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Mohikanerin

// Osvominae [3]

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// Osvominae [3]
Mohikanerin, 10 Juni 2022
Wolfszeit gefällt das.
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugoett | 21. Juni 2022

      HMJ Divine / Legolas / Maxou / Pleasing / Hendrikus zu Stalburck / Lubumbashi / Einheitssprache / Osvominae

      Lina
      “Und deine Geschwister kommen wirklich heute, alle miteinander? Kaum zu glauben”, scherzte ich. Zitternd fuhren meine Hände durch die dichte Mähne meines Hengstes, der mit dem meterhohen Schnee, um uns herum zu verschmelzen schien.
      “Tatsächlich, ja”, nickte Samu zustimmen und gab Lego, der schon wieder antraben wollte, eine sanfte Parade. Offenbar schien nicht nur meine Aufregung mit jeder verstreichen Minute zu wachsen. Seit Wochen war ich nur noch damit beschäftigt Deko zu basteln, den kleinen Auftritt einzuüben, den Enya und ich für den ersten Weihnachtsfeiertag vorbereitet hatten und zuallerletzt mussten natürlich auch noch Geschenke besorgt und eingepackt werden. Besonders das für meinen Freund erforderte einiges an organisatorischem Geschick, damit er nicht etwas von den Vorbereitungen mitbekam.
      “Und schon aufgeregt wegen morgen?”, grinste Samu. Er war natürlich wie immer die Ruhe selbst. Verständlich, der einzig Unbekannte für ihn, der kommen würde, war Taavi.
      “Ja, ich hoffe, es läuft alles glatt”, lächelte ich nervös und zupfte mit meinen Fingern an einem losen Faden an der Schabracke herum.
      “Mach dir nicht so viele Sorgen. Enya und du haben das fantastisch vorbereitet”, versuchte Samu mich zu beruhigen. Etwas Ähnliches hatte Niklas vorhin auch gesagt, bevor er sich zu seiner Familie nach Hause aufmachte. Leider musste ich sagen, ich hätte ihn lieber hierbehalten.
      “Du hast gut reden”, rollte ich mit den Augen, “Du hast ja nicht viel mehr gemacht als den Chauffeur zu spielen.” Na ja, nicht ganz. Wenigstens für den Festtagsbaum hatten Niki und er sich nützlich gemacht. Wenn ich bedachte, wie kreativ das eine Holzpferdchen aussah, welches mein Freund bemalt hatte, war das auch besser so. Gleichwohl war es mir das Liebste von allen.
      “Wir wissen beide, dass es dir deutlich lieber ist, wenn ich nicht mit bastle”, lacht der Finne.
      “Ja, weil du dir keine Mühe gibt’s”, feixte ich. Unvorhergesehen stoppte Ivy und starrte wie gebannt in den Wald. Durch die kleinen plüschigen Öhrchen hinweg folgte ich seiner Blickrichtung. Nicht war zu sehen, vollkommen unbewegt standen die gigantischen Fichten da, deren Äste sich unter der Schneelast durchbogen.
      “Nein, ich bin einfach untalentiert”, korrigierte der Blonde und treib seinen Rappen wieder an. Träge setzte sich auch Divine wieder in Bewegung, doch sein Ohrenspiel verriet, dass seine Aufmerksamkeit noch immer rechts von uns lag.
      “Also deine Kunstnote sagt da etwas anders”, zog ich meinen besten Freund weiter auf.
      “Du meinst wohl eher, deine Kunstnote, die sich auf mein Zeugnis verirrt hat”, lachte er herzlich. Möglicherweise waren mir des Öfteren Samu Arbeiten für dieses Fach in die Hände gefallen, die ich dann ein wenig ausbesserte. Auch einer Richtung, die ich nicht zuzuordnen wusste, erklang ein Rascheln, was diesmal nicht nur Divine aufhören ließ. Legolas drehte ebenso die Ohren aufmerksam, sah mit wachen Blick in die Richtung des Geräusches. Erneut lag die weiße Fläche unberührt vor uns.
      “Sag mal, sehen unsere Pferde Gespenster?”, fragte ich Samu, versuchte dennoch das Zusehen, was unsere Pferde schon längst gefunden hatten.
      “Vielleicht haben sie ja die Weihnachtswichtel aufgespürt”, scherzte dieser. Die Ohren aufgestellt bis zum Anschlag, baute Ivy den Hals weiter auf und richtete seinen Blick auf die Baumkronen hoch über uns. Das Rascheln war mittlerweile verstummt, aber die wippenden Äste, von denen nun der Schnee herunterrieselte, zeugten noch immer von der Gegenwart des unsichtbaren Lebewesens.
      “Mir ist nicht bekannt, dass Wichtel in Baumkronen herumturnen”, lachte ich. Die Vermutung lag näher, dass ein Eichhörnchen oder Vogel dort oben sein Unwesen trieb.
      “Nur weil du noch nie eine dabei gesehen hast”, hielt Samu mich weiterhin zum Narren. Er war heute ausgesprochen guter Laune, was wohl daran liegen musste, dass seine Familie kam. Ansonsten war nämlich alles wie immer. Naja, mehr oder weniger. Mein Hengst prustete laut, als sich über unseren ein großer heller Falke aus dem Grün erhob. Mit wenigen Flügelschlägen gewann das Tier an Höhe, bevor es auf einem Aufwind treibend über den Himmel kreiste. Faszinierend, ein solches Tier hatte ich noch nie gesehen.
      “Wow, ist das ein schöner Vogel”, staunte ich ehrfürchtig. Selbst auf die große Distanz war die dunkle Zeichnung in dem hellen Gefieder zu erkennen. Wie zum Gruße flog, der Vogel eine Schleife, bevor er hinter den Baumkronen verschwand.
      “Ungewöhnlich, ein Falke zu dieser Jahreszeit”, antworte Samu ebenso verwundert wie ich. Lego, der das Interesse an dem Geraschelt bereits verloren hatte, als der Falke sich in den Himmel schraubte, schnupperte nun neugierig an Ivy, der immer noch klang wie ein Drache. Warum auch immer waren Vögel ein Ding, worüber der Freiberger sich furchtbar aufregte.
      “Alle gut, Ivy”, sprach ich beruhigen auf ihn ein und strich über den kräftigen Hals. Immerhin ein Ohr drehte er daraufhin in meine Richtung und ließ sich wieder in Bewegung setzen.
      Friedlich, schon beinahe verlassen tauchte der Hof nach einiger Zeit vor und auf. Von den Einstellern hatte sich nicht ein einziger bisher blicken lassen und von den Mitarbeitern waren die meisten waren die meisten ausgeflogen. So verblieben neben Tyrell und Bruce, sonst nur noch Lars mit seiner Familie, Harlen und ich. (Korrigieren wenn Falsch)
      In der Stallgasse war es ebenso leer, denn bis auf die beiden Ponys standen die meisten Pferde draußen auf ihren kleinen Paddocks und genossen den vorweihnachtlichen Frieden.
      “Lina, du hast noch knapp eine Stunde, wenn wir deine Schwester pünktlich abholen wollen”, erinnerte Samu, während er seinem Hengst die Trense vom Kopf zog.
      “Oh, waren wir echt so lange unterwegs?”, hinterfragte ich erstaunt. Bevor wir losritten, war noch weit über drei Stunden Zeit gewesen. Der Finne nicke bestätigend.
      “Oh, dann muss ich mich ja beeilen, wenn ich Maxou noch beschäftigen will”, stellte ich fest. Nachdem Vriska von einen Tag auf den anderen verschwunden war, entpuppte das Pony sich immer mehr als Sorgenkind. Obwohl unser Tierarzt das Rätsel um die mysteriöse Beule mittlerweile lösen konnte, wurde sie nur sehr langsam kleiner. Maxi stand unter solchem Stress, dass sie immer wieder wild mit dem Kopf schlug und sich dabei häufig an der Stange stieß, die das Fenster begrenzte. So war die erste Maßnahme gewesen, diese abzupolstern, doch das änderte natürlich nichts an dem Stress, unter dem das Pony litt, zumal die Auslöser dafür nur schwer zu ermitteln waren. Wie sich herausstellte, war Lubi, das gigantische Warmblut, welches Vriska zur Verfügung gestellt worden war, einer davon. Glücklicherweise behob sich dieses Problem recht schnell, da Eskil die Stute für den Beritt zurück nach Kalmar holte. Anstelle des Warmbluts in der Nachbarbox, bekam Maxou schließlich Pleasing zur Gesellschaft. Die helle Reitponystute gab ihre Sicherheit und so ganz langsam schien sie zu verstehen, wie das mit der Paddockbox funktionierte.
      Während ich noch am Absatteln war, hatte Samu bereits das Futter für die beiden geholt. Hungrig wie immer senkte Divine seine Schnauze in die Schüssel und begann mit der Krümelei.
      “Apropos Maxou, hast du mittlerweile was von Vriska gehört?”, erkundigte er sich. Ich schüttelte seufzend den Kopf: “Nein, noch immer wie vom Erdboden verschluckt.” Der Grund für ihr plötzliches Verschwinden war offensichtlich, wie beunruhigend zugleich, denn ich war mir nicht sicher, ob ihre Psyche diesen Schlag verkraften würde. Ivy, der den minimalen Stimmungswechsel natürlich bemerkte, hatte aufgehört zu fressen und stupste mich sanft an der Schulter an.
      “Lina, komm mal her”, sagte Samu sanft und klopfte auf die Bank neben sich, wo er sich niedergelassen hatte. Gedrückt ließ ich mich neben ihn sinken und er legte mir direkt freundschaftlich den Arm um die Schultern.
      “Sicherlich braucht sie nur ein wenig Zeit, um das zu verarbeiten. Wenn sie bereit ist, meldet sich bestimmt wieder”, gab er mir Zuspruch,” außerdem hat ihr Bruder doch gesagt, dass es ihr gut geht.”
      ”Du hast ja recht”, nickte ich langsam. Ich sollte es einfach als positives Zeichen nehmen, dass ich noch keine schlechten Nachrichten über sie gehört hatte.
      “Und jetzt, Kleines, hörst du auf, dir Gedanken, um Vriska zu machen und blickst lieber mal darauf, was vor dir liegt. Es ist Weihnachten, deine Schwester kommt und ich habe gehört Mama und Eevi freuen sich auch schon dich mal wieder zu sehen.” Ein herzliches Lächeln zeigte sich auf seinem Gesicht und auf seinen Fingerdeut hin nickte Ivy mit dem Kopf, als wolle er seinen Worten zustimmen.
      “Was würde ich ohne Euch zwei nur tun”, lächelte ich gleich wieder ein wenig positiver gestimmt und drückte ihn dankbar. Niedlich wie mein plüschiger Freiberger war, kam er freundlich an geschnüffelt und schob seine Schnauze an meine Wange und wurde auch Teil des Gruppenkuschlens.
      “Na auf, dann bring mal deinen Teddy ins Bett, damit mit du mit dem Pony auch rechtzeitig fertig wirst”, lächelte Samu und löste meine Arme von sich. Besagtem bot ich eines seiner geliebten Pastinaken Leckerlis an, bevor ich mich von der Bank erhob.
      Wenig später brachten wir gemeinsam die beiden Hengste auf ihren Paddock, wo Rambi mal wieder die ganze Herde aufmischte. Nur ein Pferd schien das relativ wenig zu stören. Gelassen stand der Warmblüter an der Heuraufe und bediente sich.
      “Was ist eigentlich mit Hendrik, bewegst du denn heute auch noch?”, fragte ich interessiert. Samu und seinem Berittpferd beim Training zuzusehen, war ähnlich einnehmend wie Niklas mit seiner Stute. Dabei stellte ich immer wieder fest, dass ich noch so vieles lernen konnte, denn so ein harmonisches Bild gab ich nicht mal mit meinen eigenen Pferden ab.
      “Ja, aber erst, nachdem wir deine Schwester abgeholt haben”, entgegnete er und entließ Lego in das Gatter. Sofort trabte der Rappe davon und mischte sich unter die anderen Tiere. Divine hingegen stiefelte Nase voran durch den Matsch, um sich unmittelbar in den größten Dreckhaufen zu werfen, den er finden konnte. Wozu putze ich ihn eigentlich, wenn er ohnehin keine Minute lang sauber blieb? Na ja, egal, Maxou wartete.
      An Ihrer Box blickte mir sogleich ein wenig freundlich dreinblickendes Pony entgegen. Sie war furchtbar missgelaunt und dass Erik nur sporadisch vorbeikam, um sich um sie zu kümmern, verbesserte diesen Zustand nicht gerade.
      “Mmm, Pony, was machen wir mit dir?”, fragte ich sie und griff nach dem Halsriemen, welchen ich angeschafft hatte, bis ihre Beule abgeheilt sein sollte.
      “Ich glaube nicht, dass sie dir antworten, wird”, lachte Samu, “Aber angesichts der Uhrzeit, würde ich vorschlagen, du belässt es bei Bodenarbeit.”
      “Gute Idee”, bedankte ich mich bei ihm, “Wenn du nix zu tun hast, könntest du dann gerade ihr Mash ansetzten?” Samu nickte und verschwand daraufhin in die Sattelkammer.
      Als Friedensangebot steckte ich Maxi ein Leckerli ins Maul, auf dem sie langsam herumkaute, womit ich ihr das Halsband umbinden konnte oder das Risiko eingehen konnte von ihr gezwickt zu werden. Artig folgte mir die kleine Stute in die Reithalle, wo ich erst einmal mit einigen einfachen Gehorsamkeitsübungen startete. Beinahe im Schlaf beherrschte sie diese, sodass sie ziemlich schnell nach etwas Schwierigerem verlangte.
      Nach knapp zwanzig Minuten verlor die kleine Stute dir Lust an der Arbeit, womit ich die Einheit auch beendete. Am Putzplatz erwartete eine Schüssel mit dampfendem Mash bereits darauf, verspeist zu werden. Was Redo und Ivy in Sekundenschnelle aufgesaugt hätten wie ein Schwamm, schien das Pony allerdings nur wenig zu überzeugen. Lustlos schnupperte sie an dem Gemisch, bevor sie den Kopf abwendete. Es war zu verzweifeln, manchmal fraß sie, manchmal nicht und es gab nicht mal einen sichtbaren Grund dafür. Laut dem Tierarzt war bis auf die bereits bekannten Dinge gesundheitlich alles in Ordnung. Ob die kleine Gurke wohl traurig war, dass Erik und Vriska nicht mehr da waren? Wollte sie deshalb nichts fressen? Aber einen Trick hatte ich noch auf Lager, der sie vielleicht doch noch zum Fressen brachte. Zielsicher lief ich in die Futterkammer und griff das Glas Apfelmus aus dem Regal und einen Löffel.
      “Willst du jetzt picknicken, bis das Pony gefressen hat?”, scherzte Samu als er die Gegenstände in meiner Hand entdeckte.
      “Nein, ich wills das Pony damit füttern”, erklärte ich. Das Klirren des Löffels, welche ich neben der Schüssel auf dem Boden ablegte, ließ Maxou aufhorchen. Neugierig hob sie den Kopf und schnupperte an dem Glas, offenbar schien ihr dies zu gefallen. Nur leider bekam ich es nicht auf.
      “Könntest du das mal bitte öffnen. Ich bin zu schwach”, sagte ich und reichte das Behältnis weiter. Der Finne stellte es auf den Kopf, schlug einmal auf den Boden und schon ließ es sich problemlos öffnen.
      “Nicht zu schwach, du kommst nur nicht gegeben, die physikalischen Kräfte in dem Glas an”, belehrte dieser mich lachend und händigte es mir wieder aus. Den Inhalt des Glases leerte ich in die Mashschüssel und rührte es unter.
      “So Maxou, wenn du das jetzt nicht essen willst, weiß ich auch nicht weiter”, sprach ich zu dem Pony und hielt ihr erneut ihr Futter vor die Schnauze. Anstelle der Schüssel schien der Löffel viel mehr Interesse zu erwecken, denn das Pony schnupperte ihn kurz an und leckte ich schließlich ab. Das brachte mich auf eine Idee. Mit einer Portion Mash darauf hielt ich ihr den Löffel erneut hin und auch dieses Mal schleckte sie alles herunter.
      “Fütterst du das Pony jetzt wirklich mit dem Löffel?”, fragte Samu ungläubig.
      “Besondere Umstände, erfordern besondere Maßnahmen. Also ja, bevor sie nicht frisst fütter ich sie so”, entgegnet ich erleichtert, dass das Pony endlich Nahrung zu sich nahm.

      Mehrere Stunden später

      Vriska
      „Hier ist literally nichts“, jammerte Madly kläglich seit Stunden. Sie war meine Halbschwester, vor ein paar Wochen dreizehn geworden und steckte tief in der Pubertät fest. Bis zum Einchecken am Flughafen, wussten wir nicht, wo es hingehen wurde. Jeden Tag fieberten wir auf den Urlaub hin, hofften, dass es ein warmes Küstengebiet werden würde. Doch saßen wir im Auto, fuhren mit konstanter Geschwindigkeit eine Fernstraße in Schweden entlang und natürlich kannte ich den Weg, leider. Neben uns zogen andere Fahrzeuge vorbei und eine verschlafene Schneelandschaft, die zwischendrin von kleinen Häusern durchbrochen wurde. Die Fenster waren liebevoll dekoriert, auf den Dächern türmten Rentiere mit Schlitten oder es stand ein Schneemann im Vorgarten. Obwohl ich als Kind Weihnachten liebte, empfand ich gegenwärtig nichts. Es war mir vollkommen egal, ein Tag wie jeder andere. Allerdings konnte ich mir schon vorstellen, was mich erwarten würde auf dem Gestüt. Überall bunte Lichter, Menschen mit Weihnachtsmannmützen und Pferden, die dämliche Glöckchen trugen. Furchtbar.
      In meinem Kopf waren nur die Tiere, gleichermaßen ängstigte mich der bloße Gedanke, eins zu sehen und anzufassen. Ich malte mir jedes Szenario aus in der Londoner Stadtwohnung meiner Familie, wie es heute ablaufen würde, doch nichts konnte meine Lustlosigkeit so gut untermalen wie der Leere Blick aus dem Fenster.
      „Vivi, wo müssen wir abfahren?“, hakte Mama nach, die sich fest an den Lenker des Volvo klammerte. Große Autos mochte sie nicht, aber in der Vermietung am Flughafen wollte man uns so tief aufs Land nicht ohne Geländewagen schicken.
      „Nächste“, kam es kurz als Antwort und ich lehnte den Kopf wieder an die kühle Scheibe. Madly neben mir hing am Ende, wischte durch TikTok und lachte immer mal wieder. Alles hier gefiel mir nicht.
      „Hier?“ Mama betätigte gleichmäßig die Bremse, bis ich zustimmte. Der Wagen beschleunigte wieder und fuhr in einem Affenzahn die Biegung entlang. Nun klammerte ich mich am Fahrzeug, ließ direkt davon ab, als ich darüber nachdachte, dass man mich dann von der Leitplanke kratzen würde. Es folgten weitere zwanzig Minuten Schnee, Häuser und Bäume, bis am Ende der Straße das Schild sichtbar wurde am Hof. Offenbar hatte jemand entschieden, eine Lichterkette herumzumachen, damit man es auch in der Dunkelheit sehen könnte. Gerade einmal zwei Monate lagen zurück und trotzdem fühlte ich mich wie ein Vertriebener – nur, dass ich mich selbst vertrieb. In meiner Brust drohte das Herz jeden Augenblick seinen Platz zu verlassen. Der Druckt stieg so sehr, dass ich in meinem Hals jeden Schlag spürte, im Magen drehte es sich und meine Finger bohrten sich in den Unterarm.
      “Wir sind doch da, ein und wieder ausatmen”, versuchte Madly mich zu berühren und legte ihre Hand an meine Schulter. Offenbar hatte ihr Handy nichts Spannendes mehr zu bieten.
      “Können wir bitte zurück zum Flughafen? Ich will hier nicht mehr sein”, wollte ich Mama dazu bewegen, umzudrehen. Aber sie tat es nicht, stattdessen seufzte sie genervt.
      “Jetzt stell dich nicht so an”, fügte sie unverändert hinzu.
      Wir hielten zwischen den Hütten an und jeder holte seine Tasche aus dem Kofferraum. Leise knirschte der dichte Schnee unter meinen Turnschuhen, die bei jeden weiteren Schritt mit Flüssigkeit vollsogen. Noch bevor ich den ersten Fuß auf unsere Terrasse setzte, waren sie vollkommen in Wasser getränkt. Der leichte Wind am Boden bestärkte das Gefühl, jeden Moment festzufrieren.
      Wie immer war die Schiebetür nicht verschlossen und mit einem leichten Druck an Glas, bewegte sie sich wie von allein durch ihre Führungsschiene. Sosehr ich es mir auch gewünscht hätte, drang sofort ein unverwechselbarer Geruch in meine Nase, die nur einer Person zuzuordnen war. Seufzend stellte ich die Tasche ab, schaltete zunächst das Licht ein und ließ über die Schaltfläche im Flur, die Jalousien herunter. Vieles lag unverändert an seinem Platz, nur meine Schuhe waren deutlich ordentlicher sortiert auf der Matte und teilweise in den kleinen Schrank daneben einsortiert. In der Küche türmten mehrere Töpfe in der Spüle und Tassen mit Teeresten standen daneben. Noch bevor ich überhaupt die Tasche aus dem Weg räumte, hängte ich meine dünne Jacke an den Haken und begann in der Küche etwas Ordnung zu machen. Die Abtropfmatte legte ich auf die Arbeitsfläche, um die Töpfe und Tassen nacheinander daraufzustellen und am Ende abzutrocknen. Es dauerte kaum länger als eine halbe Stunde, da sah die Küche aus wie geleckt.
      Meine Beine trugen mich zur Couch. Decken lagen über die Lehne, die Kissen unordentlich in den Seiten und ich schaffte auch ihr einen besseren Zustand bevor ich wirklich in mein Zimmer trag. Das Fenster war angeklappt und jemand hatte einen Weg gebaut dorthin, denn soweit ich mich erinnerte, standen die Kartons anders. Würde es Sinn ergeben, diese auszupacken? Ich fiel rückwärts aufs Bett und starrte zur Decke. Mama würde mich keinesfalls wieder mitnehmen, soviel hatte ich auf der Fahrt hierher bereits spüren dürfen, also räumte ich alles in meine Schränke, bis auch der letzte Karton zusammenklappt unter dem Bett verstaut waren. Plötzlich erweckte sich da Zimmer zu leben. Zum ersten Mal konnte ich den Fußboden sehen und unter den getragenen Klamotten versteckte sich ein Stuhl sowie Schreibtisch. Diese landeten im Korb.
      Mit meinem Laptop auf dem Schoß und einem Kaffee in der Hand saß ich auf der Couch, tippte langsam einen Satz nach dem anderen. In England hatte ich ein altes Hobby wiedergefunden, was mich von der Realität ablenkte und das Leid um Erik erträglicher machte. Tatsächlich sorgte er sogar selbst dafür. Nach vielen Nächten heulend einschlafen, hatte ich eines Tages angerufen, mit dem Handy meiner Schwester, schließlich versuchte Mama mir jeden Kontakt zu dem Psycho, wie sie ihn bezeichnete, zu unterbinden. Aber ich hatte seine Nummer auswendig gelernt, allein durch die Nächte, die ich seine Visitenkarte anstarrte. Erik freute sich sogar über meinen Anruf und schätzte es von ganzem Herzen, dass ich Rücksicht auf seine Entscheidung nahm. Nun, hatte ich eine Wahl? Er liebte mich noch, sagt sogar, dass er es nie aufhören würde zu tun, aber mit Moa wieder zusammenzuziehen und zu sein, war für die gemeinsame Tochter die einzige Möglichkeit. Ich seufzte und änderte wieder den Satz meines Geschriebenen. Es schlichen sich Sehnsüchte nach ihm ein, obwohl ich mit der Geschichte mit ihm abschließen will.
      Silhouetten huschten vor den heruntergelassenen Jalousien entlang und als ich einen Kopfhörer aus dem Ohr nahm, höre ich Stimmen vor der Tür, die unverständlich Nuschelten. Eine davon konnte Lina sehr klar zu ordnen, mindestens drei weitere Menschen waren bei ihr, aber warum waren hier so viele? Ich steckte den Kopfhörer zurück und beugte mich wieder über meine Tastatur. Ein kühler Luftzug kitzelte am Genick.
      „Du bist wieder da“, quietschte es freudig erregt hinter mir, und zwar in solch einer Lautstärke, dass ich es selbst mit der Musik in den Ohren noch deutlich vernahm. Keine zehn Sekunden vergingen, da hatte Lina sich schon auf das Sofa geworfen und stürmisch ihre Arme um mich geschlungen. Überfordert, huschten meinen Augen von links nach rechts, aber zumindest einen meiner Arme legte ich auf ihren Rücken und klopfte, als würde sie sonst zerbrechen.
      “Ja, ganz offensichtlich”, antwortete ich mit einem minimalen Schulterzucken.
      "Ich bin so froh, dass du wieder da bist, das glaubst du gar nicht", plappert sie aufgeregt, ließ mich aber endlich wieder los. Mit meinem Daumen schob meine Brille zurecht, die bei der frenetischen Begrüßung auf die Nasenspitze gerutscht war. Schreiben hatte nun ohnehin keinen Chance mehr, also klappte ich auch den Laptop zusammen und legte ihn auf dem Tisch ab. Erst jetzt nahm ich die Kopfhörer heraus, um diese auf der silbernen Oberfläche abzulegen. Hinter mir vernahm ich sofort aufgeregtes Jammern eines Tieres und aus dem Augenwinkel heraus, bemerkte ich weitere Personen. Interessiert drehte ich mich um. Teils schockiert, teils gerührt blickten mich viele Paar Augen an. Selbst Lars stand dabei und ein weiterer Mann, der wohl Julis Freund sein musste. Auf ihrem Arm hampelte ein junger Hund, den sie absetzte. Er hüpfte wie ein geladener Flummi durch die Hütte und wusste nicht, wo er zuerst schnuppern sollte. Sein Interesse meinerseits zeichnete sich nur von kurzer Dauer aus, bevor er zu den Zimmern verschwand.
      “Ihr scheint relativ gut ohne mich klarzukommen”, bemerkte ich mit zynischem und selbstironischem Unterton. Ich konnte nicht einschätzen, was hier geschah, zu dem mir jeder Tag wie ein Albtraum vorkam, der nun in Menschenmassen gipfelte.
      „Na ja, geht so. Du hast hier schon ziemlich gefehlt“, sagte Lina und klang dabei merklich aufrichtig.
      „Dann wird sich daran wohl nicht mehr viel ändern“, seufzte ich. Lars, der wie jeder Andere hinter der Couch geschwiegen hatte, stützte sich auf der Lehne ab.
      „Willst du uns etwa wieder verlassen, wo du gerade erst zurück bist?“, hakte er mit gehobener Braue nach.
      „So ist das nicht, aber“, setzte ich an, doch Lars beendete meinen Satz: „du hast Angst vor den Pferden.“ Es wirkte ganz so, als hätte er Ahnung von dem, was er sagte, aber keine Situation ließ sich mit der meinigen vergleichen. Stattdessen suchten meine Finger nach dem Unterarm unter dem Pullover, um sich daran zu krampfen. Sanft legte Lina ihre Hand auf meinen Arm: „Ich helfe dir daran zu arbeiten." Sie wollte noch mehr sagen, doch ihr bester Freund bremste sie in ihrem Elan.
      „Was Lina eigentlich sagen wollte, ist, dass sie es nachvollziehen kann und wir dich natürlich nicht unter Druck setzen wollen. Wir unterstützen dich unabhängig davon, wie du damit umgehen möchtest“, wählte der Finne seine Worte sehr diplomatisch. Es klang beinah sah, als würde er einen Keil zwischen uns treiben wollen, wofür ich überhaupt keinen Grund sah. War es Eifersucht, Neid?
      „Wenn es so einfach wäre“, ich seufzte und holte mir die Tasse vom Tisch, die noch halb gefüllt war, aber bereits kalt. „Im Februar muss ich zur Qualifikation mit Lubi, also eigentlich.“
      “Vriska, was das angeht, muss ich dir leider etwas sagen”, betroffen blickte Lina zu Boden, zupfte befangen an ihrem Ärmel, als ob sie überlege, welche Worte die Richtigen waren.
      “Lubi ist ja gerade in Betritt und da hat sie wohl Interesse erweckt. Sie soll verkauft werden, tut mir leid.”
      “Ach so, na dann. Nichts, worüber ich schon nachgedacht hatte”, versuchte ich positiv zu bleiben. Ohnehin gab es für die Familie Westerdahl keinen Grund, das Pferd zu behalten, wenn ich im Winter kein einziges Mal, mit Lubi auf einem Turnier war. Meine Abwesenheit blieb vermutlich auch nicht ungesehen. “Allerdings ist jetzt etwas blöd, wie soll ich bitte im Kader sein ohne Pferd, wenn ich mit Lubi einberufen wurde.” Unentschlossen schüttelte ich mit dem Kopf.
      “Gibt es hier nichts anderes am Hof?”, mischte sich nun Lars ein.
      “Doch, schon, aber nicht auf dem Niveau, wie es notwendig wäre”, erklärte ich oberflächlich. An dem Punkt hätten wir die Fuchsstute, die ich nicht mal mehr ansehen würde, Tyrells Hengst Fahri in den Niederlanden und ein paar Pferde, die mir überhaupt peinlich waren, zu reiten.
      “Was ist denn mit der Stute deiner Mutter, Lars? Könnte Vriska sie vielleicht reiten?”, warf Lina einen Vorschlag in den Raum.
      “Osvo meinst du? Klar, aber wir haben ein größeres Problem”, merkte der Angesprochene an. “Wenn sie Angst vor den Tieren hat, werden wir sie nicht mal in den Stall bekommen, also was stellst du dir denn vor?”
      Teilnahmslos starrte ich zur Küche. Ich wollte reiten, aber bekam schon bei dem bloßen Gedanken Schnappatmung. Nicht einmal Maxou hatte ich begrüßt, die Eriks Aussage nach, ziemlich schlecht gelaunt war.
      “Es verlangt ja keiner, dass sie sofort wieder aufs Pferd steigt. Die Saison ist ohnehin erst einmal vorbei”, erläuterte Lina ihre Gedanken, “das sollte ausreichend Zeit verschaffen, um gegen die Angst anzuarbeiten, Schritt für Schritt.”
      Noch eine Weile begannen sie Pläne zu schmieden, wie man mich wieder zum Pferd bekommen könnte, doch ich hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Ich hatte nicht nach Hilfe gefragt, aber sie versuchten mir meine Arbeit attraktiv zu machen. Anderseits musste ich spätestens im Stall sein und Mama würde ebenfalls nerven. Samu entschied sich bewusst dagegen, noch mal an sie zu appellieren, hing stattdessen an seinem Telefon und grinste.
      “Ihr hattet doch bestimmt was geplant”, mischte ich mich ein, um das Thema endlich zu beenden, “deswegen lasse ich euch nun allein.”
      “Du darfst auch gerne bleiben, aber ich verstehe, wenn du nach der Reise erst mal eine Pause benötigst. Sag einfach Bescheid, wenn du was brauchst”, lächelte Lina und macht keinerlei Anstalten mich aufzuhalten. Kurz dachte ich nach, aber schnappte mir dann mein Laptop und kalten Kaffee, um ins Zimmer zu laufen. Hinter mir schloss ich die Tür und schaltete das Licht ein. Die neue Ordnung machte den Raum direkt wohnlich. Auf dem Schreibtisch stand eine kleine Lampe, die ein warmes Gefühl verbreitete.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 26.721 Zeichen
      zeitliche Einordnung {23. Dezember 2020}
    • Mohikanerin
      Dressur E zu A | 30. Juni 2022

      Osvominae / Just A Bear / Aares / Verita / Helix

      Noch vor dem ersten Kaffee hielt ich mein Handy an Ohr, um Eskils Beschwerde über seinen Fuchs zu lauschen. Der Lusitano war alles andere als einfach. Er begann mit ihm am Anfang, einfache Lektionen zur Vorbereitung auf mehr. Selbst dabei weigerte er sich.
      “Das wird schon”, seufzte ich, schließlich war Eskil auch mein Trainer. Wieso sollte ich eine Lösung wissen, wenn ich selbst häufig zweifelte?
      Nach einer gefühlten Ewigkeit fühlte er sich besser, während mein Hirn nur die Hälfte seiner Aufregung verstanden hatte. Dennoch versuchte ich ihm zu helfen. In der Hütte trank ich meinen Kaffee und begann mit der Stallarbeit. Zwischendrin traf ich auf Lina und Sam, die zwei ihrer Pferde hier zum Dressurtraining hatte. Natürlich konnte meine Kollegin sich diese Freiberger nicht entgehen lassen. Tyrell stand im Sand und gab Anweisungen. Ich war allerdings auf dem Sprung. Osvo wartete auch auf mich für eine Einheit. Dabei unterstützte mich Lars auf Bear. Wir wählten den Dressurplatz vor der Halle, der gut getrocknet war unter den wärmenden Strahlen der Sonne. Im Schritt und Trab ritten wir einfache Bahnfiguren, wie Zirkel und Schlangenlinien. Die Rappstute zeigte sich heute unbalancierte und ich konzentrierte mich darauf. Lars hingegen hatte seinen Traber gut im Griff, ein genaues Ziel vor Augen, dass sie schließlich auf erreichten. Damit beendete auch ich die Dressur.
      Im Stall berichteten die beiden Mädels von den Freibergen, die heute wohl besonders schön gelaufen sind. Die Stute sogar noch besser als der Schimmel Hengst, aber wie immer, konnte ich mir die Namen nicht merken.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 1598 Zeichen
      zeitliche Einordnung {März 2021}
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugotre | 12. Juli 2022

      Glimsy / Just a Bear / Anthrax Survivor LDS / Osvominae / Maxou / HMJ Divine / Legolas / Binominalsats / Satz des Pythagoras / Caja

      Vriska
      Mit dröhnendem Kopf öffnete ich die Augen. Nicht nur ein Hund lag auf meinen Beinen am Bettende, sondern auch ein kräftiger Arm auf der Brust. Nur schwammig erinnerte ich mich an die Nacht, was wohl weniger an den zwei leeren Weinflaschen neben dem Bett lag und diversen Bieren am Feuer, viel mehr, war es die Trance, in der mich befand. Vollkommen übermüdet huschten einzelne Bilder durch den Kopf, die von Lars über mir gebeugt, dominiert wurden. Sagen wir es: Wir mochten uns.
      Durch die nur halb zugezogenen Vorhänge, bemerkte ich das Chaos im Raum. Überall lagen unsere Kleidungsstücke und dazwischen sehr viele benutzte Kondome, die wir wohl sehr ungeschickt zum Müll schafften. In meinem Magen zog es sich beängstigend zusammen, denn so erinnerte ich mich wieder, dass irgendwann mein Karton aus dem Schrank leer war. Das erklärte zumindest das feuchte Bett. Vorsichtig hob Lars an, der müde den Kopf hob.
      „Wie spät ist es“, wisperte er heiser.
      „Kurz nach Elf“, stellte ich mit erschrecken fest. Leise brummte er und zog sich die Decke über den Kopf. Aber bei der Unordnung konnte ich mich nicht wieder umdrehen.
      „Wo willst du hin?“, jammerte er, als ich den ersten Fuß aus dem Bett setzte und direkt etwas Schleimiges zwischen den Zehen spürte. Das fehlte mir noch! Ich zuckte zurück und setzte ihn woanders ab.
      „Aufräumen“, erklärte ich und erhob mich. Lars verharrte unter Decke, aber meinetwegen konnte er noch weiterschlafen. In der Schublade des Schreibtisches waren Mülltüten. Leise riss ich eine ab und sammelte die Gummis auf. Dann sortiere ich noch unsere Kleidung und öffnete das Fenster. Mein Zimmer war zu einem Tiergehege mutiert.
      Zu meinem Entsetzten roch es hinter der Tür nicht besser. Ein säuerlicher Geruch kroch an meinem Schleimwänden hinauf und hielt sich fest wie ein Parasit. Erst nach weiteren Schritten ins Wohnzimmer erblickte ich das dortige Chaos. Auf dem Tisch standen unzählige leere Weinflaschen, Biere und sogar Schnaps. Lange musste die Truppe noch dort gesessen haben. Selbst Teller mit Essensresten begrüßten mich. Flink trugen mich meine Füße ins Badezimmer, wo ich mich Lars Shirt entledigte und unter die Dusche sprang. Ich versuchte geschehenes Revue passieren zu lassen, aber immer wieder schwebte Lars vor und entflammte damit selbiges Feuer vom Abend. Alles an ihm war perfekt, ohne auf jede seiner Einzelheiten einzugehen, denn ich wollte ihn nicht auf sein Aussehen reduzieren, obwohl es bei Gott kein Geheimnis war.
      Gerade als ich den Duschvorhang zog, öffnete sich die Badezimmertür. Nackt stand plötzlich Niklas im Rahmen und schluckte nervös, als auch sein Blick auf mich fiel. Mit dem feuchten Stoff bedeckte ich mir, nur er verharrte wie eingefroren.
      „Du hast ein neues Tattoo“, bemerkte ich, um die Situation erträglicher zu machen.
      „Ja“, murmelte er rau. Ihm schien jedoch alles egal und lief einfach weiter zum Porzellanthron. Für mich war die Sache klar. Gerade als ich den Vorhang wieder schließen wollte, verfingen sich die kleinen Rollen der Duschvorhanghalterungen und nichts bewegte sich mehr.
      „Das wird nichts, lass es einfach“, fühlte sich Niklas durch das Kratzen des Metalls gestört. Ich schwieg und nahm mir ein Handtuch zumindest. Warum musste das alles am ersten Feiertag so furchtbar beginnen?
      Während mir die Situation mit jedem Atemzug unangenehmer wurde und frischen Schweiß auf den Rücken trieb, kümmerte ihn das seltsame Aufeinandertreffen gar nicht, nein, viel mehr schien er den Raum gar nicht mehr verlassen zu wollen. Er stand entspannt am Waschbecken, das Wasser bereits ausgeschalten, und starrte mich erwartungsvoll an. Sein Blick auf den meinen gerichtet, der immer wieder über seine Brust und Arme wandert. Zögerlich klopfte mein Herz, während im Kopf Altes an die Oberfläche drang. Von einem auf den anderen Moment verspürte ich Verlangen nach ihm, das, was mich in der Gegenwart von Erik antrieb und nicht loskommen wollte. In der Therapie wurde das Gefühl als ‘normal’ betitelt, aber so fühlte es sich nicht an.
      “Warum bist du wieder da? Hättest du nicht bleiben können, wo du warst?”, Niklas Stimmenfarbe klang noch immer rau und nun verärgert.
      “Tatsächlich dachte ich, dass es dir angenehmer ist, mich wiederzusehen. Aber gut, ich suche mir was anderes”, gab ich umgehend nach. Ihn als Feind wollte ich nicht und umzuziehen könnte auch dabei helfen, ihm aus dem Weg zu gehen.
      “Du bist seltsam”, merkte er an und hielt mich auf, den Raum zu verlassen. Etwas wollte er klären, aber ich konnte mir nur schwer vorstellen, was. Eine Weile standen wir noch im Badezimmer herum, das durch die Fußbodenheizung eine angenehme Temperatur hatte. Zu meiner Dankbarkeit legte sich Niklas ein Handtuch um die Hüfte und setzte sich auf den Deckel der Toilette. Ohne große Umschweife erzählte ich ihm, was in der Heimat passierte, von meiner Wiederaufnahme der Therapie, dass ich entschied meine Tabletten zu nehmen und auch mehr auf mich zu achten. Geduldig hörte er zu und stellte seine Fragen erst in Sprechpausen.
      “Und mit Erik hast du alles geklärt?”, kam Niklas auf das einzig Schwierige zurück.
      “Ich weiß es nicht genau. Ehrlich gesagt, vermisse ich ihn sehr, aber er hat es sich selbst zuzuschreiben und ich warte auch nicht. Worauf auch? Dass er sich spontan dazu entscheidet, dass glückliche Familie spielen, doch ziemlich doof für ein Kind ist?”, erhob ich die Stimme, was den Hund aus dem Schlafzimmer an die Tagesordnung brachte. An der Holztür kratzte es sanft, aber ich schickte ihn wieder weg. Das Klappern der Krallen auf dem Holzboden verstummte wieder.
      “Von mir wirst du keinen Tipp bekommen, schließlich sagte ich von Anfang an, dass der nichts für dich ist”, zuckte Niklas mit den Schultern und erhob sich schließlich von dem Porzellan.
      “Danke, sehr reizend”, ich wollte mit den Augen und drehte mich auch zur Tür.
      “Auch wenn ich den Kerl in deinem Bett nicht mag, wird der sicher nicht spontan zu seiner Ex zurückrennen, wenn es ihm gerade passt”, setzte er seine Ansprache fort, als gäbe es einen Anlass dafür, “dann hält er sich wenigstens von Lina fern.”
      Verblüfft sah ich Niklas nach, der zurück ins Zimmer lief und die Tür schloss. Lina und Lars? Wirklich? War da etwas gelaufen? Zumindest würde es einiges Erklären, aber ich konnte es mir kaum vorstellen, denn sie war blind vor Liebe und könnte ihrem Freund nie etwas antun. Erst recht nicht, mit einem anderen zu flirten.

      Lars schlief noch immer tief und fest, als ich mich umzog. Die Decke lag neben ihm und nur ein kleines Stück davon, bedeckte seinen sonst freien Körper. Vorsichtig nahm ich den Stoff, um ihn zu wärmen. Aber er bemerkte meine grobmotorischen Züge und drehte sich auf den Rücken.
      “Möchtest du nicht wieder ins Bett kommen?”, lächelte Lars schief und griff liebevoll nach meiner Hand.
      “Doch, aber ich muss erst mal Ordnung machen”, erklärte ich, aber er gab mir keine Chance, es weiter zu erläutern. Stattdessen löste er das Handtuch von meiner Brust und zog mich geschickt auf seine Hüfte. Kaum saß ich, breitete sich wohlige Wärme in mir aus, die nur von leichten Schmerzen durchbrochen wurde. Meine Hände waren überall, strichen über seine breiten Schultern und Rücken, ohne dass sich unsere Lippen voneinander lösten. Wir drehten und wendeten uns im Bett, bis ich die offene Tür bemerkte.
      „Gibt es ein Problem oder haben wir seltsame Vorlieben?“, fauchte ich Niklas an, der sich mittlerweile eine Hose übergezogen hatte und im Rahmen lehnte.
      „Ich wollte noch mal mit dir Reden, aber du scheinst beschäftigt“, lachte er.
      „Jetzt nicht mehr.“ Ich war genervt und meine Lust vergangen. Lars grinste nur belustigt, als gäbe keinen Grund für meinen Ärger. Die Decke legte er sich fein säuberlich über die Hüfte und kreuzte die Arme über den Kopf.
      „Jetzt hau ab, ich bin gleich im Wohnzimmer“, meckerte ich und warf ihm ein Kissen entgegen. Endlich drehte er sich weg.
      „Das fängt schon gut an“, sprach zu Lars und rollte mit den Augen.
      Er lachte.
      „Ach, ist doch alles gut. Wir machen später weiter.“ Er erhob sich und haben ihm ein flüchtigen Kuss. Kurz überlegte ich, ob es überhaupt vernünftig war, ihn zu küssen, als wären wir ein Paar, aber sein höfliches und zufriedenes Lächeln vertrieb diesen.
      „Geduld gehört wohl nicht zu deinen Stärken“, bemerkte ich beiläufig und reicht ihm sein Shirt, als mir ein frisches aus dem Schrank nahm.
      „Worauf sollte ich denn warten?“, fragte er.
      Ich zuckte mit den Schultern und verließ das Zimmer.
      Eigentlich wollte ich nach dem Aufräumen noch etwas schreiben, denn erst um vierzehn Uhr sollte ich die Boxenpferde füttern und im Anschluss hatte ich geplant, Bruce im Ponystall zu besuchen. Allerdings stellte sich das Chaos als noch größer heraus, nun auf den zweiten Blick. Niklas hatte es sich auf der Couch bequem gemacht, starrte auf sein Handy und lachte zwischendrin. War das seine Definition von ‘noch einmal reden’? Zumindest schwieg er und ich begann die leeren Gläser und Flaschen zu verräumen, möglichst leise, um Lina nicht zu wecken. Glücklicherweise kam mir unserer Spülmaschine entgegen, die jegliches dreckiges Geschirr schluckte.
      „Was sitzt du hier eigentlich so nutzlos herum? Hast du nicht irgendwas zu tun?“, fragte ich Niklas, der mich mittlerweile durch seine reine Anwesenheit nervte.
      „Doch schon, aber ich warte auf Lina“, antwortete er nüchtern ohne sich vom Bildschirm zu lösen. Entschieden warf den feuchten Lappen über seine Schulter und dieser landete sogar auf dem Gerät. Ich lachte leise.
      Er setzte gerade an, sich zu beschweren, als Lars den Raum betrat.
      „Kleines, ich helfe dir.“ Selbstsicher huschte ein Lächeln über seine Lippen. Ich schnappte mir wieder den Lappen und überreichte ihn. „Du kannst den Tisch abwischen.“
      Er nickte und begann sofort. Im nächsten Augenblick waren wir sogar wie fertig. Neben der Haustür stellte ich noch das letzte leere Konservenglas ab und damit sah das Wohnzimmer inklusive Küche aus wie neu.
      „Frühstücken wir noch, bevor wir reiten?“, bewusst legte er den Schwerpunkt auf das Satzende. Mit seinen Händen packte Lars an meine Hüfte und zog sich näher an mich heran. Instinktiv drehte ich mich. Sanft zog sich die Mundwinkel in seinem Gesicht nach oben und in seinen Augen trat wieder das Funkeln auf, das mir erneut den Atem raubte. In meinem Bauch wollte das Kribbeln nicht aufhören und drückte meine Lippen auf seine. Es fühlte sich verdammt gut mit ihm an, erst recht, weil es vollkommen ungezwungen war.
      „Ihhhh“, ertönte es von der Seite, als wäre Niklas ein Kleinkind.
      „Geh du mal deine Freundin holen, oder wollt ihr allein Essen?“, wechselte ich das Thema.
      Er zuckte mit den Schultern und setzte sich provokativ auf einen Stuhl am Tisch. Genervt stöhnte ich. Offenbar hatte ich ziemlich viel verpasst, denn so seltsames Verhalten von Niklas, war mir neu. Also stampfte allein zu Linas Tür und klopfte vorsichtig. Sie stand ohnehin einen Spalt offen, der reichte, um meinen Kopf durchzustecken. Dahinter bewegte es sich nicht nur, nein, sie stand sogar schon unentschlossen vor ihrer Kommode.
      “Wie komme ich zur Ehre deiner Anwesenheit?”, fragte sie, ohne nennenswert den Kopf zu wenden. Stattdessen zog sie eine andere Schublade auf, um scheinbar willkürlich hineinzugreifen.
      “Guten Morgen”, sagte ich zunächst, “ich wollte fragen, ob du mit frühstücken möchtest oder lieber allein mit Niklas. Dein Kerl zeigt nur wenig Interesse, mir zu antworten.”
      “Lügnerin!”, ertönte es sogleich aus dem Hintergrund von Besagtem.
      “Ihr Frühstück gleich? Dann frühstücken wir mit euch”, entschloss sie kurzerhand und griff sich weitere Kleidungsstücke aus der Schublade. “Oder hast du andere Pläne, Niki?”, beteiligte sie ihren Freund doch noch an der Entscheidung.
      „Eigentlich würde ich lieber dich frühstücken, dafür brauchen wir die anderen nicht“, gab er mit ernster Tonlage zu verstehen. Dennoch konnte ich mir mein Lachen nicht verkneifen, angesichts der Umstände, dass Niklas meins unterbrach.
      „Ich glaube, das wird nicht passieren“, sprach sie befangen, die Wangen Schweinchenrosa angelaufen und wühlte hastig in der Schublade herum.
      „Du glaubst?“, setzte der Kerl seine Mission fort, „wir sind doch nicht in der Kirche.“
      „Schätzungsweise hat er keine Lust auf Lars und mich“, zuckte ich mit den Schultern. „Aber es kann nicht immer nach ihm laufen. Also, willst du oder nicht?“
      „Ich will“, sprach sie rasch, aber wühlte weiterhin wie ein Eichhörnchen beim Nestbau in ihrem Klamotten herum, „Also mit euch Frühstücken."
      “Geheiratet hätte ich dich auch”, scherzte ich. Nun kam auch der Andere im Wohnzimmer auf wahnwitzige Idee.
      “Ein Traum, zwei hübsche Damen”, noch bevor er seine innigsten Wünsche mit uns teilte, unterbrach ich ihn: “Das wollen wir gar nicht wissen, was du dir nachts im Bett vorstellst.”
      Selbst Niklas lachte kurz auf.
      Glücklicherweise fand meine Mitbewohnerin endlich ein Ende in ihrer Schublade und hatte sich Stoff übergeworfen. Dieser schmeichelte er ihr sehr. Der hellblaue Wollpullover bildete nicht nur einen hell-dunkel Kontrast zu den, noch offenen, dunklen Haaren, sondern untermalte ihre leuchtenden Augen. Zudem konnte sie mit ihrem Körper einfach alles tragen und wirkte wie jeden Tag perfekt durchgestylt. Oft war ich neidisch und fühlte mich wie die hässliche Freundin, aber verbog die böse Stimme in meinem Kopf hinter einer stählernen Pforte.
      Zusammen liefen wir die fehlenden Meter zum Tisch, der in einem klösterlichen Schweigen gehüllt war. Niklas hatte wieder sein Handy zwischen den Fingern, sodass er seiner Freundin keinerlei Beachtung schenkte, obwohl sie neben ihm stand und ein Guten-Morgen-Kuss erwartete.
      „Ehrlich gesagt, raubst du mir meinen Schlaf“, sagte Lars mit tickenden Gesichtszügen. In seinem lieblichen Worten fühlte ich mich Zuhause, wie nie zuvor. Ich konnte mir nicht erklären, was ihn so sehr an mir lag. Am liebsten wäre ich im Bett geblieben, nur er, ich und die Decke. Allerdings gab es noch Dog, der auf der Couch ruhte.
      „Ihr seid doch eklig“, fauchte Niklas, als hätten wir unbeschreibliches gesagt oder getan. Langsam wurde ich mir sicher, dass seine Andeutung im Bad ernst gemeint war, dass ich verschwinden sollte. Meine eigentlicher Arbeitskollege erhob sich, sah abfällig zu Hulk, bevor wir uns zusammen dem Frühstück widmeten. Während er Zwiebeln schälte und Schnitt, holte ich oder viel mehr, wollte ich meinen Haferjogurt aus dem Kühlschrank holen. Da wurde mir bewusst, dass überhaupt nichts für mich gab. Lina konnte nicht wissen, dass ich kommen würde und bei unserer Ankunft hatten alle Geschäfte geschlossen.
      „Was suchst du?“, fragte Lars und das Haken auf dem Brettchen verstummte.
      „Etwas Essbares für mich“, antwortete ich niedergeschlagen und stellte fest, dass selbst mein Lager an Zutaten aufgebraucht war.
      „Aber da war ganz viel?“
      „Ja, alles mit Tier.“
      Bedauerlich nickte er.
      „Dann lass uns Brunch bestellen. Da finden wir sicherlich für dich das Richtige“, schlug er vor und gab mir im selben Atemzug einen Kuss auf die Stirn.
      „Das kannst du dir gar nicht leisten“, mischte sich auf einmal Niklas ein, als gäbe es keine anderen Sorgen, „dein Vater muss schließlich noch Glimsy abbezahlen. Oder du gibst dein hässliches Vieh ab, damit ihr Überleben könnt?“
      Wovon auch immer der hochnäsige Typ sprach, das ging zu weit.
      „Du kannst dich nicht immer in das Leben anderer einmischen, nur weil du in Geld schwimmst“, tadelte ich Niklas.
      „Natürlich kann ich das, siehst du doch. Außerdem sei du doch mal ganz ruhig. Du bumst meinen Vater und lässt dich von deinen für deine Jungfräulichkeit versteigern“, preschte er in volle Wucht mit seinen Worten auf mich zu. Vom letzten Fakt wusste niemand etwas, nicht einmal meine Mutter. Gerade, als ich ihn fragen wollte, woher er das wusste, fiel es mir wie Schuppen von den Augen – Erik. Doch auch ihm hatte ich nichts davon erzählt. Getränkt in Scham, kullerten die ersten Tränen über meine Wangen, die ihn zum Grinsen brachten, aber Lars zu noch mehr Fürsorglichkeit. Aggressiv richtete er sich gegen Niklas, der das alles nur als einen schlechten Scherz auffasste. Was sie genau sprachen, konnte ich nicht mehr hören, zu stark drängten sich all die alten Gefühle und Bilder an die Oberfläche und verstopften den Gehörgang.
      „Kleines, wir gehen ins Zimmer. Du brauchst Abstand zu dem“, sagte Lars klar zu mir und zog mich mit. Der Hund sprang von der Couch auf, folgte uns ebenso. Lina konnte ich es nicht übelnehmen, dass sie schwieg. Für sie war es sicher zu viel und ihr fehlten die Worte, außerdem konnte ich sie nicht, für die Taten ihres Freundes verantwortlich machen.
      Lange saß ich nehmen Lars auf der Bettkante und weinte in seine Schulter. Dabei strich er mir beruhigend über den Rücken, sang dabei ein schwedisches Volkslied. Aber verstummte schließlich.
      „Okay, genug Selbstmitleid. Zumindest eine Tatsache geschah aus freien Stücken, oder nicht?“, zur Aufmerksamkeit tippte Lars mich an, damit ich ihn ansah. In mich gekehrt, nickte ich.
      „Na siehst du, also was ist schlimm daran?“, versuchte er mir Mut zuzusprechen.
      „Das er es weiß und es als Vorwurf formuliert hat“, schluchzte ich heiser.
      „Der ist nur ein verwöhntes, reiches Kind. Wie soll der sonst durchs Leben kommen, als anderen ihres schwerzumachen und Taten vorzuwerfen?“
      „Er hat es auch nicht leicht“, versuchte ich trotzdem Niklas in Schutz zu nehmen, wofür es keinen Grund gab.
      „Kleines, entweder du sprichst mit mir darüber, um einzusehen, dass es nichts gibt, wofür du dich schlecht fühlen sollst oder ich gehe jetzt zu den Pferden, damit du weiter dich im Bett herumrollst und weinst“, zuckte Lars mit den Schultern, als wäre er genervt. Dass seine Hand weiter auf meinem Oberschenkel lag und meine Finger umspielte, zeigte mir allerdings das komplette Gegenteil.
      Ich seufzte.
      „Dass ich was mit seinem Vater hatte, stört mich nicht, denn es hat Spaß gemacht, aber das sollte nie an die Öffentlichkeit kommen, weil es in Form einer geschäftlichen Abmachung entstand. Und …“, es schauerte mir überhaupt die Worte in den Mund zu nehmen, aber ich musste, wenn ich mich verändern wollte, „es waren andere Zeiten. Ich hatte mit verschieden Umständen zu kämpfen und da kam die Angelegenheit gut, also es war aus freien Stücken.“
      „Beruhigend, dass wir nicht zur Polizei gehen sollten.“ Ein höfliches Lächeln huschte über seine Lippen. „Aber, was für Umstände?“
      „Du gibst auch keine Ruhe, oder?“, kam nun auch ein Lachen von mir.
      „Ich möchte mein Gegenüber kennen und du gefällst mir, also muss ich wissen, mit was für Absurditäten Niklas noch ankommen wird.“
      Von meinem Stuhl nahm die Jacke, in der noch eine Schachtel Zigaretten steckte, lief zur kleinen Terrassentür, die zum Zimmer gehörte. Daran stellte ich mich, dass Lars mich weitersehen konnte. Zu meiner Überraschung erhob er sich und nahm ebenfalls eine heraus. Noch hielt inne, bevor es wie ein Wasserfall aus mir heraussprudelte. Ich erzählte ihm von den Drogen, meiner ersten Liebe und wie alles zerbrach. Auch Erik erwähnte ich. Zwischendrin stellte Lars Fragen, die ich ihm geduldig beantwortete.
      „So, und jetzt? Das ist alles Vergangenheit. Es liegt hinter dir. Natürlich sind es keine schönen Dinge, auch traurig, wie wenig deine Familie dich in den Schutz nahm, aber an deinen Aufgaben wächst du. Wenn auch nicht mehr körperlich“, ich lachte bei seinen Worten. Aber Lars hatte vollkommen recht und gab mir das erste Mal das Gefühl, dass meine Geschichte angesprochen werden musste.
      „Danke, dass du für mich da bist“, schmiegte ich mich eng an ihn und er legte die Arme um meinen Rücken.
      „Selbstverständlich, du brauchst mich.“
      Wieder im Zimmer, schloss die Tür hinter uns und Lars reichte mir den kleinen Schieber mit den Wochentagen, in dem meine Medikamente waren. Am Bett stand, wider Erwarten, eine Wasserflasche und schon, hatte ich die größte Herausforderung am Morgen gemeistert, obwohl es mittlerweile bereits Mittag war.
      „Fühlst du dich bereit für Osvo?“, kam es aus heiterem Himmel. Kurz dachte ich nach.
      „Noch nie bereiter“, sagte ich voller Tatendrang, nahm seine Hand und stolzierte durchs Wohnzimmer mit ihm. Die beiden aßen, ohne uns. Wer weiß, wie lang wir im Zimmer gesessen hatten, aber mir war der Hunger vergangen.
      „Lina“, sprach ich bewusst nur sie an, „Lars und ich machen jetzt Osvo fertig, also wenn es dich interessiert, kannst du in einer halben Stunde zur Halle kommen.“ Eilig nickte sie. Als Niklas sich dazu äußern wollte, reichte ein böser Blick ihrerseits, dass Hulk verstummte.
      Dog folgte uns unauffällig, als wir durch die Tür traten, in die Kälte. Am Himmel stand die Sonne und brachte die oberste Schicht des Schnees zum Schmelzen, dennoch so schwach, dass es sofort wieder gefror. Ein rutschiges Unterfangen begrüßte uns, aber mit den Händen ineinandergeschlungen, kamen wir heil am größten Stallgebäude an. Lautes Gewieher begrüßte uns und besonders laut, musste sich Anti Gehör verschaffen, der seine bisherige Lebenszeit auf der Weide verbrachte. Zunächst stand er allein, bis der richtige Partner gefunden wurde. Ich ging auf ihn zu. Neugierig hob Anti den Kopf, beschnupperte die seltsame Sache, die wir im Volksmund als Hand bezeichneten. Mit aufgeblähten Nüstern wieherte er mir schrill ins Ohr, bevor er eine kleine Runde durch die Box drehte. Den Paddock dahinter, beachtete er gar nicht.
      Obwohl die vorletzte Box im Gang schon am Tag zuvor mit einer hellen Stute belegt war, verspürte ich erst jetzt einen stechenden Druck im Herzen. Lubi würde ich wohl nur noch auf dem Turnier sehen, im Stall von jemand anderes. Vermutlich brauchte ich einen Augenblick, bis dieser Umständen wirklich in meinem Kopf ankam, besonders, wo ich nun Klarheit empfand. Seufzend legte ich meine Hand an die Gitter. Das Stütchen, dass sonst bei den Einstellern stand, kam interessiert zu meiner Hand, um daran zu lecken. Von der anderen Seite streckte mir Maxou ihren Kopf entgegen, doch ihr Hals war nicht ansatzweise lang genug, um mich zu erreichen. Stattdessen wählte sie den Nächstmöglichen und fummelte mit der Oberlippe an Lars‘ Kapuze.
      “Dein Pony hat mich gehasst, bis du plötzlich da warst”, erwähnte er dann aus dem Nichts.
      “Ich glaube kaum, dass ein Tier solch starke Emotionen empfinden kann”, sprach ich ungläubig, auch wenn ich mir vorstellen konnte, was er meinte, schließlich wollte Maxou auch am Anfang nichts mit mir zu tun haben.
      “Doch, deinem Pferd traue ich das zu”, Lars trat näher an mich heran, “sie ist auf mich losgegangen, wenn ich ihr die Decke wechseln wollte.”
      “Das tut mir leid.”
      Kaum hatte ich Maxou begrüßte und ausgiebig an ihrer Lieblingsstelle am Hals gekratzt, kam ein Sulky in den Stall gefahren, mit Nour im Bock. Sie trug ihr dunkles Haar offen über den Schultern, das Gesicht vollkommen verdreckt, aber sie strahlte. Angespannt war ein sehr kräftig anmutendes Pferd, deutlich schmaler als ein Freiberger, wie Lina sie immer mehr anschleppte, aber breiter als unsere Traber.
      „Wer ist das?“, flüsterte ich Lars ins Ohr und zupfte an seiner Jacke.
      „Das Pferd? Glimsy“, erklärte er, bevor seine Schwester bei uns hielt.
      „Ach, der Herr hat auch den Weg zum Stall gefunden“, scherzte Nour. Sie nahm die Leinen in eine Hand, um mit der anderen sich die Brille abzunehmen und das Gesicht abzuwischen. Jetzt bei Tageslicht mutete sie genauso elegant an, wie ihr Bruder, auch wenn ich Lina deutlich attraktiver fand.
      „Natürlich“, nickte Lars, „dennoch musste ich zunächst andere Angelegenheiten klären.“ Dabei schaute er schief zu mir.
      “Angelegenheiten also. So, so. Ich verstehe. Dann mein Glückwunsch, du durftest einen Lars haben, aber gewöhne dich nicht daran”, schmunzelte sie. Normalerweise reagierte ich schnell, doch für den Augenblick erschien mir mein Kopf begriffsstutzig. Ihre Worte konnte ich nur schwer einordnen. Die Rappstute tänzelte derweil gelangweilt auf der Stelle und versuchte Maxou zu begrüßen, die nicht einmal mit der Wimper zuckte.
      “Was meint sie?”, richtete ich meine Frage zu Lars, der verärgert seine Schwester anblickte.
      “Kleines, darüber sprechen wir noch, aber nicht jetzt”, versuchte er abzulenken, aber ich wollte das Thema nicht im Sand verlaufen lassen. Entschlossen legte ich die Arme auf seinen Schultern ab, gekreuzte hinter seinem Kopf und suchte innigen Augenkontakt. Zunächst wich der große Mann aus, bis die Situation unausweichlich wurde.
      “Tut mir leid Brüderchen, aber ich möchte nicht das nächste nette Mädchen zugrunde gehen sehen, weil du ihr das Herz brichst”, lehnte sich Nour zu ihm, bevor sie das verschwitzte Pferd in Bewegung setzte. Obwohl ich genau hörte, was sie ihm sagte, ignorierte ich es.
      “Vivi, ich mache mir nur nicht viel aus festen Beziehungen“, erklärte er mit bestimmten Unterton, gerade als ich meine Arme lösen, fügte er noch hinzu: „Aber du darfst natürlich trotzdem bei mir bleiben.“
      “Vielleicht will ich das gar nicht”, nuschelte ich, ohne den Blick von seinen Augen zu lösen. Lars gab sich besonders viel Mühe dabei, seine Stimmung hinter einem Vorhang aus Starrheit zu verstecken, doch je länger ich ihn musterte, umso weiter wurden die Pupillen. Ebenso spannte es an meiner Hüfte.
      “Nun, dann muss ich mir wohl jemanden anderes suchen, der mit mir in der Sattelkammer verschwindet”, scherzte er.
      “Musst du wohl.”
      Zu beschreiben, was zwischen uns knisterte, konnte ich nicht. Stattdessen verfiel ich ihm komplett und das lag eher weniger, an der erfreulichen Nacht. Lars hörte zu und schob mich nicht in eine Schublade, denn auf mich war ohnehin keine zugeschnitten. Sein Lächeln verzauberte mich in jedem Moment, den wir teilten und löste dabei eine Flut von Gefühlen aus, die meine Sehnsucht nach Erik wegspülten und vergruben. Manchmal tauchte ein Bild zwischen den Trümmern auf, aber es war nicht mehr, als eine schöne Erinnerung an alte Zeiten, die Zukunft stand vor mir.
      Immerhin konnten wir unsere Lust zügeln, denn Osvo wartete uns, obwohl es mir leichten Druck in den Magen setzte, in seiner Anwesenheit auf einem Pferd zu sitzen. Und wenn dann noch Zuschauer da sein würden – Nein, Vriska, du schaffst das, versuchte ich mir weiß zu machen. Und als ich dann von ihm ein Halfter in die Hand gedrückt bekam, setzte ich vollkommen aus. Stumm folgte ich ihm nur und auf dem Paddock hinter dem Roundpen strahlte mich besagte Rappstute an. Auf dem Nasenrücken trug sie eine große Blesse und an den Beinen drei äußerst niedliche Socken. Kaum bemerke Osvo uns, lief sie mit gespitzten Ohren den Zaun entlang. Das Tor öffnete er und etwas überfordert, hielt ich das Halfter in die Luft. An der Schulter stupste mich ein weiteres Pferd an, eine braune Stute, die allerdings zügig das Interesse verlor.
      „Einfach über die Ohren ziehen, oder hast du gar keine Ahnung?“, schmunzelte Lars.
      “Würde ich dir näherkommen, wenn ich keine Ahnung habe?”, versuchte ich den Funken aufrechtzuhalten, aber er schüttelte nur den Kopf mit unverständlichen Worten in den hohen Kragen seiner Jacke zu brabbeln. Vorsichtig zog ich das über ihr Maul und drückte die Ohren nach unten. Osvo schenkte dem Ganzen keine Aufmerksamkeit, sondern wartete, bis ich fertig war. Auf dem Weg zurück in den Stall erklärte Lars die Feinheiten der Stute. In den Ecken kürzte sie gern ab, wenn man den Schenkel nicht rechtzeitig anlegte und über den Sitz die Tritte verkürzte. Am Maul war sie empfindlich und bevorzugte eine konstante Haltung mit wenigen Paraden, eine Sache, die schwierig für mich werden konnte.
      In der Gasse putzte ich das dunkle Fell ausgiebig, bis der Großteil des Drecks auch auf dem Boden verteilte. Osvo hatte eins ihrer Hinterbeine angewinkelt und lehnte entspannt in den beiden Stricken. Dann kam auch Lars wieder, mit einem Sattel im Arm und einer Trense über der Schulter.
      „Könnte ich Gebisslos reiten?“, fragte ich unsicher.
      „Du kannst es versuchen, klar“, nickte er und übernahm das Satteln. Ich huschte unter dem Strick hindurch, um die Treppe auf die Tribüne zu nehmen. Von da aus kam ich am schnellsten in die Sattelkammer, in der mein Schrank stand. Schon aus der Ferne lächelte mich die Neon-Pinke Hackemore an. Erst, als ich danach griff, bemerkte ich eine Karte neben meinem Helm. Ungewöhnlich trocken wurde meine Kehle, als ich das handgemalte Motiv sah, das nur von einem Kleinkind stammen konnte. Langsam fasste ich nach hier und starrte eine Weile auf die Vorderseite. Obwohl die Zeichnung eher einer Schmiererei glich, erkannt ich sofort mein Pferd darin. Maxou hatte ihre lustige Kappe auf, die zum Schutz und Polstern des Genicks war, wenn sie ein Halfter trug. Meine Finger zitterten, während alles in mir schrie, die Klappkarte nicht zu öffnen. Aber die Neugier übertönte das alles. Sie war von Erik, der mir nur das Beste wünschte. Er wählte seine Worte wie immer sehr bewusst und versuchte von den Umständen abzulenken, die uns trennten. Stattdessen vermittelte er mir das Gefühl, noch immer nah in meinem Leben zu stehen und noch bevor ich überhaupt alles gelesen hatte, legte ich sie zurück. Wieder flossen Tränen, über meine Wangen, die ich mit einem Blick zur Decke versuchte aufzuhalten. Nichts in der Welt würde ihn aus meinem Leben verbannen können, auch wenn ich ihn nicht mehr an meiner Seite haben wollte, für den Augenblick.
      “Irgendwann”, murmelte ich in mich gekehrt und trampelte aufgewühlt aus dem Raum. Kaum war ich von den Treppen herunter getreten, sah ich Lina neben Osvo stehen mit einem zufriedenen Grinsen von einem Ohr zum anderen. Der Herr hatte bestimmt seinen Willen noch bekommen, nach dem mir meiner verwehrt wurde. Unfair. Würde ich fragen, käme keine spezifische Antwort, deswegen schwieg ich, auch, dass ich die Karte im Schrank fand. Sie sprach ohnehin mit Lars über einen der Hengste, den sie wohl in letzter Zeit arbeitete. Also wandte ich mich ab, um der Stute den gebisslose Zaum anzulegen. Beinah automatisch öffnete sie das Maul und sie schaute nicht schlecht, als kein Metall in ihrem Maul landete.
      Im Augenwinkel sah ich Nour auf der Tribüne, die sich ein Brot in den Mund stopfte und Samu mit seiner Freundin. Die beiden hingen eng aneinander, bestimmt froh, mal etwas Zeit füreinander zu haben. Am Abend, wenn es im Zimmer etwas ruhiger wurde, konnte ich Gespräche belauschen, die problemlos durch die Tür hallten. Zudem war die Runde alles andere als leise.
      „Was ist denn? Möchtest du nicht aufsteigen?“ Lars stand schon auf der anderen Seite des Pferdes und hielt den Steigbügel gegen, aber ich haderte mit mir, ob ich wirklich so weit war, aufzusteigen.
      „Ich weiß nicht“, sprach ich meine Zweifel an.
      „Du schaffst das, schließlich bist du gestern sogar gefahren. Keiner verlangt von dir, Pirouetten zu drehen, aber etwas Schritt und Trab sollte im Rahmen deiner Möglichkeiten sein“, dann lehnte er sich über den Sattel zu mir und sprach etwas leiser: „Außerdem haben wir doch schon geübt, vielleicht stellst du dir das einfach vor.“
      „Ein ziemlich absurder Gedanke“, warf ich ihm vor, aber er zuckte belustigt mit den Schultern.
      „Aber los, sonst schläfst du heute Nacht allein“, noch bevor das letzte Wort über seine schmalen Lippen wirbelte, hatten meine Hände flink den Gurt um ein Loch fester gezurrt und ich schwang mich auf das Pferd. Osvo war kaum größer als ich, also eine Leichtigkeit für mich.
      „Na bitte. Offenbar bist du bestechlich.“ Lars lief die ersten paar Runden noch mit, einerseits um mir Tipps zu geben, andererseits um mir Sicherheit zu schenken. Wie ein Anfänger versuchte ich die richtige Position im Sattel zu finden, setzte mich andauernd um. Lars hielt den Arm vor Osvos Kopf, wodurch sie abbremste.
      „Etwas weiter nach vorn und Beine lockerer im Bügel“, wies er mich an. Mit einem tiefen Atemzug durch die Lungen versuchte ich meinen Puls wieder zu normalisieren, aber in der Brust trommelte es wie bei afrikanischen Urvölkern.
      „Nicht so“, lachte Lars und legte selbst Hand an. Bestimmt legte er mein Bein zurecht, schaute sich auch, das andere an, das ich selbst platzierte. „Viel besser und so bleiben. Denk an den Wassereimer in der Hüfte, der darf nicht überlaufen.“
      Durch leichten Druck am Bein setzte sich Osvo in Bewegung. Sofort verspürte ich einen Unterschied. Gleichmäßig schob ich mich durch den Sattel und meine Begleitung kletterte gekonnte die Bande hoch, um sich oben auf den Rand zu setzen. Allein der Schritt war eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Zu viele Emotionen prasselten auf mich ein, um es genauer benennen zu können und als ich prüfend noch einen Blick zur Tribüne warf, wurde mir bewusst, dass es immer mehr Leute dazu kam. Der Druck kam wieder, Druck wie bei meiner Abfahrt. Es gab keinen Grund dafür, zumindest redete ich mir das ein. Selbst meine Schwester und Mutter tauchten aus heiterem Himmel auf, auch wenn die kleinste nur Augen für Niklas hatte. Dass er nach Lina noch kam, löste vermutlich das Zittern meiner Hände aus. Auf einer großen Volte versuchte wieder ein Gefühl für das Pferd zu bekommen und mich von der Massenansammlung abzulenken. Ich schloss die Augen, um tief Luft zu holen. Auch Osvo schnaubte in dem Moment ab. Meine Hand klopfte ihr sanft den Hals.
      „Bei A auf den Zirkel und antraben“, rief mir Lars zu. Ohne weiteres Versagen zu schnüren und damit eventuell auf Widerstand zu stoßen, trabte ich die dunkle Stute. Locker ließ sie den Hals fallen. In ihrem Sattel fühlte ich mich ganz anderes, im Vergleich zu Lubi. Ihre Schritte waren kürzer, aber ebenso gefedert und weich. Obwohl wir nur auf dem Zirkel blieben, schwebte ich auf Wolke sieben, in meinem Kopf, jeden Sieg ergattern zu können. Nach einem Handwechsel holte ich Osvo wieder zurück in den Schritt und kam langsam auf meinen Ausgangspunkt. Meine Zuschauer waren wie gelöscht, sodass ich im Sattel sicherer wurde. Lars korrigierte noch einige Male meinen Sitz, durch freundliche Zurufe und sorgte dafür, dass Osvo nicht nur aktiver vorwärts trat, sondern auch die Balance fand. Volten fielen ihr schwer. Erst in der Versammlung im Schritt setzten sich ihre Hinterbeine mehr in den Schwerpunkt und jede Wendung auf der kleinen Kreislinie, unterstützte sie. Zum Ende galoppierte ich sogar noch und wurde mit einem ungefragten fliegenden Wechsel überrascht.
      Vollkommen durchgeschwitzt glänzte das blau-schwarze Fell in der Deckenbeleuchtung und an den hellen Abzeichen zeichnete sich die Farbe des Sandes ab. Wie Grisu, der kleine Drache, traten Dampfwölckchen aus ihren Nüstern und die Abschwitzdecke erfüllte ihren Zweck, als Lars sie in den weichen, dunkelblauen Stoff hüllte. Breddlopp - Daley Lovin 2018 stand in großen Buchstaben an der Seite aufgedruckt.
      „Ihr habt das Potenzial füreinander“, stellte er begeistert fest.
      „Hat wirklich Spaß gemacht, danke.“
      Mir fehlten die Worte, einzig ein leuchtendes Grinsen schmückte meine Lippen. Auf der rechten Seite lief Osvo vollkommen entspannt und augenscheinlich ebenso glücklich, auf linken Lars. Im Augenwinkel bemerkte ich seine prüfenden Blick. Ihn so plötzlich nah zu haben, bedeutete mir unbeschreiblich viel.
      „Ich wusste gar nicht, dass du so gut reiten kannst“, merkte Mama an, als ich an ihr vorbeikam.
      „Okay.“ Mein Lächeln erlosch. So wie ich diese Frau kannte, interessierte sie sich ohnehin nicht viel für meine Leistungen. Selbst als wir mit dem Cheerleader Team bei der Landesmeisterschaft waren, schenkte sie mir keinen Augenblick, viel wichtiger war der Zoobesuch mit meiner kleinen Schwester.
      Durch das Tor verließ ich die Reitbahn und sattelte mit Lars’ Hilfe die Stute ab. Sie fraß genüsslich den Inhalt ihrer Schüssel, verteilte mehr als die Hälfte auf dem Beton. Eine kleine Sauerei lag unter dem Maul.
      „Also, darf ich sie öfter reiten?“, beugte ich mich zu Lars hinüber, der gerade die Trense im Eimer reinigte.
      „Mh?“, brummte er zwischen dem Geklapper.
      „Ob das Angebot steht?“, spezifizierte ich.
      „Papa muss noch zustimmen, aber meinerseits steht dem nichts im Weg“, er hob sich und legte seine Arme an meine Hüfte, „ihr saht super aus und denk daran, nie dein Lächeln zu verlieren.“
      “Da muss ich Lars zustimmen”, trat Lina freudestrahlend von der Halle her ran, “Schön, dich wieder auf dem Pferd zusehen.”
      „Stimmt schon, aber ich halte mich erstmal zurück“, stellte ich klar, damit sie nicht von mir erwartete, eins der schwierigen zu nehmen.
      “Alle gut, ich erwarte nicht, dass du dich gleich an eines der Monster wagst”, beschwichtigte sie augenblicklich, “außer vielleicht an das, was sich als süßes kleines Pony tarnt.”
      „Maxou ist kein Monster“, protestierte ich umgehend, die sofort den Kopf aus der Box streckte.
      „Hör nicht zu, die sind blöd zu dir“, flüsterte ich in das kleine helle Ohr, das sich interessiert in meine Richtung drehte.
      „Du hättest sie mal die vergangenen Monate erleben sollen, dein Pony war an Wechsellaunigkeit kaum zu übertreffen. Du musst irgendwelche Zauberwirkung auf sie haben“, begründete Lina ihre Aussage, „Sie hat es einem wirklich nicht immer leicht gemacht.“
      “Na, wenn du das sagst”, knurrte ich beleidigt. Aus der Jackentasche wühlte ich nach einem der Leckerlis, die ich für gewöhnlich in jeder fand, so natürlich auch in dem Augenblick. Gierig fummelte sie ihre Belohnung von der Handfläche wie eine Schnapsschildkröte.
      “Immerhin versucht sie nicht, dich loszuwerden”, fügte ich schulterzuckend hinzu. Lars schielte mir zu, mit tiefer Stirn, als hätte er Wind von dem Gespräch bekommen mit Niklas. Für einige Sekunden schien sie irritiert, wirkte fast so als läge ihr bereits ein Kommentar auf der Zunge, doch augenscheinlich fügten sich die Puzzlestücke schnell zusammen. Postwendend wurde ihre Ausstrahlung zurückhaltender.
      „Tut mir leid, dass Niklas vorhin so eklig zu dir war“, sagte sie kleinlaut. Kurz kam mir in den Sinn, vom Zwischenfall zu sprechen, doch wollte ihr nicht den Tag versauen. Die Worte rutschten wie ein hartes und trockenes Brot meine Kehle herunter.
      “Schätzungsweise wäre es ihm lieber, wenn ich wieder gehe”, versteckte ich seine Aussage hinter einer Vermutung. Da mischte sich auch Lars wieder ein: “Dann kommst du halt zu mir, ich freu mich.”
      “Hättest du wohl gern.”
      „Ich weiß nicht, was los ist mit ihm, aber natürlich bleibst du, wo du bist, schließlich ist es auch dein Haus“, sprach sie zu mir.
      „Er möchte sicher bei dir sein und ich störe dann halt, erst recht, wenn“, der Klumpen kehrte im Hals wieder, denn ich ging davon aus, dass es mit Lars mehr werden würde. Diesen Zahn zog mir seine Schwester allerdings.
      „Wenn was?“, kam er zu Wort, als würde Lars genau wissen, was in meinem Kopf herumschwebte.
      „Wenn du mehr Zeit mit mir verbringst“, stammelte ich unsicher, wie es bei meinem Gegenüber ankommen würde. Aber Lars lachte.
      “Aber das ist doch nicht dein Problem, wenn er oder wir uns an dir stören”, versuchte Lina offenbar noch den Grund zu verstehen, “Nein, nein, du bleibst schön, wo du bist, sofern du dich nicht aktiv anders entscheidest.”
      „Dass es für mich okay wäre, eins der anderen Häuser zu nehmen, bist du dir bewusst?“, merkte ich noch an, dann wurde Osvo dringlicher mit ihrem Scharren auf dem Boden. Noch immer tropfte Schweiß förmlich aus dem Fell, deshalb löste ich die Stricke, schaltete die roten Lampen an und stellte sie ohne Decke darunter. Skeptisch hob sie den Kopf, bemerkte allerdings in der nächsten Sekunde, wie wohltuend das Licht war.
      “Mmm, ja …”, überlegte sie kurz, “aber ich möchte nicht, dass du dich vertreiben fühlst.”
      “Du treibst sie nur in meine Arme und damit kann wohl jeder leben”, zuckte Lars mit den Schultern. Langsam nervte mich seine selbstverliebte Art, die mich bei Niklas in den Wahnsinn trieb. Kaum zischte dieser Gedanke durch Kopf, musste dieser natürlich auch erscheinen, mit einem nervigen Anhängsel namens Madly. In seinem Blick sah man deutlich die Verzweiflung und einfach, war meine Schwester nicht loszuwerden.
      „Jetzt sage es doch“, jammerte sie, aber ohne Kontext, wusste ich nicht, was sie von ihm wollte.
      „Kannst du die Erwachsenen kurz allein lassen?“, bat ich Madly.
      „Nö“, kam es aus der Pistole geschossen.
      “Bring das mal bitte in die Sattelkammer”, intervenierte Lina und drückte ihr kurzerhand den durchnässten Fleecehaufen in die Hand, der vor Kurzem noch auf dem Rücken der Stute verweilt hatte. Diese sprang mit einem panischen Schrei zurück, um den Geruch zu entfliehen.
      “Ihr werdet schon noch sehen, was ihr davon habt”, rief sie übermütig zu uns, aber verschwand zur schützenden Tribüne, auf der gerade jemand anderes auf einem Pferd beobachtet wurde.
      “Was werden wir sehen? Dass es ohne sie nervenschonender ist?”, scherzte Lina mit gesenkter Stimme, sich wohl bewusst, dass die fehlenden Wände, den Raum ziemlich hellhörig machten.
      “Weiß nicht”, zuckte ich mit den Schultern. Lars hatte sich wie in Luft aufgelöst, auf einmal stand ich zwischen Lina und Niklas, der mich genauso böse anblickte, wie meine Schwester zu vor.
      „Ich bringe das Pferd weg, offensichtlich bin nicht erwünscht“, entschloss ich dann kurzerhand.
      „Du hast es erfasst“, grinste Niklas unverfroren. Eine Frechheit!
      “Niklas!”, tadelte Lina ihn sofort, “Sie hat doch gar nichts getan.”
      “Doch”, er verschränkte die Arme und sah zu mir. Ich versuchte das Gespräch der Beiden zu ignorieren, aber zu sehr interessierte es mir, was sein Problem war. Erst recht, nachdem wir eigentlich ein sehr freundliches Gespräch im Badezimmer gehabt hatten.
      “Ihr versteht es nicht, aber ich kann nicht mit ihr und dir in einem Raum sein, also entscheid dich”, stellte er ihr ein Ultimatum.
      “Du willst ernsthaft, dass ich mich zwischen euch entscheide?”, fragte sie entsetzt, als könne sie seine Worte nicht begreifen.
      “Engel, ich möchte nur mit dir allein sein, aus Gründen. Wir können das gern besprechen, aber versprich mir, dass wir erst einmal Zeit füreinander haben”, hallte es durch die Halle, zwischendurch durchbrochen von Hufschlag.
      “Okay, ja”, willigte sie nach einem kurzen Moment der Stille in die Worte ihres Freundes ein, eine diffuse Gefühlslage in ihrer Stimme mitschwingend.

      Am Abend in der Reithalle

      Lina
      Vor einer viertel Stunde war die Luft erfüllt von Frohsinn, von Musik bis in die Herzen der Leute getragen. Auch ich war erfüllt von Glück und Stolz. Bereits beim Aufwärmen, merkte ich, dass Ivy heute in Höchstform war und vor den Zuschauen schien er noch mal eine Schippe daraufzulegen. Er wirkte nahezu, als sei der junge Freiberger dafür geschaffen worden, unter den Blicken der Zuschauer über den Sand zu schweben. Divines Bühnenpräsenz übertrug sich auch auf mich. Das erste Mal fühlte ich mich annähernd wohl unter den Blicken des Publikums. Enya und Lego hatten selbstverständlich auch geglänzt. Es war schade, dass sie nur so selten auf dem Pferd saß, sie hatte ein Händchen für die Tiere, sicher einer der Gründe, weshalb sie so gut in ihrem Beruf war.
      Mittlerweile saß anstelle der blonden Schwedin, allerdings Samu im Sattel seines Hengstes, denn seine Freundin wurde zu einem Notfall in die Klinik gerufen. Anstelle der fröhlichen Musik war die Halle nun erfüllt von einem nüchternen Viertakt von den Hufen, die gleichmäßig im Sand aufsetzen.
      Abwesend starrte ich auf die aufmerksam nach hinten gerichtet weißen Ohren, die in meinem Blickfeld aufragten. In mir herrschte ein Chaos aus Empfindungen, die unter dem schwinden Adrenalin, an die Oberfläche schwappten. Die Schutzschilde nach außen hin waren hochgefahren, doch der sensible Hengst unter mir spürte es dennoch. Behutsam setzte er die Hufe in den Sand, bei jedem Schritt nachspürend, ob sich etwas veränderte. Noch immer hing mir das Gespräch mit Niklas beziehungsweise eher ein Monolog seinerseits im Kopf. Nur langsam konnte ich all die Bruchstücke zu einem Gesamtbild zusammenfügen, die Verbindungen herstellen und all die Zusammenhänge erkennen.
      > Haluatko kertoa minulle, mitä sinulla on mielessäsi?
      “Möchtest du mir erzählen, was dich beschäftigt?”, durchbrach Samus sanfte Stimme die Stille in der großen Halle. Ich seufzte, es war alles zu viel auf einmal, um den Berg an Informationen allein bewältigen zu können.
      So begann ich also all das wiederzugeben, was Niklas mir offenbarte. Angefangen bei dem Grund, der seine Zeit fraß, Binomialsats. Ein Hengst, der von seiner geliebten Schimmelstute abstammte und seinen Erzählungen nach, ähnlich aufbrausend und Verhaltens-kreativ war. Noch am selben Tag, wie der Tierarzt bestätigte, dass Smoothie nicht aufgenommen hatte, war Niklas wohl den Schritt gegangen, den Hengst zu kaufen. An sich sprach nicht dagegen. Zu gut konnte ich nachvollziehen, dass mein Freund etwas haben wollte, was seine Stute überdauern würde, sollte sie eines Tages mal nicht mehr, sein, auch wenn sie mit ihren gerade einmal zehn Jahren noch weit entfernt davon war. Sicher würde ich einiges geben, um etwas mehr als Erinnerungen an meinen kleinen Vili zu haben, aber bei einem Wallach gestaltete sich das schwierig. Nein, der Grund für das lange Schweigen war nicht das Tier an sich, es war die Art, wie er zu dem Pferd kam. Bino hatte nicht zum Verkauf gestanden, aber wie er so war, hatte er mit den bunten Scheinchen gewedelt, um seinen Willen zu bekommen. Für mich war es nicht vorstellbar, wie es zu rechtfertigen, war einem jungen Menschen sein Pferd wegzunehmen. Es betrübte mich, dass mein Freund so handelte, aber Menschen sind nun mal nicht unfehlbar, erst recht nicht, wenn sie von Emotionen getrieben werden.
      Als sei dies noch nicht genug gewesen, hatte Niklas noch mehr zu beichten gehabt, Vriska betreffend. Tief in meinem Inneren hatte ich bereits eine Vorahnung gehabt, dass zwischen den beiden noch eine gewisse Anziehung herrschte, doch es so deutlich zu hören tat weh, auch wenn ich mittlerweile wusste. Gleichzeitig wusste ich nicht, damit umzugehen. Vriska war zu diesem Zeitpunkt nicht ganz sie selbst gewesen, aber wer war denn die wirkliche Vriska? Sie nicht wirklich abgewiesen zu haben, begründete Niklas damit, dass er schon lange Kenntnis davon gehabt hatte, was sich zwischen Erik und Moa anbahnte und er sie somit nicht verletzen wollte.
      > Sinulle tapahtui taas jotain, vai mitä?
      “Da ist ja wieder einiges passiert bei dir, hm?”, stellte Samu am Ende der Erzählung fest.
      Ich seufzte, mir all das von der Seele zu reden half, das wirbelnde Durcheinander in mir ein wenig abzubremsen, aber es wurde nicht klarer, was ich fühlte.
      > Kyllä ja nyt... En tiedä
      “Ja und jetzt weiß ich nicht …”, murmelte ich und strich durch das lange Fell, welches seidig zwischen meinem Finger entlang glitt.
      > Mitä mieltä olet Vriskasta ja miten edetä
      “Wie du zu Vriska stehst und wie es weitergehen soll”, beendete er meinen Satz, als hätte er meine Gedanken gelesen. Volltreffer, bezüglich des verlorenen Schäfchens tat sich ein gigantischer Zwiespalt in mir auf. Auf der einen Seite hatte sich, trotz des holprigen Starts, eine Freundschaft zwischen uns entwickelt, auf der anderen fühlte sich mit den neuen Fakten an, als sei es nicht aufrichtig gewesen.
      > Sinun pitäisi puhua hänelle, mutta olen varma, että tiedät sen.
      “Du solltest mit ihr reden, aber das weißt du sicher”, fügte er hinzu, nach einem Moment der Stille hinzu.
      > Ei tänään, en voi
      “Nicht heute, das kann ich nicht”, wisperte ich und nickte langsam mit dem Kopf. Eine ganze Stunde war mittlerweile vergangen und die beiden Pferde mehr als trocken und runtergekühlt. Tiefenentspannt schnaubte Ivy, als ich mittels einer winzigen Gewichtsverlagerung auf die Mittellinie lenkte, wo ich hielt. Die letzten zehn Minuten war er bereits mit hängendem Kopf herum getrottet und schlief beinahe dabei ein. Verständlich, für gewöhnlich saß ich nicht länger als eineinhalb bis zwei Stunden im Sattel, Warm- und Abreiten inklusive. Dieses Limit war mittlerweile bei Weitem erreicht.
      > Oletko jäämässä?
      “Wie lange bleibst du noch”, fragte ich meinen besten Freund, als ich aus dem Sattel glitt. Obwohl ich mich innerlich zurückzog, war menschliche Nähe ein Anker, den ich jetzt benötigte, um nicht den Bezug zu Realität zu verlieren.
      > Niin kauan kuin tarvitset minua, pikkuinen, mutta etkö olisi mieluummin ystäväsi kanssa?
      “So lang wie du mich brauchst, Kleines”, sprach er sanftmütig, “aber willst du nicht lieber bei deinem Freund sein?” Mit den Augen folgte ich seiner angedeuteten Kopfbewegung in Richtung der Tribüne, von denen sich nach dem kleinen Ritt das Publikum schnell verstreute. Nur ein Beobachter war verblieben, Niklas. Saß er tatsächlich die ganze Zeit dort, anstatt sich eine sinnvolle Beschäftigung oder zumindest einen gemütlicheren Ort zu suchen? Wow, beeindruckendes Durchhaltevermögen. Aus dem konfusen Mischmasch schien sich bei seinem Anblick ein schwaches Gefühl heraus zu kristallisieren, welches sich wie Nebel einschlich und alles weiter in den Hintergrund rücken ließ. Mein Gesichtsausdruck schien offenbar eindeutig, denn der Finne begann Legos Sattelgurt zu locker und die Steigbügel hochzuschlagen.
      “Na, dann komm Lina, bevor dein Pony noch einschläft”, lachte er schließlich und setzte den großen Rappen in Bewegung. Divine hatte tatsächlich die dunklen Augen geschlossen und döste erschöpft. Auf das leichte zupfen am Zügel, reagierte er nicht. Erst als ich ihn ansprach, hob sich der Kopf und die helle Statur erwachte langsam wieder zum Leben. Wäre es nach dem Hengst gegangen, hätte ich ihn wohl auch einfach an Ort und Stelle stehen lassen können.
      “Du sahst wundervoll aus mit Ivy. Du solltest ihn öfter vor Publikum zeigen ”, lächelte Niklas, der von seinem Platz aus hinzukam. Geschmeichelt lächelte ich, verspürte doch eine leichte Unsicherheit, ob der kräftige Warmblüter tatsächlich so ansehnlich war.
      „Das sagtest du jetzt nicht nur, weil du mein Freund bist?“, brachte ich meinen Zweifel zum Ausdruck. Immerhin war Ivy ein kleiner Trampel, was er auch sogleich bewies, indem sein Huf in der Bewegung unangenehm mit meinem Knöchel kollidierte. Ein leichter Schmerz schoss wie ein Blitz durch den Knochen und ließ mich leise fluchen.
      “Alles in Ordnung?“, fragte Niklas, von den mehr als eindeutig ausfälligen Worten in Besorgnis versetzt.
      „Ja“, presste ich zwischen den Zähnen hervor, „geht schon wieder.“ Ebenso schnell, wie es gekommen war, ebbte das Stechen ab, ließ nur ein schwaches Pochen zurück. Das würde, trotz der dicken Winterstiefel, ein hübsches Andenken geben. Leicht lädiert setzte ich die letzten Meter zum Putzplatz fort, wobei Ivy ein wenig besser darauf achtete, was seine Füße taten.
      „Du bist dir sicher, dass ich mir den Fuß nicht anschauen soll?“, hakte mein Freund nach und nahm, noch bevor ich überhaupt die Gelegenheit dazu hatte, den Sattel von Divines Rücken und hängte ihn auf einen der Halter.
      “Ja, ich werde es knapp überleben”, nickte ich und löste das Leder vom Kopf des Pferdes.
      “Da habe ich aber Glück gehabt”, schmunzelte Niklas und legte seine Hände an meine Taille. Unter seiner zärtlichen Geste verdichte sich der wabernde Nebel in meinem Inneren und verdeckte all die Sorgen, die wie kleinen Dämonen mit ihren glühenden Augen am Rande lauerten.
      “Und ich kann mich glücklich schätzen, dass du mir jetzt sicher verraten willst, ob du das ernst meintest, was du eben über Ivy sagtest”, blickte ich ihn fragend an. Meine Hände machten sich derweil selbstständig auf den Weg über seine Brust, die er mal wieder mit kaum mehr verhüllte als mit einem Shirt und einer leichten Jacke darüber.
      “Natürlich, Engelchen”, sprach er und zog mich noch ein Stück weiter an ihn heran, “Von dem, was ich bisher gesehen habe, schätze ich dein Kleiner bringt L bis M Potenzial mit, vielleicht auch mehr. Und was dich angeht, du solltest dich öfter aus deiner Komfortzone hervorwagen und der Welt deine Fähigkeiten zeigen. Versteckt dich nicht, nur weil dir keiner deine Fähigkeiten auf einem Blatt Papier bescheinigt hat.” Es erfüllte mich mit Stolz, wie er über mein Pferd sprach, auch wenn ich kein Stück weit zu seiner Veranlagung beigetragen hatte. Noch viel mehr wurde mein Herz erwärmt von seinen letzten Worten. Nur selten sprach jemand so deutlich aus, dass er an mich glaubte.
      “Du meinst also, ich sollte auf Turnieren reiten?”, blickte ich fragend zu ihm hoch.
      “Oder du musst mehr Weihnachtsfeiern organisieren”, feixte er und ein Funkeln trat in seine strahlenden Augen.
      “Hör auf mich auf den Arm nehmen zu wollen“, beschwerte ich mich und wollte ihn von mir schieben, doch das ließ ihn unbeeindruckt. Stattdessen grinste er frech, beteuerte seine Unschuld und machte nicht mal Anstalten seinen Griff zu lockern.
      “Ich will euch zwei Schnukis ja nicht den Spaß verderben, aber Lina, dein Pferd hat noch Bandagen daran und sicherlich möchte er auch die Zöpfchen loswerden”, unterbrach Samu just in dem Augenblick. Meine Augen schielten zu Lego, der brummelte und die Nase bereits nach den Plastikschüsseln in den Händen des Finnen ausgestreckte. Bandagen trug der Rappe nicht mehr, aber bezüglich der Frisur war er auch noch nicht weiter. Allerdings zeugte die Schere, die aus seiner Gesäßtasche ragte, davon, dass er das nun ändern wollte. Beiden Hengste stellte er eine Schüssel mit Futter vor die Nase, die auch augenblicklich inspiziert wurde.
      “Na gut, seist du freigesprochen”, säuselte ich an meinem Freund gewandt, “aber nur weil das Einhörnchen ins Bett möchte.”

      Etwas später in der Hütte

      Der Moment, wenn man die Dusche ausstellte und die vergleichsweise kühle Luft einem über die Haut strich, war ausnahmslos der unangenehmste Teil dieses Prozesses. So ergriff ich unverzüglich eines der Handtücher von der Halterung neben der Dusche und hüllte meinem Körper in den weichen Stoff. Angenehm warm empfing der Boden meine Füße und ich tapste hinüber zu dem beschlagenem Spiegel, griff nach der Bürste und begann das wirr war auf meinem Kopf zu ordnen.
      “Ich dachte, du wirst da drinnen noch zum Fisch”, feixte Niklas, als ich zwanzig Minuten später die Tür zum Wohnzimmer öffnete. Seine Worte wurden begleitet von einem gleichmäßigen Klackern, was ich im ersten Moment nicht ganz einzuordnen wusste.
      “Ein Fisch in der Dusche? Das wäre aber unpraktisch, ist doch viel zu wenig Wasser drin”, lachte ich und trat um die Ecke herum. Der Herr stand an der kleinen Küchenzeile und schnippelte geschäftig etwas.
      “Dann ist es ja gut, dass du dich nicht verwandelt hast”, grinste er, zerschnippelte weiter die Tomaten auf seinem Schneidebrett. In einer Pfanne auf dem Herd brutzelte bereits etwas vor sich hin, was ich als Omelett identifizierte. Ungeduldig, wie ich war, wollte etwas von dem Gemüse aus der Schüssel stibitzen, da hatte er schon mein Handgelenk umfasst. Warum musste er denn auch so hervorragende Reflexe haben?
      “Nicht so ungeduldig, Madame, hier wird nichts geklaut”, mahnte er mich.
      “Aber das sieht so lecker aus”, jammerte ich und befreite meinen Arm aus seinem Griff, ” und ich habe Hunger.”
      “Es ist doch gleich fertig, Engelchen”, schmunzelte er vollkommen ungerührt von meinem Einwand. Stattdessen widmete er sich seiner Pfanne, wendete den Inhalt und holte schließlich sogar ein weiteres der metallen Behälter aus dem Schrank.
      “Ich hoffe doch stark, mit gleich meinst du nicht erst in zwanzig Minuten, denn bis dahin bin ich bestimmt verhungert”, hielt ich ihm vor, verzog mich aber dennoch auf die Couch. Huch, was war denn das dort? Auf dem kleinen Tischchen, neben dem Sitzmöbel, stand ein rechteckiger Karton, sorgfältig eingeschlagen in blaues Geschenkpapier, welches mit bunten Sternchen und kleinen Einhörnern mit grüner Mähne bedruckt war. Doch das Auffälligste daran war die große pinke Schleife, die obendrauf thronte. Neugierig inspizierte ich das Geschenk. In der linken oberen Ecke klebte ein kleines Schild, worauf unverkennbar in Vriskas Handschrift mein Name stand. Aber wie war es hier nur plötzlich hingekommen? Auf dem Weg ins Bad war ich dort, doch bereits vorbeigekommen und ich hätte schwören können, es wäre noch nicht dort gewesen.
      “Schatz, stand das hier schon die ganz Zeit?”, fragte ich voller Verwunderung meinen Freund.
      “Ja, hast du es vorhin nicht bemerkt?”, stellte er eine eher rhetorische Gegenfrage und widmete sich wieder dem Herd. Den Indizien nach konnte der Karton nur von meiner Mitbewohnerin stammen. Mit Neugierde, die weiterhin anstieg, kamen allerdings auch die Gefühle wieder hervor, die an den Rand gedrängt worden waren. Unentschlossen starrte ich das Päckchen an. Angesicht der Lage konnte ich nicht einordnen, ob dies ein Geschenk aus Höflichkeit sei oder ob eine ernsthafte Motivation dahintersteckte. Ebenso war die Gefühlslage Vriska betreffend noch immer ungeklärt. Mir fielen ungefähr ähnlich viel pro wie kontra Argumente ein, doch letzten Endes siegte die Neugierde. Wissbegierig hob ich den Karton an und schüttelte leicht. Kein Mucks drang daraus, auch war er von geringem Gewicht, was dafürsprach, dass sich etwas Weiches darin befinden musste. Zaghaft zupfte ich am Ende der Schleife, die sich daraufhin löste und auseinander glitt. Sorgsam löste ich den Klebefilm an den Seiten, wickelte den Karton aus. Heller, blau-grauer Stoff kam unter der Pappe zum Vorschein. Eingefasst war die Schabracke in einem zarten Grün, doch der wirkliche Hingucker, war der Aufdruck. Im rechten Drittel prangte ein stilisiertes weißes Einhorn mit einem Regenbogen, als Hula-Hoop-Reifen. Neben der Schabracke lag auch eine kleine Karte in dem Karton. Neben ein paar freundlichen Weihnachtsgrüßen waren nur wenige Worte darauf geschrieben, aber aus diesen konnte ich entnehmen, dass die Schabracke ein wahres Unikat war. Beeindruckt strich ich über den gesteppten Stoff, dass Vriska Trensen bastelte, war mir bereits bekannt, aber dass sie ebenso wunderschöne Schabracken zustande brachte, war etwas Neues. Sie hatte wahrhaftig ein Talent für das Gestalten und herstellen solcher Dinge. Es war ein wundervolles Geschenk, doch es änderte nur geringfügig etwas an meine Gefühlslage. Samu sagte bereits, dass es wohl eine Weile benötige, bis die negative Assoziation verschwinden würde. Doch im gleichen Zug ermutigte er mich dazu, Vriska die Chance zu lassen, zu zeigen, dass dies Vergangenheit war und bleiben würde. Glücklicherweise akzeptierte sie, dass ich vorübergehend etwas Freiraum benötigte und verschwand zu Lars.
      “Lina, kommst du, Essen ist fertig”, forderte mich Niklas auf und stellte zwei Teller auf den Tisch. Ich ließ den Deckel wieder auf die Schachtel sinken und lief hinüber zum Esstisch.
      “Das sieht wie immer hervorragend aus”, sprach ich ein Lob aus und nahm den bunten Teller genauer in Augenschein. Auf einem Omelett breite sich eine Vielfalt an Gemüse aus, mit einigen leicht angeschmolzenen Stücken Feta durchmischt.
      “Von wem war nun das wundersame Päckchen?”, fragte mein Freund interessiert nach.
      “Vriska, eine Schabracke”, antworte ich nur knapp. Dies war kein Thema, was ich heute weiter ausweiten wollte. Er nickte nur und steckte sich einen großen Bissen in den Mund. Ich tat es ihm gleich, verbrannte mir beinahe die Zunge an einer heißen Tomate, aber abgesehen davon, schmeckte es so lecker, wie es aussah.
      “Anderes Thema”, fing ich an, “wie ist dein wundersamer Hengst, ist er auch so temperamentvoll wie Smoothie?” Es interessierte mich ernsthaft, ob die Andersartigkeit in den Genen lag oder womöglich doch etwas war, was ein Alleinstellungsmerkmal der Schimmelstute war.
      “Ähnlich auf jeden Fall, aber ziemlich verzogen”, umschrieb ihn knapp. Ein wenig mehr Informationen hatte ich mir schon erhofft, aber offensichtlich war es kein Gesprächsthema, welches ihm recht war.
      “Klingt nach einer Herausforderung”, lächelte ich freundlich, hielt mich aber mit weiteren Fragen zurück. Der weitere Verlauf des Gespräches handelte eher von alltäglichen Dingen, wie beispielsweise, dass Caja mich früher oder später noch in den Wahnsinn trieb. Mal hatte die ängstliche Stute einen guten Tag und machte riesige Fortschritte und dann folgten meist viele Tage, in denen das Training rückläufig war. So hatte ich aufgehört, die blauen Flecken zu zählen, wenn sie mit ihren Zähnen mal wieder schneller war als ich.
      Nach Beendigung der Mahlzeit sammelte ich das Geschirr ein, brachte es direkt zur Spüle und ließ sogar Wasser hinein. Schließlich konnte ich nicht immer so ein Chaos wie am geistigen Abend hinterlassen. Niklas war dabei nur wenig hilfreich, denn anstatt abzutrocknen begnügte er sich damit mich zu beobachten.
      “Wartest du noch auf eine schriftliche Einladung?”, versuchte ich es mit einer letzten Aufforderung, die allerdings eher wirkungslos schien.
      “Nein”, grinste er verschmitzt und trat heran, um mir die Arme um den Körper zu schlingen, “eher auf den Nachtisch.” Zärtlich strichen seine Hände über meinen Körper, erweckten das schlummernde Feuer in meinem Inneren.
      “Nicht so eilig”, sprach ich bestimmt und löste seine Hände von mir, “ich habe vorher noch etwas anderes für dich.” Interessiert blickte er mich an: “Wirklich, was denn?”
      “Na, wir haben Weihnachten. Hast du das schon vergessen?”, scherzte ich und lief zu meinem Zimmer.
      “Natürlich nicht”, hörte ich Niklas noch sagen, bevor ich in den Raum trat. Zielstrebig lief ich zu dem Regal, wo ich den Umschlag hinter ein paar Bücher versteckt hatte und holte selbigen hervor. Golden schimmerten die Verzierungen, mit denen ich zumindest versucht hatte, den eher weniger hübschen Umschlag ansehnlich zu gestalten. Mit einem breiten Grinsen kehrte ich ins Wohnzimmer zurück, wo Niklas es sich auf der Couch bequem gemacht hatte. Ich tat es ihm gleich und überreichte ihm den Umschlag erfreut: “Frohe Weihnachten, Niklas.” Begierig beobachtete ich, wie er den Umschlag geschickt öffnete und einen ersten Blick hineinwarf.
      “Was genau soll ich mit einem Haufen Papier?”, fragte er irritiert und zog die Blätter hervor.
      “Das ist nicht nur Papier”, begann ich zu erklären, “Das ist die Einwilligungserklärung und die nötigen Informationen zu einer Studie zu einer neuartigen, aber sehr Erfolg versprechenden Therapiemethode bei belastungsbedingter Arthrose und Spat. Du müsstest nur noch unterschreiben und dann könnte Smoothie ein Teil der Studie sein, sie ist eine perfekte Kandidatin.”

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 61.743 Zeichen
      zeitliche Einordnung {25. Dezember 2020}
    • Mohikanerin
      [​IMG]

      kapitel tjugofyra | 31. Juli 2022

      Osvominae / Planetenfrost LDS / WHC’ Golden Duskk / Moonwalker LDS / Maxou

      Vriska
      Zugetraut hätte ich Lina das Durchhaltevermögen nicht. Seit vier Tagen schlief ich nun bei Lars auf der Couch und gewöhnte mich sogar langsam an den ekligen Filterkaffee, der mich jeden Morgen auf anderem Weg wach machte. Ihm kam meine Anwesenheit allerdings sehr entgegen. Wenn er von einem Training in der Kälte am Abend kam, stand Essen auf dem Tisch. Selbst Bruno, der dem „Gemüsezeug“ kritisch gegenüberstand, aß es mit vollkommenem Genuss. Es war eine Tradition der Familie am Abend zusammen zu essen, was mich in der konsequenten Umsetzung ziemlich überraschte. Sie unterhielten sich über die Pferde, was auch sonst. An den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr herrschte nicht viel Abwechslung. Ich hörte gespannt zu, aber schwieg die meiste Zeit. Mein Alltag bestand daraus, mit meinem Pony spazieren zu gehen und das Findelkind mitzunehmen. Aber was war in den Tagen passiert?

      „Papa, was ist eigentlich mit Osvo?“, fragte Lars dann, als wir auf das Thema Reiten zurückkamen.
      „Nun“, der ältere Herr seufzte, „ihr beide saht toll aus, aber Osvos Gelenke, wenn der ständigen Belastung nicht standhalten. Du hast wohl – “
      „Nein, habe ich nicht“, beendete mein Sitznachbar den Satz. Obwohl es mich brennend Interessierte, wovon sie sprachen, hielt ich mich zurück. Ich wollte mich nicht in fremde Angelegenheit einmischen.
      „Sie hatte einen Unfall mit Mama“, erzählte Nour dann. Es klang grausam, zumindest, was folgte. Wochenlang statt die damals noch sehr junge Rappstute in der Klinik, nach dem sie sich am Sulky überschlug und eine Böschung herunterrollte. Damit erledigte sich rasch die Karriere als Rennpferd und erst viele Jahre danach, traute sich jemand, das Pferd von der Weide zu holen. Osvo hatte sich prächtig entwickelt, aber die Angst blieb.
      „Du kannst sie aber zum Training nutzen“, bot Bruno dann an.
      „Von der kannst du noch einiges Lernen“, fügte dann auch Lars hinzu. Mit gedrückter Stimmung nickte ich höflich.
      Nach dem Essen räumte ich auf, die Familie verließ die bescheidene Hütte wieder. Viele Stunden war ich wieder allein, tippte eine oder zwei Seiten auf meinen Laptop, bevor ich es zur Seite legte und die Couch zu meinem Bett formierte.
      Der kleine Zeiger zeigte auf Zehn, als ich im Halbschlaf die Tür schließen hörte und Dog, der zweimal aufgeregt bellte. Lars kam wieder, der zuvor noch mit Freunden in einer Bar war, wie die letzten Abende auch.

      Besten Gewissens arbeitete ich mit Osvo, die sich noch immer nicht ganz sicher unter mir fühlte. Tyrell gab mir Unterricht, während meine Familie am Rand saß. Selbst Madly, die die Pferde noch immer eklig fand, sah mir bei der Arbeit zu. Ich hatte mich heute überwunden und sogar Dustin an der Doppellonge longiert. Der junge Traber Hengst, mit hohem Vollblut-Anteil, trabte mit weit geöffneten Nüstern vor sich. Es dauerte, bis er zur Ruhe kam und geduldig meinen Gymnastizierungshilfen folgte.
      Nach dem Warmreiten wurde ich lockerer, was auch Osvo zu besseren Leistungen bewegte. Der Trab war schwungvoll und punktgenau, wenn ich die Beine anlegte. Nur die Bremse fanden wir noch nicht.
      Lina sah ich kaum. Ihr Freund hatte es wirklich geschafft, dass ich die Blöde war, was auch immer seine Beweggründe dafür waren. Eine Möglichkeit zum Nachfragen bekam ich nicht. Selbst, als ich Osvo absattelte und das Zeug in Kammer brachte, strafte mich Lina weiterhin mit schweigen. Für einen Augenblick waren wir allein, aber als ich nach ihrem Wohlbefinden fragte, lief sie mit gesenktem Kopf an mir vorbei, als wäre ich Luft. Ich sah mich noch um, aber akzeptierte ihre Stille. Vermutlich berichtete Niklas ihr von den anfänglichen Eskapaden mit ihm am Hof, die ich tatsächlich etwas vermisste. Mit Lars war es ziemlich leicht, aber nach der einen aktiven Nacht, bebte meine Brust nicht mehr bei seinem Anblick. Damit verliefen sich alle weiteren Aktionen des Herren, nach meiner Aufmerksamkeit buhlend, in den Sand. Anfassen und Nähe gab es noch, aber Intimität wollte ich nicht.
      Die Stute kam zurück auf den Paddock und ich fütterte noch Heu bei allen, dann beendete ich meinen Arbeitstag. Im Bad trocknete ich den Hund, bevor ich eine Waschmaschine anstellte und mich mit einem Kaffee auf die Couch setzte. Unmotiviert tippte ich an meiner Geschichte weiter, die aktuell von Monotonie nicht zu übertreffen war. Jeder hatte Schreibblockaden und mit dem Gedanken, landete ich bei YouTube.
      „Vriska?“, stürzte Lars in die Hütte und erschreckte nicht nur den Hund. Sein Gesicht so rot wie seine Hände. Rote Flüssigkeit tropfte auf den hellen Holzboden und Dog verteilte natürlich überall Pfotenabdrücke.
      „Was ist passiert?“, krächzte ich noch verschlafen, nach einer Ruhepause auf der Couch. Auf dem Laptop dudelte noch ein Video vor sich hin.
      „Erzähle ich später, aber wollte nur Bescheid sagen, dass du nicht direkt für uns kochen brauchst. Wir müssen mit Nour in Krankenhaus“, sprach Lars so schnell, dass ich nur die Hälfte verstand. Aus der Aussage entwickelte sich eine Dynamik, die noch nicht wahrnahm. Mitten in der Nacht kamen alle drei zurück. Ich saß wach am Tisch, ziemlich besorgt, denn so viele Unfälle hatte ich bisher nicht erlebt. Das Blut war beseitigt und eine kalte Platte vorbereitet.
      „Wir lassen dich nicht mehr mit dem Traktor fahren“, lachte Bruno.
      „Ja, dachte ich mir“, stimmte Nour noch benommen von den Schmerzmitteln zu. Sie erzählte dann im Halbschlaf davon, dass sie es aus unergründlicher Weise geschafft hatte, sich den Arm zwischen der Schaufel und Fahrzeug einzuklemmen. Er war ausgeschalten, aber in der Panik verletzte sie sich schwer am Fleisch. Gebrochen war nichts, aber sie trug zum Schutz einen dicken Verband und wurde mit mehr als zwanzig Stichen genäht.
      „Und was machen wir wegen Mittwoch?“, fragte dann Lars und belegte sich ein Brot.
      „Wir können beide nicht als Amateur starten“, zuckte Bruno mit den Schultern. Beinah synchron bewegte sich ihr Blick zu mir. Ich zog meinen Kopf an den Hals und schüttelte diesen sehr langsam.
      „Vivi, bitte“, jammerte die schlappe Brünette und schob sich eine lockere Strähne aus dem Gesicht.
      „Ich habe aber doch keine Ahnung“, versuchte ich den Gedanken aus dem Kopf aller zu bekommen. Aber es hatte keinen Zweck. Einer nach dem anderen erklärte mir die Umstände und welche Aufgabe ich bei dem Rennen hätte, aber im Groben wusste ich es.
      „Ist doch gut“, sagte ich irgendwann genervt, denn es nahm kein Ende, „ich tu‘s.“
      „Super“, Lars grinste überzeugt und legte seine Hand auf meinen Oberschenkel. Meine Augen folgten dieser. Er brauchte sich nicht einbilden, dass heute noch mehr laufen würde, aber den Moment ließ ich ihm.
      Wir unterhielten uns noch eine Weile, bis Nour mit Bruno in die eigenen Vier Wände verschwanden. In meinem Magen spürte ich deutlich den Zwiespalt. Dem Rennsport hatte ich bereits nach einem halben Jahr den Rücken gekehrt, auch, weil ich Angst hatte. Mit den eigenen Augen sah ich, wie sich zwei Pferde ineinander verfingen, kurz vor der Zielgeraden. Vintage, der mittlerweile verkauft wurde, erschrak, aber ging damit als Erster ins als Schlusslicht ohne Fehler. Nur noch zögerlich setzte ich mich in den Bock und bevorzugte das Training auf der eigenen Bahn. Obwohl ich für kurze Zeit als eine der gefragtesten Fahrer für Hengste galt.
      Viele Stunden dachte ich darüber nach, auch am nächsten Tag konnte ich an nichts anderes mehr denken. Lars bot mir an, mit Walker noch ein Jogging zu fahren, aber ich hielt es für das Beste, dass der Hengst in dem Aquatrainer lief. Stattdessen begleitete ich ihn auf Dustin. Er hatte sich Plano angespannt, der ebenfalls morgen laufen würde auf 2150 m.
      „Ich muss jetzt mal fragen“, kam Lars nach dem Trab wieder auf meine Höhe und zog das Tuch herunter, das er als Windschutz vor dem Mund trug.
      „Dann hau raus“, antwortete ich. Unbestimmt zupfte ich an den Leinen, damit Dustin sich mehr streckte. Er hob den Kopf, aber schnaubte dann ab. Nur noch das letzte Ende umschlossen meine Finger, damit hatte der Hengst volle Bewegungsfreiheit.
      „Möchtest du nicht öfter fahren? Du wirkst so viel glücklicher auf dem Bock als im Sattel und wir haben doch Spaß zusammen.“ Tatsächlich spielte ich mit dem Gedanken auch schon, aber mir fehlte der Reiz am Rennen. In der Dressur konnte man sich etwas beweisen und genauer an sich arbeiten, als zu hoffen, dass das Tier im vollen Tempo nicht hinausfiel.
      „Lass uns, wann anderes darüber sprechen, erst mal möchte ich morgen überleben“, lachte ich, trieb Dustin voran durch eine Wellenbewegung in den Leinen.
      „Also bist du nicht abgeneigt?“, konnte er es nicht ruhen lassen. Deshalb gab noch etwas mehr Tempo, bis der braune im langsamen Tempo antrabte. Dem nachzukommen, gelang Lars mit Plano problemlos.
      „Ich komme aus dem Gangsport“, begann ich meinen Werdegang zu erzählen. Er hörte aufmerksam zu, obwohl er die Hälfte davon schon gehört hatte. „Deswegen lag es damals nah, mich auf den Sulky zu setzen und dass einige so schön locker Tölten, beglückt mich.“
      „Du wirst schon wissen, was du tust, aber ich glaube, dass du gut in unsere Truppe reinpasst. Die Schnösel aus Kalmar sind schon ziemlich weit weg von deinem Temperament“, pflichtete Lars bei.
      „Ganz falsch liegst du damit auch nicht. Aber ich mag die meisten, wenn da nur Niklas nicht wäre“, murmelte ich. Dann trabten wir noch etwas flotter, wodurch das Gespräch beendet wurde. Am Stall fragte Lars erst wieder nach, denn auf dem Rückweg erklärte er noch einmal einige Sachen in Bezug auf das Fahren und korrigierte minimale Fehler meiner Art und Weise. Dankend nahm ich seine Tipps an.
      Bei einem Schluck Wein am Abend verriet mir Lars die beste Strategie für Walker. Der Hengst bevorzugte es ein oder zwei Pferde vor sich zu haben und erst im letzten Bogen vorzusetzen. Je weiter hinten er lief, umso weniger Motivation bekam er. Also sollte ich bereits am Anfang des Rennens Gas geben und mich auf jeden Fall zur dritten bis vierten Position kämpfen. Das notierte ich mir noch im Handy. Hilfesuchend blickte ich zum Regal und realisierte, dass das nicht mein Haus war.
      „Ich müsste noch mal zu Lina hinüber, weil da liegt mein Buch“, erklärte ich.
      „Vielleicht besser nicht, Niklas ist noch immer da, aber sie könnte es dir morgen geben. Sie kommt mit.“ Mir rutschte das Herz einige Zentimeter tiefer und setzte augenblicklich aus. Dann sprang es, wie von einem Blitz getroffen, nach oben und ich spürte den Schlag bis zum Hals.
      „Wie, Lina kommt mit?“, wiederholte ich strauchelnd seine Worte.

      Noch ein Rennen in dem Jahr zu fahren, hätte ich mir bei bestem Willen nicht vorstellen können oder überhaupt vom Regen in die Traufe zu fallen. Für einen Augenblick schloss sich mein Leben zu einem Kreis. Das Jahr endete, wie es begann: große Veränderungen. Es fühlte sich noch wie gestern an, als ich meinen Amateurfahrer antrat und nun, wusste ich gefühlt nichts mehr. Zudem saß ich noch nie mit Walker angespannt im Wagen. Mir schlotterten die Knie beim bloßen Gedanken, aber Lars begleitete mich, der jedoch nur seinen Start im Kopf hatte. Seit dem Aufstehen sprach er von nichts anderem mehr. Dieser junge Herr reduzierte sich so gern auf sein Alter, verhielt gleichzeitig sich wie ein Kind bei der Einschulung, eigentlich sehr süß, wenn es dabei nicht darum ging, welche Bekanntschaften vor Ort waren.
      Mein Blick hielt ich fest zur Straße gerichtet, denn entgegen aller anderen Männer im Umfeld fuhr er ungern und Lina mied ebenfalls hinter dem Lenker des Transporters zu sitzen. Mehr waren wir heute nicht, denn Tyrell musste mit Bruce zu unserem Bauern fahren, um etwas wegen des Heus zu klären.
      „Hier müssen wir rein“, rief Lars auf einmal und versperrte mir die Sicht mit seiner Hand. Voller Panik drückte ich auf die Bremse und spürte den Widerstand. Auf dem Bildschirm sah man die Hengste von einer Seite zur anderen treten.
      „Bist du des Wahnsinns?“, fauchte ich.
      „Tut mir leid“, gab er umgehend nach und im Schritttempo setzte ich das Fahrzeug zurück. Sooft ich auch schon in Kalmar war, kannte ich diesen Weg noch gar nicht, dabei fuhr er sich deutlich angenehmer und wir kamen ebenfalls am Hof an. Überall reihten sich Transporter aneinander, Fahrer führten ihre Pferde entlang und Trainer brüllten unverständlich. Ich hatte das alles anders in Erinnerung, romantischer. Zudem senkten wir den Altersdurchschnitt auf ungefähr 45 Jahre.
      Lars stieg früher aus, um die drei Hengste bei den Organisatoren anzumelden und unseren Fahrerwechsel zu melden. Bei Walker im Equidenpass steckte ein Zettel, auf dem alle wichtigen Daten von mir waren. Vorbildlich, wie mein Bruder war, hatte er das vorbereitet.
      „Bist du soweit?“, grinste ich Lina an, als wäre nie etwas vorgefallen. Gleichzeitig wirkte sie, nicht ganz bei der Sache, starrte auf ihr Handy und wich meinen Blicken im Rückspiegel aus. Dabei lag es nicht nur an den vielen Sulkys, sondern auch meiner Präsenz. Immer noch besser, als allein am Hof zu sitzen, würde ich behaupten. Zusammen luden wir die drei Hengste aus dem Transporter, die uns geduldig nachliefen, und stellten sie in die vorbereiteten Außenboxen. Dustin musterte interessiert eine Stute, während Plano nicht ganz wohl bei dem niedrigen Band der Box war. Mehrmals schlug er mit seinem Bein dagegen und erschrak, wenn es nachgab. Ich war eingetragen für das zweite Rennen, in knappen anderthalb Stunden.
      Wir warteten auf Lars, der einfach nicht kommen wollte. Als wir den Transporter geleert hatten und ein weiteres Mal die Pferde geputzt, saßen wir neben ihnen. Lina schwieg die meiste Zeit oder richtete den Blick auf ihr Handy, grinste zwischendrin. Im Vorbeigehen lobten verschiedenen Menschen den hellen Hengst, der anmutig den Kopf hob und mit den blauen Augen funkelte.
      „Einen Perlino sieht man nicht alle Tage“, sagte ein älterer Herr, der bei uns anhielt. „Hengst?“
      „Ja, Moonwalker LDS aus der eigenen Zucht“, berichtete ich und strich ihm über den Nasenrücken.
      „Super, man findet euch im Internet?“, fragte er noch. Ich nickte zustimmend und deutete auf den Transporter, auf dem groß aufgedruckt alle Informationen standen. Rasch fotografierte er die weiße Schrift auf grauem Grund und verschwand in einer Menschenmasse.
      In Kreisen lief ich vor der Box weiter, hielt zwischendrin an, um eventuell Lars zu entdecken. Doch er war wie von Erdboden verschluckt. Die Zeit lag mir im Nacken, in vierzig Minuten begann das Rennen und ich musste Walker noch warm fahren.
      „Irgendwie muss ich das schaffen“, murmelte ich und nahm die dunkle Decke von seinem Rücken. Langsam hob er den gesenkten Kopf, wachte dabei aus seiner Trance auf.
      „Wird schon“, sagte Lina missmutig und reichte mir einen Haufen aus Leder, den ich eigentlich sortiert hatte. Also begann ich von vorne. Zunächst fischte ich den Gurt heraus und legte ihn diesen um. Dann suchte ich nach dem Schweifriemen.
      „Das ist cool, da steht sein Name drauf“, bemerkte Lina. Sie drückte mir das bunte Brustblatt in die Hand, dass sie aus dem Haufen herausnahm. Die besetzten Pailletten als Buchstaben bemerkte sie offenbar nicht, dabei hatte ich mir in der Nacht so viel Mühe gegeben, zum Entsetzen Lars’, der lieber schlafen wollte.
      „Ja, und auf dem Stirnriemen auch“, zeigte ich ihr stolz an der Trense, was auch ungeachtet blieb. Ich bewegte ein weiteres Mal meinen Daumen über den Schriftzug, in der Hoffnung, dass sie noch etwas sagen würde, aber Lina wendete sich ab. Das Handy hörte man in ihrer Tasche vibrieren. Damit hatte sich auch unser Gespräch.
      Mit leicht getrübter Stimmung trat in den Transporter ein. Es fehlte nur noch der Sulky am Gurt und meine richtige Kleidung. Am Haken hing alles, was ich suchte. In Windeseile steckte ich in der weißen Hose und schwarz-grünen Jacke, die zu unseren Stallfarben gehörte. Selbst der Helm war dem angepasst und mit meinen Anfangsbuchstaben gestaltet. Gerade, als ich den Clip an meinem Kinn zu schließen versuchte, spürte ich, wie meine Knie versagten. Noch im richtigen Augenblick fand einen Platz zum Sitzen. Vor meinen Augen funkelten helle Punkte, schwebten wie losgelassene Glühwürmchen durch den Raum. In den Ohren mischte sich die undefinierten Gespräche vor der Tür zu einem monotonen Rauschen, verstummten beinah. Einzig die Stimmen in meinem Kopf schrien noch, lauter als je zu vor. Ich war verrückt, stellte ich abermals fest. Mit einem erhellenden Bildschirm erinnerte mich mein Handy an die augenscheinlich ungelesenen Nachrichten von Erik. Wie ein Mahnmal prangerte sie mich an. Der Inhalt war grauenhaft. Er wollte mit mir abschließen, auch wenn es für uns beide Schmerzhaft sei. Der letzte Funken Hoffnung und Mut verglühte schon vor Stunden, als ich seine Nachricht empfing. Nicht, dass es mich verwunderte. Seit Tagen versuchte ich mich so zu verhalten, wie es Leute von mir erwarteten. Ein klares Beispiel hierfür war mein Bruder, der bei jeder Begegnung nachfragte, ob es mir gut ginge nach der Trennung. Dass dabei nie zur Rede kam, was überhaupt der Grund war, zerrüttete mein Inneres. Wenn ich an Erik dachte, hing ich nur noch dem Gefühl nach, das ich bei ihm hatte, konnte es aber durch Lars besser einordnen. Auch bei ihm schlich es sich an die Oberfläche, ohne dabei ein ernsthaftes Interesse an mehr vorauszusetzen. Ich versuchte mich daran, Schmerz zu fühlen, aber alles, was ich in mir fand, war Leere. Es fehlte mir an nicht, grob betrachtet.
      Von draußen ertönte Linas Stimme und ich begriff, dass mich in Gedanken verrannte. Mit einem tiefen Seufzer stieg ich die Stufe hinunter, oder mehr fiel ich und konnte mich an der Halterung auffangen. Noch immer hatten meine Beine nicht die gewohnte Stabilität erreicht. Dann schloss erst die Tür und meinen Helm. Lina blickte mich irritiert und zugleich besorgt an, während sie den Hengst tätschelte.
      Am Himmel stand noch die Sonne, wenn auch hinter dicken Wolken verhangen. Der Schnee lag nur an unberührten Stellen und tauche den Rest in ein tiefes dreckiges Loch. Es grauste mich schon, danach alles zu reinigen.
      „Du hast noch“, ein weiteres Mal holte meine Kollegin ihr Handy hervor, „zwanzig Minuten.“
      Im Magen krampfte es. Wie sollte diese Zeit ausreichen, den Hengst aufzuwärmen? Ich nickte nur und holte den Sulky heran, während Lina das Pferd herausholte und festhielt. Die eine Seite schloss sich wie gewohnt in den Clip, doch rechts wollte nicht so recht. Er schloss nicht bündig, rutschte stattdessen aus der Verankerung. Damit konnte ich nicht fahren und dass Lars noch immer vom Erdboden verschluckt wurde, löste Panik aus. Immer wieder versuchte ich das Metallstück in die Verankerung zu rütteln, drückte es besten Gewissens zu, aber er wollte nicht. Auf den ersten Blick war das Teil vollkommen intakt, schaute auch, ob Dreck darin steckte. Selbst Moonwalker, der durch Linas Präsenz ziemlich ruhig war, hob den Kopf und legte die Ohren an.
      „Okay, ich breche ab, das wird nichts“, sagte ich erschüttert und ließ den Sulky los. Eines Tages musste das Halterungssystem von Finntack auch versagen, das spürte ich schon beim Kauf.
      „Denk gar nicht daran, warte“, kam auf einmal ein Herr von der Seite, das höfliche Lächeln hinter einem Mundschutz versteckt, aber seine Augen strahlten. Ein erfrischender Schauer zischt wie vom Blitz getroffen von Kopf zu Fuß. Nach nur einem kurzen Zupfen und Drehen hakte sich der Verschluss mit einem Klicken ein.
      „Bitte schön, und jetzt los.“ Er schon das Tuch herunter. Zwischen den tiefen Wolken löste sich ein Sonnenstrahl und brachte ein verstecktes Herzklopfen hervor, das lieblich in den Fingerspitzen kribbelte. Die Füße schlugen Wurzeln in der Matschpfütze.
      „Danke“, stammelte ich heillos überfordert von Gefühlen und erhabenen Gedanken, die sich schützend wie eine Salbe auf jeden schmerzlichen Riss meiner Selbst legten.
      In seinem eher hageren Gesicht verlor ich mich, unbeachtet seines kräftigen Körpers, wusste nicht mehr, mit der plötzlich aufkommenden Motivation umzugehen. Es kochte und brodelte.
      „Du bist neu, oder?“, hakte er nach und strich Walker über den Hals.
      „Kann man so sagen“, stotterte ich noch immer.
      „Dann viel Erfolg“, grinste er, zog das Tuch wieder hoch und drehte sich um. Nur meine Beine versagten abermals. Wie vom Regen in die Traufe gefallen, wusste ich mit all den Emotionen nicht umzugehen, verspürte ein Gefühl von undefinierter Euphorie, die eigentlich gestoppt werden sollte. Offenbar hatte das Glück nichts mit meinem Kopf zu tun, vielmehr mit Trubel.
      „Vriska? Willst du nicht langsam? Du hast noch fünfzehn Minuten“, mahnte es plötzlich von Seite.
      „Ähm ja“, sagte ich wie aus der Trance erwacht und stieg auf den Bock. Walker wippte mit dem Kopf, aber ließ sich mit einer leichten Bewegung der Leinen direkt in Bewegung setzen.
      Eine dicke, dunkle Wolke lag vor der tief stehenden Sonne und brachte einen kalten Windzug mit. Unsanft brannte die Luft an den freiliegenden Stellen im Gesicht. Warum genau hatte ich dem hier zustimmend? Im Schritt begann ich eine Runde, vielmehr sollte ich ohnehin nicht in der kurzen Zeit schaffen. Es ärgerte mich, dass Lars nicht kam und mich mit der großen Aufgabe allein ließ. Lina war schließlich auch nicht in der Lage, mir Tipps zu geben. Seufzend tuckerte ich über die Bahn, den Blick zu dem Po vor mir gerichtet, dass jemanden neben mir erst bemerkte, als eine Schnauze versuchte Walker zu zwicken.
      „Fünfzehn Minuten also?“, lachte die Stimme von eben.
      „Ja, leider“, fehlten mir die Worte.
      „Mutig, wirklich. Aber keine Sorge, es ist ohnehin erst Parade und dann noch mal fünf Minuten bis zum Start. Und eine Verspätung gibt es auch schon“, munterte er mich auf. Ich wusste enttäuschender Weise seinen Namen nicht, aber schämte mich auch, danach zu fragen. Mit einem Nicken verabschiedete er sich und trabte seinen Rappen an. Sehnsucht und Neugier lag mir im Herzen, sorgte für weitere Verwirrung, aber mit einem einfachen Gedankenspiel, wie ich es in Therapie öfter tat, richtete ich meine Energie zurück auf das Tier vor mir. Walker machte seinem Namen allen Ehren und lief im ruhigen Tempo voran. An mir trabten mehrmals hektisch andere Pferde vorbei, denen er keine Beachtung schenkte.
      Noch in der Parade setzte auch ich den Hengst eine Gangart höher. Obwohl ich zunehmend in Materie hereinkam, beschäftigte mich sein Tempo nicht. Ich versuchte, ihn möglichst regulierbar zu halten, bis die Startankündigung folgte. Um den Anschluss zu finden, gab ich ihm mehr Leine und der junge Hengst legte los. Es war zu spüren, dass er wusste, worauf es ankam. Vermutlich hätte Lars sonst auch die Idee nicht gehabt. Mit sechs anderen Amateuren platzierten wir uns hinter dem Auto und mein Startplatz, die vier, hätte mich schlimmer treffen können. Gefangen im Rausch, setzten wir vor. Um mich verschwamm es, einzig die Geräuschkulisse drang noch zu mir vor. Wie ich es gelernt hatte, lenkte ich den Perlino an den anderen vorbei, um nur noch zwei andere vor mir zu haben.
      Schon nach der ersten Runde kristallisierte sich heraus, dass ich kaum noch eine Chance haben würde für den ersten Platz. Zudem zog der Fuchs hinter an und überholte uns noch. Erst im Schlussbogen kam unsere Möglichkeit. Der aktuell Führende sprang in den Galopp und zog auch den Zweiten mit sich. Damit entstand ein Kopf an Kopf rennen mit dem Fuchs, den dieser für sich entschied. Walker war dennoch nicht zu stoppen. Erst nach dem zweiten Bogen gelang es mir, den Hengst wieder zu zügeln und damit in den Schritt zu parieren. Zufrieden lobte ich ihn. Mit einem Sieg rechnete ich ohnehin nicht, zudem könnte man es als Fügung des Schicksals ansehen, dass die beiden Pferd sprangen. Am Tor nahm mich Lars in Empfang, der offenbar doch noch lebte. Für einen Augenblick hatte ich bereits abgeschlossen, ihn heute anzutreffen.
      „War doch ziemlich vielversprechend für deine lange Pause“, lachte er und nahm den Hengst entgegen.
      „Ich hätte dich gebraucht, vor allem, weil du versprochen hast, da sein“, murmelte ich teils verärgert, teils enttäuscht.
      „Es tut mir leid, ich habe die Zeit aus den Augen verloren“, versuchte Lars zumindest, die gedrückte Stimmung zwischen uns einzunehmen. Ich wischte mir zeitgleich den Dreck aus dem Gesicht, der durchs Rennen auf mir landete. Auch Moonwalker sah so aus, als wäre er hoch oben im Orbit unterwegs gewesen, auch wenn dort kein Wasser gab.
      „Der Sulky wollte nicht in die Halterung und ich hätte beinah das Rennen verpasst“, berichtete ich von dem Zwischenfall.
      „Aber hast du doch noch geschafft?“, wunderte er sich und sah noch einmal prüfend zum Gurt.
      „Nur, weil mir jemand geholfen hat.“
      „Jemand, so so“, schmunzelte er, als hätte er eine Vorahnung. Fragend drückten sich meine Augenbrauen zu einer Falte auf der Stirn.
      „Du bist rot wie eine Tomate, dafür dass es jemand war“, klärte Lars auf. Sofort hielt ich meine Hände schützend vor mein Gesicht, die gröbste Verschmutzung brachte wohl eine ganz neue Färbung mit sich, dass er meine Hitzewallung bei dem bloßen Gedanken sah. Auf seine Anspielung ging ich jedoch nicht weiter ein, sondern entfernte, angekommen an der Box, den Sulky vom Gurt. Vorher nahm ich noch die Startnummern ab, die ich vor dem Betreten des Geläufs befestigt hatte. Auch Lina kam aus dem Transporter hervor, als sie den hellen Hengst erblickte. Wohl kaum würde sie den warmen Ort meinetwegen verlassen. Oder lag ihr Interesse bei Lars? Mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen, musterte ich ihren Gesichtsausdruck, der sich ebenfalls fragwürdig verzog.
      „Gibt es da etwas, was du erzählen willst?“, lachte ich beim Wegstellen des Gefährts.
      „Ähm“, sie kratzte sich am Kopf und wirkte nicht sonderlich Redebedarf, „aber du siehst ganz danach aus.“
      „Beispielsweise von deinem jemand“, griff Lars direkt ein, als wäre es so eine große Sache. Aber ich drehte mich nur kopfschüttelnd weg, keine gute Idee, wie ich im nächsten Augenblick feststellen musste.
      „Vriska? Musst du uns was erzählen? Deine nonverbale Kommunikation spricht Bände“, scherzte Lina und nahm mir dabei die Trense aus der Hand, die vom Kopf des Hengstes entfernte. „Dein Gesichtsausdruck kennen wir beide gut genug.“
      „Ja, mich hast du auch schon so angesehen“, konnte auch der Herr in der Runde nicht Ruhe geben.
      „Ich verstehe euch nicht“, nebenbei öffnete ich die Gurtung am Pferd, „der Typ war nur nett zu mir und aus unerklärlichen Gründen, gefällt er mir. Was geht euch das an?“ Als würde Walker meine Aussage unterschreiben wollen, schnaubte er zur Belustigung aller ab. Offenbar war die Sicht meiner Begleitungen eine ganz andere und ich verstand, dass es Angesichts meiner bisherigen Tat, auch nicht gern lag. Eigentlich stürzte ich mich von einem Drama ins nächste, doch dieses Mal sollte es anderes werden. Zumindest nahm ich mir das vor. Da die Beiden einfach keine Ruhe haben, erzählte ich weiter.
      „Schwarze Pferde gibt es hier einige“, merkte Lars an. Er und Lina hielten schon Ausschau, als würde sie besagten jemand ermitteln wollen, aber gingen dabei ziemlich willkürlich vor. Schließlich traf ich ihn zuletzt auf der Bahn, auf der er sich womöglich noch befand.
      „Und seine Startnummer?“, kam Lina nun auf eine andere Idee, um des Rätsels Lösung näherzukommen. Ich achtete auf ganz andere Dinge, als mir die Nummer an seinem Pferd zu merken. Nicht einmal wusste ich, ob es ein großes oder kleines Kopfabzeichen war, nur bei einer Blesse konnte ich mir sicher sein.
      „Zwei, glaube ich“, antwortete ich nach reichlicher Überlegung, „oder drei.“
      Lars ergriff sofort sein Handy und schaute sich die aktuelle Rennliste an. Seine Finger schwebten wie wild über dem Display, bis er wieder zu mir aufsah.
      „Blau oder Lila?“, fragte er dann.
      „Wie bitte?“, vor Verwunderung verzog ich das Gesicht, auch die Brünette blickte ihn mit Fragezeichen in den Augen an.
      „Sein Oberteil, Dummerchen“, schüttelte Lars den Kopf, „wenn du schon nicht das Pferd beachtest, klebten deine Augen wohl an ihm.“
      „Blau, schätze ich. Lila wäre mir im Sinn geblieben“, gab ich zu, dass auch dieser Fakt außerhalb meines Wirkungskreises lag. Er senkte wieder den Kopf über den Bildschirm und zeigte im nächsten Wimpernschlag einen hübschen Rappen, der exakt so aussah, wie das Pferd, was Walker in den Po zwickte.
      „Ja, das Pferd“, stieß ich kraftvoll heraus, dass auch Leute neben uns, kurz den Kopf zudrehten. Lina nahm ihm sofort das Gerät aus der Hand, um das Pferd genau zu betrachten.
      „Der ist wirklich schick“, merkte sie an.
      „Dann weiß ich, wer“, grinste Lars aufgesetzt. „Aber lass es, was auch immer du vorhast. Spar dir deine Energie, bei dem ist jede Hoffnung verloren.“
      „Wie heißt er?“, fragte ich zeitgleich und überhörte seinen Zusatz komplett.
      „Das Pferd ist Pay My Netflix“, beantwortete er nur halb meine Frage. Aber bevor ich weitere Informationen bekam, legte er seine Hand auf meine Schulter. Ein kalter Schauer breitete sich aus, verursachte wie eine Lawine kleine weitere Wellen, die eine Gänsehaut am ganzen Körper verteilten.
      „Denk gar nicht daran, außerdem bin ich da, wenn du mehr brauchst“, flüsterte Lars in mein Ohr und lief weiter zu Dustin, mit dem er gleich starten würde. Das Angebot wusste ich zu schätzen, und ich würde vermutlich auch noch darauf zurückkommen, aber sein unbemerkter Anfall von Konkurrenzdenken entfachte ein kleines Feuer, das den Schnee zu schmelzen wusste.
      Walker trug in Zwischenzeit seine Decke und hatte sein vorbereitetes Futter verschlugen. Zu guter Letzt holte ich noch die Bandagen aus dem Transporter, damit seine Beine warm blieben, und nicht schlagartig abkühlten, wickelte ich sie deutlich höher, als in der Dressur. Dazu gehörten auch das Kapalgelenk. Lars hatte mir am Stall auch noch weitere Gründe der Notwendigkeit genannt, die ich in meinem Kopf nicht wiederfand. Im Gegensatz zu Eskil interessierte ihn auch nicht, wie das Werk am Ende aussah, nur halten sollte es und das tat es. Mit gesenktem Kopf zupfte der Hengst das Heu, während ich meine Arbeit ausübte.
      „Jetzt hat er Kniestrümpfe“, bemerkte Lina beiläufig, hing allerdings wieder an ihrem Handy.
      „Jetzt“, ich atmete noch einmal tief durch, „musst du aber herausrücken, was so spannend ist“, sagte ich zu ihr und versuchte dabei ein Blick auf das Gerät zu erhaschen, aber sie drückte den Bildschirm direkt zur Brust.
      „Kannst du vergessen“, grinste sie schelmisch.
      „Das ist unfair. Ihr habt mich ausgequetscht, wie eine Zitrone und du sagst mir nicht einmal, wer oder was dich so ablenkt“, jammerte ich. Mein Bein trat energisch auf den Boden, als wäre ich ein Kind im Supermarkt, das keine Süßigkeiten bekommt.
      „Okay, nur so viel. Es geht um ein Pferd“, entlockte Lina zumindest eine Information.
      „Ich wusste nicht, dass du schon wieder nach einem suchst“, zuckte ich mit den Schultern, denn das Thema schien mich nicht sonderlich zu betreffen. Bestimmt war es wieder eins von diesen Kaltblüter-Verschnitten, die sie vergötterte. Sie waren hübsch, ja, aber vielmehr konnte ich ihnen nicht abgewinnen. Die flauschigen Traber von Lars sowie seiner Familie waren eher mein Fall, denn sie liefen deutlich eleganter und leichtfüßig. Sie erinnerten mich an große Isländer, ohne Tölt.
      Nachdem Lina mich wieder mit Schweigen gestraft hatte, entschied ich die dreckige Kleidung abzulegen, die langsam trocknete. Vor dem Eintreten warf ich die Überzieher ab und stand mit Leggings und kurzem Shirt im Eingang. In den kargen Bäumen rauschte der Wind hindurch und trug eine kleine Schneeböe zu mir. Als ich mich hinunterbückte, um meine Sachen aufzusammeln, sah ich Lars aus dem Augenwinkel herantreten.
      „Also jetzt ist ungünstig“, lachte er und klatschte mir dabei auf den Po.
      „Das tut mir aber wirklich leid“, spielerisch setzte ich einen Schmollmund auf.
      „Na gut, wenn du schnell bist.“ Lars war im Begriff den Knopf seiner Hose zu lösen, als ich seine Hand griff und ihn aufhielt.
      „Denk gar nicht daran, ich wollte mich nur umziehen und mein Geld abholen gehen“, grinste ich. Nun schmollte er. Während ich die Sachen aus der Tür herausschüttelte, nahm Lars seinen Helm aus dem Schrank und Handschuhe.
      „Zweiter Platz sollte nicht einmal so wenig sein“, bemerkte er nebenbei.
      „Was war denn die Gewinnsumme?“, halte ich noch, schließ war ich nur für Nour eingesprungen und hatte mir nichts angeschaut. Unvorbereiteter konnte man vermutlich nicht ins Rennen gehen.
      „52.500 SEK, wenn ich mich nicht irre.“
      „So viel?“, baff stand ich am Tisch, klammerte mich an der Kante. Kurz überschlug ich Walkers Gewinnsumme im Kopf. „Das sind dann 13.000 SEK für uns, oder?“
      „Ja, das sollte passen“, nickte er grob, als wäre es Kleingeld. Dann lief er hinaus. Bei einem so hohen Betrag hätte ich vermutlich etwas mehr Gas gegeben, aber ich wusste natürlich, dass besonders die Rennen in Schweden nicht niedrig dotiert waren. Im Kopf rechnete ich weiter. Tyrell war großzügig, was den Anteil der Fahrer betrifft und gab uns dreißig Prozent ab. Somit konnte ich knapp 4000 SEK behalten, also rund vierhundert Euro. Dieser Schadensersatz war es mir tatsächlich wert.
      Bevor mich meine Beine zur Kasse bewegten, setzte ich mich auf die schmale Bank am Tisch im Transporter ab. Es gab noch etwas, was ich wissen wollte, nach dem mit Lars einige Dinge unterschlagen hatte. Des Herren’ Pferdename war mir bekannt, somit sollte sein Name nur wenige Klicks entfernt sein. Die eigentliche Hürde bestand darin, das richtige Rennen zu finden. Mir fehlte eine Gesamtübersicht, musste mich also von eins zu zwei und so weiter klicken, tippte dabei natürlich auch Links doppelt an. Nirgendwo fand ich dieses Pferd, aber bei bestem Willen konnte ich mir vorstellen, dass jemand aus Spaß durch den Matsch fahren würde am Renntag.
      “Vriska”, jammerte es beinahe kläglich, “warum muss man hier denn erfrieren?”
      „Zwingt dich keiner draußen zu sitzen“, rief ich abwesend und blickte kurz zur Tür, an der sie noch nicht stand.
      “Ja, doch, die Langeweile”, beschwerte sie sich weiter, “auch wenn hier eindeutig zu viele von den gruseligen Dingern sind.” Unwirsch trampelte sie die Stufe in den Transporter hoch.
      “Du hast recht, Männer sind schon sehr gruselig”, schmunzelte ich und machte auf der Bank etwas Platz, damit sie sich setzen konnte. Das Handy lud ohnehin noch die Seite.
      “Du weißt genau, dass ich das nicht meine, außerdem sind alle Fremden zu einem gewissen Grad gruselig”, fuhr sie fort.
      Auf dem weißen Bildschirm kam erst die Navigationsleiste zu sehen und dann die Startliste von Rennen fünf, dass ich fünfzehn Minuten die Parade hatte. Darin starte nicht nur Lars mit Dustin, sondern auf gesuchtes Pferd. Unbestimmt spürte ich wärme aufkommen, begleitet mit einem Ziehen um Unterleib. Ich schluckte, um auch die trockene Kehle loszuwerden. Lina wollte sich gerade zu mir setzen, als ich panisch aufsprang und meine Jogginghose griff.
      “Ich muss los”, stammelte ich dann und sah fragend in ihre Richtung.
      “Was hat dich denn auf einmal gebissen?”, blickte sie mich verwirrt an, “Wo willst du hin?”
      “Pferd, Schwarz”, kamen einzig noch Schlagwörter über meine Lippen, aber Lina hatte bereits das Handy entdeckt, das vor ihr leuchtete. Ich konnte beobachten, wie ihre Augen den Bildschirm überflogen.
      “Du willst Netflix sehen?”, schlussfolgerte sie aus den zusammengebrachten Informationen. Hektisch nickte ich, nahm noch die dickere Jacke und warf Lina die von Lars zu.
      “Außer, du möchtest nicht mitkommen”, blieb ich in der Tür stehen.
      “Was glaubst du denn, natürlich lasse ich mit Jemand nicht entgehen”, entgegnete und folgte mir in die Jacke schlüpfend.
      “Mir geht es nur ums Pferd”, fügte ich noch hinzu. Warm angezogen, ging es auf die kleine Reise. Hinter uns hatte ich noch den Transporter abgeschlossen und Lina die beiden Hengste in der Box angeschaut. Aus den Lautsprechern ertönte bereits die Ansage in der Parade, so unklar und schnell gesprochen, dass ich nichts verstand. Zur Tribüne schafften wir es nicht, aber im letzten Bogen, wo auch Ein- und Ausfahrt war, stand ein längliches Bierzelt mit Bänken. Einige Leute saßen dort und ich zog Lina unverfroren am Arm mit in die erste Reihe.
      In dem Rennen gab es acht Starter, einer davon Dustin, der mit der höchsten Quote angesetzt war. Netflix hingegen, galt als Außenseiter und viel Hoffnung steckten die Wetten nicht in ihn, aber mir war das egal. Ich saß mit wippendem Bein auf der Bank, starte an die große Leinwand uns gegenüber, in der gerade ein Fuchs gezeigt wurde.
      “Ist hier auch so gruselig?”, fragte ich Lina, die ihre Arme um die Brust geschlungen hatte.
      “Schon ein wenig”, antwortete sie. Ihr Blick hefte kaum mehr als wenige Sekunden auf dem Renngeschehen, bevor er argwöhnisch umherwanderte.
      „Du musst nicht hier sein“, versuchte ich besten Gewissens ihren Gemütszustand zu beachten. Aber ich konnte auch nichts daran ändern, zu sehr raste mein Herz und an jeder noch erdenklichen Körperstelle pochte es.
      “Ich schaue mir die lebensmüde Geschwindigkeit da, einfach nicht so genau an, dann geht das schon”, entgegnete sie und versuchte einen halbwegs entspannten Eindruck zu erwecken. Es klingelte einmal zur Startfreigabe. Kaum erreichte sie die Startmarke, wurde die Gruppe schneller. Dustin setzte stark voran, aber fiel schon nach dem zweiten Bogen zurück. Der Rappe hielt sich konstant auf dem Vierten, aber müsste auch nach einer Runde diesen Platz ein.
      „Ach, die sind nicht mal so schnell“, untermalte ich die Aussage von Ansager, der von 1:14,2 sprach.
      “Nicht so schnell, sieht in meiner Welt aber anders aus”, sprach sie zweifelnd. Beinah rutschte mir heraus, dass sie keine Ahnung hätte, aber im richtigen Moment hielt ich den Mund geschlossen. Ich wusste ebenfalls nicht so viel, vermutlich konnte einer der Männer hinter uns deutlich mehr darüber erzählen.
      “Verständlich”, murmelte ich nur. Netflix legte zu und kam nach dem vorletzten Bogen an die Spitzen, doch dann schoss der Fuchs vor, zog Dustin an der Seite mit sich. Ein enges Buhlen um die ersten Platzierungen kam, aber ich bedeckte die Augen. Die Spannung war mir zu viel und auch der Gedanke an einen Unfall, verschlug mir den Atem. Seufzen und stöhnen ertönte hinter uns. In den Verlusten meiner Selbststärke gelang es mir einen prüfenden Blick durch die Finger zu lassen. Mein Rappe lief als Erster durchs Ziel, allerdings im Galopp. Danach folgte der Fuchs und dann kam Dustin. Wieder ein zweiter Platz für den Hof. Unsere Statistik war gut.
      “Man”, stöhnte ich verschlossen und erhob mich von der Bank, um das Geläuf besser zu sehen. Wie in Luft schien sich das Wunschpaar aufgelöst zu haben.
      “Was ist denn, deine Rappe war doch vorne, ist das nicht das Ziel?”, fragte Lina verwirrt.
      “Ja, aber im Galopp. Das ist ein Trabrennen”, erinnerte ich sie. Ungeduldig tippte ich auf dem Boden und die Menschen hinter uns liefen hinaus, um einige der Fahrer entgegenzunehmen. Hektisch hoben die Tiere ihren Kopf, schüttelten sich und schlugen mit dem Schweif. Schön sah es nicht aus.
      “Oh, ja, logisch”, räumte sie ein, ”dass ja doof gelaufen irgendwie.”
      Niedergeschlagen senkte ich mich, als aus der Ferne bereits Dustin in seinen verschiedenen Brauntönen leuchtete. Aus dem Hochgefühl wurde eine tiefe, ziemlich unbegründete, Trauer, die sich wie ein dunklerer Nebel über mich legte. Ich konnte nicht einschätzen, woher das Gefühl kam, aber wollte es nicht. Also versuchte ich auf andere Gedanken zu kommen, was gar nicht so leicht war. Egal, was ich versuchte, zu fokussieren, wurde direkt überschrieben.
      “Da ist Lars”, sagte ich mit einem überspielenden Grinsen und stupste Lina an der Schulter an, die wie hypnotisiert über die Bahn schweifte.
      “Mhm, ja”, murmelte die Brünette halbwegs anwesend und schüttelte den Kopf, beinahe wie ein Hund, dem etwas unangenehm gewesen war. Zusammen standen wir auf. Ich nahm Lars sofort den Hengst ab, damit er noch Plano fertig machen konnte. Obwohl den Platz, sowie das Geläuf dauerhaft im Blick hatte, war mein Rappe wie verloren. Auch dem braunen Hengst nahm ich erst alles ab und wickelte schließlich die Beine ein. In der Zwischenzeit bereitete Lina das Futter vor. Kaum war Lars verschwunden, setzte auch Lina sich ins Warme. Aber ich hatte noch ein Ziel, gut, eigentlich waren es zwei, aber eins davon würde wohl kaum an dem Tag erreichbar sein, aber zumindest das Geld wollte ich.
      “Ich bin gleich wieder da”, sagte ich Lina Bescheid, dass ich zur Kasse ging. Über den matschigen Platz kam ich direkt an dem besagten Gebäude heraus und zeigte unsere Papiere vor, die uns ermächtigten, das Geld zu bekommen. Die Dame am Schalter inspizierte sehr genau die weißen Blätter und zählte ebenso lange die Scheine. Ich seufzte immer wieder genervt, was wenig mit ihrer Schneckentempo zu tun hatte, als mit meinem allgemeinen Unwohl. In meinem Magen knurrte es und ich wollte nur noch weg von hier.
      Endlich wurde sie fertig. Unbedacht lief ich los und zählte selbst die bunten Scheine in meine Hand, als ich plötzlich auf Widerstand traf. Geradewegs prallte ich an eine breite Brust und erst mit einem Blick nach oben, sah ich in wen ich hineingelaufen war. Besagter Fahrer stand vor mir und grinste.
      “Du hast es aber eilig”, scherzte dieser und trat einen Schritt zur Seite.
      “Es tut mir leid”, stammelte ich unsicher.
      “Schon okay, pass nächstes Mal besser auf”, sagte er und gab ebenfalls Unterlagen bei der Dame am Schalter ab. Wie angewurzelt, stand ich auf der Stelle und starrte ihn an. Das Magengrummeln wurde von einem Gefühl der Schwere abgelöst. Unbemerkt blieb ich nicht.
      “Ist noch was?”, fragte er höflich.
      Obwohl ich ihm mitteilen wollte, dass der Fehler seines Hengstes schade war, kamen andere Worte über meinen Mund: “Ich bin Vriska.” Warum genau wollte mein Kopf, dass ich mich ihm vorstelle?
      “Freut mich. Basti”, reichte er mir plötzlich die Hand und schwebte auf Wolke sieben.
      Bis am Transporter ankam, trug ich ein breites Grinsen auf den Lippen. Lina verlud gerade die Pferde, während Lars Plano alles abnahm. Er war gesprungen und damit disqualifiziert, aber es traf ihm wohl keine Schuld. Unser Kollege verhielt sich unachtsam und gab ihm zu viel Leine. Ihm im richtigen Moment eine Parade zu geben, verpasste er und dann kam Galopp. Ein häufiger Fehler, wie Lars uns näher erläuterte, aber ich hörte nur mit halbem Ohr zu. In meinem Kopf leuchteten weiterhin Bilder von der Kasse auf und ich spürte noch deutlich auf der Haut seine Finger, die sich sanft in meine drückten.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 42.171 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende Dezember 2020}
    • Mohikanerin
      Fahren E zu A / Dressurfahren | 12. August 2022

      Osvominae / Just a Bear / HMJ Holy / Schleudergang LDS / Hending / Raleigh

      „Wie groß ist die Halle?“, kam Lars auf einmal an, als ich gerade auf der Couch saß, meinen Kaffee zu einer neuen Serie genoss.
      „Dafür bist du extra hergekommen?“, wunderte ich mich an Stelle seine Frage zu beantworten.
      „Ja und nein“, sprach er in Rätseln.
      „Achtzig mal sechzig oder so“, antwortete ich schließlich.
      „Super, dann komm“, forderte er mich auf. Prüfend sah ich zur Uhr. Eigentlich musste ich erst in einer Stunde im Stall sein, aber mein Kollege war nicht aufzuhalten, also zog ich mir die Stallkleidung an und folgte ihm. In seinem Gesicht erkannt ich, dass er einen fiesen Plan verfolgte. In den Putzbuchten standen bereits Osvo und Bear, beide mit dem Gurt um, aber zusätzlich einem Brustblatt. Skeptisch sah ich zu ihm.
      „Jetzt sag endlich, was das hier soll“, wild fuchtelte ich vor den Pferden, die aufmerksam den Kopf hoben und uns beide beobachteten.
      „Wir fahren heute mal in der Halle“, lachte er und holte die Sulky.
      „Tyrell bringt uns um“, sagte ich trocken.
      „Nein, das ist besprochen.“
      Ich zuckte mit den Schultern und spannte den Rappen an. Lars widmete sich derweil seinem Hengst, der die Stute neben sich anbrummte. Sie kümmerte das nicht, wendete nur den Kopf zu mir.
      Wir liegen hinüber zum großen Eingang auf dem Sand, die Pferde ebenso verwirrt wie ich. Erst sträubte sich der Rappe neben mir, durch das Tor zu laufen, doch als Bear seinem Besitzer treu hinein folgte, kam auch sie mir nach. Ich führte sie zunächst eine Runde, um selbst zu sehen, wie sich der Sulky auf dem Sand verhielt, aber die breiten Räder, die Lars vor Tagen montiert hatte, eigneten sich auch für den Hallensand. Osvo stand ruhig, als ich auf den Sulky stieg und im langsamen Schritt ganze Bahn fuhr. Es fühlte sich seltsam an. Ich war noch nie im Bock hier. Die Perspektive, so dicht am Boden und der Blick nicht einmal über die Bande, wirkte einschüchternd. Selbst die Rappstute fühlte sich nicht ganz wohl in der Situation und winkelte den Schweif an.
      „Nimmt man nicht normalerweise vier Räder?“, fragte ich meinen Kollegen, als ich mich zunehmend sicherer fühlte.
      „Schon, aber haben wir das?“, grinste er. Bear lief in tiefster Entspannung voran. Der Hengste kannte wohl schon die seltsamen Ideen seines Besitzers oder hatte mehr Erfahrung dabei als Osvo.
      „Nicht, dass ich wüsste“, gab ich zu.
      „Siehst du. Außerdem funktioniert es doch auch so“, erklärte er. Mir war es noch schleierhaft, schließlich fehlte das Gelenk am Wagen, wodurch die Beweglichkeit eingeschränkt war. Doch irgendwie schafften wir es sogar einen Zirkel im Trab zu fahren. Immer wieder erklärte mir Lars, worauf ich zu achten hatte, bis wir schließlich nach einer Stunde aufhörten. Beide Pferde waren verschwitzt und genossen ihre Zeit unter dem Rotlicht.

      In den nächsten Tagen und Wochen trafen wir immer häufiger in der Halle zum gemeinsamen Fahren, besonders für Hending, die offenbar schon eingefahren war, stellte es eine gelungene Abwechslung zum bisherigen Ausreiten dar. Sie hatte Spaß am Sulky und zeigte sich stets motiviert, die einfachen Dressurlektionen umzusetzen. Auch Holy, die ich bisher nur an der Doppellonge hatte, kam ich voran, sodass sie in Begleitung des Fohlen auch schon das Gewicht vom Sulky kennenlernte und wir gemeinsam Spazierengehen. Lars hatte zur gleichen Zeit begonnen, Schleudergang einzufahren und an der Doppellonge zu arbeiten, sowie Raleigh, den wir im Beritt hatten. Doch das Kaltblut schüchterte sogar den gestandenen Mann ein, der dies aber ungern zugab. Seine Skepsis spürte ich dennoch, wenn wir am Morgen den Arbeitstag besprachen.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 3573 Zeichen
      zeitliche Einordnung {April 2021}
      Wolfszeit gefällt das.
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugonio | 07. September 2022

      Maxou / Northumbria / Wunderkind / Moonwalker LDS / WHC’ Golden Duskk / Planetenfrost LDS / Global Vision / Satz des Pythagoras / Pay My Netflix / Osvominae / Just A Bear

      Lina
      Mit dröhnendem Schädel erwachte ich, als ein Vogel unmittelbar vor meinem Fenster sein schrilles Lied anstimmte. Mühsam öffnete ich die Augen, blinzelte in das Sonnenlicht, welches sich durch die Vorhänge zwängte. Gestern Abend mussten rege Mengen an Alkohol, denn alles in meinem Kopf war verschwommen, was den gestrigen Abend betraf und der Weg in mein Bett komplett verschwunden. Schwerfällig kugelte ich mich zur Seite und angelte mein Handy vom Nachttisch. Acht Uhr siebenundzwanzig leuchte auf dem Bildschirm. Darunter eine Benachrichtigung von der bekannten App mit dem Telefonhörer in der Sprechblase. Mein Freund hatte sich endlich auch mal bei mir gemeldet, teilte mit, dass er gegen zehn hier sein wollte. Ebenso entschuldigte er sich, dass er mir nicht antwortete, aber er habe ein wenig Abstand gebraucht. Wie ich Niklas Worte las, lichte sich der Dunst in meinem Kopf ein wenig. Relativ spät gestern Abend meldete er sich bei Vriska, erklärte sein absonderliches Verhalten ihr Gegenüber und erbat letztlich einen Rat von ihr. Einen solchen bekam er auch, allerdings wollte mein Kopf, die Worte, welche Nour auf mein Anraten schrieb, nicht freigeben.
      “Fuck”, murmelte ich, als mir dafür ganz andere Bilder in den Kopf kamen. Im Laufe des Abends hatte ich Mateos Annäherungsversuche nicht nur zugelassen, sondern war offenbar selbst offensiver geworden. Wäre Samu dabei gewesen, wäre spätestens das der Punkt gewesen, an dem er mir aus guten Gründen den Alkohol wegzunehmen pflegte. Hoffentlich hatte ich gestern nicht dummes getan. Verzweifelt versuchte ich den Dunst in meinem Kopf aufzulösen, doch das Einzige, was ich wahrnahm, war das schrille Gezwitscher von draußen. Warum mussten die Viecher denn so furchtbar laut sein.
      Langsam quälte ich mich aus dem Bett und tapste schnurstracks ins Badezimmer, wo ich zielsicher in den Medikamentenschrank griff. Aus dem Blister drückte ich eine der weißen Tabletten heraus, schluckte sie mir reichlich Wasser. Das sollte schnell gegen das Hämmern hinter meiner Stirn helfen. “Okay, Lina, denk nach”, murmelte ich zu meinem Spiegelbild und spritze mit etwas kaltes Wasser ins Gesicht, “Wenn du dich nicht erinnerst … “ Es dauerte wirklich lange, doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Mateo könnte meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Diese Erkenntnis ließ meinen inneren Drang zu erfahren, was gestern Abend passiert, wieder aufleben. Eilig lief ich zurück in mein Zimmer, um mir schnell etwas überzuwerfen. Gerade als ich aus der Tür getreten war, hörte ich bereits Schritte, die sich näherten.
      “Ah, das Dornröschen ist bereits erwacht. Guten Morgen”, grüßte der Schweizer freundlich, nach dem ich mich gerade auf die Suche machen wollte. Doch er war nicht allein, denn Vriska lief an seiner Seite.
      “Guten Morgen”, entgegnete ich ein wenig irritiert, was die beiden vor meine Haustür brachte,” Was führt euch zu mir?” Es konnte schließlich nicht möglich sein, dass sie meine Gedanken lesen konnten. Oder waren Vriskas Hexenkräfte doch so weitreichend?
      “Ich wollte sehen, ob du mittlerweile lebendig bist, nachdem du vorhin nicht wach zu bekommen warst”, erklärte Mateo.
      “Nicht wach zu bekommen?”, wiederholte ich seine Worte. Hieß das etwa, er hatte bei mir geschlafen? Warum erinnerte ich mich daran nicht? “Warum wolltest du mich überhaupt wecken?” Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, kam sie mir auch gleich ein wenig doof vor.
      “Schon mal auf die Uhr gesehen?”, lachte er, “Die Pferde hatten Hunger und die Prinzessen hätten eigentlich füttern sollen, aber lass uns doch erst einmal hereingehen, bevor du weiter unnötige Fragen stellst.” Mit diesen Worten schob er mich zurück in die Hütte und auch Vriska trotte hinterher und ließ sich direkt auf einen Stuhl fallen.
      “Hast du schon gefrühstückt?”, fragte Mateo und war einen Blick in den Kühlschrank, als fühle er sich hier ganz wie zu Hause. Ich verneinte, woraufhin er die Kaffeemaschine einschaltete und begann verschiedene Dinge zusammenzusuchen. Früchte, Haferflocken, Joghurt.
      “Möchtest du auch etwas essen, Vriska? Dann mache ich für dich etwas extra”, bot er ihr zuvorkommend an.
      „Lieb gemeint, aber nein“, schüttelte sie den Kopf, „habe genug an mir.“ Dabei deutete Vriska auf ihre Beine, die noch immer dünn wie Streichholz waren, kein Vergleich zu Mateos Muskulatur.
      “Rede doch nicht immer so einen Quatsch. Du vollkommen in Ordnung, wie du bist”, tadelte ich sie. Es war immer wieder besorgniserregend, wie hart sie über sich selbst urteilte, obwohl es nicht mal einen wirklichen Grund dafür gab.
      „Lars hat gesagt, dass ich zugenommen habe, deswegen lasse ich Frühstück wieder weg“, murmelte sie in sich gekehrt und seltsam abwesend. Schon als beide ankamen, wirkte sie eine wandelnde Leiche und hing ebenso im Holzstuhl mit einem Arm über der Lehne, ihren Kopf darauf abgelegt.
      “Hat Lars noch mehr doofe Sachen gesagt oder was ist los mit dir, Vriskalein?”, versuchte ich ihr einfühlsam auf den Zahn zu fühlen.
      „Als er wiederkam, bin ich ihm aus unerklärlichen Gründen um den Hals gefallen und dann… es ging alles so schnell. Ich fühle mich schuldig und dreckig, obwohl wir nur das Bett noch teilen“, seufzte sie niedergeschlagen. Beinahe wäre mir herausgerutscht, dass sie im Gegensatz zu mir wenigstens wusste, wie ihr Abend endete, doch das wäre hier nur wenig zielführend und ehrlich gesagt, schämte ich mich dafür.
      “Dafür brauchst du dich nicht schuldig dafür fühlen. Gefühle und Bedürfnisse sind nicht immer logisch und es ist ja nicht so als hättest du Lars dazu genötigt”, versuchte ich sie aufzumuntern.
      „Es ist wegen Basti!“, jämmerlich zitterte Vriskas Stimme, wie die eines alten Schlosshundes.
      “Ach Süße, der Mann weiß gerade einmal so, dass du existierst. Es ist demnach ein wenig früh, sich Gedanken darum zu machen, was er davon hält, dass du auch noch etwas mit einem anderen hast”, versuchte ich ihr näherzubringen, dass es keinerlei Grund für ihr Empfinden gab. Wenn sich hier jemand schlecht fühlen musste, war das wohl eher ich, schließlich hatte ich, trotz meiner Beziehung, meine Finger nicht unter Kontrolle. Ein unangenehmes Drücken entstand in meinem Bauch, wenn ich daran dachte, dass ich Niklas betrogen haben könnte.
      „Dennoch fühlt es wie Verrat an. Aber immerhin ihr beide seid vernünftig geblieben“, seicht legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Unsicher schielte ich zu Mateo hinüber, versuchte eine Reaktion abzulesen. Entweder hatte der Kerl ein verdammt gutes Pokerface oder es war wirklich nicht viel passiert, denn er schnippelte fröhlich sein Obst, unterbrach nur kurz, um Vriska eine aromatisch duftende Tasse hinzustellen. Die Option, dass er nicht zugehört hatte, schloss ich kategorisch aus, da man keine zwei Meter mitbekommen musste, was gesprochen wurde.
      “Ja, genau”, nickte ich und versuchte meine Unwissenheit über diese Aussage zu überspielen, doch ich spürte, wie mein Puls ein wenig anstieg.
      „Wenn man nur sinnig entscheiden könnte, bei dem ganzen Testosteron“, warf Vriska mit Floskeln um sich, nur, um die verbrühte Zunge an der Luft zu kühlen.
      “Ja, wenn das nur so einfach wäre”, sprach ich zustimmend, denn Unrecht hatte sie nicht. Es gab Tage an denen wusste man nicht, wo einem der Kopf stand. Mateo hatte die Schüsseln mit dem Frühstück inzwischen fertig, stellte beide auf den Tisch.
      “Mädels, ich kann euch sagen, als Mann hat man es auch nicht so viel einfacher”, brachte er sich nun auch in die Konversation ein und setzte sich mit seinem Kaffee dazu. Interessiert beschaute ich den Inhalt meiner Schüssel. Aus den paar einfachen Zutaten hatte der Schweizer eine simple, aber recht ansehnliche Fruchtbowle gezaubert, einzig die Menge schien mir für ein zartes Persönchen wie mich ein wenig überdimensioniert.
      „Wer weiß das schon, ihr bleibt hinter verschlossenen Türen, als wären Gefühle eine unantastbare Sache“, zuckte Vriska mit den Schultern. Unter dem Tisch wippte unterdessen ihr Bein und die Finger zitterten an der Tasse. Um ihr ein Gefühl von Ruhe zu vermitteln und in der Hoffnung, dass sie die Bewegung unterließ, legte ich meine Hand auf ihr Knie. Ein Stillstand trat ein, doch hielt er nur für wenige Sekunden, bis das Wippen erneut begann.
      „Also so gefühlskalte Wesen sind wir nun auch wieder nicht“, versuchte der Schweizer sein Geschlecht zu verteidigen, „viele von uns sind nur … emotional unbeholfen.“
      „Von kalt war nie die Rede, sondern unantastbar, verschlossen“, merkte sie erneut an. Den Oberkörper drehte sie wieder weg, irgendwie war Vriska seltsam, verändert, aber zum Alten.
      “Ist sonst alles in Ordnung bei dir?”, probierte ich der Sache auf den Grund zu gehen, “du wirkst so unruhig heute.”
      „Es ist das schlechte Gewissen. Tut mir leid“, murmelte sie mir zu, wohl wissend, dass wir bereits darüber sprachen, seufzte Vriska laut und warf einen leidenden Blick über den Tisch. Ich war mir beinahe sicher, dass mehr bewegte, als sie offenbarte.
      “Schon okay”, entgegnete ich sanft, “Sag einfach, wenn man dir etwas Gutes tun kann.” So gerne würde ich etwas tun, dass sich Vriska nicht mehr so mies fühlte, doch es schien nicht leicht.
      „Erik hat mir vorhin geschrieben. Schon wieder“, kamen wir der Sache langsam näher. Es wirkte nachvollziehbarer, warum sie auf dem Sprung war, die Tür im Auge hatte und kaum stillsaß.
      „Er vermisst mich. Aber er soll einfach nur … sich in Luft auflösen“, erklärte Vriska im nächsten Atemzug, bevor ich spezifische Fragen stellen konnte. Mateo blickte fragend von dem Mobilgerät auf, dem er sich zwischenzeitlich widmete. Natürlich wusste er nicht, warum es ging, schließlich geschah das ganze Drama vor seiner Ankunft auf dem Hof. Doch jetzt war nicht die Zeit für Erklärungen.
      „Kann ich verstehen“, sagte ich zustimmend. Nach all dem, was sie durchmachte, war es zu gut nachzuvollziehen, dass sie sich das Ende seiner Existenz wünschte. Dass er gerade jetzt wieder auftauchte, wo sie begann nach vorzusehen und sich neu zu orientieren, brachte in ihrem Inneren sicher einiges durcheinander. Zumindest würde es mir so ergehen würde mein Ex plötzlich wieder auftauchen.
      „Aber warte … Schon wieder, seit wann schreibt er dir?“, fragte ich nach, als mein Kopf die Information vollständig zu erfassen begann.
      „Einmal die Woche kommt mal eine Nachricht, Anfang des Jahres habe ich auch noch geantwortet, aber mittlerweile …“, Vriska seufzte abermals und wühlte das Handy aus der Tasche, „nur über Bilder von Trymr freue ich mich.“ Sie zeigte mir den Chat, der sehr dominant von Nachrichten ihres Ex-Freundes war. Aber recht hatte sie, die Bilder waren niedlich. Zwischendrin gab es Antworten von ihr, wenn eine spezifische Frage gestellt wurde, oder ein ‚ich dich auch‘.
      „Du hängst noch an ihm, nicht?“, fragte ich vorsichtig. Es musste so sein, anders konnte ich mir nicht erklären, warum sie die Nachrichten nicht einfach ins Leere laufen ließ.
      “Er war, nein ist, ein toller Mensch, nur sollte er an seiner Offenheit arbeiten. Vermutlich kamen zu viele Sachen auf einmal, dass es nicht funktioniert hat”, schönte Vriska die Realität. Noch weitere Ansätze kamen, die alle darauf hinausliefen, dass sie das Problem war und Erik von nichts alle dem wollte.
      “Darf ich mich kurz einmischen?”, unterbrach Mateo den schier endlosen Schwall an Begründungen, der ihren Mund verließ, “Ich weiß zwar nicht, was genau zwischen euch vorgefallen ist, aber Vriska, wenn eine Beziehung nicht funktioniert, gehören immer zwei dazu. Mach’ dich nicht selbst schlecht, indem du all die Schuld auf dich nimmst.”
      “Mh?”, brummte sie überrascht, als hätte sie nicht damit gerechnet, dass jemand sie unterbrechen würde. Ihre Stimmung ungewöhnlich versöhnlich. “Ach, ich bin nun mal so.”
      “Ja und du bist gut, wie du bist. Auch wenn du manchmal herausfordernd und anstrengend sein magst, aber ganz ehrlich, eine bessere Freundin als dich könnte ich mir kaum wünschen,” sprach ich, obwohl es dem Gespräch vermutlich nur wenig zuträglich war. Doch der Drang überkam mich, die Worte auszusprechen, die Vriska lang schon einmal hätte, hören müssen. Auffällig langsam beugte sie sich zu Mateo hinüber, ohne die Augen meinen zu lösen.
      „Hast du etwas in ihr Essen gemischt? So kenne ich sie gar nicht“, murmelte sie ihm zu.
      “Nein, weder Zucker noch Zaubermittel”, schüttelte dieser nur lachend den blonden Schopf. Verdrießlich rollte ich mit den Augen und stopfte mir einen beladenen Löffel in den Mund. Wirklich schön, wie solche Worte hier wertgeschätzt wurden.
      „Nun gut“, richtete Vriska sich wieder an mich, „ich könnte dir mindestens drei Gründe nennen, wieso man mich nicht als Freundin haben sollte, aber gut. So sei es.“
      Sie erhob sich aus dem Stuhl und tigerte um die Couch, als würde sie etwas suchen. Unter jedem Schritt knarrten die Dielen, die Haare schwangen locker von einer Seite zur anderen. Auch mit den Armen spielte sie, nur um uns zu zeigen, dass wir uns beeilen sollten.
      „Imitierst du eine Koralle oder was wird das?“, scherzte ich. Obwohl ich nach gerade einmal der Hälfte der Schüssel beinahe satt war, sah ich nur wenig ein, warum ich schneller machen sollte ohne einen ersichtlichen Grund.
      „Nein, es ist nur komisch hier zu sein. Vor allem, wenn du nachts auch noch anderen Männerbesuch hast“, merkte sie trocken an und schielte zu Mateo. Während ich versuchte Vriska aufzumuntern, hatte ich beinahe vergessen, dass neuen ursprünglichen Mission etwas anderem galt und begann heftig zu husten bei der plötzlichen Erwähnung dieses Sachverhaltes, weil ich aus Versehen einige Haferflocken einatmete.
      „Nicht ablenken!“, lachte Vriska.
      „Tu ich nicht“, japste ich nach Luft und nahm einen großen Schluck aus dem Wasserglas, welches Mateo mir anreichte. Vriska blickte mich die ganz Zeit dabei an, wie ein hungriges Krokodil, welches seine Beute ausspähte. Ich seufzte, sie würde nicht aufgeben, bevor sie nicht wenigstens ansatzweise erfuhr, was gestern geschah.
      „Also was das angeht, muss ich gestehen …, dass mir möglicherweise … entfallen ist, was gestern noch so passierte“, murmelte ich undeutlich und spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Noch peinlicher, dass gestern überhaupt etwas passierte war, dass ich es vergaß.
      „Dabei kann ich dir wohl aushelfen“, grinste Mateo und blickte mich unmittelbar an, mit seinen geheimnisvollen Augen.
      „Maaateo, jetzt sag schon“, jammerte ich. Es war mir noch nie passiert, dass ich so vollständig eine Nacht vergaß wie diese, denn normalerweise fehlten mir, wenn, nur wenig Minuten.
      „Sicher, dass du das nicht deiner Fantasie überlassen willst?“, schmunzelte er und schien seine Überlegenheit regelrecht zu genießen.
      „Ja, weil meine Fantasie sagt, dass ich ein ganz schrecklicher Mensch bin“, beklagte ich, als der Knoten in meinem Bauch zurückkehrte. Was, wenn ich wirklich mit Mateo geschlafen hatte? Wie sollte ich das nur meinem Freund erklären? Und was wäre … Nein, an die Konsequenzen wollte ich lieber gar nicht erst denken.
      “Süße, du kannst gleich aufhören, so ein Quatsch zu denken. Es ist gestern nämlich gar nichts passiert, weswegen du dir Sorgen machen müsstest”, sprach er, doch ich war noch nicht komplett beruhigt. Wer wusste schon, wie der Schweizer “nichts passiert” definierte.
      “Könntest du ein wenig konkreter werden?”, nuschelte ich. Es war bereits unangenehm genug mit Mateo darüber reden zu müssen, doch dass Vriska hoch interessiert am Sofa lehnte, brachte mein Blutdruck nicht gerade runter.
      “Soll Vriska gehen? Du siehst so danach aus”, fragte er rücksichtsvoll. Wenn ich richtig lag, hatte mein Kopf vermutlich die Farbe einer Tomate, doch ich schüttelte nur hektisch mit dem Kopf. Selbst wenn man Vriska hieraus bekommen würde, fragte sie sicher ohnehin noch einmal nach.
      “Na dann”, zuckte er nur mit den Schultern, “aber mach dir keine Sorge, die Klamotten sind angeblieben, die meisten zumindest.” Bei den letzten Worten zwinkerte er schelmisch. Was gestern passierte, schien demnach zumindest einem Spaß bereitet zu haben. Mateo erzählte weiter von dem Abend. Offenbar saßen wir alle noch eine ganze Weile in der Küche, bevor Vriska sich schließlich ins Bett verabschiedete und auch Nour ihr Hochgestimmt folgte. Unser beider Weg führte dann wohl hierher, genauer gesagt auf das Sofa, wo wir noch eine halbe Flasche Wein leerten, bis ich schließlich auf seinem Schoß einschlief.
      Mit seinen Worten blitzten verschwommen in meinem Gedächtnis auf. Seine Finger, die sanft über meine Haut strichen, Worte der süßen Verführung … und wow, was sich unter dem lockeren Pulli verbarg, konnte sich sehen lassen. Hör auf, du hast einen äußerst ansehnlichen Freund, bot ich mir selbst Einhalt, bevor mein Gedanken abdriftete.
      Ein Rest eines schlechten Gewissens verblieb, auch wenn eine gewisse körperliche Grenze nicht überschritten wurde. Mein Handeln war moralisch definitiv nicht einwandfrei und passte ebenso wenig in mein stark romantisiert Vorstellung vom Leben. In meine kleine Traumwelt gab es keinen Platz für Fehltritte. Doch ich musste immer wieder einsehen, dass die Realität so nicht funktionierte.

      Später im Stall
      Vriska
      Eigentlich wollte ich Eriks Nachrichten nicht lesen oder gar zu Herzen nehmen, aber Zuge meiner geistigen Umnachtung, fiel es mir schwer, überhaupt klar zu werden. Ich stand vor Maxous Box, hoch motiviert, die Ponystute herauszuholen an der Doppellonge etwas zu tun, doch da setzte mir Lars einen Strich durch die Rechnung.
      „Wunderkind müsste noch bewegt werden“, sagte er mir, die Stimme gereizt und der Gesichtsausdruck kühl. Vor knapp einer Stunde war noch alles okay, wie konnte er derart verärgert sein?
      „Aber wollte Nour …“, meinen Satz durfte ich nicht zu Ende sprechen, denn er unterbrach mich sogleich, „die jammert wieder wegen ihres Arms und sitzt auf der Couch. Papa hat auch keine Lust. Also sagst du mir nicht auch noch ab.“
      „Natürlich bewege ich ihn, kein Problem, aber was hat dich denn gebissen?“, versuchte ich ihn zu besänftigen.
      „Es nervt einfach“, seufzte Lars und ließ sich laut auf die Bank hinter sich fallen. Die Augen sprachen mehr als Worte. Beinah geblendet von dem anziehenden Grünton, bemerkte ich seine Enttäuschung und quälende Gedanken.
      „Was nervt dich denn?“, fragte ich, setzte mich schließlich zu ihm.
      „Danke, dass du fragst. Ganz ehrlich“, liebevoll legte sich ein zartes Lächeln auf seine Lippen, während Lars einen Arm um meine Schultern legte und mich zu sich heranzog. „Es ist ziemlich viel zu tun und es gibt Interessenten aus Amerika an ihm. Die wollen jedoch aktuelle Rennergebnisse und Wunder lief zuletzt im Oktober. Nour weigert sich mehr als ein Rennen zu fahren, sieht es auch nicht ein, dass Walker am Sonntag zu Hause bleibt. Ich habe bereits Vision, Plano, Dustin und Eifellust. Natürlich könntest du ihn fahren, aber ich weiß nicht, ob du das nötige Etwas herauskitzeln kannst aus ihm.“
      „Und wenn du es mir zeigst? Wir müssen doch erst morgen die Nennungen einreichen“, schlug ich vor. Nachdenklich nickte er langsam.
      „Aber dann müsstest du mit Humbria noch warten, denn es gibt nur ein Amateurrennen“, erklärte er dann. Darüber hatte ich bis dato nicht nachgedacht, aber klar, zerteilen in einem Rennen konnte ich mich nicht.
      „Das wird ihr sicher guttun, eine Woche zu warten“, stimmte ich wohl wissend zu, dass es für die Stute keinen Unterschied machen würde, an welchem Wochenende ihr erstes Rennen sein würde.
      „Du weißt, dass es dann in Visby wäre, und bisher hatten wir nicht eingeplant, dass du mit auf die Insel kommst“, kam Lars nächste Hiobsbotschaft.
      „Nun gut, dann“, unentschlossen überlegte ich, bevor ich weitersprach, „dann muss ich wohl neue Orte kennenlernen.“ Natürlich kam mir direkt in den Sinn, dass Basti auch da sein würde und ich keine zwei Wochen auf ein Wiedersehen hoffen musste. Somit strahlte auch ich.
      „Das ist toll, wirklich. Dann holte ich mir Vision und du machst Wunder fertig“, sagte Lars beim Aufstehen. Während er sich ein Halfter holte, führte ich den Schecken bereits aus der Box.
      „Du kommst vielleicht nach Amerika“, erklärte ich dem neugierigen Hengst, der interessiert an meiner Hosentasche zupfte, in der mein Handy sich in Form herausdrückte. Besonders die abgerundeten Ecken schienen ihn nicht loszulassen. Erst als ich seicht wegschob, hörte er auf, mit der Oberlippe mich schmutzig zu machen. Ich putzte ihn dann und war noch lange vor meinem Kollegen fertig, der erst ankam, als ich schon den Schecken gegurtet hatte und getrenst. Wunderkinds Ohren stellten sich auf, als Vision ihn interessiert musterte. Es folgte ein Quietschen und Schlag gegen die Brust. Der Kaltblut-Verschnitt wirkte nicht sonderlich begeistert von dem Schecken. Lars zog ihn ein Stück zurück, denn Verletzungen kurz vor dem nächsten Rennen, waren vermeidbar.
      Zusammen fuhren wir vom Hof. Die Sonne kitzelte sich durch die dichte Wolkendecke und leichtes Lüftchen wehte mir kalt ins Gesicht. Ich hätte meine Maske aufsetzen sollen, dachte insgeheim und sortierte die Leine neu, auf der ich saß.
      „Er muss motiviert werden und locker angefahren werden, sonst zeigt Pass“, erklärte Lars, als wir auf der Bahn ankamen. „Auch im Schritt solltest du ihn lieber etwas zu lang halten.“
      „Verstanden“, sagte ich und ließ etwas vom Leder ab. Wunderkind begann sich mehr zu strecken und wölbte dabei den Hals, auch seine Schritte verlängerten sich.
      „So ist schön“, grinste er neben mir. Vision warf immer wieder prüfend einen Blick zu dem Schecken und schlug dabei nervös mit dem Schweif. Aber Wunderkind nahm diese Manieren hin, ohne sich beirren zu lassen. Im ersten Trab gab Lars mir noch weitere Tipps, dazu zählte auch, besonders sanft an der Leine zu sein, jede noch zu harte Parade könnte den Hengst in den Pass umstellen, deshalb fuhr ich ihn ohne Peitsche. Einzig die Stimme blieb mir zum Treiben, auf die Wunder sehr fein reagierte. Nach der dritten Kurve legten wir im Tempo zu, dass ein Gefühl für ihn bekam. Natürlich rutschte er mir einige Male in den Pass, aber nach dem Zurückholen und neu Antraben kam die Wunschgangart wieder. Mein Kollege setzte sich vor uns, damit jeder für sich in Ruhe trainieren konnte. Der Braune an seinem Wagen brachte viel Potenzial mit, diskutierte dauerhaft, doch Lars war hartnäckig.
      Mit beiden Pferden kamen wir verschwitzt auf den Hof zurück. Zu meiner Enttäuschung stand gerade Niklas mit Smoothie in der Putzgasse und schielte leicht zu mir. Höflich begrüßte Lars ihn, aber bekam keine Rückmeldung. Stattdessen drehte sich Hulk zu seiner Stute. Kaum erblickte Vision die weibliche Gleichgesinnte hob der Hengst erregt den Kopf und prustete aufgebracht mit weiten Nüstern. Leicht tänzelte er auf der Stelle, doch Lars zog ihn am Gebissring neben sich her. Auch Smoothie reagierte auf den Flirt mit zutraulichem Brummen, streckte dabei den Kopf neugierig nach vorn. Niklas drückte sie unsanft weg.
      „In deinem Umfeld darf wohl niemand soziale Kontakte haben“, merkte mein Kollege unberührt an. Erst jetzt drehte sich Linas Freund zu ihm, die Augen leicht zusammengedrückt und tiefe Falten bildeten sich. Er schnappte einmal nach Luft, als ich ihm ein Zeichen gab, einfach die Klappe zu halten. Doch das Prinzesschen dachte gar nicht daran.
      „Immerhin jage ich kein Pferd auf der Rennbahn in den Tod“, zischte er boshaft.
      „Genau, weil dein komischer Sport auch so viel gesünder für die Gelenke ist, wie man sieht“, lachte Lars daraufhin nur, sichtlich überlegen fühlend.
      „Männer, es reicht“, mischte ich mich schließlich ein, wurde damit, aber das möchte Opfer Niklas‘.
      „Du bist am besten ganz ruhig. Dein Scherbenhaufen kann niemand ertragen, also geh‘ endlich.“ Die Worte trafen mich mit roher Gewalt und in meiner Magenregion fühlte es sich ebenso an, als hätte er mich eine Klippe hinunter geschubst.
      „Niklas, am besten gehst du, wenn du mit uns allen ein Problem hast“, kam Lars zurück, nachdem er den Hengst an die Stricke gelegt hatte, „im Gegensatz zu dir, arbeiten wir hier. Niemand zwingt dich, auf dem Gestüt dein Pferd unterzustellen. Außerdem“, nun warf einen prüfenden Blick zu mir, „solltest du nicht so hart über ihr Leben urteilen, wenn deins nicht so viel besser ist.“
      In Niklas‘ Augen erkannte man, dass er nachdachte und sich dessen bewusstwurde, was mein Kollege versuchte ihm klarzumachen. Mit Schweigen ging er dem Gespräch aus dem Weg. Ich stand währenddessen wie gelähmt neben Wunderkind, der sich den Kopf an einem Holzbalken scheuerte.
      „Vivi, komm‘“, Lars legte sein Arm auf meine Schultern, „lass uns Wunderkind wegbringen, damit du noch Maxou und Osvo reiten kannst.“

      Gesagt, getan. Ich löste mich aus der Starrte und zusammen legten wir alles von dem Schecken ab. So lange wartete Vision in der anderen Putzbucht. Erst als ich Maxou zurückkam, begann Lars den Braunen alles abzunehmen und zufüttert. Giftig schielte meine Ponystute hinüber, nicht sonderlich begeistert von dem Hengst, der mit gleichen Flirt-Versuchen ankam, wie bei Smoothie. In aller Ruhe putze ich sie und kontrollierte alle Wehwehchen, die sie in der Zeit angesammelt hatte. Ihre Beule wurde schon besser, lediglich ihre Hufe bräuchten mal wieder einen Schmied. Die Hufwand war brüchig und an den Vorderhufen deutlich zu lang. Ich erinnerte mich daran, dass Lars die Pferde seines Vaters machte und warf einen prüfenden Blick zu Vision. Er stand neben dem Hengst am Handy und grinste schief.
      „Du? Hast du kurz Zeit?“, fragte ich.
      Lars senkte das Telefon und richtete den Kopf zu mir.
      „Klar“, er trat einige Schritte auf mich zu, „wie kann ich dir helfen?“
      Ich zeigte auf Maxous Hufe.
      „Könntest du grob was machen?“
      „Ja, lass mich nur Vision wegbringen und das Werkzeug holen“, antwortete er zustimmend und löste die Stricke. Mit großen Schritten traten sie an mir vorbei, ohne dass Maxou zuckte. Stattdessen versuchte sie mir aus der zu weiten Jacke ein Leckerchen zu klauen. Doch der Reißverschluss hinderte sie daran. Ihren Kopf drückte sie an meinem Rücken.
      „Kannst du aufhören zu betteln?“, die Stute hörte sofort auf, legte stattdessen sich auf meine Schulter, „danke.“ Der waren Atem aus ihren Nüstern kitzelte mich am Ohr und während wir auf die Rückkehr Lars‘ warteten, wagte ich einen Blick auf mein Handy. Einsamkeit überkam mich unmittelbar, als ich den leeren Sperrbildschirm betrachtete. Niemand wollte etwas, nur Basti lag verschwommen vor mir auf dem Bild vom Rennen mit Netflix. Zur Kontrolle, auch wenn ich wusste, dass ich nichts finden würde, öffnete ich eine Social-Media-Plattform nach der anderen. Aber bis auf einen Post von Nour fand ich nichts vom Renntag. Sie zeigte sich glücklich mit dem hellen Hengst, dazu im Karussell noch mehr Bilder von Walker und eins mit Lars. Da er noch außerhalb der Sichtweite war, klickte ich mich interessiert durch sein Profil – Natürlich präsentierte er sich so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Lauter Oberkörper freier Bilder strahlten mich vom Bildschirm an und keine Spur von einem Pferd, allerdings entdeckte zwei Storyhighlights, eine mit Rennbildern und die andere von seinem Hengst Bear. Viele davon waren schon vor Jahren online, andere recht neu, aber keins auf unserem Hof aufgenommen. Bevor ich annähernden Schritte hörte, war es bereits zu spät. Er stand mit einem breiten Lächeln neben mir.
      „Ach, doch noch Interesse?“, lachte Lars und stellte klirrend die Werkzeugkiste neben der Ponystute ab, die sofort drohend in die Luft schnappte.
      „Nur gucken, nicht anfassen“, sagte ich schelmisch und steckte das Handy weg.
      „Denkst du das wirklich, oder versuchst du, dein Verlangen zu unterdrücken?“
      „Wer weiß das schon“, ich machte einen Schritt von ihm weg, um Maxou fester zu binden. Die Stute mochte es nicht sonderlich, wenn an ihren Hufen gearbeitet wurde, aber reiten wollte ich sie so ungern. „Erfahren wirst du das nicht.“
      „Wir werden sehen“, stimmte Lars mit seinem Lachen mit ein. Dann nahm er die Raspel und entfernte größtenteils das eingerissene Horn. Ich beruhigte die Stute dabei am Kopf, tätschelte etwas unbeholfen ihren Hals und hielt mit der anderen Hand sie am Halfter. Sie war nur wenig dafür zu begeistern, versuchte lieber ihm den Huf wegzuziehen oder den Schweif in sein Gesicht zu schlagen. Von beidem ließ sich Lars nicht beeindrucken.
      „Hatte sie mal Hufrehe?“, fragte er nach. Dabei tastete er die ausgeprägten Ringe auf der Hufwand ab, die mir auch schon aufgefallen waren.
      „Ich weiß nicht so viel über Krankheitsgeschichte“, beantwortete ich oberflächlich.
      „Wie alt ist sie denn?“, informierte Lars sich weiter, während er sich dem nächsten Huf widmete.
      „Vierzehn wird sie dieses Jahr.“ Ich musste kurz durchrechnen, hatte aber noch im Kopf, dass sie zweitausendsieben geboren wurde, im Juni, wenn ich mich nicht irrte.
      „Dann hat Maxou noch einiges vor sich. Sie gehört dir, oder?“
      „Fast, also … halb. Erik gehört eine Hälfte und er hat sie auch bezahlt. Wer weiß, wie lange sie noch bei mir ist“, seufzte ich. Die Wände hatten Ohren, dementsprechend senkte ich meine Stimme. Niklas putzte noch immer sein Elitepferd, aber ich war fest davon überzeugt, dass er einzig und allein uns belauschte. Gerade, als ich diesen Gedanken bekam, führte er Smoothie, schwarz einbandagiert, an uns vorbei und sah abfällig zu mir. Nach der Nachricht mitten in der Nacht hatte ich eigentlich eine Veränderung seiner Art erhofft, aber offensichtlich entschied er sich dagegen, freundlich zu mir zu sein.
      „Viel Spaß“, wünschte ich ihm dennoch und bekam nur entrüstetes Schnauben als Antwort. Nun gut, sein Problem und nicht meins. Einen Moment später huschte auch Lina durch den Gang, begrüßte freundlich Lars und mich, um die Tribüne hinaufzuverschwinden.
      „So, dein Pony ist wieder hübsch“, sagte mein Kollege nach verrichteter Arbeit.
      „Danke dir“, umarmte ich ihn entschlossen und spürte, dass es mehr als eine dankbare Geste wurde. Wie ein Äffchen hing ich um seinen Hals und langsam bewegten sich seine Hände von meinen Rippenbogen abwärts. Verführerisch funkelten seine Augen. Gefangen in den Grüntönen, wie sie nur die Natur zu bieten hatte, verlor ich abermals die Kontrolle. Noch enger legte ich mich an ihm, als würde es keinen morgen geben, kochte das Blut in meinen Adern. Wieso Lars eine derartige Anziehungskraft für mich hatte, konnte ich mir für den Moment nicht erklären. Stattdessen drückte ich die Lippen auf seine. Ein merkwürdiges Geräusch gesellte sich dazu und verdrängte das Gefühl etwas Falsches zu tun. Dennoch löste ich mich nach wenigen Sekunden wieder, als mein Kopf die Situation begriff.
      „Das kam unerwartet“, schmunzelte er und setzte zu einem weiteren Kuss an, den ich ihm verwehrte.
      „Tut mir leid“, stammelte ich verwirrt. Gefangen im eigenen Chaos versuchte ich mich von ihm loszureißen und verspürte die aufkommenden Schuldgefühle. In Lars‘ Gegenwart konnte mein Kopf nicht mehr unterscheiden, wer er war und assoziierte all die Freude mit ihm. Meine Medikamente nicht mehr zu nehmen, stellte sich zum ersten Mal für mich selbst, als eine schlechte Idee heraus.
      „Vivi, ganz ruhig“, er legte seine Hände auf meinen Schultern ab. Das Herz in der kleinen Brust dröhnte zu explodieren und meine Lunge versuchte nach Sauerstoff zu Ringen, aber es fühlte sich an, als würde nichts davon in meinem Körper ankommen. In dem kargen Gebäude suchte ich krampfhaft nach roten Gegenständen, aber bis auf den Strick auf der Bande, entdeckte ich keinen. Ebenso wenig blau war zu sehen.
      Lars begann zu zählen und ich sollte mit ihm ein- und ausatmen. Äußerst gekonnt, ging er mit meinem Anfall um, bis ich mich wieder beruhigt hatte. In der Zwischenzeit war auch Lina dazu gekommen und stand unbeholfen neben ihm. Ihrem Gesichtsausdruck nach musste ich fürchterlich aussehen in dem Augenblick.
      “Alles okay? Was ist passiert?”, fragte sie besorgt.
      “Ähm”, stöhnte ich erhitzt und schielte zu Lars.
      “Sie hat mich geküsst und hatte dann eine Panikattacke”, erklärte dieser wahrheitsgemäß.
      “Was machst du nur für Sachen”, fragte sie, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten, “Das ist doch kein Grund für Panik.”
      “Das sagst ausgerechnet du”, schnaubte ich verärgert, aber schluckte den restlichen Satz trocken herunter. Dabei nahm ich einen kräftigen Atemzug. Lina sollte von allen am besten wissen, woher dieses Gefühl rührte, bloß hatte Niklas ihr offenkundig das Gedächtnis gelöscht. Mir lag es buchstäblich auf der Zunge, einen vernunftwidrigen Spruch zu drücken. Lars vernahm jene Wut und drückte kräftiger die Finger in meine Schulter. Doch mein Körper hatte sich dieser angepasst, als würde die Hitze wie ein Parasit an mir festhalten. Einzig Maxou, die nun auch mit kurzen Berührungen versuchte, mich in die Wirklichkeit zu holen, senkte den Blutdruck.
      “ ‘Tschuldigung, war wohl ein wenig unsensibel”, murmelte sie kleinlaut, “Ich verstehe dich ja.”
      Nach dem kleinen Missverständnis mit Lina sattelte ich Maxou und überlegte, in den Wald zu gehen. Mit unserem Sahnetörtchen in der Reithalle wollte ich ungern sein und hinüberlaufen und die kleinere Halle könnte mir Ärger mit Jonina einbringen, die aus unerklärlichen Gründen noch immer auf Krawall gebürstet war, wenn sie mich sah. Somit blieb mir nur Matsch übrig. Kaum ritt ich vom Hof, klingelte mein Handy. Vollkommen überrascht, dass das Gerät überhaupt in der Lage war, Geräusche von sich zu geben, zog ich es aus der Jackentasche heraus. Doch als ich den Bildschirm erblickte, sah ich nur, dass eine unbekannte Nummer versucht hatte, mich zu erreichen. Zurückrufen konnte ich nicht. Im Fortlauf des Ausrittes dachte ich ununterbrochen darüber nach, wer wohl etwas von mir wollte und vor allem, was. Die Antwort auf jene Fragen wurde mir verwehrt, denn es folgte kein zweiter Versuch, mich zu erreichen. Versunken in meinen Gedanken schenkte ich meinem nervösen Pony kaum Aufmerksamkeit, sodass sie immer wieder auf die Vorderhand rutschte, ohne dass ich es korrigierte. Es war alles so viel, dass ich auf halber Strecke einfach umdrehte und denselben Weg zurücknahm.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 33.794 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang März 2021}
    • Mohikanerin
      Tempofahren / Rennen E zu A | 30. September 2022

      Osvominae / E zu A
      Enigma LDS / A zu L
      Fire to the Rain LDS / A zu L
      Millennial LDS / A zu L
      Sisko / A zu L


      Im normalen Trainingsalltag gehört das Tempofahren nicht mehr in den Trainingsplan, dennoch ist es besonders für die älteren Pferde ein wichtiger Aspekt zur Leistungsüberprüfung. Enigma und Mill, die noch sehr unerfahren sind, benötigen mehr Routine im Rennen, wodurch dir auf der großen Trainingsbahn ein solches zu simulieren. Zunächst wärmte jeder, für sich, das Pferd auf. Im Wechsel trabten wir und parierten durch, in den Schritt und halt. Erst dann legten wir eine Reihenfolge fest. Ganz vorn lief Sisko, dazwischen die Enigma, Ini und Mill. Die Kolonne endete mit Osvo, die einzig zur Begleitung und Abwechslung dabei war. Mit jedem Meter erhöhten wir das Tempo. Nach einer Schrittpause folgte ein weiteres Mal Renngeschwindigkeit, bevor wir zurück zum Hof fuhren.

      © Mohikanerin // 772 Zeichen
    • Mohikanerin
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      kapitel trettiofem | 16. Oktober 2022

      Moonwalker LDS / Maxou / Minelli / Global Vision / Henade / Osvominae / I’m a Playboy / Northumbria / Wunderkind

      Donnerstag, 12:21 Uhr
      Lindö Dalen Stuteri
      Vriska
      Müde, aber glücklich kämpfte ich mich von der Couch. Viel zu spät, wie ich bei einem kurzen Blick auf mein Handy feststellte. Unter der Uhrzeit einige Banner mit verschiedenen Nachrichten, wovon besonders eine mich mit ihrem Inhalt noch breiter strahlen ließ: „Noch einmal Danke für den schönen Abend gestern. Ich wünsche dir einen erfolgreichen Tag heute.“
      Ich legte mein Bettzeug zusammen und räumte es wie jeden Tag nach dem Aufstehen auf den Stuhl in das Schlafzimmer, nur eine Sache unterschied sich zum herkömmlichen Ritual – anstelle eines großen Kaffees reichte mir ein kleiner, für den Geschmack. Nach der lieben Nachricht von Basti war ich gestärkt genug und würde ohnehin heute nur wenig zu tun haben. Durch den Renntag Morgen hatten die Pferdepause und ich würde mich den anderen Tieren widmen.
      Im Stall stand Lars bei Walker, beschäftigt an seinen Hufen. Weit konnte Nour nicht sein, wenn ihr Schatzi gerade umsorgt wurde. Ihren Kontrollzwang übte sie bestimmt auch gegenüber ihrem Bruder aus. Je weiter ich in die Gasse hineintrat, umso sicherer wurde ich mir, dass Nour woanders steckte. Stattdessen saß Lina ihm gegenüber auf der Bank und stopfte ein Brötchen in sich hinein.
      „Oh, die Schlafmütze ist da“, scherzte Lars. Die Feile in seiner Hand steckte er gekonnt in den Latz und stützte sich an Walker ab, der ruhig in den Stricken hing.
      „Entschuldigung, ich war uns mal erst um drei Uhr zurück“, rollte ich mit den Augen.
      „Warum so spät erst? Erzähl“, forderte Lina freundlich und ihre Augen begannen neugierig zu funkeln. Womöglich hatte es keiner mitbekommen, dass ich um halb neun noch mit meinem Auto hinüber in die Stadt fuhr.
      „Etwas trinken mit ein paar Leuten“, hielt ich mich kurz.
      „Okay und wer waren diese Leute?“, hakte sie weiter nach. Natürlich war ihr Drang nach Neuigkeiten nicht so einfach zu stillen.
      „Männlich, weiß, Anfang bis Mitte dreißig. Vier an der Zahl“, lachte ich. Aber Lars, der sich wieder den Huf widmete, drehte sich um und kam auch ins Gespräch dazu.
      „Also bist du angetrunken nach Hause gefahren?“, seine Stimme klang verärgert, aber was wollte er tun? Niklas anrufen? Also nickte ich nur zusammen mit einem chaotischen Zucken der Schultern.
      „Gleich vier davon? Du legst aber ganz schön los“, scherzte Lina ungeachtet des Kommentars des Kerls.
      „Reiten war öfter das Thema, so falsch liegst du nicht“, feixte ich ebenfalls. Wieder drehte sich Lars zu mir um.
      „Hoffentlich nicht gleichzeitig“, murmelte er und bekam einen Klaps auf den Po. Kurz lachte er.
      „Klingt, als hättest du einen schönen Abend gehabt. Ich gehe recht in der Annahme, dass einer der Vieren wohl Basti war? “, lächelte die Kleinen fröhlich auf der Bank.
      „Möglich“, über beide Ohren strahlte ich, obwohl ich versuchte mein Glücksgefühl zu überspielen. „Aber ja, ich war mit bei Freunden von ihm, ziemlich spontan.“
      „Freut mich“, erwiderte sie aufrichtig, „dann warst du scheinbar noch in der Lage, mit ihm zu sprechen.“
      „Das eine ganz andere Sache“, seufzte ich, lief hinüber zu Maxou, die trommelnd in der Box stand und nach Aufmerksamkeit buhlte. Lina folgte mir engelsgleich.
      Ich strich der hellen Stute über den stoppeligen Hals. Der Hautpilz war durch die Behandlung mit der Salbe, Cortison-Spritzen und regelmäßigen Waschen wie weg. Nun wuchs langsam das Fell nach. Wenn der Auslauf geschlossen war, benötigte sie keine Decke mehr.
      „Wir saßen, wie zuvor erwähnt, bei seinen Freunden. Als ich ankam, waren zunächst alle überrascht, fragten mich ein paar persönliche Fragen und damit hatte sich das. Man reichte mir ein Bier. Dann ging sie wieder ihrer Beschäftigung nach und spielten FIFA. Ich saß neben Basti, mit dem ich vorher etwas geschrieben hatte. Zwischendurch sah er zu mir hinüber und legte seinen Arm um mich, aber gesprochen so wirklich wurde nicht. Dafür hatte ich zu viel Angst, etwas Falsches zu sagen. Aber ich fühlte mich wohl bei ihm“, erzählte ich vom Abend. Natürlich freute ich mich dennoch da gewesen zu sein.
      “Ich möchte nur ungern stören”, unterbrach Lars abermals unser Gespräch, “aber Ricarda fragte, ob du Minelli reiten könntest. Sie kommt erst nächste Woche wieder.“
      Die Rede war von einer Einstellerin, die ihre Kaltbluttraber Stute öfter bei uns im Beritt haben wollte. Bisher konnte ich mich immer gut aus der Affäre ziehen. Minelli gefiel mir nicht. Sie lief schwerfällig, unbalanciert und unwillig. Grundsätzlich hatte ich Spaß am Beritt, aber dem Pferd fühlte ich mich nicht gewachsen. Zu schnell verzweifelte ich bei Unwilligkeit.
      „Warum macht Nour das nicht?“, hakte ich nach.
      „Sie hat genug zu tun mit den Jungpferden und nachher noch Unterricht“, klärte er auf.
      „Longieren reicht nicht?“, versuchte ich weiter alles, um mich nicht auf das Pferd setzen zu müssen.
      „Vriska“, mahnte Lars mit eindringendem Blick, „hör auf zu diskutieren. Du überlebst es schon.“
      Mit den Worten lief er zurück zu Walker, somit er mein Augenrollen nicht, aber dafür Lina, die mich zuversichtlich angrinste.
      „Ich möchte nicht auf die Tonne“, murmelte ich in den Kragen.
      “Was findest du denn so schlimm an ihr, außer dass du offensichtlich ein pauschales Problem mit kräftigen Pferden hast?”, horchte sie nach. Mit ihren Freibergern lag ihr das natürlich fern.
      „Das pauschale Problem hängt damit zusammen, dass deren Sättel für mich groß sind, ich somit nicht richtig arbeiten und sitzen kann. Der Beritt besteht damit nur aus Selbstkontrolle, als mit dem Tier voranzukommen. Außerdem ist Minelli extrem faul“, legte ich ihr nah. Während ich wild gestikulierte, hatte Maxou ganz andere Ideen und fummelte mit ihren Lippen an meinem Zopf herum. Solange, bis sie schließlich den Haargummi zwischen den Zähnen hatte und herauszog. Kräftig zog sie daran, einige Strähnen verlor ich dabei und meine Löwenmähne fiel in mein Gesicht. Schnell konnte ich nicht darauf reagieren, denn da lief das Pony mit ihrer Trophäe bereits davon.
      “Also dein Sattelproblem kann gelöst werden. Entweder du schaffst dir einen eigenen Sattel an oder du machst es wie mit Happy. Auf dem reitest du schließlich auch nur mit deinem Pad”, entgegnet meine Kollegin ungeachtet dem, was das Pony trieb, “und na ja, wenn sie so faul ist, solltest du die Ursache dafür suchen. In aller Regel gibt es einen Grund, der sich beseitigen lässt.”
      “Ich kaufe doch nicht einen Sattel, der nur auf Kaltblüter passt, weil ich das Vieh einmal bewegen soll”, lachte ich auf. Ich blickte noch meinen Haargummi nach, der jedoch verloren schien. Eine Strähne nach der anderen versuchte ich hinter das Ohr zu streifen, doch die Haare waren zu dick und die Dreads zu schwer.
      “Dann kann dein Problem so groß wohl nicht sein”, zuckte Lina mit ihren Schultern, griff in ihre Jackentasche und zauberte ein Haargummi draus hervor, um es mir anzubieten. Als wäre eine Gabe Gottes nahm ich ihn an und knotete so gut ich konnte die Haare zusammen. Ohne Spiegel würde es nicht werden, aber wer sollte heute schon vorbeikommen und es interessieren.
      “Ich gehe mal den Panzer holen”, sagte ich nach kurzer Stille und verschwand zur Sattelkammer.
      Der riesige Schrank von mir quoll mittlerweile über. Mehr als zehn Halfter teilten sich den kleinen Haken in der Tür, Schabracken türmten sich und genauso viele lose Bandagen und Gamaschen. Ordnung wäre angebracht. Stattdessen nahm ich mir das grüne Nylon-Halfter heraus und drückte die Tür hinter mir wieder zu. Natürlich schloss diese nicht mehr, aber das Chaos versteckte sich zumindest.
      Auf dem Stutenpaddock holte ich die braune Stute, die auf der linken Seite ein blaues Auge hatte. Neugierig stellte sie die Ohren auf. Freundlich gesinnt strich ich über den Hals und streifte schließlich das Halfter über. Zusammen liefen wir zum Stall, dabei kam sie bereits ins Schleichen. Immer wieder trieb ich sie mit dem Strickende, aber Minelli interessierte das nicht die Bohne. Sie bremste noch mehr ab und kam zu stehen. In ihrem Interesse waren die Grashalme am Wegesrand, nach denen sie sich streckte. Auf meine Versuche, sie von dort wegzuziehen, reagierte sie nicht. Es schien, als wäre hinter der dicken Mähne ein Dickkopf versteckt. Das konnte noch was werden, dachte ich, insgeheim und diskutierte weiter mit dem Panzer.
      “Jetzt komm doch endlich”, nörgelte ich. Minelli reagierte nicht, sondern trat noch einen weiteren Schritt zur Seite ins Grün.
      “Mir scheint, als habe das Gras die überzeugenderen Argumente”, stelle Lina grinsend fest, die vom Stall her auftauchte.
      “Ich habe doch gesagt, die ist komisch”, rollte ich mit den Augen und zog ein weiteres Mal am Strick, aber die sechshundert Kilogramm bewegten sich nicht.
      “Ich würde es eher unerzogen und verfressen nennen”, entgegnete sie und stiefelte zu der Stute hin. Auch Lina wurde von dem braunen Koloss ignoriert, nicht mal die Ohren bewegten sich, als sie Minelli anstupste. “Darf ich mal?”, fragte sie prophylaktisch und nahm mir den Strick aus den Händen. Zart zupfte sie am Strick und natürlich bekam sie keine Reaktion. Statt weiter zuzuziehen, wand sie sich der Hinterhand der Stute zu, schickte diese von sich weg. Auch das ignorierte die Stute zeitweise, bis ihr das Ganze wohl doch zu doof wurde.
      “So ist gut”, lobte Lina, das Pferd steckte ihr ein Leckerli in die Schnauze und überreichte mir den Strick.
      “Vielleicht machst du mit ihr was”, schlug ich vor und schielte zu dem kauenden Pferd neben mir.
      “Ich hätte kein Problem damit, aber ich denke, Lars wäre nicht so erfreut, wenn du dich drückst”, lachte sie.
      „Das werden wir mal sehen“, sagte ich verzückt und zog die Stute hinter mir in den Stall. Teils irritiert, teils neugierig folgte mir Lina. Lars stand bei Vision und verpasste ihm neuen Beschlag.
      „Laaaars“, rief ich mit jämmerlichem Unterton.
      „Was willst du?“, drehte er sich um und stellte den Vorderhuf ab. Vision hob den Kopf, brummte leise die unbeeindruckte Stute an.
      „Du magst mich doch, oder?“, setzte ich ein breites Grinsen auf. Langsam lief ich näher an ihn heran, sodass ich seinen Atem in meinem Gesicht spüren konnte.
      „Da bin ich mir gerade unsicher“, scherzte er und strich mir durchs wirre Haar.
      „Man“, jammerte ich weiter.
      „Na sag‘ schon, was möchtest du schon wieder?“ Seine Hand wanderte vom Kopf abseits zum Hals, als würde er sonst etwas erwarten, weiterhin verführerisch grinsend.
      „Kann Lina nicht den Beritt machen? Ich bin doch immer so doof“, schmollend blickte ich hoch zu ihm, während meine Fingerspitzen sanft über seinen Oberkörper spielten. Er schluckte, aber versuchte, die Fassung zu wahren.
      „Ausnahmsweise, aber“, noch bevor er seinen Satz beenden konnte, löste ich mich von ihm und drückte Lina den Strick in die Hand.
      „Danke“, strahlte ich Lars an und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Mit meiner Kollegin lief ich zur nächsten Putzbucht und befestigte die Stricke seitlich am Halfter.
      “Du weißt schon ziemlich genau, wie man bekommt, was man will, nicht?”, kicherte sie.
      “Man muss sich doch alles offenhalten”, flüsterte ich in ihr Ohr, schließlich sollte die Tratschtante nicht alles mitbekommen.
      “Klug”, nickte Lina und begann damit, das dunkle Fell der Stute vom Staub zu befreien. Im warmen Licht der indirekten Beleuchtung der Bucht tanzten die Körner in der Luft, beinah, als würden sie uns ein Zeichen geben wollen. Nur welches, konnte ich in dem Dreck nicht entnehmen. Stark versuchte ich ein Bild zu erkennen. Von außen wirkte ich wie ein Idiot, dem konnte ich mir zumindest sicher sein.
      “Und was mache ich jetzt?”, fragte ich in den Raum hinein, eher an Lina gerichtet, aber Lars wusste sofort eine: “Du könntest stattdessen was anderes reiten, wenn du dich schon vor der Dicken drückst.”
      Ich rollte mit den Augen. Als wäre ich nicht selbst auf die Idee gekommen.
      “Ich würde ja sagen, du kannst da Pferdchen nehmen, welches ich jetzt eigentlich bespaßen wollte, aber Hanni willst du sicherlich auch nicht”, trug meine Kollegin auch noch mit einer Antwort bei.
      “Neeeeeein, auf gar keinen Fall”, trat einen Schritt zurück, “außerdem ist das dein persönliches Berittpferd. Das mache ich nur kaputt.”
      “Mir leuchtet zwar nicht ein, wie du sie beschädigen solltest, aber dachte ich mir schon, dass diese Antwort kommt”, amüsierte sie sich.
      „Ich mache alles kaputt“, zuckte ich mit den Schultern.
      Aus der Jackentasche zog mein Handy hervor. All die Benachrichtigungen auf dem Sperrbildschirm schob ich zur Seite, bevor ich auf die Stallapp zu griff. Unentschlossen scrollte ich durch die Pferde. Einige hatten Pause, andere standen ohnehin auf der Weide und wieder andere waren, seit dem Mateo hier ist, schon bewegt. Meine Abwesenheit heute erschien mir somit nicht ganz schlüssig. Ich überlegte mir einen freien Tag einzutragen, von dem ich noch genügend hatte.
      „Du kannst auch was mit Osvo machen“, schlug Lars dann noch im richtigen Moment vor.
      „Klingt gut“, nickte ich und holte die Rappstute.
      Als ich zurückkehrte, mit ihr, führte Lina bereits das schwerfällige Pferd auf die Reitbahn. Nour gab parallel Unterricht auf dem barocken Quarter Horse, aber es gab genug Platz, um sich aus dem Weg zu gehen. Ich befreite also den Traber vom Matsch am ganzen Körper. Immer mehr Dreck fiel auf den Boden, als Lars unerwartet mir stand. Vom Schrecken erholte ich mich nach einem kräftigen Atemzug. Erwartungsvoll blickte er zu mir hinunter, als hätte ich etwas Falsches gesagt.
      “Ist es nicht unhöflich, wenn du mich nicht ausreden lässt?”, fragte er mit leiser und ruhiger Stimme. Kurz dachte ich nach, dann fiel mir sein ‘aber’ wieder ein.
      “Als wäre es neu, dass ich dir nur halb zuhöre”, grinste ich.
      “So nicht, Madame”, scherzte er. Schelmisch legte sich ein breites Lächeln auf seine Lippen, an den Wangen bildeten sich kleine Falten und an den funkelnden Augen ebenfalls. Ich schaute ihn gern an. Sein Gesichtsausdruck war ehrlich und stets voller Gefühl. Wüsste ich nicht, wie er sich verhielt und worauf all seine Anstrengung abzielte, hätte ich nie Basti ins Auge geworfen. Natürlich gab dies seiner Anziehungskraft keinen Abbruch, aber ich sah meinen Kollegen als einen engen Freund.
      “Sonst?”, hakte ich provokant nach. Entschlossen legte er seine Hände hinter meinen Rücken ineinander, was mich für einen Moment irritierte, aber schließlich in Sicherheit wog.
      “Sonst brauchst du einige Erziehungsmaßnahmen, die wir allerdings in andere Räume verschieben sollten.”
      “Aha, verstehe. So ist das also”, nickte ich, “aber es scheint mir verschwendete Energie.”
      “Ich möchte, dass du heute Abend mal mehr kochst als Reis oder Pasta”, rückte er mit seiner Forderung heraus.
      “Kann gemacht werden, aber ist es dafür nötig, mir so nah zu kommen?”, skeptisch musterte ich seine Gesichtszüge, die weiterhin mit einem strahlenden Lächeln gezeichnet waren.
      “Sonst hörst du mir doch nicht zu. Außerdem hätte ich dich gern wieder bei mir”, rückte Lars mit dem wahren Grund heraus. Manchmal konnte er verklemmt sein, um seine Wünsche zu äußern.
      “Wir werden sehen”, murmelte ich.
      Schritte näherten sich vom großen Tor und im nächsten Moment löste sich mein Mitbewohner von mir, trat sogar einen Schritt zur Seite. Er verstand genauso gut wie ich, dass solche Situation in der Gerüchteküche kochte. Gerade rechtzeitig. Niklas kam in seiner dunklen Uniform den hallenden Gang entlang, am Auge mit einem Veilchen versehen, aber wirkte sonst außergewöhnlich freundlich gesinnt.
      “Hallo”, grüßte ich höflich und bekam sogar eine Antwort.
      “Hast du Lina gesehen?”, lächelte er. Meine Augen bewegten sich von einer Seite zur anderen. Dabei bemerkte ich natürlich, dass Lars eine Hand neben sich zur Faust ballte und die Arme verschränkte. Ich war es auch nicht mehr gewohnt, dass Niklas Dinge wie ein normaler Mensch sagen konnte.
      “Ähm”, stammelte ich deshalb, bis mein Sprachzentrum mit Blut versorgt wurde, “gleich nebenan auf dem Sand.”
      Niklas bedankte sich und lief an der Bande herum, die Tribüne hinauf.
      “Was denn heute mit dem los?”, wunderte sich auch Lars direkt.
      Ich zuckte nur mit den Schultern.
      “Aber ich werde Osvo nun satteln, nicht, dass du noch auf blöde Ideen kommst”, scherzte ich und folgte Niklas.

      Osvo trat mit großen und gleichmäßigen Schritten voran. Die Zügel lagen auf ihrem Hals und ich blickte auf mein Handy. In der Sattelkammer bekam ich das plötzliche Bedürfnis, Basti zu schreiben, der sogar antwortete. Vollkommen verträumt, bemerkte ich nicht, dass Lina im Trab mir entgegenkam, aber im letzten Moment noch auswich.
      “Tut mir leid”, rief ich ihr noch nach, bevor die Finger wieder über dem Display huschten.
      “Kein Handy am Steuer gilt auch in der Reitbahn”, lacht sie nur im Vorbeireiten und setzte mit dem Panzer weiter über den Sand. Gleichmäßig, wenn auch ein wenig langsam trommelten die Hufe und ließen den Boden erzittern. Osvo zuckte zusammen, aber lief dann im unveränderten Tempo weiter. Lobend strich ich ihr über den Hals.
      “Aber ist wichtig”, redete ich undeutlich vor mich hin, ohne den Blick zu heben. Doch nun bremste mein Pony ab, regte den Kopf über die Bande. Niklas tätschelte sie, als würde er Linas Aussage untermalen wollen. Leicht legte ich die Beine an den Bauch des Pferdes, das sich davon nicht beeindrucken ließ. Ich tippte die Nachricht an Basti zu Ende. Gerade, als ich es wegsteckte, meldete sich das Gerät zurück. Kurz warf ich noch einen Blick darauf, als mir der Mund offen stehen blieb. Etwas überfordert blickte ich von links nach rechts. Wieder rollte das Kettenfahrzeug auf uns zu. So gut ich konnte, drückte ich die Ferse an Osvo, aber Niklas hinderte sie daran, sich zu bewegen.
      “Die Jungs hätten dich gern wieder da. Hast du Zeit nachher?”, stand auf dem Bildschirm. Eigentlich hatte ich welche, wenn nicht Lars schon seinen Wunsch geäußert hätte.
      “Welches Gespenst ist auf deinem Bildschirm aufgetaucht?”, fragte Lina leicht irritiert, als sie die Stute gezwungenermaßen abbremste, da die Stute sich verweigerte erneut auszuweichen. Beinahe so als wüsste sie, dass sie einfach alles umwälzen konnte, was ihr in den Weg kam. Der Rappe legte seine Ohren an und schnappte in ihre Richtung wie eine Schlange.
      “Die Gespenster von gestern, wünschen meine Anwesenheit”, erklärte ich wahrheitsgemäß, aber geheimnisvoll genug, um Niklas aus dem Thema herauszuhalten. Ungefragt würde er sonst seine Meinung freigeben. Endlich reagierte Osvo auf meine Hilfe und zusammen ritten wir im Schritt an.
      “Oh, das ist doch schön. Dann hast du wohl einen guten Eindruck gemacht”, lächelte sie.
      “Aber er sagt, dass sie mich dahaben wollen, nicht er mich”, seufzte ich unentschlossen, schließlich wollte ich Lars nicht versetzen, erst recht, nachdem er mir so entgegengekommen war, dass Lina die Stute bewegen durfte. Außerdem meldete ich vor zwei Tagen auch seine Flamme wieder, die ihn von einem auf den anderen Tag versetzt hatte. Ich spürte, dass ihn das verletzt hatte, auch, wenn Lars sich nicht eingestehen wollte. Wieder kamen so viele Dinge aufeinander, die mich mit den Pferden fühlen ließ.
      “Ach Vriska, vielleicht ist das einfach seine Art sich auszudrücken. Manche sind nicht gut darin, offen zu kommunizieren, was sie wollen”, versuchte sie mich aufzumuntern.
      Ich stimmte ihrer Aussage zu. Die Zügel zog ich vorsichtig nach und begann mit Osvo zu arbeiten. An den kurzen Seiten nahm ich sie im Tempo deutlich zurück, setzte mich dabei auf den dritten Hufschlag, um Lina nicht noch mehr zu behindern. Fest in meinem Element drängten sich die Gedanken rund um das Abendprogramm in den Hintergrund. Stattdessen dachte ich an das Hofturnier, das Eskil erwähnt hatte. Bisher stand nur Happy auf dem Plan, aber Osvo könnte in einer Anfänger-Prüfung ein ebenso schönes Bild hergeben. Um mich darin zu bestärken, trabte ich den Rappen an und ritt verschiedene Bahnfiguren. In den Biegungen kam sie schön an den Zügel heran. Ihren Kopf trug Osvo in aktiver Haltung und trat unter den Schwerpunkt.
      So sehr vertieft in die Einheit, bemerkte ich nicht, dass Lina die Bahn verließ. Auch Niklas stand irgendwann nicht mehr am Rand. Zum Schluss galoppierte ich noch am lockeren Zügel mehrere Runden, bevor ich im Schritt draußen abritt.
      Ich zog mein Handy wieder heraus.
      „Es tut mir leid, aber heute Abend ist schlecht“, antwortete ich Basti. Sein Status wechselte sofort.
      „Schade. Bist du Freitag da?“, erkundigte er sich jedoch.
      „Ja“, tippte ich nur.
      „Ok“, kam es als Antwort, dann ging er offline.
      Von mir folgten noch weitere Nachrichten, die jedoch unbeantwortet blieben. War es falsch, das Treffen abzusagen?
      Enttäuscht von mir selbst, steckte ich das Handy zurück und versuchte bei der kleinen Runde um den Hof, wieder auf andere Gedanken zu kommen, aber im Vergleich zu vorher, schwebte nun Schuld und Reue in der Luft. Natürlich dachte man noch intensiver daran, wenn man versuchte, einen bestimmten Gedanken aus dem Kopf zu schieben. Als ich noch sah, dass Lina sich von Niklas am Auto verabschiedete, mit einem innigen und intimen Kuss, wurden meine Augen glasig. Mein Blick senkte ich auf den wippenden Mähnenkamm. Osvo kümmerte das alles nicht. Sie als Pferd kannte die Sorgen nicht, die mich tagtäglich beschäftigten, als diese Belastung auf den Schultern zu haben. Stattdessen musste sie mich tragen, meine Unfähigkeiten als selbstverständlich erachten.

      Eine Weile zog ich die Melancholie mit mir, die Augen immer wieder auf dem Sperrbildschirm. Keine Nachricht, kein Lebenszeichen. Es schien beinah, als hätte es unseren Kontakt zueinander nie gegeben. Osvo stand schon lange wieder auf dem Paddock. Die Sonne nährte sich dem Horizont und demnächst würde der kleine Lebensmittelladen ein Dorf weiter schließen, in dem ich noch einkaufen gehen wollte. Gefüttert hatte ich die Pferde und somit nun Feierabend. Lina lief gerade zur Hütte, als ich sie abfing. Mit wenigen Worten überzeugte ich sie mich zu begleiten.
      “Ich habe Basti abgesagt”, seufzte ich und öffnete ihr die Beifahrertür.
      “Weswegen das denn?”, wollte sie wissen, bevor sie hineinkletterte.
      “Lars hat sich gewünscht, dass ich heute richtig für ihn koche, und es fühlte sich nicht richtig an, ihn für einen Typen zu versetzen”, erklärte ich aufrichtig. Die Tür schloss ich leise hinter ihr und stieg selbst auf der anderen Seite ein. Ich drehte den Schlüssel. Der kleine rote Golf sprang zuverlässig an und setzte sich in Bewegung.
      “Okay, das ist nachvollziehbar”, äußerte sie nachdenklich, “gerade, weil das ja noch recht neu mit dir und Basti ist.”
      “Von Lars weiß ich wenigstens, dass er gut im Bett ist”, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen, auch wenn mir schon bei dem Gedanken etwas warm ums Herz wurde.
      “Das ist auch eine wichtige Eigenschaft, die es nicht zu vernachlässigen gilt”, grinste sie.
      “Er weiß wirklich mit seinem Werkzeug umzugehen“, setzte ich eins obendrauf, „also, wenn er nur … etwas weniger Lars wäre. Ach, ich weiß auch nicht. Kennenlernen ist blöd.“
      “Aber um das Kennenlernen kommt man nun mal nicht herum, aber das wird schon noch mit Basti und dir”, sprach sie optimistisch.
      “Und dann wird es wie mit Erik“, stellte ich die bloße Behauptung auf und seufzte aus tiefen Herzen.
      “Es läuft doch nicht immer so unvorhersehbar schlecht”, versuchte sie mich aufzumuntern.
      Wir kamen im Nachbardorf an, gerade noch rechtzeitig, denn die ältere Dame war bereits am Aufräumen. Schnell huschten wir hinein.
      “Lina, möchtest du mit uns heute essen?”, rief quer durch den kleinen Laden, als ich die verschiedenen Gemüsearten in den Korb packte.
      “Ja, gerne”, erklang sogleich eine Antwort. Ich packte von allem das Doppelte ein und schon nach zehn Minuten waren wir bereit. Im Stoffbeutel befanden sich Obst und Gemüse für einen Salat und warmen Auflauf, nichts Besonderes, aber für uns alle ein guter Kompromiss.
      Zurück am Hof räumten wir unsere Sachen und liefen direkt zu mir. Lars saß auf der Couch, schaute ein Fußballspiel und fluchte unverständlich. Als er uns bemerkte, schaltete er sofort das Gerät aus und setzte sich an den Tisch.
      “Endlich, ich dachte, ich muss sterben vor Hunger”, scherzte Lars, dass wir noch einen Gast hatten, kritisierte er nicht. Stattdessen wirkte er froh, nicht mit mir allein zu sein. Ich räumte den Beutel auf der Platte aus, um die einzelnen Zutaten zu präsentieren.
      „Und Lina, wie hat die Minelli gefallen?“, fragte er schließlich.
      “Eigentlich ziemlich gut, nur an der Motivation lässt sich noch arbeiten”, erzählte sie ihr Fazit.
      “Da kenne ich noch jemanden”, schielte er zu mir.
      “Sei du mal ruhig”, quietschte ich angefressen und begann die Kartoffeln anzuschneiden in Fächerform. Sie bildeten die Grundlage des Auflaufs. Der Ofen heizte bereits vor.
      “So wenig macht sie doch gar nicht”, verteidigte Lina mich.
      “Das sagst du so”, schmunzelte Lars, wie mit sich selbst zufrieden, und hob ein wenig seinen Kopf, nickte, als bestätigte er selbst einen Gedanken. Manchmal konnte er der größte Arsch auf dieser Welt sein.
      „Ich gehe gleich zu Basti, wenn du so weitermachst“, fauchte ich vor Zorn und Verzweiflung. Dabei rutschte mir das Messer von der Kartoffel, geradewegs in den Finger. Leiste fluchte ich und hielt diesen unter kaltem Wasser, das im Becken eine rote Färbung annahm.
      “Brauchst du ein Pflaster oder so?”, fragte Lina fürsorglich und betrachtete die Situation argwöhnisch. Aber bevor ich überhaupt antworten konnte, erhob sich Lars aus dem Stuhl, lief ins Bad und brachte ein Pflaster. Die Wunde tupfte ich mit einem Küchentuch ab, das in greifbarer Nähe lag. In chirurgischer Genauigkeit legte er mir den Schutz auf, stand dafür dicht neben mir, dass sein neues Aftershave in der Nase kitzelte. Bereits im Stall war mir der neue Geruch nicht entgangen, obwohl ich versuchte jedem seiner Reize zu widerstehen. Doch wie ein verletztes Tier suchte, ich mich in Sicherheit, funkelte ihn mit weiten Augen an.
      „Das wird wieder“, sprach er absichtlich leise, um meine Sinne noch mehr zu fordern. Für Sekunden blickte ich tief in das Grün seiner Augen, bevor ich mich schnell abwendete und wieder zu den Kartoffeln lief. Das rege Klopfen in meiner Brust bemerkte ich natürlich.
      Die restlichen Zutaten schnitt ich ohne weitere Unfälle und schließlich war alles so weit vorbereitet, dass es in den Ofen konnte und das Dressing im Kühlschrank sich entfaltete. Lina und Lars hatten ein gemeinsames Thema gefunden – Pferdezucht, genauer gesagt, Farbzucht. Dabei drehte es sich um das Weiß, das ihre Tiere trugen. Meine Kollegin zeigte dabei deutlich mehr Fachwissen als er. So hing er förmlich an ihren Lippen und starrte sie an, als wäre Gott persönlich im Raum. In dem Moment wurde ich mir bewusst, dass unsere Verbindung überhaupt keine war, sondern seine Art im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Etwas enttäuscht ließ ich mich auf den Stuhl neben ihm fallen und holte zum wiederholten Mal das Smartphone heraus, das noch immer keine Nachricht von Basti empfangen hatte. Leer fixierte ich den Chat, als würde sie etwas ändern. Nichts passierte. Ich setzte zu einer Nachricht an, ob ich etwas Falsches geschrieben hätte, aber löschte sie direkt wieder. Es war nicht mein erster Versuch, bei ihm nachzuhaken, weshalb er mich ignorierte.
      „Was bewegt dich schon wieder, Basti?“, fragte die Kleine freundlich nach, bei der meine Stimmung nicht unbemerkt blieb.
      „Lina, ich kann dir sagen, egal was ist – Ihr Leben dreht sich nur noch um den“, antwortete Lars stattdessen mit einem Augenrollen. Er lehnte sich nach hinten in den Stuhl und verschränkte die Arme. „Lade ihn doch ein, bei Martin wird er ohnehin nur herumsitzen.“
      „Woher“, noch bevor ich die Frage beendete, beantwortete sich das von selbst. Mir fiel wieder ein, dass er mit der Truppe befreundet war oder wie auch immer man diese Zusammensetzung bezeichnete. Vermutlich fragte man ihn auch, ob er vorbeikommen wollte. „Nein, morgen ist Renntag.“
      „Ja, und?“, zuckte Lars mit den Schultern.
      „Ich möchte morgen fit sein“, erklärte ich.
      „Warum solltest du nicht? Denkst du etwa, er wird es die ganze Nacht mit dir treiben?“, zwischen den Zeilen hörte ich heraus, dass Lars eifersüchtig war oder etwas Ähnliches. Freundlich gesinnt kam seine Aussage nicht.
      „Nein, aber ich würde gerne schlafen und nicht ganze Nacht an ihn denken“, seufzte ich.
      „Deswegen kommst du auch heute zu mir unter die Decke“, schmunzelte er.
      „Okay“, zuckte ich mit den Schultern.
      „Na, ob das hilft … “, murmelte Lina vor sich hin. In der Art wie ihre Augen zwischen uns Hin und Her huschten, wurde deutlich, dass ihr nicht wirklich behagte dieser Diskussion beizuwohnen. Um ihr den faden Beigeschmack zu nehmen, lächelte ich sie an. So ganz zufrieden war sie jedoch nicht und ich entschied, mit ihr vor die Tür zu gehen. Vom Haken ergriff ich die erstbesten Jacken, die in ihrem Fall ein dicker Packer von Lars war. Damit würde sie wenigstens nicht erfrieren. Dog war bei meinem Bruder, somit bedarf es keiner abendlichen Runde durch die Dunkelheit.
      „Wann ist denn das Essen fertig?“, rief uns der Herr der Schöpfung noch nach. Ich streckte den Kopf durch die halb geöffnete Terrassentür.
      „Zehn Minuten, höchstens zwanzig“, erklärte ich.
      „Dann kann ich noch Duschen gehen?“
      Ich nickte und schloss die Tür.
      Lars‘ Schlappen standen noch auf der Fußmatte und ich schlüpfte in die kalten und feuchten Schuhe. Lina kämpfte währenddessen damit, den Reißverschluss bis zum Kinn zu bekommen. Bevor ich die Zigarette anzündete, half ich ihr kurzerhand.
      „Wir sind nur Freunde“, erklärte ich unbestimmt und klickt das Feuerzeug, die Hand schützend an der Flamme. Mittlerweile konnte selbst ich mir nicht mehr erklären, wieso ich Zeichen unklar sendete. Tage wie diese waren der Grund für mein Buch, mir klar zu werden, wieso ich etwas tat oder eben nicht. Es könnte so viel einfacher sein, wenn ich Lars’ Flirt-Versuche als jene belassen würde, die Schmeichelei ignorierte. Aber ich hatte Spaß dabei und war mit Basti auf keiner Ebene unterwegs, in der man es als Vertrauensbruch ansehen würde. Wieder seufzte ich, schielte durch die große Glasfront in den Wohnraum. Das Deckenlicht brannte, im Ofen kochte der Auflauf vor sich hin. Stillstanden Stühle um den Birkentisch herum und auf der Couch lag mein Laptop zusammengeklappt, auf einer blau karierten Decke. Es könnte schön sein, wenn ich in all der Zeit am Hof nicht ständig den Mitbewohner wechseln müsste. Mit Lars war es nett, aber eben nicht idyllisch.
      “Nur Freunde? Und deswegen wirkt Lars wie ein Löwe, dem man sein Revier streitig macht”, argwöhnte sie, “Ihr zwei seid verwirrend.”
      “Samu war auch nicht begeistert von Niklas”, erinnerte ich Lina.
      “Ich sage ja schon gar nicht mehr”, gab sie klein bei, “du wirst wissen, was du tust.”
      “Wie geht es mit dem jetzt eigentlich weiter? Das Hüttchen wirkt ziemlich einsam”, bemerkte ich beiläufig.
      “Ist es auch. Keine Ahnung, wo genau er aktuell steckt, aber langfristig sucht Niklas etwas in der Stadt”, seufzte sie, den Blick zum Boden gerichtet. Auch wenn ihre Finger in den langen Ärmeln versteckt lagen, war ich mir sicher, dass sie wie so häufig etwas Greifbarem suchten.
      “Eigentlich wünscht er auch, dass ich mitkomme … ”, deute die Zweifel ihrerseits an.
      „Aber? Ein Auto lässt sich doch kaufen, oder Fahrrad“, irritiert runzelte ich die Stirn, „du musst nicht am Hof wohnen, um hier zu arbeiten.“
      “Ja, ich weiß doch. Irgendwas daran … beängstige mich”, versuchte sie zu erklären. “Ach man, das klingt doch jetzt komplett dämlich. Ich wechsle von heute auf morgen das Land, trau mich aber nicht in die Stadt zu ziehen”, schob sie leicht jammenden hinterher.
      “Kalmar? Das ist doch kein Vergleich mit Stockholm”, scherzte ich und nahm den letzten Zug von der Zigarette, die schon am Filter kratzte. Mit einem Schritt stand ich bei dem Aschenbecher und drückte sie aus. In Linas Augen funkelte es bereits, der Gedanke, dass im Inneren nicht nur wärmer war, sondern auch das Essen wartete.
      “Das ist aber schon deutlich mehr als das nirgendwo”, beschwerte sie sich. Augenscheinlich konnte sie sich selbst, nicht mehr ernst nehmen, denn in ihren Mundwinkeln zuckte ein selbstironisches Schmunzeln.
      “Zwingt dich doch keiner zu Hause herumzusitzen”, lachte ich. Die Tür zog ich hinter uns zu und brachte die Jacken parallel zum Haken. Aus dem Bad tönte das Plätschern der Dusche, untermalt mit lieblichen männlichen Klängen, die ich so nicht erwartet hatte. Kurz stoppte ich, aber Linas Blick erinnerte mich an das Abendessen.
      “Sag’ ich doch, ich bin lächerlich”, grinste sie schief und ließ sich auf einen Stuhl nieder.
      “Nein, so ist das nicht. Du fühlst dich nur der Herausforderung nicht gewachsen, mit deinem Partner zusammenzuziehen, weil das bedrohlich endgültig sich anhört und fühlt”, gab ich mir Mühe, die Situation möglichst neutral zu betrachten.
      “Ja, genau das ist es, denke ich”, überlegte sie einige Sekunden und nickte schließlich bestätigend.
      Ich lief hinüber zum Ofen, stellte den Regler auf 0 und holte die heiße Auflaufform heraus. Um die Tischplatte zu schützen, platzierte Lina bereits ein Brettchen darauf. Im selben Moment kam Lars heraus, einzig ein Handtuch um die Hüfte und trocknete sich das Haar ab. Für einen wirklich kurzen Augenblick wurden die Knie weich. Aber als Sauerstoff durch meine Lungenflügel strömte, kam ich wieder zu Verstand.
      “Essen ist gerade fertig geworden”, berichtete ich fröhlich.
      “Perfekt, dann ziehe ich mir etwas über”, drehte er sich um.
      “Musst du nicht”, kam ein unbedachter Kommentar über Linas Lippen. Noch im selben Moment wie sie merkte, was sie da eigentlich sagte und vor allem zu wem, biss sie sich von Pein ergriffen auf die Lippe und ihre Gesichtsfarbe wechselte zu Tomatenrot. Er sah über Schulter hinweg zu mir, denn sie saß außerhalb seiner Sichtweite. Ich zuckte nur mit den Schultern. Augenblicklich drehte er um und kam zurück.
      “Ich dachte tatsächlich, es stört dich. Aber gut, dann kann ich trocknen”, grinste Lars und setzte sich ihr Gegenüber auf den freien Stuhl. Es fehlte nur noch der Salat auf dem Tisch, den ich umgehend dazu stellte. Damit konnten wir Essen.
      “Nein, alles gut”, murmelte sie noch immer peinlich berührt und schaufelte sich etwas von dem Grünzeug auf den Teller.
      Stunden saßen wir noch am Tisch, leerten schließlich nach dem ersten Bier noch eine Flasche Wein, die ich aus den Tiefen des Regals fand. Jahrgang 2017, also ein beinah edler Tropfen. Nicht nur meine Knie wurden weicher, sondern auch die Zunge lockerer. Ebenso konnte ich mein Chaos innerlich nicht mehr zurückhalten und saß mittlerweile auf Lars’ Schoß, eine Arme fest um mich geschlossen und sein Kopf schützte auf meiner Schulter. Währenddessen schaute ich immer wieder auf mein Handy, schließlich konnte man nie wissen, ob nicht doch noch, die ersehnte Nachricht eintrudeln würde. Jedes Mal, wenn ich den Bildschirm zurück auf die Tischplatte, löste sich ein leichtes Seufzten von meinen Lippen.
      “Er wird schon noch merken, was er verpasst”, flüsterte Lars mir ins Ohr und legte einen sanften Kuss auf meinem Hals. Kaum hörbar schlich sich ein Stöhnen nach draußen, das im Atem bebte und eher, wie ein Brummen klang. Natürlich befeuerte es ihn noch mehr, aber als Lina aufmerksam wurde, hörte er auf. Dass es ihm dennoch ernster wurde, spürte ich sofort.
      “Ich kann auch gehen, wenn ihr lieber allein wärt”, bot sie schmunzelnd an.
      Lars wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, aber bekam von mir den Ellenbogen an die Brust.
      “Nein, alles gut. Der Herr kann nur seine Hormone nicht zügeln”, sprach ich leicht zittrig. Mir schwebte der Gedanke vor dem inneren Auge, was passieren könnte, wenn sie nicht da wäre. Ich wollte das nicht, also schon, aber nein.
      “Na dann”, grinste sie und lenkte das Thema schließlich auf ein anderes Thema, “Mit wem fährst du morgen eigentlich?”
      “Zuerst mit Humbria und dann noch mit Wunder auf der Langstrecke”, erklärte ich. Schon wieder fast verdrängt, kam mir die Rennbahn in den Kopf, Basti. Hektisch drehte ich das Handy, keine Nachricht.
      “Oh, mit Pilzi, wie schön. Dann wünsche ich euch viel Erfolg morgen”, freute sich meine Kollegin. Obwohl sie kaum mit der dunklen Stute in Kontakt stand, fand sie diese unheimlich interessant. “Übrigens, ich glaube nicht, dass du eher eine Nachricht erhältst, nur weil du dein Handy regelmäßig anstarrst. Mach’ dich nicht verrückt, du siehst ihn morgen doch sicher”, lächelte sie aufmunternd.
      “Ich weiß nicht genau, schließlich fahren wir morgen nach Halmstad”, informierte ich sie.
      “Ach so ist das”, nahm sie die Information zur Kenntnis, “aber lässt sich das theoretisch nicht herausfinden?”
      “Bisher hatte ich Angst nachzuschauen, aber er fragte, ob ich Freitag da bin. Ich bin bisher von Halmstad ausgegangen, denn Romme und Bollnäs sind ziemlich weit weg, für ein paar Starts”, seufzte ich.
      “Warte, du bist noch tiefer in der Materie, als ich dachte”, sprach Lars fasziniert und strich weiter mit seinen Fingerspitzen über meinen Oberschenkel, “langsam tut es mir leid, dass er es nicht zu schätzen weiß. Selbst Papa würde dich seit Stunden zuquatschen.”
      “Dass er gefragt hat, kann man doch als gutes Zeichen sehen, wenn die anderen Orte so ungünstig gelegen sind, wie du sagst”, sprach Lina zuversichtlich.
      “Kommst du mit?”, fragte ich gähnend.
      “Ja, gerne. Ich muss nur mit Sam noch mal abklären, wann sie kommen wollte, morgen, weil sie meinte irgendwas von spät”, überdachte sie ihren Zeitplan.
      “Wir sollten gegen achtzehn Uhr zurück sein”, erläuterte Lars. Einen kurzen Augenblick tippte sie auf ihrem Handy umher, schien etwas nachzusehen und tippte kurz.
      “Das sollte passen”, sprach sie schließlich als der Bildschirm erlosch.
      „Nun“, wieder gähnte ich, allerdings länger als zu vor und steckte auch Lars damit an, „sofern du uns nicht Gesellschaft in der Nacht leisten möchtest, wäre Bettchenzeit.“
      Ich lehnte mich noch weiter zurück, sodass ich einen ziemlich bequemen Punkt an seiner Schulter fand. Dabei fiel mir die Uhrzeit ins Auge, die mich daran erinnerte, dass ich seit zwei Stunden schlafen wollte. Blöd gelaufen. Um sechs Uhr klingelte der Wecker, doch glücklicherweise war der Transporter, bis auf wenige Sachen, bereits vorbereitet.
      „Nein, danke. Ich gehe lieber in mein eigenes Bettchen“, lehnte sie ab und erhob sich gemächlich, „Also dann, Gute Nacht.“
      “Verstehe ich gar nicht“, grinste mich Lars an. Lina zog sich ihre Jacke an und ich erläuterte ihr nebenbei die Zeitplanung. Obwohl ich ihren Gesichtsausdruck nicht sehen konnte, schwebten förmlich ihre Zweifel zur Zusage in der Luft. Höflich, wie sie war, sprach sie diese nicht aus, sondern nahm schweigend die Tatsachen hin, ich brachte sie noch zur Tür, während Lars zum Bett torkelte. Eine Jacke zog ich mir nicht über, stand also zitternd im Freien, um noch eine zu rauchen und ihre Ankunft in den eigenen Vierwänden genau zu inspizieren. Als ihre Tür zu viel, konnte ich mir sicher sein, dass alles okay war.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 38.662 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte März 2021}
    • Mohikanerin
      Dressur A zu L | 30. Oktober 2022

      Osvominae / HMJ Holy / Ruvik / Harlem Shake LDS / Drivblesa

      Zum Ausgleich wurden einige Pferde heute in der Halle bewegt. Um die Pferde auf den aktuellen Trainingsstand zu kontrollieren, standen wir am Rand. Auf dem Sand bewegten sich Osvo, Blessa und Shaker. Für den Anfang hatte der Fuchshengst Probleme zwischen den Stuten, aber war nach wenigen Minuten kooperativ und lag gut an den Hilfen. Die Lektionen im Anfänger und leichten Niveau bewegten sich im sicheren Bereich, sodass nur Blessa durch ihre Unwilligkeit herausstach. Osvo war ohnehin gut ausgebildet und schon lange unter dem Sattel. Später nahmen wir noch Ruvik und Holy an die Doppellonge, um dieselben Lektionen vom Boden zu erarbeiten. Die Stute zeigte sich unmotiviert, aber mit einem dicken Bauch hätte auch ich keine Lust auf schweißtreibende Arbeit. Der gescheckte Kladruber hingegen arrangierte sich mit der Situation, obwohl er stets dem Menschen skeptisch gegenüber war.

      © Mohikanerin // 886 Zeichen
    • Mohikanerin
      Dressur L zu M | 30. November 2022

      Osvominae / Ruvik / Waschprogramm / Connerys Brownie

      Nach einem aufreibenden Vormittag nahm ich mir die Zeit den gepunkteten Hengst vom Paddock zu holen. Neugierig spitzte er die Ohren und folgte mir am Strick. Im Stall putze ich ihn, um ihn zu satteln und auf dem Platz dazuzustoßen, während Osvo bereits trainiert wurde. Nebenan longierte auch mein Chef den schwierigen Hengst. Mit klaren Hilfen bewegte ich das Pferd durch den Sand, nahm immer wieder die Unterstützung meines Kollegen an, der mit der Rappstute bereits sicher das mittlere Niveau beherrschte. Auch Brownie, der arbeitet wurde, lief klar. So scheiterte es nur an mit mir und Waschi. Im Laufe der Stunde wurde es besser, sodass wir mit Erfolg abschlossen.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 670 Zeichen
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  • Album:
    stall.
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    Mohikanerin
    Datum:
    10 Juni 2022
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    EXIF Data

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  • Osvo ist 16 Jahre alt.

    Aktueller Standort: Lindö Dalen Stuteri, Lindö [SWE]
    Unterbringung: Stutenpaddock


    –––––––––––––– s t a m t a v l a

    Aus: Unbekannt [Traber (SE)]
    MMM: Unbekannt ––––– MM: Unbekannt ––––– MMV: Unbekannt
    MVM: Unbekannt ––––– MV: Unbekannt ––––– MVV: Unbekannt


    Von: Unbekannt [Traber (US)]
    VMM: Unbekannt ––––– VM: Unbekannt ––––– VMV: Unbekannt
    VVM: Unbekannt ––––– VV: Unbekannt ––––– VVV: Unbekannt



    –––––––––––––– h ä s t u p p g i f t e r

    Zuchtname: Osvominae
    Rufname: Osvo
    Farbe: Rappe
    [Ee aa]
    Geschlecht: Stute
    Geburtsdatum: Mai 2005
    Rasse: Standardbred [STB]
    Stockmaß: 159 cm

    Charakter:
    ruhig; zuverlässig; geduldig

    * Probleme mit der Balance (gebogene Linien)

    * lief Trabrennen; in Rente
    * 3 Gänger


    –––––––––––––– t ä v l i n g s r e s u l t a t

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    Dressur M [M] – Springen E [E] – Fahren A ['S] – Rennen M [M] – Distanz E [A]

    März 2023 Internationaler Renntag, Rennen L zu M

    Ebene: National

    Juni 2022
    Training, Dressur E zu A

    Juli 2022
    1. Platz, 672. Springturnier
    3. Platz, 675. Springturnier
    1. Platz, 677. Springturnier

    August 2022
    Dressurfahren, Fahren E zu A
    1. Platz, 562. Fahrturnier

    September 2022
    1. Platz, 686. Springturnier
    1. Platz, 565. Fahrturnier
    1. Platz, 567. Fahrturnier
    1. Platz, 548. Distanzturnier
    1. Platz, 569. Distanzturnier
    Tempofahren, Rennen E zu A

    Oktober 2022
    1. Platz, 593. Rennen
    Training, Dressur A zu L

    November 2022
    2. Platz, 679. Dressurturnier
    Training, Dressur L zu M

    Dezember 2022
    1. Platz, 682. Dressurturnier


    –––––––––––––– a v e l

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    Gekört durch SK483 im Dezember 2022.

    Zugelassen für: Traber aller Art; Barock-Reitpferd; Cruzado Iberico; Internationales Oldenburger (Springpferd); Mecklenburger
    Bedienung: -
    DMRT3: CC
    Lebensrekord: -
    Leihmutterschaft: 269 J. [Kein Verleih!]

    Fohlenschau: 0,00
    Materialprüfung: 0,00

    Körung
    Exterieur: 6,24
    Gesamt: 7,12

    Gangpferd: 0,00


    –––––––––––––– a v k o m m e r

    Osvominae hat 3 Nachkommen.
    • 2011 About Amber (von: Saturn) – SWB
    • 2014 Alfa Flamel (von: Sisko)
    • 2016 Alfa Psycho (von: Meltdown)


    –––––––––––––– h ä l s a

    Gesamteindruck: gesund, im Training
    Krankheiten: verheilter Sehnenschaden
    Beschlag: Barhuf


    –––––––––––––– s o n s t i g e s

    Eigentümer: Lars Alfvén [50%], Bruno Alfvén [50%]
    Bezugsperson: Lars; Vriska
    Züchter: SK Stuteri, Malmö [SWE]
    VKR / Ersteller: Mohikanerin

    Punkte: _gekört

    Abstammung [0] – Trainingsberichte [6] – Schleifen [12] – RS-Schleifen [0] – TA [2] – HS [0] – Zubehör [2]

    Spind Hintergrund