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Mohikanerin

// Pay My Netflix [4]

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// Pay My Netflix [4]
Mohikanerin, 27 Mai 2022
Zion, Veija, Bracelet und 3 anderen gefällt das.
    • Mohikanerin
      Rennen E zu A / Jogging | 16. Juni 2022

      Eifellust / Glimsy / Global Vision / Harlem Shake LDS / Fieberglas / Pay My Netflix

      Winter, bald würde der Frühling folgen und ich konnte es kaum erwarten, dass die Pferde wieder ins Volltraining gehen würden. Für wenigen die Rennen, die in der kalten Jahreszeit angeboten wurden, reichten kurze Trainingseinheiten, wie Ausdauerfahren oder einmal Tempo in der Woche. Eifellust kam Anfang des Monats zu uns. Die braune Stute hatte sich nicht nur ohne Zickerei in die Herde eingegliedert, sondern lief ebenso ruhig am Sulky. Während ich aus dem Paddock herausführte, bereitete Nour Vision vor, der dieses Jahr seine letzte Saison fahren würde. Der Hengst hatte seine besten Jahre hinter sich, aber zeigte noch immer Spaß und Elan bei den Rennen. Dennoch ritt meine Schwester ihn immer mehr, um den Übergang zum Reitpferd einzuleiten. Im Stall machte jeder für sich das Pferd sauber und hing den Wagen an.
      „Wo ist Vriska? Wollte sie nicht mitkommen?“, fragte ich Nour, die gerade die Trense einlegte.
      „Die musste geradeheraus zu den Jungpferden, weil eine der Stuten wohl durch den Zaun wollte“, berichtete sie. Ich seufzte, aber nickte schließlich.
      Als die Pferde am Sulky hingen, führten wir sie heraus und sprangen im Schritt auf den Sitz. Meine Schwester erzählte wieder von Moonwalker, mit dem sie letzte Woche in Kalmar das Amateurrennen gewann. Der Hengst war ihr Liebling, was man ihr nicht verübeln konnte. Gleichmäßig und vollkommen gelassen gab er sich auf der Bahn, während er zu Hause selbst vor einem Vogel panisch wegsprang. Eifellust und auch Vision waren die Ruhe in Form eines Pferdes.
      Zwanzig Minuten wärmten wir die Tieren im Schritt auf, dann folgte der erste Trab für sieben Minuten. Eifel schnaubte mehrfach ab und plätscherte lauffreudig durch den Sand. Trotz des Dauerregen der letzten Wochen trocknete den Bodenbelag der alten Trainingsbahn gut ab – was nichts an dem Dreck am Spritzschutz änderte. Als wir zum Hof zurückkehrten, sahen wir alle aus, als hätten wir uns im Matsch gesuhlt, doch jeder wirkte zufrieden. Nour fütterte den Pferden jeweils einen großen Becher und Glimsy vom Paddock. Shaker stand noch mit Bandagen in der Box, denn er hatte am Morgen bereits seinen Heat und sollte zudem für zwanzig Minuten in den Aquatrainer.
      „Machst du den Falben?“, fragte ich meine Schwester, als sie den Kaltbluttraber wegstellte.
      „Ja, kann ich machen“, nickte sie hilfsbereit. Dann legte ich der Stute ihr Equipment um und war eine Weile später auf der Bahn. Mit Glimsy fuhr ich auf Tempo. Auf der Meile legte sie gut zu, aber bevor sie ihre Höchstgeschwindigkeit erreichte, nahm ich die Rappstute an der Leine zurück und legte eine kurze Schrittpause ein. Nach einem Handwechsel nach links trabte ich an. Glimsy war feinfühlig und tänzelte etwas auf der Stelle, als Wassertropfen einer kleinen Pfütze an ihren Bauch kamen.
      Am Abend saßen wir zusammen am Tisch, auch Papa kam dazu, der mit Tyrell einige Hengste angeschaut hatte.
      „Henne überlegt, ob Fieberglas von Walker gedeckt werden soll“, erzählte er.
      „Wieso? Die ist doch gerade im Training?“, hakte ich verwundert nach. Die braune Stute mit seltsamen weißen Punkten im Fell lief am Wochenende das erste Mal in dem Jahr ein Rennen, kämpfte sich sogleich auf den zweiten Platz und brachte damit für Außenseiterwetten ein gutes Sümmchen ein. Ich hielt mich aus dem Geschäft heraus, bevorzugte es, im Wagen zu sitzen.
      „Schon, aber sie ist jetzt bereits 12 Jahre und wohl nicht mehr ganz so fit am Sulky“, erklärte Papa.
      „Dann passt aber Walker ziemlich gut“, schwärmte meine Schwester sofort wieder von ihrem Liebling.
      „Ich habe ihm davon abgeraten“, sagte Tyrell dann und erntete böses Funkeln von ihr, „sie wirkte sehr nervös, da wäre der Hübsche keine gute Wahl. Plano könnte ein schönes Bild herrschen und die Schwächen ausgleichen. Der Vater wäre ebenso der gleiche.“
      „Das stimmt“, merkte ich an, „oder Anti? Der bringt viel Ruhe mit und vielversprechendes Tempo.“
      Die Männer nickten beinah synchron. Letztlich konnten wir nur Empfehlungen aussprechen, Züchter mussten am Ende selbst entscheiden. So kam es auch dazu, dass sich die beiden doch ein Training mit Netflix anschauen. Vriska hatte unseren Chef noch etwas bekehrt und wollte unbedingt, dass die Pilzstute zu dem Rappen kam.
      „Die Kleine hatte ein gutes Gespür. Pay My Netflix zeigte auf dem Sand eine gute Form, dazu sehr balanciert und geduldig“, erzählte Papa.
      „Aber der Hengst ist doch im Umgang etwas bekloppt, zumindest wenn Basti ihn führt“, äußerte ich berechtige Zweifel.
      „Wie kommst du denn darauf?“, nahm er mich wenig für voll, „die beiden sind ein super Team.“
      Wenig überzeugt nickte ich. Vielleicht beeinflusst mich andere Dinge, dass ich wenig von seinem Fahrer hielt, aber es war nicht meine Aufgabe, Hengste zu suchen. Wenn das Training gut lief, versuchte ich zumindest meine Begeisterung zu zeigen, wenn im nächsten Jahr, Nachwuchs auf dem Hof sein würde.

      © Mohikanerin // Lars Alfvén // 4848 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende Februar 2021}
    • Mohikanerin
      Rennen A zu L / Rennvorbereitung | 14. Juli 2022

      Glimsy / Harlem Shake LDS / Eifellust / Global Vision / Fieberglas / Pay My Netflix

      Hätte ich mich nie darauf eingelassen, dachte ich insgeheim, als ich frierend am Hof aus dem Sitz stieg und erst Shaker und dann mir eine Decke umlegte. Vom Kinn tropfte der Dreck aus dem Wald, lief mir langsam am Hals in den Kragen. Ich konnte nicht mehr spüren, ob es Schweiß oder Pfütze war am Körper. Aber immerhin sah Shaker ebenso schmutzig aus.
      Der Sohn meiner Erzfeindin-Stute erledigte seine Arbeit als Rennpferd im Übermaß gut. Natürlich, den Geduldsfaden hatte er von seiner Mutter bekommen, aber ebenso viel geistige Stabilität, wie sein Vater. Vintage wäre von seinem Wesen genau das richtige Pferd für mich gewesen – eifrig, geduldig und Fehler verzeihend. Allerdings lag es außerhalb meiner Macht zu entscheiden, welches Pferd blieb und welches nicht. Deswegen war ich froh, dass ich heute ein weiteres Mal mit Shaker im Training war.
      „Und, wie war seine Zeit?“, hakte Bruno nach und reichte mir Tasse Kaffee, als hätte bereits gerochen, dass ich genau diese dringend benötigte.
      „Der Durchschnitt waren 1:12,5 Heute, also 3 Millisekunden besser als gestern“, erklärte ich. Zuneigend strich ich Shaker über den Hals, der spielerisch mit dem Kopf nickte. Der Strick klapperte am Metall.
      „Dann nehmen wir ihn mit zur Wiederqualifikation. Denkst du nicht auch?“ Seiner Frage bedarf keine Antwort, denn der Hengst zeigte Tag für Tag mehr, was in ihm steckte. Erst gestern, als ich mit den Geschwistern zusammen ein Jogging fuhr, spürte ich deutlich, dass Shaker mehr wollte als neben Glimsy und Vision zu trödeln.
      Wir einigten uns darauf, dass wir am Wochenende ihn mitnahmen. Nour wollte ohnehin heute noch nennen. Nur sie hatte alle Rennen im Umland im Blick, denn ich hatte das Gefühl, wir wären nur noch unterwegs, von einem zum Nächsten.
      „Ach, und noch was“, kam unser Trainer zurück, „du gehst dann nachher noch die Samen holen? Die Tierärztin kommt morgen früh zum Besamen.“ Verdutzt blickte ich ihn an. Ich hörte zum ersten Mal, dass mein Tagesplan offenbar noch eine Autofahrt beinhaltete. Seufzend sah ich in meine Tasse. Das ständige Autofahren ging mir gehörig gegen den Strich.
      „Aber ich wollte noch Eifellust longieren“, sagte ich nachdenklich.
      „Das ist nicht so wichtig. Ich wollte nachher noch eine Runde auf die Bahn mit ihr“, bedachte er.
      „Eine nur?“, grinste ich, bessere Laune in der dunklen Flüssigkeit findend.
      „Nein, eher fünf“, lachte Bruno und klatschte die Hände zusammen. „Siebzehn Uhr dann. Ihr werdet dort erwartet.“
      Prüfend blickte ich auf die Uhr am Handgelenk. Zwei Stunden. Damit hätte kaum Zeit, um mich fertig zu machen und ein weiteres Pferd zu schaffen, also entschied ich mich dagegen, noch Maxou an der Hand zu arbeiten. Je nachdem, wie sie heute unterwegs wäre, könnte es zwanzig oder fünfzig Minuten dauern, bis sie ihre Balance hatte und losgelassen war.

      „Du siehst aber schick aus“, musterte mich Nour, als ich am Auto auf sie wartete. Tatsächlich trug ich meine liebste schwarze Jogginghose und eine offene Bomberjacke, auf der Nase meine Brille, denn schon ganzen Tag über juckten die Kontaktlinsen tierisch.
      „Nur für dich“, scherzte ich.
      Sie nickte belustigt und öffnete das Auto auf Knopfdruck. Die Stöpsel in der Tür schnellten hoch, um die Tür freizugeben. Auch ich stieg ein, schnallte mich an und Nour fuhr los. Es wunderte mich, dass sie das Steuer übernahm, aber ich kommentierte es nicht.
      „Wo müssen wir eigentlich hin?“, hakte ich nach. Die Mission kannte ich, aber den Weg nicht. Ein Grund mehr, weshalb sie fuhr.
      „Rennbahn. Was dachtest du?“, grinste sie. Natürlich. Nour wollte mich nach wieder zu Basti schubsen, wer sonst nichts zu tun hatte, als auf jemanden wie mich zu warten. Im Sitz verschränkte ich die Arme und lehnte mich tiefer in das Polster.
      „Anicura oder Amtstierarzt“, zuckte ich mit den Schultern.
      „Kein blöder Gedanke, aber nein. Man hat uns direkt frisches Sperma abgefüllt und tiefgefrorenes aus Gothenburg geschickt“, erklärte sie.
      „Verstehe. Glimsy soll dann ein Fohlen bekommen, oder?“, hakte ich nach, um das Gespräch am Laufen zu halten.
      „Genau, aber erst mal abwarten. Irgendwas von der Bestellung fehlt noch.“

      Angekommen auf der Bahn stupste mich meine Kollegin von der Seite an. Am Geläuf brannten die Flutlichter und zwei Pferde liefen friedlich ihre Runden. Einen der beiden erkannte ich sofort: Basti und Netflix. Der Rapphengste glänzte erhaben im kalten Licht, erhellte damit den Platz noch stärker. Muskeln zeichneten sich klar am ganzen Körper und man sah ihm den ausgezeichneten Trainingszustand an.
      „Willst du hier Wurzeln schlagen? Einen Moment haben wir noch zum Zusehen“, grinste sie und zog mich am Arm mit. Ich weigerte mich ein wenig, schließlich wollte ich weder seltsam wirken noch ihn stören.
      „Das andere Pferd ist Fieberglas. Seine Erfolgsstute. Sie hatte gerade eine Winterpause aber soll nächste Woche auch wieder Rennen. Du wirst dich noch umgucken. Das Pferd kennt keine Grenzen, die läuft und läuft und läuft“, berichtete sie mir euphorisch. Eine Sache schätzte ich Nour aufrichtig. Es gab keine Konkurrenz, sondern nur Mitstreiter bei den Rennen. Für jeden Sieg freute sie sich, sah in allem etwas Positives. Selbst, als ein Pferd in letzter Sekunde an ihr und Walker vorbeizog, stieg sie grinsend vom Sulky. Sie lobte den Hengst für sein nobles Verhalten und beglückwünschte der jungen Fahrerin für das riskante Manöver.
      Und was Fieberglas betraf: Ich wusste von dem Talent der braunen Stute mit seltsamen weißen Flecken im Fell. Bastis Rennpferde hatte im Blick, ein Vorteil davon, dass Trainingslisten und Starts online einsehbar waren. Mittlerweile sammelte ich einen ziemlich aussagekräftigen Datensatz an. Ich machte mir Notizen zu allem Warnung fand. Nenne mich verrückt, aber ich brauchte es am Abend, um überhaupt ein Auge zuzubekommen. Lars belächelte mich dafür und zweifelte an meinem geistigen Zustand.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 5861 Zeichen
      zeitliche Einordnung {März 2021}
      Wolfszeit gefällt das.
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugofem | 11. August 2022

      Satz des Pythagoras / Jokarie / Pay My Netflix / Maxou / Ready for Life / Northumbria
      Ours de Peluche LDS / Spök von Atomic / Nachtzug nach Stokkholm LDS / Mondlandung LDS / Kría von Atomic / Yumyulakk LDS / Heldentum LDS / Halldór von Atomic / Anthrax Survivor LDS / Liv efter Detta LDS / CHH’ Death Sentence / Kempa


      Lina
      So gut wie heute hatte sich die Schimmelstute vermutlich noch nie unter mir bewegt. Sie lief locker, kaute zufrieden auf dem Metall in ihrem Maul und selbst die Gespenster, die häufig für unvorhersehbare Hopser sorgten, schien heute vollkommen unsichtbar. Warum diese Einheit dennoch so ziemlich alles von mir forderte, war ausnahmsweise nicht Smoothies Kreativität, sondern viel mehr der kritische Blick meines Freundes. Konzentriert auf die Lektion galoppierte ich den Schimmel auf einer großen Kreislinie. Drei, zwei, ein Sprung und … Smoothie sprang bereits um. Natürlich blieb dabei nicht unbemerkt, dass die erfahrene Stute, den Wechsel vorwegnahm, bevor ich überhaupt die Hilfe gab.
      “Noch einmal und diesmal bestimmst du den Wechsel, nicht das Pferd”, schallte Niklas Anweisung durch die Halle, die ich nur nickend zur Kenntnis nahm. Den Wechselpunkt fest im Blick versuchte ich die Bewegung der Stute bewusst wahrzunehmen, um den vorherigen Fehler zu vermeiden. Diesmal sprang Smoothie den Wechsel tatsächlich erst auf meine Hilfen hin, wenn auch nicht so schön wie den vorherigen. Zwei weitere Wiederholungen wurden verlangt, dann war der Herr für heute endlich zufriedengestellt. Wo die Stute gerade so wirkte, als würde sie noch eine ganze Weile so fortfahren könne, war meine Energie erschöpft. Langsam ließ ich Smoothie die Zügel aus der Hand kauen, während sie locker vorwärts trabte. Runde um Runde streckte die Stute den Kopf tiefer zum Sand hin, schnaubte ab, bis ich schließlich zum Schritt parierte.
      “Lina, schau mal, was hältst du davon”, kam Niklas aus der Ecke herangelaufen, wo er es sich bisweilen gemütlich gemacht hatte und hielt mir sein Handy vor die Nase.
      “Du hast es aber eilig mit dem neu einrichten”, schmunzelte ich und betrachte den Inhalt des Bildschirmes genauer, auf denen sich mir offenbar Einrichtungsideen eröffneten.
      “Klar, ich möchte, dass wir es hübsch haben, wenn wir jetzt endlich allein sind”, sprach Niklas, beinahe, als sei Vriska ein lästiges Insekt gewesen, was es loszuwerden galt. So wirklich verstand ich noch immer nicht, weswegen seine Aversion derartig ausgeprägt war. Doch imstande, etwas daran zu verändern, war ich nicht. Als Lars darum bat, ob ich sie beide auf die Bahn begleitete, weil Vriska Unterstützung gebrauchen könnte, hatte ich ziemlich mit mir gerungen. Noch immer verspürte ich ein unangenehmes Drücken in der Brust, weil mein Kopf unwillkürlich negative Bilder mit ihrem Erscheinen verknüpfte, die nur sehr langsam verblassen wollten. Hinzukam, dass Orte mit angeschirrten Pferden nur bedingt zu meinen Lieblingsorten zählten. Die Traber mit ihrer bunten Ausrüstung lagen noch recht weit von meinem persönlichen Albtraum entfernt, erinnerten mich aber dennoch an die Dinge, die ich einst unwiederbringlich verlor. Zudem mochte ich mir nicht ausmalen, welche Gefahren die unheimlich hohe Geschwindigkeit in Kombination mit nervösen Pferden wohl mit sich bringen mochten. Warum ich dennoch mitging? In der Art und Weise, wie Lars um den Gefallen bat, wurde mir klar, dass es nicht einfach um Hilfe mit den Pferden ging, sondern dass er um meine Unterstützung als Freundin fragte. Das könnte nur heißen, dass es Vriska nicht wirklich gut ging. Ich konnte nachvollziehen, dass es für sie belastend sein musste, gerade erst wieder angekommen zu sein und dann solch eine Abweisung zu erfahren. Auch mir fehlten die täglichen Interaktionen mit ihr, so wollte ich zumindest versuchen über die Bilder, die mir klebrig und zäh wie Baumharz im Gedächtnis klebten hinwegzusehen.
      “Und, was sagst du jetzt dazu?”, erinnerte mich Niklas daran, dass er immer noch auf eine Antwort wartete.
      “Es ist ziemlich schlicht”, äußerte ich diplomatisch. Was ich sah, war ästhetischen ansprechend, aber ziemlich unpersönlich und minimalistisch.
      “Also dir gefällt es nicht?”, schlussfolgerte mein Freund aus der eher Verhalten Reaktion und nahm sein Mobilgerät wieder an sich.
      “Na ja, schon, aber es könnte alles ein wenig wohnlicher sein. Aber können wir uns damit nicht später befassen?”, bat ich ihn erst einmal in Ruhe seine Stute abzureiten und wegzubringen.
      “Natürlich, mein Engel”, gab er nach und steckte das Handy weg. Stattdessen holte er ein Leckerli auf der Tasche und steckte es Smoothie zwischen die Lippen. Genüsslich kauend trotte die Stute neben ihrem Herrchen her, stupste ihn immer mal wieder spielerisch an mit dem Ziel eine Reaktion zu erhalten. Bereits seit einigen Wochen beobachtete ich, dass die Schimmelstute deutlich ausgeglichener war. Selbst mir gegenüber war sie weniger unwirsch, was ziemlich sicher mit Niklas vermehrter Anwesenheit zusammenhing. Was ein Glück, dass dies nun ein dauerhafter Zustand sein würde.
      “Ich wette morgen wird mir alles wehtun, aber allein das Reitgefühl heute war es wert”, grinste ich zufrieden, als ich zwanzig Minuten später aus dem Sattel glitt. Bereits jetzt spürte ich die leichte Verhärtung in meinen Muskeln, die den Muskelkater nahezu ankündigten.
      “Schön, dass es dir offensichtlich Spaß gemacht hat”, sprach mein Freund und nahm mir die Zügel seiner Stute aus der Hand, “Das kannst du öfter haben, wenn du nicht gleich alles vergiss und schön weiterübst.”
      “Ob ich mir das alles bis nächstes Jahr behalten kann?”, scherzte ich munter, “Ich weiß ja nicht.” Während Niki, bereits damit begann die Stute vom Sattelzeug zu befreien, lief ich fröhlich vor mich hingrinsend, direkt in die Futterkammer. Mit wenigen schwungvollen Bewegungen war die Schüssel mit gut duftendem Hafer befüllt und zurück zu dem Pferd getragen. Kaum hatte die Schüssel den Boden berührt und das Standardbred verdient seine Schnauze darin versenkt, vibrierte es an meinem Oberschenkel. Kaum hervorgezogen, leuchtete der Bildschirm auch schon mit einigen Benachrichtigungen auf. Zu Oberst leuchtet Instagram, welches mir mitteilen wollte, dass nach wie vor meinen Notifikationen explodierten. Aus mir nicht ganz erklärlichen Gründen löste das bisher erste und einzige Reitvideo von dem kleinen Weihnachtsauftritt eine wahre Lawine an Likes und Kommentaren aus, deren Inhalt ich allerdings nicht näher betrachtet hatte. Zu groß war, meine Sorge, weniger erfreuliche Worte darin zu entdecken. Das soziale Netzwerk weiterhin ignorierend, öffnete ich stattdessen die Nachricht von Mateo, die ebenso dort aufleuchtete.
      “Hast du Karie schon bewegt?”, war alles, was dort zu lesen war. Verwundert zog ich die Augenbrauen. Für gewöhnlich war es nicht die Art des Schweizer mit der Tür direkt ins Haus zufallen. Zudem hatte er gestern erst angekündigt, dass er heute wiederkommen wollte, also warum fragte er dann nicht einfach, wenn er da war?
      “Nein, habe heute Morgen nur nach dem Rechten gesehen. Sah happy aus, dein Pony”, tippte eine schnelle Antwort. Kaum war die Nachricht versendet, sprangen die Haken hervor und änderten ihre Farbe.
      “Perfekt <3”, war alles, was darauffolgte und prompt, war er wieder Offline. Normal war dieses Verhalten nicht. Untypisch war nicht nur die Wortwahl, sondern auch die Nutzung des leuchtenden roten Herzens. Hatte er sich plötzlich eine neue Persönlichkeit zugelegt oder was stimmte nicht mit ihm nicht? Wenn er später kam, sollte ich diesem Mysterium auf den Grund gehen.

      Zur gleichen Zeit, einige Meter weiter

      Vriska
      Über tausend Ecken hatte ich erfahren, dass ich selbst von meiner Familie zurückgelassen wurde. Sie fuhren nach Stockholm, um den Jahreswechsel zu erleben. Der Schmerz saß tief, zwischen all den anderen Päckchen, die ich mit mir trug und verdrängte. Ich war immer außen vor, egal, was mich betraf. Vermutlich hatte keiner überhaupt einen Gedanken verschwendet, ob ich mitkommen wollte. Das Gespräch konnte ich mir förmlich schon vorstellen, wenn ich Mama sagen würde, dass ich es nicht nett fand. „Du kommst doch nie mit“, wäre ich ihre Standardantwort und dann verlässt sie den Raum. Somit konnte ich es mir sparen, überhaupt was zu sagen.
      Seit Stunden saß ich allein in der Küche, goss mir ein Glas Wein nach dem anderen ein und versuchte im Internet einen Ausgleich zu finden. Aber ich kam in ein Rabbit Hole, das mich minütlich in tiefere Ebenen zog. Zufällig wurde mir Moa auf Instagram empfohlen und ich sah hunderte Bilder mit Erik, auch aus Zeiten, als wir miteinander gingen. Anhand des Datums identifizierte ich auch, dass es Tage waren, an denen er ‚wegen des Studiums‘ nicht herkommen konnte. Schön wäre gewesen, wenn ich nicht noch mehr entdeckte hätte, wie, dass er einen Account hatte, diesen mir aber bis heute verschwieg. Nein, er hatte mich sogar blockiert. Mit zittrigen Fingern tippte ich durch seine Beiträge über einen anderen Account von mir, den ich mal mit Jenni erstellt hatte. Es schien, als hätte ich nie existiert, aber den Eindruck vermittelte mir jeder im Umfeld. Anstatt es hinzunehmen, trank ich einen kräftigen Schluck und holte mein Handy von der Couch. Keine einzige Nachricht leuchtete mich an, aber ich wusste es zu ändern. Im Chat prangerte noch immer seine Bitte auf Abstand. Aber ich machte mir nichts daraus, stattdessen fotografierte ich kommentarlos sein Profil ab und sendete es ihm. Kaum wurde aus einem Haken, ein Zweiter änderte sich ‘online’ auf ‘schreibt’.
      „Du hast nie danach gefragt“, kam es als Antwort. Damit hatte er recht. Ich wusste nicht, was nicht erwarten würde, andererseits schätzte ich ihn nicht als so eine Person ein, die auf Instagram Bilder veröffentlichte. Aber dem war nicht so, stattdessen waren es sehr viele, teils freizügig. Seltsam, wenn ich bedachte, dass er beim Schwimmen nicht einmal, sein Hemd ausziehen wollte.
      „Du hast mich blockiert“, antwortete ich.
      „Ja“, leuchtete sofort auf. Mir fehlten die Worte hierfür. Also schloss ich den Chat nur und schaltete das Handy auf Bitte nicht stören. Es verstummte, obwohl es zuvor kaum mehr von sich gab. Zumindest gab es mir auf diese Weise die Möglichkeit, ein Gefühl von Kontrolle zu erfahren. Erik schien die Angelegenheit wichtig, denn auf meinem Laptop leuchtete eine Nachricht von ihm auf, aber unter seinem Pseudonym, dass ich aus nicht erkenntlichen Gründen, noch in meinen Kontakten aufführte.
      „Deine Berührungen fehlen mir“, schrieb er. Misstrauisch beäugte ich seine Nachricht und war mir nicht sicher, worauf er hinauswollte. Mit Abstand hatte das wenig zu tun, deshalb ignorierte ich es und schloss das Rabbit Hole, genauer gesagt alle vierzehn Tabs, die ich mittlerweile angesammelte hatte. Unter seinen Zweitnamen, wie ich im Laufe der Recherche herausfand, eröffnete sich eine ganz andere Person vor mir. Erik hatte mir Dinge nicht nur einfach verschwiegen, sondern gelogen. Mehrfach. Ich stieß auf Bilder aus jüngeren Jahren, Geschichten aus der Zeitung und es mutete eher so an, als wäre er in einem glücklichen Familienbild aufgewachsen. Kein Übergewicht, nur ein Autounfall mit achtzehn Jahren. Er hatte ein Fahrzeug auf einem Parkplatz geklaut und sich damit um eine Laterne gewickelt. Selbst dazu fand ich Bilder, die mir ein elendiges Drücken im Magen auslösten. Aber damit sollte Schluss sein. Nur noch ein Tab lag offen vor mir und das war Niklas’ Instagram Profil, auf dem er sich mittlerweile mit eiserner Brust und Lina an der Seite präsentierte. Die Beiden sahen glücklich aus, mit den zwei hellen Pferden neben sich. Davon bekam ich jedoch nur noch wenig mit. Seine Aktion, immer weiter einen Keil zwischen uns zu treiben, gipfelte nun in seiner bereits angesprochen Drohung, dass ich ausziehen müsse. Gestern aus heiterem Himmel kam Lina her, erzählte von seinen Plänen und sagte dazu: “Es wäre doch für uns alle nicht ganz angenehm.” Nickend und mit einem aufgesetzten Lächeln nahm ich es hin. Eine Diskussion würde nichts nutzen, zu dem wirkte sie so glücklich über seinen Einzug, dass ich ihr die Freude nicht nehmen wollte. Damit verzichtete ich auf meine Bedürfnisse, aber die verloren ohnehin an Wert.
      Noch einen prüfenden Blick erhaschte ich auf Niklas‘ straffen Oberkörper, bevor auch dieses Tab in der Versenkung landete. Seufzend lehnte ich mich zurück in den knarrenden Stuhl und klammerte mich fest an dem Weinglas, das beinah leer war. Unter dem Tisch erwachte der Rüde zu leben. Langsam hob er den Kopf und schaute mich mit müden Augen an, schlappte dabei mit der Zunge seine Nase. Vermutlich wollte Dog seine Abendrunde. Mir fehlte leider die Motivation, weshalb er noch eine Stunde warten musste, bevor er seine Nase in den Schnee stecken konnte. In der Zwischenzeit packte ich das Worddokument aus, das als meine aktuell einzige Ablenkung herhielt. Nach meiner Recherche fühlte es sich an, als wäre alles für den Mülleimer. Nichts daran stimmte mehr, noch schlimmer, brachte mir den sehnsüchtigen Wunsch nach Erik zurück. Trotz all des Schmerzes vermisste ich ihn fürchterlich und selbst Lars, der je her weitere Annäherungsversuche in Kauf nahm, änderte nichts daran. Nur ein Gedanke verdrängte diese Gefühle – Der Herr von Rennbahn, der eigentliche Grund, weshalb ich das Laptop gestartet hatte. Ich hatte einen Namen, sowie den seines Hengstes, damit würde ich weit kommen, dachte für einen Augenblick, bis die Suchmaschine mir gegenteiliges bewies. Augenscheinlich war er ein unbeschriebenes Blatt und Netflix ebenfalls. Mit den Erfahrungen, die bei Erik gesammelt hatte, wurde ich suspekt. Was verheimlichte er?
      Bevor ich der Sache auf den Grund gehen konnte, meldete sich Dog zu Wort und legte seine Vorderpfoten auf meinen Beinen ab. Die kastanienbraunen Augen leuchteten im warmen Licht der Deckenlampen und drückten das Weiß nach oben.
      „Lass uns herausgehen“, schlug ihm vor und stand auf. Der Rüde rannte schwanzwedelnd zur Tür und sprang dabei immer wieder um meine Beine herum. Da ich erneut umgeben von Kisten war, hatte ich keinen Überblick in welcher mein Anzug lag, also schnappte ich mir Lars Thermohose und meine dicke Hofjacke, darunter mehrere Schichten aus Shirt und Pullover. Über den unordentlichen Zopf setzte ich eine Mütze und verließ letztlich die Hütte. Sofort drückte sich ein kalter Windzug in mein Gesicht. Doch den Hund schien das kalte Wetter nicht zu interessieren. Fröhlich sprang er von einem kleinen Schneehaufen zum nächsten.
      An den Weiden gab es so gut wie mein Licht, aber im Schein des Mondes erkannte ich die Facetten der Jungpferde. Neugierig treten die Hengste heran und musterten das seltsame kleine Wesen, dass seine Nase zu ihnen streckte. Besonders Halldór, ein vierjähriger Isländer Hengst, konnte es kaum abwarten, das Tier zu sehen. Mit einem lauten Quietschen setzte er nach vorn und verdrängte die anderen neben sich. Aber Dog wollte lieber weiter. Zusammen liefen wir den Weg zum Hof entlang, unter uns knarrte der Schnee und vereinzelte Flocken rieselten herunter. In den Ohren lagen das Schnauben der Pferde, aneinanderreibende Baumkronen und zwischendurch meine ich einen Uhu gehört zu haben. Wenn es nur nicht so kalt wäre, könnte es idyllisch sein.
      In der Reithalle leuchtete noch die komplette Deckenbeleuchtung. Durch die großen Glasfenster rauschten undeutliche Facetten vorbei, die aber auf Lina hinwiesen und vermutlich ihren Göttergattern.
      „Komm Dog, wir gehen hier lang“, wies ich den Rüden auf einen schmalen Weg entlang, der entlegen vom Hof zu den Wohnhäusern führte.
      „Hast du gar keinen Besuch?“, merkte Tyrell an, als wir bei ihm vorbeikamen. Er stand mit einer halb abgebrannten Zigarette auf der Terrasse und überblickte sein Schaffen.
      „Nein“, antwortete ich knapp, ohne Blickkontakt zu suchen.
      „Dann komm doch zu uns. Bruce ist da, Eve -“, bevor die Aufzählung beendete, unterbrach ihn.
      „Passt schon, ich habe zu tun“, grinste ich aufgesetzt.
      „Kartons mal wieder ausräumen?“
      „Jein, mein Buch“, erklärte ich kurz und damit endete das Gespräch. Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und verschwand ins Innere der Hütte, aus der tiefe Basstöne dröhnten. Allein der Musik wegen wollte ich nicht dabei sein, obwohl ich die letzten Jahre immer bei ihnen saß, konnte ich die Fassade nur schwer aufrechterhalten.
      Dog trocknete ich im Flur ab, bevor er wie von einer Tarantel gebissen ins Wohnzimmer hetzte und sich über die Couch drückte. Ich hatte mir in der Zeit das Handy genommen. Unter Avledning begrüßte mich noch eine weitere Nachricht: „Ein Wort und ich stehe vor deiner Tür.“
      Er bekam keins von mir, stattdessen verdrehte ich die Augen und wischte auf dem Homescreen herum, als eine weiße Eins in einem roten Kreis ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Eigentlich gar keine schlechte Idee, vielleicht wäre in der Nähe jemand, der heute noch Zeit hatte. Deswegen aktualisierte ich meinen Standardort auf Kalmar, den in Vadstenalund und Umgebung würde sicher niemand sein.
      Eine Weile wischte nach links, bis mich ein attraktives Bild gegrüßte und gerade dazu einlud, die Automatik zu stoppen. Niklas, 26 Jahre. Mit offenem Mund starrte ich auf den Bildschirm, versuchte mich zu irren, aber ihn konnte ich zwischen Tausenden erkennen. Der blaue Haken neben seinem Namen sprach ebenfalls Bände. Aus reiner Neugier drückte ich mich durch sein Profil und alles daran klang nach ihm, selbst Wagner als „Lieblingsmusiker“ abzugeben, würde nur ihm einfallen. Geplagt von Trauer und Verlust, drückte ich den Sperr- und Lauterbutton, um den Screenshot ohne weitere Nachrichten an Lina weiterzuleiten. Allein das gab mir Genugtuung für den Abend und ich lehnte mich in die Couch. In zwanzig Minuten war es so weit. Ein weiteres schreckliches Jahr würde sich in mein Leben schleichen, ohne etwas ändern. Ich würde älter werden, vielleicht eine neue Frisur haben und eine weitere hoffnungslose Bekanntschaft. Nichts Nennenswertes, wenn es mit dem Leben anderer verglich. Aber es sollte endlich was werden, also wischte Niklas nach rechts und schaute weiter. Immer mehr Nichtigkeiten eröffneten sich vor mir, bis wieder mein Finger stoppte. Dieses Mal musste ich mich zusammenreißen, nicht sofort nach rechts zu wischen und zu hoffen, dass er antworten würde. Ein Gefühl von drängender Lust schoss von einem zum anderen Augenblick durch meine Finger. Seine Hilfsbereitschaft hatte mir Geld beschert, dass ich für ein richtiges Turnierpferd gebrauchen konnte. Aber bevor ich zusammen hätte, wäre Maxou sicherlich so weit. Wie es mit der Stute weitergehen würde, wusste ich nicht. Schließlich teilte ich sie mir noch mit Erik, der vermutlich nicht mehr lange so gnädig mit mir sein würde. Zweifel kamen, doch als ich den Blick wieder zum Handy hinabsenkte, verflüchtigten sie sich, wie eine Mücke im Tornado. Interessiert öffnete ich sein Profil und verschlag all die mir gezeigten Inhalte. Er war genauso, wie ich ihn mir unter der Bedeckung vorgestellte hatte. Sein Gesicht zeichnete ein fröhliches und ehrliches Lächeln, mit kleinen Grübchen am Kinn. Der Bart stoppelig rasiert. Auf dem Bild trug er sogar Reit-Stiefeletten und neben dem Bier auf dem Tisch, lag ein Führstrick. Egal, wie schwer es werden würde, ich wollte ihn, auch wenn es verrückt klang.

      In der Reithalle

      Lina
      “Und ihr glaubt wirklich, dass das klappt?”, blickte ich zweifelhaft die Hindernisständer an, auf denen Mateo, gerade eine der bunten Stangen platzierte, “Ich bin seit Ewigkeiten nicht mehr gesprungen.” Die Stange lag nicht viel höher als dreißig Zentimeter und konnte somit locker mit einem normalen Galoppsprung überwunden werden, doch es bereitete mir dennoch ein mulmiges Gefühl. Zuletzt gesprungen war ich vor fünf Monaten mit Nathalie, auf die hundertprozentiger Verlass war. Die große Scheckstute sprang ausnahmslos jedes Hindernis, egal, wie schlecht man es anritt. Außer ein paar Minisprünge in meiner Jugend besaß ich auch kaum mehr Springerfahrung, als die mit Nathy.
      “Na, klar, klappt das. Es ist nur ein kleiner Hüpfer”, grinste Sam, die seit einigen Stunden auf das nächtliche Ereignis hinfieberte. Unerwartet war die junge Frau in meinem Wohnzimmer aufgetaucht und hatte mir noch, bevor sie erklärte, wer sie war, eröffnet, dass ich für dieses Jahr noch ein letztes Mal aufs Pferd musste. Niklas hatte sie auch überzeugen wollen, doch auch oder ganz besonders in der Silvesternacht wurde nach Sicherheit verlangt, weshalb er leider arbeiten musste. Auch wenn ich meinen Freund lieber dabeigehabt hätte, verhießen Mateo und seine aufgeweckte Schwester eine nette Gesellschaft für den Jahreswechsel zu werden.
      “Lina, komm mal her zu mir”, sagte Mateo freundlich und winkte mich zu sich heran. Sanft drückte ich meiner Stute die Waden in den Bauch, worauf hin sie freudig zu ihm hertippelte.
      “Ich weiß, du bist mit deiner Stute noch nie gesprungen, aber ich habe euch schon bei der Dressur gesehen, ihr passt gut zusammen. Außerdem sagtes du doch, Redo ist nicht nur ein Lehrpferd, sondern eines, welches auch noch bei der Polizei war”, sprach er mir Mut zu, “Ich bin mir sicher deine Stute macht das mit links und wenn du gleich auch so gut im Sattel sitz wie sonst, schaffst du das hier auch.” Ein bestärkendes Lächeln lag auf seinen Lippen, bevor er noch etwas hinzufügte: “Aber ich werde dich nicht mit diesen Steigbügeln springen lassen.” Sanft löste er meinen Fuß aus dem Bügel und machte sich wie bei einem Anfänger an den Reimen zu schaffen, um diese gute fünf Löcher kürzer zu schnallen.
      “Ja, so ist besser”, stellte er zufrieden fest und stellte mein Fuß zurück, bevor er sich auch an der anderen Sache zu schaffen machte.
      “Um das Pferd sorge ich mich auch weniger, aber was ist, wenn ich alles vergessen habe? Wie man sitzt, wie man den Sprung anreitet, wie man richtig mitgeht …”, äußerte ich weitere Bedenken.
      “Erzähl nicht so einen Quatsch, Lina, so schnell vergisst man, dass alles nicht und falls doch, bin ich ja auch noch da. Du fällst mir nicht vom Pferd, dafür sorge ich schon”, schlug Mateo meine Argumente voller Überzeugung nieder und zurrte so gleich auch noch den Gurt der Stute enger. “Und jetzt zeigt Ihr erst einmal das Hindernis und dann kannst du mal in Schritt und Trab darüber.” Kurz drückte er in einer Geste der Ermutigung mein Bein, dann trat er zu Seite. Erstaunlicherweise fühlten sich seine Gegenwart unheimlich vertraut an, obwohl er gerade erst seit Mitte November zum Team gehörte.
      “Na gut”, nickte ich und trieb die Rappstute einige Schritte vor. Hoch interessiert schnupperte sie an dem glänzenden Plastik und befand es ziemlich schnell als ungefährlich. Verfressen wie sie war, stupste sie nun Mateo an und verlangte nach einem Leckerbissen. Dieser schüttelte nur lachend den Kopf, griff in den Zügel und führte die Stute über die Stange. Artig folgte Redo dem jungen Mann, hob dabei die Füße allerdings nicht viel höher als notwendig, wodurch bei jedem Schritt ein dumpfer Laut erklang.
      “Siehst du Lina, dein Pferdchen langweilt sich dabei sogar”, grinste Sam und trabte mit der Stute ihres Bruders locker vorbei. Die dunkle Fuchsstute bewies auch heute Nacht wieder einmal ihr Temperament und stellte die Sattelfestigkeit ihrer Reiterin mit dem ein oder anderen Bocksprung infrage.
      “Du hast jetzt noch ungefähr acht Minuten, dich und dein Pferd mit dem Hindernis vertraut zu machen”, stelle Mateo nach einem Blick auf sein Handy fest.
      “Na gut, dann wollen wir mal”, sprach ich mehr zu mir selbst und brachte die Stute in den Trab. Während Samantha geradewegs den Spring ansteuerte, drehte ich zwei Runden außen herum, um mich an die neue Bügellänge zu gewöhnen.
      “Lina, lass dein Knie dran, wir reiten jetzt keine Dressur mehr”, wurde ich sogleich korrigiert, “und gib Redo ein wenig mehr Zügel.” Seine Kritik umsetzend, ritt ich gerade auf die bunten Stangen zu. Aufmerksam gingen die Ohren meiner Stute nach vorn und sie überwand einwandfrei die niedrige Stange. Begeistert klopfte ich den Hals der Stute, dass sie es nicht nur brav, sondern auch noch motiviert machte, hatte ich es nicht erwartet, denn in der Dressur war sie häufig ein wenig maulig.
      “Sehr gut, er wäre nur noch besser, wenn der Rhythmus gleichmäßig bleibt”, kam so gleich ein Lob von Mateo. Die vergehenden Minuten überwand ich im Wechsel mit Sam noch ein paar weitere Male die Stangen, bis ihr Bruder die letzte Minute ankündigte. In der Zwischenzeit hatte er eine Flasche Sekt herbeigezaubert und reichte jedem von uns ein Glas mit der perlenden, goldgelben Flüssigkeit. Gebannt starrten wir zu dritt auf sein Handy, auf dem sich der Zeiger der Uhr der Null immer weiter annäherte. Fünf, vier, drei, zwei, eins …
      “Ein frohes neues Jahr”, kam es beinahe gleichzeitig aus unseren Mündern, worauf wir anstießen. Leicht säuerlich rann das Nass meine Kehle hinab und sammelte sich blinzelnd in meinem Bauch.
      “Lina, der Neujahrssprung gebührt dir, wenn du möchtest”, bot Samantha mir freundlich an und ritt mit Karie ein wenig zu Seite. Ein wenig nervös war ich schon, so nahm ich noch einen kräftigen Schluck aus dem Glas, bevor ich es Mateo reichte. Direkt aus dem Stand brachte ich meine Stute in den Galopp. Motiviert sprang sie an, fand bereits nach wenig Sprüngen ihren Rhythmus. Auf einem weiten Bogen steuerte ich die Stute auf das Hindernis zu. Wie schon zuvor im Trab richtet Redo die Ohren steil nach oben, hob auch den Kopf ein wenig an und setzte leichtfüßig über die Stange. Überschwänglich lobte ich die Stute und lenkte sie auf einen großen Zirkel um das Hindernis herum. Es schien fast so, als, sei die Stute für das Hüpfen gemacht.
      “Prima, das klappt doch ganz wunderbar”, grinste Mateo, “Willst du den nächsten Sprung ein wenig höher haben?”
      “Ja, bitte”, rief ich ihm begeistert zu. Wer hätte nur gedacht, dass das Rückbesinnen auf etwas Altes so einen guten Start in das neue Jahr darstellen würde. Mit wenigen Handgriffen hatte der Schweizer dem Hindernis eine weitere Stange hinzugefügt. Erneut steuerte ich den Sprung an. Mit großen Sprüngen näherten wir uns dem Ziel, was die Stute auch dieses Mal einwandfrei überwand.
      “Platz da, jetzt komme ich”, rief Sam durch die Halle, die Karie bereits auf dem Zirkel am anderen Ende der Halle galoppierte. Bereitwillig räumte ich den Weg und parierte Redo durch.
      Die Fuchsstute quietschte freudig und machte einen mächtigen Bocksprung, bevor sie sich von Samantha bändigen ließ. Wagemutig stürmten die beiden auf den Sprung zu, den Mateo nicht einmal zurückgebaut hatte. Natürlich überwand Karie, die sonst deutlich höhere Hindernisse überwand, den Sprung mit knapp sechzig Zentimeter mit Leichtigkeit.
      “Springt deine Schwester öfter?”, fragte ich neugierig. Sam machte nämlich eine hervorragende Figur auf der kräftigen Fuchsstute.
      “Mittlerweile nicht mehr”, verneinte Mateo und tätschelte nebenbei Redo den Hals.
      “Mittlerweile, warum springt sie nicht mehr?”, versuchte ich mehr Informationen zu gelangen. Für gewöhnlich war mein Kollege nicht besonders redselig, wenn es um ihn ging. So war etwa offensichtlich, dass Karie ihrem Anschein zu trotz, ein ausgezeichnetes Springpferd war, aber dass er sogar international mit ihr unterwegs war, fand ich eher zufällig heraus.
      “Ja, bevor sie hier nach Schweden zog”, erklärte er und legte seine Schwester die Stange ein wenig höher, “Ihre Stute hat es inzwischen allerdings in den Gelenken.”
      “Hat sie auch ein Freiberger, so wie du?”, interessierte ich mich weiterhin.
      Mateo lachte: “Sie hat, wie du weißt, sogar mehr als einen Freiberger, aber nein, NAME WIRD NOCH GESUCHT, ist ein Schweizer Warmblut, aus der Zucht meiner Eltern.”
      “Quatschen könnt, ihr später noch, ich will dich lieber hüpfen, sehen”, unterbrach Sam, das Gespräch und parkte die Fuchsstute neben uns.
      “Mateo, würdest du dann vielleicht”, noch bevor ich den Satz beendete, hatte er bereits verstanden und baute das Hindernis wieder niedriger. Auch wenn das Springen Spaß machte, wollte ich das Jahr doch nicht gleich mit einer Portion Selbstüberschätzung beginnen. Bis halb eins trieben wir das Spektakel, bevor wir die Pferde auf ihre Paddocks brachten. Müde, aber zufrieden verschwanden die beiden Stuten in der Dunkelheit und mischten sich unter ihre Herdenmitglieder.
      “Kommst du noch mit rein?”, fragte Sam, als wir schließlich bei den Hütten ankamen. Dafür dass es Silvester war, war es relativ ruhig auf dem Hof, was vermutlich an der Abwesenheit von Vriskas Familie liegen mochte. Aus der Tatsache, dass in ihrer Hütte noch Licht brannte, schloss ich, dass sie selbst offenbar zurückgelassen wurde. Sie tat mir leid, ihre Familie war weg, auch Lars, an den sie sich seit Weihnacht anschloss, war ausgeflogen. Hoffentlich hatte sie den Jahreswechsel, trotzdem nicht allein verbringen müssen.
      “Ja, ich würde nur schnell rüber etwas anders anziehen”, stimmte ich zu.
      “Perfekt, ich sorge schon einmal für Nachschub”, wedelte sie mit der leeren Sektflasche umher und verschwanden in ihrer Hütte.
      In Hochstimmung lief ich zu meiner eigenen Hütte. Im Vorbeigehen ergriff ich das Handy vom Couchtisch, welch ich dort zurückgelassen hatte. Auf dem Pferd hätte es mir ohnehin nichts genützt. Direkt begrüßt wurde ich von den Neujahrsgrüßen meiner Schwester, die dem verwischten Selfie nach zu urteilen, mit ihrem Freund in einem Club feierte. Samu hatte ebenfalls eine Nachricht hinterlassen, allerdings ohne Bild. Zielsicher griff ich eine Leggings aus dem Regal, doch der Pulli, den ich suchte, war nicht aufzufinden. Während ich wie ein blindes Huhn durch die gesamte Wohnung rannte, scrollte ich weiter durch meine Nachrichten und stieß dabei auf einen Chat, der in der vergangenen Woche wie eingefroren schien. Vriska hatte ein Bild gesendet, offensichtlich ein Screenshot, von einem Trabrennen. Im Zentrum des Bildes stehen, war ein Rappe zusehen, der in vollem Renntempo neben einem großen Braunen hertrabte. Sonst gab es keinerlei weitere Information dazu. Verwirrt starrte ich das Bild an, hatte ich etwas übersehen? Was wollte sie mir damit mitteilen? Vielleicht war es der Einfluss des Alkohols oder auch der, der körpereigenen Drogen, die noch immer durch meine Blutbahnen wallten, doch ich hielt es für eine grandiose Idee unmittelbar zu Vriska hinüberzugehen und nachzufragen. Die Suche nach dem Pullover gab ich auf, griff stattdessen, nach einem beliebigen und marschierte voller Tatendrang hinüber zu Vriska. Von meiner Mission überzeugt, klopfte ich an und wartete ungeduldig in der Kälte auf Einlass. Kaum löste sich meine Hand vom Holz, ertönte Gebell. Mit schlotterten die Knie, bis schließlich Dog verstummte und sich die Tür einen Spalt öffnete.
      „Was denn?“, murmelte Vriska, mit stark geröteten Augen und eher wankend auf den Beinen, denn sie klammerte sich am Holz. Der Hund drückte sich hindurch und sprang aufgeregt an mir herum.
      “Falls ich dich geweckt haben sollte, tut es mir leid, aber ich habe eine wichtige Frage”, verkündete ich direkt mein Anliegen, “Was willst du mir damit sagen?” Während ich sprach, hatte ich das Handy bereits eingeschaltet und drehte ihr den geöffneten Chat mit dem rätselhaften Bild hin. Sie wischte sich durchs rechte Auge.
      „Ich habe keine Brille auf“, sagte sie nur und ließ von der Tür ab. Sie lief in die Hütte hinein, was ich sogleich als Chance nutzte, der Kälte zu entfliehen. Dog folgte mir nicht. Auf den ersten Blick herrschte ein unkontrolliertes Chaos im Inneren. Überall standen halb geöffnete Kisten, während andere sich türmten. Auf dem Küchentisch stand einsam eine geleerte Weinflasche und neben dem geöffneten Laptop auf dem Wohnzimmertisch eine weitere. Sie suchte ihre Brille und ich erhaschte einen neugierigen Blick auf den Bildschirm. Es war ein Video geöffnet, betitelt mit einem Datum aus dem September, mittlerweile, letzten Jahres, einem Rennen in Kalmar. Ein weiteres Puzzleteil bot mir, das weiterhin rätselhaft blieb. Vriska kehrte zurück mit ihrer Brille und abermals streckte ich das Handy in ihre Richtung. Kaum zuckten ihre Augen über den Chat, färbten sich ihre Wagen rötlich.
      „Ähm, das war aus Versehen. Ich wollte dir was Anderes schicken, aber ist auch egal“, seufzte sie und wich dauerhaft meinem Blickkontakt aus. Erst jetzt registriere ich ihre Niedergeschlagenheit richtig. Sollte ich nachfragen oder war es vielleicht besser zu gehen und ihr ihren Frieden zu lassen? Nein, ganz sicher konnte ich nicht einfach zu Mateo und seiner Schwester hinübergehen und fröhlich sein, ohne wenigstens versucht zu haben, ob ihr zu helfen war.
      „Okay“, nickte ich zögerlich, „willst du mich aufklären, was dich betrübt … oder soll ich einfach wieder gehen?“
      „Wonach sieht das hier denn für dich aus? Dass ich einen spaßigen Abend hatte mit Menschen, die mich mögen? Dann ja, diesen hatte ich.“ Vriska rollte mit den Augen und stieg zurück auf die Couch, aber weggeschickt hatte sie mich nicht, überließ ausschließlich mir weitere Schritte. Ein unglaublich schlechtes Gewissen überkam mich, dass ich ihr in meiner Bewegtheit nicht einmal erklärt, weswegen ich mich so plötzlich distanzierte. Fair war das nicht.
      “Tut mir leid”, murmelte ich schuldbewusst und nestelte mit meinen Fingern unsicher an dem filigranen Metall an meinem Handgelenk herum.
      “Passt schon”, winkte sie ab, ohne sich zu mir zu wenden, “Außerdem wartet sicher dein Göttergatter.”
      “Nein, der ist arbeiten”, erklärte ich, obwohl es sie vermutlich gar nicht interessierte, doch etwas anders wusste ich nicht zu sagen. Vriska wirkte nicht wirklich so als sei meine Gegenwart weiterhin erwünscht, sodass ich mich schon zum Gehen wenden wollte.
      “Ist dann deine Frage beantwortet?”, kam sie auf mein ursprüngliches Anliegen zurück. Ganz desinteressiert war sie doch nicht, obwohl ihr Laptop einen Großteil der Aufmerksamkeit forderte.
      “Na ja, so halb”, überlegte ich, denn was hinter dem rätselhaften Bild steckte, wusste ich noch immer nicht, “Warum machst du Screenshots von Trabern, die ganz eindeutig nicht hier zum Hof gehören? Ist das Rennen nun deine neue Passion?”
      “Erkennst du das Pferd nicht?”, seufzte Vriska und stellte das Laptop zurück. Eindringlich betrachte ich das Bild auf dem Handy erneut, bis es mir langsam dämmerte: “Das Pferd von dem Rennen neulich? Wie hieß es noch mal … etwas mit Netflix?”
      „Pay My Netflix, genau“, ein Lächeln zuckte über ihre Lippen und schlagartig kam auch wieder Farbe in die helle Haut.
      “Und du stalkst das Pferd, weil … es so umwerfend ist?”, hakte ich weiter nach, denn mir fiel allmählich ein, dass Vriska auch an dem Renntag bereits, wie eine Motte vom Licht, von diesem Pferd und dem zugehörigen Jemand angezogen wurde.
      “Ja, genau. Das Pferd.” Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen, um das ungebändigte Grinsen zu verstecken. Doch längst hatte ich es bemerkt, dass auch mich ansteckte.
      “Erzähl mir mehr”, forderte ich angefixt, von ihrer plötzlichen Euphorie. Vriska nickte und stand auf, um aus dem Regal eine weitere Weinflasche zu holen. Auch meine Jacke nahm sie mir ab, bevor ein Glas für uns beide eingeschenkt wurde. Zur Überraschung begann es vor den Scheiben an zu schneien und als würde uns das Schicksal etwas sagen wollen, vibrierte ihr Handy und sie grinste noch spitzer.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 34.694 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Jahreswechsel 2020}
    • Mohikanerin
      Rennen L zu M | 18. August 2022

      Astronaut in the Ocean LDS / Harlem Shake LDS / Eifellust / Global Vision / Sturmglokke LDS / Fieberglas / Pay My Netflix

      Dick einbandagiert standen Astro und Sturmi in ihrer Box, den Kopf leicht hängend und die Augen schwer. Die beiden Hengste hatten ihren ersten Heat des Tages hinter sich und warteten auf den zweiten. Besonders stolz waren wir auf den Falben, der im Gemüt seinen Mittelpunkt fand. Zuvor lief er unter dem Sattel, denn die Sulky jagten ihm eine höllische Angst ein. Je öfter er das Klappern hörte, sich den Geräten mutig näherte, umso gelassener wurde er. Zwischendurch setzte ich mich in den Rennsattel, um kleine Trainingseinheiten im hohen Tempo zu absolvieren. Er machte seine Sache gut. Die Zeiten sprachen für sich, so war es nicht verwunderlich, dass wir einen Käufer im Ausland fanden, der ihn gerne hier im Training lassen wollte.
      Lars führte Astro aus der Box und ich Sturmi. Synchron nahmen wir die Bandagen ab, legten die Unterlagen zusammen und packten die Gurte auf den Rücken. Die Hengste wurden wacher, wussten genau, dass es ein weiteres Mal auf die Bahn ging. Aufgeregt traten sie auf der Stelle, aber folgten Gehorsam aus dem Stall. Noch immer war es kalt und matschig, weshalb wir einen anderen Weg zur Bahn nahmen, entlang an den jungen Bäumen zu den Pferden auf der Weide und dann über das Sandgeläuf zur Grasbahn im Inneren. Die erste halbe Runde fuhren wir Schritt, bevor wir in den Trab umstellten und ein Intervall nach dem nächsten fuhren.
      Parallel dazu waren Bruno und Nour mit zwei anderen Pferden auf der weiteren Grasbahn, die einige Meter kürzer war. Shaker und Vision wirkten aus der Ferne stark geschwitzt, aber ebenso begeistert von dem Wetter. Die kühle Luft war nahezu erfrischend, denn der Wind hielt sich noch zurück.
      Eine Runde nach der anderen kamen wir der Zielzeit nah, sodass wir rechtzeitig zurückkamen. Die Hengste fertigte ich ab für die Box, denn Lars wollte noch vor dem Sonnenuntergang mit Eifellust raus. Er holte die Stute, legte ihr alles an und war dann auch fast weg.
      Für mich hingegen ging es nach Kalmar. Basti bot mir an, seinen Hengst besser kennenzulernen. Er wartete bereits im Stall auf mich und begrüßte mich freudig. Netflix und Fieber spitzten interessiert die Ohren. Ich half ihm, die Wagen anzuhängen und wir fuhren in den Wald. Die Stimmung war gedrückt, zwischen uns schwebten weiterhin ungeklärte Themen, aber ich dennoch blieb ich dankbar für die Möglichkeit. Netflix zeigte sich geduldig, ebenso überrascht, dass ich ihm Freiraum gab. Neben mir tänzelte Fieberglas her, die das langsame Tempo nicht wollte. Im Wald angekommen, erhöhten wir zum Trab.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 2523 Zeichen
      zeitliche Einordnung {April 2021}
    • Wolfszeit
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      Routineuntersuchung | 26. August 2022
      Mal wieder in Kalmar ging es heute um das Check-up zweier Traber Hengste. So oft wie ich auf diesem Gelände war, sollte ich wirklich darüber nachdenken, ob man nicht gleich eine Klinik dort eröffnete. Naja, jedenfalls, erwartet mich der erste Patient gleich im vordersten Stalltrakt. Binomiallsats gehörte Niklas, einem passionierten Vielseitigkeitsreiter, den unsere Klinik bereits mit zwei weiteren Pferden betreute. Der junge Mann warte bereits mit dem temperamentvollen Tier am Putzplatz. Er fasste für mich die nötigen Informationen zusammen, wegen Bino mich mit angelegten Ohren empfing. Obwohl sein Besitzer bemüht darum, war den Hengst ruhig zu halten, musste ich einiges an Geduld uns Feingefühl aufbringen. Am Ende könnte ich allerdings den einwandfreien Zustand des Hengstes bestätigen, worüber Niklas sehr erleichtert schien. Der kommenden Turniersaison stand nicht im Wege. Der nächste Patient, ein Rappe, warte nur einen Stalltrakt weiter. Pay My Netflix war deutlich einfacher im Umgang, weswegen ich mit ihm deutlich schneller fertig war. So packte ich meine Sachen zusammen und fuhr zurück zur Klinik, wo I’ma Playboy auf seine Untersuchung wartete.

      © Wolfszeit | Dr. Linqvist
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugosechs | 29. August 2022

      Moonwalker LDS / Northumbria / Glimsy / Pay My Netflix / Millennial LDS / Enigma LDS / Schneesturm / Maxou / Henade

      Vriska
      Bereits Ende Januar wurde der Schnee von einem Dauerregen abgelöst, der die Fahrt auf dem Sulky undenkbar ekelig machte. Trotzdem überwand ich mich. Durch den Frost hatten sich tiefe Furchen in den Sand legt und verursachten damit eine reine Schlammschlacht. Walker, der sonst hell den Stall erleuchtete, konnte erst nach einer verdienten körperwarmen Dusche seine gewohnte Fellfarbe hervorbringen.
      Ich lehnte in der Stallgasse an einem Holzbalken und beobachtete, wie Walker genüsslich sein Futter verspeiste unter den roten Lampen. Neben mir stand Nour, vollkommen begeistert von dem Hengst. Sie erzählte womöglich zum vierten Mal an dem Tag, wie sehr sie das Training mit ihm vermisste, aber froh war, dass ich es so lang übernahm. Ihr Arm verursachte noch immer Probleme und die Naht wollte sich nicht schließen. Da Walker seine unberechenbaren Phasen hatte, fuhr sie nur mit einfachen Pferden.
      „Wir sind ein wirklich gutes Team“, sagte sie und boxte mir leicht an den Oberarm.
      „Schon, ja“, murmelte ich.
      „Jetzt lass den Kopf nicht hängen. Das mit Lina renkt sich sicher wieder ein, auch wenn ihr Kerl ziemlich seltsam ist“, mahnte sie. Ich wusste das, aber es änderte nichts, egal, wie oft es mir sagte oder jemand anderes. Auch, was Niklas Problem seit Wochen war, konnte ich nicht genauer herausfinden. Einzig meine Anwesenheit brachte ihn zu unbeschreiblich unfreundlichen Taten. Selbst nach dem Urlaub wechselten wir kaum Worte, aber ich konnte spüren, dass es wieder besser werden würde.
      “Willst du heute selbst Humbria nehmen?”, wechselte Nour sogleich das Thema und stellte sich demonstrativ vor mir. Erst jetzt richtete den Kopf auf, um ihr ins Gesicht zu blicken. Sie war nur etwas größer als ich, wodurch es kein Problem war. “So ein Turnierpferd kauft sich schließlich nicht von selbst und ich will mein Walkerlein auch demnächst wieder haben.”
      “Versteh’ schon, du und dein Schatz”, grinste ich.
      Voller Tatendrang verschwand Nour und kehrte mit meinem rosafarbenen Halfter aus dem Schrank zurück, um es mir in die Hand zu drücken. Etwas verwirrt schaute ich die Dame an, aber zuckte mit den Schultern und lief zum Stutenpaddock, um besagte Stute zu holen. Lina hatte ihr eines Tages den Spitznamen „Pilzi“ gegeben, nach dem Tyrell bei einer Farbuntersuchung feststellte, dass sie das Mushroom Farbgen trug, das bisher nur bei Shetlandponys nachgewiesen werden konnte. Umso mehr freute ich mich, dieses Pferd zu meinem Zählen zu dürfen, wenn auch nur im Rahmen der Betreuung. Glücklicherweise war Niklas klug genug, uns die Stute zu überlassen, denn es hatte sich immer mehr herauskristallisiert, dass sie sensibel war und Ruhe bedarf. Sensibel mag er gehändelt bekommen, aber Ruhe bewies er bisher nie. Ich schätze, sie war froh, mich zu haben. Ihre Ohren stellten sich bereits auf, als ich ihren Namen rief. Beim zweiten Mal kam sie zum Zaun gelaufen und wieherte in hohen Oktaven.
      „Toots, wir haben Großes vor“, strich ihr über die schmale, schräge Blesse und öffnete das Halfter, um es hinter den Ohren zu schließen. Sie mochte es nicht, wenn man es über ihren Kopf zog, aber wir arbeiteten daran. Ihr erstes Leckerli verdrückte sie in Windeseile und folgte wie ein glücklicher Hund.
      „Mit dir habe ewig nichts mehr gemacht. Das tut mir leid“, sprach ich weiter mit dem Tier, das mir ohnehin nicht antworten würde. Aber sie stupste mich an, was ich als Kommunikation verstand.
      Angekommen in der Stallgasse bemerkte ich Walker in seiner Box stehen, interessiert den Kopf nach der Stute recken. Humbria legte die Ohren an.
      „Ich verstehe dich, Männer sind doof“, lachte ich.
      „Ach ja? Alle?“, kam auf einmal Lars hervor. Mir stockte der Atem und die dunkle Stute sprang zur Seite weg, dabei klapperte der Beschlag laut an dem Holz einer Boxenfront.
      „Du willst uns noch umbringen“, schüttelte ich den Kopf. Humbria beruhigte ich mit Klopfen am Hals und sogleich schmiegte sie sich an mich heran. „Aber ja, besonders du.“
      Dann lachte auch Nour, die neben ihm auf der Bank saß und aufstand, um die dunkle Stute zu begrüßen.
      „Leider muss ich ihr zustimmen, du bist der Schlimmste von allen“, fügte seine Schwester amüsiert zu und legte demonstrativ ihren Arm auf meine Schulter.
      „Jetzt verbünden sich meine Lieblingsmädchen auch noch. Das kann eine Saison werden. Gott, steh mir bei“, schüttelte er den Kopf. Lars begleitete uns zum Anbinder und diverse Nachfragen bezüglich der Stute neben mir. Besten Gewissens erzählte ich von meinen Erfahrungen von ihr, aber hatte keine Vorstellung davon, wie sie am Wagen fuhr.
      „Ich kann mitkommen. Glimsy braucht ohnehin noch etwas Auslauf“, beschloss er und lief davon. Als ich ihm so nachsah, wurde mir doch etwas wärmer ums Herz. Sein eleganter Gang übertraf um Längen, was Niklas ausstrahlte. Nur Tattoos würden ihn noch attraktiver machen, um genau mein Typ zu sein.
      „Erde an Vivi“, trat Nour vor meinen Blick, aus dem Lars bereits verschwunden war.
      „Ähm, ja?“, schüttelte ich erwischt den Kopf.
      „Stehst du auf ihn?“, kam sie noch etwas näher, damit es sonst keiner im Stall mitbekam.
      „Nein!“, empörte ich mich und flüsterte zu mir selbst: „Nicht auf ihn.“
      „Jetzt wird es interessant. Aber ihr habt doch miteinander geschlafen, oder stimmen die Gerüchte nicht?“, legte sie wieder mal ihren Arm um meinen Hals. Nour war ziemlich körpernah unterwegs, aber sie strahlte eine hohe Sympathie aus, weshalb es mich nicht störte.
      „Ich werde mich dazu nicht äußern“, schmunzelte ich.
      „Doch, ich werde es schon noch erfahren.“
      Bis auch Lars die Rappstute am Wagen hatte, dauerte es eine Weile. Nour hielt die Beine still und fragte mich nicht weiter über ihren Bruder aus. Stattdessen wollte sie mal wieder mehr über ihren Liebling, Walker, wissen. Also beantwortete ich erneut alle Fragen. Langsam sollte es doch genug sein, dachte ich, insgeheim und ging mit Bedacht vor, also ich Humbria den Gurt umlegte. Sie hampelte unsicher herum, aber sanftes Vorgehen beruhigte sie mehr oder weniger. Das Blutblatt löste in ihr einen weiteren Schock aus, dass ich zunächst durch den Stall führte. Aus ihren aufgeblähten Nüstern prustete Humbria laut Luft, erregte dabei von jedem, der durch den Stall lief, Aufmerksamkeit. In meinem Kopf ging unsere Rennkarriere den Bach herunter.
      “Vielleicht hilft das hier”, schlug Nour vor und drückte mit Watte in die Hand. Verwundert drückte ich die Brauen zusammen.
      “Das wird ihr wohl kaum helfen”, winkte ich ab. Doch sie ignorierte förmlich meine Aussage und stopfte das weiße Zeug in die Plüschohren der Stute, diese schnaubte einmal und wurde ruhiger.
      “Doch”, grinste Nour überzeugt.
      „Ach Mensch, tu einfach, was man dir sagt, dann ist einfacher“, scherzte Lars und trat damit leider in eine schmerzhafte Stelle. Ich hatte es versucht, allen recht zu machen, aber selbst das reichte nicht aus. Kommentarlos zog ich Humbria die Watte wieder aus den Ohren. Ihre Hektik kehrte zurück aber kaum steckte ein Leckerli im Maul, konzentrierte sie sich auf mich.
      „Ich gehe allein“, schnaubte ich. Dann führte ich die Stute wieder in den Anbinder, in dem bereits mein Sulky lehnte. Erst legte ich Trense um, streifte das Halfter wieder über und den Wagen ins System. Die Stute hampelte unter den wachsamen Augen der Beiden, die misstrauisch Blicke austauschten. Letztlich schaffte ich es und Humbria schnaubte sogar ab. Zu meinem Bedauern folgte uns Lars.
      “Du bist noch nicht so weit”, rief er mir nach, was mir nichts ausmachte. Natürlich bekam ich sogleich Herzklopfen, als würde ich auf der Göttin sitzen und mich lächerlich machen, aber es war anders. Humbria und ich kannten einander und hatten eine Bindung. Zumindest glaube ich das. Die ersten Meter auf dem Hof lief die Stute im ruhigen Tempo voran, bis sie den Kopf hochstellte und die Schritte verkürzte. Mit guten Hintergedanken durchwühlte ich alle Informationen in meinem Kopf, nach Trainingsmethoden, wie ich sie einmal in der Berufsschule hatte. Wieder sprach ich auf die nervöse Stute ein und ließ dabei immer wieder Kontakt an der Leine nach, um sie zum Strecken zu animieren. Humbria wirkte verwirrt, was ich von ihr wollte, aber als die gewünschte Aktion folgte, lobte ich die Stute. Dafür lehnte ich mich auch nach vorn, um ihr sanft über den Po zu streichen. Tatsächlich klappte es, auch entgegen meiner Erwartungen.
      „Ziemlich beeindruckend“, merkte Lars an und schloss neben uns auf.
      „Tja, bin halt nicht so ein Anfänger, wie du denkst“, grinste ich mit deutlicher Selbstsicherheit.
      „Du hast den zweiten Platz belegt, nachdem du ewig keine Rennen gefahren bist. So schlecht denke ich nicht über dich“, beschwichtigte er.
      Bis zur Trainingsbahn fuhren wir nebeneinander her, tauschen Erfahrungen über meine Stute aus und besprachen den heutigen Ablauf. Vorbereitend für kommende Rennen hatte Lars die Stute in sein Trainingsprogramm aufgenommen, das Bruno sich zuvor für den Wiedereinstieg überlegt hatte. In diese, beinah geheimen, Informationen wurde ich nicht eingeführt, musste also mit Nacherzählungen vorliebnehmen. Gespannt hing ich an seinen Lippen.
      Auf der Bahn legten wir an Tempo zu, um die Pferde im lockeren mittleren Trab durch den gefrorenen Sand zu joggen. Immer wieder holten wir sie zurück, um eine Schrittphase einzulegen. Die Geschwindigkeit passten wir individuell an. Humbria brauchte mehr Ruhe, die sie durch Glimsys Anwesenheit bekam. Ich sah ein, dass seine Begleitung eine kluge Wahl war. Deswegen legte ich bereits in der dritten von vier Trabphasen an Tempo zu.
      Zufrieden kehrten wir auf den Hof zurück, aber wir alle sichtlich erschöpft.
      “Und, möchtest du dann nächste Woche mitkommen nach Visby mit Humbria?“, fragte Lars aus heiterem Himmel, als ich das Geschirr von der verschmutzten Stute abnahm.
      „Ich weiß nicht. Das ist so weit weg von hier“, merkte ich wenig begeistert an, obwohl mir bekannt war, dass es Lars und seine Familie von dort kam.
      „Nicht viel weiter als Stockholm und der Großteil der Strecke ist auf der Fähre“, zuckte er mit den Schultern. „Außerdem …“ Willkürlich stoppte er, mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen.
      „Außerdem, was?“, hakte ich nach. Nervös wippte mein Bein auf Stelle.
      „Es gibt noch mehr Gerüchte, aber schweige wie ein Grab“, hielt Lars inne und verschwand, um das Equipment seiner Stute zu verräumen. Noch eine Weile stand ich neben Humbria und versuchte aus meinem Gedächtnis zu fischen, worauf er hinauswollte. In der vergangenen Zeit benahm ich mich, wie man es unter Normal verstand, nahm mir lediglich Ruhephasen in den Rennen, an den ich neugierig im Zelt stand und die vorbeifahrenden Pferde musterte. Das eine oder andere Gespräch entstand dabei, aus dem ich Informationen erhaschte. Niklas mied ich, wenn er da war und von Erik hatte auch ewig nichts mehr gehört. Selbst seinen Instagram-Account begutachtete ich nicht mehr jeden Tag vor dem Schlafen gehen, also alles in allem, sehr normal. Was für Gerüchte sollten da aufkommen?

      Lina
      Der europäische Winter lockte nicht gerade mit molligen Temperaturen. Vor wenigen Tagen hatte ich noch bei schätzungsweise achtundzwanzig Grad den australischen Sommer ausgekostet, doch vorbei war es mit dem Urlaub. Niklas begab sich bereits in den frühen Morgenstunden zu Arbeit, so verschlief ich meinen Wecker und erwachte erst, als der Regen gegen das Fenster prasselte. Der Trubel auf dem Hof war schon lange erwacht, als ich mich, eingepackt in mehrere Schichten, wärmender und wasserabweisender Schichten, hinauswagte. Durch den Matsch patschte ich direkt zum Paddock, um Mill zu holen. Die junge Stute konnte ein wenig Beschäftigungen gebrauchen und dazu konnte diese unter einem Dach stattfinden. Der Rappe schien von dem Wetter ebenso wenig zu halten, wie ich, denn alles, was ich von ihr erblicken konnte, war ein wohlgeformtes Hinterteil in der hinteren Ecke des Unterstanden. Geschickt kletterte ich durch den Zaun und lief auf die Stute zu. Neugierig blickte sie mir aus ihren hellen Augen entgegen, doch auch zog ich die Aufmerksamkeit der anderen Stuten auf mich. So auch die der Göttin, die sogleich schlecht gelaunt, wie immer angetrottet kam und mich zu vertreiben suchte. Allerdings erfolglos, denn seitdem ich Caja im Training hatte, konnte mich eine schlecht gelaunte Stute nicht wirklich abschrecken. Unbeirrt halfterte ich das junge Pferd und steckte ihr als Belohnung ein Leckerli zwischen die rosafarbenen Lippen. Damit ich mit dem rangniedrigen Tier passieren konnte, scheuchte ich die dunkle Fuchsstute aus dem Weg, woraufhin Mill mir artig folgte. Als wir in den Regen hinaustraten, begann sie allerdings ein wenig das Rennpferd heraushängen zu lassen. Ungeduldig drängelte sie voran, warf den Kopf in die Höhe und ließ ihr schrilles Wiehern ertönen, als sie sich nicht so recht durchsetzen konnte. Wir schafften es trotz des Theaters auf der Stallgasse anzukommen, wo sie sich schließlich beruhigte.
      “Gut, dass du kommst, Lina”, grinste Mateo mich an, der gerade dabei war, Schnees helles Fell ansatzweise sauber zu bekommen. Die Beine der Traberstute waren mehr schlammig braun und ihr Bauch war nun gesprenkelt. Dieses Wetter war eindeutig nicht für helle Pferde geeignet.
      “Weswegen, habe ich etwas Wichtiges verpasst?”, fragte ich erstaunt über diese Begrüßung. Aufgeschlossen schnuppert Mill an der anderen Stute, während ich die langen Stricke in ihr Halfter hängte.
      “Zuerst sei gesagt, dass dir dein Urlaub wirklich gut zu Gesicht steht, du solltest mehr Zeit in der Sonne verbringen”, sprach der Schweizer zuvorkommend.
      “Wenn das nur so einfach wäre”, lachte ich verlegen und strich der Schimmelstute, die mich interessiert beschnupperte, über die helle Stirn,” Aber das ist sicher nicht, was du mir mitteilen wolltest, also erzähl schon.” Was war es nur, was alle sahen? Wenn ich in den Spiegel blickte, sah ich nicht viel mehr als ein Mädchen, an dem nicht wirklich besonders zu finden war, daran würde auch ein sonnengebräunter Teint nichts ändern.
      “Samantha hat da eine talentierte Stute, die derzeit etwas Langeweile hat und sie überlegt sie hier her in den Betritt zu geben”, erzählte mein Kollege beiläufig und beschäftigte sich weiterhin mit der Reinigung seiner Stute. Deshalb bemerkte er vermutlich nicht, wie ich eilig nach einer Bürste griff, um die Verlegenheit zu überspielen.
      “Das ist schön, aber warum erzählst du mir das und nicht unserem Chef?”, hinterfragte ich irritiert. Mir erschoss es sich nicht ganz, weswegen diese Information für mich relevant sein sollte, schließlich, war nicht ich es die entschied
      “Weil es davon abhängt, was du dazu sagst. Sam hätte gerne, dass du diese besondere Stute reitest und es hat ihr gut gefallen, wie du mit deinen Pferden umgehst. Du musst wissen, Hanni liegt, ihr ziemlich am Herzen, weswegen es ihr wichtig ist, dass sie in guten Händen ist. ”, ergänzte er auf meine Nachfrage hin. Bei dem Wort besonders horchte ich auf: “Ich hoffe, du meist nicht so besonders wie Caja. Ein Pferd, was es darauf anlegt, mich in den Wahnsinn zu treiben, ist für das Erste ausreichend.”
      “Nein, keine Sorge, Hannis Besonderheit bezieht sich auf ihre Optik. Sie trägt das gleiche Gen wie dein Hengst, ist aber nicht ganz so weiß. Charakterlich ist sie eher eine kleine Prinzessin und hat zwar auch ihre Macken, aber alles ziemlich harmlos. Ich glaube, sie könnte dir ziemlich gut gefallen”, umriss Mateo die Stute seiner Schwester, “ach und natürlich ist sie ein Freiberger, aber das dachtest du dir sicher bereits.” Die Umschreibung von Hanni gefiel mir, doch mit den letzten Worten hatte er mich vollends überzeugt. Einem weiteren Tier in dieser seltenen Färbung zu begegnen, hatte ich nicht geglaubt. In ihrem Heimatland galten die bunten Tiere als unerwünscht und werden, sofern es sich um einen Hengst handeln sollte, von der Zucht ausgeschlossen und auch Stutfohlen landeten dadurch häufig beim Schlachter. Eine Schande, denn es war es bereits ohne diese Verschwendung wertvoller Blutlinien kein leichtes, den alten Schlag der Rasse zu erhalten.
      “Das klingt hervorragend, du kannst Sam sagen, ich mache es”, grinste ich zufrieden. Es erfüllte mich ein wenig mit Stolz, von einem Außenstehenden mit einem Pferd betraut zu werden, auch wenn dieser nicht ganz unparteiisch war.
      “Perfekt, dann werde ich sogleich alles in die Wege leiten”, nickte Mateo und zückte augenblicklich sein Handy, vermutlich um seiner Schwester davon zu berichten. Ich hingegen entschwand in die Sattelkammer, um Kappzaum und Longiergurt für Millennial zu holen. Ungeduldig hibbelte die Stute umher, als ich mit den Lederstücken zurückkehrte und diese auf ihr befestigen wollte. Etwas Hilfe wäre jetzt zuträglich. Schnee döste neben uns, doch mein Kollege hatte sich innerhalb der wenigen Minuten in Luft aufgelöst, da musste wohl eine Alternative her. Suchend blickte ich die Stallgasse entlang und entdeckte schließlich Lars Schwester, die nicht sonderlich schwer beschäftigt wirkte, denn sie war ausgiebig damit beschäftigt einem der Hengste den Hals zu kraueln.
      “Nour, könntest du mir hier vielleicht mal kurz helfen?”, bat ich freundlich.
      „Klar“, sagte sie und kam sofort angelaufen. Sie griff in ihre Jackentasche, wühlte ein wenig herum, bis zwei weiße, weiche Bällchen zum Vorschein kamen. Diese steckte Nour beherzt in die Ohren der Stute, ohne wirklich acht auf das ungeduldige hin und her wanken zu geben. Kaum steckte die Watte in den Ohren, wirkte Mill ruhiger. Sie half beim Gurt und den Kappzaum legte ich selbst an.
      “Danke”, lächelte ich und hakte das eine Ende der Longe in den Zaum, um die Scheckstute in die Halle zu führen.
      „Bruno ist sie die letzten Tage schon etwas gefahren, also könnte Mill ziemlich aufbrausend sein“, sagte sie und lief mir stürmisch nach, als gäbe es noch weiteres zu sagen. Mateo, der mittlerweile wieder erschienen war, putzte noch immer, wollte dann nachkommen. „Was ist eigentlich mit deinem neuen Schnuckelchen?“ Im ersten Moment irritierte mich ihre Wortwahl und ich verstand nicht so recht, worauf sie hinauswollte, doch sie konnte eigentlich nur eins meinen.
      “Mateo? Was sollte mit ihm sein?”, fragte ich, um den Grund ihrer Frage zu ergründen.
      “Ach, na ja”, grinste Nour, blickte sich noch mal zu ihm um und wendete ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich, “er hat ziemlich oft nach dir gefragt, als du weg warst und schwärmte auch ziemlich.”
      “Wirklich?”, sprach ich und blickte sie voller Unglauben an. Ihre Worte kamen mir unwirklich vor, doch gleichermaßen fühlte ich mich geschmeichelt.
      “Nein, weißt du, ich möchte dir einen Bären aufbinden”, scherzte sie kopfschüttelnd. “Aber ja, hat er. Sonst würde mich die Neugierde nicht so befeuern!”
      “Was hat er so gesagt?”, lag die Neugierde nun auch auf meiner Seite, auch wenn ich diese zu verbergen suchte, indem ich geschäftig die Leinen an der Stute befestigte.
      „Willst du das ernsthaft wissen, schließlich hast du doch den wohl eifersüchtigsten Freund auf diesem Planeten“, hütete sie die Informationen weiterhin hinter einem Vorhang aus Nebel. Unrecht hatte Nour damit nicht. Niklas war ein ziemlicher Platzhirsch und gab sich auch nur selten die Mühe, dies zu verbergen. Dennoch brannte die Wissbegier in meiner Seele, was der Schweizer über mich zu sagen hatte.
      “Ja … Niklas muss das ja nicht erfahren“, nickte ich unumwunden und senkte dabei unbewusst die Stimme als könne und jemand Unerwünschtes hören.
      „Na gut, aber du weißt das nicht von mir“, Nour zwinkerte und kam an mein Ohr heran. Sie erzählte davon, dass das Angebot der Stute im Beritt weniger dem Geiste Sams entstammte, viel mehr eine Gunst der seine war. Des Weiteren hinterfragte er vieles bei Erzählungen, um mehr Informationen über mich zu bekommen und wie ernst das mit Niklas sei. Einstellern, die zu gern über mich herzogen, stand Mateo mit straffer Brust entgegen und verteidigte mich. Nicht viele Menschen standen unaufgefordert derart für jemanden ein, was mich beeindruckte. Doch auch bei ihren restlichen Worten wurde mir warm ums Herz.
      “Oh wow, das alles ist ziemlich … charmant”, lächelte ich zurückhaltend, vermochte kaum zu glauben, was hinter der Fassade des schweigsamen jungen Mannes steckte.
      “Aber ich möchte mich nicht in dein Liebesleben einmischen, du überstehst das schon”, zuckte noch ein Grinsen über Nour Lippen, bevor eine Einstellerin mit einem braunen Wallach vorbeikam und sie neugierig zu ihr lief. Überstehen? Ich wusste nicht, was sie damit meinte, aber anstatt mir den Kopf darüber zu zerbrechen, widmete ich mich der Rappstute, bevor sie noch anfangen würde, Löcher in den Sand zu graben.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 20.465 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte Februar 2021}
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugosju | 04. September 2022

      Henade / Hendrikus zu Stalburck / Einheitssprache / Wunderkind / Pleasing / Maxou / Fieberglas / Pay My Netflix / May Bee Happy / Hending

      Lina
      Ich war gerade dabei Rambi abzusatteln als Mateo zielstrebig die Stallgasse hinunterkam.
      “Dein Pony ist da”, verkündete dieser im Vorbeigehen und verließ den Stall sogleich wieder durch das große Rolltor. Davor war das Knirschen des gefrorenen Kieses unter Autoreifen zu hören.
      “Dein Ernst Lina, du hast dir schon wieder ein Pferd gekauft?”, ließ Samu einen kritischen Kommentar verlauten, den prächtigen braunen Warmbluthengst am Strick mit sich führend.
      “Guck nicht so, das ist nicht meins, also nicht in dem Sinne. Hanni ist ein Berittpferd”, erklärte ich meinem besten Freund, der tatsächlich noch keine Kenntnis von der Stute hatte, da er die letzte Woche mit Enya bei seiner Familie verbrachte und dabei wollte ich ihn nicht stören.
      “Ein Berittpferd also, wie kommt es dazu?”, zog er zweifelnd die linke Augenbraue nach oben.
      “Ähm, was soll das denn bitte jetzt heißen?”, empörte ich mich und hängte den Sattel auf den Halter, “Willst du mir etwa sagen, dass du mir das nicht zu taust?”
      “Nein, Linchen, du bist spitze. Ich bin nur verwundert, seit wann du Berittpferde angeboten bekommst”, beschwichtigte er sofort.
      “Seit Mateo und jetzt entschuldige mich, ich muss ein Pferd in Empfang nehmen”, entgegnete ich und lief freunden strahlend in die Richtung in der Mateo soeben verschwand. Natürlich hatte ich mittlerweile Fotos von Henade zu sehen bekommen, doch ich konnte es kaum erwarten sie gleich in Live zu sehen. Draußen wurde ich bereits von Mateo und seiner Schwester erwartet, welche auch sogleich mit einem breiten, grinsen auf mich zugelaufen kam.
      “Bereit Hanni kennenzulernen, Lina?”, fragte sie und zog mich zu Begrüßung in eine herzliche Umarmung. Es erfreute mich, dass Sam die Stute selbst vorbeibrachte. Sie war mir sympathisch und so hatte ich die Gelegenheit mir von ihr noch ein paar Tipps im Umgang mit der Stute zu holen.
      “Mehr als bereit”, entgegnete ich und konnte meine Aufregung nur schwer zurückhalten.
      “Na dann wollen wir sie doch mal ausladen”, grinste Sam, “Gehts du vorne rein?” Ich nickte und lief um den Hänger herum, um durch die kleine Tür an seiner Vorderseite in das innere zu klettern. Im halbdunklen Inneren kam mir unmittelbar ein heller Kopf entgegen.
      “Du bist also Hanni”, sprach ich sanft mit der Stute und strecke ihr vorsichtig meine Hand hin. Statt sie zu beschnuppern, schnappte sie nach meiner Hand. Doch anders als bei Caja kamen dabei keine Zähne zum Einsatz, sondern nur die Lippen, die interessiert meine Hand abtastete. Währenddessen öffnete sich die Klappe hinter der Stute und ließ Licht und kalte Luft einströmen. Aufmerksam drehte Henade die Ohren, hörte auf die Umgebungsgeräusche um sie herum.
      “Alles bereit, da drinnen?”, rief Mateo von hinten, bereit die Stange hinter dem Po der Stute zu entfernen.
      “Warte kurz”, antwortete ich und löste den Knoten, der die Stute an Ort und Stelle hielt.
      “Jetzt darfst du”, erteilte ich im daraufhin die Erlaubnis, der er auch sofort folge, leistete. Langsam, Schritt für Schritt, schicke ich die Stute die Rampe hinunter, bis sie vollständig auf dem Kies stand. Jetzt im Tageslicht konnte ich vollständig die hübsche Scheckung betrachten, die sich über ihr Fell zog. Zwischen den zerfransten weißen Rändern und an der Oberlinie schimmerte ein hübscher Braunton hindurch, wirklich eine außergewöhnliche Färbung.
      “Und was sagst du?”, blickte mich Sam mich forschend an.
      “Mensch Sam, was stellst du denn für Fragen. Das ist ein perfektes Match, hübsch und talentiert”, kam Mateo mir mit einer Antwort zuvor.
      “Jetzt übertreib nicht, Mateo. So gut bin ich nun auch wieder nicht”, sprach ich verlegen. Er wollte mir schon widersprechen, doch Sam fiel ihm ins Wort: “Vielleicht sollten wir meiner Hübschen erst einmal ihr neues zu Hause zeigen.” Bestrebt lief sie voran, was die Stute dazu bewegte ihr unaufgefordert zu folgen. Kaum hatten wir das Tor durchschritten, ließ Henade ein schrilles Wiehern ertönen. Einige Köpfe erhoben sich aus den Boxen und vom Putzplatz ertönte sogar eine Antwort. Eindeutig Rambi, der Stimmfarbe und dem lang gezogen brummen, nach zu urteilen. Hufgeklapper ertönte auf dem Beton, begleitet von dem Geklimper des Metalls, als der Strick dagegen schlug. Natürlich war der potente Freibergerhengst auch Quell dieses Lärms.
      “Uhhh, wer ist denn das Schnuckelchen”, erklang Samanthas entzückter Ausruf, als wir uns dem Putzplatz näherten und der Blick darauf freier wurde. Samu war augenscheinlich noch immer mit Hendrik beschäftigt, doch hatte von ihm abgelassen, um Rambi zu beruhigen.
      “Wer von den Dreien?”, fragte ich lachend, während ich Hanni in die Box führte, die Mateo und ich heute Morgen bereit vorberietet.
      “Alle drei, aber besonders der junge Mann, ist sehr ansprechend. Wer ist das?”, fragte sie wissbegierig und war Samu einen vielsagenden Blick zu.
      “Sammy, mach mal halblang, du bist nicht zum Flirten hier”, verdrehte ihr Bruder sofort die Augen und schüttelte mit dem Kopf.
      “Aber du, oder wie?”, entgegnet sie patzig, bevor sie sich lieber mir zu wand, “Also Lina, sag schon, wer ist das?” In Sams funkelte eine Energie, die der von Vriska glich, als sie Lars das erste Mal erblickte, nur dass sie deutlich indiskreter war.
      “Frag ihn doch selbst”, lachte ich, “Aber ich muss dich warnen, er hat eine Freundin. Rechne also nicht mit viel Erfolg.”
      “Ach, das werden wir schon noch sehen”, sprach sie von sich überzeugt und marschierte geradewegs die Stallgasse hinunter. Ich kannte meinen Freund, Sam würde bei ihm mit Sicherheit auf Granit stoßen. Statt mir den wenig Erfolg verheißenden Annäherungsversuch von Sam zu beobachten, zog ich Hanni das rosa, nicht preiswert erscheinende Halfter vom Kopf. Um den Nasenriemen war ein Schoner gewickelt, mit ihrem Namen darauf und einem Krönchen daneben. Ordentlich hängte ich den Gegenstand vor ihre Box und beobachte, wie sie den Kopf zu den Spänen hinstreckte. Erst als erneuter Hufschlag, nun von der anderen Seite, ertönte, wandte ich mich ab. Vriska kam mit Wunderkind auf dem Wagen daher gelaufen, strich dem verschwitzten, und allem voran verdreckten, Hengst am Hals. Dieser atmete wie ein Maikäfer und wusste seine Anwesenheit ebenfalls mit einem innigen Wiehern anzukündigen. Was nur los mit den Tieren heute?
      “Voll hier”, merkte Vriska beiläufig an und versuchte mit dem Sulky einen Weg zur Putzgasse zu finden, was trotz des außergewöhnlichen breiten Ganges, eine Herausforderung war.
      “Ja, Samantha hat gerade ihre Stute gebracht”, erklärte ich ihr den Grund den Trubel, “Ich kann Rambi gerade wegbringen, wenn er im Weg steht.” Besagter Hengst rumorte wieder und versuchte damit die Aufmerksamkeit, vermutlich vordergründig von der Stute, auf sich zu ziehen.
      “Mateos Schwester, richtig?”, sagte sie und nahm den Helm ab. Wunderkind stand ganz ruhig neben ihr, anders als die anderen Rennpferde am Stall hatte er nur einen kleinen Schaden im Kopf. “Aber nein, sein Halfter hängt ganz hinten.”
      “Ja, genau”, bestätigte der Schweizer selbst, der an die Boxenwand gelehnt sowohl mich als auch seine Schwester im Auge behielt.
      “Oh, hallo”, begrüßte sie ihn freundlich, aber verschwendete nur einen kurzen Blick an den hübschen Mann. Er nickte. “Aber, was für ein Pferd?”
      “Es steht nahezu vor dir”, deute ich auf die Box hinter mir, die allerdings verlassen war. Offenbar hatte Hanni sich genau in dem Augenblick auf den Paddock begeben.
      “Okay, doch nicht”, lachte ich, “Eigentlich sollte da eine hübsche Dame stehen.”
      Kommentarlos warf Vriska die Leinen über den Rücken des Hengstes und öffnete die Boxentür, um hindurchzulaufen und das Pferd im Dreck zu betrachten. Hanni hatte sich in den Matsch geworfen, als hätten die Späne nicht gereicht, nein. Das Gen löste offenbar auch eine Vorliebe für besonders hartnäckigen Dreck aus.
      “Hübsch ist es jetzt nicht mehr”, lachte sie und wich immer wieder den neugierigen Stupsern der Stute aus.
      “Meintest du nicht, sie sei eine Prinzessin, Mateo? Ihr Verhalten scheint bisher nicht sonderlich königlich”, fragte ich amüsiert bei dem jungen Mann nach.
      “Ja, Hanni verschleiert ihre wahre Identität gerne. Du weißt schon wegen der Presse”, scherzte dieser. Amüsiert schmunzelte ich und wand mich wieder Vriska zu: “Also du hast gehört, neben dir steht Prinzessin Henade.”
      “Ah, cool. Freut mich, dann euch allen noch viel Spaß. Ich muss weiter”, dann schaute sie auf ihre Uhr am Handgelenk, die große Ähnlichkeiten mit der Stute aufwies, “noch drei Pferde und ich habe einen Termin.” Kaum lagen die Worte in der Luft, sprang sie flink wie ein Eichhörnchen zum Hengst und kämpfte sich den Weg durch die Gasse. Was ein Termin das wohl sein mochte, der sie zu solcher Motivation trieb? So wie Vriska verschwand, kam Sam zurück, nicht minder fröhlicher als zuvor.
      “Erfolg gehabt?”, fragte ich neugierig, nicht in der Erwartung, dass sie Ja sagen würde.
      “Ja, ich kenne jetzt seinen Namen, was er hier macht und ebenso des hübschen Hengstes”, grinste die junge Frau triumphieren.
      “Klar, Schwesterchen, weil das sicher dein Ziel war”, zog Mateo sie sogleich auf.
      “Entschuldigung, ich habe mal ein wenig Respekt vor deiner Schwester, außerdem geht dich das gar nichts an”, echauffierte sie sich, “Aber anderes Thema. Lina, ich wollte dir noch ein paar Sachen zu Hanni sagen, bevor ich verschwinde.” Ich nickte, doch sogleich ertönte wieder Geklapper, verursacht durch einen gewissen Freiberger.
      “Ähm, entschuldige mich kurz. Ich bringe mal schnell die Krawallschachtel da weg, bevor er noch alles auseinandernimmt”, sprach ich und lief zu dem braunen Tier. Kaum war ich in seinem Blickfeld, endete der Krawall und er stand da wie ein unschuldiges Lämmchen.
      “Perfekt, dann kann ich ja endlich arbeiten”, sprach Samu und verschwand mit Hendrik in die Halle. Dahinter kam Wunderkind zum Vorschein, den Vriska gerade aus dem Lederzeug befreite. Noch immer interessierte es mich, was für ein Termin das wohl sein mochte.
      “Vriska?”, fragte ich neugierig, “Was ist das, wo du so dringend hinwillst?”
      “Äh”, stammelte sie. Aber noch bevor ich eine Antwort bekam, schob sie mit dem Fuß die Schüssel zum Hengst und lief zur Sattelkammer mit dem Equipment. So einfach würde sie mich nicht loswerden, also folgte ich ihr, nahm dabei sogar den Sattel mit, der noch neben meinem Freiberger hing.
      “Komm schon, mir kannst du es sagen. Ich verrate es auch keinem”, versprach ich ihr.
      “Ich fahre nach Malmö”, flüsterte Vriska mit funkelnden Augen, nach dem sie sich prüfend umsah, ob noch mehr Leute uns gefolgt waren.
      „Und was willst du da?“, fragte ich ebenso leise wie sie. Was auch immer ihr vorschwebte, schien wirklich geheimnisvoll zu sein.
      “Mir was anschauen”, sprach sie weiter in Rätseln, ohne dabei die Tür außer Acht zu lassen. Wirklich viel schlauer wurde ich aus dieser Information nicht, schließlich dachte ich mir bereits, dass sie nicht einfach aus Spaß dorthin fuhr.
      „Könntest du bitte ein wenig konkreter werden? Was schaust du dir an?“, hakte ich unentwegt nach. Noch einige weitere Minuten vergingen und Umformulierungen meiner Fragen, bis sie sich endlich zu Wort meldete.
      “Schon gut, ich erzähle es dir”, Vriska rollte mit den Augen, “am Abend ist Rennen und morgen Früh werde ich ein potenzielles Pferd Probereiten.” Bei Stichwort Rennen bekam ich allmählich eine Idee, was oder besser gesagt, wer der Grund für Vriska Motivation sein könnte.
      „Stalkst du mal wieder das arme Pferd?”, grinste ich beinahe sicher, dass ich auf der richtigen Fährte war.
      “Wieso arm? Der ist nun mal schick”, zuckte sie mit den Schultern, als wäre es sonst nichts.
      „Na, vielleicht möchte es nicht gestalkt werden", entgegnete ich, „Aber schick ist es tatsächlich."
      “Sehr witzig”, Vriskas Stimmung kippte plötzlich und sie stürmte beinah frustriert aus der Tür heraus.
      “Tut mir leid, was ich gesagt habe”, rief ihr nach, doch sie schien mich nicht hören zu wollen. Das hast du mal wieder gut hinbekommen, Lina, dachte ich. Natürlich zog ich die Fettnäpfchen mal wieder an, ohne es überhaupt zu bemerken. Seit dem Jahresende gab es immer mal wieder helle Momente, in denen es zwischen uns lief wie früher, doch dazwischen war es schwierig. Mir war bewusst, dass es nicht allein an ihr lag. War Niklas zu Hause, ging sie mir bewusst aus dem Weg, um Konflikte zu vermeiden. Ich verstand dies, denn er wurde ihr gegenüber noch immer außerordentlich unangenehm. War mein Freund nicht, da blieb häufig nur wenig Zeit für Gespräche und Aktivitäten, schließlich warte auf uns beide tagtäglich ein Haufen an Arbeit, der sich nicht von selbst erledigte. Infolgedessen lebten wir ziemlich aneinander vorbei, obwohl wir nahezu Tür an Tür wohnten.
      Als ich zu Rambi zurückkehrte, war Vriska mitsamt des gescheckten Trabers verschwunden. Ich seufzte, ob das jemals wieder normal werden würde zwischen uns?
      Treu rieb der Freiberger seinen Kopf an mir und hinterließ dabei einige helle Haare auf meiner dunklen Jacke.
      “Na, komm Rambi, bringen wir dich ins Bettchen”, sprach ich zu ihm, wuschelte ihm durch die dichte Mähne, bevor ich dir Stricke losmachte. Beim Durchschreiten, der Gasse, ließ es sich der Hengst natürlich nicht nehmen, an der Box der Stute noch einmal den Hengst raushängen zu lassen. Laut brummelte er, stellte Hals und Schweif auf und tippelte Piaffen-ähnlich auf der Stelle. Während Sam angetan von dem Hengst schien, zeigte die Stute in der Box nur recht wenig Interesse. Hanni steckte zwar den Kopf hinaus, schnuppert kurz an dem Hengst, suchte dann lieber in Mateo Taschen nach etwas Essbarem. Bevor der Womanizer an meiner Seite noch energischer sein Interesse bekundete, bemühte ich mich, ihn von der Stute wegzubekommen. Glücklicherweise zeigte das monatelange Training Erfolg, sodass er selbst für mich händelbar blieb.
      “Willst du einen Kaffee, bevor du mir von Hanni erzählst oder musst du direkt wieder los?”, bot ich an, als ich von draußen wiederkehrte. Mateo hatte sich offensichtlich wieder an die Arbeit begeben, denn er war verschwunden.
      “Gibt es den auch mit guter Aussicht”, grinste sie breit und schielte zu Halle hinüber.
      “Hast du mir eigentlich zugehört, als ich sagte, Samu habe eine Freundin?”, lachte ich.
      “Jetzt sei mal nicht so ein Spielverderber, ich will doch nur schauen”, rollte sie mit den, Augen.
      “Mach dir aber nicht zu viele Hoffnungen, Sam, deine Chancen stehen aktuell nicht so gut”, warnte ich sie und schlug den Weg zu dem kleinen Zuschauerraum ein.
      Als ich ihr die Tasse vor die Nase stellte, klebten ihre Augen bereits an Samu, der mit Hendrik über den Sand schwebte. Der Hengst war, aber auch wirklich ein Prachtstück und ich war mir beinahe sicher, dass er nicht nur seines Talentes wegen, als zukünftiger Zuchthengst für das WHC auserkoren worden war.
      “Danke”, sprach sie, als sie die Tasse wahrnahm, aber löste ihre Augen nicht von den Geschehnissen in der Halle. “Ist der hübsche Hengst von eben deiner?”
      “Ja … vielleicht, ich weiß noch nicht”, antworte ich ihr wahrheitsgemäß.
      “Wie kann man denn nicht wissen, ob einem ein Pferd gehört?”, blickte sie mich verwundert mit ihren strahlenden Augen an, bevor diese wieder abwanderten.
      “Das solltest du mal meinen Chef fragen”, kicherte ich. Es gab Momente in den Tyrell tatsächlich vergaß, dass es mehr Pferde auf dem Gestüt gab als die Traber. So war er ein wenig verwundert gewesen, als ich im Dezember vorschlug, Pleasing für etwas Ponygesellschaft zu Maxou zu stellen, denn er hatte vergessen, dass dieses Pony überhaupt existierte. Manchmal war es wirklich verwunderlich, wie lange Tyrell einen Hof hatte führen können, ohne dass etwas dabei gewaltig schiefging.
      “Aber in meinem Fall ist die Antwort relativ einfach. Rambi steht zum Verkauf und ich habe mich noch nicht entschieden”, erklärte ich schließlich.
      “Oha, dein Erst?! Wie kannst du dich noch nicht entschieden haben? Der Hengst ist großartig!” Sam klang empört und starrte mich dabei an, als sei ich von allen guten Geistern verlassen.
      “Ja, Einheitssprache ist wundervoll, aber ich weiß nicht, da sind so viel Sache, die es zu bedenken gilt. Ich habe ja bereits zwei Pferde und demnach ist da einerseits der zeitliche als auch der finanzielle Aspekt, schließlich wächst keins von beidem auf Bäumen”, legte ich dir Gründe für meine Unentschlossenheit dar. Tatsächlich war Rambis Verkaufsanzeige lange Zeit aus meinen Gedanken verdrängt worden. Ich wollte es mir nicht vorstellen, den Hengst eines Tages wieder abgeben zu müssen. Erst im Januar, als Ingrid die Vorbereitungen für ihren Umzug in die Wege leitete, rief sie mir ins Gedächtnis, dass es langsam erst wurde in dieser Sache. Bis Ende März hatte ich noch Zeit mich zu entscheiden, sollte ich ihn nicht nehmen, würde er vermutlich an einen Händler gehen.
      “Warte, das war Einheitssprache? Der Einheitssprache?”, rief die junge Frau aus und plötzlich hatte ich ihre volle Aufmerksamkeit. Ihrer Reaktion nach zu urteilen, schien mehr hinter dem Hengst zustecken, als ich bisher dachte.
      “Ich verstehe nicht, was du meist”, entgegnet ich irritiert.
      “Weißt du denn nicht, was ein wunderbar talentiertes Pferd er ist?”, mittlerweile waren ihre Augen so groß, dass ich befürchte, sie könnten ihr gleich aus dem Kopf herausfallen. Hektisch kramte sie ihr Handy aus ihrer Jackentasche und tippte darauf herum. Als sie es zu mir herumdrehte, war ein Video darauf zu sehen. Nordische Meisterschaften im Fahren 2015, Vaggeryd, CAI2*-H1 lautete der Titel. Sam hatte vorgespult bis zu einer Stelle, wo ein prächtiges fast schwarzes Pferd in die Arena trabte. Die Hinterbeine bis knapp in den Kronenrand in Weiß getaucht, der Kopf geziert von einer schmalen Blesse mit zwei leuchtenden blauen Augen. Unverkennbar, dieses Pferd war Rambi. Mit aktiver Hinterhand trabte der Freiberger in den Fesseln, sanft federnd, durch den Sand.
      “Wow, wenn der sich so mal unter dem Sattel geben würde”, staunte ich und beobachte weiterhin, wie das Pferd auf dem Bildschirm über den Bildschirm schwebte.
      “Ja, siehts du und deswegen versuche ich seit Jahren an Decksprünge von ihm heranzukommen, doch seine Besitzerin ist stur wie ein Esel”, ärgerte sich Sam ein wenig
      “Decksprünge? Heißt, dass er ist auch noch gekört?”, verwundert blickte ich sie an.
      “Sag mal Lina, was weißt du eigentlich über dieses Pferd?”, stellte sie eine Gegenfrage und lachte. Es schockierte mich ein wenig, dass sie so viel mehr zu wissen schien, obwohl ich mittlerweile ein halbes Jahr mit dem Hengst arbeitete. Wie war das möglich?
      “Offenbar weiß ich gar nichts. Aber wenn er so erfolgreich ist, wie du sagst und, und gekört, dann … dann wird er ja noch teurer sein, als ich dachte”, stelle ich resigniert fest. Bereits mit dem bisher geschätzten Preis wäre es kritisch geworden den Kauf zu finanzieren, doch mit seinen Erfolgen und der Körung, erschien er mir nahezu unmöglich.
      “Nicht gleich den Kopf hängen lassen. Erfrage doch erst einmal den Preis”, lächelte Sam und drückte aufmunternd meinen Arm, ”Und wenn du ihn dann wirklich willst, dann findet sich bestimmt eine Lösung.” Sie hatte leicht reden. Aus Mateos Erzählungen konnte ich bisher raushören, dass sie seit je her viel Unterstützung von ihren Eltern bekam. Vermutlich verstand sie es gar nicht, wie es war, wenn man nur wenig Rückhalt hatte. Natürlich hatte ich Freunde, aber die fragte man nicht nach Geld und Niklas …? Er hatte bereits an einem einzigen Tag mehr Geld für mich ausgegeben als gefühlt sonst jemand in meinem ganzen Leben, zumindest wenn man freiwillige Ausgaben betrachtete. Damit tat er bereits mehr als genug. Nein, wenn ich Rambi kaufen würde, dann musste ich das allein auf die Reihe bekommen, auch wenn mir nicht klar war, wie das funktionieren sollte.
      “Schon okay”, winkte ich ab, ”du wolltest mir noch etwas zu Hanni erzählen?”
      “Ja, genau”, leitete Sam ein, während ihre Augen wieder zu Samu abschweiften. Mittlerweile war das Warmblut aufgewärmt und Samu somit zu den komplexeren Lektionen übergangen. Momentan arbeitete er daran, dass Hendrik mehr Last auf die Hinterhand aufnimmt, denn wie viele Dressurpferde heutzutage, tat er dies sehr ungenügend, wodurch er zwar vorwärtsstürmt, aber das wenig mit einem harmonischen Anblick zusammenhängt.
      “Das wichtigste vorneweg, Henade verträgt keinen Mais, also bei der Fütterung bitte darauf achten”, informierte sie. Ich nickte und trug diese Information sogleich in das System ein.
      “Des Weiteren”, fuhr Samantha fort, ”musst du aufpassen, wenn du ins Gelände gehst. Hanni wird dort schnell unsicher und benötigt dann einen bestimmten, aber ruhigen Reiter. Nicht dass ich dir das nicht zutraue, aber mir wäre es lieber, wenn du die ersten Male nicht allein mit ihr ausreitest. Ach, und bitte nicht gebisslos, auch in der Halle nicht, dabei wird sie ebenfalls extrem unsicher.” Erneut nickte ich: “Natürlich, wie du es wünschst.”
      “Sehr gut, allgemein ist sie sehr fein zureiten. Im Umgang wirst du merken, dass Henriette ein wenig speziell ist. Sie will unter anderem nachts in der Box stehen, aber ihre Eigenheiten wirst du schon noch selbst entdecken”, grinste sie mich an. Allerdings hielt ihr Blickkontakt nur kurz, bevor er wieder abschweifte.

      Ein paar Stunden später
      Vriska
      “Welche Farbe passt zu einem Fuchs?”, murmelte ich in den Kragen meiner Jacke. Mit zwei Schabracken in der Hand stand ich in der Sattelkammer und konnte nicht entscheiden, was besser zu dem roten Fell passen würde. Hellgrün oder Otter-Gelb? Immer wieder streckte ich den Stoff in die Luft, in der Hoffnung, dass sich das Problem auflöste von selbst.
      “Nimm die Grüne”, erklang ein zartes Stimmchen hinter mir, die nur zu einer Person gehören konnte. Kurz trat Verwunderung ein, ob mein Bewusstsein gerade zu einem zweiten Ich wurde, dann begriff ich, dass Lina den Raum betrat.
      “Ähm”, drehte ich mich zu ihr, “danke.” Sogleich legte ich die gelbe zurück auf die blaue Schabracke und nahm die passenden Bandagen dazu. Wortlos schritt sie vorbei an das Waschbecken, um die Trense auszuwaschen, die sie in der Hand trug.
      “Ich wollte mich bei dir entschuldigen, für das, was ich vorhin gesagt habe. Ich wollte dich nicht verletzen”, sprach sie schließlich und stellte das Wasser an.
      “Schon vergessen”, versuchte ich darüber hinwegzusehen, “meine Reaktion war schließlich nicht die Beste.”
      “Okay, da bin ich erleichtert, dass du mir nicht böse bist”, sprach sie und ein zurückhaltendes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sich umdrehte, um das lederne Kopfstück an seinen Platz zu hängen.
      “Interessiert dich, dass womöglich neugierigste Wesen auf diesen Himmelsphären, gar nicht, dass Wieso?”, versuchte ich sie noch Augenblick länger hierzubehalten, bevor ich erst einmal verschwinden würde.
      “Also so neugierig bin ich jetzt auch wieder nicht, oder doch?”, entgegnete sie ein wenig verunsichert, “Aber doch, wenn du es schon so anbietest, wieso sucht du eine Schabracke aus?”
      „Na, für das Pferd. Ist das nicht, offensichtlich?“, wunderte ich mich nun. Wie ein hungriges Eichhörnchen durchwühlte sie den Waldboden und anstelle nach dem eigentlich abgelenkten Thema zu buddeln, dass ich sonst mit niemandem teilen konnte, fragte sie nach der blöden Sattelunterlage. Eigentlich sehr ironisch, dass ich das ursprüngliche Set von Lubi jetzt für den Hengst mitnahm, den Tyrell nicht schaffte, selbst anzuschauen.
      “Ähm, bedingt. Ich dachte, du geht’s es nur Probereiten?”, erklärte sie ihre Frage und blickte mich dabei irritiert an, “Aber mir scheint, du wolltest auf etwas anderes hinaus.”
      “Darf das arme Tier beim Probereiten nicht schön aussehen?”, scherzte ich und packte noch die letzten Gegenstände wie Gerte und Helm in die große Reisetasche vor meinen Beinen. Selbst Haargummis und ein nagelneues Päckchen voller Leckerlis lag darin.
      “Grundsätzlich, ja”, beantwortete ich noch ihren Zusatz.
      “Doch, du bist nur der erste Mensch, der mit unterkommt, der seine eigene Schabracke mitbringt oder ein Großteil des anderen Zeugs da”, lächelte sie mit einem prüfenden Blick in die Tasche.
      “Verrätst du mir auch, was du eigentlich ansprechen wolltest oder muss ich jetzt raten?”, hakte sie schließlich nach.
      “Kommt darauf an, wie viel Zeit du damit verbringen möchtest, denn ich müsste jetzt los”, seufzte ich und schielte zur Uhr. Seit zwanzig Minuten wollte ich im Transporter sitzen, in Richtung Malmö.
      “Na, dann möchte ich dich ungern weiter aufhalten, also sprich”, forderte sie mich auf.
      “Dann wirst du bis morgen Abend warten müssen, oder gar Sonntag früh”, grinste ich und hob die Tasche auf. Lina stellte sich mir allerdings in den Weg, als wäre eine riesige Herausforderung.
      “Aber das ist ja gefühlt erst in einer halben Ewigkeit, das kannst du doch nicht machen!”, beanstandete sie und blickte mich anklagend aus ihren großen, blauen Disney-Prinzessinnen-Augen an.
      “Siehst du doch”, geschickt fischte ich mich an ihr vorbei und lief den endlosen Flur entlang, der allerdings nicht mehr als zehn Meter maß.
      “Vriska, warte doch”, rief sie und lief schnellen Schrittes hinter mir her, “gib mir wenigstens einen Hinweis.”
      “Du hast die Wahl, entweder du springst auf den Beifahrersitz, oder du musst warten”, entschloss ich, ohne Lina direkt Fragen zu müssen, ob sie mitmöchte. Damit fühlte es auch für mich so an, als würde sie eine Wahl treffen und nicht mich enttäuschen.
      “Habe ich die richtig verstanden, ich soll mit, jetzt sofort?”, fragte sie mit ungläubigem Gesichtsausdruck.
      “Ja. Aber du kannst auch erst deinen eifersüchtigen Freund fragen, der dann mir die Hölle heiß macht, als würde ich dich an einen Sklavenhalter verkaufen”, zuckte ich mit den Schultern. Wir standen mittlerweile am grauen Transporter, auf dem die Aufschrift des Hofes im Licht der Reithalle reflektierte. Die Tasche lud ich in der Wohnkabine sicher ein und drehte mich, in der Tür stehend, zu ihr um.
      “Ähm, ich habe doch gar keine Klamotten parat”, stammelte sie hektisch, “Kannst du mir fünf Minuten geben?”
      “Wenn du Dog mitbringst, ja”, grinste ich selbstüberzeugt von meinem Erfolg. Dann zischte die Kleine schon ab, wie vom Teufel gejagt. In der Zwischenzeit überlegte ich, welche Worte die klügsten wären, um ihr zu erklären, dass ich auf einen Typ stand, den ich nicht nur kaum kannte, sondern auch nicht traute, anzusprechen. Noch bevor mein Hirn welche fand, kam der junge Hund angesprungen und trat vorsichtig die Stufe hinauf. Er kannte das Fahrzeug nicht, aber ich allein reichte aus, dass der Rüde sich überwand und im nächsten Augenblick das Innere begutachtete. Keuchend wie eine Lok und mit hochrotem Kopf, erschien auch Lina, kurz nach dem Fellbündel im Inneren. Den großen Rucksack, den sie dabeihatte, verstaute sie ordentlich und sog die Tür hinter sich zu.
      “Okay, ich bin bereit”, verkündete sie vollkommen außer Atem und ließ sich auf den Sitz plumpsen. Kaum saß auch ich auf meinem Polster, startete ich den Motor und fuhr mit knirschenden Reifen zur Ausfahrt. Die Stille hielt für weniger einer Minute an, bis Lina begann mich mit Frage zu löchern, die ich unmöglich alle gleichzeitig beantworten konnte. Immer wieder lachte ich und versuchte meine Unsicherheit zu verbergen, die sie, schlau wie Fuchs, bemerkte. Also begann ich zu erzählen. Die ersten Eckdaten von Basti kannte sie schon, doch dass ich kaum noch ein klarer Gedanken fassen konnte und kein Tag verging, an dem ich nicht an ihn dachte, erfuhr sie erst auf der Reise.
      “Und ja, das war alles, was ich weiß”, seufzte ich, “ach so und er fährt nachher.” Mit den Augen weiter auf der Straße, nahm ich eine Hand vom Lenker und suchte in meiner Handtasche nach den Karten. In weiser Voraussicht hatte ich zwei VIP-Lounge Karten gekauft, auch, falls Lars mitkommen würde, der allerdings für Samstag in Visby genannt hatte und somit keine Zeit aufbringen konnte.
      Lina saß verschmitzt grinsend auf ihrem Platz: “Deshalb die Motivation und die Eile, bereits den ganzen Tag über, ich verstehe. Aber du scheinst ein Händchen für die Unnahbaren zu haben.”
      “Kann man so sagen, ja”, ich spürte, wie meine Augen glasig wurden und wischte mir durchs Gesicht, “aber es wird wie die letzten Wochen auch sein, nur auf Abstand und existiere nicht.”
      “Hey, nicht gleich den Mut verlieren, Vriska”, sprach sie einfühlsam, ”Hast du mal probiert, ihn anzusprechen? Sonst kann er schließlich gar nicht wissen, dass du existierst.”
      “Wir haben schon das eine oder andere Mal Floskeln ausgetauscht, aber für mehr fehlt mir der Mut. Zudem hat er nicht auf Tinder geantwortet. Das sagt doch alles”, erklärte ich mit Enttäuschung in der Stimmenlage.
      “Was ist nur aus der Welt geworden, in der das reale Leben über dem Digitalen steht”, schüttelte sie den Kopf, ”Gib nicht so viel auf diese App und was das andere angeht … du hast ja diesmal mich dabei.”
      “Kann nicht jeder wie du urplötzlich den Bilderbuchkerl treffen”, sprach ich sogleich, bis mir wieder einfiel, wie eifersüchtig sich Niklas entwickelte, obwohl sie viel mehr Gründe dafür hätte – die sie nicht kannte. “Außerdem, was willst du machen, außer ihn verschrecken?”
      “Oha, als sei ich so furchtbar unerträglich. Warum nimmst du mich dann überhaupt mit? Und für Ersteres kann ich nichts, der ist mir einfach so zugelaufen”, schmollte sie sogleich.
      „Man, ich meinte mit deiner Neugier. Das könnte mein Verhängnis werden“, lächelte ich, „außerdem geht es eher um den Fuchs als um den Kerl. Der ist nur … hübsches Beiwerk für die Tour.“
      Von der Halbinsel lenkte ich das Gefährt auf die Europastraße und stellte das Tempomat auf das gegebene Tempolimit ein, um meinen Fuß zu entlasten. Entspannt rollten wir auf der rechten Spur hinter einigen LKW in der Kolonne, während der Hund hinten in einer großen Transportkiste schlief.
      „Ja, ja, aber ich werde mir Mühe geben, dein Beiwerk nicht zu vertreiben, versprochen", sprach sie versöhnlich, „Um was für ein Pferd geht es da eigentlich?“
      „Danke. Sehr zuvorkommend. Also Pferd ist ein Fuchs, Traber Mix aber mit deutscher Sportpferd Eintragung. Das Beste: hohe Dressurausbildung könnte damit Potenzial auf mein Turnierpferd haben. Tyrell war sich aber nicht ganz sicher, was wir mit dem sollen, es ist irgendwie ‚Hauptsache weg‘ und ‚macht was daraus‘, Pacht oder so sagte er“, erklärte ich. Ehrlich gesagt, hatte ich auch nicht genauer zugehört, wodurch mir der Name durch die Lappen ging. An dem Standort wusste man über meine Ankunft Bescheid, deswegen hoffte ich, mir wurde das richtige Pferd gegeben.
      „Oh, das klingt … Speziell“, kommentierte Lina das ziemlich kritisch, „Ich hoffe, du machst dir nicht allzu viel Hoffnung, dass es dein neues Turnierpferd wird.“
      „Tatsächlich, nein, bisher stellte sich jedes Pferd als Katastrophe dar. Als du in Urlaub warst, habe ich heimlich einige besichtigt. Du kannst dir nicht vorstellen, was das für traurige Tiere waren, vollkommen verritten und selbst Maxou kann vermutlich mehr als die“, nahm ich ihre Aussage nicht für bare Münze, „aber wie kommst du denn darauf?“
      “Doch, kann ich mir ungefähr vorstellen. Aber zurück zu dem Fuchs: Die Wortwahl der Umschreibung, impliziert, dass etwas an dem Pferd nicht stimmen kann“, erklärte sie ihren Gedanken.
      „Er sei etwas schwierig“, grinste ich, „aber wenn Tyrell überzeugt ist, dass ich das schaffe, dann vertraue ich ihm.“
      Auf Höhe Nättraby fuhren wir von der Autobahn herunter für eine Rast. Den Transporter tankte ich voll und Lina verschwand für einen Augenblick mit ihrem Handy. Ich dachte mir nicht viel dabei, schließlich würde Niklas nicht ohne Weiteres das Fehlen seiner Freundin bemerkten. Der aufgeregten Stimme dumpf zwischen den Fahrzeuggeräuschen, schien mir nahezulegen, dass ich recht hatte. An der Kasse nahm ich noch eine Schachtel mit und parkte den Transporter auf dem Parkplatz. Dog erwachte im Inneren und mit einer Leine liefen wir den Grünstreifen entlang. Ungefähr die halbe Strecke hatten wir geschafft. Ich bekam wieder weiche Knie. War es nicht etwas viel, dass ich mir das Pferd anschauen fuhr? Schließlich bewirtschafteten wir deutlich sicherere Reiter als mich am Gestüt, die der Aufgabe besser gewachsen waren.
      Nach einer knappen halben Stunde kehrte Lina zurück, vollkommen aufgelöst und augenscheinlich den Tränen nah. Sie aufmuntern, gehörte eher weniger zu meinen Stärken.
      „Niklas?“, fragte ich beiläufig und sie nickte. Dann seufzte ich. Lina kletterte auf den Beifahrersitz und nach dem Dog wieder in seiner Kiste saß, folgte ich. Ab da an, schwieg sie, stellte nur das Radio lauter, um das schreckliche Gedudel zu genießen. Mehrfach erleuchte ihr Handy das Innere der Kabine, doch ihrer verhaltenen Reaktion nach, blieb es stumm. Gut eine halbe Stunde hielt es an, bis sie schließlich aufgab.
      “Entschuldige, lass dir von mir nicht deine Stimmung vermiesen”, seufzte sie und packte das Mobilgerät so weg, dass es nicht nur aus ihrem Blick, sondern auch außerhalb einer bequemen Reichweite geriet.
      „Du kannst nichts dafür, dass er so ist. Mir würde es sicher nicht besser gehen als dir“, versuchte ich Lina zu beruhigen. Es lagen nur noch einstellige Kilometer vor uns, dann würden wir endlich ankommen. „Wenn du möchtest, können wir morgen auch noch hinüberfahren, nach Kopenhagen. Oder dir einen hübschen Kerl suchen.“ Bei meiner letzten Idee musste ich lachen.
      “Mir einen Kerl suchen? Aber was soll ich denn damit”, fragte sie, aber in ihren Mundwinkel zuckte ein amüsiertes Lächeln.
      „Dich mal mit jemandem unterhalten, der nicht so verrückt ist“, schlug ich vor, „und dann mal sehen.“
      “Mal mit jemandem unterhalten, der nicht so ist … also willst du damit sagen, alle am Hof seien verrückt oder ich rede mit niemandem?”, hinterfragte sie offenbar zum Scherzen aufgebracht.
      “Pferdeverrückt sind die zumindest alle”, brachte ich mehr Klarheit in die Umstände. Gleichzeitig leuchteten bereits die großen Flutlichter der Bahn uns entgegen.
      “Na gut, da magst du recht haben”, stimmte sie mir zu, “aber ehrlich gesagt kann ich mich nicht erinnern, wann ich zuletzt mit jemandem redete, der das nicht ist. Ich weiß sicher nicht mehr, wie das geht mit der Kommunikation”
      “Da kann ich dir auch nur schwer helfen. In der Heimat, egal, mit wem ich gesprochen habe, nach spätestens fünf Sätzen fiel das Wort Pferd und dann konnte ich nicht mehr aufhören”, gab ich offen zu. Mittlerweile stufte ich mich als unheilbar krank ein.
      “Dann bist du wohl ebenso irreversibel vom Pferdevirus befallen wie ich”, lachte sie.
      Auf riesigen Parkplatz standen wir beinah allein, kaum einer kam auf die Idee Ende Februar an einem Freitagabend sich Rennen anzuschauen. Nur mich trieb es wie ein Insekt zum Licht.
      “So, da sind wir”, sagte ich und drehte den Schlüssel um. Lina warf einen rundum Blick aus dem Fenster, wo nicht viel zu sehen war, als schemenhafte Umrisse anderer Fahrzeuge.
      “Mir scheint es, als gehörten wir zu den wenigen Irren, die sich gerne den Hintern abfrieren”, stellte sie fest, bevor sie sich vom Sitz erhob und als Erstes den Hund aus seiner Kiste ließ.
      “Hintern abfrieren?”, aus dem Fach auf dem Armaturenbrett nahm ich unsere beiden Karten heraus, “wir sitzen drinnen, mit Essen und Getränken.”
      Dog hörte das sehr eindeutige Wort und sprang durch den Spalt zu mir nach vorn. Der Schwanz klopfte gegen das Plastik. Sein Gesicht steckte er in meins. Sanft schob ich ihn zur Seite, um mich zu erheben.
      “Oha, also richtig Premium heute. Warum sagst du das denn nicht gleich?”, sprach Lina sogleich ein wenig motivierter. Lachend zuckte ich mit den Schultern, bevor ich aus der Tasche andere Kleidung suchte. Doch es wurde genauso schwer, eine schöne Hose zu wählen, wie die Farbe der Schabracke. Ach ja, ich hatte nur schwarze Hosen dabei, weshalb es niemanden auffallen würde, für welche ich mich entschied. Lina erblickte die Unschlüssigkeit und zeigte mit dem Finger auf die in der linken Hand.
      “So, ich bin fertig”, kam ich abgeschminkt aus dem kleinen Badezimmer, in dem man sich nur drehen konnte und das war es. Im Spiegel konnte ich kaum etwas erkennen, aber es reichte aus, um die Schlieren im Gesicht loszuwerden.
      “Perfekt”, nuschelte es mehr aus dem Pullover, aus dem kurz darauf auch ein Kopf auftauchte, “ich hab’s auch gleich.” Geschäftig schob sie sich an mir vorbei, warf noch im Türrahmen stehen einen Blick in die spiegelnde Oberfläche und zupfte an einer Strähne, die sich aus ihren Zöpfen gelöst hatte, um sie gleich wieder hinter das Ohr zustecken.
      “Okay, ich glaube, so kann man sich blicken lassen”, verkündete sie schließlich. Ihr Look hatte sich kaum verändert, so tauschte sie lediglich die dunkle Reithose, die sie noch trug, gegen eine Jeans und den vollgesabberten Sweater gegen einen sauberen.
      “Wunderschön, wie immer”, grinste ich, “also wirklich”, schob ich lieber noch nach, damit sie es nicht falsch auffasste. Dog bekam ein buntes Geschirr aus dem Schrank um und zusammen liefen wir über den matschigen Boden, den ich in der schützenden Umgebung des Transporters bereits verdrängt hatte. Auch der gefleckte Rüde schien nicht sonderlich begeistert und watschelte sie eine Ente auf heißen Kohlen. Am Eingang wurde unser Ticket kontrolliert und uns der Weg gewiesen zur Lounge.
      “Hier lang, denke ich”, entschied ich unentschlossen, denn die Worte verschwanden nach weniger als einer Sekunde aus meinen Ohren. Zumindest standen wir vor einem großen Gebäude, das die Tribüne sein sollte. Davor standen Leute und rauchten.
      “Ja, sieht richtig aus”, nickte die Brünette an meiner Seite. Wir schlängelten uns an den Personen vorbei ins Innere, folgten einer langen Treppe nach oben kann an einer großen Glastür. Entgegen meinen Erwartungen war es gut gefüllt und mit unseren Bändchen am Arm, die wir am Eingang bekommen hatten, ließ man uns eintreten. Eine nette Frau führte uns zu einem Tisch abseits der anderen. Dort stand ein kleiner, eher hässlicher, Blumenstrauß, der schon bessere Zeiten hatte. Von der Decke hingen große Lampen, die teilweise gedimmt waren und ein warmes Licht im Raum verteilten. Kaum saßen wir, wurde uns die Speisekarte samt Programmheft gereicht, als würde man direkt entscheiden können, welches Pferd man essen wollte. Absurde Vorstellung.
      „Ich werde ein Bier trinken, und du?“, fragte ich Lina.
      “Mmm, ich nehme auch ein. Das kann ich heute gebrauchen”, beschloss sie kurzerhand.
      Die Dame kam zurück und nahm die Bestellung entgegen. Nun begann die nächste Suche nach etwas Essbaren. Für mich war die Auswahl nicht groß, doch eine Ofenkartoffel mit Ofengemüse klang sehr lecker. Auch mein Gegenüber wurde fündig, Nudeln mit einer Tomatensauce, was auch als Empfehlung des Hauses galt.
      “Da ist er”, sagte ich zu Lina, als wenig später das Essen auf dem Tisch dampfte. Ich zeigte aus dem Fenster heraus, auch wenn man kaum was sah. Auf der anderen Seite des Raumes hing eine riesige Leinwand, auf der man das Geschehen verfolgen konnte.
      Anstatt auf diese zu blicken, folgte ihr Blick meinem Finger: “Der mit dem Braunen da?”
      “Genau. Die Quote ist ziemlich gut”, merkte ich zusätzlich an und versuchte möglichst normal im Raum zu wirken. Einen Tisch weiter diskutierte ein älteres Ehepaar darüber, welchen Hengst sie für eine ihrer Stuten wollte und dabei mischte sich eine weitere Person ein.
      “Gute Quote hießt gute Gewinnchancen, richtig?”, überlegte sie kurz.
      “Ja, genau. Ich … Ich habe auch eine Platzwette auf ihn, also mal sehen”, grinste ich verlegen und wich ihren Blick aus, der sich sofort zu mir bewegte. Mit der Gabel brach ich die Kartoffel weiter auseinander und verteilte die vegane Creme darin. Noch immer dampfte es, aber mir lief das Wasser im Mund zusammen.
      “Dann hast du hoffentlich auf das richtige Pferd gesetzt”, grinste sie und rollte die Nudel auf ihrer Gabel auf.
      Das Rennen begann nach der Parade. Mit dem Körper drehte ich mich zur Leinwand, um das Geschehen genau beobachten zu können. Mir zitterten die Finger. Das Messer legte ich weg, sicher war sicher. In hoher Geschwindigkeit setzte Fiberglas, die braune Stute an Bastis Leinen, voran, als gäbe es kein Morgen mehr. Nach der zweiten Kurve hatte sie bereits drei Pferdelängen vor dem folgenden Pferd und hielt konstant ihre Position. Obwohl es mir die Sprache verschlug, versuchte ich Lina etwas von meiner Freude in mir mitzuteilen, aber alles, was meinen Mund verließ, waren hohle Worte. Der Kloß im Hals wurde größer. Von hinten zischte eine Fuchsstute vor und überholte Fieberglas beinah, aber die Kurzstrecke hatte es in sich. Kurz vor dem Ziel zogen auch die anderen Pferde mächtig an, was den großen Vorsprung wett machte. Unter dem Tisch wackelte mein Bein und als das Kopf-an-Kopf-Rennen an der Zielgeraden erst ausgewertet werden musste, überkam es mich mit einer unbeschreiblichen Leere. Im Raum wurde gejubelt, aber ich konnte nicht mehr.
      Nach der Auswertung stand fest, dass Basti disqualifiziert, wurde durch Behinderung des anderen Fahrers, obwohl er dazwischen feststeckte. Damit durfte er auch nicht an dem Rennen danach teilnehmen mit Netflix.
      “Vriska, kannst du mir erklären, weswegen er genau disqualifiziert wurde?”, fragte Lina, die offenbar begann ein gewisses Interesse für die Rennen zu entwickeln.
      “Wurde doch gerade gesagt”, murmelte ich, aber erklärte es ihr natürlich. Am Handy spielte ich auch das Replay immer und immer wieder ab, bis ich sah, was die Rennleitung offenbar als Regelverstoß ansah. Sie hörte mir gespannt zu, obwohl meine Worte vermutlich auch klangen, wie von einem eingeschnappten Kleinkind.
      “Es so vielversprechend aus und dann so eine blöde Kleinigkeit. Ist ja wirklich ärgerlich”, kommentierte sie, als sie endlich verstand, was beanstandet wurde.
      “Na gut, egal, kann ich auch nicht ändern”, entschloss ich, die schlechten Gedanken zur Seite zu schieben und setzte das Essen fort. Wir wechselten das Thema. Lina berichtete von der neuen Stute, die im Stall stand und eigentlich auf Tätigkeiten hoffte. Zur gleichen Zeit lag Dog unter dem Tisch und schlief.
      “Ich bin schon gespannt, wie Hanni sich unter dem Sattel machen wird. Sie ist wohl ziemlich fein ausgebildet und demnach, was Samantha so erzählte, klang es wahrhaft traumhaft”, schloss sie ihren Bericht über das, was sie bereits über die Stute wusste. Die Freude über das neue Pferd war ihr wahrhaft anzusehen, denn ihre Augen leuchtete mit jedem Wort förmlich noch ein wenig heller, wie es sonst nur geschah, wenn sie von ihrem Hengst schwärmte.
      “Also geht es für dich dann dieses Jahr mit Niklas auf Turniere?”, scherzte ich und hoffte inständig, dass es sie nicht traurig machen würde. Ich sah das Talent, mit ihren Pferden, viel mehr als das, was ich im Sattel tat.
      “Vielleicht, es ist nicht ausgeschlossen”, lächelte sie, ”In Kiel konnte ich feststellen, dass Zuschauer nicht ganz so schrecklich sind, wie ich dachte. Zumindest habe ich nicht gleich einen Herzinfarkt erlitten.”
      “Du hast eine große Zukunft vor dir, das spüre ich”, stimmte ich zu. Im selben Moment kam allerdings noch ein weiteres Gefühl mit. Wenn es mit dem Hengst morgen nicht funktionieren würde, fehlte mir wirklich die Kraft, weitere Pferde anzuschauen. Wie konnte es so schwer sein, ein Turnierpferd zu finden, wenn das Limit ziemlich hoch lag? Seufzend bestellte ich mir noch ein Bier nach, dass mittlerweile das Dritte war.
      “Na, wenn du das als Hexe so sagst, dann muss das wohl stimmen”, akzeptierte sie meine Aussage grinsend, “Und was ist mit dir? Wenn du auf Pferdesuche bist, ist anzunehmen, du willst zu Dressur zurückkehren?”
      “Wollen ja, aber sehen wir es realistisch: Ich bin vermutlich am Boden besser aufgehoben”, seufzte ich unentschlossen.
      Noch bevor Lina eine Antwort gab, holte man unsere Teller ab und brachte eine Dessertkarte. Ich schob diese direkt an den Rand, doch sie blätterte zumindest darin.
      “Ach, quatsch, du hast ein Talent dafür, auch auf dem Pferd”, sprach sie hinter ihrer Karte.
      „Dennoch halte ich es für unmöglich, dieses Jahr eine internationale Prüfung zu reiten“, versuchte ich es möglichst unbekümmert klingen zu lassen, obwohl mich Lubis Verkauf zu teilen noch in der Nacht quälte. Allerdings war es nicht Lubi selbst in meinen Träumen, sondern ein Pferdewesen, dass sowohl Glymur als auch ihr glich. Wenn ich es ritt, stellte es ganz klar die große Warmblutstute dar, doch am Boden war es der Isländer. Seltsame Träume, die mich um spät nachts hochjagten.
      “Nicht so pessimistisch, das Jahr hat doch gerade erst angefangen. Wir finden erst einmal ein Pferd für dich und sehen dann mal, wohin das führt”, schenkte sie mir ein ermutigendes Lächeln.
      “Damit wird er mich wohl kaum mehr mögen.” Entmutigt stützte meinen Kopf auf den aufgestellten Ellenbogen und sah über ihre Schulter hinweg zur Tür. Noch bestand die Hoffnung, dass er engelsgleich durch die Tür schweben würde. Bisher passierte es nicht.
      “Ein Pferdesportspate bestimmt doch nicht allein, ob man von jemandem gemocht wird, viel wichtiger ist die Persönlichkeit, die den Sport ausübt”, redete Lina mir weiterhin gut zu. Vermutlich musste sie es wissen, aber mit vorlaufender Drehung des kleinen Zeigers, wurden die Augen schwerer und meine Laune schlechter. Sie hätte alles sagen können, aber es hätte nichts genutzt.
      Lina entschied sich gegen ein Dessert und als auch Dog begann zu drängeln, bezahlte ich, was außerhalb der Eintrittskarte lag und wir verschwanden die Treppe heraus. Müde und mit schmerzendem Unterleib vom langen Sitzen stolperte ich wie ein Storch die Stufen herunter. Der Hund zog, als gäbe es kein Morgen, was mir jeden Schritt noch schwieriger machte. Langsam öffnete die Brünette die Tür nach draußen und schon kam uns eiskalte Luft entgegen.
      “Ach ja”, fiel mir noch rechtzeitig ein, “wir schlafen im Transporter.” Bis zum letzten Augenblick hatte ich diesen Fakt verschwiegen.
      „Okay, reicht mir vollkommen", entgegnete sie sanftmütig und schlug den Weg zum Parkplatz ein. Weit kamen wir nicht. Ich stoppte wenige Meter nach der Tür und kramte hektisch in meinen Taschen nach einem Feuerzeug, das ich finden konnte. Ich hätte darauf geschworen, dass irgendwo eins sich darin versteckte, sich allerdings in Luft aufgelöst hatte. Mittlerweile bekam auch Lina meinen plötzlichen Stillstand mit und kam die letzten Meter zurück.
      „Man, jetzt geht das auch noch schief“, nuschelte ich ihr zu, mit der Zigarette im Mund, die mehr als unnötig war.
      „In dem Belangen kann ich dir auch leider nicht aushelfen“, zuckte sie entschuldigend mit den Schultern. Wer hätte das nur denken können, innerlich rollte ich mir den Augen, bis meine Rettung von der Seite an mich herantrat.
      „Ich allerdings schon“, sagte die Person, die mir längst von der Stimme und Dialekt bekannt vorkam. Das Licht der kargen Außenbeleuchtung fiel in sein Gesicht und mir stoppte der Atem. Beinah verschluckte ich mich, aber konnte den Reflex noch unterdrücken, zum Leiden meiner Lunge, die im selben Moment einen kräftigen Druck verspürte. Basti hielt mir das Feuerzeug an die Zigarette und wie versteinert stand ich vor ihm. Keine Regung, nur der Druck auf der Lunge, der immer stärker wurde und dabei weitere Schmerzen im Körper auslöste.
      „Danke“, sagte ich hustend.
      „Kinder sollte nun mal nicht rauchen“, grinste er und zog selbst an seiner.
      „Merke ich mir“, kam es teils nervös, teils genervt über meine Lippen. Erwartungsvoll blickte ich ihn, als gäbe es so viel, was er sagen sollte, aber selbst, schwieg ich. Obwohl ich fest entschlossen mich an der Leine klammerte und versuchte möglichst normal zu wirken, starrte ich ihn ununterbrochen an.
      „Ist noch etwas?“, sprach Basti mehr als verwundert.
      „Ähm“, stammelte ich wieder aus der Trance erwachend, „tut mir leid. Gute Nacht.“ So schnell ich konnte, setzte ich mich in Bewegung, reihte mich neben Lina ein, die das Geschehen aus sicherer Entfernung beobachtet hatte. Sie grinste unterhalten und nahm mir die Hundeleine ab.
      „Das ist er also, dein Basti“, stellte sie feixend fest, „Du weiß aber schon, dass es sich besser kennenlernt, wenn man spricht und nicht nur starrt.“
      „Bist du verrückt? Nicht so laut, sonst hört er das noch!“, sagte ich möglichst leise und klatschte mit der Hand gegen ihre Schulter, als würde Dog mit seinem Schwanz an ihr Bein wedeln. „Aber was soll ich schon groß sagen? Man. Das ist doch blöd. Ich bin nie so nervös, wenn ich jemanden gut finde.“ Hektisch zog ich an meiner Zigarette, damit sie nicht an Brennstärke verlor.
      „Ist ja gut“, beschwichtigte sie sogleich und senkte die Stimme, „Ich weiß nicht. Worüber man halt so redet, um ins Gespräch zu kommen, das Wetter zum Beispiel oder das Rennen.“
      „Schätzungsweise möchte er darüber nicht sprechen, nach so einem Reinfall, ist bestimmt schon schwer genug“, seufzte ich etwas erschüttert. Wir waren beinah am Transporter angekommen und noch immer vernahm ich seltsame Gefühl, als würden Blicke mir in den Rücken stechen und mich zurück zu ihm führen. Möglichst unauffällig drehte ich mich zu Basti um. Ich hatte recht, er starrte mir wirklich nach, als wäre ich ein Außerirdischer. Auf seinen Lippen lag ein spitzes Lächeln, doch als er mich bemerkte, drückte er die Zigarette im Aschenbecher aus und lief durch die Tür hinein.
      „Er hat es gehört. Ich sag’s dir!“, wiederholte ich meine Annahme. Lina hatte den Innenraum geöffnet und den ersten Fuß bereits auf der Stufe.
      “Ja und? Dann weiß er jetzt halt, dass du von ihm erzählt hast, ist doch kein Weltuntergang”, entgegnete sie relativ unbekümmert.
      “Aber es ist peinlich”, versuchte ich ihr meine Zweifel zu vermitteln, aber sie lachte nur.

      Am nächsten Tag, 9:50 Uhr
      Trabrennbahnparkplatz in Malmö

      Der Morgen kam viel zu schnell. Während Lina binnen Minuten die Augen schloss und in der Welt der Träume verschwand, plagt mich abermals dieser Alptraum. Mir lief kalt der Schweiß am Rücken herunter. Erst nach einer Hundewäsche und Outfitwechsel fühlte ich mich besser. Lina kam gerade mit zwei Bechern zurück: „Hier, Kaffee. Schwarz, ohne Zucker.“
      „Du bist ein Schatz, danke“, lächelte ich und rief den Hund. Dog kam vom Grünstreifen zurückgelaufen, legte sich in die Kiste und ich schloss sie.
      „Dann können wir los, oder?“, fragte ich Lina, die an ihrem dampfenden Tee nippte.
      “Bereit, wenn du es bist”, nickte sie.
      Kaum saßen wir wieder auf den Plätzen, startete ich den Motor. Laut dem Kartensystem fuhren wir nur fünfzehn Minuten bis zum Hof, der außerhalb der Stadt lag. Vorbei an kargen Bäumen und bunten Häusern folgten wir der Landstraße. Lina hatte ihren Blick aufs Handy gerichtet, lachte zwischendurch und die Finger flogen positiv gestimmt über das Glas. Ich versuchte konzentriert zu bleiben, aber hatte die Peinlichkeit mit Basti und den schlechten Traum noch im Hinterkopf. Unangenehm knurrte auch mein Magen, obwohl ich nie frühstückte. An dem Tag fühlte es sich anders an, auf eine Art unentspannt.
      „Das müsste der Hof sein“, sagte ich zu Lina, als das Navigationsgerät verkündete, dass das Ziel auf der linken Seite lag. Das Gestüt wirkte familiär. Heuballen stapelten sich am Eingang, zwei Hänger standen daneben und mehrere Fahrzeuge. Auf meinen Reitplatz wurde ein braunes Pferd geritten, dass aktiv den Hals wölbte und fleißig voran lief.
      “Oh, das ist hübsch hier ”, entgegnete sie, “Da bin ich mal gespannt, auf das Pferd.”
      „Und ich erst“, staunte ich und sprang in den Kies. Meine Augen hingen an dem großen weiß-roten Eingang, aus dem eine schmale Frau heraustrat.
      „Da sind unsere Gäste“, scherzte sie und kam näher, „freut mich, ich bin Anja.“
      „Vriska und das ist Lina“, stellte ich uns beide vor. Dann kam auch sofort Dog angerannt, der sich in den Dreck warf, um am Bauch gekrault zu werden. Nach der kurzen Begrüßung ging es schon zum Stall. Aus dem Transporter nahm ich meine Tasche mit. Viele Pferdeköpfe erstreckten sich aus dem Gang, durch den wir Anja folgten. Immer wenn wir an einem Fuchs vorbeikamen, dachte ich, wir seien da, doch erst an der letzten Box hielten wir an. Neben uns blickte eine kleine Stute heraus, die gerade so ihre Schnauze auf dem Holz ablegen konnte.
      „Da ist unser Pflegefall“, deutete sie auf einen Fuchs, der uns den Po zugedreht hatte und eine dunkle Stalldecke trug. Seine Ohren tief ins Genick gelegt. Ich nahm wahr, wie Lina erst das kleine haarige Pferd und dann den Warmblüter musterte.
      “Warte, ich kenne die beiden doch, ist das …”, sie klang erstaunt, beendete den Satz allerdings nicht, sondern nahm das Pferd genausten unter die Lupe. Der Hengste drehte sich schlagartig um und schnappte nach hier. Anja zog die kleine noch im richtigen Moment zurück und er traf nur Luft.
      “Das hätte ich sagen sollen”, merkte sie an, aber ich zuckte unbekümmert mit den Schultern. Stattdessen lief ich noch näher heran und reichte meine Hand. Seine Ohren spitzten sich für einen Augenblick, bevor er auch mich anvisierte. Ich schlug mit meinem Handrücken gegen sein Maul. Aufmerksam richtete er sich auf, als hätte er mit Abwehr nicht gerechnet.
      “Alles gut, mein Fehler. Ich hätte daran denken müssen, dass er so darauf ist”, winkte Lina freundlich ab.
      “Warum kennst du das Pferd?”, begriff ich mehr. Dem Pferd kehrte ich den Rücken. Die Augen der anderen wurden groß, aber unbegründet sicher fühlte ich mich in der Position.
      “Aus Kiel, Happy gehörte zu den Auktionspferden, die vom Abdecker freigekauft wurden”, erklärte dir Brünette bereitwillig.
      „Und man gab uns eure Adresse, weil mit ihm nichts läuft. Die ersten Wochen konnten wir in motivieren und jetzt“, Anja unterstrich ihre Aussage mit wedelnden Armen, als wäre das Problem offensichtlich, „also was auch immer ihr macht, nehmt den bitte mit, alles andere klären wir dann.“
      Verwundert sah ich zu Lina, die auch nicht so wirklich verstand, was Sache war.
      „Okay, aber Tyrell meinte, ich soll vorher einmal reiten“, erklärte ich.
      „Du kannst es gern versuchen, ich zeige dir alles.“ Die Dame lief vor und wir folgten. Die Sattelkammer war direkt neben dem der Box, Sattelzeug nahm ich auf den Arm und Lina griff die Putzkiste. Kaum kehrten wir zur Box zurück, stand der Hengst wieder mit drehten Hintern zu uns.
      „Bevor du hereingehst, der tritt, also pass auf“, warnte sie. Zaghaft nickte ich, wühlte aus der Jackentasche ein Leckerli heraus und bewaffnete mich mit dem Halfter. Das Scheppern der Box schreckte Happy auf. Drohend drehte er den Kopf zu mir.
      „So. Wir lassen das jetzt mal. Komm her“, murmelte ich, als würde es etwas ändern. Aber stattdessen giftete er ein weiteres Mal.
      „Willst du eine Gerte? Damit drehen wir ihn immer“, versuchte Anja zu helfen.
      „Nein, besser nicht“, lehnte ich dankend ab. Ein verängstigtes Pferd auch noch zu drohen, würde nicht viel an der Situation ändern. In der geöffneten Boxentür stand ich für geschlagene zwanzig Minuten, bis der Hengst auf der Stelle drehte und vorsichtig den Kopf zu strecken. Er bekam ein Leckerli, dass zunächst verschmäht wurde. Doch nach dem Schnuppern wirkte es wohl interessant und Happy fummelte es von meiner Hand.
      „Gut, jetzt mache ich mir keine Sorgen mehr“, hörte ich Anja zu Lina flüstern.
      “Brauchst du ohnehin nicht, sie weiß, was sie tun … und es scheint, Happy mag sie”, wisperte sie eine Antwort. Innerlich lachte ich, eigentlich wusste ich nichts, aber der Hengst sendete klare Zeichen, wie weit ich herandurfte. In langsamer Bewegung legte ich ihm das Halfter um, strich es vorsichtig über die Ohren und schon folgte er mir. Aus der Box zog er etwas Stroh mit.
      Putzen wurde eine weitere Herausforderung, aber nach knapp einer Stunde der Geduld, meisterten wir auch das. Anja verschwand zeitweise und Lina ebenfalls. Irgendwann kamen sie zurück und ich hatte den Sattel auf dem Riesen sowie meine Schabracke darunter. Leicht angewinkelt trug Happy seine Ohren und folgte mit den Augen genau, was die anderen beiden taten.
      “Vriska, du bist ein Wunderkind”, staunte Lina nicht schlecht, als sie meinen Fortschritt betrachtete. Aus sicherer Entfernung versteht sich.
      “Ihr übertreibt einfach. Der ist nur minimal empfindlich, aber sonst ziemlich umgänglich”, zuckte ich mit den Schultern. Meine Hand strich ihm sanft über die große Blesse, während seine Lippe an der Jacke fummelte.
      “Wenn du meinst”, zuckte sie mit den Schultern, “aber dann kannst du mal zeigen, ob du das minimal empfindliche Pferd auch reiten kannst. Schließlich sind wir dafür überhaupt hier.” Lina gab mir meinen Helm. Das Halfter zog ich herunter und führte ihm am Zügel mit. Doch nach zwei Schritten blieb er wie angewurzelt stehen, wollte keinesfalls mitkommen. Er wendete den Hals, um einen Blick die Gasse zu haben. Hektisch sprang die Plüschstute in ihrer Box.
      „Ach ja, die muss mit“, sagte Anja und holte die Stute. Hending, wie es mir im nächsten Moment vorgestellt wurde, war Happys Freundin und ohne die, bewegte er sich kein Stück. Mit sicherem Abstand folgten sie uns und damit setzte der Hengst auch einen Fuß aus der Gasse heraus. Lina übernahm das Pony, das aussah, wie ein zu kurz geratener Tinker, und ziemlich ungepflegt. In der Halle waren wir allein. Zusammen führten wir die Pferde, bis ein Gefühl für Happy hatte und aufstieg. Dafür hätte besser eine Aufstiegshilfe nehmen sollen, aber als Anja mit dieser ankam, sprang der Fuchs weg.
      Happy setzte mit großen und gleichmäßigen Schritten voran, deutlich weicher im Sitz als Lubi, aber ebenso schwungvoll. Es hatte etwas von einer Schaukel und bereitete mir Schwierigkeiten den Takt zu halten. Durch mein Gewicht versuchte ich ihn zu bremsen, aber Happy dachte nicht einmal daran. Der Zügel hing locker am Hals. Ich sammelte diesen auf und schon drückte er den Kopf an die Brust. Keine Chance gab er mir, überhaupt Kontakt zum Maul aufzubauen.
      „Ruhig“, sprach ich langgezogen. Die Schritte verkürzten sich und ich saß gleichmäßiger im Takt.
      „Guter Junge“, lobte ich und klopfte ihm den Hals. Dann schnaubte er ab.
      „Herzlichen Glückwunsch, du bist weiter, als wir alle zusammengekommen sind“, tönte es aus der Ecke. Ich nickte nur, um den Blick zwischen den braunen Ohren zu halten. Langsam, aber sicher baute ich eine Verbindung zum Pferdemaul auf. Sobald er sich einrollte, löste ich diese wieder auf. Runde um Runde arbeitete ich daran, bis er schließlich meine Hand akzeptierte. Im Zirkel hielt Happy locker die Linie und folgte dabei meiner Schenkelhilfe. Gleichzeitig zupfte ich am inneren Zügel, um ihm die Richtung zu weisen. Erstaunlich gut reagierte er darauf. Auch im Trab reagierte er sanft auf mich. Nur aussitzen konnte ich ihn nicht, dafür bot zu viel Schwung an, was sich wie eine Rüttelplatte anfühlte. Zwischendrin wechselte ich die Hand mit Bahnfiguren und geraden Linien. Auf Schlangenlinie spürte ich, dass ihm die Balance fehlte, aber wenn solange keiner an ihn herankam, wunderte es mich nicht. Nach einer Pause im Schritt am lockeren Zügel galoppierte ich auf der ganzen Bahn, denn in der Wendung trabte er aus, um den Schwerpunkt zu finden.
      “Vriska, ich glaube, aus dem kann richtig was werden. Das sieht richtig gut aus, was du da mit ihm machts”, rief Lina mit zu, die sich mit dem kleinen Fellmonster in der Zirkelmitte platziert hatte. Zum ersten Mal kamen Augen unter der langen Mähne zum Vorschein, denn sie hatte die Zeit genutzt, das ungepflegte Langhaar ein wenig zu bändigen.
      „Denke ich auch, deswegen hole ich mal die Verträge“, verschwand die Besitzerin aus der Halle. Happy holte ich zurück in den Schritt und musste erst einmal Luft holen. Auch er schnaubte ab. Natürlich hatte Lina recht, aber für mich fühlte es sich zu schnell an.
      „Ich weiß nicht. Ist das nicht etwas zu … vorhersehbar? Alle sagen, dass der ganz schrecklich ist und speziell, dann setzte ich mich in den Sattel und alles wunderbar“, seufzte ich unentschlossen. Gut, es ging ohnehin nicht um einen Kauf, sondern nur Training. Mit dem Gedanken ihn zu kaufen, hatte ich mich bereits auseinandergesetzt, aber war es so klug? Damit hätte ich schon zwei und beide davon nicht ganz klar im Kopf.
      “Gerade deshalb solltest du ihn mitnehmen, denk doch mal eine Sekunde nicht an dich, sondern an Happy. Hier ist dem armen Kerl doch nicht geholfen, wenn er sich nicht wohlfühlt und du willst doch sicher nicht, dass dieses talentierte Tier in einer Box versauert, nur, weil niemand an ihn rankommt”, versuchte Lina mich zu überzeugen.
      “Es steht wohl außer Frage, ob wir den mitnehmen. Aber ich denke doch schon wieder viel weiter”, seufzte ich, “weißt du, ich brauche ein Ziel und man. In meinem Kopf ist gerade zu viel.” Happy spürte sofort meine Unsicherheit. Er schlug mit dem Schweif und sprang im nächsten Moment in den Galopp um. Hektisch hob er die Hinterhand in die Luft, aber meine Balance reichte aus, um die Hüpfer auszugleichen. Mit den Knien war ich am Pferd und ermöglichte ihm, sich zu entfalten, außerdem wollte ich ihn nicht im Maul ziehen. Es dauerte lang genug, dass er sich der Verbindung zum Zügel näherte.
      “Tut mir leid, aber daran kannst du dich schon mal gewöhnen”, flüsterte ich, als Happy sich beruhigt hatte. Er schüttelte sich und ich ritt ab.
      “Mach dir nicht selbst so viel Druck. Bevor du verzweifelt nach einem Ziel suchst, solltest du dir erst einmal klar werden, was du überhaupt willst. Wenn du das weißt, findet sich dein Ziel von ganz allein”, sprach sie mit unglaublich viel Optimismus.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 60.724 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende Februar 2021}
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugoåtta | 05. September 2022

      Henade / May Bee Happy / Hending / Maxou / Monet / Northumbria / Pay My Netflix / Götterdämmerung LDS / Fjärilsviol / HMJ Divine

      Lina
      Obwohl der Tag heute regenfrei war, hingen die Wolken grau am Himmel. Kaum ein Sonnenstrahl, drang hindurch, sodass es kaum zu glauben war, dass es bereits Mittag war, als wir am Hof eintrafen. Schneller als erwartet, waren Happy und sein Anhang im Stall untergebracht, eben so eilig verschwand Vriska, murmelte etwas von Duschen und Kaffee.
      Schwer, wie ein Stein lag das Herz in meiner Brust, als ich schließlich vor meiner eigenen Tür stand, in dessen Glas sich der trübe Himmel spiegelte. Nur langsam drückten meine Finger die Tür auf und ich durchschritt das Portal. Stille umfing mich. Die Tür zum Schlafzimmer hin, stand offen, doch dahinter herrschte Dunkelheit bei geschlossenen Vorhängen. Einige von Niklas Sachen lagen nicht an ihrer gewohnten Stelle und auch sonst gab es keine Anzeichen für Leben in dem kleinen Haus. Der Stein in meiner Brust wuchs an, wurde so groß wie ein Felsbrocken und drückte mir auf die Lunge. Es war zu erwarten gewesen, aber ein Teil von mir hatte gehofft, dass er seine Worte nicht wahr machte oder vielleicht doch zurückkehrte, bevor ich es tat. Ohne auch nur das Licht einzuschalten, lief in das dunkle Zimmer, ließ Jacke und Rucksack achtlos auf den Boden fallen. Es war ohnehin egal, wer sonst sollte sich daran stören. Mit einem Seufzer fiel ich auf das Bett. Warum muss alles immer so kompliziert sein? Von der Erschütterung in Bewegung versetzt purzelte etwas von meinem Kissen hinunter direkt in mein Gesicht. Es war das helle Plüschtier, welches ich Mini-Ivy taufte. Was machte er dort, für gewöhnlich saß er doch auf dem kleinen Schrank? Das konnte nur heißen, dass das plüschige Ebenbild meines Hengstes absichtlich dort platziert worden war. Aber zu welchem Zweck das Plüschtier dort saß, leuchtete mir nicht ein. Niedergeschlagen betrachte ich das Tier in meiner Hand, wie es mich unschuldig ansah mit seinen großen Glupschaugen. Wie alle hier drin schrie auch das Plüschtier danach, dass ein wichtiger Mensch fehlte.
      “Du hast recht, kleiner Ivy”, seufzte ich nach einer Weile, ”statt hier den Trauerkloß zu schieben, sollte ich nach deinen großen Freunden sehen.” Wirklich nach arbeiten war mir nicht zumute, aber hier länger die Decke anzustarren, würde wohl auch nicht dazu beitragen, dass Niklas schneller wieder auftauchte. Langsam erhob ich mich. Bevor ich allerdings zurück in den Stall ging, musste ich dringend Duschen.
      Eine halbe Stunde später tapste ich in ein Handtuch gehüllt zu meinem Schrank. Eine große Auswahl an Reitsachen bestand nicht mehr, denn das meiste lag getragen im Wäschekorb. So griff ich nach der schwarzen Hose, die zuoberst auf dem Stapel lag, irgendeinem Shirt aus der Schublade und einer grauen Fleecejacke. Mit gekonnten Bewegungen bändigte ich schließlich noch meine Haare, bevor ich das Haus verließ. Laut hallten meine Schritte über die menschenleere Stallgasse, worauf hin sich einige Köpfe aus den Boxen erhoben. Hanni stellte aufmerksam die Ohren auf und reckte den Hals, als ich mich ihr näherte.
      “Mmm, Süße, du bist auch ganz allein”, sprach ich sanft zu ihr uns strich über die weiche Nase. Bestimmt langweilte sich die Stute in ihrer Box. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie bewegt worden war in meiner Abwesenheit, schließlich hatte ich Mateo lediglich gebeten, nach meinen Pferden zu sehen, nicht sich auch darum zu kümmern.
      Neugierig zupfte die Stute an meiner Jacke, stellte aber schnell fest, dass diese nicht essbar war. So griff ich nach dem Halfter vor ihrer Box, trat und streifte es über die flauschigen Ohren. Wohlerzogen folgte mir die Stute zum Putzplatz und wartete ebenso artig, als ich ihr Putzzeug holte. Es dauert ungefähr eine Dreiviertelstunde, bis ich den meisten Dreck aus dem Fell der Stute geputzt hatte. In der Sattelkammer stand ich schließlich ein wenig unentschlossen vor meiner Sammlung an Unterlagen, entschloss mich schließlich für die blaue Otterschabracke. Normalerweise hätte ich zu den Gamaschen gegriffen oder, wie bei Ivy häufig, sogar nur nach den Hufglocken, doch heute hatte ich das Bedürfnis möglichst viel Zeit im Stall zu verschwenden. Am Ende lief ich beladen mit Bandagen und all dem anderen Zubehör zurück zu Henade. Naja, zumindest fast, denn auf dem Weg verlor ich eine der Fleecerollen. Weitere zwanzig Minuten vergingen, bis die Stute ordentlich bandagiert vor mir stand. Auf ihrem Rücken ein Fellsattel, den Sam für die Stute daließ, da sie bisher keinen Sattler auftreiben konnte, der einen passenden Sattel für sie anzubieten hatte. Und dass, obwohl sie nicht gerade wenig Geld in die Stute investierte, dem ziemlich teuren Gelgebiss nach zu urteilen, welches in ihren Maulwinkeln lag.
      “Komm Hanni, dann wollen wir mal sehen, ob du den Beschreibungen gerecht wirst”, sprach zu ihr und verschloss meinen Helm. Ich glaubte zwar nicht, dass dieser wirklich notwendig sein würde, doch man wusste ja nie, schließlich kannte ich das Pferd nicht.
      Ganz von selbst lief die Stute im Schritt voran, fußte sicher unter ihren Schwerpunkt und benötigte kaum Zügelkontakt, um in eine Anlehnung zu kommen. Ich hatte gerade eine Runde um die gesamte Bahn geschafft, da trat eine kleine Gestalt mit einem weißen Pony, mit niedlichen buschigen Zöpfen geflochten, am Zügel in die Halle. Dieses kündigte sich mit einem lauten und schrillen Wiehern an, dass Hanni sogleich erwiderte.
      „Störe ich?“, fragte sie höflich und zurrte den Gurt fester.
      “Nein, ich denke, hier ist ausreichend Platz für uns beide”, lächelte ich freundlich. Kaum hatten meine Worte den Mund verlassen, stieg sie auf den Hengst und ritt los, um sich neben mich einzureihen.
      “Ich glaube, wir kennen uns nur peripher. Mein Name ist Neele und das ist Monet”, stellte sich die kleine Naturblonde vor. Den Namen kannte ich bereit, aber die Person dazu bekam ich bisher nicht wirklich zu Gesicht, denn sie verbrachte den ersten Teil ihres Praktikums drüben bei den Ponys aus dem Norden.
      “Schön, euch beide kennenzulernen. Ich bin übrigen Lina und die hübsche Dame hier”, sprach ich und strich der Stute über den Hals, “ist Henade.”
      “Cooler Name”, merkte Neele an. Auch sie wuschelte ihrem Pferd durch die Mähne und wendete dann auf den Zirkel ab, als ein kaltes Schweigen in der Halle eintrat. Ungewöhnlich weit setzte ihr helles Pony durch den Sand und hielt sich vollkommen selbst, sogar den Schwerpunkt fand es problemlos.
      “Ist Monet in der Dressur ausgebildet? Er bewegt sich so ungewöhnlich elegant für ein so kleines Pony”, starte ich einen Versuch, die Konversation wieder aufzunehmen, als sie auf ihrem Kreis an mit vorbeikam.
      “Richtig erkannt, wir wollen auch dieses Jahr wieder auf Turniere fahren”, erklärte sie umgehend.
      “Oh cool, auf welchem Niveau nimmst du teil?”, fragte ich interessiert. So wie das Pony sich bewegte, vermutete ich eine hohe Ausbildung, aber Tiere dieser Größenordnung sah man nur selten über L-Niveau oder vielleicht noch M-Niveau.
      “Grand Prix in den Jungen Reitern”, sagte Neele mit stolzer Brust.
      “Wow, dann habe ich ja zwei Profis vor mir“, sprach ich anerkennend. Irgendwie war es seltsam, dass ich egal, wohin ich ging, immer zu auf Leute traf, die viele Erfolge in hohen Klassen vorzuweisen hatten. Mit Ehrfurcht blickte ich zu diesen auf, traute ich mich selbst nach den dreizehn Jahren, die ich mittlerweile auf dem Pferderücken verbrachte, nicht auf ein Turnier.
      “Ach, wir machen das nur zum Spaß, außerdem bin ich der Meinung, die sollen endlich aufhören, sich auf ihren riesigen Viechern auszuruhen. Sieht alles gleich aus auf dem Turnier”, sprach sie mir aus der Seele.
      “Ja, da stimme ich dir vollkommen zu und dann sind auch alle noch braun und schwarz, man könnte mal mehr Farbe bekennen, mehr Formen einbringen, das wäre zum Zuschauen deutlich spannender“, stimmte ich Neele zu.
      “Deswegen habe ich noch immer ihn hier. So lange wollte man mich von meiner Idee abbringen, aber mittlerweile sind wir zweimal gestartet und es war wirklich cool”, dann schweifte ihr Blick zu Henade, “deine ist aber auch wirklich super toll.”
      “Danke, aber Hanni ist leider nicht meine. Sie ist nur zum Beritt hier“, erklärte ich der Ponyreiterin.
      “Ach, das eine schließt das andere doch nicht aus. Aber nun viel Erfolg, mein Junge möchte schneller”, verabschiedete sich Neele und trabte an. Ein seltsamer Zufall, am Freitag hatte ich mit Vriska ein Gespräch mit ähnlicher Thematik. Beinahe als wolle das Schicksal mir einen Wink geben.
      Auf einen leichten Druck mit dem Schenkel trieb ich meine Stute in den Trab. Wie auch im Schritt bereit waren ihre Tritte weich und sie hatte gerade so viel Schwung, dass man es noch bequem aussitzen konnte. Ich fühlte mich vollkommen sicher auf Hanni Rücken, denn sie schien wirklich durchschaubar zu sein. Nur eins schien der Stute nicht zu passen, Neele und ihr Pony. Immer dann, wenn wir an den beiden vorbeikamen, schlug sie missmutig mit dem Schweif, ließ sich allerdings nicht davon aus der Konzentration bringen. Nach einer lockeren Aufwärmphase wagte ich es langsam die Seitengänge anzutesten. Im Schritt legte ich das innere Bein an und fasste selbigen Zügel ein wenig kürzer, den äußeren gab ich gerade so weit nach, dass die Stute frei war, sich in den Rippen zu biegen, aber nicht abwenden würde. Die Gewichtshilfe folgte ebenso der Biegung, was bei Hanni allerdings umgehend zu Verwirrung führte, unsicher taumelte die Stute und verlor Takt wie auch Richtung. Hatte ich etwas falsch Gemachten? Ich brachte Hanni zurück in die Ausgangsposition und ging die Hilfe für das Schulterherein sicherheitshalber durch. Innerer Zügel, inneres Bein, außen verwahren, Gewicht in Stellungsrichtung. Nein, ich hatte alles gemacht, wie ich es lernte. Bei einem erneuten Versuch, die Lektion zu reiten, reagierte die Stute unverändert. Auch als ich andere Lektionen testete, wirkte es als sprachen wir zwar die gleiche Sprache, allerdings mit unterschiedlichen Dialekten, ich sollte mir definitiv Hilfe bei jemandem suchen, der wusste, wie ich die Kommunikation mit Hanni verbessern konnte. Anstatt das Pferd und mich weiter zu verwirren, ritt ich nur ein paar Hufschlagfiguren und einfache Lektionen. In den Schrittpausen, die ich Henade zwischendrin gab, beobachtete ich volle Faszination Neele mit ihrem Pony. Elfen gleich tanzte der kleine Hengst über den Sand und wirkte unheimlich leicht und harmonisch. Ob Divine sich wohl eines Tages auch mit so viel Kraft und Anmut bewegen würde?
      “Du siehst so planlos aus”, kam das helle Wesen zu uns und hielt, “kann ich dir helfen?”
      “Ich weiß nicht so genau. Ich wollte Seitengänge reiten, aber Hanni scheint mich nicht zu verstehen”, erklärte ich ihr das Problem wage.
      “Dann versuche es doch von der Grundlage, aus der Ecke heraus in der Versammlung, um jeden Schritt genau zu fühlen, damit ihr einander versteht“, gab Neele mir einen Anstoß und ritt mit dem Hengst voran. Nickend nahm ich ihren Tipp zur Kenntnis und ritt Henade im Schritt an. Wie die Blonde vorschlug, versammelte ich die Stute, konzentrierte mich und versuchte jeden Schritt nachzuspüren, was durch den Fellsattel deutlich erleichtert wurde. Auf der Geraden fühlte sich ihr Takt noch gleichmäßig an. Das Schultervor bereite noch keine Probleme, erst, als ich dieses zum Schulterherein umstellte kamen wieder die Probleme. Ein erster Verdacht kam mir, wo das Problem liegen könnte, denn die Hilfe der Lektionen unterscheiden sich nur marginal. Aus einer Volte heraus leitete ich erneut in die Lektion über und probiere diesmal bewusst, die Gewichtshilfe wegzulassen, was gar nicht so einfach war, wenn man es jahrelang anders machte. Zögerlich folgte Hanni der Anweisung, trat über den ersten Hufschlag hinaus und bewegte sich schrittweise voran. Zufrieden den Problempunkt gefunden zu haben, lobte ich die Stute nach einigen Schritten passablen Schritten.
      “Na, siehst du, wunderbar!”, lachte Neele, die einige Meter weiter parallel zur Mittellinie trabte.
      “Vielen Dank für deinen Tipp, jetzt weiß ich, wo ich ansetzen muss”, bedanke ich mit einem Lächeln. Neele erschein mir nicht nur talentiert im Umgang mit ihrem Pony, sondern kam mir mit jeder Minute sympathischer vor.
      „Freut mich, dass ich helfen konnte“, sagte sie noch, bis lautes Poltern unser Gespräch beendete. Es klang beinahe, als würde eines der Pferde versuchen, den Stall ein wenig umzudekorieren. Irritiert versuchte ich einen Blick über die hohe Bande in die Stallgasse zu werfen und auch die Stute reckte ihren Kopf in die Höhe, doch darüber sehen gelang mir nicht. Hanni und ich waren zu klein.
      “Ähm, ich denke, ich sollte mal nachsehen, wer da randaliert”, entschuldigte ich mich bei Neele und lenkte den Freiberger zum Hallentor. Kaum bog ich durch die Tribüne nach links, erblickte ich ein kleines Chaos. Eine große Pfütze Wasser schwamm vor Maxou, die mit aufgerissenen Augen und nach oben gerichtetem Kopf zu mir sah. Neben ihr lag der Zaum am Boden und die Zügel um ein Bein gewickelt, den sie vermutlich im Schreck vom Haken gerissen haben muss. Auch dieser lag einige Meter entfernt, während im Holz ein großes Loch prangerte. Zu guter Letzt stand das Pony zwischen dem ganzen Putzzeug, denn auch den Putzkasten trat sie weg. Nur von Vriska war nichts zu sehen, die vermutlich in der Kammer gerade den Sattel holte. Ich ließ mich vom Rücken meiner Stute gleiten und ließ sie einfach an Ort und Stelle stehen. Langsam, um das Tier nicht noch mehr zu verschrecken, näherte ich mich Maxou, streckte ihr die Hand hin.
      “Was machst du denn, kleines Pony”, sprach ich beruhigend zu der hellen Stute, strich über ihren Hals. Mit bebenden Nüstern beschnupperte sie mich, prustete laut. Behutsam befreite ich ihr Bein aus dem Zügel und bemerkte erst, als ich angestupst wurde, dass Henade nicht, wie ich dachte, stehen blieb, sondern mir neugierig nachgelaufen war. Interessiert beschnupperte die gescheckte Stute das Pony, welches ebenso aufgeschlossen schien, doch sogleich warnend aufquietschete. Hanni drehte die Ohren leicht nach hinten, ließ aber nicht wirklich von Maxou ab.
      „Oh, was ist denn hier los?“, kehrte Vriska lachend zurück und tätschelte sogleich den Hals der Freibergerstute, hielt dabei ihr Pad auf dem anderen Arm.
      “Ich glaube, dein Pony wollte den Boden schrubben oder ähnliches”, erklärte ich und deutete auf die kleine Überflutung, in der noch immer noch die Bürsten schwammen.
      “Lieb von ihr”, bemerkte sie, tänzelte zwischen dem Wasser hinweg, um zu ihrem Pferd zu gelangen. Das streckte sich zu ihr und fummelte ein Leckerli aus der Jacke heraus.
      “Ja”, nickte ich zustimmen, “auf jeden Fall solltest du später noch Tyrell Bescheid geben, der Haken ist Maxou auch zu Opfer gefallen.”
      “Ach, der bekommt das nicht auf die Reihe. Den mache ich nach dem Reiten wieder an Ort und Stelle fest.” Vriska betrachtete besagtes Loch etwas näher und murmelte unverständlich.
      “Selbst ist die Frau, nicht?”, lächelte ich sanft. Hanni verlor mittlerweile das Interesse an Vriskas Pony und senkte stattdessen den Kopf zu einer der Gegenstände auf dem Boden, um diese mit den Lippen gründlich zu untersuchen.
      “Genau”, von einem Moment zum anderen zitterte ihre Stimme, dieselbe Unbeholfenheit und Unsicherheit kehrte zurück, als würde mein Freunden jeden Moment kommen, um ihr die Meinung zu geigen.
      “Mach dir keine Gedanken, wir bleiben heute ungestört”, sprach ich, um sie zu beruhigen und bemühtem mich dabei, es möglichst beiläufig klingen zu lassen, denn ich wollte Vriska nicht ihre fröhliche Stimmung nehmen.
      “Tut mir leid”, antwortete sie weiterhin geduckt und legte die rosafarbene Schabracke auf die Stute, sowie ihr Reitpad. Maxou drehte sich langsam zu ihr um, Schwups, ein weiteres Leckerli wechselte von Jackentasche zu Ponymaul.
      “Ist schon okay, das Leben ist kein Disney Film”, sprach ich und zupfte unwillkürlich an der einzigen hellen Strähne in der Mähne des Freibergers.
      “Du bist aber eine, mit deinem Pony”, grinste sie wieder. Maxou trug den gebisslosen Zaum, wie immer, und folgte ihrer Besitzerin treu. “Bis später.”
      “Bis später”, spiegelte ich ihrer Worte mit einem winzigen Schmunzeln auf den Lippen und wand mich schließlich Hanni zu, um sie abzusatteln.

      Stunden später

      Vriska
      Eine kurze Einheit im Sand für gerade einmal zwanzig Minuten in der Halle, überstand ich, mit der Pony-Stute, ohne Probleme. Sie folgte nur mühselig am Schenkel, aber rang sich dazu durch, zum Schluss ihre hohe Ausbildung zu zeigen – Zumindest, was den Takt im Schritt betrifft. Vielmehr wollte ich nicht abverlangen, zu groß das Risiko, dass sie die Arbeit verweigerte. Ebenso stand vor des Fuchses Box, der noch immer die Tür zur Außenwelt seltsam fand.
      “Morgen?”, fragte ich ihn, ohne eine Antwort zu bekommen. Nicht einmal seine Ohren drehten sich zu mir, aber der Schweif pendelte immerhin ruhig.
      So verabschiedete ich mich im gedimmten Licht der Stallbeleuchtung von meinen Schützlingen, um in die Gemeinschaftsküche zu gehen. Lars und Nour waren vom Rennen zurück und wollten auf ihre Erfolge anschließen. Obwohl ich mich nach dem Kurztrip klarer im Kopf fühlte, besonders nach dem schönen Shopping-Tag in Kopenhagen – bei dem ich meinen nicht vorhanden Kleiderschrank um etwas Farbe erweiterte – herrschte zu gleichen Teilen, ein riesiges Chaos.
      „Da bist du endlich“, schmunzelte Lars, der wieder erwarten, mit Tyrell am Tisch saß.
      “Aber wo ist Nour?”, fragte ich verwirrt und setzte mich dazu. Überall lagen verteilt Zettel, bedruckt, mit kleiner Schrift und auf Schwedisch, was es für mich bei so später Stunde schwierig machte, meiner Neugier nachzukommen. Also nahm ich mir ein Bier aus dem Kasten neben mir.
      “Sie wollte noch mit Vision in die Halle”, wurde mir meine Frage beantwortet, bevor sie sich wieder ihrem Gespräch widmeten. Ich zog währenddessen mein Handy hervor. Dass ich in Malmö ein Pferd, genauer gesagt zwei, blieb offenbar nicht unbemerkt, obwohl ich es nirgendwo geteilt hatte.
      “Jetzt erzähle doch endlich”, schrieb Eskil, nach dem ich versuchte, seine Quelle zu finden. Seufzend tippte ich die Geschichte zu dem Fuchs und auch, dass ich mit ihm noch sprechen wollte. Aber warum? Ganz einfach: Mit Happy würde ich nur eine gewisse Zeit weiterkommen und bräuchte später auch seine Hilfe.
      “Gern, aber möchten wir nicht früher anfangen? Noch habe ich Platz für euch”, schlug er vor.
      “Überlege ich mir, okay?”, antwortete ich wahrheitsgemäß.
      „Nour ist an allen vorbeigezogen, als gäbe es kein Morgen“, berichtete Lars und sippte an der Bierflasche. Damit zog er wieder meine Aufmerksamkeit vom Handy weg.
      „Mh“, nickte ich abwesend, fummelte derweil das Etikett von meiner eigenen Flasche ab. „Das war dein gutes Training“, lachte Tyrell, gebeugt über bereits erwähnte Papiere, die er versuchte zu sortieren. Mittlerweile erkannt ich, dass es Ausdrucke von möglichen Hengsten für die Zuchtstuten in diesem Jahr waren. Die Liste war lang und mindestens genauso schwer zu entscheiden, was in Zukunft das Gestüt repräsentieren sollte.
      „Was ist mit dem?“, überlegte er laut, reichte dabei einen Zettel an Lars, der nur wenig Begeisterung dabei empfand. Er drehte die Augen nach oben und lehnte sich aus der bequemen Position vor.
      „Der ist cool, aber sollte mit einer ausgeglichenen Stute kombiniert werden“, sagte dieser. Ich versuchte einen Blick zu erhaschen, doch es wurde mir verwehrt. Stattdessen grinste Lars schief in meine Richtung.
      „Du hast doch gar keine Ahnung“, kommentierte er.
      „Dann bring mir doch etwas bei, anstelle mich immer außen vor zu schieben“, fauchte ich.
      Nun wurde auch Tyrell hellhörig und sah zu mir.
      „Ärger im Paradies?“
      „Also, in meinem ist alles gut“, gab Lars zu verstehen, obwohl ich aus allen möglichen Ecken gehört hatte, dass es dort ziemlich eingeschlafen war. Noch viel mehr: Seit Weihnachten konnte er nur mich ans Land gezogen haben, was angesichts seiner bisherigen Quote einen derben Verlust darstellte.
      „Dann ist gut“, murmelte unser Chef und reichte ihm ein weiteres Pferd, „den habe ich für Humbria überlegt.“
      „Für Humbria? Soll sie nicht mehr Rennen?“, kam es teils traurig, teils aufbrausend hervor. In Angesicht der Angst lief mir es kalt den Rücken herunter.
      „Nun, das hängt davon ab, wie lange du noch fährst und welche Erfolge ihr erzielt. Also sollte das nächste Woche mit euch beiden eine zuversichtliche Kombination sein, würde ich aufs nächste Jahr warten oder erst im August sie besamen lassen“, erklärte Tyrell vollkommen unbeeindruckt von meinen krampfenden Händen an der Tischkante. Das Schicksal schien es nicht gut mit mir zu meinen, wenn mir immer die Pferde abgenommen wurden, die ich am meisten mochte.
      „Wirklich? Der? Das könnte sehr blütig werden und Kraft hat die Hübsche schon genug“, Lars begann in dem Haufen zu suchen, „dieser hier könnte eine vielversprechende Kombination bringen.“
      „Der steht in Kalmar, oder?“, betrachtete Tyrell den zerknitterten Zettel. Endlich ergatterte ich ein Blick auf die ‚Breeder Bibel‘, wie sich diese Zusammenfassung nannte, bestehend aus Abstammung und Gewinnsummen. Oben stand ‚Pay My Netflix‘. Ein Mini-Netflix! Die Vorstellung erweichte mein Herz, dass der schicke Rappe einen Nachfahren bei uns hätten. In der Freude wippte mein Bein unter dem Tisch und grinste von einem zum anderen Ohr.
      „Vriska scheint begeistert“, sagte Lars und mysteriös funkelten seine Augen zu mir.
      „Das letzte halbe Jahr lässt aber zu wünschen übrig“, seufzte Tyrell, „Ich denke eher nicht, denn hier wiederum“, erreichte Lars ein weiteres Pferd.
      Das Ende vom Lied war, dass die beiden Männer sich nicht einig wurden über ein Pferd, aber für mich stand die Diskussion fest: Netflix oder kein Fohlen. Tyrell brachte die Unterlagen weg, stattdessen kam Nour dazu, die offenbar nicht lange den Hengst bewegt hatte.
      „Und wie war er?“, fragte ich, als auch sie ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank genommen hatte und am Tisch Platz nahm.
      „Ziemlich zickig, aber am Ende lief er gut“, berichtete sie, „aber, du, sage mal. Wie lange wolltest du uns den schicken Fuchs verheimlichen?“
      Da wurde ihr Bruder hellhörig, der zuvor auf sein Handy starrte.
      „Ähm, das ist das Berittpferd, dass ich mit Lina angeschaut hatte“, begann ich zu erzählen.
      „Deswegen war Niklas so schnell weg, verstehe“, unterbrach Nour meine Erzählung. Zustimmend nickte ich.
      „Und mit Happy hat es relativ gut gepasst, deswegen ist er jetzt hier.“
      „Dann hast du dein Turnierpferd? Ich freue mich so“, schwärmte sie weiter.
      „Erst mal abwarten, schließlich soll er nicht grundlos in den Beritt. So lange nerve ich euch“, auf meinen Lippen lag ein zartes Schmunzeln, denn ich wusste nicht genau, wie lange meine Laune für die Geschwindigkeit anhalten würde.
      „Oh nein, ich hoffte, dass du endlich wieder verschwindest“, scherzte Lars, „aber willst du uns das Tier nicht einmal zeigen?“
      „Ich weiß nicht, der braucht noch Ruhe, denke ich“, äußerte ich meine Zweifel. In meinem Kopf hing noch das Ereignis mit der Göttin, auch wenn durch das Training mit Osvo das Selbstvertrauen wuchs.
      „Und sonst? Wie sieht dein Plan mit ihm aus?“, drängte sich Nour in den Vordergrund. Tatsächlich hatte ich mir bereits etwas überlegt, was dem Pferd und meine reiterliche Leistung fördert.
      „Gut, dass du fragst“, grinste ich lehnte mich nach hinten, bedrohlich knarrte das Holz, aber sollte mich für gewöhnlich halten, „ich werde wieder mit Eskil trainieren.“
      „Das ist der Bruder von Jonina, oder? Sie hat erzählt, dass er überlegt, seinen Hengst hierher für die Turnierrente zu bringen“, überbrachte sie neue Informationen für mich.
      „Ja, genau. Als Lubi noch da war, hat mein Ex den Unterricht bezahlt und wir kamen gut voran miteinander. Deswegen schätze ich es als sinnvoll ein“, erklärte ich zuversichtlich, obwohl das Chaos in meinem Kopf gegenteiliges aussagte.
      „Wieso fragst du nicht mich?“, mischte sich Lars ein. Beinah synchron drehten Nour und ich uns zu ihm.
      „Seit wann gibst du Dressurstunden?“, kam sie nicht mehr aus dem Staunen heraus. Stattdessen nahm sie ihn weiter auf den Arm, mit unpassenden Sprüchen und Kommentaren, die, selbst ich, teilweise als eine Nummer zu hoch empfand.
      „Also mit Osvo hat er mir einiges beibringen können, aber denkst du, dass du mit einem Grand Prix Dressurpferd, das Menschen nicht mag, mir helfen kannst?“, versuchte ich das Gespräch zu entschärfen.
      „Die Grundlagen müssen sitzen und dann löst sich der Rest von selbst“, zuckte Lars beinah eingeschnappt mit den Schultern, „aber ich möchte verhindern, dass du unnötiges Geld ausgibst.“
      „Er macht guten Unterricht, nichts daran ist unnötig“, gab ich mir Mühe ihn zur Vernunft zu bringen, doch wie ein bockiges Kind stellte, er sich quer.
      „Die Schnösel da sind alle gleich“, behielt Lars seine Meinung.
      „Bist du eifersüchtig?“, kam auch Nour wieder zu Wort.
      „Worauf sollte ich bitte eifersüchtig sein“, zuckte er, „wisst ihr, mir ist das zu kindisch mit euch.“ Lars stand auf und wollte gehen, als ich über den Tisch nach seiner Hand griff. Mit großen grünen Augen blickt er zu mir und ich meine, das Funkeln tief darin erneut erblicken zu können. Damit erhärtete sich Nours Vermutung und triumphierend blitzte sie mich an. Ich schüttelte nur seicht den Kopf, um ihr diesen Zahn zu ziehen. Glücklicherweise kamen im selben Augenblick Lina und Mateo in den Raum.
      “Stören wir?”, scherzte der Schweizer und schob die kleine Brünette vor sich in den Raum. Sie sprühte nicht so vor Leben wie sonst, aber im Gegensatz zu heute Mittag schien ihre Stimmung minimal besser zu sein.
      “Nein, nein. Kommt rein”, lachte Lars. Sofort erhob er sich, um den beiden Platz zu machen und kam dafür ziemlich nah an mich heran. Nour blickte starr in meine Richtung, legte dabei ebenfalls ein strahlendes Lächeln auf. Was war nur los mit den allen heute?
      “Ein schickes Pferd hast du da mitgebracht, Vriska”, sprach auch Mateo den Fuchs an, nahm zwei der braunen Flaschen aus dem Kasten, öffnete diese geschickt und drückte Lina eine davon in die Hand, “und ich hörte, er kann nicht nur hübsch aussehen.”
      “Stimmt, er kann auch wunderbar auf Menschen losgehen”, konnte ich mir diese Gelegenheit nicht verkneifen, denn offenbar konnte ich mit nur einem Handgriff dieses Pferd bändigen. Sehr ironisch, denn er war alles, was ich nie in meiner Nähe haben wollte. “Aber eure Stute ist auch nicht schlecht.”
      “ Mit ihr hat Sam eine ziemlich gute Entdeckung gemacht, nicht wahr, Lina?”, lächelte der Blonde und warf der Kleinen einen sanften Blick zu.
      “Ja, Hanni ist toll”, nickte diese und wendete zurückhalten den Blick auf das Glas in ihren Händen, “aber ich muss noch ein wenig herausfinden, wie sie funktioniert.”
      „Lars gibt neuerdings Dressurstunden“, warf Nour direkt ein, woraufhin Mateo auch mit lachte. Besagter, neben mir, zuckte nervös.
      „Ganz ruhig“, flüsterte ich ihm vertraut zu und legte die Hand auf sein wippendes Bein. Obwohl es frei von jeglicher Bedeutung war, fühlte sich die innige Berührung notwendig an. Auch er hatte das Chaos in meinem Kopf mitbekommen und seinen Arm auf die Lehne hinter mir abgelegt. Für einen kurzen Augenblick schien alles so perfekt, aber da kam die Stimme in meinem Kopf wieder, die versuchte, mir ein schlechtes Gewissen zu geben. Basti wäre enttäuscht, mahnte sie. In meiner Kehle staute es sich, wie ein harter Klumpen aus Spucke hing bedrohlich fest. Je mehr ich versuchte ihn zu lösen, umso stärker wurde das kratzende Engegefühl. Aus dem Reflex musste ich husten.
      “Geht es?”, fragte Lars besorgt nach. Ich nickte. Prüfend blickte Lina mich an, vergewisserte sich ebenso meinem Wohlbefinden. Allerdings wirkte ihr Blick beinahe durchdringend, als erahne sie, was in meinem Inneren vor sich ging.
      “Passt schon, fürs Erste konnte Neele mir weiterhelfen”, ging sie schließlich auf Nours Kommentar ein. Lina war heute ungewöhnlich still, für gewöhnlich hätte sie bereits begonnen, von der Stute zu schwärmen.
      „Schätzchen, was ist denn mit dir? Du hängst da wie ein nasser Sack. Wegen deines Freundes?“, Nours Tonlage veränderte sich sofort, als auch ihr die Stille seltsam vorkam. So gern ich helfen wollte, konnte ich es nicht. Schließlich stellte ich den Grund dar.
      „Können wir ins Bett gehen?“, murmelte ich Lars zu, der sogleich verwundert, aber interessiert zu mir heruntersah. Noch bevor er antworten konnte, zischte seine Schwester: „ihr könnt nachher es noch miteinander treiben.“ Lina schwieg noch und hatte sich derweil einer lockeren Strähne gewidmet, die sie beinah hypnotisiert um den Finger drehte, mir damit das Gefühl gab, als würde mein Magen sich sogleich mit bewegen. Ich hätte besser darüber nachdenken sollen und der Gedanke, dass ich ein schlechter Einfluss für sie, bestärkte sich. Die kühle Ablehnung im Raum, setzte mir immer mehr zu, aber ich versuchte mich zusammenzureißen. Mateo legte behutsam seine Hand auf ihren Arm, was kurzzeitig für einen Stillstand sorgte. Gleichzeitig mit der Geste wiederholte er Nours Anliegen: „Was liegt dir auf der Seele? Du kannst ruhig mit uns reden.“ Zögerlich biss Lina sich auf die Unterlippe und blickte hoch, ließ den Blick Schweifen und schien letztlich alle anwesenden als Vertrauenswürdig genug zu befinden.
      „Ja, ich habe mich am Freitag mit Niklas gestritten und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Ich weiß nicht mal, wo er hin verschwunden ist“, öffnete sie sich. Bei dem Problem konnte ich behilflich sein. Vom Tisch hob ich mein Handy auf, das mit dem Bildschirm aufs Holz gedreht war. Lars schielte auf das Gerät, doch glücklicherweise lag Basti als mein Sperrbildschirm verdeckt von Benachrichtigungen, sonst wäre ihm sicherlich ein blöder Kommentar eingefallen. Stattdessen bewegten sich meine Finger zur Ortungsfunktion, in der Niklas mit bereits in Kanada hinzugefügt hatte und noch immer nicht entfernt.
      „Dein Freund ist Stockholm und bewegt sich durch den Park“, schob ich ihr mein Handy hinüber, „also schätze ich, dass er arbeitet.“ Aus dem Radio hatte ich vorhin die Nachricht aufgeschnappt, dass ein wichtiges Fußballspiel in der Hauptstadt war, und Fußballfans konnten grausame Menschen sein.
      „Danke“, murmelte Lina, wirkte immer noch gedrückt.
      „Lina, mach dir nicht so viele Gedanken, das ist ganz normal, dass man mal seine Differenzen hat. Das wird schon wieder mit deinem Freund“, sprach Mateo und legte ihr aufmunternd den Arm um die Schulter.
      “Letztlich hat er ein Problem und nicht du”, versuchte Nour ihr einen Rat zu geben, “wenn er sich derartig abhängig von dir fühlt, sollte er sein Leben überdenken. Du bist schließlich für ihn hergekommen.”
      Tatsächlich überraschte mich, dass sie davon wusste. Gut, es gehörte vermutlich zum Stallgeflüster, dennoch hatte ich vermutet, dass das Thema bereits Geschichte war. Lars rückte in dem Moment noch näher und bei seiner Schwester hob sich eine Augenbraue.
      „Wisst ihr schon die Neuigkeiten?“, wechselte sie sofort das Thema, ohne die Augen von uns zu lösen.
      “Worum geht's?“, hakte Mateo nach. Mit dem Themenwechsel entspannte Lina ein wenig und hielt ihre Finger endlich mehr oder weniger ruhig.
      „Bei den beiden geht es heiß her. Ich sage es euch, da liegt einiges im Busch“, sprach Nour siegessicher, aber ich musste meine Hand vor den Mund legen, um nicht laut loszulachen. Zugleich spürte ich Hitze in meinem Gesicht aufkommen.
      „Ich weiß nicht, welche Landschaften du besuchst, aber den Busch will ich sehen“, schüttelte Lars augenrollend den Kopf, aber sein Arm lag immer noch hinter mir. Am Nacken spürte ich die Muskeln zucken, als müsste er sich zusammenreißen. Rundum lag eine unangenehme Spannung im Raum, die mir wünschte, lösen zu können. Dafür kam aber infrage, den Fuchs vorzureiten.
      „Das nennst du eine Neuigkeit?“, schmunzelte Lina, „Ich dachte schon du hättest spannendere Informationen für uns.“
      Nun rollte seine Schwester mit den Augen, vermutlich wollte sie endlich Gewissheit haben, denn seit Weihnachten konnte sie nicht herausfinden, was gelaufen war. Viel mehr interessierte Nour auch, das noch. Lars gab sich auch äußerst Mühe, die Möglichkeit für mehr offenzuhalten. Dass meine Frage seine Hoffnung befeuerte, bemerkte ich erst jetzt.
      “Dann könnte dich interessieren, dass Tyrell Viola gekauft hat? Die Schecke Stute, die bei den Einstellern steht?”, warf sie stattdessen ein und auch wurde hellhörig.
      “Das alte Warmblut Ding?”, fragte ich verwundert.
      „Wozu das denn?“, trug Lina ebenso erstaunt eine Frage bei.
      “Er möchte ein Fohlen aus ihr ziehen und das dann teuer verkaufen, weil ihm jemand den Floh ins Ohr gesetzt hat, dass schwedische Warmblüter sehr beliebt im Ausland sind”, erklärte sie. Tatsächlich klang das nach unserem Chef, ebenso, dass das Tier auch in vier Jahren noch auf der Weide schmoren würde.
      „Das klingt ja nicht sehr durchdacht einfach mal so eine Zuchtstute anzuschaffen“, kommentierte Mateo kritisch.
      “Sage ihm das”, sagte Nour, “bestimmt darfst du die Stute erst mal reiten, schließlich muss sie auch noch zur Prüfung. Helga hat Viola nur longiert, mit Ausbindern mal ins Roundpen oder Führanlage.” Sie führte noch mehr aus, was alles mit der interessanten Scheckenstute schiefgelaufen war, aber dass die Abstammung ziemlich gut sei und ihr Vater erfolgreich Turniere lief. Während die drei Bilder von dem Hengst ansahen und schließlich auf dem Fernseher ein Video starteten, wie Viola in jüngeren gelaufen war, hatte ich wieder mein Handy gegriffen. Eskil freute sich bereits den Fuchs kennenzulernen und auch mich zu sehen. Er schickte mir ein Bild, von einem Lusitano, auch Fuchs, den er überlegt zu kaufen.
      “Der ist schick”, antwortete ich und zoomte den Hengst mehrmals heran. Die großen Augen funkelten freundlich und aufgeschlossen, aber als ein Reiter auf dem Rücken saß, lagen die Ohren eng am Genick. Ein mir bekanntes Bild. Offenbar hatten es Füchse nicht mit Menschen.
      “Er muss noch lernen”, schrieb er, “aber ich bin zuversichtlich. In einer Woche soll er aus Spanien herkommen.”

      “Und das springt dein Pony wirklich?”, stellte ich mit Erstaunen fest, als Mateo ein Video eingeschaltet hatte, von sich und Karie von einem Turnier in der Schweiz. Die Qualität war der Hammer, noch nie hatte ich so hübsch verarbeitetes Reitvideo von einer Veranstaltung sehen können, wie es gerade lief. Auch Nour, die ihre Beine nach oben gezogen hatte und auf dem Stuhl kauerte, bekam den Mund nicht mehr zu. Ob es wirklich an dem Video oder gar an dem Motiv lag, konnte ich nicht beurteilen. Sie erzählte nicht viel von ihrem Interesse, aber ich war mir fast sicher, dass sie eher Mateo nehmen würde als jemanden wie ihren Bruder. Dieser war gefangen an seinem Handy und grinste andauernd.
      „Ja, Karie, springt das wirklich. Ich kann es die Tage auch gerne mal live demonstrieren“, grinste der Schweizer selbstbewusst.
      „Oh ja! Das wäre toll. Seit meinem Sturz nehme ich lieber Abstand von dem bunten Holzstangen“, lachte ich. Dann verlange Lars nach mir.
      „Vivi?“, flüsterte in mein Ohr, während die anderen freudig über Mateos Stute sprachen.
      „Was denn so geheimnisvoll?“, funkelte ich interessiert. Es war der Alkohol, die mir den Kopf zu teilen ausschaltete und wieder auf seine dunkle Stimme reagierte, besonders so nah an mein Ohr, wenn der warme Atem die Härchen kitzelte.
      „Steht dein Wille noch?“, versuchte er sich möglichst unauffällig auszudrücken, denn Nours Lauscher waren überall. Kurz ging ich die Gespräche durch, bis mir meine Frage von vor zwei Stunden erschien. Der grundlegende Wille existierte, auch wenn mir jemand anderes an seiner Stelle wünschte.
      „Ähm“, stammelte ich unsicher, welche Antwort die richtige ist, „wieso?“
      „Ich hätte sonst“, seinen Satz sprach er nicht zu Ende, dass jemand nach ihm verlangte, wusste ich sofort.
      „Dann los“, sagte ich also mit einem Lächeln.
      „Du bist ein Schatz“, gab er zurück und sprang auf, „du hast was gut bei mir.“ Erst jetzt wurde seine Schwester aufmerksam.
      „Wo willst du hin? Und ohne Vriska?“, wunderte sie sich.
      „Nour. Ich sage es zum letzten Mal. Dein Bruder liegt außerhalb meines Interesses. Für mich zählt jemand anderes“, rollte ich mit den Augen, denn eigentlich sollte sie das wissen.
      „Ach ja, wirklich?“, hakte sie misstrauisch nach.
      „Unglaublich, puzzeln liegt dir doch gut. Vivi ist nicht grundlos schon am Freitag nach Malmö gefahren“, schüttelte Lars amüsiert den Kopf, als er in der Tür stand, fügte er noch hinzu: „Sein Name beginnt mit S, aber bei B kommst du vielleicht darauf.“
      Mir wurde wieder warm und ich vergrub das Gesicht in meinen schwitzigen Händen.
      „Das hilft nicht“, rief sie ihm nach und schwieg schließlich. Es schien, als könnte man die Zahnräder hören, wie in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit ineinandergriffen.
      „Unglaublich, dass hier immer jeder alles wissen will“, murmelte Lina und schüttelte den Kopf. Solche Worte aus ihrem Mund, dabei war sie sonst doch auch ganz vorn dabei, wenn es Geheimnisse zu erkunden gab. Aber zu Nour war sie kein Vergleich.
      “Sei kein Spielverderber. Wenn Vivi sich so sehr wünschen würde, dass es niemand weiß, wäre der Abstand zu ihrem Geliebten viel größer”, merkte sie an. So falsch lag sie damit nicht einmal, denn ich wollte es teilen, auch wenn ich mir blöd dabei vorkam, offen durch die Welt zu rennen und seinen Namen zu schreien. Das Gefühl hatte ich. Jeder sollte es wissen, mein Glück spüren und sich mitziehen lassen.
      “Leider ist er nicht mein Geliebter und in dem Sinne auch auf Abstand”, vermittelte ich entmutigt.
      „Was nicht ist, kann noch werden“, sprach Lina optimistisch, „Du darfst nur nicht vergessen, wie man spricht in seiner Gegenwart.“
      „Kann das denn wahr sein, du weißt es auch?“, beschwerte sich Nour, „Mateo, bitte, du nicht.“
      Dieser schüttelte den Kopf und erleichtert atmete sie aus. Gehüllt in ihren dunklen Strähnen, lehnte Lars Schwester sich über den Tisch, bemüht, ihre hellen Augen funkeln zu lassen.
      „Sprechen liegt mir nicht“, merkte ich derweil an, Nours Neugier ignorierend. Ihre Finger wanderten langsam zu meinem Handy, das ich noch im richtigen Augenblick vom Holz zog. So einfach sollte sie es nicht haben, wenn sie gerne puzzelt.
      „Von mir erfährst du nichts“, grinste die kleine Brünette, mir gegenüber.
      Mateo lehnte ein Stück näher an sie heran und legte ihr eine Hand auf das Knie.
      „Erfahre ich vielleicht etwas, weil es mir eigentlich egal ist?”, sprach er, ein charmantes Lächeln auf den Lippen, die Augen fest an ihre geheftet.
      „Nein, du auch nicht“, entgegnete sie zuckersüß und lehnte sich auch ein Stück zu ihm hinüber, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Doch dies war nicht so leise, wie sie dachte, bei der Stille im Raum: „Da helfen dir auch deine hübschen Augen nicht weiter.“
      “Immerhin”, tönte Nour zur gleichen Zeit. Ihre Aufmerksamkeit galt im nächsten Moment nicht mehr mir. Keuchend schob sie sich über die Tischplatte zurück auf ihren Platz und faltete die Beine übereinander.
      “Uh, ihr beiden Süßen”, kicherte Nour, “so gefällt mir das. Hoffentlich müsst ihr heute nicht allein sein.”
      “Du kannst nicht jeden verkuppeln, wie es dir passt. Wie wäre es, wenn wir dir mal jemanden suchen?”, versuchte ich sie von den beiden abzubringen, denn etwas mehr Diskretion wäre angebracht. Wie ein Reh im Lichtkegel eines Autoscheinwerfers erstarrte Lina für ein paar Sekunden, bevor sie ebenso hastig Mateos Hand entfernte.
      “Auf keinen Fall! Viel zu anstrengend, mir reichen die Pferde, um glücklich und erfüllt sein”, äußerte sich Lars Schwester sehr zielgerichtet.
      „Interessant, keinen anderen Menschen in deinem Leben? “, fragte Mateo interessiert, der sich im Gegensatz zu Lina nur wenig ertappt zu fühlen schien.
      “Nein, nie. Also klar, Papa ist da und Lars”, zuckte sie mit den Schultern, “Ich sehe doch, wie sehr ihr euch alle quält. Die eine kann nicht reden”, dabei sah sich mit einer schnellen Bewegung zu mir hinüber, “die eine macht sich Schuldgefühle, weil ihr Freund ein Arsch ist”, nun kam Lina an die Reihe, “und der andere verschwindet, um irgendwen die halbe Nacht flachzulegen. Nur, um Morgen vollkommen übermüdet mit den Pferden zu arbeiten und ich muss dem alles hinterherräumen. Aber du”, nun blickte sie zu Mateo, “dich kenne ich nicht gut genug.”
      „Schön, dass du kein vernichtendes Urteil über mein Liebesleben hast. Das soll ruhig so bleiben“, lachte er, „Aber zum eigentlichen Punkt: Da mögen gute Gegenargumente sein, aber hast du auch die Vorteile im Blick?“
      “Vorteile? Mich reizt nichts daran, außerdem habe doch euch und wenn Papa oder Lars entscheiden, wieder den Hof zu wechseln, dann lerne ich neue Leute kennen. Das reicht mir. Nur Walker werde ich mitnehmen, komme, was wolle!”, triumphierend drückte sie die Wangen nach oben und tiefe Falten bildeten sich auf der sonst glatten Stirn in ihrem anschaulichen Gesicht. Nur für einen Augenblick musterte ich sie, denn dann wollte mein Handy Aufmerksamkeit. Unglaublich, wer wollte etwas um die Uhrzeit?
      Euphorisch nahm ich es vom Polster hoch, auf das ich es zum Schutz vor Nour abgelegt hatte. Auf dem vollkommen überfüllten Bildschirm, leuchtete ganz oben eine Nachricht von Niklas, die ich nun wirklich nicht erwartet habe. Erst als das Schloss sich öffnete durch mein Gesicht, kam ein Teil davon zum Vorschein: “Tut mir leid. Ich habe etwas Falsches getan. Bist du noch wach?” Hell erregt begann mein Herz zu schlagen und die Atmung wurde stärker. Wie eine Motte angezogen vom Licht, starrte ich auf das Gerät, selbst, als der Energiesparmodus den Bildschirm erlosch.
      „Was ist los, Vriska, ein Gespenst oder dein Angebeteter?“, fragte Lina und blickte mich forschen an.
      “Eher ein Gespenst”, stammelte ich verunsichert. Ihr, die Wahrheit zu sagen, erschien mir richtig, aber je nachdem, was er Falsches getan hatte, könnte es ihre Grundmauern erschüttern.
      „Okay …“, sprach sie argwöhnisch, „Soll ich fragen, was dich so aus dem Konzept bringt?“
      Vielleicht war es Zeit, mit offenen Karten zu spielen. Im Chat gab es bis auf Floskeln nichts zu lesen, dass Lina weiter verunsichern könnte, deswegen seufzte ich und schob ihr in Zeitlupe das Gerät hinüber. Es benötige gerade einmal zwei Sekunden, bis ihr das Lächeln vollständig entglitt und einem undefinierbaren Ausdruck Platz machte. Mehrfach konnte ich beobachten, wie ihre Augen über den Bildschirm flogen, als bildeten die wenigen Buchstaben fürchterlich komplizierte Worte.
      „Willst du … wollen wir ihm antworten?“, fragte ich vorsichtig und sah dabei mir deutlicher Hilfslosigkeit zu Mateo, der sich aus seiner Position aufrappelte und ebenfalls ein Blick auf mein Handy warf.
      Kaum hatte er gelesen, was dort geschrieben stand, blickt er Lina voller Sorge an und griff nach ihrer Hand. Diesmal hatte seine Geste ihren amourösen Charakter verloren, war nur noch rein freundschaftlich.
      „Du weißt, dass es unschön werden könnte?“, vergewisserte er sich einfühlsam, dass die Kleine vorbereitet war, auf das, was folgen könnte, „Willst du, dass Vriska ihm?“ Einige Sekunden überlegte sie, krallte sich dabei dermaßen an dem ihr geboten Arm fest, dass ihre Fingerknöchel hell unter der Haut hervortraten. Als ich schon beinahe glaubte, die habe aufgehört zu atmen, so blass wie sie wurde, erklang ihr zartes Stimmchen, zitternd vor Furcht: „Ja.“
      Seufzend zog ich mein Handy zurück und fragte nach, was er zu so später Stunde noch für ein Anliegen hatte. Sogleich kam eine Antwort. Entgegen meinen Erwartungen schenkte Nour der ganzen Angelegenheit nicht einen müden Blick, hing stattdessen selbst am Handy.
      „Lars‘ Bekanntschaft ist ziemlich hübsch“, merkte sie beiläufig an, aber wir schwiegen.
      Meine Augen überflogen grob Niklas‘ Nachricht, bevor ich es zu Lina über den Tisch gab. Er schrieb, dass er nie wieder so sein wollte, wie er es aktuell ist. Viele Dinge hatten sich in ihm aufgestaut und dazu zählte auch meine Beziehung zu Erik, die nicht zu plötzlich ein Ende fand, sondern auch schon länger bröckelte, nur wusste ich nichts davon. Niklas hütete ein böses Geheimnis, dass ihn ans Ende seiner Nerven brachte. Mein Leid ertrug er nicht, eben so wenig meine Anwesenheit, weil es ihn, an sein Versagen erinnerte. Er liebte Lina, aber konnte nicht auf dem Gestüt so viel Zeit verbringen. Von mir wünschte er sich einen Tipp, wie er es besprechen könnte, dass sie zusammen auswärts ein Grundstück suchten. Innerlich zitterte alles. Ich traute Lina zu, so einer dümmlichen Idee zuzustimmen, aber meine egoistische Persönlichkeit wollte dies verhindern.
      „Wenn du gehst, esse ich dein Pferd“, kam es vollkommen unreflektiert über meine Lippen.
      „Was!?“, fragte sie erschüttert, starrte mich mit geweiteten Augen an und zerquetsche Mateo, dessen Arm gerade ein wenig Erholung errungen hatte, dies erneut.
      „Hast du gerade gesagt, du willst mein Pferd essen? Du, die Fleisch nicht mal anfasst!“, begann sie zu kichern, nachdem sie über den Wortlaut nachdachte.
      „Grundsätzlich fasse ich es an. Es kommt nur darauf an - welches“, da musste auch Nour schmunzeln, die das Gespräch nun doch heimlich belauscht hatte. „Aber ja, ich werde es essen!“ Demonstrativ nahm ich ein Teller aus dem Regal neben mir, als würde ich mich schon darauf vorbereiten, Ivy blutig zu servieren.
      „Ah ja, ich glaube auch“, japste sie nach Luft und kringelte sich beinahe vor Lachen. Um meine nicht vorhandene Ernsthaftigkeit zu untermalen, suchte ich Vidar aus den Kontakten, tippte auf Message und schrieb in aller Seelenruhe:
      > Skulle du slakta en häst åt mig?
      „Würdest du für mich ein Pferd schlachten?“
      Mein Finger schwebte über dem blauen Pfeil, als Lina, so schnell sie konnte, den Button auf der rechten Seite zu drücken wusste.
      „Untersteh dich! Sonst gehe ich zu Basti petzen“, fauchte sie scherzhaft und versuchte wieder zu normaler Atmung zu gelangen, was angesichts der Situation schwieriger wurde.
      „Warte. Vivi? Sage mir jetzt bitte nicht … Oh Gott! Das ist so niedlich“, kam das neugierige Wesen aus seinem Schneckenhaus in ganzer Blüte heraus. Auch sie lachte herzlich.
      „Du bist gemein!“ Mein Gesicht kochte förmlich vor Scham und ich hatte mir ganz anderes vorgestellt, wie Nour das Puzzle lösen würde. Währenddessen schlug ich meine Stirn auf die Tischplatte und versuchte die Situation zu verdrängen.
      „Das ist nur ein Traum“, murmelte ich ganz oft nacheinander, hoffend, dass es so sein würde. Dass der Kopf pochte wie ein Schweizer Uhrwerk, half dabei weniger.
      „Nein, da muss ich dich enttäuschen. Es ist die Realität“, trug Mateo wenig hilfreich zu der Konversation mit mir selbst bei.
      „Und wenn du Lina drohst, dann können wir das auch“, setzte mich die Schwarzhaarige nun unter Druck. Sie tippte auf ihrem Handy herum, was ich hörte, da ihre Fingernägel immer wieder hektisch den Bildschirm berührten, dabei sprach sie jedes Wort mit: „Hej Basti, ich entschuldige die späte Störung, aber es gibt ein Problem. Meine Kollegin, Vivi, du müsstest dich noch an sie erinnern, die für mich Walker gefahren ist, kann ohne dich nicht leben und …“
      „Stopp“, schrie ich verzweifelt, denn Nour traute ich zu, solch eine teuflische Nachricht abzusenden. Also entsperrte ich sogleich mein Handy und schüttelte es, um die verfasste Nachricht, aus dem Textfeld zu löschen, „so, bitte. Weg.“ Dann schloss ich den Chat.
      „Ivy wird nicht gegessen, das schwöre ich hoch und heilig“, nahm ich noch stärker eine Verteidigungshaltung ein. Die Finger zitterten nervös, so sehr, dass mir mein Handy entglitt und von der Tischplatte auf den Boden fiel. Sofort krabbelte ich unter den Tisch, bemerkte, dass Linas linke Hand nicht mehr ganz da lag, wo sie ursprünglich lag.
      „Aha“, rief ich aus und stieß mir höllisch den Kopf an dem Holz über mir. Ihre Hand zuckte aus seinem Schritt weg, wieder auf den eigenen Oberschenkel.
      „Aha, der Tisch ist noch immer sehr massiv?“, fragte die Kleine mit engelsgleicher Miene.
      „Genau, der Tisch“, betonte ich besonders ihre unschuldige Art, „aber wenn die neuerdings aus Fleisch sind, dann gehe ich nun lieber.“
      Tatsächlich wollte ich ins Bett, um möglichen Fragen ausweichen zu können, aber Nour wedelte fröhlich mit ihrem Handy in der Luft.
      „Wir sind noch nicht fertig“, lachte sie boshaft und brav, wie in der Schule, setzte ich mich ordentlich zurück auf meinen Platz.
      „Oh, was hast du denn vor?“ Lina schien augenblicklich Feuer und Flamme für das, was Nour offenbar wusste. Dass sie es lediglich als Druckmittel für mehr Informationen über ihren Bruder und mich nutze, konnte Lina noch nicht wissen.
      „Wir müssen das mit deinem Freund klären, nicht, dass Vivi eventuell stückweise dir von deinem edlen Ross nimmt“, scherzte Nour und nahm mein Handy, das natürlich versperrt war.
      „Aha, so ist das also“, scherzte sie. Wie in Ekstase hatte sie die Benachrichtigung nach rechts gewischt und bekam damit Sicht auf das furchtbare Handybild, dass ich mehr oder weniger heimlich am Rand des Geläufs geschossen hatte.
      „Jetzt ist es nichts Neues mehr“, rollte ich mit den Augen.
      „So, was schreiben wir ihm?“, Nour blickte zu Lina, die ernsthaft wieder mit ihrer Hand an Mateos Bein zu schaffen hatte.
      „Ähm“, stammelte sie ertappt.
      „Warte“, sagte ich plötzlich, als eine Information im Rechenzentrum ankam, „wie bist du in mein Handy gekommen? Das war gesperrt.“
      Überlegen schenke Nour mir ein schräges Lächeln, bevor sie sich wieder an Lina richtete.
      „Kommt darauf, an was du erzielen möchtest“, verwirrt darüber, was ihr Gegenüber erwartete.
      „Es ist dein Freund? Was sollte ich erzielen wollen“, zuckte Lars‘ Schwester mit ihren Schultern.
      “Weiß ich’s? Du scheinst viel Freude daran zu haben, bei derartigen Angelegenheiten mitzumischen”, zuckte sie mit den Schultern. Von allen Geistern verlassen, drehte Nour sich zu ihr. “Jedenfalls kannst du ihm schreiben, dass es nicht okay ist, einfach zu verschwinden und seiner Freundin nicht mal ein Lebenszeichen zu hinterlassen”, sprach sie, während Nour eifrig auf dem Bildschirm tippte, “aber sein Anliegen betreffend, wären Offenheit und Ehrlichkeit angebracht.”
      „Okay, passt das so?“, zusammen lasen sie es, bevor ich mein Gerät zurückbekam. Ich schloss nur das Fenster und versuchte meine Neugier zu zügeln, welch boshafte Nachricht vermeintlich ich, gesendet hatte.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 49.815 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende Februar 2021}
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugonio | 07. September 2022

      Maxou / Northumbria / Wunderkind / Moonwalker LDS / WHC’ Golden Duskk / Planetenfrost LDS / Global Vision / Satz des Pythagoras / Pay My Netflix / Osvominae / Just A Bear

      Lina
      Mit dröhnendem Schädel erwachte ich, als ein Vogel unmittelbar vor meinem Fenster sein schrilles Lied anstimmte. Mühsam öffnete ich die Augen, blinzelte in das Sonnenlicht, welches sich durch die Vorhänge zwängte. Gestern Abend mussten rege Mengen an Alkohol, denn alles in meinem Kopf war verschwommen, was den gestrigen Abend betraf und der Weg in mein Bett komplett verschwunden. Schwerfällig kugelte ich mich zur Seite und angelte mein Handy vom Nachttisch. Acht Uhr siebenundzwanzig leuchte auf dem Bildschirm. Darunter eine Benachrichtigung von der bekannten App mit dem Telefonhörer in der Sprechblase. Mein Freund hatte sich endlich auch mal bei mir gemeldet, teilte mit, dass er gegen zehn hier sein wollte. Ebenso entschuldigte er sich, dass er mir nicht antwortete, aber er habe ein wenig Abstand gebraucht. Wie ich Niklas Worte las, lichte sich der Dunst in meinem Kopf ein wenig. Relativ spät gestern Abend meldete er sich bei Vriska, erklärte sein absonderliches Verhalten ihr Gegenüber und erbat letztlich einen Rat von ihr. Einen solchen bekam er auch, allerdings wollte mein Kopf, die Worte, welche Nour auf mein Anraten schrieb, nicht freigeben.
      “Fuck”, murmelte ich, als mir dafür ganz andere Bilder in den Kopf kamen. Im Laufe des Abends hatte ich Mateos Annäherungsversuche nicht nur zugelassen, sondern war offenbar selbst offensiver geworden. Wäre Samu dabei gewesen, wäre spätestens das der Punkt gewesen, an dem er mir aus guten Gründen den Alkohol wegzunehmen pflegte. Hoffentlich hatte ich gestern nicht dummes getan. Verzweifelt versuchte ich den Dunst in meinem Kopf aufzulösen, doch das Einzige, was ich wahrnahm, war das schrille Gezwitscher von draußen. Warum mussten die Viecher denn so furchtbar laut sein.
      Langsam quälte ich mich aus dem Bett und tapste schnurstracks ins Badezimmer, wo ich zielsicher in den Medikamentenschrank griff. Aus dem Blister drückte ich eine der weißen Tabletten heraus, schluckte sie mir reichlich Wasser. Das sollte schnell gegen das Hämmern hinter meiner Stirn helfen. “Okay, Lina, denk nach”, murmelte ich zu meinem Spiegelbild und spritze mit etwas kaltes Wasser ins Gesicht, “Wenn du dich nicht erinnerst … “ Es dauerte wirklich lange, doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Mateo könnte meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Diese Erkenntnis ließ meinen inneren Drang zu erfahren, was gestern Abend passiert, wieder aufleben. Eilig lief ich zurück in mein Zimmer, um mir schnell etwas überzuwerfen. Gerade als ich aus der Tür getreten war, hörte ich bereits Schritte, die sich näherten.
      “Ah, das Dornröschen ist bereits erwacht. Guten Morgen”, grüßte der Schweizer freundlich, nach dem ich mich gerade auf die Suche machen wollte. Doch er war nicht allein, denn Vriska lief an seiner Seite.
      “Guten Morgen”, entgegnete ich ein wenig irritiert, was die beiden vor meine Haustür brachte,” Was führt euch zu mir?” Es konnte schließlich nicht möglich sein, dass sie meine Gedanken lesen konnten. Oder waren Vriskas Hexenkräfte doch so weitreichend?
      “Ich wollte sehen, ob du mittlerweile lebendig bist, nachdem du vorhin nicht wach zu bekommen warst”, erklärte Mateo.
      “Nicht wach zu bekommen?”, wiederholte ich seine Worte. Hieß das etwa, er hatte bei mir geschlafen? Warum erinnerte ich mich daran nicht? “Warum wolltest du mich überhaupt wecken?” Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, kam sie mir auch gleich ein wenig doof vor.
      “Schon mal auf die Uhr gesehen?”, lachte er, “Die Pferde hatten Hunger und die Prinzessen hätten eigentlich füttern sollen, aber lass uns doch erst einmal hereingehen, bevor du weiter unnötige Fragen stellst.” Mit diesen Worten schob er mich zurück in die Hütte und auch Vriska trotte hinterher und ließ sich direkt auf einen Stuhl fallen.
      “Hast du schon gefrühstückt?”, fragte Mateo und war einen Blick in den Kühlschrank, als fühle er sich hier ganz wie zu Hause. Ich verneinte, woraufhin er die Kaffeemaschine einschaltete und begann verschiedene Dinge zusammenzusuchen. Früchte, Haferflocken, Joghurt.
      “Möchtest du auch etwas essen, Vriska? Dann mache ich für dich etwas extra”, bot er ihr zuvorkommend an.
      „Lieb gemeint, aber nein“, schüttelte sie den Kopf, „habe genug an mir.“ Dabei deutete Vriska auf ihre Beine, die noch immer dünn wie Streichholz waren, kein Vergleich zu Mateos Muskulatur.
      “Rede doch nicht immer so einen Quatsch. Du vollkommen in Ordnung, wie du bist”, tadelte ich sie. Es war immer wieder besorgniserregend, wie hart sie über sich selbst urteilte, obwohl es nicht mal einen wirklichen Grund dafür gab.
      „Lars hat gesagt, dass ich zugenommen habe, deswegen lasse ich Frühstück wieder weg“, murmelte sie in sich gekehrt und seltsam abwesend. Schon als beide ankamen, wirkte sie eine wandelnde Leiche und hing ebenso im Holzstuhl mit einem Arm über der Lehne, ihren Kopf darauf abgelegt.
      “Hat Lars noch mehr doofe Sachen gesagt oder was ist los mit dir, Vriskalein?”, versuchte ich ihr einfühlsam auf den Zahn zu fühlen.
      „Als er wiederkam, bin ich ihm aus unerklärlichen Gründen um den Hals gefallen und dann… es ging alles so schnell. Ich fühle mich schuldig und dreckig, obwohl wir nur das Bett noch teilen“, seufzte sie niedergeschlagen. Beinahe wäre mir herausgerutscht, dass sie im Gegensatz zu mir wenigstens wusste, wie ihr Abend endete, doch das wäre hier nur wenig zielführend und ehrlich gesagt, schämte ich mich dafür.
      “Dafür brauchst du dich nicht schuldig dafür fühlen. Gefühle und Bedürfnisse sind nicht immer logisch und es ist ja nicht so als hättest du Lars dazu genötigt”, versuchte ich sie aufzumuntern.
      „Es ist wegen Basti!“, jämmerlich zitterte Vriskas Stimme, wie die eines alten Schlosshundes.
      “Ach Süße, der Mann weiß gerade einmal so, dass du existierst. Es ist demnach ein wenig früh, sich Gedanken darum zu machen, was er davon hält, dass du auch noch etwas mit einem anderen hast”, versuchte ich ihr näherzubringen, dass es keinerlei Grund für ihr Empfinden gab. Wenn sich hier jemand schlecht fühlen musste, war das wohl eher ich, schließlich hatte ich, trotz meiner Beziehung, meine Finger nicht unter Kontrolle. Ein unangenehmes Drücken entstand in meinem Bauch, wenn ich daran dachte, dass ich Niklas betrogen haben könnte.
      „Dennoch fühlt es wie Verrat an. Aber immerhin ihr beide seid vernünftig geblieben“, seicht legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Unsicher schielte ich zu Mateo hinüber, versuchte eine Reaktion abzulesen. Entweder hatte der Kerl ein verdammt gutes Pokerface oder es war wirklich nicht viel passiert, denn er schnippelte fröhlich sein Obst, unterbrach nur kurz, um Vriska eine aromatisch duftende Tasse hinzustellen. Die Option, dass er nicht zugehört hatte, schloss ich kategorisch aus, da man keine zwei Meter mitbekommen musste, was gesprochen wurde.
      “Ja, genau”, nickte ich und versuchte meine Unwissenheit über diese Aussage zu überspielen, doch ich spürte, wie mein Puls ein wenig anstieg.
      „Wenn man nur sinnig entscheiden könnte, bei dem ganzen Testosteron“, warf Vriska mit Floskeln um sich, nur, um die verbrühte Zunge an der Luft zu kühlen.
      “Ja, wenn das nur so einfach wäre”, sprach ich zustimmend, denn Unrecht hatte sie nicht. Es gab Tage an denen wusste man nicht, wo einem der Kopf stand. Mateo hatte die Schüsseln mit dem Frühstück inzwischen fertig, stellte beide auf den Tisch.
      “Mädels, ich kann euch sagen, als Mann hat man es auch nicht so viel einfacher”, brachte er sich nun auch in die Konversation ein und setzte sich mit seinem Kaffee dazu. Interessiert beschaute ich den Inhalt meiner Schüssel. Aus den paar einfachen Zutaten hatte der Schweizer eine simple, aber recht ansehnliche Fruchtbowle gezaubert, einzig die Menge schien mir für ein zartes Persönchen wie mich ein wenig überdimensioniert.
      „Wer weiß das schon, ihr bleibt hinter verschlossenen Türen, als wären Gefühle eine unantastbare Sache“, zuckte Vriska mit den Schultern. Unter dem Tisch wippte unterdessen ihr Bein und die Finger zitterten an der Tasse. Um ihr ein Gefühl von Ruhe zu vermitteln und in der Hoffnung, dass sie die Bewegung unterließ, legte ich meine Hand auf ihr Knie. Ein Stillstand trat ein, doch hielt er nur für wenige Sekunden, bis das Wippen erneut begann.
      „Also so gefühlskalte Wesen sind wir nun auch wieder nicht“, versuchte der Schweizer sein Geschlecht zu verteidigen, „viele von uns sind nur … emotional unbeholfen.“
      „Von kalt war nie die Rede, sondern unantastbar, verschlossen“, merkte sie erneut an. Den Oberkörper drehte sie wieder weg, irgendwie war Vriska seltsam, verändert, aber zum Alten.
      “Ist sonst alles in Ordnung bei dir?”, probierte ich der Sache auf den Grund zu gehen, “du wirkst so unruhig heute.”
      „Es ist das schlechte Gewissen. Tut mir leid“, murmelte sie mir zu, wohl wissend, dass wir bereits darüber sprachen, seufzte Vriska laut und warf einen leidenden Blick über den Tisch. Ich war mir beinahe sicher, dass mehr bewegte, als sie offenbarte.
      “Schon okay”, entgegnete ich sanft, “Sag einfach, wenn man dir etwas Gutes tun kann.” So gerne würde ich etwas tun, dass sich Vriska nicht mehr so mies fühlte, doch es schien nicht leicht.
      „Erik hat mir vorhin geschrieben. Schon wieder“, kamen wir der Sache langsam näher. Es wirkte nachvollziehbarer, warum sie auf dem Sprung war, die Tür im Auge hatte und kaum stillsaß.
      „Er vermisst mich. Aber er soll einfach nur … sich in Luft auflösen“, erklärte Vriska im nächsten Atemzug, bevor ich spezifische Fragen stellen konnte. Mateo blickte fragend von dem Mobilgerät auf, dem er sich zwischenzeitlich widmete. Natürlich wusste er nicht, warum es ging, schließlich geschah das ganze Drama vor seiner Ankunft auf dem Hof. Doch jetzt war nicht die Zeit für Erklärungen.
      „Kann ich verstehen“, sagte ich zustimmend. Nach all dem, was sie durchmachte, war es zu gut nachzuvollziehen, dass sie sich das Ende seiner Existenz wünschte. Dass er gerade jetzt wieder auftauchte, wo sie begann nach vorzusehen und sich neu zu orientieren, brachte in ihrem Inneren sicher einiges durcheinander. Zumindest würde es mir so ergehen würde mein Ex plötzlich wieder auftauchen.
      „Aber warte … Schon wieder, seit wann schreibt er dir?“, fragte ich nach, als mein Kopf die Information vollständig zu erfassen begann.
      „Einmal die Woche kommt mal eine Nachricht, Anfang des Jahres habe ich auch noch geantwortet, aber mittlerweile …“, Vriska seufzte abermals und wühlte das Handy aus der Tasche, „nur über Bilder von Trymr freue ich mich.“ Sie zeigte mir den Chat, der sehr dominant von Nachrichten ihres Ex-Freundes war. Aber recht hatte sie, die Bilder waren niedlich. Zwischendrin gab es Antworten von ihr, wenn eine spezifische Frage gestellt wurde, oder ein ‚ich dich auch‘.
      „Du hängst noch an ihm, nicht?“, fragte ich vorsichtig. Es musste so sein, anders konnte ich mir nicht erklären, warum sie die Nachrichten nicht einfach ins Leere laufen ließ.
      “Er war, nein ist, ein toller Mensch, nur sollte er an seiner Offenheit arbeiten. Vermutlich kamen zu viele Sachen auf einmal, dass es nicht funktioniert hat”, schönte Vriska die Realität. Noch weitere Ansätze kamen, die alle darauf hinausliefen, dass sie das Problem war und Erik von nichts alle dem wollte.
      “Darf ich mich kurz einmischen?”, unterbrach Mateo den schier endlosen Schwall an Begründungen, der ihren Mund verließ, “Ich weiß zwar nicht, was genau zwischen euch vorgefallen ist, aber Vriska, wenn eine Beziehung nicht funktioniert, gehören immer zwei dazu. Mach’ dich nicht selbst schlecht, indem du all die Schuld auf dich nimmst.”
      “Mh?”, brummte sie überrascht, als hätte sie nicht damit gerechnet, dass jemand sie unterbrechen würde. Ihre Stimmung ungewöhnlich versöhnlich. “Ach, ich bin nun mal so.”
      “Ja und du bist gut, wie du bist. Auch wenn du manchmal herausfordernd und anstrengend sein magst, aber ganz ehrlich, eine bessere Freundin als dich könnte ich mir kaum wünschen,” sprach ich, obwohl es dem Gespräch vermutlich nur wenig zuträglich war. Doch der Drang überkam mich, die Worte auszusprechen, die Vriska lang schon einmal hätte, hören müssen. Auffällig langsam beugte sie sich zu Mateo hinüber, ohne die Augen meinen zu lösen.
      „Hast du etwas in ihr Essen gemischt? So kenne ich sie gar nicht“, murmelte sie ihm zu.
      “Nein, weder Zucker noch Zaubermittel”, schüttelte dieser nur lachend den blonden Schopf. Verdrießlich rollte ich mit den Augen und stopfte mir einen beladenen Löffel in den Mund. Wirklich schön, wie solche Worte hier wertgeschätzt wurden.
      „Nun gut“, richtete Vriska sich wieder an mich, „ich könnte dir mindestens drei Gründe nennen, wieso man mich nicht als Freundin haben sollte, aber gut. So sei es.“
      Sie erhob sich aus dem Stuhl und tigerte um die Couch, als würde sie etwas suchen. Unter jedem Schritt knarrten die Dielen, die Haare schwangen locker von einer Seite zur anderen. Auch mit den Armen spielte sie, nur um uns zu zeigen, dass wir uns beeilen sollten.
      „Imitierst du eine Koralle oder was wird das?“, scherzte ich. Obwohl ich nach gerade einmal der Hälfte der Schüssel beinahe satt war, sah ich nur wenig ein, warum ich schneller machen sollte ohne einen ersichtlichen Grund.
      „Nein, es ist nur komisch hier zu sein. Vor allem, wenn du nachts auch noch anderen Männerbesuch hast“, merkte sie trocken an und schielte zu Mateo. Während ich versuchte Vriska aufzumuntern, hatte ich beinahe vergessen, dass neuen ursprünglichen Mission etwas anderem galt und begann heftig zu husten bei der plötzlichen Erwähnung dieses Sachverhaltes, weil ich aus Versehen einige Haferflocken einatmete.
      „Nicht ablenken!“, lachte Vriska.
      „Tu ich nicht“, japste ich nach Luft und nahm einen großen Schluck aus dem Wasserglas, welches Mateo mir anreichte. Vriska blickte mich die ganz Zeit dabei an, wie ein hungriges Krokodil, welches seine Beute ausspähte. Ich seufzte, sie würde nicht aufgeben, bevor sie nicht wenigstens ansatzweise erfuhr, was gestern geschah.
      „Also was das angeht, muss ich gestehen …, dass mir möglicherweise … entfallen ist, was gestern noch so passierte“, murmelte ich undeutlich und spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Noch peinlicher, dass gestern überhaupt etwas passierte war, dass ich es vergaß.
      „Dabei kann ich dir wohl aushelfen“, grinste Mateo und blickte mich unmittelbar an, mit seinen geheimnisvollen Augen.
      „Maaateo, jetzt sag schon“, jammerte ich. Es war mir noch nie passiert, dass ich so vollständig eine Nacht vergaß wie diese, denn normalerweise fehlten mir, wenn, nur wenig Minuten.
      „Sicher, dass du das nicht deiner Fantasie überlassen willst?“, schmunzelte er und schien seine Überlegenheit regelrecht zu genießen.
      „Ja, weil meine Fantasie sagt, dass ich ein ganz schrecklicher Mensch bin“, beklagte ich, als der Knoten in meinem Bauch zurückkehrte. Was, wenn ich wirklich mit Mateo geschlafen hatte? Wie sollte ich das nur meinem Freund erklären? Und was wäre … Nein, an die Konsequenzen wollte ich lieber gar nicht erst denken.
      “Süße, du kannst gleich aufhören, so ein Quatsch zu denken. Es ist gestern nämlich gar nichts passiert, weswegen du dir Sorgen machen müsstest”, sprach er, doch ich war noch nicht komplett beruhigt. Wer wusste schon, wie der Schweizer “nichts passiert” definierte.
      “Könntest du ein wenig konkreter werden?”, nuschelte ich. Es war bereits unangenehm genug mit Mateo darüber reden zu müssen, doch dass Vriska hoch interessiert am Sofa lehnte, brachte mein Blutdruck nicht gerade runter.
      “Soll Vriska gehen? Du siehst so danach aus”, fragte er rücksichtsvoll. Wenn ich richtig lag, hatte mein Kopf vermutlich die Farbe einer Tomate, doch ich schüttelte nur hektisch mit dem Kopf. Selbst wenn man Vriska hieraus bekommen würde, fragte sie sicher ohnehin noch einmal nach.
      “Na dann”, zuckte er nur mit den Schultern, “aber mach dir keine Sorge, die Klamotten sind angeblieben, die meisten zumindest.” Bei den letzten Worten zwinkerte er schelmisch. Was gestern passierte, schien demnach zumindest einem Spaß bereitet zu haben. Mateo erzählte weiter von dem Abend. Offenbar saßen wir alle noch eine ganze Weile in der Küche, bevor Vriska sich schließlich ins Bett verabschiedete und auch Nour ihr Hochgestimmt folgte. Unser beider Weg führte dann wohl hierher, genauer gesagt auf das Sofa, wo wir noch eine halbe Flasche Wein leerten, bis ich schließlich auf seinem Schoß einschlief.
      Mit seinen Worten blitzten verschwommen in meinem Gedächtnis auf. Seine Finger, die sanft über meine Haut strichen, Worte der süßen Verführung … und wow, was sich unter dem lockeren Pulli verbarg, konnte sich sehen lassen. Hör auf, du hast einen äußerst ansehnlichen Freund, bot ich mir selbst Einhalt, bevor mein Gedanken abdriftete.
      Ein Rest eines schlechten Gewissens verblieb, auch wenn eine gewisse körperliche Grenze nicht überschritten wurde. Mein Handeln war moralisch definitiv nicht einwandfrei und passte ebenso wenig in mein stark romantisiert Vorstellung vom Leben. In meine kleine Traumwelt gab es keinen Platz für Fehltritte. Doch ich musste immer wieder einsehen, dass die Realität so nicht funktionierte.

      Später im Stall
      Vriska
      Eigentlich wollte ich Eriks Nachrichten nicht lesen oder gar zu Herzen nehmen, aber Zuge meiner geistigen Umnachtung, fiel es mir schwer, überhaupt klar zu werden. Ich stand vor Maxous Box, hoch motiviert, die Ponystute herauszuholen an der Doppellonge etwas zu tun, doch da setzte mir Lars einen Strich durch die Rechnung.
      „Wunderkind müsste noch bewegt werden“, sagte er mir, die Stimme gereizt und der Gesichtsausdruck kühl. Vor knapp einer Stunde war noch alles okay, wie konnte er derart verärgert sein?
      „Aber wollte Nour …“, meinen Satz durfte ich nicht zu Ende sprechen, denn er unterbrach mich sogleich, „die jammert wieder wegen ihres Arms und sitzt auf der Couch. Papa hat auch keine Lust. Also sagst du mir nicht auch noch ab.“
      „Natürlich bewege ich ihn, kein Problem, aber was hat dich denn gebissen?“, versuchte ich ihn zu besänftigen.
      „Es nervt einfach“, seufzte Lars und ließ sich laut auf die Bank hinter sich fallen. Die Augen sprachen mehr als Worte. Beinah geblendet von dem anziehenden Grünton, bemerkte ich seine Enttäuschung und quälende Gedanken.
      „Was nervt dich denn?“, fragte ich, setzte mich schließlich zu ihm.
      „Danke, dass du fragst. Ganz ehrlich“, liebevoll legte sich ein zartes Lächeln auf seine Lippen, während Lars einen Arm um meine Schultern legte und mich zu sich heranzog. „Es ist ziemlich viel zu tun und es gibt Interessenten aus Amerika an ihm. Die wollen jedoch aktuelle Rennergebnisse und Wunder lief zuletzt im Oktober. Nour weigert sich mehr als ein Rennen zu fahren, sieht es auch nicht ein, dass Walker am Sonntag zu Hause bleibt. Ich habe bereits Vision, Plano, Dustin und Eifellust. Natürlich könntest du ihn fahren, aber ich weiß nicht, ob du das nötige Etwas herauskitzeln kannst aus ihm.“
      „Und wenn du es mir zeigst? Wir müssen doch erst morgen die Nennungen einreichen“, schlug ich vor. Nachdenklich nickte er langsam.
      „Aber dann müsstest du mit Humbria noch warten, denn es gibt nur ein Amateurrennen“, erklärte er dann. Darüber hatte ich bis dato nicht nachgedacht, aber klar, zerteilen in einem Rennen konnte ich mich nicht.
      „Das wird ihr sicher guttun, eine Woche zu warten“, stimmte ich wohl wissend zu, dass es für die Stute keinen Unterschied machen würde, an welchem Wochenende ihr erstes Rennen sein würde.
      „Du weißt, dass es dann in Visby wäre, und bisher hatten wir nicht eingeplant, dass du mit auf die Insel kommst“, kam Lars nächste Hiobsbotschaft.
      „Nun gut, dann“, unentschlossen überlegte ich, bevor ich weitersprach, „dann muss ich wohl neue Orte kennenlernen.“ Natürlich kam mir direkt in den Sinn, dass Basti auch da sein würde und ich keine zwei Wochen auf ein Wiedersehen hoffen musste. Somit strahlte auch ich.
      „Das ist toll, wirklich. Dann holte ich mir Vision und du machst Wunder fertig“, sagte Lars beim Aufstehen. Während er sich ein Halfter holte, führte ich den Schecken bereits aus der Box.
      „Du kommst vielleicht nach Amerika“, erklärte ich dem neugierigen Hengst, der interessiert an meiner Hosentasche zupfte, in der mein Handy sich in Form herausdrückte. Besonders die abgerundeten Ecken schienen ihn nicht loszulassen. Erst als ich seicht wegschob, hörte er auf, mit der Oberlippe mich schmutzig zu machen. Ich putzte ihn dann und war noch lange vor meinem Kollegen fertig, der erst ankam, als ich schon den Schecken gegurtet hatte und getrenst. Wunderkinds Ohren stellten sich auf, als Vision ihn interessiert musterte. Es folgte ein Quietschen und Schlag gegen die Brust. Der Kaltblut-Verschnitt wirkte nicht sonderlich begeistert von dem Schecken. Lars zog ihn ein Stück zurück, denn Verletzungen kurz vor dem nächsten Rennen, waren vermeidbar.
      Zusammen fuhren wir vom Hof. Die Sonne kitzelte sich durch die dichte Wolkendecke und leichtes Lüftchen wehte mir kalt ins Gesicht. Ich hätte meine Maske aufsetzen sollen, dachte insgeheim und sortierte die Leine neu, auf der ich saß.
      „Er muss motiviert werden und locker angefahren werden, sonst zeigt Pass“, erklärte Lars, als wir auf der Bahn ankamen. „Auch im Schritt solltest du ihn lieber etwas zu lang halten.“
      „Verstanden“, sagte ich und ließ etwas vom Leder ab. Wunderkind begann sich mehr zu strecken und wölbte dabei den Hals, auch seine Schritte verlängerten sich.
      „So ist schön“, grinste er neben mir. Vision warf immer wieder prüfend einen Blick zu dem Schecken und schlug dabei nervös mit dem Schweif. Aber Wunderkind nahm diese Manieren hin, ohne sich beirren zu lassen. Im ersten Trab gab Lars mir noch weitere Tipps, dazu zählte auch, besonders sanft an der Leine zu sein, jede noch zu harte Parade könnte den Hengst in den Pass umstellen, deshalb fuhr ich ihn ohne Peitsche. Einzig die Stimme blieb mir zum Treiben, auf die Wunder sehr fein reagierte. Nach der dritten Kurve legten wir im Tempo zu, dass ein Gefühl für ihn bekam. Natürlich rutschte er mir einige Male in den Pass, aber nach dem Zurückholen und neu Antraben kam die Wunschgangart wieder. Mein Kollege setzte sich vor uns, damit jeder für sich in Ruhe trainieren konnte. Der Braune an seinem Wagen brachte viel Potenzial mit, diskutierte dauerhaft, doch Lars war hartnäckig.
      Mit beiden Pferden kamen wir verschwitzt auf den Hof zurück. Zu meiner Enttäuschung stand gerade Niklas mit Smoothie in der Putzgasse und schielte leicht zu mir. Höflich begrüßte Lars ihn, aber bekam keine Rückmeldung. Stattdessen drehte sich Hulk zu seiner Stute. Kaum erblickte Vision die weibliche Gleichgesinnte hob der Hengst erregt den Kopf und prustete aufgebracht mit weiten Nüstern. Leicht tänzelte er auf der Stelle, doch Lars zog ihn am Gebissring neben sich her. Auch Smoothie reagierte auf den Flirt mit zutraulichem Brummen, streckte dabei den Kopf neugierig nach vorn. Niklas drückte sie unsanft weg.
      „In deinem Umfeld darf wohl niemand soziale Kontakte haben“, merkte mein Kollege unberührt an. Erst jetzt drehte sich Linas Freund zu ihm, die Augen leicht zusammengedrückt und tiefe Falten bildeten sich. Er schnappte einmal nach Luft, als ich ihm ein Zeichen gab, einfach die Klappe zu halten. Doch das Prinzesschen dachte gar nicht daran.
      „Immerhin jage ich kein Pferd auf der Rennbahn in den Tod“, zischte er boshaft.
      „Genau, weil dein komischer Sport auch so viel gesünder für die Gelenke ist, wie man sieht“, lachte Lars daraufhin nur, sichtlich überlegen fühlend.
      „Männer, es reicht“, mischte ich mich schließlich ein, wurde damit, aber das möchte Opfer Niklas‘.
      „Du bist am besten ganz ruhig. Dein Scherbenhaufen kann niemand ertragen, also geh‘ endlich.“ Die Worte trafen mich mit roher Gewalt und in meiner Magenregion fühlte es sich ebenso an, als hätte er mich eine Klippe hinunter geschubst.
      „Niklas, am besten gehst du, wenn du mit uns allen ein Problem hast“, kam Lars zurück, nachdem er den Hengst an die Stricke gelegt hatte, „im Gegensatz zu dir, arbeiten wir hier. Niemand zwingt dich, auf dem Gestüt dein Pferd unterzustellen. Außerdem“, nun warf einen prüfenden Blick zu mir, „solltest du nicht so hart über ihr Leben urteilen, wenn deins nicht so viel besser ist.“
      In Niklas‘ Augen erkannte man, dass er nachdachte und sich dessen bewusstwurde, was mein Kollege versuchte ihm klarzumachen. Mit Schweigen ging er dem Gespräch aus dem Weg. Ich stand währenddessen wie gelähmt neben Wunderkind, der sich den Kopf an einem Holzbalken scheuerte.
      „Vivi, komm‘“, Lars legte sein Arm auf meine Schultern, „lass uns Wunderkind wegbringen, damit du noch Maxou und Osvo reiten kannst.“

      Gesagt, getan. Ich löste mich aus der Starrte und zusammen legten wir alles von dem Schecken ab. So lange wartete Vision in der anderen Putzbucht. Erst als ich Maxou zurückkam, begann Lars den Braunen alles abzunehmen und zufüttert. Giftig schielte meine Ponystute hinüber, nicht sonderlich begeistert von dem Hengst, der mit gleichen Flirt-Versuchen ankam, wie bei Smoothie. In aller Ruhe putze ich sie und kontrollierte alle Wehwehchen, die sie in der Zeit angesammelt hatte. Ihre Beule wurde schon besser, lediglich ihre Hufe bräuchten mal wieder einen Schmied. Die Hufwand war brüchig und an den Vorderhufen deutlich zu lang. Ich erinnerte mich daran, dass Lars die Pferde seines Vaters machte und warf einen prüfenden Blick zu Vision. Er stand neben dem Hengst am Handy und grinste schief.
      „Du? Hast du kurz Zeit?“, fragte ich.
      Lars senkte das Telefon und richtete den Kopf zu mir.
      „Klar“, er trat einige Schritte auf mich zu, „wie kann ich dir helfen?“
      Ich zeigte auf Maxous Hufe.
      „Könntest du grob was machen?“
      „Ja, lass mich nur Vision wegbringen und das Werkzeug holen“, antwortete er zustimmend und löste die Stricke. Mit großen Schritten traten sie an mir vorbei, ohne dass Maxou zuckte. Stattdessen versuchte sie mir aus der zu weiten Jacke ein Leckerchen zu klauen. Doch der Reißverschluss hinderte sie daran. Ihren Kopf drückte sie an meinem Rücken.
      „Kannst du aufhören zu betteln?“, die Stute hörte sofort auf, legte stattdessen sich auf meine Schulter, „danke.“ Der waren Atem aus ihren Nüstern kitzelte mich am Ohr und während wir auf die Rückkehr Lars‘ warteten, wagte ich einen Blick auf mein Handy. Einsamkeit überkam mich unmittelbar, als ich den leeren Sperrbildschirm betrachtete. Niemand wollte etwas, nur Basti lag verschwommen vor mir auf dem Bild vom Rennen mit Netflix. Zur Kontrolle, auch wenn ich wusste, dass ich nichts finden würde, öffnete ich eine Social-Media-Plattform nach der anderen. Aber bis auf einen Post von Nour fand ich nichts vom Renntag. Sie zeigte sich glücklich mit dem hellen Hengst, dazu im Karussell noch mehr Bilder von Walker und eins mit Lars. Da er noch außerhalb der Sichtweite war, klickte ich mich interessiert durch sein Profil – Natürlich präsentierte er sich so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Lauter Oberkörper freier Bilder strahlten mich vom Bildschirm an und keine Spur von einem Pferd, allerdings entdeckte zwei Storyhighlights, eine mit Rennbildern und die andere von seinem Hengst Bear. Viele davon waren schon vor Jahren online, andere recht neu, aber keins auf unserem Hof aufgenommen. Bevor ich annähernden Schritte hörte, war es bereits zu spät. Er stand mit einem breiten Lächeln neben mir.
      „Ach, doch noch Interesse?“, lachte Lars und stellte klirrend die Werkzeugkiste neben der Ponystute ab, die sofort drohend in die Luft schnappte.
      „Nur gucken, nicht anfassen“, sagte ich schelmisch und steckte das Handy weg.
      „Denkst du das wirklich, oder versuchst du, dein Verlangen zu unterdrücken?“
      „Wer weiß das schon“, ich machte einen Schritt von ihm weg, um Maxou fester zu binden. Die Stute mochte es nicht sonderlich, wenn an ihren Hufen gearbeitet wurde, aber reiten wollte ich sie so ungern. „Erfahren wirst du das nicht.“
      „Wir werden sehen“, stimmte Lars mit seinem Lachen mit ein. Dann nahm er die Raspel und entfernte größtenteils das eingerissene Horn. Ich beruhigte die Stute dabei am Kopf, tätschelte etwas unbeholfen ihren Hals und hielt mit der anderen Hand sie am Halfter. Sie war nur wenig dafür zu begeistern, versuchte lieber ihm den Huf wegzuziehen oder den Schweif in sein Gesicht zu schlagen. Von beidem ließ sich Lars nicht beeindrucken.
      „Hatte sie mal Hufrehe?“, fragte er nach. Dabei tastete er die ausgeprägten Ringe auf der Hufwand ab, die mir auch schon aufgefallen waren.
      „Ich weiß nicht so viel über Krankheitsgeschichte“, beantwortete ich oberflächlich.
      „Wie alt ist sie denn?“, informierte Lars sich weiter, während er sich dem nächsten Huf widmete.
      „Vierzehn wird sie dieses Jahr.“ Ich musste kurz durchrechnen, hatte aber noch im Kopf, dass sie zweitausendsieben geboren wurde, im Juni, wenn ich mich nicht irrte.
      „Dann hat Maxou noch einiges vor sich. Sie gehört dir, oder?“
      „Fast, also … halb. Erik gehört eine Hälfte und er hat sie auch bezahlt. Wer weiß, wie lange sie noch bei mir ist“, seufzte ich. Die Wände hatten Ohren, dementsprechend senkte ich meine Stimme. Niklas putzte noch immer sein Elitepferd, aber ich war fest davon überzeugt, dass er einzig und allein uns belauschte. Gerade, als ich diesen Gedanken bekam, führte er Smoothie, schwarz einbandagiert, an uns vorbei und sah abfällig zu mir. Nach der Nachricht mitten in der Nacht hatte ich eigentlich eine Veränderung seiner Art erhofft, aber offensichtlich entschied er sich dagegen, freundlich zu mir zu sein.
      „Viel Spaß“, wünschte ich ihm dennoch und bekam nur entrüstetes Schnauben als Antwort. Nun gut, sein Problem und nicht meins. Einen Moment später huschte auch Lina durch den Gang, begrüßte freundlich Lars und mich, um die Tribüne hinaufzuverschwinden.
      „So, dein Pony ist wieder hübsch“, sagte mein Kollege nach verrichteter Arbeit.
      „Danke dir“, umarmte ich ihn entschlossen und spürte, dass es mehr als eine dankbare Geste wurde. Wie ein Äffchen hing ich um seinen Hals und langsam bewegten sich seine Hände von meinen Rippenbogen abwärts. Verführerisch funkelten seine Augen. Gefangen in den Grüntönen, wie sie nur die Natur zu bieten hatte, verlor ich abermals die Kontrolle. Noch enger legte ich mich an ihm, als würde es keinen morgen geben, kochte das Blut in meinen Adern. Wieso Lars eine derartige Anziehungskraft für mich hatte, konnte ich mir für den Moment nicht erklären. Stattdessen drückte ich die Lippen auf seine. Ein merkwürdiges Geräusch gesellte sich dazu und verdrängte das Gefühl etwas Falsches zu tun. Dennoch löste ich mich nach wenigen Sekunden wieder, als mein Kopf die Situation begriff.
      „Das kam unerwartet“, schmunzelte er und setzte zu einem weiteren Kuss an, den ich ihm verwehrte.
      „Tut mir leid“, stammelte ich verwirrt. Gefangen im eigenen Chaos versuchte ich mich von ihm loszureißen und verspürte die aufkommenden Schuldgefühle. In Lars‘ Gegenwart konnte mein Kopf nicht mehr unterscheiden, wer er war und assoziierte all die Freude mit ihm. Meine Medikamente nicht mehr zu nehmen, stellte sich zum ersten Mal für mich selbst, als eine schlechte Idee heraus.
      „Vivi, ganz ruhig“, er legte seine Hände auf meinen Schultern ab. Das Herz in der kleinen Brust dröhnte zu explodieren und meine Lunge versuchte nach Sauerstoff zu Ringen, aber es fühlte sich an, als würde nichts davon in meinem Körper ankommen. In dem kargen Gebäude suchte ich krampfhaft nach roten Gegenständen, aber bis auf den Strick auf der Bande, entdeckte ich keinen. Ebenso wenig blau war zu sehen.
      Lars begann zu zählen und ich sollte mit ihm ein- und ausatmen. Äußerst gekonnt, ging er mit meinem Anfall um, bis ich mich wieder beruhigt hatte. In der Zwischenzeit war auch Lina dazu gekommen und stand unbeholfen neben ihm. Ihrem Gesichtsausdruck nach musste ich fürchterlich aussehen in dem Augenblick.
      “Alles okay? Was ist passiert?”, fragte sie besorgt.
      “Ähm”, stöhnte ich erhitzt und schielte zu Lars.
      “Sie hat mich geküsst und hatte dann eine Panikattacke”, erklärte dieser wahrheitsgemäß.
      “Was machst du nur für Sachen”, fragte sie, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten, “Das ist doch kein Grund für Panik.”
      “Das sagst ausgerechnet du”, schnaubte ich verärgert, aber schluckte den restlichen Satz trocken herunter. Dabei nahm ich einen kräftigen Atemzug. Lina sollte von allen am besten wissen, woher dieses Gefühl rührte, bloß hatte Niklas ihr offenkundig das Gedächtnis gelöscht. Mir lag es buchstäblich auf der Zunge, einen vernunftwidrigen Spruch zu drücken. Lars vernahm jene Wut und drückte kräftiger die Finger in meine Schulter. Doch mein Körper hatte sich dieser angepasst, als würde die Hitze wie ein Parasit an mir festhalten. Einzig Maxou, die nun auch mit kurzen Berührungen versuchte, mich in die Wirklichkeit zu holen, senkte den Blutdruck.
      “ ‘Tschuldigung, war wohl ein wenig unsensibel”, murmelte sie kleinlaut, “Ich verstehe dich ja.”
      Nach dem kleinen Missverständnis mit Lina sattelte ich Maxou und überlegte, in den Wald zu gehen. Mit unserem Sahnetörtchen in der Reithalle wollte ich ungern sein und hinüberlaufen und die kleinere Halle könnte mir Ärger mit Jonina einbringen, die aus unerklärlichen Gründen noch immer auf Krawall gebürstet war, wenn sie mich sah. Somit blieb mir nur Matsch übrig. Kaum ritt ich vom Hof, klingelte mein Handy. Vollkommen überrascht, dass das Gerät überhaupt in der Lage war, Geräusche von sich zu geben, zog ich es aus der Jackentasche heraus. Doch als ich den Bildschirm erblickte, sah ich nur, dass eine unbekannte Nummer versucht hatte, mich zu erreichen. Zurückrufen konnte ich nicht. Im Fortlauf des Ausrittes dachte ich ununterbrochen darüber nach, wer wohl etwas von mir wollte und vor allem, was. Die Antwort auf jene Fragen wurde mir verwehrt, denn es folgte kein zweiter Versuch, mich zu erreichen. Versunken in meinen Gedanken schenkte ich meinem nervösen Pony kaum Aufmerksamkeit, sodass sie immer wieder auf die Vorderhand rutschte, ohne dass ich es korrigierte. Es war alles so viel, dass ich auf halber Strecke einfach umdrehte und denselben Weg zurücknahm.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 33.794 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang März 2021}
    • Mohikanerin
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      kapitel trettiotvå | 13. September 2022

      May Bee Happy / Wunderkind / Northumbria / Maxou / Planetenfrost LDS / Global Vision / Drivblesa / Moonwalker LDS / HMJ Divine / Jokarie / HMJ Holy / Pay My Netflix / Glimsy / Einheitssprache

      Samstag, eine Woche später
      Lindö Dalen Stuteri

      Vriska
      Es war schon wieder Wochenende. Ich stand mit Happy am Strick auf der Rückseite des Stallgebäudes und fröhlich zupfte er einige Grashalme. Von meinem emotionalen Rückschlag hatte ich mich entsprechend erholt. Am nächsten Tag wachte ich sehr früh am Morgen auf und nutzte die Stunde allein am Stall für ein Training mit Happy, der sich nach dem Springen deutlich leichter im Sattel gab. Wunderkind hatte frei und mit Humbria fuhr ich einen Heat. Nach einem kleinen Frühstück half ich Bruno bei der Stallarbeit. So ging es die folgenden Tage weiter. Lars kehrte erst am Dienstag zurück. Er war bei seiner neuen Flamme, die wohl seine Unterstützung benötigte. So sei es. Ich kam klar. Lina hatte ich nichts erzählt, doch aus ihrer Stimmung heraus konnte ich ablesen, dass Nour ihr berichtet hatte. Mit Niklas war es weiterhin schwierig. Wenn ich ihn im Gang traf, warf er mir beliebige Sprüche an den Kopf und Lina schämte sich dafür. Am Abend schrieb ich mein Buch weiter.
      „So kleiner Mann, das reicht“, sagte ich zu dem großen Fuchs, der die Ohren in meine Richtung drehte und den Kopf hob. Entspannt folgte er mir in den Stall. Dort nahm ich die farblich passende Decke zum Halfter ab und stellte ihn zurück in die Box. In der Gasse räumte Nour bereits die Sachen zusammen für die Abfahrt nach Visby. Maxou hatte ich longiert und morgen wollte Erik kommen, somit war ich ganz froh, nicht dazu sein.
      „Fühlst du dich wirklich bereit für das Rennen?“, hakte Nour besorgt nach.
      „Klar, wieso nicht?“, versuchte ich den Zwischenfall zu überspielen. Sie sprach es ungern an, denn es tat ihr leid, mir nicht helfen zu können.
      “Ich”, sie seufzte tief, als hätte sie seit Minuten die Luft angehalten, “ich wollte nur sichergehen, aber Humbria hat bisher eine gute Figur gemacht, oder?”
      “Ja, sie ist sehr motiviert”, erklärte ich zuversichtlich. Am Donnerstag hatte ich die Zeit gestoppt und auf einer Meile waren wir bei 1:13,5. Damit lagen die Chancen gut auf das Treppchen.
      “Du läufst das Stutenrennen, oder?”, Nour stellte weiter unnötige Fragen, denn sie hatte die Nennung vorgenommen. Somit sollte sie sich bewusst sein, was ich fuhr.
      “Genau, sofern wir die Qualifikation nachher bekommen.” Ich legte die Decke zusammen und hängte diese über die Stange an Happys Box. Glücklicherweise gab es heute um zwanzig Uhr die Möglichkeit noch einen Probelauf zu fahren, bei dem sich entschied, ob wir starten konnten. Normalerweise fand so was am selben Renntag fest und eine weitere Nennung wäre nicht möglich an dem Tag.
      “Den großen Transporter fahren wir?”, hakte ich noch einmal nach, um mich emotional vorzubereiten. Den Großen bin ich bisher nur ein einziges Mal gefahren, doch Lars weigerte sich.
      “Leider, ja. Der hat aber zwei große Schlafkabinen”, nickte Nour.

      Nach einer Stunde standen die Pferde im Stall, vorbereitet für den Transport. Zur Kontrolle schaute ich den Inhalt meiner Tasche, die bereits im Transporter lag und Dog direkt darauf. Ich hatte alles dabei, sogar meine kleine Plastikdose für die Medikamente. Noch Abend am Sonntag entschloss ich, den Kram wieder zu nehmen. Gestresst kam Nour angelaufen: „Wo steckt der Kerl nur.“
      Damit meinte sie Lars, der eigentlich zurück sein wollte, bevor wir losfahren. Zum Abschied fuhr er zu seiner Flamme, um mit ‚einem guten Gefühl zu starten‘, wie er uns gestern lang und breit bei der Besprechung am Abend erklärte.
      „Hast du versucht ihn zu erreichen?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte.
      „Natürlich, siebenmal“, lachte sie.
      Wir begannen die Pferde zu verladen, auch wenn er nach zwanzig Minuten in der Stallgasse sitzen, noch immer nicht zusehen war. Zunächst kamen Walker, Plano und Vision in den Transporter. Im Anhänger folgten Humbria und Blessa, eine Fuchsstute, die Mitte der Woche von Bruno als Trainingspferd übernommen wurde. Sie stammte aus Norwegen und sollte in Schweden große Erfolge erzielen. Nour fuhr sie an dem Wochenende. Ich schloss die schwere Klappe allein, als ein großes blondes Wesen neben mir auftauchte. Vor Schreck fiel mir diese beinah herunter, wenn er nicht seine Hand daran gehabt hätte.
      “Ihr wolltet nicht etwa ohne uns fahren?”, grinste Mateo. Verwundert drückte ich meine Stirn zusammen.
      “Eigentlich schon”, murmelte ich undefiniert, dann trat auch Lina hervor, “ich wusste nicht, dass euch das interessiert.”
      “Mateo, meinte, er müsse sich unbedingt mal ansehen, was seine Kollegen denn da immer so treiben”, erklärte sie, “dabei habe ich eigentlich sehr anschaulich erklärt, dass ihr nur knappe zwei Minuten im Kreis rennt.”
      “Es ist die Geschwindigkeit, Kleines”, kam Nour dazu, um ihr nun die Leidenschaft dahinter zu erklären. Ich stand grinsend daneben, denn hatte Lars’ Schwester erst mal jemanden ohne Ahnung gefunden, konnte sie stundenlang über den Trabrennsport und, vordergründig, Walker sprechen. Zwischendurch rollte ich mit den Augen, denn eine solche Leidenschaft konnte ich mit ihr nicht teilen, viel mehr, wollte ich mich, aus freien Stücken, bei Basti entschuldigen. Mein Verhalten war alles andere als in Ordnung, außerdem hatte sich in der Woche das Gefühl zu ihm, noch mehr verstärkt, obwohl ich ihn nur einmal aus der Ferne in Kalmar gesehen hatte.
      “Nour, ich glaube, dass das reicht”, kam endlich der Herr der Schöpfung an. In der Hand hielt er eine Tasche, die er in den Transporter schmiss.
      “Dann können wir los?”, ging ich nicht weiter auf seine Verspätung ein, sondern dachte nur an die Fähre und meine Qualifikation.
      “Ja”, brachte der Schweizer freudig hervor, während die kleine Brünette neben ihm nur mäßig viel Motivation ausstrahlte. Ihren Unmut konnte ich sogar nachvollziehen, obwohl ich das Pilzi dabeihatte. Vermutlich war die Stute der einzige Grund, weshalb Mateo sie überzeugen konnte.
      Die beiden Süßen setzten sich auf die Rückbank und mit Lars saß ich vorn, falls etwas sein würde. Das erste Anfahren war ruckelig, zu lange fuhr ich keinen Schaltwagen mehr, doch nach einigen Metern der Ausfahrt entlang, bekam ich ein Gefühl für das Gespann. Hinter mir wurde sich unterhalten über Linas Hengst, was mittlerweile dieselbe Stufe erreicht hatte, wie Nour mit Walker.
      Nach der Strecke auf der Autobahn kamen wir in dem Gewerbegebiet von Oskarshamn an. Trostlos lagen auf beiden Seiten riesige Hallen und Geschäfte mit leeren Parkplätzen. Selbst auf der Straße waren kaum Autos unterwegs, obwohl es Samstagmittag war. Es folgte ein Kreisverkehr und langsam wurde es ansehnlicher, sofern man Plattenbau als solches bezeichnen konnte. Zumindest hatten sie kleine Blumenkästen am Geländer, die es bunter machten in der farblosen Umgebung. Gegenüber vom Hafen standen einige alte Häuser, die die Stadt lebhafter machten. Wir stellten den Transporter ab, um auf die Fähre zu warten. Eine halbe Stunde hatten wir vor uns und ich suchte mir ein ruhiges Plätzchen zum Rauchen, Dog folgte mir unauffällig und mit ihm noch ein weiteres Wesen.
      “Vriska?”, kam Lina neugierig angeschlichen, wie eine Katze auf Erkundungstour, “bekommt man dieses Wochenende auch noch etwas … interessanteres zu sehen als euch?”
      Verwundert drehte ich mich um, kalt schlug mir eine Meeresbrise ins Gesicht, die einen Fischgeruch mit sich trug. Selbst Dog rümpfte angeekelt die Nase.
      „Als uns? Aber ich weiß nicht genau. In der Nähe sind ein Museum und ein Themenpark, der aber vermutlich noch geschlossen hat“, überlegte ich laut, jedoch fiel mir noch etwas anderes ein, das Niklas mal erwähnt hatte. „In der Nähe soll es Wildpferde geben, vielleicht wäre das, was für dich und Mateo.“
      “Wildpferde sagst du? Das klingt tatsächlich sehenswert”, nickte sie, “aber ob Mateo das ebenso spannend findet?” Sie wirkte ein wenig nachdenklich, als würde sie versuchen abzuschätzen, was der Schweizer davon halten würde.
      “Mehr als dich, braucht er nicht”, scherzte ich augenzwinkernd. Die Funken zwischen ihnen verspürte ich mittlerweile auch im Stall, wenn nur einer von ihnen zu sehen war. Wenn sie ritt, warf er einen prüfenden Blick auf Lina und andersherum. Mich brachten die beiden immer zum Lächeln.
      “Klar, weil die Welt sich ja nur um mich dreht”, rollte sie mit den Augen.
      “Jetzt übertreiben wir nicht”, schaltete ich einen Gang zurück, “ihr beide mit euren Tönnchen seid dennoch niedlich.” Dabei zog ich mein Handy hervor und zeigte ihr einige Bilder, die ich in der Woche gemacht hatte. Mittlerweile nahm ich häufiger meine Kamera aus dem Zimmer mit, um die Website und Social-Media-Plattform mit Inhalten zu füttern. Natürlich behielt ich solche Aufnahmen für mein Archiv auf dem Laptop. Lina stand an der Bande, spielte mit dem Finger an dem Zopf und blickte verträumt zu Mateo, der auf Karie saß und im Sand tanzte.
      “In Kombination von Nour und dir bleibt auch wirklich nichts verborgen. So ein wenig gestalkt, fühle ich mich ja schon”, stellte sie fest.
      “Tut mir leid, aber es war ein schönes Motiv”, ich tippte ein weiteres Mal auf das Bild, um die interaktive Oberfläche zu sehen und drückte auf den Mülleimer in der unteren rechten Ecke. Bevor ich diese Aktion bestätigte, funkte Lina dazwischen und fummelte an einer anderen Stelle auf dem Touchscreen herum, wodurch sich die Option schloss.
      “Du kannst doch so hübsche Bilder nicht einfach löschen”, empörte sie sich, “aaaber zeigen tust du es bitte trotzdem niemandem.”
      Zustimmend nickte ich und zeigte ihr noch anderen Bilder. Unter anderem war eins vom Satteln dabei, bei dem Mateo ihr half. Die Beiden waren wirklich in jedem Moment niedlich und es überraschte mich, dass keiner mich mitbekam.
      Nach einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es Zeit war, zum Transporter zurückzukehren. Ich rief den Hund zu mir und zusammen liefen wir auf den Parkplatz. Der Rest der Truppe saß bereits auf den Plätzen, als hätten sie Stunden auf uns gewartet.

      Drei Stunden später, 18:31 Uhr
      Trabrennbahn, Visby

      In Stalltrakt neun brachten wir unsere Pferde unter. Blessa hatte eine tolle Paddockbox zugeteilt bekommen und erfreute sich sofort an der kleinen Pfütze im Sand. Mit dem Huf trat sie darin herum, um sich schließlich, samt Decke, darin zu wälzen. Humbria hatte nur ein Fenster, das sie nicht sonderlich interessierte. Meine Jackentaschen raschelten schließlich verführerisch. Ich beobachtete die dunkle Stute einen Moment, bevor ich zurück zum Transporter lief. Dabei schaute ich mich um, in der Hoffnung, Basti zu entdecken. Allerdings hätte mich überrascht, dass ein beschäftigter Mann wie er, schon so früh anreisen würde. Sein erstes Rennen war erst um dreizehn Uhr dreißig Morgen. Seufzend drehte ich mich ein letztes Mal um und stieg die Treppe hinauf. Die Vier saßen am Tisch und spielten Karten.
      „Und, alles gut im Stall?“, fragte Lars höflich nach, was ich mit einem Stummen „ja“, beantwortete. Mir hatte die fehlende Anwesenheit bereits die Stimmung vermiest, obwohl ich mich lange darauf vorbereitet hatte. Dennoch gab es diesen einen kleinen Gedanken, der mich vom Gegenteil überzeugen wollte.
      „Ich gehe mit Dog spazieren“, sagte ich schließlich, als ich meine Hose gewechselt hatte und mir eine dickere Jacke überzog. Als der Hund das S-Wort hörte, sprang er sogleich auf und tänzelte am Ausgang herum.
      “Warte kurz, ich komme mit”, verkündete die Kleine, blickte konzentriert in ihre Handkarten. Lars machte einen Spielzug, legte dabei die letzten Karten ab, woraufhin Lina eine Schnute zog: “Das ist unfair, warum gewinnst du den immer?”
      “Er schummelt gekonnt”, seufzte auch Nour und legte ihre Hand offen. Das Spiel war wohl damit vorbei, doch unserer Herzensbrecher lehnte sich triumphierend zurück, ohne sich zu dem Tatbestand zu äußern. Lina stand auf, um sich ebenfalls eine Winterjacke überzuziehen. Von den beinah warmen zehn Grad Celsius auf unserem Hof, war es hier in Küstennähe unter null gerutscht und ein eisiger Wind zog über das offene Feld. Hinter uns schloss ich sofort die Tür und warf mir die Leine um den Hals.
      “Deiner Stimmung nach zu urteilen”, setzte Lina an, als wir einige Schritte entfernt waren und betrachte mich analysierend, “hast du dir erhofft, jemanden hier anzutreffen.”
      “Warum denkst du wohl, tue ich mir das alles hier an?”, gab ich offen zu, dass mir die Rennen gleichgültig waren. Ich könnte jederzeit auf den Rausch verzichten, aber wenn es Aufmerksamkeit auf mich lenkte, tat ich es gern.
      “Wäre ja möglich, dass es dir tatsächlich Spaß macht”, zuckte sie mir den Schultern, “aber dann ist der eigentliche Grund wohl Basti.”
      “Natürlich macht es mir das, aber es ist nicht der Hauptgrund. Den Spaß daran könnte ich auch auf der heimischen Trainingsbahn genießen”, berichtete ich, ohne auf ihren Nebensatz einzugehen. Seinen Namen zu hören, löste umgehend Bluthochdruck aus.
      „Da hast du recht“, nickte sie zustimmend.
      “Aber du wirst wohl kaum mitkommen, nur um ihn zu suchen? Was ist los?”, fragte ich voller Zuversicht nach, den Lina torkelte sichtlich unentschlossen neben mir her, während der Hund mit seinem leuchtenden Halsband vor uns blieb.
      „Mh, ich brauchte eine kurze Pause“, sagte sie unspezifiziert. Ihre Finger steckten in den Jackentaschen und mit leichtem gesenktem Kopf beobachtete sie den Boden, der übersät war von Hufabrücken. Hier und da lagen kleine Steine im Sand, die sie zur Seite trat.
      „Doch nicht etwas von dem netten Schweizer?“, versuchte ich mich heranzutasten.
      „Es ist kompliziert, aber eher von mir selbst“, führte sie näher aus, „Mateos Gegenwart ist etwas … verwirrend.“
      „Kann ich nachvollziehen“, log ich, zumindest halb. In meinem Kopf spielten sich alte Bilder ab, die nicht mehr das gleiche Gefühl auslösten, wie vor Monaten. Damals war es Niklas, von dem ich in der Anfangszeit nicht genug bekommen konnte, obwohl er schon mit Lina zusammen war. Dass sich dadurch Traumata lösten, die ich erst in England aufarbeiten konnte, hatte seine Anziehungskraft wie auf Knopfdruck entfernt. „Vielleicht solltest du eine Pro- und Kontraliste erstellen, um den Kopf klar zu bekommen. Oder ein Buch schreiben, wie ich.“
      „Wenn das nur so einfach wäre, wie es klingt“, seufzte sie und klickte schwungvoll einen Stein zur Seite, dem Dog augenblicklich nachsprang.
      „Ich weiß nicht, was dich so stark beschäftigt, aber wenn es nur ansatzweise dramatisch, wie in meinem Kopf ist, dann solltest du dir deinen Gefühlen bewusstwerden. Allein, dass weiteres Verlangen in dir spuckt, sollte klarmachen, dass in der Beziehung etwas falsch läuft“, möglichst oberflächlich gab ich ihr einen Tipp, den ich schon längst hätte, selbst befolgen sollen. Aber in mir gab es ohnehin so viel Reibereien, dass die Einordnung schwierig wurde. Auf dem Weg drehten wir um, den langsam sollte ich, mich für die Wieder-Qualifikation bereitmachen. Lina nickte seufzend: „Warum muss das nur so komplex sein? “

      Erneut umgezogen, huschte ich zum Stall. Lina, die noch immer in Rätseln sprach, über das, was in ihrem Inneren ablief, folgte unauffällig. Dog lag im Transporter, während die Drei verbittert, ihr Kartenspiel fortsetzten.
      Humbria steckte ihren Kopf durch das Fenster, um mein Kommen genau zu beobachten. Voller Übermut wieherte sie mir entgegen und drehte Kreise in der Box. Sie kannte es bereits aus Kanada, solange eingepfercht auf engen Raum zu sein, was mich zweifeln ließ, die heimische Leistung abrufen zu können. Ich führte sie am Halfter auf den Gang und hakte beidseitig die Stricke ein. Ihr dunkles Fell glänzte leicht geschwitzt in der dürren Beleuchtung der Deckenlampen, die leise flimmerten. In der Ferne hörte man weiterhin das Geschrei von Pferden und Schritte im Stroh.
      Im Eifer des Gefechts vergaß ich beinah, meinen Helm aufzusetzen, den Lina mir noch im richtigen Augenblick gab. Die letzten Meter führte ich Humbria aus der Gasse heraus und setzte mich in den Bock. Unauffällig folgte meine Kollegin zum Zaun, an dem zu meiner Überraschung auch der Rest der Mannschaft stand, eingehüllt in dicker Winterbekleidung. Nur Lars musste beweisen, dass ihm die Kälte nichts ausmachte und trug eine einfache Neoprenjacke. An den schlotternden Knien erkannt ich allerdings, dass ihm sehr wohl Kälte etwas ausmachte.
      „Zeige nur so viel wie nötig, sie hat morgen noch einen anstrengenden Tag vor sich“, mahnte er, was ich mit einem einfach nicken hinnahm. Dann schob ich die Schutzbrille über meine Augen und lenkte Humbria im Schritt auf das Geläuf. Wir waren nicht allein. Drei weitere Fahrer drehten ihre Runden, mit teils sehr erschöpften Pferden, wovon eins auch im morgigen Rennen genannt war. Locker fuhr ich an, legte das Warmfahren auf sinnvolle Übungen aus. Die Leute schauten nicht schlecht, dass ich zwischendrin anhielt und Humbria stehen ließ. Aber Ungehorsam könnte mir die Qualifikation kosten, deshalb arbeitete ich wie zu Hause. Meine Zeiteinteilung passte perfekt. Alle Fahrer für die Qualifikation wurden auf das Geläuf gebeten, als ich Humbria ausreichend erwärmt hatte. Zufrieden kaute sie auf dem Gebiss und schüttelte sich nicht, wie die anderen Pferde.
      „Dann wollen wir mal“, sagte ich zu ihr, als sie Startfreigabe erteilt wurde und wir vier uns hinter dem Fahrzeug aufstellten. Sicher beschleunigte die Stute, ihre großen Tritte im Trab wurden gleichmäßiger. In der ersten Kurve hielt ich noch zurück, aber nach der dritten durfte sie sich frei entfalten. Wir reihten uns in zweiter Stelle ein und fuhren an jener Position auch durch die Zielmarke bei einer Meile. Ihre Zeit war mittelmäßig, aber ausreichend für die Qualifikation. Das war es auch schon. Unsere Aufgabe war erfüllt und im Rausch der Geschwindigkeit hatte ich nicht mitbekommen, dass es mehr geworden sind, an der Bande. Bei Lina stand noch Folke und Hedda, die sich über Holy auszutauschen schienen.
      „Ich fahre jetzt auch“, nervte mich sogleich der Rotschopf, als ich das Geläuf verließ.
      „Das ist schön“, antwortete ich teilnahmslos und strich Humbria über den Po. Lars legte ihr zeitgleich eine Decke über, obwohl die Strecke vom Geläuf zum Stall kaum mehr als zweihundert Meter war.
      „Du hast sie zurückgehalten, oder?“, fragte mein Kollege beiläufig, was ich bejahte. Zustimmend nickte er.
      „Eine schöne Stute“, klopfte Folke ihren Hals und wendete sich schließlich wieder zu Lars. Sie schienen sich zu kennen, aber wie ich bereits festgestellt hatte, war die Szene ohnehin familiär strukturiert. Lina half mir dabei, die Stute wieder für die Box fertig zu machen. Den Sulky stellte ich zur Seite, an Blessas Boxenwand, und die kleine Brünette nahm den Gurt ab. Dann huschte sie zur Seite, um aus den Eimern zwei Maß Hafer zu holen.
      „Weißt du was?“, schmunzelte sie deutlich redseliger als noch zuvor.
      „Worauf willst du hinaus?“, fragte ich, ohne zu überlegen.
      „Wenn Folke da ist, kann dein Basti auch nicht weit sein“, kicherte Lina und schielte zu den Männern hinüber. Jeder hatte es gehört, zumindest sagte mir das, Lars‘ schiefes Grinsen auf den Lippen.
      „Sebastian?“, hakte Folke bei ihm nach.
      Nour nickte.
      „Der ist einen Stall weiter und füttert gerade“, antwortete Folke unbekümmert, worauf das Ganze anspielte. Mir wurden die Knie weicher und mit zittrigen Fingern fummelte ich den grünen Zopf wieder aus der kurzen Mähne der Stute, die seit ihrer Ankunft gut nachgewachsen war. Dem armen Tier hatte man alles abrasiert, aber langsam konnte man ihre schöne Farbe wiedererkennen. Zwischen den hellen Strähnen versteckten sich dunklere, die vom Deckhaar kamen. Aus der Ferne konnte man das Farbspiel nicht sehen, aber die helleren Tupfer im Fell, waren ohnehin ihr Hauptmerkmal und der Bauch, in derselben abhebenden Färbung.
      „Ganz ruhig, es wird dich schon niemand fressen wollen“, sprach sie zuversichtlich.
      „Nicht? Blonde Mädchen sind doch sonst sehr begehrt“, lachte ich, ohne von dem Band abzulassen, das mittlerweile aus der Mähne entfernt war.
      „Dann bekommt er es mit mir zu tun“, grinste sie.
      „Oh, da hat er sicher Angst“, warf ich scherzhaft ein. Das Band legte ich zurück in den Putzkasten und führte Humbria in die Box. Die Schüssel stellte ich ihr hinein und schloss mit einem Scheppern das Metall zu. Sie zuckte zusammen, aber hielt krampfhaft den Kopf im Essen.
      “Sollte er besser, nicht wahr, Mateo?”, entgegnet sie überzeugend, schielte erwartungsvoll zu ihrer Verstärkung.
      “Ich erzittere vor dir und deinen Haargummis”, lachte dieser, was mit einem Augenrollen quittiert wurde.
      „Ihr seid blöd“, merkte ich kopfschüttelnd an. Aber noch bevor ich überhaupt mich in Bewegung setzte, kam besagter Herr in den Stalltrakt gelaufen.
      „Hier steckt ihr also“, grinste er Folke und Hedda an, die noch immer bei Nour und Lars standen. Wieder einmal war Walker das Gesprächsthema.
      „Ja und man hat nach dir gefragt“, merkte Folke umgehend an und nickte zu mir. Im nächsten Atemzug verharrte ich, bis der Druck in der Brust zu stark wurde. Die weichen Knie festigten sich allerdings und zogen ein Kribbeln im Bauchbereich mit sich, das ich allerdings als Hunger abstempelte.
      „Interessant“, murmelte Basti, die Brauen zusammengezogen und lief tatsächlich auf mich zu.
      „Du steigst direkt voll ein, wie ich sehe“, stellte er vor mir fest. Vermutlich spielte er dabei darauf an, dass ich bei fast jedem Rennen dieses Jahr im fahrbaren Umfeld von Unterwegs war. Seltsamerweise stand ich als Besitzer auf dem provisorischen Boxenschild.
      „Offensichtlich, ja“, stammelte ich unsicher und vollkommen überwältigt von seiner Alltagskleidung, die an ihm ein ganz anderes Bild zeigte. Ich versuchte den Blick von ihm zu lösen, mit jedem Atemzug wurde es schwerer meine Nervosität in Zaum zu halten.
      „Und was wolltest du von mir?“, sprach Basti weiter. Bei den Worten hingen alle schweigenden Augen im Raum an uns beiden, kein angenehmes Gefühl, wenn ich mich wie ein Idiot vor ihm verhielt und kaum ein zusammenhängendes Wort aus dem Mund bekam. Aber keiner machte Anstalten, mich zu erlösen. Dennoch hatte ich mir fest vorgenommen, mich zu entschuldigen. Ich fasste all meinen Mut und hob den Kopf.
      „Es tut mir leid, dass ich letzte Woche so seltsam war“, wurde ich zum Ende hin stiller.
      „Als wäre es etwas Neues“, scherzte Nour sogleich, die es offenbar nicht abwarten konnte, sich einzumischen.
      „Okay“, antwortete er verwundert, als wüsste er nicht, wovon ich sprach. Vermutlich war es auch besser so. Nun fehlten mir allerdings die Worte und stumm wendete ich den Blick von ihm. Glücklicherweise ergriff Folke das Wort.
      „Wir wollten hinübergehen ins Restaurant, kommst du auch mit?“, fragte er seinen Kollegen.
      „Klar, wieso nicht. Aber ich gehe noch Nelly holen“, antwortete er und lief hinaus. Fragend sah ich zu Nour hinüber, die einen leichtes Lächeln auf den Lippen hatte, aber eher mitleidig wirkte als freundlich. Während die Männer voran liefen, reihte sie sich zu Lina und mir auf. Ich wollte ohnehin vorher noch zum Transporter, das millionste Mal meine Kleidung wechseln und den Hund holen.
      „Das ist so eine Sache, die wir dir bisher nicht erzählt haben“, seufzte sie. Mir stockte der Atem, aber ich wusste, was jetzt kam. Nour erzählte, dass Nelly seine Freundin sei und das schon etwas länger mit den beiden lief. Natürlich wäre auch zu einfach gewesen. Mir war der Hunger vergangenen.
      „Ich bleibe hier“, sagte ich missmutig und ließ mich auf die Bank am Tisch fallen.
      “Das tut mir leid, du hast es wirklich nicht leicht”, sprach Lina mit aufrichtiger Anteilnahme, “aber du kannst doch nicht den ganzen Abend allein hier sitzen.”
      „Aber ihn verliebt zu sehen, ertrage ich nicht“, seufzte ich.
      „Vivi, er ist alles andere als ein Romantiker. Ihnen die Beziehung anzusehen, gelang am Anfang nicht einmal mir“, wandte sich Nour zu mir.
      „Dennoch weiß ich es. Wie würdest du dich denn in der Situation fühlen?“, stellte ich als Gegenfrage.
      „Wie ich mich fühlen würde?“, wiederholte sie ungläubig, „Ich habe nie das gefühlt, was ihr alle durchmacht“, sie zuckte mit den Schultern.
      “Ich verstehe dich”, sagte die Kleine einfühlsam, ließ sich neben mir nieder und schlang ihre Arme in einer tröstlichen Geste um mich, bevor sie mit Nour sprach: “Du magst doch Walker ziemlich?” Sie nickte, blickte Lina erwartungsvoll an, was folgen würde: “Und jetzt stell dir vor, jemand anderes, dürfte den exklusiven Umgang mit ihm Pflegen und du dürftest nur zu sehen. Wärst du da nicht auch ein wenig traurig?”
      „Nein, ich würde mich für ihn freuen, dass er jemanden hat“, blieb sie weiterhin äußert irritiert über meine Zweifel.
      „Ein Grund, aber kein Hindernis“, sprach im nächsten Moment den Gedanken aus und sprang hoch. „Er wird schon sehen, was er verpasst.“
      Mit neuer, nicht unbedingt berechtigter, Motivation erhob ich mich wieder und zog die weiße Hose aus. Darunter hatte ich eine Leggings, die ich anbehielt. Nur ein sauberes Shirt warf ich mir über und wieder die Jacke.
      „So, kommt ihr“, trat ich zur Tür und sah meine Kolleginnen an.
      “Da ist ja die Vriska wieder, die ich kenne”, grinste die kleine, schnappte sich die Hundeleine von Tisch und kam samt dem Tier hinterher gewuselt.

      Bis auf unserer Truppe saß niemand in dem kleinen und eher rustikal eingerichteten Restaurant. An den Wänden hingen Plasmabildschirme aus dem letzten Jahrzehnt. Die Zeit wirkte, wie stehen geblieben, aber es sollte für das Abendessen ausreichen.
      „Das hat aber gedauert“, grinste Lars und klopfte neben sich. Aber ich wich ihm bewusst aus, denn neben Basti war ein Platz frei, den ich sofort einnahm. Freundlich zuckte ein Lächeln über seine Mundwinkel. Stattdessen setzte sich Nour zu ihrem Bruder und Lina daneben auf die Bank. Überraschenderweise saß die große blonde Dame, die wohl Nelly sein sollte, zwischen Mateo und Folke, mit denen sie sich auch unterhielt.
      Man brachte uns die Karte und ich bestellte mir ein Bier. Etwas Mut war nötig, um mit ihm sprechen zu können. Seine reine Anwesenheit verunsicherte mich, aber ich hielt mich wacker an dem Glas. Kaum flossen die ersten Schlucke meine Kehle herunter, spürte ich den Alkohol durch meine Adern krabbeln, wie kleine Ameisen breiteten sie sich aus und regulierten die Stimmung. Er erzählte von Netflix, nach dem Lars angemerkt hatte, dass unser Chef trotz der mittelmäßigen Rennergebnisse ihn noch nicht über den Haufen warf. Ich hing förmlich an Bastis Lippen, bewunderte ihn für das breitgefächerte Wissen – Natürlich war die Realität eine andere. Er erzählte davon, dass Netflix im Rennen übermütig wurde und im Umgang sehr sanft war. Kein einziges Mal gab Basti etwas über sich preis, sondern sprach neutral über das Pferd. Nur in meinen Ohren klang es anderes.
      Schließlich kam das Essen, für mich ein Salat, denn mehr gab es nicht, dass frei von tierischen Erzeugnissen war. Er schielte irritiert auf meinen Teller, aber sagte nichts. Währenddessen liefen Renn-Replays auf den alten Fernsehern, auch eins, bei dem Lars noch Glimsy in Visby gefahren war.
      „Das war ihr letzter Sieg“, erzählte Nour und nickte in Richtung des Bildschirms.
      “Der letzte, ist sie seitdem keine Rennen mehr gelaufen?”, fragte Mateo interessiert nach.
      „Doch eins noch“, erzählte Lars und stopfte sich eine Fritte in den Mund, „aber da hatte sie einen Gangfehler und dann haben wir sie aus dem Training genommen.“
      „Erst einmal“, fügte Nour überzeugt hinzu, ”die schweren Traber können bis vierzehn Jahre noch bei Rennen mitlaufen, die nur für sie sind.”
      “Oh, interessant. Also soll sie noch ein paar Erfolge einfahren?”, nickte der Schweizer.
      „Schafft die Dicke doch gar nicht mehr“, gab nun Nelly mit ihr außergewöhnlichen lieblichen Stimme zu verstehen und funkelte Lars an, der umgehend auf den Flirt einging. Verwundert schielte ich zu Basti, der in aller Ruhe weiter aß.
      „Ich zeige dir gleich mal Dick!“, empörte sich Nour, „die schafft im Training gut und gerne 1:15,6!“
      “Warum mobben denn alle immer die armen Ponys nur, weil sie kräftiger sind”, trug auch Lina bei, die sich bereits bei mir regelmäßig beschwerte, wenn ich über die Körperform ihrer kleinen Kugeln sprach.
      „Die hat schon ziemlich an Rennfigur verloren“, stellte Lars ebenfalls fest. Dann nahm er einen Schluck aus meinem Bier, nur weil sich dazu entschloss, eine Cola zu bestellen.
      „Hey!“, beschwerte ich mich, aber er reagierte gar nicht.
      “Bodyshaming ist auch bei Ponys nicht okay”, beschwerte sich die Kleine und verteidigte weiterhin die dunkle Traberstute.
      „Mit eins sechsundfünfzig ist sie über Endmaß“, erklärte Lars zunehmend genervt von uns. Als wäre es so ein Drama, wie wir die Pferde bezeichnen. Nun rollte ich mit den Augen und erhob mich von der Bank.
      „Ich gehe mal an die frische Luft“, erklärte ich freundlich.
      „Warte, ich komme mit“, stand auch Basti auf und nahm die Schachtel vom Tisch in die Hand. Lina murmelte etwas, dem Klang nach in ihrer Muttersprache, was auf einen vermutlich nicht so freundlichen Inhalt schießen ließ. Mateo vereitelte allerdings ihre Anstalten mir zu folgen, indem er sie mit einem intensiven Blick bedachte und kaum merklich den Kopf schüttelte. Irritiert zuckte ich mit den Schultern und verschwand mit Basti im Schlepptau zur Tür hinaus. Dog wollte uns nach, aber Lina hielt ihn zurück. So standen wir also allein vor dem heruntergekommenen Gebäude, das von außen einen neuen Anstrich gebrauchen könnte. Obwohl der Alkohol in meinem Blut die Gedanken lockerte, brachte er meinen Mund nicht in Bewegung.
      „Jetzt muss ich nachfragen“, sagte er plötzlich und schloss den Reißverschluss bis zum Kinn, aufmerksam blickte zu ihm, ohne lange Augenkontakt zu halten, „Warum hat Nour mich gefragt, weshalb wir uns nicht unterhalten?“
      Irritiert runzelte ich die Stirn.
      „Das wüsste ich auch gerne“, antwortete ich stammelnd und zog an meiner Zigarette.
      „Also“, er seufzte und hielt für einen Moment inne, „sind die Gerüchte reine Fiktion?“
      Ich schluckte, als wäre ein großer Klumpen in meinem Hals, der mir die Luft abschnürte, aber der Alkohol sprach aus mir.
      „Was denn für Gerüchte?“, fragte ich weiterhin verwundert und unsicher darüber, was Nour herumerzählte. Jemand anderes würde wohl kaum Puzzle legen können, wie sie. Egal, worauf das Gespräch hinauslaufen würde, ich wäre abermals der Idiot. Den Titel konnte nur ich mit stolzer Brust tragen.
      „Es überrascht mich, dass du nichts weißt“, antwortete er, ohne direkt auf meine Frage einzugehen. Als ich Augen wieder öffnete, stand er einen Schritt näher vor mir. Ein leichter Geruch von Aftershave lag in der Luft, wenn nicht gerade die Zigarette diesen übertünchte. Ich nahm einen tiefen Atemzug, um ihn abspeichern und über den Kamin aufstellen, wie ein wichtiges Artefakt.
      „Dann kann ich dir leider nicht helfen, sonst du musst sie selbst fragen“, stellte ich zur alternativen Wahl der Informationsbeschaffung.
      „Vriska - du heißt oder so, oder?“, fragte Basti unsicher nach, was ich mit einem Nicken bestätigte, „es stimmt schon, wenn ich so darüber nachdenke, bist du ziemlich oft, zufällig da.“
      Ertappt, strömte es direkt durch meinen Kopf und ich drehte mich weg, als würde ich jemanden suchen. Natürlich hatte ich gehofft, dass Lina noch nachkam und mir in der schweren Situation weiterhalf, aber sie konnte nicht jede Entscheidung treffen und hatte selbst genug zu regeln.
      „Vielleicht gehe ich besser rein“, lenkte ich dann ab, obwohl meine halbe Zigarette noch in der Hand hielt, oder besser gesagt, umklammerte.
      „Vielleicht besser nicht“, antwortete Basti direkt, „sonst können wir nichts Nours Wunsch erfüllen.“
      „Okay“, murmelte ich. Ein zartes Lächeln huschte über meine Lippen.
      „Aber ich bin neugierig. Warum stehen wir jetzt hier zusammen vor dem Restaurant und rauchen?“, konnte er von dem Thema nicht ablassen.
      „Woher soll ich das Wissen?“, wurde ich auf einmal zickig, schließlich konnte ich meiner Flucht nicht nachgehen.
      „Na, was denn jetzt los?“, tadelte er scherzhaft.
      „Es tut mir leid, es ist nur“, ich stockte. Meine Knie zitterten und in meinem Kopf explodierte es förmlich, egal welcher Gedanke in den Vordergrund trat, ich verwarf ihn. Alles, was ich wollte, war ihm meine Gefühle zu offenbaren, aber es wirkte so banal und schwachsinnig, dass er sicher Abstand neben würde.
      „Es ist nur, was?“, blieb er beharrlich. Seine Geduld schmeichelte mir wirklich. Aber ich konnte es ihm nicht sagen. Was sollte er von mir denken? Allerdings bemerkte ich, dass es der richtige Moment sein könnte, so ungestört und ohne echten Druck.
      „Es ist nur so, dass“, an derselben Stelle stoppte ich wieder, „ich finde dich gut“, verschluckte ich bestmöglich die Worte. Regungslos stand Basti vor mir und überlegte offenbar, wie sehr er mir das Leben zur Hölle machen könnte.
      „Dann lasse ich dich besser in Ruhe, bevor es Streit mit deiner Freundin gibt“, fügte ich kleinlaut hinzulief zur Tür.
      „Stopp, warte“, rief er mich zurück, „meine Freundin? Was sprichst du da bitte? Wir sind seit Wochen getrennt.“
      „Okay“, murmelte ich.
      „Und da kannst du mich nicht allein lassen, nachdem du so etwas gesagt hast. Ich muss das doch erst einmal verarbeiten und es kommt nicht alle Tage vor, dass man das hört“, erzählte er fröhlich weiter. Mich überraschte es, wie gefasst er den Umstand annahm. Nun, wenn ich mir eingestand, gab Schlimmeres im Leben.

      Sonntag, am Morgen
      Trabrennbahn Visby

      Aufgeregt huschte durch den Stall. Die wenigen Stunden Schlaf hatte ich mir selbst zuzuschreiben. Ich wälzte mich auf einer Seite zur anderen, um auf gar keinen Fall, Lars zu nah zu sein, schaute andauernd auf den abgedunkelten Bildschirm meines Handys, in der Hoffnung eine Nachricht von Basti erhalten zu haben. Nach dem, man könnte sagen, befreienden Gespräch, hatte ich ihm meine Nummer gegeben und er hatte versprochen, mir zu schreiben. Bisher kam keine Nachricht, aber in dem Moment, wo ich am wenigsten daran dachte, vibrierte es in meiner Tasche. Ich stand auf dem Tritt neben Walker, der angebunden in der Box stand und währenddessen sein Frühstück inhalierte. Mit den Fingern fummelte ich zeitgleich einen Zopf für den Start. Als ich die Hände wieder freihatte, sprang ich umgehend von Tritt und holte mein Handy hervor.
      „Godmorgon, warte auf dich vor dem Stall“, las ich und vermutlich stürmte ich nie schneller aus einer Box, wie in dem Moment. Tatsächlich stand er da, in einer Jeans und seiner Rennjacke in blau-weißer Stallfarbe am Oberkörper. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als ich wie vom Teufel gejagt vor ihm stand, wirr ums Haar und leicht außer Atem. Noch bevor ein Wort fiel, bot Basti mir ebenfalls eine Zigarette an und wir liefen einige Meter zur Seite. Ein Fahrer in grün-weiß, mit niedlichen Rauten auf der Rückseite fuhr an uns vorbei und murmelte unverständlich, aber der Stimmlage nach, hatte er schlechte Laune.
      „Und, schon aufgeregt?“, ergriff Basti das Wort, nach Minutenlangen schweigen. Ich blickte ihn durchgehend an, ohne mein breites Grinsen verbergen zu können.
      „Es geht. Toots ist gut vorbereitet und hat mir gestern in der Qualifikation gezeigt, dass sie schneller will und auch kann“, erzählte ich zuversichtlich.
      „Toots? Heißt die Stute so?“, fragte er verwundert.
      Ich lachte.
      „Nein, Northumbria, aber sie hat viele Spitznamen und das ist mein liebster“, informierte ich.
      „Verstehe“, nickte er. „Also werde ich bei deinem Sieg dabei sein?“
      “Sehr gewagt, mich unter solchen Druck zu stellen”, grinste ich und zog ein weiters Mal an der Zigarette. “Und was ist mit deinem Hengst? Wird er es heute zum Ende schaffen?”, wechselte ich gekonnt, das Thema.
      “Na, jetzt werden wir nicht direkt frech“, scherzte er.
      „Aber er galoppiert wunderbar“, gestand ich.
      „Damit kann ich nur leider nichts anfangen, aber ja. Ich denke, dass er heute geschmeidiger läuft“, sagte Basti noch, bevor jemand von Seite dazu kam.
      “Guten Morgen”, grüßte Lina freundlich, obwohl sie noch ein wenig verschlafen wirkte. Die Leine, die sich umgehängt hatte, zeugte davon, dass es wohl Dog war, der sie aus dem Bett holte, den ich zurückließ, weil er noch friedlich schlief, als ich in den Stall ging.
      “Dann lasse ich euch Schnuckis allein”, verabschiedete sich Basti mit einem Grinsen und noch bevor ich Einspruch erheben konnte, bog er in Stall vier ein. Sehnsüchtig hing mein Blick an ihm, bis ich mich an Lina wandte.
      “Du hattest offenbar auch nur wenig Schlaf”, ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen, schließlich führte mein Weg durch den Transporter unweigerlich an ihrer Schlafkabine entlang. Den Vorhang hatten sie nicht geschlossen, also sah ich beide friedlich ruhend. “Mateo scheint ziemlich bequem zu sein.”
      “Ja, indirekt. Es ist mehr, dass er sehr Raum vereinnahmend ist und so viel Platz ist dort ja ohnehin nicht”, erklärte sie und begann sich ausgiebig zu strecken.
      “Ich lasse das so stehen, weil ich heute gute Laune habe”, zwinkerte ich ihr zu, “Frühstück?”
      “Ja, klingt nach einer guten Idee”, nickte sie.
      Im Stall räumte ich noch die stehengelassenen Gegenstände zur Seite und fütterte Humbria, die ich in der Aufregung beinah vergessen hatte. Eingeschnappt schnaubte sie in den Trog voller Hafer, als ich die Schüssel ausschüttete. Zur Entschuldigung legte ich noch einen Apfel dazu, denn ich mir frecher Weise von jemand anderes aus dem Netz stibitzt hatte. Einen prüfenden Blick schweifte ich den Stall, bevor wir zurückliefen.

      Vorbereitet stand eine kleine Auswahl am Frühstück im Transporter bereit, die Lars mit seiner Schwester gezaubert hatte. Es war kein Festmahl, aber um nicht vom Sulky zu fallen, alle Male ausreichend. So aßen wir in Ruhe, unterhielten uns über die kommenden Rennen und Mateo überlegte, wie man Lina beschäftigen könnte. So kam auch das Thema der Wildpferde wieder auf.
      „Also, ich hätte ab vierzehn Uhr Zeit und die letzte Fähre am Abend, bekommen wir ohnehin nicht, wenn Lars um achtzehn Uhr dreißig noch das Rennen hat mit Plano“, erklärte ich, als ich die leere Schüssel zur Seite geschoben hatte.
      „Was hältst du denn davon, wenn wir uns dann mit Vriska die Ponys anschauen gehen, Lina? Würde dir das mehr Freude bereiten als hier zu sein?“, wandte sich der Schweizer an die Kleine, die mittlerweile ein klein wenig aufgeweckter wirkte.
      „Finde ich gut, den Vorschlag“, lächelte sie. Die Aussicht darauf, nicht den ganzen Tag hier auf der Rennbahn zu verbringen, weckte augenscheinlich die Energien in ihr.
      “Dann werde ich schon mal ein Mietwagen reservieren”, nickte ich und holte mein Handy aus der Hosentasche. Keine Nachricht von Basti, aber anderes hatte ich es auch nicht erwartet. Die Finger schwebten über den Bildschirm, bis ich einen kleinen BMW auswählte für den frühen Nachmittag. “So, alles bereit.”
      „Perfekt“, strahlte Lina sogleich. In derselben Sekunde vibrierte ihr Handy auf dem Tisch vernehmbar. Natürlich sah sie auch direkt nach, was es denn von ihr wollte.
      „Naww, Rambi akzeptiert Ivy endlich“, verkündete sie sogleich verzückt und präsentiert ein Foto welches Samu ihr gerade geschickt zu haben schien. Besonders spektakulär war das Bild nicht, es zeigte lediglich das kräftige dunkle Pferd, welches genüsslich an sein Heu knabberte. Ivy daneben Strecke nur vorsichtig und mit langem Hals die Nase in die schmackhaften Halme, als erwarte er jeden Moment verscheucht zu werden. Zugegeben, sein Blick dabei, sah ziemlich niedlich aus.
      „Das ist doch schön“, stimmte ich ihr zu.
      Mit Nour zusammen räumte ich den Tisch ab und spülte sogar das Geschirr ab. Lars nutzte den kurzen Augenblick der Ruhe von seiner Schwester, um den Transporter zu verlassen. Wo er genau hin verschwand, wollte er nicht erzählen, aber Mateo folgte ihm. Männersachen offensichtlich. Angeregt tippte Lina noch einen Moment auf ihrem Handy herum, bevor sie aufblickte, ein neugieriges Funkeln in den Augen.
      „Vriska, sag mal, war deine Begegnung mit Basti vorhin eigentlich Zufall?“, fragte sie hoch interessiert.
      „Wenn wir jetzt endlich zu dem Thema kommen, kannst du auch noch direkt von gestern erzählen! Du hast so gestrahlt und er wirkte auch zufriedener als sonst“, warf Nour umgehend ein. Allerdings schwebte in meinem Kopf, was er mir berichtete.
      „Ich erzähle gar nichts, schließlich konntest du auch nichts für dich behalten“, antwortete eingeschnappt an sie gerichtet.
      „Was soll das denn heißen? Ich habe nur mit ihm gesprochen über dich, sonst wusste es keiner“, empörte sie sich.
      „Es wird wohl kaum Lars gewesen sein“, gab ich zu bedenken und schüttelte ungläubig den Kopf, dabei stellte ich die Teller abgetrocknet zurück ins Regal.
      „Ohhhh doch! Der kann eine ziemliche Tratschtante sein“, fiel sie ihrem Bruder in den Rücken. Dennoch änderte es nichts an meiner Meinung, dass bald der ganze Platz davon wissen würde, wenn es noch nicht Runde machte.
      „Kann mich einer aufklären, was hier überhaupt das Problem ist?“, fragte Lina und blickte irritiert zwischen uns beide her.
      „Es wird bereits herumerzählt, dass ich auffällig oft in seiner Nähe bin und ich glaube kaum, dass jemand so involviert ist, um mich zu kennen!“, kam ich Wort für Wort mehr in Range. Nachdenklich sah Nour in die Luft.
      „Zugegeben, das klingt ziemlich nach mir“, gab sie zu und atmete kräftig durch, „aber wie zuvor erwähnt Lars erzählt auch gerne, um zu prahlen und er ist schon länger in Kenntnis davon als ich.“
      Tatsächlich erkannt ich, dass sie recht hatte. Als er zu Marlene verschwand, gab er bereits Tipps, obwohl Lars unmöglich etwas wissen konnte. Außer … mir fiel es wie Schuppen von den Augen. An einem Abend hatte ich meinen Laptop nicht ausgemacht und schlief auf der Couch ein. Vielleicht hatte er sich für einen Augenblick meine offenen Tabs angeschaut?
      „Oh, ja, das klingt tatsächlich nach einem Problem“, stellte die kleine Brünette wenig hilfreich fest.
      „Aber wenn ich es offenbar nicht war, kannst du es doch erzählen?“, sprach Nour jedes Wort behutsam, als wäre ich chinesische Vase mit Rissen, die jeden Moment vom Schrank fallen würde.
      „Also gut“, ich seufzte und hängte das nasse Geschirrtuch um einen Griff der Küchenwand. Dann setzte ich mich an den Tisch. „Gestern haben wir uns minimal Unterhalten, weil du“, dabei sah ich bedrohlich zu Nour, die nur grinste, „ihm gesagt hast, dass er sich mit mir unterhalten solle.“
      „Das stimmt so gar nicht! Ich habe ihm nur einen Anstoß gegeben, damit du Anschluss findest in der Szene“, warf sie ein.
      „Auf jeden Fall, vielleicht ist mir im Rausch der Gefühle herausgerutscht, dass er mir gefällt“, ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Das auszusprechen im Nachhinein, fühlte sich unglaublich demütigend an.
      Linas Augen wurden groß: „Wow, das ist aber ein schneller Übergang von Vergessen der Sprachkompetenz, gleich hin zu ersten Geständnissen. Was hat er dazu gesagt?“
      „Zumindest hat es ihn nicht verschreckt“, lachte ich, „und ich schätze, dass es ihm schmeichelte, denn er wollte nicht, dass ich gehe. Ach, und meine Nummer wollte er auch.“
      „Oh, so kennt man ihn gar nicht. Sonst muss man ihm alles erklären, von selbst kommt er auch keine Idee. Aber das scheint für dich zu sprechen“, lachte Nour.
      „Oh wie schön, ich freue mich für dich“, grinste die Kleine und ich glaube beinahe die Herzchen in ihrem Augen sehen zu können.
      „Jetzt macht die jungen Pferde nicht scheu. Es bleibt abzuwarten, ob es was wird, schließlich gibt es noch Hindernisse zu überwinden. Auf Rennen mag es schön sein Mal zu reden, aber wer weiß“, bremste ich die beiden Mädels umgehend, vermutlich auch mich selbst. Gestern Abend hatte ich provisorisch nachgeschaut, die Heiraten hier im Norden funktioniert und festgestellt, dass Schweden im Vergleich zu anderen europäischen Ländern seine Vorzüge hat. Selbst ein wunderschönes schwarzes Kleid fiel mir ins Auge. Unentschlossen seufzte ich, als mein Handy vibrierte. Sofort sah ich nach, unter den drängenden Blicken der anderen. Allerdings war es Erik, der gerade Maxou zurückgestellt hatte und sich freuen würde, wenn ich nächstes Mal auch da wäre. Ohne zu antworten, steckte ich es zurück.
      „Ich glaube diese Hindernisse nimmst du mit Leichtigkeit“, ließ Lina sich ihre Freude nicht nehmen, „Du hast mit Happy, ja bereits gezeigt, wie gut du das kannst.“
      „Wow, dass“, stammelte ich, „schlechter Wortwitz.“
      Gemeinsam lachten wir.

      Stunden später stand ich im Stall und begrüßte Humbria, die mich mit gespitzten Ohren genau beobachtete. Obwohl ihr Fell glänzte unter Decke, putzte ich in Ruhe. Wir hatten noch mehr als eine Stunde, bevor die Parade begann und ich wollte nur ein leichtes Warm-Up fahren. Lars, der nachgekommen war, machte Vision fertig, der in Rennen vor mir lief. Aber seine Aufmerksamkeit hing an drei Männern, die vor Walker Box standen und über diesen sprachen. Hallend trugen sich die Worte zu uns, aber durch den Dialekt konnte ich kaum eins verstehen. Meinen Kollegen ließ die Sache nicht los, stattdessen blickte er unentwegt hinüber, bis er sich entschloss, der Sache auf den Grund zu gehen.
      > Kan jag hjälpa dig?
      „Kann ich ihnen behilflich sein?“, fragte er höflich und begann zu grinsen, als sich einer von ihnen, zu ihm drehte. Offensichtlich kannte er die Männer und wechselte sofort die Stimmfarbe in der Unterhaltung.
      „Kennst du sie?“, flüsterte ich Humbria zu, die im Stroh nach Ähren suchte.
      Nun wurde ich neugierig und putzte in Zeitlupe weiter das Fell, allerdings dieselbe Stelle, immer und immer wieder.
      „Vriska, komm bitte her“, rief Lars schließlich. Die Bürste legte ich zurück in die Kiste und schloss hinter mir die Box. Einer der Herren kam mir mit seinen Gesichtszügen bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht so recht einordnen. Als sich dann der ältere neben ihm, ebenfalls zu mir drehte, erkannt ich eine weitere Ähnlichkeit, vermutlich sein Vater.
      „Weißt du, was Walker dreijährig beim Breeder’s Crown gelaufen ist?“, erkundigte sich mein Kollege.
      „1:08,2“, sagte ich wie aus der Pistole geschossen.
      „Nicht schlecht“, nickte der älteste der drei.
      „Würdet ihr ihn verkaufen?“, fragte der jüngere, den Lars erkannt hatte. Der Dritte im Bunde stand nur schweigend da und beobachtete, wie der Perlino sich in der Box drehte und zwischendurch einen schrillen Schrei durch den Stall sendete. Ohne Lina oder Nour war der Hengst nur schwer zu bändigen, zeigte sich in größter Ungeduld.
      „Das liegt außerhalb meiner Verfügung, aber Tyrell hat bisher nicht darüber gesprochen, dass wir ihn abgeben. Aber er deckt an der Hand“, erklärte ich möglichst höflich und sah mich um, ob Nour in Hörweite war, aber nein. Zum Glück entging sie diesem Unheil.
      „Nun gut, danke“, sagte der Jüngere. Mir kam es noch immer seltsam vor, dass sich keiner vorgestellt hatte.
      > Är det Bastis lilla flicka?
      „Ist das die Kleine von Basti?“, flüsterte der bisher schweigende dem jüngeren zu. Glücklicherweise hatte ich mich bereits umgedreht und lief zu Humbria, somit konnte sie mein vor Scham gerötetes Gesicht nicht sehen.
      > Jag tror inte det. Hon är fortfarande ett barn.
      „Ich denke nicht. Sie ist doch noch ein Kind“, antwortete der Ältere. Lars enthielt sich, zumindest mit Worten, dem Gespräch. Eigentlich hätte ich mir gewünscht, dass er ihnen gesagt hätte, dass ich schon über zwanzig war, dementsprechend kein Kind mehr.
      Mich beschäftigte die Situation eine Weile, auch als ich schon im Sitz saß und die erste Runde im Schritt auf dem Geläuf drehte. Am Himmel kämpfte sich die Sonne durch die Wolken, zauberte einige Strahlen auf den feuchten Boden. In den Hufabdrücken schimmerten kleine Wasseransammlungen, während unter den Eisen es plätscherte. Ich fuhr dicht am Rand und Lars trabte bereits mit dem braunen Hengst, der flink durch den Matsch hetzte. Durch das Paar vor ihm, war seine Brust vollkommen verschmutzt. Auch von meinem Rennen huschten einige Pferde an mir vorbei und die Zweifel kamen wieder, wieso ich das überhaupt tat. Doch die Sonne brachte mir eine Erleuchtung. In der zweiten Kurve stand Basti und grinste, als ich ihn bemerkte. Neben ihm standen die Leute aus dem Stall und ich sah schnell zurück auf den Pferdepo. Mit einem einfachen Schnalzen trabte ich Humbria an, um so schnell wie möglich aus der Kurve zu sein. Den Blicken zu folgen, begriffen sie gerade, dass das „Kind“ jene Vermutung war. Allein die Vorstellung, im Vorfeld derartig verurteilt worden zu sein, bestärkte mich, dass ich mir zu viel auf die Schultern gelegt hatte. Seufzend trieb ich Humbria etwas schneller, damit mehr Takt in den Trab kam. Bisher war der Zweitakt noch durch kurze Töltphasen verschoben und nun setzte sie entspannt voran. Auch in der zweiten Runde standen sie noch an Ort und Stelle, was nur bedeuten konnte, dass ich mir Mühe geben musste.
      Für das Kaltblutrennen räumten wir das Geläuf und ich reihte mich hinter den anderen ein, die im Schritt auf dem Weg fuhren, der neben der Bahn entlanglief. Dicht wendete ich bei Basti, versuchte aber den Blick an meinem Pferd zu halten, um keinen Stoff für weitere Gerüchte zu produzieren. Allerdings machte er mir einen Strich durch Rechnung und kam angelaufen. Ruhig pfiff ich, wodurch Humbria anhielt. Gelassen schnaubte sie ab und rieb sich den Kopf am Bein. Die Brille schob ich auf den Helm, um ihn besser sehen zu können.
      „Bei deiner plötzlichen Flucht, konnte ich dir gar keinen Erfolg wünschen“, sagte Basti und klopfte der Stute auf den Po.
      „Du bist doch einfach verschwunden“, grinste ich siegessicher.
      „Es wirkte wichtig, da wollte ich kein Störfaktor sein“, wandte er ein, nun begann sich Humbria an ihm zu reiben, den hellen Teil der Jacke mit dunklen Flecken zu versehen. Sie hörte erst auf, nachdem Basti sie mehrfach weggedrückt hatte.
      „Du bist kein Störfaktor“, murmelte ich mehr, als dass es voller Elan aus meinem Mund kam, zu groß die Sorge, dass es jemand mitbekam.
      „Dein Riese sieht das ganz anderes“, scherzte er, „aber sie sieht wirklich toll aus und ihre bisherige Form spricht auch für sich.“
      „Danke dir“, schmunzelte ich.
      „Also streng‘ dich an. Ihr könnt das schaffen“, versuchte er mich zu ermutigen.
      „Ich möchte nichts riskieren. Es ist ihr erstes Rennen nach monatelangen Reitpferdetraining. Wir wollen Spaß haben, bis mein Hengst fertig ist“, erklärte ich.
      „Dein Hengst?“, wiederholte er und stellte sich zu mir.
      „Ja, deswegen war ich Malmö. Wenn er so weiter macht, könnte ich in einem Monat die Qualifikation reiten“, berichtete ich ihm.
      „Reiten? Ich verstehe nicht, was du meinst“, gestand Basti und kratzte sich am Kinn.
      „Gut, das hätte ich weiter auslegen sollen. Happy ist ein S-Dressurpferd und möchte mit ihm zur schwedischen Meisterschaft.“
      „Dressur“, ungläubig nickte er, „also bist du eins von den Prinzesschen, die sich auf ihrem Erfolg ausruhen und nur im Sattel sitzen. Verstehe.“
      Es tat in der Seele weh, als er das zu mir sagte, mit solcher Überzeugung, dass es unmöglich schien, ihn ein weiteres Mal zu sehen. Wortlos setzte ich Humbria in Bewegung und drehte sich weg. Ein letztes Mal drehte ich mich nach ihm, aber er setzte ununterbrochen seinen Weg fort. Das hatte ich gehörig vergeigt.

      Lars schaffte es mit Vision auf den zweiten Platz, während ich volles Risiko mit Humbria fuhr, in der Hoffnung, es bei Basti wieder gutzumachen oder eher, ihn zufrieden zu stimmen. Leider sprang mir die Stute dabei heraus, drei Sprünge Galopp und dann folgte wunderbarer Pass, den ich allerdings nicht gebrauchen konnte. Niedergeschlagen lobte ich sie dennoch, schließlich hatte sie bis zum Schluss ihr Bestes gegeben. Am Tor wartete niemand auf mich, weder Lars noch Nour. Selbst Lina und Mateo schienen wie in Luft aufgelöst zu sein. Dementsprechend stieg ich ohne Hilfe ab und führte Humbria an den anderen Teilnehmern vorbei. Sie schnaubte entspannt ab, aber Bammel hatte ich trotzdem. Zurück im Stall nahm ich ihr jegliches Gurtzeug ab, gab ihr Futter und ordnete alles an seinen Platz.
      „Nächstes Mal wird besser“, flüsterte ich in ihr Ohr und blieb zuversichtlich. Eine Hilfe ging zu weit, die folgende zu spät, deshalb lag der Fehler bei mir. Ich hätte gern noch Lars‘ Meinung gehört, aber am Abend würde sicher noch eine Feedbackrunde folgen.
      “Oh, du bist ja bereits fertig”, tauchte Lina plötzlich an der Box auf, “Und, wie war Pilzi?”
      „Also warst du auch nicht da“, seufzte ich nach dem ersten Schreck, dass die Brünette durch den Spalt mich im Stroh entdeckte.
      “Ja, tut mir voll leid”, entschuldigte sie sich, “ Ich wollte schauen kommen, aber du kennst meinen Orientierungssinn. Auf dem Weg zur Toilette habe ich mich verlaufen.”
      „Schon gut, meine Disqualifizierung direkt im Ziel hat damit keiner ertragen müssen“, murmelte ich weiterhin abwesend, mit den Augen an der Stute hängend.
      “Du wirkst aber nicht als sei alles gut. Ist sonst etwas vorgefallen?”, hakte sie sanft nach.
      „Niemanden hat interessiert, was ich getan habe. Niemand, keiner“, japste ich, spürte, wie erste Tränen an meiner Wange herunterliefen. Sofort trat sie zu mir in die Box und schlang die zarten Arme um mich herum.
      “Vriska, mich interessiert es, was du tust, ansonsten wäre ich nicht hier”, sprach sie einfühlsam.
      „Du bist hier, weil Mateo das wollte“, blieb ich kleinlaut am Boden sitzen, „ach und Basti hasst mich“, murmelte ich direkt.
      “Naja, Mateo hat es zwar induziert, aber sein Hauptargument war eigentlich, dass du wohl ein wenig moralische Unterstützung gebrauchen könntest”, erklärte sie, “Aber warum, glaubst du, dass Basti dich hasst?”
      Undefiniert brummte ich und richtete mich schließlich auf. Die einzelnen Strohhalme sammelte ich von der Hose ab, bevor ich auf die Frage antwortete: „Er hat gesagt, dass ich unfähig bin.“
      „Ich denke nicht, dass er das sagte“, bedachte sie nachdenklich.
      „Indirekt schon. Ich erzählte von Happy und dass ich nur vorübergehend fahre, bis er für die Meisterschaft so weit ist und er meinte, dass ich mich wie alle Dressurreiter wohl nur auf meinem Erfolg ausruhe, nichts dafür tue“, seufzte ich. Mit Lubi mag das der Fall sein, dennoch konnte ich die hübsche braune Stute nie auf einem Turnier zeigen. Ungefähr zu der Zeit wäre unsere erste Prüfung gewesen, was mich mittlerweile mehr traf, als ich mir eingestand.
      “Nimm das doch nicht einfach so hin, sondern zeige ihm, dass es auch etwas anderes gibt als Prinzesschen auf teuren Pferden”, redete sie mir gut zu, “Außerdem, dass du mit dem Pilzi hier bist, zeigt doch bereits, dass du wohl nicht ganz so klassisch unterwegs bist.”
      „Stimmt schon“, stand ich mir frustriert ein. „Aber wir müssen los, die Ponys warten nicht ewig.“

      Obwohl die Sonne sich zunehmend dem Horizont näherte und ich mich über mein Verhalten ärgerte, fuhren wir den Weg aus der Stadt heraus, in ein Gebiet, in dem sich die Ponys am häufigsten aufhielten. Im Winter wurden sie zugefüttert, so war es nicht untypisch, dass weiterhin im März nach Futter an besagten Orten gesucht wurde. Zumindest erzählte uns das die Dame im Pferdemuseum, das wir zuvor inspizierten. Ich versuchte mich begeistert von allem zu zeigen, aber Lina spürte, dass ich nicht bei der Sache war und lächelte mich warm an.
      „Das wird schon“, sagte sie, bevor Mateo wieder das Wort ergriff. Er fühlte sich sicher, dass wir die verwilderten Pferde finden würden und hielt schon seit Minuten Ausschau.
      „Ich glaube, da war eins“, rief er dann und ich trat umgehend die Bremse. Am Wegesrand stellte ich den kleinen Wagen ab. Gemeinsam stiegen wir aus und die beiden liefen vor, um sich durch das Dickicht zu kämpfen. An den mannshohen Büschen hingen kleine Fellfetzen, der Boden aufgewühlt von kleinen Hufabdrücken und einige Bäume wiesen ebenfalls auf Treiben der Wildpferde hin. In kleinen Schritten setzten wir durch die Natur, um keine Spuren zu hinterlassen. Handzahm seien sie nicht, erinnerte ich mich aus dem Artikel, aber mich durch trieb das ungewisse Gefühl, dennoch eins anfassen zu wollen. Meter um Meter setzen wir tiefer in den Wald und ich zweifelte, ob sie wirklich da waren. Doch gerade, als ich anmerken wollte, dass wir uns verlaufen würden, hielt Mateo an, den Finger auf die Lippen gelegt. Auf einer Lichtung, nur wenige Schritte entfernt graste eine Herde junger Tiere, die Mähne lang und zerzaust, ihre Hufe in einem schrecklichen Zustand und andere rollten mehr, als dass sie liefen.
      “Die sind ja niedlich”, hauchte Lina, die ganz eingenommen von dem Anblick war. Vorsichtig, um keine Geräusche zu verursachen, bekam sie auch sogleich ihr Handy hervor, um den Moment in Form von Pixeln festzuhalten.
      „Vielleicht sollten wir die Isländer von der Weide lassen“, schlug ich leise lachend vor. In zwei Jahren würden vermutlich die Tiere ebenso unförmig und verwildert aussehen.
      “Ich fürchte, das Naturschutzamt wäre davon nur wenig begeistert”, schmunzelte der Schweizer und auch Lina erklang ein unterdrücktes Lachen.
      „Aber unser Gestüt ist Privatgelände und mindestens genauso groß“, stellte ich trocken fest, „und vermutlich bekommen wir im Juni noch den Küstenabschnitt, samt Wald westlich vom Hof.“
      “Dann will ich sehen, wie du den Ponys erklärst, wo das Gelände aufhörst”, grinste die Kleine.
      „Zaun?“, fiel ich wie aus allen Wolken, ich dachte, dass es offensichtlich sei, wie Geländegrenzen gesetzt werden.
      Von der Seite kam eine Stute in kleinen Schritten, nebenher trottete ein zartes Fohlen, der Größe zu Folge kaum älter als eine Woche. Die dünnen Beine mit großen Gelenken stampften unsicher den weichen Waldboden. Es lief neugierig zu Lina und stupste sie an der Hand an. Kaum zog ich mein Handy heraus, um es für sie festzuhalten, sprang es panisch zur Seite und trabte zur Mutter zurück, die auf sicheren Abstand angehalten war. Die kleine Brünette sah aus, als würde sie gleich vor Niedlichkeit zergehen.
      “Wie kann man nur so putzig sein”, wisperte sie verzückt, “Können wir eins mitnehmen?” Ihre Augen leuchten immer mehr, je länger sie die plüschigen Tiere beobachtete. Skeptisch bewegte sich mein Blick zwischen ihr und Mateo, der sich nicht dazu äußerte, sondern geduldig die Pferde beobachtete.
      „Tendenziell hast du schon genug und wie war das mit, ‚keine Pferde sammeln‘? Langsam wird es zur Sucht“, versuchte ich ihr ins Gewissen zu reden.
      “Aber ich habe doch nur … zwei”, versuchte sie sich die Sache schönzureden. Dennoch überlegte ich, welchen Teil ich schon wieder verdrängt hatte. Kritisch blickte ich sie an: “Nur zwei? Und was war dann das Gejammer am Mittwoch?”
      “Lina, wovon spricht sie?”, fragte der Schweizer verwundert. So langsam schien auch Mateo zu begreifen, dass sie es tatsächlich ernst meinte.
      “Sie spricht von Rambi”, murmelte Lina kleinlaut, “aber wenn mir nicht bald was einfällt, wird das ohnehin nichts.”
      “Musst du wohl einen reichen Kerl heiraten”, scherzte ich und drehte mich weg, um auch zu versuchen, an eins der Plüschkugeln heranzukommen. Allerdings setzten sie sofort weg, wenn ich nur einen Zentimeter zu nah kam.
      “Wirklich lustig”, rollte sie mit den Augen, „Niklas würde das sicher machen, aber ich kann mir doch nicht ständig Pferde kaufen lassen.” Verständnisvoll nickte der Schweizer.
      „Hast du bereits an eine Teilhaberschaft gedacht? Ich könnte mir vorstellen, dass meine Schwester durchaus Interesse an dem Hengst haben könnte“, schlug er schließlich vor. Obwohl ich besten Willen versuchte, mich aus ihrem Gespräch herauszuhalten, hingen meine Ohren an ihren Mündern. „Teilhaberschaft, wie funktioniert das?“, fragte sie stirnrunzelnd, als sei ihr der Begriff nicht geläufig.
      „Man kann auch Besitzergemeinschaft sagen“, warf ich unbekümmert ein, „das ist im hohen Sport nicht unüblich. Besonders wenn es um viel Geld geht.“
      Augenblicklich spürte ich, dass ich mich abermals im Ton vergriffen hatte, aber seit dem Debakel mit Basti, konnte ich meine Stimmung nicht mehr verbergen. Mir tat es für die anderen leid, nur zu ändern war nichts daran. Es schien, als würde ich mich ihr überlegen fühlen, dabei hatte ich es auch nur von Lars aufgegriffen, der mit Tyrell regelmäßig über Hengste und Anteilverkäufe philosophierte.
      „Mhm, du glaubst also nicht, dass ich mich damit lächerlich mache? Immerhin ist Rambi so wertvoll nun auch wieder nicht.“ Unsicher blickte sie Mateo an, bevor ihr Blick sich wieder auf die Tiere richtete. Besonders als sie eines der kleinen braunen Pferdekinder betrachtete, welches an der Seite seiner Mutter den ersten Grashalm probierte, wurde ihr Blick verträumt.
      “Quatsch, frage Sam einfach”, sprach Mateo ermunternd, “Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie dem abgeneigt sein wird.” Lina nickte nur beiläufig, bekam die Augen nicht von dem kleinen Fellknäuel los.
      „Wenn du dir so viel Gedanken um seinen Preis machst, scheint er aber wertvoll genug zu sein, um über Teilung nachzudenken“, mischte ich mich ein, „und vielleicht stellt sie ihn auch Turnieren vor, dann zeigt sich, was er kann.“
      “Also denkst du auch, ich sollte Sam fragen”, schlussfolgerte die kleine Brünette aus meinen Worten.
      “Nun”, ich seufzte und zog mein Handy hervor, darauf tippte ich herum, bis ich schließlich mein Konto vor mir hatte, “ich kann dir sonst 4.503.797,34 schwedische Kronen bieten. Reicht das ungefähr für ihn?” Schließlich kramte ich noch in der Hosentasche: “Ach und hier sind noch zweihundert.”
      “Du bist viel zu lieb”, schmunzelte Lina, “aber ich denke, ich muss mir das erst einmal durch den Kopf gehen lassen und mich informieren, bevor ich das endgültig entscheide.”
      “Wie du willst, mir ist es egal”, zuckte ich abwesend mit den Schultern. Für einen Moment fühlte ich zu desinteressiert, dafür, dass es so viel Geld war, doch dann erinnerte ich mich wieder, wofür ich es bekomme, und schenkte ihm keinerlei weitere Beachtung. Stattdessen freute ich mich darüber, dass mein selbst erarbeitetes Geld langsam wuchs. Nichts war zuhörend, außer den Geräuschen, die die Pferde verursachten. Mit einem verträumten Lächeln auf den Lippen, beobachtete die Kleine diese, wohingegen ich wahrnahm, dass Mateos helle Augen zu ihr abschweiften.
      “Woran denkst du gerade?”, durchbrach seine warme Stimme die Stille.
      “Nichts Besonderes, ich dachte nur gerade … siehst du das Pony dort zwischen den Büschen”, sie deute etwas abseits der Herde. Zwischen den Blättern stand ein vergleichsweise langbeiniges Pony in einen hübschen Braunton und einigen ausgeblichenen Strähnen in der dunklen Mähne.
      “Es erinnert mich nur ein wenig an ein Pferd von früher”, lächelte sie sanft und dennoch schwang ein Hauch von Nostalgie mit. Allerdings meldete sich mein Handy und ich konnte es gar nicht schnell genug aus der Tasche ziehen. Kurz trat ich einige Meter von den Beiden weg, vielleicht war die Zweisamkeit das Richtige für sie.
      „Ich habe dich bei meinem Sieg vermisst“, schrieb Basti, als wäre nichts vorgefallen.
      „Ach ja? Ich hätte mir auch mehr Unterstützung gewünscht“, antwortete ich verärgert.
      „Dann haben wir wohl beide nicht bekommen, was wir wollten.“
      „Offenbar.“ Meine Finger huschten nur so über den Bildschirm, während der Körper vor Wut kochte. Wo nahm er all die Überzeugung von sich selbst her und hatte nicht einmal eine Sekunde dafür übrig, sich bei mir zu entschuldigen, obwohl es in meinen Augen ratsam wäre. Sein Status wechselte von online direkt auf offline und damit hatte sich das Gespräch. Zumindest dachte ich das, denn gerade, als es wieder in der Jackentasche steckte, meldete es sich zurück.
      „Du hast es vergeigt, kommt vor. Nächstes Mal wird besser“, schien er mich ermutigen zu wollen, dennoch trafen mich seine Worte. Eine Stimme im Kopf sollte mich zur Vernunft bringen, dass er es gut meinte, doch sie hallten so leise, dass ich sie ignorierte.
      „Sehr freundlich“, tippte ich. Im Moment der Rage wurde die zarte Stimme dennoch lauter, sprach zu mir, dass er gut meinte. Zudem war ich es, die ihn begehrte und kennenlernen wollte, nicht er. Für ihn stellte ich nichts Besonderes dar, obwohl Basti mittlerweile die Welt für mich bedeutete. Wo dieses Gefühl herrührte, erklärte sich mir nicht, aber konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, sobald er im Vordergrund stand.
      „Wo bist du? Ich möchte noch persönlich auf Wiedersehen sagen“, leuchtete es auf dem Bildschirm. Dass er meine Provokation nicht als solche auffasste, erleichterte mich tatsächlich.
      „Irgendwo im Wald hinter Visby. Wir schauen uns Wildpferde an“, erklärte ich.
      „Schade. Dann wohl bis zum nächsten Renntag, wir fahren in zehn Minuten los. Liebe Grüße“, kam es als letzte Nachricht und wie eingefroren starrte ich auf mein Handy. Wieso wollte er damit das Gespräch beenden? Nichts wäre falsch daran, weiterzuschreiben, nur für ihn schien die Sache klar. Seufzend steckte ich es endgültig zurück in die Tasche, denn es vibrierte kein weiteres Mal. Die paar Meter trat ich zurück. Augenscheinlich führte Lina die Vergangenheit noch genauer aus, denn Mateo hielt ihr Handy in der Hand.
      “Sieht aus, als hätte ihr eine wirklich schöne Zeit gehabt”, lächelte er charmant und reichte ihr das Gerät zurück.
      “Ja, das war so. Nur leider viel zu kurz”, seufzte sie und ließ das Gerät in der Tasche verschwinden, als sie mich bemerkte. “Und? Wirst du schon vermisst?”, fragte sie neugierig, wer es wohl war, der mich von ihnen weglockte.
      „Mhm“, brummte ich unbestimmt und nickte dabei ebenso undeutlich. Als Vermissen würde ich es nicht bezeichnen, sonst hätte das Gespräch nicht als beendet entschieden.
      “Offenbar nicht, wie du dir erhofftest”, schlussfolgerte sie, ohne weiter Fragen zu stellen.
      „Immerhin scheint er der Meinung zu sein, dass wir uns nächstes Wochenende sehen“, zitterte meine Stimme und ein ungewolltes Lächeln zuckte über die Lippen. Ich versuchte es durch willkürliche Bewegung der Wangen zu unterdrücken, schließlich war ich sauer und nicht freudig gestimmt, dass er mich sehen wollte! Aber es gelang mir nicht, stattdessen fühlte das Grinsen immer größer und strahlender an.
      “Das ist doch gut, das heißt, er ist gewillt dich weiter kennenzulernen”, lächelte sie sanft.
      „Wer weiß, vielleicht hat er auch ganz andere Pläne, die einzig auf persönliche Erfolge abzielen“, blieb ich skeptisch und erinnerte mich an die Worte der Männer im Stall, die sich im Nachhinein als seine Familie herausstellten. Mich ihnen letztlich noch richtig vorzustellen, war ihm sicher peinlich, aber ich konnte es auch niemanden verübeln. Ich hatte nichts und das Rennen vergeigte ich auch. Bei meinem Glück würde Humbria nun immer rausspringen.
      “Male dir doch nicht gleich das Schlimmste aus, nur weil er nicht so offensiv vorgeht”, versuchte Lina mich etwas positiver zu stimmen. Natürlich wusste ich tief im Herzen, dass sie vollkommen recht hatte, erst recht nach dem Nour bereits andeutete, dass er kühl sei. Nur mein Kopf wollte es sich nicht eingestehen.
      “Aber vielleicht sollten wir dennoch langsam zurück”, lenkte ich ab. Die Sonne war beinah am Horizont verschwunden und damit würde man von den Pferden nicht mehr viel erkennen. Da von den Geschwistern auch nichts kam, wusste ich nicht, wie ihre endgültigen Rennen abliefen.
      “Da hast du natürlich recht”, stimmte der Mann in der Runde zu, woraufhin auch Lina nickte.

      Kategorisch verfuhren wir uns und legten damit eine Ehrenrunde über die Insel hin, zumindest fühlte es sich so an, als wären wir eine ganze Runde über als Öland gefahren. Damit kamen wir über eine Stunde später auf dem Gelände ab, schließlich musste ich auch noch das Auto zurückbringen. Nour und Lars saßen wider Erwarten nicht im Transporter.
      “Ich würde in den Stall gehen, kann man euch beide allein lassen?”, zwinkerte ich Lina zu, die müde neben Mateo saß.
      “Wir knapp überleben ohne dich”, scherzte der Schweizer, nachdem Lina nur ein Nicken, begleitet von unverständlichem Gemurmel zustande brachte.
      “Das meinte ich nicht”, scherzte ich und trat schließlich aus der Tür heraus, mit Dog im Schlepptau, der neugierig jeden Grashalm inspizierte. Auf dem Gelände war es gespenstisch leer und still. Einzig die Geräusche der Pferde aus dem Stall schallten in meine Ohren, zusammen mit dem Wind, der durch die Kronen der Bäume fegte. Irgendwo klammerte loses Holz.
      Im Stall ruhten die Tiere, doch Humbria streckte sofort den Kopf heraus und unsere anderen folgten ihr. Alle waren da, das Heu aufgefüllt und rundum versorgt. Dennoch verfolgte mich ein schlechtes Gefühl. Oder war es im heimischen Stall, was mir ein Bauchgefühl sagen wollte? Nervös fummelte ich am D-Ring der Hundeleine herum und wusste es nicht genau zu deuten. Vorsorglich schaute ich auf mein Handy, aber auch da war keine Nachricht, die mir die erhoffte Erleuchtung brachte. Also schaltete ich das Licht wieder aus und schloss die Holztür. Zähneknirschend lief ich zurück. Im Transporter saßen sie noch immer entspannt auf der Bank. Mateo sprach leise, denn Lina hing auf seiner Schulter, beinah eingeschlafen. Sie kuschelte sich noch näher an ihn heran, als ich die Tür schloss. Es war wohl eher das Geräusch, dass sie kurzzeitig weckte, als meine Präsenz. Aber ja, schlafen klang nach einer guten Idee, nach dem die Nacht schon unglaublich kurz war und wir am Morgen die erste Fähre nahmen.

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      zeitliche Einordnung {Mitte März 2021}
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    kalmar.
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    27 Mai 2022
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  • Netflix ist 9 Jahre alt.

    Aktueller Standort: Kalmartravet Stuteri, Kalmar [SWE]
    Unterbringung: Box [9 h], Paddock [15 h]


    –––––––––––––– s t a m t a v l a

    Aus: Com Net (SE) [Standardbred]
    MMM: Delnouvelle (US) ––––– MM: Fifth Column (US) ––––– MMV: American Winner (US)
    MVM: Time Speed (US) ––––– MV: Pine Chip (US) ––––– MVV: Arndon (US)


    Von: Pay In Euro (SE) [Standardbred]
    VMM: Kullehus Mynta (SE) ––––– VM: Euro Staro Coin (SE) ––––– VMV: Viking Kronos (IT)
    VVM: Enfilade (FR) ––––– VV: Offshore Dream (FR) ––––– VVV: Reve d'Udon (FR)



    –––––––––––––– h ä s t u p p g i f t e r

    Zuchtname: Pay My Netflix
    Rufname: Netflix
    Farbe: Rappe
    [Ee aa]
    Geschlecht: Hengst
    Geburtsdatum: Februar 2013
    Rasse: Standardbred [STB]
    Stockmaß: 161 cm

    Charakter:
    ungeduldig, neugierig

    * Netflix läuft Trabrennen
    * drei Gänger
    * Als Vorlage der Abzeichen diente Glorious Boko


    –––––––––––––– t ä v l i n g s r e s u l t a t

    [​IMG]

    Dressur A [M] – Military E [A] – Fahren E [M] – Rennen M ['S] – Distanz E [A]

    Ebene: International

    Juni 2022
    1. Platz, 545. Fahrturnier
    Jogging, Rennen E zu A

    Juli 2022
    Rennvorbereitung, Rennen A zu L
    2. Platz, 533. Distanzturnier
    1. Platz, 534. Distanzturnier
    1. Platz, 535. Distanzturnier
    1. Platz, 555. Fahrturnier
    Zweite Auslosung

    August 2022
    2. Platz, 556. Fahrturnier
    1. Platz, 534. Militaryturnier
    3. Platz, 559. Fahrturnier
    Rennen L zu M
    3. Platz, 560. Fahrturnier
    1. Platz, 584. Rennen

    November 2022
    Beritt, Dressur E zu A


    –––––––––––––– a v e l

    [​IMG]

    Gekört durch HK 516 im Oktober 2022.

    Zugelassen für: Traber aller Art; Mecklenburger; CH Sportpferd; DSP
    Bedingung: Keine Inzucht; Rennen min. L
    DMRT3: CC
    Lebensrekord: 1:09,3
    Leihgebühr: 329 J. [Kein Verleih]

    Fohlenschau: 0,00
    Materialprüfung: 7,78

    Körung
    Exterieur: 7,36
    Gesamt: 7,69



    –––––––––––––– a v k o m m e r

    Pay My Netflix hat 4 Nachkommen.
    • 2015 Friedenszahlung LDS (aus: Friedensstifter)
    • 2016 Financial Secret (von: Eifellust)
    • 2017 A Cash Machine (von: Eichkatze)
    • 2020 Trade Mark LDS (von: Form Follows Function LDS)


    –––––––––––––– h ä l s a

    Gesamteindruck: gesund, im Training
    Krankheiten: keine
    Beschlag: Falzeisen [Aluminium], Vorne


    –––––––––––––– s o n s t i g e s

    Eigentümer: Kalmartravet [80 %]; Sebastian Göransson [20 %]
    Pfleger: Timo Sövik
    Trainer: Sebastian Göransson
    Fahrer: Sebastian Göransson
    Züchter: Uvabäck AB, Malmö [SWE]
    VKR / Ersteller: Mohikanerin


    Punkte: _gekört
    Abstammung [0] – Trainingsberichte [3] – Schleifen [10] – RS-Schleifen [0] – TA [2] – HS [2] – Zubehör [2]

    SpindHintergrundVorschaubildVirtuelle Anpaarung