand gefunden ist. Mein Bruder hatte schon Andeutungen gemacht, dass es über den Verband Kandidaten gibt, allerdings hat Tyrell gesagt, dass es nicht leicht ist, wen zu finden. So, I do not know”, sprach sie weiterhin niedergeschlagen. Ihre Erzählung durchkreuzte tiefe Atemzüge, die geräuschvoll durch ihre Nase kam, die etwas verstopft war. “Immerhin sind es aktuell nur zwei aktive Hengste, denn einige wird Tyrell mit nach Kiel nehmen. Lu und Sturmi laufen zwar noch, aber ist wohl nur von wenig Erfolg gekrönt. Die Stuten Mill und Enigma sind für März oder April geplant auf Rennen, aber mit Jungpferden am Sulky kann ich nicht so gut”, fügte sie noch hinzu. Also doch. Zumindest für eine Weile würde Vriska mit dem Reiten etwas kürzertreten müssen. Dabei schien sie, seit Lubi nicht nur Spaß an der Dressur zu finden, sondern entwickelte regelrecht Ehrgeiz, mit dem sie sicher einige erreichen könnte.
      “Oh, das klingt nicht so gut”, bekundete ich meine Anteilnahme, “Ist sonst alles in Ordnung mit dir?” Es berührte mich, sie so niedergedrückt zu sehen, vor allem weil dieser Zustand schier endlos wiederzukehren schien und ich wirklich ratlos war, wie sie wohl möglich aufzuheitern vermochte.
      “Wenn in Ordnung ‘Es ist immer dasselbe Chaos’ bedeutet, dann ja”, zuckte Vriska mit den Schultern. Aus ihrem Gesichtsausdruck konnte ich unmittelbar ablesen, dass es sie sehr belastete und ich ihre Unsicherheit über die kommende Zeit nachvollziehen konnte. Auch für mich war es noch immer schwer begreiflich, wo ich mich befand, umso komplizierter, musste es für sie sein. Wir hatten jeder für sich diese Entscheidung getroffen, nur aus anderen Beweggründen.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 53.776 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang November 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugotre | 12. Juli 2022

      Glimsy / Just a Bear / Anthrax Survivor LDS / Osvominae / Maxou / HMJ Divine / Legolas / Binominalsats / Satz des Pythagoras / Caja

      Vriska
      Mit dröhnendem Kopf öffnete ich die Augen. Nicht nur ein Hund lag auf meinen Beinen am Bettende, sondern auch ein kräftiger Arm auf der Brust. Nur schwammig erinnerte ich mich an die Nacht, was wohl weniger an den zwei leeren Weinflaschen neben dem Bett lag und diversen Bieren am Feuer, viel mehr, war es die Trance, in der mich befand. Vollkommen übermüdet huschten einzelne Bilder durch den Kopf, die von Lars über mir gebeugt, dominiert wurden. Sagen wir es: Wir mochten uns.
      Durch die nur halb zugezogenen Vorhänge, bemerkte ich das Chaos im Raum. Überall lagen unsere Kleidungsstücke und dazwischen sehr viele benutzte Kondome, die wir wohl sehr ungeschickt zum Müll schafften. In meinem Magen zog es sich beängstigend zusammen, denn so erinnerte ich mich wieder, dass irgendwann mein Karton aus dem Schrank leer war. Das erklärte zumindest das feuchte Bett. Vorsichtig hob Lars an, der müde den Kopf hob.
      „Wie spät ist es“, wisperte er heiser.
      „Kurz nach Elf“, stellte ich mit erschrecken fest. Leise brummte er und zog sich die Decke über den Kopf. Aber bei der Unordnung konnte ich mich nicht wieder umdrehen.
      „Wo willst du hin?“, jammerte er, als ich den ersten Fuß aus dem Bett setzte und direkt etwas Schleimiges zwischen den Zehen spürte. Das fehlte mir noch! Ich zuckte zurück und setzte ihn woanders ab.
      „Aufräumen“, erklärte ich und erhob mich. Lars verharrte unter Decke, aber meinetwegen konnte er noch weiterschlafen. In der Schublade des Schreibtisches waren Mülltüten. Leise riss ich eine ab und sammelte die Gummis auf. Dann sortiere ich noch unsere Kleidung und öffnete das Fenster. Mein Zimmer war zu einem Tiergehege mutiert.
      Zu meinem Entsetzten roch es hinter der Tür nicht besser. Ein säuerlicher Geruch kroch an meinem Schleimwänden hinauf und hielt sich fest wie ein Parasit. Erst nach weiteren Schritten ins Wohnzimmer erblickte ich das dortige Chaos. Auf dem Tisch standen unzählige leere Weinflaschen, Biere und sogar Schnaps. Lange musste die Truppe noch dort gesessen haben. Selbst Teller mit Essensresten begrüßten mich. Flink trugen mich meine Füße ins Badezimmer, wo ich mich Lars Shirt entledigte und unter die Dusche sprang. Ich versuchte geschehenes Revue passieren zu lassen, aber immer wieder schwebte Lars vor und entflammte damit selbiges Feuer vom Abend. Alles an ihm war perfekt, ohne auf jede seiner Einzelheiten einzugehen, denn ich wollte ihn nicht auf sein Aussehen reduzieren, obwohl es bei Gott kein Geheimnis war.
      Gerade als ich den Duschvorhang zog, öffnete sich die Badezimmertür. Nackt stand plötzlich Niklas im Rahmen und schluckte nervös, als auch sein Blick auf mich fiel. Mit dem feuchten Stoff bedeckte ich mir, nur er verharrte wie eingefroren.
      „Du hast ein neues Tattoo“, bemerkte ich, um die Situation erträglicher zu machen.
      „Ja“, murmelte er rau. Ihm schien jedoch alles egal und lief einfach weiter zum Porzellanthron. Für mich war die Sache klar. Gerade als ich den Vorhang wieder schließen wollte, verfingen sich die kleinen Rollen der Duschvorhanghalterungen und nichts bewegte sich mehr.
      „Das wird nichts, lass es einfach“, fühlte sich Niklas durch das Kratzen des Metalls gestört. Ich schwieg und nahm mir ein Handtuch zumindest. Warum musste das alles am ersten Feiertag so furchtbar beginnen?
      Während mir die Situation mit jedem Atemzug unangenehmer wurde und frischen Schweiß auf den Rücken trieb, kümmerte ihn das seltsame Aufeinandertreffen gar nicht, nein, viel mehr schien er den Raum gar nicht mehr verlassen zu wollen. Er stand entspannt am Waschbecken, das Wasser bereits ausgeschalten, und starrte mich erwartungsvoll an. Sein Blick auf den meinen gerichtet, der immer wieder über seine Brust und Arme wandert. Zögerlich klopfte mein Herz, während im Kopf Altes an die Oberfläche drang. Von einem auf den anderen Moment verspürte ich Verlangen nach ihm, das, was mich in der Gegenwart von Erik antrieb und nicht loskommen wollte. In der Therapie wurde das Gefühl als ‘normal’ betitelt, aber so fühlte es sich nicht an.
      “Warum bist du wieder da? Hättest du nicht bleiben können, wo du warst?”, Niklas Stimmenfarbe klang noch immer rau und nun verärgert.
      “Tatsächlich dachte ich, dass es dir angenehmer ist, mich wiederzusehen. Aber gut, ich suche mir was anderes”, gab ich umgehend nach. Ihn als Feind wollte ich nicht und umzuziehen könnte auch dabei helfen, ihm aus dem Weg zu gehen.
      “Du bist seltsam”, merkte er an und hielt mich auf, den Raum zu verlassen. Etwas wollte er klären, aber ich konnte mir nur schwer vorstellen, was. Eine Weile standen wir noch im Badezimmer herum, das durch die Fußbodenheizung eine angenehme Temperatur hatte. Zu meiner Dankbarkeit legte sich Niklas ein Handtuch um die Hüfte und setzte sich auf den Deckel der Toilette. Ohne große Umschweife erzählte ich ihm, was in der Heimat passierte, von meiner Wiederaufnahme der Therapie, dass ich entschied meine Tabletten zu nehmen und auch mehr auf mich zu achten. Geduldig hörte er zu und stellte seine Fragen erst in Sprechpausen.
      “Und mit Erik hast du alles geklärt?”, kam Niklas auf das einzig Schwierige zurück.
      “Ich weiß es nicht genau. Ehrlich gesagt, vermisse ich ihn sehr, aber er hat es sich selbst zuzuschreiben und ich warte auch nicht. Worauf auch? Dass er sich spontan dazu entscheidet, dass glückliche Familie spielen, doch ziemlich doof für ein Kind ist?”, erhob ich die Stimme, was den Hund aus dem Schlafzimmer an die Tagesordnung brachte. An der Holztür kratzte es sanft, aber ich schickte ihn wieder weg. Das Klappern der Krallen auf dem Holzboden verstummte wieder.
      “Von mir wirst du keinen Tipp bekommen, schließlich sagte ich von Anfang an, dass der nichts für dich ist”, zuckte Niklas mit den Schultern und erhob sich schließlich von dem Porzellan.
      “Danke, sehr reizend”, ich wollte mit den Augen und drehte mich auch zur Tür.
      “Auch wenn ich den Kerl in deinem Bett nicht mag, wird der sicher nicht spontan zu seiner Ex zurückrennen, wenn es ihm gerade passt”, setzte er seine Ansprache fort, als gäbe es einen Anlass dafür, “dann hält er sich wenigstens von Lina fern.”
      Verblüfft sah ich Niklas nach, der zurück ins Zimmer lief und die Tür schloss. Lina und Lars? Wirklich? War da etwas gelaufen? Zumindest würde es einiges Erklären, aber ich konnte es mir kaum vorstellen, denn sie war blind vor Liebe und könnte ihrem Freund nie etwas antun. Erst recht nicht, mit einem anderen zu flirten.

      Lars schlief noch immer tief und fest, als ich mich umzog. Die Decke lag neben ihm und nur ein kleines Stück davon, bedeckte seinen sonst freien Körper. Vorsichtig nahm ich den Stoff, um ihn zu wärmen. Aber er bemerkte meine grobmotorischen Züge und drehte sich auf den Rücken.
      “Möchtest du nicht wieder ins Bett kommen?”, lächelte Lars schief und griff liebevoll nach meiner Hand.
      “Doch, aber ich muss erst mal Ordnung machen”, erklärte ich, aber er gab mir keine Chance, es weiter zu erläutern. Stattdessen löste er das Handtuch von meiner Brust und zog mich geschickt auf seine Hüfte. Kaum saß ich, breitete sich wohlige Wärme in mir aus, die nur von leichten Schmerzen durchbrochen wurde. Meine Hände waren überall, strichen über seine breiten Schultern und Rücken, ohne dass sich unsere Lippen voneinander lösten. Wir drehten und wendeten uns im Bett, bis ich die offene Tür bemerkte.
      „Gibt es ein Problem oder haben wir seltsame Vorlieben?“, fauchte ich Niklas an, der sich mittlerweile eine Hose übergezogen hatte und im Rahmen lehnte.
      „Ich wollte noch mal mit dir Reden, aber du scheinst beschäftigt“, lachte er.
      „Jetzt nicht mehr.“ Ich war genervt und meine Lust vergangen. Lars grinste nur belustigt, als gäbe keinen Grund für meinen Ärger. Die Decke legte er sich fein säuberlich über die Hüfte und kreuzte die Arme über den Kopf.
      „Jetzt hau ab, ich bin gleich im Wohnzimmer“, meckerte ich und warf ihm ein Kissen entgegen. Endlich drehte er sich weg.
      „Das fängt schon gut an“, sprach zu Lars und rollte mit den Augen.
      Er lachte.
      „Ach, ist doch alles gut. Wir machen später weiter.“ Er erhob sich und haben ihm ein flüchtigen Kuss. Kurz überlegte ich, ob es überhaupt vernünftig war, ihn zu küssen, als wären wir ein Paar, aber sein höfliches und zufriedenes Lächeln vertrieb diesen.
      „Geduld gehört wohl nicht zu deinen Stärken“, bemerkte ich beiläufig und reicht ihm sein Shirt, als mir ein frisches aus dem Schrank nahm.
      „Worauf sollte ich denn warten?“, fragte er.
      Ich zuckte mit den Schultern und verließ das Zimmer.
      Eigentlich wollte ich nach dem Aufräumen noch etwas schreiben, denn erst um vierzehn Uhr sollte ich die Boxenpferde füttern und im Anschluss hatte ich geplant, Bruce im Ponystall zu besuchen. Allerdings stellte sich das Chaos als noch größer heraus, nun auf den zweiten Blick. Niklas hatte es sich auf der Couch bequem gemacht, starrte auf sein Handy und lachte zwischendrin. War das seine Definition von ‘noch einmal reden’? Zumindest schwieg er und ich begann die leeren Gläser und Flaschen zu verräumen, möglichst leise, um Lina nicht zu wecken. Glücklicherweise kam mir unserer Spülmaschine entgegen, die jegliches dreckiges Geschirr schluckte.
      „Was sitzt du hier eigentlich so nutzlos herum? Hast du nicht irgendwas zu tun?“, fragte ich Niklas, der mich mittlerweile durch seine reine Anwesenheit nervte.
      „Doch schon, aber ich warte auf Lina“, antwortete er nüchtern ohne sich vom Bildschirm zu lösen. Entschieden warf den feuchten Lappen über seine Schulter und dieser landete sogar auf dem Gerät. Ich lachte leise.
      Er setzte gerade an, sich zu beschweren, als Lars den Raum betrat.
      „Kleines, ich helfe dir.“ Selbstsicher huschte ein Lächeln über seine Lippen. Ich schnappte mir wieder den Lappen und überreichte ihn. „Du kannst den Tisch abwischen.“
      Er nickte und begann sofort. Im nächsten Augenblick waren wir sogar wie fertig. Neben der Haustür stellte ich noch das letzte leere Konservenglas ab und damit sah das Wohnzimmer inklusive Küche aus wie neu.
      „Frühstücken wir noch, bevor wir reiten?“, bewusst legte er den Schwerpunkt auf das Satzende. Mit seinen Händen packte Lars an meine Hüfte und zog sich näher an mich heran. Instinktiv drehte ich mich. Sanft zog sich die Mundwinkel in seinem Gesicht nach oben und in seinen Augen trat wieder das Funkeln auf, das mir erneut den Atem raubte. In meinem Bauch wollte das Kribbeln nicht aufhören und drückte meine Lippen auf seine. Es fühlte sich verdammt gut mit ihm an, erst recht, weil es vollkommen ungezwungen war.
      „Ihhhh“, ertönte es von der Seite, als wäre Niklas ein Kleinkind.
      „Geh du mal deine Freundin holen, oder wollt ihr allein Essen?“, wechselte ich das Thema.
      Er zuckte mit den Schultern und setzte sich provokativ auf einen Stuhl am Tisch. Genervt stöhnte ich. Offenbar hatte ich ziemlich viel verpasst, denn so seltsames Verhalten von Niklas, war mir neu. Also stampfte allein zu Linas Tür und klopfte vorsichtig. Sie stand ohnehin einen Spalt offen, der reichte, um meinen Kopf durchzustecken. Dahinter bewegte es sich nicht nur, nein, sie stand sogar schon unentschlossen vor ihrer Kommode.
      “Wie komme ich zur Ehre deiner Anwesenheit?”, fragte sie, ohne nennenswert den Kopf zu wenden. Stattdessen zog sie eine andere Schublade auf, um scheinbar willkürlich hineinzugreifen.
      “Guten Morgen”, sagte ich zunächst, “ich wollte fragen, ob du mit frühstücken möchtest oder lieber allein mit Niklas. Dein Kerl zeigt nur wenig Interesse, mir zu antworten.”
      “Lügnerin!”, ertönte es sogleich aus dem Hintergrund von Besagtem.
      “Ihr Frühstück gleich? Dann frühstücken wir mit euch”, entschloss sie kurzerhand und griff sich weitere Kleidungsstücke aus der Schublade. “Oder hast du andere Pläne, Niki?”, beteiligte sie ihren Freund doch noch an der Entscheidung.
      „Eigentlich würde ich lieber dich frühstücken, dafür brauchen wir die anderen nicht“, gab er mit ernster Tonlage zu verstehen. Dennoch konnte ich mir mein Lachen nicht verkneifen, angesichts der Umstände, dass Niklas meins unterbrach.
      „Ich glaube, das wird nicht passieren“, sprach sie befangen, die Wangen Schweinchenrosa angelaufen und wühlte hastig in der Schublade herum.
      „Du glaubst?“, setzte der Kerl seine Mission fort, „wir sind doch nicht in der Kirche.“
      „Schätzungsweise hat er keine Lust auf Lars und mich“, zuckte ich mit den Schultern. „Aber es kann nicht immer nach ihm laufen. Also, willst du oder nicht?“
      „Ich will“, sprach sie rasch, aber wühlte weiterhin wie ein Eichhörnchen beim Nestbau in ihrem Klamotten herum, „Also mit euch Frühstücken."
      “Geheiratet hätte ich dich auch”, scherzte ich. Nun kam auch der Andere im Wohnzimmer auf wahnwitzige Idee.
      “Ein Traum, zwei hübsche Damen”, noch bevor er seine innigsten Wünsche mit uns teilte, unterbrach ich ihn: “Das wollen wir gar nicht wissen, was du dir nachts im Bett vorstellst.”
      Selbst Niklas lachte kurz auf.
      Glücklicherweise fand meine Mitbewohnerin endlich ein Ende in ihrer Schublade und hatte sich Stoff übergeworfen. Dieser schmeichelte er ihr sehr. Der hellblaue Wollpullover bildete nicht nur einen hell-dunkel Kontrast zu den, noch offenen, dunklen Haaren, sondern untermalte ihre leuchtenden Augen. Zudem konnte sie mit ihrem Körper einfach alles tragen und wirkte wie jeden Tag perfekt durchgestylt. Oft war ich neidisch und fühlte mich wie die hässliche Freundin, aber verbog die böse Stimme in meinem Kopf hinter einer stählernen Pforte.
      Zusammen liefen wir die fehlenden Meter zum Tisch, der in einem klösterlichen Schweigen gehüllt war. Niklas hatte wieder sein Handy zwischen den Fingern, sodass er seiner Freundin keinerlei Beachtung schenkte, obwohl sie neben ihm stand und ein Guten-Morgen-Kuss erwartete.
      „Ehrlich gesagt, raubst du mir meinen Schlaf“, sagte Lars mit tickenden Gesichtszügen. In seinem lieblichen Worten fühlte ich mich Zuhause, wie nie zuvor. Ich konnte mir nicht erklären, was ihn so sehr an mir lag. Am liebsten wäre ich im Bett geblieben, nur er, ich und die Decke. Allerdings gab es noch Dog, der auf der Couch ruhte.
      „Ihr seid doch eklig“, fauchte Niklas, als hätten wir unbeschreibliches gesagt oder getan. Langsam wurde ich mir sicher, dass seine Andeutung im Bad ernst gemeint war, dass ich verschwinden sollte. Meine eigentlicher Arbeitskollege erhob sich, sah abfällig zu Hulk, bevor wir uns zusammen dem Frühstück widmeten. Während er Zwiebeln schälte und Schnitt, holte ich oder viel mehr, wollte ich meinen Haferjogurt aus dem Kühlschrank holen. Da wurde mir bewusst, dass überhaupt nichts für mich gab. Lina konnte nicht wissen, dass ich kommen würde und bei unserer Ankunft hatten alle Geschäfte geschlossen.
      „Was suchst du?“, fragte Lars und das Haken auf dem Brettchen verstummte.
      „Etwas Essbares für mich“, antwortete ich niedergeschlagen und stellte fest, dass selbst mein Lager an Zutaten aufgebraucht war.
      „Aber da war ganz viel?“
      „Ja, alles mit Tier.“
      Bedauerlich nickte er.
      „Dann lass uns Brunch bestellen. Da finden wir sicherlich für dich das Richtige“, schlug er vor und gab mir im selben Atemzug einen Kuss auf die Stirn.
      „Das kannst du dir gar nicht leisten“, mischte sich auf einmal Niklas ein, als gäbe es keine anderen Sorgen, „dein Vater muss schließlich noch Glimsy abbezahlen. Oder du gibst dein hässliches Vieh ab, damit ihr Überleben könnt?“
      Wovon auch immer der hochnäsige Typ sprach, das ging zu weit.
      „Du kannst dich nicht immer in das Leben anderer einmischen, nur weil du in Geld schwimmst“, tadelte ich Niklas.
      „Natürlich kann ich das, siehst du doch. Außerdem sei du doch mal ganz ruhig. Du bumst meinen Vater und lässt dich von deinen für deine Jungfräulichkeit versteigern“, preschte er in volle Wucht mit seinen Worten auf mich zu. Vom letzten Fakt wusste niemand etwas, nicht einmal meine Mutter. Gerade, als ich ihn fragen wollte, woher er das wusste, fiel es mir wie Schuppen von den Augen – Erik. Doch auch ihm hatte ich nichts davon erzählt. Getränkt in Scham, kullerten die ersten Tränen über meine Wangen, die ihn zum Grinsen brachten, aber Lars zu noch mehr Fürsorglichkeit. Aggressiv richtete er sich gegen Niklas, der das alles nur als einen schlechten Scherz auffasste. Was sie genau sprachen, konnte ich nicht mehr hören, zu stark drängten sich all die alten Gefühle und Bilder an die Oberfläche und verstopften den Gehörgang.
      „Kleines, wir gehen ins Zimmer. Du brauchst Abstand zu dem“, sagte Lars klar zu mir und zog mich mit. Der Hund sprang von der Couch auf, folgte uns ebenso. Lina konnte ich es nicht übelnehmen, dass sie schwieg. Für sie war es sicher zu viel und ihr fehlten die Worte, außerdem konnte ich sie nicht, für die Taten ihres Freundes verantwortlich machen.
      Lange saß ich nehmen Lars auf der Bettkante und weinte in seine Schulter. Dabei strich er mir beruhigend über den Rücken, sang dabei ein schwedisches Volkslied. Aber verstummte schließlich.
      „Okay, genug Selbstmitleid. Zumindest eine Tatsache geschah aus freien Stücken, oder nicht?“, zur Aufmerksamkeit tippte Lars mich an, damit ich ihn ansah. In mich gekehrt, nickte ich.
      „Na siehst du, also was ist schlimm daran?“, versuchte er mir Mut zuzusprechen.
      „Das er es weiß und es als Vorwurf formuliert hat“, schluchzte ich heiser.
      „Der ist nur ein verwöhntes, reiches Kind. Wie soll der sonst durchs Leben kommen, als anderen ihres schwerzumachen und Taten vorzuwerfen?“
      „Er hat es auch nicht leicht“, versuchte ich trotzdem Niklas in Schutz zu nehmen, wofür es keinen Grund gab.
      „Kleines, entweder du sprichst mit mir darüber, um einzusehen, dass es nichts gibt, wofür du dich schlecht fühlen sollst oder ich gehe jetzt zu den Pferden, damit du weiter dich im Bett herumrollst und weinst“, zuckte Lars mit den Schultern, als wäre er genervt. Dass seine Hand weiter auf meinem Oberschenkel lag und meine Finger umspielte, zeigte mir allerdings das komplette Gegenteil.
      Ich seufzte.
      „Dass ich was mit seinem Vater hatte, stört mich nicht, denn es hat Spaß gemacht, aber das sollte nie an die Öffentlichkeit kommen, weil es in Form einer geschäftlichen Abmachung entstand. Und …“, es schauerte mir überhaupt die Worte in den Mund zu nehmen, aber ich musste, wenn ich mich verändern wollte, „es waren andere Zeiten. Ich hatte mit verschieden Umständen zu kämpfen und da kam die Angelegenheit gut, also es war aus freien Stücken.“
      „Beruhigend, dass wir nicht zur Polizei gehen sollten.“ Ein höfliches Lächeln huschte über seine Lippen. „Aber, was für Umstände?“
      „Du gibst auch keine Ruhe, oder?“, kam nun auch ein Lachen von mir.
      „Ich möchte mein Gegenüber kennen und du gefällst mir, also muss ich wissen, mit was für Absurditäten Niklas noch ankommen wird.“
      Von meinem Stuhl nahm die Jacke, in der noch eine Schachtel Zigaretten steckte, lief zur kleinen Terrassentür, die zum Zimmer gehörte. Daran stellte ich mich, dass Lars mich weitersehen konnte. Zu meiner Überraschung erhob er sich und nahm ebenfalls eine heraus. Noch hielt inne, bevor es wie ein Wasserfall aus mir heraussprudelte. Ich erzählte ihm von den Drogen, meiner ersten Liebe und wie alles zerbrach. Auch Erik erwähnte ich. Zwischendrin stellte Lars Fragen, die ich ihm geduldig beantwortete.
      „So, und jetzt? Das ist alles Vergangenheit. Es liegt hinter dir. Natürlich sind es keine schönen Dinge, auch traurig, wie wenig deine Familie dich in den Schutz nahm, aber an deinen Aufgaben wächst du. Wenn auch nicht mehr körperlich“, ich lachte bei seinen Worten. Aber Lars hatte vollkommen recht und gab mir das erste Mal das Gefühl, dass meine Geschichte angesprochen werden musste.
      „Danke, dass du für mich da bist“, schmiegte ich mich eng an ihn und er legte die Arme um meinen Rücken.
      „Selbstverständlich, du brauchst mich.“
      Wieder im Zimmer, schloss die Tür hinter uns und Lars reichte mir den kleinen Schieber mit den Wochentagen, in dem meine Medikamente waren. Am Bett stand, wider Erwarten, eine Wasserflasche und schon, hatte ich die größte Herausforderung am Morgen gemeistert, obwohl es mittlerweile bereits Mittag war.
      „Fühlst du dich bereit für Osvo?“, kam es aus heiterem Himmel. Kurz dachte ich nach.
      „Noch nie bereiter“, sagte ich voller Tatendrang, nahm seine Hand und stolzierte durchs Wohnzimmer mit ihm. Die beiden aßen, ohne uns. Wer weiß, wie lang wir im Zimmer gesessen hatten, aber mir war der Hunger vergangen.
      „Lina“, sprach ich bewusst nur sie an, „Lars und ich machen jetzt Osvo fertig, also wenn es dich interessiert, kannst du in einer halben Stunde zur Halle kommen.“ Eilig nickte sie. Als Niklas sich dazu äußern wollte, reichte ein böser Blick ihrerseits, dass Hulk verstummte.
      Dog folgte uns unauffällig, als wir durch die Tür traten, in die Kälte. Am Himmel stand die Sonne und brachte die oberste Schicht des Schnees zum Schmelzen, dennoch so schwach, dass es sofort wieder gefror. Ein rutschiges Unterfangen begrüßte uns, aber mit den Händen ineinandergeschlungen, kamen wir heil am größten Stallgebäude an. Lautes Gewieher begrüßte uns und besonders laut, musste sich Anti Gehör verschaffen, der seine bisherige Lebenszeit auf der Weide verbrachte. Zunächst stand er allein, bis der richtige Partner gefunden wurde. Ich ging auf ihn zu. Neugierig hob Anti den Kopf, beschnupperte die seltsame Sache, die wir im Volksmund als Hand bezeichneten. Mit aufgeblähten Nüstern wieherte er mir schrill ins Ohr, bevor er eine kleine Runde durch die Box drehte. Den Paddock dahinter, beachtete er gar nicht.
      Obwohl die vorletzte Box im Gang schon am Tag zuvor mit einer hellen Stute belegt war, verspürte ich erst jetzt einen stechenden Druck im Herzen. Lubi würde ich wohl nur noch auf dem Turnier sehen, im Stall von jemand anderes. Vermutlich brauchte ich einen Augenblick, bis dieser Umständen wirklich in meinem Kopf ankam, besonders, wo ich nun Klarheit empfand. Seufzend legte ich meine Hand an die Gitter. Das Stütchen, dass sonst bei den Einstellern stand, kam interessiert zu meiner Hand, um daran zu lecken. Von der anderen Seite streckte mir Maxou ihren Kopf entgegen, doch ihr Hals war nicht ansatzweise lang genug, um mich zu erreichen. Stattdessen wählte sie den Nächstmöglichen und fummelte mit der Oberlippe an Lars‘ Kapuze.
      “Dein Pony hat mich gehasst, bis du plötzlich da warst”, erwähnte er dann aus dem Nichts.
      “Ich glaube kaum, dass ein Tier solch starke Emotionen empfinden kann”, sprach ich ungläubig, auch wenn ich mir vorstellen konnte, was er meinte, schließlich wollte Maxou auch am Anfang nichts mit mir zu tun haben.
      “Doch, deinem Pferd traue ich das zu”, Lars trat näher an mich heran, “sie ist auf mich losgegangen, wenn ich ihr die Decke wechseln wollte.”
      “Das tut mir leid.”
      Kaum hatte ich Maxou begrüßte und ausgiebig an ihrer Lieblingsstelle am Hals gekratzt, kam ein Sulky in den Stall gefahren, mit Nour im Bock. Sie trug ihr dunkles Haar offen über den Schultern, das Gesicht vollkommen verdreckt, aber sie strahlte. Angespannt war ein sehr kräftig anmutendes Pferd, deutlich schmaler als ein Freiberger, wie Lina sie immer mehr anschleppte, aber breiter als unsere Traber.
      „Wer ist das?“, flüsterte ich Lars ins Ohr und zupfte an seiner Jacke.
      „Das Pferd? Glimsy“, erklärte er, bevor seine Schwester bei uns hielt.
      „Ach, der Herr hat auch den Weg zum Stall gefunden“, scherzte Nour. Sie nahm die Leinen in eine Hand, um mit der anderen sich die Brille abzunehmen und das Gesicht abzuwischen. Jetzt bei Tageslicht mutete sie genauso elegant an, wie ihr Bruder, auch wenn ich Lina deutlich attraktiver fand.
      „Natürlich“, nickte Lars, „dennoch musste ich zunächst andere Angelegenheiten klären.“ Dabei schaute er schief zu mir.
      “Angelegenheiten also. So, so. Ich verstehe. Dann mein Glückwunsch, du durftest einen Lars haben, aber gewöhne dich nicht daran”, schmunzelte sie. Normalerweise reagierte ich schnell, doch für den Augenblick erschien mir mein Kopf begriffsstutzig. Ihre Worte konnte ich nur schwer einordnen. Die Rappstute tänzelte derweil gelangweilt auf der Stelle und versuchte Maxou zu begrüßen, die nicht einmal mit der Wimper zuckte.
      “Was meint sie?”, richtete ich meine Frage zu Lars, der verärgert seine Schwester anblickte.
      “Kleines, darüber sprechen wir noch, aber nicht jetzt”, versuchte er abzulenken, aber ich wollte das Thema nicht im Sand verlaufen lassen. Entschlossen legte ich die Arme auf seinen Schultern ab, gekreuzte hinter seinem Kopf und suchte innigen Augenkontakt. Zunächst wich der große Mann aus, bis die Situation unausweichlich wurde.
      “Tut mir leid Brüderchen, aber ich möchte nicht das nächste nette Mädchen zugrunde gehen sehen, weil du ihr das Herz brichst”, lehnte sich Nour zu ihm, bevor sie das verschwitzte Pferd in Bewegung setzte. Obwohl ich genau hörte, was sie ihm sagte, ignorierte ich es.
      “Vivi, ich mache mir nur nicht viel aus festen Beziehungen“, erklärte er mit bestimmten Unterton, gerade als ich meine Arme lösen, fügte er noch hinzu: „Aber du darfst natürlich trotzdem bei mir bleiben.“
      “Vielleicht will ich das gar nicht”, nuschelte ich, ohne den Blick von seinen Augen zu lösen. Lars gab sich besonders viel Mühe dabei, seine Stimmung hinter einem Vorhang aus Starrheit zu verstecken, doch je länger ich ihn musterte, umso weiter wurden die Pupillen. Ebenso spannte es an meiner Hüfte.
      “Nun, dann muss ich mir wohl jemanden anderes suchen, der mit mir in der Sattelkammer verschwindet”, scherzte er.
      “Musst du wohl.”
      Zu beschreiben, was zwischen uns knisterte, konnte ich nicht. Stattdessen verfiel ich ihm komplett und das lag eher weniger, an der erfreulichen Nacht. Lars hörte zu und schob mich nicht in eine Schublade, denn auf mich war ohnehin keine zugeschnitten. Sein Lächeln verzauberte mich in jedem Moment, den wir teilten und löste dabei eine Flut von Gefühlen aus, die meine Sehnsucht nach Erik wegspülten und vergruben. Manchmal tauchte ein Bild zwischen den Trümmern auf, aber es war nicht mehr, als eine schöne Erinnerung an alte Zeiten, die Zukunft stand vor mir.
      Immerhin konnten wir unsere Lust zügeln, denn Osvo wartete uns, obwohl es mir leichten Druck in den Magen setzte, in seiner Anwesenheit auf einem Pferd zu sitzen. Und wenn dann noch Zuschauer da sein würden – Nein, Vriska, du schaffst das, versuchte ich mir weiß zu machen. Und als ich dann von ihm ein Halfter in die Hand gedrückt bekam, setzte ich vollkommen aus. Stumm folgte ich ihm nur und auf dem Paddock hinter dem Roundpen strahlte mich besagte Rappstute an. Auf dem Nasenrücken trug sie eine große Blesse und an den Beinen drei äußerst niedliche Socken. Kaum bemerke Osvo uns, lief sie mit gespitzten Ohren den Zaun entlang. Das Tor öffnete er und etwas überfordert, hielt ich das Halfter in die Luft. An der Schulter stupste mich ein weiteres Pferd an, eine braune Stute, die allerdings zügig das Interesse verlor.
      „Einfach über die Ohren ziehen, oder hast du gar keine Ahnung?“, schmunzelte Lars.
      “Würde ich dir näherkommen, wenn ich keine Ahnung habe?”, versuchte ich den Funken aufrechtzuhalten, aber er schüttelte nur den Kopf mit unverständlichen Worten in den hohen Kragen seiner Jacke zu brabbeln. Vorsichtig zog ich das über ihr Maul und drückte die Ohren nach unten. Osvo schenkte dem Ganzen keine Aufmerksamkeit, sondern wartete, bis ich fertig war. Auf dem Weg zurück in den Stall erklärte Lars die Feinheiten der Stute. In den Ecken kürzte sie gern ab, wenn man den Schenkel nicht rechtzeitig anlegte und über den Sitz die Tritte verkürzte. Am Maul war sie empfindlich und bevorzugte eine konstante Haltung mit wenigen Paraden, eine Sache, die schwierig für mich werden konnte.
      In der Gasse putzte ich das dunkle Fell ausgiebig, bis der Großteil des Drecks auch auf dem Boden verteilte. Osvo hatte eins ihrer Hinterbeine angewinkelt und lehnte entspannt in den beiden Stricken. Dann kam auch Lars wieder, mit einem Sattel im Arm und einer Trense über der Schulter.
      „Könnte ich Gebisslos reiten?“, fragte ich unsicher.
      „Du kannst es versuchen, klar“, nickte er und übernahm das Satteln. Ich huschte unter dem Strick hindurch, um die Treppe auf die Tribüne zu nehmen. Von da aus kam ich am schnellsten in die Sattelkammer, in der mein Schrank stand. Schon aus der Ferne lächelte mich die Neon-Pinke Hackemore an. Erst, als ich danach griff, bemerkte ich eine Karte neben meinem Helm. Ungewöhnlich trocken wurde meine Kehle, als ich das handgemalte Motiv sah, das nur von einem Kleinkind stammen konnte. Langsam fasste ich nach hier und starrte eine Weile auf die Vorderseite. Obwohl die Zeichnung eher einer Schmiererei glich, erkannt ich sofort mein Pferd darin. Maxou hatte ihre lustige Kappe auf, die zum Schutz und Polstern des Genicks war, wenn sie ein Halfter trug. Meine Finger zitterten, während alles in mir schrie, die Klappkarte nicht zu öffnen. Aber die Neugier übertönte das alles. Sie war von Erik, der mir nur das Beste wünschte. Er wählte seine Worte wie immer sehr bewusst und versuchte von den Umständen abzulenken, die uns trennten. Stattdessen vermittelte er mir das Gefühl, noch immer nah in meinem Leben zu stehen und noch bevor ich überhaupt alles gelesen hatte, legte ich sie zurück. Wieder flossen Tränen, über meine Wangen, die ich mit einem Blick zur Decke versuchte aufzuhalten. Nichts in der Welt würde ihn aus meinem Leben verbannen können, auch wenn ich ihn nicht mehr an meiner Seite haben wollte, für den Augenblick.
      “Irgendwann”, murmelte ich in mich gekehrt und trampelte aufgewühlt aus dem Raum. Kaum war ich von den Treppen herunter getreten, sah ich Lina neben Osvo stehen mit einem zufriedenen Grinsen von einem Ohr zum anderen. Der Herr hatte bestimmt seinen Willen noch bekommen, nach dem mir meiner verwehrt wurde. Unfair. Würde ich fragen, käme keine spezifische Antwort, deswegen schwieg ich, auch, dass ich die Karte im Schrank fand. Sie sprach ohnehin mit Lars über einen der Hengste, den sie wohl in letzter Zeit arbeitete. Also wandte ich mich ab, um der Stute den gebisslose Zaum anzulegen. Beinah automatisch öffnete sie das Maul und sie schaute nicht schlecht, als kein Metall in ihrem Maul landete.
      Im Augenwinkel sah ich Nour auf der Tribüne, die sich ein Brot in den Mund stopfte und Samu mit seiner Freundin. Die beiden hingen eng aneinander, bestimmt froh, mal etwas Zeit füreinander zu haben. Am Abend, wenn es im Zimmer etwas ruhiger wurde, konnte ich Gespräche belauschen, die problemlos durch die Tür hallten. Zudem war die Runde alles andere als leise.
      „Was ist denn? Möchtest du nicht aufsteigen?“ Lars stand schon auf der anderen Seite des Pferdes und hielt den Steigbügel gegen, aber ich haderte mit mir, ob ich wirklich so weit war, aufzusteigen.
      „Ich weiß nicht“, sprach ich meine Zweifel an.
      „Du schaffst das, schließlich bist du gestern sogar gefahren. Keiner verlangt von dir, Pirouetten zu drehen, aber etwas Schritt und Trab sollte im Rahmen deiner Möglichkeiten sein“, dann lehnte er sich über den Sattel zu mir und sprach etwas leiser: „Außerdem haben wir doch schon geübt, vielleicht stellst du dir das einfach vor.“
      „Ein ziemlich absurder Gedanke“, warf ich ihm vor, aber er zuckte belustigt mit den Schultern.
      „Aber los, sonst schläfst du heute Nacht allein“, noch bevor das letzte Wort über seine schmalen Lippen wirbelte, hatten meine Hände flink den Gurt um ein Loch fester gezurrt und ich schwang mich auf das Pferd. Osvo war kaum größer als ich, also eine Leichtigkeit für mich.
      „Na bitte. Offenbar bist du bestechlich.“ Lars lief die ersten paar Runden noch mit, einerseits um mir Tipps zu geben, andererseits um mir Sicherheit zu schenken. Wie ein Anfänger versuchte ich die richtige Position im Sattel zu finden, setzte mich andauernd um. Lars hielt den Arm vor Osvos Kopf, wodurch sie abbremste.
      „Etwas weiter nach vorn und Beine lockerer im Bügel“, wies er mich an. Mit einem tiefen Atemzug durch die Lungen versuchte ich meinen Puls wieder zu normalisieren, aber in der Brust trommelte es wie bei afrikanischen Urvölkern.
      „Nicht so“, lachte Lars und legte selbst Hand an. Bestimmt legte er mein Bein zurecht, schaute sich auch, das andere an, das ich selbst platzierte. „Viel besser und so bleiben. Denk an den Wassereimer in der Hüfte, der darf nicht überlaufen.“
      Durch leichten Druck am Bein setzte sich Osvo in Bewegung. Sofort verspürte ich einen Unterschied. Gleichmäßig schob ich mich durch den Sattel und meine Begleitung kletterte gekonnte die Bande hoch, um sich oben auf den Rand zu setzen. Allein der Schritt war eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Zu viele Emotionen prasselten auf mich ein, um es genauer benennen zu können und als ich prüfend noch einen Blick zur Tribüne warf, wurde mir bewusst, dass es immer mehr Leute dazu kam. Der Druck kam wieder, Druck wie bei meiner Abfahrt. Es gab keinen Grund dafür, zumindest redete ich mir das ein. Selbst meine Schwester und Mutter tauchten aus heiterem Himmel auf, auch wenn die kleinste nur Augen für Niklas hatte. Dass er nach Lina noch kam, löste vermutlich das Zittern meiner Hände aus. Auf einer großen Volte versuchte wieder ein Gefühl für das Pferd zu bekommen und mich von der Massenansammlung abzulenken. Ich schloss die Augen, um tief Luft zu holen. Auch Osvo schnaubte in dem Moment ab. Meine Hand klopfte ihr sanft den Hals.
      „Bei A auf den Zirkel und antraben“, rief mir Lars zu. Ohne weiteres Versagen zu schnüren und damit eventuell auf Widerstand zu stoßen, trabte ich die dunkle Stute. Locker ließ sie den Hals fallen. In ihrem Sattel fühlte ich mich ganz anderes, im Vergleich zu Lubi. Ihre Schritte waren kürzer, aber ebenso gefedert und weich. Obwohl wir nur auf dem Zirkel blieben, schwebte ich auf Wolke sieben, in meinem Kopf, jeden Sieg ergattern zu können. Nach einem Handwechsel holte ich Osvo wieder zurück in den Schritt und kam langsam auf meinen Ausgangspunkt. Meine Zuschauer waren wie gelöscht, sodass ich im Sattel sicherer wurde. Lars korrigierte noch einige Male meinen Sitz, durch freundliche Zurufe und sorgte dafür, dass Osvo nicht nur aktiver vorwärts trat, sondern auch die Balance fand. Volten fielen ihr schwer. Erst in der Versammlung im Schritt setzten sich ihre Hinterbeine mehr in den Schwerpunkt und jede Wendung auf der kleinen Kreislinie, unterstützte sie. Zum Ende galoppierte ich sogar noch und wurde mit einem ungefragten fliegenden Wechsel überrascht.
      Vollkommen durchgeschwitzt glänzte das blau-schwarze Fell in der Deckenbeleuchtung und an den hellen Abzeichen zeichnete sich die Farbe des Sandes ab. Wie Grisu, der kleine Drache, traten Dampfwölckchen aus ihren Nüstern und die Abschwitzdecke erfüllte ihren Zweck, als Lars sie in den weichen, dunkelblauen Stoff hüllte. Breddlopp - Daley Lovin 2018 stand in großen Buchstaben an der Seite aufgedruckt.
      „Ihr habt das Potenzial füreinander“, stellte er begeistert fest.
      „Hat wirklich Spaß gemacht, danke.“
      Mir fehlten die Worte, einzig ein leuchtendes Grinsen schmückte meine Lippen. Auf der rechten Seite lief Osvo vollkommen entspannt und augenscheinlich ebenso glücklich, auf linken Lars. Im Augenwinkel bemerkte ich seine prüfenden Blick. Ihn so plötzlich nah zu haben, bedeutete mir unbeschreiblich viel.
      „Ich wusste gar nicht, dass du so gut reiten kannst“, merkte Mama an, als ich an ihr vorbeikam.
      „Okay.“ Mein Lächeln erlosch. So wie ich diese Frau kannte, interessierte sie sich ohnehin nicht viel für meine Leistungen. Selbst als wir mit dem Cheerleader Team bei der Landesmeisterschaft waren, schenkte sie mir keinen Augenblick, viel wichtiger war der Zoobesuch mit meiner kleinen Schwester.
      Durch das Tor verließ ich die Reitbahn und sattelte mit Lars’ Hilfe die Stute ab. Sie fraß genüsslich den Inhalt ihrer Schüssel, verteilte mehr als die Hälfte auf dem Beton. Eine kleine Sauerei lag unter dem Maul.
      „Also, darf ich sie öfter reiten?“, beugte ich mich zu Lars hinüber, der gerade die Trense im Eimer reinigte.
      „Mh?“, brummte er zwischen dem Geklapper.
      „Ob das Angebot steht?“, spezifizierte ich.
      „Papa muss noch zustimmen, aber meinerseits steht dem nichts im Weg“, er hob sich und legte seine Arme an meine Hüfte, „ihr saht super aus und denk daran, nie dein Lächeln zu verlieren.“
      “Da muss ich Lars zustimmen”, trat Lina freudestrahlend von der Halle her ran, “Schön, dich wieder auf dem Pferd zusehen.”
      „Stimmt schon, aber ich halte mich erstmal zurück“, stellte ich klar, damit sie nicht von mir erwartete, eins der schwierigen zu nehmen.
      “Alle gut, ich erwarte nicht, dass du dich gleich an eines der Monster wagst”, beschwichtigte sie augenblicklich, “außer vielleicht an das, was sich als süßes kleines Pony tarnt.”
      „Maxou ist kein Monster“, protestierte ich umgehend, die sofort den Kopf aus der Box streckte.
      „Hör nicht zu, die sind blöd zu dir“, flüsterte ich in das kleine helle Ohr, das sich interessiert in meine Richtung drehte.
      „Du hättest sie mal die vergangenen Monate erleben sollen, dein Pony war an Wechsellaunigkeit kaum zu übertreffen. Du musst irgendwelche Zauberwirkung auf sie haben“, begründete Lina ihre Aussage, „Sie hat es einem wirklich nicht immer leicht gemacht.“
      “Na, wenn du das sagst”, knurrte ich beleidigt. Aus der Jackentasche wühlte ich nach einem der Leckerlis, die ich für gewöhnlich in jeder fand, so natürlich auch in dem Augenblick. Gierig fummelte sie ihre Belohnung von der Handfläche wie eine Schnapsschildkröte.
      “Immerhin versucht sie nicht, dich loszuwerden”, fügte ich schulterzuckend hinzu. Lars schielte mir zu, mit tiefer Stirn, als hätte er Wind von dem Gespräch bekommen mit Niklas. Für einige Sekunden schien sie irritiert, wirkte fast so als läge ihr bereits ein Kommentar auf der Zunge, doch augenscheinlich fügten sich die Puzzlestücke schnell zusammen. Postwendend wurde ihre Ausstrahlung zurückhaltender.
      „Tut mir leid, dass Niklas vorhin so eklig zu dir war“, sagte sie kleinlaut. Kurz kam mir in den Sinn, vom Zwischenfall zu sprechen, doch wollte ihr nicht den Tag versauen. Die Worte rutschten wie ein hartes und trockenes Brot meine Kehle herunter.
      “Schätzungsweise wäre es ihm lieber, wenn ich wieder gehe”, versteckte ich seine Aussage hinter einer Vermutung. Da mischte sich auch Lars wieder ein: “Dann kommst du halt zu mir, ich freu mich.”
      “Hättest du wohl gern.”
      „Ich weiß nicht, was los ist mit ihm, aber natürlich bleibst du, wo du bist, schließlich ist es auch dein Haus“, sprach sie zu mir.
      „Er möchte sicher bei dir sein und ich störe dann halt, erst recht, wenn“, der Klumpen kehrte im Hals wieder, denn ich ging davon aus, dass es mit Lars mehr werden würde. Diesen Zahn zog mir seine Schwester allerdings.
      „Wenn was?“, kam er zu Wort, als würde Lars genau wissen, was in meinem Kopf herumschwebte.
      „Wenn du mehr Zeit mit mir verbringst“, stammelte ich unsicher, wie es bei meinem Gegenüber ankommen würde. Aber Lars lachte.
      “Aber das ist doch nicht dein Problem, wenn er oder wir uns an dir stören”, versuchte Lina offenbar noch den Grund zu verstehen, “Nein, nein, du bleibst schön, wo du bist, sofern du dich nicht aktiv anders entscheidest.”
      „Dass es für mich okay wäre, eins der anderen Häuser zu nehmen, bist du dir bewusst?“, merkte ich noch an, dann wurde Osvo dringlicher mit ihrem Scharren auf dem Boden. Noch immer tropfte Schweiß förmlich aus dem Fell, deshalb löste ich die Stricke, schaltete die roten Lampen an und stellte sie ohne Decke darunter. Skeptisch hob sie den Kopf, bemerkte allerdings in der nächsten Sekunde, wie wohltuend das Licht war.
      “Mmm, ja …”, überlegte sie kurz, “aber ich möchte nicht, dass du dich vertreiben fühlst.”
      “Du treibst sie nur in meine Arme und damit kann wohl jeder leben”, zuckte Lars mit den Schultern. Langsam nervte mich seine selbstverliebte Art, die mich bei Niklas in den Wahnsinn trieb. Kaum zischte dieser Gedanke durch Kopf, musste dieser natürlich auch erscheinen, mit einem nervigen Anhängsel namens Madly. In seinem Blick sah man deutlich die Verzweiflung und einfach, war meine Schwester nicht loszuwerden.
      „Jetzt sage es doch“, jammerte sie, aber ohne Kontext, wusste ich nicht, was sie von ihm wollte.
      „Kannst du die Erwachsenen kurz allein lassen?“, bat ich Madly.
      „Nö“, kam es aus der Pistole geschossen.
      “Bring das mal bitte in die Sattelkammer”, intervenierte Lina und drückte ihr kurzerhand den durchnässten Fleecehaufen in die Hand, der vor Kurzem noch auf dem Rücken der Stute verweilt hatte. Diese sprang mit einem panischen Schrei zurück, um den Geruch zu entfliehen.
      “Ihr werdet schon noch sehen, was ihr davon habt”, rief sie übermütig zu uns, aber verschwand zur schützenden Tribüne, auf der gerade jemand anderes auf einem Pferd beobachtet wurde.
      “Was werden wir sehen? Dass es ohne sie nervenschonender ist?”, scherzte Lina mit gesenkter Stimme, sich wohl bewusst, dass die fehlenden Wände, den Raum ziemlich hellhörig machten.
      “Weiß nicht”, zuckte ich mit den Schultern. Lars hatte sich wie in Luft aufgelöst, auf einmal stand ich zwischen Lina und Niklas, der mich genauso böse anblickte, wie meine Schwester zu vor.
      „Ich bringe das Pferd weg, offensichtlich bin nicht erwünscht“, entschloss ich dann kurzerhand.
      „Du hast es erfasst“, grinste Niklas unverfroren. Eine Frechheit!
      “Niklas!”, tadelte Lina ihn sofort, “Sie hat doch gar nichts getan.”
      “Doch”, er verschränkte die Arme und sah zu mir. Ich versuchte das Gespräch der Beiden zu ignorieren, aber zu sehr interessierte es mir, was sein Problem war. Erst recht, nachdem wir eigentlich ein sehr freundliches Gespräch im Badezimmer gehabt hatten.
      “Ihr versteht es nicht, aber ich kann nicht mit ihr und dir in einem Raum sein, also entscheid dich”, stellte er ihr ein Ultimatum.
      “Du willst ernsthaft, dass ich mich zwischen euch entscheide?”, fragte sie entsetzt, als könne sie seine Worte nicht begreifen.
      “Engel, ich möchte nur mit dir allein sein, aus Gründen. Wir können das gern besprechen, aber versprich mir, dass wir erst einmal Zeit füreinander haben”, hallte es durch die Halle, zwischendurch durchbrochen von Hufschlag.
      “Okay, ja”, willigte sie nach einem kurzen Moment der Stille in die Worte ihres Freundes ein, eine diffuse Gefühlslage in ihrer Stimme mitschwingend.

      Am Abend in der Reithalle

      Lina
      Vor einer viertel Stunde war die Luft erfüllt von Frohsinn, von Musik bis in die Herzen der Leute getragen. Auch ich war erfüllt von Glück und Stolz. Bereits beim Aufwärmen, merkte ich, dass Ivy heute in Höchstform war und vor den Zuschauen schien er noch mal eine Schippe daraufzulegen. Er wirkte nahezu, als sei der junge Freiberger dafür geschaffen worden, unter den Blicken der Zuschauer über den Sand zu schweben. Divines Bühnenpräsenz übertrug sich auch auf mich. Das erste Mal fühlte ich mich annähernd wohl unter den Blicken des Publikums. Enya und Lego hatten selbstverständlich auch geglänzt. Es war schade, dass sie nur so selten auf dem Pferd saß, sie hatte ein Händchen für die Tiere, sicher einer der Gründe, weshalb sie so gut in ihrem Beruf war.
      Mittlerweile saß anstelle der blonden Schwedin, allerdings Samu im Sattel seines Hengstes, denn seine Freundin wurde zu einem Notfall in die Klinik gerufen. Anstelle der fröhlichen Musik war die Halle nun erfüllt von einem nüchternen Viertakt von den Hufen, die gleichmäßig im Sand aufsetzen.
      Abwesend starrte ich auf die aufmerksam nach hinten gerichtet weißen Ohren, die in meinem Blickfeld aufragten. In mir herrschte ein Chaos aus Empfindungen, die unter dem schwinden Adrenalin, an die Oberfläche schwappten. Die Schutzschilde nach außen hin waren hochgefahren, doch der sensible Hengst unter mir spürte es dennoch. Behutsam setzte er die Hufe in den Sand, bei jedem Schritt nachspürend, ob sich etwas veränderte. Noch immer hing mir das Gespräch mit Niklas beziehungsweise eher ein Monolog seinerseits im Kopf. Nur langsam konnte ich all die Bruchstücke zu einem Gesamtbild zusammenfügen, die Verbindungen herstellen und all die Zusammenhänge erkennen.
      > Haluatko kertoa minulle, mitä sinulla on mielessäsi?
      “Möchtest du mir erzählen, was dich beschäftigt?”, durchbrach Samus sanfte Stimme die Stille in der großen Halle. Ich seufzte, es war alles zu viel auf einmal, um den Berg an Informationen allein bewältigen zu können.
      So begann ich also all das wiederzugeben, was Niklas mir offenbarte. Angefangen bei dem Grund, der seine Zeit fraß, Binomialsats. Ein Hengst, der von seiner geliebten Schimmelstute abstammte und seinen Erzählungen nach, ähnlich aufbrausend und Verhaltens-kreativ war. Noch am selben Tag, wie der Tierarzt bestätigte, dass Smoothie nicht aufgenommen hatte, war Niklas wohl den Schritt gegangen, den Hengst zu kaufen. An sich sprach nicht dagegen. Zu gut konnte ich nachvollziehen, dass mein Freund etwas haben wollte, was seine Stute überdauern würde, sollte sie eines Tages mal nicht mehr, sein, auch wenn sie mit ihren gerade einmal zehn Jahren noch weit entfernt davon war. Sicher würde ich einiges geben, um etwas mehr als Erinnerungen an meinen kleinen Vili zu haben, aber bei einem Wallach gestaltete sich das schwierig. Nein, der Grund für das lange Schweigen war nicht das Tier an sich, es war die Art, wie er zu dem Pferd kam. Bino hatte nicht zum Verkauf gestanden, aber wie er so war, hatte er mit den bunten Scheinchen gewedelt, um seinen Willen zu bekommen. Für mich war es nicht vorstellbar, wie es zu rechtfertigen, war einem jungen Menschen sein Pferd wegzunehmen. Es betrübte mich, dass mein Freund so handelte, aber Menschen sind nun mal nicht unfehlbar, erst recht nicht, wenn sie von Emotionen getrieben werden.
      Als sei dies noch nicht genug gewesen, hatte Niklas noch mehr zu beichten gehabt, Vriska betreffend. Tief in meinem Inneren hatte ich bereits eine Vorahnung gehabt, dass zwischen den beiden noch eine gewisse Anziehung herrschte, doch es so deutlich zu hören tat weh, auch wenn ich mittlerweile wusste. Gleichzeitig wusste ich nicht, damit umzugehen. Vriska war zu diesem Zeitpunkt nicht ganz sie selbst gewesen, aber wer war denn die wirkliche Vriska? Sie nicht wirklich abgewiesen zu haben, begründete Niklas damit, dass er schon lange Kenntnis davon gehabt hatte, was sich zwischen Erik und Moa anbahnte und er sie somit nicht verletzen wollte.
      > Sinulle tapahtui taas jotain, vai mitä?
      “Da ist ja wieder einiges passiert bei dir, hm?”, stellte Samu am Ende der Erzählung fest.
      Ich seufzte, mir all das von der Seele zu reden half, das wirbelnde Durcheinander in mir ein wenig abzubremsen, aber es wurde nicht klarer, was ich fühlte.
      > Kyllä ja nyt... En tiedä
      “Ja und jetzt weiß ich nicht …”, murmelte ich und strich durch das lange Fell, welches seidig zwischen meinem Finger entlang glitt.
      > Mitä mieltä olet Vriskasta ja miten edetä
      “Wie du zu Vriska stehst und wie es weitergehen soll”, beendete er meinen Satz, als hätte er meine Gedanken gelesen. Volltreffer, bezüglich des verlorenen Schäfchens tat sich ein gigantischer Zwiespalt in mir auf. Auf der einen Seite hatte sich, trotz des holprigen Starts, eine Freundschaft zwischen uns entwickelt, auf der anderen fühlte sich mit den neuen Fakten an, als sei es nicht aufrichtig gewesen.
      > Sinun pitäisi puhua hänelle, mutta olen varma, että tiedät sen.
      “Du solltest mit ihr reden, aber das weißt du sicher”, fügte er hinzu, nach einem Moment der Stille hinzu.
      > Ei tänään, en voi
      “Nicht heute, das kann ich nicht”, wisperte ich und nickte langsam mit dem Kopf. Eine ganze Stunde war mittlerweile vergangen und die beiden Pferde mehr als trocken und runtergekühlt. Tiefenentspannt schnaubte Ivy, als ich mittels einer winzigen Gewichtsverlagerung auf die Mittellinie lenkte, wo ich hielt. Die letzten zehn Minuten war er bereits mit hängendem Kopf herum getrottet und schlief beinahe dabei ein. Verständlich, für gewöhnlich saß ich nicht länger als eineinhalb bis zwei Stunden im Sattel, Warm- und Abreiten inklusive. Dieses Limit war mittlerweile bei Weitem erreicht.
      > Oletko jäämässä?
      “Wie lange bleibst du noch”, fragte ich meinen besten Freund, als ich aus dem Sattel glitt. Obwohl ich mich innerlich zurückzog, war menschliche Nähe ein Anker, den ich jetzt benötigte, um nicht den Bezug zu Realität zu verlieren.
      > Niin kauan kuin tarvitset minua, pikkuinen, mutta etkö olisi mieluummin ystäväsi kanssa?
      “So lang wie du mich brauchst, Kleines”, sprach er sanftmütig, “aber willst du nicht lieber bei deinem Freund sein?” Mit den Augen folgte ich seiner angedeuteten Kopfbewegung in Richtung der Tribüne, von denen sich nach dem kleinen Ritt das Publikum schnell verstreute. Nur ein Beobachter war verblieben, Niklas. Saß er tatsächlich die ganze Zeit dort, anstatt sich eine sinnvolle Beschäftigung oder zumindest einen gemütlicheren Ort zu suchen? Wow, beeindruckendes Durchhaltevermögen. Aus dem konfusen Mischmasch schien sich bei seinem Anblick ein schwaches Gefühl heraus zu kristallisieren, welches sich wie Nebel einschlich und alles weiter in den Hintergrund rücken ließ. Mein Gesichtsausdruck schien offenbar eindeutig, denn der Finne begann Legos Sattelgurt zu locker und die Steigbügel hochzuschlagen.
      “Na, dann komm Lina, bevor dein Pony noch einschläft”, lachte er schließlich und setzte den großen Rappen in Bewegung. Divine hatte tatsächlich die dunklen Augen geschlossen und döste erschöpft. Auf das leichte zupfen am Zügel, reagierte er nicht. Erst als ich ihn ansprach, hob sich der Kopf und die helle Statur erwachte langsam wieder zum Leben. Wäre es nach dem Hengst gegangen, hätte ich ihn wohl auch einfach an Ort und Stelle stehen lassen können.
      “Du sahst wundervoll aus mit Ivy. Du solltest ihn öfter vor Publikum zeigen ”, lächelte Niklas, der von seinem Platz aus hinzukam. Geschmeichelt lächelte ich, verspürte doch eine leichte Unsicherheit, ob der kräftige Warmblüter tatsächlich so ansehnlich war.
      „Das sagtest du jetzt nicht nur, weil du mein Freund bist?“, brachte ich meinen Zweifel zum Ausdruck. Immerhin war Ivy ein kleiner Trampel, was er auch sogleich bewies, indem sein Huf in der Bewegung unangenehm mit meinem Knöchel kollidierte. Ein leichter Schmerz schoss wie ein Blitz durch den Knochen und ließ mich leise fluchen.
      “Alles in Ordnung?“, fragte Niklas, von den mehr als eindeutig ausfälligen Worten in Besorgnis versetzt.
      „Ja“, presste ich zwischen den Zähnen hervor, „geht schon wieder.“ Ebenso schnell, wie es gekommen war, ebbte das Stechen ab, ließ nur ein schwaches Pochen zurück. Das würde, trotz der dicken Winterstiefel, ein hübsches Andenken geben. Leicht lädiert setzte ich die letzten Meter zum Putzplatz fort, wobei Ivy ein wenig besser darauf achtete, was seine Füße taten.
      „Du bist dir sicher, dass ich mir den Fuß nicht anschauen soll?“, hakte mein Freund nach und nahm, noch bevor ich überhaupt die Gelegenheit dazu hatte, den Sattel von Divines Rücken und hängte ihn auf einen der Halter.
      “Ja, ich werde es knapp überleben”, nickte ich und löste das Leder vom Kopf des Pferdes.
      “Da habe ich aber Glück gehabt”, schmunzelte Niklas und legte seine Hände an meine Taille. Unter seiner zärtlichen Geste verdichte sich der wabernde Nebel in meinem Inneren und verdeckte all die Sorgen, die wie kleinen Dämonen mit ihren glühenden Augen am Rande lauerten.
      “Und ich kann mich glücklich schätzen, dass du mir jetzt sicher verraten willst, ob du das ernst meintest, was du eben über Ivy sagtest”, blickte ich ihn fragend an. Meine Hände machten sich derweil selbstständig auf den Weg über seine Brust, die er mal wieder mit kaum mehr verhüllte als mit einem Shirt und einer leichten Jacke darüber.
      “Natürlich, Engelchen”, sprach er und zog mich noch ein Stück weiter an ihn heran, “Von dem, was ich bisher gesehen habe, schätze ich dein Kleiner bringt L bis M Potenzial mit, vielleicht auch mehr. Und was dich angeht, du solltest dich öfter aus deiner Komfortzone hervorwagen und der Welt deine Fähigkeiten zeigen. Versteckt dich nicht, nur weil dir keiner deine Fähigkeiten auf einem Blatt Papier bescheinigt hat.” Es erfüllte mich mit Stolz, wie er über mein Pferd sprach, auch wenn ich kein Stück weit zu seiner Veranlagung beigetragen hatte. Noch viel mehr wurde mein Herz erwärmt von seinen letzten Worten. Nur selten sprach jemand so deutlich aus, dass er an mich glaubte.
      “Du meinst also, ich sollte auf Turnieren reiten?”, blickte ich fragend zu ihm hoch.
      “Oder du musst mehr Weihnachtsfeiern organisieren”, feixte er und ein Funkeln trat in seine strahlenden Augen.
      “Hör auf mich auf den Arm nehmen zu wollen“, beschwerte ich mich und wollte ihn von mir schieben, doch das ließ ihn unbeeindruckt. Stattdessen grinste er frech, beteuerte seine Unschuld und machte nicht mal Anstalten seinen Griff zu lockern.
      “Ich will euch zwei Schnukis ja nicht den Spaß verderben, aber Lina, dein Pferd hat noch Bandagen daran und sicherlich möchte er auch die Zöpfchen loswerden”, unterbrach Samu just in dem Augenblick. Meine Augen schielten zu Lego, der brummelte und die Nase bereits nach den Plastikschüsseln in den Händen des Finnen ausgestreckte. Bandagen trug der Rappe nicht mehr, aber bezüglich der Frisur war er auch noch nicht weiter. Allerdings zeugte die Schere, die aus seiner Gesäßtasche ragte, davon, dass er das nun ändern wollte. Beiden Hengste stellte er eine Schüssel mit Futter vor die Nase, die auch augenblicklich inspiziert wurde.
      “Na gut, seist du freigesprochen”, säuselte ich an meinem Freund gewandt, “aber nur weil das Einhörnchen ins Bett möchte.”

      Etwas später in der Hütte

      Der Moment, wenn man die Dusche ausstellte und die vergleichsweise kühle Luft einem über die Haut strich, war ausnahmslos der unangenehmste Teil dieses Prozesses. So ergriff ich unverzüglich eines der Handtücher von der Halterung neben der Dusche und hüllte meinem Körper in den weichen Stoff. Angenehm warm empfing der Boden meine Füße und ich tapste hinüber zu dem beschlagenem Spiegel, griff nach der Bürste und begann das wirr war auf meinem Kopf zu ordnen.
      “Ich dachte, du wirst da drinnen noch zum Fisch”, feixte Niklas, als ich zwanzig Minuten später die Tür zum Wohnzimmer öffnete. Seine Worte wurden begleitet von einem gleichmäßigen Klackern, was ich im ersten Moment nicht ganz einzuordnen wusste.
      “Ein Fisch in der Dusche? Das wäre aber unpraktisch, ist doch viel zu wenig Wasser drin”, lachte ich und trat um die Ecke herum. Der Herr stand an der kleinen Küchenzeile und schnippelte geschäftig etwas.
      “Dann ist es ja gut, dass du dich nicht verwandelt hast”, grinste er, zerschnippelte weiter die Tomaten auf seinem Schneidebrett. In einer Pfanne auf dem Herd brutzelte bereits etwas vor sich hin, was ich als Omelett identifizierte. Ungeduldig, wie ich war, wollte etwas von dem Gemüse aus der Schüssel stibitzen, da hatte er schon mein Handgelenk umfasst. Warum musste er denn auch so hervorragende Reflexe haben?
      “Nicht so ungeduldig, Madame, hier wird nichts geklaut”, mahnte er mich.
      “Aber das sieht so lecker aus”, jammerte ich und befreite meinen Arm aus seinem Griff, ” und ich habe Hunger.”
      “Es ist doch gleich fertig, Engelchen”, schmunzelte er vollkommen ungerührt von meinem Einwand. Stattdessen widmete er sich seiner Pfanne, wendete den Inhalt und holte schließlich sogar ein weiteres der metallen Behälter aus dem Schrank.
      “Ich hoffe doch stark, mit gleich meinst du nicht erst in zwanzig Minuten, denn bis dahin bin ich bestimmt verhungert”, hielt ich ihm vor, verzog mich aber dennoch auf die Couch. Huch, was war denn das dort? Auf dem kleinen Tischchen, neben dem Sitzmöbel, stand ein rechteckiger Karton, sorgfältig eingeschlagen in blaues Geschenkpapier, welches mit bunten Sternchen und kleinen Einhörnern mit grüner Mähne bedruckt war. Doch das Auffälligste daran war die große pinke Schleife, die obendrauf thronte. Neugierig inspizierte ich das Geschenk. In der linken oberen Ecke klebte ein kleines Schild, worauf unverkennbar in Vriskas Handschrift mein Name stand. Aber wie war es hier nur plötzlich hingekommen? Auf dem Weg ins Bad war ich dort, doch bereits vorbeigekommen und ich hätte schwören können, es wäre noch nicht dort gewesen.
      “Schatz, stand das hier schon die ganz Zeit?”, fragte ich voller Verwunderung meinen Freund.
      “Ja, hast du es vorhin nicht bemerkt?”, stellte er eine eher rhetorische Gegenfrage und widmete sich wieder dem Herd. Den Indizien nach konnte der Karton nur von meiner Mitbewohnerin stammen. Mit Neugierde, die weiterhin anstieg, kamen allerdings auch die Gefühle wieder hervor, die an den Rand gedrängt worden waren. Unentschlossen starrte ich das Päckchen an. Angesicht der Lage konnte ich nicht einordnen, ob dies ein Geschenk aus Höflichkeit sei oder ob eine ernsthafte Motivation dahintersteckte. Ebenso war die Gefühlslage Vriska betreffend noch immer ungeklärt. Mir fielen ungefähr ähnlich viel pro wie kontra Argumente ein, doch letzten Endes siegte die Neugierde. Wissbegierig hob ich den Karton an und schüttelte leicht. Kein Mucks drang daraus, auch war er von geringem Gewicht, was dafürsprach, dass sich etwas Weiches darin befinden musste. Zaghaft zupfte ich am Ende der Schleife, die sich daraufhin löste und auseinander glitt. Sorgsam löste ich den Klebefilm an den Seiten, wickelte den Karton aus. Heller, blau-grauer Stoff kam unter der Pappe zum Vorschein. Eingefasst war die Schabracke in einem zarten Grün, doch der wirkliche Hingucker, war der Aufdruck. Im rechten Drittel prangte ein stilisiertes weißes Einhorn mit einem Regenbogen, als Hula-Hoop-Reifen. Neben der Schabracke lag auch eine kleine Karte in dem Karton. Neben ein paar freundlichen Weihnachtsgrüßen waren nur wenige Worte darauf geschrieben, aber aus diesen konnte ich entnehmen, dass die Schabracke ein wahres Unikat war. Beeindruckt strich ich über den gesteppten Stoff, dass Vriska Trensen bastelte, war mir bereits bekannt, aber dass sie ebenso wunderschöne Schabracken zustande brachte, war etwas Neues. Sie hatte wahrhaftig ein Talent für das Gestalten und herstellen solcher Dinge. Es war ein wundervolles Geschenk, doch es änderte nur geringfügig etwas an meine Gefühlslage. Samu sagte bereits, dass es wohl eine Weile benötige, bis die negative Assoziation verschwinden würde. Doch im gleichen Zug ermutigte er mich dazu, Vriska die Chance zu lassen, zu zeigen, dass dies Vergangenheit war und bleiben würde. Glücklicherweise akzeptierte sie, dass ich vorübergehend etwas Freiraum benötigte und verschwand zu Lars.
      “Lina, kommst du, Essen ist fertig”, forderte mich Niklas auf und stellte zwei Teller auf den Tisch. Ich ließ den Deckel wieder auf die Schachtel sinken und lief hinüber zum Esstisch.
      “Das sieht wie immer hervorragend aus”, sprach ich ein Lob aus und nahm den bunten Teller genauer in Augenschein. Auf einem Omelett breite sich eine Vielfalt an Gemüse aus, mit einigen leicht angeschmolzenen Stücken Feta durchmischt.
      “Von wem war nun das wundersame Päckchen?”, fragte mein Freund interessiert nach.
      “Vriska, eine Schabracke”, antworte ich nur knapp. Dies war kein Thema, was ich heute weiter ausweiten wollte. Er nickte nur und steckte sich einen großen Bissen in den Mund. Ich tat es ihm gleich, verbrannte mir beinahe die Zunge an einer heißen Tomate, aber abgesehen davon, schmeckte es so lecker, wie es aussah.
      “Anderes Thema”, fing ich an, “wie ist dein wundersamer Hengst, ist er auch so temperamentvoll wie Smoothie?” Es interessierte mich ernsthaft, ob die Andersartigkeit in den Genen lag oder womöglich doch etwas war, was ein Alleinstellungsmerkmal der Schimmelstute war.
      “Ähnlich auf jeden Fall, aber ziemlich verzogen”, umschrieb ihn knapp. Ein wenig mehr Informationen hatte ich mir schon erhofft, aber offensichtlich war es kein Gesprächsthema, welches ihm recht war.
      “Klingt nach einer Herausforderung”, lächelte ich freundlich, hielt mich aber mit weiteren Fragen zurück. Der weitere Verlauf des Gespräches handelte eher von alltäglichen Dingen, wie beispielsweise, dass Caja mich früher oder später noch in den Wahnsinn trieb. Mal hatte die ängstliche Stute einen guten Tag und machte riesige Fortschritte und dann folgten meist viele Tage, in denen das Training rückläufig war. So hatte ich aufgehört, die blauen Flecken zu zählen, wenn sie mit ihren Zähnen mal wieder schneller war als ich.
      Nach Beendigung der Mahlzeit sammelte ich das Geschirr ein, brachte es direkt zur Spüle und ließ sogar Wasser hinein. Schließlich konnte ich nicht immer so ein Chaos wie am geistigen Abend hinterlassen. Niklas war dabei nur wenig hilfreich, denn anstatt abzutrocknen begnügte er sich damit mich zu beobachten.
      “Wartest du noch auf eine schriftliche Einladung?”, versuchte ich es mit einer letzten Aufforderung, die allerdings eher wirkungslos schien.
      “Nein”, grinste er verschmitzt und trat heran, um mir die Arme um den Körper zu schlingen, “eher auf den Nachtisch.” Zärtlich strichen seine Hände über meinen Körper, erweckten das schlummernde Feuer in meinem Inneren.
      “Nicht so eilig”, sprach ich bestimmt und löste seine Hände von mir, “ich habe vorher noch etwas anderes für dich.” Interessiert blickte er mich an: “Wirklich, was denn?”
      “Na, wir haben Weihnachten. Hast du das schon vergessen?”, scherzte ich und lief zu meinem Zimmer.
      “Natürlich nicht”, hörte ich Niklas noch sagen, bevor ich in den Raum trat. Zielstrebig lief ich zu dem Regal, wo ich den Umschlag hinter ein paar Bücher versteckt hatte und holte selbigen hervor. Golden schimmerten die Verzierungen, mit denen ich zumindest versucht hatte, den eher weniger hübschen Umschlag ansehnlich zu gestalten. Mit einem breiten Grinsen kehrte ich ins Wohnzimmer zurück, wo Niklas es sich auf der Couch bequem gemacht hatte. Ich tat es ihm gleich und überreichte ihm den Umschlag erfreut: “Frohe Weihnachten, Niklas.” Begierig beobachtete ich, wie er den Umschlag geschickt öffnete und einen ersten Blick hineinwarf.
      “Was genau soll ich mit einem Haufen Papier?”, fragte er irritiert und zog die Blätter hervor.
      “Das ist nicht nur Papier”, begann ich zu erklären, “Das ist die Einwilligungserklärung und die nötigen Informationen zu einer Studie zu einer neuartigen, aber sehr Erfolg versprechenden Therapiemethode bei belastungsbedingter Arthrose und Spat. Du müsstest nur noch unterschreiben und dann könnte Smoothie ein Teil der Studie sein, sie ist eine perfekte Kandidatin.”

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 61.743 Zeichen
      zeitliche Einordnung {25. Dezember 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugofem | 11. August 2022

      Satz des Pythagoras / Jokarie / Pay My Netflix / Maxou / Ready for Life / Northumbria
      Ours de Peluche LDS / Spök von Atomic / Nachtzug nach Stokkholm LDS / Mondlandung LDS / Kría von Atomic / Yumyulakk LDS / Heldentum LDS / Halldór von Atomic / Anthrax Survivor LDS / Liv efter Detta LDS / CHH’ Death Sentence / Kempa


      Lina
      So gut wie heute hatte sich die Schimmelstute vermutlich noch nie unter mir bewegt. Sie lief locker, kaute zufrieden auf dem Metall in ihrem Maul und selbst die Gespenster, die häufig für unvorhersehbare Hopser sorgten, schien heute vollkommen unsichtbar. Warum diese Einheit dennoch so ziemlich alles von mir forderte, war ausnahmsweise nicht Smoothies Kreativität, sondern viel mehr der kritische Blick meines Freundes. Konzentriert auf die Lektion galoppierte ich den Schimmel auf einer großen Kreislinie. Drei, zwei, ein Sprung und … Smoothie sprang bereits um. Natürlich blieb dabei nicht unbemerkt, dass die erfahrene Stute, den Wechsel vorwegnahm, bevor ich überhaupt die Hilfe gab.
      “Noch einmal und diesmal bestimmst du den Wechsel, nicht das Pferd”, schallte Niklas Anweisung durch die Halle, die ich nur nickend zur Kenntnis nahm. Den Wechselpunkt fest im Blick versuchte ich die Bewegung der Stute bewusst wahrzunehmen, um den vorherigen Fehler zu vermeiden. Diesmal sprang Smoothie den Wechsel tatsächlich erst auf meine Hilfen hin, wenn auch nicht so schön wie den vorherigen. Zwei weitere Wiederholungen wurden verlangt, dann war der Herr für heute endlich zufriedengestellt. Wo die Stute gerade so wirkte, als würde sie noch eine ganze Weile so fortfahren könne, war meine Energie erschöpft. Langsam ließ ich Smoothie die Zügel aus der Hand kauen, während sie locker vorwärts trabte. Runde um Runde streckte die Stute den Kopf tiefer zum Sand hin, schnaubte ab, bis ich schließlich zum Schritt parierte.
      “Lina, schau mal, was hältst du davon”, kam Niklas aus der Ecke herangelaufen, wo er es sich bisweilen gemütlich gemacht hatte und hielt mir sein Handy vor die Nase.
      “Du hast es aber eilig mit dem neu einrichten”, schmunzelte ich und betrachte den Inhalt des Bildschirmes genauer, auf denen sich mir offenbar Einrichtungsideen eröffneten.
      “Klar, ich möchte, dass wir es hübsch haben, wenn wir jetzt endlich allein sind”, sprach Niklas, beinahe, als sei Vriska ein lästiges Insekt gewesen, was es loszuwerden galt. So wirklich verstand ich noch immer nicht, weswegen seine Aversion derartig ausgeprägt war. Doch imstande, etwas daran zu verändern, war ich nicht. Als Lars darum bat, ob ich sie beide auf die Bahn begleitete, weil Vriska Unterstützung gebrauchen könnte, hatte ich ziemlich mit mir gerungen. Noch immer verspürte ich ein unangenehmes Drücken in der Brust, weil mein Kopf unwillkürlich negative Bilder mit ihrem Erscheinen verknüpfte, die nur sehr langsam verblassen wollten. Hinzukam, dass Orte mit angeschirrten Pferden nur bedingt zu meinen Lieblingsorten zählten. Die Traber mit ihrer bunten Ausrüstung lagen noch recht weit von meinem persönlichen Albtraum entfernt, erinnerten mich aber dennoch an die Dinge, die ich einst unwiederbringlich verlor. Zudem mochte ich mir nicht ausmalen, welche Gefahren die unheimlich hohe Geschwindigkeit in Kombination mit nervösen Pferden wohl mit sich bringen mochten. Warum ich dennoch mitging? In der Art und Weise, wie Lars um den Gefallen bat, wurde mir klar, dass es nicht einfach um Hilfe mit den Pferden ging, sondern dass er um meine Unterstützung als Freundin fragte. Das könnte nur heißen, dass es Vriska nicht wirklich gut ging. Ich konnte nachvollziehen, dass es für sie belastend sein musste, gerade erst wieder angekommen zu sein und dann solch eine Abweisung zu erfahren. Auch mir fehlten die täglichen Interaktionen mit ihr, so wollte ich zumindest versuchen über die Bilder, die mir klebrig und zäh wie Baumharz im Gedächtnis klebten hinwegzusehen.
      “Und, was sagst du jetzt dazu?”, erinnerte mich Niklas daran, dass er immer noch auf eine Antwort wartete.
      “Es ist ziemlich schlicht”, äußerte ich diplomatisch. Was ich sah, war ästhetischen ansprechend, aber ziemlich unpersönlich und minimalistisch.
      “Also dir gefällt es nicht?”, schlussfolgerte mein Freund aus der eher Verhalten Reaktion und nahm sein Mobilgerät wieder an sich.
      “Na ja, schon, aber es könnte alles ein wenig wohnlicher sein. Aber können wir uns damit nicht später befassen?”, bat ich ihn erst einmal in Ruhe seine Stute abzureiten und wegzubringen.
      “Natürlich, mein Engel”, gab er nach und steckte das Handy weg. Stattdessen holte er ein Leckerli auf der Tasche und steckte es Smoothie zwischen die Lippen. Genüsslich kauend trotte die Stute neben ihrem Herrchen her, stupste ihn immer mal wieder spielerisch an mit dem Ziel eine Reaktion zu erhalten. Bereits seit einigen Wochen beobachtete ich, dass die Schimmelstute deutlich ausgeglichener war. Selbst mir gegenüber war sie weniger unwirsch, was ziemlich sicher mit Niklas vermehrter Anwesenheit zusammenhing. Was ein Glück, dass dies nun ein dauerhafter Zustand sein würde.
      “Ich wette morgen wird mir alles wehtun, aber allein das Reitgefühl heute war es wert”, grinste ich zufrieden, als ich zwanzig Minuten später aus dem Sattel glitt. Bereits jetzt spürte ich die leichte Verhärtung in meinen Muskeln, die den Muskelkater nahezu ankündigten.
      “Schön, dass es dir offensichtlich Spaß gemacht hat”, sprach mein Freund und nahm mir die Zügel seiner Stute aus der Hand, “Das kannst du öfter haben, wenn du nicht gleich alles vergiss und schön weiterübst.”
      “Ob ich mir das alles bis nächstes Jahr behalten kann?”, scherzte ich munter, “Ich weiß ja nicht.” Während Niki, bereits damit begann die Stute vom Sattelzeug zu befreien, lief ich fröhlich vor mich hingrinsend, direkt in die Futterkammer. Mit wenigen schwungvollen Bewegungen war die Schüssel mit gut duftendem Hafer befüllt und zurück zu dem Pferd getragen. Kaum hatte die Schüssel den Boden berührt und das Standardbred verdient seine Schnauze darin versenkt, vibrierte es an meinem Oberschenkel. Kaum hervorgezogen, leuchtete der Bildschirm auch schon mit einigen Benachrichtigungen auf. Zu Oberst leuchtet Instagram, welches mir mitteilen wollte, dass nach wie vor meinen Notifikationen explodierten. Aus mir nicht ganz erklärlichen Gründen löste das bisher erste und einzige Reitvideo von dem kleinen Weihnachtsauftritt eine wahre Lawine an Likes und Kommentaren aus, deren Inhalt ich allerdings nicht näher betrachtet hatte. Zu groß war, meine Sorge, weniger erfreuliche Worte darin zu entdecken. Das soziale Netzwerk weiterhin ignorierend, öffnete ich stattdessen die Nachricht von Mateo, die ebenso dort aufleuchtete.
      “Hast du Karie schon bewegt?”, war alles, was dort zu lesen war. Verwundert zog ich die Augenbrauen. Für gewöhnlich war es nicht die Art des Schweizer mit der Tür direkt ins Haus zufallen. Zudem hatte er gestern erst angekündigt, dass er heute wiederkommen wollte, also warum fragte er dann nicht einfach, wenn er da war?
      “Nein, habe heute Morgen nur nach dem Rechten gesehen. Sah happy aus, dein Pony”, tippte eine schnelle Antwort. Kaum war die Nachricht versendet, sprangen die Haken hervor und änderten ihre Farbe.
      “Perfekt <3”, war alles, was darauffolgte und prompt, war er wieder Offline. Normal war dieses Verhalten nicht. Untypisch war nicht nur die Wortwahl, sondern auch die Nutzung des leuchtenden roten Herzens. Hatte er sich plötzlich eine neue Persönlichkeit zugelegt oder was stimmte nicht mit ihm nicht? Wenn er später kam, sollte ich diesem Mysterium auf den Grund gehen.

      Zur gleichen Zeit, einige Meter weiter

      Vriska
      Über tausend Ecken hatte ich erfahren, dass ich selbst von meiner Familie zurückgelassen wurde. Sie fuhren nach Stockholm, um den Jahreswechsel zu erleben. Der Schmerz saß tief, zwischen all den anderen Päckchen, die ich mit mir trug und verdrängte. Ich war immer außen vor, egal, was mich betraf. Vermutlich hatte keiner überhaupt einen Gedanken verschwendet, ob ich mitkommen wollte. Das Gespräch konnte ich mir förmlich schon vorstellen, wenn ich Mama sagen würde, dass ich es nicht nett fand. „Du kommst doch nie mit“, wäre ich ihre Standardantwort und dann verlässt sie den Raum. Somit konnte ich es mir sparen, überhaupt was zu sagen.
      Seit Stunden saß ich allein in der Küche, goss mir ein Glas Wein nach dem anderen ein und versuchte im Internet einen Ausgleich zu finden. Aber ich kam in ein Rabbit Hole, das mich minütlich in tiefere Ebenen zog. Zufällig wurde mir Moa auf Instagram empfohlen und ich sah hunderte Bilder mit Erik, auch aus Zeiten, als wir miteinander gingen. Anhand des Datums identifizierte ich auch, dass es Tage waren, an denen er ‚wegen des Studiums‘ nicht herkommen konnte. Schön wäre gewesen, wenn ich nicht noch mehr entdeckte hätte, wie, dass er einen Account hatte, diesen mir aber bis heute verschwieg. Nein, er hatte mich sogar blockiert. Mit zittrigen Fingern tippte ich durch seine Beiträge über einen anderen Account von mir, den ich mal mit Jenni erstellt hatte. Es schien, als hätte ich nie existiert, aber den Eindruck vermittelte mir jeder im Umfeld. Anstatt es hinzunehmen, trank ich einen kräftigen Schluck und holte mein Handy von der Couch. Keine einzige Nachricht leuchtete mich an, aber ich wusste es zu ändern. Im Chat prangerte noch immer seine Bitte auf Abstand. Aber ich machte mir nichts daraus, stattdessen fotografierte ich kommentarlos sein Profil ab und sendete es ihm. Kaum wurde aus einem Haken, ein Zweiter änderte sich ‘online’ auf ‘schreibt’.
      „Du hast nie danach gefragt“, kam es als Antwort. Damit hatte er recht. Ich wusste nicht, was nicht erwarten würde, andererseits schätzte ich ihn nicht als so eine Person ein, die auf Instagram Bilder veröffentlichte. Aber dem war nicht so, stattdessen waren es sehr viele, teils freizügig. Seltsam, wenn ich bedachte, dass er beim Schwimmen nicht einmal, sein Hemd ausziehen wollte.
      „Du hast mich blockiert“, antwortete ich.
      „Ja“, leuchtete sofort auf. Mir fehlten die Worte hierfür. Also schloss ich den Chat nur und schaltete das Handy auf Bitte nicht stören. Es verstummte, obwohl es zuvor kaum mehr von sich gab. Zumindest gab es mir auf diese Weise die Möglichkeit, ein Gefühl von Kontrolle zu erfahren. Erik schien die Angelegenheit wichtig, denn auf meinem Laptop leuchtete eine Nachricht von ihm auf, aber unter seinem Pseudonym, dass ich aus nicht erkenntlichen Gründen, noch in meinen Kontakten aufführte.
      „Deine Berührungen fehlen mir“, schrieb er. Misstrauisch beäugte ich seine Nachricht und war mir nicht sicher, worauf er hinauswollte. Mit Abstand hatte das wenig zu tun, deshalb ignorierte ich es und schloss das Rabbit Hole, genauer gesagt alle vierzehn Tabs, die ich mittlerweile angesammelte hatte. Unter seinen Zweitnamen, wie ich im Laufe der Recherche herausfand, eröffnete sich eine ganz andere Person vor mir. Erik hatte mir Dinge nicht nur einfach verschwiegen, sondern gelogen. Mehrfach. Ich stieß auf Bilder aus jüngeren Jahren, Geschichten aus der Zeitung und es mutete eher so an, als wäre er in einem glücklichen Familienbild aufgewachsen. Kein Übergewicht, nur ein Autounfall mit achtzehn Jahren. Er hatte ein Fahrzeug auf einem Parkplatz geklaut und sich damit um eine Laterne gewickelt. Selbst dazu fand ich Bilder, die mir ein elendiges Drücken im Magen auslösten. Aber damit sollte Schluss sein. Nur noch ein Tab lag offen vor mir und das war Niklas’ Instagram Profil, auf dem er sich mittlerweile mit eiserner Brust und Lina an der Seite präsentierte. Die Beiden sahen glücklich aus, mit den zwei hellen Pferden neben sich. Davon bekam ich jedoch nur noch wenig mit. Seine Aktion, immer weiter einen Keil zwischen uns zu treiben, gipfelte nun in seiner bereits angesprochen Drohung, dass ich ausziehen müsse. Gestern aus heiterem Himmel kam Lina her, erzählte von seinen Plänen und sagte dazu: “Es wäre doch für uns alle nicht ganz angenehm.” Nickend und mit einem aufgesetzten Lächeln nahm ich es hin. Eine Diskussion würde nichts nutzen, zu dem wirkte sie so glücklich über seinen Einzug, dass ich ihr die Freude nicht nehmen wollte. Damit verzichtete ich auf meine Bedürfnisse, aber die verloren ohnehin an Wert.
      Noch einen prüfenden Blick erhaschte ich auf Niklas‘ straffen Oberkörper, bevor auch dieses Tab in der Versenkung landete. Seufzend lehnte ich mich zurück in den knarrenden Stuhl und klammerte mich fest an dem Weinglas, das beinah leer war. Unter dem Tisch erwachte der Rüde zu leben. Langsam hob er den Kopf und schaute mich mit müden Augen an, schlappte dabei mit der Zunge seine Nase. Vermutlich wollte Dog seine Abendrunde. Mir fehlte leider die Motivation, weshalb er noch eine Stunde warten musste, bevor er seine Nase in den Schnee stecken konnte. In der Zwischenzeit packte ich das Worddokument aus, das als meine aktuell einzige Ablenkung herhielt. Nach meiner Recherche fühlte es sich an, als wäre alles für den Mülleimer. Nichts daran stimmte mehr, noch schlimmer, brachte mir den sehnsüchtigen Wunsch nach Erik zurück. Trotz all des Schmerzes vermisste ich ihn fürchterlich und selbst Lars, der je her weitere Annäherungsversuche in Kauf nahm, änderte nichts daran. Nur ein Gedanke verdrängte diese Gefühle – Der Herr von Rennbahn, der eigentliche Grund, weshalb ich das Laptop gestartet hatte. Ich hatte einen Namen, sowie den seines Hengstes, damit würde ich weit kommen, dachte für einen Augenblick, bis die Suchmaschine mir gegenteiliges bewies. Augenscheinlich war er ein unbeschriebenes Blatt und Netflix ebenfalls. Mit den Erfahrungen, die bei Erik gesammelt hatte, wurde ich suspekt. Was verheimlichte er?
      Bevor ich der Sache auf den Grund gehen konnte, meldete sich Dog zu Wort und legte seine Vorderpfoten auf meinen Beinen ab. Die kastanienbraunen Augen leuchteten im warmen Licht der Deckenlampen und drückten das Weiß nach oben.
      „Lass uns herausgehen“, schlug ihm vor und stand auf. Der Rüde rannte schwanzwedelnd zur Tür und sprang dabei immer wieder um meine Beine herum. Da ich erneut umgeben von Kisten war, hatte ich keinen Überblick in welcher mein Anzug lag, also schnappte ich mir Lars Thermohose und meine dicke Hofjacke, darunter mehrere Schichten aus Shirt und Pullover. Über den unordentlichen Zopf setzte ich eine Mütze und verließ letztlich die Hütte. Sofort drückte sich ein kalter Windzug in mein Gesicht. Doch den Hund schien das kalte Wetter nicht zu interessieren. Fröhlich sprang er von einem kleinen Schneehaufen zum nächsten.
      An den Weiden gab es so gut wie mein Licht, aber im Schein des Mondes erkannte ich die Facetten der Jungpferde. Neugierig treten die Hengste heran und musterten das seltsame kleine Wesen, dass seine Nase zu ihnen streckte. Besonders Halldór, ein vierjähriger Isländer Hengst, konnte es kaum abwarten, das Tier zu sehen. Mit einem lauten Quietschen setzte er nach vorn und verdrängte die anderen neben sich. Aber Dog wollte lieber weiter. Zusammen liefen wir den Weg zum Hof entlang, unter uns knarrte der Schnee und vereinzelte Flocken rieselten herunter. In den Ohren lagen das Schnauben der Pferde, aneinanderreibende Baumkronen und zwischendurch meine ich einen Uhu gehört zu haben. Wenn es nur nicht so kalt wäre, könnte es idyllisch sein.
      In der Reithalle leuchtete noch die komplette Deckenbeleuchtung. Durch die großen Glasfenster rauschten undeutliche Facetten vorbei, die aber auf Lina hinwiesen und vermutlich ihren Göttergattern.
      „Komm Dog, wir gehen hier lang“, wies ich den Rüden auf einen schmalen Weg entlang, der entlegen vom Hof zu den Wohnhäusern führte.
      „Hast du gar keinen Besuch?“, merkte Tyrell an, als wir bei ihm vorbeikamen. Er stand mit einer halb abgebrannten Zigarette auf der Terrasse und überblickte sein Schaffen.
      „Nein“, antwortete ich knapp, ohne Blickkontakt zu suchen.
      „Dann komm doch zu uns. Bruce ist da, Eve -“, bevor die Aufzählung beendete, unterbrach ihn.
      „Passt schon, ich habe zu tun“, grinste ich aufgesetzt.
      „Kartons mal wieder ausräumen?“
      „Jein, mein Buch“, erklärte ich kurz und damit endete das Gespräch. Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und verschwand ins Innere der Hütte, aus der tiefe Basstöne dröhnten. Allein der Musik wegen wollte ich nicht dabei sein, obwohl ich die letzten Jahre immer bei ihnen saß, konnte ich die Fassade nur schwer aufrechterhalten.
      Dog trocknete ich im Flur ab, bevor er wie von einer Tarantel gebissen ins Wohnzimmer hetzte und sich über die Couch drückte. Ich hatte mir in der Zeit das Handy genommen. Unter Avledning begrüßte mich noch eine weitere Nachricht: „Ein Wort und ich stehe vor deiner Tür.“
      Er bekam keins von mir, stattdessen verdrehte ich die Augen und wischte auf dem Homescreen herum, als eine weiße Eins in einem roten Kreis ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Eigentlich gar keine schlechte Idee, vielleicht wäre in der Nähe jemand, der heute noch Zeit hatte. Deswegen aktualisierte ich meinen Standardort auf Kalmar, den in Vadstenalund und Umgebung würde sicher niemand sein.
      Eine Weile wischte nach links, bis mich ein attraktives Bild gegrüßte und gerade dazu einlud, die Automatik zu stoppen. Niklas, 26 Jahre. Mit offenem Mund starrte ich auf den Bildschirm, versuchte mich zu irren, aber ihn konnte ich zwischen Tausenden erkennen. Der blaue Haken neben seinem Namen sprach ebenfalls Bände. Aus reiner Neugier drückte ich mich durch sein Profil und alles daran klang nach ihm, selbst Wagner als „Lieblingsmusiker“ abzugeben, würde nur ihm einfallen. Geplagt von Trauer und Verlust, drückte ich den Sperr- und Lauterbutton, um den Screenshot ohne weitere Nachrichten an Lina weiterzuleiten. Allein das gab mir Genugtuung für den Abend und ich lehnte mich in die Couch. In zwanzig Minuten war es so weit. Ein weiteres schreckliches Jahr würde sich in mein Leben schleichen, ohne etwas ändern. Ich würde älter werden, vielleicht eine neue Frisur haben und eine weitere hoffnungslose Bekanntschaft. Nichts Nennenswertes, wenn es mit dem Leben anderer verglich. Aber es sollte endlich was werden, also wischte Niklas nach rechts und schaute weiter. Immer mehr Nichtigkeiten eröffneten sich vor mir, bis wieder mein Finger stoppte. Dieses Mal musste ich mich zusammenreißen, nicht sofort nach rechts zu wischen und zu hoffen, dass er antworten würde. Ein Gefühl von drängender Lust schoss von einem zum anderen Augenblick durch meine Finger. Seine Hilfsbereitschaft hatte mir Geld beschert, dass ich für ein richtiges Turnierpferd gebrauchen konnte. Aber bevor ich zusammen hätte, wäre Maxou sicherlich so weit. Wie es mit der Stute weitergehen würde, wusste ich nicht. Schließlich teilte ich sie mir noch mit Erik, der vermutlich nicht mehr lange so gnädig mit mir sein würde. Zweifel kamen, doch als ich den Blick wieder zum Handy hinabsenkte, verflüchtigten sie sich, wie eine Mücke im Tornado. Interessiert öffnete ich sein Profil und verschlag all die mir gezeigten Inhalte. Er war genauso, wie ich ihn mir unter der Bedeckung vorgestellte hatte. Sein Gesicht zeichnete ein fröhliches und ehrliches Lächeln, mit kleinen Grübchen am Kinn. Der Bart stoppelig rasiert. Auf dem Bild trug er sogar Reit-Stiefeletten und neben dem Bier auf dem Tisch, lag ein Führstrick. Egal, wie schwer es werden würde, ich wollte ihn, auch wenn es verrückt klang.

      In der Reithalle

      Lina
      “Und ihr glaubt wirklich, dass das klappt?”, blickte ich zweifelhaft die Hindernisständer an, auf denen Mateo, gerade eine der bunten Stangen platzierte, “Ich bin seit Ewigkeiten nicht mehr gesprungen.” Die Stange lag nicht viel höher als dreißig Zentimeter und konnte somit locker mit einem normalen Galoppsprung überwunden werden, doch es bereitete mir dennoch ein mulmiges Gefühl. Zuletzt gesprungen war ich vor fünf Monaten mit Nathalie, auf die hundertprozentiger Verlass war. Die große Scheckstute sprang ausnahmslos jedes Hindernis, egal, wie schlecht man es anritt. Außer ein paar Minisprünge in meiner Jugend besaß ich auch kaum mehr Springerfahrung, als die mit Nathy.
      “Na, klar, klappt das. Es ist nur ein kleiner Hüpfer”, grinste Sam, die seit einigen Stunden auf das nächtliche Ereignis hinfieberte. Unerwartet war die junge Frau in meinem Wohnzimmer aufgetaucht und hatte mir noch, bevor sie erklärte, wer sie war, eröffnet, dass ich für dieses Jahr noch ein letztes Mal aufs Pferd musste. Niklas hatte sie auch überzeugen wollen, doch auch oder ganz besonders in der Silvesternacht wurde nach Sicherheit verlangt, weshalb er leider arbeiten musste. Auch wenn ich meinen Freund lieber dabeigehabt hätte, verhießen Mateo und seine aufgeweckte Schwester eine nette Gesellschaft für den Jahreswechsel zu werden.
      “Lina, komm mal her zu mir”, sagte Mateo freundlich und winkte mich zu sich heran. Sanft drückte ich meiner Stute die Waden in den Bauch, worauf hin sie freudig zu ihm hertippelte.
      “Ich weiß, du bist mit deiner Stute noch nie gesprungen, aber ich habe euch schon bei der Dressur gesehen, ihr passt gut zusammen. Außerdem sagtes du doch, Redo ist nicht nur ein Lehrpferd, sondern eines, welches auch noch bei der Polizei war”, sprach er mir Mut zu, “Ich bin mir sicher deine Stute macht das mit links und wenn du gleich auch so gut im Sattel sitz wie sonst, schaffst du das hier auch.” Ein bestärkendes Lächeln lag auf seinen Lippen, bevor er noch etwas hinzufügte: “Aber ich werde dich nicht mit diesen Steigbügeln springen lassen.” Sanft löste er meinen Fuß aus dem Bügel und machte sich wie bei einem Anfänger an den Reimen zu schaffen, um diese gute fünf Löcher kürzer zu schnallen.
      “Ja, so ist besser”, stellte er zufrieden fest und stellte mein Fuß zurück, bevor er sich auch an der anderen Sache zu schaffen machte.
      “Um das Pferd sorge ich mich auch weniger, aber was ist, wenn ich alles vergessen habe? Wie man sitzt, wie man den Sprung anreitet, wie man richtig mitgeht …”, äußerte ich weitere Bedenken.
      “Erzähl nicht so einen Quatsch, Lina, so schnell vergisst man, dass alles nicht und falls doch, bin ich ja auch noch da. Du fällst mir nicht vom Pferd, dafür sorge ich schon”, schlug Mateo meine Argumente voller Überzeugung nieder und zurrte so gleich auch noch den Gurt der Stute enger. “Und jetzt zeigt Ihr erst einmal das Hindernis und dann kannst du mal in Schritt und Trab darüber.” Kurz drückte er in einer Geste der Ermutigung mein Bein, dann trat er zu Seite. Erstaunlicherweise fühlten sich seine Gegenwart unheimlich vertraut an, obwohl er gerade erst seit Mitte November zum Team gehörte.
      “Na gut”, nickte ich und trieb die Rappstute einige Schritte vor. Hoch interessiert schnupperte sie an dem glänzenden Plastik und befand es ziemlich schnell als ungefährlich. Verfressen wie sie war, stupste sie nun Mateo an und verlangte nach einem Leckerbissen. Dieser schüttelte nur lachend den Kopf, griff in den Zügel und führte die Stute über die Stange. Artig folgte Redo dem jungen Mann, hob dabei die Füße allerdings nicht viel höher als notwendig, wodurch bei jedem Schritt ein dumpfer Laut erklang.
      “Siehst du Lina, dein Pferdchen langweilt sich dabei sogar”, grinste Sam und trabte mit der Stute ihres Bruders locker vorbei. Die dunkle Fuchsstute bewies auch heute Nacht wieder einmal ihr Temperament und stellte die Sattelfestigkeit ihrer Reiterin mit dem ein oder anderen Bocksprung infrage.
      “Du hast jetzt noch ungefähr acht Minuten, dich und dein Pferd mit dem Hindernis vertraut zu machen”, stelle Mateo nach einem Blick auf sein Handy fest.
      “Na gut, dann wollen wir mal”, sprach ich mehr zu mir selbst und brachte die Stute in den Trab. Während Samantha geradewegs den Spring ansteuerte, drehte ich zwei Runden außen herum, um mich an die neue Bügellänge zu gewöhnen.
      “Lina, lass dein Knie dran, wir reiten jetzt keine Dressur mehr”, wurde ich sogleich korrigiert, “und gib Redo ein wenig mehr Zügel.” Seine Kritik umsetzend, ritt ich gerade auf die bunten Stangen zu. Aufmerksam gingen die Ohren meiner Stute nach vorn und sie überwand einwandfrei die niedrige Stange. Begeistert klopfte ich den Hals der Stute, dass sie es nicht nur brav, sondern auch noch motiviert machte, hatte ich es nicht erwartet, denn in der Dressur war sie häufig ein wenig maulig.
      “Sehr gut, er wäre nur noch besser, wenn der Rhythmus gleichmäßig bleibt”, kam so gleich ein Lob von Mateo. Die vergehenden Minuten überwand ich im Wechsel mit Sam noch ein paar weitere Male die Stangen, bis ihr Bruder die letzte Minute ankündigte. In der Zwischenzeit hatte er eine Flasche Sekt herbeigezaubert und reichte jedem von uns ein Glas mit der perlenden, goldgelben Flüssigkeit. Gebannt starrten wir zu dritt auf sein Handy, auf dem sich der Zeiger der Uhr der Null immer weiter annäherte. Fünf, vier, drei, zwei, eins …
      “Ein frohes neues Jahr”, kam es beinahe gleichzeitig aus unseren Mündern, worauf wir anstießen. Leicht säuerlich rann das Nass meine Kehle hinab und sammelte sich blinzelnd in meinem Bauch.
      “Lina, der Neujahrssprung gebührt dir, wenn du möchtest”, bot Samantha mir freundlich an und ritt mit Karie ein wenig zu Seite. Ein wenig nervös war ich schon, so nahm ich noch einen kräftigen Schluck aus dem Glas, bevor ich es Mateo reichte. Direkt aus dem Stand brachte ich meine Stute in den Galopp. Motiviert sprang sie an, fand bereits nach wenig Sprüngen ihren Rhythmus. Auf einem weiten Bogen steuerte ich die Stute auf das Hindernis zu. Wie schon zuvor im Trab richtet Redo die Ohren steil nach oben, hob auch den Kopf ein wenig an und setzte leichtfüßig über die Stange. Überschwänglich lobte ich die Stute und lenkte sie auf einen großen Zirkel um das Hindernis herum. Es schien fast so, als, sei die Stute für das Hüpfen gemacht.
      “Prima, das klappt doch ganz wunderbar”, grinste Mateo, “Willst du den nächsten Sprung ein wenig höher haben?”
      “Ja, bitte”, rief ich ihm begeistert zu. Wer hätte nur gedacht, dass das Rückbesinnen auf etwas Altes so einen guten Start in das neue Jahr darstellen würde. Mit wenigen Handgriffen hatte der Schweizer dem Hindernis eine weitere Stange hinzugefügt. Erneut steuerte ich den Sprung an. Mit großen Sprüngen näherten wir uns dem Ziel, was die Stute auch dieses Mal einwandfrei überwand.
      “Platz da, jetzt komme ich”, rief Sam durch die Halle, die Karie bereits auf dem Zirkel am anderen Ende der Halle galoppierte. Bereitwillig räumte ich den Weg und parierte Redo durch.
      Die Fuchsstute quietschte freudig und machte einen mächtigen Bocksprung, bevor sie sich von Samantha bändigen ließ. Wagemutig stürmten die beiden auf den Sprung zu, den Mateo nicht einmal zurückgebaut hatte. Natürlich überwand Karie, die sonst deutlich höhere Hindernisse überwand, den Sprung mit knapp sechzig Zentimeter mit Leichtigkeit.
      “Springt deine Schwester öfter?”, fragte ich neugierig. Sam machte nämlich eine hervorragende Figur auf der kräftigen Fuchsstute.
      “Mittlerweile nicht mehr”, verneinte Mateo und tätschelte nebenbei Redo den Hals.
      “Mittlerweile, warum springt sie nicht mehr?”, versuchte ich mehr Informationen zu gelangen. Für gewöhnlich war mein Kollege nicht besonders redselig, wenn es um ihn ging. So war etwa offensichtlich, dass Karie ihrem Anschein zu trotz, ein ausgezeichnetes Springpferd war, aber dass er sogar international mit ihr unterwegs war, fand ich eher zufällig heraus.
      “Ja, bevor sie hier nach Schweden zog”, erklärte er und legte seine Schwester die Stange ein wenig höher, “Ihre Stute hat es inzwischen allerdings in den Gelenken.”
      “Hat sie auch ein Freiberger, so wie du?”, interessierte ich mich weiterhin.
      Mateo lachte: “Sie hat, wie du weißt, sogar mehr als einen Freiberger, aber nein, NAME WIRD NOCH GESUCHT, ist ein Schweizer Warmblut, aus der Zucht meiner Eltern.”
      “Quatschen könnt, ihr später noch, ich will dich lieber hüpfen, sehen”, unterbrach Sam, das Gespräch und parkte die Fuchsstute neben uns.
      “Mateo, würdest du dann vielleicht”, noch bevor ich den Satz beendete, hatte er bereits verstanden und baute das Hindernis wieder niedriger. Auch wenn das Springen Spaß machte, wollte ich das Jahr doch nicht gleich mit einer Portion Selbstüberschätzung beginnen. Bis halb eins trieben wir das Spektakel, bevor wir die Pferde auf ihre Paddocks brachten. Müde, aber zufrieden verschwanden die beiden Stuten in der Dunkelheit und mischten sich unter ihre Herdenmitglieder.
      “Kommst du noch mit rein?”, fragte Sam, als wir schließlich bei den Hütten ankamen. Dafür dass es Silvester war, war es relativ ruhig auf dem Hof, was vermutlich an der Abwesenheit von Vriskas Familie liegen mochte. Aus der Tatsache, dass in ihrer Hütte noch Licht brannte, schloss ich, dass sie selbst offenbar zurückgelassen wurde. Sie tat mir leid, ihre Familie war weg, auch Lars, an den sie sich seit Weihnacht anschloss, war ausgeflogen. Hoffentlich hatte sie den Jahreswechsel, trotzdem nicht allein verbringen müssen.
      “Ja, ich würde nur schnell rüber etwas anders anziehen”, stimmte ich zu.
      “Perfekt, ich sorge schon einmal für Nachschub”, wedelte sie mit der leeren Sektflasche umher und verschwanden in ihrer Hütte.
      In Hochstimmung lief ich zu meiner eigenen Hütte. Im Vorbeigehen ergriff ich das Handy vom Couchtisch, welch ich dort zurückgelassen hatte. Auf dem Pferd hätte es mir ohnehin nichts genützt. Direkt begrüßt wurde ich von den Neujahrsgrüßen meiner Schwester, die dem verwischten Selfie nach zu urteilen, mit ihrem Freund in einem Club feierte. Samu hatte ebenfalls eine Nachricht hinterlassen, allerdings ohne Bild. Zielsicher griff ich eine Leggings aus dem Regal, doch der Pulli, den ich suchte, war nicht aufzufinden. Während ich wie ein blindes Huhn durch die gesamte Wohnung rannte, scrollte ich weiter durch meine Nachrichten und stieß dabei auf einen Chat, der in der vergangenen Woche wie eingefroren schien. Vriska hatte ein Bild gesendet, offensichtlich ein Screenshot, von einem Trabrennen. Im Zentrum des Bildes stehen, war ein Rappe zusehen, der in vollem Renntempo neben einem großen Braunen hertrabte. Sonst gab es keinerlei weitere Information dazu. Verwirrt starrte ich das Bild an, hatte ich etwas übersehen? Was wollte sie mir damit mitteilen? Vielleicht war es der Einfluss des Alkohols oder auch der, der körpereigenen Drogen, die noch immer durch meine Blutbahnen wallten, doch ich hielt es für eine grandiose Idee unmittelbar zu Vriska hinüberzugehen und nachzufragen. Die Suche nach dem Pullover gab ich auf, griff stattdessen, nach einem beliebigen und marschierte voller Tatendrang hinüber zu Vriska. Von meiner Mission überzeugt, klopfte ich an und wartete ungeduldig in der Kälte auf Einlass. Kaum löste sich meine Hand vom Holz, ertönte Gebell. Mit schlotterten die Knie, bis schließlich Dog verstummte und sich die Tür einen Spalt öffnete.
      „Was denn?“, murmelte Vriska, mit stark geröteten Augen und eher wankend auf den Beinen, denn sie klammerte sich am Holz. Der Hund drückte sich hindurch und sprang aufgeregt an mir herum.
      “Falls ich dich geweckt haben sollte, tut es mir leid, aber ich habe eine wichtige Frage”, verkündete ich direkt mein Anliegen, “Was willst du mir damit sagen?” Während ich sprach, hatte ich das Handy bereits eingeschaltet und drehte ihr den geöffneten Chat mit dem rätselhaften Bild hin. Sie wischte sich durchs rechte Auge.
      „Ich habe keine Brille auf“, sagte sie nur und ließ von der Tür ab. Sie lief in die Hütte hinein, was ich sogleich als Chance nutzte, der Kälte zu entfliehen. Dog folgte mir nicht. Auf den ersten Blick herrschte ein unkontrolliertes Chaos im Inneren. Überall standen halb geöffnete Kisten, während andere sich türmten. Auf dem Küchentisch stand einsam eine geleerte Weinflasche und neben dem geöffneten Laptop auf dem Wohnzimmertisch eine weitere. Sie suchte ihre Brille und ich erhaschte einen neugierigen Blick auf den Bildschirm. Es war ein Video geöffnet, betitelt mit einem Datum aus dem September, mittlerweile, letzten Jahres, einem Rennen in Kalmar. Ein weiteres Puzzleteil bot mir, das weiterhin rätselhaft blieb. Vriska kehrte zurück mit ihrer Brille und abermals streckte ich das Handy in ihre Richtung. Kaum zuckten ihre Augen über den Chat, färbten sich ihre Wagen rötlich.
      „Ähm, das war aus Versehen. Ich wollte dir was Anderes schicken, aber ist auch egal“, seufzte sie und wich dauerhaft meinem Blickkontakt aus. Erst jetzt registriere ich ihre Niedergeschlagenheit richtig. Sollte ich nachfragen oder war es vielleicht besser zu gehen und ihr ihren Frieden zu lassen? Nein, ganz sicher konnte ich nicht einfach zu Mateo und seiner Schwester hinübergehen und fröhlich sein, ohne wenigstens versucht zu haben, ob ihr zu helfen war.
      „Okay“, nickte ich zögerlich, „willst du mich aufklären, was dich betrübt … oder soll ich einfach wieder gehen?“
      „Wonach sieht das hier denn für dich aus? Dass ich einen spaßigen Abend hatte mit Menschen, die mich mögen? Dann ja, diesen hatte ich.“ Vriska rollte mit den Augen und stieg zurück auf die Couch, aber weggeschickt hatte sie mich nicht, überließ ausschließlich mir weitere Schritte. Ein unglaublich schlechtes Gewissen überkam mich, dass ich ihr in meiner Bewegtheit nicht einmal erklärt, weswegen ich mich so plötzlich distanzierte. Fair war das nicht.
      “Tut mir leid”, murmelte ich schuldbewusst und nestelte mit meinen Fingern unsicher an dem filigranen Metall an meinem Handgelenk herum.
      “Passt schon”, winkte sie ab, ohne sich zu mir zu wenden, “Außerdem wartet sicher dein Göttergatter.”
      “Nein, der ist arbeiten”, erklärte ich, obwohl es sie vermutlich gar nicht interessierte, doch etwas anders wusste ich nicht zu sagen. Vriska wirkte nicht wirklich so als sei meine Gegenwart weiterhin erwünscht, sodass ich mich schon zum Gehen wenden wollte.
      “Ist dann deine Frage beantwortet?”, kam sie auf mein ursprüngliches Anliegen zurück. Ganz desinteressiert war sie doch nicht, obwohl ihr Laptop einen Großteil der Aufmerksamkeit forderte.
      “Na ja, so halb”, überlegte ich, denn was hinter dem rätselhaften Bild steckte, wusste ich noch immer nicht, “Warum machst du Screenshots von Trabern, die ganz eindeutig nicht hier zum Hof gehören? Ist das Rennen nun deine neue Passion?”
      “Erkennst du das Pferd nicht?”, seufzte Vriska und stellte das Laptop zurück. Eindringlich betrachte ich das Bild auf dem Handy erneut, bis es mir langsam dämmerte: “Das Pferd von dem Rennen neulich? Wie hieß es noch mal … etwas mit Netflix?”
      „Pay My Netflix, genau“, ein Lächeln zuckte über ihre Lippen und schlagartig kam auch wieder Farbe in die helle Haut.
      “Und du stalkst das Pferd, weil … es so umwerfend ist?”, hakte ich weiter nach, denn mir fiel allmählich ein, dass Vriska auch an dem Renntag bereits, wie eine Motte vom Licht, von diesem Pferd und dem zugehörigen Jemand angezogen wurde.
      “Ja, genau. Das Pferd.” Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen, um das ungebändigte Grinsen zu verstecken. Doch längst hatte ich es bemerkt, dass auch mich ansteckte.
      “Erzähl mir mehr”, forderte ich angefixt, von ihrer plötzlichen Euphorie. Vriska nickte und stand auf, um aus dem Regal eine weitere Weinflasche zu holen. Auch meine Jacke nahm sie mir ab, bevor ein Glas für uns beide eingeschenkt wurde. Zur Überraschung begann es vor den Scheiben an zu schneien und als würde uns das Schicksal etwas sagen wollen, vibrierte ihr Handy und sie grinste noch spitzer.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 34.694 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Jahreswechsel 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugonio | 07. September 2022

      Maxou / Northumbria / Wunderkind / Moonwalker LDS / WHC’ Golden Duskk / Planetenfrost LDS / Global Vision / Satz des Pythagoras / Pay My Netflix / Osvominae / Just A Bear

      Lina
      Mit dröhnendem Schädel erwachte ich, als ein Vogel unmittelbar vor meinem Fenster sein schrilles Lied anstimmte. Mühsam öffnete ich die Augen, blinzelte in das Sonnenlicht, welches sich durch die Vorhänge zwängte. Gestern Abend mussten rege Mengen an Alkohol, denn alles in meinem Kopf war verschwommen, was den gestrigen Abend betraf und der Weg in mein Bett komplett verschwunden. Schwerfällig kugelte ich mich zur Seite und angelte mein Handy vom Nachttisch. Acht Uhr siebenundzwanzig leuchte auf dem Bildschirm. Darunter eine Benachrichtigung von der bekannten App mit dem Telefonhörer in der Sprechblase. Mein Freund hatte sich endlich auch mal bei mir gemeldet, teilte mit, dass er gegen zehn hier sein wollte. Ebenso entschuldigte er sich, dass er mir nicht antwortete, aber er habe ein wenig Abstand gebraucht. Wie ich Niklas Worte las, lichte sich der Dunst in meinem Kopf ein wenig. Relativ spät gestern Abend meldete er sich bei Vriska, erklärte sein absonderliches Verhalten ihr Gegenüber und erbat letztlich einen Rat von ihr. Einen solchen bekam er auch, allerdings wollte mein Kopf, die Worte, welche Nour auf mein Anraten schrieb, nicht freigeben.
      “Fuck”, murmelte ich, als mir dafür ganz andere Bilder in den Kopf kamen. Im Laufe des Abends hatte ich Mateos Annäherungsversuche nicht nur zugelassen, sondern war offenbar selbst offensiver geworden. Wäre Samu dabei gewesen, wäre spätestens das der Punkt gewesen, an dem er mir aus guten Gründen den Alkohol wegzunehmen pflegte. Hoffentlich hatte ich gestern nicht dummes getan. Verzweifelt versuchte ich den Dunst in meinem Kopf aufzulösen, doch das Einzige, was ich wahrnahm, war das schrille Gezwitscher von draußen. Warum mussten die Viecher denn so furchtbar laut sein.
      Langsam quälte ich mich aus dem Bett und tapste schnurstracks ins Badezimmer, wo ich zielsicher in den Medikamentenschrank griff. Aus dem Blister drückte ich eine der weißen Tabletten heraus, schluckte sie mir reichlich Wasser. Das sollte schnell gegen das Hämmern hinter meiner Stirn helfen. “Okay, Lina, denk nach”, murmelte ich zu meinem Spiegelbild und spritze mit etwas kaltes Wasser ins Gesicht, “Wenn du dich nicht erinnerst … “ Es dauerte wirklich lange, doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Mateo könnte meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Diese Erkenntnis ließ meinen inneren Drang zu erfahren, was gestern Abend passiert, wieder aufleben. Eilig lief ich zurück in mein Zimmer, um mir schnell etwas überzuwerfen. Gerade als ich aus der Tür getreten war, hörte ich bereits Schritte, die sich näherten.
      “Ah, das Dornröschen ist bereits erwacht. Guten Morgen”, grüßte der Schweizer freundlich, nach dem ich mich gerade auf die Suche machen wollte. Doch er war nicht allein, denn Vriska lief an seiner Seite.
      “Guten Morgen”, entgegnete ich ein wenig irritiert, was die beiden vor meine Haustür brachte,” Was führt euch zu mir?” Es konnte schließlich nicht möglich sein, dass sie meine Gedanken lesen konnten. Oder waren Vriskas Hexenkräfte doch so weitreichend?
      “Ich wollte sehen, ob du mittlerweile lebendig bist, nachdem du vorhin nicht wach zu bekommen warst”, erklärte Mateo.
      “Nicht wach zu bekommen?”, wiederholte ich seine Worte. Hieß das etwa, er hatte bei mir geschlafen? Warum erinnerte ich mich daran nicht? “Warum wolltest du mich überhaupt wecken?” Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, kam sie mir auch gleich ein wenig doof vor.
      “Schon mal auf die Uhr gesehen?”, lachte er, “Die Pferde hatten Hunger und die Prinzessen hätten eigentlich füttern sollen, aber lass uns doch erst einmal hereingehen, bevor du weiter unnötige Fragen stellst.” Mit diesen Worten schob er mich zurück in die Hütte und auch Vriska trotte hinterher und ließ sich direkt auf einen Stuhl fallen.
      “Hast du schon gefrühstückt?”, fragte Mateo und war einen Blick in den Kühlschrank, als fühle er sich hier ganz wie zu Hause. Ich verneinte, woraufhin er die Kaffeemaschine einschaltete und begann verschiedene Dinge zusammenzusuchen. Früchte, Haferflocken, Joghurt.
      “Möchtest du auch etwas essen, Vriska? Dann mache ich für dich etwas extra”, bot er ihr zuvorkommend an.
      „Lieb gemeint, aber nein“, schüttelte sie den Kopf, „habe genug an mir.“ Dabei deutete Vriska auf ihre Beine, die noch immer dünn wie Streichholz waren, kein Vergleich zu Mateos Muskulatur.
      “Rede doch nicht immer so einen Quatsch. Du vollkommen in Ordnung, wie du bist”, tadelte ich sie. Es war immer wieder besorgniserregend, wie hart sie über sich selbst urteilte, obwohl es nicht mal einen wirklichen Grund dafür gab.
      „Lars hat gesagt, dass ich zugenommen habe, deswegen lasse ich Frühstück wieder weg“, murmelte sie in sich gekehrt und seltsam abwesend. Schon als beide ankamen, wirkte sie eine wandelnde Leiche und hing ebenso im Holzstuhl mit einem Arm über der Lehne, ihren Kopf darauf abgelegt.
      “Hat Lars noch mehr doofe Sachen gesagt oder was ist los mit dir, Vriskalein?”, versuchte ich ihr einfühlsam auf den Zahn zu fühlen.
      „Als er wiederkam, bin ich ihm aus unerklärlichen Gründen um den Hals gefallen und dann… es ging alles so schnell. Ich fühle mich schuldig und dreckig, obwohl wir nur das Bett noch teilen“, seufzte sie niedergeschlagen. Beinahe wäre mir herausgerutscht, dass sie im Gegensatz zu mir wenigstens wusste, wie ihr Abend endete, doch das wäre hier nur wenig zielführend und ehrlich gesagt, schämte ich mich dafür.
      “Dafür brauchst du dich nicht schuldig dafür fühlen. Gefühle und Bedürfnisse sind nicht immer logisch und es ist ja nicht so als hättest du Lars dazu genötigt”, versuchte ich sie aufzumuntern.
      „Es ist wegen Basti!“, jämmerlich zitterte Vriskas Stimme, wie die eines alten Schlosshundes.
      “Ach Süße, der Mann weiß gerade einmal so, dass du existierst. Es ist demnach ein wenig früh, sich Gedanken darum zu machen, was er davon hält, dass du auch noch etwas mit einem anderen hast”, versuchte ich ihr näherzubringen, dass es keinerlei Grund für ihr Empfinden gab. Wenn sich hier jemand schlecht fühlen musste, war das wohl eher ich, schließlich hatte ich, trotz meiner Beziehung, meine Finger nicht unter Kontrolle. Ein unangenehmes Drücken entstand in meinem Bauch, wenn ich daran dachte, dass ich Niklas betrogen haben könnte.
      „Dennoch fühlt es wie Verrat an. Aber immerhin ihr beide seid vernünftig geblieben“, seicht legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Unsicher schielte ich zu Mateo hinüber, versuchte eine Reaktion abzulesen. Entweder hatte der Kerl ein verdammt gutes Pokerface oder es war wirklich nicht viel passiert, denn er schnippelte fröhlich sein Obst, unterbrach nur kurz, um Vriska eine aromatisch duftende Tasse hinzustellen. Die Option, dass er nicht zugehört hatte, schloss ich kategorisch aus, da man keine zwei Meter mitbekommen musste, was gesprochen wurde.
      “Ja, genau”, nickte ich und versuchte meine Unwissenheit über diese Aussage zu überspielen, doch ich spürte, wie mein Puls ein wenig anstieg.
      „Wenn man nur sinnig entscheiden könnte, bei dem ganzen Testosteron“, warf Vriska mit Floskeln um sich, nur, um die verbrühte Zunge an der Luft zu kühlen.
      “Ja, wenn das nur so einfach wäre”, sprach ich zustimmend, denn Unrecht hatte sie nicht. Es gab Tage an denen wusste man nicht, wo einem der Kopf stand. Mateo hatte die Schüsseln mit dem Frühstück inzwischen fertig, stellte beide auf den Tisch.
      “Mädels, ich kann euch sagen, als Mann hat man es auch nicht so viel einfacher”, brachte er sich nun auch in die Konversation ein und setzte sich mit seinem Kaffee dazu. Interessiert beschaute ich den Inhalt meiner Schüssel. Aus den paar einfachen Zutaten hatte der Schweizer eine simple, aber recht ansehnliche Fruchtbowle gezaubert, einzig die Menge schien mir für ein zartes Persönchen wie mich ein wenig überdimensioniert.
      „Wer weiß das schon, ihr bleibt hinter verschlossenen Türen, als wären Gefühle eine unantastbare Sache“, zuckte Vriska mit den Schultern. Unter dem Tisch wippte unterdessen ihr Bein und die Finger zitterten an der Tasse. Um ihr ein Gefühl von Ruhe zu vermitteln und in der Hoffnung, dass sie die Bewegung unterließ, legte ich meine Hand auf ihr Knie. Ein Stillstand trat ein, doch hielt er nur für wenige Sekunden, bis das Wippen erneut begann.
      „Also so gefühlskalte Wesen sind wir nun auch wieder nicht“, versuchte der Schweizer sein Geschlecht zu verteidigen, „viele von uns sind nur … emotional unbeholfen.“
      „Von kalt war nie die Rede, sondern unantastbar, verschlossen“, merkte sie erneut an. Den Oberkörper drehte sie wieder weg, irgendwie war Vriska seltsam, verändert, aber zum Alten.
      “Ist sonst alles in Ordnung bei dir?”, probierte ich der Sache auf den Grund zu gehen, “du wirkst so unruhig heute.”
      „Es ist das schlechte Gewissen. Tut mir leid“, murmelte sie mir zu, wohl wissend, dass wir bereits darüber sprachen, seufzte Vriska laut und warf einen leidenden Blick über den Tisch. Ich war mir beinahe sicher, dass mehr bewegte, als sie offenbarte.
      “Schon okay”, entgegnete ich sanft, “Sag einfach, wenn man dir etwas Gutes tun kann.” So gerne würde ich etwas tun, dass sich Vriska nicht mehr so mies fühlte, doch es schien nicht leicht.
      „Erik hat mir vorhin geschrieben. Schon wieder“, kamen wir der Sache langsam näher. Es wirkte nachvollziehbarer, warum sie auf dem Sprung war, die Tür im Auge hatte und kaum stillsaß.
      „Er vermisst mich. Aber er soll einfach nur … sich in Luft auflösen“, erklärte Vriska im nächsten Atemzug, bevor ich spezifische Fragen stellen konnte. Mateo blickte fragend von dem Mobilgerät auf, dem er sich zwischenzeitlich widmete. Natürlich wusste er nicht, warum es ging, schließlich geschah das ganze Drama vor seiner Ankunft auf dem Hof. Doch jetzt war nicht die Zeit für Erklärungen.
      „Kann ich verstehen“, sagte ich zustimmend. Nach all dem, was sie durchmachte, war es zu gut nachzuvollziehen, dass sie sich das Ende seiner Existenz wünschte. Dass er gerade jetzt wieder auftauchte, wo sie begann nach vorzusehen und sich neu zu orientieren, brachte in ihrem Inneren sicher einiges durcheinander. Zumindest würde es mir so ergehen würde mein Ex plötzlich wieder auftauchen.
      „Aber warte … Schon wieder, seit wann schreibt er dir?“, fragte ich nach, als mein Kopf die Information vollständig zu erfassen begann.
      „Einmal die Woche kommt mal eine Nachricht, Anfang des Jahres habe ich auch noch geantwortet, aber mittlerweile …“, Vriska seufzte abermals und wühlte das Handy aus der Tasche, „nur über Bilder von Trymr freue ich mich.“ Sie zeigte mir den Chat, der sehr dominant von Nachrichten ihres Ex-Freundes war. Aber recht hatte sie, die Bilder waren niedlich. Zwischendrin gab es Antworten von ihr, wenn eine spezifische Frage gestellt wurde, oder ein ‚ich dich auch‘.
      „Du hängst noch an ihm, nicht?“, fragte ich vorsichtig. Es musste so sein, anders konnte ich mir nicht erklären, warum sie die Nachrichten nicht einfach ins Leere laufen ließ.
      “Er war, nein ist, ein toller Mensch, nur sollte er an seiner Offenheit arbeiten. Vermutlich kamen zu viele Sachen auf einmal, dass es nicht funktioniert hat”, schönte Vriska die Realität. Noch weitere Ansätze kamen, die alle darauf hinausliefen, dass sie das Problem war und Erik von nichts alle dem wollte.
      “Darf ich mich kurz einmischen?”, unterbrach Mateo den schier endlosen Schwall an Begründungen, der ihren Mund verließ, “Ich weiß zwar nicht, was genau zwischen euch vorgefallen ist, aber Vriska, wenn eine Beziehung nicht funktioniert, gehören immer zwei dazu. Mach’ dich nicht selbst schlecht, indem du all die Schuld auf dich nimmst.”
      “Mh?”, brummte sie überrascht, als hätte sie nicht damit gerechnet, dass jemand sie unterbrechen würde. Ihre Stimmung ungewöhnlich versöhnlich. “Ach, ich bin nun mal so.”
      “Ja und du bist gut, wie du bist. Auch wenn du manchmal herausfordernd und anstrengend sein magst, aber ganz ehrlich, eine bessere Freundin als dich könnte ich mir kaum wünschen,” sprach ich, obwohl es dem Gespräch vermutlich nur wenig zuträglich war. Doch der Drang überkam mich, die Worte auszusprechen, die Vriska lang schon einmal hätte, hören müssen. Auffällig langsam beugte sie sich zu Mateo hinüber, ohne die Augen meinen zu lösen.
      „Hast du etwas in ihr Essen gemischt? So kenne ich sie gar nicht“, murmelte sie ihm zu.
      “Nein, weder Zucker noch Zaubermittel”, schüttelte dieser nur lachend den blonden Schopf. Verdrießlich rollte ich mit den Augen und stopfte mir einen beladenen Löffel in den Mund. Wirklich schön, wie solche Worte hier wertgeschätzt wurden.
      „Nun gut“, richtete Vriska sich wieder an mich, „ich könnte dir mindestens drei Gründe nennen, wieso man mich nicht als Freundin haben sollte, aber gut. So sei es.“
      Sie erhob sich aus dem Stuhl und tigerte um die Couch, als würde sie etwas suchen. Unter jedem Schritt knarrten die Dielen, die Haare schwangen locker von einer Seite zur anderen. Auch mit den Armen spielte sie, nur um uns zu zeigen, dass wir uns beeilen sollten.
      „Imitierst du eine Koralle oder was wird das?“, scherzte ich. Obwohl ich nach gerade einmal der Hälfte der Schüssel beinahe satt war, sah ich nur wenig ein, warum ich schneller machen sollte ohne einen ersichtlichen Grund.
      „Nein, es ist nur komisch hier zu sein. Vor allem, wenn du nachts auch noch anderen Männerbesuch hast“, merkte sie trocken an und schielte zu Mateo. Während ich versuchte Vriska aufzumuntern, hatte ich beinahe vergessen, dass neuen ursprünglichen Mission etwas anderem galt und begann heftig zu husten bei der plötzlichen Erwähnung dieses Sachverhaltes, weil ich aus Versehen einige Haferflocken einatmete.
      „Nicht ablenken!“, lachte Vriska.
      „Tu ich nicht“, japste ich nach Luft und nahm einen großen Schluck aus dem Wasserglas, welches Mateo mir anreichte. Vriska blickte mich die ganz Zeit dabei an, wie ein hungriges Krokodil, welches seine Beute ausspähte. Ich seufzte, sie würde nicht aufgeben, bevor sie nicht wenigstens ansatzweise erfuhr, was gestern geschah.
      „Also was das angeht, muss ich gestehen …, dass mir möglicherweise … entfallen ist, was gestern noch so passierte“, murmelte ich undeutlich und spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Noch peinlicher, dass gestern überhaupt etwas passierte war, dass ich es vergaß.
      „Dabei kann ich dir wohl aushelfen“, grinste Mateo und blickte mich unmittelbar an, mit seinen geheimnisvollen Augen.
      „Maaateo, jetzt sag schon“, jammerte ich. Es war mir noch nie passiert, dass ich so vollständig eine Nacht vergaß wie diese, denn normalerweise fehlten mir, wenn, nur wenig Minuten.
      „Sicher, dass du das nicht deiner Fantasie überlassen willst?“, schmunzelte er und schien seine Überlegenheit regelrecht zu genießen.
      „Ja, weil meine Fantasie sagt, dass ich ein ganz schrecklicher Mensch bin“, beklagte ich, als der Knoten in meinem Bauch zurückkehrte. Was, wenn ich wirklich mit Mateo geschlafen hatte? Wie sollte ich das nur meinem Freund erklären? Und was wäre … Nein, an die Konsequenzen wollte ich lieber gar nicht erst denken.
      “Süße, du kannst gleich aufhören, so ein Quatsch zu denken. Es ist gestern nämlich gar nichts passiert, weswegen du dir Sorgen machen müsstest”, sprach er, doch ich war noch nicht komplett beruhigt. Wer wusste schon, wie der Schweizer “nichts passiert” definierte.
      “Könntest du ein wenig konkreter werden?”, nuschelte ich. Es war bereits unangenehm genug mit Mateo darüber reden zu müssen, doch dass Vriska hoch interessiert am Sofa lehnte, brachte mein Blutdruck nicht gerade runter.
      “Soll Vriska gehen? Du siehst so danach aus”, fragte er rücksichtsvoll. Wenn ich richtig lag, hatte mein Kopf vermutlich die Farbe einer Tomate, doch ich schüttelte nur hektisch mit dem Kopf. Selbst wenn man Vriska hieraus bekommen würde, fragte sie sicher ohnehin noch einmal nach.
      “Na dann”, zuckte er nur mit den Schultern, “aber mach dir keine Sorge, die Klamotten sind angeblieben, die meisten zumindest.” Bei den letzten Worten zwinkerte er schelmisch. Was gestern passierte, schien demnach zumindest einem Spaß bereitet zu haben. Mateo erzählte weiter von dem Abend. Offenbar saßen wir alle noch eine ganze Weile in der Küche, bevor Vriska sich schließlich ins Bett verabschiedete und auch Nour ihr Hochgestimmt folgte. Unser beider Weg führte dann wohl hierher, genauer gesagt auf das Sofa, wo wir noch eine halbe Flasche Wein leerten, bis ich schließlich auf seinem Schoß einschlief.
      Mit seinen Worten blitzten verschwommen in meinem Gedächtnis auf. Seine Finger, die sanft über meine Haut strichen, Worte der süßen Verführung … und wow, was sich unter dem lockeren Pulli verbarg, konnte sich sehen lassen. Hör auf, du hast einen äußerst ansehnlichen Freund, bot ich mir selbst Einhalt, bevor mein Gedanken abdriftete.
      Ein Rest eines schlechten Gewissens verblieb, auch wenn eine gewisse körperliche Grenze nicht überschritten wurde. Mein Handeln war moralisch definitiv nicht einwandfrei und passte ebenso wenig in mein stark romantisiert Vorstellung vom Leben. In meine kleine Traumwelt gab es keinen Platz für Fehltritte. Doch ich musste immer wieder einsehen, dass die Realität so nicht funktionierte.

      Später im Stall
      Vriska
      Eigentlich wollte ich Eriks Nachrichten nicht lesen oder gar zu Herzen nehmen, aber Zuge meiner geistigen Umnachtung, fiel es mir schwer, überhaupt klar zu werden. Ich stand vor Maxous Box, hoch motiviert, die Ponystute herauszuholen an der Doppellonge etwas zu tun, doch da setzte mir Lars einen Strich durch die Rechnung.
      „Wunderkind müsste noch bewegt werden“, sagte er mir, die Stimme gereizt und der Gesichtsausdruck kühl. Vor knapp einer Stunde war noch alles okay, wie konnte er derart verärgert sein?
      „Aber wollte Nour …“, meinen Satz durfte ich nicht zu Ende sprechen, denn er unterbrach mich sogleich, „die jammert wieder wegen ihres Arms und sitzt auf der Couch. Papa hat auch keine Lust. Also sagst du mir nicht auch noch ab.“
      „Natürlich bewege ich ihn, kein Problem, aber was hat dich denn gebissen?“, versuchte ich ihn zu besänftigen.
      „Es nervt einfach“, seufzte Lars und ließ sich laut auf die Bank hinter sich fallen. Die Augen sprachen mehr als Worte. Beinah geblendet von dem anziehenden Grünton, bemerkte ich seine Enttäuschung und quälende Gedanken.
      „Was nervt dich denn?“, fragte ich, setzte mich schließlich zu ihm.
      „Danke, dass du fragst. Ganz ehrlich“, liebevoll legte sich ein zartes Lächeln auf seine Lippen, während Lars einen Arm um meine Schultern legte und mich zu sich heranzog. „Es ist ziemlich viel zu tun und es gibt Interessenten aus Amerika an ihm. Die wollen jedoch aktuelle Rennergebnisse und Wunder lief zuletzt im Oktober. Nour weigert sich mehr als ein Rennen zu fahren, sieht es auch nicht ein, dass Walker am Sonntag zu Hause bleibt. Ich habe bereits Vision, Plano, Dustin und Eifellust. Natürlich könntest du ihn fahren, aber ich weiß nicht, ob du das nötige Etwas herauskitzeln kannst aus ihm.“
      „Und wenn du es mir zeigst? Wir müssen doch erst morgen die Nennungen einreichen“, schlug ich vor. Nachdenklich nickte er langsam.
      „Aber dann müsstest du mit Humbria noch warten, denn es gibt nur ein Amateurrennen“, erklärte er dann. Darüber hatte ich bis dato nicht nachgedacht, aber klar, zerteilen in einem Rennen konnte ich mich nicht.
      „Das wird ihr sicher guttun, eine Woche zu warten“, stimmte ich wohl wissend zu, dass es für die Stute keinen Unterschied machen würde, an welchem Wochenende ihr erstes Rennen sein würde.
      „Du weißt, dass es dann in Visby wäre, und bisher hatten wir nicht eingeplant, dass du mit auf die Insel kommst“, kam Lars nächste Hiobsbotschaft.
      „Nun gut, dann“, unentschlossen überlegte ich, bevor ich weitersprach, „dann muss ich wohl neue Orte kennenlernen.“ Natürlich kam mir direkt in den Sinn, dass Basti auch da sein würde und ich keine zwei Wochen auf ein Wiedersehen hoffen musste. Somit strahlte auch ich.
      „Das ist toll, wirklich. Dann holte ich mir Vision und du machst Wunder fertig“, sagte Lars beim Aufstehen. Während er sich ein Halfter holte, führte ich den Schecken bereits aus der Box.
      „Du kommst vielleicht nach Amerika“, erklärte ich dem neugierigen Hengst, der interessiert an meiner Hosentasche zupfte, in der mein Handy sich in Form herausdrückte. Besonders die abgerundeten Ecken schienen ihn nicht loszulassen. Erst als ich seicht wegschob, hörte er auf, mit der Oberlippe mich schmutzig zu machen. Ich putzte ihn dann und war noch lange vor meinem Kollegen fertig, der erst ankam, als ich schon den Schecken gegurtet hatte und getrenst. Wunderkinds Ohren stellten sich auf, als Vision ihn interessiert musterte. Es folgte ein Quietschen und Schlag gegen die Brust. Der Kaltblut-Verschnitt wirkte nicht sonderlich begeistert von dem Schecken. Lars zog ihn ein Stück zurück, denn Verletzungen kurz vor dem nächsten Rennen, waren vermeidbar.
      Zusammen fuhren wir vom Hof. Die Sonne kitzelte sich durch die dichte Wolkendecke und leichtes Lüftchen wehte mir kalt ins Gesicht. Ich hätte meine Maske aufsetzen sollen, dachte insgeheim und sortierte die Leine neu, auf der ich saß.
      „Er muss motiviert werden und locker angefahren werden, sonst zeigt Pass“, erklärte Lars, als wir auf der Bahn ankamen. „Auch im Schritt solltest du ihn lieber etwas zu lang halten.“
      „Verstanden“, sagte ich und ließ etwas vom Leder ab. Wunderkind begann sich mehr zu strecken und wölbte dabei den Hals, auch seine Schritte verlängerten sich.
      „So ist schön“, grinste er neben mir. Vision warf immer wieder prüfend einen Blick zu dem Schecken und schlug dabei nervös mit dem Schweif. Aber Wunderkind nahm diese Manieren hin, ohne sich beirren zu lassen. Im ersten Trab gab Lars mir noch weitere Tipps, dazu zählte auch, besonders sanft an der Leine zu sein, jede noch zu harte Parade könnte den Hengst in den Pass umstellen, deshalb fuhr ich ihn ohne Peitsche. Einzig die Stimme blieb mir zum Treiben, auf die Wunder sehr fein reagierte. Nach der dritten Kurve legten wir im Tempo zu, dass ein Gefühl für ihn bekam. Natürlich rutschte er mir einige Male in den Pass, aber nach dem Zurückholen und neu Antraben kam die Wunschgangart wieder. Mein Kollege setzte sich vor uns, damit jeder für sich in Ruhe trainieren konnte. Der Braune an seinem Wagen brachte viel Potenzial mit, diskutierte dauerhaft, doch Lars war hartnäckig.
      Mit beiden Pferden kamen wir verschwitzt auf den Hof zurück. Zu meiner Enttäuschung stand gerade Niklas mit Smoothie in der Putzgasse und schielte leicht zu mir. Höflich begrüßte Lars ihn, aber bekam keine Rückmeldung. Stattdessen drehte sich Hulk zu seiner Stute. Kaum erblickte Vision die weibliche Gleichgesinnte hob der Hengst erregt den Kopf und prustete aufgebracht mit weiten Nüstern. Leicht tänzelte er auf der Stelle, doch Lars zog ihn am Gebissring neben sich her. Auch Smoothie reagierte auf den Flirt mit zutraulichem Brummen, streckte dabei den Kopf neugierig nach vorn. Niklas drückte sie unsanft weg.
      „In deinem Umfeld darf wohl niemand soziale Kontakte haben“, merkte mein Kollege unberührt an. Erst jetzt drehte sich Linas Freund zu ihm, die Augen leicht zusammengedrückt und tiefe Falten bildeten sich. Er schnappte einmal nach Luft, als ich ihm ein Zeichen gab, einfach die Klappe zu halten. Doch das Prinzesschen dachte gar nicht daran.
      „Immerhin jage ich kein Pferd auf der Rennbahn in den Tod“, zischte er boshaft.
      „Genau, weil dein komischer Sport auch so viel gesünder für die Gelenke ist, wie man sieht“, lachte Lars daraufhin nur, sichtlich überlegen fühlend.
      „Männer, es reicht“, mischte ich mich schließlich ein, wurde damit, aber das möchte Opfer Niklas‘.
      „Du bist am besten ganz ruhig. Dein Scherbenhaufen kann niemand ertragen, also geh‘ endlich.“ Die Worte trafen mich mit roher Gewalt und in meiner Magenregion fühlte es sich ebenso an, als hätte er mich eine Klippe hinunter geschubst.
      „Niklas, am besten gehst du, wenn du mit uns allen ein Problem hast“, kam Lars zurück, nachdem er den Hengst an die Stricke gelegt hatte, „im Gegensatz zu dir, arbeiten wir hier. Niemand zwingt dich, auf dem Gestüt dein Pferd unterzustellen. Außerdem“, nun warf einen prüfenden Blick zu mir, „solltest du nicht so hart über ihr Leben urteilen, wenn deins nicht so viel besser ist.“
      In Niklas‘ Augen erkannte man, dass er nachdachte und sich dessen bewusstwurde, was mein Kollege versuchte ihm klarzumachen. Mit Schweigen ging er dem Gespräch aus dem Weg. Ich stand währenddessen wie gelähmt neben Wunderkind, der sich den Kopf an einem Holzbalken scheuerte.
      „Vivi, komm‘“, Lars legte sein Arm auf meine Schultern, „lass uns Wunderkind wegbringen, damit du noch Maxou und Osvo reiten kannst.“

      Gesagt, getan. Ich löste mich aus der Starrte und zusammen legten wir alles von dem Schecken ab. So lange wartete Vision in der anderen Putzbucht. Erst als ich Maxou zurückkam, begann Lars den Braunen alles abzunehmen und zufüttert. Giftig schielte meine Ponystute hinüber, nicht sonderlich begeistert von dem Hengst, der mit gleichen Flirt-Versuchen ankam, wie bei Smoothie. In aller Ruhe putze ich sie und kontrollierte alle Wehwehchen, die sie in der Zeit angesammelt hatte. Ihre Beule wurde schon besser, lediglich ihre Hufe bräuchten mal wieder einen Schmied. Die Hufwand war brüchig und an den Vorderhufen deutlich zu lang. Ich erinnerte mich daran, dass Lars die Pferde seines Vaters machte und warf einen prüfenden Blick zu Vision. Er stand neben dem Hengst am Handy und grinste schief.
      „Du? Hast du kurz Zeit?“, fragte ich.
      Lars senkte das Telefon und richtete den Kopf zu mir.
      „Klar“, er trat einige Schritte auf mich zu, „wie kann ich dir helfen?“
      Ich zeigte auf Maxous Hufe.
      „Könntest du grob was machen?“
      „Ja, lass mich nur Vision wegbringen und das Werkzeug holen“, antwortete er zustimmend und löste die Stricke. Mit großen Schritten traten sie an mir vorbei, ohne dass Maxou zuckte. Stattdessen versuchte sie mir aus der zu weiten Jacke ein Leckerchen zu klauen. Doch der Reißverschluss hinderte sie daran. Ihren Kopf drückte sie an meinem Rücken.
      „Kannst du aufhören zu betteln?“, die Stute hörte sofort auf, legte stattdessen sich auf meine Schulter, „danke.“ Der waren Atem aus ihren Nüstern kitzelte mich am Ohr und während wir auf die Rückkehr Lars‘ warteten, wagte ich einen Blick auf mein Handy. Einsamkeit überkam mich unmittelbar, als ich den leeren Sperrbildschirm betrachtete. Niemand wollte etwas, nur Basti lag verschwommen vor mir auf dem Bild vom Rennen mit Netflix. Zur Kontrolle, auch wenn ich wusste, dass ich nichts finden würde, öffnete ich eine Social-Media-Plattform nach der anderen. Aber bis auf einen Post von Nour fand ich nichts vom Renntag. Sie zeigte sich glücklich mit dem hellen Hengst, dazu im Karussell noch mehr Bilder von Walker und eins mit Lars. Da er noch außerhalb der Sichtweite war, klickte ich mich interessiert durch sein Profil – Natürlich präsentierte er sich so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Lauter Oberkörper freier Bilder strahlten mich vom Bildschirm an und keine Spur von einem Pferd, allerdings entdeckte zwei Storyhighlights, eine mit Rennbildern und die andere von seinem Hengst Bear. Viele davon waren schon vor Jahren online, andere recht neu, aber keins auf unserem Hof aufgenommen. Bevor ich annähernden Schritte hörte, war es bereits zu spät. Er stand mit einem breiten Lächeln neben mir.
      „Ach, doch noch Interesse?“, lachte Lars und stellte klirrend die Werkzeugkiste neben der Ponystute ab, die sofort drohend in die Luft schnappte.
      „Nur gucken, nicht anfassen“, sagte ich schelmisch und steckte das Handy weg.
      „Denkst du das wirklich, oder versuchst du, dein Verlangen zu unterdrücken?“
      „Wer weiß das schon“, ich machte einen Schritt von ihm weg, um Maxou fester zu binden. Die Stute mochte es nicht sonderlich, wenn an ihren Hufen gearbeitet wurde, aber reiten wollte ich sie so ungern. „Erfahren wirst du das nicht.“
      „Wir werden sehen“, stimmte Lars mit seinem Lachen mit ein. Dann nahm er die Raspel und entfernte größtenteils das eingerissene Horn. Ich beruhigte die Stute dabei am Kopf, tätschelte etwas unbeholfen ihren Hals und hielt mit der anderen Hand sie am Halfter. Sie war nur wenig dafür zu begeistern, versuchte lieber ihm den Huf wegzuziehen oder den Schweif in sein Gesicht zu schlagen. Von beidem ließ sich Lars nicht beeindrucken.
      „Hatte sie mal Hufrehe?“, fragte er nach. Dabei tastete er die ausgeprägten Ringe auf der Hufwand ab, die mir auch schon aufgefallen waren.
      „Ich weiß nicht so viel über Krankheitsgeschichte“, beantwortete ich oberflächlich.
      „Wie alt ist sie denn?“, informierte Lars sich weiter, während er sich dem nächsten Huf widmete.
      „Vierzehn wird sie dieses Jahr.“ Ich musste kurz durchrechnen, hatte aber noch im Kopf, dass sie zweitausendsieben geboren wurde, im Juni, wenn ich mich nicht irrte.
      „Dann hat Maxou noch einiges vor sich. Sie gehört dir, oder?“
      „Fast, also … halb. Erik gehört eine Hälfte und er hat sie auch bezahlt. Wer weiß, wie lange sie noch bei mir ist“, seufzte ich. Die Wände hatten Ohren, dementsprechend senkte ich meine Stimme. Niklas putzte noch immer sein Elitepferd, aber ich war fest davon überzeugt, dass er einzig und allein uns belauschte. Gerade, als ich diesen Gedanken bekam, führte er Smoothie, schwarz einbandagiert, an uns vorbei und sah abfällig zu mir. Nach der Nachricht mitten in der Nacht hatte ich eigentlich eine Veränderung seiner Art erhofft, aber offensichtlich entschied er sich dagegen, freundlich zu mir zu sein.
      „Viel Spaß“, wünschte ich ihm dennoch und bekam nur entrüstetes Schnauben als Antwort. Nun gut, sein Problem und nicht meins. Einen Moment später huschte auch Lina durch den Gang, begrüßte freundlich Lars und mich, um die Tribüne hinaufzuverschwinden.
      „So, dein Pony ist wieder hübsch“, sagte mein Kollege nach verrichteter Arbeit.
      „Danke dir“, umarmte ich ihn entschlossen und spürte, dass es mehr als eine dankbare Geste wurde. Wie ein Äffchen hing ich um seinen Hals und langsam bewegten sich seine Hände von meinen Rippenbogen abwärts. Verführerisch funkelten seine Augen. Gefangen in den Grüntönen, wie sie nur die Natur zu bieten hatte, verlor ich abermals die Kontrolle. Noch enger legte ich mich an ihm, als würde es keinen morgen geben, kochte das Blut in meinen Adern. Wieso Lars eine derartige Anziehungskraft für mich hatte, konnte ich mir für den Moment nicht erklären. Stattdessen drückte ich die Lippen auf seine. Ein merkwürdiges Geräusch gesellte sich dazu und verdrängte das Gefühl etwas Falsches zu tun. Dennoch löste ich mich nach wenigen Sekunden wieder, als mein Kopf die Situation begriff.
      „Das kam unerwartet“, schmunzelte er und setzte zu einem weiteren Kuss an, den ich ihm verwehrte.
      „Tut mir leid“, stammelte ich verwirrt. Gefangen im eigenen Chaos versuchte ich mich von ihm loszureißen und verspürte die aufkommenden Schuldgefühle. In Lars‘ Gegenwart konnte mein Kopf nicht mehr unterscheiden, wer er war und assoziierte all die Freude mit ihm. Meine Medikamente nicht mehr zu nehmen, stellte sich zum ersten Mal für mich selbst, als eine schlechte Idee heraus.
      „Vivi, ganz ruhig“, er legte seine Hände auf meinen Schultern ab. Das Herz in der kleinen Brust dröhnte zu explodieren und meine Lunge versuchte nach Sauerstoff zu Ringen, aber es fühlte sich an, als würde nichts davon in meinem Körper ankommen. In dem kargen Gebäude suchte ich krampfhaft nach roten Gegenständen, aber bis auf den Strick auf der Bande, entdeckte ich keinen. Ebenso wenig blau war zu sehen.
      Lars begann zu zählen und ich sollte mit ihm ein- und ausatmen. Äußerst gekonnt, ging er mit meinem Anfall um, bis ich mich wieder beruhigt hatte. In der Zwischenzeit war auch Lina dazu gekommen und stand unbeholfen neben ihm. Ihrem Gesichtsausdruck nach musste ich fürchterlich aussehen in dem Augenblick.
      “Alles okay? Was ist passiert?”, fragte sie besorgt.
      “Ähm”, stöhnte ich erhitzt und schielte zu Lars.
      “Sie hat mich geküsst und hatte dann eine Panikattacke”, erklärte dieser wahrheitsgemäß.
      “Was machst du nur für Sachen”, fragte sie, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten, “Das ist doch kein Grund für Panik.”
      “Das sagst ausgerechnet du”, schnaubte ich verärgert, aber schluckte den restlichen Satz trocken herunter. Dabei nahm ich einen kräftigen Atemzug. Lina sollte von allen am besten wissen, woher dieses Gefühl rührte, bloß hatte Niklas ihr offenkundig das Gedächtnis gelöscht. Mir lag es buchstäblich auf der Zunge, einen vernunftwidrigen Spruch zu drücken. Lars vernahm jene Wut und drückte kräftiger die Finger in meine Schulter. Doch mein Körper hatte sich dieser angepasst, als würde die Hitze wie ein Parasit an mir festhalten. Einzig Maxou, die nun auch mit kurzen Berührungen versuchte, mich in die Wirklichkeit zu holen, senkte den Blutdruck.
      “ ‘Tschuldigung, war wohl ein wenig unsensibel”, murmelte sie kleinlaut, “Ich verstehe dich ja.”
      Nach dem kleinen Missverständnis mit Lina sattelte ich Maxou und überlegte, in den Wald zu gehen. Mit unserem Sahnetörtchen in der Reithalle wollte ich ungern sein und hinüberlaufen und die kleinere Halle könnte mir Ärger mit Jonina einbringen, die aus unerklärlichen Gründen noch immer auf Krawall gebürstet war, wenn sie mich sah. Somit blieb mir nur Matsch übrig. Kaum ritt ich vom Hof, klingelte mein Handy. Vollkommen überrascht, dass das Gerät überhaupt in der Lage war, Geräusche von sich zu geben, zog ich es aus der Jackentasche heraus. Doch als ich den Bildschirm erblickte, sah ich nur, dass eine unbekannte Nummer versucht hatte, mich zu erreichen. Zurückrufen konnte ich nicht. Im Fortlauf des Ausrittes dachte ich ununterbrochen darüber nach, wer wohl etwas von mir wollte und vor allem, was. Die Antwort auf jene Fragen wurde mir verwehrt, denn es folgte kein zweiter Versuch, mich zu erreichen. Versunken in meinen Gedanken schenkte ich meinem nervösen Pony kaum Aufmerksamkeit, sodass sie immer wieder auf die Vorderhand rutschte, ohne dass ich es korrigierte. Es war alles so viel, dass ich auf halber Strecke einfach umdrehte und denselben Weg zurücknahm.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 33.794 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang März 2021}
    • Mohikanerin
      Durchlässigkeit / Dressur L zu M | 30. Oktober 2022

      Minelli / Maxou / Satz des Pythagoras / Aares / Crly Lure / HMJ Divine / Sakura Bloomst

      Die Sonne brach über dem Gestüt "Solberg" in einem malerischen schwedischen Tal an einem frischen Frühlingsmorgen durch die Nebelschwaden. Björn, ein erfahrener Dressurtrainer, stand vor einer neuen Herausforderung. Er hatte eine Gruppe von talentierten Berittpferden übernommen, die er von der Dressurklasse L zur Dressurklasse M führen sollte. Solberg war ein renommiertes Gestüt, das für seine traditionelle Dressurausbildung bekannt war.
      Seine erste Aufgabe bestand darin, die Pferde kennenzulernen und ihre individuellen Stärken und Schwächen zu ermitteln. Unter ihnen befand sich eine pummelige Braune Stute namens Minelli, ein eleganter Freiberger namens Ivy und die ungeschickte Haflinger Stute Curly Lure.
      Minelli, die Braune Stute, war von Natur aus robust und kräftig. Sie hatte einen sanften Charakter, aber sie neigte dazu, etwas gemütlich zu sein. Ivy, der imposante Freiberger, war bekannt für seine Anmut und seine Fähigkeit, sich in den anspruchsvollsten Lektionen zu bewegen. Curly Lure, die Haflinger Stute, war voller Energie und Neugierde, aber ihr fehlte noch die Erfahrung und Präzision, die für die Dressurklasse M erforderlich waren.
      Die ersten Wochen des Trainings konzentrierten sich auf die Losgelassenheit und das Festigen des richtigen Takts und Rhythmus in allen Gangarten. Björn führte die Pferde durch sanfte Übungen, um ihre Muskulatur aufzubauen und die Anlehnung an den Zügel zu verbessern.
      Curly Lure, die Haflinger Stute, zeigte anfangs Widerstand. Ihr Temperament und ihre Ungeschicklichkeit waren bemerkenswert, aber sie mussten in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Björn war geduldig und konsequent, und nach und nach begann Curly Lure nachzugeben.
      Minelli, die Braune Stute, überraschte alle mit ihrer Bereitschaft, zu lernen. Sie zeigte rasch Fortschritte in der Losgelassenheit und im richtigen Takt, was Björn als vielversprechendes Zeichen sah.
      Die Anlehnung und der Kontakt waren der nächste Schritt. Björn arbeitete daran, dass die Pferde den Kopf und Hals in einer natürlichen Position trugen, ohne zu stark auf den Zügel zu drücken. Ivy, der Freiberger, reagierte besonders gut auf diese Übungen und zeigte eine beeindruckende Anlehnung.
      In der Reithalle des Gestüts hörte man das Klappern der Hufe und das gleichmäßige Atmen der Pferde, während sie sich langsam an den neuen Kontakt gewöhnten. Minelli, die Braune Stute, lernte, sich auf den Zügel zu verlassen, während Ivy, der Freiberger, seine Eleganz in der Anlehnung perfektionierte.
      Mit der Grundlagenarbeit abgeschlossen, war es an der Zeit, Schwung und Elastizität zu entwickeln. Die Pferde wurden aufgefordert, in einer aufwärts gerichteten Bewegung zu laufen und elastische Gelenke zu entwickeln. Dies bedeutete, dass sie flexibel und geschmeidig werden mussten.
      Minelli, die Braune Stute, war ein Naturtalent im Entwickeln von Schwung. Ihre Bewegungen wurden fließender, und sie begann, sich fast schwerelos zu bewegen. Ivy, der Freiberger, demonstrierte seine Grazie in jeder Bewegung und wurde zunehmend geschmeidiger.
      Die Arbeit an der Geraderichtung und Versammlung intensivierte sich. Björn stellte sicher, dass die Pferde gerade und ausbalanciert liefen, ohne sich zu verziehen oder zu schief zu gehen. Diese Fähigkeiten waren entscheidend für die Ausführung von Dressurlektionen auf M-Niveau.
      Die Gestütsreithalle war jetzt gefüllt mit der Anmut und Präzision der Pferde, die diese fortgeschrittenen Lektionen übten. Minelli, Ivy und Curly Lure zeigten erstaunliche Fortschritte in ihrer Geraderichtung und Versammlung.
      Der Tag des ersten Turniers der Saison war gekommen. Die Pferde waren vorbereitet, ihre Fähigkeiten auf dem M-Niveau der Dressur unter Beweis zu stellen. Die Sonne glänzte auf dem Turnierplatz, als Björn die Pferde sorgfältig vorbereitete.
      Minelli, Ivy und Curly Lure betraten die Arena mit einer beeindruckenden Anmut. Ihre Bewegungen waren eine harmonische Sinfonie aus Schwung, Versammlung und Präzision. Björn beobachtete mit Stolz, wie sie die anspruchsvollen Lektionen mit Leichtigkeit ausführten.

      © Mohikanerin // 4045 Zeichen
    • Mohikanerin
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      kapitel trettionio | 01. November 2022

      May Bee Happy / Maxou / Ready for Life / Nachtschwärmer / Glymur / Hending / Shakesbeer LDS / Meltdown / Blávör / Northumbria / Binomialsats / Harlem Shake LDS / Nobelium / Eifellust / Eichkatze / Fire to the Rain LDS / L‘Épirigenys LDS / Satz des Pythagoras / Form Follows Function LDS / Drivblesa / WHC' Humanoid Crashtest
      HMJ Divine / Selva / Verita

      kapitel trettionio
      FREITAG, 14:20 UHR
      LINDÖ DALEN STUTERI

      Vriska
      Schlaflos lag ich die halbe Nacht neben Lars, bis er gegen vier Uhr genervt wollte, dass ich Basti anrufe. Ich haderte mit mir, aber tat es schließlich. Müde meldete er sich auf der anderen Seite. Im nächsten Moment wurde er hellwach, als ich vorschlug, gemeinsam zu frühstücken. Stunden später holte ich ihn in einer Nebenstraße seines Zuhauses ab und wir fuhren nach Växjö. Zeit zog ins Land, wir lachten und vergaßen alles um uns herum. Erst, als ich auf die Uhr sehen wollte, bemerkte ich, dass mein Handy noch immer auf dem Nachttisch lag. In der Vorfreude auf meinen Angebeteten hatte ich es wohl vergessen, aber bereute es auch nicht. Auf dem Heimweg setzte ich ihn am Hoftor ab.
      „Ich melde mich heute Abend“, sagte er beim Aussteigen und ich nickte eifrig.
      Am Auto zogen die Bäume und Häuser vorbei. Im Kopf summte ich die Melodie von Midnight City, obwohl am Himmel noch die Sonne stand, zumindest wenn sie zwischen den Wolken eine freie Stelle fand. In einem warmen Licht gehüllt, glänzten die Dächer und viele der Pflanzen trugen schon ihr grünes Kleid. Kein schlechtes Gefühl lag in mir, nur die Freude vom bisher erhellenden Tag. Wir hatten kleine Zärtlichkeiten ausgetauscht, nicht vergleichbar mit der plötzlichen Nähe im Stall, aber jede noch so winzige Berührung, brachte starke Welle hervor.
      Kaum stand mein Auto wieder auf dem Parkplatz, tippelte ich zielstrebig auf den viel zu hohen Schuhe in den Stall, mein Gang wenig elegant, aber ich wollte mein Pony sehen, das ich am Morgen verpasst hatte. Auch Happy sollte seine ausgiebige Einheit von Nähe bekommen, bevor wir eine Runde in den Wald nehmen würden. Das enge, aber lange Kleid hielt in an den Seiten nach oben, um es vor dem Dreck zu schützen. Beinah kreischend begrüßte mich das aufgedrehte Pony.
      „Alles gut“, rief ich zu und versuchte noch schneller zu ihr zu gelangen. Dann hatte ich es geschafft, stand eher kippelig vor ihr, während sie ihren Kopf durch die Öffnung reckte und sich ausgiebig am Ohr kratzen ließ.
      „Oh, da steht ein Geist auf der Stallgasse“, schallte ein scherzhafter Ausruf durch die Gasse. Im Stalleingang zeichnete sich eine zierliche, kleine Silhouette neben den Umrissen eines Pferdes ab, die unverwechselbar zu einer Person gehören musste. Ich hatte sie zunächst nicht sehen können, wie auch. Meine Brille lag ebenfalls auf dem Nachttisch neben dem Mobilgerät. Lange war ich nicht mehr so überstürzt los wie an dem Tag.
      „Absurd, Lebewesen lösen sich nicht in Luft auf“, schüttelte ich den Kopf belustigt. Mit zusammen gekniffenen Augen beäugte ich Lina, die glücklicherweise von selbst näherkam, so dass ich mich nicht direkt wieder bewegen musste. Gleichgewicht hatte ich grundsätzlich genug, aber diese Melodie in meinen Kopf provozierte beinahe, dass ich mich drehen und wenden sollte.
      “Normale Lebewesen nicht, Hexen wie du offenbar schon”, lachte sie, “Wo hast du denn gesteckt?” Die rabenschwarze Stute, die sie am Strick mit sich führte, streckte interessiert die Nase zu mir hinüber. Freundlich strich ihr über das samtweiche Fell.
      „Unterwegs“, grinste ich über beide Ohren und sprach damit nur das Offensichtliche aus.
      „Darauf wäre ich jetzt aber nicht gekommen”, rollte Lina mit den Augen. Prüfend musterte sie mich, bevor sie weitersprach: “Dem Anschein nach warst du nicht allein unterwegs, sonst hättest du dir wohl kaum die Mühe gemacht, diese Dinger da anzuziehen.” Ihre Augen glitzerten voller Neugierde, als erahnte sie bereits den Grund für meine morgendliche Abwesenheit.
      “Ach, so schwer sind sie nicht anzuziehen, außer man kann keine Schnürsenkel binden”, schaute ich noch einmal die schwarzen Schuhe an meinen Füßen an.
      “Ich zweifle auch weniger deine Fähigkeiten an, dich anzuziehen. Viel mehr vermute ich, dass du jemanden, der nicht dein Pony ist, beeindruckend wolltest”, grinste die Brünette verschmitzt.
      “Maxou würde eine Birne reichen, um beeindruckt zu sein. Aber ja, ganz falsch liegst du damit nicht”, hielt ich mich weiter geheimnisvoll.
      “Warst du bei Basti?”, platze die Frage aus ihr heraus wie eine Flutwelle über einem Damm. Ihre Stute inspizierte derweil den Boden neben ihren Füßen und wirbelte feine Staubwölkchen mit ihrem Atem auf.
      “Mit Basti unterwegs”, korrigierte ich ihre Aussage grinsend.
      “Erzähl, wie war’s?”, quietschte sie freudig, was ihre Stute verwundert, aufhorchen ließ. Auch Maxou spitze die Ohren und erhob den Kopf wieder auf dem Heu. Dann raschelte es in der Box. Das Pony drehte mir den Po zu, denn wirklich etwas aus Taschen konnte ich nicht hervorzaubern.
      Wir setzten uns in Bewegung, denn Redo wollte nicht weiter herumstehen und den beobachten. Ich setzte mich mit übereinander geschlagenen Beinen ihr gegenüber, während Lina den Staub aus dem Fell entfernte. Kaum begann ich zu erzählen, wie es zum Treffen kam, tauchte Nour neben uns auf.
      “Oh, Geschichtsstunde”, stellte sie begeistert fest und setzte sich dazu. Mein Blick wanderte von unten nach oben. Nour konnte man nicht mehr loswerden, also setzte ich das Gespräch fort. Ebenso überrascht, wie auch fasziniert hörten die Mädels meinem Monolog zu, fieberten förmlich in der Freude mit. In beinah jeden Satz musste ich erwähnen, wie schön es war, Zeit mit ihm zu verbringen, auch wenn ich mir dessen bewusst war, dass es nicht viel mehr als Freundschaft darstellte. Zwischendrin seufzte ich, aber bereit für einen Erik Zwei-Punkt-Null fühlte ich mich auch nicht.
      “Das klingt ganz danach, als hättest du einen schönen Vormittag gehabt”, schlussfolgerte Lina grinsend, während sie die Bürste abstreifte. In sanften Bewegungen flirten die kleinen Staubkörner durch die Luft und glitzerten in dem Sonnenstrahl, der zwischen den Wolken her brach, bevor sie zu Boden trudelten.
      “Vriska, darf man fragen, was Basti gestern Abend meinte, als er sagte, er sei auf der Flucht?”, schob sie eine Frage hinterher, die allem Anschein nach bereits eine Weile in ihrem Kopf herumspukte.
      „Vor seiner Freundin“, führte ich an.
      Laut stöhnte Nour neben mir auf und hielt sich die Hand die Stirn.
      „Du kannst dir nicht vorstellen, was sie für ein Drama gemacht hat“, begann sie zu erzählen. Bastis genauen Beweggründe wusste ich nicht, fragte aber auch nicht danach, solang es ihn zu mir führte. „Erst muss sie wirklich jedem unter die Nase binden, dass sie endlich schwanger sei und doch so unabhängig, aber schickt dann Basti von einer Sache zur nächsten. Nicht mal das Pferd schaffte sie allein zu putzen, als hätte sie eine ernsthafte Behinderung.“
      Ich konnte es mir gut vorstellen und rollte mit den Augen.
      “Ui, das hört sich nervtötend an. Verständlich, dass man so jemandem lieber aus dem Weg geht”, verzog die Kleine missbilligend das Gesicht, “Mein Beileid an alle, die das ertragen müssen.”
      “Vor allem”, Nour schlug die Beine zur anderen Seite über, “keiner von uns ist sich wirklich sicher, dass er der Vater ist.”
      Verwundert drückte ich die Brauen zusammen und drehte mich zu meiner Kollegin. Auch Lina putzte nur noch dieselbe an der Sattellage mit der Gummibürste.
      “Muss ich es hinterfragen?”, kam es kleinlaut aus mir heraus, denn eigentlich wollte ich mich solchen Gerüchten nicht hingeben, aber in der Situation war zu verlockend.
      “Nur so viel, Lars ist fest davon überzeugt, dass etwas falsch läuft. Basti und Nelly sind schon länger nicht mehr so fest miteinander, also nicht wie ihr beide. Erst durch dich lief das Fass über oder war zumindest ein Auslöser für ihre krampfhafte Eifersucht.”
      “Ach, das kommt mir doch bekannt vor”, sagte ich lachend zu Lina.
      “Oh ja, du scheinst solche komplexen Situationen magisch anzuziehen”, sprach Lina nachdenklich, als sie ginge sie die Kette der Ereignisse in Gedanken noch einmal analytisch durch.
      „Ein Träumchen“, lachte ich.
      „Jetzt seid doch mal still!“, ärgerte sich Nour, dass ich sie unterbrochen hatte.
      „Und jetzt versucht sie dich loszuwerden”, beendete sie die Erzählung.
      “Ahja, gut. Dann wünsche ich ihr viel Spaß dabei. Für solch einen Kindergarten ist mir allerdings meine Zeit kostbar”, stellte ich nüchtern fest. Die Frau kannte mich nicht und ich sie nicht. Dass ihr plötzlicher Hass nicht von irgendwo kam, konnte ich noch nachvollziehen, aber es gehörten mindestens zwei dazu. Kopfschüttelnd richtete ich mich auf. “Aber wunderbar, dass ihr alle so großes Interesse an meinen Beziehungen hegt.”
      “Ja, das Interesse an den Mitmenschen ist hoch”, grinste Lina unschuldig, “außerdem passiert hier sonst nicht wirklich viel Interessantes.”
      “Harlen schleicht sich seit ein paar Tagen nachts aus seiner Hütte”, funkelten Nours Augen plötzlich auf. Für einen Moment hatte ich verdrängt, dass mein Bruder noch existierte, schließlich bekam ich ihn nur noch selten vors Gesicht.
      “Nun, vielleicht geht er mit dem Hund?”, verzog ich skeptisch das Gesicht.
      “Nein, er fährt mit dem BMW dann los”, grinste sie, “außer er möchte woanders mit dem Hund gehen, aber dann nachts?”
      “Oha, ob dein Bruder versucht eine Liebschaft zu verstecken?”, kicherte die Brünette, deren helle Augen sofort begonnen hatte zu leuchten, als hätte man Lichter hinter dunklen Scheiben eingeschaltet.
      „Bisher hat er es doch mit Jonina getrieben, kaum vorstellbar, dass er woanders hinfährt“, blieb ich unbeeindruckt.
      „Und warum sprechen sie nicht mehr miteinander? Ich denke nicht, dass er zu ihr fährt“, stellte sie fest.
      „Dann frag ihn doch“, zickte ich und drehte mich auf den Hacken um. Wenn er sich nicht für mich interessierte, tat ich ihm gleich. Soll er doch von Bett zu Bett springen, das geht mich nichts an.
      “Ist ja gut, du möchtest darüber nicht sprechen”, beschwichtigte Lina sogleich, “kein Grund gleich unfreundlich zu werden.”
      „Er hasst mich, also was erwartet ihr? Dass ich Luftsprünge mache, weil er glücklich ist?“, jammerte ich mit versagender Stimme und schielte zu Happy, der seinen Kopf aus der Box streckte. Da war es wieder. Ich musste mich bis morgen entscheiden, aber hatte es vollkommen vergessen.
      “Warte, wie kommst du denn darauf, dass es dich hasst?”, hakte sie irritiert nach und versuchte sich einen Zusammenhang zu erschließen.
      „Weil er seit Weihnachten nicht mehr mit mir gesprochen hat und bis heute der Meinung ist, dass ich keine Lust auf die Familie hätte, deswegen mich überall einmische und keine Ahnung habe“, ratterte ich herunter, obwohl ich überzeugt war, sie würde das bereits wissen. Sie seufzte, strich ihrer Stute dabei über das dunkle Fell.
      “Fall es dich beruhig, ich habe seit über drei Jahren nicht mehr richtig mit meinem Bruder geredet“, scherzte sie selbst ironisch, bevor sie zurück zum eigentlichen Thema kam.
      “Ignoranz heißt noch lange nicht, dass Harlen dich hasst. Vermutlich versteht er nur nicht, was in dir vorgeht und was deine Beweggründe sind und wenn ihr nicht sprecht, ist es einfacher sich selbst eine Meinung zu bilden”, sprach sie mit bedacht.
      „Du kannst auch nicht erwarten, dass jeder auf dich zugeht, sondern auch Interesse an ihm zeigen“, belehrte Nour. Sie war weniger bemüht, die Worte durch die Blume hinwegzusagen und wirkte auch nicht sonderlich begeistert von mir.
      Ich nickte nur, wollte mich auf keine Diskussion einlassen. Stattdessen verschwand ich über den Kiesweg, der sich noch immer durch tiefe Furchen der Baufahrzeuge auszeichnete. Wie ein Storch torkelte ich zur Hütte und war froh, endlich die zwanzig Zentimeter unter mir los zu sein. Ich zog mich um und startete währenddessen die Kaffeemaschine. Es bereits auf meinem Plan zu arbeiten, aber eine innerliche Kraft wollte nicht, dass ich zurück zum Stall ging. Für heute musste ich mich dem Gefühl widersetzen. Und ich tat es. Umgezogen, abgeschminkt und mit der Brille auf der Nase lief ich zurück. In der Hand hielt ich die Kaffeetasse, aus der es dampfte. Behutsam trug ich sie bei mir und war überrascht, dass die Mädels noch immer an Ort und Stelle verharrten.
      „Es ist ziemlich absurd, dass du solch Scheußlichkeiten denkst“, hörte eine zu sehr bekannte Stimme sagen. Natürlich mussten sie sich wieder einmischen, aber vielleicht war es auch angebracht. Genervt und verärgert nahm ich mir dennoch vor, zu sein.
      „Du hast mich doch vollkommen aus deinem Leben gestrichen. Was soll ich sonst denken?“, versuchte ich, meine zitternde Stimme zurückzuhalten, aber selbst meine Hände bebten.
      „Lass uns allein sprechen“, schlug Harlen vor und sein Blick wechselte zwischen den beiden Mädels, die beinah enttäuscht waren.
      „Wieso? Ich habe nichts zu verheimlichen“, spielte ich auf Nours Gerüchte an.
      „Nun gut“, seufzte er und setzte sich hin. Ich stellte jedoch nur meinen Kaffee bei ihm ab, um Happy aus der Box zu holen. Irritiert sah mich mein Bruder an, aber ich konnte beides verbinden und tat dies auch. Der Hengst folgte mir beinah seines Namens entsprechend und legte nicht einmal die Ohren an, als wir an Redo vorbeikamen. Ihr mangelndes Interesse war wohl der ausschlaggebende Grund.
      „Ich hasse dich nicht“, stellte Harlen klar.
      „Okay“, nickte ich und bürstete und großen kreisförmigen Bewegungen den Rippenbogen des Fuchses. Dieser döste mit dem Huf angewinkelt.
      „Es ist nur so, dass du dich vollkommen abschottest und ich nicht mehr die Geduld habe, dir nachzulaufen“, erklärte er weiter.
      „Und deswegen ignorierst du mich?“, stoppte ich das Putzen für einen Moment und sah zu ihm.
      „Du kommst nie von selbst“, blieb er in seiner Verteidigung. Verwundert sah ich ihn an.
      Ich war oft im Büro, auch wenn er nur selten dort zu finden war, was mich, angesichts seiner Arbeit, verwunderte.
      „Das stimmt so nicht“, mischte sich Nour ein, „Du bist kaum da. Leider muss deine Schwester in dem Punkt in Schutz nehmen.“
      „Viele Termine finden auswärts statt, das stimmt“, ging er nur halbherzig an ihre Aussage heran, „aber gut. Dann sind wir uns einig, dass wir uns uneinig sind und machen so nicht mehr weiter?“
      „Wenn du meinst“, zuckte ich mit den Schultern.
      „Ich nehme das als ein Ja. Ach, wenn ich schon mal hier bin. Was ist mit dem Fuchs? Willst du ihn oder nicht, die Besitzer haben vorhin schon wieder gefragt“, wechselte Harlen schlagartig das Thema.
      „Erst gestern hat man mich damit konfrontiert. Lina hat über ein halbes Jahr darüber nachgedacht ein Pferd zu kaufen und ich soll mich innerhalb von vierundzwanzig Stunden entscheiden?“, eine Augenbraue zog ich nach oben. In Harlens Gesicht erkannt ich, dass er genauso gut wusste, wie ich, wie schwer mir kluge Entscheidungen fielen und ich besonders bei Pferden vorsichtig war.
      „Die Mädels können dir bestimmt helfen“, lächelte er aufmunternd. „Sonst halte ich sie weiter hin, schließlich hast du auch fast Geburtstag, also gönne dir mal etwas Ruhe.“
      Mit diesen Worten verabschiedete er sich und verschwand zum Tor hinaus. Ich stand mit den beiden in der Gasse, einer schockierter als der andere. Gekonnt hatte ich auch meinen Geburtstag in vier Tagen in den Hintergrund geschoben, denn damit jährte sich auch Jennis Tod.
      “Habe ich das richtig gehört, Happy soll verkauft werden?”, hakte Lina erstaunt nach.
      “Das stand doch schon von Anfang an fest, nur, dass es direkt passieren soll”, ich seufzte und fummelte an seiner Mähne herum, die lockig am Hals herunterhing. “Mir fällt es schwer, ihn ernsthaft, so für immer zu nehmen.”
      “Das kann ich verstehen, solange kennst du ihn ja noch nicht”, nickte sie verständnisvoll.
      „Ich kenne da eventuell, wen“, kam Nour zu Wort. „Alexa sucht ein Pferd zum Trödeln und bisschen Turnier, wenn es sich ergibt. Wenn wir ihr sagen, dass das Pferd noch weiterhin Beritt benötigt, sollte das kein Problem sein. Durch die Kinder hat sie ohnehin nicht so viel Zeit.“
      „Und was möchte sie dann mit einem Pferd?“, wunderte ich mich, auch wenn es nicht meine Angelegenheit war.
      „Zum Ausreiten, Liebhaben. Was nun mal Freizeitreiter mit ihren Tieren tun“, zuckte sie mit den Schultern.
      „Okay, dann schlage ihr ihn doch vor“, sagte ich.
      „Es ist Bastis Schwägerin, falls dich das besser stimmt“, fügte sie hinzu und tippte währenddessen auf dem Handy. Dann hob sie es an. Ich nahm einen großen Schritt zur Seite, um nicht im Bild zu sein. Nour grinste sofort.
      „Sie fragt, wann sie vorbeikommen kann.“
      Mit Fragezeichen in den Augen blickte ich zu Lina, die Redo den Sattel festzurrte und zur Trense griff.
      “Idealweise noch heute”, schlug sie vor, “Je schneller das Problem gelöst ist, desto besser.”
      Ich nickte zustimmend.
      Kaum waren die Worte aufgesprochen, texten die beiden weitere Nachrichten hin und her. Ich putzte gleichzeitig den Fuchs weiter und Lina setzte ihren Helm auf.
      „Sie fragt, ob jetzt geht, also so in dreißig Minuten“, sah sie vom Gerät auf.
      „Ja, ich schätze schon. Ich weiß nicht, was die Besitzer sich vorstellen, aber das sollte in der Zeit herausgefunden werden können“, versuchte ich zu lächeln, aber konnte mich noch nicht mit dem Gedanken anfreunden. Happy war sensibel und an mich gewöhnt. Jemand Neues könnte ihn meilenweit zurückwerfen, aber so gab es zumindest die Chance, es zu kontrollieren. Also stimmte ich zu und machte mich direkt auf den Weg zum Büro. Vorher stoppte ich noch bei Lina.
      „Wo gehst du mit ihr hin?“, fragte ich nach, um mit Happy etwas vorausplanen zu können.
      “Ich wollte in die Halle gehen”, gab sie mir bereitwillig Auskunft.
      „Okay, würde es sich stören, falls sie auch in die Halle möchte? Sonst biete ich ihr nur den Platz an?“, fragte ich nach.
      “Nein, absolut kein Problem, die Halle ist ja groß genug”, lächelte Lina froh gestimmt.
      Ich bedankte mich und huschte hoch ins Büro. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann hatte ich die Besitzerin am anderen Ende. Ihr erläuterte ich die Situation sehr genau, dass ich ihn mochte, aber nicht bereit für ein eigenes Pferd war – von dem Pony wusste schließlich kaum einer – aber bereit wäre, den richtigen Besitzer zu finden. Sie freute sich darüber, erst recht, dass ich bereits jemanden hatte.
      „Aber, was ist mit Hending?“, fragte diese zum Schluss. Ach ja, der Mini Tinker kam in dem Zuge ebenfalls zum Hof. Bisher kümmerte sich Lina um die Kleine.
      „Die können wir ebenfalls vermitteln“, bot ich an. Mir wurden noch die Preise erläutert und ich würde von beiden fünfzehn Prozent des Erlöst bekommen, fand ich mehr als fair und damit beendete ich das Gespräch.
      „So, alles geklärt. Ich soll beide Pferde vermitteln und habe volle Freiheit bekommen“, sagte ich grinsend, auch laut genug, dass Lina es hören konnte.
      “Perfekt, dann muss das nur noch funktionieren, mit Happy. Das Fusselmonster bekommst du sicher leicht vermittelt”, hallte eine Antwort durch das Gebäude.
      Ihre positive Einstellung schlug nur für einen Wimpernschlag auf mich über, denn dann wurde ich nervös. Ich wusste nichts über die Dame und konnte mir nur schwer vorstellen, welche Auswirkungen es auf die Beziehung zwischen Basti und mir bedeuten könnte. Wusste sie davon? Am besten, ich würde all das ignorieren. Das Herz überschlug sich und ich musste mich setzen. Mein Kaffee stand noch immer dort, mittlerweile kalt. Leise seufzte ich, aber sippte am Rand der schwarzen Tasse. Ich kam zur Ruhe. Nour sprang zur gleichen Zeit auf und lief hinaus. Immerhin hatte ich Happy schon vorbereitet, also konnte nichts mehr schiefgehen.
      Eine große blonde Dame lief neben Nour her, lachte freundlich und sah sich im Gebäude um. Ihr folgte Hedda, die freudig auf mich zu gerannt kam.
      “Vriska”, kreischte sie meinen Namen durch den Stall. Der Hengst streckte auf, aber beruhigte sich im nächsten Atemzug. Der Rotschopf stellte keine Bedrohung dar und wollte nicht zu ihm.
      “Es wird nicht im Stall gerannt, weißt du doch”, erinnerte ich sie freundlich, aber bestimmt. Sie nickte und sah sich zu Alexa um. Die schmale, aber kräftig gebaute Frau sah man nicht an, dass sie Zwillinge ausgetragen hatte. Zumindest dieser Umstand schindete Eindruck. Ihre Gesichtszüge waren trotz des freundlichen Lächelns rau und eingefroren, die Haut angegriffen. Die Haare trug sie in einem lockeren Pferdeschwanz und am Körper eine simple dunkle Reithose, einer hellen Jacke und schwarzen Weste darüber.
      “Nett dich nun auch persönlich kennenzulernen”, reichte sie mir die Hand, „Basti hat bereits einiges erzählt.“
      „Ähm, ja, danke, also“, rang ich nach den richtigen Worten und verspürte genau die Hitze in meinen Kopf aufsteigen.
      „Das ist Happy“, übersprang ich den Teil des Gesprächs. Alexa trat langsam an den Fuchs heran, der erstaunlicherweise die Ohren aufstellte und an ihrer Hand schnüffelte.
      „Keine Sorge, bei uns ist euer Geheimnis sicher“, setzte sie unbeirrt fort.
      „Welches Geheimnis?“, wunderte ich mich sofort.
      „Er meinte, er hätte jemanden kennengelernt und es könnte etwas Ernstes daraus werden“, trat nun bei ihrem gleichen Zustand ein. Obwohl mir ihre Worte das Herz erwärmten, konnte ich nicht genau einordnen, worauf das hinauslaufen sollte.
      „Ähm“, stammelte ich wieder heillos überfordert.
      „Die beiden lernen sich doch erst einmal kennen, Alexa. Nicht jede Beziehung läuft bilderbuchmäßig ab, wie mit dir und Henne. Außerdem kennst du doch Basti“, lachte Nour. Zuversichtlich nickte sie mir zu.
      „Du hast recht, aber ich höre doch immer die Kirchenglocken läuten“, scherzte die Blonde.
      „Happy ist sieben Jahre alt, bis zur schweren Dressur ausgebildet, aber läuft unter mir aktuell nur auf mittlerem Niveau“, betete ich stattdessen die Fakten herunter.
      „Vriska, alles gut. Entspanne dich“, beruhigte mich Alexa, „solang er drei Gänge durch den Wald geht, ist mir alles recht.“
      „Ja, tut er“, nickte ich hektisch.
      „Na dann, wo ist dein Pferd?“, hakte sie nach. Offenbar wollte sie dies sogleich austesten. Schwierig, denn bisher war ich nur mit Sulky im Wald oder allein, zusammen mit einem anderen Reiter versuchte ich zuvor noch nie.
      „Wollen wir nicht erst einmal in die Halle, dass du ein Gefühl für ihn bekommst?“, versuchte ich ihr den Gedanken auszutreiben.
      „Was im Wald nicht funktioniert, wird auch in der Halle nicht besser sein“, ließ sie sich nicht von ihrem Plan abbringen. Im Kopf ratterte unter Bestand durch. Es gab nicht viele sichere Pferde für ein solches Unterfangen. Die verrückten Jungpferde wären genau das Gegenteil und die aktuell rossigen Stuten ebenfalls. Damit blieb nur unser Haflinger Fly, auf dem ich noch nie saß, oder Glymur.
      Unentschlossen stiefelte ich los in den Stall gegenüber. Glücklicherweise traf ich Bruce an, dem ich sogleich die Situation erklärte. Er sah hinter sich die Stallgasse hinunter.
      “Ich dachte schon, dass du nie fragen wirst nach ihm. Also klar, nimm ihn dir ruhig”, lächelte er freundlich. Überschüttet mit tausenden Danksagungen lief ich direkt zu seiner Box, in der er, den Kopf in einem Heuhaufen gesteckt, stand. Ich schnalzte, dann kam der Isländer sofort an. Sanft und beinah in Zeitlupe strich ihm über den Nasenrücken. Im gleichmäßigen Tempo bewegten sich seine Nüstern. Ich war wirklich dankbar für diese Möglichkeit.
      Bei uns im Stall putzte ich den Schecken über, holte meinen so gut wie genutzten Sattel und seine Trense, die damals in Kanada schon hatte. Alles für ihn besaß sich noch, würde es nie weitergeben. Wenig später waren wir bereit.
      Ich half Alexa auf den großen Fuchs und stieg schließlich selbst in den Sattel. Kaum zu glauben, dass es Zeiten gab, in denen ich täglich auf einem Isländer saß und dass etwas anderes Gefühl in Viertakt genoss. Aber mir kamen alte Erinnerungen, gut, denn vor genau einem Jahr kam er zu mir und in mir herrschte noch jene Zuneigung wie zuvor. Mit einem breiten Lächeln thronte ich im Sattel, aber behielt das Paar neben mir in den Augen. Tatsächlich wirkten sie sehr harmonisch zusammen. Der Fuchs prüfte mehrmals, ob ich da war und wunderte sich zu gleichen Teilen über das Pony. Aber seine Ohren waren vorn, nur eins kreiste wie Radiomast und peilte Alexas Stimme ab.
      Schritt, Trab, Galopp – alles testeten wir im Wald und recht schnell stand für die Blonde fest, dass Happy genau das Richtige war. Ich zweifelte noch, denn über den Preis verloren wir bisher kein Wort und wusste, dass das Deutsche Sportpferd auch andere Tage hatte. Schließlich war er müde vom Turnier am Vortag.
      „Du, sage mal“, sagte Alexa und wendete ihr meinen Blick zu, „in Manstrop bist du auch am Montag, oder?“
      Die ganze Zeit hatten wir nur über Happy gesprochen, dass es nun wieder auf das Thema zurückkam, wunderte mich wiederholt.
      „Ja, wir bleiben über die Nacht“, erklärte ich wahrheitsgemäß.
      „Ach, das ist toll“, grinste sie beinah verliebt und klopfte den Hals des Pferdes.
      „Bist du auch da oder weshalb fragst du?“, hakte ich unverfroren nach.
      „Ja, Hennes Stute läuft mit und sein Trainingspferd ebenfalls. Das hat seine Qualifikation letztes Mal bekommen und wird nun vorgestellt“, sprach sie freudig erregt, als wäre es ein großes Jubiläum.
      „Das ist schön“, lächelte ich.
      Abschließend verabschiedete sie sich am Hof. Hedda kam hinter Nour hergelaufen und warf sich mir um den Hals, als wäre ich für immer weg. Morgen würde Alexa noch ein weiteres Mal vorbeikommen und den ganzen Haushalt mitbringen, schließlich sollte der Hengst ein weiteres Familienmitglied werden. Am Montag wollte sie mir die Entscheidung mitteilen. Zeitlich schien es mir gut zu passen. Ich plante, heute Abend mit Happy noch einmal in die Halle zu gehen, nur um sicher zu sein, dass morgen alles passen würde. Mittlerweile stand er in seiner Box. Nur Glymur war noch unter dem Rotlicht und trocknete. Während ich also wartete, dass der Isländer fertig wurde, setzte ich mich auf die Bank gegenüber und holte mein Handy heraus. Gelangweilt swipte ich die Instagram-Timeline hindurch, sah mir Niklas neuesten Bilder an und schaute provisorisch in meine Nachrichten. Tatsächlich hatte mir Basti geschrieben, denn seit dem Nelly wieder aktuell war, kontrollierte sie alles, was er sonst tat – nur hier nicht.
      „Danke für den schönen Vormittag. Aber sage mal, Happy kommt weg? Und Nour dreht ihn Alexa an? Schon ziemlich verrückt. Melde dich bitte, wenn du mehr weißt“, las ich und tippte umgehend eine Antwort: „Bitte, ich bin auch sehr dankbar. Ja, offenbar. Die beiden passen gut zusammen. Sie möchte morgen noch ein weiteres Mal testen und dann bleibt abzuwarten, wie sie sich Montag entscheiden.“
      Kaum war sie Nachricht abgeschickt, öffnete er diese bereits. Es dauerte einen Moment, dann kam seine Antwort rein.
      „Es wäre schön, wenn sie auch wieder ein Pferd hat. Sie hat das Reiten in der Schwangerschaft sehr vermisst. Hat sie sonst etwas gesagt?“
      „Ja, einiges. Unter anderem, dass sie bei uns die Hochzeitsglocken hört, aber den Zahn habe ich ihr direkt gezogen, haha“, formulierte ich möglichst galant, nur wenig über meine eigenen Gefühle preisgegeben zu haben. Obwohl die Nacht gelesen wurde, dauerte es, bis eine Antwort kam.
      „Warum?“, leuchtete einzig das Wort auf dem dunklen Bildschirm.
      „Ist es nicht etwas früh, an eine Hochzeit zu denken?“, tastete ich mich langsam heran.
      „Ach so, ja. Du hast recht. Aber, wäre es in deinem Interesse?“, einerseits erfreute mich seine Frage, andererseits hatte ich Angst, dass ich zu schnell, zu viel Emotionen in ein uns steckte.
      „Ja“, schrieb ich bloß.
      „Ok“, antwortete er, dann tauchten die Punkte auf, „ich möchte dich bei mir haben heute Abend. Kommst du mit zu meinen Freunden und danach schlafen wir im Hotel?“
      Irritiert huschten meine Augen immer wieder über seine Aussage und ich noch nicht ganz begreifen, wieso er, seit dem Abstand derart besessen war. Nicht, dass ich ein Problem damit hatte – ganz im Gegenteil – ungewöhnlich, dafür, dass ihm jeder als kalt und gefühllos bezeichnete. Bevor ich ihm zusagen konnte, kam Lina mit Redo und ich steckte das Handy weg. Aufgeregt brummte Glymur über den Besuch eines anderen Pferdes. Die dunkle Stute beschnupperte ihn kurz, doch hegte kein übermäßiges Interesse an dem Hengst. Lina hingegen begrüßte das kleine Pferd erfreut mit einem Leckerli: “Du hast Glymi hergezaubert, wie schön.”
      „Und wie ist es gelaufen? Gefällt ihr Happy?“, erkundigte sie sich sogleich, während sie ihrer Stute die Trense abzog. Kaum berührte das Leder nicht mehr ihren Kopf, regte sie den Kopf zur Seite und schubberte sich am Anbindebalken.
      “Wenn man aus dem Tor geht, dann hundert Meter an den Stuten vorbei, gelangt man zu den Isländern. Es ist kein Hexenwerk, ihn hierherzuführen”, erläuterte ich grinsend, “und ja, ihr gefällt der Fuchs. Morgen kommt sie mit der ganzen Sippe.”
      “Das klingt, als sei er nahezu verkauft”, lächelte sie.
      “Und ich bekomme fünfzehn Prozent vom Verkaufspreis, also werden neue Sets gekauft”, zog ich wieder mein Handy hervor. Natürlich verspürte ich ein hintergründiges Stechen in der Magenregion, aber bei Alexa hatte ich ein gutes Gefühl. Die Mutter von zwei Kindern war die Ruhe in Person, kam dem Pferd entgegen, ohne dabei sauer zu werden.
      “Bald benötigst du ein eigenes Zimmer nur für Pferdezeug”, scherzte Lina, obwohl sie selbst auch eine beachtliche Sammlung vorweisen konnte.
      “Das aus deinem Mund”, schüttelte ich belustigt den Kopf.

      18:04 UHR

      Stunden später saß ich neben Lina auf der Tribüne, die gespannt zur Reitbahn sah. Sam war mit zwei ihrer Stuten zum Training auf den Hof gekommen. Meine Kollegin wusste bisher nichts davon, bis Mateo kurz vor der Ankunft sie darüber in Kenntnis setzte. Seitdem konnte sie weder stillsitzen noch stehen. Was für mich immer mehr die Rennpferde wurden, drehte sich ihre Gedankenwelt einzig allein, um die schweren Warmblüter aus der Schweiz.
      Ich hatte die Isländer Stute im Beritt, bereits gearbeitet, Crash longiert und war mit Maxou für zwanzig Minuten auf dem Platz. Der raue Wind und der leicht einsetzende Nieselregen verderbten uns beiden die Stimmung intensiv zu arbeiten. Also saß ich nun mit dabei, beobachtete, wie leichtfertig die blonde junge Dame mit dem hellen Fuchs durch den Sand setzte. Verita, wie mir das Pferd vorgestellt wurde, stand an den Hilfen und schwebte im Rahmen ihrer Möglichkeiten über dem Boden. Für eine neunjährige Stute kam sie ihrem Ausbildungsstand nah. Keine schwere Dressur, aber die Anlehnung war da und man sah deutlich, dass Sam am Schwung arbeitete. Einen gewissen Charme versprühten die beiden, aber ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, dass ich mich darin verlor wie Lina. Es war niedlich und eine gelungene Abwechslung zu den Teppichklopfern in Kalmar, die dort die Halle gescheucht wurden, in einer so engen Montur, dass selbst mir der freie Wille verloren ging beim Zusehen. Vielleicht sorgte schon diese Tatsache dafür, dass ich mich emotional nicht an Happy binden konnte, dem Gedanken, dass ich mich in einem System aus Tierquälerei und Symptome Behandlungen begeben könnte.
      Ich schüttelte mich, um aus dem absurden Teufelskreis in mir zu fliehen. Aber es war auch mein Handy, das Aufmerksamkeit erwartete. Dumpf vibrierte es in gleichmäßiger Tonart auf dem Holz. Für einen Moment sah ich es an, aber dann zog Mateo mein Interesse auf sich. Er kam auf die Reitbahn mit einem weiteren Fuchs, Selva, dem anderen Pferd von Sam und begann ein Hindernis aufzubauen. Die Stute stellte er in der Mitte ab. Ihr Blick rotierte im Raum, aber wie angewachsen verharrte sie.
      „Vriska, sag mal, bist du taub, oder was?”, äußerte meine Kollegin ihren Unmut über das störende Geräusch.
      „Oh“, entfloh es mir als einziges und betätigte den Sperrknopf, ohne überhaupt auf den Bildschirm zu blicken. Wer auch immer anrief, musste warten, bis mein Erstaunen über den strahlenden Fuchs mit Stern nachließ. Doch so weit kam es nicht, denn es läutete immer wieder, bis instinktiv den grünen Hörer betätigte.
      „Wo bleibst du?“, hörte ich fragen.
      „Äh“, wunderte ich mich im ersten Moment. Zu lange benötigte mein Gehirn, um die Informationen zusammenzufassen. „Jetzt schon?“
      „Ja, ich habe die mehrmals geschrieben, dass wir uns früher treffen und ich dachte, du kommst auch direkt“, sagte Basti hörbar genervt, als wäre es ein Weltuntergang, dass für ein paar Minuten nicht am Handy hing.
      “Hui, was hat dich denn gestochen?”, hakte ich flapsig nach und verschränkte den freien Arm vor meiner Brust.
      “Nelly hat davon erfahren, dass wir uns heute getroffen haben von einer Freundin, die uns gesehen hat”, änderte sich seine Stimmenlage.
      “Mh. Und dann soll ich heute dabei sein?”, fragte ich verdutzt nach und sah mit Hilfe suchenden Augen zu Lina, die jedoch Mateo auf dem edlen Ross folgte. Wenn ich es nicht besser wüsste, stellte sie sich sehr genau vor, was wohl unter dem ganzen Stoff stecken würde.
      “Es klingt blöd und ist vermutlich unüberlegt, aber ja. Ich möchte mich ablenken und du bist die Einzige, die mich versteht”, seufzte er niedergeschlagen. Eigentlich fühlte ich mich wie im falschen Film, eher schlecht verstanden als überhaupt, aber gut. Ich musste bei ihm sein, das wusste ich zumindest.
      “Okay, dann ziehe ich mich um und fahre dann los”, redete ich Basti gut zu. Er legte auf und ich steckte das Handy weg.
      “Wenn ich nicht wüsste, dass dein Ritter gerade mit einem Bino kämpfte, würde ich dir diesen wärmstens empfehlen”, flüsterte ich Lina ins Ohr und sah zu Mateo, der mittlerweile über Stangen trabte.
      “Aber dann weißt du ja, dass kein Bedarf nach einem neuen Ritter besteht”, murmelte sie, als fühle sie sich ertappt.
      “Freut mich, dass es bei euch vorangeht”, lächelte ich, “aber meiner weint, ich muss los.”
      “Dann wünsche ich dir viel Spaß beim Trösten”, grinste sie.
      Im Zimmer wechselte ich meine Kleidung, verschleierte die tiefen Augenringe hinter Schminke und lief schließlich zum Auto. Auf der roten Motorhaube reflektierte der Himmel der untergehenden Sonne. Dahinter standen die Pferde friedlich rasend auf der Weide und freuten sich, dass der Frühling in vollen Zügen über das Land rollte und die Weidesaison einläutete. Allerdings kam mir auch etwas anderes in den Blick. Niklas hatte sein, zum Ausgleich aller Minderwertigkeitskomplexe, Auto abgestellt und sah mich leider auch.
      “Offenbar wird der Tag noch besser, wenn du endlich gehst”, grinste er scharf.
      “Denkst du nicht, dass das Thema langsam durch ist? Niemand nimmt dich noch ernst, also kannst du es auch sein lassen”, sprach ich pikiert und öffnete die Tür meines kleinen Autos.
      „Niemand? Da bin ich mir nicht sicher“, hielt Niklas meine Autotür fest, um mich am Losfahren zu hindern.
      „Anstelle mich weiter aufzuhalten, soll ich dir nicht lieber deinen Willen erfüllen“, rollte ich mit den Augen und zog ein weiteres Mal an der Tür, in der Hoffnung, er würde davon ablassen. Das war nicht der Fall, stattdessen grinste er schief. “Zeitweilige körperliche Bedürfnisse solltest du mit deiner Freundin besprechen, nicht mit mir.”
      “Du weißt am besten, dass das etwas ganz anderes ist”, zog er eine Braue nach oben und schien etwas zu erwarten, was ich nicht bieten konnte.
      “Niklas, ich fühle mich nicht wohl in deiner Nähe”, appellierte ich.
      “Nun gut”, seufzte er, “dann lass ich dich in Ruhe.”
      Endlich nahm er die Hand von meiner Tür, die sofort zu zog und den Schlüssel ins Zündschloss steckte. Kaum war dieser gedreht, schloss sich die Zentralverrieglung und ich fuhr vom Hof. Mein Herz raste, ungewiss, ob es am Grund meiner Fahrt lag oder dem ungünstigen Zusammentreffen mit Niklas. Dass er so sehr der Vergangenheit nachjagte, fiel mir schwer nachzuvollziehen. Bis ich bei Bastis Freund an der Tür klingelte, versuchte ich eine Antwort auf die Aktion zu finden, aber es gab keine. Nichts deutete auf seine Motivation hin, einzig Kontrollwahn. Aber es sollte endlich Schluss sein. Ich atmete tief durch und drückte den Klingelschalter bis zum Anschlag. Als hätte Basti bereits durch den Spion geschaut, öffnete sich Tür sofort. Mit einem breiten und erleichterten Lächeln blickte er mich an, um im nächsten Moment in die Arme zu nehmen und fest an sich zu drücken. Er trug einen anderen Duft als sonst, holziger, aber milder für die Nase.
      Der Abend verlief ähnlich wie der vorherige. Den Großteil der Zeit saß ich neben ihm auf der Couch, die Arme locker vor meiner Brust verschränkt und die Männer am Trinken. Wirklich willkommen fühlte ich mich nicht, denn den Gesprächen zu folgen, fiel mir schwer und die Themen waren ebenso oberflächlich, wie ich es aus der Schulzeit kannte. Natürlich zweifelte ich bis spät in die Nacht hinein und schlief sogar an seiner Schulter ein. Irgendwann wurde ich durch ein Flüstern am Ohr geweckt.
      „Wollen wir ins Bett?“, fragte Basti mit lallendem Unterton.
      „Okay“, murmelte ich verschlafen und richtete mich auf.
      “Wir können bei Jan im Gästezimmer bleiben, dann musst du nicht fahren”, schlug er vor.
      Ich nickte und folgte ihm. Meine Brille hielt ich in der Hand, sah also nur halb, wohin ich folgte. Aber das kleine Zimmer war altmodisch, aber wohnlich eingerichtet. An den Fenstern hingen dünne verzierte Gardinen, daneben Vorhänge in Weiß mit einem dunklen Balken unten. Das Bett, auf der nur eine große Decke lag, war ebenfalls weiß bezogen und alle Möbel aus hellem, naturbelassenem Holz. Etwas verloren stand ich an der Tür, während er den Gürtel seiner Hose öffnete und diese herunterzog.
      „Soll ich das Licht ausmachen?“, fragte Basti mit leichter Verwirrung.
      „Äh, tut mir leid“, entschuldigte ich mich, aber konnte Situation noch immer schwer einschätzen. Er lächelte mich an, als könnte er durch meine Augen hinweg, direkt die Gedanken lesen. Neben mir drückte er den Lichtschalter, torkelte zum Bett und schaltete dort eine der Nachttischlampen an. Im warmen Licht zog meinen Pullover aus und die enge Hose, obwohl mich weiterhin das Gefühl beirrte, hier nicht sein zu dürfen. Gerade, als er sein Shirt über den Kopf ziehen wollte, stoppte er in der Bewegung.
      „Ich kann es anbehalten, wenn du dich unwohl fühlst“, lenkte Basti ein. Die Sache war klar: Er konnte Gedanken lesen. Oder Körpersprache lesen.
      “Wie du möchtest”, versuchte ich ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, obwohl es sich falsch anfühlte.
      “Dann behalte ich es an”, beschloss er und legte sich ins Bett. Vorsichtig krabbelte ich dazu. Wie jedes Mal vor dem Schlaf warf ich noch einen Blick auf mein Handy. Tatsächlich hatte Lina mir geschrieben.
      “Dein Ausbleiben deutet wohl auf einen erfolgreichen Abend hin”, war die erste Nachricht, die sie bereits vor geraumer Zeit gesendet hatte. Das hatte sie offenbar direkt dazu veranlasst, noch eine weitere Nachricht zu verfassen: “Dann wünsche ich dir weiterhin viel Spaß mit deinem Ritter.” Am Ende des Satzes leuchtete ein anrüchig zwinkernder Smiley, welches eher untypisch für ihren üblichen Emoji-Gebrauch schien. Später musste sie mir Frage und Antwort dazu stehen.
      “Na, schreibst du deinem Freund noch gute Nacht?”, drehte er sich zu mir. Zweifelhaft huschten meine Augen zu ihm.
      “Natürlich, der vermisst mich ganz doll”, scherzte ich, dabei huschten meine Finger über den Bildschirm, aber Basti nahm es mir weg. Kurz prüfte er meine Reaktion, die es nicht gab.
      “Der wartet sicher auf dich, sonst ist er doof”, lächelte er und legte es auf seiner Seite des Tisches ab. Deutlicher rutschte ich an ihn heran und selbst er, nahm mich näher an sich heran. Obwohl Kuscheln unsere einzigen Zärtlichkeiten wurden, fühlte es sich nach dem perfekten Tag an.

      SAMSTAG, 9:45 UHR
      LINDÖ DALEN STUTERI

      Nach einem gemeinsamen Frühstück trennten sich die Wege wieder. Ein weiteres Treffen wurde nicht vereinbart, was mir einen kleinen Stich versetzte, aber ich musste der Realität ins Auge sehen. Ich war für unbestimmte Zeit seine Ablenkung und nur ein Spielzeug, Forderungen jeglicher Art musste ich zurückziehen und hinunterschlucken.
      Am Hof stand Duschen auf dem Plan. Doch schon auf dem Weg erinnerte mich eine freundliche Nachricht an einen Termin.
      „Hallo Vriska, wir freuen uns schon. Passt die gegen 12 Uhr? Liebe Grüße, Alexa“, schrieb sie. Auf dem Bildschirm starrend, lief ich zur Hütte.
      „Hallo, ja passt. Bis später“, antwortete ich nur und steckte das Handy weg. Die rote Batterie am Bildschirmrand versuchte mir schon seit einer Weile zu signalisieren, dass es Zeit war, dem Gerät keinerlei Beachtung zu schenken.
      „Guten Morgen“, trällerte Lina mir mit bester Laune entgegen, als ihr Weg sie zufällig, oder wohl eher gezielt, zu mir führte.
      „Du hast am Fenster gewartet oder steckt ein Schäferhund in dir?“, kicherte ich beiläufig, aber hielt bei ihr an. Offenbar bewirkte Niklas Wunder oder es waren die weiteren Freiberger in dem Gastpferdestall, die sie am frühen Morgen in Samu-Laune versetzte. Vermutlich war es von allem etwas, während meine Stimmung eher gedrückt auf meinen Schultern lag, was ich mit Höflichkeit bewusst überspielte.
      „Vielleicht ein wenig von beidem“, grinste sie und probierte, nicht einmal ihre Wissbegier zu verbergen, „Wie war dein Ausflug?“
      “Aufschlussreich, denke ich. Du bist offenbar mein Freund. Ansonsten ziemlich eintönig, aber solange er mich bei sich haben möchte, werde ich da sein”, erklärte ich meine Motivation. Vielmehr gab es nicht zu erzählen, außer es interessierte sie, wie viele Biere er trinken konnte, ohne einen Kater zu haben.
      „Cool, ich wusste gar nicht, dass ich zwei Beziehungen führe“, sprach sie erheitert, „Nicht spektakulär, aber entspanntes beisammen sein hat ja auch etwas Schönes.“
      “Das stimmt natürlich”, verschwieg ich alle weiteren Umstände. Bevor ich wieder in mein Loch aus Selbstmitleid versank, verabschiedeten wir uns für den Moment voneinander, denn ihre Pferde hallten durchs Stallgebäude. Das Wiehern könnte auch von Shaker oder Nobelium stammen, so sicher konnte man sich bei dem Geschrei der Hengste nie sein.
      In der Hütte sprang ich unter die Dusche und schnappte mir frische Kleidung. Wie mittlerweile jeden Tag, zog ich keine Reithose mehr an, nur noch Arbeitshosen, denn die meisten Stunden verbrachte ich auf dem Sulky. Seitdem die ersten Jungpferde drei und vier Jahre alt wurden, war es Zeit, sie für die Rennen oder den Verkauf als Reitpferd vorzubereiten. Selbst Zweijährige mussten schon an den Sulky, obwohl Tyrell all die Jahre zuvor versuchte, das System zu umgehen. Ihm gefielen die zu jungen Tiere im Rennen nicht, zu gestresst, vollkommen verrückt.
      Die meisten Jungtiere präsentieren bereits im Training den nötigen Rennwillen und Leistung. Nur wenige Ausnahmen gab es, doch diese waren bereits in neues Zuhause gezogen. Dennoch war jedes Pferd verkäuflich, wie es sich so gehörte, hatte Lars mir an einem Abend erklärt. Nickend nahm ich Tatsache hin, aber hoffte darauf, dass Tyrell Northumbria nur über meine Leiche abgeben würde. Die Interessenten gab es, aber von ernsthaften Angeboten hörte ich bisher nichts – besser so!
      Mit der Kapuze über den Kopf gezogen und den Händen in der Kängurutasche, lief ich zum Stall hinüber. Neugierig stellte Eifel ihre Ohren auf, als ich an der Box vorbeikam und die braune Stute mit den kleinen Abzeichen am Kopf begutachtete. Sowohl auf der Stirn als auch der Nase zeichnete sich eine beinah gleichmäßige Raute ab. Da sie bei Lars im Training stand, fuhr nur er die hübsche Stute. Einzig in die Führanlage durfte ich sie bisher begleiten.
      „Ach, sieht man unseren Topseller auch mal wieder?“, begrüßte mich besagter Herr.
      „Als hätten wir einander gestern nicht angetroffen“, scherzte ich und strich Eifel liebevoll über die Nase. Ihre Lippe bewegte sich interessiert mit.
      „Dennoch habe ich dich bei mir vermisst“, gab er offen zu, „Aber man munkelt, dass du bei Basti warst.“
      „Möglich“, blieb ich verhalten.
      „Auch, wenn mir der Gedanke noch immer nicht gefällt, freue ich mich für dich“, sprach Lars gutmütig, „worauf ich hinaus möchte: Eichi hat sich von ihrer Ankunft gut erholt. Wärst du bereit, dich um sie zu kümmern und zu fahren?“
      Mit weit aufgerissenen Augen sah ich über das Brillengestell hinweg zu ihm hinauf. Obwohl ich nur unklar seine Gesichtszüge erkannt, entzifferte ich Freude darin, die ich auf das Überraschungsmoment schob. Die zehnjährige Stute hatte ihre Rennkarriere zu großen Teilen hinter sich, würde damit ein gutes Pferd für mich sein, weitere Erfahrungen zu sammeln. Ich musste gar nicht lange darüber nachdenken. Wenn Happy nun wegfallen würde, wäre Platz für ein anderes Pferd.
      „Sehr gern“, nahm ich das Angebot dankend an.
      „Perfekt, du hast alle Freiheiten“, erklärte er. „Wie sieht es aus, hast du noch Zeit für eine lockere Runde durch den Wald?“
      „Eine nur?“, gab ich belustigt zurück.
      „Du weißt genau, was ich meine“, wies er darauf hin, dass er ein Jogg fahren wollte, dem ich mir natürlich bewusst war.
      Ich führte meinen neuen Trainingspartner aus der Box. Erst beäugte mich die Stute, schnupperte an der Jackentasche und folgte dann. Mit Ruhe putzte ich das nervöse Pferd über. Sie zitterte am ganzen Körper und wackelte mit der Unterlippe, alles andere als starke Nerven. Wenn sie einen Schritt nach vorn setzte, schob ich sie zurück. Ihr Erinnerungsvermögen sprach für den Namen, den sie trug – Eichkatze. Es fühlte sich an, wie ein unendliches Spiel, kaum setzte sie den Huf zurück und ich kreiste mit der Bürste weiter das Fell, versuchte sie erneut auf Position zurückzukehren.
      „Wusstest du, dass das Stütchen Zweite wurde im Stutenvorlauf?“, fragte Lars und luckte am Balken vorbei zu mir.
      „Welche? Eifel und Eichi?“, holte ich mir genauere Informationen ein.
      „Der plüschige Fuchs, der mich schief anschielt“, legte Lars besonders viel Wert darauf, dass sie nur noch Augen für ihn hatte.
      „Aber warum nur im Vorlauf? Was wurde aus dem Finale geworden?“, hackte ich mürrisch nach.
      „Beim Start gesprungen, das erste und einzige Mal“, zuckte Lars mit den Schultern, „seitdem ging sie von einem Trainer zum nächsten.“
      „Kann ich nicht nachvollziehen, soll das arme Pferd doch in Sportrente gehen. Gibt bestimmt jemanden, der gut mit ihr klarkommt“, sprach nachdenklich und zurrte den Gurt fest. Als würde sie mir zustimmen, wippte sie mit dem Kopf und gähnte.
      „Zumindest im Training ist sie motiviert“, führte er an, aber in seiner Stimme hörte ich Zustimmung meines Vorschlags heraus.
      Auch im Wald unterhielten wir uns weiter darüber, weshalb die Stute im Sport nichts mehr zu suchen hatte. Natürlich kamen wir dabei auch auf Eifel, die ebenfalls schon älter war und Verschleißerscheinungen, wie es in jedem Sport gang und gäbe war, zeigte. Die Aufwärmphase dauerte beinah doppelt so lange, wie die unserer Jungpferde, auch beim Abfahren zählte jede weitere Minute. Sie schwitzte zu stark, schaumig und im Wetterwechsel lahmte Eifel sogar. Heute, an einem eher kühlen Frühlingstag, schwitzten die Stuten schon nach zwanzig Minuten Schritt. Dabei hatten wir noch nicht einmal die Arbeitsphase begonnen. Gegen Wind und eine Erkältung trugen beide eine Nierendecke. Zumindest sollte diese das Schlimmste verhindern.
      Gedanklich bei Happy, aber konzentriert auf den Fuchs vor mir, fuhr ich durch den Sand. Die Pferde hatten wir in den Trab umgestellt und drehten Runde, um Runde. Zwischendurch blickte ich auf den kleinen Monitor vor mir, der zwar voll mit Matsch war, aber die Werte der Stute noch erkennbar. Was auf den meisten Trainingshöfen monatliches Monitoring war, gehörte bei uns zum Alltag. Jedes Pferd hatte am Gurt einen Pulsmesser installiert, der den Herzschlag und die Geschwindigkeit maß und wir konnten diesen Live sehen. Für ihr Alter schlug sich Eichi gut, entgegen ihrer Trainingspartnerin, die zu schnell in ungesunde Frequenzen kam. Lars bremste sie ab und daraus resultierte, dass wir ihn umrundeten.
      „Ich fahre zurück“, sagte er und bremste in den Schritt ab. An Eifels Augen kam das weiß hervor, auch ihre Nüstern pulsierten.
      „Mach‘ das, wir kommen nach“, erklärte ich nachdenklich und legte einen kurzen Sprint ein. Schnaubend kam der Fuchs Tempo. Ihre Hufe trommelten durch den tiefen Sand. Unter mir rasselte der Sulky und die Umgebung verschwamm im Augenwinkel. Gerade, als wir auf Hochtouren kamen, bremste sie aus heiterem Himmel ab, scheute und ich konnte mich am Gestell festhalten. Mit einem Satz sprang Eichi zur Seite. Mir stockte der Atem, aber wir standen und ich saß noch. Direkt stieg ich ab, um mir selbst mit der gefährlichen Situation klar zu werden. Die Stute atmete aus, wie ein Drachen und suchte nach einem anderen Ungeheuer im Busch. Ich sah nichts, hörte nur lautes Rascheln. Was uns beiden das Leben hätte kosten können, blieb im Verborgenen und auch, als wir im Schritt ganz langsam dem Geläuf folgten, trafen wir es nicht erneut.
      Am Hof angekommen, erzählte ich sofort Lars davon, der mich nur skeptisch anschaute.
      „Eichi ist nicht schreckhaft, so gar nicht“, erklärte er ungläubig und klopfte der Stute den verschwitzten Hals. Wieder zitterte sie.
      „Da habt ihr aber ein hübsches Modell am Wagen“, kam ein mehr oder weniger bekanntes Gesicht angelaufen. Abermals zuckte ich zusammen, noch nicht ganz erholt von dem Schock. Es war Bastis Bruder Henne, der, gefolgt von seiner Frau und Zwillingen, die Stute bewunderte.
      „Ja, aber die steht nicht zum Verkauf“, wandte sich Lars ihm zu und begrüßte ihn mit einem beinah brüderlichen Handschlag.
      „Du weißt so gut wie ich, dass jedes Pferd verkäuflich ist“, scherzte dieser.
      „Deswegen sind wir aber nicht hier“, mahnte Alexa, die mich freundlich anlächelte.
      „Schauen kostet doch nichts“, neckte er. Spielerisch rollte sie mit den Augen.
      Ich führte Eichkatze zum Anbinder, während Lars sich mit unserem Besuch beschäftigte. Erst nahm ich den Sulky ab, dann jedes Teil vom Rücken und der Beine. Gleichzeitig genoss sie die verdiente Portion Futter, bevor es zum Duschen, Inhalieren und Trocknen unter das Rotlicht ging. Das betreute mein Kollege, denn Alexa konnte es gar nicht erwarten, Happy auch in der Halle kennenzulernen. Leider hatte ich es aufgrund der Umstände nicht mehr geschafft, ihn zu reiten.
      Ungewiss darüber, welche Laune der großgewachsene Fuchs hatte, führte seine fast Besitzerin ihn aus der Box. Nur für einen Moment legte er die Ohren an. Beim Putzen und Satteln kam sie gut ohne mich klar, was ihr Mann natürlich nutzte, um mich auszufragen.
      „Wie viel soll der Spaß uns hier kosten?“, fragte er mit gezogener Braue. Die beiden Kinder saßen auf der Bank und spielten mit Autos.
      „Welcher Spaß? Happy?“, Henne nickte, „fünfhundertfünfzig tausend Kronen.“ Es war der Anfangspreis und um hundertfünfzigtausend durfte ich lockern.
      „Nun gut“, sagte er, „sollte passen, wenn er das Niveau laufen kann.“
      Gerade als ich ihm sagen wollte, dass der Fuchs in der Lage dazu ist, aber aktuell nicht trainiert, hielt mich Lars mit bohrenden Blicken auf. Er spürte, was ich zu sagen versuchte. Dem Pferdeverkauf ging ich bisher gekonnt aus dem Weg, so veranstaltete ich den letzten mit Lina zusammen, die gekonnt an die Situation heranging. Manchmal beneidete ich sie wirklich für ihre Neutralität.
      „Mein Bruder erzählte vorhin, dass der Fuchs bereits ein Turnier mit dir lief“, führte Henne an.
      „Das stimmt. Seit geraumer Zeit ist er bei mir im Beritt und entwickelt sich stetig weiter“, fügte ich hinzu.
      „Gut, wärst du bereit, das weiterzumachen? So, ein- bis zweimal die Woche?“, fragte er. Darüber musste ich nicht nachdenken, schließlich war dies auch eine der Voraussetzungen, über die Nour Alexa bereits informierte.
      „Beritt? Natürlich. Die ersten zwei Wochen wären ohnehin im gemeinsamen Austausch, dass Alexa ihn besser kennenlernt und ich im Namen der Besitzerin gewährleisten kann, dass er klar im Kopf bleibt“, erklärte ich ausführlich. Zwischendrin nickte Henne.
      „Vriska? Wir sind so weit“, trällerte Alexa freudig erregt. Ich wandte mich von ihrem Ehemann ab und lief vor, um ihr den Weg zur Reithalle zu zeigen. Der Fuchs trat interessiert hinterher, als wüsste er genau, worum es ging.
      Das Probereiten in der Halle begann schwierig. Happy ließ sie nicht aufsteigen, sodass ich ohne Helm mich in den Sattel setzte und zunächst einige Runden im Schritt und Trab einlegte. Genervt schlug er mit dem Kopf, drückte sich wie so oft in die Zügel, um seinen Willen zu bekommen. Zeit zum Ausdiskutieren war nur begrenzt. Mit vielen Paraden bekam ich ihn an die Hand, um nun die Interessentin reiten lassen zu können. Ich hielt ihm am Gebiss und sie stieg auf. Bereits nach einer Runde herrschte diese gewisse Verbindung zwischen den beiden und ich konnte mich entspannt zurücklehnen.
      „Gehst du mit Noby ausreiten oder soll ich ihn bewegen?“, fragte Nour von der Seite und kam mit Blesa gerade aus dem Training. Die kaltblütige Stute pumpte ebenso wie die anderen Pferde.
      „Kann ich machen, wenn du dafür mit Piri fährst“, verhandelte ich.
      „Du willst doch nur nicht mit Lars auf die Bahn“, grinste sie von sich überzeugt, aber stimmte schließlich zu. Er war weniger der Grund für Unwilligkeit, eher die zickige erdfarbene Stute. Wir verstanden uns nie wirklich. Ihre sensible Ader und meine Ungeduld trafen auf einen scheinbar unlösbaren Konflikt, den ich nur schwer zu lösen wusste. Da die Vierjährige aber täglich gefahren wurde, meistens locker für die Ausdauer, musste jeder mal ran.
      „Ist Noby der Braune, in der zweiten Box?“, fragte Henne aus heiterem Himmel.
      „Ja, wieso?“
      „Der stand doch noch vor einer Weile in Malmö und lief dort Monté mit Caro“, musterte er von der Tribüne das Pferd, dessen Kopf interessiert auf der Box lag. Ich konnte der Unterhaltung nur schwerfällig folgen. Der Grund seiner Fragen erschloss sich nicht aus den Fetzen, außerdem war ich mit einem Auge bei dem Fuchs, der fleißig unter Alexa lief.
      „Das ist richtig, aber da wir nun mehr Trainer haben, können wir das Geld sparen“, erklärte ich.
      „Henne, was habe ich zum Thema Pferdekauf gesagt?“, tadelte sie ihren Mann, der sich wieder gerade hinsetzte und zu ihr sah.
      „Ist doch gut, ich frage doch nur“, rollte er mit den Augen und blieb schließlich am Fuchs kleben. Eine Weile ritt Alexa diesen noch, bis sie schließlich abstieg und in der Stallgasse absattelte. Das Geschehen selbst beobachtete ich aus gewisser Ferne. Schwere lag weiterhin auf meinen Schultern, das Gefühl mich einer Aufgabe anzunehmen, der ich nicht gewachsen war. Woher dieses Empfinden kam, wusste ich nicht und selbst, wenn ich mit jemandem sprechen würde, klang es nach wirren Worten. Ein Teil würde wohl von meinem Vergessen kommen, Dinge, die nur um meinen Geburtstag herum aufkamen.
      „Also, wir reden noch am Renntag“, lächelte Alexa beim Gehen. Ich stimmte freundlich zu, obwohl meine Augenlider immer schwerer wurden und ich nicht genau einschätzen konnte, wie lange ich noch wach bleiben konnte. Die beiden schienen zu wissen, was der Grund dafür war, aber lächelten nur. Aus dem Gebrabbel beim Gehen entnahm ich jedoch, dass die gestrige Begeisterung über Basti und mich umgeschlagen war. Weiteres werde ich wohl noch früher erfahren, als es mir lieb war.
      Lina
      In einem flotten Schritt lief der Hengst über den Sand, der gezeichnet von hellen Sonnenstrahlen, gemustert erschien, wie die schuppige Haut einer Schlange. Die sanften Wellen seiner Mähne, die als letzte Spuren von dem Turnier geblieben waren, wogen sanft im Takt der Bewegung. Rambi hatte mich am Donnerstag wirklich überrascht, hatte ich sein Training im Vorhinein nie mitverfolgen können. So erwartete ich, dass er die Flausen, die er unter dem Sattel zeigte, ebenso vor der Kutsche zeigte, doch es kam ganz anders. Kaum hatte Sam begonnen, das ordentlich geputzt Geschirr auf seinem Rücken zu befestigen, wurde der Freiberger zum reinsten Lämmchen. Artig stand er still, interessierte sich kein Stück mehr für die Stuten, die an ihm vorbeiliefen. Mir war fast so, als habe Sam ein anderes Pferd vor der Kutsche. Ausdrucksstark rollte das Gespann über den Sand und vollführt die geforderten Lektionen in Präzision. Es sah leicht aus, wie ein Kinderspiel. Dennoch konnte ich die Performance nicht genießen. Aufgekratzt von meinem eigenen Auftritt und dem ungewöhnlichen Verhalten meines Hengstes, war ich in ständiger Erwartung, dass der Braune losspringen könnte, zuckte bei jeder unerwarteten Bewegung zusammen und krallte mich panikartig an den Arm meines Freundes. Entgegen den katastrophalen Bildern, die mein Unterbewusstsein heraufzubeschwören suchte, bleib Rambi artig. Mit Leichtigkeit gelang es Sam und dem erfahrenen Hengst, die Konkurrenz in dem mittelschweren Wettbewerb zu schlagen, womit auch er eine blau-gelbe Schleife mit nach Hause trug.
      Abrupt kam der Hengst zu stehen und brachte mich für einige Sekunden aus dem Gleichgewicht, als besagte junge Dame fröhlich grinsend am Zaun auftauchte.
      „Oh, du bist bereits fleißig“, begrüßte sie mich, während Rambi neugierig die Nase nach ihrem Kaffeebecher ausstreckte.
      „Natürlich, hast du mal auf dir Uhr geschaut?“, lachte ich, „Die ersten beiden stehen schon wieder glücklich im Stall.“ Wie es den Anschein machte, hatte Mateo seine Schwester schlafen lassen, sodass sie erst jetzt den Weg in den Stall fand. Logisch, wenn man nur zwei Pferde zu versorgen hatte, konnte der Morgen auch gemütlich starten.
      “Ach ja, ist doch noch früh. Kaffee?”, bot sie mir ihre Tasse an. Ich schüttelte ablehnend den Kopf. Wie konnten alle nur dieses Gebräu mögen? Rambi, der noch immer sehr interessiert an dem Porzellan war, steckte kurzerhand die Zunge hinein.
      “Ey, das ist meiner”, beschwerte sich die Blondine und zog dem Pferd die Tasse weg. Irritiert von dem Geschmack auf seiner Zunge, wippte der Hengst mit dem Kopf, streckte die Zunge wiederholte Male aus und schüttelte sich.
      “Offenbar findet er Kaffee genauso doof wie ich”, schmunzelte.
      “Ich weiß nicht, was dein Problem ist, dieser Kaffee ist ganz wundervoll”, entgegnete sie und nahm einen demonstrativen Schluck. Angewidert verzog ich das Gesicht. Lecker, Gebräu mit Pferdesabberzusatz.
      “Na, dann genieße du mal das da, ich mache dann mal weiter”, sprach ich und drückte Rambi sanft die Waden in die Flanken. Gehorsam setzte sich der Freiberger in Bewegung und ich begann ihn zu arbeiten. Das Pferd strotze heute vor Energie, welche es allerdings lieber dafür einsetzte, den vorbeigehenden Stuten schöne Augen zu machen, anstatt das zu tun, was ich von ihm wollte. Die Einheit gestaltete sich zäh und mühsam, was den Machtkämpfen geschuldet war, die Rambi auszufechten versuchte. So bemüht darum, die Oberhand zu behalten, merkte ich nicht, wie Niklas sich am Zaun dazu gesellte, bemerkte ihn erst, als ich den Hengst dort anhielt.
      „Der fordert dich ja ganz schön heraus, hatte ich gar nicht gedacht“, stellte die Blondine fest, die den Hengst bisher immer nur kurz unter dem Sattel sah.
      „Ja, Rambi kann ein echter Sturkopf sein. Du hattest wohl das Glück, die wohlerzogene Hälfte zu erwerben“, lächelte ich. Das Tier, welches nur wenig erschöpft schien, reichte seinen Hals zu Niklas hinüber und knabberte zart am Saum seines Sweaters. Halbherzig rettete er den Stoff vor den Zähnen und kraulte ihm die helle Stirn.
      „Wer sagt denn, dass das meine Hälfte ist?", lachte sie, „Habe ich eben deinem Freund schon gesagt, ich finde, du schlägst dich wirklich gut. Mache nur weiter so, dann ist er unter dem Sattel bald genauso brav.“ Entspannt hatte der Hengst die Augen halb geschlossen und genoss die Massage, die sich mittlerweile bis auf seine Ohren ausweitete. Kein Wunder, diese Finger konnten wahre Wunder bewirken, wenn sie in kleinen Kreisen über müde Muskeln glitten.
      „Danke“, entgegnete ich bescheiden. Bis heute war sie mir ein Rätsel. Bei ihrem Bruder war mir mehr als deutlich, woher die ständige Freundlichkeit rührte, aber bei Sam … außer der Liebe zu derselben Rasse konnte ich bisher nicht herausfinden, was uns verbinden würde und auch ihre ständige gute Laune, war schon beinahe Samu ähnlich. Die Schweizerin wirkte stetig, als wandle sie bereits seit einem Jahrhundert auf dieser Erde und habe längst alles gesehen und dennoch wusste ich kaum etwas über sie und ihren Bruder. Kaum hörte Niki auf den Hengst zu streicheln, öffnete sich die Augen und er stupste ihn fordernd an, das Wellness Programm fortzusetzen.
      „Sieht aus, als sei dir noch jemand verfallen", lächelnd ich und strich dem Hengst durch die lange Mähne. Wieder stieß das Pferd gegen seinen Arm.
      „Ich bin zweifellos unwiderstehlich”, sprach er von seiner Anziehung überzeugt und präsentierte sich wie ein balzender Pfau.
      “Glaubst auch nur du”, schmunzelte ich und funkelte ihn neckisch an. Freundlicherweise öffnete Samantha das Tor, sodass ich es passieren konnte. Ich glitt aus dem Sattel und schob den Steigbügel hoch. Als ich unter dem Hals des Hengstes hindurchtauchte und dieses dort zu wiederholen, war Niklas bereits zur Stelle und lockerte auch gleich den Gurt.
      “Wenn ich so unattraktiv für dich bin, muss ich mir wohl jemand anderen suchen, der mit mir ausreitet. Samantha, hast du Lust?” funkelte er mich dabei herausfordernd an.
      “Sam hat sicher ganz viel zu tun”, intervenierte ich, bevor sie überhaupt eine Chance hatte zu antworten. Ein leichtes Ziehen in der Magengegend schrie danach und beanspruchte augenblicklich diesen Platz nicht der attraktiven Blondine zu überlassen. Auf den Lippen meines Freundes ließ sich ein zufriedenes Schmunzeln erkennen. Er wusste genau, welche Knöpfe er drücken musste, die gewünschten Antworten zu erhalten. In der Ferne ertönte das Knirschen des Kieses unter Autoreifen, bevor das Motorsurren verstummte.
      “Geh du mal mit deiner Freundin ausreiten”, lehnte Sam ab und schielte unauffällig zum Parkplatz, der allerdings zu verborgen lag, als dass man das wirklich etwas dort hätte beobachten können. Wen sie wohl erwartete?
      “Sieht so aus als müsste ich wohl dich mitnehmen”, flüsterte er mir neckisch ins Ohr. Sein warmer Atem strich über die Wange und brachte meine Haut zum Kribbeln, als würde eine Ameisenstraße darüber kriechen.
      “Du bist ziemlich frech”, schmunzelte ich und blickte zu ihm hoch. Im hellen Sonnenlicht erschienen seine Augen in nahezu markloses Blau. Verschmitzt grinste, er streichelte mit seinem Daumen zärtlich meine Wange. In einer zarten Begegnung trafen unsere Lippen aufeinander und sendete kleine Schauer meinen Rücken hinunter.
      “Ich nehme das Pferd dann mal mit in den Stall”, grinste Samantha und griff nach Rambis Zügeln. Mit einem leichten Zupfen daran setzte sie den braunen in Bewegung. Der dunkle Schweif pendelte locker hin und her und trottete artig neben ihr her.
      “Da sollten wir wohl auch hin”, sprach ich sanft und löste mich beschwerlich von meinem Freund. Niklas gab mir einen letzten Kuss auf die Stirn, bevor wir Sam folgten. Smoothie reckte ihren Kopf aus der Box und blubberte leise, als sie ihren Besitzer erblickte, der sie sogleich freundlich begrüßte.
      “Lass dir Zeit, ich gehe erst Sam mit Rambi helfen”, drückte ich ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor Smooth ihn völlig vereinnahmte. Er nickte und betrat die Box der hibbeligen Stute.
      Am Putzplatz war die Blondine schon fast damit fertig unser gemeinsames Pferd abzusatteln, sodass ich gleich sein Futter holte. In der Plastikschüssel landete eine Schippe Kraftfutter mit einem kleinen Zusatz an Mineralstoffen, da Rambi sich ein wenig mäkelig beim anstehend Fellwechsel zeigte. Gierig steckte der Hengst die Nase in die Schüssel und begann sein Futter zu verschlingen. Während wir dem Hengst zusahen, fragte Samantha mich über Mola aus. Mateo musste ihr erzählt haben, dass ich das junge Rennpferd in Ausbildung hatte, was sie zu verwundern schien, konnte sie keine Berührungspunkte zwischen mir und den Trabrennen entdecken. Der Hengst schob die leere Schüssel vor sich her im Versuch, auch noch die letzten Krümmel zu erlangen. Ich nahm den Strick vom Haken und hängte ihn an. Die Schweizerin begleitete uns ein Stück, bis uns ungefähr auf der Hälfte des Wegs ihr Bruder begegnete, von dem sie etwas zu wollen schien.
      Rambi verschwand schnell in der Herde und brachte diese so gleich in Schwung, als zwei jüngere Tiere ihn nicht schnell genug den Weg räumten. Für den Ausritt holte ich mir Brownie vom Paddock. Ich kannte den Hengst bisher nur flüchtig, doch bereits in der Herde wirkte er freundlich. Kaum hatte ich samt Pferd das Tor zur Stallgasse betreten, ertönte eine melodische Tonfolge aus meiner Tasche. Interessiert beschnupperte Brownie das Gerät, dessen Bildschirm ich verwundert anblickte. Eine mir unbekannte Nummer mit kanadischer Vorwahl leuchte auf dem Display. Welcher Unbekannte kontaktiert mich denn aus Kanada, zumal es dort noch mitten in der Nacht sein dürfte. Erwartungsvoll wischte ich über den Bildschirm und das Gespräch anzunehmen.
      "Liiinaaa, gut, dass du dran geht's", quietschte eine Frauenstimme aufgeregt aus den Lautsprechern. Zweifelsfrei war es eine meiner ehemaligen Kolleginnen.
      “Hey, Quinn”, sprach ich freundlich, während ich mit der freien Hand versuchte, die Anbindestricke an seinem Halfter zu befestigen, “Wie geht es dir?”
      “Wundervoll”, tönte es viel zu fröhlich für die Uhrzeit aus dem Gerät. Danach folgte ein zusammenhangloser Vortrag über die neusten Ereignisse auf dem WHC, wovon ich nahezu nichts verstand. Brownie anzubinden hätte sich als ziemlich erfolglos herausgestellt, hätte Niklas dies nicht kurzerhand übernommen.
      “Sag mal Lina, du wohnst doch noch in Schweden?”, schien meine ehemalige Kollegin zu dem eigentlichen Grund ihres Anrufs zu kommen.
      “Ja”, frage ich ein wenig misstrauisch, während ich begann, dem Hengst das schokoladenbraune Fell zu bürsten. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass Quinn ohne Hintergedanken so seltsam fragen würde.
      „Perfekt, dann kannst du uns sicher ein paar sehenswerte Orte empfehlen“, trällerte sie fröhlich. Warte, wer war denn uns und warum wollte Quinn nach Schweden kommen.
      „Du weißt aber schon, dass Schweden nicht nur ein Dorf ist? Du müsstest schon eine genauere Ortsangabe machen“, wies ich sie hin und überlegte sogleich. Ich selbst könnte nur wenig dazu beitragen. In der gesamten Zeit kam ich nur wenig vom Hof und kannte kaum mehr als das nähere Umland und einige wenige nette Ecken von Kalmar, die mir Niklas zeigte. Allerdings lebten ausreichend Menschen an diesem Ort, die dieses Land deutlich besser kennen sollten.
      „Ähm, ja warte kurz“, entgegnete sie. Im Hintergrund hörte ich sie mit jemandem reden, dem Klang nach eindeutig männlich. Ob sie einen Freund hatte? Weswegen würde sie sonst so früh morgens bereits einen Mann bei sich haben?
      „Kalmar“, verkündete sie froh gesinnt, „Raphael und ich kommen zu dem großen Springturnier. Na ja, und wenn wir schon mal da sind, wollten wir uns ein wenig umsehen.“ Der Name kam mir im Zusammenhang mit Springen seltsam bekannt vor, doch woher? Aus der Zeitung vielleicht?
      „Okay, da sollte sich etwas finden lassen, aber ich muss jetzt Schluss machen. Mein Freund wartet“, lenkte ich das Gespräch zum Ende hin, als Besagter mit dem Sattel begann.
      „Prima und viel Spaß euch zwei. Schreibst du mir dann einfach deine Empfehlungen?“, stellte sie eine Rückfrage. Ich nickte, bis mir erst eine Sekunde später auffiel, dass sie es nicht durch das Telefon sehen konnte.
      “Ja, ich schreibe dir nach der Arbeit”, bestätigte ich Hilfsbereich und beendete damit das Telefonat. Smoothie war schon nahezu fertig gesattelt und kratzte ungeduldig mit den Eisen über den Beton. Mit einem leichten Patscher gegen die Schulter, des Schimmels unterband Niki das Verhalten.
      “Gehe ich wohl mal einen Sattel suchen”, grinste ich voller Vorfreude auf den bevorstehenden Ritt und lief in die Sattelkammer, um in der gigantischen Auswahl an Equipment hoffentlich etwas Passendes für den Trakehner zu finden.

      AM ABEND
      Vriska
      „Der hat mich einfach den Sand gesetzt“, erzählte ich wild gestikulierend von meinem kleinen Ausflug in den Wald mit Nobelium. Vermutlich sah der Hengst dasselbe Gespenst wie Eichi am Tag zuvor. Aufgebracht sprang er zur Seite, nur rechnete ich damit nicht und verlor das Gleichgewicht.
      „Aber es ist doch noch alles an dir dran, jetzt rege dich nicht so auf“, versuchte Lars mir mit guten Worten zuzureden. Immer wieder sah er sich um, als würde jemanden suchen oder gar entkommen.
      „Das Gespenst scheint dich nun heimzusuchen“, scherzte ich, aber verzog verärgert das Gesicht. „Ist doch schon gut. Du musst das nicht an mir auslassen.“
      „Alles gut“, lachte er inzwischen und legte freundschaftlich die Hände auf meinen Schultern ab. Dabei drückte Lars leicht in die Muskulatur, als wolle er mich massieren, was zugegebenermaßen im Gehen ziemlich schwierig erschien. „Bleibst du heute eigentlich zuhause oder verschwindest du zu deinem Schwarm?“
      Ich seufzte.
      „Du wirst mich heute ertragen müssen. Es kam bis jetzt keine Antwort, obwohl er die Nachricht gelesen hat, vor Stunden schon“, erläuterte ich niedergeschlagen.
      „Der meldet sich sicher noch“, blieb er zuversichtlich.
      Vor der Hütte klopften wir die Schuhe ab, zogen sie aus und stellten sie auf der Matte innen drin ab. Zunächst drehte Lars die Heizung etwas höher und ich entledigte mich der dicken Jacke. Obwohl der Frühling Einzug behalt, wehte ein klirrend kalter Wind, den man besonders auf dem Weg von der Reithalle zum Häuschen zu spüren bekam. Immerhin konnte man hier in Socken herumlaufen und Shirt. Nacheinander besuchten wir das Bad und zogen uns um, wie jeden Tag, außer einer hatte Weidedienst. Heute waren Nour und Bruno an der Reihe, also konnten wir den Feierabend genießen.
      Nichtsahnend stand ich in der Küche und schnitt Gemüse für das Abendessen klein. Lars erzählte gerade von Ini, die aktuelle noch auf einem anderen Hof trainiert wurde, als es an der Tür Sturm klingelte. Überrascht sahen wir einander an, da öffnete er diese bereits. Zu einem Hallo kam es nicht, stattdessen kam die junge Dame mit kräftigem Körperbau auf mich zu und blickte mich mit erbostem Gesichtsausdruck an. Obwohl ich sie bisher nur einmal gesehen hatte, wirkte Nelly plötzlich so viel größer. Lockere Strähnen fielen in ihr Gesicht, die sie mit den Fingerspitzen hinters Ohr schob.
      „Was fällt dir eigentlich ein?“, keifte sie mit weinerlicher Stimme. Bevor ich überhaupt antworten durfte, klatschte ihre Handfläche auf meine Wange und ich schluckte. Starr vor Angst blickte ich zu Lars, der unseren Besuch bereits von mir wegschob. Wie eine geweckte Katze zerrte sie und versuchte wieder zu mir zu kommen, doch er hielt sie auf.
      „Nelly, Reiß dich zusammen“, versuchte Lars sie zu beruhigen, aber sie hörte ihm nicht zu.
      „Ich bringe sie um“, zeterte sie. Ich schüttelte mich. Obwohl die Handgreiflichkeiten deutlich einen Schritt zu weit gingen, konnte mein Hirn die Umstände nicht einordnen. Durfte ihr Kerl keine weiblichen Freunde haben, wenn man die Situation im Stall ausklammerte? Den pulsierenden Herzschlag spürte ich bis in den Hals, aber drehte mich unbeeindruckt um und schnitt das Gemüse weiter.
      „Warum sagst du nichts?“, provozierte die junge Dame weiter.
      „Merkst du eigentlich noch was?“, stand auf einmal Niklas in der Tür, der offenbar vom Nachbarhaus davon mitbekam. Schlagartig verstummte sie und Lars ließ sie los.
      „Das Flittchen hat sich an meinen Freund herangemacht und mit ihm geschlafen. Was denkst du denn?“, jammerte sie. Ich verdrehte nur die Augen, wollte nicht weiter böses Blut entfachen.
      „Und sagt nicht mal etwas“, fügte Nelly im selben Ton hinzu.
      „Ich weiß nicht, woher du das hast, aber meines Wissens haben die beiden nur im selben Raum geschlafen“, mischte sich nun Lars ein. Interessant, wie schnell eine solche Kleinigkeit seine Runde machte.
      „Trotzdem steht sie auf ihn“, blieb sie ihrem Punkt treu.
      „Und was gehen dich ihre Gefühle an? Letztlich gehören für mehr, zwei Leute dazu. Du solltest lieber mit deinem Kerl argumentieren und nicht mit ihr. Erst recht nicht so“, appellierte Niklas argwöhnisch.
      Als wäre ich taub, widmete ich mich weiter dem Abendessen, obwohl meine Finger zitterten, wie ein Aal und jeder Atemzug in der Brust bebten. Der Sauerstoffmangel machte sich schnell bemerkbar, aber ich versuchte, die Enge zu verdrängen.
      Als sie endlich verschwand, mit Niklas, legte Lars sofort seine Arme um mich und ich begann wie ein Schlosshund zu heulen. Dennoch entging mich nicht, dass er den beiden bis zum letzten Moment nachsah.
      Es war mir zu viel, dass alles, was um mich herum geschah, passierte zu schnell und überschlug sich. Ich hatte die Kontrolle verloren und war kurz davor, alles hinzuwerfen. Keinen Grund fand ich, dass weiterhin zu ertragen. Nun, wo auch Happy praktisch vermittelt war in ein perfektes Zuhause, fehlte mir ehrlich gesagt eine Aufgabe. Rennen waren großartig, aber zu erreichen gab es nichts. Sie fühlten sich beinah, wie die Islandpferde Turniere an, nur dass es um ziemlich viel Geld ging. Doch von Geld hatte ich grundsätzlich genug, auch wenn ich immer mehr an die Tierheime in Griechenland spendete, um das Zeug loszuwerden.
      Schluchzend löste ich mich von den kräftigen Schultern meines Kollegen und drehte mich zum Schneidebrett um. Noch eine Paprikaschote musste ich schneiden, dann konnte alles in den Ofen. Aber während ich versuchte, die Gesamtsituation zu verdrängen, spürte ich Lars‘ Hände langsam an meiner Silhouette herunterwandern. Sein Becken drückte er sanft an mich heran und legte den Kopf auf der Schulter ab.
      „Was wird denn das, wenn es fertig ist?“, fragte ich grinsend nach, obwohl ich überhaupt nicht in der Stimmung war für seine Spielchen.
      „Ich habe dich vermisst“, sprach er mit federleichten Worten, die ohne Nachhall an mir vorbeizogen. Sosehr er auch versuchte durch zarte Bewegungen und Worte, mich in mehr zu verwickeln, gelang es ihm nicht. Mir stand das Wasser bis zum Hals, der Hunger war vergangenen und am liebsten würde ich den Renntag absagen, aber das konnte ich nicht. Es war beinah so, als würde ich all mein Glück herausfordern wollen, denn ich hoffte weiterhin auf Basti.
      Seufzend setzte ich mich auf die Couch, als das Gemüse im Ofen war. Lars legte seinen Arm um mich und ich lehnte an seiner Schulter. Auf dem Bildschirm des Fernsehers flimmerte ein Film, bei dem ich die Hälfte bereits verpasst hatte. Gefangen in meinen Gedanken, starrte ich zwar zu diesem, aber durchlebte das Klatschen und ihre Worte immer wieder und wieder.
      Auch später im Bett, als Lars mich davon überzeugen konnte, nicht allein mit meinen Gedanken zu sein, drehte ich mich von der einen Seite zur anderen. Ich wusste, dass es auf kurz oder lang schwieriger werden würde, aber schon jetzt in Nellys Fadenkreuz zu sein, schüchterte mich ungemein an.
      „Ich muss ihm schreiben“, murmelte ich unüberlegt und griff zum Handy. Lars, von dem ich dachte, er würde bereits schlafen, fasste meinen Arm.
      „Vivi, egal, was sie getan hat, was er gerade erlebt, ist ebenso dramatisch“, seufzte er und zog mich an sich heran.
      „Dann muss ich erst recht, für ihn da sein“, sprach ich meinen Gedanken aus.
      „Warte ab, wenn er dich braucht, meldet er sich“, rede Lars auf mich ein, dass ich schließlich den Plan ruhen ließ. Nicht, dass die Überlegung weiterhin durch meinen Kopf geisterte, aber diese umzusetzen, zog ich zurück.
      Ich starrte hoch zur Decke. An den Wangen flossen abermals Tränen. Kurz schlief ein, um durch einen realistischen Alptraum aufzuschrecken. Tief zog ich die kühle Luft in meine Lungen. An den Fenstern wehten die Vorhänge und ein zartes Licht vom Stall schien hinein. Die Uhr auf dem Nachttisch zeichnete zwei Uhr vierzig ab.
      „Kannst du nicht schlafen?“, richtete Lars sich auf, mit verschlafener Stimme.
      „Ich hatte einen Alptraum“, erklärte ich. Anstelle mich wieder an ihn zu kuscheln und seine Sicherheit zu spüren, warf ich die Decke zur Seite. Die nackten Füße setzte ich auf den kalten Boden, die mich umgehend noch weiter in die Realität holten.
      „Wo willst du hin?“, fragte er, das Licht dabei erleuchtend.
      „Weiß nicht, den Kopf frei bekommen“, legte ich meine Unentschlossenheit offen. Kaum hatte ich mich ins Wohnzimmer bewegt und mir vom Jackenhalter eine übergeworfen, hörte ich Lars‘ Stimme aus dem Schlafzimmer:
      > Väckte jag dig?
      „Habe ich dich geweckt?“
      Möglichst unauffällig versuchte ich dem Gespräch zu folgen, selbst wenn es nur sehr einseitig an mich herankam.
      > Ja, det kan man säga. Är han med dig?
      „Ja, kann man so sagen. Ist er bei dir?“, fragte Lars in sein Telefon und baute Blickkontakt zu mir auf. Natürlich bemerkt er meine Neugier. Undeutlich wedelte er mit seiner Hand. Entweder ich sollte gehen oder zu ihm kommen.
      > Okej. Det tror jag också.
      „Okay. Das denke ich auch“, nickte er dann.
      > Jag försöker. Natt.
      „Ich versuche es. Nacht“, beendete er das Gespräch und legte das Handy zur Seite.
      Erwartungsvoll blickte ich zu ihm, aber in den leicht glasigen Augen und dem beinah leeren Gesichtsausdruck erkannt ich, dass es keine guten Nachrichten gab. Ohne weitere Fragen zu stellen, drehte ich mich weg, setzte die Kapuze auf und verschwand durch die Balkontür. Noch mehr schien mein Leben bedeutungslos und alles verloren. Von Anfang an war mir klar, dass ich meinem Hirngespinst hinterherrannte und in seinen Taten zu viel legte. Es gab kein uns. Vor mir lag eine dunkle Zukunft, die durch die ebenso finstere Vergangenheit immer mehr aufgesogen wurde. Wie konnte ich mir nur einbilden, dass ich endlich das Richtige oder besser gesagt, den Richtigen gefunden hatte?
      In der eiskalten Nacht stand ich abseits der Hütte, den Kopf leicht ins Genick gelegt und starrte hinauf zum Sternenhimmel. Es war eine klare Nacht. Keine einzige Wolke versperrte den Blick auf die Bilder, die sich zeichnen ließen. Als ich jung war, versuchte meine Mutter mir immer wieder zu erklären, was man dort oben entdecken konnte, aber bis heute sah ich nichts. Die leuchtenden Punkte schenkten mir dennoch einen Hauch von Hoffnung und Vertrauen. Tränen lagen mir weiterhin in den Augen, was ich für den Moment mit mir selbst akzeptierte. Nicht jede Situation konnte man kontrollieren oder gar für sich gewinnen. Diese Schlacht war verloren.
      Ich hatte mich auf einer der Bänke niedergelassen, die ich bis dato als unnötig erachtete, als sich Schritte auf dem gefrorenen Kies ankündigten. Langsam öffnete ich die Augen und sah zur Richtung, aus der sie kamen. Entgegen meinen Erwartungen war es Niklas, den es zu so später Stunde noch nach draußen trieb.
      „Was machst du hier?“, fragte er überrascht und setzte sich zu mir.
      „Dasselbe könnte ich dich auch fragen“, lächelte ich wohlgesonnen.
      „Ich schlafe schlecht“, seufzte er, deutlich verhalten. In den kurzen, aber innigen Blicken spürte ich, dass er darüber sprechen wollte, aber meine Reaktion abwartete. Im Magen drehte es sich, was ich am liebsten auf den Restalkohol darin schieben wollte, aber viel mehr war es Niklas. Seine reine Anwesenheit im Abendlicht unter dem herrlichen Sternenhimmel befeuerte Wünsche und Sehnsüchte.
      Ich schluckte, ohne meine Augen von ihm zu lösen. Schief grinste er mich an.
      „Du hast getrunken, oder?“, neckte er.
      „Ja“, murmelte ich und griff nach seinem Arm, um mich eng daran zu winden. „Aber warum schläfst du schlecht?“
      „Es läuft aktuell nicht. Bino macht keine Fortschritte, Form hat ihre Höhen und Tiefen und für Smoothie fehlt mir im Moment die Geduld. Deshalb gibt es Tage, an denen nur den Hengst bewege und für die anderen beiden keine Kraft mehr habe“, sprach Niklas in sich gekehrt.
      „Drei Pferde auf hohes Niveau sind wirklich eine erstaunliche Leistung“, sagte ich anerkennend.
      „Eben drum. Ich konnte nicht ahnen, dass Smoothie wieder auf Turnieren laufen kann“, vorsichtig huschten seine Augen zu mir. Noch immer hing ich an ihm, als wäre ein gefährliches Tier im Busch versteckt und könnte sich jede Sekunde zeigen. Auf seinen Lippen zeichneten sich ein zartes Lächeln und er strich mir über die Kapuze.
      „Was sagt Lina dazu?“, hakte ich nach, denn ich wusste kaum etwas über seine Umstände. Sie sollte ihm eine größere Hilfe sein können.
      „Sie weiß es nicht und hatte auch nicht vor, mit ihr darüber zu sprechen“, in seiner Stimme klang deutlich Scham mit. Wer hätte das nur denken können – der selbstüberzeugte Niklas Olofsson hat Angst, sich Schwäche einzugestehen. Für einen Atemzug zuckte ein schelmisches Lächeln auf meinen Lippen.
      „Eigentlich möchtest du doch Vielseitigkeit reiten, da wäre doch Form eher nebensächlich“, gab ich ihm einen Anstoß, die Pferde zu überdenken.
      „Das stimmt“, hauchte er kleinlaut.
      „Dann wäre es sinnvoll, wenn du sie nur zum Spaß reitest oder gar jemanden zur Verfügung stellst“, erklärte ich weiter.
      „Ach, möchte da jemand meinen Rappen haben?“, scherzte Niklas und legte seine Hand ganz langsam auf meinem Bein ab. Den Blick fixierte er für einen Augenblick zu lang an mir, sodass in Windeseile das Verlangen nach ihm, aus dem hintersten Kämmerchen meines Hirns, angekrochen kam. Wie ein Parasit hielt sich dieses Gefühl in mir fest.
      „Eigentlich nicht, aber wenn du es mir anbietest“, flüsterte ich verführerisch.
      „Das musst du mir erst einmal beweisen“, schmunzelte er. Bisher schien es mir fast unmöglich, dass die erloschene Magie zwischen uns wieder aufflammte. Die Hand auf meinem Bein wanderte bewusst auf und ab, sodass mir für den Bruchteil einer Sekunde das Atmen schwerfiel. Bedrohlich klopfte es bis in meinen Hals und ich meine, sogar sein Herz synchron zu dem meinen zu spüren.
      „Dass ich reiten kann, weißt du doch“, stammelte ich überfordert, wissend, dass die Stimmung zu kippen drohte.
      „Zeiten ändern sich und aus der Übung bist du auch, sagt man sich“, nahm er kein Blatt vor den Mund.
      Abrupt kam der Flirt zum Ende, als aus der Dunkelheit erneut Schritte ertönten. Ich löste mich von seinem Arm, wodurch er die Hand von mir nahm. Jegliche Magie erlosch wieder, was mich einerseits positiv stimmte, andererseits deprimierte.
      „Hier steckst du“, sprach Lars beim Näherkommen leicht außer Atem. „Ich war wirklich überall.“
      „Offenbar nicht überall“, grinste ich.
      „Was macht ihr beide hier?“, fragte Lars, ohne auf meine Antwort einzugehen.
      „Wir haben über Gott und die Welt gesprochen. Wie es nun mal ist, wenn man nicht schlafen kann“, klärte Niklas auf.
      „Es ist halb vier. Und vor allem du, Vivi, sollst besser wieder versuchen zu schlafen“, appellierte mein Mitbewohner, dem ich widerstandslos in wärmere Gefilde folgte.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 81.448 Zeichen
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  • Zuchtname: Satz des Pythagoras
    Rufname: Smoothie / Smooth

    Aus der: Bree
    Mutter: Unbekannt Vater: Unbekannt
    Den: Osgiliath
    Mutter: Unbekannt Vater: Unbekannt
    ____________________________________

    Geschlecht: Stute
    Rasse: (Edel) Standardbred
    Geburtsdatum: 1. Juli 2010
    Farbe: Mausfalbschecke (Overo) Schimmel
    Abzeichen: Scheckungsbedingt (Kopf und Beine)
    Stockmaß: 170 cm

    Charakter:
    Satz des Pythagoras wurde ursprünglich als Rennpferd gezüchtet aber es zeigte sich, dass ihr potenzial dort überhaupt nicht lag. Schnell kam sie zu einem Händler, wo sie von einer Sportreiterfamilie gekauft wurde. Smooth macht sich gern schön unter dem Sattel, sie bietet eine gute Selbsthaltung an und hat Spaß am laufen. Besonders in der Dressur eignet sie sich, aber auch das Springen scheint ihr zu liegen. Die Stute ist ein guter Allrounder.

    "Verhaltenskreativ"
    ____________________________________

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    Gencode: EE aa Dnd2 nO Gg
    Zuchtzulassung: Ja
    Gesamtnote: 7,32
    Nachkommen: -


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    SK 475 (10.08.2021)
    ____________________________________

    Dressur: M / S+
    Springen: A / S
    Military: E / S
    Fahren: -
    Rennen: E / E
    Gangreiten: E / L
    Western: -
    Distanz: E / M

    Oktober 2022 Durchlässigkeit, Dressur L zu M

    Gänge: 4 [CA]

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    470. Militaryturnier (15.02.2021)

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    471. Militaryturnier (22.02.2021)
    472. Militaryturnier (07.03.2021)
    482. Militaryturnier (09.05.2021)

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    350. Synchronspringen (28.03.2021)
    353. Synchronspringen (24.04.2021)

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    624. Springturnier (24.04.2021)
    354. Synchronspringen (30.04.2021)
    355. Synchronspringen (07.05.2021)

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    348. Synchronspringen (17.03.2021)

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    476. Distanzturnier (03.05.2021)
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    Besitzer: Mohikanerin (Niklas)
    Zucht: Olofsson, Schweden
    VKR: Mohikanerin
    Ersteller: Mohikanerin
    Punkte: 16 (+2 Bewegung)
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