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Mohikanerin

// Northumbria [1]

a.d. unbekannt, v. unbekannt | _zw111

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// Northumbria [1]
Mohikanerin, 15 März 2021
Stelli, Cascar, MeisterYoda und 7 anderen gefällt das.
    • Mohikanerin
      Nationalteam VII | 21. März 2021
      Nurja // HMJ Divine // El Pancho // Look at my Hair // Promise Of Sundance
      Satz des Pythagoras // Northumbria // Snúra


      Vriska
      Die Reitstunde heute stellte sich als deutlicher anstrengender heraus, als ich gedacht hätte. Auch als ich zu Nurja guckte, die müde neben mir herlief, zeigte sich das Training. Es war leichter eine nasse Stelle an der Stute zu finden, als eine trockene. So folgte ich Lina in den Stall, in dem wir zuerst das ganze Zubehör abnehmen und noch einmal über die Pferde putzten.
      “Das war heute richtig gut mit Ivy. Mit etwas mehr Übung wird er nirgendwo mehr nachlaufen”, sagte ich. Dann biss ich mir auf die Zunge, da mir wieder einfiel, was Lina mir gestern berichtet hatte. Schließlich wollte sie einen neuen Weg gehen und den erst mal ohne ihr Pferd, soweit ich das verstanden habe.
      “Ja, das wird es den anderen leichter machen, mit ihm zu arbeiten, wenn ich weg bin”, antwortete sie ein wenig traurig. “Aber du sahst heute auch nicht schlecht aus. Schonmal überlegt öfter Warmblüter zu reiten?”, fügte sie dann hinzu.
      “Wenn’s dir bei uns gefällt, kann Ivy sicher nach kommen”, versuchte ich sie aufzumuntern und auch ihr Hengst stupste sie an der Schulter an. Wir lachten. Über das zweite musste ich nachdenken, weil Dressur war für mich immer nur das Mittel zum Zweck, nie etwas ernstes.
      “Nog… Auf dem Hof reite ich auch die Traber, weil wir kaum Isländer haben. Die sind alle aber so groß und werden unter dem Sattel nur korrigiert für die Rennen.”, gestand ich ihr dann.
      “Eigentlich Schade, ich glaube mit einem Pferd wie ihr, könntest du einiges hermachen”, antwortete sie und deutet auf die braune Stute.
      “Du kennst unsere Breds nicht, wirst schon sehen, was die darauf haben! Besonders Snow ist eine ganz andere Nummer. Für Rennen ist die Stute eher weniger geeignet, dafür springt sie sehr gut mit viel Feingefühl und Achtsamkeit”, schwärmte ich von der Schimmelstute, die vor einigen Wochen erst am Hof ankam.
      “Dann freu ich mich sie bald kennenzulernen”, sagte Lina lächelnd. Ich antwortete ihr nicht, sondern dachte nur wieder daran, wie es weiter gehen würde. Als die Freiberger aufgefressen hatten, kamen sie noch unter die Dusche.
      “Was machst du heute noch?”, fragte ich dann als wir die Pferde wegbrachten.
      “Luchy meinte nach dem Unwetter gestern müssen die Zäune kontrolliert werden, vor allem die Sommerkoppel oben am Waldrand. Eigentlich wollte ich mir gleich Pancho schnappen und das erledigen, schließlich sollen die Pferde bleiben, wo sie sind”, erklärte sie ihre Pläne.
      “Wer oder was ist Pancho?”, antwortete ich interessiert.
      “Pancho ist sozusagen Divines pferdiger Kumpel, ein ganz freundliche Kanbstrupper. Oh, wo wir beim Thema Divine sind, es kommt ja gleich noch der Osteo. Mal schauen, wie lang es dauert, im Zweifel müssen die Jungs den Zaun halt allein kontrollieren”, sagte Lina und strich über das nasse Fell von Divine. Unter dem hellen Fell kamen lauter dunkle Punkte zum Vorschein.
      “Okay, dann werde ich mich mal verabschieden und wünsche dir viel Erfolg. Wenn du dann fertig bist, kannst du gern zu mir kommen. Wir müssen dir dann noch zusammen ein Profil am Hof anlegen”, sagte ich zu ihr, drückte Nurjas Halfter in ihre Hand und ging zur Hütte.
      Dort ging ich erst mal Duschen. Die Temperaturen sind wieder extrem gestiegen und die schwüle Luft dominierte noch immer. Mein Geruch stieg mir in die Nase und ekelte mich. Direkt warf ich das T-Shirt und auch mein nicht notwendiger BH auf den Wäschehufen.

      Lina
      Divine stellte ich vor dem Stall ab und räumte Nurjas Halfter weg. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass der Osteo jede Sekunde da sein müsste. Jetzt ist nur noch die Frage wo Niklas mit seiner Stute abgeblieben ist. Auf den Hof sah ich ihn nicht, also beschloss ich im Stall nachzusehen.
      “Niklas, bist du hier?”, rief ich durch die Stallgasse, bekam aber keine Antwort. Von seinem Pferd war auch weit und breit keine Spur. Also muss ich wohl weitersuchen. Auf der Koppel wird sein Pferd vermutlich nicht sein, schließlich hatte ich ihm gesagt, wann der Termin ist. Viele Möglichkeiten gab es nicht, schließlich konnten sich ein Pferd und ein Mann sich nicht einfach auflösen. Ich ging um das Gebäude herum, denn war ein Stück Wiese, wo alle auf dem Hof gern ihre Pferde grasen ließen. Da stand Niklas auch und ließ Smoothie ein paar Grashalme rupfen.
      “Hier steckst du also”, sagte ich und ging auf ihn zu. “Die Ostheopartin ist gleich da”.
      “Godmorgon, erst mal”, ging Niklas nicht weiter auf mich ein und gab mir einen Kuss auf Stirn. Interessierte folgte Smoothie ihm. Dann sprach er weiter: “Kleines, ich kann die Uhr. 5 Minuten sind noch Zeit.”
      “Ok, du hast ja recht, ich bin mal wieder überpünktlich”, sagte ich und streichelte Smooth freundlich, die Interessiert an mir schnüffelte. “Übrigens ich habe gestern mit Vriska gesprochen. Ich kann auf dem LDS wohnen und arbeiten”, berichtete ich über das Gespräch der gestrigen Nacht.
      “Super. Zum Lindö Dalen Stuteri fahre ich vom Hof aus ungefähr 20 Minuten. Dann können wir uns nach dem Training sehen.”, antwortete Niklas begeister und umarmte mich.
      “Das klingt wundervoll”, nuschelte ich an seiner Brust.
      Unsere Zweisamkeit wurde durch das Klingeln meines Handys unterbrochen. Es war Mrs. Smith, die Osteopathin.
      “Hallo”, ging ich ran.
      “Also Miss Valo, ich bin jetzt da und ihr Pferd auch. Ist nur die Frage wo sind sie?”, fragte sie ein wenig verwundert.
      “Ich bin sofort bei ihnen”, sagte ich und legte auf.
      “Niklas, wir müssen los, Mrs. Smith ist da”, verkündete ich, bevor ich loslief.
      “Nog, dann los!”, kam es und er lief mit seiner Stute im Schritt los. Als ich nachlief, fiel direkt auf, dass Smoothies Sprunggelenk auf der rechten Seite bei dem Schritt hängenblieb und sie deutlich vor dem Schwerpunkt abfußte.
      Keine Minute später wir dann auch wieder vor dem Stall angekommen.
      “Guten Morgen, Mrs. Smith”, begrüßte ich die Frau freundlich und reichte ihr die Hand. “Ich hatte ihn ja, bereits geschrieben, dass ich heute noch eine Patientin für sie habe. Das ist Herr Olofsson mit Smoothie”, stellte ich dann noch meine Begleitung vor. Auch Nikals begrüßte sie freundlich, bevor er Smooth anband.
      “Ein prächtiges Tier und gut im Training wie ich sehe”, lobte sie die Stute, als sie einen ersten Blick darauf warf.
      “Aber lasst uns erst mal mit Divine beginnen. Wie ich sehe, hat er sich prächtig entwickelt. Hab ihr noch irgendwelche Probleme?”, fragte sie, während sie begann Divines Problemzonen abzutasten.
      “Bis auf, dass er ab und zu mal stolpert, haben wir keine Probleme mehr”, antwortete ich.
      “Ausgezeichnet ich sehe auch keine Verspannungen mehr, nur ein paar kleine Blockaden im Rücken, die haben wir allerdings schnell gelöst. Kannst du ihn mir nochmal kurz Vortraben”.
      Ich band Ivy los und trabte einmal vor dem Stall Hoch und runter.
      “Ah, ich sehe euer Problem”, kommentierte Mrs. Smith.
      Ich stellte den Hengst ein Stück von der Wand weg, damit Mrs. Smith Platz zum Arbeiten hatte. Die Osteopathin begann an seinen Beinen, die Gelenke wieder einzurenken, bevor sie mit ein paar wenigen Handgriffen auch den Rücken wieder in Ordnung brachte.
      “So, das müsste es gewesen sein. Nochmal Vortraben bitte”.
      Erneut trabe ich den Hengst einmal rauf und runter und Mrs. Smith schien zufrieden zu sein.
      “Super, damit wäre er fertig. Wie immer heute nicht mehr arbeiten und morgen nur leicht”, wies sie nun an. Während ich Divine wieder anband, wand sie sich nun an Niklas, “Was ist denn das Problem Herr Olofsson”.
      “Nog … vielleicht stelle ich mein Pony erst mal vor. Mit vollen Namen heißt sie Satz des Pythagoras und ist aus unserer eigenen Zucht. Smooth ist jetzt 10 Jahre alt geworden und läuft in der S-Dressur, aber auch S-Springen sowie S-Gelände oder wie auch immer das hier heißt. Jetzt seit ungefähr einem Monat hakt ihr rechtes Sprunggelenk. Beim Röntgen wurde leichte Verknöcherung gefunden, die wohl keine Schmerzen hervorrufen soll. Dennoch macht sie sich mittlerweile unter dem Sattel im Rücken ziemlich steif und schön sieht es nicht aus, wenn sie so Schritt läuft. Nach ungefähr 30 Minuten wird es besser, aber dann ist Smoothie ziemlich müde. Eigentlich muss ich jetzt nur wissen, ob man da noch was machen kann oder ob ich für die Turniere ein weiteres Pferd kaufen sollte.”, erzählte Niklas ziemlich ernst und strich seiner Stute über den Hals.
      Mrs. Smith begann sich die Stute anzusehen, besonders die Hinterbeine und ließ sich die Stute im Schritt vorführen. Die ganze Zeit über machte sie ein ziemlich ernstes Gesicht.
      “Ich fürchte ich habe keine guten Nachrichten für sie, Herr Olofsson, ihre Stute hat Athrose. Sie wird zwar nicht unrreitbar sein, aber hohe Dressurlektionen sollte sie definitiv nicht mehr gehen. Alles, was man jetzt noch tun kann, ist dafür zusorgen, dass die Symptome sich nicht verstärken”, sagte sie ziemlich ernst.
      “Okay, alles klar. Danke. Die Vermutung hatten wir bereits in Schweden.”, antwortete Niklas, als wäre es etwas Alltägliches. Freundlich tätschelte er noch mal ihren Kopf und tritt einige Schritte zurück.
      Ich verabschiedete die Osteopathin, das war eine ganz schön harte Diagnose, dennoch sah Niklas aus als wäre alles ganz normal.
      “Ganz schön harte Diagnose”, sagte ich zu Niklas und strich seiner Stute über das seidige Fell.
      “Ach, ich hatte damit schon gerechnet, obwohl wir sie erst mit 4 angefangen haben zu arbeiten. Zudem wäre sie bald zu alt gewesen um die hohen Prüfungen mitzureiten. Ich muss jetzt nach einem anderen Pferd suchen und darauf hatte ich eigentlich keine Zeit, weil mein Onkel hat derzeit nichts da.”, erzählte er mir und band die Stute ab.
      Auch ich band Divine los.
      “Gibt es denn keine anderen guten Traberzuchten bei euch?”, fragte ich neugierig.
      “Ju meinte, dass das Vriskas Chef auch züchtet, aber da ich sie nie auf einer Show gesehen habe, werden die sicher keine vierjährige haben. In Neuseeland kenne ich jemanden. Vielleicht rufe ich sie nachher mal an”, kam es nachdenklich aus ihm.
      “Neuseeland. Das ist ja am anderen Ende der Welt”, stellte ich fest. “Ist die Traberszene da so groß?”, fügte ich noch hinzu.
      “Grundsätzlich nicht, aber mein Opa war zu Kriegszeiten dort und hat jemanden kennengelernt. Ich könnte auch mal hier in der Umgebung gucken”, fiel Niklas ein und holte sein Handy aus der Tasche.
      “Nicht das mir bekannt wäre, dass er hier Traber gibt, aber das ist für mich ja eh eine ganz neue Welt”, sagte ich nach kurzem Überlegen. Auch, wenn mir diese Welt noch gänzlich unbekannt war interessierte es mich.
      “Was ist eigentlich das worauf man bei einem Traber achtet?”, fügte ich dann noch hinzu.
      “Das er schnell trabt”, lachte Niklas eh er fortfuhr. “Also wirklich. Das Zuchtbuch sieht vor, dass jedes Standardbred eine gewisse Geschwindigkeit erreichen muss, um der Rassen angehörig zu sein. Mehr gibt es tatsächlich nicht, aber wieso ich und vor allem meine Familie - bis auf Hannes - auf die Rasse schwört ist ihr Charakter. Sie sind Nervenstark, ausdauernd und mutig. Durch die weiteren Gänge ist es dieser Rasse möglich eine höhere Schubkraft in der Hinterhand zu entwickeln und der Schritt hat eine große Raumgreife. Das Problem ist nur der Galopp, der häufig zum Vierschlag tendiert, aber das habe ich bei Smoothie auch verbessern können.”, erklärte er mir und stellte die Stute zurück auf die Weide. Zugleich legte sie ins Gras, um sich zu wälzen.
      “Das klingt als wären sie quasi perfekt für den großen Sport”, sagte ich bevor ich ein Stück weiterlief, um Divine zwei Koppel weiter abzustellen, bevor ich wieder zurück zu Niklas lief. Smooth war inzwischen wieder aufgestanden und ihr Fell wurde gezierten von großen grüne Flecken.
      “Jetzt sieht sie gleich viel hübscher aus”, scherzte ich.
      “Hast du jetzt noch was vor?”, fragte er mich.
      Ich warf einen Blick auf die Uhr, der Termin hatte länger gedauert als erwartet.
      “Da ich glaube, dass die Jungs schon fertig sind, mit der Zaunkontrolle habe ich nichts weiter vor”, überlegte ich laut.
      “Dann lass uns nach Pferdchen gucken”, freute er sich und lief los zum Zimmer.
      “Ja, das klingt super”, antwortet ich freudig und folgte ihm

      Niklas
      Im Zimmer lagen überall lose Blätter und diverse andere Sachen herum. In der Mitte dazu saß Ju und wirkte verzweifelt. Bevor Lina eintrat, bat ich sie kurz zu warten.
      “Was wird das hier, wenn’s fertig ist?”, fragte ich ihn verwundert.
      “Ich versuche zu lernen”, kam es kurz von ihm und er griff nach einem anderen Zettel, nach dem Ju einen anderen zur Seite warf.
      “Okay, dann will ich dich nicht weiter stören. Aber ich brauche ein anderes Pferd. Smoothies Arthrose wird immer schlimmer und die großen Turniere kann ich auf keinen Fall weiter reiten.”, berichtete ich ihm. Um mein Tablett zu holen, stieg ich vorsichtig über sein Chaos.
      “Und was passiert jetzt mit ihr?”, fragte er und guckte auf zu mir.
      “Weiß nicht, entweder stelle ich sie zurück zu Nils oder wenn Lina jetzt aufs LDS geht, dort hin.”
      “Warte was? Lina kommt mit?”
      “Ja, habe ich dir das nicht erzähl? Hat sie gestern Abend entschieden.”
      “Du bist doch bekloppt. Denkst du wirklich, dass das was für dich wird?”
      “Können wir bitte, wann anderes darüber diskutieren. Ich will gucken, ob ich in den nächsten Tagen noch ein Pferd finde.”
      “Jag orkarinte se på dig.”, fluchte Ju, aber ich ging nicht weiter drauf ein. Der scheint in der vergangenen Nacht nicht genug geschlafen zu haben oder was auch immer.
      “Gut, hier können wir nicht bleiben. Lass uns auf die Terrasse gehen, da war doch vor ein paar Tagen auch Schatten und bei so guten Wetter muss man sich nicht nach drinnen verkrümeln.”, schlug ich Lina vor.
      “Da hast du recht, dieses Wetter muss man genießen”, stimmte sie mir zu und folgte mir auf die Terrasse.
      Dort zog ich als allererstes mein Shirt aus und krempelte die Reithose nach oben auf Höhe meiner Waden und stellte meine Reitstiefel beiseite. Auch Lina zog ihre Reitstiefel aus und ließ sich auf die Bank fallen. Ich setzte mich zu ihr und legte das Pad auf meinem Schoß. Im Browser öffnete ich eine Website auf der nur Standardbreds zum Verkauf stehen, so wie Abstammung und was sie auszeichnet. Kurz überlegte welche Filter ich eingeben sollte, da ich bei ca. 10.000 Pferden in Kanada nicht wirklich Lust hatte alle durchzuschauen. So gab ich mein Hauptkriterium ein - Pferde ab 25.000 $, alles darunter hat weder eine gute Abstammung noch könnte Interessant werden als Reitpferd. Da ich es mir offenlassen wollte, wenn ich einen Hengst finden sollte, wählte ich nur Wallach ab. Außerdem wählte ich bei dem Alter ab 4 Jahren an, in der Hoffnung auch Pferde dabei zu haben, die nicht seit zwei Jahren auf der Rennbahn laufen. Nun standen nur noch 1300 Pferde zur Wahl. Das war doch schon mal ein Anfang. Dann drückte ich Lina das Pad in die Hand, damit sie die Postleitzahl eingeben konnte mit einem Umkreis von 350 km. So hatte ich nun die Wahl aus knapp 400 Pferden.
      “Na, bei der Auswahl sollte was zu finden sein. Und die sehen ja alle so schick aus”, sagte sie und sah fasziniert auf das Pad.
      “Dann fang mal an und such was cooles raus”, kommentierte ich, stand auf und ging zur Toilette. Dort schrieb ich meinen Onkel eine Nachricht über die Diagnose von Smoothie und steckte dann mein Handy zurück in die Hosentasche. Einen Moment hielt ich inne, um darüber nachzudenken, ob ich überhaupt für ein neues Pferd bereit sei. Aber, wenn es weiter gehen soll, brauche ich nun mal ein weiteres Pferd, dass jedoch nie meine Stute ersetzen wird, die mit mir in den letzten Jahren so viel erreicht hatte. Bevor ich das Badezimmer wieder verließ, atmete ich tief durch.

      Lina
      Neugierig scrollte ich durch die zahlreichen Anzeigen.Die meisten der Pferde waren braun oder Schwarz, doch ein paar hatten hübsche Scheckungen. Da ich absolut keine Ahnung von Abstammung bei Trabern hatte, entschloss ich einfach nach dem Aussehen zu entscheiden. Beim scrollen entdeckte ich eine hübsche Palominostute mit auffälliger Scheckung. Interessiert klickte ich ihre Anzeige an und betrachtete die Bilder. Dann kam Niklas wieder und ich präsentierte ihm die Stute.
      “Könnte was sein”, antwortete er und guckte sich die Bilder mit mir zusammen an. Sein nächster Blick ging zu den anderen Pferden, die der Herr aus Lacombe anbot.
      “Da können wir durchaus mal gucken fahren, hast du Lust?”, fragte Niklas mich spontan.
      “Oh Ja, das fände ich sehr interessant”, antworte ich begeistert.
      “Gut, dann gehen wir kurz Anders … ähm Herrn Holm Bescheid sagen und können wir los, denke ich. Wir nehmen dann den Transporter, mit dem wir herkamen.”, sagte Niklas und rannte direkt los. Nicht mal seine Schuhe hatte er angezogen. Ich streife mir meine Stiefel über und folgte ihm etwas langsamer. Ich würde ihn eh nicht einholen können.

      Niklas
      Ungebremst öffnete ich die Tür meines Trainers der mal wieder mit Kristine beschäftigt war. Nur konnte ich mir diesmal nicht einen Kommentar verkneifen: “Habt ihr nichts besseres Zutun?”
      “Niklas, du kannst auch nächstes Mal klopfen. Und nein, haben wir nicht. Schließlich seid ihr auch andauernd am Reiten.”, scherzte Herr Holm.
      “Wir können auch Tauschen … stopp.”, merkte ich, dass es ein schlechter Witz werden würde.
      “Jetzt sag’ was du hier willst, ich habe noch Zutun.”, hakte mein Trainer noch mal nach.
      “Smoothie muss in den Ruhestand, weil die Arthose schlimmer ist, als erwartet. Deswegen habe ich hier in der Umgebung mal geguckt und einen Züchter gefunden bei dem ich mir jetzt mal die Pferde anschauen will. Falls ich was finde, nehme ich es auf Probe mit. Soweit geplant.”, erklärte ich ihm was ich vorhatte. Ohne zu protestieren, gab er mir den Schlüssel und die Fahrzeugpapiere vom kleinen Transporter. Dann kam Lina und schlagartig schlug er die Tür vor meiner Tür zu.
      “So, dann werde ich mir mal ein anderes Shirt anziehen und wir treffen uns gleich am Transporter?”, fragte ich Lina aufgeregt.
      “Jep, und vielleicht solltest du auch noch Schuhe anziehen”, lachte sie und deutete auf meine Füße.
      “Mal gucken, vielleicht fahre ich auch nackt.”, sagte ich trocken und lief zurück ins Zimmer, in dem Ju immer noch im Chaos saß.
      “Schon wieder da?”, wunderte er sich.
      “Nein, wir fahren uns jetzt Pferde angucken. Willst du dann Bilder haben?”, fragte ich ihn freundlich. Von meiner Euphorie angesteckt, nickte er aufgeregt.
      “Berichte mir dann so früh wie du kannst.”, antwortete er dann und hielt mir die Faust hin, die ich erwiderte.
      Am Transporter wartete ich auf Lina. Ich hatte mir ein helles Poloshirt angezogen und meine Sonnenbrille mit Stärke auf. In einem kleinen Beutel, den ich in meiner Hand hatte, war meine richtige Brille. Dazu hatte ich noch mein Scheckheft bei, auch wenn die alle gesperrt sind, kann mein Berater jeder Zeit eine Zahlung via Anruf veranlassen. Ich hatte mich bereits Mister Echeverria angekündigt und offensichtlich war mein Familienname auch außerhalb der EU bekannt, was mich überraschte. Vor der Abfahrt prüfte ich noch ob ich alles dabei hatte. Im Transporter gab es einen kleinen Kühlschrank, der mit Getränken und einigen Snacks gefüllt war. Nur noch das wichtigste fehlt - Lina.
      “Sorry, Quinn hat mich aufgehalten, sie wollte unbedingt noch was zu einem der Ponys wissen, was offensichtlich nicht warten konnte”, entschuldigte sie sich als sie auf mich zukam. Auch sie hatte sich umgezogen, denn sie hatte nun ein blaues Shirt an. Ihre Haare hatte sie zu einem ordentlichen Zopf frisiert und eine Sonnenbrille steckte darin.
      “Na dann Lady, einsteigen. Wir haben eine 3h Fahrt vor uns”, sagte ich zu ihr und half beim Einsteigen in den Transporter.
      Die Fahrt verging wie im Fluge und freundlich wurden wir am Transporter vom Halter der Pferde begrüßt.
      “Hallo Herr Olofsson, schon viel von Ihnen gehört”, sagte er freundlich.
      “Ich hoffe nur Gutes, Mister Echeverria”, antwortete ich professionell.
      “Und sogar … ihr Freundin dabei?”, fragte der ältere Herr.
      “Eine gute Freundin, genau”, sagte ich und Lina warf ein kurz einen leicht irritierten Blick zu, sagte aber nichts weiter. Augen sagen mehr als Worte, doch wir hatten noch gar nicht weiter drüber gesprochen, deswegen hielt ich es für das Beste diese Antwort zu geben. Zusammen liefen wir über den Hof und gern hätte ich ihre Hand genommen, doch ich wollte den Schein wahren. Besonders wusste ich nicht so wirklich, wer dieser Mann war und wie vertrauenswürdig.
      “So, was suchen Sie denn genau?”; fragte er als wir im Stall ankamen. Viele Pferde Köpfe schauten zu uns und Lina begrüßte direkt eine Fuchsstute, die neugierig an ihrem Zopf schnüffelte.
      “Ich suche am liebsten eine Stute, aber ein Hengst wäre auch okay, die nicht überbaut ist. Der Hals sollte nicht zu tief angesetzt sein und eine konvexe Linie bilden in der oberen Halslinie. Von der Länge her auf keinen Fall zu kurz zu lang wäre machbar.”, begann ich zu erzählen, eh er mich unterbrach.
      “Was haben Sie denn vor mit dem Pferd”, fragte Mister Echeverria verwundert.
      “Eventing und vor allem Dressur in den hohen Klassen”
      “Wir hätten drei Stuten, die zwar eine Qualifikation auf der Bahn bekommen, haben aber unter meiner Tochter im Sport deutlich mehr hermachen. Folgen Sie mir.”, sprach er und lief los. Wir folgten ihm und er zeigte uns die Pferde. Das eine war die Palomino Stute, die Lina mir bereits gezeigt hatte. Das andere eine Mausfalbstute mit einer auffälligen Sabino Färbung und eine dunkle Stute, mit einem hübschen Kopfabzeichen.
      “Ich würde sagen, ich lasse alle drei Pferde fertig machen und dann auf den Platz bringen”, sagte er. Ich stimmte zu und ging mit Lina vor. Sie hatte in der Zeit schon alle drei Stuten begrüßten. Er verschwand kurz, um uns allen etwas zum Trinken zu holen.
      “Und was denkst du?”, fragte ich Lina höflich, die ziemlich still neben mir stand.
      “Also hübsch sind die drei schon mal. Die Falbstute scheint am freundlichen zu sein, sie hat sich gleich ein wenig kraulen lassen. Die dunkle hingegen scheint ein wenig zickig zu sein”, antwortete sie mir dann.
      Eh ich etwas sagen konnte, kam der Herr wieder. Ich nahm mir den Kaffee.
      “So, wollen sie sich dann darauf setzen?”, fragte er mich.
      “Erstmal noch nicht, möchte mir die Pferde vom Boden aus genauer anschauen.”, antwortete ich ernst. Offenbar schien er damit nicht gerechnet zu haben und guckte durch die Gegend, wer sich da nun drauf setzen könnte. Dann gucke ich an Lina runter, die zumindest noch Reitsachen anhatte und ich zog meine Augenbrauen hoch.
      Sie sah mich kurz an und schien zu verstehen. “Ich kann mich doch draufsetzten, dann kannst du dir das Ganze in Ruhe ansehen”, schlug sie dann vor.
      “Danke dir, Kleines”, sagte ich zu ihr und half beim Aufsteigen. Als Erstes wollte ich mir die Mausfalb Stute angucken.
      “So das ist Dumpty Humpty, eine 5-jährige Stute aus Stalino. Seit ungefähr zwei Jahren ist sie unter dem Sattel und läuft bereits Dressur in der L.”, begann er zu sprechen. Innerlich kam mir das kotzen. Das arme Pferd würde somit in spätestens 5 Jahren zusammen mit Smoothie stehen und nichts weiter als mein Geld verschlingen. Aus Höflichkeit ließ ich ihn jedoch weiter sprechen.
      “Durch ihren gut ausgeprägten Widerrist kann ich mir gut vorstellen, dass sie auch beim Springen eine gute Figur macht. Zum Testen werde ich gleich ein Kreuz aufstellen lassen.”, sagte er und zeigte mit seinem Finger auf den Platz. Direkt kamen zwei Mitarbeiter und stellten dieses hin. Ich entschied mich den Platz zu betreten und neben Lina herzulaufen, die mir verraten sollte, was sie vom Pferd hält.
      “Also ich hab den Eindruck sie ist recht fein im Maul, aber den Schenkel scheint sie nicht ganz so gut anzunehmen. Ich finde sie ein wenig faul und ich muss sie schon ein wenig motivieren nicht durch die Gegend zu schlurfen. Außerdem beginnt sie sofort sich einzurollen, wenn ich den Zügel ein bisschen mehr aufnehme”, vermittelte sie mir ihren ersten Eindruck von der Stute. Ich nickte ihr zustimmend zu.
      “Gut, danke. Ich hätte dann gern die Dunkle”, sagte ich zu dem Herren, dem es offenbar ziemlich wichtig war, mir dieses Pferd anzudrehen. Lina stieg ab und jemand nahm ihr die Stute ab. Dann stolzierte die dunkle Stute auf den Platz. Erst im zweiten Blick fiel auf, dass sie nicht nur ein interessantes Abzeichen hatte, sondern auch an einigen Stellen leichte Dapples und helle Färbungen. Auf den ersten Blick würde ich auf einen dunklen Buckskin tippen. Lina steig auf und die Stute schnappte nach ihrem Oberschenkel. Skeptisch beobachtete ich das ganze.
      “Das ist Northumbria, eine 6-jährige Stute, die etwas speziell ist. Humbi akzeptiert nicht jeden. Seit ungefähr zwei Jahren wird sie von meiner Tochter geritten, die es mittlerweile im Blut hat mit ihr umzugehen. Jedoch ist Humbi sehr fordernd und braucht viel Aufmerksamkeit. Springen kann sie gut, vor allem über Zäune.”, erklärte Mister Echeverria. Auch jetzt ließ ich mir wieder von Lina berichten, die nun einige ruhige Runden im Schritt auf der Stute ritt.
      “Ich wurde sagen, sie ist typisch Stute, empfindlich und launisch. Im Gegensatz zu der Falbstute ist sie allerdings sehr fleißig. Sie hört gut auf meine Hilfen und scheint mir auch recht viel Schwung mitzubringen.”, erklärte sie mir.
      “Dann Trab mal an bitte”, sagte ich bestimmt zu Lina. Etwas unsicher guckte sie mich ab aber trieb dann das Pferd vorwärts. Mit einem Ruck sprang die Stute in den Trab über, streckte den Kopf nach unten und schwebte vorwärts.
      Zuletzt ließ ich Lina nun noch auf die Palomino Stute setzen, die nach dem Aufsteigen erst mal den Kontakt zu ihrer Reiterin suchte. Aufmerksam lief sie im Schritt los und achtete bei Schritt und Tritt auf Lina, die sich auf dem Rücken der Stute wohlzufühlen scheint. Auch im Trab machten beide ein gutes Bild. Zum Test überquerte sie das Kreuz.
      “So, was sagst du?”, fragte ich ein letztes mal.
      “Sie gefällt mir am besten. Sie ist schön aufmerksam. Fleißig, aber nicht hibbelig. Sie hat schön auf meine Hilfen reagiert und hat immer schnell verstanden, was ich von ihr will. Sie scheint viel Spaß am Springen zu haben, denn sie hat denn Sprung fast von allein gemeistert“, erzählte mir Lina überaus begeistert. Ich nickte ihr zustimmend zu und half ihr von der großen Stute runter. Dann vereinbarte ich mich mit dem Herren, dass ich es mir jetzt mal durch den Kopf gehen lasse und in spätestens einer Stunde mich melden werden.
      Zusammen setzte ich mich mit Lina ins Auto, um über die Pferde zu sprechen. Ich hatte einige Videos und Fotos gemacht, die ich bereits zugeschickte hatte. Auch er war deutlich überzeugt von der Palomino Stute.
      “Lass uns mal Tanken fahren, nicht das es zu spät wird und mit einem Pferd hinten drin, möchte ich ungern irgendwo anhalten.”, sagte ich zu Lina und schnallte mich an.
      “Gute Idee. Können wir bei der Gelegenheit noch was zu essen mitnehmen? Die ganze Reiterei hat ganz schön hungrig gemacht und ich fürchte ein Müsliriegel, wird da nicht ausreichen”, fragte sie und schnallte sich ebenso an.
      “Klar, du kannst dir alles aussuchen, was du möchtest”, versicherte ich und fuhr los.
      Während Lina noch das richtige Essen auszuwählen, suchte ich mir eine Packung Zigaretten aus, die ich wirklich gerade brauchte. Eigentlich hatte ich vor mehreren Jahren aufgehört, doch heute war nicht der Tag dafür um sinnvolle Entscheidungen zu treffen.
      “Du rauchst?”, fragte Lina beiläufig. Sie legte ein belegtes Bagel und eine Tüte Studentenfutter auf den Tresen, stellte noch eine Wasserflasche dazu.
      “Eigentlich nicht”, antwortete ich beim Zahlen und verließ mit ihr das Tankstellengebäude. Ich fuhr das Auto von der Zapfsäule weg und stellte mich mit Lina auf den Parkplatz. Sie setzte sich auf die Stufe der Beifahrertür und ich zündete die Zigarette an. Bei dem ersten Zug musste ich stark husten, aber ich ignorierte es. Auf meinem Handy sah ich Ju, der mir geantwortet hatte.
      “Ju findet die Palomino Stute auch am besten.”, erzählte ich Lina, als durch seine Nachrichten scrollte.
      “Weise Entscheidung. Die dunkle was zwar hübsch, aber für meinen Geschmack zu nervös”, kommentierte sie und begann ihren Bagel zu essen.
      “Aber ich nehme die nervöse. Humbi war mir als Pferd deutlich sympathischer und ich denke, dass mit Obsidian würde mir schnell langweilig werden würde”, murmelte ich zu Lina.
      “War ja klar, dass du lieber eine Herausforderung willst, aber wunder dich nicht, wenn sie dich irgendwann aufrisst”, scherzte sie.
      “Wenn’s nicht klappt, bringe ich sie zurück. Ich zahle nur eine Kaution und wenn sie mir zusagt, überweise ich den Rest und bekomme alle unterlagen zusammen mit dem Pferd zugeschickt”, erklärte ich Lina.
      “Und bevor sie mich auffrisst, fresse ich sie”, fügte ich noch hinzu und tritt die Zigarette aus.
      “Vielleicht wird sie ja noch freundlicher, wenn sie nicht den ganzen Tag in deiner Box verbringen muss”, sagte sie schulterzuckend und kletterte zurück in den Wagen.
      Zusammen fuhren wir zurück auf den Hof und ich einigte mich auf eine Anzahlung von 10.000 (US)$. Mein Bankberater hatte bereits einen Anruf von mir bekommen. Er gab mir für die Stute noch eine Trense mit, die ihr auf jeden Fall nicht passt, aber ich packte sie doch ein. Das Verladen begann mit einigen Problemen aber am Ende stand sie.
      Auf dem WHC kamen wir im Dunkeln an. Lina schlief immer wieder ein und ich versuchte nicht bei der Musik mitzusingen, obwohl viele gute Lieder gespielt wurden.
      “Schlafmütze, wir sind da. Humbi muss irgendwo hin, wo keine Fluchtgefahr besteht.”; sagte ich zu Lina, die gerade wach wurde.

      Lina
      Ich brauchte ein paar Sekunden um mich zu orientieren und streckte mich erst einmal, bevor ich Niklas antworte. “Wenn dein Pferdchen bleiben soll, wo es ist empfiehlt sich die Hauskoppel. Seit Griselda mehrmals über den Zaun gesprungen ist, erinnert die an einen Hochsicherheitstrakt. Ansonsten wäre bestimmt auch noch irgendwo eine Box frei”, murmelte ich verschlafen.
      “Box wäre wohl nicht die beste Idee, so wie sie einen anfauchte, braucht sie frische Luft”, antwortete er mir.
      “Na, dann lass uns mal dein verrücktes Pferdchen auspacken”, sagte ich und öffnete die Autotür. Etwas steif, kletterte ich aus dem Auto und streckte mich noch einmal gründlich, bevor ich zu Ladeklappe rumging, die Niklas bereits geöffnet hatte.
      “Die ist nicht verrückt, sie ist sensibel”, protestierte er und stieg in den Transporter, um die Stute langsam herauszuführen. Neugierig guckte sie durch die Luft.
      “Ich glaube einfach, dass du eifersüchtig bist auf diese Schönheit”, fügte Niklas noch hinzu.
      “Was soll das denn jetzt heißen?”, fragte ich und sah ihn empört an.
      “Soweit habe ich bisher nicht gedacht, das Argument, dass ich 6h gefahren bin, würde nämlich nicht zählen. Schließlich bin nur für dich über 20h geflogen.”, gab er zu.
      “Ja, da hast du recht, da wäre ein sehr schwaches Argument”, stimmte ich ihm zu und streckte vorsichtig die Finger nach der Stute aus. Neugierig schnupperte sie daran und beknabberte vorsichtig meine Fingerspitzen. Ganz so launisch schien sie doch nicht zu sein.
      “Aber bevor wir weiter darüber diskutieren sollte, wir vielleicht erst mal deine ‘Schönheit’ auf die Koppel bringen. Die hat bestimmt Hunger, in dem Fall wäre ich auch so schlecht gelaunt”, sagte ich mit einem Kopfnicken in Richtung Koppel.

      Niklas
      Bevor ich loslaufen konnte, stand Ju schon vor uns und bewunderte Humbi. “Ich wusste, dass du die nimmst”, sagte er dann zu uns. Verwirrt legte sie die Ohren an und richtete sich einige Schritte rückwärts. Dann ging es weiter und keiner sagte etwas. Entspannt aber offensichtlich müde schritt die Stute neben mir her. Auf der Koppel stürzte sie sich direkt auf das Heu. Einige Minuten beobachtete ich sie dabei, doch bei jedem zwinkern meiner Augen wurde ich müder. Die Fahrt war ansprechend.
      “Lina, ich würde jetzt ins Bett gehen. Das war mir heute zu viel.”, sagte ich zu ihr. Daraufhin bekam sie ein Kuss auf sie Stirn.
      “Na, dann träum was Schönes. Dein neues Pferd können alle auch morgen noch bewundern”, erwiderte sie und lächelte mich an.
      Müde lief ich mit Ju ins Zimmer und fiel ins Bett. Es gelang mir noch die Kleidung auszuziehen, eh ich einschlief.

      Nächster Tag beginnt …

      Der nächste Tag begann früher als ich dachte mit einem Anruf von Herrn Holm, der nicht wirklich zufrieden war.
      “Dein neues Pferd steht auf dem Hof herum und lässt sich von niemanden anfassen. Komm oder wir erschießen es.”, wurde ich am Telefon angebrüllt. Einen Moment brauchte ich um zu verstehen, wovon er sprach. Dann wusste ich es - Humbi. Irgendein Shirt griff ich und zog eine kurze Hose an. An der Tür schlüpfte ich in die Stiefeletten. Dann sah ich, wovon er sprach. Mehrere Menschen wedelten mit ihren Armen. Es wirkte nicht so, als würden sie meine Stute einfangen zu wollen, sondern sie zu verängstigen.
      “Jetzt lasst Humbi doch mal in Ruhe. Sie hat Angst vor euch. Was stimmt mit euch nicht?”, rief ich verärgert drückte meinem Trainer die Schlüssel vom Transporter in die Hand und bekam im Austausch einen Strick. Ruhig lief ich auf sie und sprach mit ihr. Humbi spitze die Ohren und guckte mich an.
      “Suuuuuper”, lobte ich sie leise und legte den Strick an das Halfter.
      “Dafür musste ich jetzt aufstehen, weil ihr Pferdemenschen nicht in der Lage seid einer Stute einen Strick anzulegen?”, sagte ich genervt zu der Traube.
      “Was macht ihr eigentlich alle hier für einen Lärm?”, fragte Lina, die verschlafen aus dem Haus gestolpert kam.
      “Pony ist geflohen. Kurz kam mir der Gedanke sie mit ins Zimmer zu nehmen, eh mir auffiel, dass es Pferd ist und kein Hund”, antwortete ich Lina müde und Humbi folgte mich aufmerksam. Zwischendurch zupfte sie an Grashalmen, die unseren Weg kreuzten.
      “Und warum ist ein einziges Pferd, der Grund für so einen Aufstand?”, fragte sie immer noch ein wenig verwirrt. “Hier sollten doch alle in der Lage sein es einfangen zu können ohne so ein Theater”, murmelte sie vor sich in.
      “Kannst du einen Tierarzt anrufen, der vielleicht heute noch kommen kann? Ich möchte sie noch durchchecken lassen, eh ich mich darauf setze”, bat ich Lina und brachte Humbi zurück auf die Weide. Dort sah ich, dass das Tor offen stand. Offenbar war irgendjemand nicht in der Lage ein Pferd zu füttern, ohne das es neugierig die neue Umgebung betrachten möchte. Also stellte ich sie wieder hin und nahm den Heusack mit. Im Stall fand ich den Heuballen und ich befüllte den Sack mit diesem. Als ich zurückkam, stand die Stute aufgeregt am Gatter und konnte es gar nicht abwarten was zu futtern. Eh ich wieder die Koppel betrat, scheuchte ich Humbi weg. Respektlos blieb sie vor mir stehen und war kurz davor den Heusack aus meiner Hand zu stehlen. Einige Minuten erst vergehen, eh sie diesen haben durfte. Zufrieden tätschelte ich ihren Hals und kehrte zu Lina zurück, die sich wieder in ihr Bett gelegt hatte, aber offenbar wach war.

      Lina
      Nachdem ich enttäuscht festgestellt hatte, das hier scheinbar keiner in der Lage war ein frei laufendes Pferd einzusammeln, war ich wieder in mein Zimmer gegangen.
      “Dein Tierarzt kommt um halb 12”, murmelte ich als Niklas das Zimmer betrat. Wie ist sie überhaupt da herausgekommen”, fragte ich müde, denn wenn ich schon unnötigerweise so früh aufgestanden war, wollte ich wenigstens wissen warum.
      “Ich habe einen eigenen Tierarzt, das nenne ich mal cool. Wie sie herausgekommen ist, kann ich nur vermuten. Das Koppeltor war offen und wirkte so, als wollte jemand füttern und hat sich minimal blöd angestellt. Ich habe dann ihren Heusack befüllt. Humbi akzeptierte nicht wirklich, dass ich den selbst anhänge und stand respektlos vor mir. Das Spiel kann ich jedoch genauso lange spielen wie sie. So standen wir also einige Minuten da, eh sie zurückwich und den Raum gab zum Anhängen des Sackes.”, erklärte Niklas.
      “Natürlich ist das nicht ‘dein’ Tierarzt”, sagte ich und warf ein Kissen nach ihm bevor ich ihm weiter zuhörte.
      “Mmm, wenn das so ist, hat bestimmt Hazel heute gefüttert. Das wäre nicht das erst mal, dass ihr ein Pferd ausbüxt. Ich habe ihr schon mindestens 100-mal gesagt, dass sie das Tor hinter sich richtig schließen muss, gerade bei Pferden wie Humbi”, erklärte ich ein wenig genervt.
      “Sie konnte ja nicht viel dafür. Keiner hatte ihr berichtet, dass da plötzlich ein neues Pferd sein wird.”, nahm er sie nun in den Schutz.
      “Na gut, du hast ja recht, ich hätte ihr wenigsten einen Zettel hinlegen sollen oder einfach gleich selbst füttern sollen”, murrte ich müde. So früh am morgen, fehlte mir einfach die Energie für solche Diskussionen, vor allem wenn mein Wecker eigentlich erst in einer Stunde geklingelt hätte.
      “Wollen wir uns …. Zusammen vielleicht noch mal eine Stunde hinlegen?”, fragte Niklas mich vorsichtig und deutete auf mein Bett.
      “Das klingt nach einem hervorragenden Plan, also komm schon her”, sagte ich rutschte ein Stück zu Seite.
      Überzeugt zog er seine Hose und Shirt aus, um sich zu mir zu legen. Gemütlich kuschelte ich mich an ihn und begleitet von seinen regelmäßigen Atemzügen schlief ich ein.

      Jace
      “Wo bleibt denn Lina, die hat sich gestern schon vor dem Zäune kontrollieren gedrückt”, rief Samu genervt. Luchy hatte gestern darauf bestanden, dass die Fohlen mit ihren Müttern noch vor dem Frühstück auf eine neue Koppel kommen. Da die anderen die letzten Tage die Morgenfütterung hatten, blieb es also an Lina, Samu und mir hängen die Pferde umzuweiden.
      “Keine Ahnung, die pennt bestimmt noch”, antwortete ich Samu.
      “Na, dann sollten wir die Schlafmütze mal wecken, gehen”, kam es von Samu und er marschierte in Richtung Haus. Eilig folgte ich ihm und rannte noch vor ihm die Treppe rauf.
      “Aufstehen, du Schlafmütze, die Arbeit….”, reif ich und öffnete ihre Tür. Mitte im Satz verstummte ich, denn das Bild, was sich mir bot, hatte ich nicht erwartet. Lina lag nämlich nicht allein in ihrem Bett. Auch Samu, der mittlerweile hinter mir stand, schien ein wenig überrascht zu sein.
      “Das wird dann der Moment sein, an dem ich gehe. Am besten klärt ihr eure Familienverhältnisse ohne mich. Wirklich Lust auf einen weiteren Krankenhausbesuch habe ich nicht.”, kam es von Niklas verärgert, der seine Sachen nahm und so wie er leicht bekleidet war, das Zimmer verließ.
      “Vielen Dank ihr zwei Steinzeitmenschen, man kann auch vorher anklopfen”, beschwerte sich Lina nun.
      “Wer kann denn auch schon Ahnen, das du scheinbar beschäftigt bist”, antworte Samu grinsend. Ich stand immer noch ein wenig sprachlos im Türrahmen.
      “Was heißt hier denn beschäftigt”, schimpfte sie nun und stand aus dem Bett raus. “Wir haben ganz normal geschlafen”.
      “Ja, ja klar ihr habt geschlafen”, scherze Samu gut gelaunt. Was ist denn mit dem auf einmal los? Warum stört ihn das nicht? Er ist doch sonst der nervige Moralapostel.
      “Ja, haben wir wirklich. Wenn ihr dann genug doofe Fragen gestellte habt, könnt ihr dann verschwinden. Ich brauche keinen Babysitter, um mich anzuziehen”, schimpfte sie weiter und machte uns einfach die Tür vor der Nase zu.
      “Hab ich was verpasst, oder warum sagst du nichts dazu?”, fragte ich Samu nun, weil ich immer noch nicht verstand, weshalb er das ganze auf einmal ok zu finden schien.
      “Sagen wir mal, die Lage hat sich verändert”, sagte er verheißungsvoll. “Aber wenn du es wissen willst, kannst du Lina mal schön selbst Fragen. Aus eurem Kindergarten halte ich mich raus”, fügte er hinzu und klopfe mir auf die Schulter. “Ich warte dann draußen auf euch”, rief er während er auf der Treppe verschwand.
      Diesmal klopfte ich an Linas Tür und wartete bis sie öffnete.
      “Was willst du noch Jace”, sagte Lina genervt, die immer noch ihren Schlafanzug trug.
      “Was läuft da eigentlich zwischen dir und Niklas”, fragte ich dann vorsichtig, weil sie nicht besonders gut gelaunt zu sein schien.
      “Wonach sieht es denn aus Jace”, schimpfte sie und verdrehte die Augen. “Wars das jetzt?”, fragte sie und wartete nicht mal auf eine Antwort, sondern schloss die Tür wieder.
      Offensichtlich wollte sie nicht mit mir darüber Reden, also ging ich runter zu Samu und wartete auf Lina.
      “Kann das sein, dass du ein klein wenig eifersüchtig bist, weil du nicht mehr der einzige Macho hier bist”, triezt Samu mich. Darauf antwortete ich ihm nicht, sondern widmete mich meinem Instagramfeed.
      10 Minuten später kam dann auch endlich Lina runter, sodass wir mit der Arbeit beginnen konnten.

      Vriska
      Nach dem Lina gestern nicht mehr kam und auch beim Frühstück nicht auftauchte, entschied ich mich dafür, ihr eine kurze Mitteilung zu senden. Am Nebentisch hatte ich das Gespräch von Samu und Jace belauscht, die auch verwundert waren, dass sie nicht auftauchte. Da Niklas ebenfalls nicht da war, haben sich verschiedene Theorien eröffnet, wo die Beiden sind. Ich hatte mich dagegen entschieden daran teilzunehmen, weil es niemanden etwas anging. Außerdem ging ich von einfacher Müdigkeit aus, nach dem sie gestern Stundenlang fuhren, um für Niklas ein Pferd zu kaufen. So spontan wie es halt ist, wenn man plötzlich ein neues Pferd braucht. Natürlich hatte es sich beim Frühstück schon herumgesprochen, dass auf einer Koppel eine neue Stute stand, die bereits einen kleinen Ausflug machte am Morgen. Da das heute Training erst am Nachmittag ist und ich gestern den halben Tag gelernt hatte, überlegte ich, was man machen könnte. Da Lina nicht auf meine Nachricht reagierte, suchte ich Samu auf, der irgendwelche Pferde umstellen sollte.
      “Hej”, begrüßte ich ihn freundlich aber unsicher.
      “Guten Morgen, Vriska”, begrüßte er mich freundlich.
      “Du hast nicht zufällig etwas für mich, was ich tun könnte? Vielleicht ein Pferdchen zum Longieren oder so?”, fragte ich vorsichtig.
      “Hast du ein Glück, das es hier immer etwas zu tun gibt. Du könntest Looki longieren”, antwortete er freundlich.
      “Okay und wo finde ich den hübschen?”, erwiderte ich.
      “Er müsste schon auf der Koppel stehen. Du hast das richtige Pony gefunden, wenn es die längsten Haare hat, die du je an einem Pferd gesehen hast, pass nur auf er flirtet gerne ”, erklärte der Finne.
      Durch Lina wusste ich schon wo ich Halfter und alles andere zu finden sein wird, so konnte ich den Hengst von der Weide holen und ihn putzen. Zur Begrüßung streckte mir der Hengst seinen Kopf in mein Gesicht und zupfte freundlich an meinen Haaren, die ich in einem Zopf trug. Das Halfter anlegen gestaltete sich schwierig mit der Maße an Langhaar, die er hatte. Doch nach einer Weile war alles an Ort und Stelle, dass wir gemeinsam zum Stall gehen konnten. Auf dem Weg traf ich Milena, die Sich Snúra von der Weide holte und offenbar etwas trainieren möchte. Freundlich grüßte sie mich, bekam aber keine Antwort von mir. Wie schon auf der Weide hatte ich einige Probleme damit den Hengst richtig zu putzen, da mir durch den Windzug, der im Stall herrschte, immer wieder Strähnen seiner Mähne im Gesicht lagen. So suchte ich in der Sattelkammer noch Haargummis und wurde sogar fündig. Mit einer Plastikbürste machte ich ihm die Haare schön und flocht alles zu einem Mozartzopf, der sich sehen lassen konnte. Seinen Schweif flocht ich ganz einfach, damit dieser nicht mehr auf dem Boden mitzog. Als einziges Hilfsmittel legte ich Looki ein Kappzaum um und nahm mir eine Gerte, die herumlag. Obwohl es ziemlich warm war, aber bewölkt ging ich auf den riesigen Reitplatz, auf dem ich alleine war. Zu Beginn machte ich einige Übungen mit dem Hengst, um seine Durchlässigkeit zu testen und wie nachgiebig er ist. So stellte fest, dass er sehr genau auf die Hilfen achtet und auch den Einsatz der Stimmenhilfe als wichtig empfand. Im Schritt drehten wir gemeinsam einige Runden.
      Nach erfolgreicher Beendigung der Einheit brachte ich den Hengst zurück auf die Weide. Kurz überlegte ich, ob die Zöpfe in den Haaren bleiben sollten, aber entschied mich dafür, sie nicht raus zu machen. Es war so warm, dass es für ihn sicher angenehmer sein wird. Kurz guckte ich noch, was er machte. Natürlich warf sich Looki in den Dreck, um sich zu wälzen.

      Lina
      Inzwischen hatten Jace, Samu und ich die Fohlen umgeweidet, was sich als gar nicht so einfach herausgestellt hatte. Die beiden Zwillingsfohlen waren die ganze Zeit von ihrer Mama weg geflitzt und hatten alle anderen beunruhigt, sodass Mijou sich aufgeregt hatte und sich lieber allein mit ihrem Fohlen eine neue Weide suchen wollte. Doch letztendlich hatten wir es geschafft alle, auf die neue Koppel zu bringen. Jace hatte sich direkt danach wieder verkrümelt und ich setzte mich mit Samu noch ins Gras, um den Fohlen beim Spielen zuzusehen.
      “Hätte ihr mich nicht früher wecken können, jetzt hab ich hunger und das Frühstück ist vorbei”, jammerte ich ihn an.
      “Also wirklich, dafür das du deinen Wecker nicht hörst, kann ich ja wohl auch nichts”, erwiderte Samu vorwurfsvoll.
      “Haben wir noch was im Kühlschrank?”, fragte ich ihn dann.
      “Nein, soweit ich weiß war niemand in den letzten Tagen einkaufen.”
      “mmm..., dann muss ich mir wohl überlegen, wo ich was zu essen herbekomme”, antworte ich resigniert.
      Ein Schmetterling flog über die Wiese und landete auf meinem Fuß. Venice, die den Falter bemerkt hatte, kam langsam angetrottet und beschnüffelte mit etwas Abstand neugierig meinen Fuß. Der kleine bunte Schmetterling schlug langsam mir seinen Flügel, bevor er still hielt. Das kleine braune Fohlen schien sich darüber zu wundern, dass er sich auf einmal nicht mehr bewegt und versucht in den Schmetterling zu beißen, worauf hin er aufflog.
      “Veni, du kannst doch keine Schmetterlinge fressen”, tadelte ich die kleine Stute, die dem kleinen Insekt verwundert hinterherschaute.
      “Scheinbar kann sie schon”, machte sich Samu über mich lustig.
      “Weißt du deine blöden Kommentare werden mir nicht fehlen”, murmelte ich.
      “Wer sagt denn das ich dich allein nach Schweden fliegen lasse”, sagte mein bester Freund auf einmal.
      “Ich sage das Samu, weil ich gar nicht allein fliege, ich habe ja Niklas. Außerdem arbeitet Vriska ja auch da”, antwortete ich bestimmt.
      “Du bist dir sicher, dass ich nicht mitkommen soll”, fragte er jetzt noch einmal nach.
      “Ja, ich bin ziemlich sicher. Wie ich dir und Jace heute Morgen schon erklärt habe, brauche ich keinen Babysitter! Wenn du um bedingt auf etwas aufpassen willst, kannst du dich um Divine kümmern. Der werde ich erst einmal hier lassen, schließlich muss ich erst einmal sehen, ob das alles so klappt, wie ich mir das vorstelle”, erklärte ich meinem besten Freund.
      “Na gut. Aber dann möchte ich wenigsten jeden Tag ein Lebenszeichen von dir bekommen.”
      “Samu, ich verschwinde nicht vom Planeten, aber keine Sorge du bekommst deine Lebenszeichen”, beruhigte ich ihn.
      “Wo wir gerade bei Thema sind, hast du eigentlich schon mit Luchy darüber gesprochen?”, fragte er unschuldig.
      “Nein, das muss ich noch machen”, murmelte ich. Dieses Gespräch würde vermutlich unangenehm werden, denn ich erwarte nicht, das Luchy Luftsprünge machen wird. Immerhin muss sie dann jemand neuen finden, der die Reitschule schmeißt, ganz besonders den Teil mit den Ponys.
      “Ich finde wir haben jetzt genug rumgesessen”, verkündete ich dann, um vom Thema abzulenken. “Keine Ahnung was du machst, aber ich werde mich auf die Suche nach etwas zu essen machen”, fügte ich noch hinzu und lief in Richtung Hof.
      Irgendwer hatte Divine schon aufs Paddock gestellt, doch er schien definitiv noch auf seine morgendliche Möhre zu warten. Also lief ich in die Futterkammer und holte eine.
      “Sorry süßer, aber heute musst du teilen”, sagte ich zu meinem Pferd und brach die Möhre durch um die eine Hälfte selbst zu essen.
      “Lass deinem Pony doch mal die Möhre”, kritisierte Niklas, als er mit Humbi vorbeilief, da der Tierarzt gleich kommt zur Kontrolle.
      “Sorry, aber das ist das einzig Essbare, was ich bisher finden konnte. Ivy wird es schon überleben, mal nur eine halbe Möhre zu bekommen”, verteidigte ich mich.
      “Ich kann gern was kochen, wenn Humbi fertig ist”, bot er dann an und lächelte.
      “Wundervoll, dann geh ich meinem Pferd mal eine neue Möhre holen. Möchte Humbi auch eine?”, fragte ich freundlich und rechnete schon damit, dass er eh nein sagen würde.
      “Gern. Sie freut sich sicher. Das Heu ist auch schon wieder, dass grüne Zeug, dass auf dem Boden wächst, scheint nichts zu sein.”, kam es überrachsend.
      “Na, wenn das so ist, bin ich gleich wieder da”, antwortete ich und verschwand kurz in der Futterkammer.
      Als ich wieder neben Niklas stand, streckte die dunkle Stute neugierig ihre Nase nach mir aus, denn sie schien die Möhren bereits zu riechen. Langsam, um sie nicht zu erschrecken, hielt ihr eine Möhre hin. Hungrig nahm sie die Möhre entgegen.
      “Das scheint ihr definitiv, besser zu schmecken als Gras”, stelle ich unnötigerweise fest.

      Niklas
      Humbi konnte nicht genug von den Möhren bekommen und Lina stopfte immer mehr in sie herein. Dann stand der Tierarzt schon da. Zu Beginn holte ich den Equidenpass und führte sie vor. Auf den ersten Blick gab es keine Probleme. Auch die Beugeprobe verlief ohne Befund. Die Impfungen waren alle aktuell. Nur ihre Zähne müssten etwas geraspelt werden, so lange könnte ich jedoch Gebisslos reiten. Der Rest ihrer Muskulatur wirkte normal, sodass der Tierarzt mir ihre Gesundheit bescheinigen konnte. Am Tag des Fluges würde er noch einmal kommen, um wie allen anderen Pferden eine Reisebestätigung auszustellen.
      „Dann muss wohl ihrer Art was Erlerntes sein“, sagte ich zu Lina, als wir Humbi zurück auf ihre Koppel brachten.
      "Ich möchte liebt nicht wissen, was sie alles schon erlebt musste, dass sie so darauf ist", antwortete Lina.
      “Der Hof war auf den ersten Blick gar nicht schlecht. Ich habe schon andere Höfe gesehen.”, merkte ich an, während wir am Zaun standen und die Stute betrachteten.
      "Der Schein kann trügen, kein Pferd ist von Sich auf so", sagte Lina nachdenklich. "Aber immerhin scheint sie dich zu mögen", fügte sie noch hinzu.
      “Ach, ich habe noch was für dich”, sagte ich zu Lina und hielt ihr mein Handy hin, auf dem das Flugticket war.
      "Toll, dann steht der Reise ja fast nicht mehr im Wege" antwortete sie mit einem freudigen strahlen in den Augen.
      “Nun, du müsstest das Ticket noch ein Scannen. Dann ist alles gut”, grinste ich. Sie holte ihr Handy heraus und wusste nicht genau, wo sie hin musste. Zweifelt, gab sie mir das Ding und ich suchte nach ihrer Wallet App, die ich dann auch fand. Währenddessen ploppten mehrere Nachrichten von Jace auf, der sich offenbar ziemlich über mich aufregte. Außerdem schickte er einige Bilder, die nicht sehen wollte. Das alles in weniger als zwei Minuten.
      “Vielleicht solltest du den Kerl mal in den Griff bekommen”, sagte ich verärgert und ging, ohne sie antworten zu lassen. Die Zweifel kamen wieder auf, ob es so eine gute Entscheidung gewesen sei. Doch nun kann ich es nicht mehr rückgängig machen und zur Not, hat sie noch Vriska.

      Lina
      "ähh, was", sagte ich verwirrt, als Niklas mir wortlos mein Handy wieder in die Hand drückte und verärgert davon stapfte. Dann war ich ein Blick auf mein Handy und sah was Jace mir geschickt hatte und könnte auf einmal sehr gut nachvollziehen, warum Niklas so reagiert hatte. Wütend rief ich ihn an und natürlich ging es sofort dran.
      Er wollte irgendetwas sagen, doch ich Schnitt ihm einfach das Wort ab.
      "Was zur Hölle stimmt nicht mit dir", schrie ich in das Handy.
      "Das du Niklas nicht magst ist eine Sache, aber DAS geht definitiv zu weit. Traurig genug, dass du meine Entscheidungen nicht akzeptierst, aber dass du denkst, dass ich wie deine kleinen Gespielinnen bin, macht mich wütend, sehr WÜTEND. Die Nummer mag vielleicht bei deine kleine Flittchen funktionieren aber nicht bei mir. Du bist einfach Ekelhaft, ich weiß nicht wie ich jemals Gefühle für dich haben konnte. Du bist für mich gestorben". Nach dem letzten Satz legte ich einfach auf. Jace versuchte mich erneut anzurufen doch ich drückte ihn weg, denn ich wollte absolut gar nichts mehr von ihm sehen oder hören. Es gibt keine einzige vernünftige Erklärung warum man sowas tun sollte. Scheinbar hat ihm keiner gesagt, dass absolut niemand ungefragt solche Bilder haben wollte. Das er dann auch noch die Frechheit besaß zu glauben, das ich das gut finden würde ist einfach das Letzte.
      Wütend löschte ich diese Bilder von meinem Handy.
      Ich hielt kurz inne, bevor ich seine Nummer löschte, da er ja leider immer noch mein Arbeitskollege war, doch ganz ehrlich, sollte er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst.
      In meiner Wut hatte ich nicht bemerkt wie die Stute, die mich jetzt anstupste, an den Zaun gekommen war. Überrascht drehte ich mich zu ihr um erblickte ihr nervöse Ohrenspiel.
      Auf einmal war ich nicht mehr wütend, sondern war nur noch darum besorgt, ob jetzt alles kaputt war. Was würde Niklas nur jetzt denken? Traurig sah ich die Stute an, die mich nicht aus den Augen ließ und nun nervös am Zaun entlang lief.
      "Woha ist ja gut, ich wollte dich nicht aufregen", sprach ich ruhig zu der Stute.
      "Weißt du, du hast echt Glück einen so tollen Besitzer gefunden zu haben", sprach ich weiter und die Stute blieb mir etwas Abstand stehen, nur ihre Ohrenstellung verriet ihre Unruhe.
      "Ich bin mal wieder nur vom Pech verfolgt".
      Was genau mach ich hier eigentlich schon wieder. Ich rede gerade mit einem Pferd, welches ich gestern noch nicht besonderes mochte und hoffte es würde mich verstehen. Eigentlich vollkommen bescheuert, doch irgendetwas hatte die etwas Stute an sich. Es war nicht wie bei Divine, denn dieses Pferd strahlte keine Ruhe aus, dieses Pferd war Nervös und hektisch.
      “Du hast Angst, kleine oder?”, fragte ich die Stute und natürlich antworte sie nicht, sondern sah mich einfach nur weiter an.
      “Ich weiß zwar nicht wovor du Angst hast, aber weißt du ich habe auch Angst. Angst vor dem was jetzt auf mich zukommt, Angst davor das es jetzt schon alles vorbei ist, bevor es überhaupt richtig begonnen hat”, erzählte ich Humbi. Logischerweise sagte die Stute immer noch nichts. Eine ganze Weile lang sah ich sie nur an und beobachtete sie und sie tat dasselbe, stand einfach nur da und bewegt nicht außer den Ohren.
      In diesem Moment ging mir eigentlich nichts mehr durch den Kopf, außer der einen Frage. Was dachte Niklas nun über mich und gleichzeitig stelle ich fest, dass ich es nur herausfinden würde, wenn ich ihn frage.
      Mit einem mulmigen Gefühl ging ich rüber zu seiner Hütte. Davor blieb ich stehen, um noch mal tief durchzuatmen, bevor ich zaghaft klopfte.
      „Ja“, antwortete Ju, nicht Niklas.
      Unsicher öffnete ich die Tür. Niklas und Ju saßen am Tisch und schienen zu lernen. “Niklas…”, begann ich vorsichtig. “… kann ich mit dir Reden?”
      „Ob du das kannst, weißt nur du, Lina. Ich möchte aber nicht, was keineswegs an dir liegt. Es ist nur so, dass mich nicht in deine Familienverhältnisse einmischen möchte. Deswegen bitte ich dich, dass du es mit allen in den nächsten Tagen klärst. Wer weiß, wann du alle wieder sehen wirst. So ist es sinnvoller, wenn du im Frieden den Hof verlässt. Wenn was ist, kannst du jederzeit mit mir sprechen, aber ich würde dich gern in Schweden richtig kennenlernen und vor allem in Ruhe.“, sprach er ernst mit mir und guckte mir tief in den Augen. In mir spannte sich alles an. Innerlich war ich auf etwas komplett anderes Eingestellt gewesen. Ich wusste zwar auch nicht genau, was ich erwartet hatte, aber das definitiv nicht.
      Dass er mich kennenlernen wollte, war ein gutes Zeichen, aber gleichzeitig hieß das auch, dass ich mich mit den Geschehen der letzten Monate noch einmal auseinandersetzen musste. Ich konnte es nicht einfach vergessen und hinter mir lassen.
      “Ok, ich … ich glaube, ich geh dann mal wieder”, sagte ich und musste mich schwer zusammenreißen, um meine Emotionen unter Kontrolle zu halten.
      „Warte!“, hörte ich ihn rufen, eh ich wieder die Tür schloss und drehte mich um.
      „Willst du trotzdem mitessen? Ich fange in 20 Minuten an und würde dir dann schreiben wenn’s fertig ist“, sagte er freundlich.
      “Ähh, ja”, antworte ich ihm ein wenig verwirrt, denn in Gedanken war ich schon woanders. Ich hatte schon fast wieder vergessen, was für einen Hunger ich eigentlich hatte.
      Mit gemischten Gefühlen verließ ich die Hütte und beschloss erst einmal Vriska zu suchen, vielleicht konnte sie mir mit der Monsteraufgabe helfen, die nun vor mir lag. Zu meinem Glück fand ich Vriska recht schnell, denn sie war in ihrem Zimmer.
      “Vriska, ich brauche dringen den Hilfe”, verkündete ich, als ich eintrat.
      “Hilfe? Wobei?”, fragte sie mich entschlossen und trat vor zur Zimmertür. Ich musste einen kurzen Moment nachdenken, weil ich mir nicht überlegt hatte, wie genau ich ihr das erklären wollte.
      “Naja, also … Jace, war vorhin... Sagen wir mal das größte, sexistische Arschloch auf diesem Planeten. Er hat mir… Du weißt schon was für Bilder geschickt und Niklas hat das mitbekommen”, begann ich ihr zu erklären.
      “Und jetzt möchte Niklas, das ich mit ihm rede und das ganze kläre. Gut, er hat es nicht direkt gesagt, aber definitiv gemeint. Da ist nur das Problem, das ich Jace angerufen hab und ihm meine Meinung zu geigen und ich habe gesagt, dass ich nie wieder mit ihm Rede, weil mir das endgültig zu blöd mit ihm und seiner dämlichen Eifersucht wird”, beendete ich meinen Erklärungsversuch.
      “Hast du die Bilder noch?”, fragte Vriska interessiert und hatte offenbar nur das mit gehört. Dann lachte sie.
      “Nein, natürlich nicht” antworte ich empört. “Hast du mir überhaupt richtig zugehört?”, fügte ich noch hinzu.
      “Ja, klar. Hätte mich nur interessiert. Du sagst einfach zu ihm, dass du dich jetzt abgeregt hast und es mit ihm klären willst, da du das blöd fandest. Vor allem, weil du nicht danach gefragt hast.”, versuchte sie mir nun doch zu helfen.
      “Ja, das klingt sinnvoll, aber es geht ja nicht nur darum, es geht um das Ganze”, versuchte ich ihr klarzumachen und während ich das sagte, fiel mir auf das Vriska gar nicht die ganze Geschichte kannte was zwischen mir und Jace jemals passiert war.
      “Ok, damit du das verstehst, sollte ich dir vielleicht erzählen, was genau zwischen mir und Jace bisher passiert ist. Also dir ist sicherlich aufgefallen, dass ich Jace Aktion mit Abigail ziemlich Scheiße fand”, begann ich ihr zu erzählen. “Ich fand es nicht nur Scheiße, weil er sich benommen hat wie ein Arschloch, sondern auch, weil ich zu diesem Zeitpunkt noch dachte ich sein in Jace verliebt. Und Jace wusste auch davon. Und was danach passierte weißt du schon. Wichtig dabei, nachdem er sich entschuldigt hatte, hab ich gemerkt, dass ich eigentlich gar nichts für ihn empfinde, aber das möchte Jace einfach nicht verstehen. Und ich glaube, das ist der Grund warum er ständig so Ausrastet, wenn er Niklas sieht.”
      “Weiß er denn, dass du gehst?”
      “Nein… bzw. Vielleicht ich habs ihm erst in dem Telefonat vorhin um die Ohren gehauen”, gab ich ein wenig verlegen zu.
      “Also entweder du klärst es, oder du lässt es. Letztendlich wird es Niklas nicht interessieren, ob du das gemacht hast oder nicht. Ich denke, dass es ihm nur darum geht, nicht noch mehr Stress hier am Hof zu haben.”
      “Danke, aber das ist nicht gerade hilfreich”, sagte ich trocken.
      “Was erwartest du denn jetzt von mir?”, fragte Vriska mit einem genervten Unterton.
      “Na das weiß ich doch auch nicht”, sagte ich resigniert.
      “Vielleicht, dass du das Problem einfach wegzauberst?”, versuchte ich es mit einem Scherz.
      “Ich darf leider nicht für Andere zaubern.”
      “Man, blöder Zauberercodex”, murmelte ich und pustete mir eine Strähne aus dem Gesicht.
      “Aber jetzt im Ernst, was willst du machen? Such’ doch wen auf Tinder für ihn.”
      “Ich fürchte ich werde mit ihm reden müssen, sonst lässt der Esel mich nie in Ruhe, denn deine Methode klingt zwar verlockend aber Jace war früher bekannt für einen hohen Frauenverschleiß, das würde nicht lange anhalten”, murrte ich.
      “Aber die anderen Frauen gehen uns nichts an und mich noch weniger.”
      “Das denkst du jetzt, aber du musst dir ja auch nicht Samus gejammert am Ende anhören, dass er nicht schlafen kann.”
      “Samu sollte aufhören sich immer, um alle Anderen zu kümmern. Vielleicht braucht er auch eine Freundin … oder Freund. Was ihm auch immer beliebt.”
      “In der Hinsicht hast du eindeutig recht, vielleicht schafft er das ja endlich mal, wenn ich nicht mehr in seiner Nähe bin”, stimmte ich Vriska zu.
      “Wie alt ist er denn jetzt eigentlich?”
      “26.”
      “Bald wird’s eng.”, lachte Vriska.
      “Das versuche ich ihm auch schon seit zwei Jahren zu erklären”, stimmte ich in ihr lachen ein.
      “Weiß er vielleicht einfach gar nicht, wie das mit der Biene und der Blume funktioniert?”
      “Also ich bin mir ziemlich sicher er weiß wie das funktioniert. Ich glaube einfach, er denkt zu wenig an sich selbst.”
      “Ich bin mir da wirklich nicht so sicher. Gib mir mal dein Handy, ich frag’ ihn jetzt.”, fragte sie dann. Grinsend reichte ich Vriska mein Handy und sie begann auch gleich fröhlich etwas hineinzutippen.
      “Ach ich ruf ihn direkt an”, sagte sie dann und löschte das getippte.
      “Samu, bevor du irgendwas sagst. Hier ist Vriska und ich habe nur eine Frage. Weißt du wie das mit den Bienchen und Blümchen funktioniert, weil Lina und ich machen uns etwas Sorgen.”, fragte sie ihn direkt mit einem ersten Tonfall. Ich musste mir allerdings das Lachen verkneifen.
      “Natürlich weiß ich wie das geht. Was denkst du denn wie alt ich bin, 10?”, kam es empört aus dem Lautsprecher.
      “Wer weiß, vielleicht ist dir das unangenehm, weil ich mich gefragt habe, warum du dich immer nur um alle Anderen kümmerst anstatt um dich selbst. Das ist nicht gesund und mal ganz im Ernst zwischen dir und mir. Lina geht es dadurch nicht so gut.”
      “Vriska, was wird das?”, sagte ich und stupste sie empört an, doch Samu hatte schon zu sprechen begonnen.
      “Warte, was und warum sagst DU mir das jetzt?”
      “Wenn die ganze Welt mich hasst, kann ich mit umgehen. Außerdem möchte Lina dich nicht verletzen und mir sind Emotionen größtenteils egal. Nimm das nicht persönlich, ich finde Menschen generell doof.”
      “Lina, stimmt das, was sie sagt?” fragte er mich nun.
      “In gewisser Weise, … ja”, antwortete ich vorsichtig.
      “Und was genau ist das Problem?”, kam es ernst aus dem Lautsprecher.
      Darauf wollte ich nicht antworten, weshalb ich lieber schwieg. Allerdings schien auch nicht zu wissen, was sie sagen sollte und zuckte seltsam mit ihren Schultern herum. Auf der anderen Seite der Leitung war es ebenfalls ruhig.
      “So Lina, jetzt zeig’ doch mal deine Eier”, flüsterte sie mir zu.
      “Naja, Samu… die Sache ist die… Du musst mir mehr Freiraum lassen. Ich muss meine eigenen dummen Entscheidungen treffen können. Du kannst mich nicht ewig beschützen”, murmelte ich und alle blieben eine Weile still.
      “Warum hast du das nicht vorher gesagt, Lina?”, frage Samu nun.
      Verlegen sah ich auf meine Fingerspitzen. “Wie Vriska, schon sagte, ich wollte dich nicht verletzen”, gab ich zu.
      “Ich finde, es wurde alles Wichtige gesagt, damit solltet ihr das sacken lassen und später noch mal drüber sprechen. Ohne mich.”, beendete Vriska die Vermittlung zwischen uns beiden. Dieses Gespräch war zwar nicht worum ich Vriska gebeten hatte, doch es tat gut ihm das endlich mal gesagt zu haben.
      “Danke für deine Gnadenlosigkeit”, bedankte ich mich bei Vriska und meinte es auch tatsächlich so.
      “Wenn ich was kann, dann das.”, gab sie zu. Einen Moment lang herrscht Stille im Raum, bis diese durch ein Ping meines Handy unterbrochen wurde. Es war die Nachricht von Niklas, das das Essen fertig sein.
      “Niklas hat das Essen fertig, willst du mitkommen?”, fragte ich Vriska.

      Vriska
      Ich dachte kurz darüber nach, ob ich mit gehe oder nicht. Besonders nach dem was Lina mir erzählte, finde ich seine Aussage ziemlich schwammig.
      “Ja klar, wieso nicht. Ich hab zwar kein Hunger, aber was Kleines sollte noch reinpassen.”, antwortete ich und folge Lina. Erst als wir vor der Tür ankomme, fällt mir auf, dass mein T-Shirt voller Pferdehaare und Sabber von Looki war, da er nach dem Longieren seinen Kopf an mir rieb.
      “Was denn mit dir passiert?”, scherzte Ju und spielte natürlich auf mein Shirt an.
      “Pony”, antwortete ich kurz und klopfte hektisch an mir herum um wenigstens einen Teil loszuwerden. Lina lief bereits rein und setzte sich an den Tisch.
      “So, Sommersalat”, sagte Niklas und stellte eine große Schüssel auf diesen. Ich kam nach und betrachtete das Essen genauer. Die Grundlage bestand aus Kartoffeln, Zuckerschoten, Radieschen und Zwiebeln.
      “Oh, ich wusste nicht, dass du auch kommst. Da ist leider Mayonnaise mit drin”, erklärte Niklas und guckte mich fragend an.
      “Ach alles gut, ich muss nichts essen”, antwortete ich und stellte den Teller zurück in den Schrank.
      “Das sieht hervorragen aus”, lobte Lina Niklas.
      “So, aber warum steht da plötzlich ein neues Pferd? Wie kam es denn dazu?”, platzte es dann aus mir heraus.
      “Smoothie hatte vor ungefähr einem halben Jahr bereits eine Untersuchung, die zeigte, dass sie was mit dem rechten Sprunggelenk hat. Dato schien es aber noch nicht so schlimm zu sein. Auf den Aufnahmen war eine kleine Veränderung des Knochens zu sehen, die sie in ihrer Bewegung nicht weiter einschränken sollte. Vor ungefähr 3 Wochen wurde es aber schlimmer. Immer häufiger hakte sie mit dem Bein und ich höre vor allem auf mit dem Springen und auch hohe Lektionen zu reiten. Da für Divine gestern eh die Ostheo kam, entschied ich sie noch mal drüber gucken zu lassen. Auf jeden Fall wird Smooth auf keinen Fall mehr im hohen Sport mehr mitlaufen. Ich behalte sie natürlich aber für den Sport brauchte ich ein anderes Pferd. Aus Interesse habe ich mich hier im Umfeld mal umgeschaut und zusammen mit Lina auf einen Hof in eine größere Stadt gefahren zu einem Züchter. Nach einigen Tests mehrerer Pferde fand ich Humbi und teste sie nun hier auch im Training. Dann entscheide ich erst, ob sie mit nach Schweden darf oder nicht. Der Tierarzt fand an ihr keine Probleme.”, erzählte Niklas freundlich und wusste nicht was ich dazu sagen sollte.
      “Und wo willst du dann mit ihr hin? Weil in Kalmar darf Smoothie sicher nicht bleiben. Wir haben doch kaum Weide.”, warf Ju ein.
      “Ich hab schon Wanner gefragt, aber er antwortet nicht. Ansonsten mal gucken. Vielleicht ist bei euch noch Platz?”, wandte er sich dann zu mir. Etwas schockiert gucke ihn an. Manchmal frage ich mich, wieso ich immer alles auf dem Hof entscheiden sollte, schließlich arbeite ich auch nur da.
      “Musst du Tyrell fragen, ich habe das nicht zu entscheiden.”, sagte ich kurz und ballte meine Hände unter dem Tisch zu Fäusten. Ohne das ich eine Antwort bekam, stand ich auf und verabschiedete ich mich. Ein Ziel hatte ich nicht, denn das Zimmer der beiden Kerle wirkte nicht einladend. Auch wollte ich nicht in meins, denn da herrschte ein Zettelkrieg. Das konnte ich nicht gebrauchen, mich meinem Versagen zu umgeben, dass mir mitteilen würde, dass den Unterrichtsstoff von einem halben Jahr nicht innerhalb von drei Wochen nachholen könnte. So suchte ich panisch nach einem Platz, an dem ich verweilen konnte und vor allem ungestört sei. Entlang der Longierhalle entfliehe ich mich von allem.

      Lina
      Nachdem Vriska das Zimmer verlassen hatte, saß ich nun alleine mit den beiden Jungs am Tisch. Irgendwie war es seltsam. Nach dem, naja Gespräch konnte man das vorhin ja nicht wirklich nennen, war ich immer noch ein wenig verwirrt, was seine Aussage anging. Etwas nachdenklich begann ich nun in meinem essen herumzustochern.
      Ich solle meine Familienverhältnisse klären. Pff, meine tatsächlichen Familienverhältnisse sind leider nicht mit ein paar Gesprächen zu klären. Schön wärs. So muss es wohl reichen, wenn ich die Verhältnisse zu meinen Freunden klären würde. Dank Vriska hatte ich ja schon den Anfang gemacht, hoffentlich nimmt Samu sich das nicht zu sehr zu Herzen. Nicht das ich nicht dankbar dafür wäre, dass er auch mich Acht gibt, aber Vriska hatte recht, es tut mir nicht gut. Und was Jace angeht,... über ihn möchte ich jetzt lieber nicht nachdenken und Luchy hab ich bisher auch noch nicht von meiner Abreise in Kenntnis gesetzt.
      “Lina, ich denke es wäre besser, wenn du jetzt gehst. Ju und ich wollen noch zusammen lernen für den Trainerschein und an der Kür weiter arbeiten.”, unterbrach mich Niklas in meinen Gedanken.
      “Aääh, klar und danke für das Essen”, murmelte ich ein wenig perplex und stand auf um das Zimmer zu verlassen. Versteh einer die Männer, einen Tag sind sie nett und zuvorkommen und den nächsten gleich wieder seltsam.
      Draußen blieb ich erst mal ein wenig dümmlich vor der Tür stehen, da ich absolut nicht wusste, was ich wollte oder wohin. Ich brauchte jetzt Zeit für mich, Zeit zum Nachdenken, wie ich jetzt vorgehen würde. Denn es war nicht nur Niklas Verhalten was mich verwirrte es war eigentlich alles, was in den letzten Tagen passiert war. Ganz weit hinten in meinem Kopf kamen leise Zweifel auf, ob es die richtige Entscheidung gewesen war mit Niklas nach Schweden zu gehen.
      Von ganz allein trugen mich meine Beine dahin, wohin sie mich immer trugen, wenn ich nicht wusste, wohin ich sollte zu, Divine. Der weiße Hengst lag entspannt im warmen Sand und schlief, friedlich sah er aus. Langsam schlüpfte ich durch den Zaun und näherte mich ihm. Die einzige Reaktion, die der Freiberger zeigte, war das langsam ein Auge aufging und mich ansah. Ansonsten blieb er still liegen. Ich setzte mich zu ihm in den warmen Sand und lehnte mich an seinen Bauch, wenn das hier nicht der richtige Ort war, um nachzudenken, weiß ich auch nicht. Der regelmäßige Atem des Pferdes beruhigte mich und brachte Ordnung in meine Gedanken.

      Vriska
      Überraschenderweise war ich nicht allein hinter der kleinen Reithalle. Milena saß da und weinte, schien genauso fehl am Platz wie ich. Weil ein Gespräch mit ihr nicht das war, was ich jetzt wollte, versuchte ich mich wieder zurückzuziehen. Doch sie sah mich.
      Sie erzählte mir, dass Anna sehr rachsüchtig war und sich nicht unter Kontrolle hatte. Milena versuchte alles, damit sie sich nicht noch tiefer in die Sache hinein ritt. Doch Anna hörte nicht auf. Für sie schien es die einzige Möglichkeit zu sein, sich an Niklas zu rächen, obwohl er eigentlich nichts getan hatte, was Anna nicht selbst auch schon tat. Milena belastete es ziemlich, da sie Anna wirklich mochte, aber das nicht mit ansehen konnte. So entschieden wir gemeinsam eine Lösung zu finden aber zunächst müsste Milena sich wieder mehr auf die Pferde konzentrieren. Schließlich war in weniger als sechs Tagen bereits die Kür. In dem Moment dachte ich darüber nach, ob ich dabei überhaupt mitreiten sollte, da es für mich in wenigen Tagen eh vorbei ist. Milena brachte ich zu Linh, die sie direkt mit offenen Armen empfing.
      Nervös stand ich vor dem Zimmer von Frau Wallin, die mir nicht die Tür öffnete. Ungeduldig tigerte ich den Flur auf und ab, eh sie unerwartet, nur mit einem Bademantel bekleidet das Zimmer unseres Trainers verließ. Schockieren guckten wir einander an, ohne etwas zu sagen. So schnell sie auf dem Flur stand, so schnell verschwand Frau Wallin auch in ihrem Zimmer. Einige Minuten später, die ich weiter nervös auf- und abgelaufen bin, öffnete sie mir die Tür.
      “Oh Hallo Vriska, was ist los?”, fragte sie mehr überrascht als sie sollte. Schauspielern lag ihr im Blut.
      “Ich hatte nur einen Gedanken. Reite ich die Kür am letzten Tag auch mit?”, erkundigte ich mich.
      “Ja natürlich. Ich werde es dann weiter geben an deinen Kursleiter, vielleicht fällt eine deiner praktischen Prüfung damit flach.”, lachte sie und verabschiedete sich direkt wieder. Verwirrt starrte ich noch mehrere Sekunden an die geschlossene Tür, eh ich mich umdrehte, um in meinem Zimmer nun eine Kür zu überlegen.
      Beim Eintreten überfiel mich der Papierkrieg, der vom Vortag noch da lag. “Ich dachte, dass ihr euch von selbst wegräumt”, fluchte ich das leblose Papier an. Schneller als ich dachte, war alles wieder ein sortierter Haufen und das Durchqueren des Zimmers kein Problem mehr. Noch einmal erinnerte Lina per Nachricht daran, dass wir sie noch in unserer Software vom Hof einpflegen müssen, bevor sie mit zum Hof kann. Es ging schließlich darum, dass Tyrell sie dann für die Zeit anmelden kann. Wie man wissen sollte, mahlen Mühlen langsam. Auf dem Tisch entdeckte ich wieder die Visitenkarte von Erik.

      Lina
      Die Gedanken an Niklas und Schweden schon ich erst einmal beiseite, weil die Sache, die mich gerade viel mehr beschäftigte war Jace. Inzwischen tat es mir Leid, dass ich ihn so angeschrien hatte er machte zwar ein hirnloser Idiot sein, aber das hatte er nicht unbedingt verdient. Die Frage war nur wie vermittelte ich ihm meine Botschaft, dass ich nicht mehr für ihn empfinde als Freundschaft ohne ihn dabei allzu sehr zu verletzen. Der Nachrichtenton meines Handy unterbrach meine Gedanken und brachte mich gleichzeitig auf eine Idee. Wer, wenn nicht Alec konnte mir bei meinem Jace Problem helfen. Immerhin kannte niemand Jace besser als sein bester Freund. Triumphierend sprang ich auf, sodass Ivy sich erschrocken aufrappelte.
      “Oh, tut mir leide süßer, ich wollte dich nicht erschrecken”, entschuldigte ich mich bei dem Hengst und strich ihn über das weiche Fell, bevor ich mich wieder meinem Handy zuwandte.
      “Ok, komme so in einer Stunde rüber, muss vorher noch was erledigen, danke für die Idee”, tippte ich in das Handy und sendete die Nachricht an Vriska.
      Anschließend wählte ich Alecs Nummer.
      “Was hat Jace jetzt schon wieder angestellt?”, erklangt seine Stimme am anderen Ende.
      “Was ziemlich dämliches, aber darum gehts jetzt nicht. Ich muss ihm viel mehr etwas Wichtiges sagen und ich denke, er wird mir nicht zuhören”, sagte ich.
      “Worum geht es denn genau?”, fragte Alec nun ein wenig misstrauisch.
      “Mmm, naja… ich muss ihm irgendwie klar machen, dass ich nicht von ihm will … und das ich, egal was er tut, mit Niklas nach Schweden gehen werde?”, erzählte ich unschuldig.
      “Du.. was?”. Es klang so als hätte Alec sich an seinem Kaffee verschluckt denn ich hörte ihn nur noch Husten, bevor er weitersprach.
      “Also erst einmal wer ist Niklas und warum willst du auf einmal nach Schweden?”, fragte er nun erstaunt.
      “Naja, du warst ja neulich hier… das hast du doch bestimmt den heißen Typen mit den blonden Haarspitzen gesehen, oder? Das ist Niklas. Und warum ich nach Schweden möchte hat mit ihm zu tun”, erklärte ich. “ Und bevor du mich jetzt auch noch belehrst, das Ticket ist schon gebucht, also gibt es keine Rückzieher mehr”, fügte ich noch hastig hinzu.
      “Ok, ich denke, du weißt, was ich sagen möchte, aber ich lasse es heute mal. Immerhin kann ich nachvollziehen, was du an Niklas findest. Aber warum genau kommst du dann ausgerechnet jetzt darauf Jace zu sagen, dass du nichts von ihm willst?”, fragte Alec dann nach.
      “Weil Jace so verdammt Eifersüchtig ist, dass er Niklas vor drei Tagen die Nase gebrochen hat und naja, er hat mir heute Bilder geschickt. Bestimmte Bilder!”
      “Ok, ich verstehe das Problem … ich bin in 20 Minuten bei dir. Dann klären wir das zusammen mit Jace, ja”, antwortete er und ich konnte eine Autotür zufallen hören. Seine Antwort duldete keinerlei Widerspruch.
      “Ok, ich werde mich nicht vom Fleck bewegen”, antwortete ich ihm und legte auf. Ok, das er gleich herkommen würde, war zwar nicht mein Ziel gewesen, aber ok, wenn er unbedingt will.

      Vriska
      Auch wenn ich mit Linas Nachricht eher wenig anfangen konnte, akzeptierte ich, was sie schrieb. Im selben Moment nahm ich die Karte zur Hand und überlegt, ob ich Erik schreiben sollte oder nicht. Lina sagte, ich soll auf mein Herz hören und das tun, was ich empfinde. Das Einzige, was in mir gerade seine Runden drehte, war Schmerz und Hoffnungslosigkeit. Ich kenne den Typen quasi gar nicht und in Kanada würde ich für ihn auch nicht bleiben wollen, so legte ich die Karte wieder beiseite und suchte aus dem Kühlschrank das Gemüse heraus, was ich vor einigen Tagen in der Stadt kaufte. Mit etwas schnippeln, hatte ich eine leckere Gemüsepfanne auf dem Herd. Nebenbei schaltete ich den Fernseher an und wählte eine Sendung auf Netflix aus.

      Lina
      Tatsächlich stand Alec ganze 20 Minuten später aus dem Hof.
      “Wo ist er denn unser kluger Freund?”, begrüßte er mich als er aus dem Auto stieg.
      “Keine Ahnung, ich denke mal in seinem Zimmer?”, antworte ich Alec der ohne eine Antwort abzuwarten in Richtung Haus lief. Ich hatte reichlich Mühe mit dem großen Mann Schritt zuhalten, warum mussten denn auch alle hier so riesig sein.
      “Willst du mir sagen, was du dir eigentlich dabei gedacht hast”, hörte ich Alecs Stimme während ich noch dabei war die Treppe hinaufzuhasten.
      “Was soll ich wobei gedacht haben?”, kam die Antwort von einem offensichtlich verwirten Jace.
      “Na, dabei einfach jemandem die Nase zu brechen, du Idiot”, war ihm Alec direkt an den Kopf.
      “Um ehrlich zu sein, hab ich in dem Moment ziemlich wenig gedacht, aber woher weißt du das überhaupt?”, antwortete Jace nun ein wenig aufgebracht.
      Seine Frage beantworte sich von selbst als ich mich in den Türrahmen stellte. Alec beachtet seine Frage nicht weiter und redete weiter “Und was genau Jace, hast du dir dabei gedacht Lina diese Bilder zuschicken? Haben wir nicht mal darüber geredet?”. Dabei sah er Jace an wie man ein kleines Kind ansieht welches, dem anderen seine Schaufel geklaut hatte.
      “Ja, haben wir”, grummelte Jace zwischen zusammengebissenen Zähen, “Sorry”.
      “Bei mir brauchst du dich nicht entschuldigen, Jace”, gab Alec zurück.
      “Es tut mir leid Lina, also die Bilder. Mein Hirn hatte mal wieder einen Aussetzer”, sage Jace nun zu mir und sah mich an. Bisher hatte ich die Szenerie einfach nur beobachtet.
      “Ist schon ok, Jace das ist gar nicht der Grund warum ich mit dir reden wollte”, antwortete ich ihm.
      “Es geht nämlich um etwas anderes. Und zwar … naja … wie soll ich es sagen, Jace ich finde dich super, als FREUND, aber mehr ist da nicht. Und wie du vielleicht schon gemerkt hast … finde ich Niklas super und damit meine ich nicht auf der optischen Ebene, naja auch aber das meine ich nicht”, versuchte ich den Grund meines Kommens zu erklären.
      “Und es ist jetzt notwendig, dass du mir genau zuhörst Jace. Ich werde mit Niklas nach Schweden gehen und möchte nicht, dass ich im Streit mit dir den Hof verlasse. Ich fühle mich sehr zwar sehr geschmeichelt, dass du, was von mir willst, aber Jace ich empfinde nicht so. Das, was ich dir gesagt habe, nachdem ich aus Schweden zurückgekommen war, hat sich als falsch herausgestellt. Ich empfinde nicht mehr als Freundschaft für dich und damals war ich ein wenig verwirrt, weil Divine … hat mich an so vieles aus der Vergangenheit erinnert. Also Jace bitte ich dich drum meine Entscheidung zu akzeptieren und mich mein Leben leben zu lassen”. Ein wenig Erleichterung macht sich in mir bereit, nachdem ich zu Ende gesprochen hatte. Jace sah mich einfach nur an und ich konnte seinen Gesichtsausdruck absolut nicht einordnen. Auf einmal wirkte der auch so selbstbewusste Jace so klein und verletzlich und schon wandelte sich die Erleichterung etwas anderes. So fühlt es sich also an jemandem das Herz zu brechen. Normalerweise war ich derjenige der das Herz gebrochen wurde, doch heute hatte sich der Spieß umgedreht.
      “Ok”, kam es nun ganz hohl von Jace als Antwort und ich hielt es für besser das Zimmer zu verlassen. Im Flur wartete ich eine ganz Weile bis Alec aus dem Zimmer trat.
      “Meinst du er verkraftet das?”, fragte ich vorsichtig.
      “Ja, alles gut Lina. Jace muss auch einmal lernen, dass nicht alles nach seiner Pfeife tanzt. Früher oder später hätte das eh passieren müssen. Mach’ dir deswegen nicht so viel Gedanken”, versuchte er mich zu beruhigen. Nicht so viele Gedanken machen, er hatte leicht reden. Alec hat bestimmt noch niemandem das Herz gebrochen.
      “Aber jetzt genug von Jace. Da hast du dir aber einen heißen Kerl ausgesucht”, feixte Alec mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht.
      “Ach das ist einfach passiert”, antworte ich zögerlich. Zufällig fiel mein Blick auf die Uhr, die an der Wand hing und mir fiel auf, dass jetzt schon mehr als eine Stunde vergangen ist seit ich Vriska geantwortet hatte. “Alec ich würde gerne mit dir weiter drüber reden, aber ich muss jetzt zu Vriska, die wartet schon auf mich”. Hastig verabschiedete ich mich und rannte die Treppe runter. Ich wollte Vriska auf keinen Fall ein weiteres Mal vergessen.

      Vriska
      Konzentriert las ich die Unterlagen über Trainingsansätze von Isländern, die eine Trabverschiebung im Tölt haben bis mich jemand durch Klopfen an der Tür aus den Gedanken riss. Freundlich öffnete ich dir Tür und bat Lina ein, hereinzukommen. Auf Herd standen die Reste meiner Gemüsepfanne und der Geruch lag noch im Raum. Zum Lüften ließ ich die Tür einen Spalt offen, denn es war ziemlich warm draußen und im Zimmer war es aushaltbar. Eine Möglichkeit wäre, dass ich keinen Hoodie tragen würde und eine kürzere Hose statt meiner innig geliebten Jogginghose.
      “Endlich bist du mal da”, begann ich mit Lina zu sprechen, die sich an den Tisch gesetzt hatte und mich etwas abwesend anblickte.
      “Was hast du denn so groß zu tun?”, fragte ich neugierig und setzte mich dazu. Vorher räumte ich noch meine Unterlagen zusammen, die wieder ein Chaos im Zimmer bildeten.
      “Ich habe gerade jemandem das Herz gebrochen”, antwortete sie ein wenig erschüttert.
      “Was wieso? Und vor allem wen? Ich habe das Gefühl, dass wir uns seit über zwei Tagen nicht mehr unterhalten haben. Aber ich bin stolz auf dich, dass du nicht weiter über dich bestimmen lässt.”, wandte ich ein. Mir war klar, dass es sich nicht um Niklas handeln konnte. Trotzdem machte ich mir Gedanken darüber, wieso sie ausgerechnet jetzt so viel Stress auf sich nimmt.
      “Danke”, nahm sie mein Lob trocken an. “Aber ich bin nicht so Stolz darauf Jace das Herz gebrochen zu haben. Aber irgendwann hätte ich ihm doch sagen müssen, dass ich den Hof verlasse”, erklärte sie und starrte aus dem Fenster.
      “Ich weiß nicht, was du gesagt hast, aber so wie es klingt, hättest du es vielleicht lieber durch die Blume sagen sollen und nicht direkt? Vielleicht wäre das netter gewesen?”, versuchte ich sie aufzumuntern. Jedoch war ich vermutlich dafür nicht die richtige Person. Normalerweise brach ich einem nach dem anderen das Herz. Dabei war das sich-nicht-mehr-melden mein Hauptmittel. Veränderungen konnte ich nie verkraften, so versuchte ich immer alles dafür, dass es blieb wie es ist. Vor allem sollte es so bleiben, dass ich krampfhaft versuchte jemanden zu finden, den ich wieder verlassen kann, um mich selbst zu bemitleiden. Sicherlich nicht mein bester Charakterzug.
      “Vielleicht, pfff. Vielleicht hilft es ja, das ich wenigstens Alec gleich da gelassen hab.”, bekam ich als Antwort.
      “Na gut, ist ja deine Sache.”, beendete ich das Thema, worüber sie offenbar nicht mehr sprechen wollte. Also holte ich mein Handy raus und stellte als Erstes den Bitte-Nicht-Stören-Modus ein. Wer weiß, wer mir was schreibt und uns dabei unterbrechen würde. Keinesfalls wollte ich, dass Lina etwas sieht, was sie nicht sehen sollte. Auch, wenn mir dabei nichts einfiel. Nun gut. Ich legte es auf den Tisch geöffnet mit der Anwendung des Hofes. Die Einrichtung begann mit dem Registrieren ihres Gerätes.
      “So Lina, möchtest du dein Handy nehmen oder hast du ein anderes, was du normaler nutzt? Für den Anfang kann ich nur ein Gerät registrieren, alles Weitere müssen wir vor Ort machen”, erklärte ich ihr als Erstes.
      ‘’Mein Handy passt schon’’, antworte Lina mir.
      “Okay gut, dann gib es mal bitte”, sagte ich zu ihr und hielt meine Hand auf. Sie tippte einen Moment darauf herum, bevor sie es mir reichte, vermutlich hatte sie keine Lust auf weitere Überraschungen. Aus den Einstellungen heraus gab ich die MAC-Adresse ihres Geräts in die Anwendung ein und ihre Handynummer, damit sie die Nachricht bekam. Ich öffnete sie aus dem SMS Menü und scannte nach dem Klicken des Links in der Nachricht den generierten QR-Code ein, der auf meinem Handy erschien.
      “Das ist nur eine Sicherheitsmaßnahme, sollte was mit deinem passieren, dass wir schneller den Zugang sperren können”, erklärte ich ihr, da Lina etwas skeptisch beobachtete, das da gerade passierte. Ohne das sie darauf antworte, fuhr ich fort. Nach dem Scannen konnte sie nun die App herunterladen auf der Seite, die im Browser erschien. Da sie am Hof über das WLAN Netz verfügte, dauerte es nur einige Sekunden. Ich installierte die App und löschte direkt die APK wieder. So nun konnte sie sich selbst ein Profil anlegen.
      “So, entweder du liest dir die AGB durch oder ich erzähle sie dir, wie du willst”, erzählte ich und gab ihr das Handy zurück.
      “Erzähl mal bitte, für Lesen habe ich heute keine Geduld”, antwortete Lina.
      So kurz wie möglich, erklärte ich ihr, was sie darf und was sie nicht darf, dazu welche Daten auf dem Handy gelesen werden und wofür sie verwendet werden. Wirklich Lust auf das Gespräch schien keiner von uns Beiden zu haben, jedoch waren diese Informationen wichtig. Unser Gestüt besaß zwar nicht viele Pferde und auch nicht viel Geld, dennoch hatten wir hochmoderne Technik, die geschützt werden musste. Danach ging es weiter. Sie trug ihre Daten ein wie Name, Geburtsdatum und auch ärztliche Informationen wie bekannte Krankheiten und Blutgruppe. Dabei schaute ich nicht über ihre Schulter. Diese Informationen dienen zur Vereinfachung einer ärztlichen Untersuchung, sollte sie einen Unfall am Hof haben. Da ihr schwedisch auf jeden Fall schlecht sein wird, müssen die Noteinsatzkräfte Bescheid wissen. Damit war ihre Registrierung soweit fertig und ich musste nun auf meinem Handy weiter machen.
      “So, jetzt müssen wir dir ein Haus aussuchen”, sagte ich zu Lina und legte mein Handy wieder in die Mitte.
      “Zur Auswahl steht die beiden 2-Zimmer-Wohnung im Gemeinschaftshaus. Die Wohnung im OG hat ein großes Schlafzimmer, aber ein kleines Badezimmer. Die Wohnung im Erdgeschoss hat ein kleines Schlafzimmer, aber ein größeres Badezimmer. Vom oberen Zimmer hast du den Blick besser auf die Hengstweide und eine große Gemeinschaftsterrasse, auf der Abends schön der Sonnenuntergang zu sehen ist. Unten ist dein Blick zu den anderen Häusern. Die Terrasse wird eh kaum genutzt, weil alle immer an der Reithalle sitzen.”, erklärte ich ihr und zeigte ihr Bilder von beiden Wohnungen.
      “Die obere gefällt mir, ich mag den Ausblick”, antworte Lina mir, nachdem sie eine Weile die Bilder betrachtet hatte. Ich nickte zustimmend und wählte sie aus.
      “Dann Välkommen!”, sagte ich zu ihr und umarmte Lina kräftig. Ihre Freude schien jedoch nicht so groß zu sein, wie ich dachte.

      Lina
      “Danke”, murmelte ich. Meine Freude hielt sich momentan sehr in Grenzen. Ich freute mich zwar irgendwo schon, aber das Gespräch mit Jace vorhin lastete immer noch ein wenig auf mir, zudem musste ich auch immer noch Luchy von meiner baldigen Abreise in Kenntnis setzen. Und auch Divine muss ich hier lassen und wer weiß schon, wann ich ihn wiedersehen werde. Lina hör auf Trübsal zu blasen und genieße die letzten 5 Tage, die du noch hast, sage ich mir in Gedanken.
      “Weißt du was, damit ich endlich in Frieden die letzten Tage hier genießen kann, muss ich, glaub ich, endlich mit Luchy reden und danach sollte ich mich dann mal endlich um mein Pferd kümmern! ”, verkündete ich nun.
      “Na dann los. Ich muss noch weiter lernen, damit ich nicht auch noch meinen Abschluss der Ausbildung verschleudere”, antwortete Vriska etwas mitleidig.
      “Ach das packst du schon”, sagte ich noch, bevor ich aufstand und das Zimmer verließ. Zielsicher marschierte ich zu Luchys Büro, wo ich allerdings Colin antraf.
      “Colin, weißt du wo deine Frau steckt, ich müsste mal mit ihr reden. Ist wichtig”, fragte ich als ich den Kopf durch die Tür steckte.
      “Ja, weiß ich. Luchy ist mit Aleen im Garten”, antwortete mir der Schotte.
      “Ok, danke”, antwortete ich bevor ich das Büro verließ und in den Garten ging.
      “Ah, hallo Lina. Wie läuft es mit Divine?”, begrüßte meine Chefin mich, als sie mich entdeckte.
      “Mit dem läuft es super. Dank der vielen Tipps von unseren Gästen hat er große Fortschritte gemacht”, beantwortete ich ihre Frage.
      “Aber eigentlich bin ich wegen etwas anderem hier”, fügte ich hinzu.
      “Es hat bestimmt mit dem jungen Mann zu tun, der Divine gekauft hat, oder?”,sagte sie lächelnd.
      “Ja”, antwortete ich leicht irritiert und errötete leicht. War es wirklich so offensichtlich, das selbst Luchy mitbekommen hatte.
      “Also Ja auch. Ich habe beschlossen mit nach Schweden zu gehen”, platze es dann auf einmal aus mir raus.
      “Ich bin ja jetzt schon zwei Jahre hier und ich möchte etwas Neues kennenlernen. Allerdings ist das erst mal … sagen wir eine Art Probezeit, deshalb wird Divine erst einmal hier bleiben, Samu wird sich um ihn kümmern. Und wegen der Reitschule brauchst du dir auch keine Sorgen zu machen. Hazel hat das Mounted Games Team bisher so toll geführt und mir so toll bei den Kindern geholfen, sie schafft das”, erklärte ich.
      “Und wann fliegst du?”, fragte sie nun etwas stutzig.
      “In 5 Tagen.”
      “Na gut, das ist ganz schön spontan, aber ich kann dich gut verstehen. Ich war auch mal so wie du”, sagte sie nun lachend. Wow, mit so viel Verständnis hatte ich nicht gerechnet.
      “Also ist de kein Problem?”, frage ich noch einmal sicherheitshalber nach.
      “Ja, ihr jungen Leute müsst die Gelegenheiten nutzen, solang ihr noch Zeit habt. Also geh auf dein Abenteuer”, antworte Luchy.
      “Ok, danke”, verabschiedete ich mich und verließ den Garten immer noch ein wenig baff über die entspannte Antwort. Eilig ging ich zu Divine, der inzwischen nicht mehr schlief, sondern an seinem Heu zupfte.
      “Divine, ich glaube, ich habe oder besser hatte die entspannteste Chefin auf der Welt”, erzählte ich dem Freiberger, denn ich hatte das dringende Bedürfnisse das jemandem zu erzählen. Natürlich interessierte sich Divine nicht dafür was ich ihm erzählte und durchsuchte lieber meine Taschen nach etwas essbaren. Nur fand er nichts, da ich keine Reitsachen trug, da es heute Morgen schon unglaublich warm gewesen war und es tatsächlich schneller gegangen war, trug ich nur eine kurze Jeans und ein Top. Bisher hatte ich noch nicht auf einem Pferd gesessen, weshalb ich mich auch noch nicht umgezogen hatte.
      “Sorry, Ivy”, sagte ich zu dem Hengst. Heute muss der Hengst sich wohl mit einer Streicheleinheit zufriedengeben, zudem hatte er heute Morgen schon seine Möhren bekommen.
      “Weißt du mein süßer, heute wollen wir einfach mal ein wenig Spaß haben”, flüsterte ich dem Hengst zu. Da ich kein Halfter dabei hatte und auch zu faul war eins zu holen, zog ich mich so auf seinen Rücken und ritt ihn zur kleinen Reithalle, die zum Glück leer war. Ich ritt hinein und glitt vom Rücken des Hengstes um das Tor zu schließen. Wie immer lag eine Gerte auf der Bande und so hatte ich alles, was ich für ein wenig Freiarbeit brauchte. Divine liebte Freiarbeit und ganz besonders das nachlaufen.

      Niklas
      Mehr als zwei Stunden hatten Ju und ich damit verbracht gemeinsam für den Trainerschein zu büffeln und uns eine Kür auszudenken. Vermutlich würde ich diese schon mit Humbi reiten, doch dafür müsste ich erst mal wissen, was meine neue Stute überhaupt schon weiß. Mit meiner grauen Reithose und dem gewaschenen weißen Poloshirt machte ich mich auf Weg zu ihr. Am Zaun lag noch der Strick von ihr und ein Halfter trug Humbi, ein nicht wirklich schönes. Das dunkelblaue Halfter war zu dem noch viel zu groß und rutschte bei der Bewegung hin und her. Am Tor beobachtete ich sie für einen Moment und neugierig begrüßte sie mich. Aus meiner Hosentasche zog ich ein Leckerli und gab es ihr. Vorsichtig tastete sie mit ihrer Oberlippe auf meiner Hand herum bis sie es im Maul hatte. Da ich kein Kappzaum dabei hatte, machte ich mich auf die Suche nach jemanden auf dem Hof. Glücklicherweise traf ich Jayden, der gerade eine Rappstute absattelte.
      “Entschuldige, hast du ein Kappzaum für mich. Also für meine Stute, dass ich nutzen kann?”, fragte ich freundlich. Einen Moment überlegte er, eh Jayden in einer Kammer verschwand und mit einem Kappzaum wieder kam.
      “Danke dir”, antwortete ich und lief mit Humbi weiter zum Anbinder. Bevor ich zu Platz ging, putze ich sie rasch über und passte den Zaum an. Tatsächlich passte es ihr ziemlich gut und zusammen machten wir uns auf zum Platz. Wirklich wohlfühlte sie sich nicht mit dem Kappzaum, aber folgte mir entspannt. Auf dem schnaubte Northumbria mehrfach an. Doch auch sie schien mein Shirt unbedingt dreckig machen zu wollen und rieb ihren Kopf an mir ab. „Danke“, murmelte ich leicht genervt und öffnete das Tor.
      Im Schritt ließ ich sie einige Runden locker um mich herum laufen, eh ich an der Hand einige Übungen machte zum Stellen und Biegen. Immer wieder legte die Stute die Ohren an und wollte nicht so gern im Genick nachgeben. Deswegen ersparte ich es ihr die Versammlungen zu testen und legte mehr Wert auf eine korrekte Ausführung der Seitengänge. Auch begann ich mit ihr das “How” zu üben als Signal, dass eine Übung zu Ende war. Zusätzlich bekam Humbi ein Leckerli das sie immer besser von der Hand nahm. Aus der Halle vernahmen wir einige Geräusche und die Stimme ordnete ich Lina zu, die vermutlich gerade mit ihrem Hengst beschäftigt sein wird. Ungewohnter weise verärgerte mich der Gedanke, dass sie nicht bei mir war und sich selbst beschäftigte. Diese Abwehrhaltung übertrug sich auf mein Pferd. Immer wieder legte die Stute ihre Ohren an und schlug mit dem Schweif.
      “Und klappt alles?”, kam Ju an, der mich aus meinem Gedankenkonstrukt zog. Direkt entspannte Humbi sich und schnaubte ab.
      “Mehr oder weniger. Arbeiten vom Boden aus scheint sie nicht zu kennen und ihr Genick lässt sie nicht fallen, egal was ich tue.”, antwortete ich Ju und stand am Zaun. Neugierig zupfte sie an der Hosentasche von meinem besten Freund.
      “Hast du ihr Genick mal ein wenig massiert? Vielleicht hat sie eine Verspannung im Halswirbel”, schlug er dann vor. Daran hatte ich tatsächlich noch gar nicht gedacht und verstellte sie ein Stück weiter vom Zaun entfernt ab. Dann löste ich den Strick, legte ihn am Boden ab und stellte mich links neben der Stute hin. Vorsicht tastete ich nach dem Atlas und bewegte meine Hand in einer kreisenden Bewegung am ersten Halswirbel entlang. Anfangs warf sie den Kopf nach oben, doch entspannte recht schnell. Mit meiner anderen Hand griff ich nach ihrem Kopf, den ich immer weiter zu mir heranzog. Ich merkte, wie sie diesem immer weiter fallen ließ, bis mein Oberarm die Last ihres Kopfes aufnahm. Das Gleiche wiederholte ich auf der anderen Seite und machte den Strick wieder dran. Schon im Schritt war eine Veränderung zu sehen und ich bedankte mich bei meinem Kumpel, der sich auf den Weg zum Essen machte. So warf ich einen Blick auf die Uhr, die mir 20 Uhr sagte. Ziemlich spät fürs Abendessen, aber am Morgen hatte Herr Holm uns keine Zeit gesagt. Ju erklärte mir, dass wieder der Grill angemacht wurde und wir noch am Feuer sitzen können. Es klang danach, als würde ein schöner Abend werden, doch ich arbeitete mit Humbi noch eine Weile die Signalworte.

      Lina
      Am Ende dieser Einheit war ich sehr zufrieden mit Divine. Aufmerksam war er meinen Kommandos gefolgt und hatte sich äußerst Kooperativ gezeigt, nicht dass das ein Wunder war, aber normalerweise bekam er doch deutlich mehr Leckerlies bei der Arbeit.
      Zum Abschluss ließ ich Ivy einen Moment, um sich zu wälzen, den er natürlich auch nutzte.
      “Na gut du kleines Wildschweinchen, dann machen wir mal Schluss für heute”, sagte ich nun wieder gut gelaunt zu dem Hengst der sich gerade schüttelte. Da ich natürlich immer noch kein Halfter dabei hatte, ließ ich ihn einfach hinter mir hertrotten. Erst als Divine aufmerksam stehen blieb, bemerkte ich Niklas der mit Humbi auf dem Platz war. Ich stellte mich neben meinen Hengst und beobachte die beiden. Aufmerksam folgte die dunkle Stute Niklas über den Platz, doch Divines Anwesenheit, schien sie ein wenig zu beunruhigen.
      “Ich glaube es ist besser, wenn wird die beiden nicht weiter stören, Süßer”, sagte ich zu meinem Hengst und zupfte an seiner Mähne, damit er sich wieder in Bewegung setzte, doch mein Pferd schien andere Pläne zu haben, denn er blieb einfach wie eine Statur dort stehen.
      “Ich denke, dein Hengst hat Bedürfnisse”, rief Niklas mir lachend zu.
      “Sieht ganz so aus, ja”, rief ich ein wenig amüsiert über Divine zurück. Ich beobachte, wie er mit seinem Pferd näher am und mir die Longe gab, die bis zu dem Moment am Zaum der Stute befestigt war.
      “Versuchs mal damit”, sagte er belehrend und führte seine Stute wieder weg vom Zaun.
      “Vielen Dank auch für diese Information”, antwortete ich und verdrehte die Augen. Trotzdem schlang ich Divine die Longe um den Hals.
      “Na, komm mein hübscher genug Stuten geschaut”, sagte ich an mein Pferd gewandt und setzte mich in Bewegung. Etwas wieder willig folgte Ivy mir zurück zu seinem Auslauf, wäre es nach ihm gegangen hätte er sich die Stute auch gerne noch näher angesehen.
      “Hab mal lieber Spaß mit deinen Freunden”, sagte ich zu dem Pferd und entließ ihn noch mal aufs Paddock, noch war es hell und ich wollte ihm noch ein, zwei Stunden auf dem Paddock gönnen, bevor es nachts in die Box kam. Sofort gesellte er sich zu El Pancho der gemütlich sein Heu fraß. Ich beobachtete ihn noch einen Moment, während ich die Longe wieder aufwickelte. Da mich Ivy allerdings keines Blickes mehr würdigte, machte ich mich recht schnell auf den Weg in den Stall, um die Longe wegzuräumen.

      Niklas
      Bevor ich mich auf den Rückweg mit Humbi machte, wartete ich mit ihr auf dem Platz, da ich Lina ungern noch mal treffen wollte. Natürlich werden wir uns beim Grillen nachher sehen, doch man sollte es nicht weiter provozieren. Dass ihre Freunde so stark gegen uns arbeiteten und auch Ju nicht wirklich begeistert davon war, brachte mich schon den ganzen Tag zum Grübeln, den so ein schlechter Mensch wie mich alle immer Darstellten war ich doch nicht. Oder? Die letzten Tage rasten wie ein Film durch meinen Kopf und es wurde mir ein wenig klar, was deren Problem war. Doch jemanden nicht mal eine Chance zugeben, war wohl auch nicht die feine englische Art. Mittlerweile verging immer mehr Zeit und ich lief mit Humbi im Schlepptau zur Weide. Dort nahm ich das Kappzaum ab und ließ sie ihres Weges gehen. Kurz guckte sie mir nach aber widmete sich ihrem Heu. Das Zaum brachte ich zurück in Kammer, aus der Jayden es mir vorhin gab. Dann lief ich weiter zu meiner nächsten Station - mal wieder das Shirt wechseln. Meine Stute hatte große Arbeit verrichtet und meine ganze Schulter beschmutzt. Ju sah ich auf dem Weg zum Zimmer schon am Feuer sitzen und auch Lina saß dort mit Samu. Vriska war nicht da. Jace schien ebenfalls nicht in Sichtweite zu sein.
      Im Zimmer zog ich die Reithose aus und wechselte zu einer bequemeren lockeren Shorts und einem Tanktop. Meine Reithose, sowie Shirt und Reitschuhe warf ich lieblos in die Ecke. In meiner Hosentasche vibrierte mein Handy. Auf dem Sperrbildschirm waren sehr viele Mitteilungen: “Können wir nachher lernen? Ich komme mit den Trainingsansätzen nicht klar.” Kurz dachte ich nach, antwortete aber nicht. Stattdessen steckte ich es zurück und lief zum Feuer. In meinem Bauch rief der Magen nach Nahrung und auch mein Kopf war der gleichen Meinung.
      “Das hat aber gedauert”, beschwerte sich Ju, als ich mich dazusetzte.
      “Mh”, knurrte ich und steckte mir die Gabel voll mit Krautsalat in den Mund.
      “Lina, hast du inzwischen mal mit Luchy geredet?”, fragte Samu Lina.
      “Ja, und sie hat erstaunlich gelassen reagiert. Hat irgendwas gemeint von wir jungen Leute müssen unsere Chancen nutzen so lange wir noch können”, berichtet sie Samu.
      Natürlich wurde direkt das Thema angesprochen, natürlich freute ich mich. Doch nach dem Ding heute früh fühlte ich mich sehr ausgegrenzt. Ich sagte nichts dazu und aß weiter den Kartoffelsalat.

      © Mohikanerin, Wolfszeit | 98.947 Zeichen

    • Mohikanerin
      Nationalteam VIII | 28. März 2021
      Maskotka//Elvish Beauty// Nathalie//Walking On Sunshine//Lifesaver// Don Carlo// Elf Dancer// Injaki// Carry On My Wayward Son// Blue Heart
      Satz des Pythagoras // HMJ Holy// Glymur // Northumbria


      Lina
      “Ob sie damit wohl ihr Kind meinte”, scherzte Samu, als ihm ihn erzählte, was Luchy gesagt hatte.
      “Sei nicht so fies”, antworte ich und wollte ihn gerade boxen, als jemand meine Hand festhielt.
      “Na, wollen wir doch schön freundlich bleiben”, hörte ich Alec Stimme belustigt sagen.
      “Alec, was machst du denn noch hier? Ich dachte, du seist schon nach Hause gefahren?”, fragte ich ein wenig erstaunt.
      “Na ich habe gehört hier gibt es heute leckeres Abendessen”, sagte er und setzte sich einfach zwischen mich und Samu. “Außerdem wollte ich deinen Kerl mal von nahem sehen”, flüsterte er mich noch feixend zu, wofür er einen knuff kassierte.
      “Übrigen herzlichen Glückwunsch, dein Post von eben geht jetzt schon durch die Decke, du scheinst inzwischen einen ganz schön großen Divine-Fanclub zu haben”, fügte er noch hinzu, während er sich etwas zu essen nahm. Etwas verwundert sah ich nun auf mein Handy. Tatsächlich Alec hatte recht, der Post, den ich vor ca. 20 Minuten hochgeladen hatte, hatte jetzt schon über 100 Likes.
      “Oh toll, die Fleischfresser übernehmen wieder den Grill”, kam Vriska leicht verärgert an und schien beim Buffet nichts gefunden zu haben. Dann setzte sie sich mit zu uns.
      “Wow, Vriska ich habe jetzt schon 100 Likes auf meinen Post”, sagte ich, ohne ihr Gemecker zu beachten und hielt ihr mein Handy vor die Nase. Darauf zusehen, war der Instagram mit einem kleinen Video was ich vorhin in der Halle aufgenommen hatte.
      “Herzlichen Glückwunsch”, sagte sie vorsichtig und schien etwas auf der Seele zu haben. “Also hast du es noch nicht mitbekommen?”, fügte Vriska hinzu. Währenddessen scrollte sie auf meinem Handy die Gallery weiter.
      “Was soll ich mitbekommen haben?”, fragte ich Vriska nun etwas verwirrt.
      “Das Makeover wurde plötzlich kommentarlos beendet. Hedda hat mich vorhin weinend angerufen, weil sie einen Brief bekommen hat, dass das Programm zu Ende ist und sie das Pferd behalten darf. Folke war dann schockiert und schlecht gelaunt. Sie hatte dann Angst, dass Holy wegmuss. Tyrell hat kein Problem damit, dass Holy bleibt, aber sie muss jetzt irgendwie am Hof eingebunden werden.”, erzählte sie.
      “Das ist ja Schade”, kommentierte ich Vriskas Nachricht.
      “Habt ihr mal überlegt Holy das Kutschefahren beizubringen. Vielleicht könnte man dann Kutschfahrten über den Hof oder so anbieten”, schlug ich dann vor.
      “Tatsächlich hat Folke das bereits geplant. Er macht das Training mit den Trabern und deswegen war Fahren eh ein wichtiger Punkt. Tyrell will ab der nächsten Saison auch Rundfahrten machen, also ich weiß auch nicht. Ich bin leider nicht da, um sie zu unterstützen.”, antwortete Vriska traurig. Man merkte ihr an, dass sie nicht mehr hier sein möchte.
      “So lange bist du doch nicht mehr hier. 5 Tage sind schnell rum als du denkst. Dann kannst du wieder alles volle unterstützen”, starte ich einen Versuch sie aufzuheitern.
      “Ja, das hast du recht. Aber ich habe Angst, dass ich Glymur wieder abgegeben wird. Tyrell kann da ziemlich Gefühlslos werden.”, sprach sie leise.
      “Ich glaube nicht, dass du Glymi wieder abgeben musst, immerhin hast du in 6 Monaten eine neue Chance ins Team zu kommen und ohne Pferd ist schließlich äußert schwierig”, sagte ich zuversichtlich zu Vriska. Leider konnte ich absolut nicht Einschätzen, ob meine Aussage tröstlich war, schließlich kannte ich Tyrell nicht und konnte somit auch seine Reaktion nicht einschätzen.
      “Mal sehen, ob ich überhaupt dann noch mal darf. Das ist nämlich davon abhängig, wie sehr ich am Hof gebraucht werde. Solang ich keine schwedische Staatsbürgerschaft habe, bin ich davon abhängig einen Arbeitsvertrag zu haben, sonst muss ich zurück nach England.”, spricht sie weiter.
      “Sie doch nicht immer alle so negativ, ich glaube kaum, dass du direkt vom Hof geworfen wirst. Aus welchem Grund denn”, versuchte ich zu argumentieren.
      “Das weiß man nicht. Du wirst ihn noch kennenlernen. Nimm es dann nicht persönlich”, erläuterte Vriska, stand auf und ging. Sie sagte nichts mehr und auch Ju guckte ihr etwas traurig nach.
      “Das war nicht besonders hilfreich, Lina”, merkte Samu an.
      “Ach, was du nicht sagst”, maulte ich ihn an. “Was hätte ich den bitte machen sollen? Ihr zustimmen wäre wohl kaum besser gewesen”.
      “Hat jemand ne Ahnung, was mit ihr schon wieder stimmt?”, rief Niklas in die Runde und versuchte lustig zu sein.
      “Ich denke, das geht dich nichts an”, mischte sich nun Ju auch noch ein.
      “Wenn ihr zwei euch jetzt streitet, ist ihr auch nicht geholfen. Lasst sie einfach in Ruhe oder redet selbst mit ihr, aber das ist kein Thema, was in der Öffentlichkeit diskutiert werden sollte”, warf ich genervt ein. Das hier nicht einmal einen Abend alle gut laufen konnte.
      “Na dann stell doch mal den netten Herren zwischen dir und Samu vor”, stichelte Niklas weiter.
      “Keine Sorge Niklas, er ist keine Konkurrenz für dich. Alec ist vom andern Ufer”, antworte ich. Ich wollte weiterreden, doch Alec unterbrach mich.
      “Vielen Dank Lina, aber ich kann selbst sprechen. Wie sie schon sagte, ich bin Alec. Ich leite einen Ableger des Hofes hier in der Nähe.”, stellte er sich freundlich vor.
      “Hallo Alec, schön dich kennenzulernen. Und Lina, vielleicht ist er ja eher Konkurrenz für dich.”, machte Niklas weiter aber setzte direkt fort: “Und was machst du so da?”
      “Blödmann”, knurrte ich leise, während Alec begann zu reden.
      “Na, das was man auf einem Pferdehof so macht. Unser Schwerpunkt liegt auf dem Vorstellen der Vollblüter auf Turnieren. Diese sollen dann hier zu Veredlung der Warmblüter dienen. Aber ich habe z.B. auch den Hof im Makeover 2019 vertreten”, erzählte Alec von seiner Arbeit.
      “Das klingt interessant. Wenn du Lust hast, kannst du sicher auch die Tage noch bei einem Training mit machen. Anders ist ein richtig guter Trainer.”, antwortete Niklas interessiert.
      “Da hat er recht, ich habe schon richtig viel gelernt”, stimmte ich Niklas Aussage zu.
      “Na, wenn das so ist, werde ich mir dein Angebot gerne überlegen”, antworte Alec freundlich.
      “Super, sag dann Bescheid. Ich regle das. Herr Holm hat noch was offen bei mir”, grinste er schelmisch und stand auf.
      “Was offen?”, fragte Samu neugierig.
      “Wo willst du denn auf einmal hin, sind wir dir zu langweilig?”, fügte ich noch zu Samus Frage hinzu.
      “Man kann zwar alles Essen, aber nicht alles Wissen. Und nein, aber ich habe noch Aufgaben zu erledigen, damit ich in wenigen Jahren den Sportrichterschein habe”, rief er uns zu und wedelte wild mit den Armen herum.
      “Liegt es an mir oder sind heute einfach alle übermotiviert zum Lernen?”, fragte ich Ju, der bisher noch nicht geflüchtet war.
      “Übermotiviert nur bedingt, eher das es langsam notwendig ist. In 2 Monaten haben wir alle
      Prüfungen. Niklas und ich haben dann die drei theoretischen Prüfungen vom Trainer C und Vriska macht ja gerade ihren Pferdewirt.”, erklärte er mir.
      “Ah, ok. Dan lass mich raten du verschwindest auch gleich?”. Natürlich war das ein vernünftiger Grund, dennoch wunderte es mich das sie erst jetzt anfingen zu lernen. Gleichzeitig fiel mir bei dem Thema dann auch wieder ein, dass ich so langsam auch mal überlegen müsste, wie es für mich beruflich weitergehen sollte. Seit meinem Abitur hatte ich mir nicht Gedanken darüber gemacht, weil ich damals einfach nur weg von Zuhause wollte und hier mitten im Nirgendwo hatte es niemanden wirklich interessiert, welchen Akademischen weg man bereits bestritten hatte. Hier hatte bisher nur das können gezählt.
      “Nö, ich bleib ihr. Ich habe den halben Tag schon gelernt und es muss auch mal gut sein.”, erwiderte er und nahm sich noch etwas zum Essen.
      “Wenigstens einer hier, der Versteht wie man Pause macht”, kommentierte Alec das ganze.
      “Niklas hat es gar nicht nötig zu lernen, der kann das alles schon auswendig. Trotzdem sitzt er sicher drei bis vier Stunden am Tag bis zur Prüfung, einfach damit er sicher sein kann, es zu schaffen. Als Bester.”, erklärte Ju weiter.
      “Ist ja klar, dass er der beste sein muss”, sagte ich schmunzelnd. Das war mir bereits am ersten Tag aufgefallen, das durchschnitt nichts für Niklas war. In der Schule war ich ähnlich gewesen. Allerdings hatte ich am liebsten allein gelernt, denn Bücher machen wenigstens keine dummen Kommentare so wie Mitschüler.
      „Allerdings ist er trotzdem Anspruchslos, also wenn ich nicht lernen würde, würde er mir keinen Vorwurf machen. Er macht das für sich, um sich selbst was zu beweisen“, sprach er weiter.
      “Das kommt mir nur zu bekannt vor”, sagte Samu und sah mich dabei grinsend an.
      “Was meinst du etwas mich?”, fragte ich unschuldig, natürlich wusste ich genau was er meinte.
      “Ja, genau dich meine ich, du Streber. Ich erinnere mich an Zeiten, da hast du mich sogar nach meinen Lehrbüchern gefragt, um schon mal den Stoff für die nächste Klassenstufe zu lernen”, erzählte er.
      „Da haben sich ja zwei gefunden. Nicht das ich
      jetzt aufpassen muss, dass ihr euch zu Tode lernt. Niklas vergisst schnell den Rest seines Lebens wie Essen oder trinken“, schmunzelt Ju.
      “Keine Sorge, ich habe bereits festgestellt, dass man sich leider nicht von Wissen ernähren kann. Nahrung zählt zu meinen Grundbedürfnissen”, beruhigte ich ihn. Eher würde ich vergessen zu schlafen, als dass ich das Essen vergessen würde.
      „Freut mich zu hören. Ich vermute aber, dass du nicht dein Leben lang den Dreck auf Höfen weg machen willst, oder?“, erkundigt Ju sich.
      “Nein, das ist eher nicht der Plan, wobei ich gerne bei der Arbeit mit Pferden bleiben würde. Aber so genau habe ich, das noch nicht überlegt, was ich machen möchte”, erklärte ich.
      „Wenn du in Schweden bist, kannst du einen Termin an der Schule machen, auf der Vriska ist. Die machen Beratungen und helfen dabei, was man machen könnte. Kostenlos.“, schlug er vor.
      “Das klingt nach einer guten Idee”, stimmte ich ihm zu.
      „Vielleicht sollte ich jetzt doch mal gucken gehen. Ich komme aber wieder, keine Sorge“, sagte Ju zu mir, eh er aufstand und verschwand.
      “Und da waren nur noch drei”, kommentierte ich.
      “Ach komm schon, ist doch auch nett”, sagte Samu.
      “Erzähl mal Lina, wie läuft es eigentlich mit den beiden Ponyfohlen, sind die beiden immer noch so frech?”, frage Alec nun. “Oh ja, und vor ein paar Tagen haben sie dank Baroness ein wenig Chaos auf den Reitplatz angerichtet”, sagte ich und begann davon zu erzählen.

      Juha
      Ich wusste nicht, was mich nun erwarten würde, doch ein übermüdeter Niklas lag schon ziemlich nach. So betrat ich langsam das Zimmer und sah ihn wirklich umringt mit Blättern und dem Pad am Tisch sitzend.
      “Brauchst du noch Bücher?”, scherzte ich. Hektisch nickte Niklas und schien die zwischenmenschliche Ebene verlassen zu haben. Da war wieder der Kerl, den ich aus der Schule kannte.
      “Also keine Bücher?”, fragte er etwas traurig und versuchte mich aus dem Zimmer zu schicken. Freundlich stellte ich ihm eine Flasche Wasser hin und wollte gerade noch das Zimmer verlassen.
      “Warte”, sagte Niklas und ich drehte mich um.
      “Ich werde gleich noch mit Vriska lernen. Sie kommt mit den Trainingsansätzen nicht klar.”, erklärte er mir.
      “Aber reiß dich zusammen”, fügte ich hin zu, eh ich wieder zurück zum Feuer ging.
      Lina, Alec und Sam saßen noch immer da und unterhielten sich über den Ausbruch der Ponys.
      “Wie versprochen. Wieder da! Ich musste dem Kerl nur vor dem Dehydrieren retten.”, scherzte ich und setzte mich wieder.
      “Sehr vorbildlich von dir”, lobte Lina mich.
      “Habt ihr morgen schon was geplant? Herr Holm hat nichts gesagt heute, ich weiß gar nicht wie es morgen weiter geht.”, sagte ich in die Runde.
      “Wir haben nichts Konkretes vor”, antwortete Samu.
      “Was würdet ihr denn von einem schönen langen Ausritt halten?”, schlug Alec vor.
      “Find ich gut, kamst du dann extra noch mal vorbei morgen?”, fragte sie bei Alec nach.
      “Theoretisch kannst du auch hierbleiben, das Gästezimmer ist frei”, merkte Samu an.
      “Mmm, bevor ich da entscheiden muss ich mit den anderen klären, ob sie es auch so packen. So ein Hof schmeißt sich nicht von allein”, erklärte Alec und verschwand, um zu telefonieren.

      Alec
      Bevor ich Magnus anrufen würde, wollte ich noch einmal nach Jace sehen. Vorhin hatte er mich einfach irgendwann rausgeschmissen. Das Ganze ging ihm näher, als ich gedacht hatte. So niedergeschlagen hatte ich ihn noch nie erlebt.
      “Du vergisst aber nicht, dass sich die Welt nach weiterdreht”, sagte ich, während ich sein Zimmer betrat. Jace lag auf seinem Bett und starrte an die Decke.
      “Das überlege ich mir noch, ob die Welt sich noch dreht”, sagte er traurig und starrte weiter an die Decke.
      “Na gut, meinetwegen bleib hier und starre weiter Löcher in die Decke. Ich bin unten, wenn du mich suchst und ich werde wohl besser auch hierbleiben”, teilte ich ihm mit. Da ich keine weitere Reaktion von ihm kam, verließ ich das Zimmer wieder. Jace war einfach nicht zu helfen, wenn er nicht wollte, diese Erfahrungen hatte ich bereits gemacht. Besser sollte ich hierbleiben, nicht das Jace noch irgendetwas Dummes tut, dazu tendiert er leider in jeder emotionalen Verfassung. Also rief ich Magnus an.
      “Hey Babe, meinst du ihr kommt morgen allein zu Recht, Jace braucht mich”, erklärte ich ihm.
      “Klar, wir packen das schon. Mach dir keine Sorgen um uns Alexander”, antwortete er.
      “Super, ich denke auch ich bin morgen Abend wieder da”, damit beendete ich das Gespräch und Gesellte mich wieder zu den anderen.
      “Das war aber ein langes Telefongespräch”, bemerkte Lina.
      “Nein eigentlich nicht, aber ich habe noch mal geschaut ob Jace noch atmet”, antwortete ich ihr.
      “Und was ergab sich? Atmet er noch?”, fragte Ju nach.
      “Jap., atmet eindeutig noch”, bestätigte ich.

      Niklas
      “Also was für Trainingsansätze sind denn das Problem”, fragte ich Vriska, die verzweifelt am Tisch saß.
      “Trab Tölt”, antwortete sie kurz gebunden. Genervt rollte ich mit den Augen und zog ihr die Dokumente unter der Nase weg. “Ey”, regt sie sich auf.
      “Ich habe keine Ahnung von eurem Viertakt, also lass mich doch kurz mal lesen. Sonst erzähle ich dir gleich was zum Training in der Passage oder Zick-Zack-Traversalen.”, schlug ich ihr vor. Einsichtig schob sie mir alles zu und ich las mich in die Materie ein.
      “Also was ich erst mal lese, kommt der Trab Tölt durch eine schwache Hinterhand. Sprich alles was getan werden sollte, muss mit der Förderung der Kraft in der Hinterhand zu tun haben. Aus der Logik eines jeden Pferdes braucht es eine gleichmäßige Anlehnung und gedehnten starken Rücken. Dabei helfen normale Dressurübungen.”, erzählte ich ihr. Sie nahm mir wieder alles ab und las erneut.
      Wie oft ich ihr das noch erklären sollte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. „Können wir jetzt weiter machen, oder willst du noch Stunden über den Dokumenten hängen und hoffen, dass plötzlich alles in deinem Hirn ist?“, meckerte ich Vriska an, die sich seit Minuten nur mit dieser einer gleichen Seite beschäftigte. Sie sagte nichts. Genervt zog ich mein Handy aus der Tasche und scrollte durch eine WhatsApp Gruppe vom Verein. Überraschenderweise waren noch mehr Leute wach, als ich dachte. Vor einigen Minuten präsentierte Chris wieder mal Bilder einer Dame, die auf ihm Stockholm wartete. Je mehr ich die Bilder betrachtete, musste ich mir eingestehen, dass mein Verlangen zurzeit Teile meiner kognitiven Fähigkeiten ersetzte. Lina wollte sich noch Zeit lassen und gucken, wie es sich weiter mit uns entwickelt. Doch ich bin ein Mann und habe Bedürfnisse.
      „So ein letztes Mal, dann kannst du gehen“, sagte Vriska und legte das Pad in die Mitte des Tisches. Statt die Bilder durch zu swipen, die wir die ganze Zeit besprachen, wählte ich welche mit einer Paßverschiebung aus. In ihrem Gesicht machte sich Verzweiflung breit, hinterfrage dies jedoch nicht weiter. Stattdessen konnte sie mir genau erklären, welche Ursachen die Verschiebung hat, dass man auf keinen Fall Hufglocken oder ähnliche Gewichte anlegen sollte, da das Problem von einem steifen Rücken kommt. Die Folge davon wird eine Unbeweglichkeit sein, die dafür sorgt, dass es zu stark auf die Vorderhand kippt.
      „Vielleicht bist du doch gar nicht so dämlich, wie ich dachte“, provozierte ich etwas und spürte die Zeichen, die wir einander zu warfen. Sie hatte die letzten Tage viel gelernt und die Zeit zusammen schien noch ganz andere Dinge zu erwecken. Eh ich etwas dagegen tun konnte, setzte sie sich auf meinen Schoß und küsste sanft meinen Hals. Kurz dachte ich darüber nach, was nun passieren würde, doch lehnte diese Gelegenheit nicht. Entspannt stützte ich meinen Rücken hinten an der Lehne des Stuhls ab und legte meine Hände an ihren Po, der jedoch durch ihre zu große Jogginghose verdeckt wurde. Ungebremst steckte ich einer meiner Hände in ihre Hose. Sie trug nur wenig Stoff darunter, was mein Blut immer mehr in Wallung brachte. Für ihre Unwissenheit wusste Vriska jedoch ziemlich gut, was sie da tat. Provokant griff ich immer stärker in ihre Backen, worauf sie ungezügelter reagierte. Draußen war es bereits dunkel und ich konnte nicht riskieren mit ihr so gesehen zu werden. So schaltete ich das Licht aus und trug sie zum Bett. Eine kleine Nachttischlampe schaltete sie ein und ich schloss die Tür hinter mir. Durch das einzige Fenster im Raum war es nicht möglich hereinzuschauen, auch die Milchfolie verhinderte dies. Eh ich selbstständig mein Shirt über den Kopf ziehen konnte, übernahm sie das Ganze. Doch ich konnte es nicht zulassen, dass Vriska die treibende Kraft sein würde. So drückte ich bestimmend weiter nach hinten ins Bett, legte eine Hand an ihrem Hals worauf hin sie genießend die Augen schloss. Meine andere steckte ich in ihre Hose, was ihr zu gefallen schien. An ihrer Bauchmuskulatur spürte ich ein Zucken und nahm Hände wieder weg. Bevor ich mich meiner Hose entledigte, zog ich ihr ihre aus. Leicht verängstigt zog sie ihre Beine nach oben und dann sah ich, was sie versuchte zu verstecken. Gezeichnet von einem Krieg gegen sich selbst, schämte Vriska sich für ihre Narben. Unkommentiert zog ich Beine wieder zu mir und küsste die Innenseite. Langsam arbeitete ich mich über ihren Bauch nach oben zu ihrem Hals. Für einen Moment schauten wir uns tief in die Augen. Ohne weiter darüber nachzudenken, küsste ich sie auf den Mund und zog mich nah an sie heran.
      “Denkst du, das ist richtig?”, wendete ich ein und flüsterte ihr ins Ohr.
      “Ich will gerade nichts anderes”, antwortete Vriska und küsste meinen Hals wieder. Doch ich stütze mich mit meinen Armen etwas weiter von ihr entfernt ab, um sie besser angucken zu können. Vorsichtig drückt sie sich etwas nach aufrechter nach oben.
      “Ich möchte nur sicher gehen … w-weil das mit Ju wirkte, so ernst”, erklärte ich dann.
      „Willst du nicht? Dann kannst du auch gehen. E-Es tut mir leid“, antworte sie beschämt und wollte sich die Decke hochziehen, auf der wir lagen. Ich sagte nichts, zog ihr Shirt aus und drückte sie ins Kissen. Da es ihr erstes Mal war, ging ich so behutsam vor, wie es mir nur möglich war. Immer wieder bettelte sie nach mehr und konnte nicht genug von mir kriegen.
      Um nicht noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen, stellte ich mich unter die Dusche. Das Wasser prasselte an mir herunter. Ich konnte förmlich spüren, wie meine Anspannung von mir floss. Als ich die Tür öffnete, rief Vriska noch aus dem Schlafzimmer: „Sehen wir uns nachher wieder zum Lernen oder Lernen?“ Dabei betonte sie das zweite Lernen deutlicher und es war eindeutig was sie meinte. Natürlich überlegte ich, dass Ganze zu wiederholen, doch fürs Erste war meine Lust gestillt. So antwortete ich mit einem normalen lernen und verließ den Raum. Am Feuer saßen noch immer die anderen, so entschied ich mir noch ein Bier zu nehmen, eh ich mich zu Ju setzte.

      Lina
      “Na, genug wissen angehäuft”, begrüßte ich Niklas der gerade wieder zu uns gekommen war.
      “Natürlich, in der Theorie kann ich nun perfekt Tölt reiten und sogar Fehler korrigieren. Vielleicht sollte ich das mit Smoothie morgen mal machen, schließlich ist Vriska sie vor ein paar Tagen bereits einige Schritte getöltet. Nur, weil sie keine hohen Lektionen mehr laufen sollte, kann sie ruhig noch neues Lernen”, erzählte er triumphierend und nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Flasche.
      “Ich bin mir ziemlich sicher, sie kann auch so noch, dass ein oder andere lernen, schließlich ist sie ja nicht doof”, sagte ich lächelnd. Ich bin mir ziemlich sicher das Smooth zwar top erzogen ist, aber das ist sicherlich noch Potenzial für den ein oder anderen kleinen Trick. Ich schätzte Niklas nicht gerade als den Typ ein, der seinem Pferd kleine Spielereien beibrachte.
      “Nein, bis auf weitere Gänge kann sie alles. Sonst wären wir nie so weit gekommen”, prallte er ein wenig.
      “Ich meine auch weniger Sache, die sie unter dem Sattel lernen kann. Ich meine eher kleine Tricks, nicht nötig, aber gut fürs Köpfchen”, erklärte ich Niklas.
      “Was denkst du denn bitte? Das meine Pferde reine Sportgeräte sind? Smooth kann alles, wirklich alles. Ich würde es dir jetzt präsentieren, aber es ist schon ziemlich dunkel und vor allem auch spät”, antwortete Niklas und zog aus seiner Hosentasche die Packung Zigaretten, die er am Flughafen gekauft hatte. Er bot welche in der Gruppe an, aber lehnten höflich ab.
      “Nein, natürlich sind deine Pferde keine Sportgeräte, aber mir wird hier immer vorgehalten, dass das Mädchenkram sei”, sagte ich.
      Prüfend warf er einen Blick in seine Hose. “Nog … Nej. Ich denke, dass das auch Männerkram sein wird. Oder Ausnahmen bestätigen die Regel. Smooth kann sogar eine Kapriole als den höchstmöglichen und vollkommenen aller Sprünge. Mein Opa war immer der Meinung, dass das Pferd erst am Boden vollständig versammelt werden muss, eh Übungen im Sattel abgerufen werden können.”, klärte er uns alle auf.
      “Beeindruckend. Ich denke auch, dass die Bodenarbeit heutzutage sehr unterschätzt wird.”, stimmte ich zu.
      “Ich denke, wir sollten alle langsam ins Bett. Es ist gleich 2 Uhr”, merkte Ju an, während alle anderen bereits die Augen zu fielen.
      “Oh, schon so spät. Ja, dann sollten wir wirklich langsam ins Bett gehen”. Tatsächlich fiel mir erst jetzt auf wie müde ich eigentlich schon war. Müde stand ich von meinem Stuhl auf und streckte mich ausgiebig. Meine Knie waren steif vom Langen herumsitzen. Alec und Samu waren bereits vorgelaufen.
      “Gute Nacht”, murmelte ich mehr als, dass ich es aussprach und setzte mich auch in Bewegung. Mühsam folgte ich den beiden, denn meine Beine trugen mich nur noch mit Mühe ins Haus. In meinem Zimmer angekommen, tauschte ich noch schnell meine Klamotten gegen mein übergroßes Schlafshirt und ließ mich ins Bett fallen.

      Vriska
      Der Trubel draußen verstummte. Einerseits hätte ich mich noch dazugesetzt, andererseits wäre ich sicher nicht in der Lage gewesen mich normal zu verhalten. Vor allem, weil mein ganzer Körper schmerzte, auch am nächsten Morgen. Im Bett waren noch Spuren von gestern zu erkennen. Das dunkle Handtuch von mir konnte das nötigste aufhalten, doch einige Blutflecken übersäten die Bettdecke und das Bettlaken ebenfalls. Im Schrank fand ich keine neuen Bezüge. Nach einer Dusche waren die Schmerzen besser, aber ich war noch weit weg von einem normalen Gang. Im Saal, in dem wir die letzten Tage frühstückten, sah ich niemanden. Einige Stimmen vernahm ich von draußen. Heute saßen wir wohl wieder auf den Bänken auf der Wiese. Die Pfützen waren getrocknet und durch die Sonne strahlte eine angenehme Wärme aus. Der Tau auf den Gräsern ließ das Licht glitzern und genauso fühlte ich mich. Eine Energie floss durch meinen Körper, die nur schwer beschreiben konnte. Irgendwie war ich glücklich. Ju saß allein mit Samu am Tisch also schrieb ich Lina eine Nachricht, bevor ich mich dazu gesellte. “Guten Mooooorgen. Ich habe ein Problem, ein Mädchen Problem. Kannst du mir später einen neuen Bettdeckenbezug und ein neues Bettlaken geben? Bis gleich.”, tippte ich auf den Bildschirm meines Handys ein und drückte auf Senden. Mein verändertes Gangbild wurde natürlich direkt gemerkt.
      “Na, was den mit dir passiert?”, scherzte Ju. Wusste er es? Konnte Niklas seine Schnauze nicht halten? Aber würde er dann nicht anders reagieren?
      “Ich hatte in der Nacht einen Krampf und seitdem tut es immer noch weh”, erklärte ich nach einem Moment und setzte mich dazu.

      Niklas
      Bedenklich betrachtete ich die Spuren an meinem Rücken, die Vriska hinterlassen hatte. Am Feuer war es gestern Abend zu dunkel, um das jemand etwas mitbekommen haben könnte, doch jetzt bei Tageslicht waren die Kratzer wirklich stark zu sehen. Aus meiner Tasche holte ich das Teamshirt, dass in der ganzen Zeit nur einmal trug. Ju war schon vorgegangen zum Frühstück, sodass ich mich in Ruhe fertig machen konnte, ohne mich erklären zu müssen. Die Unordnung hatte sich wieder breitgemacht und begann in der kurzen Zeit etwas mehr Ordnung hereinzubringen. Den Tisch konnte man wieder als diesen erkennen, dass ich beruhigt zum Frühstück gehen konnte. Ju und Vriska saßen bereits da und unterhielten sich. Samu wirkte etwas abwesend und aß sein Essen.

      Lina
      Mit einem laute surren weckte mich mein Handy, welches noch zusammen mit meinen Klamotten von gestern auf dem Boden lag. Ein Blick auf meine Wecker verriet mir, dass ich wieder einmal verschlafen hatte. Die halbe Nacht wach zu bleiben war definitiv keine gute Angewohnheit, die sich hier einschlich, seit die Besucher auf dem Hof sind. Ich war zwar noch Ultra müde, aber wenn ich den Tag nicht schon wieder ohne Frühstück starten wollte, musste ich wohl jetzt aufstehen. Also rollte ich mich aus dem Bett und sammelt als Erstes mein Handy vom Boden auf. Ein Blick auf den Bildschirm verriet mir das Vriska mir geschrieben hatte.
      "Morgen. Regeln wir nach dem Frühstück" antwortete ich ihr knapp. Ein Blick in den Spiegel verriet mir, dass ich genauso aussah, wie ich mich fühlte. Da ich mir gestern nicht die Mühe gemacht hatte, mich abzuschminken, bevor ich ins Bett fiel, sah ich aus wie ein Panda auf Drogen. Um erstmal wach zu werden und wieder auszusehen wie ein Mensch, beschloss ich erst einmal unter die Dusche zu schlüpfen. Die Klamotten von gestern sammelte ich vom Boden und warf sie auf dem Weg in den Wäschekorb.
      20 Minuten später fühlte ich mich wieder wie ein Mensch und sah zum Glück auch wieder so aus. Da ich bereit genug Zeit vertrödelt hatte und es draußen eh warm genug war, übersprang ich einfach die Haare föhnen. Ich keine Ahnung was heute an Programm anstand, beschloss ich lieber gleich Reitklamotten anzuziehen. So griff ich zu einer schwarzen Reitleggins und einem Shirt.
      Als ich aus der Haustür trat, stellte ich fest das heute erstaunlich schönes Wetter war. Die Sonne schien an einem nahezu strahlend blauen Himmel. Scheinbar hatte nicht nur ich das schöne Wetter bemerkt, denn anhand der Stimmen stellte ich fest, dass heute scheinbar wieder draußen gefrühstückt wird.
      Wie ich es bereits erwartet hatte, war ich die letzte die auftauchte, nein nicht ganz Jace war auch nicht da und Alec sah so, als würde er gerade ein Frühstück für seine Kumpel fertig machen, um es ihm zu bringen.
      „Morgen“ begrüßte ich alle die schon am Tisch saßen.
      “Guten Morgen, ich würde fragen, ob du gut geschlafen hast, aber deine Körperhaltung sagt alles aus”, entgegnete Ju und biss vom Brötchen ab. Ich hätte jetzt gerne einen blöden Kommentar gemacht, doch im Gegensatz zu mir, sah er ziemlich wach aus.
      Also beließ ich es dabei und holte mir lieber erst einmal etwas zu essen. Meine Wahl fiel auf ein Brötchen mit Frischkäse und einen Obstsalat. Mit meinem Essen begab ich mich zurück zu den anderen und setzte mich hinzu.
      “Hat einer von euch schon die Trainer gesehen?”, fragte Ju dann.
      “Nein, aber ist schon komisch. Vielleicht sollte ich mal gucken gehen”, wand Niklas ein und stand auf.
      “Was denkt ihr, ist los? Wer am nächsten dran ist, hat einen Wunsch frei”, scherzte Vriska.
      “Wer weiß, vielleicht hatten die auch eine lange Nacht”, scherzte ich und erntete dafür gleich einen tadelten Blick von Samu.
      “Was denn sind auch nur Menschen”, sagte ich trotzig zu Samu.
      “Wir werden es sicher gleich erfahren”, kam es von Ju wenig später und zeigte auf Niklas, der auf dem Weg zu uns war.
      “Den beiden geht es nicht so gut, vermutlich ein Sonnenstich. Wir sollen heute an unserer Kür arbeiten. Bei Fragen sollen wir anrufen.”, erklärte er und setzte sich wieder. Auf seinem Handy tippte Niklas etwas und steckte es wieder weg.
      “Kling als würde das heute ein entspannter Tag werden”, stellte ich fest und begann meinen Obstsalat zu essen.
      “Deiner vielleicht Prinzessin. Ich muss zwei Pferde arbeiten, die beide nicht für eine gute Kür bereit sind.”, stichelte Niklas.
      “Du glaubst aber auch, dass ich hier zum Spaß bin, oder? Ich habe auch zu arbeiten. Nathalie und Masko werden sich wohl nicht von selbst bewegen”, protestierte ich. Gerade Masko wird eine Herausforderung werden, die Stute ist nicht besonders gut gelaunt, wenn man sie ein paar Tage nicht vernünftig arbeitet.
      “Dann wünsche ich dir viel Erfolg dabei”, grinste er mich an und verließ den Tisch. Ju folgte ihm.
      “Und du willst immer noch nach Schweden?”, flüsterte mir Samu unschuldig zu.
      “Ja”, motzte ich ihn an.
      “Vielleicht sollte ich einfach zu meinen Pferden gehen, die sind wenigstens still”, fügte ich noch hinzu und begann mein Brötchen zu essen, denn ohne Frühstück wollte ich dann doch nicht reiten.

      Niklas
      Mit dem Halfter bewaffnet, lief ich nach draußen, um meine Stute zu holen, die fröhlich auf der Weide graste. Als ich Smoothie rief, spitze sie die Ohren und kam freundlich zu mir. “Na meine Hübsche”; begrüßte ich sie, legte das Halfter um ihren Kopf und erzählte ihr leise von der vergangenen Nacht. Ich hoffte darauf, dass sie mir eine Antwort geben würde, wie es nun weiter gehen könnte. Doch sie sagte nichts. Natürlich. Was habe ich auch erwartet? Am Tisch fiel es mir schwer den Augenkontakt zu Vriska zu suchen, denn sie wirkte so glücklich. In mir machten sich jedoch einige Schuldgefühle breit. Sowas kannte ich vorher nicht. Das Bedürfnis mich bei Ju zu entschuldigen, kam auch immer wieder auf oder mit jemanden zu sprechen. Doch jeden denn davon erzählen würde, würde es schlecht machen. Aber es war gar nicht schlecht, ganz im Gegenteil. Am Hof sah ich sie dann, wie sie ihren Hengst fertig machte. Da aber Smoothie genauso viel Lust hatte wie ich in der Nacht, würde das nicht gut enden. Wortlos lief ich an den Beiden vorbei und band meine Stute vor dem Stall an. Ich holte den Putzkasten und reinigte ihr Fell ausgiebig. Dabei stellte ich fest, dass ihre Hüfte leicht nach rechts kippte, obwohl sie geschlossen stand.
      “Wieder zu viel getoppt auf der Weide?”, fragte ich sie.
      “Nö, heute nicht”, hörte ich Vriska aus dem Stall antworten.
      “Fan, jag menade min hästen (Man, ich meinte mein Pferd.)”, antwortete ich etwas genervt und wand mich wieder meiner Stute zu. Doch provokant stellte sie sich an das Tor des Stalls, das einige Meter links von mir war.
      “Något annat? (Noch was?)”, drehte ich mich zu ihr und zog die Brauen hoch.
      “Nein.”, antwortete sie und verschwand wieder. Smoothie schien genauso viele Fragezeichen im Kopf zu haben. Bevor ich mit ihr arbeiten werden, musste die Kruppe wieder gerichtet werden. Vorsichtig stellte ich mich hinter das Pferd, legte die Zeigefinger neben den ersten Kreuzbeinwirbel und drückte in die Haut. Langsam zog ich sie entlang der Wirbel bis zur Schweifrübe. Ich merkte wie ihre Muskulatur darauf reagierte. Einige Male wiederholte ich diese Übung. Dann streckte ich das rechte Hinterbein noch vorn und hinten. Smoothie arbeitete auch jetzt super mit. Noch einmal kontrollierte ich die Verschiebung und stellte eine deutliche Verbesserung fest. Damit konnte ich sie beruhigt satteln. Wie immer setzte ich keinen Helm auf, sondern stieg direkt am Anbinder auf. Heute hatte ich zur Abwechslung die Springkandare rumgemacht und ritt auf den Reitplatz. Das Tor war geschlossen, sodass ich vom Pferd aus, mich zu diesem lehnte, Smoothie über den Schenkel herantreten, ließ und ohne es loszulassen, durchritt. Aufmerksam wartete meine Stute jede Hilfe ab und tritt, ohne das Tor zu berühren hindurch. “Jättebra (super gemacht)”, lobte ich sie und strich über ihren Hals. Am langen Zügel ritt ich sie einige Runden im Schritt, damit sich vor allem ihr Sprunggelenk aufwärmen konnte.

      Lina
      Nach dem Frühstück hatte auch ich mich auf den Weg zum Stall gemacht. Ich hatte beschlossen mich, als Erstes mit Maskotka zu beschäftigen. Die Fuchsstute war die letzten Tage ein wenig kurz gekommen. Mit Halfter bewaffnet ging ich zur Koppel, wo die Stute bereits am Zaun stand. Unfreundlich sah sie mir entgegen. “Na, du scheinst ja gut drauf zu sein heute”, begrüßte ich sie. Unbeeindruckt von ihr gehabte streifte ich ihr das Halfter über und wollte mit ihr zum Putzplatz gehen. Die Pläne der Stute schienen allerdings anders zu sein, denn sie begann sich aufzuspielen, aufgeregt, um mich herumzuspringen, so war sie nun mal, die kleine Diva. Einen Tag keine Bewegung und das sonst so freundliche Verlasspferd wurde ein wenig verrückt. Wenn ich heut nicht im Sand landen wollte, war es wohl die klügste Entscheidung sie heute nicht zu reiten. Unser Weg zum Putzplatz dauerte heute ein wenig, da Madam ständig der Meinung war an mir vorbeirennen zu müssen und ich sie dann korrigieren musste. Da ich die Stute heute eh nur Longieren wollte, beschränkte ich das Putzen lediglich auf ihren Kopf, was schon genug Herausforderung war. Die große Stute hielt es für eine hervorragende Idee ihren Kopf einfach so hochzunehmen, dass ich nicht mehr drankam, was bei einem Zwerg wie mir nicht sonderlich schwierig war. Als ich dann endlich den Kappzaum auf der Giraffe hatte, wollte ich mich eigentlich in die Longierhalle bewegen, du musst allerdings feststellen, dass Matt sich bereits mit Elvish Beauty darin befand. Da in der kleinen Halle sicher auch irgendwer war und wir in der großen nicht Longieren dürfen, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mit Masko auf den Reitplatz zu gehen. Mit der Stute im Schlepptau machte ich mich also auf den Weg dorthin. Kaum hatte Masko Niklas entdeckt, der gerade Smoothie aufwärmte, begann sie wieder sich aufzuregen.
      Die Stute tat so als hätte sie noch nie ein anderes Pferd gesehen, begann zu schnaufen wie eine Lok und bewegte sich keinen Zentimeter Vorwärts, dafür aber etliche Schritte zur Seite und nach hinten.
      “Na gut, wenn du nicht vorwärts willst, dann halt Rückwerts”, sagte ich zu der Stute und begann sie Rückwärts zuschicken, bevor ich es erneut mit Vorwärts versuchte. Nach 4 Versuchen fand die Fuchsstute das ganze immerhin blöd genug, um mir dann doch auf den Platz zu folgen. Doch kaum hatte ich die Mitte des unteren Zirkels erreicht, schoss die Stute los und riss mir dabei die Longe aus der Hand.
      “Wie wäre es denn, wenn du sie erst mal einfach laufen lässt, statt sie in irgendeine Position zu zwingen?”, schlug Niklas vor und brachte mir die Stute an der Longe wieder. Entspannt lief sie neben Smoothie her. Es war doch einfach unfair, dass ihm jedes Pferd einfach so folgte.
      “Würde ich ja gerne, aber die Halle ist belegt”, murrte ich und nahm mein Pferd wieder entgegen. Masko stand auf einmal wieder da, als wäre nie was gewesen, ob das jetzt an dem kurzen Sprint über den Reitplatz lag oder an etwas anderem war mir allerdings nicht so ganz klar.
      “Hier ist doch sonst keiner, lass sie machen. Ich weiche dann einfach aus”, sagte er und trabte Smoothie am langen Zügel an.
      Einfach machen lassen, dass ließ sich die Stute natürlich nicht zweimal sagen. Kaum war sie frei, rannte sie bockend über den Platz. Es dauerte bestimmt 5 Minuten, bevor sie vom Galopp in einen flotten Trab fiel und begann, abzuschnauben. Allmählich schien sie sich auch daran zu erinnern, dass es da ja noch jemanden gab, denn sie wurde immer langsamer und begann sich mir wieder anzunähern.
      “So, hübsche genug getobt?”, fragte ich die Stute, als sie nun vor mir stehen blieb. Ein Schnauben war die einzige Antwort, die ich erhielt. Dennoch schien die Stute nun um einiges Kooperativer zu sein, denn diesmal hielt sie mir sogar ihre Nase entgegen, als ich die Longe wieder einhakte, sodass ich tatsächlich noch ein wenig mit ihr arbeiten konnte.

      Vriska
      Tatsächlich hätte ich von ihm wirklich mehr erwartet, vermutlich liegt es aber auch in meiner Natur mehr in etwas hineinzuinterpretieren. So schnappte ich mir meinen Hengst und suchte nach einem Ort zum Üben. Auf dem ganzen Hof waren Leute mit ihren Pferden beschäftigt. Lina war zusammen mit Niklas auf dem Reitplatz, was ich mir ersparen wollte. In der Halle hörte ich Linh, Milena und Max sprechen und in der kleinen Reithalle waren auch Leute. So guckte ich mich verzweifelt um und entschied mich für ein Training im Wald. Im Schritt ritt ich weiter und betrachtete noch mal den Himmel, eh ich mich darauf konzentrierte, meinen Hengst ordentlich vorwärtszureiten. In meiner Schulter kam wieder der Schmerz vom Unfall durch, sitzen auf dem Sattel schmerzte ebenfalls im Becken und meine Rippen taten auch weh. Ich fühlte mich in dem Moment überhaupt nicht wohl auf meinem Pferd, was auch Glymur spürte. Unruhig schlug er mit dem Kopf und tänzelte vorwärts. Seine Schritte waren verkürzt, wodurch er immer härter im Rücken wurde und auf der Vorderhand das Gewicht lagerte. Ich hatte Probleme damit ihn richtig zu reiten, so gab ich ihm die Zügel und ließ ihn einfach machen, ohne weiter darüber nachzudenken. Entspannt schnaubte Glymur ab und streckte seinen Kopf Richtung Boden. “Weißt du, vielleicht sollte ich es wie Milena machen. Mir jemanden vom anderen Ufer suchen, dann kann ich es nicht mehr darauf schieben, dass alle Männer Idioten sind”, schimpfte ich mit mir selbst. Glymur tippelte weiter fröhlich vor sich hin. Eh ich weiter sprach, schaute ich mich paranoid um. Ich hatte das Gefühl, dass wir beide nicht allein waren. Doch mein Pferd schien nichts zu sehen. Einem Fluchttier sollte man in solchen Fällen vertrauen, denn ich bin hier die Verrückte. Erleichtert tätschelte ich seinen Hals und sprach weiter: “Normalerweise würde ich meine Freude in die ganze Welt herausschreien, doch Milena kann ich es nicht erzählen, die rastet aus und wenn Anna das dann noch mitbekommt, bin ich Hack. So, Lina kann ich es auch nicht erzählen, da sich gerade was entwickelt und ich mich da nicht einmischen möchte. Schließlich hatte ich das in die Wege geleitet. Vielleicht sollte ich Jenni anrufen.” Ich merkte, dass sich meine Anspannung etwas legte und auch Glymur aktiver mit der Hinterhand wurde. Am langen Zügel trabte ich ihn an aber hatte Probleme damit im Sattel zu sitzen. So parierte ich ihn wieder durch und bereitete den Hengst auf das Tölten vor. Deutlich bequemer saß ich im Sattel und meine Schmerzen wurden erträglicher. Im Kopf schwirrte weiterhin die vergangene Nacht und die Gefühle, die sie mit sich brachte. Natürlich hatte ich mir mein erstes Mal anders vorgestellt, weniger spontan, mehr romantisch. Doch es war die richtige Entscheidung, redete ich mir ein.
      Als ich am Horizont wieder den Hof sah, überkam es mich. Diese Traurigkeit, die mich seit Tagen begleitete und gestern von einem auf den anderen Moment verließ. Es war ein schwarzes Loch in mir, dass mich verschlag und immer weiter machte. Ich fing an zu weinen. Während ich mit meinen Händen versuchte, die Tränen aus meinem Gesicht zu wischen, sah ich meinen Eyeliner an meinen Fingern, der sicher nun überall kleben wird. Eh ich die letzten Meter zum Stall auf mich nahm, atmete ich tief durch und stieg ab. Mit gesenktem Haupte lief ich vorwärts, stolperte über eine Wurzel und versuchte mich am Zügel zu halten, was Glymur für eine schlechte Idee hielt. Hektisch zog er seinen Kopf nach oben. Mit dem Rücken zum Boden lag ich da und schaute in den Himmel. Einige wenige Wolken zogen an mir vorbei und mein Hengst stupste mich freundlich im Gesicht an. Ich lachte und stand auf. Jetzt hätte ich wenigstens eine gute Ausrede für mein Make-up Unfall.

      Lina
      Nachdem Maskotka dann doch noch recht kooperativ mitgearbeitet hatte, beendete ich das Training. “Gut gemacht” lobte ich die Stute und steckte ihr ein Leckerli in die Schnauze, bevor ich mich auf dem Weg zum Tor begab. Verschwitzt und zufrieden folgte mir die Stute brav vom Platz und kaute auf ihrem Leckerli rum.
      “Was hältst du von einer Dusche Masko”, sagte ich zu der Stute und steuerte zielstrebig die Waschbox an, wo ich sie kurz alleinstehen ließ, um ihr Halfter zu holen. Entspannt stand sie dort und wartete, als ich zurückkam.
      Im Gegensatz zu vorhin streckte sie mir diesmal den Kopf entgegen, sodass es deutlich einfacher war ihr den Kappzaum ausziehen. Nur beim Abspritzen, hampelte sie so rum, dass ich anschließen nasser war als die Stute selbst.
      “Danke, aber eigentlich habe ich heute schon geduscht, Masko”, bedankte ich mich bei der Stute, die sich daraufhin nur schüttelte. Zum trocken stellte ich sie draußen in der Sonne ab und holte noch ihr Futter.
      “Mit wem hast du denn eine Wasserschlacht gemacht”, fragte Jayden amüsiert, der gerade mit Walking On Sunshine vorbeiritt.
      “Mit dem Pferd da, sieht man doch”, antworte ich und deutete auf die nass glänzende Maskotka.
      “Na, wer weiß schon mit wem du so deinen Spaß hast”, stichelte er.
      “Ach halt doch die Klappe”, murrte ich ihn an.
      “Was habe ich denn verpasst?”, scherzte Niklas, der nun auch mit Smoothie zurückkam und mich deutlich von oben bis unten musterte.
      “Eigentlich wollte ich mein Pferd duschen, aber es hat mich geduscht” antworte ich ihm.
      “Da werde ich glatt neidisch”, gab er zu und nahm den Sattel vom Rücken seiner Stute.
      “Ich hätte dich ja eingeladen, wenn Masko vorher gefragt hätte”, gab ich grinsend zurück. Masko legte kurz die Ohren an, als Smooth neugierig an ihrer Schüssel schnupperte.
      “Ey, benimm dich Masko”, tadelte ich die Stute und schon gingen die Ohren wieder in normal Stellung.
      “Ich schätze, das hätten die Beiden von selbst geklärt”, klärte Niklas mich auf und ging nun auch mit ihr zur Dusche. Da er sah, wie ich ihm nachschaute, zog er provokant sein Shirt auf und duschte sein Pferd. Als er sich umdrehte, sah man viele Kratzer auf seinem Rücken.
      “Sag mal in was für einen Busch bist du den Gefallen? Und vor allem wann, soweit ich weiß, haben wir kein Gebüsch auf dem Reitplatz”, fragte ich misstrauisch und betrachte seinen Rücken.
      “Ach das?”, fragte er etwas scheinheilig. “Das ist nichts, Mücken”, antwortete Niklas, ohne weiter etwas zu erklären, was gar nicht seine Art war.
      “Mücken?”, fragte ich wenig überzeugt, denn wie Mückenstiche sah das nicht aus.

      Vriska
      Bevor ich den Boden näher kennenlernen durfte, war es vor dem Stall ruhig. Nun schied es eine Großveranstaltung zu werden. Aufgeragt tänzelte Glymur neben mir her. Erst als ich fast neben Lina stand, sah ich Niklas der seine Stute abduschte, die Glymur schon auf einige Meter verrückt machte. Doch auch merkte, wie mein Verstand von mir floss. Anders als erwartet trug er Spuren von letzter Nacht auf sich, seinem Gesichtsausdruck zufolge, hatte Niklas es ebenfalls vergessen. Für einen Moment schien es, dass wir zusammen im Boden versinken wollten. Das einzige Wort, was ich hörte, war Mücken, was ich nutzen musste. Innerlich spürte ich wieder die letzte Nacht und musste mich wirklich zusammenreißen, dass mein Kopf nicht rot anlief.
      “Ach, bei dir waren sie auch heute Nacht?”, versuchte ich cool zu bleiben. Auch Glymur an Masko vorbeizuführen, wirkte sehr willkürlich und unkontrolliert.
      “Das müssen aber sehr hungrige Mücken gewesen sein!”, wirklich überzeugt klang Lina nicht. “Aber was ist dir denn passiert Vriska”, fügte sie dann bei einem Blick auf hinzu.
      Zum Glück wechselte sie das Thema auf mein Gesicht, was nicht besser aussah als sein Rücken. “Ich bin dahinten über eine Wurzel gestolpert und auf meine Schulter gefallen. Glymi war heute schrecklich, deswegen wollte ich absteigen und den Rest laufen”, erklärte ich Lina glaubwürdig. Im Augenwinkel sah ich, dass Niklas sein Shirt wieder anzog. Zum Glück. Den auf der Saubsaugerunfall auf seiner Brust war noch sichtbar.
      “Ja, die Erfahrung mit den seltsamen Pferden durfte ich heute auch schon machen”, sagte sie nur.
      “Aber du bist gleich wieder trocken, ich muss mich neu schminken”, maulte ich leicht herum, nahm den Sattel runter und warf in ins Gras. Dann führte ich den Hengst zurück auf seine Koppel. Beinah stolperte ich noch einmal über die Wurzel.

      Lina
      Irgendwie scheinen heute alle Lebewesen hier ein wenig seltsam zu sein. Aggressive Mücken, die scheinbar nur bestimmte Leute anfallen, Pferde, die ein wenig wild drauf sind und Vriska die scheinbar vergessen hatte, wie man läuft, bestätigten diese These. Während die Stute noch ihr Futter mampfte, setzte ich mich auf den Zaun. Erst beim Abstützen bemerkte ich, dass die Hand, aus der mir Masko die Longe gerissen hatte, von einem hübschen roten Streifen geziert wurde, den nun langsam begann weh zu tun und hier und da sogar Blasen zu werfen.
      “Wann lerne ich denn endlich mit Handschuhen zu longieren”, schimpfte ich vor mich hin. Gerade bei Maskotka hätte ich mir denken können, dass so etwas passiert, schließlich war es nicht das erste Mal, dass die Stute sich losriss.
      „Am besten Kühlen und Betaisodona drauf“, kommentierte Niklas, als er seine Stute zurückbrachte und an mir vorbeilief.
      “Na danke für den Tipp”, murmelte ich. Masko hatte endlich aufgefressen und somit brachte erst ihre Schüssel und dann auch die Stute weg. Natürlich fand sie sich viel zu sauber nach der Dusche und warf sich direkt wieder in den Sand auf der Koppel.
      Mit einem seufzen schloss ich das Tor hinter Masko. Eigentlich wollte ich jetzt direkt mit Nathalie weitermachen, doch jetzt musste erst mal meine Hand aufhören zu brennen. Also begab ich mich in die Küche, wo ich erst einmal einen gefühlten Liter Wasser über meine Hand laufen ließ.
      “Mal wieder ohne Handschuhe longiert?”, fragte Samu beiläufig, der sich gerade etwas zu trinken aus dem Kühlschrank holte.
      “Jap., sieht ganz danach aus”, antworte ich ihm leicht genervt, da ich mich auf eine Belehrung seinerseits bereit machte. Doch zu meiner Überraschung drückte er mir lediglich kommentarlos die Salbe in die Hand und verschwand wieder. Schon den ganzen Morgen lang hatte er kaum etwas zu mir gesagt, ob das mit dem Telefonat von gestern zusammenhing? Ich sollte ihn später noch mal ansprechen. Im Haus war es kühl. In Kombination mit meiner immer noch nassen Klamotte ein wenig zu kühl. Also beschloss ich, mein Zeichenzeug aus meinem Zimmer zu holen und mich zum trocken in die Sonne zusetzten.

      Niklas
      Dank Jayden fand ich Lina recht schnell. Sie saß im Gras mit ihrem Zeug. Vor einigen Tagen beobachte ich sie bereits dabei, was mir nun sehr gelegen kam. Auch wenn mir nach dem gestrigen Streit nicht ganz wohl bei der Sache war, musste ich das nun tun.
      “Lina?”, fragte ich vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken.
      “Ja, anwesend”, antwortete sie und blicke von ihrer Zeichnung auf.
      “Ich habe morgen den Termin fürs neue Tattoo und wollte dich fragen, ob du Lust hast dir vielleicht was Kleines auszudenken? M-Musst du nicht machen, ich dachte nur … ich dachte, es sei eine schöne Idee.”, stammelte ich etwas herum und es fiel mir schwer den Blickkontakt zu halten.
      “Was hast du dir das Ungefähr vorgestellt?”, fragte sie. Erstaunlicherweise schien sie gerade recht gut gelaunt zu sein.
      “Was Cooles? Ich weiß es nicht. Nie gehe mit Plan irgendwo rein, aber immer mit einem Tattoo raus.”, erklärte ich und setzte mich dazu.
      “Was Cooles ist aber keine hilfreiche Angabe”, sagte sich schmunzelnd. “Aber mal sehen, was mir so einfällt. Fangen wir doch mal an mit der Frage: Wo soll es überhaupt hin?”, fragte sie mich nun.
      “Entweder auf die linke Schulter oder Nacken. Meine Arme sind schon voll”, sagte ich und gucke mich auf meinem Armen nach einer freien Stelle um. Viel Auswahl gab es da nicht, wenn ich meine anderen Motive nicht bedecken wollte.
      “Na, das ist ja schon mal ein Anfang und wie groß soll das ganze werden?”
      „Nicht größer als meine Handfläche“, überlegte ich und zeigte sie ihr.
      “Und verfolgst du auch noch ein genaueres Konzept als was Cooles? Einen bestimmten Stil, ein Thema oder so?”, fragte sie weiter und ließ ihren Blick über meine Arme schweifen.
      “Kleines, stell mir doch nicht so komplizierte Fragen.”, begann ich zu maulen. “Hauptsache Schwarz, leichte Schattierung. Bisher habe ich einen Kompass, Wolken, einige Spielkarten, die Rose auf der Hand, eine Waffe und der Rest sind Muster.”
      “Na gut, dann warte mal einen Moment”, sagte sich und begann zu zeichnen. Kurz guckte ich zu, doch meine Aufmerksamkeitsspanne ähnelt eher einer Fliege. Ich legte mich auf den Rücken, hielt mein Handy über den Kopf. Chris hatte wieder Bilder geschickt, diesmal war es eine blonde Dame mit großer Oberweite. Kurz warf ich einen Blick zu Lina, die konzentriert über ihrem Blatt hing. Ich swipte weiter und guckte mir die Errungenschaften der anderen weiter. Auch Bilder, die ich von Anna und Milena machte, sah ich. Da fiel mir auf, dass für meine Sammlung Vriska fehlte und ich irgendwie noch an Bilder rankommen musste. Dann tippte Lina mich an und steckte mein Handy schnell in die Hosentasche.
      “So, das ist natürlich noch nicht ganz fertig, aber das wäre meine Idee”, präsentierte sie mir ein paar Minuten später eine grobe Skizze.
      “Ja, sieht doch super aus.”, sagte ich und guckte mir ihre Kunst an. Auch blätterte ich unbedacht im Block, ohne weitere Zeichnungen zu finden und gab es ihr zurück.
      “Kommst du dann morgen mit?”, fragte ich sie, während ich aufstand.
      “Ja, ich würde gerne sehen wie dieses Kunstwerk auf deine Haut landet”, antwortet sie.
      “Schön, dann morgen um 11 Uhr geht es los. Danke für deine Hilfe”, erklärte ich ihr und ließ sie allein. Mein Weg führte mich wieder zu Ju, der im Zimmer saß und an der Kür arbeitete.

      Lina
      Relativ gut gelaunt zeichnete ich noch weiter an dem Entwurf für Niklas Tattoo. Es war angenehm in der Sonne und vor allem, was ich so langsam auch wieder trocken. In etwas Entfernung nah, ich Schritte wahr und blickte auf. Jace und Alec gingen über den Hof. Irgendwie sah Jace aus als hätte er nicht sonderlich gut geschlafen. Bisher hatte ich verdrängt was gestern zwischen mir und Jace passiert war, doch jetzt Tat er mir wieder ein wenig leid. Bei den Aktionen, die er gebracht hatte, hätte ich niemals gedacht das ich ihm so wichtig war.
      Einen Moment lang wollte ich die Zeit zurückdrehen und den gestrigen Abend ungeschehen machen, bis mir mein Gehirn wieder sagte, dass es besser so war. Lieber die harte Wahrheit als sich ein Konstrukt aus Versprechungen aufzubauen, die eh nie in Erfüllung gehen werden.
      Seufzend legte ich den Stift beiseite, die Lust am Zeichnen war mir vergangen. Jetzt brauchte ich irgendeine andere Ablenkung, am besten eine Vierbeinige.
      Kaum hatte ich den Gedanken fertig gedacht, tauchte die kleine graue Katze auf die seit ein paar Monaten immer mal wieder hier auftauchte. Anklagend setzte sie sich vor mich ins Gras und maunzte mich an.
      “Du hast bestimmt Hunger, oder?”, fragte ich die magere Katze. Seit ich die kleine Entdeckt hatte, stand immer eine Dose Futter in der Küche. Also sammelte ich mein Zeug an und stand auf. Maunzend strich mir die Katze um die Füße und ich musste mir Mühe geben nicht über sie drüber zu fallen, während ich ins Haus lief. Drinnen legte ich mein Zeichenkram auf den Tisch und nahm eine kleine Schüssel aus dem Schrank. Erwartungsvoll sprang die Katze auf die Anrichte und beobachte, wie ich das Futter in den Napf gab.
      “Bitte schön, kleine”, sagte ich und stellte die Schüssel vor die Katze. Misstrauisch schnupperte sie an dem Inhalt, bevor sie zögerlich begann zu fressen.
      Ziemlich schnell hatte sie alles aufgefressen. Sanft strich ich der Katze über ihr weiches Fell, bevor ich die leere Schüssel wegräumte.
      “So, jetzt musst du aber wieder raus hier, die anderen haben dich nicht gern im Haus”, sprach ich mit der kleinen Katze und hob sie von der Theke. Statt einfach in meinen Armen zu bleiben, wühlte sie sich raus und kletterte auf meine Schultern.
      Mit der Katze auf der Schulter verließ ich die Küche wieder und begab mich nach draußen.

      Alec
      Mit viel Mühe und Einfühlungsvermögen hatte ich Jace endlich dazu bekommen aus seinem Zimmer zu kommen. Er hatte einfach die halbe Nacht in seinem Bett gelegen und bewegungslos die Decke angestarrt. Zum Frühstücken hatte ich ihn auch nur bekommen, weil ich es ihm auf Zimmer gebracht habe. Unglaublich so fertig hatte ich meinem besten Freund tatsächlich noch nie erlebt.
      “Und du möchtest immer noch nicht sprechen?”, fragte ich ihn während ich meine braune Stute trenste. Wortlos führte Jace seine Scheckstute zur Aufstiegshilfe.
      “Dann halt nicht”, sagte ich zu mir selbst und folgte ihm nach draußen. Jace stieg bereits auf und machte sich nicht mal die Mühe auf mich zu warten. Schnell stieg ich auf und ließ Keks neben Jace Stute traben. Wenn er nicht reden möchte, werde ich ihn so lange nerven, bis er es doch tun würde.
      Eine ganze Weile ritten wir schweigend nebeneinanderher, bis Jace auf einmal seine Stute auf einer kleinen Sonnenbeschienen Lichtung anhielt. Auch ich hielt meine Stute an und warte einfach was weiter passieren würde.
      “Alec…”, begann er nach einer Weile mit rauer Stimme. “... ich glaube, ich habe mich noch nie so… So leer gefühlt”, setzte er fort und starrte in den Wald vor uns. Ich sagte erst einmal nichts, sondern hörte ihm nur zu.
      “Ich dachte wirklich sie sei die eine”, erzählte er weiter und ich schwieg noch einen Moment, um ihm den Raum zu lassen, noch mehr zu sagen. Außerdem kamen nun auch in mir alte Gefühle hoch. Damals, noch bevor ich mich geoutet hatte, war ich in Jace verliebt gewesen, hatte es ihm allerdings nicht gesagt.
      “Weißt du Jace, manchmal hat das Schicksal andere Dinge für Menschen vorgesehen, die uns sehr am Herzen liegen. Dann muss man selbst stark sein und die Menschen ziehen lassen, auch wenn es noch so sehr schmerzt”, sagte ich mitfühlend. Ich konnte Jace Gefühle nur zu gut nachvollziehen, aber gleichzeitig wusste ich auch, dass es für mich damals gut gewesen war, Jace loszulassen. Wäre ich ewig dem unmöglichen nachgejagt hätte ich niemals Magnus kennengelernt und wäre vermutlich auch nicht geoutet.
      “Irgendwann wird auch dein großer Tag kommen”, fügte ich noch aufmunternd hinzu.
      Jace sah mich nur mit einem Blick an, in dem so viele Gefühle lagen, wie ich es bei Jace noch nie erlebt hatte.
      “Soll ich wieder meine Klappe halten?”, fragte ich. Jace antworte damit, dass er sein Pferd wieder antrieb, und ich folgte ihm still.

      Vriska
      Die Wärme wurde immer unerträglicher, weswegen ich den Entschluss fasste mich im Shirt an den Tisch im Wohnzimmer zu setzten. Immer wieder blickte ich verzweifelt auf meine Uhr, auf der die Zeit nicht verging. Vor mir langen die Unterlagen über die Führung eines landwirtschaftlichen Betriebs und ich konnte nicht von mir behaupten, wirklich motiviert zu sein. So blätterte ich also in den Seiten der zusammengehefteten Blätter hin und her, in der Hoffnung mir etwas zu merken. Doch die Worte schwirrten nur vor meinen Augen, ohne dass etwas davon verstand. Das lag jedoch nicht an den Unterlagen an sich, sondern meiner Lustlosigkeit. So beschloss ich es, fürs Erste sein zulassen. Unmotiviert schmiss ich mich mit dem Kopf voran in das frisch bezogene Bett und schrie ins Kissen, bis ich Schritte hinter mir vernahm. Panisch drehte ich mich um. Ju stand im Raum, betrachtete die Unterlagen. Mit seinen großen Augen blickte er mich an.
      “Klarar du dig? (Kommst du klar?”, fragte er mit einem ironischen Unterton.
      “Jovisst … (Ja, natürlich)”, murmelte ich leise und drehte mich zurück ins Kissen. Wortlos setzte er sich zu mir und legte seine Hand auf meinen Rücken. Schmerzerfüllt drehte ich mich wieder um.
      “Was willst du denn?”, fragte ich ihn gestresst.
      “Jetzt entspann dich doch mal. Ich wollte nur gucken, ob alles okay ist, seit ein paar Tagen bist du so komisch.”, antwortete Ju und wirkte besorgt.
      “Ach, kennen wir uns schon so lange, dass du das beurteilen kannst?”, regte ich mich auf. In mir stieg grundlos die Wut auf.
      “Es nervt mich, dass du immer so schlechte Laune hast, es an mir auslässt, obwohl ich nicht Ansatzweise für deine Unzufriedenheit kann. Wenn’s dir passt, kannst du dich gern wieder melden.”, sagte er nun deutlich angespannt und verschwand wieder. In mir zog sich alles zusammen und ich schrie wieder ins Kissen. Warum bin ich so? Kann ich mich nicht normal verhalten wie alle anderen? Ich stellte fest, dass Kanada noch immer um mich herum war und ich nicht einfach in Wald zu meinem Hochstand gehen konnte. Vermutlich würde es hier auch so etwas geben, doch mit hoher Wahrscheinlichkeit würde ich nie wieder zurückfinden. Mein Handy half dabei auch nicht. So kramte ich wieder nach meinem Pulli, zog die Kapuze über den Kopf und lief raus zur Weide zu meinem Hengst. Auf dem Weg sah ich Linh bei Ju sitzen. Genervt wendete ich den Kopf wieder nach vorn und blickte zu Boden. Diesmal achtete ich mehr auf den Untergrund, um nicht erneut zu stürzen. Glymur graste fröhlich mit seiner Decke und hatte in dem Moment rein optisch einige Übereinstimmungen mit mir.

      Lina
      “Und was machen wir zwei jetzt?”, fragte ich die kleine Katze. Natürlich bekam ich keine Antwort.
      “Na gut, wenn das so ist, müssen wir wohl mal schauen, ob uns was über den Weg läuft”, meinte ich zu der Katze und begann über den Hof zu schlendern. Irgendwie war nichts los auf dem Hof. Auf einmal sprang mein kleiner Passagier von meiner Schulter und lief zielstrebig auf die Reithalle zu und verschwand aus meinem Blickfeld.
      “Na, wo willst du denn auf einmal hin”, murmelte ich und folgte der Katze. Samu ritt gerade Lifesaver. Die kleine Katze ließ sich gerade auf der Bande nieder und ich gesellte mich dazu, was dazu führte, dass der Schimmelhengst seine Konzentration verlor und ausfiel.
      “Na, wen hast du denn da mitgebracht”, fragte nun Samu, der seinen Hengst zu uns rüber trotten ließ.
      “Na sieht man doch, eine Katze. Die kleine taucht immer mal wieder hier auf”, erklärt ich und beobachtete Lifesaver wie er neugierig die Katze beäugte. Vorsichtig streckte Lifey die Nase nach dem grauen Fellbündel aus. Die Katze schien recht wenig an dem Pferd interessiert, denn sie schmiegte sich lieber an mich und begann zufrieden zu schnurren.
      “Scheint ganz so als fände dein Pferd die kleine deutlich interessanter als sie ihn”, sagte ich lachend zu Samu, denn der Schimmel beschnupperte neugierig den zuckenden Schwanz der Katze.
      “Sieht ganz so aus” erwiderte Samu lachend. “Aber eigentlich wollte ich heute reiten und nicht hier herumstehen”, fügte er dann noch hinzu und versuchte seinen Hengst wieder in Bewegung zu setzen, der die Katze allerdings deutlich spannender fand
      “Na, wenn der Herr nicht gestört werden möchte, gehen wir dann wohl”, erwiderte ich und hob die Katze von der Bande, um sie nach draußen zu tragen. Draußen sprang sie auf den Boden und verschwand hinter der Halle.
      Gut, ich hatte bis jetzt auch schon genug Zeit vertrödelt, ich sollte nun wirklich Nathalie holen. Kurz darauf stand ich mit der Scheckstute am Anbinder und putzte sie. Für heute hatte ich mir vorgenommen zu testen wie die Stute mit festen Hindernissen und Wasser zurechtkommen würde, da sie dabei ohnehin wieder dreckig werden wird, beschränkte ich das Putzen auf die notwendigen Stellen. Somit hatte ich die Stute recht schnell gesattelt und war bereit zum Losreiten. Doch halt, während ich an den Schutz meines Pferdes gedacht hatte, hatte ich meinen fast vergessen.
      “Warte süße”, sagte ich zu Nathalie und parkte sie vor der Sattelkammer, um Weste und Helm zu holen. Als ich wieder auf die Stallgasse trat, musste ich leider feststellen, dass Nathalie nicht brav gewartet hatte, sondern geradewegs auf der Stallgasse herumspazierte.
      “Heute hast du es aber eilig”, rief ich meinem Pferd hinterher. Die Stute dachte nicht daran mich zu beachten, sondern spazierte lieber in die geöffnete Box neben ihr, um den Futtertrog auszukundschaften.
      “Na, erst die Arbeit”, sagte ich zu der Stute, als ich sie in der Box einsammelte und zum Aufsteigeblock führte. Immerhin blieb die Stute bei Aufsteigen artig stehen. Zum Aufwärmen beschloss ich erst einmal eine kurze Runde, um den Hof zu drehen und im flotten Schritt lief die Stute los.

      Vriska
      Während ich jeden Biss ins Gras meines Hengstes betrachtete, kam mir eine Idee für einige Stunden nicht von mir zu weisen und weiter das Gespött vom Hof zu sein. In der Hütte hatte ich in meiner Tasche noch Stuff übrig von Ambrose. Auf dem Weg dorthin meldete sich mein Schrittzähler, der sich darüber freute, dass ich das heutige Ziel erreicht hatte. Genervt entfernte ich die Meldung. Länger als ich dachte, kramte ich in meiner Tasche, bis ich fündig wurde. “Komm’ Vriska”, sagte ich zu mir selbst und baute mir Tütchen, nahm meine Schachtel und Feuerzeug nach draußen. Direkt auf dem Hof wollte ich niemanden belästigen, lief also durch den großen Toreingang weg. Ein prüfender Blick verriet mir, dass ich allein war und zündete ihn an. Entspannt setzte ich mich ins Gras und rauchte die viel zu große Tüte auf. Die Zeit schien an mir vorbeirennen und lehnte mich nach hinten ins Grüne. Wenige kleine Wolken huschten am Himmel vorbei und ich spürte einen Windzug in meinen Pulli ziehen. Ich merkte, dass sie Hitze immer unerträglicher wurde, so zog ich das zu große schwarze Ding aus und legte mich zurück. Vielleicht sollte ich doch mit Lina drüber sprechen, überlegte ich. Doch auch in diesem Zustand fand ich es keine gute Idee. Stattdessen griff ich nach meinem Handy und suchte nach Jenni als Erstes auf Instagram. Bevor ich mich bei ihr meldete, musste ich wissen, was sie überhaupt machte. Den Vorteil hatte meine Mädchen schon immer, sie posten jeden Nonsens. Natürlich tat ich das damals auch. So entdeckte ich, dass auf meinem Profil noch mehr Bilder von damals waren, als ich dachte. Kurz musste ich darüber nachdenken, ob ich das noch bin. Ja. Das bin ich noch. Schnell kam ich auf den Beschluss, dass diese Fahrt viele Dinge von mir wieder hervorbrachte, die ich in Deutschland innerhalb weniger Wochen ablegen konnte. Nun festigte sich das alles wieder. Jenni schien zu Hause zu sein, natürlich. Es müsste in England 21 Uhr sein. Ich fand auch heraus, dass sie noch immer mit den anderen um die Häuser zog. In meinen Nachrichten suchte ich nach ihr und schrieb: “Hej Jenni. Es tut mir leid, dass ich mich nie gemeldet hatte, seitdem ich nicht mehr zu Hause bin. Seit dem Vorfall bei meinem Vater musste ich viel verarbeiten und war nicht bereit dazu mich bei alten Freunden zu melden. Falls du Zeit hast, ich brauche deine Hilfe. Dringend. In Liebe, Vriska”. Dann steckte ich mein Handy weg, stand auf und lief wieder zum Hof. Nach dem Durchqueren des großen Tors vibrierte mein Telefon bereits. Zittern nahm ich es aus der Hosentasche. Ich las: “Hey Vriska. Du weißt doch, ich bin immer da, wenn du mich brauchst. Freud mich von dir zu hören, auch wenn es nach einem unschönen Anlass klingt.” In meinem Kopf drehte es sich. Jeder Schritt, den ich lief, fühlte sich an, als würde ich schweben. Das Zeug kickt. So musste ich erst einmal stehen bleiben im Schatten, um ihr Antworten zu können. “Ich habe mit einem Typen geschlafen. Das erste Mal. Und es ist der zukünftige Freund von einer neuen Freundin.”, versuchte ich mich kurzzufassen. Im Kopf flogen wieder die Momente der letzten Nacht herum und ich spürte ein Kribbeln in meinem Bauch. Es fiel mir schwer daran zu glauben, was passierte. “Klingt doch nach keinem großen Drama, klar ist nicht cool von dir, aber es gehören immer Zwei dazu und solang es noch nichts Ernstes mit den Beiden ist, mach dir nicht weiter Gedanken. Irgendwann kannst du es ihr erzählen, aber auf keinen Fall jetzt. Das geht dich nichts an. Aber ich muss dann auch ins Bett. Lass uns morgen doch mal morgen telefonieren”, hatte sie schon geantwortet und ich hielt mich kurz mit “Okay”, bevor ich es wieder in meine Tasche steckte. Jenni fand immer die richtigen Worte, die jemand hören wollte. Zufriedener lief ich weiter und sah Samu einen Schimmelhengst zum Stall führen. Da ich immer noch den Schmerz im ganzen Körper hatte, gab ich mein Bestes in dem Zustand zu ihm zu laufen. Mein Mitteilungsbedürfnis war noch immer groß, so suchte ich noch Rat bei ihm. Zumindest versuchte ich es. Den Beiden nachzukommen stellte sich eine große Schwierigkeit heraus.

      Samu
      Nach der kurzen Unterbrechung von Lina und der Katze, hatte Lifey noch hervorragend mitgearbeitet, sodass ich das Training relativ bald beendete. Zufrieden sabbernd lief er neben mir her. Auf dem Putzplatz nahm ich ihm die Trense ab und erst durch den aufmerksamen Blick des Schimmels die Stallgasse hinunter bemerkte ich Vriska, die sich näherte.
      “Kann ich dir irgendwie helfen?”, fragte ich die junge Frau hilfsbereit.
      Es dauerte einen Moment, bis sie antwortete: “Weiß auch nicht so richtig. Irgendwie zerfrisst es mich von innen.”
      Irgendetwas schien ihr auf dem Herzen zu liegen.
      “Möchtest du darüber reden?”, fragte ich freundlich, während ich meinem Hengst das Halfter überstreifte und ihn anband.
      “Ich habe was getan, worauf ich nicht stolz bin, aber ich bereue es nicht, empfinde es nicht als Fehler. Es war nur falsch und nicht nett gegenüber Anderen.”, murmelte sie, ohne den Blickkontakt zu suchen, stattdessen guckte sie zum Boden.
      Sie antworte überaus rätselhaft, weshalb es gar nicht so einfach ist eine Antwort auf ihre Frage zu finden. Doch es war offensichtlich das, was auch immer es ist, ihr das ganz schön zu schaffen macht.
      “Wer sagt denn, dass es falsch ist? Nur weil etwas nicht nett ist, muss es nicht gleich falsch sein”, antworte ich ein wenig nachdenklich, während ich Lifesaver absattelte.
      “Weil ich damit die Gefühle von anderen verletzt habe oder noch könnte. Das ist doof, aber ich weiß auch nicht. Mir hat’s Spaß gemacht und ich würde es jederzeit wieder tun.”, erklärte sie.
      “Schwierig… Die Frage ist die, ob dir deine oder die Gefühle der anderen wichtiger sind und bei der Entscheidung kann dir eigentlich nur dein Gewissen helfen”. Ihre Lage schien nicht ganz einfach zu sein und ich würde ihr gerne hilfreicher Ratschläge geben, doch sobald es um die Gefühle von außenstehenden geht, muss jeder persönlich abwägen.
      “Okay … Danke für deine Zeit. Ich geh’ dann lieber”, verabschiedete Vriska sich und schien nicht ganz anwesend zu sein.
      “Kein Problem, ich helfe gerne, wo ich helfen kann”, sagte ich noch, während Vriska sich schon entfernte. Ich fühlte mich leicht unwohl, dass ich ihr nicht wirklich helfen konnte, doch bei der Sache kann sie sich leider nur selbst helfen.
      “Na, komm kleiner, dann bring ich dich mal auf die Koppel”, sagte ich seufzend zu meinem Pferd und löste die Anbinder von seinem Halfter.

      Niklas
      Zusammen mit Ju erarbeiteten wir die Kür weiter, bis er nach einem Blick auf sein Handy, ohne etwas zu sagen das Zimmer verließ. Versunken über meinem Plan für Humbi, verblieb ich im Zimmer, bis ich seltsame Geräusche wahrnahm. Vriska irrte Gedanken verloren umher und führte Selbstgespräche.
      “Kann man dir helfen?”, fragte ich höflich und lehnte mich aus dem Fenster des Zimmers mit den Unterarmen gestützt auf dem Fensterbrett.
      “Ich habe Hunger”, flüsterte Vriska und kam näher.
      “Dann komm’ rein, wir haben noch was”, bat ich sie rein und half ihr durchs Fenster. Ungeschickt blieb Vriska mit ihrem Fuß hängen, stolperte und fiel geradewegs in meine Arme.
      “Nog? Du bist heute stürmischer als sonst … obwohl, wenn an letzte Nacht denke”, begann ich.
      “Lass mich los”, nörgelte Vriska und blickte hoch zu mir. Ihre Augen waren feuerrot, was viel darüber aussagte, wieso sie so drauf war. Ich ließ sie los und ging zum Kühlschrank, um ihr das Mittagessen aufzuwärmen.
      “Nee, lass das Schnitzel darauf”, meckerte sie, als ich begann zu sortieren. Ohne zu antworten, legte ich alles zurück auf den Teller und erwärmte alles in der Mikrowelle. Konzentriert blickte sie zu dem Essen, das sich drehte. Das Piepen des Gerätes erschreckte sie auf. Freundlicherweise holte ich den Teller aus der Mikrowelle und stellte ihn auf den Tisch. Dann setzte ich mich dazu. Genüsslich begann sie zu Essen und ich scrollte mich durch endlose Bilder auf meiner Timeline. Immer wieder bekam ich die Benachrichtigung über neue Likes und auch Follower. Es schien, als würden die Leute nie schlafen. Vermutlich wird die Zeitverschiebung auch sein Teil dazu betragen.
      “Wie schaffst du das eigentlich?”, unterbrach Vriska die Ruhe.
      “Mhm?”, guckte ich von meinem Telefon auf und legte es Beiseite.
      “Du bist so … normal. Als wäre gestern nichts passiert”, murmelte sie vor sich hin und schob den leeren Teller von sich. Dann sprach sie weiter: “Du gibst mir etwas zum Essen, sitzt hier einfach so. Als hätte nichts eine Bedeutung.” In meinem Kopf spielten sich wieder die Szenen vom Abend ab. Es war nicht das erste Mal heute, natürlich dachte ich daran und fühlte mich schlecht dabei, dass sie behauptet, dass es mir nichts bedeuten würde. Als hätte nichts eine Bedeutung für mich.
      “Das stimmt so nicht”, begann ich mich zu verteidigen und versuchte sie etwas aufzumuntern: “Wir hatten einen schwachen Moment, wir brauchten einander. Und jetzt geht es weiter, wie vorher. Es ist alles cool.”
      Ihre Blicke sagten alles. Für sie konnte es nicht einfach weitergehen wie immer. Am liebsten hätte ich mich selbst geohrfeigt für diese Worte, denn damit traf ich einen Nerv bei ihr. Einen, der offensichtlich gut geschützt wurde von einer Mauer aus Erinnerungen. Tränen liefen ihre Wangen herunter.
      „Kann ich dir jetzt irgendwie helfen? Meine Wortwahl war …“, ich pausierte, um das richtige Wort zu finden. So merkte ich, dass es nicht nur Buchstaben aufgereiht an anderen Buchstaben. Sie bedeuten mehr und viel mehr. „klumpig“ fiel es mir nur auf Schwedisch ein. Das zauberte ihr ein Lächeln auf die Lippen. „Unbeholfen? Ungeschickt?“, half Vriska mir. Ich nickte zustimmend.
      „Und nein, du kannst mir nicht helfen. Alles was ich nun sagen würde, wären Wünsche und keine wirkliche Hilfe“, fügte sie noch hinzu. Ich bemerkte ihre Blicke. Es waren die von letzter Nacht. In mir kribbelte es und mein Körper schien sich auf mehr vorzubereiten. Kurz schloss ich die Augen, denn es sollte nicht wahr sein. Tief atmete ich durch, eh ich wieder die Augen öffnete.
      „Das geht Vriska. Auf keinen Fall“, flüsterte ich.
      „Was geht auf keinen Fall?“, wiederholte Ju interessiert meine Worte, als er in das Zimmer hereinkam.
      „, Dass ich mich mal auf Humbi setze, ich wollte sie so gern mal näher kennenlernen aber weder sie noch ich sind schon so weit“, log sie fast fröhlich. Ihre Augen waren noch immer rot und auch ihre Wagen waren verschmiert mit schwarzer Farbe ihrer Augen. Es schien jedoch schon etwas länger so auszusehen.
      „Ach Mensch. Ich hab’s auch schon versucht“, stieg er mit ein und setzte sich dazu. Ihm fiel auf das etwas anderes war. Doch er fragte nicht.

      Lina
      Auf dem Weg zum Geländeplatz hatte ich Jace und Alec am Waldrand entdeckt, was meiner inzwischen doch recht guten Laune einen kleinen Dämpfer versetzte. Die beiden waren zwar zu weit weg, als dass ich eine Laune oder Ähnliches hätte deuten können, dennoch sagte mir mein Bauchgefühl, das Jace das ganz nicht so gut verkraftete wie Alec behauptete und mein schlechtes Gewissen meldete sich wieder. War es denn wirklich das richtige gewesen es ihm so direkt zusagen? Hätte ich es überhaupt sagen sollen? Zu diesen Zweifeln gesellte sich nun auch noch der Gedanke an Samus seltsames Verhalten vorhin im Haus. Normalerweise hätte er mir einen stundenlangen Vortrag gehalten, warum man nicht ohne Handschuhe longiert, dass ich meine Pferde gefälligst regelmäßig Bewegen soll und dass es reichlich dämlich ist mit einem unausgelasteten Pferd gleich auf den Platz gehen zu wollen. Doch, das hatte er nicht getan, aber in der Halle war er dann wieder so normal. Wie schaffen das alle immer so normal zu bleiben? Wobei was heißt, normal… Was ist denn normal überhaupt?
      Mein Gedanken wurde abrupt beendet, als Nathalie fast über ihre eigenen Füße fiel und ein wenig unsanft mit der Nase bremste. So viel zum Thema auf sein Pferd konzentrieren also. Scheinbar ist heute nicht der Tag, wo ich einem Pferd gegenübertreten sollte. Als Nathy sich wieder aufgerappelt hatte, stieg ich ab, um mir die Knie der Stute anzusehen, auf die sie gefallen war. Zum Glück war, außer ein paar Grasflecken dort nichts zu entdecken.
      Jetzt stellte sich nur die Farge wie ich wieder auf mein Pferd kommen sollte. Nathalie war mit ihren 170 für einen Zwerg wie mich ganz schön riesig und natürlich hatten wir keine Aufstiegshilfe auf dem Geländeplatz, da wir hier für gewöhnlich nicht zu Fuß unterwegs sind.
      “Vielleicht sollten wir einfach umkehren”, sagte ich ratlos zu meiner Stute. Diese schüttelte sich nur und sah nicht aus als wäre sie bereit mir zurück zum Hof zu folgen.
      “Na gut, du hast ja recht, du musst dich ja schließlich bewegen”. Einen Moment lang stand ich einfach nur dämlich in der Gegend herum.
      Freundlich stupste die Scheckstute mich an und erst da fiel mir auf, dass man Hindernisse wie Baumstämme auch als Aufstiegshilfe nutzen konnte.
      “Mensch Nathalie, ich glaube ich bin heute einfach nur dämlich”, sagte und schüttelte den Kopf über mich selbst. Mit der zugegebenermaßen recht späten Erkenntnis führte ich die Stute also zu einem der Baustämme, die auf dem Boden lagen und parkte sie dort so, dass ich Aufsteigen konnte. Natürlich kam jetzt Jayden um die Ecke, scheinbar nicht auf dem Weg zum Geländetraining, denn er saß ohne Sattel auf seinem Schimmel.
      “Vom Pferd gefallen?”, rief er mir belustigt zu.
      “Nein”, motze ich ihn an. “Bist du eigentlich nur hier, um mir auf die Nerven zu gehen?”
      “Also eigentlich, wollte ich dir nur behilflich sein, aber du scheinst ja wunderbar allein zurechtzukommen”, antwortete er und drehte seinen Hengst wieder um.
      Während Jayden wieder verschwand, kletterte ich alles andere als elegant auf mein Pferd, da ich die Höhe des Baumstamms wohl ein wenig überschätzt habe.
      Zum locker werden begann ich nun Nathalie ein wenig über ein paar kleiner Hügel zu traben und anschließend das Ganze auch noch im Galopp. Die braun Weiße Stute arbeitet fleißig mir und galoppierte schön ruhig über die großen Flächen und auch die Wechsel sprang sie schön sauber.
      Als erstes Element wollte ich eine kleine Stufe mit der Stute testen. Dafür ritt ich erst einmal im Trab die Stufe hinunter. Die ersten Male fand die Stute es noch ein wenig gruselig und machte einen riesigen Satz, statt sich einfach fallen zu lassen, doch das legte sich recht schnell, sodass wir das Ganze auch recht schnell andersherum probierten.
      Nach der Stufe nahm ich ein paar kleine Sprünge im leichten Galopp die Nathalie, dank ihrer Springerfahrung problemlos meisterte. Natürlich schaute sie hier und da mal ein wenig komisch, doch sie sprang immer zuverlässig. Neben den Stufen und kleinen Hindernissen machte ich sie auch noch mit Wällen, kleinen Gräben und Untergrundwechseln vertraut.
      Wie ich es von der Stute kannte, arbeitete, sie steht bemüht mit und ließ sich auch nicht auf der Konzentration bringen. Jetzt stand also nur noch der Endgegner auf dem Plan. Das Wasser. Im Schritt ritt ich an das Wasserloch ran und ließ sie das ganze erst einmal in Ruhe beäugen. Es dauerte nicht lange, das steckte die Stute ihre Nase hinein und begann erst einmal zu trinken.
      “Prima”, lobte ich die Stute als sie dann auch von ganz allein die ersten Schritte in das nass wagte. Einen Moment lang ließ ich die Stute noch das Wasser allein erkunden bevor ich begann, erst im Schritt und anschließend auch im Trab und Galopp ein wenig durch das Wasser zu reiten. Offensichtlich machte Nathalie das Wasser sehr viel Spaß, denn als ich ca. 20 Minuten später unser Training beendete, hatte das Pferd und ich ein stylishes neues Punktemuster.

      Vriska
      Schneller als mir lieb war, ließ die Wirkung nach. Es fühlte sich an, würde mir jemand den Boden unter den Füßen wegziehen. Erschöpft stellte ich den Teller weg und wollte mich auf den Rückweg zum Zimmer machen, um weiter zu büffeln. Doch mein Plan ging nicht auf, den Niklas hielt mich auf.
      “Wir können für eine praktische Prüfung mit Humbi arbeiten, dann ist es wie reiten.”, schlug er vor. In der Tür drehte ich mich um, nickte und wir verabredeten uns bei ihm vor dem Zimmer. In mir machte mein Herz Luftsprünge und aufgeregt, zog ich mir meine Reithose an und ein langärmliges dünnes Shirt drüber.
      “Ich bin so weit”, sagte ich, als wieder am Zimmer von ihm stand.
      “Denkst du nicht, dass Humbi sollte sich erst mal an das alles gewöhnen?”, merkt Ju skeptisch an.
      “Ach, sie kann sich ruhig etwas mehr bewegen. Aus Informationen des Züchters weiß ich, dass sie täglich zwei Stunden trainiert wurde, so konnte die Bodenarbeit kaum etwas verschlimmern oder verbessern.”, verteidigte Niklas die Idee.
      Zusammen liefen wir zur Weide, auf der Northumbria genüsslich graste. Sie freute sich genauso sehr wie ich ihn zu sehen und kam zur Begrüßung an den Zaun. Mein Blick schweifte immer wieder zu Niklas, der konzentriert wirkte. Als er es bemerkte, drehte ich mich schnell zu seiner Stute.
      “Nun, dann fangen wir direkt hier an. Welche Verhaltensweise zeigt Humbi in Bezug auf ihre Umwelt? Was lässt sich dabei für die nachfolgende Arbeit ableiten?”, fragte er mich und setzte sich auf den Zaun. Neugierig stupste sein Pferd ihn in die Seite. Ich ging einige Schritte zurück, um das Pferd besser im Auge zu haben. Die Wärme der Sommer erhitzte mein dunkles Oberteil, ein wenig Schweiß lief meinem Rücken herunter.
      “Auf den Blick wirkt Humbi gelassen und aufmerksam. Doch ihr schlagender Schweif und den Rückzug zu dir zeigt, dass sie kein Vertrauen zum Menschen generell hat und nervös ist. Ihr Ohrenspiel ist zurückhaltend und sie hat die Umwelt ständig im Auge. Bei der Arbeit mit ihr sollte man immer darauf gefasst sein, dass ihr Verhalten umspringt oder die Signale anders deutet. Grundsätzlich vermute ich, dass Humbi motiviert ist und beim Vertrauen sich auf den Menschen verlässt.”, versuchte ich die Stute zu analysieren. Niklas sprang vom Zaun und Humbi ging einige Schritte mit angelegten Ohren zurück.
      “Ist doch schon mal ein Anfang. Dann hol sie mal raus und wir gehen auf den Platz”, erklärte er mir und reichte mir den Strick des Pferdes. Vorsichtig betrat ich die Weide. Die Stute stellte sich vor mir und hob den Kopf. Sie wirkte verunsichert und wollte mich versuchte mich zu verscheuchen. Freundlich streckte ich meine Hand vor ihren Kopf. Dieser senkte sich und mit ihren großen Nüstern beschnuppert sie mich. Ihre Körperhaltung verändert sich und macht mir den Weg frei. Einige Schritte ging ich auf sie zu und befestigte den Stick am Halfter. Ich streiche mit meiner Hand über den Hals der Stute, die deutlich größer war. Niklas hielt mir das Tor auf und zusammen verließen wir die Weide. Der Weg zum Stall verlief ohne Vorkommnisse und Humbi merkte, dass ich ihr nichts Böses wollte. So senkte sie immer, wenn nötig den Kopf, dass ich die Möglichkeit hatte sie vollständig zu Putzen. Bei dem Rücken half Niklas, da ich nicht viel sehen von diesem sehen konnte. Ich genoss den Moment der Zweisamkeit und wünschte, die Zeit würde stillstehen. Auch Humbria war sehr gelassen und döste in der Mittagssonne.

      Samu
      Nachdem ich den jungen Schimmelhengst auf die Koppel gebracht hatte, war nun der nächste Kandidat dran. Dieser wartete auch schon am Koppelzaun.
      Neugierig hatte Elf Dancer mich schon beobachtet, wie ich seinen Kumpel zurückbrachte.
      Wie immer ließ der braune Hengst sich brav einsammeln und folgte mir zum Putzplatz.
      Am Stall musste ich leider feststellen, dass mein Lieblingsplatz leider schon besetzt war.
      Niklas und Vriska, standen dort mit der neuen Stute, die nun neugierig den Kopf hob, als sie mein Pferd und mich bemerkte. Neugierig wie Elf nun mal war, blieb er natürlich stehen, um sich die Stute näher anzuschauen.
      “Hübsches Pferd hast du da”, sagte ich an Niklas gerichtet, während ich auch ein Blick auf die Stute warf.
      “Das weiß sie zu schätzen”, scherzte er und legte die Bürste zur Seite. Vriska wirkte etwas teilnahmslos da und verschwand, um das Kappzaum zu holen, dass Jayden ihnen zur Verfügung gestellt hatte.
      “Ich glaube bei dir weiß jedes Pferd zu schätzen, was es hat”. Auch wenn ich ihm immer noch ein wenig misstrauisch gegenüber war, das musste ich ihm dennoch zugestehen. Mit Pferden konnte er wirklich gut. Dancer begann nun am Strick zu ziehen und mit den Hufen zu scharen, weil er unbedingt näher an die Stute wollte.
      “Ist es ok für dich, wenn er mal schnuppert?”, fragte ich Niklas freundlich als mein Hengst den Hals immer länger machte. Auch wenn ich mir nicht die Gedanken machte, dass Elf Blödsinn im Kopf hat, mag es doch nicht jeder, wenn Hengste ihren Stuten zu nahekommen, zumal ich ja auch nicht weiß, wie die braune Stute reagieren wird.
      “Klar, sofern er nicht den nächsten Moment nutzt, ein Fohlen zu zeugen, ist doch in Ordnung”, schmunzelte er und ging einige Schritte zur Seite.
      “Keine Sorge, der ist sehr wohlerzogen”, sagte ich und gab Elf den Raum, um sich der Stute zu nähern. Mit freundlich aufgestellten Ohren näherte er sich einige Schritte und schnupperte neugierig an der Stute. Kurz quietschte sie und trat mit dem Vorderbein nach ihm. Dancer trat daraufhin zwar ein paar Schritte zurück, ließ sich aber nicht beirren und wollte die Stute weiterhin kennenlernen. Sie schien allerdings anderer Meinung zu sein, wenn man ihre Ohren so sah.
      “Das scheint mir so als fände die Dame dich nicht so interessant, Ruskea”, sagte ich dann zu meinem Hengst und strich ihm über den Hals.
      “Ich glaube, wir gehen dann mal, der große soll sich schließlich noch ein wenig bewegen” fügte ich dann an Niklas gewandt hinzu und führte den braunen Hengst in die Stallgasse.

      Vriska
      “Alles klar, sie muss sich noch daran gewöhnen mit anderen Pferden Kontakt zu haben. Wir werden gleich auf den Platz gehen. Vriska möchte noch Unterstützung haben für ihre Abschlussprüfung im Longieren und ich kann auch noch meine Übungen fürs Training für den Schein wiederholen.”, hörte ich Niklas zu Samu sagen, während ich mich noch in der Sattelkammer versteckte.
      “Sie ist nicht das erste Pferd, welches so auf anderes Pferd reagiert, wir haben hier auch den ein oder andern Kandidaten, der das erst lernen musste. Naja, und der Dicke hier ist ihr vielleicht auch einfach zu aufdringlich”, kam von Samu eine freundliche Antwort.
      Ich hörte, dass er sein Hengst weiterführte und verließ die Kammer.
      „Na, hattest du dich verlaufen?“, konnte Niklas sich nicht verkneifen.
      „Ich wollte nicht …“, wollte ich mich rechtfertigen, doch er unterbrach meine Worte: „Versteh‘ schon. Jetzt mach‘ sie fertig für die Doppellonge.“
      So stellte ich mich vor das Pferd und löste den Haken des Halfters ab der Ganasche. Nervös richtete sie ihren Kopf auf. Unbeholfen blickte ich Niklas an, der mit verschränkten angelehnt an der Wand stand.
      “Vielleicht solltest du erst mal lernen, wie man ein Pferd abhalftert, besonders bei deiner Größe”, scherzte er und kam näher. Er verschloss das Halfter erneut und ging zur Seite. Fragend beobachtete ich was Niklas tat. Mir war nicht klar, wovon er sprach, doch stellte ich mich wieder zu ihr, hielt ihr ein Leckerchen hin und wiederholte es. Humbi hingegen nahm das Leckerli und streckte wieder den Hals samt Kopf nach oben, als wüsste sie ganz genau, dass ich da nicht herankommen würde.
      “Offenbar ist sie dir nicht nur in der Größe überlegen”, lachte er.
      “Was soll das denn heißen?”, protestierte ich und verschränkte eingeschnappt die Arme.
      “Stell dich mit deiner rechten Schulter an ihren Hals, sodass du jeder Zeit mit deinem rechten Arm unter sie hindurch zu der anderen Seite des Kopfes greifen kannst. Dann senkt Humbria automatisch den Kopf und du kannst ohne Probleme alles machen”, erklärte er mir mahnend. Wieder mal blickte nur unbeholfen zu ihm aber versuchte es direkt. Die Art der Stute war direkt verändert. Sie legte entspannt den Kopf auf meine Schulter, so konnte ich das Halfter öffnen und über ihren Hals ziehen. Dann nahm ich den Kappzaum und legte es ihr an. Mit meinen Fingern kontrollierte ich, wie es saß. Passt, dachte ich. Einwände von dem Oberlehrer kamen keine, so konnte ich fortfahren und ihr den Gurt umlegen. Da ich ungern ihn ihr über den Rücken schmeißen wollte, fragte ich Niklas nach Hilfe. Statt mir den Gurt abzunehmen und der Stute diesen draufzulegen, hob er mich hoch.
      Auf dem Platz stand die Sonne und so gut wie kein Schatten legte sich über den Sand. Ein Blick in den Himmel verriet mir, dass sich das auch so schnell nicht ändern würde. Niklas setzte sich auf den Zaun des Platzes und legte sein T-Shirt neben sich. Abgelenkt guckte ich ihn an und Humbi machte sich selbstständig. Neugierig lief sie los zurück zum Tor.
      “Statt mich zu bewundern, solltest du dich auf das Pferd konzentrieren. Sie geht gerade”, mahnte er und ich guckte mich um. Fröhlich graste sie am Rand. Mit ihrem Hinterhuf stand sie auf der Longe, so musste ich langsam vorgehen, damit sie sich erschreckte. Ich sprach Humbria an, damit sie hörte, dass ich kam. Mit gespitzten Ohren drehte sie sich zu mir und die Longe zog fest am Kappzaum. Ich hob ihr mein Bein hoch und befreite sie. Sie streckte aufgeregt den Kopf nach oben, aber folgte mich im Anschluss. Zunächst liefen wir gemeinsam einige Runden im Schritt über den Platz. Mehr als dachte, schwitzte ich zu Tode und würde gern mich meines Shirts entledigen, doch ich wollte nicht meinen Rücken zeigen oder einen Sonnenbrand bekommen. Gelassen folgte sie mir, so beschloss ich die Doppellonge vollständig zu befestigen.

      Lina
      Nathalie hatte ich inzwischen abgesattelt und auf die Weide gebracht. Ich war gerade dabei das Tor zu schließen, als mich eine Nachricht erreichte.
      “Mach bitte heute noch Carry und Injaki, ich komme heute nicht dazu”. Die Nachricht kam von Hazel, eigentlich hätte sie heute die Pferde vom Chef übernehmen sollen, da er irgendetwas Wichtiges zu erledigen hatte, doch schien bar hatte sie kein gutes Zeitmanagement. Grundsätzlich hätte ich auch nichts dagegen die beiden zu übernehmen, doch da gab es ein kleines Problem.
      “Du weißt aber schon das ich von Western keine Ahnung hab”, antwortete ich ihr.
      “Aber du weißt, wie ein Pferd funktioniert, also geh mit denen Ausreiten oder was weiß ich”, bekam ich als Antwort. Na toll, sieht so aus als hätte ich jetzt zwei Westernpferde an der Backe. “Ok” tippe ich seufzend in mein Handy. Na toll, da ist heute schon eh nicht mein Tag Pferde mäßig und dann soll ich mich auch noch um zwei kümmern, dessen Sprache ich nicht sprach, Danke Hazel. Dann werde ich wohl einen Ausritt unternehmen und hoffen wieder mit Pferd auf dem Hof anzukommen, denn die Führanlage hatte heute Morgen leider ihren Geist aufgegeben und Daniel, der sich sonst um so etwas kümmerte, war leider im Urlaub. Vielleicht würde ich irgendwen finden, der mich auf einem Ausritt begleiten möchte, nur die Frage war wer.
      Samu war sicherlich noch mit seinen eigenen Pferden beschäftigt, Jayden hatte ich noch nicht wieder gesehen, Hazel hatte mir die beiden ja erst abgedrückt und der Rest hatte sicherlich auch zu tun. Naja, vielleicht hatte ich ja Glück und würde trotzdem jemanden finden. So lief ich also zurück zum Hof in der Hoffnung irgendwen zu finden, der so aussah, als sei ihm langweilig.
      Schon von Weitem konnte ich erkennen, dass Niklas neue Stute auf dem Platz war. Doch mit ein wenig Verwunderung stellte ich fest, dass nicht er mit der Stute arbeitete, sondern Vriska. Niklas saß entspannt auf dem Zaun und sah dabei zu, ohne Shirt wohlgemerkt, was bei der Hitze durchaus nachvollziehbar war. Ich selbst hatte mein Shirt, nachdem ich von Nathalie abgestiegen war, zusammengeknotet, um wenigstens nicht ganz zu schmelzen.
      Wie ich Niklas da so sitzen sah, fiel mir wieder ein, dass es eventuell doch noch eine Möglichkeit geben könnte, wie ich die beiden Hengste nicht reiten musste.
      “Eigentlich war ich auf der Suche nach jemandem, der mit mir Ausreiten geht, aber du kennst dich nicht zufällig mit Führanlagen aus?”, fragte ich Niklas und stellte mich neben ihn an den Zaun. Natürlich entgingen mir auch diesmal nicht die Kratzer auf seinem Rücken, doch ich beschloss lieber nicht weiter nachzuforschen. Ich würde eh nur wieder zu hören bekommen, dass es hier sehr aggressive Stechmücken gibt.
      “Vriska. Wärst du so freundlich die Frage zu beantworten?”, scherzte er und wandte sich seinem Sprössling zu. Etwas verwunderte ich zu ihr.
      “Wartung, Pflege, Reinigung und Prüfung von Maschinen sowie Geräten, Betriebsanlagen und elektrischen Anlagen gehört mit zur Prüfung zum Pferdewirt”, antwortete sie sichtlich genervt.
      “Also ja, kann ich. Können wir uns gern nach dem Unterricht mal anschauen”, grinste Niklas mich an.
      “Gott sei Dank, du bewahrst mich gerade davor mich auf zwei wahnsinnige Pferde zu setzen. Ich hatte heute genug Wahnsinn für einen Tag”. Ein Pulsieren in meiner Handfläche bestätigte mich darin. Zumindest für den Rest der Woche würde ich wohl an meine Handschuhe denken.
      “Wieso was ist, den so wahnsinnig an denen?”, fragte er freundlich und blickte zu mir.
      “Naja, mein Chef steht scheinbar auf bekloppte Pferde. Injaki, ist noch harmlos. Er ist halt eine kleine Diva. Aber Carry wollte, glaub ich, eigentlich beim Rodeo anfangen. Er lässt sich nur sehr widerwillig auf neue Reiter ein. Aber das viel größere Problem an den beiden ist wohl nicht ihr Charakter, sondern die Tatsache, dass es Westernpferde sind”, erklärte ich Niklas ein wenig erleichtert mich vor allem nicht auf den Paint Horse Hengst einlassen zu müssen. Der Hengst war bekannt dafür, schon so manchen guten Reiter auf den Boden geschickt zu haben.
      “Das kann ich nachvollziehen, aber ein Westernsattel kann schon ziemlich bequem sein, zumindest für Mann”, erklärte er und ein breites Grinsen erhellte sein Gesicht.
      “Na, das glaub ich dir, aber zumindest ich möchte heute keine nähere Bekanntschaft mit dem Boden machen”, erklärte ich, während ich Vriska und Humbi beobachtet. “Das hat Hazel schon ganz clever gemacht mir die beiden Wildfänge aufzudrücken. Hätte sie mir Blue oder so hingestellt hätte ich mich eindeutig mehr gefreut”, fügte ich noch hinzu.
      “Vielleicht hat sie ja irgendwas im Schilde oder will dafür sorgen, dass du bleibst”, vermutete er.
      “Das wäre aber ein ziemlich fieser Plan, das zu erreichen, indem ich vom Pferd falle, da würden mir bessere Pläne einfallen. Sie sollte sich lieber freuen, dass sie die Reitschule übernehmen darf.”, sagte ich und begann Gleichzeit darüber nachzudenken, ob er recht haben könnte. Aber auf welchem Grund könnte Hazel den wollen, dass ich hierbleibe?
      “Manche Menschen tun alles, um an ihr Ziel zu kommen”, erklärte Niklas. In dem Moment blickte auch Vriska zu uns. “Du konzentrierst dich mal mehr auf Humbi. Versuche sie etwas mehr zu Biegen, sie fällt immer wieder auf die Vorderhand und die Handwechsel müssen sauberer werden. Bevor du sie das alles im Trab machen lässt, übe erst mal weiter im Schritt. Sie sagt dir dann schon, wenn du etwas richtig oder falsch machst”, tadelte er sie. Vriska antwortete nicht, sondern bremste die Stute zurück in den Schritt und fasste die Longe neu.
      “Mag ja sein, aber man kann erst mit mir reden, bevor man versucht mich umzubringen. Ist nicht so als würde es mir nicht schon schwer genug fallen, dass alles hier verlassen. Immerhin ist das hier so was wie meine zweite Heimat”, murmelte ich. Schon waren sie wieder da, die Zweifel, ob die Entscheidung richtig gewesen war oder vielleicht viel zu spontan. Unbewusst begann ich an meinen Finger zu spielen.
      “Ach Kleines, entspann dich. Wird schon alles werden”, versuchte Niklas mich nun aufzumuntern und strich mir mit seiner Hand über die Wange.
      Augenblicklich hörten meine Finger auf sich zu bewegen. Dafür bohrten sich meine Fingernägel nun tief in meine Haut. Das wird schon, ein Satz, den ich bereits so oft gehört hatte, dass ich ihn normalerweise keinerlei Bedeutung gab. Doch heute war es anders, heute wollte ich es zumindest Glauben. Das wird schon wiederholte ich in meinem Kopf. Es wird alles gut werden. Die Entscheidung ist kein Fehler. All diese Sätze wiederholte ich in meinem Kopf und tatsächlich funktionierte es. Die negativen Gedanken verloren an Bedeutung, rückten in den Hintergrund und meine Finger verloren an Kraft.
      “Das wird schon”, flüsterte ich mehr für mich selbst und ein schwaches Lächeln stahl sich auf meine Lippen, als ich zu Niklas hochsah. Alles wird gut werden, wenn ich mir nicht selbst im Weg stehe.
      “Lina, hör mir zu. Im Leben gibt es Veränderungen, die sowohl positiv als auch negativ ausfallen können. Aber man muss manches erst einmal probieren und nicht davor wegrennen. Dein oder unser neues Leben in Schweden kann vieles mit sich bringen. Du kannst dich weiter entwickeln, zu einem noch besseren Menschen”, erklärte Niklas mir. Offenbar hatte er mehr mitbekommen als ich dachte. In mir regten sich direkt Gefühle von Hoffnung, dennoch dauerte es noch ein paar Sekunden bis auch mein Gehirn ansatzweise davon überzeugt war.
      “Du hast recht, ich muss mich das Unbekannte einlassen”, antwortete ich und war gleichzeitig ein wenig von mir selbst überrascht. Auch damals, als ich mit Samu ausgewandert war, hatte ich Angst vor der Zukunft gehabt, aber damals hatte ich meine Vergangenheit mit Freude hinter mir gelassen und nicht weitergedacht als bis zum nächsten Tag. Doch das hier war etwas anderes. Das hier könnte der Anfang von einem neuen Ich würde gut sein, auch wenn es bedeutete alles was ich in den letzten zwei Jahren erlebt, hatte hinter mir zu lassen.
      “Ich denke…”, setzte ich zögerlich an “ich bin bereit für etwas neues”, fügte ich halbwegs überzeugt hinzu und auch die letzte Anspannung verließ meinen Körper.

      Vriska
      Als ich beobachte und teilweise mithörte, wie Lina und Niklas sich unterhielten, spürte ich den Schmerz in mir. Den Schmerz, den ich in der Stallgasse gelassen hatte und nun hatte er den Weg zurück zu mir gefunden. Das wirkte sich auch auf Humbi aus. Immer wieder legte sie die Ohren und biss drohend nach mir. Niklas war noch immer mit Lina beschäftigt, so konnte ich ihn nicht nach Rat fragen. Stattdessen holte ich sie mir in die Mitte und lief im Schritt einfach nur herum. Auf eine gewisse Art beruhigte Humbria mich, denn sie reagierte sensibel auf alles, was ich tat. So musste ich genau aufpassen, was ich dachte und fühlte. Die Uhr verriet mir, dass schon 40 Minuten vergangen sind, so brauchte das Training mit ihr gar nicht mehr weiterzugehen. Wortlos verließ ich den Reitplatz, doch im Stall begannen wieder die Probleme, die wir beim fertig machen hatten. Frustriert, warf ich Gurt zur Seite.
      “Man”, beschwerte ich mich bei ihr. Plötzlich schien die Stute mir wirklich zuzuhören. Neugierig spitzte sie die Ohren und nahm ihren Kopf herunter. Schnell zog ich das Halfter über ihren Hals und nahm den Kappzaum ab. Niklas war noch immer nicht da, so brachte ich die Stute allein zurück. Im Stall brachte ich alles wieder in Ordnung und verschwand in meinem Zimmer.
      So wie der Gurt flog nun auch die Reithose in die Ecke, auch mein Shirt durfte sich dazu gesellen. Es war mir klar, dass es so nicht weiter gehen konnte. Kurzerhand schnappte ich mir mein Handy und schrieb Niklas eine Nachricht: “Jävat skit. Din jävla idiot. Berätta för henne eller gör det. Jag står inte ut med det längre. (Schei*e. Du bist so ein verdammter Idiot. Du sagst es ihr oder ich tue es. Ich halte das nicht mehr länger aus.)”
      Etwas erleichtert, legte ich es auf den Tisch und ließ mir im Badezimmer Wasser in Wanne ein. Meine Schmerzen im Unterleib wurden immer schlimmer und ich hoffte, dass es nach dem Bad besser werden würde. Nach einem Blick auf mein Telefon, auf dem noch immer keine Antwort war, legte ich es zurück und ging ins Badezimmer.

      Niklas
      “Also dann gleich wegen der Führanlage gucken?”, sprach ich das ursprüngliche Thema wieder an. Da fielen mir auch meine Worte wieder ein und bemerkte, dass Vriska nicht mehr da war. Eh eine Antwort von Lina kam, fragte ich sie: “Hast du mitbekommen, wo Vriska hin ist?”
      “Ähh Nein. Aber sie wird sich sicherlich nicht in Luft aufgelöst haben?”, antwortete sie mir irritiert.
      “Wäre nichts Neues, wenn sie auf einmal noch Superkräfte hätte”, scherzte ich. Dann vibrierte mein Handy und bekam eine Nachricht von ihr. Langsam wurde sie wirklich verrückt und das in weniger als 24h. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen? Auf keinen Fall durfte Lina das erfahren, ich wollte das mit ihr nicht verlieren. Also musste ich eine Lösung finden, kurz überlegte ich, ob Mord eine Lösung wäre, doch das bringt auch nichts. Wie sollte man das Verschwinden begründen?
      “Möglich, dass sie auf einmal zaubern kann, aber ich vermute einfach mal sie ist in Richtung Stall gegangen, wie ein normaler Mensch”, lenkte Lina meine Aufmerksamkeit auf das Gespräch.
      “Ich schätze Vriska ist alles, außer normal”, murmelte ich und warf einen erneuten Blick auf mein Handy.
      “Wer ist denn schon normal”, antworte sie.
      “Ich denke schon, dass Ju und Samu deutlich näher an Normal dran ist als Vriska”, lachte ich.
      “Das mag sein, aber aus Erfahrung kann ich Dir sagen, nicht mal Samu ist normal. Wäre er das hätte er mich vermutlich schon damals für komplett bescheuert gehalten”, stimmte sie mir fröhlich zu.
      “Sie hat mir geschrieben und ist ziemlich sauer, vielleicht sollte ich mal gucken gehen”, log ich teilweise und verabschiedete mich. Da ich nicht genau wusste, was nun auf mich zukommen würde, bereitete ich mich auf alles vor.
      Vorsichtig klopfte ich an ihre Tür, keine Reaktion. Ich fühlte mich nicht wohl mit Gedanken ihr Zimmer zu betreten ohne Erlaubnis, doch ich ignorierte es. Aus dem Bad hörte ich sie fragen, wer da sei. Vorsichtig schob ich die Tür einen Spalt auf.
      “Was willst du? War meine Nachricht nicht eindeutig genug?”, fragte Vriska ziemlich genervt.
      “Doch, aber es geht nicht. Auf keinen Fall wird ihr das jemand sagen”, versuchte ich den Ernst der Lage zu schildern.
      “Und was habe ich davon, außer Schmerzen?”, fragte sie wieder und dachte wirklich etwas gegen mich in der Hand zu haben.
      “Das kannst du dir aussuchen”, schlug ich vor. Der Blick in ihrem Gesicht sagt vieles aus. Die Sache schien mir jedoch nicht so sicher zu sein, wie ich hoffte. Auch ihre Antwort dauerte mir persönlich etwas zu lange, um das es gut für mich verlaufen würde.
      “Wir lernen nachher”, sagte sie dann trocken. Unsicher nickte ich und schloss die Tür. Mehr oder weniger gut verlaufen. Worauf hinauswollte, lag in den Sternen. Diese Andeutung hatte sie gestern schon gemacht. Aber mir gefiel der Gedanke und erleichtert ging ich zurück.
      “Wollen wir dann jetzt mal gucken wegen der Anlage?”, schrieb ich Lina, während ich zum Zimmer lief.


      © Mohikanerin, Wolfszeit | 98.471 Zeichen

    • Mohikanerin
      Nationalteam IX | 1. April 2021
      HMJ Divine // Voilá // Carry On my Wayward Son // Injaki // Vakany
      Northumbria // Glymur // Kempa // Blávör


      Lina
      Nachdem Niklas verschwunden war, hatte ich beschlossen zu meinem Pferd zu gehen. Den gab es schließlich auch noch. Zum Glück hatte irgendwer ihn mit auf die Koppel gebracht, denn ich hatte es heute Morgen einfach vergessen. Zum Glück schien der weiße Hengst nicht nachtragend zu sein. Wie immer kam er freundlich ans Tor getrabt.
      “Na Süßer, du hast bestimmt schon gewartet”, begrüßte ich den Hengst und hielt ihm eine Möhre hin, die er auch sogleich wegknusperte.
      “Weißt du Ivy, heute ist einfach ein seltsamer Tag”, begann ich und kletterte auf den Zaun. Der Freiberger trat ein Stück zurück und begann mein Knie voll zu sabbern. Da ich eh noch mit Schlammspritzern bedeckt war, ließ ich ihn einfach machen.
      “Auf pferdiger Ebene läuft heute einiges falsch” erzählte ich dem Hengst. “Doch dafür scheint es ansonsten heute ganz ok zu laufen, auch wenn ich absolut nicht weiß, warum das so ist”. Mein Knie schien inzwischen uninteressant zu sein, denn der weiße Hengst begann nun lieber mein Handy in der Hosentasche zu inspizieren. Da das Pferd mir eh nicht zuhört, beendete ich das Selbstgespräch und ging dazu über ihn einfach nur zu beobachten. Neugierig, wie er war, begann Divine an der Hose zu knabbern.
      “Das kannst du nicht essen mein kleiner Prinz”, sagte ich, während ich das Handy aus der Tasche zog, um zu vermeiden, dass er noch ein Loch in meine Hose knabberte. Gerade als ich es in die Hand nahm, kündigte es durch ein kurzes Signal, den Eingang einer neuen Nachricht an. Die Nachricht war von Niklas, er wollte wissen, ob es sich jetzt die Führanlage anschauen sollte.
      “Jap, mache mich sofort auf den Weg. Ich bin in 2 min vorm Stall ”, antworte ich ihm.
      “Die Arbeit ruft, mein hübscher”, verabschiedete ich mich von meinem Pferd, welches inzwischen gelangweilt am Gras knabberte und kletterte wieder vom Zaun runter.
      Keine drei Minuten später stand ich auch schon im Hof und sah mich nach Niklas um.

      Niklas
      Im Zimmer wollte ich nur meine Hose wechseln, um dann Lina zu helfen, doch Ju hatte anderes im Kopf. Jetzt wurde mit klar, dass die Monstermücken noch immer offensichtlich waren.
      “Bevor du gehst, musst du mir ein paar Fragen beantworten”, sagte er und stellte sich vor die Tür.
      “Dafür habe ich jetzt keine Zeit, ich will bei der Reparatur der Führanlage helfen”, versuche ich mich herauszureden und gab mein Bestes durch die Tür zu kommen. Doch er blockierte sie gut.
      “Ja, dann schieß los.”, gab ich nach.
      “Diese Kratzspuren waren gestern noch nicht da und von Lina werden sie wohl nicht sein, also was hast du getan? Und sagt mir jetzt nicht, dass meine Gedanken stimmen”, meckerte er. Vermutlich wusste Ju schon was passiert war.
      “Können wir das wann anders besprechen? Ich möchte nicht drüber sprechen”, murmelte ich verlegen.
      “Nein. Du verschwindest immer, wenn es brenzlig wird. Also sprich es aus, sonst erzähle ich es allen. Ob ich recht habe oder nicht.”, drohte Ju nun.
      “Ist doch gut, ja. Ich habe mit Vriska geschlafen. Zufrieden? Sie wollte es”, gab ich zu.
      “Ich hätte es von Anfang an wissen sollen. Deswegen wolltest du nicht, dass ich was mit ihr etwas anfange, weil du Arsch sie flachlegen wolltest. Und fair gegenüber Lina ist das auch nicht. Warum bist du so? Immer wenn ich jemanden kennenlernen möchte, kommst du dazwischen. Noch einmal und du kannst Lebewohl zu mir sagen. Werd’ erwachsen.”, die Enttäuschung in der Stimme war deutlich zu hören. Ohne mich weiter zu äußern, lief ich raus, nach dem Ju mir den Weg frei machte. Von Lina hatte ich bereits eine Nachricht bekommen, wo ich denn bliebe. Im Eiltempo machte ich mich zum Stall, vor dem Lina bereits wartete.
      “Tut mir leid für die Verspätung. Ich hatte einen Streit mit Ju wegen Nichtigkeiten”, entschuldigte ich mich bei ihr.

      Lina
      “Alles gut, hier gibt es immerhin Schatten”, antwortete ich Niklas. Während ich auf ihn gewartet hatte, hatte ich mich im Schatten einer der Eichen niedergelassen und hatte ein paar Schmetterlinge beobachtet, die fröhlich durch die Luft taumelten. “Und es ist wirklich nichts Wichtiges zwischen euch? Ich kann sonst, auch wenn anders fragen”, fragte ich dann noch vorsichtig nach, denn er wirkte ein wenig gestresst auf mich.
      “Ach er bildet sich nur mal wieder Sachen ein”, lenkte Niklas überzeugt ein. Dass er mir etwas nicht sagte, spürte ich dennoch.
      “Falls du doch irgendwann das Bedürfnis zum Reden haben solltest, weißt du wo du mich findest”, bot ich an und rappelte mich auf.
      “Willst du dir dann jetzt die Führanlage ansehen?”, fragte ich freundlich.
      “Natürlich, dafür bin ich schließlich gekommen und nicht eine Selbsthilfegruppe zu gründen”, scherzt Niklas.
      “Na dann los”, forderte ich ihn auf und lief in Richtung Führanlage, vor der wir einen Moment später standen.
      “So und das Problem ist, folgendes...”, demonstrierte ich und drückte den Startknopf. “Es bewegt sich nicht mehr”, fügte ich dann hinzu, auch wenn es recht offensichtlich war.
      “Und ja, bevor du fragst, ich habe die Anlage bereit schon mal komplett ein- und ausgeschaltet”.
      “Wann ist denn das Problem aufgetreten? Und vor allem gab es Anzeichen?”, stellte er mir komische Fragen.
      “Du stellst vielleicht Fragen. Soweit ich weiß, funktioniert das Ding seit zwei Tagen nicht mehr”, antwortete ich ihm. “Und von Anzeichen weiß ich nichts, aber ich bin hier ja auch nicht die Einzige, die das benutzt.”
      “Sorry, aber das hätte den Prozess etwas optimieren können”, protestierte er und begann mit der Arbeit. Ich beobachte Niklas dabei, wie er die Schaltfläche auseinandernahm und mit dem Messgerät überprüfte er, ob durch die Leitungen Strom floss.
      “An der Elektronik liegt es schon mal nicht. Die Messwerte sind okay”, berichtete er mir und schraubte wieder alles zusammen.
      “Na das klingt schon mal gut”, kommentierte ich das Ganze und beobachtete ihn. Er kletterte hoch zum Motor der Anlage. Schneller als ich gucken konnte, hatte er die Verschalung entfernt. Mit wenigen Handgriffen sprach er triumphierend: “Problem gefunden!” und hielt einen Stein in die Luft. Niklas baute wieder alles zusammen und kam zurück.
      “Der hübsche Kerl steckte im Antrieb.”, erklärte er und schaltete die Anlage an, die erst ruckelte und dann flüssig loslief.
      “Wie genau kommt denn ein Stein da oben rein?”, fragte ich ein wenig verwirrt. Auch wenn ich absolut keine Ahnung von Technik hatte, wusste ich dennoch, dass Steine nicht von allein nach oben fliegen. “Aber danke, dann kann ich die zwei Wildfänge jetzt da reinstellen”, bedankte ich mich bei Niklas.
      “Vermutlich wird er im Sand gewesen sein und wenn die Pferde sich hier bewegen, kann das schon mal passieren. Immer wieder gern. Noch was?”, erläuterte Niklas.
      “Mhm, nein ich denke zwei Pferde reinstellen, sollte ich grade so schaffen”, scherzte ich. “Und die Jungs sollen sich besser mal nicht an so einen Service gewöhnen”, fügte ich noch hinzu.
      “Ach in paar Tagen müssen sie wieder alles allein machen, dann lasse ich noch die Rechnung hier und gut ist. Oder bist du meine Bezahlung?”, scherzte er und legte seine Hände an meine Hüften.
      “Das kommt ganz darauf an”, antworte ich ihm und blickte ihn verführerisch an.
      “Und auf was?”, kam er näher und lehnte sich ein wenig herunter zu mir.
      Ich zögerte absichtlich einen Moment, bis ich ihm antworte. “Na, ob du weiterhin so charmant bleibst”, raunte ich ihm zu.
      “Na werden wir sehen, was du dann von meinem Keller hältst”, sagte Niklas und küsste mich leidenschaftlich.
      Eine wohlige Wärme durchfloss mich und für den Augenblick schien die Zeit stillzustehen, bis wir uns wieder voneinander lösten. Scheinbar hatte ich für einen Moment vergessen zu atmen, denn ich spürte auf einmal, wie mein Körper nach Luft verlangte. Mit der Luft, die nun wieder meine Lungen füllte, breitete sich auch ein Kribbeln auf meiner Haut aus, welches mir die Haare zu bergen stehen ließ.
      “Alles gut bei dir?”, erkundigte er sich etwas besorgt.
      “Ja, sehr gut sogar”, antworte ich mit einem lächeln.
      “Es tut mir leid, was ich gestern zu dir sagte. Ich möchte nicht, dass deine Freunde und Familie sich gemeinsam gegen uns stellen, weißt du”, versuchte Niklas das gestrige Gespräch zu entschuldigen.
      “Ach, ist schon gut. Mit Jace hätte ich früher oder später eh reden müssen. Und was Samu angeht, kann ich dir sagen, so blöd findet er dich gar nicht, er kann es nur nicht so zeigen”, erklärte ich und musste fast lachen, bei dem Gedanken an Samu.
      „Vielleicht mag er dich ja mehr, als er sich eingestehen möchte“, murmelte er. Es wirkte, als würde Niklas sich darüber mehr Gedanken machen als nötig.
      “Mach dir deswegen keine unnötigen Gedanken. Für mich ist er eher wie ein Bruder und das weiß er auch”, versuchte ich Niklas zu beruhigen, denn selbst wenn er mit seinen Gedanken recht haben sollte, würde das für mich keinen Unterschied machen.
      „Gut sieht er aber aus, dass kannst du nicht abstreiten. Da könnte sogar ich schwach werden“, scherzte er nun.
      “Sowas in der Art hat Alec auch neulich über dich gesagt”, sagte ich schmunzelnd. “Und ich würde ihm da eindeutig zustimmen.”
      „Wenn er was braucht, kann er sich gern melden. Ich bin offen für Neues“, offenbar spielte er wirklich mit dem Gedanken homosexuelle Erfahrungen zu machen.
      “Ich fürchte da muss ich dich leider enttäuschen, er ist glücklich vergeben, aber ich werde es ihm ausrichten”, antworte ich.
      „Wo ein Wille ist, ist auch Weg. Aber du solltest jetzt lieber weiterarbeiten. Schließlich wirst du nicht fürs Herumstehen und gut aussehen bezahlt“, lenkte Niklas ein, gab mir einen Kuss auf die Stirn und war im Begriff zu gehen.
      “Also bei letzterem, wäre ich mir nicht so ganz sicher. Außerdem wartet da auch noch ein anderer Herr auf mich”, scherzte ich, schließlich musste ich nicht nur die beiden Westernpferde noch bewegen, denn auch Divine wartete noch auf seine Bewegung.
      „Ach, du guckst dich nun schon nach Alternativen zu mir aus? Frauen“, scherzhaft schüttelte er den Kopf, als er sich noch mal zu mir drehte auf dem Weg zurück zum Zimmer.
      “Keine Sorge er ist zwar hübsch, aber zuhören ist nicht so seine Stärke. Vor allem antwortet er nie”, rief ich ihn noch hinterher, bevor auch ich mich auf den Weg zu den Koppeln machte.
      Nur um mir noch einmal zu antworten joggte Niklas zurück: „Neben seinem Herz wird vermutlich aber noch was anderes deutlich größer sein.“ Mit einem breiten Grinsen geht er wieder, ohne mich etwas sagen zu lassen. Das war mal wieder typisch Mann, immer darauf bedacht, wer den größten hat. Erheitert machte ich mich auf den Weg zu den Koppeln, um Carry und Injaki in die Führanlage zu stellen, bevor ich mich dann meinem eigenen Pferd widme.

      Niklas
      Ein wenig schlecht fühlte ich mich für mein Verhalten schon. Für Lina war alles wie immer, doch in mir schwebten die Bilder von letzter Nacht sowie deren Folgen und Emotionen, die sie mit sich brachte. Besser machte es auch nicht, dass Ju nun davon wusste, wo mir klar sein musste, dass er deutlich mehr in ihr sah als ich. Ich hatte versucht die Nacht zu stoppen, mehr oder weniger. Sie ging mir nicht aus dem Kopf und auch nicht, dass Vriska offenbar einen Plan hatte. Wie konnte das nur so weiter gehen?
      Gedankenverloren kam ich im Zimmer an und erwartete einen frustrierten und niedergeschlagenen besten Freund, doch das Gegenteil saß am Tisch. „Was denn mit dir los? Vorhin wolltest du mich noch am besten um die Ecke bringen?“, fragte ich ihn überrascht.
      „Du hast mir die Augen geöffnet und mir die Irre abgenommen. Dafür bin ich dir Dankbar. Stattdessen kann ich nun ohne schlechten Gewissen Linh besser kennenlernen. Schon vor der Fahrt hatten wir bereits einige vielversprechende Gespräche und seit dem Kuss am Feuer am ersten Tag, na ja. Ist deutlich mehr an Gefühlen da...“, erklärte Ju mir. Verwirrt setzte ich mich. „Und was war das dann mit Vriska?“, versuchte ich der Sache nun auf der Spur zu gehen. „Sie ist sympathisch und ich hoffte mit ihr Neues erleben zu können. Stattdessen merkte ich, dass zwar vieles und vor allem versautes in ihrem Kopf abgeht aber genauso viel Kindergarten. Deswegen würdet ihr beiden Psychos echt was hermachen, natürlich unter der Prämisse, dass die Welt bereits in Flammen steht“, sprach er fröhlich weiter. Natürlich kannte ich ihn genauso. Nicht lange hielt Ju sich mit Personen auf, die ihm nicht guttaten, doch dass er Empfehlungen aussprach, war auch für mich etwas Neues. „Und was sollte dann der Aufstand vorhin?“, wollte ich noch Wissen. „Du musst auch mal in deine Schranken gewiesen werden. Außerdem war ich bis zu dem Zeitpunkt noch davon überzeugt einen besseren Menschen aus ihr machen zu können. Das wird dann aber in deinen Aufgabenbereich fallen“, wies er mich ein, als wäre Vriska ein Forschungsprojekt. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Tatsächlich war ich noch nie so sprachlos wie jetzt. Am liebsten hätte ich sie nun vor ihm verteidigt, aber aus welchem Grund? Schließlich war da nicht, also zumindest nicht viel.
      „Jetzt denk weiter daran, wie gut sie es dir besorgt hat, sondern mach‘ deine Kür weiter“, forderte Ju mich auf und reichte mir das Pad. Geöffnet war bereits die Datei mit den Mindestanforderungen.
      „Und gut war es nicht, für befriedigend hat es gereicht. Schließlich ist das Neuland für sie gewesen und ich musste sie erst mal einreiten“, nutze ich alle Wortspiele, die mir einfielen. Zusammen lachten wir. Das fehlte mir wirklich.

      Lina
      Ich hatte die beiden Hengste gerade in die Führanlage gestellt und sie angeschaltet.
      "Gut dann habe ich jetzt ca. eine halbe Stunde, bis die zwei da wieder rausmüssen", murmelte vor mich hin und warf einen kurzen Blick auf die Uhr.
      "Wow, die geht ja wieder", hörte ich plötzlich von Hazel, die gerade mit Voilà um die Ecke kam.
      "Jap, Niklas hat sie repariert, war nur ein Stein im Getriebe", erklärte ich ihr, während ich dem Shetty freundlich über die Schnauze strich.
      "Na da hast du dich ja nochmal ums Reiten herum geschummelt. Kann der noch mehr so Zeug?"
      "Ja, er kann auch andere Dinge reparieren", bestätigte ich Hazel.
      "Ohhhh, toll noch ein Grund ihn zu behalten", quietschte sie plötzlich, dass das kleine Pony neben ihr zusammenzuckte.
      "Was heißt hier denn noch ein Grund?“, fragte ich und sah sie ein wenig verwirrt an.
      “Na ja, bisher dachte ich, wir können ihn einfach als Deko behalten, aber wenn er auch noch etwas kann...", führte Hazel aus.
      "Du Hazel wirst ihn weder als Deko noch als Handwerker behalten, denn im Gegensatz zu dir hat es auch noch einen richtigen Job", unterbrach ich sie. "Außerdem wenn ihn hier jemand behält, dann bin das ausschließlich ich", protestierte ich. Oh Gott, hätte ich das gerade wirklich gesagt? Offensichtlich ja, denn Hazels Augen wundern ungefähr so groß wie Untertassen.
      "So ist das also", sagte sie mit einem sehr interessierten Unterton und zog eine Augenbraue hoch.
      "Was ist eigentlich mit euch allen los, dass ihr immer alles wissen wollt, habt ihr kein eigenes Leben? Hofft ihr etwas, wenn ihr mir lang genug auf die Nerven geht, bleibe ich doch hier, oder was? Was habt ihr denn alle für ein Problem?", fragte ich Hazel nun etwas genervt.
      "Na wir mögen dich halt und wenn du’s unbedingt wissen willst… Ich brauche dich. Ich kann die Reitschule noch nicht allein Schmeißen", gab sie nun zähneknirschend zu.
      "Doch Hazel, das kannst du. Außerdem tust du ja gerade so, als würde ich den Planeten verlassen. Ich geh nach Schweden, nicht auf den Mond. Falls du mal Hilfe brauchst, bin ich doch immer noch erreichbar", erklärte ich ihr.
      "Na gut, aber du musst mir vor deiner Abreise nochmal alles genau erklären, sonst lass ich dich nicht gehen", fügte Hazel trotzig hinzu.
      "Du, lässt mich nicht gehen? Das klingt jetzt aber bedrohlich”, scherzte ich. “Natürlich erklär ich dir alles und du bekommst auch alle wichtigen Notizen. Außerdem bist du auch nicht allein, Samu wird dir sicherlich genauso helfen, wie er mir immer geholfen hat." bestätigte ich sie.
      “Ok, aber wenn ich die Reitschule übernehmen kann, dann kannst du dich auch morgen
      auf eins von den Westernpferden setzten, vielleicht stell ich dann sogar Blue hin”, murmelte sie und verschwand mit dem Pony im Auslauf. Naja, wenn sie mir dafür nicht mehr auf die Nerven geht, werde ich das Wohltun. Ihre nervige Art war sicherlich eines der Dinge, was ich nicht vermissen werde.
      Da mir Hazel ein wenig Zeit gestohlen hatte, musste ich mich nun ein wenig beeilen, um Divine zu holen, wenn ich noch mit Putzen fertig sein wollte, bevor ich die beiden Hengste wieder auf die Koppel brachte. Glücklicherweise war der Freiberger heute nicht besonders dreckig, sodass ich ihn schon gesattelt hatte als die Führanlage fertig war.
      “So hübscher, nicht weglaufen ich bringe nur gerade die beiden anderen noch schnell weg”, sagte ich zu meinem Pferd und zog ihm das Halfter wieder über die Trense. Divine störte sich nicht wirklich dran, dass ich noch mal wegging und döste einfach weiter.
      Injaki und Carry folgten mir brav auf der Koppel und so war ich auch recht schnell zurück bei meinem Pferd.
      “Genug geschlafen Ivy. Heute musst du mal ein wenig arbeiten”, kommentierte ich das Abziehen des Halfters und führte ihn zu Halle.
      Schon als ich das Tor öffnete, konnte ich sehen, dass ich allein war. Ideale Voraussetzung für ein erfolgreiches Training mit dem Freiberger.
      Ich entschloss ihn noch einen Moment zu führen, bevor ich aufstieg und so ließ ich ihn erst einige Runden neben mir hertrotten. Damit mit dem Hengst dabei nicht einschlief, baute ich immer mal wieder einen Halt und Richtungswechsel ein, auch den Rückwärtsgang fragte ich ab.
      Nachdem aufwärmen vom Boden aus, gurtete ich nach und stieg auf. Schon gleich beim Losreiten fiel mir auf, dass er heute ein wenig maulig im Maul ist. Da der Hengst bereits ausreichend aufgewärmt war, ging ich somit direkt dazu über ihn locker am langen Zügel zu traben. Nach ein paar Runden begann er sich allmählich zu locken und abzukauen. Dennoch war dem Hengst anzumerken, dass er nun schon seit einigen Tagen nicht ordentlich geritten worden war.
      Um den Hengst ein wenig aufzuwecken, begann ich nun neben den Handwechsel nun auch noch Tempounterschiede und Übergänge hinzuzunehmen. Allmählich kam Divine nun in ein vernünftiges Arbeitstempo, sodass ich nun auch ein paar schwierigere Bahnfiguren dazu nehmen konnte.

      Niklas
      Die Worte die Ju über Vriska sagte, brachten mich zum Nachdenken. War sie wirklich so? So irre, wie er sagt? Oder war es nur eine Ausrede seinerseits, sich keine Gedanken mehr zu machen? Es ließ mir keine Ruhe, doch weiter darüber zu sprechen, würde es nicht besser machen. Mir fiel es schwer an der Kür weiterzuarbeiten, auch weil das Training mit Humbi vorhin nicht verlief, wie ich dachte. Zusammen mit Vriska wollte ich die Grenzen meines Pferdes testen und neues Ausprobieren. Durch das Gespräch mit Lina lenkte mich so stark ab, dass ich beide vergaß. Eigentlich wollte ich mit Vriska noch mal darüber sprechen, doch nach dem vorhin, wäre es wahrlich nicht die beste Entscheidung. Stattdessen entschied ich mich nach getaner Arbeit zu duschen.
      Als ich zurück aus dem Badezimmer kam, mit nur einem Handtuch um die Hüfte gebunden, war Ju wieder weg. War das mit Linh so Ernst? Ich hoffte darauf in den nächsten Tagen mehr Antworten zu bekommen. Mein Handy leuchtete auf, als ich mich auf die Suche nach sauberer Kleidung machte, was wirklich schwierig war.
      “Hej killar. Vi hade ett hälsoproblem i dag, men vi har det mycket bättre. Så vi bestämde oss för att göra en träning på kvällen. Vi finns till hands för att ge råd. Kristine kommer att vara på ridplatsen och jag kommer att vara på planen. Var uppmärksam på din säkerhet. Från klockan sex på kvällen hittar du oss där. Kom i små grupper.”
      Las ich in der normalen Vereinsgruppe. Ich spürte eine Erleichterung, denn so konnte Anders sich Humbria nochmal genauer anschauen. Ohne mir noch etwas drüber zu ziehen, nahm ich den Wäschekorb und lief rüber zur Waschküche. Die Maschinen waren alle frei, so wählte ich eine aus und warf die dreckige Wäsche in die Trommel. Aber welches Programm? Eigentlich mache ich sowas nicht, so versuchte ich anhand der kleinen Bildchen mehr Informationen zu bekommen.
      “Noch nie eine Waschmaschine gesehen?”, ertönte auf einmal eine amüsierte Stimme hinter mir. Jayden stand grinsend mit einem Wäschekorb in der Tür. “Aus deinem Outfit, schließe ich mal ja”, zog er dann seine Schlüsse.
      “Gesehen schon, aber nie bewusst benutzt. Zu Hause haben wir einen Aufkleber darauf, falls Fjona nicht da sein sollte.”, erklärte ich Jayden.
      “Also wenn du wirklich sauber Wäsche willst, würde ich es mal mit Waschmittel probieren”, sagte er und schob ein kleines Fach oben an der Waschmaschine auf, um etwas dort hineinzufüllen.
      “Danach stellst du es einfach hier rauf und drückst da”, erklärte er und drehte er einen Schalter, bevor er auf einen Knopf drückte. “So in ca. einer dreiviertel Stunde hast du dann saubere Wäsche”, fügte er noch an und begann nun seine eigene Wäsche in einer der Waschmaschinen zu werfen.
      “Faszinierend”, antwortete ich begeistert und machte ein Foto von der Einstellung der Maschine.
      “Ja, echt faszinierend”, sagte er mit deutlichem ironischem Unterton und machte sich wieder auf den Weg, den Raum zu verlassen. Offenbar war das etwas Normales, aber ich fand es wirklich spannend. Nun hatte ich 45 Minuten Zeit, die ich nackt herumlief. Entspannt legte ich mich vor dem Zimmer auf den Bauch und Gras und genoss die Sonne.

      Vriska
      Was wie spät ist es? Fragte ich mich, als ich in Wanne im kalten Wasser aufschreckte. Mehr als eine Stunde lag nun hier. Dein schlechter Traum weckte mich aus einem erholsamen Schlaf, den brauchte. Die Nacht war kurz. So stieg ich aus dem Wasser, trocknete mich ab und zog mir wieder was Langes drüber. In der Wohnküche schien die Sonne auf den Boden und saß unterkühlt auf dem Bett. Auf dem Handy las ich die Nachricht von unserem Trainer und brauchte einige Minuten, bis ich diese verstand. Mein Schwedisch reichte bisher nur dafür, dass ein relativ sicheres Gespräch führen konnte und einfache Sätze zu formulieren, doch längere Sätze brachten noch Schwierigkeiten mit sich. Die Rede war von gesundheitlichen Problemen, Training ab 18 Uhr und Sicherheit. Also gut. Vermutlich würde heute wieder gesprungen werden. Angst breitete sich in mir aus, denn einen erneuten Sturz mit meinem Hengst musste ich auf jeden Fall verhindern. So fragte ich lieber noch einmal nach: “Behöver vi verkligen hoppa?” Meine Hände zitterten beim Eintippen der Worte und ich musste mehrfach die Autokorrektur seine Arbeit machen lassen. Sogleich kam eine Antwort von Ju: “Niklas kommer säkert att fånga dig om du faller.” Wusste er davon? Ein Unbehagen kam nun zur Angst hinzu. Von den anderen kamen rofl Emoji und ich schien nun wieder das Gespött zu sein. Ich hätte es wissen müssen. Manchmal verhalten sich die alle wie Kleinkinder, aber ich trug sicher meinen Teil dazu bei. Gerade als ich das Handy wieder wegpacken wollte, kam noch eine Nachricht von Frau Wallin: “Om du inte är säker, kommer ingen att tvinga dig att göra det. Men om du vill. Jag är här.” Diese Frau fand immer die richtigen Worte und ich fühlte mich direkt wieder besser. Danach schrieb niemand mehr etwas.

      Lina
      Divine hatte heute gut mitgearbeitet und so beendete ich die Einheit recht zufrieden. Das Einzige war auch am Ende noch da war, war das er immer noch ein wenig unzufrieden mit dem Gebiss schien.
      “Morgen probieren wir es mal mit einem anderen Gebiss”, sagte ich zu dem Hengst und ließ mich aus dem Sattel gleiten. Obwohl es in der Halle eine recht angenehme Temperatur herrsche, hatte Ivy geschwitzt, was die dunklen Flecken in seinem sonst weißen Fell zum Vorschein brachte. Zufrieden strich ich ihm über den Hals.
      “Na, komm für heute hast du genug geschafft”, sprach ich ihn an und verließ die Halle. Nicht nur meinem Pferd war ordentlich warm, sondern auch mir. Vom Helm platt gedrückt gelebten mir die Haare feucht auf der Haut, bestimmt ein wunderschöner Anblick.
      Zügig sattelte ich Divine ab und brachte ihn, ohne noch extra zu duschen auf die Koppel, ein Sandbad ist ihm vermutlich eh viel Lieber. Kaum hatte ich ihn die Trense abgezogen, warf er sich auch schon auf den Boden und rollte fröhlich grunzend über die Erde.
      Ich sah dem nun nicht mehr ganz so weißen Hengst noch einen Moment zu, wie er sich nach dem Wälzen dem Gras zu wand, bevor ich zurück zum Stall ging.
      Die durchgeschwitzte Schabracke hängte ich zum Trocknen in die Sonne. Am liebsten hätte ich sie direkt gewaschen, aber bei den Temperaturen, die hier aktuell herrschen, wurde eine frische Schabracke eh nur wenig Sinn ergeben.
      Nachdem ich im Stall alles aufgeräumt hatte, führte mich mein Weg für heute ein zweites Mal unter die Dusche, denn neben der Tatsache das ich verschwitzt war, klebte auch immer noch der Schlamm von Geländetraining auf mir und so wollte ich schließlich nicht den ganzen Tag herumlaufen.

      Einige Stunden später bauten Luchy und die anderen eine Kleinigkeit auf der Wiese auf. Da niemand wusste, wie der Abend gestalten werden würde, gab es zur Stärkung eine Kleinigkeit zum Essen bestehend aus Brot und Rohkost. Alle hatten sich versammelt und unterhielten sich.

      Niklas
      “Hej Alec, ich habe mit Anders gesprochen. DU bist heute herzlich eingeladen zum Training auf dem Geländeplatz”, erzählte ich ihm, als ich am Tisch ankam.
      “Cool, da werde ich mit Freude teilnehmen”, antworte er gut gelaunt. “Ihr zwei habt findet doch bestimmt noch ein Pferd für mich, oder?”, fragte er dann an Lina und Samu gewandt.
      “Klar, für dich haben wir immer ein Pferd und wenn ich dir meins gebe”, scherze Samu.
      “Ach und der Rest vom Hof kann heute leider nur zu gucken. Den Beiden geht es nicht so gut u-und sie wollten nur das nötigste heute schaffen.”, versuchte ich so freundlich wie möglich die Nachricht zu überbringen.
      “Ich für meinen Teil hatte heute eh genug Pferde. Am Ende fall ich sonst heute wirklich noch samt Pferd um”, kommentierte Lina schon fast erleichtert. Samu sagte nichts dazu. Er schien es zu akzeptieren. Ich setzte mich dazu, denn mein Verständnis für Jus Gefühle waren zwar groß, doch dass er mit Linh einige Meter rummachte, interessierte mich nun wirklich nicht. So ließ ich auch meinen Blick durch die Runde schweifen. In der letzten Ecke saß Vriska, allein. Unschuldig fragte ich den anderen Tisch: “Wisst ihr was Vriska nicht stimmt? Die sitzt da hinten so allein.”
      “Keine Ahnung, ich habe sie heute quasi nicht zu Gesicht bekommen”, antworte Lina schulterzuckend. Es kam mir komisch vor, dass sie so gleichgültig ihr gegenüber war. Wusste Lina etwas? Ich sagte nichts dazu, sondern aß auf.
      “Ich mach’ dann mal Humbi fertig. Wir sehen uns später”, verabschiedete ich mich und ging los zur Weide. Am Horizont färbte sich der Himmel in einem Verlauf von Rosa, Orange und Blau. Alte Erinnerungen kamen in mir hoch aus den Monaten in Neuseeland. Stunden verbrachte ich damit Pferde zu trainieren, das Land zu Entdecken und Freiheit zu spüren. Ich vermisste auch die Unabhängigkeit, die ich in der Zeit in mir trug und täglich auf den Social Media Plattformen teilte. Doch was soll ich von hier teilen? Das mein Pferd kaputt ist und ich direkt ein neues kaufte? Dass ich versuchte jemanden glücklich zu machen und im selben Atemzug weiterhin alternativen ausprobierte? Meinen besten Freund hinterging? Die Medikation weckte wieder Gefühle, die ich vorher immer nur schluckte. Aber jetzt konzentriere dich, Niklas. “Wenn du zu den Reiterspielen willst, musst du in Höchstleistung sein”, flüsterte ich mir selbst zu. Bevor ich mich meinem Pferd zu wandte, machte ich die Atemübung, die mich entspannen lässt. Heute brauchte es Länger, bis die schlechten Gefühle von mit fielen und ich gedanklich ganz bei Humbi war. Obwohl wir heute schon mehr oder weniger gearbeitet hatten, begrüßte sie mich freundlich am Tor. Ihren Ohren standen gespitzt nach vorn, der Schweif wehrte sich gegen einige Insekten, die um sie flogen und der ganze Körper war entspannt. Ich strich ihr über die Stirn, eh ich den Strick am Halfter befestigte und mich zum Stall begab. Nach der Bodenarbeit hatte sie sich offensichtlich noch mehrfach gewälzt, denn das Fell war staubig und feucht. Nicht nur, dass es heute das erste richtige Geländespringtraining mit ihr werden würde, so würde es auch das erste gemeinsame Reiten sein. Bisher saß nur Lina auf ihr und machte dabei eine gute Figur. Am Ende der Gasse stand auch Alec mit einer hübschen Scheckstute.
      “Na, dass du aber ein dir ebenbürtiges Pferd gegeben. Einer hübscher als der Andere”, sagte ich ziemlich Ernst zu ihm, als ich mein Pferd putzte.
      “Du und dein Pferd können sich aber auch sehen lassen”, bekam ich als Antwort.
      “Dann werden wir wohl zusammen den Platz erhellen”, fügte ich noch hinzu, doch er antwortete nicht. So schweiften meine volle Aufmerksamkeit wieder zu Humbria, die etwas nervös hin und her tänzelte. Mit wenigen Worten und Ruhe gelang es mir, die Stute zu beruhigen. Aus dem Putzkoffer holte ich die Glocken, Gamaschen und Streichkappen. Neugierig beschnupperte sie das Zubehör, bevor ich es ihr umlegte. Als ich den Sattel holte, stieg ihre Aufregung wieder. Humbi schlug gereizt mit dem Schweif und drehte sich bei jedem Versuch den Sattel aufzulegen mit der Hinterhand weg. Ich legte das Ding zur Seite, entfernte die Schabracke, um klein anzufangen. Wieder beschnupperte sie das Zubehör und ich berührte sie erst einmal am Bauch mit der Unterlage. Also Humbria merkte, dass ich ihr nichts Böses wollte, konnte ich die Schabracke auf ihren Rücken legen. Einige Minuten später gelang es mir auch den Sattel auf sie zu legen und den Gurt zu schließend. Lobend bekam die Stute ein Leckerli. Da ihre Zähne noch nicht gemacht wurden, würde das Springen ebenfalls am Kappzaum stattfinden. In die Zügel fädelte ich das kombinierte Martingal ein.
      “Alec, bist du auch so weit?”, fragte ich ihn als ich die Zügel in der Hand hielt am Stallausgang.
      “Eine Sekunde noch, dann bin ich so weit”, antwortete er und verschloss gerade den Nasenriemen seiner Stute.
      Als Alec auch fertig war mit dem Satteln seines Pferdes, liefen wir stillschweigend zum Geländereitplatz, auf dem Chris bereits seinem Wallach warm ritt. Herr Holm saß neben einem Sprung auf einem Plastikgartenstuhl und sah nicht gut aus. Er lehnte mit seinen Unterarmen auf den Beinen nach Vorn und die Haare wirkten ungewöhnlich ungepflegt. Mit angelegten Ohren blieb Humbi abrupt stehen und lief nicht weiter. Die Hindernisse machten ihr Angst und ich blieb ruhig. Sie betrachtete den Platz und nach mehrmaligen umdrehen und neu anlaufen, folgte sie mir vertraut. Ich lobte sie und zeigte ihr vor dem Aufsteigen alles. Interessiert stupste sie die Hindernisse an und knabberte an einigen. Alec saß bereits auf der Stute, als ich noch Übungen mit meiner machte. Herr Holm gab ihm Tipps für den Sitz und auch das Tempo gleichmäßiger zu halten.
      Humbi schien nun gar kein Problem mehr mit den Hindernissen zu haben und war auch aufgewärmt. Ich stellte die Steigbügel neu ein, gurtete nach und schwang mich mit der Aufstiegshilfe auf den Rücken meiner Stute. Zufrieden schnaubte sie beim Anreiten ab und streckte sich.

      Samu
      Alec und die meisten anderen waren irgendwann verschwunden, um ihre Pferde für das Training fertig zu machen. Einen Moment lang war alles sehr ruhig, doch ich konnte spüren, dass Lina mir irgendetwas sagen wollte.
      “Was liegt dir auf dem Herzen, kleines?”, fragte ich sie.
      “Mmm, du erinnerst dich sicherlich an unser Telefongespräch von gestern, oder?”, begann sie zögerlich.
      “Ja, daran erinnre ich mich durchaus”. Natürlich erinnerte ich mich denn das, was sie mir gesagt hatte, war ganz schön hart gewesen. Eigentlich wollte ich immer nur das Beste für Lina, schon seit ich sie das erste Mal getroffen hatte. Sie war damals so zerbrochen. Ich wollte sie doch immer nur davor beschützen noch einmal zu zerbrechen.
      “Ich hoffe, es ist trotzdem noch alle gut zwischen uns?”
      Ich musste ein wenig darüber lächeln, dass sie glaubte wegen so einer Kleinigkeit würde unsere Freundschaft auf einmal beendet sein.
      “Ach Lina, wegen sowas geht doch die Welt nicht gleich unter. Ich hätte mir nur gewünscht, du hättest es mir eher gesagt. Und vor allem persönlich”, erklärte ich ihr Ernst.
      “Ich hätte es dir auch gerne früher gesagt, aber … ich habe mich einfach nicht getraut. Ich hatte einfach Angst vor deiner Reaktion”, murmelte sie und sah dabei auf den Tisch.
      “Was hast du denn erwartet, dass ich dir böse bin, weil ich dich einenge? Das ist doch überhaupt nicht logisch”, versuchte ich ihr zu erklären. “Es ist alles gut. Und das nächste Mal, wenn du dich unwohl fühlst, sagst du mir das direkt”.
      “Okay, mache ich”, sagte sie und sah schon gleich wieder ein wenig glücklicher aus.
      “Na, komme her”, sagte ich und umarmte sie freundschaftlich. “Und ich will nie wieder, dass du denkst, dass du mir irgendetwas nicht sagen kannst”, fügte ich noch hinzu.
      Nachdem dieses ‘’Problem’’ besprochen war, schien Lina auch schon gleich besser drauf zu sein.
      “Was hältst du davon, wenn jetzt mal schauen gehen, ob Alec mit hübschen Damen genauso gut klarkommt wie mit den Kerlen”, schlug ich vor.
      “Klingt nach einem hervorragenden Plan”, stimmte sie mir zu und zusammen gingen wir also zum Geländeplatz hinüber.
      Während Vakany eine ganz wunderbare Figur machte, war die von Alec noch ein wenig verbesserungswürdig. Alec ist kein schlechter Reiter, aber in der Vielseitigkeit ist er eindeutig nicht zu Hause.
      “Sieht ganz so aus, als müsse er da noch ein wenig üben”, sagte ich ein wenig belustigt zu Lina.
      “Das war aber auch ein wenig gemein, du hättest ihm ruhig ein netteres Pferd geben können”, verteidigte sie ihn.
      “Ey, Kany ist sehr freundlich. Man muss ihr nur die richtigen Anweisungen geben”, protestierte ich. Die Trakehner Stute ist ein wahres Vielseitigkeitstalent und war durchaus schon sehr erfolgreich. Mit ein paar Tipps des Trainers wurde es auch allmählich besser und Vakanys Körpersprache wirkte deutlich entspannter.
      “Hat Niklas vorher schon mal auf dem Pferd draufgesessen?”, fragte ich Lina nun neugierig.
      “Nein, nicht das wüsste”, antwortete Lina. “Ich glaub seit dem Probereiten saß keiner darauf”.
      “Warte, seit dem Probereiten. Aber wer hat sie denn Probe geritten, wenn er es nicht war?”, fragte ich ein wenig verwundert.
      “Na, ich. Habe ich dir das etwa nicht erzählt? Sie ist echt toll, wenn man nervöse Gemüter mag”, erzählte Lina nun.
      “Ah, deshalb warst du also auf einmal spurlos verschwunden. Und ich dachte schon, dass du dich beim Einkaufen verlaufen hast”, scherzte ich dann fröhlich.

      Vriska
      Auf der Wiese wurde es nach und nach ruhiger, mehr als ich mir eingestehen wollte genoss ich die Einsamkeit. So fasste ich neue Kraft und lief runter zur Weide, um meinen Hengst zu holen, dessen Ausritt heute früh nicht ansatzweise seiner Leistung entsprach. Seine Begeisterung mich zu sehen, hielt sich jedoch in Grenzen. Ich rief ihn und er schaute zu mir, eh er sich wieder umdrehte und weiter weg von mir lief. Mit Schmerzen machte ich mich auf den Weg zu ihm. Je näher ich dem Hengst kam, umso weiter lief er vor mir weg. Am Ende der Weide schaffte ich es endlich mein Pferd einzufangen.
      “Mach’, dass nicht noch mal”, drohte ich ihm und lief los zum Stall. Auf dem Weg dorthin folgte er mir, ohne zu diskutieren, erst als ich mit ihm durchs Tor der Gasse wollte zum Putzen, stieg er. Glymur machte einen riesigen Aufstand und mir fehlte die Kraft mich dem entgegenzustellen.
      Auf einmal tauchte Jace von irgendwo auf und nahm mir einfach den Strick aus der Hand.
      “Reg dich mal nicht so auf kleiner”, sagte er zu dem Hengst und begann beruhigen auf ihn einzureden. Tatsächlich zeigte das ganze insofern Wirkung, das Glymur auf dem Boden blieb. Mit ein wenig Hartnäckigkeit und Geduld führte Jace ihn durch das Tor und stellte ihn auf den Putzplatz.
      “Du solltest deinem Pferd nicht so viel Druck machen. Er scheint sehr sensibel zu sein”, kommentierte er das Anbinden.
      “Du hast ja recht”, murmelte ich mit gesenktem Kopf und bückte mich nach einer Bürste. “Wo kommst du eigentlich her?”, fragte ich dann vorsichtig, während ich Glymur putze.
      “Ich arbeite hier? Das Heu verteilt sich nicht von allein in den Boxen”, brummte er unfreundlich.
      “Was denn mit dir? Wenn dir dein Job nicht gefällt, dann such’ dir einen anderen. Ich kann am wenigsten für deine Probleme”, fauchte ich zurück.
      Sorry”, murmelte er etwas freundlicher. “Wenn es nur der Job wäre, gab es wenigstens eine Lösung dafür”, fügte er erklärend dazu.
      „Kann ich dir bei irgendwas behilflich sein? Schließlich bin ich dir jetzt was schuldig“, antwortete ich freundlich deutete auf mein kleines Monster, das sich gerade den Kopf am Anbinder scheuerte.
      “Nein, mir ist momentan nicht wirklich zu helfen”, antworte er nun schon wieder deutlich verschlossener.
      “Na gut. Dann lass ich dich mal in Ruhe. Wir haben heute offenbar alle großen Probleme”, schloss ich mich seiner Aussage an und wandte mich Glymur zu, der mittlerweile sauber war. Aus der Kammer holte ich seinen Sattel und den Beinschutz.
      Wenig später tauchte ich auf dem Platz auf. Im Vergleich zum letzten Mal trug ich eine Schutzweste, die nicht wirklich angenehm an mir lag. Wieder schwitzte ich und beschloss meinen Hoodie für heute auszuziehen. Ich legte ihn über den Zaun am Eingang und führte Glymur zu Frau Wallin, die offenbar schon auf mich wartete.
      “Freut mich dich zu sehen. Wie geht es dir?”, fragte sie freundlich. Ich senkte wieder meinen Kopf, eh ich antwortete: “Könnte besser sein, meiner Schulter schmerzt noch und Atmen fällt mir manchmal auch schwer. Und …” da stoppte ich. Die richtigen Worte für das finden, was passiert war, überforderte mich.
      “Und?”, wollte sie nun noch wissen.
      “Und ich habe was getan, worauf ich nicht stolz bin”, erklärte ich. Frau Wallin zog eine Augenbraue hoch, aber sagte nichts. Ich gurtete noch einmal nach, machte die Bügel kürzer und stieg auf. Ein Blick über den Platz offenbarte mir, dass schlimmste. Obwohl ich mich darüber freute, dass Ju glücklich war, schockierte es mich genauso sehr, dass er direkt die nächste am Start hatte. Linh klebte förmlich an ihm und warf mir böse Blicke zu. Auf der anderen Seite unterhielten sich Milena und Max intensiv. Die Einsamkeit, die ich vorhin noch genoss, erschlug mich nun. Glymur unter mir legte die Ohren an und stolperte immer häufiger. Dann kamen mir die Worte vom letzten Training wieder ins Ohr. Ich setzte mich tiefer in den Sattel und versammelte ihn etwas mehr. Neben einem Sprung parierte ich in den Halt durch und richtete ihn rückwärts. Aus der Bewegung heraus trabte ich ein Stück, eh ich wieder in den Schritt zurück bremste. Zufrieden lobte ich ihn und gab ihm mehr Zügel. Neben mir hörte ich ein Pferd landen. Milena sprang mit Kempa eine zweifache Kombination und dahinter kam Max mit Blávör. Beide beherrschten ihre Pferde deutlich besser als ich, was mich wieder dazu bewegte, mich in Gedanken zu verlieren.
      “So Vriska, wenn du so weit bist, kannst du es auch versuchen”, motivierte mich meine Trainerin. Ich nickte und trabte Glymur an. Bevor ich mich an die Kombination wagte, wählte ich ein niedriges Kreuz, dass mein Hengst problemlos sprang. Zufrieden lobte ich ihn, ritt einen Zirkel und galoppierte an. Als Nächstes steuerte ich ihn auf einen Oxer zu, der deutlich höher als das Kreuz war. Überzeugt trieb ich ihn weiter und lehnte mich nach Vorn. Erfolgreich landete er mit seinen Hufen im Sand und freute mich sehr darüber. Intensiv lobte ich ihn und strich über den Hals meines Hengstes, der kurz davor war, dass nächste Hindernis anzusteuern.

      Jace
      Nachdenklich begann ich das Heu in den Boxen zu verteilen. Eigentlich hatte ich mich geweigert zu Arbeiten, doch Alec war mir so lange auf die Nerven gegangen, bis ich genervt das Zimmer verlassen hatte. Ich mochte es nicht besonders, wenn andere sich um meine Probleme kümmern, schon gar nicht Fremde, weshalb ich Vriskas Angebot vorhin ausschlug.
      Nachdem ich die ganze Nacht die Wand angestarrt hatte, weil ich einfach viel zu viel fühlte, wobei ich nicht genau sagen kann, was ich fühlte, hatte ich mir im Laufe des Tages die Gefühle verboten. Trotzdem versuchte ich allen aus dem Weg zugehen, es reichte schon, dass Alec mich den ganzen Tag verfolgte. Immerhin hatte er das leise getan, zum Großteil zumindest.
      So wo ich darüber nachdachte, fielen mir seine Worte aus dem Wald wieder ein. Ich solle stark sein und sie ziehen lassen, er hatte gut reden. Er war der Mann mit der Bilderbuchbeziehung. Irgendwann wird auch deinen großen Tag kommen hatte er noch gesagt. Doch was genau meinte er damit? Wen meinte er mit auch? Wie ich so darüber nachdachte, konnte ich spüren, wie die Gefühle wiederkamen.
      Mein Körper ging sofort in Abwehrhaltung und ich spürte die Anspannung. Nein, keine Gefühle, nicht hier.
      Schnell verteilte ich das restliche Heu und steuerte zielstrebig meine kleine Wohnung an. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, brachen die Gefühle endgültig über mich herein.
      “Fuck”, rief ich in einer Mischung aus Wut und Verzweiflung und boxte gegen die Wand, um gleich darauf an dieser entlang zum Boden zu gleiten. In mir wirbelten viel zu viele Empfindungen durcheinander, wie soll man bei dem Chaos bitte einen klaren Gedanken fassen.
      Wie fremdgesteuert stand ich auf einmal auf und ging hinüber zu dem Klavier. Von allein flogen meine Finger über die Tasten und formten eine Melodie, mit der sich ein Gefühl besonders herauskristallisierte. Schmerz, bitterer Schmerz.

      Alec
      Ich hatte eine ganze Weile gebraucht, um mich mit der Stute und vor allem mit der Disziplin anzufreunden. Schon nach dem Aufsteigen hätte ich die Bügel am liebsten wieder länger geschnallt. Immerhin bemühte sich Vakany meine vermutlich eher unverständlichen Hilfen umzusetzen. Mit den Tipps des Trainers wurde die Kommunikation zwischen mir und der Stute auch ein wenig besser. Zu meinem Glück hat die Stute einen recht guten Autopiloten, wenn es an die Sprünge geht und so meisterten wir diese zwar nicht ganz so schön, aber immerhin kamen wir auf der anderen Seite an.
      “Du musst den Sprung gerade anreiten, dann springt sie auch schöner und achte darauf sie in der Bewegung nicht zu behindern”, korrigierte der Trainer.
      Mit etwas mehr Konzentration versuchte ich also den Sprung erneut anzureiten. Ungefähr auf halber Strecke kam einer der anderen Pferde recht nah. Vakany legte unfreundlich die Ohren an und wollte nach dem Pferd schnappen. Ich korrigierte die Stute, indem ich ein wenig mehr, Tempo verlangte. Keine gute Idee, denn die Stute machte dadurch größere Galoppsprünge und somit wurde der Abstand zum Hindernis zu knapp. So legte die Stute kurz vor den Stangen eine 1A Vollbremsung hin. Das war wohl nichts.
      Bei einem neuen Versuch konzentrierte ich mich noch mehr auf das Pferd unter mir und diesmal funktionierte der Sprung recht sauber. Ich lobte die Stute dafür und versuchte mich direkt am nächsten Sprung. Auch dieser funktionierte mit der nötigen Konzentration hervorragend und so langsam fand ich Spaß an der Sache.

      Niklas
      Mit großen Schritten schritt Humbria vorwärts und zog immer wieder Aufmerksamkeit der anderen auf sich. Dieses Gefühl von zu Hause hatte ich zuletzt beim Einreiten von Smoothie vor einigen Jahren und nun schien diese Stute ihr eine ebenbürtige Nachfolgerin werden zu können. An der Seite lagen einige Stangen, die ich für den Anfang im Schritt und Trab überritt. Erstaunt von ihrem enormen Schwung im Trab, hatte sogar ich Probleme in diesem Auszusitzen. Auf dem Zirkel trabte ich leicht und steuerte nach einigen Galoppsprüngen einen kleinen Oxer an, eh sie aus dem Takt fiel und unter mir einen Gangsalat veranstaltete. Verwundert blickten Anders und ich uns an. Bis er die einzige wichtige Frage stellte: “Was sollte dann denn werden?”
      “Wenn ich das wüsste”, wunderte ich mich noch immer. Um nicht wie Vriska vor einigen Tagen zu Enden entschied ich etwas fernab der Gruppe die Stute mehr zu versammeln und zu stellen. Humbi reagierte zuverlässig auf meinen Schenkel und schien gefallen daran zu haben, geritten zu werden. Ihr Genick war locker und auch die Hinterhand tritt zuverlässig unter. Doch als ich sie wieder angaloppieren wollte, verschwand der Takt, der Kopf erhob sich und es wurde umgehend bequemer. Ein ungutes Gefühl schlich sich bei mir ein, aber da konnte nur einer vom Ponyclub helfen. “Vielleicht sollte ich mal rüber zu Kristine”, sagte ich zu Herrn Holm und ritt im Schritt am langen Zügel hinüber auf den Reitplatz, dem bereits gesprungen wurde. Ju war auch da, jedoch unter den Zuschauern und wirkte sehr konzentriert auf seine kleine Bekanntschaft.
      “Niklas, kann man dir helfen?”, fragte die Trainerin freundlich. Ich nickte und sie kam näher.
      “Ich habe ein Gangproblem und ich schätze … Humbria töltet lieber, statt zu galoppieren, oder irgendwas anderes. Ich weiß es nicht”, erklärte ich ihr. Sie öffnete die Tür, ließ alle anderen den Hufschlag verlassen und ich sollte es zeigen. Also bereitete ich meine Stute vor auf dem Zirkel, trabte einige Runden locker und gab ihr die Galopphilfe, doch der Gangsalat kam wieder. Etwas genervt versuchte ich es immer wieder auch auf dem Stand und auf Linien, doch der Galopp kam einfach nicht.
      “Herzlichen Glückwunsch Niklas. Dein Pferd läuft 1A Tölt. Anfangs mit einer Passverschiebung doch nun, erstklassig. Vielleicht solltest du die Abteilung wechseln”, scherzte sie und schien sich bereits zu freuen. Doch in mir machte sich alles andere als Begeisterung breit.
      “Schön und wie bekomme ich das weg? Ich brauche Galopp, sonst kann ich nicht Springen”, beschwerte ich mich.
      “Darüber werden wir morgen sprechen. Am besten beendest du das für heute mit ihr”, schlug sie vor. Im Schritt verließ ich wieder den Reitplatz und ritt auf dem Hof meine Stute ab. Ich spürte, dass Vriska mich beobachte, doch ich ignorierte sie. Stattdessen lenkte ich meine ganze Energie auf Humbi, die fröhlich unter mir vorwärtsschritt.
      “Also meine Hübsche, da müssen wir wohl den Teufel aus dir austreiben. Aber keine Sorge, ich werde behutsam mit dir umgehen”, scherzte ich und stieg ab. Ich nahm die Zügel vom Kappzaum ab und fummelte das Martingal ab. In der Zeit schubberte sie ihren Kopf am Anbinder. Ohne das Halfter ihr umzuhängen, nahm ich den Sattel ab und brachte sie zurück auf die Weide. Für heute ließ ich den Schutz an ihren Beinen, da ich vorhin bereits festgestellt hatte, dass sie sich dort immer wieder in die eigenen Beine trat. Frei folgte sie mir und freute sich auf den vollen Heusack, der dort hin. Doch nach einigen Happen warf sie sich auf den Boden und genoss das Sandbad.
      “Na gut, ich werde dann wohl mal aufräumen gehen. Wir sehen uns morgen”, verabschiedete ich mich und trat den Rückweg zum Stall an, um meine Sachen wegzuräumen. Die feuchte Schabracke legte ich in der Kammer über den Sattel mit dem Äußern auf die Sattelfläche. Vorher entfernte ich noch den groben Schmutz, ebenfalls entschied ich die Bürsten sauberzumachen. Wirklich verärgerte mich ihr fehlender Galopp, besonders, weil mir die Erfahrung fehlte, so ein Pferd zu trainieren. Ich wünschte mir, meinen Opa genau jetzt kontaktieren zu können, er wüsste eine Lösung. Mit gesenktem Kopf setzte ich mich in die Stallgasse auf den Boden und betrachtete die Wand. Der Gedanke, Humbi wieder zurückzubringen rückte in den Vordergrund, doch in den wenigen Tagen hatte sie mein Herz gestohlen und ich wollte es wenigstens noch versuchen. Selbst wenn die Lösung dafür wäre, noch einmal mit Vriska zu sprechen. Sie ritt schon etwas länger auf den Tollpatschen und könnte mir sicher einige Tipps geben, außerdem hatte ich einige Probleme mit dem Training von Kristine. Ständig bremste mich die Dame aus und versuchte mich zu jemand anderes zu machen. Meine Familienverhältnisse stellte sie immer infrage und konnte es nicht wahrhaben, dass ich reiten kann. So empfand ich Unterricht mit ihr immer wie eine Qual, statt etwas Neues zu lernen. Gedankenverloren hörte ich Schritte von weiten und drehte mich um, als ich Alec und seinen Fanclub erblickte. Schnell rappelte ich mich auf und brachte schnell die Kiste weg.

      Lina
      “Also dafür, dass das nicht deine Welt ist, hast du das gut gemacht”, lobte Samu Alec, während wir zusammen mit ihm zurück zum Stall liefen. Es war bereits dunkel geworden, sodass der Hof nur noch von den Lampen am Stall beleuchtet wurde. Dennoch schien Alec nicht der Meinung zu sein Vakany auf der Stallgasse abzusatteln und steuerte lieber den Putzplatz draußen an.
      “Meinst du, nicht dass du dein Pferd sehen möchtest?”, gab ich ihn zu bedenken.
      “Ach was, wozu denn? Absattelt schaffe ich auch gerade noch so, außerdem ist es hier draußen doch viel schöner”, antwortete er nur und begann bereits die Trense der Stute zu öffnen.
      “Sag mal ist das nicht deine?”, fragte Samu mich nun und deutete auf eine Schabracke, die über dem Abbinde Balken lag.
      “Ja, die sollte da trocknen”, erklärte ich ihm.
      “Na, das ist ja schön, aber bei welcher Sonne soll die denn jetzt noch trocknen?”, merkte Samu an.
      “Ja…, da hast du recht. Ich sollte die wohl wegräumen”, antwortete ich und nahm die Schabracke vom Balken. “Soll ich die Trense schon mitnehmen?”, wandte ich mich an Alec und noch bevor ich eine Antwort bekam, hatte ich ihn die Trense bereits aus der Hand genommen.
      “Das hätte ich zwar auch selbst geschafft, aber danke”, bedankte sich Alec.
      “Weiß ich doch, aber ich muss doch jetzt eh dahin”, reif ich ihm im Gehen noch zu und betrat die Stallgasse.
      Anhand der Tatsache wie viel Heureste auf dem Boden lagen, merkte ich das Jace seinen Stalldienst heute wohl gemacht hatte. Ich werte das mal als gutes Zeichen, dass er aus seiner Wohnung gekommen war, auch wenn er das zu einer Zeit tat, wo ihm niemand begegnen würde. Nichts desto trotzt, ärgerte ich mich ein wenig darüber, dass er die Stallgasse nicht gekehrt hatte, das hätte er dann auch noch geschafft. Dann würde ich wohl gleich noch fegen, aber zuerst muss ich die Sachen wegbringen. Ich öffnete die Tür zu Sattelkammer und wollte direkt die Schabracke weghängen, doch Niklas stand im Weg und kramte nach irgendwas.
      “Huch, willst du etwa durch?”, scherzte er und stellte sich noch mehr in den Weg.
      “Ja, wäre schon ganz praktisch. Ich kann das Ding auch schmeißen, aber Schabracken haben leider nicht die besten Flugvoraussetzungen”, antworte ich ihm und versuchte mich an ihm vorbeizuquetschen.
      „Na gut, ausnahmsweise“, sagte Niklas und ging einige Schritte beiseite.
      “Ist eigentlich alles ok mit Humbi, ihr wart so schnell verschwunden?”, fragte ich während ich versuchte die Schabracke auf das Regal zu befördern. Leider fiel sie wieder runter. Noch bevor er antwortete, bückte er sich nach der Schabracke und legte sie für mich auf das Regal. Dann drehte Niklas sich zu mir und guckte mir in die Augen: “Grundsätzlich ja, aber du wirst sicher den Gangsalat gesehen haben. Frau Wallin meinte, dass sie wirklich guten Tölt hatte und auch Passveranlagung. Es wäre somit normal, dass der Galopp weniger ausgeprägt ist und in ihrem Fall noch nicht einmal da. Doch sie ist der Meinung, dass sich machen lässt. Ungern würde ich sie wieder zurückgeben.”
      “Das ist doch gut, wenn sich daran arbeiten lässt”, sagte ich zuversichtlich. “Und zurückbringen solltest du sie auf keinen Fall. Ich mag sie, sie ist irgendwie so anders ”, fügte ich noch hinzu.
      “Sprichst du gerade über mich oder Humbria?”, scherzte er mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
      “Lass mich überlegen… eindeutig von euch beiden”, antworte ich mit einem lächeln. “Ihr seid beide sehr besonders”, fügte ich noch an.
      “Na dann”, sagte er und wendete sich wieder von mir ab. Ich wandte mich dem Waschbecken zu und Vakanys Gebiss abzuwaschen. Wie schafft Niklas es denn immer alles, was ich sage auf sich zu beziehen. Dieser Mann ist doch einfach zum Wahnsinnig werden, in einem positiven Sinne, wohlgemerkt.
      Nachdem das Gebiss von Sabber befreit war, wollte ich die Trense weghängen und musste leider feststellen, dass sie ganz oben hingehörte. Natürlich wie sollte es denn auch anders sein, bei einem von Samus Pferden, er war ja auch kein Zwerg.
      “Warum ist das denn hier alles nur für Riesen gebaut”, schimpfte ich leise vor mich hin und blickte mich nach dem Hocker, um den ich extra mal hier platziert hatte. Natürlich stand er nicht, da wo er sein sollte. Auch wenn es mich normalerweise nicht sonderlich störte, klein zu sein, manchmal verfluchte ich die Welt dafür.
      “Könntest du mir noch mal kurz helfen? Hier ist einfach alles zu hoch für mich”, fragte ich Niklas, der eigentlich gerade den Raum verlassen wollte und blickte ein wenig genervt zu dem leeren Trensenhalter.
      “Aber selbstverständlich”, scherzte er, kam zurück und hing die Trense an seinen Halter.
      “Vielen Dank. Ich würde dich als Held bezeichnen, aber besser als ich an irgendetwas dranzukommen ist noch keine außergewöhnliche Fähigkeit”, bedankte ich mich.
      “Nun, ich habe schon mehr in wenigen Tagen repariert als du offenbar in deinem ganzen Leben. Ist das ein Argument?”, stichelte Niklas.
      “Ey, nur weil ich eine Frau bin, heißt das nicht, dass ich nicht weiß, wie man etwas repariert”, protestierte ich empört. “Nur halt nicht wie man Führmaschinen repariert.”
      “Ich habe nicht gesagt, dass das an deinem Geschlecht liegt. Eher an deiner Körpergröße”, versuchte er sich zu verteidigen und grinste schelmisch.
      “Pff, klein sein hat auch seine Vorteile”, erwiderte ich und wollte gehen. Wie kann man den bitte so frech sein und dabei so verdammt gut aussehen, das ist einfach unfair.
      “Ich weiß doch und jetzt komm, eh die draußen noch auf komische Ideen kommen”, sagte er, gab mir einen Kuss auf die Haare und legte den Arm um meine Schulter als wir die Kammer verließen.
      “Ah, da bist du also abgeblieben. Wir dachten schon du hättest dich verlaufen”, reif Alec mit einem breiten Grinsen über die Stallgasse als er uns mit Vakanys Sattel in der Hand entgegenlief.
      “So groß ist die Sattelkammer jetzt auch nicht, dass man sich darin verlaufen könnte, auch wenn sie eindeutig für Riesen gebaut wurde”, entgegnet ich ihm. “Und hör gefälligst auf so blöd zu grinsen.”
      “Ich freue mich doch nur, dass du dich nicht verlaufen hast. Darf ich das etwa nicht?”, sagte er unschuldig als er an uns vorbeiging.
      “Mach’ dir nichts draus, Lina ist nur eifersüchtig, dass sie gerade nicht die hübscheste ist”, fing nun auch Niklas an mich zu föppeln.
      “Ihr beide seit doch echt bescheuert”, murmelte ich und boxte Niklas leicht in die Seite, da Alec leider zu weit weg stand dafür.
      “Na, ich nehme das mal als Kompliment”, entgegnete Alec immer noch grinsend. “Ich lass euch zwei hübschen, dann mal wieder allein”, hängte er noch an und verschwand in der Sattelkammer.
      “Das tat weh”, beschwerte sich nun der Riese neben mir.
      “Ach wirklich? Ich dachte, du seist ein großer starker Mann”, antwortete ich zynisch.
      „Deine kleinen Händchen sind wie Pfeile, die sich in die Haut bohren. Außerdem habe ich Muskelkater“, murmelte er am Ende etwas unverständlich.
      “Dann solltest du nicht immer so fies sein, dann muss ich auch nicht meine kleinen Händchen benutzen”, sagte ich ein ganz klein wenig schadenfroh.
      “Ich kann ja mal fies werden”, antwortete Niklas schlagartig, schnappte meine Hände und drückte mich gegen die Wand einer Box. Dabei guckte er mir tief in die Augen und hielt meine Arme nach oben.
      “Kannst du?”, fragte ich provokant. Sanft küsste er meinen Hals bis runter zur Schulter und guckte mich mit seinen großen Augen wieder an. Dabei trat er einen Schritt weiter heran an mich, ich spürte seinen Körper an mir. Mir wurde warm. Ich spürte wie meine Haut zu kribbeln begann und mit einem leichten Ziehen in der Körpermitte meldete sich ein Verlangen in mir. Ich wollte mich bewegen, doch Niklas hatte mich fest im Griff uns sah mich weiter mit großen Augen an.
      “Ok..., jetzt bist du wirklich fies”, flüsterte ich kaum hörbar.
      “Gut” antwortete er verschmitzt und ließ mich los. Von weiten hörte man jemanden kommen. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich Vriska, die mit ihrem Schecken in den Stall kam.
      “Nehmt euch nen Zimmer”, murrte sie uns an und legte Glymur das Halfter um, dass in der Gasse hing. Einen kurzen Moment war ich ein wenig verlegen gewesen, aber Vriskas Kommentar nervte mich einfach nur. Heute Morgen beim Frühstück war sie doch noch normal gewesen und danach hatte ich sie nur noch mit schlechter Laune gesehen. Wenn ihr Pferd nicht in der Lage war seine Füße zu heben, musste sie das doch nicht an mir auslassen.
      “Was ist mit dir denn eigentlich heute los mit dir? Immer, wenn ich dich sehe, werde ich nur an gemault. Habe ich dir was getan?”, fragte ich sie leicht genervt.
      “Geht dich gar nichts an”, zischte sie mich aggressiv an. Niklas verabschiedete und ließ uns beide allein.
      ”Wenn du ein Problem mit mir haben solltest, sag es halt, ansonsten lass deine schlechte Laune an irgendwem anders aus”, motze ich sie an. Glymur schien wenig begeistert und begann nervös auf der Stelle herumzutänzeln.
      “Habe ich schon”, murmelte Vriska und wirkte plötzlich zerbrechlich, als würde sie den Rest von ihr schützen. Auf einmal tat es mir ein klein wenig leid sie so angemeckert zu haben, wer konnte dann schon Ahnen das sie tatsächlich irgendetwas Ernsthaftes beschäftigte.
      “Wenn ich dir irgendwie helfen kann, sag Bescheid”, versuchte ich es nun ein wenig versöhnlicher und wollte mich zum Gehen wenden.
      “Geh mal zurück zu deinen Freunden, ich komm’ klar”, murmelte sie noch immer und verschloss sich noch mehr.
      Ich zögerte einen Moment und überlegene, ob es tatsächlich jetzt richtig war zu gehen. Immerhin hatte Vriska mir auch bei meinen Problemen zugehört, doch irgendwie ahnte ich, dass sie nicht mit mir reden würde, egal was ich tun werde.
      “Falls du es dir doch anders überlegst, weißt du wo du mich findest”, murmelte ich noch bevor Vriska mit ihrem Hengst allein ließ.

      Vriska
      Hätte ich doch mit ihr sprechen sollen, obwohl wir es anderes verhandelt hatten? Sie und Niklas zusammen zu sehen weckte etwas in mir, dass ich vorher noch nie verspürte. Es war wie eine Angst, jemanden zu verlieren, obwohl es nichts zu verlieren gab. Oder doch? Glymur nahm alles an von mir wahr und hampelte noch immer nervös in der Gasse, ich ließ meinen Blick nach draußen schweifen. Als Lina um die Ecke verschwand vibrierte mein Handy. Auf meinem Sperrbildschirm sah ich, dass Niklas mir geschrieben hatte. Es war klar gewesen, dass mir schrieb. Bestimmt um abzuchecken, ob ich ihr irgendetwas verraten hatte. Hingegen meiner Erwartungen schrieb er jedoch: “Var inte ledsen. Vi ses efteråt och lär oss lite, jag hade trots allt varit ofokuserad med Humbria tidigare. Pigga upp.” Bevor ich die Nachricht vollständig verstand, musste ich einige Worte nachschlagen. Langsam wurde mir bewusst, dass Lina an ihm fand. Es war genau das, was er mir schrieb. In mir glühte etwas Hoffnung auf und deutlich fröhlicher nahm ich den Rest von Glymur runter, zog die Weste aus und brachte ihn in seine Box. Erst jetzt kamen mir die anderen drei oder besser gesagt vier entgegen. Böse Blicke warf ich Linh zu, die sich gerade mit Ju unterhielt. Schnellen Schrittes versuchte ich wegzukommen, doch jemand hielt mich am Arm fest. Ich drehte mich panisch und guckte ihn an. Erst dann ließ er los. Erwartungsvoll blickte ich hoch in sein Gesicht.
      “Ich weiß, was ihr getan habt”, sprach er leise zu mir.
      “Und was genau meinst du? Dass ich heute mit Glymur gesprungen bin?”, lenkte ich ab und grinste.
      “Du und Niklas. Ihr beide”, begann er, bis ich seinen Mund zu hielt.
      “Das geht niemanden etwas an”, flüsterte ich eindringlich. Ju schlug meine Hand von ihm weg und ich spürte den Schmerz in meiner Schulter kommen. Betrübt legte ich die andere Hand auf die pochende Stelle und sein Gesicht verzog sich.
      “E-Es tut mir leid. Ich wollte das nicht”, entschuldigte er sich. Es war der richtige Moment einen Abgang zu machen, doch irgendwas verankerte mich fest im Boden. Ich nickte nur und hörte zu.
      “Was dachtest du dir dabei? Hat es dir mit uns gar nichts bedeutet?”, fragte Ju leidet. Offenbar hatte ich die Gefühle seinerseits vollkommen außer Acht gelassen, doch nun konnte ich es eh nicht mehr rückgängig machen.
      “Ich … Gar nichts. Ich dachte an gar nichts und doch … E-Es hat mich schon etwas bedeutet”, ich pausierte, denn ich hatte keine Antwort darauf. Er hatte etwas an sich, dass mir gefiel, doch für mehr reichte es nicht. Zumindest jetzt nicht mehr, nach der Nacht und so wie er am Wasser über ihn sprach, erkannte ich Ju nicht mehr wieder.
      “Aber? Okay, ich möchte es gar nicht wissen. Ich sollte Linh helfen. Danke fürs Gespräch”, fauchte er mich nun an und lief zum Stall. Ich spürte die Blicke der anderen und fühlte mich nicht gut. Mein Magen knurrte und es wäre sicher gut noch etwas zu essen. Vorher sollte ich jedoch etwas anderes anziehen und meine Haare neu machen. Alles klebte an mir, was sicher auch dem Wetter zu verschulden war. Obwohl ich vor mehr als 10 Minuten noch die Welt brennen sehen wollte, ging es mir nach der Nachricht und dem kleinen Gespräch schon viel besser. Im Zimmer war der Griff zur kürzeren Hose sehr nah, doch als ich an mir herunterblickte und neben den Narben auch die frischen sah, entschied ich mich dagegen. Ich wollte keine unangenehmen Fragen gestellt bekommen oder möchte-gern-Hilfe. Das musste ich die letzten Jahre in England schon immer ertragen. Ich guckte auf die Uhr, kurz nach 8 Uhr abends. Wenn ich heute vor 23 Uhr schlafen wollen, würde, müsste ich mich beeilen. Erst recht, wenn Niklas später noch herkommen wollte. Ich bemerkte, dass ich meinen Hoodie auf dem Platz vergessen hatte, doch war froh darüber. Denn dann musste ich mich dazu zwingen mal etwas Kurzes anzuziehen. In meiner Tasche entdeckte ich mein Lieblingsshirt, das ich viel zu selten anzog. Es war ein graues oversized Shirt, dass überall Farbflecken hatte und bauchfrei. Bei dem Wetter wäre es durchaus angebracht etwas mehr Haut zu zeigen, denn alle anderen liefen auch beinah nackt herum. Die Truppe saß gemeinsam am Tisch und unterhielten sich. Ju und Linh waren auch bereits dabei.

      Niklas
      “Und Alec, wie fandest du den Unterricht?”, fragte ich neugierig, während wir alle noch etwas aßen. Jemand von Hof hatte das Feuer wieder mal angemacht und im Hintergrund liefen über Musikboxen entspannte Musik.
      “Sehr lehrreich, aber dieses gehüpfe ist definitiv nicht meine Welt. Ich bleibe glaube ich lieber bei der Dressur”, antwortete Alec gutgelaunt.
      “Das unterschreibe ich so”, stimmte ich ihm zu und riss ein Stück vom Brot ab. Wenn ich ehrlich war, reichte mir das Essen vom Buffet langsam, aber sicher. Stückweise wünschte ich mir Fjona her, die sonst frisch kochte, wenn ich keine Lust hatte.
      “Und bist du froh, wenn wieder Ruhe am Hof einkehrt?”, fragte ich Samu, denn Lina würde mit nach Schweden kommen und dachte vermutlich nicht weiter daran.
      “Oh ja und wie froh ich sein werde, wenn sich nicht mehr alle benehmen wie im Kindergarten. Auch, wenn es zugegebenen Maßen dann wieder ein wenig langweilig hier werden wird”, antworte Samu ehrlich.
      “Was denn für einen Kindergarten?”, fragte Ju etwas verärgert.
      “Keine Sorge, dich meine ich nicht”, versuchte Samu ihn zu besänftigen.
      “Er spricht bestimmt von unserem Bipolaren Monster”, warf Milena ein, die gerade mit Max vorbeilief.
      “Wer nichts Nettes zu sagen hat, sollte lieber die Klappe”, verteidigte ich Vriska, die ich von weiten sehen konnte. Überrascht guckte ich noch mal genauer hin und sah, dass sie mal einen Pullover trag, sondern sogar Haut zeigte.
      “Also wenn hier jemand ein Monster ist, dann du”, stellte Alec an Milena Gewand fest.
      “Pff, ich werdet es noch kapieren. Spätestens, wenn sie wieder manisch wird, habt ihr meine Worte im Kopf”, zischte sie und ging. Tatsächlich ergab es Sinn, was sie da erzählte. Vriska konnte innerhalb kürzester Zeit ihre Stimmung wechseln, ohne selbst viel davon mitzubekommen. Andererseits hatte ich das auch schon bei Lina erlebt und Ju erst recht. Sind jetzt alle Krank? Vriska setzte sich neben mich und alle blickten zu ihr, als gehörte sie nicht mehr dazu. Jus Augen blitzten mich an und ich wusste, was er wollte. Unbeeindruckt drehte ich mich zu ihr und hörte zu, was sie uns zusagen hatte.
      “Hej”, begann sie vorsichtig. Niemand sagte etwas. Vriska fuhr fort: “E-Es tut mir leid, also euch allen gegenüber. Ich weiß nicht mehr, was ich heute zu wem sagte, ob es nett, oder weniger nett war. Aber nach dem Ju vorhin mit mir kurz gesprochen hatte, wurde mir klar, dass mein Verhalten nicht gut war. Also. Es tut mir leid, wirklich. Wenn ihr wollt, dass ich gehe, dann ist das confirm für mich.”
      “Bleib ruhig hier. Jeder von uns hat mal einen schlechten Tag, wo er dann auch schon mal nicht so nette Dinge sagt. Sogar bei mir soll das schon vorgekommen sein”, sagte Alec diplomatisch.
      “Oh, danke”, antwortete sie verlegen und stellte den Teller auf den Tisch. Unauffällig musterte ich ihr Outfit und bemerkte die Narben, die sie am Arm versteck von einem großen Sleeve versteckte. Da fiel mir ein, dass auch mein Termin morgen sei, bei dem Lina dabei sein wollte.
      “Ach Nik, ich muss noch was besprechen”, begann Ju und ich blickte zu ihm aufmerksam. Er sprach weiter: “Linh schläft nachher mit bei uns und ich schätze, du solltest dir diesmal ein anderes Zimmer suchen.”
      “Ja, geht klar. Lina? Kann ich nachher zu dir kommen? Wann gehst du schlafen, weil ich wollte mit Vriska noch über Betriebsleitung und andere wirtschaftliche Dinge sprechen zum Lernen”, wandte ich mich ihr zu.
      An Samu Gesichtsausdruck war deutlich zu sehen, was er von der Idee hielt.
      “Klar, kein Problem. Was die Uhrzeit angeht, habe ich keine genaueren Pläne. Ich hatte nur vor heute mal vor 3 Uhr nachts im Bett zu sein” antwortete sie, ohne Samu wirklich zu beachten.
      „Freut mich“, sagte ich grinsend.
      Ich spürte wie eine Hand durch meine Hose über den rechten Oberschenkel langsam in meinen Schritt wanderte. Mein Herz begann schneller zu schlagen und auffällig wechselte ich meine Sitzposition, um es mir bequemer zu machen. Gleichzeitig unterhielt Vriska sich mit Lina und ließ sich nicht anmerken, was sie gerade tat. Dieses Mädchen machte mich verrückt. Ihre Art etwas zu wollen und alles dafür zu tun, faszinierte mich und zog mich in den Bann. Nebenbei versuchte ich weiter zu essen und jeder Happen fiel mir von einer Sekunde zur nächsten schwerer. In meinem Kopf malte ich mir aus, was noch passieren würde und wie ich, ohne mir etwas anmerken zu lassen, bei meiner Auserwählten schlafen sollte. Ich nahm Vriskas Hand aus meiner Hose und richtete alles unauffällig, um die Teller wegzuräumen.
      “Möchte noch jemand was, wenn ich schon mal da bin?”, fragte ich in die Runde und unterbrach dabei einige Gespräche.
      “Ja gern, ich würde noch etwas Kartoffelsalat nehmen”, sagte Linh und reichte mir ihren Teller, auf dem noch ein halbes Steak lag. Sonst meldete sich niemand und ich machte mich auf den Weg. Als ich wieder kam, herrschte eine leichte Aufbruchstimmung. Alec verabschiedete sich, um nach Hause zu fahren. Etwas traurig wünschte ich ihm eine gute Fahrt.
      “Wollen wir dann nicht langsam anfangen? Je früher wir fertig sind, so länger kannst du mit Lina ungestört sein”, schlug Vriska vor. In ihren Augen funkelte etwas Boshaftes, aber ich stimmte zu.

      Lina
      Natürlich war mir Samu vielsagender Blick nicht entgangen, als Niklas gefragt hatte, ob er bei mir schlafen konnte, doch eigentlich hatte ich nicht die Motivation es mit ihm auszudiskutieren. Leider schien er das anders zu sehen, denn kaum waren Niklas und Vriska verschwunden bedeutete er mir ziemlich eindeutig, dass er reden wollte. Für einen Moment überlegte ich, ob ich ihn einfach ignorieren konnte, doch dann würde vermutlich noch mehr nerven.
      Seufzend stand ich also auf und folgte ihm zu der großen Eiche, die etwas abseits der Tische wuchs.
      “Was willst du denn?”, fragte ich Samu genervt.
      “Was ich will? Ich will gar nichts, ich finde nur du solltest noch mal Nachdenken. Ihr kennt euch gerade mal etwas länger als eine Woche”, regte er sich ein wenig auf.
      “Erinnerst du dich an unser Gespräch heute? Was habe ich da gesagt? Richtig, du sollt mich nicht immer so krass beschützen ich bin keine 12 mehr”, sagte ich ein wenig genervt.
      “Und mal ganz abgesehen davon, was ich mit wem in meinem Bett mache, geht dich absolut nichts an. Auch für dich gibt es Grenzen”, fügte ich unmissverständlich hinzu.
      “Aber…”, er wollte gerade ansetzen noch etwas zu sagen, aber ich schnitt ihm einfach das Wort ab.
      “Nichts, aber. Mein Bett, meine Entscheidung! Das steht auch nicht zu Diskussion. Ich schreib dir auch nicht vor wen du in dein Schlafzimmer lässt”, meckerte ich ihn an. Daraufhin war er erst mal still. Ein wenig verwundert war ich trotzdem, denn ich hatte ihn noch nie so nervig erlebt wie heute. Ok, zugegebenermaßen habe ich auch noch nie so wenig auf seinen Rat gehört, dass könnte die Lage vielleicht erklären.
      “Lina, hör doch wenigstens zu, danach hör ich auch auf die zu nerven versprochen”, bettelte er nun fast, dass ich ihm zuhörte.
      “Wenn denn sein muss”, gab ich genervt nach.
      “Kann sein das du nachdem, was ich sage, nie wieder mit mir spricht, aber ich möchte, dass du das in deine Entscheidungen einbeziehst. Ich glaube immer noch, dass Niklas nur mit dir spielt. Ich meine, warum sollte er von heute auf morgen ein anderer Mensch sein, das ergibt keinen Sinn”, Samu schien diese Sache wirklich wichtig zu sein. “Und ich kann auch verstehen, dass du ihn äußerlich anziehend findest, aber bitte schalte nur für eine Sekunde dein Gehirn ein, bevor du etwas tust, was du später bereust.” Eine unangenehme stille herrschte zwischen uns. Normalerweise hätte ich auf ihn gehört, denn Samu besaß eine unglaubliche gute Menschenkenntnis, doch in diesem Fall wollte ich ihm nicht glauben. Mir gegenüber hatte sich Niklas so verständnisvoll Verhalten und es fühlte sich einfach so gut an. Dennoch kam da diese fiese kleine Stimme in meinen Kopf, diese fiese Stimme, die immer alles zerstörte. Glaub ihn Lina, du hast Niklas Rücken schon wieder vergessen. Außerdem einer, wie er will dich sowieso nicht haben. Das glaubst du wohl selbst nicht, verspotte die Stimme mich. Nein, diese Stimme ist böse, ich darf ihr nicht glauben. Mit all meiner Willenskraft hielt ich gegen die Zweifel und schob sie beiseite.
      “Ich werde deinen Tipp berücksichtigen, aber eigentlich steht meine Entscheidung bereits fest, egal was du davon hältst”, antworte ich und ließ ihn einfach unter dem Baum stehen.

      Juha
      Während Linh noch aß, belauschte ich das Gespräch von Lina und Samu. Auch, wenn ich nicht alles verstehen konnte, hörte ich immer wieder Niklas und mir war klar, worum es ging. Offenbar hatte Kerl wieder nicht besseres in seinem Schädel, als alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sichtlich genervt, ließ Lina Samu allein sitzen und ich nutzte die Gunst der Stunde ihn etwas aufzumuntern. Leicht geduckt lief ich zu ihm und setzte mich.
      “Ich sage dir, dass nun nur ein einziges Mal, also höre mir gut zu”, begann ich. Samu nickte und ich fuhr fort: “Deine Sorgen sind berechtigt und Lina wird vermutlich schneller wieder hier sein, als du gucken kannst. Ich möchte ihn damit nicht zu einem schlechteren Menschen machen, als er ist, denn er ist durchaus eine freundliche und zuvorkommende Persönlichkeit sein. Doch er kann unberechenbar und sprunghaft in seinen Entscheidungen verhalten. Dabei ist er so in seinem Film festgefahren, dass er den Rest seiner Umwelt außer Acht lässt. Wenn Lina damit nicht umgehen kann und nicht standhaft ihm gegenüber ist, kann das nur im Krieg enden. So, hast du noch eine Frage?” Ich versuchte so leise zu sprechen wie möglich, denn nach dem letzten richtigen Zerwürfnis mit meinem besten Freund, endete es seinerseits mit einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt sowie vieler Gespräche. Das konnte ich nicht riskieren, denn ich wünschte ihm vieles, nur nicht das nochmal.
      “Warum genau erzählst du mir das jetzt eigentlich. Wie du siehst, hört Lina ohnehin nicht mehr auf mich”, fragte er mit einer Mischung aus Verwirrung und Besorgnis in der Stimme.
      “Ich möchte sie vor dem schlimmsten bewahren. Und ganz ehrlich? So wie ich dich einschätze, warst du bei den Mädels sicher beliebt und wie oft hast du mit jemanden einfach nur gelernt?”, deute ich an und zog meine Brauen hoch.
      “Öfter, als du zu glauben scheinst”, antwortete Samu.
      “Nun gut. Wir haben nie drüber gesprochen”, flüsterte ich und lief zurück zu Linh, die bereits auf mich wartete.
      “Alles gut bei dir, du wirkst so … aufgeregt”, fragte sie besorgt.
      “Natürlich, ich musste nur was Wichtiges klären. Wollen wir rüber, Fernsehen?”, entgegnete ich freundlich und lief mit ihr zum Zimmer. Niklas hatte ein riesiges Chaos hinterlassen. Ich entschuldigte mich bei ihr und warf schnell alles zusammen. Aus meiner Rage stoppte sie mich und gab mir einen Kuss.
      “Es ist nicht das erste Mal, dass er das Zimmer verwüstete und ich das sah”, antwortete Linh liebevoll und zog mich auf die Couch. Mit meinem Arm um ihre Schulter guckten wir eine Dokumentation auf Netflix.

      Niklas
      Gerade als ich die Tür hinter mir schloss, fiel Vriska mir um den Hals. Meine Hände legte ich an ihrem Hinterteil und zog sie fest an mich heran. „Wärst du so freundlich, heute keine Spuren zu hinterlassen?“, flüsterte ich bestimmend in ihr Ohr und schmiss sie aufs Bett. Mit ihrem Kopf auf der Decke zog ich unsere Hosen runter und liebäugelte mit ihrer Unterwäsche, die sie trug. In Gedanken an Lina suchte ich in meiner Hosentasche meiner Reithose nach einem Gummi.
      „Wenn du nicht willst, dann müssen wir das nicht tun“, sagte sie besorgt und schien zu merken, dass ich nicht ganz bei der Sache war. Dann drehte sie sich auf den Rücken und guckte mich an. Noch eh ich antworten konnte, sagte sie überrascht: „Ach, warst du schon vorbereitet, was heute passiert?“
      „Nein, ich bin immer vorbereitet. Du bist nicht die Erste, die plötzlich über mich herfällt“, antworte ich ernsthaft und distanziert. „Und um auf deinen ersten Satz zurückzukommen, wenn ich wollen würde, hätte ich meine Hosen noch an“, grinste ich, drehte sie unsanft um und zog sie an mich heran. Leise winselte sie nach mehr und ich genoss das Gefühl von ihr gebraucht zu werden. So schön es auch war, musste ich dafür sorgen, dass sie leise ist. Ich legte meine Hand auf ihren Mund und drückte sie nieder. Doch nur mit Mühe gelang es mir, ihre Leidenschaft zu unterdrücken. Gestern hatte sie noch andere Möglichkeiten sich dem zu entziehen, nur Monstermücken würde mir keiner mehr abnehmen, erst recht nicht Lina, wenn die Kratzer frisch waren.
      „Zieh dir was drüber und setzt dich an den Tisch“, befahl ich ihr, als ich ins Bad lief, um mich sauberzumachen.
      „Komm‘ doch lieber ins Bett“, quengelte Vriska erschöpft.
      „Ich bin nicht zum Spaß hier. Betriebswirtschaftslehre lernt sich nicht von allein“, antwortete ich standhaft, als ich meine Hände wusch. Als ich zurückkam, lag sie immer noch im Bett, wie ich sie hinterließ.
      “Steh’ jetzt auf oder war heute das letzte Mal da”, drohte ich und war selbst überrascht. Offenbar konnte ich mir vorstellen, dass nun öfter zu tun. Der Gedanke fühlte sich besser an, als wollte, dennoch setzte ich mich und nahm das Pad zur Hand. Aus dem Augenwinkel heraus beobachtete ich, dass Vriska sich etwas drüberzog und dazu kam. Ihre Haare waren durcheinander und ihre Hose kurz. Ein Bild, dass sie ruhig öfter zeigen konnte und vor allem nicht nur mir.
      “Du siehst wunderschön aus”, schmeichelte ich ihr. Verlegen zog sie ihr Shirt über die Shorts und setzte sich an den Tisch. Zusammen gingen wir die Seiten durch und ich erklärte ihr, welche Faktoren die wichtigsten waren und was die Prüfer wissen wollten. Im Gegensatz zu ihr hatte ich alles schon durch und wusste, worauf es ankam. Obwohl Vriska sehr erschöpft wirkte, gab sie sich Mühe mir genau zuhören und die Aufgaben sorgfältig zu erledigen.
      “Ich denke, dass das für heute reicht”, erklärte ich ihr nach einer Stunde. Ich stand vom Stuhl auf und sie sprang auf, um mich festzuhalten.
      “Willst du nicht hierbleiben?”, begann sie wieder zu quengeln.
      “Du weißt, dass das nicht geht”, redete ich mich raus und nahm ihre Arme von mir.
      “Also ist dir das nicht wichtig mit uns?”, in ihrem Gesicht war die Enttäuschung zu erkennen, die in ihr herrschte.
      “Nein … doch. Irgendwie schon. Wir schlafen nur miteinander und lernen. Mehr ist das nicht”, versuchte ich Vriska zu erklären, die offensichtlich mehr wollte als ich.
      “Okay, ich verstehe. Aber wenn das nicht mehr …“, sie stoppte. Eine Träne lief auf ihrer Wange herunter und sie drehte sich weg.
      “Vriska, dir muss klar sein, dass das nicht mehr sein wird. Wenn du das nicht willst, dann sag’ es jetzt und ich verhindere alles Weitere, was du versuchen willst. Ich möchte nicht, dass du sich schlecht dabei fühlst. So macht das keinen Spaß”, muntere ich sie auf und strich einige Strähnen aus ihrem Gesicht.
      “Mir geht’s gut. Ich wollte nur wissen, woran ich bin. Das weiß ich nun”, lachte sie und umarmte mich. Das ging für mich klar und ich drückte sie.
      “Dann schlaf gut. Morgen gleiche Zeit, gleicher Ort?”, scherzte ich. Fröhlich nickte sie und schloss die Tür, als ich ging.
      “Lina, ich bin gleich da, setz’ mich noch für einen Moment ans Feuer”, schrieb ich meiner Herzensdame und setzte mich auf einen Stuhl am Feuer. In meiner Hosentasche befand sich ebenfalls die Schachtel von der Tankstelle und ich zündete mir eine an. In meinem Kopf schwebten tausend Gedanken und einer davon war Lina. Ich wollte sie nicht verletzen und auch nicht hintergehen, doch sie gab mir nicht das, was ich bei Vriska fühlte. So fasste ich den einzigen richtigen Entschluss. Ich musste mit Lina darüber sprechen, zumindest teilweise.
      Als ich aufgeraucht hatte, lief ich zu ihr und rechnete damit, dass ich die Nacht bei Vriska verbringen würde. Ich selbst würde mich nicht ertragen wollen. Vorsichtig klopfte ich an Linas Tür.


      Lina
      Nachdem Streit mit Samu war ich innerlich so aufgewühlt gewesen, dass ich mir erst einmal einen Tee machen musste. Auch wenn ich es Samu gegenüber nicht zugeben wollte, machte ich mir doch mehr Gedanken darüber, was er gesagt hatte. Mit meinem Tee hatte ich mich auf mein Sofa begeben und die Zeichnungen angestarrt, die kreuz und quer über den Tisch verteilt lagen. Ganz obendrauf, mein Block auf dem noch die Zeichnung von Niklas Tattoo aufgeschlagen war.
      Auch wenn sich die negativen Gedanken immer wieder in den Vordergrund drängten, fasste ich einen Entschluss. Mir ist egal was Samu sagt, immer hin bin ich hier diejenige die mit den Konsequenzen der Entscheidung leben muss, nicht er. Ich komme was wolle, ich werde mit nach Schweden gehen. Auch wenn Niklas noch ein Fremder für mich ist, bin ich überzeugt davon, dass es das Richtige ist. Es fühlt sich einfach zu gut an, um es mir von irgendwem kaputt machen zu lassen.
      Ich war so fokussiert auf meine Gedanken gewesen, dass ich vor Schreck fast vom Sofa fiel, als es an der Tür klopfte und natürlich, wie hätte es auch anders sein sollen, hatte ich dabei den restlichen Inhalt meiner Tasse auf mir und dem Fußboden verteilt.
      “Komm rein, die Tür ist offen”, rief ich durch die Wohnung, während ich zur Spüle ging, um einen Lappen zu holen. Langsam öffnete sich die Tür und Niklas trat ein, während ich den Tee vom Boden entfernte.
      „Was denn hier passiert?“, fragte er freundlich und betrachtete die Flecken auf dem Boden.
      “Wie es aussieht schaffe ich es heute nicht mal auf einem Sofa zu sitzen, ohne dass dabei etwas passiert”, klärte ich ihn auf.
      „Nun gut. Ich habe ein Anliegen“, murmelte Niklas und setzte sich auf die Couch.
      “Und was wäre das für ein Anliegen?”, fragte ich etwas beunruhigt, denn ich konnte seine Körpersprache absolut nicht einordnen und konnte mir auch nicht so richtig vorstellen, was er jetzt von mir wollte.
      „Ich mag dich sehr und ich würde sogar sagen, dass ich sowas wie Schmetterlinge im Bauch habe, wenn ich an dich denke. Und ich denke sehr oft an dich aber …“, er stoppte und ich merkte das es ihm schwerfiel zu sagen, was er gerade fühlte.
      „Du kennst meine ganze Geschichte nicht und ich bin auch noch nicht bereit sie mit dir zu teilen. Denn ich weiß es selbst erst seit weniger als 2 Jahren und habe selbst noch mitzukämpfen, dass ernsthaft zu verarbeiten. Meine Psychologin sagte etwas von verdrängt oder so. Keine Ahnung. Aber auf jeden Fall steht mir das noch im Weg. Dass vorhin im Stall … das war ein Test, meinerseits. Normalerweise hatte ich immer sowas wie ein Kick und hätte dir die Kleider vom Leib gerissen, doch bei dir hatte ich das nicht. Grundsätzlich ist das nichts Schlechtes, doch ich denke ich bin noch nicht so weit, wieder was wirklich Festes einzugehen. Und für jemanden zwischendurch bist du mir eindeutig zu wichtig. Ich würde gern dich weiter kennenlernen, im Leben begleiten und gucken, wo wir am Ende rauskommen, doch erstmal nur als Freunde. Besondere Freunde, die in Aussicht auf was Großes sind. Was in den letzten Jahren alles bei mir passierte, ist einfach zu viel um jemanden wie dich damit zu belasten. Ich möchte dich schützen, verstehst du das? Ich will dich, aber aktuell geht es nicht. Auf keinen Fall”, erzählte er zu Ende, ohne mich anzugucken. Stattdessen fummelte er nervös an seinen Fingern. Seine Augen waren glasig und den Tränen nah.
      Was Niklas mir da erzählte, waren so viele Informationen auf einmal, dass mein Gehirn erst mal ein paar Sekunden brauchte, um die Massage zu verstehen. Seltsamerweise war ich nicht krass enttäuscht oder so, sondern fühlte in diesem Moment eher sowas wie eine Mischung aus Erleichterung und Verständnis. Ich kann nur zu gut nachvollziehen, dass er mich nicht mit seinen Problemen belasten möchte. Und so sehr, wie ich mir wünschte, es gäbe einen andern, einen leichteren Weg, so gut verstand ich es auch, dass es der richtige sein würde.
      Bei seinem Anblick würde ich am liebsten auch anfangen zu weinen. Doch hier geht es gerade nicht um mich, also versuchte ich die Tränen so gut wie möglich herunterzuschlucken. Aus einer Intuition heraus legte ich meine Hände auf seine. “Ja, ich versteh das”, war alles, was ich über die Lippen brachte, denn dann suchten sich die Tränen doch wieder einen Weg nach draußen.
      “Kleines, wein doch nicht. Ich bin noch immer da für dich aber lass mir meine Zeit, um zu dir zu finden”, versuchte Niklas mich aufzumuntern und wischte mit seiner Hand die Tränen von meiner Wange. Ich reagierte nicht. Dann sprach er weiter: “Ich freue mich, auf das was auf uns zu kommt, die gemeinsame Zeit in der meiner Heimat. Es gibt so viel, dass ich dir zeigen möchte und Vriska freut sich sicher auch, nicht allein zwischen den Kerlen auf dem LDS zu sein. Da bin ich mir sicher. Sie kommt hier schon kaum klar.” Er lachte herzlich und strich mir übers Haar. Der Gedanke an all das, was mich in Schweden erwarten würde, konnte mich tatsächlich ein wenig aufheitern, immerhin würde mich dort viele neue Dinge erwarten. Außerdem freute ich mich wieder näher an der Küste zu sein. Schon damals als ich für das HMJ in Schweden war, hatte ich gemerkt wie sehr mir die Küste fehlte. Nicht das Kanada keine schöne Natur bot, doch steinige Bergwälder sind nun mal nicht dasselbe.
      Nun musste auch ich anfange zu lächeln, dieser Mann war einfach ansteckend.
      “Das ist ja auch wirklich nicht so einfach mit euch Kerlen. Aber ich freu mich schon deine Heimat kennenzulernen”, fügte ich nun etwas heiterer hinzu.
      “Ich schätze, dass du es mit Frauen auch nicht leichter hättest”, scherzte er, aber konnte noch immer nicht in meine Augen schauen. Mit irgendetwas schien er sich immer noch unwohl zu fühlen. Gerne würde ich ihn danach fragen, was ihn beschäftigt, doch natürlich hatte ich noch seine Worte im Kopf, die ich natürlich respektierte. Somit sagte ich nichts und eine seltsame Stille herrschte im Raum, die dadurch unterbrochen wurde, dass mein Handy lautstark den Eingang einer Nachricht ankündigte. Etwas zu eilig griff ich nach dem Gerät. Die Nachricht war von meiner Schwester, die wissen wollte, wie genau ich mich jetzt eigentlich wegen Schweden entschieden hatte. Da hat sie mal wieder ein perfektes Timing. Ich hatte zwar gestern mit ihr telefoniert, aber dieses Thema bewusst außen vorgelassen. Da ich das gerade absolut den falschen Zeitpunkt davon Juliet den Sachverhalt zu erklären, legte ich das Handy wieder beiseite, ohne ihr zu antworten, sie würde noch früh genug eine Erklärung bekommen.

      Niklas
      “Möchtest du noch was besprechen oder wie sieht es aus? Ich halte es für die beste Entscheidung rüber zu Chris zu gehen”, murmelte ich zu Lina, die erst hektisch aufsprang, um ihr Handy zu prüfen und im nächsten Moment es wieder beiseite packte.
      “Nein, passt schon”, antwortete sie fast unverständlich, weil sie so schnell sprach.
      “Ich verstehe dich nicht. Ist er dir egal, dass ich jetzt gehe?”, fragte ich schockiert. In dem Moment kamen mir direkt wieder Vriskas Worte, die es wenigstens versuchte, dass ich bliebe. Aich erwischte ich mich dabei, darüber nachzudenken, ob sie das bessere Gegenstück sei.
      “Nein, natürlich ist es mir nicht egal”, antwortete sie und ich konnte eine Spur Verunsicherung mitschwingen hören. “Es ist nur. Ich weiß nicht. ich weiß nicht genau was ich tun soll… Auf der einen Seite möchte ich, dass du hierbleibst und andererseits … möchte ich deine Worte respektieren und dich nicht bedrängen”, den letzten Teil des Satzes sprach sie so leise aus, dass er kaum hörbar war. “Ich möchte doch nur das richtige tun”, fügte sie hinzu und sah dabei auf den Boden. Ich legte meine Hände an ihren Kopf, damit sie den Blick zu mir richtete. Dann sprach ich zu ihr: “Du musst dir überhaupt keine Gedanken darüber machen, was richtig oder falsch ist. Alles, was du bisher getan hast, war richtig. Es liegt nicht an dir, ich bin das Problem. Also bitte sei du selbst, denn nur diese Lina brauche ich.”
      “Ok” sagte sie und machte ein paar Sekunden pause, um Luft zu holen. “Dann sagt dir diese Lina jetzt, dass du ihretwegen nicht zu gehen brauchst, denn für einen Freund hat sie immer einen Platz, egal was das Problem ist.”
      “Danke, aber ich werde trotzdem zu ihm rübergehen. Er wollte auch noch Männerkram besprechen”, erklärte ich ihr mit einem Augenzwinkern und stand auf.
      “Ok, dann also gute Nacht”, sagte sie und schien sogar ein wenig enttäuscht zu sein.
      “Es tut mir leid”, antwortete ich nur und schloss die Tür. Einen Moment wartete ich, um zu hören, ob sie wieder anfing zu weinen, doch ich hörte nichts und lief los. Chris hatte ein Zimmer etwas weiter weg und teilte es sich mit Björn, der gerade mit Erika für die Prüfungen lernte. Denn auch die Beiden wollen dieses Jahr den C Schein ablegen. Also war ich froh, dass ich herzlich von ihm empfangen wurde.
      “Na was hast du schon wieder vergeigt?”, fragte es spöttisch und saß auf seinem Bett, als ich den Raum betrat.
      „Alles oder auch gar nichts“, antwortete ich und gesellte mich mit in den Raum.
      „Na dann bin ich mal gespannt“, haute er heraus und setzte sich aufrecht hin.
      „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen sollte. Es ist so viel“, murmelte ich und machte es mir bequem in dem Holzstuhl, der alles andere als bequem war.
      “Wie wäre es am Anfang? Oder warum du jetzt überhaupt hier sitzt?”, munterte Chris mich ein wenig auf. Gestärkt begann ich zu erzählen: “Nun, dass mit Anna ist nun vorbei und ehrlich gesagt, bin ich auch froh darüber. Die Zeit mit ihr war schön, aber sie war mir dann doch eine Nummer zu verrückt. Ihr Hass übernahm immer mehr die Oberhand und du weißt ja, den letzten Monat lief es eh nicht so gut. Dann kamen die Neuen und Milena wollte mich einfach, also hat sie bekommen, was sie wollte. Aber ich fühlte es einfach nicht, denn ihre Freundin hatte es mir von Anfang an angetan. Irgendwie hat es direkt gefunkt, obwohl sie immer gegen mich war.”
      “Die kleine Blonde meinst du? Wie war ihr Name noch mal … Vriska?” fragte er.
      “Ja, genau. Und jetzt rate mal, wen ich am Haken habe?”, lachte ich herzlich.
      “Ach, da schlägt mal wieder der typische Niklas zu. Wie bist du denn an die Ehre gekommen?”
      “Nun, man muss nur wissen wie. Wir sind auf einer Wellenlänge. Ich wusste direkt was sie braucht, jemanden, der sie hält und vor allem fest”, triumphierte ich und imitierte ihren Hintern vor meiner Hüfte. Chris wusste, wo von ich spreche, schließlich waren wir damals zusammen auf Reisen. Auch wenn Joanna noch an meiner Seite war, hatten wir durchaus Spaß zusammen in den Clubs uns nach hübschen Mädels umzuschauen.
      “Da wird man glatt neidisch, aber was ist mit der anderen Kleinen? Die hier vom Hof. Der hast du auch ganz schön die Augen verdreht”, schwärmte er.
      “Ja, genau das ist das Problem. Sie kommt jetzt mit nach Schweden. Ich mag sie sehr, aber es fehlt einfach etwas. Das was Vriska mir gibt”, lenkte ich ein und hatte direkt das Gesicht von Lina vor den Augen, als sie eben vor mir saß und anfing zu weinen. Es macht mich immer nachdenklicher.
      “Dann pack’ sie in den Ringkampf und guck, wer übrigbleibt. Ich würde 5000 SEK auf die Blonde setzen. Sie hat Temperament und so viel Verzweiflung”, scherzte Chris und holte seine Brieftasche aus der Hose.
      “Ne, ne. Lieber nicht. Außerdem bedenke, dass sie aktuell ein Handicap hat durch den Sturz mit ihrem Hengst. Ich habe mit Lina mehr oder weniger darüber gesprochen, dass ich noch nicht bereits für etwas Festes bin, also kann ich Vriska weiterhin besuchen”, erklärte ich ihn und schaute auf die Uhr. Die Zeit rannte förmlich an mir vorbei. Es war bereits kurz vor Elf und langsam wollte ich schlafen.
      “Sicher, dass du nicht rüber willst zu deiner Leibeigenen?” schlug er vor. Nach kurzen Überlegungen lehnte ich ab und wir richteten einen Platz auf dem Fußboden ein. Jeder für sich nahm eine bequeme Position im Bett ein. Chris schlief innerhalb kürzester Zeit ein, doch in mir wanderten noch die Gedanken. Auf meinem Handy lass ich eine Nachricht von Vriska, die wirklich kurz war, doch im Rückblick zu vorhin viel aussagte: “Tack.” Ich wusste nicht genau, ob sie nun sauer auf mich war oder wirklich dankbar. Für heute ließ ich es gut sein und würde sie morgen darauf ansprechen.

      Lina
      Nachdem Niklas die Tür hinter sich geschlossen hatte, saß ich einen Moment lang einfach nur still da. Hatte Samu etwa doch recht gehabt und Niklas spielte nur mit mir? Aber warum würde er dann trotzdem noch wollen, dass ich mit nach Schweden gehe? Nein, dass ergäbe keinen Sinn, zumindest keinen der sich mir ergeben würde. Ich glaube immer noch das Stecken so was wie Gefühle dahinter, nur welche genau, darüber bin ich nicht ganz sicher. Aber was genau fühle ich eigentlich gerade? Enttäuschung darüber, dass das, was gerade er begonnen hatte, so schnell endete? Hoffnung? Verunsicherung? Verzweiflung? Vielleicht alles auf einmal? Was auch immer ich gerade fühlte, ich war nicht in der Lage das einzuordnen und das verwirrte mich. Wie soll man mit etwas umgehen, was man noch nie gefühlt hat? Soll man einfach normal weitermachen oder sollte man sich Sorgen machen?
      Die zunehmende Dunkelheit draußen erinnerte mich daran, dass es bereits spät war und somit entschloss ich mich fürs Erste, für das normal weitermachen und meine verwirrten Gefühle erst einmal zu ignorieren. Also stand ich vom Sofa auf und stellte die Tasse, deren Inhalt ich ja bereits über meinem Boden verteilt hatte, in die Spüle.
      In meinem Schlafzimmer tauschte ich die staubigen und nun auch mit Tee getränkten Klamotten gegen das viel zu große Shirt, was ich immer zum Schlafen trug und bewegte mich ins Bad, um mich Bettfertig zu machen.
      Als ich wieder aus dem Bad kam, fiel mein Blick auf mein Handy, auf dem eine Nachricht aufleuchtete. Sie stammte diesmal von Samu. “Ich hätte vorhin dein Urteilsvermögen nicht Anzweifeln sollen, tut mir leid. Aber du musst, verstehen ich mache mir doch nur Sorgen um dich”, las ich.
      “Ja, verstehe ich doch. Mir tut es auch leid, ich hätte dich trotzdem nicht so anmotzen dürfen. Und jetzt hör auf dir Sorgen zu machen, ich schlafe heute allein”, tippe ich eine Antwort, doch zögerte kurz bevor ich sie absendete. Sollte ich ihm das jetzt schon mitteilen? Naja, spätestens morgen würde er es vermutlich eh rausfinden, also konnte ich es ihm auch jetzt sagen.
      Nachdem ich die Nachricht gesendet hatte, schaltete ich das Licht aus und ließ mich ins Bett fallen, vielleicht würde meinem Gehirn ja bis morgen einfallen, wie ich mich Verhalten soll.

      Am nächsten Morgen wachte ich von meinem nervtötenden Wecker auf. Müde öffnete ich die Augen und blinzelte in das schwache Licht, welches durch die Rollläden fiel. Ich hatte gestern ungewöhnlich lange zum Einschlafen gebraucht, denn die Ereignisse des gestrigen Tages waren mir immer wieder durch den Kopf geschwirrt. Zwar hatte ich den Rest der Nacht dann geschlafen wie ein Stein, aber wirklich erholt fühlte ich mich nicht und schlauer war ich leider auch nicht geworden. Das heißt du es wohl heute normal sein, was auch immer normal sein bedeuten mag. Also rollte ich mich aus dem Bett und wie jeden morgen führte mich mein Weg als Erstes ins Bad, wo ich mich fertig machte. Da es heute genauso unerträglich warm bleiben sollte wie die letzten Tage, entscheid ich mich lieber gleich für ein luftiges Top zu Reithose. Als ich Treppe runterging, stellte ich fest, dass ich scheinbar die Erste war, die bereits wach war, denn im Haus war es noch erstaunlich still. An der Tür überlegte ich kurz, ob ich direkt meine Stiefel anziehen sollte, doch entschied mich doch lieber für meine inzwischen nicht mehr ganz so weißen Sneaker. Auch als ich nach draußen trat, war es noch recht still auf dem Hof.
      Da es nicht so aussah, dass es schon Frühstück gab, machte ich mich also als Erstes auf den Weg zum Stall. Die meisten Pferde waren bereits wach und knabberten gemütlich an ihrem Heu, nur Divine lag noch gemütlich im Stroh. Freundlich brummte er mich an, als ich seine Box betrat.
      “Guten Morgen mein hübscher”, begrüßte ich den Hengst und hielt ihm eine Möhre hin. Kurz schnupperte das Pferd daran, bevor er kräftig abbiss.
      “Ich hoffe, wenigstens du hast besser geschlafen als ich”, sagte ich zu Divine und strich im dabei durch die weiche Mähne. Natürlich antworte der Freiberger nicht, sondern klaute sich nur den Rest der Möhre aus meiner Hand. Damit es heute nicht wieder vergaß ihn rauszubringen, beschloss ich ihn einfach jetzt schon rauszubringen. Während Ivy noch in aller Ruhe seine Möhre fraß, ging ich in die Sattelkammer und seine Sonnencreme und seine Fliegenmaske zu holen. Ohne diese Schutzmaßnahmen bekam er bei einem solchen Wetter leider sehr schnell Sonnenbrand. Als ich zurück zu seiner Box kam, hatte sich der Freiberger bereits aufgerappelt und schüttelte sich das Stroh aus dem Fell.
      “Na, heut mit Strohextension”, scherzte ich und zog ihm einen Strohhalm aus der Mähne. Anschließend cremte ich ihn ein und zog ihn an. Fertig für die Koppel verließ ich mit Divine den Stall.

      Vriska
      Erholt wachte ich auf und warf einen Blick auf die Uhr. Der Trubel am Hof war sonst, wenn ich aufwachte, bereits zu hören, doch heute herrschte eine angenehme stille. Erstaunlicherweise hatte ich heute keine Schmerzen und konnte mich wie üblich fertig machen. Die Hitze machte mich zu schaffen und mittlerweile sammelte sie sich auch im sonst so kühlen Zimmer. Aus meiner Tasche rief mich die einzige Shorts, die ich eingepackte hatte. Zum Notfall. Einem Notfall den ich nun hatte. Etwas unwohl bei dem Gedanken meine Beine zu zeigen, zog ich sie drüber und betrachtete mein Outfit im Spiegel. Die hellgraue lockere Sweat Shorts mit dem schwarzen Swoosh stand mit wirklich gut, auch wenn nun meine Narben offensichtlich zu sehen waren und auch der riesige Spalt zwischen meinen Oberschenkeln. Passend dazu zog ich mir das lockere graue bauchfreie Shirt drüber. Von den letzten Tagen wusste ich, dass die Leute am Hof wirklich Probleme hatten meinen Hengst die Decke umzulegen, weswegen ich schon am Abend beschlossen hatte, das heute selbst zu machen. Ein erneuter Blick zur Uhr zeigt mir, dass ich wirklich trödelte, wenn ich mich nicht unter die Leute mischen wollte. An der Tür schlüpfte ich die meine Stallschuhe, setzte noch die Sonnenbrille auf und verließ das Zimmer. Die Sonne brannte auf meiner Haut und in der Luft lag eine angenehme Feuchte. Es war ein ausgesprochen schöner Sommermorgen, denn ich gern nicht allein genießen wollte. Auf dem Weg traf ich niemanden und fröhlich lief ich zum Stall, in dem Glymur bereits in seiner Box warten würde. Doch, bevor ich einen Fuß in die Gasse setzte, hörte ich Lina. Frustration kam in mir hoch. Würde sie sich verfolgt fühlen? Kann ich mich noch normal verhalten? Doch das bisschen Selbstbewusstsein, was irgendwo in mir steckte, musste jetzt herauskommen und sich präsentieren. Nach einem tiefen Ein- und Ausatmen betrat ich den Stall und grüßte Lina freundlich mit den Worten: “Ach auch schon wach. Good morning.” Für meinen Geschmack fühlte sich das Grinsen zu groß und auch falsch an, um dass ich das war. Selbstbewusstsein, dass auf Bestellung da war, war schon etwas Feines.
      “Morgen Vriska”, grüßte Lina freundlich zurück und wandte sich dann wieder ihrem Pferd zu. War irgendetwas? Ich entschied nicht nachzufragen, da es sicher mit Niklas zu tun hätte und ich versuchte so gut gelaunt wie möglich heute zu sein. Die Decke von meinem Hengst lag wie ein Wäschehaufen vor seiner Box und ich benötigte einige Minuten, bis ich alles sortiert hatte. “So kleiner Mann, jetzt wird sich hübsch angezogen”, bereitete ich ihn auf die Decke vor und betrat die Box. Neugierig stupste er diese an und knabberte an meinen Dutt, der auch so schon völlig durcheinander war. Schnell hatte er seine graue Decke um, die viel Grasflecken aufwies. Ich zog ihm das Halfter drüber, führte ihn raus aus der Stallgasse. Lina ignorierte mich noch immer und ich beließ es dabei.
      Der Weg zur Koppel war ruhig. Vogelzwitschern kam aus den Bäumen, die ringsherum standen.


      © Mohikanerin, Wolfszeit | 97.733 Zeichen

    • Mohikanerin
      Nationalteam X | 12. April 2021
      HMJ Divine // All Hope Is Gone // Crystal Sky //Legolas // Elf Dancer // Saturn // Mas’uda // Sunny Empire // LMR Ice Rain// Nathalie
      Satz des Pythagoras // Northumbria // St. Pauli’s Amnesia // Kempa // Glymur
      Checkpoint


      Hannes
      Ist es eigentlich so schwer einfach mal keine Probleme oder Drama zu haben? Alles, was ich die letzten Tage mitbekommen habe, war mir einfach zu viel. Immer war irgendwo Stress und wenn nicht, lag eine unangenehme Stille in der Luft, aber niemand wollte so wirklich mit der Sprache rausrücken - eigentlich ist es mir doch egal, oder? Jaja da kommt es wieder der kleine unbeachtete Bruder, der zwar von den Eltern, sofern man sie so nennen kann, geheiligt wurde, aber dem Rest ziemlich am Arsch vorbeiging. Niklas kleiner Anhänger, nett waren sie immer zu mir, doch wirklich mit mir zu tun haben oder geschweige mir etwas anvertrauen wollten sie nie. Die einzigen Ablenkungen von dem ganzen Trubel waren die Pferde, weshalb ich mich morgens meistens gleich zu den Pferden begab, doch heute war es bereits hier schon voll. “Morgen”, grummelte ich, um zumindest höflich zu sein und verschwand in Checkpoints Box. “Na Dicker, haste auch so gute Laune wie ich heute?”, fragte ich ihn ironisch. Vriska und Lina habe ich bereits gesichtet, da kann Niklas ja nicht weit weg sein, dachte ich im Stillen und wollte mich schon fast selbst für diesen bösen Gedanken ohrfeigen.

      Niklas
      „Godmorgon. Vakna, älskling”, hörte ich Chris im Halbschlaf zu mir sagen, eh ich sein verschwitztes Shirt ins Gesicht geworfen bekam.
      „Det är bra“, murmelte ich genervt und warf ihm zielsicher sein Oberteil ins Gesicht. Er lachte und ging ins Bad. Mein erster Blick widmete sich meinem Handy. Es war kurz vor 8 Uhr und müde ließ ich mich wieder auf das Kissen fallen, dann zog ich die Decke hoch und wünschte mich in den Schlaf zurück. Unverständlich erzählte er etwas aus dem Nebenzimmer und hinderte mich intensiv daran, wieder im Land der Träume zu landen. Genervt warf ich die Decke von mir und betrachtete die morgendliche Überraschung.
      “Vielleicht solltest du rüber zu deiner Angebeteten”, scherzte Chris, während er seine Zähne putzte.
      “Nej, jag tror inte det”, antwortete ich ihm und zog mir die Sachen vom Vortag über. Ich verabschiedete mich von Chris und lief zu Ju. Im Zimmer waren die Beiden ziemlich beschäftigt einander Komplimente zu machen und wach zu küssen. Ungeachtet dessen, nahm ich mir Kleidung von der, die ich gestern wusch. Die Wahl fiel auf das graue Polo und meiner dunkelgrauen Reggings, darüber zog ich helle Strümpfe. Bis zum Frühstück blieben noch fast zwei Stunden, so könnte ich eine Runde durch den Wald mit Smoothie. Ich wollte gerade die Tür schließen als Ju noch etwas sagte. Drehte mich um und blickte zu den Turteltauben in dem deutlich zu schmalem Bett.
      „Holmi hat geschrieben, dass die Pferde heute jeder selbst auf die Weide bringt. Könntest du dann Amy mit rausstellen?“, fragte er freundlich. Ich stimmte zu, drehte mich um und wollte wieder die Tür schließen als Linh mich dieses fragte für Móra. Auch das bejahte ich und ging endgültig. Somit hatte ich jetzt vier Pferde zu verpflegen. Humbi steht eh dauerhaft draußen, brauchte, aber sicher neues Heu. Also würde ich erst die anderen beiden rausbringen, bevor ich die geplante Runde mit meiner Schimmelstute drehen würde. Am Anfang der Stallgasse stand der Heuballen, an dem ich mich großzügig bediente. Ich hörte meine Stute bereits aufgeregt wiehern, nach dem ich das Heunetz an mich nahm zum Befüllen. Wenn’s um Futter ging, konnte Humbria wirklich aufdringlich sein, obwohl sie Leckerlis bis heute eher skeptisch betrachtet. Doch dieses Heu schien etwas Magisches zu haben. Innerlich hoffte ich, dass der sie den Flug in einigen Tagen gut überstehen würde, denn bisher kannte sie nur Kanada. Schweden war klimatisch ähnlich, aber qualitativ anders. Besonders spannend zeigte sich Smoothie. Die Weide in der Heimat wachsen großartig mit saftigem Gras, doch hier explodierte sie förmlich, was mit erklärte, warum einige Pferde hier am Hof ziemlich wohlgenährt aussahen. Im Stall vernahm ich Stimmen, die mir bekannt waren. Doch vor mir standen einige Aufgaben, die ich zu erledigen hatte. Als Erstes bekam mein Zappelphilipp sein Heu und dann holte ich Amy und Móra aus den Boxen. Zickig schnappten sie zueinander.
      „Benehmt euch. Eure Besitzer finden einander großartig“, tadelte ich die Pferde führte sie energisch raus aus dem Stall. Mit der einen zur linken und der anderen zur rechten lief ich den sandigen Weg herunter, der zur Koppel führte. Der feine Sand fand sein Weg in die Schuhe und vor allem in meine Strümpfe, was alles andere als angenehm war. Nach meiner Ansage entspannten sich komischerweise die Pferde und ich konnte sie getrost auf die Weide lassen. Mit den Stricken in der Hand lief ich zurück zum Stall. Beide fanden ihren Platz an der Box und vor dem Stallgebäude entleerte ich meine Schuhe und Socken. So konnte ich wohl kaum eine Runde mit meinem Pferd drehen. Außergewöhnlich fröhlich kam Vriska zum Stall ebenfalls mit einem Strick in der Hand. Ihr breites Lächeln und auch das durchaus auffällige Outfit lenkten meine Aufmerksamkeit auf die. Von oben bis unten musterte ich sie, eh Vriska mich ebenfalls sah.
      „Godmorgon. Ziemlich früh bist du heute schon am Stall“, scherzte sie und blieb vor mir stehen. Dabei nahm die Kleine ihre Sonnenbrille von den Augen und steckte sie in ihr Haar.
      „Gibt auch einiges zu tun. Und wo willst du hin? Auf den Schönheitsball?“, stieg ich mit ein und wedelte noch immer mit meinem Strumpf, um den Sand zu entfernen.
      „Ich denke eher nicht. Mir ist einfach nur warm“, entgegnete Vriska.
      „Meine Stimme hättest du“, lobte ich sie und zog mir den Strumpf über Fuß und Wade.
      „Lieb von dir aber denkst du nicht, dass du noch zu viel anhast, um solche Aussagen treffen zu dürfen?“, begann sie zu provozieren.
      „Nog, du möchtest also das sehen?“, nutzte ich dieselben Mittel und hielt mein Shirt mit einer Hand hoch, sodass man meinen Bauch sehen konnte, den ich präsentierend anspannte. Ein Funkeln erleuchtete ihre Augen und sie antwortete: „Hebe die das für später auf.“ Dann setzte sie die Sonnenbrille wieder auf und verschwand im Stall. Wo war ich gerade noch mal? Überlegte ich, bis ich festgestellte, dass noch Sand im anderen Schuh war. Schnell entfernte ich auch diesen und ging ebenfalls zurück in den Stall. Hannes stand bei seinem Hengst, mit einer Handbewegung begrüßte ich ihn und bekam nur stechende Blicke zurück. Ich dachte mir nicht weiter dabei und holte meine Stute aus der Box. Aufmerksam spitzte Smoothie ihre Ohren beschnupperte meine Schulter, offenbar nahm sie den Geruch der anderen Pferde wahr. Provisorisch putzte ich sie über und legte Gamaschen um, damit die sich bei der Runde nicht verletzen konnte. Das Fitnessarmband, dass ich zusätzlich zu meiner Uhr trug, stellte ich auf Sport um und lief mit meinem Pferd heraus. Locker wärmten wir uns beim Verlassen des Hofes auf. Smooth schnaubte entspannt ab. Zur Erleichterung band ich den Strick um ihren Hals

      Lina
      Als ich von der Koppel zurückkehrte, musste ich leider feststellen, dass die Ruhe auf dem Hof nicht lang angehalten hatte, denn als ich die Stallgasse wieder betrat, um nun auch noch Legolas zu holen war doch schon einiges los auf der Stallgasse. Neben ein paar anderen, die dabei waren ihre Pferde auf die Koppel zu bringen, war auch Samu inzwischen da, der anfing das Heu zu verteilen und er sah für meinen Geschmack viel zu gut gelaunt aus.
      “Guten Morgen Lina. Ist heute nicht einfach hervorragendes Wetter?”, begrüßte er mich fröhlich.
      “Was genau macht das Wetter heute Morgen besser als die letzten Tage? Und willst du mir verraten, warum du so gut gelaunt bist?”, fragte ich ihn und sah ihn skeptisch an. Dafür das wir und gestern gestritten hatten, war er eindeutig zu fröhlich.
      “Die Frage ist eher, warum du nicht gut gelaunt bist”, antworte er, während er dem Tinker Hengst in der Box vor uns eine Ladung Heu gab.
      “Was ich nicht gut darauf? Ich bin doch wie immer, immerhin steht meine Pferde schon fast alle auf der Koppel im Gegensatz zu deinen”, protestierte ich.
      “Also ehrlich, ich weiß ja nicht wem du erzählen willst, dass du bist wie immer, aber ich kaufe dir das nicht ab. Du hast mir nicht mal einen guten Morgen gewünscht”, sagte Samu und drehte sich zu mir um.
      “Ja, ok du hast ja recht. Aber es ist alles ok, ich nur nicht gut geschlafen”, gab ich klein bei. Samu machte ich nichts vor, dafür kannte er mich zu gut. Dennoch hoffte ich, dass ihm diese Antwort fürs Erste ausreichte und er nicht weiter nachhacken würde.
      “Na gut, wenn das so ist, kannst du zum wach werden ja auch noch meine Pferde auf die Koppel bringen, ich habe hier nämlich noch zu tun”, antwortete er und begann weiter das Heu zu verteilen.
      “Ok, also wären das dann Elf, Sky und Saturn, oder?”, fragte ich noch einmal nach.
      “Ja, fast Masu und Empire müssten eigentlich auch noch raus. Die beiden hatte ich gestern reingeholt, weil Empire ihr Eisen verloren hat, da müsste auch noch irgendwer suchen, dann nagle ich es wieder auf”, erklärte er noch bevor er, um die Ecke verschwand, um neues Heu zu holen.
      “Natürlich kann ich auch noch dein Eisen suchen, hab ja sonst nichts zu tun”, murmelte ich und wandte mich Legolas zu. Der große Rappe wartete bereits und streckte mir freundlich seinen Kopf entgegen. Ich halfterte den Hengst und parkte in auf der Stallgasse, damit ich auch noch Crystal Sky aus der Box holen konnte. Zum Glück zeigte sich der Schimmel recht kooperativ, sonst hätte ich vermutlich ein Problem gehabt ihn zu halftern. Mit den beiden Hengsten wollte ich mich gerade auf den Weg zur Koppel machen, als ich Jace in den Stall kommen sah. Ohne mich zu beachten, spazierte er an mir vorbei, als wäre nie etwas gewesen. Dieses Bild erstaunte mich sehr, nachdem er sich die letzten zwei Tage nicht mal hatte Blicken lassen.
      “Guten Morgen Jace”, grüßte ich ihn, doch ich bekam keine Reaktion, stattdessen begrüßte er den Buckskin Hengst in der Box gegenüber. Na ja, wenn er meint, soll er mich ignorieren, hätte ich an seiner Stelle vermutlich auch getan. Somit machte ich mich mit den beiden Hengsten auf den Weg zur Koppel, wo sich beide gleich mit viel Freude auf den Boden warfen und sich durchs Gras rollten. Noch bevor Crystal Sky wieder aufgestanden war, konnte ich deutlich die grünen Flecken in seinem Fell entdecken. Wie gut, dass das nicht mein grünes Pferd ist.

      Vriska
      Teilnahmslos blickte ich durch den Stall und wollte den anderen helfen, doch die meisten liefen kommentarlos an mir vorbei und gaben mir nicht einmal die Möglichkeit eine Frage zu stellen. Schnell verunsicherte ich mich selbst und hatte Probleme damit, jemanden zu unterbrechen. Schließlich arbeitete ich auf diesem Hof nicht und war am Ende des Tages nichts mehr Besuch mit Pferd. Glücklicherweise rettete mich mein Handy aus dieser Situation und half mir dabei wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Es vibrierte noch immer auf dem Bildschirm erschien “Jenni”. Schnell entfernte ich mich aus dem Stall und fand eine ruhige Ecke, wo kein Echo entstand.
      “I’m glad you’re going straight to your phone. I was amazed that you did not get in touch anymore. That is why I would call you. I was worried, because you had told me, you know. But now, how are you?”, sprach Jenni besorgt.
      „Hej! I am great and you? “, antwortete ich fröhlich und setzte mich ins Gras. Der Boden war noch feucht vom Morgentau und meine Hose saugte direkt die Flüssigkeit auf.
      „Vriska. You do not have to lie to me. “
      “No, no. Really. It is great. We … we talked about it and…”, setzte ich an und guckte durch die Gegend. Niemand war in der Nähe, doch da halte Jenni direkt nach: „And what? I told you that you should not tell her. “
      „Oh, Jenni. I talked to him about it, not her. And we repeated it last night. That is what I wanted to say “, freute ich mich und merkte ein leichtes Kribbeln im Bauch als ich daran dachte, vor allem an Niklas. Auch nach dem, was vor einigen Minuten passiert war, machte mich glücklich.
      “Stop. Before you think about it, he does not want you. He only wants what you offer him. So please do not start to imagine something. After all, you said he wants your friend. Think About what you're doing”, ermahnt Jenni, als könnte sie meine Gedanken lesen. Doch es war die Wahrheit. Ich machte mir wieder Gedanken über etwas, wo es nicht viel gab. Das schlechte Gefühl vom Vortag kam wieder in mir hoch.
      “Maybe, but I just feel so good with him. I don't want to stop this because he even proposed to come again tonight.”
      “Then I am glad you feel good, but please keep that in mind. When that is over, you are going to feel bad. Very bad. But I am here, promised.”
      “Thank you. I appreciate that.”
      “But now I want a picture of him and tell something about him”.
      “I don’t know what to tell because I honestly don’t know that much. I try. He’s big, heavily muscled, tattooed, well-groomed and on a wavelength from the beginning, not like Tyri “, begann zu schwärmen.
      „All right. In the first moment I thought you were describing the idiot, but apparently you have a type of guy “, scherzte sie. Ich lachte kurz und bemerkte wirklich die Ähnlichkeiten der Beiden.
      “But he pays attention to me, asks if it is okay and does not pull through, va? “, erklärte ich Jenni, die gefesselt zu hörte.
      „Unfortunately, I have to say goodbye now, so please send me a picture, I absolutely want to get an impression of him. But Marc is coming, if there is anything else, write me “, verabschiedete sie sich plötzlich und legte auf. Offenbar war sie noch immer mit dem zusammen. Das müssten mittlerweile 4 Jahre schon sein. Ich verstand bis heute nicht, was sie an Marc fand, weil er extrem einbildet, war und so überzeugt von sich, dass jede Zelle seines Körpers es herausbrüllte.
      Nachdenklich legte ich mein Handy zur Seite und überlegte, was nach der Reise passieren würde. Nur noch zwei Wochen werde ich an der Akademie sein, nach einer Pause beginnen die Prüfungen. Wirklich vorbereitet fühlte ich mich bis jetzt nicht. Auch, wenn ich durch Niklas schon deutlich schneller das ganze Lernen konnte, hatte es ziemlich viel von meiner Essstörung vor einigen Jahren.

      Jace
      Na großartig, das fehlte mir heute, dass ich als Erstes heute Lina begegnete, denn ich war noch sehr weit davon entfernt zu vergessen, dass sie mich abserviert hatte. Ich machte mir gestern Abend noch sehr viele Gedanken über den Grund dafür. Um ehrlich zu sein, wollte ich einfach nicht so ganz glauben, dass sie keine Gefühle für mich hatte, das hatte sich damals doch sehr anders angehört. Außerdem bin ich überzeugt davon, dass sie glücklicher sein würde, wenn sie einfach hierbleibt, aber vielleicht hatte ich das einfach verdient so bescheuert wie ich mich verhalten hatte.
      Angespannt ging ich einfach wortlos an ihr vorbei und flüchte in die Box zu Herkules. Der Hengst schien meine Anspannung zu spüren, denn statt sich brav halftern zu lassen, lief er im Kreis um mich rum.
      “Jetzt bleib doch mal stehen großer, so wird das nichts”, beschwerte ich mich bei dem Hengst. Zum Glück hörte ich trotzdem wie sich das Hufgetrappel von zwei Pferden entfernte, Lina hatte die Stallgasse verlassen. Erleichtert amtete ich aus und schon entspannte sich mein Hengst auch und blieb stehen. Kaum hatte ich den Hengst gehalftert hörte ich eine Stimme hinter mir: “Bist du auch wieder unter den Lebenden Jace”. Es war Samu der gut gelaunt in der Boxentür stand.
      “Ja, siechste doch”, murmelte ich genervt und schloss das Halfter des Buckskins vor mir.
      “Wie kann man den an so einem schönen Morgen schon so schlechte Laune haben. Hat dir etwa jemand dein Spielzeug gestohlen?”, scherzte er ausgelassen.
      “Würdest du eh nicht verstehen”, brummte ich ihn an. “Wenn du dann jetzt aus der Tür gehen würdest ich würde da gerne durch”
      “Ok du Brummbär, lass ich dich mal lieber allein, bevor du mich noch anfällst”, scherzte Samu immer noch beschwingt und machte sich wieder an seine Arbeit. Warum hatte ich mich noch mal von Alec überreden lassen aus meinem Zimmer zu kommen? Die Tatsache, dass er heute Morgen angerufen hatte und angedroht hatte, noch mal vorbeizukommen konnte es jedenfalls nicht gewesen sein, sollte er doch kommen.
      Ach ja, da kam der Grund gerade in den Stall gewirbelt, Hazel. Nicht das sie nicht nett ist, aber mit ihrer quirligen Art konnte sie einem ziemlich auf die Nerven gehen. Alec hatte, nachdem ich doch sehr unbeeindruckt von seiner Drohung gewesen war, nämlich noch angefügt, dass er dafür sorgen würde, dass Hazel mir den ganzen Tag auf die Nerven ginge, wenn ich nicht aufstehen würde. Bevor ich das zuließ, lasse ich mich doch lieber freiwillig ein paar Stunden blicken.
      “Oh, du bist ja schon da! Schade”, begrüßte sie mich ein wenig enttäuscht, als sie mich erblickte.
      “Dir auch einen guten Morgen Hazel”, kommentierte ich trocken und führte Herkules an ihr vorbei. Offenbar hatte Alec das ernst gemeint und auch Hazel von seinem Plan in Kenntnis gesetzt.
      “Kann man dir bei irgendwas heute helfen?”, fragte sie und lief auf einmal neben mir her.
      “Nein, kann man nicht und du schon gar nicht. Ich komm ganz wunderbar allein zurecht”. Sollte sie ruhig wissen, dass ich schlechte Laune hatte, dann ließ sie mich vielleicht in Ruhe. Die Tatsache, dass ich fast über Samu Schubkarre fiel, unterstrich meine Aussage wohl eher nicht.
      “Das sieht aber nicht so aus, als kämst du allein zurecht”, lachte Hazel nun die stehen geblieben war.
      “Du hättest aber auch mal was sagen können”, maulte ich und rieb mir das Schienbein, welches die Bekanntschaft mit der Schubkarre gemacht hatte.
      “Ach, ich dachte du kämst allein klar”, kicherte Hazel immer noch.
      “Komm ich auch und jetzt verschwinde endlich”, murrte ich noch und führte den Hengst nun aus der Stallgasse, diesmal mit mehr Aufmerksamkeit auf den Weg.
      Ohne nervige Begleitung und ohne weitere Hindernisse erreichte ich dann tatsächlich die Koppel. Scheinbar war Herkules der Erste aus seiner Weidegruppe, denn die Koppel war noch leer. Das einzige Tier, welche zu sehen war, war einer der Füchse, die man ab und zu mal am Waldrand entdecken konnte.
      Ich entließ Herkules auf die Koppel und sofort begann er aufgeregt über die Wiese zu traben. Ich machte mir allerdings relativ wenig Gedanken darüber, denn der Hengst präsentiert sich gerne, vielleicht witterte er auch die Stute auf der entfernteren Koppel, das kann schon mal vorkommen, wenn der Wind entsprechend steht. So genoss ich also einen Moment die Ruhe hier draußen, bevor ich zurück zum Stall ging, schließlich wollte All Hope Is Gone auch noch auf die Koppel.

      Niklas
      Abrupt bremste Smoothie ab und ich brauchte einige Meter bis realisierte, dass sie mit weit aufgerissenen Augen und Nüstern in den Wald blickte. Als ich wieder zu ihr lief, sah ich nichts.
      „Kom nu, Smooth“, sagte ich zu ihr, nahm den Strick zur Hand. Mein Handy sagte mir, dass nur noch 5 km fehlten, also noch eine knappe halbe Stunde, dann hätten wir die Strecke geschafft. Mit weiteren gut zu reden, konnte ich meine Stute davon überzeugen mit mir zu kommen. Locker trabte sie wieder an und lief frei neben mir her. Es war für sie nicht üblich Gespenster im Wald zu sehen, weswegen ich mir einige Gedanken machte, was da wohl wo. So schafften wir die Strecke in sogar 20 Minuten.
      Als ich die ersten Zäune sehen konnte, bremsten wir langsam ab, um den Rest des Weges zum Ablaufen zu nutzen. 2 Stunden für 25 km waren keine neue Bestzeit für uns aber durchaus eine Zeit, die sich sehen lassen konnte. Natürlich auch im Hinblick auf ihre Verletzung am Bein war ich sehr stolz auf sie. Das Frühstück würde in einigen Minuten beginnen, deshalb brachte ich Smoothie direkt zur Weide, auf der sie sich in das nächste Sandloch legte und wälzte. Der Dreck blieb am ganzen Körper der Stute hängen und es war schwer zu sagen, ob sie wirklich beinah ausgeschimmelt war oder noch mal anfangen würde. Die Wahl zur Reithose heute früh war sicherlich nicht die Beste.
      Im Zimmer hüpfte ich schnell unter die Dusche, um den Schweiß abzuwaschen. Erst als ich erfrischt wieder herauskam, stellte ich fest, dass Ju nicht nur aufgeräumt hatte, sondern sogar die Betten. “Var fan är du”, las ich auf meinem Handy. Chris hatte mir eine Nachricht geschickt. Ich antwortete ihm nicht, sondern ging direkt zum Frühstück, dass wieder draußen stattfand. Am Himmel zogen immer mehr Wolken vor die Sonne, was die Temperaturen erträglicher machten. Nach Regen sah es nicht aus, aber nach dem Unwetter vor einigen Tagen, war es nicht auszuschließen.
      “Fan … wo warst du so lange?”, fragte Chris, als ich mich zu ihm setzte. Direkt am Nebentisch saß Lina. Sie wirkte heute anderes als die Tage zu vor. Ihre Stimmung schwankte zwar wie das Wetter, jedoch schien sie so losgelöst, leer.
      “Ich habe deine Nachricht gelesen. Also erst habe ich Pferde auf die Weiden gebracht und dann habe ich mal wieder eine große Runde mit Smoothie gedreht. Ohne offensichtliche Schmerzen hat sie die 25 km durchgehalten”, erzählte ich ihm.
      “Ach das klingt doch super. Wenn du morgen wieder gehst, dann würde ich mitkommen”, antwortete er. Ich nickte und trank einen kräftigen Schlug vom Apfelsaft.
      Am Nachbartisch hielt Lina, Samu der sich gerade dazu setzte ein Hufeisen vor die Nase. "Hier ich habe dein blödes Eisen übrigens gefunden. Es ist ja nicht so als sei so ein Eisen nicht schon schwer genug auf einer riesigen Koppel zu finden, Nein, dein Pferdchen hat es natürlich im Bach verloren, wie auch immer sie das Geschafft hat, das nächste Mal kannst du dir selbst nasse Füße holen", beschwerte sie sich bei ihm.
      "Na, bei mir brauchst du dich da nicht beschweren, meinst du, dass ich freue mich, wenn ich die Dinger suchen darf", kam es nur von Samu den die Beschwerde nicht wirklich zu stören schien.
      “Vielleicht solltet ihr den Schmied wechseln, bei uns musste in den letzten Jahren niemand Eisen suchen”, schlug ich vor und war mir bereits einen Moment sicher, dass es mich weder etwas anging noch wirklich freundlich klang. Suchend warf ich einen Blick über die Tische, aber Vriska fehlte mal wieder. Doch es ging mich natürlich nichts an, obwohl gleich wieder die Besprechung für den heutigen Tag beginnt.
      "Vielen Dank für diesen hilfreichen Tipp. Nur ist es hier schon schwer genug überhaupt einen Schmied zu finden. Falls es dir nicht aufgefallen sein sollte, sind wir hier nämlich so ziemlich im nirgendwo", erklärte Lina.
      „Jag är ledsen … war nicht meine klügste Idee heute“, murmelte ich verschämte und drehte mich wieder zu Chris, der mich belustigt anblickte. Es schien so, als wüsste er genau was gerade passierte. Natürlich wusste er es, mehr oder weniger. Mit einer Kopfbewegung deutete Chris zu Vriska, die sich unseren Tischen näherte. Hektisch begann er zu winken, was die Situationen in keiner Weise verbesserte. Ihr breites Grinsen verblich im Vergleich zu vorhin, wo sie vor Freude noch hätte explodieren können. Irgendwas war heute anderes, aber was?
      „Heute schon an Gott gedacht?“, scherzte Chris, als sie sich neben ihn setzte.
      „Ihr seid doch heute alle nicht mehr ganz dicht. Das Springen gestern schien euch allen nicht so gut zu bekommen? Eiersalat in der Hose?“, entgegnete sie schlagfest.
      "Am Springen kann es nicht liegen. Die Beiden da sind nicht die einzigen, die hier heute komisch drauf sind", fügte Lina hinzu und deute mit einer Kopfbewegung auf Jace der gerade stillschweigend vorbeilief.
      „Aber der ist doch schon seit einigen Tagen nicht mehr er selbst“, murmelte Vriska und blickte auch mich dabei ein. Sie hatte natürlich recht. Die letzten Tage waren für alle nicht leicht, obwohl das eher an uns allen lag, als an etwas bestimmten. Wir benahmen uns wie 15-jährige, die das erste Mal länger als 8 Uhr abends raus dürfen. Ich hätte die vergangene Woche öfter Runden mit Smoothie drehen sollen. Die Gedanken in meinem Kopf waren deutlich sortierter und vor allem klarer.
      „Guten Morgen! Bald ist der Intensivkurs vorbei und einige von euch haben sich deutlich verbessert mit ihren Pferden. Doch heute geht es nur um euch. Wir machen heute Sitzschulungen mit jeweils zwei Leuten in der Halle. Ihr, unsere großzügigen Gastgeber, seid dazu herzlich eingeladen. Also findet euch zusammen, um 11 Uhr geht’s los”, riss mich Herr Holm mit seiner Ansprache aus den Gedanken. Chris blickte mich von unten nach oben, sein Grinsen wurde immer breiter. Zustimmend nickte ich und war innerlich ziemlich froh, dass die Mädchen nun keinen Zickenkrieg auslösen konnten. Bis mir einfiel, dass ich heute überhaupt nicht teilnehmen konnte.
      “Chris, geht leider nicht. Ich habe gleich einen Termin”, sagte ich kurz, stand auf und ging zu unserem Trainer, um ihm Bescheid zu sagen.
      “Niklas, du brauchst dir darüber auch am wenigstens Gedanken machen”, antwortete Herr Holm noch, als ich mich zurück zum Tisch aufmachte.
      “Lina, kommst du dann nachher trotzdem mit? Dir würde das Training sicher heute viel bringen”, versuchte ich ihr freundlich zu vermitteln, lieber am Training teilzunehmen.
      "Mmm, ich weiß nicht so recht, ich wäre ja schon irgendwie neugierig. Aber sicherlich hast du recht, dass mir ein wenig Training nicht schaden könnte", schien sie laut zu überlegen.
      “Okay, dann fahre ich gleich allein los. Holen wir zusammen noch die Skizze?”, fragte ich.
      "Da du oben alleine nicht hereinkommen wirst, werden wir das wohl zusammen holen", antwortete sie.
      Zusammen liefen wir los und ich musste einfach nachfragen, denn ihre Antwort erschien mir seltsam. “Hast du was auf dem Herzen? Du bist so … abwesend”, fragte ich vorsichtig und guckte zu Lina herunter.
      "Also… Wenn ich ehrlich bin, bin ich irgendwie ein wenig verwirrt von der Situation… Beziehungsweise eher von mir selbst. Ich kann nicht so ganz einordnen, was ich fühle… Es ist irgendwie alles so… Ich weiß nicht, wie ich das beschreiben soll", versuchte sie mir zu erklären.
      “Soll ich dich dann erst einmal in Ruhe lassen, oder was möchtest du?”, zitterte es in meiner Stimmte.
      "Nein, ich verbringe gerne Zeit mit dir", antwortete sie und zögerte kurz bevor sie weitersprach. "Aber… plötzlich sind da alle möglichen Leute, die wollen das ich hierbleibe… Und dann will jeder irgendetwas Wichtiges von mir… Seit der Entscheidung, dass ich gehe, scheinen alle hier besser zu wissen, was gut für mich ist und die, die das nicht tun, machen sich darüber lustig und sagen, dass ich da eh nicht durchziehen werde. Außer Alec scheint mich keiner zu verstehen und so möchte ich meine Freunde nicht in Erinnerung behalten…
      Ich möchte eigentlich nur die letzten Tage hier genießen und Spaß haben mit allen… Auch mit dir", endete Lina und ihr war anzusehen, wie sehr sie innerlich aufgewühlt war.
      „Man merkt erst was einem wichtig ist, wenn es nicht mehr da ist. Ich schätze, sie haben Angst, dass sie es nicht ohne dich schaffen. Als wärst du das Glied in der Kette, dass euch alle am Hof zusammenhält“, versuchte ich ihr zu erklären. Was Klügeres fiel mir in dem Moment nicht ein, denn mir fehlte als eigene Empfinden für so eine Situation. Meine Familie unterstützte uns immer bei aller Entscheidung, so blöd sie auch scheinen mögen. Den nur aus Fehlern konnte man lernen. Besonders ich kam in meiner Jugend mit den verrücktesten Ideen zu Papa, seine Begeisterung hielt sich in Grenzen, doch ich bekam immer was ich wollte. Dann dachte ich wieder an Neuseeland und den warmen Sand zwischen meinen Zehen am Strand am Abend. Es fehlte mir wirklich.

      Lina
      “Vermutlich hast du recht, aber das macht es für mich nicht einfacher.” Inzwischen standen wir vor der Wohnungstür, die ich nun seufzend aufschloss. Drinnen hatte sich seit gestern Abend nicht viel verändert, die Teetasse stand noch in der Spüle und auch meine Zeichnungen lagen noch wild verteilt auf dem Esstisch.
      Niklas schien mit den Gedanken schon wieder woanders zu sein, denn ein sehnsüchtiger Ausdruck war auf sein Gesicht getreten und er bleib abwesend vor der Tür stehen.
      “Woran denkst du gerade?”, fragte ich vorsichtig, um nicht zu neugierig zu wirken.
      „An die Sommerabende in Neuseeland als ich 20 war. Es war eine schöne Zeit, jetzt komme ich der 30 immer näher und habe das Gefühl, dass nicht mehr viel Schönes kommen, wird“, antwortete er bedenklich.
      “Warum denkst du, dass nichts Schönes mehr kommen wird? Sowas ist doch nicht altersabhängig”, fragte ich einfühlsam.
      “Dafür gibt es einige Gründe. Zum einen erlebe ich mit wie meine Kollegen ihr Leben gestalten. Einer von ihnen bekommt jetzt schon seine zweite Tochter und ich kann mich nicht mal einig werden, was ich überhaupt möchte. Zum anderen könnte jeder Arbeitstag der letzte sein und wüsste nicht, was ich großartig für die Existenz der Menschen erreicht habe. Aber lass und an anderes denken, schließlich hast du noch schöne Jahre vor dir”, versuchte er positiver sein, was ihm aber nicht wirklich gelang. Seine Worte stimmten mich ein wenig nachdenklich. Ich musste daran denken, wie ich mir früher immer gewünscht hatte einfach nur normal zu sein, ein normales Mädchen mit einer normalen Familie. Doch wo stände ich dann jetzt? Sicher nicht hier.
      “Weißt du, ich finde du solltest dich nicht mit anderen Vergleichen, nicht jeder von uns kann ein Superheld sein. Außerdem finde ich, sein Leben für die Sicherheit von anderen zu riskieren kommt schon nah ran an einen Superhelden”, versuchte ich ihn ein wenig aufzumuntern.
      “Lieb von dir und ich verstehe, was du meinst. Aber trotzdem wird es irgendwann an den Punkt kommen, dass jemand das Unternehmen von Papa übernehmen muss. Ich denke nicht, dass Hannes das tun wird, aber ich möchte die Familie nicht enttäuschen … Also abwarten”, murmelte Niklas und nahm die Zeichnung entgegen. “Vielleicht sollte ich jetzt wieder, du hast offensichtlich noch einiges zu tun”, fügte er hinzu und warf einen Blick durchs Zimmer und lächelte sanft.
      “Ähh, ja sieht so aus”, antworte ich ein wenig überrascht von den plötzlichen Themen wechseln. So bei Tageslicht betrachtet sah das Zimmer sogar noch chaotischer aus als in meiner Erinnerung, normalerweise sah es hier nicht so aus, doch die letzten Tage hatten meinem Ordnungssinn wohl ein wenig aus dem Gleichgewicht gebracht.
      “Dann wünsche ich dir viel Spaß beim Tätowierer, falls man da überhaupt Spaß haben kann”, verabschiedete ich mich von Niklas, der bereits wieder auf dem Weg zur Tür war.
      “Natürlich macht es Spaß, irgendwann wirst du es nachvollziehen kann”, grinste er breit und winkte noch einmal, bevor er aus meinen Augen verschwand.
      Ob ich das jemals nachvollziehen werde, bezweifle ich, dachte ich mir und schloss die Tür. Ein wenig überfordert blicke ich durch den Raum und überlegte, wo ich eigentlich anfangen sollte. Genau in den Moment, fiel mir nämlich auch noch ein, dass es nur noch knapp 3 Tage waren, bis ich die Reise nach Schweden antreten würde. Das bedeutete, dass ich nicht nur aufräumen musste, sondern auch überlegen sollte was ich mit nach Schweden nehmen werde und auf was ich erst einmal verzichten konnte. Hektisch begann ich im Zimmer rumzurennen und sagen von A nach B zu tragen.
      “Halt, Stopp, so funktioniert das nicht”, stoppte ich mich selbst als ich den Haufen vor mir betrachtete ich brauche definitiv einen Plan.

      Vriska
      “Da unser Schätzchen keine Zeit für mich hat, würdest du dich erbarmen?”, fragte Chris mich als Niklas mit Lina verschwand. Mit großen Augen blickte ich ihn an und viele Fragen schossen mir durch den Kopf, doch Samu saß auch mit am Tisch und ich musste mir genau überlegen, was ich nun sagen würde.
      “Unser Schätzchen? Du meinst wohl deinen Verstand”, feigste ich. Er zog seine Brauen hoch und war im Begriff zu gehen, um seinen Wallach fertig zu machen.
      “Warte, ich komme mit. Ich möchte nur aufessen und mich umziehen”, holte ich ihn zurück an den Tisch. Mit einem breiten Grinsen setzte er sich wieder. Na großartig. Jetzt wussten es schon zwei Leute, wie vielen wollte er es noch erzählen? Das nahm Dimensionen an, die ich nicht bedacht hatte. Ich hatte es nur Jenni erzählt, die mehr als 6000 km entfernt wohnte und niemanden davon erzählen könnte. Während ich mich darüber ärgerte, dass Chris es offenbar lustig fand, dass es mir unangenehm war, aß ich den Gurkensalat auf meinem Teller. Samu schien es nicht mit bekommen zu haben, zumindest bekam ich keine musternden Blicke, die sonst von ihm kamen. Am Tisch wurde es zunehmender still. So still, dass es einem Friedhof glich. Triumphierend nahm ich den Teller, stellte ihn weg und lief zum Zimmer. Chris folgte mir, ohne etwas zu sagen. Als wir am Zimmer kamen, schloss ich die Tür vor seiner Nase.
      “Ich will nicht erpressen, aber ich würde es sonst jeden erzählen”, sagte er. Genervt öffnete ich die Tür.
      “Aha, und was wird das sonst gerade?”, fragte ich skeptisch.
      “Auch wenn er dir das nie sagen wird, aber er mag dich mehr als sich eingesteht”, begann er. Noch immer war ich skeptisch und empfand das alles als eine große Verschwörung. Nebenbei suchte ich nach meiner Reithose, die ich unter dem Shirt von gestern fand.
      “Wenn du es nicht unterbindest, könnte es in nächster Zeit so weiter gehen wie bisher”, setzte Chris fort.
      “Na dann ist das wohl so. Oder was genau willst du mir gerade damit vermitteln?”, fragte ich desinteressiert. Im Badezimmer zog ich mich um, während er auf dem Bett Platz genommen hatte. Somit konnte er mich nicht sehen aber zumindest hören und anderes herum genauso.
      “Du sollst dir dem nur im Klaren sein, damit eventuelle Konsequenzen nicht zu hart werden”, erklärte er. Ich fand wirklich nicht, was er mir sagen wollte. Wäre es idiotisch, wenn ich fragen würde?
      “Jetzt hör auf in Rätseln zu mir zu sprechen. Was ist bitte deine Intention und wieso sollte das alles jetzt gerade wichtig sein?”, traute ich mich zu fragen. In meinem Ton kam die Ernsthaftigkeit durch. Es machte mich verrückt, dass wirklich jeder seine Meinung zu Niklas hatte und offenbar auch kundtun musste.
      “Du sollst dich nicht wundern, wenn er plötzlich immer mehr von dir abverlangt und auch unmögliches möglich haben möchte. Er hat Freude über dich zu erzählen, aber wusste genau wie du, dass es beliebigen Gründen nicht geht. Die anderen Kleine ist aber keiner davon”, sagte er und wir verließen das Zimmer. Noch einige Minuten weiter faselte er irgendwas von Glück, Versagen und weiß Gott was. Ich hörte nicht mehr wirklich zu, sondern empfand es als reines bevormunden. Das Gleiche machte Lina auch gerade durch. Was geht es die alle an? Immerhin machte mir niemand Vorwürfe, dass ich es getan habe. Da unsere Pferde auf der gleichen Weide standen, holten wir sie zusammen. Chris hatte mittlerweile das Thema gewechselt und sprach mit mir, als würden wir uns seit Jahren kenne. Doch genau genommen, ist das unser erstes Gespräch überhaupt. Spricht der immer so viel, oder nur heute? Zwischendurch antwortete ich mit ja oder Nej. Auf meiner Stirn stand nicht hoffentlich nicht “Kummerkasten”, denn so fühlte ich mich gerade. Als ich Glymur aus der letzten Ecke der Koppel holte, hatte ich endlich meine Ruhe für einen Moment.


      Samu
      Nach dem Frühstück machte ich mich, als allererster auf den Weg Sunny Empire ihr verlorenes Eisen wieder darauf zu nageln. Die blinde Stute stand noch mit ihrem Begleitpferd Mas’uda in der großen Doppelbox.
      “Hyvää huomenta, te kaksi makeaa”, begrüßte ich die beiden Stuten freundlich, um vor allem Sunny nicht zu erschrecken, wenn ich die Box betrat. Freundlich stellte die helle Stute ihre Ohren auf und kam vorsichtig auf mich zugelaufen.
      “Gutes Mädchen”, lobte ich die Stute und strich ihr langsam über den Hals, bevor ich ihr das Halfter über steifte. Ich führte sie aus der Box und band sie auf der Stallgasse. Mas’uda, schnaubte leise und streckte den Kopf über die Boxentür. Während Sunny ruhig auf der Stallgasse stehen blieb, holte ich mein Werkzeug. Mit viel Ruhe war das Eisen dann auch relativ schnell wieder am Huf der Stute. Da ich gerne vermeiden möchte, dass Sunny ihre Eisen erneut verliert, beschloss ich ihr dieses Mal Hufglocken anzuziehen. So verschwand ich also erneut in der Sattelkammer. Als Sunny fertig war, holte ich auch noch die Araberstute aus der Box und brachte die beiden Stuten auf ihre Koppel. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es nicht mehr sonderlich lange dauern würde, bis zum Training. Wenn ich also bereits an der Koppel war, konnte ich auch gleich schon mein Pferd mitnehmen, da Lina bestimmt noch mit irgendetwas beschäftigt war, schrieb ich ihr eine kurze Nachricht: “Millä hevosella ratsastat? Tuon sen heti.” Es dauerte nicht mal eine Minute, bis sie mir antwortete: “Nathalie, kiitos.”
      Praktisch, Nathalie steht nämlich auf der gleichen Koppel wie Ice Rain. So machte ich mich also auf den Weg zu den Sommerkoppeln. An der Koppel angekommen, war weit und breit kein Pferd zu sehen, vermutlich stand die Herde bei dem Wetter hinten am Waldrand zwischen den Bäumen. Also schnappte ich mir die Halfter der beiden Stuten vom Zaun und machte mich auf die Suche nach den beiden Pferden.
      Tatsächlich fand ich die kleine Herde zwischen den Schatten spendenden Bäumen. Ice Rain hob gleich den Kopf als sie mich sah. Ich halfterte erst meine Stute, bevor ich mit ihr im Schlepptau zu Nathalie rüberging, die etwas abseits graste.
      Am Stall stellte ich die beiden Stuten in ihre Boxen und beschloss Lina zu suchen, da sie auf dem Hof und im Stall nicht zu entdecken war.
      Zielstrebig steuerte ich ihr Zimmer an und klopfte.
      “Tür ist auf, komm rein”, kam die Antwort von drinnen und ich öffnete die Tür. Im Zimmer empfing mich ein riesiges Chaos und Lina stand mittendrin.
      “Minkälainen varten sumu oli tässä?”, fragte ich verwundert. Lina war zwar nicht der aller ordentlichste Mensch, aber so ein Chaos war nicht typisch für sie.
      “Keiner, ich versuche aufzuräumen… Und zu überlegen, was ich in Schweden wirklich brauche!”, verkündete Lina.
      “Na, so wird das, glaube ich, nichts”, sagte ich und versuchte das System hinter dem Chaos zu erblicken, langsam schien ihr diese ganze Situation ganz schön viel Stress zu bereiten.
      “Ach was, da habe ich auch bereits gemerkt. Magst du mir vielleicht lieber helfen, anstatt so schlaue Feststellungen zu machen?”
      “Nach dem Training kann ich dir gerne bei deinem Chaos hier helfen, aber jetzt sollten wir erst einmal unsere Pferde putzen”, wies ich sie auf unser anstehendes Training hin.
      Sie schien mir nicht so recht zugehört zu haben, denn sie war schon wieder damit beschäftigt einen Stapel Klamotten quer durch den Raum zu tragen.
      “Hei, Lina hast du mir überhaupt zugehört?”, fragte ich und hielt sie auf, indem ich ihr den Stapel aus der Hand nahm.
      “Ey, das wollte ich gerade aufräumen”, protestierte sie.
      “Nein, du räumst jetzt gar nichts weg, du kommst jetzt mit dein Pferd putzen”, sagte ich entschieden und legte den Stapel auf ihr Bett.
      “Okei, ich komm ja schon mit, aber wo ist denn jetzt mein Schlüssel?”, gab sie klein Bei und sah sich nun suchend im Zimmer um.
      “Meinst du den hier?”, fragte ich und zog ihren Schlüsselbund unter einem Block hervor.
      “Ja genau, danke.” Gemeinsam verließen wir das Zimmer und sie war gerade auf dem Weg nach draußen, als ich sie schon wieder stoppen musste.
      “Hast du da nicht etwas vergessen?”, fragte ich sie und war einen bedeutungsvollen blick auf ihre Füße, die immer noch in Sneakers steckten.
      “Nein, zieh ich später an. Es ist viel zu warm dafür”, erklärte Lina.
      “Aber solltest du sie dann nicht wenigstens mitnehmen?”, fragte ich und drückte ihr ihre Reitstiefel in die Hand.
      Fünf Minuten später standen wir dann auch endlich auf dem Putzplatz und ich begann meiner Stute den Staub aus dem Fell zu bürsten.

      Vriska
      „Bist du dann bereit?“, fragte ich Chris, der seinen Helm aufsetzte.
      „Jovisst“, antwortete er und folgte mir mit seinem Wallach. Freundlich beschnupperten sich beide Kerle. Glymur war deutlich ruhiger als gestern und zeigte sich wieder von seiner besten Seite. Mit hoch aufgerichtetem Kopf und hochweiten Bewegungen in der Vorderhand lief er prustend neben mir her. In der Nähe musste eine rossige Stute sein, denn sonst führt er sich nie so auf. Das breite Grinsen auf Chris Gesicht wird wohl sein normaler Ausdruck sein. Dennoch musste ich fragen: „Hast du irgendwas genommen oder warum grinst du noch immer so blöd?“
      „Ich freue mich einfach“, antwortete er und rollte mit den Augen. Nun gut, dachte ich. In der Halle gurteten wir nach und stiegen auf.
      „Direkt die Steigbügel überschlagen“, wies Herr Holm an und tat dem gleich. Etwas wackelig und instabil in der Hüfte ritt ich im Schritt an und bekam direkt einige Anweisungen von ihm. Während ich auf dem Pferd saß, verspürte ich immer noch schmerzen zwischen meinen Beinen und nur mit Mühe konnte ich mich besser hinsetzen. Glymur schritt entspannt vorwärts und seinen Hals streckte er weit nach vorn, achtete auf meine Zügellänge. Ein prüfender Blick durch die Halle offenbarte mir, dass Milena am Rand Platz genommen hatte und mich genau beobachtete. Bevor ich die kurze Seite vor ihr passierte, wendete ich meinen Hengst auf der Ecke kehrt.
      „Vriska, zum Wenden nutze doch bitte dein Gewicht und vor allem Hilfen mit den Beinen. Ziehe nicht das Pferd mit Zügel in die Richtung“, tadelte mich Herr Holm, der zu mir lief.
      “Geht nicht. Mir tut immer noch alles weh”, haspelte ich herum und versuchte mich herauszureden. Er hob misstrauisch die Augenbrauen und musterte mich.
      “Mädchen, du bist nicht die erste Person, die von einem Pferd gefallen ist, besonders nicht die Erste, die so auf einem auf dem Sattel klemmt. Deine Körperhaltung sagt mehr aus über deine Schmerzen als du denkst”, kritisiert er mich. Ich pariere mit einem Druck in der Hüfte Glymur durch und gucke zu ihm.
      “Ach ja? Vielleicht sollte ich mich lieber ausruhen, als auf dem Pferd zu sitzen”, antwortete ich schlagfertig. Im Inbegriff wieder abzusteigen, hielt der Trainer mein Bein fest am Sattel und hinderte mich dabei, den Rücken meines Pferdes zu verlassen.
      “Ich denke nicht. Du solltest dein Augenmerk darauflegen, lieber auf dem Pferd zu reiten. Wer fummelt, kann auch reiten”, merkt er an und ich trieb augenrollend Glymur wieder an. Im ruhigen Tempo versuche ich mich in der Bewegung meines Pferdes Mittreiben zu lassen im Sattel. Meine Schultern drückte ich locker nach hinten, um Aufrecht zu sitzen. Mit einem Kopfnicken bestätigte Herr Holm, dass ich besser saß und mit einer tiefen gleichmäßigen Atmung verbesserte sich meine Konzentration auf das Pferd.
      “Na siehst du, geht doch. Und jetzt traben”, lobte er mich.
      Mit großen Augen blicke ich den Trainer an. Das sagte er nicht wirklich? Ich konnte mich dazu durchringen im Schritt ordentlich im Sattel zu sitzen, aber im Trab? Meine Schulter machte mir immer zu schaffen und Intensivtrainingscamp war das auf vielen Ebenen nicht mehr. Es versetzte mich auf beliebige Klassenfahrten zurück, in denen man zu Aktivitäten gezwungen wurde, die nicht einmal interessant waren. Natürlich machte mir das Reiten Spaß aber mit dem Hintergedanken, den Verein nicht mehr wiederzusehen und somit auch Niklas, bestürzte mich. Vermutlich würde ich ihn öfter sehen, aber nur im Verbund mit Lina. Schon der Gedanke versetzte mir einen Stoß in mein Herz. Konnte ich so dumm sein? So dumm zu glauben, dass das eine Zukunft hätte oder zumindest spurlos an mir vorbeigehen würde.
      “Schaffst du es selbst ihn anzutraben, oder muss ich dich an die Longe nehmen?”, riss mich Herr Holm mal wieder aus den Gedanken. Ich dachte zu viel nach.
      “Nej, jag klarar det”, antwortete ich, gab meinem Hengst mehr Zügel und treibe ihn. Mit einem kleinen Hüpfen trabte Glymur los. Seinen Kopf senkte er und achtete selbstständig auf die Zügellänge. Dieses Pferd war perfekt, aber auch zu gut für mich. Er wäre besser aufgehoben bei Linh, die mit Móra bereits den Extrempunkt erreicht hatte. Mit Spannung in den Beinen schaffte ich es gleichmäßig der Bewegung meines Pferdes zu folgen und den Halt im Sattel zu behalten. Gleichzeitig bemühte ich mich, dass Glymur ruhiger vorwärts trabte, die Schritte verlängerte und mehr Schwung aus der Hinterhand mitbrachte.
      “Vriska, lehne dich weiter nach hinten, dass deine Sitzbeine tief im Sattel liegen. Mit mehr Stimmeneinsatz würde Glymur sicher auch besser reagieren”, half der Trainer mir weiter. Dankbar über diese Hilfestellung lehnte ich mich noch weiter nach hinten und spürte den Schmerz in besagten Bereich meines Beckens. Ich biss mir auf die Unterlippe, um das stechende Gefühl in meiner Hüfte auszugleichen. Es zog sich hoch bis zu meiner Schulter, die ebenfalls pulsierte. Meine Atmung wurde schwerer und krampfhafte schnappte ich nach Luft. Glymur bremste schlagartig ab, als merkte er, dass seine Reiterin Probleme hatte. Herr Holm kam näher und führte bis dahin kommentarlos meinen Hengst weiter. Noch immer panisch durchtrieben von der Angst zu sterben rang ich nach Luft. Immer wieder krampfte mein Rücken und mit einer Atemübung, die mein Trainer mit mir machte, wurde es erträglicher.
      “Wieder besser? Ich hätte nicht so hart zu dir sein sollen.” Herr Holm fand nicht die richtigen Worte, doch ich wusste, was er meinte.
      “Schon in Ordnung, es war meine eigene Entscheidung”, erklärte ich ihm, um weitere Schuldgefühle seinerseits zu verhindern. Er lächelte wieder und gab mir die Zügel des Hengstes zurück. Stolz lobte ich Glymur, der genüsslich auf dem Gebiss kaute und den lockeren Zügel vollständig ausnutzte. Entspannt streckte er den Kopf nach unten und im Schritt ritt ich ihn ab. Lina und Samu warteten mit ihren Pferden bereits darauf, als nächste an der Reihe zu sein. Chris holte im Schritt uns ein und ritt nebenher.
      “Je mehr du versucht zu verstecken was passierte, umso auffälliger bist du. Herr Holm konnte mit einigen Blicken wissen, was los ist”, merkte Chris an.
      “Der hat auch genug Menschenkenntnisse”, zischte ich zurück. Ich hatte mein sehr wohl allein unter Kontrolle, dachte ich bis zu diesem Zeitpunkt. Denn Milena saß noch immer am Rand und ich hatte sie wieder vergessen. Herr Holm sprach vorhin nicht leise, somit hatte sie seinen blöden Spruch auch gehört. Chris steig als erstes von seinem Wallach ab und half mir dabei von Glymur abzusteigen. Er legte seine Hände an meine Hüfte und hob mich in der Bewegung des Pferds.
      “Tack”, sagte ich und klemmte mir einen blöden Kommentar. Chris hatte eine ähnliche Art wie Niklas, nur weniger überzeugt von sich mit einem Hauch Menschlichkeit und Empfindsamkeit sich in dem Gegenüber hineinzuversetzen. Er war jedoch nicht mein Typ, sondern eher ein guter Freund. Wieder einmal dachte ich über Dinge nach, die meinem allgemeinen Gefühl nicht halfen.
      “Ihr beide also? Das hätte ich nicht vermutet”, schlich Milena von der Seite sich zu uns. Chris und ich guckten verwirrt zu ihr. Auch wenn er sich wieder sein Grinsen nicht verkneifen konnte, fand ich es angenehmer, als es direkt auf Niklas zu lenken. Vermutlich wäre er sogar der Letzte, den sie in Betracht ziehen würde.
      “Nein Mäuschen, schön wäre es aber nein”, antwortete Chris ihr freundlich. Die richtigen Worte fand er. Ich schwieg und wollte sie keinesfalls den Ball zu spielen. Sie folgte uns, aber sagte nicht mehr. Es schien, als wollte sie nicht glauben, dass es nicht wir beide waren, sondern ich mit jemand anderes geschlafen hatte.

      Hannes
      Am Mittagstisch hatte ich mich zu Dasha, Mika und Ambrose gesellt, da mir dieser Trupp noch fast am sympathischsten von allen war, da sie von Drama fernblieben. Als ich meinen Blick durch den Raum schweifen ließ, entdeckte ich Linh und Ju die an einem der anderen Tische herummachten, was bei mir ein reflexartiges Augenrollen auslöste und ich lieber wieder in meinem Essen herumstocherte. “Dude bist du eigentlich immer so unentspannt?”, fragte Ambrose, der offenbar meine Stimmung gedeutet hatte; daraufhin wurde er von Dasha in die Schulter geboxt, die versuchte mich zu beschützen, tonlos formte ich ein “Lass gut sein, aber danke” mit meinem Mund. “So war es nicht gemeint, sorry Hannes, vielleicht geht es dir ja nach einer Tüte besser?”, setzte Ambrose erneut an und ich bedankte ihn mit einem schmalen Lächeln und stand auf vom Mittagstisch. Als ich mich entfernte, hörte ich noch Mika und Dasha, die beide versuchten Ambrose zu belehren im Umgang mit Menschen - was ein Spast. Da noch etwas Zeit bis zu meiner Team-Sitzschulung blieb, schlenderte ich über den Hof und zurück ins Wohnhaus, von dem ich mir erhoffte, etwas Ruhe zu finden.
      “Gut, dass ich finde”, begann Niklas zu sprechen, der aus einer Ecke hervorkam und geradewegs zu mir lief. “Wieso, was los Bruderherz?”, entgegnete ich im offensichtlich ironisch desinteressierten Ton. Es war fast beängstigend, wie dicht er an mir dran war, irgendetwas musste vorgefallen sein.
      „Du warst die letzten Tage so … ich weiß auch nicht, abweisend mir gegenüber und heute früh im Stall beinah aggressiv. Was ist los?“, fragte er und schien sich wirklich um mein Wohlbefinden zu sorgen. “Das geht mir hier alles irgendwie ordentlich auf den Sack, das ganze Drama und das Rumgehure. Ich meine, wo sind wir? Bei einer billigen Reality TV-Show ‘Wer wird als erstes flachgelegt’? Was ist eigentlich mit dir los Niklas, ich dachte du wärst wieder halbwegs stabil.”, antwortete ich ihm nun freundlicher.
      “Aber es geht dich doch nichts an, was alle anderen machen? Es geht hier um Leistungen und jeder hat sein eigenes Umgehen damit. Was mit mir los ist? Ich habe Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen. Wenn sich es die Situation fordert, dann stehe ich meinen Mann. Solltest du vielleicht auch mal versuchen. Und stabil, nun. Vor ein paar Tagen hatte ich wieder einen Anfall in der Dusche, weil ich offenbar meine Tabletten nicht mehr nahm”, schnaubte er wie ein kleines Kind, dem sein Lieblingsspielzeug weggenommen wurde.
      “Niklas ich bin’s, du stehst ja völlig neben dir. Du brauchst dich vor mir nicht zu rechtfertigen! Abgesehen davon geht es mich nichts an, ja, aber ich werde irgendwie immer mit hineingezogen und soll ständig für eine Seite Partei ergreifen und das ist anstrengend. Ich bin wegen der Pferde hier, um etwas zu lernen und Spaß zu haben, aber den habe ich absolut nicht. Aber gerade geht es ja nicht um mich, warum zur Hölle hast du denn die Tabletten abgesetzt?”, versuchte ich ihn zu beruhigen und Antworten zu bekommen.
      “Ich habe sie nicht abgesetzt, nur vergessen vor lauter Stress”, gab Niklas kleinlaut nach. In geduckter Haltung mit gesenktem Kopf stand er vor mir und war in dem Moment der kleinste Riese, den man sich vorstellen konnte. Plötzlich empfand ich das Bedürfnis ihn zu umarmen, was ich letztlich auch tat. Es war seltsam, wir waren nicht solche touchy best friend Brüder, aber die Situation hatte es eben angeboten. “Junge, warum redest du denn nicht? Du setzt immer ein Pokerface auf, woher soll denn jemand ahnen, dass es dir nicht so gut geht, wie es scheint?”, hakte ich während der Umarmung nach.
      “Weil … ach ich weiß auch nicht. Mein Hirn ist gerade mit so vielen Dingen gleichzeitig beschäftigt, dass ich vermutlich den nächsten Krieg anzetteln werde. Aber davon wird kaum einer noch etwas mitbekommen”, murmelte er. Seine Stimme zitterte leicht und ein Hauch von Unsicherheit drang aus ihm hervor. Niklas war sonst immer der Gefühllose, die niemanden an sich heranließ, doch nun lag er zerbrechlich in meinen Armen. In diesem Moment wusste ich nicht, ob ich etwas sagen sollte oder vielleicht doch nicht - irgendwie fehlten mir die Worte, denn nichts was ich sagen würde, würde ihn aus dieser Situation retten. “Lass uns etwas zusammen unternehmen, einfach mal raus hier und weg von allem. Was hattest du denn eigentlich vor, bevor du auf mich gestoßen bist?”, brachte ich schließlich doch hervor.
      “Ach bin ich jetzt auf einmal nicht mehr der peinliche große Bruder? Mein Taxi kommt gleich für das weitere Tattoo”, antwortete er und ließ mich endlich los. “Eher die große peinliche männliche Hure, aber heute kann mein Stolz auch diesen harten Schlag vertragen.”, feixte ich und boxte gegen seine Schulter, um die Situation aufzulockern. “Was soll’s denn diesmal werden?”, fragte ich neugierig und überlegte gleichzeitig wo an seinem Körper überhaupt noch Platz für weitere Tattoos war.
      “Ach du bist doch nur neidisch, dass ich beliebter bin bei den Mädels als du. Ähm, hier”, sagte Niklas und zog ein Blatt aus seiner Hosentasche. Es war ein geometrisch gezeichnetes Pferd mit einigen Partikeln herum. Von ihm konnte das nicht sein, denn zeichnen gehörte zu den wenigen Dingen, die er nicht beherrschte. “Hat Lina für mich gemacht. Kommt auf die Schulter, schließlich sind meine Arme beinah voll”, setzte mein Bruder fort. “Tatsächlich sieht das echt gut aus.”, gab ich zu und lief mit ihm gemeinsam nach draußen. “Außerdem lieben mich die Mädels bedingungslos, sie reden mit mir über ihre Probleme und man muss ja nicht mit jedem Vögeln, den man mag.”, antwortete ich mit einem Zwinkern. “Bist du schwul oder was, Bruderherz?”, entgegnete Niklas lachend und ich schaute ihn böse von der Seite an, was uns beide unangenehm verstummen ließ.
      “Es wäre nicht schlimm, also wirklich. Wenn du reden willst, gern später, aber ich muss los”, fügte er hinzu und lief zu dem Taxi, dass den Hof hochfuhr. Also würden wir beide heute wohl nichts gemeinsam unternehmen, realisierte ich etwas enttäuscht, aber winkte ihm zum Abschied.

      Ambrose
      Nachdem ich beim Essen ordentlich von den Turteltauben gemaßregelt worden war, hatte ich mich verpisst, um etwas Abstand zu gewinnen. Was war eigentlich mit mir los? Warum bin ich zu allen ein Arschloch und warum spiele ich immer diesen beschissenen stoned Typen? Ich bin kein Stück besser als meine Junkie-Eltern! Plötzlich empfand ich das Bedürfnis mir selbst weh zu tun, um die Stimmen in meinem Kopf verstummen zu lassen. Kurz bevor ich mir mit einem scharfkantigen Stein einen Schnitt verpassen wollte, vibrierte mein Handy - “Nana” stand auf dem Display. “Hey.”, antworte ich kurz, um meine Wut und den Frosch im Hals zu verstecken. “Honey, is everything okay? You sound strange”, gab sie besorgt zurück, natürlich wusste sie, dass etwas nicht in Ordnung war. Plötzlich strömten die Tränen heraus und ich begann zu schluchzen, “I’m… I… I don’t know Granny. I feel damn worthless like I should have died with them in that car. Why am I alive? I’m such a ridiculous bastard who couldn’t overcome his parent’s toxic habits…”, brachte ich stotternd hervor. Nana versuchte mich zu beruhigen, doch ich hörte ihr gar nicht richtig zu, doch ich wollte nicht, dass sie sich schlecht fühlte, weshalb ich mich zusammenriss und schließlich einlenkte.”Thanks, Nana. I suppose it is just all that stress around here. I will pay you a visit as soon as I am back home - I promise. Love you, bye.”, würgte ich das Gespräch ab. Als ich meinen Kopf wieder nach oben bewegte, entdeckte ich Hannes, der genauso erschrocken war wie ich. Eigentlich wollte ich ihn ankacken, warum er mich belauscht hat, doch auch ihn schien etwas zu beschäftigen, weshalb ich mit der Hand auf den Platz neben mir deutete. Hannes setzte sich vorsichtig neben mich und traute sich wohl auch nichts zu sagen. “Sorry für vorhin und generell”, lenkte ich bedrückt ein. “Schon okay, es hat wohl jeder seine eigenen Päckchen zu tragen”, gab er freundlich zurück und streckte die Hand aus, um die Entschuldigung zu besiegeln. In diesem Moment trafen sich unsere Augen und auf eine komische Art und Weise verharrten wir in dieser Position. “Du hast wunderschöne Augen”, rutschte es mir mit kehliger Stimme heraus und wie durch eine magische Hand gesteuert lehnte ich mich leicht vor. Hannes fixierte mich nach wie vor mit seinen grau-grünen Augen, die zu leuchten schienen. Mittlerweile konnte ich meinen Herzschlag deutlich hören, das durch meine Brust pulsierte, weshalb ich nicht anders konnte, als meine Hand an seinen Hals zu legen und ihn zu mir heranzuziehen. Nun konnte ich auch sein Herz spüren, er wehrte sich keineswegs gegen meine Berührung, im Gegenteil, er lehnte sich nur weiter vor, weshalb ich ihn erst langsam und sanft küsste. Meine Lust ließ sich nicht zügeln und ich küsste ihn leidenschaftlich, meine Zunge berührte seine und er begann mich zu necken und an meiner Lippe zu knabbern. Auf einmal schien all der Kummer verflogen zu sein und meine Gedanken kreisten nur noch um Hannes. Von Lust erfüllt packte ich ihn an der Taille und zog ihn hoch, während ich aufstand und drückte ihn an Wand des Gebäudes neben und stemmte meine eine Hand in die Wand, während die andere sein Gesicht liebkoste. Für einen kurzen Moment war ich sehr froh, dass wir uns an einer abgelegenen Stelle des Hofes befanden und ich deshalb mein Shirt bedenkenlos ausziehen konnte. Sofort strichen Hannes’ Hände über meine Brust und mein Sixpack und fanden schließlich ihr Ziel. “Langsam, Großer, genieß die Spannung”, raunte ich in sein Ohr und presste meine Schwellung an seine Lende, was ihm ein Stöhnen entlockte. Er schien noch unerfahren im Umgang mit Männern, weshalb ich die Führung übernahm und langsam seinen Hals hinunter küsste und sein Shirt auszog. Nun langsam auf die Knie ging, um seine Hose zu öffnen und ihn befreite. Hannes reckte seine Hüften mir entgegen und gab mir so das Okay weiterzumachen, weshalb ich seinen Phallus sanft anfasste und quälend langsam anfing daran zu saugen. Erstaunlicherweise packte er meinen Kopf und zog leicht an meinen Haaren, was mich nur noch mehr antrieb.

      Chris
      Im Stall beobachtete uns Milena und kontrollierte jeden Schritt, den wir machten. Vriska guckte immer wieder zu ihr und verkrampfte wiederholend den Kiefer. In der Sattelkammer hatten wir einen Moment Ruhe vor unserer Staatsbeamtin. “Ist etwas zwischen euch vorgefallen?”, fragte ich vorsichtig und bemühte mich nicht neugierig zu klingen.
      “Das kann man so nicht sagen, aber das mit dem Dreier weißt du?”, hinterfragte Vriska und nahm den Sattelgurt vom Sattel, als er an der Wand hing. Dabei blickte sie nicht zu mir.
      “Natürlich, jeder weiß es. Jetzt im Nachhinein stört es dich?”
      “Ich ärgere mich mehr über mich selbst und will ihr gegenüber nicht eingestehen, dass ich es nachvollziehen kann. Doch es spielt auch mit rein, dass sie mir versprach mit mir die Zeit zu verbringen. Stattdessen hat sie die ersten Abende alles dafür getan, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Es hatte nichts mit Ernst zu tun.”
      “Ihr seid doch seltsam. Also dein Problem ist, dass sie dich vernachlässigt hat und das mit Nik nicht das Gleiche ist wie mit dir?”
      “So ungefähr, außerdem spricht sie schlecht über mich vor anderen.”
      “Das mit euch beiden ist auch nichts Ernstes, das hast du vorhin selbst gesagt. Den anderen Grund kann ich besser nachvollziehen. Vriska, bitte sei dir im Klaren, was du möchtest”, meine Stimme wurde ernster. Er hatte sie wirklich in seinen Bann gezogen und ihren Verstand verdreht. So fing es mit Anna auch an, nur das Niklas sich mehr bemühte. Irgendwas stimmte mit ihm nicht.
      “Ich weiß es nicht. Ich brauche ihn”, sagte sie wehmütig und senkte den Kopf. Den vorherigen Augenkontakt verloren wir und spielte sich in den Haaren herum.
      “Dann nimm ihn dir”, ermutigte ich Vriska. Es fiel mehr schwer das zu sagen, denn es bedeutete, dass einige Probleme den Beiden auf dem Weg gelegt werden würde.
      “Denkst du das wirklich?”, ihre Augen funkelten und sie schaute hoch zu mir. Mit einem sanften Lächeln nahm ich sie in den Arm und hoffte, dass sie die richtige Entscheidung treffen würde.
      “Wenn soll Vriska sich nehmen? Sie weiß doch nicht mal wie eine richtige Beziehung funktioniert”, provozierte Milena, die dazu kam. Verärgert schubste Vriska sie zur Seite, als sie die Kammer verließ. Dann drehte sie sich um und fügte hinzu: “Das geht dich nichts an, mein Leben, meine Regeln.” Ein freches Grinsen legte sich auf ihrem Gesicht. Aufrecht im Gang führte sie Glymur aus dem Stall und hatte bereits die Decke wieder um ihn gelegt. Etwas stolz schaute ich der kleinen Blonden nach und band meinen Wallach ab. Milena verschwand wortlos aus dem Stall mit dem Halfter ihrer Palomino Stute.
      “Jetzt sind wir wieder allein”, merkte ich meinem Pferd gegenüber an und lief Vriska nach, die bereits kleiner wurde am Horizont. Dass sie nicht einmal wartete, um zusammen die Pferde wegzubringen, bestätigte meine Vermutung, dass ihr die Situation zu viel war. Als ich die Weide erreichte, kam sie mir bereits entgegen und sagte nichts. Stattdessen blickte Vriska gespannt auf ihr Handy. Aus dem Augenwinkel sah ich Bilder von Niklas, es hätte mir klar sein müssen, dass in ihrem Kopf niemand anderes einen Platz hatte.
      Eine Dusche würde mir guttun, dachte ich nach dem ich meinen Arm hob und an mir roch. An meinem Shirt dominierten großen Schweißflecken und mein Pferd hatte auch seine Spuren hinterlassen. Ein ungewöhnliches Bild ereignete mich auf dem Weg zu meinem Zimmer. Klein Olof und unser Kiffer standen gemeinsam an der Wand und blendeten vollständig den Rest ihrer Umwelt aus.
      “Ich würde fragen, was das hier wird, wenn es nicht so offensichtlich wäre. Macht, was ihr wollt, aber könntet ihr das in eurem Zimmer vorsetzen? Kinder leben hier am Hof und ich schätze, sie sollten das nicht sehen. Also egal in welcher Konsultation. Vriska und dein Bruder können sich auch zusammenreißen … Fan”, rutschte es mir heraus. Wenn Niklas das erfährt, bringt er mich um. Meine Augen richtete ich in den Himmel, denn das, was die Beiden taten, überschritt deutlich dem, was ich mir sonst anschaute. Erschrocken gingen die beiden auseinander und Hannes hielt die Hände vor seinen Schwanz wie bei einem Freistoß. “Ich Ähh… wir… also”, stammelte er vor sich hin. “Diggi mach keine Szene, halt bloß deine Klappe und wir sind fine. Nächstes mal treiben wir es auf deinem Bett, wenn’s dir lieber ist.”, antwortete Ambrose keck mit einem Zwinkern.
      “Szene? Vermutlich hätten andere ganz anderes reagiert, also entspann dich. Und klar, ich stelle euch mein Bett gerne zur Verfügung”, rümpfte ich die Stirn. Einige falten bildeten sich. Hannes stand angespannt da und brachte kein weiteres Wort heraus. Er erinnerte mich in dem Moment stark an seinen Bruder, als wir in Neuseeland waren und ich ihn mit unserer Chefin erwischte unter der Dusche. Die Dame war mehr als 20 Jahre älter als wir, aber jedem Tierchen sein Pläsierchen. “Du hast ja recht. Danke.”, gab Ambrose kleinlaut zu und beide Herren der Schöpfung gingen wortlos mit einem riesigen Abstand zueinander weg.
      Verspürte auf dem Hof jemand Pheromone oder wieso konnte niemand seinen Trieben widerstehen? Kopfschüttelnd lief ich zu meinem Zimmer. Björn war nicht da, also konnte er nur wieder mit Erika beschäftigt sein. So zog ich mein Shirt über den Kopf, warf es in die Ecke und nahm mir neue Kleidung. Mit ihnen im Arm marschierte ich in die Dusche, schloss die Badezimmertür zu und genoss, dass Wasser, dass über meinen Körper floss.

      Hannes
      Wow. Was war das gerade? Ein Ausrutscher, der nicht wieder vorkommen würde, ich bin ja nicht schwul, das wäre ja völlig absurd. Ich musste bei dem Gedanken fast lachen, ich und schwul, ja bestimmt, meine Eltern würden mich achtkantig aus dem Haus werfen und mich als ekelhaften Unzüchtigen abstempeln. Dennoch drängten sich Gedanken von Ambrose in den Vordergrund, dieser trainierte Körper mit glänzender weicher Haut, die Milchschokolade ähnelte und danach bettelte berührt und geschmeckt zu werden. Was zur Hölle ist mit meinen Gedanken? Ich stehe ganz normal auf Frauen, Brüste, ja schöne Brüste und ein knackiger Arsch, Männer lieben und den Akt wie ein Tier vollziehen, sowas ist unnatürlich. Ganz in meinen Gedanken versunken stolperte ich so vor mir hin und rempelte Mika und Dasha, die mich augenblicklich verwirrt ansahen und fragten, ob alles okay sei, ich nickte, lächelte und ging weiter, aber wohin. Checkpoint. Kurzerhand entschied ich mich dafür meinem Hengst einen Besuch abzustatten und schlug den Weg zu seiner Weide ein. “Checkers! Na, komm dicker!”, rief ich, als ich nahe der Weide war, aber meinen lackschwarzen Rollmops nicht finden konnte. Anscheinend war es ihm auch zu heiß, da er nur langsam im Schritt auf mich zu dackelte ohne große Begeisterung. Glücklicherweise hatte ich noch ein Leckerli bei mir, welches ich ihm zur Begrüßung vor die Nase hielt. Checkers grummelte und freute sich über die kleine Belohnung und forderte dann seine Streicheleinheiten ein.

      Lina
      “Setz dich jetzt mal vernünftig auf dein Pferd, wenn du so weiter machst, fällt sie noch über ihre eigenen Füße”, holte mich der Trainer aus meinen Gedanken. Die waren nämlich immer noch mit dem Chaos in meiner Wohnung beschäftigt. Kaum hatte Herr Holm zu Ende gesprochen stolperte meine Stute, wie als wolle sie seine Worte unterstreichen. Während ich mich auf mein Pferd und mich fokussierte hörte ich wie Samu natürlich wieder Lob einheimste. Ice Rain lief entspannt unter ihm und er sah mal wieder aus als würde er den ganzen Tag nichts anderes machen.
      “Ah, scheinbar hast du ja doch schon mal auf einem Pferd gesessen, das sieht doch gleich viel besser aus”, bekam ich nun zu hören. Ich hatte meine Zügel ein Stück weit aufgenommen und mich tiefer in den Sattel gesetzt, was sich auch sogleich im Schritt meiner Stute widerspiegelte. Sie schritt nun zwar immer noch entspannt, aber stolperfrei durch die Halle.
      “Trab deine Stute mal auf dem Zirkel an”, bekam ich nun eine Anweisung von Herrn Holm.
      Ich lenkte meine Stute auf den Zirkel, setzte mich tiefer in den Sattel und nahm die Zügel ein Stück nach zum Antraben. Brav trabe die Stute an, doch schon nach ein paar Trab Tritten, verspannte ich mich und sie fiel mir wieder aus.
      “Bleib locker in der Hüfte und klemm nicht so mit dem Knie, so blockierst du dich nur selbst”, korrigierte mich der Trainer. Ich trabte Nathalie erneut an und versuchte locker zu bleiben, das klappte allerdings eher so Semi-Gut, denn kaum war Nathalie eine halbe Runde getrabt, ging mein Knie wieder zu.
      “Deine Beine sollen locker am Pferd hängen”, erinnerte mich Herr Holm. Das Aussitzen im Trab war noch nie meine Spezialität gewesen und das zeigte sich jetzt deutlich. Während Nathalie sich alle Mühe gab, es mir leicht zu machen konzentrierte ich mich noch mehr darauf locker zu bleiben uns nun funktionierte es tatsächlich so wie es sollte nur das mein Pferd eher ein Osterei lief anstatt eines Kreises.
      “Auch wenn du locker sitzen sollst, vergiss nicht die Schenkelhilfe. Lass dein inneres Bein dran”.
      Nach weiteren 5 Minuten, verschonte mich Herr Holm erst mal und ich durfte eine kurze Schrittpause einlegen, während er sich Samu Galopp ansah.
      “Glaub nicht ich sehe, dich nicht”, ermahnte mich Herr Holm als meine Gedanken für einen kurzen Moment wieder abschweiften, was sich natürlich sofort im Gangbild meiner Stute spiegelte. Sofort setzte ich mich wieder gerade hin und war schon ein wenig beeindruckt davon, dass Herr Holm scheinbar sogar Augen im Hinterkopf hatte.
      Nach ein paar Minuten wendete er sich dann wieder mir zu. Der Galopp funktionierte um Längen besser, was sicherlich auch daran lag, dass es die Paradedisziplin meiner Stute war. Bis auf ein paar Kleinigkeiten, hatte Herr Holm kaum etwas auszusetzen und so verließen Samu und ich die Halle.
      “Weißt du Lina, wir zwei werden jetzt noch eine kleine Runde um den Hof drehen, bevor ich die wieder in dein Chaos lasse. Du solltest dir jetzt erst mal einen Moment der Entspannung gönnen. Wenn dann die Pferde versorgt sind, helfe ich dir lieber beim Packen. Nicht das du noch Teil des Chaos wirst”, scherzte Samu gut gelaunt.
      “Ich bin schon lange ein Teil davon”, antwortete ich ihm erschöpft. Obwohl die Sitzstunde nur 20 Minuten lang war, hatte sie mir doch einiges abverlangt. Für gewöhnlich schummelte ich mich um das Aussitzen im Trab herum, was auch im normalen Alltag recht funktionierte.
      “Also für mich siehst du noch sehr eigenständig und real aus. Und...”, sagte er und begann mich anzustupsen “du fühlst dich auch eindeutig noch so an”, bestätigte Samu.
      “Schön, dass ich noch keine Einbildung bin. Dachte schon, ich wäre nur in deinem Kopf und du würdest nun langsam verrückt werden”, kommentierte ich das ganze. “Wundern würde es mich nicht”.
      “Was wills du denn jetzt damit sagen?”, fragte mein bester Freund ein wenig beleidigt.
      “Gar nicht. Wobei…, wenn du nicht bald anfängst, dir weitere Freunde zu suchen brauchst du vielleicht wirklich noch eingebildete Freunde, denn ich werde bald nicht mehr da sein”, antworte ich ihm unschuldig.
      “Also bitte, ich habe Freunde”, protestierte er entrüstet.
      “Und warum sieht man die hier so selten?”, fragte ich nach. Daraufhin sagte er nichts mehr.
      “Aber jetzt mal ehrlich Samu, du solltest mal herausgehen und Leute kennenlernen und damit meine ich näher kennenlernen. Wie kann es sein, dass ein so netter Kerl wie du gerade mal eine einzige Beziehung in 25 Jahren hatte”
      “Vielleicht weil ich genug damit zu tun hatte, dich vor Dummheiten zu bewahren?”, gab er nun schlagfertig zurück. Damit hatte er zwar irgendwo recht, aber wenn man es genau nehmen wollte, hatte ich ihn nie darum gebeten.
      “Dann ist es ja gut, dass du das jetzt nicht mehr tun musst. Aber jetzt lass uns noch ein wenig Spaß haben, wer als Erstes Oben ist”, beendete ich das Thema und ließ meine Stute antraben. Wir hatten unsere Lieblingsgaloppstrecke erreicht, den Wiesenweg den Hügel hinauf. Nathalie wusste schon was nun kommen würde, denn mit gespitzten Ohren fiel sie erst in den Trab, bis sie dann schließlich in einen fetzigen Galopp überging.
      “Ey, das ist unfair”, hörte ich Samu rufen, der seine Stute nun auch an treib. Obwohl Ice Rain sich echt Mühe gab Nathalie einzuholen, erreichte ich als erste den Hügel. Oben hielt ich meine Stute an und blicke die Anhöhe hinunter. Unter uns erstreckte sich der Hof und es war einfach ein wunderschöner Ausblick.

      Juha
      Linh und ich holten zusammen ihre Stute wieder hoch zum Stall, da sie mit Milena gleich zum Training wollte. “Bist du dir sicher, dass ich gehen soll?”, fragte ich sie erneut, als Linh ihre Stute in der Stallung anband. “Denke ja, schließlich schien ich die vergangene Woche nicht mehr aktuell zu sein und lebe immer noch”, antwortete sie, ohne mich anzuschauen. Stattdessen putzte sie ihre Stute und sagte nicht mehr. Ich verabschiedete mich und verschwand wieder ins Zimmer. Es fehlte mir die Beschäftigung, denn irgendwem hinterherzulaufen gehörte normalerweise nicht zu meinen Hobbys. Meinen Computer konnte ich schlecht mit hernehmen, außerdem hatten wir es alle fast wieder geschafft in das alte Leben zurückzukehren. Obwohl Kanada wirklich schön war, vermisste ich Schweden und besonders die Leute. Alle handelten komisch, als würde die Welt untergehen, wenn man sich alltäglich verhielte. Natürlich nahm ich mich dem auch an, um nicht zu dem anderen Teil des Vereins zu gehören, die sich nach hinten zogen und keinesfalls das Rampenlicht des Erfolgs genossen.
      Eh ich mir weiter Gedanken machte über das Leben und wieder im Strudel des Selbstmitleids landete, musste ich mich ablenken. Kaum schlief Niklas wo anderes, sah das Zimmer aus wie ein Hotelzimmer. Seine Sachen schmiss ich vergangenen Abend einfach zusammen in den Koffer und stellte ihn in den Schrank. Sogar sein Bett machte ich, um Linh nicht wieder in der Unordnung zu begrüßen. Auf dem Tisch lagen die ersten Entwürfe meiner Kür mit Amy. Da die junge Stute noch nicht allzu lange im Training ist, musste ich mir etwas einfaches Ausdenken. Im Vergleich zur A-Dressur, die wir bisher immer ritten, wollte Herr Holm, dass ich langsam mal zur L wechselte. Versammlungen im Trab und Galopp beherrschte sie bereits, auch der einfache Galoppwechsel war keine Neuheit. Allerdings lag mein Augenmerk mit ihr im Springen, was ihre Abstammung auch deutlich mehr hergab. Umso schwieriger erschien es mir, eine Kür auszudenken, die auf den Punkt passend zur gewählten Musik passte. Zum Glück bestand die Wertung darin, die Balance, Harmonie und Durchlässigkeit des Pferdes, was Amy bisher sehr zuverlässig zeigte. Ihre Konzentration lag darin, sich auf meine Hilfen zu verlassen. Selbst denken wäre eine Schwierigkeit für Scheckstute, denn schon beim Einreiten achtete ich stets darauf, dass sie meinen Hilfen genau folgte. So wurden wir zu einem guten Team, in dem jeder sich auf den anderen verlassen konnte. Früher hätte ich das noch über Niklas sagen können, doch mittlerweile zweifelte ich daran. Wir saßen gemeinsam bereits einige Stunden an der Kür für mich und Amy, dennoch fehlte er gerade. Im Springen hätte ich einen wunderbaren Parkour aufbauen können inklusive Galoppsprüngen, die zwischen den einzelnen Hindernissen sein sollten, sowie Dekoration oder einem Motto. Doch danach fragte natürlich niemand. Obwohl wir das Eventing Team waren, empfand ich das Gleichgewicht des Trainings als fragwürdig. Erst zweimal besuchten wir bisher den Springplatz, doch täglich mussten wir uns in der Dressur abrackern. Als wir uns entscheiden sollten, ob wir mitkommen oder nicht, sprachen die Veranstalter noch ganz anderes über das Training. Von einer individuellen Ganztagsbetreuung von Pferd und Reiter war die Rede, sowie kontinuierlicher Weiterentwicklung in der Beziehung zueinander. Wer auch immer diesen Flyer erstellt hatte, sollte sich schämen. Das Einzige, was sich weiterentwickelte waren, wohl die Beziehungen untereinander, die teilweise uns in Gruppen drängten und andere sogar fallenließ. Jetzt konnte ich das auch nicht mehr ändern. Bevor ich mich wieder an die blöde Dressur setzte, entschied ich erstmal wieder herunterzukommen. Ich wechselte meine Hose wieder, warf auch mein Shirt zur Seite und verließ samt meinem Buch das Zimmer, um mich in die Sonne zu legen. Eine Decke legte ich auf den Rasen, stütze mich mit meinen Unterarmen ab und begann das Kapitel erneut zu lesen. Die Sonne brannte auf meinem Rücken, was meinen aktuellen seelischen Zustand ziemlich gut widerspiegelte.

      Lina
      “Na, woran denkst du gerade?”, fragte mich Samu der nun auch auf dem Hügel angekommen war.
      “Irgendwie vermisse ich unsere Heimat, auch wenn es hier durchaus sehr schön ist. Hier fehlt aber so viel. Das Meer, die salzige Luft und sogar die nervigen Möwen”, erklärte ich nachdenklich.
      “Ja, das kann ich verstehen. Aber nervige Möwen und Meer sollten in Schweden zu finden sein”, versuchte mich ein Freund von mir aufzumuntern.
      “Niin on”. Einen Moment lang standen wir noch schweigend auf dem Hügel und ich genoss den Ausblick. Die Sonne brannte vom Himmel und nicht eine einzige Wolke war zusehen.
      “Ich möchte dich ja nicht in deiner Ruhe stören, aber so langsam sollten wir zurückreiten, sonst schmelzen wir hier oben noch”. Samu deutete auf das dunkle Fell meine Stute, wo sich langsam kleine Rinnsale bildeten.
      “Na gut, genug geschaut.” Ich wendete meine Stute und ließ die den Hügel hinabgehen, Samu folgte mir mit Ice Rain.
      Zurück auf dem Hof stieg ich von meiner Stute ab und zog ihr den Sattel vom Rücken, dunkel zeichnete sich die Stelle ab, auf der er gelegen hatte.
      “Ich bringe sich direkt auf die Koppel, kommst du mit?”, fragte ich Samu, der noch auf Ices Rücken saß.
      “Jap. und wenn die zwei hübschen hier auf der Koppel sind, werde ich dir mal bei deinem Chaos helfen, sonst sieht man dich heute wohl nie wieder”, scherzte er und ließ sich aus dem Sattel gleiten.
      “Erinnere mich bloß nicht daran”, seufzte ich.
      Gemeinsam brachten wir die beiden Stuten auf die Koppel und räumten ihr Sattelzeug weg, bevor wir 10 Minuten später wieder in meiner Wohnung standen.
      Leider hatte es sich nicht von selbst aufgeräumt.
      “Was genau sollte das eigentlich werden?”, fragte Samu als er hinter mir durch die Tür trat.
      “Naja, erst wollte ich nur aufräumen … und dann ist mir eingefallen, dass ich in 3 Tagen das Land verlasse. Also habe ich versucht zu überlegen, was ich einpacke, … Aber du siehst ja das hat eher so semi-gut funktioniert”, erklärte ich.
      “Und dieser Stapel da soll darstellen, was du mitnehmen möchtest?”, fragte er und betrachtete den Haufen auf dem Bett mit einem kritischen Blick.
      “Ja?”, bestätigte ich und sah ihn unsicher an.
      “Also, die hier”, sagte Samu nun und nahm einen Stapel Bücher vom Stapel runter, “wirst du schon mal hierlassen, es gibt E-Books.”
      ”Aber echte Bücher sind viel schöner zum Lesen”, protestierte ich.
      “Aber erstens, ist dein Koffer voll, wenn du die alle Einpackst und zweitens sind sie ja nicht für immer verloren”, ließ sich Samu nicht davon abbringen die Bücher wegzulegen. “Du solltest packen als würdest du in den Urlaub fahren, solltest du dich dann tatsächlich dazu entschließen in Schweden zu bleiben, werden wir schon einen weg finden dir deinen Kram hinterherzuschicken, also packe als würdest du für einen Urlaub packen.” Mein bester Freund machte nicht den Eindruck als würde nachgeben und irgendwo hatte er ja recht.
      “Ok, darf ich dann wenigstens mein Lieblingsbuch mitnehmen? “, sagte ich und griff nach dem obersten Buche auf dem Stapel. Samu protestierte nicht, also nahm ich das als Ja.
      “Du solltest beim Koffer packen immer mit dem wichtigen Anfangen und ich denke, sofern du nicht nackt herumlaufen möchtest, sollte das wohl die Kleidung sein.” Samu stellte sich vor meinen Kleiderschrank und sah mich erwartungsvoll an.
      “Na los, oder willst du, dass ich das mache?”, forderte er mich auf als ich mich nicht bewegte. Nein, besser sollte ich das selbst machen. Ich wollte ja nicht sagen, dass Samu nicht stilvoll war, aber sein modisches verständiges wich doch ein wenig von dem Meinen ab. “Nein, das mache ich lieber selbst”, antworte ich ihm und begann in meinen Kleiderschrank zu wühlen und die Kleidung, die ich mitnehmen wollte auf dem Boden zu stapeln.
      “Na, da will, ich mal sehen, wie du das alles in deinen Koffer bekommen willst”, murmelte Samu ließ mich aber erst einmal machen. Neben Reitklamotten wanderten auch noch Shirt, Tops, Hosen und weitere wichtige Klamotten auf den Stapel. Als ich gerade dabei war einen weiteren Pullover dazuzutun, hatte Samu allerdings wieder etwas einzuwenden: “Pysähdy! Du glaubst auch, in Schweden gibt es keine Waschmaschinen, oder? Außerdem ist es Sommer, du brauchst keine 5 Pullover Lina.”
      Ich wollte schon protestieren, doch er sah mich mit einem Blick an, der keinen Widerstand duldete, somit legte ich den Pullover also wieder weg.
      “Ich glaube, das reicht so”, verkündete ich einen Moment später. Auf dem Stapel befanden sich nun alle Klamotten, die ich für wichtig hielt, natürlich mit Ausnahme der, die ich noch brauchten, würde.
      “Ok, dann ist der nächste Punkt, die Sachen die noch so brauchst. Deinen Laptop solltest du auf jeden Fall mitnehmen und denke auch an so was wie Kopfhörer, Ladekabel all so ein Zeug”, wies er mich an.
      Also ging ich als Erstes ins Wohnzimmer, wo mein Laptop und mein Tablet waren. Neben den beiden Geräten sammelte ich auch noch das nötige Zubehör ein. Es wanderten noch solche Dinge wie ein Handtuch, meine kleine Reiseapotheke, die nötigsten Schuhe, auch hier verbot mir Samu unnötig viel einzupacken, und natürlich folgte auch mein Zeichenzeug.
      “Ich glaube das müsste dann alles sein, von dem was ich nicht mehr brauche”, verkündete ich, als ich alles zusammengetragen hatte.
      “Ja fast. Etwas Wichtiges hast du noch vergessen.”
      “Was den bitte?”, fragte ich verwundet und sah mir den Haufen noch einmal ganz genau an, aber ich kam nicht darauf.
      “Na deine Papiere, sonst werden sie dich werde hier aus dem Land lassen noch dort ins Land”, sagte Samu erheitert.
      “Lachst du etwa über mich?”, fragte ich vorwurfsvoll.
      “Nein, ich lache mit dir, nicht über dich”, sagte er unschuldig und das Grinsen auf seinem Gesicht wurde nur noch breiter.
      “Ich finde das nicht nett, dass du mich an meinen Problemen erfreust”, sagte ich ein ganz klein wenig beleidigt, während ich meine Papiere aus der Schublade zog.
      “Wie soll das alles eigentlich in diesen Koffer da passen?”, fragte ich dann kurz darauf, denn mir leuchtete noch nicht ein, wie diese ganzen Dinge dort hineinpassen sollten.
      “Ganz einfach, mit der richtigen Technik”, antworte Samu und setzte sich neben meinem Koffer auf den Boden, wo er begann die ersten Dinge hineinzupacken.
      “Gerade so was hier”, er hielt einen Pullover in der Hand ”kannst du wunderbar klein machen, wenn du es zusammenrollst”, erklärte er und demonstrierte das ganze auch so gleich. Mit Erstaunen musste ich eine halbe Stunde später feststellen, dass dieser und andere Tipps, die er mir noch gab, tatsächlich dazu führte, dass alles in den Koffer passte. Ein paar Sachen waren zwar auch ins Handgepäck gewandert, doch das meiste hatte seinen Platz im Koffer gefunden.
      “So, wenn du jetzt noch unbedingt ein weiters Buch einpacken möchtest, kannst du das gerne noch tun”, verkündete er und verstaue noch ein Socken paar.
      Doch statt zu einem weiteren Buch griff ich nach der Shadowbox die auf dem Regal stand. Darin einige Bilder und Erinnerungstücke an das Pferd was mir damals so viel bedeutete.
      “Damit ich mich wenigstens ein wenig heimisch fühlte”, ergänzte ich erklärend als ich den Gegenstand in den Koffer legte.
      “Eindeutig eine bessere Entscheidung als ein weiters Buch”, lobte Samu mich. “Und jetzt räumen wird noch den Rest auf und dann solltest du dich um deine restlichen Pferde kümmern”, fügte er hinzu.
      Nach einer halben Stunde hatte ich es mit Samus Hilfe dann auch noch geschafft das Zimmer wieder in einen bewohnbaren Zustand zu versetzen. Ich wollte mich gerade auf den Weg nach unten machen, als ich Hazel ins Haus kommen hörte: “Äh Jayden, hast du Lina irgendwo gesehen?” Am liebsten wäre ich geradewegs wieder in mein Zimmer gegangen, aber Samu hatte bereits den Weg die Treppe runtergenommen.
      “Sie wollte gerade herunterkommen”, hörte ich seine Antwort. Jetzt hatte ich wohl kaum eine andre Wahl als ihm zu folgen.
      “Ahh, da bist du ja”, kam es direkt von Hazel, als sie mich erblickte. “Du wolltest mir noch mal das Reitschulzeug erklären”, ergänzte sie fordernd.
      “Natürlich” murmelte ich ergeben und ging voran in das kleine Büro. Dort erklärte ich ihn noch mal das gesamte Konzept der Reitschule, das Abrechnungssystem und alles, was sie wissen musste. Nach einer Stunde, in der sie unendlich viele Fragen gestellt hatte, hatte sie endlich genug.
      “Ok, ich glaube, ich habe alles verstanden. Aber jetzt musst du noch dein zweites Versprechen einlösen”, verkündete sie und stand auf. “Ich geh schon mal vor, ich erwarte dich in 20 Minuten im Stall.” Schon war sie aus dem Büro verschwunden. Uff, dann würde ich heute wohl wirklich auf ein Westernpferd steigen.

      Auf der Stallgasse erwarte mich bereits Hazel, die Blue Heart auch bereits gesattelt hatte. “Na, Trensen schaffst du wohl selbst, denke ich mal”, sagte sie und drückte mir Blues Trense in die Hand. Ich begrüßte die Stute, bevor ich sie auftrenste und dann ging es auch schon auf den Reitplatz.
      “Und wie muss ich sie jetzt reiten?”, frage ich Hazel ein wenig verwirrt, als ich auf der Stute saß.
      “Wir fangen erst mal mit deiner Zügelhaltung an. Blue hat jetzt ein Snaffel Bit drin, das wird eigentlich immer zweihändig geritten, das machst du schon ganz richtig. Aber du musst deine Hände viel weiter auseinandernehmen”, erklärte sie und schob meine Hände ein ganzes Stück weiter auseinander. “Und nimm den Finger da Weg, im Western machen wir eine Faust um den Zügel.” Aufmerksam befolgte ich ihre Anweisungen.
      “Wenn du jetzt losreiten möchtest, gibt du einen kurzen Impuls mit dem Bein und schnalzte dabei, dann läuft sie los, anhalten tust du dann wieder, wenn du Woha sagst.”
      Nachdem Hazel mir die Bedienungsanleitung für die Stute geliefert hatte, probierte ich sie loszureiten, was auch fast funktionierte.
      “Lass deinen Schwerpunkt ein bisschen weiter vorne, sonst läuft sie Rückwärts”, korrigierte Hazel mich und diesmal lief das Quarter Horse wirklich los.
      “Genau gut so, aber treib nicht jeden Schritt das Pferd soll selbstständig, so lange weiterlaufen, bis du etwas anderes sagst.”
      Es war ziemlich ungewohnt nicht jeden Schritt zu treiben und auch das Tempo der Stute, kam mir recht langsam vor.
      “Ist das richtig, dass mein Pferd gefühlt einschläft”, fragte ich deshalb nach.
      “Ja, das Tempo ist vollkommen korrekt so. Das ist Trail Pferd kein Rennwagen”, antwortete Hazel lachend. Da ich nun bestimmt schon drei Runden am Zaun entlang geritten war, wollte ich nun versuchen die Stute auf einen Zirkel zu lenken. Ich versuchte es mit den normalen Hilfen, doch an Blues Ohren konnte ich sehen, dass das nur zur Verwirrung der Stute beitrug.

      Milena
      „Ihr wart wieder super zusammen“, sagte ich zu Linh mit der von der Reitstunde zurücklief. Kempa konnte sich auch sehen lassen. Sie brauchte immer ihre Zeit, um sich in neue Umgebungen einzufinden, deswegen war es schade, dass wir bereits in wenigen Tagen wieder nach Hause flogen. Im Gegensatz zu Vriska hatte ich mich auch schnell in die Gruppe integriert und neue Kontakte geknüpft, auch wenn es den Effekt hatte, dass ein Messer sich zwischen uns trieb.
      „Wie geht’s es Anna?“, tippte mich Linh an. Sie fragte eindringlich, als hätte ich es beim ersten Mal nicht gehört.
      „Ganz gut, schätze ich. Zumindest so gut, wie es einem in der Situation gehen kann. Ich versuchte sie davon abzuhalten, aber du kennst Anna ja. Das ist gar nicht so leicht. Sie vermisst ihr Pferd“, antwortete ich ihr. Anna und ich telefonierten jeden Abend, obwohl mir davon abgeraten wurde. Sie fehlt mir, besonders nach dem sie mir das ein Gefühl von zu Hause gab, endlich etwas gefunden zu haben das man bedingungslos liebte. Doch war es bereits Liebe? Wenn ich Nacht zurückdachte, stellten sich meine Haare hoch und eine wohltuende Wärme breitete sich im ganzen Körper aus. Ein Kribbeln durchzog meinen Bauch und es fühlte sich an, als würde kleine Schmetterlinge um meinem Kopf herumfliegen. Es war so echt, echter als alles was ich je fühlte.
      “Du vermisst sie auch, oder?”, fragte Linh vorsichtig. Ich nickte und blickte leer in den Himmel. Die Sonne brannte in meinen Augen und ließ mich den Blick wieder zu meinem Pferd richten. Kempa schubberte ihren Kopf am Holz, nach dem ich die Trense entfernte. Sie schwitzte und die Haare verfärbten sich Dunkel um ihre Augen herum. Wenn ich sie mit Móra verglich, hatte meine Stute viel mehr Fell und bereitete sich schon auf niedrige Temperaturen vor. Zum Rasieren war es zu spät, denn dann würde sie im Herbst kaum noch nach treiben.
      “Komm wir bringen die Pferde weg und dann setzen wir uns an den Reitplatz, ich habe da jemand auf einem Westernsattel entdeckt. Das konnte ich bisher nie sehen so nah”, freute sich Linh und lief mit ihrer Stute los. Kempa brauchte einige Sekunden, eh sie mir folgte.
      “Und ihr beide? Was läuft da”, grinste ich die Schwarzhaarige an, auf dem Weg zur Weide.
      “Ju und mich meinst du? Das fing bereits vor dem Camp an, aber wir wollten dann erst mal gucken. Irgendwas war dann und er kam wieder an”, erzählte sie mir mit einem Lächeln.
      “Weißt du nicht was passiert ist?”, hinterfragte ich und wollte unbedingt wissen, ob es mit Vriska zu tun hatte. Denn vor einigen Tagen lief es zwischen den Beiden noch ziemlich gut und jetzt sprachen sie nicht einmal mehr miteinander. Ich würde sogar behaupten, dass sie sich auf dem Weg gingen. Allerdings nahm sich Vriska überall heraus und hielt nur den nötigsten Kontakt zu allen.
      “Nein, ich habe auch nicht gefragt. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass es mir auch egal ist. Dass er mit Vriska kurz was hatte, nehme ich ihm auch nicht übel. Schließlich sehen wir die ja eh nicht mehr”, gab sie zynisch zu. Linh verdrehte dabei die Augen und öffnete das Tor des Zauns. Ich zog das Halfter meine Stute ab und sie trabte weg. Móra lief einige Schritte und warf sich in den Dreck.
      “Ich werde sie wohl schon noch sehen, aber sagt mal. Denkst du die beiden haben miteinander geschlafen? Weil naja. Nicht nur ich sah, dass etwas nicht stimmt und Herr Holm hat in der Halle auch gescherzt. Im Stall verschwand sie mit Chris und ich konnte nicht wirklich was verstehen”, fragte ich hartnäckiger nach. Mir kam das alles komisch vor.
      “Milena, sei doch nicht immer so neugierig. Aber tut mir leid, ich weiß es nicht aber kann es mir auch nicht vorstellen. Er ist nicht der Typ dafür. Mit Chris hatte sie sicher auch nichts, vielleicht fragst du sie einfach mal, anstatt dich bei allen nach ihr zu erkundigen. Das wäre menschlich auch freundlicher”, tadelte Linh.
      “Du hast recht, aber ich habe keine Lust mit ihr zu sprechen.”
      “Trotzdem interessiert dich noch, was sich in ihrem Leben abspielt. Also spring über dein Schatten oder ignoriere sie vollkommen.”
      Linh nahm mir das Halfter ab und brachte beide in den Stall. Ich wartete auf sie. Zusammen setzten wir uns an den Reitplatz, auf dem Linh mit einem Quarter beschäftigt war. Wirklich elegant wirkten beide nicht, das Pferd wollte sich entfalten aber hatte Schwierigkeiten dabei, da seine Reiterin es daran hinderte. Ich selbst würde vermutlich nicht besser im Sattel sitzen, deswegen klemmte ich mir weitere Kommentare. Linh blickte interessiert und fieberte förmlich mit.
      “Wenn du fragst, darfst du sicher auch mal rauf”, sprach ich zu ihr leise, damit wir dem Unterricht nicht störten.
      “Denkst du wirklich?”, fragte Linh. Ich nickte und zog gleichzeitig nicht wissend meine Schultern hoch. Dann band ich mein Shirt mit einem Knoten durch meinen BH nach oben. Der Schweiß lief meinem Rücken herunter, was bei solchen Temperaturen auch nicht unüblich war.

      Lina
      Inzwischen hatte ich die grundlegende Lenkung der Stute halbwegs verstanden, aber trotzdem war ich noch weit entfernt davon entfernt eine einwandfreie Kommunikation mit der Stute zu haben. Beim Vorbeireiten sah ich, dass Milena und Linh am Zaun standen.
      Das machte mich ein wenig nervös, denn ich sah ziemlich sicher nicht gerade elegant aus, wie ich so mit der Stute über den Platz ritt.
      “So da das mit dem Traben doch schon ganz gut aussieht, probieren wir doch mal den Galopp aus. Reite mal hier auf den Zirkel und galoppiere sie an, die Hilfe ist im Prinzip dieselbe wie beim englischen Reiten. Wichtig ist nur, du musst den Zügel komplett vorgeben und zusätzlich zur Schenkel- und Gewichtshilfe musst du das noch mit einem Küsschen unterstützen. Denk dran, wenn sie galoppiert, nicht weitertreiben, aber das Bein bleibt dran”, erklärte Hazel, während ich im Trab um sie herumritt. Entsprechend ihrer Anleitung Konzentrierte ich mich auf die Hilfe. Tatsächlich reagierte die Stute auf den Impuls und galoppierte brav an. Auch in dieser Gangart wurde mir vor allem das langsame Tempo bewusst. Der Galopp war ebenfalls ungewohnt flach und hatte recht wenig Schwung, was allerdings den Vorteil hatte, dass es erstaunlich leicht zu sitzen war.
      “Gut machts du das. Du kannst sie jetzt auch ruhig ganze Bahn galoppieren”, lobte Hazel. Mithilfe des Zügels und des Gewichtes stellte ich die Stute wieder gerade und galoppierte sie ganze Bahn. Wir hatten zwar nur den dritten Hufschlag getroffen, aber dennoch war ich schon froh darüber die Stute wieder aus dem Zirkel bekommen zu haben.
      “So ich denke, das reicht für den Anfang du darfst wieder durch Parieren”, rief Hazel mir nach 3 Runden um den Platz zu.
      “Woha”, sagte ich zu Blue, um sie anzuhalten, wie Hazel es mir erklärt hatte, doch scheinbar hatte ich irgendetwas nicht ganz richtig gemacht, denn statt in den Trab zu fallen ging die Hinterhand der Stute runter und sie legte eine Vollbremsung hin.
      “Oh, das hätte ich dir vielleicht noch sagen sollen, dass Woha stehen bleiben heißt, nicht durch Parieren”, sagte Hazel und lachte. “Aber du hast gerade einen einwandfreien Sliding Stopp gemacht, nicht schlecht für ‘n Anfänger. Reite sie noch ein paar Runden Schritt und dann darfst du absteigen.”
      Nachdem ich mich wieder sortiert hatte, nach dies sehr plötzlichen Anhalten, trieb ich die Stute in den Schritt.
      “Das ist ja gar nicht so leicht wie es immer aussieht”, sagte ich anerkennend zu Hazel. „Ist ja doch ganz schön anstrengend”.
      “Da siehst du mal, es ist nämlich nicht einfach nur draufsitzen”, antworte Hazel fröhlich.
      “Ich denke ich werde trotzdem beim Englischen reiten bleiben, das hier kommt, mir vor wie eine Fremdsprache”. Tatsächlich war ich mir, während dieser Reiteinheit wie ein Anfänger vorgekommen, der das erst mal ohne Longe reiten darf. Offensichtlich war diese halbe Stunde für mich anstrengender gewesen, als für die Stute, denn mir der Schweiß den rücken hinunterlief, war das Fell der Quarterstute noch nahezu trocken. Entspannt schritt Blue Heart noch ein paar Runden mit mir über den Platz, bevor ich sie neben Hazel anhielt und aus dem Sattel glitt.
      “Soll ich sie wegbringen?”, fragte ich sie und zog der Stute die Zügel vom Hals. Milena schubste Linh nach vorn, die offenbar etwas zu sagen hatte: “Ich würde gern mal, wenn ich darf.”
      “Klar, gerne die Maus kann noch ein wenig Bewegung gebrauchen”, antwortete Hazel ihr freundlich und nahm mir die Zügel aus der Hand. Ich verließ den Platz, denn ich konnte Samu entdecken, der gerade mit Elf Dancer von einem Ausritt zurückkam. Er hatte mich scheinbar auch entdeckt, denn er hielt den Hengst an und wartete, bis ich zu ihm gestoßen war.
      “Na, hast du auf einmal die Sparte gewechselt?”, fragte er scherzend.
      “Nein, das war eine der Bedingungen, dass Hazel aufhört mir auf die Nerven zu gehen. Irgendwie hat es Spaß gemacht, aber es war echt anstrengend”, antwortete ich ihm.
      “Dann wollen wir mal hoffen, dass es nicht zu anstrengen war, denn soweit ich weiß, warten da noch ein paar Pferde auf deine Aufmerksamkeit”, erinnerte er mich und trieb seinen braunen Hengst wieder in den Schritt.
      “Ja, ich weiß doch”, erwiderte ich und begleitete ihn zum Stall.

      Milena
      Linh stieg auf die Stute und machte direkt eine gute Figur. Locker hingen die Beine in den Bügeln und ich konnte mich darauf verlassen, dass Hazel und Linh das ohne mich schafften. Ich hoffte darauf, dass Lina zu mir kam, doch stattdessen kam Samu mit einem braunen Hengst wieder. Dem Zustand des Pferdes zufolge, waren sie ausreiten, denn in der Halle war noch betrieb und auf dem Platz waren wir. Springen auf dem anderen Platz würde bei dem Wetter sicher niemand. Mit großen Schritten und leichter gebeugten Haltung schlich ich mich zum Stall, um keinen der Beiden zu erschrecken. Bevor ich fragte, atmete ich tief durch und machte mit einem Räuspern auf mich Aufmerksam.
      “Samuuuuuu? Sag mal. Hast du mit Vriska geschlafen?”, fragte ich fest überzeugt auf der richtigen Spur zu sein.
      “Nein! Wie kommst du denn da drauf”, antworte er ein wenig erschüttert und ließ beinahe das Halfter fallen, welches er seinem Pferd gerade überstreifen wollte. Lina, die immer noch danebenstand, warf ihm einen fragenden Blick zu.
      “Ach man, ich spürte da so etwas zwischen euch. Sie saß heute echt komisch auf dem Pferd, genau wie ich vor ein paar Jahren als ich das erste Mal mit meinem Freund schlief. Ich will unbedingt wissen, wem sie die Ehre erwiesen hat. Sagen würde sie es mir sicher nicht. Aus dem Verein konnte ich bisher eine Vielzahl ausschließen, deswegen dachte ich an dich. Na gut, danke für deine Ehrlichkeit. Lina, weißt du was?”, wendete ich mich dann der noch immer schockiert blickenden Lina zu, die weit die Augen aufgerissen hatte.
      “Nein ich höre das heute zum ersten Mal”, antworte sie. Der Wortwitz brachte mich zum Lachen.
      „Na gut, dann werde ich weiter fragen“, verabschiedete ich mich.
      “Warum möchtest du das überhaupt wissen? Meinst du nicht Vriska ist alt genug selbst zu entscheiden, was sie tut?”, frage Samu tadelnd. Ich drehte mich wieder um, um ihm eine Antwort zu geben: „Sagen wir es mal so, ich bin wie Wikipedia. Ich muss alles wissen. Sie kann machen was sie will, aber ich will’s einfach wissen. Damit ich weiß, wer tabu ist. Ich will nicht mit ihr irgendwann im Leben den gleichen Kerl teilen. Chris scheint es zu wissen, dementsprechend muss es doch jemand aus dem Verein sein. Da er sich mit eigentlich jedem gut versteht, ist es schwer daraus Schlüsse ziehen zu können“, erklärte ich.
      “Ah ja, du scheinst ja viel von Vriska zu halten. Na, dann geh mal deine Forschungen weitermachen, aber an deiner Stelle würde ich mich nicht wundern, wenn niemand mit dir reden will. Die meisten schätzen es nicht besonders, wenn man in der Privatsphäre von anderen herumschnüffelt”, kommentierte Lina zynisch.
      “Ich recherchiere. Wenn ich der Messengergruppe der Jungs wäre, wüsste ich sicher schon wen. Schließlich teilen die alles miteinander”, erklärte ich den Beiden. Lina sollte auch Wissen, worauf das mit Niklas hinlaufen würde. Dass sie einander damit angeben, wer wen hatte, wird sich nicht innerhalb kürzester Zeit ändern.
      “Ja und mit dir wollen sie es offensichtlich nicht teilen” antworte nun Sam. Lina war anzusehen, dass sie noch über den letzten Satz nachzudenken schien.
      “Offensichtlich hat das mehr mit meinem Geschlecht zu tun als mit mir”, verteidigte ich mich gegenüber Samu. Ob er auch in der Gruppe war? Vorstellen konnte ich es mir beim besten Willen nicht.
      “Da wäre ich mir nicht so sicher”, hörte ich Lina murmeln, die gerade dabei war die Gamaschen von den Beinen des Pferdes zu entfernen.
      “Ach jetzt sei doch nicht so unverschämt, nur weil Niklas dich noch nicht rangelassen hat”, fauchte ich und verschwand aus dem Stall. Weiteres wollte ich mir nicht anhören, denn ich hatte eine Aufgabe. In der Vereinsgruppe guckte ich alle Kontakte durch, um evaluieren zu können, wenn ich als nächstes ansteuern würde. Klein Olof, Finley und Björn schloss ich kategorisch aus, auch Ambrose war nicht ihr Typ. Somit bliebe noch Max, der allerdings nicht viel mit Chris zu tun hatte. Es konnte nur Chris sein und ich machte mich auf den Weg zu seinem Zimmer.


      © Mohikanerin, Wolfszeit | 96.607 Zeichen

    • Mohikanerin
      Nationalteam XI | 08. Mai 2021
      Nabuko// El Pancho// HMJ Divine // Legolas // Herkules // Elf Dancer
      Blávör // Snotra // Satz des Pythagoras // Glymur // Northumbria


      Lina
      Irgendwo traf mich ihr Kommentar ein wenig, auch wenn es mir bei Niklas um viel mehr ging. Es war viel mehr die Tatsache, dass Niklas scheinbar irgendetwas an ihr gefunden hatte und irgendwo hoffte ich, dass es eine Geschmacksverirrung war.
      “Sag mal sehe ich wirklich so aus, als würde ich mit jedem schlafen?”, lenkte mich Samu von meinen Gedanken ab. Diese Frage brachte mich zum Lachen. Es erstaunte mich immer wieder, dass mein bester Freund gar nicht zu registrieren schien, wie gut er eigentlich aussah.
      “Ach Samu, du bist putzig. Hat dir eigentlich noch nie jemand erklärt, dass du ein gutaussehender Mann bist?”, versuchte ich ihm zu erklären. Er sah mich ein wenig verwirrt an, bevor er nachfragte: “Und was hat das mit meiner Frage zu tun?”
      “Na, das ist doch ganz einfach. Männer, die aussehen wie du verhalten sich in den meisten anders. Zwar auch durchaus freundlich, aber auf einer ganz anderen Ebene, wenn du verstehst”, versuchte ich ihm zu erklären und musste mir schon sehr Mühe geben, um mich nicht allzu sehr über seine Unwissenheit zu amüsieren. Mir war ja klar, dass er nicht gerade der Womanizer ist, aber dass er so ahnungslos ist, hätte nicht mal ich erwartet.
      Diese Botschaft hatte er offensichtlich verstanden, dennoch schien er es nicht nachvollziehen zu können.
      “Aber das ist doch scheiße, wenn es immer nur um Sex geht”, stellte er fest.
      “Ja, das ist richtig und deshalb ist es schön zu sehen, dass es auch Männer wie dich gibt”, sagte ich lächelnd.
      “Ich hoffe mal, das sollte ein Kompliment sein”, antwortete er und zog den Sattel von seinem Hengst.
      “Ja, sollte es. Du solltest trotzdem mehr rausgehen und Leute kennenlernen. Aber genug Lebensweisheiten fürs Erste auf mich warten noch ein paar Pferdchen. Könntest du Legolas bitte gleich für mich in die Führanlage stellen?”, fragte ich und deutete auf den lackschwarzen Hengst, der freundlich den Kopf über die Boxentür streckte.
      “Ja, klar ich muss eh noch Sky da reinstellen”, bekam ich eine freundliche Antwort von Samu.
      “Danke, du sparst mir wertvolle Zeit”, verabschiedet mich und verschwand zum Paddock auf dem Nabuko und El Pancho ihr Heu genossen.
      Da ich dank des Chaos in meinem Zimmer und Hazels Reitstunde heute schon viel, zu viel Zeit verschwendet, hatte, beschloss ich die beiden Pferde einfach nur laufen zu lassen. Ein Blick auf den Hallenbelegungsplan verriet mir, dass die Longierhalle frei war. Somit schnappte ich mir als Erstes den Haflinger, der mir ein wenig aufgedreht zu Halle folgte. Auf dem Weg dorthin, begegnet ich Jace, der gerade mit Herkules die Halle verließ. Er ignorierte mich immer noch vollkommen. Sollte er doch, eigentlich hatte ich zwar vor mit ihm befreundet zu bleiben, aber wenn er nicht wollte…
      Sobald ich Nabuko in der Halle frei ließ, begann er auch schon energiegeladen durch die Halle zu flippen.
      “Laaangsaam Blondie”, bremste ich den Hengst mit der Stimme aus, denn er sollte sich erst einmal im Schritt aufwärmen, bevor er bocken durch die Halle sprang.

      Juha
      Eine nervige Stimme trat mir entgegen, die mich um meinen Schlaf brachte. Ich schaute nach oben, um zu prüfen, wer einen Schatten auf mich warf. Milena stand vor mir und wollte etwas.
      “Hast du was verloren, oder was brauchst du?”, fragte ich und setzte mich aufrecht auf.
      “Ich suche nach Informationen”, begann sie. Irgendetwas stimmte nicht, denn Milena führte bisher keine Gespräche mit mir, vor allem nicht ohne Zeugen. Ohne mir die Möglichkeit überhaupt darauf zu antworten, sprach sie weiter: “Mit wem hat Vriska geschlafen?”
      War das ihr Ernst? Sie wäre wirklich die letzte, der ich das sagen würde. Ich wusste es natürlich, nichtsdestotrotz war das nicht meine Suppe.
      „Ich habe kein Schimmer, wovon du sprichst“, antwortete ich mit nach oben gezogenen Brauen.
      „Verraten! Du warst das, deswegen geht ihr euch auch aus dem Weg. Ich wusste es!“, triumphierte Milena. Noch immer konnte ich nicht fassen, dass sie überhaupt danach fragte.
      „Du hast eine blühende Fantasie“, wollte ich das Thema beenden, doch sie hielt ihre Hand dicht vor mein Gesicht und verlangte etwas.
      „Gib mir dein Handy, ich will in der Gruppe gucken“, forderte sie.
      „In deinen kühnsten Träumen nicht.“ Abfällig schüttelte ich meinen Kopf, bis auch sie entdeckte, dass es im Gras lag. Noch eh ich danach greifen konnte, hatte sie es in ihren zarten Fingern und versuchte hektisch es zu entsperren.
      „Tja, es ist halt gesichert und nicht wie Niklas mit seinen Informationen umging“, prahlte ich und entriss es aus ihren Händen. Dann landete es in meiner Hosentasche. Direkt ging Milena in den Angriff über und versuchte vehement, es wiederzubeschaffen. Dabei griff sie auch mehrfach daneben und landete geradewegs zwischen meinen Beinen.
      “Was stimmt mit dir nicht?”, empört schlug ihre Griffel beiseite und stieß sie zur Seite. So unsanft, dass sie im Gras landete. Schmerzerfüllt rieb Milena das knie und stand nicht wieder auf.
      “Jetzt steh auf”, sagte ich und bot meine Hand an, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Einschnappt, weigerte sie sich und verschränkte die Arme. Nicht mal der Sohn meiner Schwester verhielt sich so, was mich stark an ihrem Auffassungsvermögen zweifeln ließ.
      “Na gut, wenn du dann glücklich bist”, entsperrte ich mein Handy und reichte es ihr. Hektisch griff sie danach und scrollte wild durch den Verlauf der Nachrichten. Viel dürfte sie dabei nicht entdecken, denn Niklas hatte nicht mal damit geprallt, dass sie sich an ihn heranmachte. Das erste Mal könnte man behaupten, dass er ein Gentleman war, doch allein, dass sie es taten, zeugte wenig für eine menschliche Seite ihn ihm. Milenas Gesichtszüge entglitten immer mehr, als sie feststellte, dass der größte Teil aus Bildern bestand, die Chris seit Tagen reinschickte und um Beratung bat.
      “Pff”, zischte sie und stand auf. Dann gab sie mir das Gerät zurück.
      “Zufrieden?”, fragte ich verärgert und sie nickte. Da es nicht mal einen Nachrichtenverkehr zwischen Vriska und mir gab, würde wohl diese Theorie ihrerseits im Sande verlaufen.
      “Aber du weißt es?”, fragte Milena erneut, was ich mit einem leichten Nicken bestätigte. Das schien ihr zu reichen und sie verschwand. Wirklich dicht war sie nicht mehr und eher ein Fall für eine Therapie als einer Nationalmannschaft. Man konnte viel über uns alle sagen, doch sogar Vriska verhielt sich normaler als Milena in dem Moment. Wenn wir darüber abstimmen dürften, würde ich gerne Tauschen. Dann könnte sie sich zumindest mit ihrer gestörten Freundin zusammensetzten und irrsinnige Rachepläne schmieden. Als ich mich an meinem Rücken kratzte, vernahm ich einen stechenden Schmerz. Es fiel mir wieder ein. Bevor Milena kam, schlief ich. In der Sonne. Das konnte nur heißen, dass ich einen schönen Sonnenbrand hatte. Ich bückte mich nach meinem Buch und lief ins Zimmer, um die Schäden an meiner Haut zu inspizieren. Im Spiegel leuchteten die freien Stellen meines Rückens in einer roten Farbe, die nicht mal meine farbigen Tattoos hatten. Auch spürte ich eine Wärme, ohne meine Haut zu berühren. Zum Kühlen stellte ich mich für mehrere Minuten unter die Dusche und merkte bereits eine Erleichterung. Im Schrank stand von Niklas ein After Sun, dass ich auftrug und mit einem Shirt bedeckte. Großartig gemacht, dachte ich und setzte mich an den Tisch. Die nächsten Tage würde es schlimmer werden und mich bei meiner Kür beeinträchtigen. Doch ich bin ein Mann, dass sollte ich aushalten können. Deswegen setzte ich mich wieder daran und suchte im Internet nach Elementen, die ich einbauen könnte. Bis die ersten Ergebnisse der Suchmaschine geladen hatten, verging einiges an Zeit. Also musste ich wohl doch weiter nachdenken und auf Niklas warten, der sicher schon fertig war.

      Einige Stunden später …

      Niklas
      Wenigstens ein Begrüßungskomitee erwartete ich bei der Rückkehr meinerseits, doch niemand stand da und wartete auf mich. Natürlich waren der Gedanke und die kleine Vorfreude darauf fernab der Realität, nichts mehr als ein Wunschtraum. Bevor ich ausstieg, erhielt der Taxifahrer noch einen großen Bonus bekommen, da es nicht leicht war jemanden zu finden, der den Weg ins Nirgendwo antrat. Ein leichter Windstoß wirbelte entlang meiner Kleidung. Wenige Wolken zogen am Himmel vorbei, warfen einen Schatten über das Land. Ein Schläfchen würde mir sicher guttun, doch ich hatte noch eine Stute, die Bewegung benötigte. Auf dem Tisch lagen die Aufzeichnungen, die Ju sich zur Kür bisher gemacht hatte. Es war wirr, eine richtige Reihenfolge nicht nachvollziehbar und unsauber noch dazu. Kaffeeflecken übersäten das Papier und die Schrift verschwamm an einigen Stellen. Sollte Ju die Zettel so abgeben wollen, würde Herr Holm ihn geradewegs vor die Tür setzen. Mein Recht war es nicht darüber ein Urteil zu bilden, schließlich stapelte sich meine Kleidung auf oder auch in meinem Koffer. Genauer konnte man das nicht erkennen. Lieblos warf ich getragenes und auch sauberes ineinander und wählte nach Geruch das passende des Tages aus. Das Vereinstrikot roch normal und wurde in Handumdrehen gegen das aktuelle Shirt gewechselt. Während ich das Alte über meinen Kopf zog, blieb es an dem Folienverband hängen und schmerzte an der Wunde. Der unschöne Teil eines Tattoos war der Heilungsprozess. In wenigen Tagen wird es anfangen zu jucken und an der Folie würden sich Hautschichten abbilden, die sich lösen. Doch erst in einer Woche konnte ich diese entfernen und die Wunde reinigen. So lang blieb es wie es war. Ich wusste nicht, ob Ju heute noch mit mir ein Wort wechseln würde, denn ich hatte noch genug vor, so schreib ich einen kleinen Zettel mit den Worten “Det är bäst att börja om framifrån :D” und klebte ihn auf seine Aufzeichnungen. Dann schloss ich die Tür hinter mir und lief zu meiner Stute. Auf dem Weg schrieb ich auch noch Lina eine Nachricht, denn noch konnte man das Tattoo gut erkennen und sie würde sicher gern ihre Zeichnung vollendet sehen wollen. Ich sagte ihr Bescheid, dass ich mit Humbria auf den Platz gehen würde und steckte das Handy zurück in meine Hose.
      “Det var länge sen”, begrüßte ich meine Stute, als ich die Weide betrat. Aufmerksam spitzte sie die Ohren und grummelte als ich meine Hand nach ihr streckte. Ein paar Schritte machte Humbria auf mich zu und senkte den Kopf. Auch wenn sie mich diesbezüglich nicht unterstützen musste, war ich äußerst froh über ihre Arbeitsbereitschaft. Zusammen liefen wir in den Stall. Am Himmel zogen immer mehr Wolken vorbei, die kaum noch die Sonne zuließen. Die Luft war trocken und unangenehm. Neugierig beobachtete Humbi alles, was ich tat, besonders Bürsten waren ihre Leidenschaft. Die Putzkiste stand ziemlich nah neben ihr, was sie dazu aufforderte, die Schnauze hineinzustecken und kräftig auszuatmen. Der Staub tanzte in den Lichtstrahlen und ihr Maul war dreckig. Auf nahm sie die Kardätsche und warf sie durch die Gasse.
      “Måste du spela apa?”, scherzte ich und sammelte das Putzequipment wieder ein. Doch immer wieder stecke Humbria ihre Nase rein und warf es durch die Gegend. Bis ich endlich auf die Idee kam, ihn zur Seite zu stellen, bückte ich mich mehrfach und brachte es zurück.
      “Vielleicht solltest du daraus einen Trick machen”, ertönte auf einmal Lina stimme am Ende der Stallgasse. Überrascht drehte ich mich zu ihr. Mein Pferd nervte mich weiter und zupfte an meinem Handy herum, dass in meiner Hose steckte. Sie bekam einen Klaps aufs Maul doch dachte nicht mal daran aufzuhören.
      „Wäre eine Idee, dann könnte sie mein Zimmer aufräumen“, scherzte ich.
      “Da würde sich Ju sicher freuen, wenn er dir nicht mehr hinterher räumen muss”, antworte sie fröhlich.
      “In einigen Tagen wird es vorbei sein, dann hat er erstmal Ruhe vor mir. Dann mach Fjona das wieder”, erklärte ich ihr und wandte mich meinem Pferd wieder zu. Sie scharte abwechselnd mit den Vorderhufen und schnappte nach dem Strick. Bisher hatte sie nie solches Verhalten gezeigt und mit ruhigen Worten versuchte ich sie zu besänftigen, vergeblich. Humbria schaukelte sich immer mehr hoch, bis sie hysterisch den Kopf nach oben riss und stieg. Ich löste den Strick vom Halfter und griff nach diesem. Zusammen liefen wir nach draußen und noch immer tänzelte sie aufgeregt neben mir her. Immer wieder ließ ich sie um mich herum kreisen und rückwärtslaufen, doch die Stute beruhigte sich kein Stück. Noch immer trippelte sie neben mir her, doch es beeindruckte mich nicht. Angekommen am Reitplatz löste ich meinen Griff am Halfter und mit aufgestelltem Schweif trabte sie wie vom Blitz getroffen auf und ab. Etwas passte ihr ganz und gar nicht. Vor mir galoppierte sie immer wieder ein Stück an, eh Humbria wieder bremste und weiter trabte. Ihre Energie erschien endlos zu sein und so konnte sie erst mal etwas ablassen.
      “Kann man dir irgendwie helfen?”, fragte Lina die das ganze vom Zaun aus beobachtet.
      “Ich wüsste nicht wie, muss selbst erst mal überlege, wie ich die wieder bekomme”, überlegte ich und blickte meinem Pferd nach, dass sich immer weiter von mir entfernte und nicht einmal Anstalten machte, sich auf mich zu konzentrieren.
      “Für mich sieht das fast so aus als würde dein Pferd dich absichtlich ignorieren. Hast du heute vielleicht etwas anders gemacht als sonst?”
      “Es gab kein Leckerli, als ich sie begrüßte. Ich hätte mir aber in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, dass Humbria deswegen nun so eingeschnappt ist. Die benimmt sich ja fast wie Milena”, rügte ich mein Pferd. Als hätte sie genau verstanden, was ich sagte, bremste sie schlagartig ab und blickte mich an. Ihr Blick fesselte mich.
      “Kom, Humbria”, rief ich nach ihr, was sie wieder in Rage brachte. Die Stute stellte den Schweif wieder auf und trabte mit viel Schwung und federnd in den Fesseln vorwärts. Wenn sie sich so unter dem Sattel präsentieren würde, hätte ich einen Sechser im Lotto.
      “Immerhin scheint deine kleine Diva zu wissen, wie man sich bewegt”, kommentierte Lina, die ein wenig belustigt von dem Verhalten der Stute zu sein schien.
      “Erfreue dich ruhig weiter am Leid der Anderen!”, schimpfte ich mit Lina, während ich mir aufgeregt durch die Haare fuhr. Meine Frisur hatte ich mir sicherlich schon versaut, denn das Gel klebte bereits an meinen Fingern. Ich warf die Handschuhe zur Seite, die ich bereits ausgezogen hatte und ließ mich in den Sand fallen. Humbria hingegen trabte fröhlich weiter und pruste laut. So stellte ich mir das heutige „“Training nicht vor, als Zuschauer meines eigenen Pferdes. Ich verschränkte meine Arme und hoffte darauf, dass sie wieder zu mir kam, vergebens.
      “Vielleicht solltest du es mal mit Bestechung versuchen? Das überzeugt eigentlich fast jedes Pferd”, sagte Lina, die nun den Platz betrat und ein paar Leckerlis aus ihrer Hosentasche zauberte.
      “Ich belohne sie doch nicht dafür. Wo leben wir denn bitte?”, regte ich mich weiter auf. Schließlich forderte das Pferd genau danach, aber so lernte sie nur weiter, dass sie ausflippen musste, um ihren Willen zu bekommen.
      “Also, wenn du dich weiter aufregst, wird sie bestimmt nicht zurückkommen. Aber wenn du keine Hilfe möchtest, kann ich auch wieder gehen”, murmelte Lina und ließ die Leckerlis wieder verschwinden.
      “Det ger jag fan i”, murmelte ich und guckte nicht zu ihr rüber. Es ärgerte mich, dass ich die Situation nicht unter Kontrolle hatte und es mir auch an Ideen fehlte damit umzugehen. Opa hatte bereits Hengste, die sich aufspielten, doch es war zu lange, um mich daran erinnern zu können. Mir fehlte die Erfahrung, obwohl ich immer eine Antwort hatte, war ich dieses Mal sprachlos.
      “Na, wenn du mich nicht brauchst, kann ich auch gehen”, antworte Lina und wandte sich zum Gehen. “Und so nebenbei nur, weil ich kein Schwedisch lesen kann, heißt das nicht, dass ich es nicht verstehe”, fügte sie noch hinzu und schloss das Tor hinter sich.
      „Ach jetzt auf einmal“, rief ich vollkommen sinnlos und bedeutungslos nach. Sie drehte sich nicht mal nach mir um und verschwand. Zwei eingeschnappt Weiber in meinem Umfeld konnte ich nicht gebrauchen und machte mich daran mein Pferd wieder einzufangen. Humbria pumpte wie ein Maikäfer und stand erschöpft am Zaun. Ich nutze den Moment aufzustehen, meine Handschuhe wieder über meine klebrigen Finger zu ziehen und zu ihr zulaufen. Sie bewegte sich kein Stück mehr und konnte nach ihrem Halfter greifen. Freundlich strich ihr über den Hals und gab ihr ein Leckerli. Ihre Augen begannen zu funkeln, als ich mit meiner rechten Hand in meiner Hose wühlte. Sie fraß es gierig und folgte mir. Mehrmals schnaubte das Pferd ab. Für heute würde es reichen, sie würde eh nicht mehr viel leisten können und ich brachte Humbria am Halfter zurück zur Weide. Dort warf sie sich in den Dreck und blieb liegen. Alle Viere streckte sie von sich und besorgt lief ich zum Pferd. Sie stand nicht auf und ich tastete vorsichtig ihren Bauch ab. Es fühlte sich alles normal an, dennoch zog ich sie am Halfter nach oben, um einige Meter mit ihr im Schritt zu laufen. Sie äppelte. Dann ließ ich wieder so los und die Stute streckte den Hals zu Boden, um am Gras zu zupfen. Hatte ich wieder übertrieben? Längere Zeit beobachtete ich sie noch, jedoch machte sie keine Anstalten sich erneut hinzulegen und beruhigt verließ ich sie, um die Stallgasse aufzuräumen. Ich hoffte Lina dort wiederzutreffen, denn ich wäre ihr eine Entschuldigung schuldig, oder nicht? Eigentlich sollte sie sich entschuldigen, denn sich bei meinen Pferden einzumischen, mochte ich überhaupt nicht. Überzeugt davon, verrichtete ich meine Arbeit.

      Lina
      Mein Weg führte mich geradewegs zur Koppel, wo Divine stand. Es ärgerte mich ein wenig, dass ich für Niklas scheinbar nur ein Pferdemädchen war, welches keine Ahnung hatte, dabei wollte ich doch nur helfen. Sicherlich fehlte mir einiges an Erfahrung, gerade mit schwierigen Pferden, doch das war doch kein Grund gleich so unfreundlich zu werden.
      “Hei Prinssi”, begrüßte ich den Freibergerhengst, der auf mich zu getrottet kam, sobald ich die Koppel erreicht hatte. Freundlich prustete er mich an und ich begann durch die dicke Mähne zu wuscheln. Wie ich denn Hengst so betrachte, kam mir die Fragen in den Sinn, warum ich die Aufgaben bekommen hatte, das WHC dieses Jahr beim HMJ zu vertreten. Hatte es den Grund, dass die Pferde im Vorhinein bekannt waren, oder hätte ich auch teilnehmen dürfen, wenn die Pferde unbekannt gewesen wären?
      Immerhin war Divine ein besonders einfacher Fall. Der Freiberger unterbrach mich sehr unsanft in meinen Gedanken, als er mir ungeschickt, wie er nun mal war, bei dem Versuch an die Leckerlis zu kommen, auf den Fuß trampelte.
      “Autsch, was soll das du kleiner Tollpatsch”, beschwerte ich mich bei meinem Hengst und schob ihn wieder von meinem Fuß runter. Ivy interessierte das Ziemlich wenig, denn er versuchte lieber weiterhin in meine Hosentasche zu kriechen.
      “Nein, dafür gibt es bestimmt nichts”, schimpfte ich leise und schob seine Schnauze von mir Weg. “Wenn du was willst, musst du es dir erst verdienen”. Ich sammelte den Strick vom Zaun, um ihm in Divines Halfter einzuhaken, doch mein Pferd schien einen anderen Plan zu haben, denn er wollte den Strick viel lieber voll sabbern. Kurzentschlossen zog ich ihm den Strick wieder aus dem Maul und befestigte ihn am Halfter.
      Als ich ihn aus dem Tor führte, passte ich diesmal besser auf meine Füße auf, denn ein schmerzender Zeh reichte mir für heute. Da die Sonne immer noch vom Himmel brannte, beschloss ich den empfindlichen Hengst lieber auf der Stallgasse zu putzen, wo ich dann auch wieder auf Niklas traf.
      “Dürfte ich da mal bitte vorbei”, fragte ich ihn denn er stand Mitten im Weg.
      “Jovisst”, murmelte er und tritt zur Seite.
      “Danke”. Ohne ihn weiter zu beachten, führte ich Divine auf den Putzplatz und band ihn dort an, bevor ich in die Sattelkammer ging, um meinen Putzkasten zu holen. Als ich zurück machte sich mein Pferd, erneut den Spaß den Strick abzukauen.
      “Statt kluge Ratschläge zu geben, solltest du dich um dein Pferd kümmern”, haute Niklas plötzlich heraus und schaute mich erwartungsvoll an.
      “Was glaubst du, du tue ich gerade”, antwortete ich ihm, ohne näher darauf einzugehen und zog dem Hengst den Strick aus dem Maul.
      “Funktioniert offensichtlich nicht so gut”, brummte er und ließ nicht locker von uns. Offensichtlich wollte er irgendetwas, doch mir leuchtete nicht wirklich ein, was.
      “Was genau möchtest du von mir?”, fragte ich deshalb nach, während ich meine Bürsten aus dem Putzkoffer holte. Divine fand inzwischen den Strick langweilig und versuchte lieber den Hals lang genug zu machen, um an irgendetwas anderes dranzukommen. Da allerdings nicht in seinem Umkreis war, wollte er sich schon wieder dem Strick widmen, doch dieses Mal reagierte ich schneller und gab ihm einen Klaps auf die Schulter. Das schien zumindest für den Moment Wirkung zu zeigen, denn er gab auf und begann lieber den Boden nach etwas fressbarem abzusuchen.
      „Hast du mir nicht etwas zu sagen?“, zog Niklas die Augenbrauen hoch und erwartete etwas. Währenddessen wippte er mit seinem Bein und schränkte die Arme. Jetzt war ich erst recht verwirrt. Hatte ich irgendwie ein Teil des Gespräches verpasst?
      “Ich glaube nicht? “, antwortete ich zögerlich und sah ein wenig unsicher zwischen ihn und meinem Pferd hin und her, in der Hoffnung dadurch schlauer zu werden.
      ”Ni är alla likadana”, zischte er und verschwand, ohne auf meine Frage einzugehen. Sein Abgang wurde begleitet mit einem Kopfschütteln und unverständlichen Worten, die er vor sich hinmurmelte. Von weitem sah ich, dass er sein Handy aus der Tasche zog und irgendwas hinein brummelte.
      Ein wenig perplex blieb ich neben meinem Pferd stehen, welches den Kopf gehoben hatte, als Niklas aus dem Stall stürmte.
      "Habe ich was falsches gesagt?", fragte ich meinen Hengst, doch natürlich antwortete dieser nicht, sondern sah mich nur freundlich aus seinen großen dunklen Augen an.
      Auch wenn ich jetzt absolut nicht mehr in der Stimmung war, zu reiten musste Divine nun mal noch bewegt werde, weshalb ich mich trotzdem wieder seiner Fellpflege zuwandte.

      Vriska
      „[...] Zukunftsfähiges Wirtschaften bedeutet, kommenden Generationen ein intaktes ökonomisches, ökologisches und soziales Umfeld zu hinterlassen. Wie kann ein Reitbetrieb nachhaltig wirtschaften?“, las ich gelangweilt die Aufgaben auf meinem Arbeitsblatt durch, dass Niklas mir auf das Pas übertragen hatte. Wer hatte sich diese Aufgaben ausgedacht. Ich sollte bis heute Abend alle 20 Aufgaben fertig haben, aber konnte bisher nur fünf wirklich nachvollziehbar formulieren. Unser Hof wäre sicher ein gutes Beispiel für nachhaltig Wirtschaften, obwohl die Kosten eindeutige die Einnahmen überstiegen, so zumindest mein letzter Stand, als Tyrell Hilfe brauchte bei der Abrechnung. Aktuelle Zahlen aus der Buchführung lagen mir nicht vor, doch im Faktor ökologisch lagen wir sehr weit Vorne. Darauf würden auch die einzigen weiteren staatlichen Förderungen der EU liegen, denn das gewünschte Freizeitareal, dass sich das Land wünscht, stand zwar, warf nur keine Gewinne ab oder begeisterte Besucher. Vor meiner Abreise standen einige Fahrradfahrer am Hof und fragten nach einem Ort zum Verweilen und den Genuss von Gebäck. Ein Hofcafé führten wir nicht, wie auch. Natürlich war eins der Häuser in der Reithalle mit einer gastronomischen Küche ausgestattet, doch Personal hatten wir nicht und niemand hatte dafür Zeit. Die wenigen Einnahmen gab es durch Wetten auf unser Pferd, bei denen besonders Vintage gute Quoten einbrachte. Tyrell verfiel unbewusst in eine Spielsucht, die Folke schnell beenden konnte. Leider bedeutete das auch, dass die Einnahmen sanken. Um was machte ich mir einen Kopf? Diese Aufgaben vernebelten mir meinen Verstand. Ich schrieb einige Stichpunkte dazu und scrollte einige Fragen weiter: „Sie planen einen Tag der offenen Tür. Das Ergebnis ist eine umfassende Checkliste.“ Das klang spannend und könnte ich sogar als mein Fachgebiet bezeichnen. Ich organisierte vieles am Hof unter anderen wollte mein Chef tatsächlich so etwas schon mal haben. Also begann ich fleißig aufzuschreiben, was mir durch den Kopf schwirrte. Feuerlöscher, Erstellung eines Fluchtplanes, Einrichtung von Sammelplätzen, Organisation von Zelten … Tatsächlich sprangen mir zuerst jegliche Horrorszenarien durch den Kopf, die bei solchen Großveranstaltungen passieren könnten. Das bei einem Tag der offenen Tür deutlich weniger Menschen kommen würden als zu einem Slipknot Konzert, beeinflusste meine Denkweise kein Stück. Fleißig schrieb ich die Liste weiter und kannte keinen Halt, bis mein Handy mich aus den Gedanken riss. Genervt davon, dass ich wieder vergaß es auf Bitte nicht stören zu stellen, warf ich einen Blick auf dem Display. „Kung, 3 Notification“, leuchtete auf. Neugierig stand ich auf und warf mich mit dem Bauch voran ins Bett. Meine Beine winkelte ich nach oben an. In meiner Brust spürte ich eine schnelle Abfolge, die gleichmäßig pulsierte. Wie konnte ich mich so darüber freuen, dass er mir drei Nachrichten geschickt hatte? Die erste beinhaltete lediglich meinen Namen, die zweite war eine kurze Sprachnachricht und die dritte „snälla“. Wollte ich mir das wirklich anhören? Mein Herz schlug immer schneller und verunsichert lief ich auf und ab. Dann warf ich mein Handy ins Bett und setzte mich zurück an die Aufgaben. Diese Anspannung fühlte sich nicht richtig an, besonders wenn ich das hier noch fertigbekommen wollte. Die Checkliste wurde länger, länger und immer länger. Dinge auf dieser verkomplizierten sich und entwickelten eine Eigendynamik, die ich unterschätzt hatte. Meine Hand hörte nicht auf zu schreiben, bis ich mich zurück in die Realität holte. Fühlte es sich so an den Boston Marathon zu laufen und einige Meter vor dem Ziel zu stolpern, wobei man sich das Bein brach? Ich wusste es nicht, woher auch. Marathon laufen war nicht meine Stärke, vor allem auch nichts, woran ich interessiert war. Die übrigen Fragen wurden schwerer und befasst sich mit Trainingsplänen für Pferde, die ich mir ausdenken sollte und für weitere Aufgaben weiter nutzen sollte.
      Ich habe kein Bock mehr, dachte ich mir und lehnte mich zurück in den Holzstuhl. Das Handy lag noch immer im Bett und ich stand auf, um mir nun doch die Nachricht anzuhören. Seine raue Stimme brabbelte unverständlich aus den Lautsprechern und ich brauchte mehrere Ansätze, um einige Teile davon entschlüsseln zu können. Schlüsselworte waren für mich: ikväll, knulla, tala, Lina und hjälp. Hatte er mit ihr gesprochen darüber, oder sollte ich mit ihr das Thema besprechen? Oder meinte Niklas, dass ich ihre Hilfe brauchte zum Sprechen?
      “Vad menar du?”, schrieb ich ihm und wartete auf eine Antwort. So schnell wie ich hoffte, kam nichts, stattdessen kamen wegen genau dieser Schlüsselworte wieder Zukunftsängste auf mich zu. Was tat ich hier? Ich lernte mit einem Typen zusammen, der nicht nur außergewöhnlich gut aussah, nein, sondern auch noch extrem viel Wert darauflegte, dass ich sicher in die Prüfungen gehe. Und mit mir zweimal geschlafen hat. Natürlich wusste ich, wie lange mich die Trennung von Tyri beschäftigte und das wird in geraumer Zeit mit Niklas nicht anderes sein. Es gab dafür nur eine Person, die mir wirklich helfen konnte - Harlen, mein großer Bruder. Im Gegensatz zu mir und meiner Schwester wuchs er bei Papa auf, was unseren Kontakt relativ minimal hielt. Zu Geburtstagen sah und hörte man einander. Doch als es mir schlecht ging und ich wochenlang im Krankenhaus lag, war Harlen Tag und Nacht da. In der Zeit wuchsen wir zusammen und sind seitdem unzertrennbar. Ob er noch wach sei? Niklas gab keine Antwort ab und ich wählte die Nummer meines Bruders. Bereits nach zwei Tut-Geräuschen hörte ich seine Stimme aus dem Lautsprecher schallen.
      “Good morning, what’s on your mind, sis?”, begrüßte er mich mit schläfriger Stimme.
      “I’m Sorry! Did I wake you?”, nervös fummelte ich an meinen Fingern herum und begriff erst jetzt, dass es 2 Uhr morgens in England war. Jenni hätte mit großer Wahrscheinlichkeit nicht reagiert.
      “Yes, you did. But you can always call, no matter what time of day”, beschäftige Harlen mich in seiner ruhigen Art und Weise.
      “Then I’ll be brief. Can you come to Sweden for a while in five or six days? I’ll tell you why later, but I really need you”, erklärte ich und musste mehrfach tief ein- und ausatmen, um die Tränen zu unterdrücken.
      “I’ll be there, no matter which airport in Stockholm?”
      “Yes, it is not important”, fügte ich noch hinzu, eh wir uns verabschiedeten und Harlen legte sich wieder schlafen. Ich konnte jetzt noch nicht schlafen gehen, denn heute Abend stand nicht nur Essen und Niklas an, sondern auch ein kleiner Spieleabend. Chris hatte die Idee, da ab morgen alles wohl sehr stressig wird. Warum ausgerechnet morgen, wusste ich nicht, aber akzeptierte diese Aussage.

      Lina
      Nachdem ich eine dreiviertel Stunde versucht hatte mich auf mein Pferd zu konzentrieren, was nur mäßig Erfolg hatte, gab ich auf und brachte den Hengst zurück auf die Koppel. Mein Gehirn wollte einfach nicht aufhören darüber nachzudenken, womit ich Niklas so verstimmt hatte. Gedankenverloren schlug ich den Weg zum Haus ein, denn am liebsten würde ich mich jetzt mit einem Tee auf mein Sofa kuschle und in einem Buch verschwinden.
      “Was schleichst du denn so durch die Gegend. Irgendetwas geht doch schon wieder vor in deinem Köpfchen.” Ich erschrak, als ich auf einmal Samu Stimme hinter mir hörte. Wo kam er denn jetzt auf einmal her?
      “Samu! Du kannst dich doch nicht einfach so anschleichen, ich hätte fast einen Herzinfarkt bekommen”, beschwerte ich mich bei ihm und dreht mich zu ihm um.
      “Würdest du auf deine Umgebung achten, hättest du mich schon lange bemerkt und vor allem ihn da”, erklärte er lachend und deutete auf den Dalmatiner, der nun mit fliegenden Ohren auf mich zu gerannt kam. Kurz vor mir stoppe Bubbles ab und sah mich freundlich an.
      Ich streckte, meine Hand nach seinem Kopf aus kraulte ihm die weichen Ohren.
      “Kerro nyt, Mitä sinä ajattelet?”, fragte er nun noch mal nach. Manchmal verfluchte ich ihn doch echt für seine gute Menschenkenntnis, oder eher für seine hervorragende Lina Kenntnis.
      “Ei mistään, luulisin”, versuchte ich ihn davon zu überzeugen, nicht weiter darüber zu reden.
      “Jos et ajattele, haluat varmasti käydä kavalilla minun ja Bubbelsin kanssa”, schlug er nun vor, vermutlich in der Hoffnung ich würde ihn doch noch erzählen, was mich beschäftigte.
      “Hyvä on, tulen mukaasi”, willigte ich ein und folgte Samu, der schon losgelaufen war.
      “Komm Bubbles”, rief nach dem Hund, der noch Schwanzwedeln dastand.
      Während wir den Waldweg entlang schlenderten, machte Bubbles immer mal wieder einen Abstecher ins Gebüsch, um irgendeiner Fährte zu folgen. Samu erzählte mir währenddessen, dass er auf dem Ausritt mit Elf Dancer eine Herde Wapitis gesehen hat und Elf, das ganze wohl äußerst seltsam fand. Ich hörte ihm nur mit halbem Ohr zu, denn mich beschäftigte immer noch dasselbe Thema.
      “Et kuuntele minua, tai? Mitä on tekeillä, Lina?”, fragte nun Samu, der meine mangelnde Aufmerksamkeit wahrgenommen hatte. Er war stehen geblieben und sah mich an.
      “Niklas on vihainen minulle, mutta en tiedä mitä tein väärin”, murmelte ich ihm als Antwort.
      “Kysyitkö häneltä siitä?”, fragte Samu einfühlsam.
      “Välillisesti. Hän sanoi sellaista jotain kuin: Olette kaikki tasa-arvoisia”, antwortete ich ihm und inzwischen schien auch Bubbles meine Stimmung bemerkt zu haben, denn der Dalmatiner stupste mich an und rieb seinen Kopf an mir.
      “Luulen, että hän haluaa sanoa sinulle täsmälleen saman asian kuin minä…”, sagte er und sah den Hund dabei an. “Älä huolehdi siitä niin paljon, Ehkä Niklaksen päivä oli huono.” Keine Gedanken machen, er hatte leicht reden.
      “En voi vain viedä sinua mukanani, niin maskottina?”, fragte ich meinen besten Freund hoffnungsvoll. Irgendwie fand er doch immer die richtigen Worte.
      “Luulen, että Divine on jo ottanut tämän roolin haltuunsa”, antworte dieser nur schmunzelnd. “Tule, Seuraava”, fügte er noch hinzu und setzte sich wieder in Bewegung. Bubbles wartete noch einen Augenblick, bis ich auch weiterging, bevor er wieder fröhlich neben mir her trabte. Diesen unfassbaren Optimismus hatten Samu und der Hund offenbar gemeinsam. Minimal besser gelaunt folgte ich den beiden durch den Wald und versuchte immerhin noch ein wenig den Spaziergang zu genießen.

      Während Lina, Samu und Bubbles im Wald spazieren sind, wird am Hof das Abendessen eingerichtet. Mal wieder wurde das Feuer angemacht und die Tische nach draußen gestellt. Die nächsten Tage würden noch intensiv genug werden, weswegen für heute Abend noch einige Festlichkeiten stattfinden, denn: Herr Holm hat Geburtstag.

      Niklas
      “Und du denkst wirklich, das reicht als Kür?”, fragte Ju als wir die letzte Bahnfigur notieren.
      “Vollkommen. Es ist doch nur eine L-Dressur. Du und Amy seid doch wunderbar darauf vorbereitet. Morgen laufen wir alles gemeinsam ab und dann nehmen wir die Pferde dazu. Am Abend üben wir dann erneut”, schlug ich ihm vor. Meine Laune hatte sich merklich verbessert, dennoch konnte ich darauf verzichten sie am Abend zu sehen. Das würde sich allerdings schwierig gestalten. Deswegen musste ich mir etwas einfallen lassen.
      “Kommt Linh heute Abend wieder?”, fragte ich und zog mich um. Ju, der hinter mir stand und sich ebenfalls umzog, sagte nichts. Erst einige Sekunden später kam eine Antwort.
      “Das weiß ich noch gar nicht. Seit ihrer Reitstunde vorhin mit Milena haben wir uns nicht gesehen, nur sie hat mal wieder genervt”, dann stoppte er. Ich kniff meine Augen zusammen und eine Falte bildete ich sich auf der Stirn. Mein Shirt hielt ich noch in der Hand und nervös zuckte meine Brustmuskulatur.
      “Und was wollte sie?”, hinterfragte ich und zog das Shirt über meinen Kopf.
      “Na ja … wie soll ich dir das sagen, ohne das du wieder schlechte Laune bekommst”, begann Ju und verzerrte den Mund von links nach rechts.
      “Jetzt sag schon, sonst frag ich sie selbst”, ungeduldig wippte mein Bein auf und ab.
      “Nein, das lässt du schön bleiben. Sonst weiß sie es. Irgendwie hat Milena mitbekommen, dass Vriska … du weißt schon”, stotterte er weiter. Ich rollte mit den Augen und lief zum Bad, um mir die Haare zu machen. Einen Geburtstag feiert man schließlich nicht jeden Tag, vor allem keinen, an dem man ein halbes Jahrhundert als wird.
      “Sie wollte in der Gruppe gucken, wer mit Vriska geschlafen hat, aber du hast ja nichts reingeschrieben. Deswegen weiß sie das noch nicht”, rückte Ju endlich heraus.
      “Okay, aber was war daran jetzt so schwierig? Und besonders, was wäre so schlimm daran? Irgendwann weiß es eh jeder”, rief ich aus dem Bad. Schritte nährten sich und ich drehte mich zu Ju um, der nun wieder neben mir stand.
      “Gestern hast du noch ein Geheimnis draus gemacht und heute ist es dir egal? Was ist denn mit Lina?”, seine Augen riss Ju dabei ziemlich weit auf, ihm missfiel, was gesagt hatte. Doch das war die Realität.
      “Ach, die kann mir den restlichen Tag fernbleiben. Sie wollte sich bei Humbria einmischen und”, er unterbrach mich.
      “Und Bla bla bla. Ja logisch. Du bist der einzige Mensch auf dem Planeten, der schlechte Laune bekommt, wenn man ihm helfen möchte”, seine Mimik wurde ernster.
      “Wieso, du darfst mir doch helfen. Aber ehrlich. Das übersteigt ihre Kompetenzen”, sagte ich und legte den Kamm wieder beiseite. Im Spiegel erblickte ich eine gute Frisur und verließ das Bad. Ju schob ich mit der Schulter zur Seite, da er unpässlich in der Tür stand. Mit einem kurzen Seufzen kommentierte er es. Dann antwortete Ju: “Das mag sein, aber du hättest es dir trotzdem anhören können, anstatt sie in deiner Art zu überrumpeln.”
      “Hörst du mir nicht zu? Es ist mir egal, soll sie jetzt mit Leben. Morgen klebt sie eh wieder an mir”, rollte ich wieder mit den Augen. Vom Stuhl nahm ich mir noch ein Hemd, da für den Abend starke Windböen angesagt waren, laut meinem Handy. Auf dem Weg zur Feier sagt Ju nichts mehr, aber schüttelte immer wieder unverständlich den Kopf, während er etwas brabbelte. Getrampel hörte ich vom Weiten, das näherkam und sich als Linh entpuppte. Erfreut sprang sie auf Jus Rücken und seine schlechte Laune verflog. Ich ließ die beiden Verliebten allein und setzte mich an den Tisch, an dem bereits Chris und Milena auf mich zu warten schienen. Man wurde die auch echt nicht los, das sagte mir sein Gesichtsausdruck sogar. Er wollte mir etwas mitteilen, doch ich verstand nicht was.
      “Du hast dich ja heute schick gemacht, noch was vor?”, Milena begann direkt zu nerven, als hätte man ihr irgendwas ins Getränk geschüttet. Vielleicht sollte jemand Chloroform besorgen, dann wäre sie ruhig. Ein schweifender Blick durch die Anwesenden verriet mir, dass wohl keiner so etwas griffbereit hatte, schade. Dann wendete ich mich ihr zu.
      “Ja, Geburtstag feiern und im Gegensatz zu dir, ziehe ich keine Jogginghose an dafür”, tadelte ich sie. Ihre Augen wurden größer.
      “Waaas für einen Geburtstag? Ich wusste nicht …”, verteidigte sie sich.
      “Herr Holm hat heute und wir wollen darauf etwas anstoßen, feiern. Was man halt, so macht”, erklärte Chris es ihr, denn so wie sie sprach, könnte Milena gerade die achte Klasse abgeschlossen haben.
      “Dann gehe ich mich mal lieber umziehen und noch duschen. Danke für die Information”, sagte sie und verschwand endlich.
      “Endlich” sagte Chris und seine Anspannung fiel von ihm.
      “Was du nicht sagst”, murmelte ich und sah Vriska, die endlich kam. Sie machte sich geradewegs zu dem freien Platz zu Chris, doch hielt sie auf und zeigte mit meiner Hand zu mir. Wie immer, wenn Vriska nachdachte, biss sie auf ihrer Unterlippe herum, eh sie zu mir kam. Mit Abstand nahm sie Platz neben mir und ich zog sie mit einem Griff in die Taille zu mir.
      “Was wird das?”, murmelte Vriska und blickte zum Tisch.
      “Ich will dich bei mir haben”, sagte ich erst zu ihr und hob mit meinem Finger ihren Kopf nach oben mir. Ihre Augen begann wieder zu funkeln. Chris mischte sich ein: “So ist das also.” Als wäre es etwas Neues, schließlich hatte ich ihm davon. Wieder mal setzte er sein breites Grinsen auf, aber sagte nichts. Meine Hand legte ich auf ihren Oberschenkel und nahm mein Handy zur Hand, um mir einige Bilder auf Instagram anzuschauen. Neben mir hörte ich die Beiden ein Gespräch führen über den Reitunterricht und was heute Abend gefeiert werden würde. Erst als ich meinen Namen hörte, guckte ich auf und schaute die Beiden an.
      “Da ist er direkt wieder bei uns”, scherzte Chris und fragte Vriska erneut: “Du nimmst Niklas sicher wieder mit zum Lernen, va?” Begleitet wurde das ganze mit einem sehr offensichtlichen Augenzwinkern. Das beherrschte er noch nie. Vriska und ich guckten einander an, eh ich die Frage beantwortete: “Das möchte ich so. Natürlich.”
      Von hinten hörte ich Ju und Linh zu uns an den Tisch kommen. Chris rutschte auf der Bank ein Stück beiseite, damit sich die beiden dazu setzen konnten. Linh hatte offenbar ebenfalls die Zeichen gespürt und sagte: “Ihr beide? Das hätte ich ja im Leben nie gedacht.” Mit rotem Kopf senkte Vriska diesen wieder. Auch biss sie wieder auf ihren Lippen herum, dass ich mit einem streichen meines Fingers an ihrer Wange unterband. Ein kleines Lächeln zauberte sich in ihr Gesicht. Auch Linh lächelte.
      “Mir war das schon klar”, brummte Ju und guckte Vriska genau an.
      “Ach, jetzt stell dich nicht so an. Sie sind doch süß zusammen”, lachte Linh. Zusammen? Das wäre genau der Moment, dass ich Veto einlege, denn das waren wir nicht. Mein Mund öffnete sich, aber Worte kamen nicht heraus. Stattdessen übernahm Chris das: “Die schlafen nur miteinander.” Er lachte wieder. Wie konnte man so viel positive Energie mit sich herumtragen, ohne davon erschlagen zu werden? Linh hörte kurz auf zu lächeln, während Chris sprach. Dann sagte sie: “Ach, aber ist doch auch schön.” Ju rollte mit seinen Augen und griff nach seinem Handy. Es hatte keine Hülle mehr um, an der Rückseite erkannt ich viele Risse und als er es leicht in meine Richtung kippte, sah das Display nicht besser aus.

      Jace
      Ich hatte es erfolgreich den ganzen Tag über geschafft möglichst wenig Leuten zu begegnen und vor allem Lina aus dem Weg zu gehen. Eigentlich hatte ich heute Abend deshalb auch nicht vorgehabt, mit den anderen zu essen, doch als ich um die Ecke vom Stall kam, sah ich etwas was mich ein wenig stutzig machte, Niklas saß mit Vriska zusammen am Tisch und für mich sah das ziemlich eindeutig aus. Das musste wohl heißen, was auch immer zwischen Lina und Niklas lief konnte nicht allzu Ernstes sei, oder? Das würde doch Bedeuten… Ich könnte doch noch eine Chance bei Lina haben. Diese Erkenntnis ließ meine Laune sofort deutlich besser werden. Ich wusste zwar noch nicht genau wie ich das anstellen wollte, Lina wieder für mich zu Gewinnen, aber es gab wieder Hoffnung.
      Innerlich einen kleinen Freudentanz aufführend, setzte ich mich zum Rest des Hofteams.
      “Oh, da ist ja unser Sonnenschein”, witzelte Jayden als ich mich dazusetzte. “Irgendwo Spaß gehabt, oder woher kommts?”, stichelte er weiter.
      “Wenn ich du wäre, wäre ich mal lieber still, ist ja nicht so als würden die Ladys bei dir Schlage stehen”, gab ich schlagfertig zurück. Jayden wollte gerade etwas erwidern, doch Sheena schnitt ihm das Wort ab.
      “Jungs könntet ihr auch mal über was anderes reden? Euer Macho gehabt geht nicht nur mir auf die Nerven”, sagte sie genervt und verdrehte die Augen. “Redet doch lieber über schöne Dinge, wie zum Beispiel, dass die Ergebnisse der Körnung endlich da sind. Keks hat bestanden”, teilte sie dann mit uns.
      “Na, wenn das kein Grund für gute Laune ist”, antwortete ich ihr, während ich in meine Hosentasche griff, um mein Handy herauszuholen. Doch da war kein Handy, ich musste es wohl in der Sattelkammer vergessen haben. Ich war gerade aufgestanden, um es zu holen, als Bubbles auf einmal angerannt kam und bellend an mit hochsprang. In der Ferne kannte ich auch den Grund entdecken, warum er so aufgeregt war. Lina und Samu waren scheinbar mit ihm gerade spazieren gewesen.
      “Na, mein Junge, war es schön im Wald”, begrüßte ich den Hund und streichelte ihm über das gepunktete Fell. Während ich dem Dalmatiner noch die Ohren kraulte, blieb mein Blick auf Lina und Samu hängen. Ich konnte sogar von hier aussehen, wie Samu Blick auf etwas fiel und dann von erstaunt in verärgert überging. Offenbar wollte er Näher kommen, doch Lina stellte sich ihm in den Weg und fing an auf ihn einzureden.


      Lina
      Der restliche Spaziergang war recht locker gewesen und so kam es, das sogar ich mich ein wenig entspannen konnte. Zurück am Hof lief Bubbles direkt zu den anderen, die bereits beim Abendessen saßen. Samu folgte dem Hund mit seinem Blick und schien dort etwas zu entdecken, was ihn beunruhigte, denn ich konnte wahrnehmen, wie er sich plötzlich anspannte und stehen blieb.
      “Lina, Tiedätkö sinä siitä?”, fragte er mich argwöhnisch, ohne mich dabei anzusehen.
      “Mistä sinä puhuu?”, fragte ich und folgte seinem Blick. Ich brauchte einen Moment, bis ich sah, was er meinte.
      “Tiesin, ettei hän ollut rehellinen”, fügte er ärgerlich hinzu und ich spürte wie seine Anspannung größer wurde und er gerade zu rüber marschieren wollte.
      “Lopeta, Kaikki hyvin”, versuchte ich ihn aufzuhalten und ihn dazu Zubringen mir zuzuhören.
      Zu mindesten blieb er stehen und ich hatte ein paar Sekunden Zeit zu überlegen, was ich ihm jetzt sagen wollte, immerhin war ich selbst ein wenig überrascht. Ja, Niklas hatte mir gesagt, dass er nicht für etwas Festes bereit war, aber dass er sich so schnell eine Alternative suchte, fand ich schon krass. Wobei wenn ich ehrlich bin, wäre es schon ziemlich naiv gewesen zu glauben, dass das nicht passieren würde. Also muss ich jetzt wohl versuchen damit umzugehen, und zwar wie ein Erwachsener.
      “Samu kuuntele minua. Minä ja Niklas puhuimme siitä ja se on aivan okei, kyllä! Olemme aluksi vain ystäviä”, erklärte ich Samu den Sachverhalt und immerhin hörte er nun auf böse zu den anderen zu starren. Stattdessen schaute er mich nun ein wenig verwundert an.
      “Kuten vain ystävät? Nyt en ymmärrä sinua enää.”
      “Kuten alussa sanoin, vain ystäviä. Hän voi tehdä mitä haluaa kenen, kanssa haluaa, enkä välitä.” Hoffentlich klang das überzeugend, denn irgendwas in mir war definitiv nicht davon überzeugt, dass es mir egal sei. Während ich das sagte, begann auch noch etwas in meinem Kopf zu arbeiten. Niklas zerkratzter Rücken vorgestern und dann heute noch die nervige Frage von Milena mit wem Vriska geschlafen habe. Natürlich konnte ich eins und eins zusammenzählen. Und im mir bildete sich der Verdacht, dass ich nun auch wusste, warum Vriska sich neulich so seltsam Verhalten hatte.
      Innerlich verfluchte ich mich ein wenig dafür, dass ich es nicht früher erkannt hatte und im selben Augenblick überlegte ich, ob Samu vielleicht doch bereits davon gewusst hatte und deshalb gestern sogar einen Streit mit mir angefangen hatte. Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen, dafür wirkte er immer noch viel zu überrascht.
      “Rauhoitu viimein, en todellakaan välitä”, betonte ich noch einmal und versuchte damit auch das Gedankenkarussell in meinem Kopf zum Stehen zu bringen.
      “Okei, mutta olen siellä puolestasi, jos jotain muuta löytyy”, murmelte er nun schon etwas versöhnlicher.
      “Gut, dann lass uns erst einmal zu den anderen gehen, ich verhungere nämlich gleich”. Gemeinsam gingen wir nun zu den Tischen rüber.
      “Ah, da seid ihr zwei ja, hat ihr schon gesehen, Jace hat seine gute Laune wiedergefunden”, begrüßte Sheena fröhlich uns.
      “Schön, wie ist das den passiert?”, fragte ich nach und hoffte insgeheim, dass es nicht mit mir bzw. mit der Situation am Nachbartisch zu tun hatte.
      “Keine Ahnung, ist mir auch egal. Hauptsache er hört auf so ein Grouch zu sein”, antworte sie Schulterzuckend.
      “Wo ist der überhaupt hingekommen?”, fragte Samu nun nach.
      “Bestimmt geflüchtet, so wie die letzten zwei Tage”, gab Jayden einen blöden Kommentar ab.
      “Ach, Jayden jetzt sei mal nicht so blöd und freu dich lieber, dass man ihn wieder zu Gesicht bekommt”, tadelte ihn Sheena so gleich.

      Vriska
      Wenn er seine Hand nicht auf meinem Oberschenkel hätte und ich meinen Puls hören könnte, wäre ich mir unsicher, ob ich hier richtig säße und wach bin. Es fühlte sich surreal an und auch als ich Lina im Augenwinkel sah, wie sie zu guckte, wäre ich verschwunden. Natürlich hatte ich es versucht, doch er drückte seine große Hand noch stärker in meine Haut, dass es sich anfühlte, als würde er meinen Oberschenkelknochen herausziehen wollen. Nur Hunde spielen mit Knochen. Was? Lieber Kopf, bitte reiß dich zusammen.
      “Jag måste hålla med Linh”, scherzte unser Trainer und trat näher an den Tisch heran. Zugleich stimmten am Tisch alle mit “Ja må han leva” an und ich versuchte zumindest meinen Mund zu bewegen. Bisher reichte meine Schwedisch Kenntnisse aus, um mich sicher zu unterhalten, doch Geburtstagslieder fanden in meinem Vokabular bisher keinen Platz. Die anderen aus dem Verein stiegen ebenfalls mit ein. Frau Wallin kam mit einer großen Torte, auf der 50 Kerzen hell leuchteten. Er blies diese aus und alle Klatschen. Die Freude von allen war riesig, sogar ich lachte mit. Ein kurzer Moment der Lebendigkeit erfüllte meinen Körper.
      “Önska dig något, Anders!”, sagte Chris. Unser Trainer strahlte vor Freude und von allen Seiten gratulierten ihnen die Leute. Auch einige Geschenke gab es. Wenig später setzte er sich zu Tisch und es wurde wieder ruhiger. Nach dem Jubel überkam es mich wieder mit dem Unwohlsein.
      “Jag vill göra”, flüsterte ich Niklas ins Ohr.
      “Nej, vi stannar. Låt oss ge dig något åt äta”, schlug er dann vor und stand mit mir zusammen auf. Am Büfett lief ich wie ein hungriger Tiger im Zoo hinter Gittern auf und ab, eh ich eine Entscheidung traf, was ich essen wollte. Gefüllte Süßkartoffeln vom Grill sprangen mich förmlich an und ich konnte nicht anderes, als mir eine kleinere auf den Teller zu legen. Nachholen konnte ich mir immer noch. Da bediente ich mich an den kleinen Gürkchen und auf eine Scheibe Aubergine konnte ich auch nicht verzichten. Niklas überlegte noch aber sagt: “Jag tar inget kött från dig idag får kärlekens skull.”
      Ich runzelte mit der Stirn, dabei hoben sich auch die Augenbrauen mit an. Hat er eine neue Tierliebe entwickelt oder so etwas wie ein Gewissen? Erstaunlicherweise war Niklas heute ganz anderes zu mir, so offen auch gegenüber allen anderen, die vor Ort waren. Das musste ich ausnutzen.
      “På grund av mig?”, fragte ich und legte mir doch noch eine weitere Scheibe Aubergine auf. Ein Blick auf meinen Teller verriet mir, dass ich heute lange brauchen würde, um den leer zu bekommen. Aber ich hatte wirklich großen Hunger. Plötzlich kam er näher und legte eine Hand um meine Taille, in der anderen balancierte der leere Teller.
      “Jovisst”, flüsterte er. Ich spürte, dass sich an meinem Körper eine Gänsehaut bildete und meine Hände schwitzig wurden. Was war heute mit ihm los? Hat er irgendetwas zu sich genommen und wenn ja, bekomme ich davon auch etwas? Ich entriss mich seinen Fängen und packte ihm auch Auberginenscheiben auf den Teller, da keine Beschwerde kam, fuhr ich mit der Entscheidung was er heute essen würde. Dann drehten wir uns um und liefen zurück an den Tisch.
      “Nicht mal selbst Entscheidungen treffen, kann der noch. Was machst du nur mit ihm”, scherzte Chris prompt. Ich atmete laut aus und setzte mich wieder Niklas, der bereits anfing zu essen. Ganz tief in meinem Kopf hörte ich Harlens Stimme, die ihn für das unhöfliche Verhalten tadelte. Doch ich war natürlich nicht Harlen und auch niemand, der anderen vorschreibt, wie er zu essen hätte. Ju und Linh waren bereits verschwunden, um sich ebenfalls etwas zu holen. Nur Chris saß mit einem leeren Platz mit am Tisch.
      “Willst du nichts essen?”, fragte ich ihn und stopfte mir eine viel zu volle Gabel mit Süßkartoffel in den Mund.
      “Nein, so wie dein Teller aussieht, schaffst du das eh nicht. Den Rest esse ich dann einfach”, erklärte er mir. Ich nickte nur und aß weiter. Es wurde still, als Ju und Linh zurückkamen. Vom Nachbartisch versuchte ich das Gespräch zwischen Lina und Samu mitzuhören, was mir aufgrund der sprachlichen Barriere nicht gelang. Doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass es sich um mich drehte. Die innere Unruhe kam wieder in mir auf und ich fragte Niklas erneut, ob wir gehen können. Ich bekam dieselbe Antwort erneut.
      Tatsächlich hatte ich schneller aufgegessen, als ich dachte. Chris Hoffnung verflog somit, doch mir kam eine Idee in den Kopf: “Soll ich dir noch was holen?”
      “Wenn du so lieb bist”, blickte er mich an. Seine Augen funkelten und ein breites Grinsen erstrahlte wieder sein Gesicht.
      “Skynda dig”, murmelte Niklas. Irgendwas stimmte nicht. Warum war er so besessen davon, dass ich in seiner Kontrolle bleiben sollte? Später musste ich dem nachgehen, doch jetzt vor allen anderen, war es nicht der richtige Augenblick. Einige Minuten später brachte ich Chris und gute Auswahl an Essen, worauf ich natürlich auf das Fleisch verzichtete. Er nahm das Besteck in die Hand und freute sich über die Bedienung. Dann setzte ich mich brav wieder zu Niklas, der sogleich wieder sein Revier markierte und seine Hand auf meinen Oberschenkel legte. Zur Feier des Tages trug ich eine kurze Hose und auch mein geliebter Hoodie blieb im Zimmer, denn ich hatte wieder ein Tank Top an. Obwohl ich keinen BH brauchte, wegen der fehlenden Oberweite, trug ich einen. Es war mir schon unangenehm genug, und so sah es wenigstens so aus als ob. Ju saß wieder am Handy und ich bemerkte die großen Schäden an diesem. Vor mehreren Tagen sah es noch nicht so aus, oder irrte ich mich? Vielleicht würde es die unangenehme Ruhe auflösen, wenn ich danach fragte: “Ju, was ist mit deinem Handy passiert?”
      “Das geht dich wohl überhaupt nichts an”, grummelte er mich direkt an. Von Linh kassierte er eine Faust in den Oberschenkel. Schmerzerfüllt verzog er das Gesicht und erklärte mir: “Ich war sauer auf dich und hab das durch die Stallgasse geworfen.” Meinetwegen? Warum drehte sich plötzlich alles nur noch um mich? Einer verrückter als der andere …
      “Wieso?”, fragte ich ungläubig.
      “Weil du mit ihm hier verkehrst”, beschwerte er sich so laut, dass jeder es mitbekam. Dabei zeigte er auf seinen besten Freund. Ich senkte meinen Kopf Richtung Tisch.
      “Fan! Menar du allvar”, beschwerte sich nun Niklas lautstark.
      “Vielleicht sollte ich doch besser gehen”, murmelte ich und versuchte erneut die Flucht einzuschlagen. Doch Niklas hinderte mich diesmal deutlich daran. Er drückte mein Bein nach unten, was mit einem kräftigen Schlag auf meinen Oberschenkel verbunden wurde. Ich verspürte ein Brennen auf der Haut, aber sagte nichts dazu. Gefiel es mir?
      “Du bleibst, wo du bist, da müssen wir jetzt beide durch”, zischte er mich kaum hörbar an. Seine Intention war deutlich gediegener, als ich vermutete. Dazu sagte ich nichts weiter, sondern konzentrierte mich darauf, keine Gespräche der anderen zu hören. Mein Herz pulsierte signifikant schneller in meiner Brust als sonst, wenn ich aufgeregt war.

      Lina
      Irgendwann während des Essens war Jace wieder aufgetaucht und Sheena hatte recht gehabt, er hatte eine grandiose Laune. Woher auch immer diese Laune kam, ich war ganz froh drüber, dass es mich nicht mehr, wie Luft behandelte. Außerdem war gerade jeder eine willkommene Ablenkung, denn so egal wie es versuchte Samu weiß zu machen, war es mir doch nicht.
      Meine und die Aufmerksamkeit von allen anderen wurde unweigerlich auf den Nachbartisch gelenkt, als es dort lauter wurde. Natürlich ginge es um Niklas bzw. um Niklas und Vriska.
      Langsam könnte man echt glauben, dass das alles hier eine mordende Version des Sommernachtstraums ist, nur dass es viel mehr auf eine Tragödie hinauslief. Da nun die ganze Aufmerksamkeit auf Niklas, Vriska und Ju lag, wurde mir die Situation nun auch allmählich unangenehm. Spätestes jetzt würde auch dem letzten Deppen auffallen, was für ein Theater sich hier in den letzten Tagen abspielte.
      “Luulin, että et välittänyt”, flüsterte mir Samu zu, der meine Anspannung zu spüren schien.
      “En myöskään välitä, minun ei kuitenkaan tarvitse katsoa sitä koko illan”, nuschelte ich als Antwort und stand auf, um mich den Moment zu nutzen, wo alle noch auf das Drama am Nebentisch konzentriert waren, um zu verschwinden. Ich nahm wahr, dass Jayden es mitbekam und schon einen blöden Spruch auf den Lippen hatte. Ich warf ihm einen bösen Blick zu, was bewirkte, dass er seine Klappe hielt.
      Schnellen Schrittes entfernte ich mich von der Gruppe und verschwand so schnell wie es ging um eine Ecke. Die Sonne begann bereits unterzugehen und die umliegenden Schatten wurden immer länger.
      Etwas abseits der Gebäude ließ ich mich unter einem Baum nieder und sah den Wolken zu, wie sie über den rosa gefärbten Himmel zogen.
      Wie war es eigentlich möglich, dass sich so viel in so kurzer Zeit ändern konnte?
      Gestern war alles noch so anders gewesen. Wobei war das wirklich so? Und dann war da auch noch gestern Abend. Der Abend, wo meine Gefühle, das Erste mal einen heftigen Dämpfer bekommen hatten. Einerseits war ich froh drüber, dass Niklas aufrichtig genug gewesen war, um das ganze aufzuhalten, bevor es richtig wehtun würde. Worum es bei den Beiden ging, war mir eigentlich egal, aber trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass er mir davon erzählt hätte. Sicherlich hätte ich keine Freudensprünge vollführt, aber es wäre allemal besser gewesen als es selbst herauszufinden.
      Abgesehen davon, konnte ich mir auch immer noch nicht erklären, was ich falsch gemacht hatte, dass er auf einmal so abweisen war.
      Erstaunlicherweise verspürte ich bei diesem letzten Gedanken deutlich mehr Unbehagen. Da, wo heute Morgen noch leere gewesen war, breiteten sich auf einmal Verwirrung und Unsicherheit aus. Auf einmal war ich mir nicht mehr ganz so sicher, ob nach Schweden zu gehen, die richtige Entscheidung war.
      Wen ich jetzt brauchte, war der einzige Mensch, der mich immer bei allen Dingen Unterstützte hatte. Zum Glück verriet mir der Blick auf die Uhr, dass es relativ wahrscheinlich war, dass ich dieser Mensch auch erreichte, denn in Finnland müsste es jetzt ungefähr halb 6 sein. Ich wählte den Kontakt von Juliet und drückte auf Anrufen, es tutete.
      Es tutete lange, doch dann hörte ich eine verschlafene Stimme am anderen Ende: “Hyvää huomenta. Mitä tein tämän kunnian hyväksi?”
      “Juliet, niin paljon tapahtuu taas täällä”, fing ich an. “Mutta ensin vastaan eiliseen kysymykseesi: kyllä, lähden Ruotsiin. Ainakin kaksi tuntia sitten olin ainakin varma siitä.”
      “Mitä tämä tarkoittaa: olitko varma? Mitä tapahtui “, fragte meine Schwester nun besorgt nach.
      “Paljon on tapahtunut, Juliett. Mistä aloittaisin?... “, antworte ich mit ein wenig Verzweiflung in der Stimme. Dann begann ich ihr die Ereignisse der letzten zwei Tage zusammenzufassen, inklusive dem Drama um Jace und allem was dazu gehört. “Niklas osti uuden hevosen kaksi päivää sitten ja se puhkesi. Se on todella merkityksetöntä. Joten joka päivä tämän tapauksen jälkeen olimme vielä väsyneitä, koska oli vielä hyvin aikaista, ja sitten laitoimme itsemme takaisin sänkyyn yhdessä”. Ich endete nach dem Streit mit Samu gestern Abend. Nur das was ich inzwischen über Vriska und Niklas herausgefunden hatte, ließ ich absichtlich weg.
      “Jossain vaiheessa Niklas tuli luokseni ja me juttelimme. Hän sanoi, mitä hän ajatteli minusta... Että hänen lapsuudessaan on vielä ongelmia, joita hänen on vielä käsiteltävä…
      Keskustelun loppu on se, että hän ei ole valmis suhteeseen ja että olemme vain ystäviä.” versuchte ich Juliet dann noch die aktuelle Lage zwischen mir und Niklas zu erklären.
      „Ymmärtää. Mutta miksi sitten epäilet päätöstäsi, kun näytät pystyvän selviytymään siitä?”, antwortete meine Schwester.
      “Tänä aamuna kaikki oli hieman outoa, mutta toistaiseksi hyvin. Mutta sitten tein jotain väärin iltapäivällä, koska Niklas on ollut hapan siitä lähtien, mutta en tiedä miksi.”, berichtete ich ihr von den heutigen Ereignissen.
      “Lina, kerrotko vakavasti, että soitit minulle 5.30, koska riitelit ystäväsi kanssa?”, fragte meine Schwester und in ihrer Stimme konnte ich hören, dass sie sich Mühe geben musste nicht zu lachen.
      “Hän ei ole ystäväni!”, protestierte ich.
      “Okei, hän ei ole ystäväsi”, bekam ich als Antwort und ich konnte das grinsen ihn ihrer Stimme immer noch hören.
      “Sinusta ei ole apua!”, murmelte ich in das Telefon. Natürlich fiel meiner Schwester nichts Besseres ein, als mich auszulachen.
      “Voi suloisuutta. Samu on oikeassa, älä huoli siitä liikaa. On täysin normaalia, että se ei aina toimi täydellisesti. Tiedätkö kuinka, monta kertaa olen mistä riitelimme Taavi kanssa? Loppujen lopuksi olemme yhä yhdessä”, antwortet sie schon gleich ein wenig einfühlsamer. Sie hatte gut reden, bei normalen Menschen mit normalen Beziehungen, mag das vielleicht zutreffen, doch von normal ist das alles hier sicherlich sehr weit entfernt. “Sinulla ja poikaystävälläsi on myös kuvakirjasuhde.”
      “Olet söpö, jos uskot niin. Mutta nyt on kyse sinusta ja siitä, miten voin auttaa sinua”, lenkte Juliett das Gespräch wieder auf das eigentliche Thema.
      “Pelkään, ettei kukaan voi todella auttaa minua. En tiedä, mitä tein väärin”, sagte ich traurig und fuhr mir mit der freien Hand durch die Haare.
      “Haluaisin viedä sinut sylissäni nyt, pikkusisko.” Bei diesen Worten wurde mir wieder einmal bewusst, wie sehr ich sie vermisste. Zuhause hätte sie mir jetzt einen Kakao gebracht und mich in den Arm genommen. Doch seit fast drei Jahren habe ich sie nun nicht mehr persönlich gesehen. Das ist eine ganz schön lange Zeit und so glücklich wie ich hier auch immer gewesen war, ich vermisste sie die ganze Zeit über. Ganz besonders in solchen Momenten wie jetzt.
      “Kiitos, että kuuntelit minua Juliett. Kaipaan sinua”, murmelte ich leise in das Telefon.
      “Kaipaan myös sinua, pieni, mutta lupaan, että tapaamme pian uudelleen”, versuchte sie mich aufzumuntern. Wenn ich tatsächlich nach Schweden gehe, würden keine 4000 Km und ein Ozean zwischen uns liegen, dann wäre es tatsächlich denkbar sie wiederzusehen. Allein das reichte schon für mich, um die Sache durchzuziehen. Vielleicht hatten Samu und meine Schwester ja recht und ich machte mir wirklich zu viele Gedanken.
      “Kiitos, että olet aina tukenani”, sagte ich noch bevor ich mich von meiner Schwester verabschiedete. Wirklich viel hilfreicher als das Gespräch mit Samu vorhin, war das hier auch nicht wirklich gewesen, aber es hatte gutgetan mit Juliet zu reden.
      Mit einem seufzen ließ ich mich gegen den Stamm sinken. Hoffentlich werde ich die Entscheidung nicht doch noch bereuen.

      Vriska
      „Und in diesem Moment zerbrach ihr kleines Herz“, murmelte Chris zu uns am Tisch und unterbrach die Stille.
      „Ich dachte wirklich noch an das Gute in euch beiden, aber jetzt seid ihr beide wirklich gestorben für mich“, beschwerte Milena sich, die gerade mit nassen Haaren dazustieß. Besser hätte es wirklich laufen können. Vor versammelter Mannschaft ließ Ju uns auffliegen, doch schämte ich mich dafür? Ehrlich gesagt nicht, denn ich wieso war es meine Aufgabe die Gefühle zu schützen? Es belastete mich immer die Erwartung von allen erfüllen zu müssen, so wollte und konnte ich nicht leben. Regungslos stand Milena noch einige Minuten mit am Tisch, Chris aß währenddessen weiter und ich beobachtete jeden Bissen in seinem Mund. Nach ungefähr 16 Bissen schluckte er die Nahrung runter, dabei schnitt er die nächste Portion zurecht und hielt sie mit der Gabel vor seine Lippen.
      “Ihr seid so furchtbare Menschen”, stammelte Milena aufgebracht, warf die nassen Haare über ihre Schulter und stampfte davon. Ihr Shirt war am Rücken vollkommen durchnässt, was sich bis in ihre kurze Hose zog. Mir fehlten noch immer die Worte, würde es weiter gehen wie zu vor? Erstmal gab es wichtigeres, wie die Kür oder dem Bestehen meiner Abschlussprüfung.
      “Ich werde mal die Unterlagen holen”, sagte ich, stand auf und lief zum Zimmer. Es gab keine Beschwerden des Kerls neben mir, so konnte die Idee nicht falsch sein. Hektisch sammelte ich alles zusammen und stürzte mich wieder heraus. Ich verlor einige Blätter, bückte mich nach ihnen und immer mehr fliegen durch die Luft. Geschafft schlug der Haufen auf dem Holztisch auf und musste frische Luft schnappen. Statt auf dem Pad zu arbeiten, hatte ich mir wieder zu viele Notizen auf dem Papier gemacht und mir Videos im Internet angeguckt zum Lernen. Wusstet ihr, dass man im Internet nicht wirklich findet zu den Ausbildungsthemen als Pferdewirt in speziellen Reitweisen oder auch Rennen? Als wären es nur ein paar ausgewählte, die diese Ausbildungsunterlagen lesen dürften.

      Milena
      Lina versuchte so unauffällig wie möglich zu verschwinden, doch ich sah sie. Vorher waren Jus Worte nicht zu überhören, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt die Runde nicht einmal erreicht hatte. Keiner machte Anstalten sie zu unterstützen, denn Niklas hatte seine Masche bei ihr wirklich gut anwenden können, doch aus welchem Grund? Wieso musste er sich eine verwundbare junge Dame aussuchen, die am anderen Ende der Welt lebte? Normalerweise wäre es der Weg ins Schlafzimmer gewesen, den er suchte, doch war Lina für ihn etwas Besonderes, etwas Ernstes? Kaum vorstellbar. Langsam ging zu dem Baum zu, an dem sie lehnte.
      “Hey”, sprach ich Lina leise an, um sie nicht zu erschrecken. Es gab keine Rückmeldung, so setzte ich mich im Schneidersitz vor sie, keinen Blick würdigte Lina mir.
      “Bevor du weggehst, oder mich wegschickst, möchte ich mich bei dir Entschuldigen. Wenn ich vorher gewusst hätte, worauf das alles hinausläuft, wäre ich nicht so zu dir gewesen. Es war nicht richtig, aber ich weiß auch nicht. Ich habe Spaß dabei Leute zu ärgern, aber meine das wirklich nicht persönlich”, vermittelte ich ihr ruhig und senkte meinen Kopf.
      “Schon ok, nervige Leute sind hier Standard, da macht einer mehr oder weniger auch nicht den Unterschied”, antworte sie gleichgültig.
      “Möchtest du darüber reden, was gerade in deinem Kopf abläuft?”, fragte ich freundlich.
      “Weißt du... manchmal frage ich mich, warum ich ausgerechnet so weit weg von meiner Heimat gelandet bin. Was genau hat mich hierhergeführt?”, begann sie indirekt meine Frage zu beantworten, wobei sie ein paar Grashalme ausrupfte. “Ich meine, die unfassbare große Auswahl an Karrieremöglichkeiten wird es wohl nicht gewesen sein”, fügte sie sarkastisch hinzu.
      “Das weiß ich leider auch nicht, der Hof ist schön, aber in Finnland gibt es sicher auch viele schöne Höfe. Und …”, stotterte ich. Der Psychokram fiel mir bis heute nicht leid, aber dass sie ihre Heimat vermisste, konnte ich gut nachvollziehen. Dann sprach ich weiter: “Und in Schweden wirst du mehr Möglichkeiten haben.”
      “Das weiß ich doch. Ansonsten wäre es vermutlich noch unvernünftiger als es eh schon ist, von heute auf morgen auszuwandern.” Offenbar schien sie sich ein wenig über sich selbst zu amüsieren, denn auf ihrem Gesicht, war der Ansatz eines Lächelns erkennbar.
      “Falls du nicht mit auf das LDS zu Vriska willst, kann ich dir anbieten mit zu mir und Linh zu kommen, oder wir gucken nach einem anderen Hof”, munterte ich Lina etwas mehr auf. Schließlich gab es noch deutlich mehr Höfe in Schweden, sogar in der Umgebung von Kalmar.
      “Das ist wirklich ein nettes Angebot, aber ich denke, ich werde erst einmal sehen, wie es so läuft dort. Immerhin ist das LDS nicht komplettes Neuland für mich”, antwortete sie und hörte auf den Boden anzustarren.
      “Okay, dann musst du eins wissen”, begann ich und stand auf. Dann schaute ich zu Lina runter und setzte fort: “Die Kleine erliegt einer regelrechten Obsession zu eurem Chef. Also falls du da mal ein Druckmittel brauchst. Ach, und wegen Niklas. Mach’ dir da keine Gedanken, ich habe das Gefühl, dass ihm das mit euch beiden wirklich wichtig ist. Deswegen hat er sich nicht direkt mit dir Vergnügt. Das ist aber rein spekulativ, Linh hatte die Vermutung schon vor ein paar Tagen, als Anna euch erwischt hat.”
      “Meinetwegen kann Vriska anbeten, wen sie möchte, aber ich werde es mir merken und vielen Dank für deine Zuversicht.”
      “Du schaffst das schon, nimm es dir nicht so zum Herzen. Wird schon werden, und sonst: Schweden hat noch einiges mehr zu bieten als den Typen”, lachte ich und verließ sie wieder. In meinem Magen grummelte es ziemlich laut, was nur mit Essen gestillt werden konnte. Obwohl mich das Gespräch mit Lina überhaupt nicht weiter gebrachte, fühlte mich gut, jemanden helfen zu können. Oder es zumindest versucht zu haben. Am Büfett legte ich mir verschiedene Speisen auf den Teller und setzte mich zu Linh, die zwar mit am Tisch der Dämlacks saß, aber allein sitzen, fand ich auch blöd. Vriska und Niklas bemerkten mich gar nicht, denn sie waren beschäftigt irgendwelche Aufgaben zu lösen. Vielleicht sollte ich auch demnächst beginnen für den Abschluss zu lernen, deswegen folgte ich dem Gespräch der Beiden auf einem Ohr, während ich aß.

      Jace
      “Soll ich mal nach ihr gucken gehen?”, fragte ich Samu leise, als Lina nun schon eine ganze Weile verschwunden war.
      “Tu, was du nicht lassen kannst, aber ich glaube nicht, dass sie derzeit Gesellschaft wünscht”, sagte er schulterzuckend. Ich wunderte mich ein wenig über seine Antwort, da normalerweise er derjenige war Lina hinterherdackelte. Aber vielleicht hatte sie ihm ja auch etwas dazu gesagt. Immerhin hatte ich mitbekommen wie Lina und Samu einen kurzen Wortwechsel hatten, bevor sie verschwunden war. Dennoch ließ ich mich von Samu Worten nicht abhalten, denn ich hatte das Gefühl, dass dies hier eine Chance sein könnte mich bei Lina wieder gut zustellen. Ihr Essen hatte sie kaum angerührt bevor sie verschwand, als beschloss ihr etwas mitzubringen. Sicherlich hatte sie Hunger.
      Mit einem Teller, der meiner Meinung nach Lina gerecht beladen war, machte ich mich auf die Suche nach ihr. Es dauerte nicht lange bis ich sie fand, denn sie war nicht sonderlich weit weggegangen. Hinter dem Stall saß sie unter einem Baum und tippte auf ihrem Handy herum.
      “Was machst du denn hier so?”, fragte ich vorsichtig, während ich mich näherte.
      “Alleine, sein oder es zu mindesten versuchen”, murmelt sie und tippe weiter auf ihrem Handy rum.
      “An einem so schönen Abend sollte man doch nicht alleine sein”, lenkte ich ein. Lina ignorierte meine Aussage und sah mich ein wenig verärgert an: “Jace, was genau willst du hier eigentlich? Heute Morgen war ich doch noch Luft für dich.” Offenbar schmollte sie noch, weil ich sie heute Morgen ignoriert hatte. Auch wenn das nicht die besten Voraussetzungen für mein Vorhaben waren, ließ ich mich nicht davon abbringen.
      “Ich dachte… du könntest vielleicht Hunger haben. Du hast schließlich kaum etwas gegessen”, sagte ich freundlich, während ich den Teller neben ihr abstellte. “Außerdem, dachte ich, du könntest jemanden zu reden gebrauchen.”
      “Danke, aber für heute habe ich schon genug geredet”, lehnte sie mein Angebot ab, nahm sich allerdings den Teller und begann zu essen. Na gut, wenn sie nicht reden möchte, werde ich sie trotzdem mit meiner Anwesenheit beehren. Ich setzte mich mit ein wenig Abstand zu ihr auf die Wiese, schließlich wollte ich ihr nicht gleich zu nahetreten. Eine Weile war nicht viel zu hören, außer den Geräuschen, die von drüben zu uns rüber wehten. Auch, wenn ich mir heute Morgen noch gewünscht hatte Lina nicht zu begegnen, jetzt betrübte mich das ganze, dass sie nicht nur den Hof verlassen würde, sondern auch gleich noch das Land. So wie es jetzt war, blieben mir nur noch wenige Tage wieder gutzumachen, was ich verbockt hatte. Während ich so darüber nachdachte, kam mir eine Frage in den Sinn: “Sag mal, wer wird sich eigentlich um Divine kümmern? Du wirst ihn ja wohl kaum direkt mitnehmen.” Lina hatte den Teller inzwischen fast leer gegessen und zur Seite gestellt.
      “Ja, da hast du recht ich werde ihn nicht direkt mitnehmen. Samu wird sich um den kleinen Prinzen kümmern, schließlich muss das jemand Kompetentes tun”, antwortete Lina, ohne mich wirklich dabei anzusehen.
      “Willst du etwa sagen hier gäbe es nicht genug Kompetenz?”, fragte ich ein wenig empört.
      “Also aktuell, gibt es hier sehr viel Kompetenz, aber das wird nicht mehr lange so sein”, antworte sie und ich konnte einen Hauch von einem schelmischen grinsen in ihrem Gesicht erkennen.
      “So ist das also…Das sollte ich mir merken, falls du jemals noch mal Hilfe brauchen solltest.” Es freute mich, dass sie offenbar zum Scherzen aufgelegt war. Das konnte nur bedeuten, dass sie nicht ganz so nachtragen war, wie sie mir zu beginnen suggerieren wollte, gut für mich.
      “Vielleicht darfst du Samu ja helfen, wenn du nett zu ihm bist”, alberte sie weiter herum.
      “Ja ja, mach du dich nur lustig darüber. Warte nur ab, was dein Pferd alles kann, wenn du es wiedersiehst!”, sagte ich überzeugt.
      “Ist das etwa eine Drohung?”, fragend sah sie mich an und grinste breit.
      “Kommt drauf an, immerhin läuft kein Pferd besser vor der Kutsche als meine Tinker”, antworte ich und grinste auch.
      “Etwa die Tinker, die du eigentlich nicht trainieren wolltest?”
      “Ja, genau die”, gab ich zu. Tatsächlich hatte ich es anfangs abgelehnt die beiden Tinker zu trainieren, dass sie mir persönlich viel zu klein waren, aber wie es der Zufall wollte, blieb es doch an mir hängen. Tatsächlich stellten die beiden sich als Ideale Kutschpferde heraus, was bei einem Tinker natürlich nicht wirklich erstaunlich ist.
      “Na, da ist dir Divine sicherlich auch zu klein, du willst den bestimmt gar nicht trainieren”, neckte Lina mich.

      Vriska
      Menschen gingen an unserem Tisch vorbei, warfen fast abfällige Blicke auf uns, während Niklas mit mir die Aufgaben besprach, die vorhin löste. Seine Brille rutschte immer wieder ein Stück von der Nase. Automatisch schob er sie wieder nach oben. Dabei kaute er auf dem Stift herum, den Niklas in seiner Hand hielt. Immer mehr Zeit verging, in der er nichts sagte, nur unverständlich vor sich hinmurmelte und die Unterlagen durchblätterte.
      “Die Trainingsmethoden solltest du dir in nächster Zeit noch weiter durchlesen, aber sonst sehr gut formuliert und reflektiert. Dein Arbeitgeber wird froh sein, über jemanden mit dem Wissen”, lobte Niklas und legte alle Blätter ordentlich zusammen.
      “Danke für deine Hilfe”, schmunzelte ich und betrachtete ihn sehr genau. Aus dem Augenwinkel heraus, sah ich, dass Chris ebenfalls alles genau beobachtete. Linh und Ju saßen auch noch am Tisch, jedoch sehr beschäftigt miteinander. Blöde Kommentare gab er nicht mehr von sich. Doch leider änderte sich es schneller, als es mir lieb war.
      “Und deine Kür? Vermutlich hast du dir darüber noch keine Gedanken gemacht”, griff er mich an. Ju schien irgendein schwerwiegendes Problem mit mir zu haben, was ich mir nicht erklären konnte. War ihm die kleine Flirterei wirklich so wichtig, um so einen Aufstand machen zu müssen? Der Abend begann bereits unschön, dass ich nicht weiter auf seine Provokation einging. Ich wollte die übrige Zeit noch guten Erinnerungen im Kopf behalten, doch es näherte sich der nächste Grund, wieso ich das vergessen konnte. Max kam zum Tisch und stütze sich mit den Händen auf der Kante ab. Erwartungsvoll blickte er zu mir.
      “Du hast ja gerade nichts zu tun, willst du heute Blávör noch bewegen. Sie hat gestern wieder angefangen herumzuzicken und du kommst so gut mit ihr klar”, fragte er freundlich. Eh ich etwas sagen konnte, wandte sich Niklas mir zu und flüsterte: “Was will der?”
      “Er fragt, ob ich seine Stute bewegen würde”, erklärte ich ihm.
      “Sie wird deine Stute bewegen und wir holen deine Andere auch direkt mit rein”, bot Niklas Max an und stand auf. Verdutzt blickte ich zu ihm hoch. Wir? Muss der mich vor irgendwas beschützen, oder was stimmt mit ihm gerade nicht? Unweigerlich guckte ich über den Tisch, neben meinem Haufen an losen Blättern standen fünf leere Bierflaschen, die er nebenbei offensichtlich getrunken hatte. Einige meiner Fragen waren damit geklärt und ich nahm meine Unterlagen hoch, um sie im Zimmer zu verstauen. Max bedankte sich bei ihm und lief freudig zu Björn und Erika, die am Feuer saßen. Auch Finley befand sich dort.
      “Was ist heute mit dir los?”, fragte ich vorsichtig im Zimmer, als ich mein Outfit wechselte.
      “Nichts”, würgte er das Gespräch ab und konzentrierte sich wieder auf sein Handy. Offenbar gab es dort etwas interessanteres. Ohne weitere Worte zu wechseln, liefen wir zur Weide mit drei Stricken. Niklas verschwand direkt, um seine Stute zu holen, die am anderen Ende der Weide stand. Durch den Mond leuchtete sie beinah und der Schimmer legte sich über den Rasen. Snotra stand ziemlich weit vorn und kam direkt mit gespitzten auf mich zu. Eh ich sie wieder einfangen müsste, nahm ich die Stute an den Strick und lief mit ihr zu Blávör. Weniger begeistert schlug sie mit dem Schweif und trat einige Schritte von mir weg. Als Niklas mit Smoothie wiederkam, konnte ich auch endlich die Bunte einfangen und mitnehmen. Noch immer sprach er kein weiteres Wort zu mir und ich kämpfte damit die Stute gleichmäßig neben mir zu führen. Blá legte mehrfach die Ohren an und zickte Smoothie an, die sich nicht beirren ließ von der Stute. Niklas legte im Tempo etwas zu, was die Isländer Dame nur noch mehr aufregte. Nervös tänzelte sie neben mir her und erst durch mehrmaliges Anhalten sowie rückwärtsrichten bekam ich sie wieder unter Kontrolle.
      “Hast du es auch endlich mal geschafft?”, schmunzelte Niklas, als ich deutlich später ankam. Seine Stute stand bereits in der Box und mümmelte im Heu. Ich gab keine Antwort, sondern drückte ihm nur die Zicke in die Hand, um Snotra wegzustellen. Kaum zu glauben, dass sie heute mal die Ruhige war. Natürlich bedeutete Blávör Hexe, dem sie heute alle Ehre machte. Er hatte sie bereits angebunden und begann sie zu putzen. Neben dem Pony wirkte er noch größer und ziemlich verloren. Ihn zu beobachten im Umgang mit Pferden beruhigte mich ungemein und hatte etwas Meditatives. Es zu beschreiben, fiel mir schwer, doch es kribbelte in mir und den Blick abzuwenden funktionierte nicht.
      “Warum beobachtet ihr mich immer, wenn ich mich mit einem Pferd beschäftige?”, unterbrach Niklas meine innerliche Ruhe.
      “Das hat was Meditatives. Du strahlst dabei so eine anziehende Ruhe aus”, wendete ich meine Blicke von ihm und half beim Putzen. Das weiße Fell der Stute färbte sich an einigen Stellen ziemlich grün und auch braun.
      “Sowas hat noch nie jemand zu mir gesagt. Sonst wollen mich alle immer nur ausziehen”, scherzte er und schien etwas überspielen zu wollen. Das Lachen klang unecht, beinah einstudiert. Ihn danach zu fragen, wirke für mich falsch.
      “Ach, das kenne ich schon. Langweilig”, stieg ich mit ein und lachte. Blá stand noch immer ruhig da, als würde sie sich genauso wohl gerade fühlen wie ich.
      “Was heißt denn hier bitte langweilig?”, beschwerte er sich lautstark. Ich lachte nur und begann die Hufe auszukratzen, als ich seine Hände an meiner Hüfte spürte.
      “Immer noch langweilig?”, provozierte Niklas weiter. Kalt lief es mit am Rücken herunter, das Kribbeln wurde wieder stärker und ich spürte, dass etwas an meinem Bein. Mit dem Huf war ich fertig und schnellte nach oben, da die Stute noch zwei weitere hatte, die gerne sauber sein wollten. Doch er ließ mich nicht los, sondern drängte mich an das Pferd. Sie legte die Ohren an und schlug wieder mit dem Schweif.
      “Oh, ich hatte nicht erwartet hier jemanden anzutreffen”, vernahm ich auf einmal eine Stimme, die aus Richtung der Tür zu kommen schien und so wie es sich anhörte, gehörte sie eindeutig zu einer Frau. Niklas ließ sofort von mir los und trat zwei Schritte zurück.
      “Ähm … ich … wir auch nicht”, stammelte ich berührt vor mir her. Es fühlte sich an, als wären wir bei irgendwas wirklich Schlimmes erwischt worden sein, doch war es das denn? Ich wollte mir darüber keine Gedanken mehr machen, aber das fiel mir wirklich schwer. Denn er fühlte sich offensichtlich auch nicht wohl dabei, sonst hätte sich nicht direkt von mir entfernt. Ich dachte zu viel. Viel zu viel. Die Unsicherheit kam wieder, meine Atmung wurde schneller und meine Hände zitterten.
      “Ähm, ich wollte eigentlich nur nach meinem Pferd sehe, aber ich kann das wohl auch später machen”, redete die junge Frau leicht irritiert weiter und wandte sich wieder zum Gehen.
      “Ach ist doch alles gut, wir wollten eh gerade die Stute satteln”, antwortete Niklas nun und legte kurz seine Hand an meinen Arm. Ich bewegte mich direkt auf die andere Seite von Blávör, um die rechten Hufe auszukratzen. Er holte schon mal das Sattelzeug, doch kam wenig später wieder aus der Sattelkammer. Offenbar wusste er nicht genau, was ihr gehörte. Doch meinen Helm hatte er bereits in der Hand.
      “Okay, dann geh ich mal zu meinem Pferd”, antwortete die blonde Frau und verschwand in einer Box, in der ein Haflinger stand. Ich wusste nicht, was ihr sagen sollte, meine Gedanken waren ganz wo anderes. Es wirkte so surreal alles. Aus der Kammer holte ich das Sattelzeug und machte die Stute fertig. Als ich den Helm aufsetzte und in der einen Hand die Zügel hielt und in der anderen die Gerte, wollte ich nach draußen. Dann fiel mir ein Problem auf. Die Dame schien hier zu arbeiten. Ich drückte Niklas alles wieder mal entgegen.
      “Du? Vielleicht kannst du mir helfen? Ich wollte mit ihr auf den Reitplatz, aber ich weiß gar nicht, wie das Flutlicht angeht”, fragte ich freundlich und leise, denn sie war vertieft mit ihrem Pferd.
      “Klar, kein Problem. Das kann ich euch zeigen, der Schalter ist direkt am Platz”, antwortete sie freundlich und trat aus der Box heraus. Niklas und ich folgten ihr zum Reitplatz, wo sie uns einen Schaltkasten an der Seite zeigte. “Der Knopf hier ist für das Licht, macht es einfach wieder aus, wenn ihr dann fertig seid.”
      Ich sah nicht, was ich erwartet hatte. Das Flutlicht war eine wirklich lange Schlauchlichterkette, die sich um den ganz Zaun wickelt. Auch die Barken vom Dressurplatz erleuchteten in einem warmen Licht. An den Ecken des Platzes standen große Flutlichter, aber spendeten nur wenig Helligkeit.
      “Danke dir”, antwortete ich und nahm Niklas wieder das Pferd ab. Er kam mit auf den Platz, hielt mir gegen und schwang mich auf den Rücken der Stute. Direkt kaute sie auf dem Gebiss herum und senkte den Kopf. Dann ritt ich im Schritt los. Dabei setzte ich mich mehrfach um. Obwohl ich mich auf das Pferd konzentrieren sollte, wich mein Blick immer wieder zu Niklas, der es sich auf einer Bank bequem gemacht hatte. Untypisch hielt er sein Handy nicht in der Hand, sondern beobachtete auch mich. Keiner von uns sagte etwas, doch ich spürte, dass sich unsere Augen mehrfach trafen. Das Kribbeln kam wieder, doch auch Jennis Worte hallten durch meinen Kopf. Auch was er am Vortag sagte, vergaß ich nicht.
      “Bleib locker und verkrampfe deine Hände nicht so sehr, das macht Bla nervös”, sagte er.
      “Wird das jetzt Unterricht, oder was ist genau dein Plan? Nur zur Information, das spricht man Blá”, protestierte ich und betonte die letzte Silbe wie ein Au, denn es war kein kurzes beinah stummes a. Obwohl Isländisch Schwedisch ziemlich nahekam, gab es einige wichtige Silben, die anderes gesprochen wurden und die Bedeutung vollkommen veränderten.
      “Bla bla bla. Jetzt mach’ was ich dir sage”, befahl er mir. Ich rollte mit den Augen und versuchte mich mehr auf die Stute zu konzentrieren. Meine Gedanken wanderten wieder an den kurzen Moment im Stall, meine Beine wurden lockerer und hingen entspannt parallel zum Pferd. Schon schnaubte Blávör ab und streckte sich. Er lobte uns beide und ich bekam ein besseres Gefühl im Sattel. Das von Max erwähnte zickige Verhalten, dass sie sonst an den Tag legte, spürte ich nicht. Erst als wir mit dem Trab begannen, legte sich Blávör auf den Zügel, schüttelte wild mit dem Kopf und bremste abrupt ab. Vorwärts wollte sie nicht mehr und lief hektisch zurück.
      “Provoziere sie nicht, sondern gebe ihr Freiraum. Blá muss darüber nachdenken und das Vertrauen mit dem Reiter finden. Körperlich scheint auf den ersten Blick als in Ordnung zu sein, also braucht sie Ruhe”, vermittelte Niklas mir. Ich ließ die Stute stehen, bis sie auf die halben Paraden reagierte und den Kopf senkte. Mit meinem Schenkel arbeite ich langsam daran, dass sie einen Schritt vorwärtslief. Dann lobte ich direkt und hörte mit dem Druck auf. Ich blieb hartnäckig, bis Blávör normal im Schritt wieder lief. Freundlich lobte ich sie, dabei spürte ich, dass die Stute davon sehr erschöpft war. Es hinderte mich nicht daran nach einigen Runden Schritt wieder in den Trab zu wechseln. Diesmal folgte Blávör meinen Hilfen und zickte nicht mehr herum. Am Ende konnten wir auch noch etwas tölten. Niklas half mir dabei meinen Sitz noch zu verbessern und meine Hände ruhiger zu halten. Ich hatte Probleme dabei mich im Sattel zu halten. Bei dem Ändern des Tempos wackelte ich im Sattel und das nahm die Stute mir übel.

      Lina
      Jace und ich hatten uns noch eine ganze Zeit unterhalten, überwiegend darüber, was Jace und ich glaubten, was Divine bereits alles konnte. Immerhin war der Hengst gerade einmal 4 Monate hier. Bei einem Pferd, welches in einem so schlechten Zustand gewesen ist wie Divine, war das eine ziemlich kurze Zeit. Wobei wir für so eine kurze Zeit schon weit gekommen waren, immerhin hatte ich Ivy im Juli auf einer Zuchtschau vorgestellt.
      “Habe ich eigentlich mal erzählt, dass Divine schon als Einhorn bezeichnet wurde”, fragte ich Jace beiläufig. Wie ist so an die Zuchtschau zurückdachte, musste ich unwillkürlich lächeln.
      “Nein, aber ich kann mir gut vorstellen, dass das öfter vorkommt”, antworte Jace.
      “Ohh, das war richtig niedlich. Nachdem ich Ivy vorgestellt hatte, kam ein kleines Mädchen an. Sie war total begeistert von meinem Hengst, Divine natürlich auch von ihr, du weißt ja er liebt Kinder”, begann ich von der Begegnung mit den kleinen Mädchen zu erzählen. “Naja, auf jeden Fall meinte die kleine irgendwann, dass Divine ja aussähe wie ein Einhorn, da würde nur noch eine Menge Glitzer fehlen. Ich habe danach tatsächlich überlegt, ob ich ihm ein Glitzerhalfter kaufe.”
      Auf einmal unterbrach Samu unser Gespräch: „Lina, denkst du auch noch daran Legolas von der Koppel zu holen.” Er stand mit Elf Dance am Weg, den er offenbar gerade von der Koppel geholt hatte. Bisher war mir gar nicht aufgefallen, dass die Sonne inzwischen gänzlich untergegangen war.
      “Oh ist es schon so spät?”, fragte ich ein wenig verwundert und griff gleichzeitig nach meinem Handy, welches immer noch neben mir im Gras lag.
      “Joo”, bestätigte Samu das was ich auch schon auf meinem sah. 21:15 leuchtete mir auf dem Display entgegen. “Ja, dann sollte ich den armen Kerl mal lieber reinholen, bevor er noch ganz allein draußen steht.“
      “Ich komm mit, ich muss Herkules auch noch holen”, steuerte Jace bei und reichte mir die Hand, um mir beim Aufstehen zu helfen.
      “Hast du mir etwa heute noch nicht lang genug das Ohr abgekaut”, scherzte ich und ließ mich von ihm hochziehen.
      “Also für mich sieht das aus...als wären deine Ohren noch dran”, stellt er nach ausreichender Betrachtung fest und grinste breit. Es freute mich, dass Jace wieder normal war, ansonsten hätte ich wohl mit dem schlechten Gewissen, einen Trauerkloß zurückgelassen zu haben nach Schweden fliegen müssen.
      “Schön, dass ihr so viel Spaß habt, aber wenn ihr in dem Tempo weitermacht, kommt ihr nie an der Koppel an”, ließ sich Samu vom Wegesrand entnehmen, bevor er seinen Hengst in Bewegung setzte.
      “Ja ja, ist ja gut”, rief ich ihm noch hinterher und machte mich mit Jace zusammen auf den Weg zur Koppel. Auf einer der vorderen Koppel stand ein schwarzer Umriss am Zaun und wartete bereits. Das Einzige, was mir verriet, dass dieser Umriss Legolas war, war seine Blesse, die mir weiß im Mondlicht entgegen leuchtete.
      “Ich gehe gerade noch Herkules holen, wartest du hier?”, fragte Jace. Damit die Stricke immer in der Näher der Pferde waren, banden wir sie an die Koppeltore. Somit löste ich Legolas Strick vom Tor, während ich Jace antwortete: ”Klar, wird ja nicht lange dauern.”
      Jace verschwand in der Dunkelheit und ich öffnete das Tor zur Koppel. Lego streckte mir schon freundlich seinen Kopf entgegen. “Na mein hübscher, bald wirst du sicher pünktlich in den Stall gebracht”. Sanft strich ich dem Hengst über die weiche Nase, bevor ich den Strick in sein Halfter einklinkte. Brav folgte mir der große Hengst aus dem Tor.
      “Der braucht ganz schön lange, Lego”, sagte ich zu dem Pferd, nachdem ich schon gefühlte 5 Minuten auf Jace wartete.
      “Ich habe da noch wen auf der Koppel gefunden”, rief mit Jace zu, der endlich kam. Neben Herkules leuchtete noch das helle Fell eines zweiten Pferdes. Natürlich Divine, wie konnte ich nur so dämlich sein. Ich hatte ihn nach dem Reiten noch mal rausgestellt.
      “Kann mir irgendwer verraten, warum ich immer ausgerechnet ihn immer vergesse?”, fragte ich Jace, de inzwischen neben mit stand und nahm den Strick entgegen.
      “Keine Ahnung”, antwortete Jace Schulterzucken. “Vielleicht ist dein kleines Köpfchen mit zu vielen anderen Dingen beschäftigt.” Damit hat er sehr wahrscheinlich ins Schwarze getroffen, doch das wollte ich jetzt nicht weiter evaluieren. “Möglich, aber jetzt gerade ist mein Hirn damit beschäftigt, dass diese beiden Pferde hier in den Stall kommen, also lass uns gehen”, versuchte ich vom Thema abzulenken. Statt auf eine Antwort von Jace zu warten, lief ich los mit den beiden Pferden im Schlepptau. Da Hufgetrappel eines dritten Pferdes verriet mir, dass er mir folgte.

      Vriska
      „Was würdest du eigentlich ohne deine Pferde machen?“, unterbrach ich die Stille. Im Stall fraß Blávör ihr Kraftfutter, dass sie nach dem Absatteln von mir hingestellt bekam.
      „Wie, was würde ich machen?“, zog Niklas die Augenbrauen hoch, als hätte er meine Frage inhaltlich nicht verstanden und steckte das Handy zurück in die Tasche, an dem er schon wieder hing.
      „Na ja, so arbeitstechnisch“, kam es kleinlaut aus meinem Mund. Würde jemand wie er überhaupt arbeiten?
      „Ich arbeite bei der Polizei“, zuckte er mit den Schultern und kam einige Schritte näher. Sonst war niemand in der Nähe.
      „Jetzt wo du das sagst, ergibt das Sinn“, schämte ich mich, ihm vorgeworfen zu haben, auf dem Reichtum seiner Familie zu sitzen. Natürlich verdiente man auf den Turnieren, die er mit ritt, ziemlich hohe Summen. Doch so wie ich es bisher verstand, hatte Niklas nur Qualifikationen und noch nichts wirklich sehr Großes in seinem Lebenslauf.
      „Jetzt bist du mir eine Erklärung schuldig“, schmunzelte er und legte seine Hände wieder mal an meine Hüften. Ich fühlte mich unwohl dabei, denn aus sehr weiter Ferne hörte ich Linas Stimme. Mit jemanden unterhielt sie sich, doch ich konnte die andere Stimme niemanden auf Anhieb zuordnen. Ungeschickt versuchte ich mich ihm zu entreißen, was mir nicht gelang. Hinter mir stand die Stute von Max, die noch immer sehr langsam ihr Futter kaute.
      „Könntest du bitte deine Hände wegnehmen“, sagte ich ihm und senkte meinen Kopf, um seinen Blicken zu entkommen.
      „Was ist, wenn ich es nicht tue?“, sagte Niklas in ruhige Stimme. Ein Lächeln kam über seine Lippen.
      „Dann muss ich dich leider anzeigen und du weißt sicher selbst, welche Folgen das haben würde“, lachte ich. Er ließ von mir und tätschelte meinen Kopf.
      „Dann beantworte wenigstens meine Frage, wenn ich dich nicht spüren darf“, schmollte er. Es fühlte sich wirklich echt an, als wollte Niklas in meiner Nähe sein, mich berühren und Glücklichsein. Das stand mir nicht zu. Gestern erklärte er noch, dass das mit uns beiden nur Liebschaft wäre. Ohne Zukunft. Ohne, dass ich mir darauf etwas einbilden sollte. Mein Lächeln verschwand wieder und Blávör war endlich fertig. Seine Frage musste für den Moment ohne eine Antwort verbleiben, denn die Hübsche wollte in ihre Box zurück. Er folgte mir, als gäbe es etwas zu verpassen, doch meine Konzentration blieb bei Blávör. Ungeschickte stolperte sie mehrfach und trat mir dabei in die Schuhe. Froh darüber, heute ausnahmsweise die Chaps angezogen zu haben, zog ich das Halfter über ihren Schopf und schloss die schwere Boxentür.
      „Mein Mann möchte noch rein, kommst du mit?“, fragte ich.
      „Hoffentlich bekommt er das mit uns nicht raus, sonst gibt es noch Streit“, antwortete er scherzhaft und legte seinen Arm um meine Schulter.
      „Er weiß es schon, aber wir führen eine glückliche offene Beziehung“, lachte ich und lief mit Niklas raus. Am Ende des Weges konnte man Lina klar identifiziere. Divine trottete neben ihr her, sowie Legolas und ganz gegen meine Erwartung, gehörte Jace die Männerstimme. Das hatte mir jetzt noch gefehlt. Niklas trug noch immer die Schiene an seiner Nase von dem Zwischenfall der Beiden. Ich nahm seinen Arm von meinen Schultern und senkte den Kopf. Sollte ich mich entschuldigen? Sie ignorieren? Nervös biss ich auf meinem Lippenpiercing herum und öffnete den Ring immer wieder. Ich spürte, dass die Innenseite meiner Unterlippe bereits wund war. Bei Nervosität tat ich das immer und letzten Tage statt ich dauerhaft unter Strom.

      Lina
      “Was hast du eigentlich morgen vor?”, fragte Jace, der den Wink mit dem Zaunpfahl offenbar verstanden hatte.
      “Viel, sehr viel außer Nathalie sind die Pferde heute die Pferde zu kurz gekommen. Hazel war ja überaus freudig, damit beschäftigt mich von meiner eigentlichen Arbeit abzuhalten”, antwortete ich Jace. Dieser sah mich zwar ein wenig verwirrt an, weil er anscheinend keine Ahnung hatte, wovon ich redete, fragte aber: “Soll ich dir morgen vielleicht ein wenig helfen?” Herkules, den neben Jace herlief, spitzte auf einmal die Ohren. Dieses Verhalten ließ meinen Blick nach vorne wandern. Vriska und Niklas kamen uns entgegen. Sofort spannte sich alles in mir an. Einerseits hatte ich ein wenig bedenken, dass Jace mal wieder irgendetwas Dummes tun würde, dieser Mann war nicht leicht einzuschätzen und andererseits, weil mein Unterbewusstsein der Meinung war, Flucht sei die beste Entscheidung. Da das nicht nur seltsam, sondern absolut bescheuert wäre, entschied ich mich dagegen.
      “Ne, schon gut. Ihr werdet noch genug zu tun haben, wenn ich nicht mehr da bin. Außerdem ist morgen eh Freispringen für Nathy und Masko.” Ich hoffte inständig, dass man mir die Anspannung nicht ansah. Aus dem Augenwinkel heraus nahm ich wahr, dass Niklas und Vriska an uns vorbeiliefen. Da mein Blick starr geradeaus ging, konnte ich nicht genau sagen, ob sie uns beachteten oder nicht.
      “Wie du meinst. Falls du es dir doch anders überlegen solltest, kannst du ja Bescheid sagen”, antwortete mir Jace schulterzuckend. Divine schnaubte laut und blieb stehen, um sich zu schütteln, was natürlich dazu führte, dass ich auch stehen bleiben musste.
      “Na komm Ivy, dein Abendbrot wartet”, mit einem leichten Zug am Strick versuchte ich meinen Hengst zum Weitergehen zu bewegen. Tatsächlich setzte sich der Freiberger in wieder in Bewegung.
      Im Stall angekommen stellte ich die beiden Hengste in die Box.
      “Soll ich Herkules Futter auch mitbringen?”, rief ich Jace über die Stallgasse zu.
      “Ja bitte. Steht schon fertig in der Futterkammer”, antwortete er. In der Futterkammer nahm ich als Erstes die Schüsseln von Divine und Legolas. Jeder bekam seine Portion Hafer in die Schüssel. Dazu gab es für jeden noch eine klein geschnitten Möhre, für Divine gab es noch ein paar Minerale, da er leider immer noch leichte Mangelerscheinungen hat. Das Öl füllte ich wie immer erst einmal in ein kleines Becherchen. Ich hatte mir angewöhnt es erst in der Box über das Futter zugeben, damit das Öl auch wirklich im Pferd landete und nicht in dem Futterschüssel. Zuletzt schnappte ich mir noch Herkules Schüssel und trat wieder auf die Stallgasse. Herkules begann in seiner Box ungeduldig im Kreis zu laufen, ab und zu stehenzubleiben und mit den Vorderhufen gegen die Tür zu schlagen.
      “Den Lärm da solltest du ihm mal abgewöhnen.” Mit diesen Worten drückte ich Jace seinen Futterschüsseln in die Hand und ging zu Legolas Box. Der Hannoveraner Hengst schaute mir bereits neugierig entgegen und brummelte leise. Divines Futter stellte ich in sicherer Entfernung zu hungrigen Pferdenasen auf dem Boden.
      “So mein großer, du musst da mal weggehen”, sprach ich den Hengst an und öffnete die Boxentür. Wohlerzogen trat der Hengst beiseite, als ich ihn an der Brust anstupste und wartete bis sein Futter im Trog war.
      Ich schütte das Öl über sein Futter und trat zu Seite: “Jetzt darfst du, Lego.” Hungrig steckte er seine Schnauze in den Trog und begann zu fressen. Aus der Nachbarbox meldete sich nun auch Divine, der auch endlich sein Fressen haben wollte, mit einem Wiehern.
      “Ich komm ja schon, Kaunokaiseni “, rief ich meinem Pferd zu, während ich die Box von Legolas hinter mir schloss.
      “Was bedeutet... Kaunokasi eigentlich, mir ist aufgefallen, dass du ihn öfter so nennst”, fragte Jace, der gerade aus der Box von Herkules heraus trat.
      “Kaunokaiseni heißt das”, wiederholte ich noch mal langsam und lachte. Was auch immer Jace da gesagt hatte, war meilenweit von dem Wort entfernt. “Es bedeutet, meine Schönheit.” Jace kam zu mir herüber geschritten und hob auf dem Weg dahin, Divines Futterschüssel auf.
      “Schönheit also? Ja, das passt zu ihm”, mit diesen Worten reichte er mir die Futterschüssel. “Soll ich die von Legoals schon mal mitnehmen? Dann mach ich die schon mal sauber.” Statt auf eine Antwort zu warten, nahm er mir einfach die leere Schüssel aus der Hand.
      “Kiitos”, antwortete ich ihm und öffnete Divines Box.
      “Und was heißt das?”. Mit einer Mischung aus Verwirrung und Neugier sah mich Jace an.
      “Sorry, kurz vergessen, dass du dieser Sprache nicht mächtig bist. Es heißt Danke. Ich dachte, das hättest du vielleicht schon einmal mitbekommen in den letzten 2 Jahren, Samu und ich sind ja nicht seit gestern hier”, erklärte ich ihm ein wenig amüsiert.
      “Ja schon, … aber ich habe das bisher nie hinterfrag und es kommt noch dazu, dass ihr mit uns tatsächlich meistens Englisch redet, sogar bei solchen Kleinigkeiten”, schilderte mir Jace. Der Sprachwechsel war für mich schon seit der Schule so selbstverständlich, dass es mir meistens gar nicht auffiel welche Sprache ich gerade sprach.
      “Oh tatsächlich, ich merk das schon gar nicht mehr”, sagte ich schmunzelnd. Ivy wollte schon seine Nase in die Futterschüssel stecken, doch ich schubste diese weg. Divine war leider noch nicht ganz so gut erzogen wie Legolas, vor allem wenn es um Futter geht. Jace verschwand derzeit in der Futterkammer. Mein Pferd belästigte die Schüssel und mich weiterhin, sodass ich ihn noch ein paar mal korrigieren musste, bevor ich an ihm vorbei an den Trog kam. Auch Divines Futter landete im Trog und ich gab es dem Hengst frei. Ich verließ die Box, um auch diese Futterschüssel noch sauberzumachen. Jace war bereits fertig mit den anderen Schüsseln und wenn ich nicht aufgepasst hätte, wäre ich ihn wohl in ihn reingelaufen. Kurz vor ihm kam ich zum Glück gerade noch so zum Stehen.
      “Immer schön langsam, Lina”, entgegnete Jace mir und sah zu mir runter. Für meinen Geschmack war das hier eindeutig zu nah, immerhin kann ich nicht leugnen bis vor ein paar Tagen noch irgendetwas von ihm gewollte hatte. Wohlgemerkt bevor er sich aufgeführt hatte wie ein vorkommender Idiot.
      “Ähh, ja…”, murmelte ich und ging ein ganzes Stück zur Seite, um aus dieser Situation zu entkommen.
      “Soll ich noch auf dich warten?”, fragte er und sah nicht so aus, als wolle er aus der Tür gehen. Denn statt Anstalten zu machen sich zu bewegen, lehnte er sich gemütlich an den Türrahmen. Da war er wieder, ganz der alte Jace.
      “Ne brauchst du nicht. Ich komm dann nach, vorausgesetzt du lässt mich da mal rein.” Mit einem Kopfnicken deutete ich auf die Futterkammer.
      “Also bitte Lina, so dick bin ich jetzt nicht, als dass du da nicht vorbeikämst”, scherzte er. Als ich nicht versuchte mich an ihm vorbeizuquetschen, bewegte er sich doch aus der Tür.
      “Danke”, murmelte ich und verschwand in der Futterkammer. Während die Tür hinter mir zu fiel, konnte ich wahrnehmen wie sich seine Schritte tatsächlich entfernten. Ich säuberte Divines Schüssel und stellte sie ins Regal. Als ich die Futterkammer wieder verließ, sah ich, dass mein Pferd mit dem Kopf aus der Box hing und dabei die Hälfte seiner Futter aus dem Maul fallen ließ. “Ach, Ivy du möchtest auch, nur dass ich gut beschäftigt bin, oder?”, sagte ich seufzend zu dem Pferd. Bevor ich zu einem Besen griff, warf ich einen Blick in den Trog des Hengstes, er war noch halb voll, also würde ich wohl warten, bis er aufgefressen hatte. Ungern würde ich die Stallgasse zweimal fegen wollte. Somit setzte ich mich vor die Box und beobachtete den Freiberger dabei, wie er vor sich hin krümelte.


      © Mohikanerin, Wolfszeit | 97.757 Zeichen

    • Mohikanerin
      Nationalteam XII | 25. Mai 2021
      Glymur/Northumbria/Snúra/Waschprogramm/Checkpoint/Satz des Pythagoras/St. Pauli’s Amnesia
      Legolas/Crystal Sky/HMJ Divine/Nathalie/Maskotka/El Pancho/WHC’Solist


      Niklas
      Lina und Jace für die letzten Tage noch einmal zusammen sehen, hätte ich nicht erwartet. Doch ich freute mich darüber, dass sie sich dafür einsetzte die Zerwürfnisse zu klären. Vriska lief allein auf die Weide, um dort ihren Hengst zu holen. Seine helle Decke reflektierte das Licht des Mondes, der zum Teil am Himmel schien. Solche Details interessierten mich sonst selten, aber sie löste etwas in mir aus, dass ich seit Jahren nicht mehr gespürt hatte. Auf dem Platz zeigte sich mir, dass meine Hilfe brauchte und das nicht infrage stellte. Sie akzeptierte es nicht nur, sondern verlangte danach. Auch wenn Vriska die letzten Minuten immer wieder damit verbrachte, auf Abstand zu gehen, wusste ich, dass es genauso stark wollte wie ich. Nur ich konnte ihr helfen besser zu werden und wieder mehr Freude zu finden. Ihre Losgelassenheit in meiner Nähe übertrug sich auch auf mich, was mich in meiner Annahme nur bestätigte.
      “Na, worüber denkst du nach?”, lächelte Vriska mich an. In der Hand hielt sie Glymurs Strick. Der Hengst lief einige Schritte auf mich zu und streckte seinen Kopf hoch zu mir. Ich strich ihm über sein Nasenbein. Ein hübscher Junge ist ihr Hengst. Seine blauen Augen schimmerten so schön, wie die von Smooth. Eigentlich war kein Fan davon, denn so zog ein Pferd immer die Aufmerksamkeit auf sich, wurde genauer von den Richtern betrachtet und grundsätzlich der Zuschauerliebling. Ebenso belastend waren die Fans, die ein hübsches Pferd mit sich brachte. Auf meinem letzten Turnier stand eine ganze Traube aus Mädchen, die nicht nur mich, sondern auch mein Pferd anhimmelten.
      “Dies und dass”, antwortete ich kurz und wir liefen los zum Stall.
      “Wie geht es dir eigentlich?” Vriska reagierte nicht direkt auf meine Frage. Es wirkte, als würde sie jeden einzelnen Schritt zählen, den wir zum Stall benötigten.
      “Schon viel besser. Beim Schlafen habe ich Schwierigkeiten, die richtige Position zu finden. Wenn ich mich anstrenge, drückt es noch ziemlich. Sonst geht es. Besonders in deiner Nähe”, murmelte sie zum Ende hin. Es ging ihr wirklich besser bei mir, was meine Annahme bestätigte.
      “Das freut mich zu hören”, antwortete ich und schaute zu ihr rüber. Sie blickte noch immer zu Boden.
      “Wir müssen noch die Kür machen”, warf sie ein, bevor wir den Stall betraten.
      “Das stimmt”, sagte ich und überlegte, worauf sie hinauswollte.
      “Vielleicht sollten wir gleich damit anfangen”, schlug Vriska vor und stellte Glymur in die Box. Dort nahm sie die Decke vom Hengst. Den Gang heruntersah ich Lina, die vor ihrem Hellen stand, der munter das Kraftfutter auf dem Boden verteilte.
      “Es wäre besser, wenn du nicht so starrst. Außer du willst dich bei ihr entschuldigen”, flüsterte die Kleine in mein Ohr. Dabei spürte ich ihre Hände auf meinen Schultern. Im Nu drehte ich mich um und mein Verlangen, dass sich unsere Lippen berühren sollte, wuchs plötzlich. Empört ballte ich meine Faust.
      “Wieso so sollte ich?”, brach es aus mir heraus. Erschrocken tritt sie einige Meter von mir weg. Auch Glymur schlug seinen Kopf nach oben und seine Hufe schellten an dem Holz der Box. Der Knall brachte mich zurück in die Scheune. Meine Knie wurden weich und im nächsten Moment fand ich mich auf dem Boden wieder. Es war dunkel. Die Lichtstrahlen traten durch die Lücken im Holz. Mit meiner linken Hand stütze ich mich ab und spürte den Sand unter mir. Kalte Luft wirbelte um meinen Körper, die wenigen Haare stellten sich auf. Es wurde heller. Nur in Unterwäsche saß ich im Dreck und rief nach meiner Mutter, nach Hilfe. Niemand hörte mich. Bis ich eine mir bekannte Stimme vernahm.
      “Niklas, hörst du mich?”, fragte Vriska. Ihre Hände lagen an meinen Wangen und sie kniete vor mir. Lina war auch dazu gekommen, unsicher stand sie neben uns. “Kann ich irgendwie helfen?”, fragte sie vorsichtig.
      “Ein Glas Wasser wäre nett”, stammelte ich und blickte zu Boden. Steinboden, Beton, kein Sand und erst recht nicht Schweden. Ich wiederholte es mehrfach in meinen Gedanken, bis ich sich die Anspannung löste. Meine Uhr vibrierte, um mich darüber zu informieren, dass mein Herzschlag extrem hoch war. Lina verschwand direkt und Vriska kniete noch immer vor mir.
      “Du hast uns einen riesigen Schreck eingejagt”, erklärte sie mir und setzte sich neben mich. Wir lehnten an der Box von Glymur und sie legte ihren Kopf auf meiner Schulter auf. Ihre Hände streichelten über meinen Arm, was mich beruhigte. Zusammen machten wir die 478 Atemübung, die ich ihr ursprünglich gezeigt hatte. Lina benötigte ewig und ich begann auf dem Daumenknochen herum zubeißen.
      “Hast du Ju Bescheid gesagt?”, fragte ich aus heiterem Himmel.
      “Ich … ja. Aber er kommt nicht.” Sie wirkte bedrückt und schaute mir nicht in die Augen.
      “Wieso?”
      “Weil er gerade besseres zu tun”, murmelte Vriska. Ich konnte nicht glauben, was da sagte und holte mein Handy aus der Hosentasche. Dort sah ich, dass sie ihn kontaktiert hatte und er ziemlich genau darauf einging, wieso er nicht kommen würde. Es flog quer durch den Stall und traf beinah Lina, die gerade wieder kam. Meine Beine winkelte ich an, stützte meinen Kopf mit meinen Armen. Die Ellenbogen drückten gegen meine Knie und einige Tränen liefen meine Wangen herunter. Leise schluchzte ich. Elendig fühlte ich mich und sah vermutlich auch danach aus.
      “Möchtest du darüber reden?”, fragte Lina einfühlsam. ”Wenn nicht, ist das auch ok …”, fügte sie dann noch leise hinzu. Das Wasserglas stellte sie neben mir ab und zögerte einen Moment, bevor sie sich auch auf den Boden setzte.
      “Er will nicht mehr, nur gut genug sein, wenn ich ihn brauche. Außerdem hat er gerade viel mit Linh zu tun. Es ist immer wieder das Gleiche mit ihm, kaum hat er jemanden dann wird er eklig. Stößt mich von ihm und schiebt es dann auf mich. Ich kann das nicht mehr”, schluchzte ich noch mehr. Keiner der beiden blickte ich an, sondern drückte meinen Kopf noch mehr in meine Hände. An meinen Beinen spürte ich etwas Warmes herunterlaufen, was nur Blut sein konnte. Vriska schien es auch zu bemerken, denn sie stand auf und holte aus dem Putzkasten ihres Pferdes einen noch sterilen Verband, den sie mir liebevoll um ein Schienbein band. Erst dann schaute ich auf zu ihr. Sie reinigte vorher die Wunde noch mit einem sauberen Tuch und Wasser. Kein Wort verließ ihren Mund, doch auf ihren Lippen lag ein Lächeln.
      “Manchmal ist es besser sich zu distanzieren, bevor es toxisch wird … du hast es nicht verdient so behandelt zu werden”, murmelte Lina und wurde zum Ende hin immer leiser. Sie hatte recht, aber wen hatte ich noch ohne ihn? Spätestens in Schweden musste ich das geradebiegen. Ich richtete mich wieder auf und begutachtete kurz, was Vriska mit meinem Bein getan hatte. Es sah wirklich fachkundig aus. Lina benötigte ziemlich lange, bis die Worte über ihren Lippen kamen, solange, dass Vriska ihrem Hengst gefüttert hat und mich fragte: “Soll ich Humbi noch neues Heu geben?”
      “Das wäre toll, ich komme dann gleich nach”, erwiderte ich und schaute ihr nach, als sie den Stall verließ. Sie lief gleichmäßig und elegant. Ihr Po wackelte dabei, obwohl sonst nicht viel an dran war. Dann griff ich nach dem Glas Wasser. Nach drei kräftigen Schlucken gluckerte es in meinem Bauch und das leere Glas stellte ich wieder bei Seite.
      “Was meinst du mit, so sollte ich nicht behandelt werden?”, fragte ich Lina nach einem prüfenden Blick, ob Vriska da sein könnte.
      “Na ja, wie soll ich das sagen … niemand hat es verdient einfach so weggestoßen zu werden, vor allem ohne den wahren Grund zu kennen … ohne die Chance zu haben, seine Fehler wieder gutzumachen …” Sie sah mich dabei nicht an, sondern starrte auf ihre Finger. Natürlich verstand ich, worauf sie hinauswollte, und Ju meinte sie damit keineswegs.
      “Es war nicht in Ordnung von mir, dich vorhin scharf zurechtzuweisen und zu beleidigen. Ich kann es nicht leiden, wenn man sich ungefragt bei meinen Pferden einmischt. Jahrelang mischten sich alle bei der Arbeit mit meinen Tieren an und mein Unterricht war stets sehr streng. Deswegen kam direkt meine Abwehr. Es tut mir leid und bevor du was sagst. Ich wollte dir das mit Vriska später erzählen, wenn es weniger aufregend und stressig ist. Sie … ich benötige das im Moment und einfach und sie wollte es. Deswegen konnte ich das Angebot nicht sausen lassen. Sie bettelte und winselte förmlich danach …“, bevor ich weitersprechen konnte, wurde ich unterbrochen.
      “Ich bettelte und winselte also nach dir?”, wiederholte Vriska meine Worte, als sie den Stall betrat. Ihre Stimmung konnte ich nicht einschätzen, denn auf den Lippen lag wieder mal ein Lächeln aber in ihren Worten schwang eine Enttäuschung mit.
      “Also, wenn ihr zwei noch was zu klären habt, … kann ich auch gehen”, warf Lina ein und machte Anstalten aufzustehen.
      “Ach alles gut. Wir klären das später, schließlich braucht sie mich noch”, sagte ich mit geschwellter Brust. Vriska nickte hastig. Das Grinsen verschwand dabei nicht, sondern wirkte noch intensiver und größer, als wäre sie geehrt.
      “Humbi frisst dann auch, seid ihr noch nicht fertig oder können wir die Kür machen?”, erkundigte sie sich und legte die Decke ihres Hengstes zusammen. Lina stand wie angewurzelt und wir beide sahen zu ihr.
      “Okay, … ich finde euch außerordentlich seltsam und ich verstehe ungefähr nur die Hälfte, aber …ich glaube, ich habe schon mehr gehört, als ich wissen möchte, …” ihr war förmlich anzusehen, wie unangenehm ihr die Situation war.
      “Wir gehen erst mal zurück zum Feuer, schließlich hat Anders Geburtstag”, sagte ich lief mit Vriska los. Stumm folgte sie mir. Auch Lina kam mit.
      “Ach hat der Hund direkt zwei Knochen ausgebuddelt, wie niedlich”, suchte Ju Streit, als wir bei der Gruppe ankamen. Am Feuer saßen einige Leute, den etwas wurde kühler. Auch mir fröstelte es an den Beinen. Ein Blick zum Tisch, an dem Ju saß, verriet mir, dass er gut dabei war. Um die zehn leeren Bierflaschen standen dort und das nächste hielt er bereits in der Hand. Auch Chris wirkte angeheitert und freute sich uns drei zu sehen. Statt uns dazu zurufen, stand er auf und kam zu uns. Vom Hof waren nicht so viele zu sehen, obwohl meine Uhr erst kl. 22.20. m. anzeigte. Langsam brannte mein Bein ziemlich, aber ich ließ mir nichts anmerken.
      “Lasst euch nicht aufstacheln von Ju, der hat zu viel getrunken”, erklärte Chris und nahm uns mit zu einem freien Tisch, nah am Feuer.

      Lina
      Ich bekam den Kommentar von Ju kaum mit als wir zum Feuer kamen, denn meine Gedanken waren noch woanders. Dieser Tag heute war einfach ziemlich verwirrend. Immerhin gab es eine positive Sache zu verzeichnen, meine Schwester hatte recht gehabt, ein Streit ist offensichtlich kein Weltuntergang. Ob das auch für die Zukunft zutreffen wird, wird sich noch zeigen.
      Aber etwas anderes beschäftigte mich gerade eigentlich viel mehr. Was hatte ich da im Stall eigentlich gerade wieder von mir gegeben? Niemand hat es verdient so weggestoßen zu werden … vielleicht sollte ich erst einmal beginnen meine eigenen Ratschläge zu befolgen, bevor ich diese an andere weiter verteilte. Hatte ich meinem Vater jemals eine Chance eingeräumt? Nein, darüber wollte ich jetzt nicht näher nachdenken.
      Erst jetzt, wo ich noch mal über das gerade Geschehen nachdachte, fiel mir auf, dass ich nicht nur Ratschläge verteilt hatte, die ich selbst nicht nur befolgt, sondern auch, dass ich mit diesem Ratschlag das Thema ungewollt auf mich gelenkte. Wow, noch mehr Feingefühl hätte man nicht beweisen können, gut gemacht! Na ja, immerhin weiß ich jetzt was ich falsch gemacht hatte. Ich sollte dringend lernen meine Klappe zu halten und nicht immer jedem helfen zu wollen, vor allem dann, wenn nicht danach gefragt wurde.
      In Gedanken spielte ich erneut die Szene von eben durch und da fiel mir auch wieder der zweite Teil ein, den Niklas gesagt hatte … Sie bräuchten das beide. Schön soll mir egal sein, abgesehen davon, dass ich absolut nicht in der Position wäre irgendwer, irgendwas zu verbieten, aber so wirklich verstanden hatte ich das ganz nicht … was mich ganz besonders Irritierte hatte, war die Tatsachen, dass keiner der beiden irgendetwas wie ein schlechtes Gewissen zu haben schien, nicht mal ein winziges bisschen … Aber wer weiß, vielleicht habe ich auch einfach die Stelle im Leben verpasst, an der sich Moralvorstellungen geändert haben oder aber es fehlt mir einfach noch das Puzzlestück, um die Sache gänzlich zu verstehen.
      Ein leichter Wind kam auf und erst jetzt bemerkte ich wie kühl es hier draußen geworden war und die kleinen Härchen auf meiner Haut begannen sich aufzustellen.
      "Mensch Lina, zieh dir mal was an! Dir stehen im wahrsten Sinne des Wortes die Haare zu Berge", Scherze eine mir wohlbekannte Stimme und ich bekam auf einmal ein Sweatshirt zugeworfen. Da ich bis eben noch voll in Gedanken war, war ich ein wenig verwirrt, doch reflexartig fing ich es.
      "Guter Fang", lobte Jayden mich ein wenig spöttisch, der neben dem Sweatshirt Werfer stand. Ich verdrehte nur die Augen bei seinem Kommentar.
      "Sag mal, kannst du Gedanken lesen oder was, Samu?"
      "Nein, kann ich leider noch nicht. Da ich dich aber seit Stunden nicht mehr gesehen haben, dachte ich, mir ich bring die mal was mit, erfroren bist du leider so schlecht zu gebrauchen", scherzte Samu fröhlich weiter. Natürlich hätte er schon wieder wunderbare Laune, woher auch immer.
      "Danke, ich dachte schon du machst dir einfach Sorgen, weil ich deine Freundin bin, aber natürlich geht's dir nur um die Arbeitskraft", antworte ich sarkastisch und streifen mir den Sweater über. Da es eins von Samus Sweatern war, war es mir natürlich viel zu groß, für mich eher ein Kleid als einen Pullover. Egal, immerhin würde dann nicht mein Zeug riechen, als käme es aus dem Räucherofen.
      "Sag mal, wo hast du eigentlich die ganze Zeit gesteckt? Ich dachte Jace und du wollten nur die Pferde von der Koppel holen?“, fragte Samu neugierig, während wir uns mit dem Rest des Hofteams an einem Tisch niederließen. Dieser Rest war wohlgemerkt nicht sehr groß, er bestand lediglich aus Jayden, Sheena, Quinn und Matt. Der Rest war scheinbar irgendwo anders abgeblieben.
      "Habe ich auch, aber dann würde ich im Stall aufgehalten", erklärte ich.
      "Ich hoffe nicht von Jace?", fragend sah Samu mich an.
      "Nein, wieso fragst du?"
      "Wie ich finde, ist Jace für die Umstände ein wenig zu gut gelaunt. Ich sag es dir. Der hat irgendwas vor", spekuliert Samu.
      "Meinst du? Außer dass er heute erstaunlich redselig war, empfand ich ihn heute als ziemlich normal."
      "Das ist es ja gerader, außer mit dir hat er kaum etwas geredet. Das ist nicht Jace typisch", bestand Samu darauf.
      "Ich habe meine Namen gehört?", frage Jace nun auf einmal, der sich gerade mit einer Flasche Bier dazu gesellte.
      "Ich habe Samu nur mitgeteilt, wie toll ich es finde, dass du wieder mit uns redest", sagte ich überzeugenden.
      "Na, solang du nur Gutes sagst, darfst du gerne weiterreden", erwiderte Jace mit einem breiten Grinsen.
      “Bilde dir mal nicht zu viel ein, Jace”, kommentierte Jayden das Gespräch, was zu allgemeiner Erheiterung beitrug.
      Ich war so vertieft in die Gespräche mit meinen Kollegen gewesen, dass mir gar nicht auffiel, dass Jace irgendwann verschwand. Erst als er plötzlich wieder neben mir stand, bemerkte ich es.
      “Lina, möchtest du gerade mal mitkommen, ich würde dir gerne etwas zeigen”, raunte Jace mir zu. Die anderen unterhielten sich immer noch fröhlich und nicht mal Samu schien Notiz von mir zu nehmen. Neugierig, was Jace mir um diese Uhrzeit noch zeigen wollte, stand ich auf und folgte ihm. Schon ein kleines Stück entfernt vom Feuer nahm ich wieder die kühle Nachtluft wahr, weshalb ich das Sweatshirt enger um mich rumzog. Der Himmel über uns war klar und ließ den Blick auf einen hell leuchtenden Halbmond zu. Jace schlug nicht wie ich erwartete hatte den Weg zum Haus ein oder Ähnliches, sondern er ging in Richtung Reitplatz. Auch wenn ich mich wunderte über die Richtung, war ich doch neugierig genug, um ihm zu folgen.
      “Jace, was soll das hier werden?”, fragte ich, obwohl ich schon ahnen konnte, was er vorhatte. Was ich sah, ähnelte einer Szene aus einem Film, der Reitplatz vor mir erschien in ein sanftes Licht, das von den Lichterketten stammte, die als Lichtquelle dienten. Doch nicht nur die Reitplatzbeleuchtung erhellte den Platz. Auf den Pfosten des Zauns standen überall Kerzen, die in dem sanften Wind immer mal wieder flackerten. In der Mitte des Platzes glänze ein lackschwarzes Klavier.
      “Ich möchte dir etwas schenken. Einen Moment, der dir hoffentlich im Gedächtnis bleiben wird”, raunte mir Jace ins Ohr, der hinter mir stehen geblieben war. Ich konnte seinen Körper ganz dicht an meinem spüren. Ein Schauder rieselte mir über den Rücken und sorgte dafür, dass sich die winzigen Härchen auf meiner Haut aufstellten. Irgendwo ganz tief in meinem Herz begann sich wieder etwas zu regen. Ich wollte protestieren, denn ich hatte mich doch bereits entschieden, doch meinem Gehirn bekam es nicht auf die Reihe einen Satz zu bilden.
      “Bevor du irgendwas, sagst, warte erst einmal ab”, flüsterte er und ergriff meine Hand und eine Wärme begann durch meinen Körper zu fließen. Er führte mich zu einer der Bänke auf dem Grünstreifen. Um die Bank herum standen Teelichter und tauchten alles in ein schwaches Licht. Jace selbst setzte sich nicht zu mir auf die Bank, sondern ging rüber zu dem Klavier, auch hier hatte er Kerzen platziert, deren Flammen sich flackernd auf dem schwarzen Lack spiegelten.
      “Lina, ich weiß, du wirst das alles hier in ein paar Tagen verlassen. Ich weiß, ich habe viel Scheiße gebaut. Ich möchte nicht, dass du mich so in Erinnerung behältst … dieses Lied ist für dich”. Schon fast zaghaft begannen seine Finger, die Tasten zu berühren. Die Töne schienen förmlich in der Luft zu schweben und formten eine Melodie voller Gefühl. Die Töne nahmen mich mit, brachten mich in eine andere Welt und für den Augenblick schien es nichts mehr um mich rumzugeben, die Welt schien dort zu Enden, wo die Schatten das Licht verdrängten. Einen Moment lang musste ich daran denken, wie ich Jace das erste Mal begegnet war. Es war mein erster Tag hier gewesen. Jayden hatte mich losgeschickt, um Jace zu holen, da er bei irgendetwas helfen sollte. Er hatte nur mit einem Handtuch bekleidet die Tür geöffnet und indem Moment musste ich mich zusammenreißen, nicht zu glotzen wie ein Vollidiot. Nicht, dass sein Körper nicht er beachtenswert gewesen wäre, was mich damals wie heute viel mehr faszinierte waren seine Augen.
      Die letzten Töne des Liedes holten mich zurück in das hier und jetzt. Jace spielte einen letzten Ton und ließ die Hände sinken ein entspanntes lächeln lag auf seinem Gesicht. In mir spürte ich eine tiefe Verbundenheit. Ein Hauch von Trauer mischte sich in meine Gefühle. Ich hatte mich bereits entschieden einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen und dazu gehörte auch die Gefühle für Jace hinter mir zu lassen. Ich wollte aufstehen, um den Platz zu verlassen, bevor Jace noch etwas sagen konnte, was mich doch hier hielt. Doch Jace war mir bereits einen Schritt voraus und hielt mich auf. Er stand direkt vor mir, doch ich sah ihn nicht an, aus Angst mich wieder in seinen Augen zu verlieren, wie so oft im letzten halben Jahr.
      “Lina kleines, sieh mich an”, Jace sprach sanft und legte mir eine Hand unters Kinn, was mich dazu, zwang ihn anzusehen. Seine Augen sagten mehr als tausend Worte. Ich weiß, dass du es gefühlt hast, schienen sie zu sagen. “Lina, ich …”, setzte er an, doch ich unterbrach ihn im Wort.
      “Jace, ich weiß, was du jetzt sagen möchtest, aber das geht nicht … zu oft hat sich in den letzten Monaten gezeigt, dass das hier nicht funktionieren wird”. Meine Stimme zitterte leicht und mir fiel es schwer klare Sätze zu formulieren. “Es tut mir leid”, die letzten Worte waren kaum hörbar.

      Jace
      Ein Glänzen trat in ihre wunderschönen blauen Augen. Ich blieb relativ gefasst, weil ich mit so einer Antwort bereits rechnete. Mir war bereit beim Planen dieser Aktion klar geworden, dass ich sie vermutlich nicht aufhalten konnte, aber ich konnte nicht anders. Ich benötigte einfach die Bestätigung, dass sie es auch gefühlt hatte. Es nicht nur meine Einbildung war. Auch wenn sie es nicht ausgesprochen hatte, ich kannte die Antwort.
      “Ich weiß, deine Entscheidung steht fest, trotzdem möchte ich, dass du weißt, dass du immer einen Platz in meinem Herzen haben wirst.” Liebevoll strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte.
      “Bitte versprich mir, dass du nicht deine Zeit damit verschwendest auf mich zu warten”. Linas Stimme zitterte immer noch.
      “Ich werde es versuchen, aber versprechen kann ich das nicht”, antworte ich ehrlich. “Aber eine Sache möchte ich dir noch geben”, sagte ich und kramte etwas aus meiner Hosentasche.
      “Damit du mich nicht vergisst”. Mit diesen Worten ließ ich ein zartes silbernes Armband in ihr Hand gleiten, daran ein kleines Hufeisen.
      “Oh, Jace das kann ich doch nicht annehmen”, sagte sie und ihre Augen wurden groß.
      “Doch das kannst du, es soll dich immer an all das hier erinnern”, antworte ich nur lächelnd und schloss zart ihre Finger um das Schmuckstück. Gleich darauf schloss ich sie in die Arme.
      “Das werde ich nie vergessen”, murmelte sie. Einen Moment lang verharrten wir in der Umarmung, bis sie sich von mir löste, denn ich hätte sie am liebsten nie wieder losgelassen.
      “Ich glaube, wir sollten dann mal so langsam zurückgehen. Nicht das wir noch vermisst werden”, unterbrach Lina die Stille der Nacht.
      “Geh du ruhig vor. Ich sollte hier lieber noch aufräumen, bevor der Zaun noch anbrennt”, sagte ich und deutete auf einer der Kerzen, die schon ziemlich weit runtergebrannt waren.
      “Ich kann dir auch helfen”, bot Lina freundlich an.
      “Nein, nein ich habe das allein aufgebaut und baue das jetzt auch allein ab”, lehnte ich ab und schob sie Richtung Tor.
      “Ok, wenn du in einer Stunde nicht aufgetaucht bist, schicke ich die Feuerwehr vorbei”, antwortete sie halb ernst, halb scherzend und machte sich tatsächlich auf den Weg zurück zu den anderen. Ich blickte ihr noch einen Moment hinterher, in diesem Sweater sah sie noch viel kleiner aus als sonst. Das Einzige, was mich nicht eifersüchtig werden ließ, als ich sie in dem Sweater sah, war die Tatsache, dass es eindeutig Samus war, denn es war offensichtlich von einer finnischen Eishockeymannschaft. Lina verschwand in der Dunkelheit und begann ich pflichtbewusst den Reitplatz wieder aufzuräumen.
      Schritte unterbrachen die Stille. Auch die Hufe eines Pferdes ertönten auf dem Beton. Milena kam auf den Platz und stieg auf. Snúra hampelte einige Schritte.
      “Wenn du dich mit den Pferden genauso anstrengst wie sie zu erobern, dann kann mal was ganz Großes aus dir werden”, erklärte sie mir und bremste die Scheckstute ab. Auf Sattel und Helm verzichtete sie, saß locker auf dem Rücken ihres Pferdes und die Beine baumelten.
      “Danke für die Anerkennung. Aber sag mal bist du hier eigentlich der Newsletter, oder warum weißt du überhaupt wofür das ganze hier ist?”, fragte ich sie skeptisch.
      “Ich habe Lina gehen sehen und nur für eine Freundin wäre das hier alles wohl zu großer Aufwand. Deswegen ziemlich offensichtlich was dein Plan war. Da sie aber ging …“, Milena stoppte und sprach nicht weiter.
      “Ich habe bereits damit gerechnet, dass sie geht. Die Erfolgschancen waren ohnehin nicht hoch”, antwortete ich seufzend.
      “Das ist schade, aber auf die Chancen, auf die sie setzt, sind auch nicht wirklich hoch”, murmelte sie fast unverständlich und kreiste im Schritt mit der Stute um mich. Einen Moment lang beobachtete ich die für mich ungewohnten Bewegungsabläufe der Stute, bevor ich antworte: “Mag sein, aber in diesen Fall ist sie leider Beratungsresistent.”
      “Vermutlich hat das nichts mit Beratungsresistent zu tun, niemand kann wissen was passiert, wenn man es nicht versucht. Also wie gesagt, setz’ dich hin und trainiere so viel wie möglich mit denen Pferden. Dann trittst du auf neutralen Boden gegen ihn an”, ermutigte sie mich.
      Tatsächlich war es schon immer mein Ziel gewesen international auf Turnieren zu starten. Mit Herkules hatte ich auch sicherlich ein Pferd mit entsprechendem Potenzial im Training. “Das klingt als wäre das mal mindestens einen Versuch wert”, antworte ich nachdenklich.
      “Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass am Sonntag auch ein Richter mit bewertet, der im Vorstand sitzt des kanadischen Teams. Also wenn du dir eine Dressurkür überlegen würdest, dann sind deine Chancen sicher nicht so schlecht”, verriet sie mir. Mehrfach prüfte Milena, ob jemand anderes vor Ort war. Doch wir waren allein. Sie töltete ihre Stute an und blieb auf dem Zirkel bei mir.
      “Bis Sonntag eine Kür auf die Beine zu stellen ist überaus sportlich, aber sicher nicht unmöglich” murmelte ich vor mich hin, während ich noch darüber nachdachte.
      “Einige im Verein haben noch nicht mal angefangen”, lachte sie.
      “Na, wenn das so ist, schaff ich das easy”, sagte ich überzeugt.
      “Siehst du. Ich glaub’ an dich, Lina würde das sicher ebenfalls beeindrucken”, munterte Milena mich weiter auf. Mit Snúra hatte sie schon mehrfach die Hand gewechselt und lenkte mich vollkommen davon ab aufzuräumen. Die Kerze am Zaun waren bereits heruntergebrannt und ausgegangen. Auch die Kerzen auf dem Klavier neigte sich langsam dem Ende zu und das Wachs drohte auf den Lack zu tropfen. Gerade noch rechtzeitig pustete ich sie aus. Währenddessen nahm ich auch wahr, dass die Teelichter, die um Bank herumstanden, nach und nach ausgingen.
      “Oh, verdammt ich sollte jetzt wirklich aufräumen”, ermahnte ich mich selbst und setzte mich in Bewegung, um die Teelichter aus dem Gras zu sammeln, bevor ich diese nicht mehr finden würde. Milena zog weiterhin mit ihrer Stute Runden und warf immer wieder einen Blick zu mir. Snúra bewegte sich gleichmäßig und deutlich schwunghafter als andere Pferde vom Hof. Es wirkte sehr ungewohnt, unbeschreiblich.
      Im Inbegriff zu gehen, hielt mich Milena erneut auf und sagte: “Falls du Hilfe benötigst, weißt du wo du mich findest.”
      “Alles klar, falls dieser Fall eintritt, werde ich darauf zurückkommen”, antworte ich freundlich, bevor ich den Platz mit den Kerzen verließ. Das Klavier würde ich später wegräumen. Ich brachte den Karton mit den Kerzen wieder in den Keller, bevor ich mich auf dem Weg zum Feuer machte. Die Personenanzahl dort war mittlerweile deutlich geschrumpft, dennoch konnte ich Lina und Samu entdecken, die sich gerade mit Jayden und Sheena unterhielten. Zu meinem Erstaunen allerdings hatten, nicht nur die beiden Jungs ein Bier in der Hand, sondern Lina auch. Ein einzigartiger Anblick, denn Bier gehörte normalerweise nicht zu ihren bevorzugten Getränken. Für gewöhnlich griff sie nur zum Bier, wenn es einen besonderen Anlass gab und nichts anderes zum Anstoßen da war, oder wenn etwas Nüchtern zu langweilig wurde. Wenn ich die Runde ums Feuer so ansah, konnte letzteres zutreffen, also holte ich mir auch ein Bier und gesellte mich in die Runde.
      “Da ist unser verlorenes Schäfchen, dachte schon du schwächelst”, triezt Jayden mich auch sogleich.
      “Ich schwächeln nicht Jay”, konterte ich sogleich und öffnete meine noch geschlossene Flasche an der Tischkante.
      “Stimmt, wer hier schwächelt sind eindeutig die Mädels”, lenkte er nun ein, denn offenbar hatten beide noch ihre erste Flasche in der Hand.
      “Selbst schuld, wenn ihr nur dieses Zeug kauft”, steuerte nun Lina zu dem Gespräch bei und deutete mit einer Geste auf ihre Flasche.
      “Das ließe sich ändern, wenn du es wirklich willst”, offenbar fühlte Jayden sich herausgefordert an seine persönliche Hausbar zu gehen. Doch die beiden Mädels lehnten dankend ab.

      Vriska
      Mit der Aussage, dass Niklas sich heute nicht einbilden sollte, ins Zimmer zurückzukehren, verabschiedete Ju sich mit Linh. Sie kamen seit unserer Rückkehr zum Feuer nicht mehr voneinander weg und fraßen sich förmlich auf. Schön war es nicht mit anzusehen, als würden sie es mit Absicht tun, um es mir unter die Nase zu reiben. Wehmütig schaute ich ihnen nach, was Chris natürlich kommentieren musste: “Keine Sorge, du bist heute auch noch dran.” Sorgen? Wieso sollte ich mir Sorgen darüber machen?
      Die beiden besten Freunde wechselten kein Wort miteinander, stattdessen arbeiteten Niklas und ich an unseren Küren weiter. Er stand immer wieder auf, holte ein Bier nach dem anderen. Etwas Stärkeres stand nicht zur Verfügung, sonst hätte Nik das bereits in sich hineingeschüttet. Im Gegensatz zu Chris wurde er immer stiller und wollte vergessen, was er im Stall sah. Die Nachrichten waren ebenfalls nicht förderlich. Am Nachbartisch lachten sie und kamen keiner Trauerfeier nah, wie wir. Mein Handy vibrierte. Tyrell.
      “Vrisi, hast du kurz Zeit?”, fragte er irgendwie bedrückt. Ich hatte auf Lautsprecher gestellt, um nebenbei die Kür kritzeln zu gönnen und Deutsch würde ohnehin niemand verstehen. So meine Annahme. Der Empfang war deutlich besser als im Zimmer.
      “Natürlich, schieß los”, antwortete ich gespannt und machte eine Linie von M zu K. Dazu schrieb ich Tempoverstärkung Tölt. Statt einzelne Worte mir zu notieren und irgendwelche Buchstabenkombinationen dazuzuschreiben, malte ich für jede Einheit ein Viereck mit den wichtigen Buchstaben. Darin zeichnete ich den zu reitenden Weg.
      “Ich habe dir ein Pferd geschickt, kannst du mir mal sagen, was du davon hältst?”, fragte Tyrell. Die Worte verließen seinen Mund sehr gewählt, als würde er es ablesen und hätte es auswendig gelernt. Pferd verstand Niklas, denn er hob seinen Kopf und beugte sich mit über mein Handy. Bis die Website vollständig geladen war, machte ich bei der Kür weiter. Niklas nahm mehrere Schlucke aus dem Bier und wollte wieder aufstehen, um das nächste zu holen. Doch ich legte meine Hand auf seinen Oberschenkel und flüsterte: “Snälla. Stanna här, du har druckit tillräckligt.” Sanft nickte er und legte auch seine Hand auf meinen Oberschenkel.
      “Hallo? Bist du noch da?”, erkundigte sich Tyrell, den ich schon wieder vergessen hatte.
      “Ähm, ja. Die Seite musste noch laden”, erklärte ich und scrollte entlang. Auf dem Bild wurde ein Hengst mit Punkten vorgeführt, im Schritt und Trab. In den Gängen fehlte es an Schwung und er belastete die Vorderhand übermäßig. Sein Rücken hing durch.
      “Also die Bilder sprechen schon mal nicht für ihn”, sagte ich als ersten Eindruck zu meinem Chef.
      “Vem är det här?”, murmelte Niklas mir zu.
      “Din Chef”, scherzte Tyrell und prallte mit dem bisschen Schwedisch, dass er sprach. Seine Kenntnisse waren besser als meine, trotzdem konnte er noch an seiner Aussprache feilen. Niklas sagte nichts mehr, doch seine Hand wanderte immer weiter auf die Innenseite meines Oberschenkels. Ich trug noch meine Reithose, was es für ihn schwieriger machte, seinen Willen durchzusetzen. Die Abstammung sagte mir gar nichts, allerdings waren die Standardbred keinesfalls mein Fachgebiet. Doch Niklas schüttelte wild mit dem Kopf, offenbar war dieser Hengst die reinste Katastrophe.
      „Was auch immer du mit dem vorhast, lass es“, riet ich ihm. Der hübsche Typ neben mir klopfte auf meinen Oberschenkel, als würde er mich wie ein Pferd loben. Absurd, aber das Kribbeln stieg wieder in mir auf und hoffte darauf, dass die Küren bald fertig sein würden.
      „Waschprogramm“, las er dann den Namen des Hengstes vor, langsam und gab sich Mühe ihn richtig auszusprechen. Doch es klang nach Woschprogromm und ich fing anzulachen.
      „Waschprogramm“, betonte ich den Namen richtig und erklärte ihm, wie er auf Schwedisch übersetzt werden würde: „Tvättprogram.“ Niklas fing auch anzulachen, Chris setzte mit ein. Einen ungewöhnlicheren Namen hätte man einem Pferd nicht geben können.
      “Ich habe ihn gestern versehentlich gekauft”, gab Tyrell zu. Mein Lachen wurde lauter und ich fiel beinah von der Bank.
      “Jetzt erklärst du mir bitte, wie man versehentlich ein Pferd kaufen kann”, forderte ich ihn auf.
      “Ich hatte eine Liste von Pferden auf dem Tisch zu liegen im Büro, weil ich wieder Wetten wollte. Doch es war keine Wettliste, sondern eine Liste von Pferden, die zum Verkauf standen. Dass keine Quoten dazu standen, wunderte mich schon, jedoch war sein Wert im Mittelfeld. Ich rief dort an und wenig später war dies ein mündlicher Kaufvertrag. Folke regelten den Rest und kam einige Stunden später mit dem Ding am Hof an. Zurückgeben kann ich ihn nicht, deswegen steht er nun hier. Aber er ist niedlich”, vermittelte Tyrell. Schwer zu glauben, dass man ein Pferd aus Versehen kaufen, kann und dann es nicht mal mehr zurückgeben.
      “Okay, ich bin bald zurück. Dann werden wir sehen, was wir mit dem Wischi Waschi machen”, lachte ich wieder.
      “Wischi Waschi? Alles okay bei dir?”, hinterfragte er.
      “Bei uns ist es nach 0 Uhr, was erwartest du? Unser Trainer feiert noch seinen Geburtstag”, präzisierte ich die aktuelle Situation in Kanada.
      “Dann geh bald schlafen, wir freuen uns schon auf dich”, verabschiedete Tyrell sich und legte auf. Sie freuten sich auf mich, doch meine Freude wieder nach Hause zukehren verschwand mit jeder Stunde, die ich hier verbrachte. Ich hatte mich mittlerweile an die viel freie Zeit gewöhnt, die ich auch mit Lernen verbringen konnte. Außerdem bedeutete es, dass ich bei Niklas sein konnte. In Schweden würde jeder zu seinem Alltag zurückkehren und uns würde es nicht mehr geben. Gab es überhaupt ein uns, oder bildete ich mir das nur ein. Ich schaute nicht zu ihm, nur auf sein Blatt, dass mittlerweile auch nach einer Kür aussah. Seine Schrift war sehr ordentlich und die Punkte zeichnete er als Kreise. Jenni tat das in der Oberschule auch, aber zu seinem Schriftbild passte es. Obwohl das Blatt keine Linien hatte oder andere Orientierungspunkte, hätte man ein Lineal unter seine Zeilen halten können und bis auf die Unterlänge einzelner Buchstaben, würde die Schriftlinie gerade sein. Sogar die Mittellängen bildeten eine Linie und ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass auch die Oberlängen vom Minuskel L oder H über die Versalhöhe ragten.
      “Denkst du, ich schaffe das nicht mit Smooth?”, Niklas Stimme klang traurig, als hätte ich durch mein Starren auf sein Papier sagen wollen, dass seine Stute nicht mehr dazu in der Lage wäre.
      “Ich bin fest davon überzeugt, dass ihr beide das schafft. Du kennst deine Stute lang genug und wenn ihr frühgenug mit dem Warmreiten beginnt, dann wird das was”, munterte ich ihn auf. Dabei sah ich hoch zu ihm. Seine Augen waren glasig und er blickte immer wieder nach oben, um seine Tränen zurückzuhalten. Ich strich ihm mit meiner Hand über seine Wange. Sein sonst sehr präziser rasierter Bart wurde in den letzten Tagen ziemlich vernachlässigt und Stoppeln befanden sich unter seinem Wangenknochen. Er begann zu lächeln.
      “Jag gillar dig verkligen”, wurde Niklas sentimental. Seine Worte überforderten mich und ich senkte meinen Kopf, um seinen Blicken zu entkommen. Unweigerlich schaute ich dabei zu Chris, der wie eine 14-Jährige sich freute, beim Schauen eines Twilight Filmes. Niklas Hand lag noch immer auf meinem Bein und er drückte fest zu, denn ich wollte aufstehen und einfach hier weg. Es gelang mir nicht. Stattdessen nahm er seine andere Hand hinter meinen Kopf und drückte sanft seine Lippen auf meine. Meine Anspannung fiel von mir und ich fühlte mich für einen Moment frei wie ein Vogel, der durch die Lüfte schwang. Ich erwiderte den Kuss, legte meinen Arm um seinen kräftigen Oberkörper und die andere Hand verschwand in seiner Hose. Ich genoss den Augenblick der Vollkommenheit und wollte nichts anderes als ihn. Dann trennten sich unsere Lippen wieder und er sah wieder tief in meine Augen.
      “Du är min tjej”, flüsterte Niklas und gab mir einen Kuss auf die Stirn.
      „Och du full“, murmelte ich, unglaubwürdig wollte ich den Kuss vergessen, denn es war etwas anderes als zu vor. Wir küssten einander nicht auf den Mund, nur am Hals oder anderen Stellen des Körpers.
      „Wärst du so freundlich, uns etwas Neues zu trinken zu holen“, befahl er mir. Ohne Einspruch zu erheben, stand ich auf und holte aus dem Kasten drei Bier. Eigentlich wollte ich kein Alkohol trinken, es blieb mir jedoch nichts anderes übrig. Sie waren mittlerweile ziemlich warm und der erste Schluck schmeckte schal, sehr unangenehm. Ich verzog mein Gesicht, während die Männer kaum die Flasche vom Mund absetzten.
      Bei meiner Kür fehlte nicht mehr viel, vor allem bei der Musik tat ich mich noch schwer. Glymur hat viel Schwung in seinen Gängen, weswegen ein ruhiges Lied die falsche Wahl wäre. Nur im Tölt konnte er eine gute Versammlung zeigen, jedoch sollten drei Gänge vorgeritten werden. Morgen würden zwei Einheiten anstehen zum Üben der Kür. Beacon of Light von Priest notierte ich mir. Das dazugehörige Album kam dieses Jahr heraus und immer wieder hörte ich ihre Lieder sehr gern. Die ersten Sekunden waren ruhig, bis der Bass einsetzte und der Synthi schneller wurde. Beim Einreiten könnte die Musik leise sein, nach dem Gruß würde ich antölten und die Energie des Liedes nutzen, um das Tempo meines Hengstes zu nutzen. An ruhigen Stellen wäre der Schritt positioniert.

      Hannes
      Wäre ich ein romantischer Mensch, würden mir die Dunkelheit gepaart mit dem sachten silbernen Licht des Mondes Gänsehaut verpassen, doch war ich weder romantisch, noch mochte ich die Dunkelheit und das Einzige, woran ich denken konnte, war Ambrose. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen mit Niklas über meine abtrünnigen Gefühle zu reden, doch er schien momentan mal wieder zu beschäftigt mit Frauen, speziell Vriska, zu sein. Zu meinem Glück lag die Abreise nah, doch Ambrose gehörte mit zum Team Schweden, weshalb ich ihn auch in der Heimat sehen würde. Um dem ganzen Trubel des Geburtstags aus dem Weg zu gehen, spazierte ich gedankenversunken über den Hof, als ich plötzlich ein Rascheln aus den seitlichen Büschen des Weges vernahm und mein Herz beinahe aus der Brust sprang vor Angst. Am ganzen Körper zitternd, brachte ich nur ein ersticktes “Hallo?” hervor, gerade als ich mich umdrehen wollte, spürte ich eine Wärme an meinem Rücken und eine Hand, die mir den Mund zuhielt. Abrupt begann ich mich zu wehren, bis die fremde Person vor mich trat und mich dann losließ – Ambrose. Noch verwirrter als vorher, spielten meine Gefühle verrückt und ich stand wie angewurzelt vor ihm; seine Haut glänzte silbern im Mondlicht, was seinen Muskeln die extra Definition verpasste. “Ich wusste nicht, dass du noch nicht geoutet bist.”, begann er sanft das Gespräch.
      “Ich bin nicht schwul!”, brüllte ich ihn fast an und statt erschrocken zurückzuschrecken, machte er einen Schritt auf mich zu und lehnte sich nach vorne und flüsterte in mein Ohr “Sicher?”. Augenblicklich stellten sich alle Haare meines Körpers auf und meine Hände wanderte wie von selbst zu seinem Oberkörper, ohne weiter darüber nachzudenken, küsste ich ihn und empfand erneut dieses warme, sichere Gefühl. Verwirrt trifft es wohl am besten, denn als wir langsam voneinander abließen, war ich mir nicht mehr so sicher, ob ich wirklich nichts für Männer empfand. Um meine Gedanken schnell woanders hinzulenken, fragte ich völlig aus dem Kontext “Wollen wir vielleicht zurück zur Geburtstagsfeier?”. Ambrose sah mich mit seinen strahlenden Augen an und nickte lediglich. Gemeinsam schlenderten wir zurück ins Zentrum des Hofes und gesellten uns zu den anderen.

      Niklas
      Das Schwierigste der an der Fahrt konnte ich abhaken auf meiner imaginären To-do-Liste, die Kür. Vriska hing noch immer über ihren Skizzen, die für kaum einen Sinn ergeben. Überall waren Pfeile, Bemerkungen und weggestrichenes. Teilweise erkannt ich ein Dressurviereck, welches sie falsch beschriftete.
      “C, M, R, B, P. Nicht C, R, M, P, V”, wies ich sie auf die Fehler hin.
      “Es tut mir leid.” Vriska schaute nicht einmal zu mir, stattdessen drehte sie das Blatt um und zeichnete das große Viereck erneut. Sie stoppte mehrfach, bis ich mir das nicht weiter anschauen konnte. Ich nahm ihren Stift, strich ihre Buchstaben weg und beschrifte es vollständig. Verloren blickte sie auf das Blatt.
      “Det räcker för idag.” Meine Hand strich ihr durchs Haar, dass sie seit dem Reiten im Zopf trug. Einige Strähnen hingen locker herum.
      “Du här rätt”, stimmte sie mir zu. Vriska gähnte und ich erinnerte mich an ihre Worte, dass sie früher schlafen, gehen wollte. Doch nun war es beinah 1 Uhr und die kleine Feier schien noch lange nicht zu Ende zu laufen. Überraschend saß Hannes nirgendwo. Den ganzen Abend sah ich ihn nicht. Vor meinem Termin sprach ich kurz mit ihm, aber dann. Der Kleine bereitete mir Sorgen als üblich. Etwas stimmte nicht, dass konnte ich spüren.
      “Hej, ni tre!” Grüßte Anders, als er zu unserem Tisch kam. Er hielt einen Teller in der Hand, auf dem ein Stück vom Huhn lag und eine Portion Kartoffelsalat. Beinah synchron grüßten wir ihn zurück.
      “Jag kan redan se. Du arbetar flitigt med dressyrprogram.” Er lachte.
      “Jag har varit klar sen igår”, erklärte Chris.
      “Jag är precis klar. Det blir inte lätt för Smoothi, men vi kan göra det.” Mein Blick fiel zu Vriska, die ihren Kopf wieder zur Tischplatte senkte. Dabei grinste ich. Ihre Worte hallten durch meine Ohren, vermutlich hätte ich sonst das Bestmögliche mit Humbi versucht, die mir nicht hörig ist. Es fehlte ebenfalls die Zeit, um sie auf intensive Einheiten vorzubereiten. Ihr fehlte nicht nur die Kondition, sondern auch ihr muskulärer Zustand ließ zu wünschen übrig. Vriska legte ihre Hand auf meinen Oberschenkel, als merkte sie meine abwegigen Gedanken. Eine wohlige Sicherheit breitete sich in mir aus, mein Herz schlug schneller und ich spürte, dass mein Grinsen breiter wurde, unbewusst.
      “Det kan du göra”, trug Herr Holm dazu bei. Dann erzählte er noch etwas zum morgigen Ablauf, den er bereits in der Gruppe teilte. Der Vortrag endete gar nicht mehr, bis Chris ihn unterbracht. Unser Trainer wünschte eine gute Nacht und verließ den Tisch.
      “Heute Nacht bleibst du mir?”, quengelte Vriska, als Chris vorlief. Das Feuer brannte kaum noch und nur wenige saßen noch dort.
      “Wenn du dich benimmst.” Ich legte meinen Arm auf ihre Schultern und verlagerte mein Gewicht.
      “Es wäre aufmerksam, wenn du auf den aufpasst.” Sein Kumpel drehte sich zu uns um und lief rückwärts weiter.
      “Vielleicht sollte ich besser auf dich aufpassen”, scherzte ich, als Chris stolperte und mit einem Gesäß im Dreck landete. Wir lachten. Von selbst stand er auf und verabschiedete sich. Vriska blickte mich mit ihren großen Augen an, vor Müdigkeit färbten sie sich rot. Im Zimmer fiel sie direkt ins Bett, nicht mal die befleckte Reithose zog sie aus. Unbeholfen blickte ich mich um. Dann zog ich mich aus und legte mich zu ihr.
      “Willst du dich nicht wenigstens umziehen?”, schlug ich vor, während ich mich etwas mit der Decke umhüllte. Vriska nickte, stand auf und warf die Reitsachen über den Stuhl am Tisch. Sie krabbelte mit ins Bett und setzte sich direkt auf mich. Mit meinen Händen an ihrem Rücken legte ich mich etwas höher und sah ihr tief in die Augen.
      “Was war vorhin im Stall los?”, fragte sie mit ruhiger Stimme. Ihre Worte klangen entschlossen, umso mehr verunsicherte mich die Frage. Mein Blick wandte sich ab von ihr und ich schaute an die Decke. Ein Stechen in meinem Genick ließ mich zusammenzucken. Sie legte ihre Hände auf meine Brust, während ich darüber nachdachte, was ich sagen könnte.
      “Das …”, stammelte ich nervös. Nicht einmal Lina hatte ich davon erzählt. Ju wusste es, teilweise. Einige Teile davon. Wenige Teile. Mit meinen Backenzähnen biss ich auf der Seite meiner Wange herum. Beim Herunterschlucken meines Speichels schmeckte es eisenhaltig, blutig. Alte Wunden öffneten sich und mein Kiefer zuckte.
      “Ich kann darüber nicht sprechen und ich möchte auch nicht, dass du es weißt”, antwortete ich schlussendlich.
      “Oh okay, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.” Sie öffnete ihren Zopf und die langen blonden Haare legten sich über ihre Schultern. Ihre Hüfte bewegte sich langsam vor und zurück. Ich schloss meine Augen und ließ mich von ihrer Lust mitziehen. Bevor sie einen weiteren Schritt machen konnte, drehte ich Vriska nach unten und küsste ihren Hals.
      Aus dem Badezimmer hörte ich sie bitterlich weinen. Düstere Gedanken schwirrten durch meinen Kopf. Im Halbschlaf zog ich meine Boxershorts hoch näherte mich der Badezimmertür. Leise klopfte ich an die Tür, sie sagte nichts und öffnete diese. Vriska kniete am Boden und kleine roten Flecken übersäten ihn. Schockiert drehte sie sich um und schubste mich raus. Von innen schloss sie ab und ich stand unbeholfen vor der Holztür. Ich spürte ihre innere Unruhe, eine unangenehme Energie breitete sich im Raum aus und ich lege mich zurück ins Bett. Ihr Eyeliner verschmierte ihr Gesicht. Sie wischte noch einige Male herum und legte sich zurück zu mir.
      “Ich wollte nicht, dass du das mitbekommst”, versuchte Vriska sich zu entschuldigen.
      “Bitte tu das nicht mehr … erst recht nicht, wenn ich da bin”, bedrückte es mich. Sie legte sich auf meine Brust und strich über meinen Bauch.
      “Du schliefst tief und fest, dachte ich zumindest”, murmelte sie unverständlich und ich spürte ihre Tränen auf meiner Haut.
      “Hör auf zu weinen, sprich lieber mit mir als in deiner Trauer zu versinken.” Dabei legte ich eine Strähne hinter ihr Ohr.
      “Wieso machst du das?”, stammelte sie.
      “Wovon sprichst du?” Vriska verunsicherte mich. Ich wollte sie nicht verletzen, sondern ihr helfen. Wenn ich sie nicht sitzend im Bad gesehen hätte, wäre ich auch in dem Moment noch der Meinung.
      “Irgendetwas Tiefsinniges lief zwischen dir und Lina, ich weiß, dass es auch dir etwas bedeutet. Doch du liegst bei mir im Bett und bist die dritte Nacht in Folge hier. Du machst mir schöne Augen, Hoffnung auf eine bessere Zeit, die aber nicht kommen wird. Stattdessen sind in den letzten Tagen viele schlimme Dinge passiert. Deinetwegen. Milena ist noch immer mit mir zerstritten. In Lina sah ich eine neue gute Freundin, die vermutlich sehr enttäuscht ist und das alles wird noch schlimmer ab der nächsten Woche. Der Teufelskreis wird immer größer.” Warf Vriska mir vor, womit sie womöglich recht hatte.
      “Hör auf.” Meine Bitte klang abweisend und sie schreckte zurück. Eine weitere Antwort bekam ich nicht mehr, stattdessen drehte sie sich weg von mir. Ich hörte sie schluchzend, versuchte Vriska aufzumuntern. Distanziert stieß sie mich von ihr. Sie schlief vor mir ein und ich dachte noch viele Stunden über ihre Worte nach. War ich so ein schrecklicher Mensch?

      Nächster Tag.

      Noch bevor mein Wecker klingelte, wachte ich auf. Meinen Arm streckte ich langsam zu Vriska, die jedoch nicht mehr neben mir lag. Ich schaute mehrmals, doch sah sie nicht. Vor dem Schlafengehen vergaß ich die Kontaktlinsen herauszunehmen, meine Augen schmerzten. Erst 8 Uhr. Ohne groß über den Tag nachzudenken, sammelte ich meine Kleidung vom Boden auf. Das Shirt fehlte. Einen Blick zur Küche verriet mir auch wieso. Vriska hatte es sich übergeworfen und es glich einem Kleid bei ihrer Körpergröße.
      „Ich bräuchte das wieder“, merkte ich an.
      „Bei der fehlenden Höflichkeit, nein. Du hast noch mehr Shirts“, lehnte sie ab und setzte sich auf den Stuhl, auf den sie am Abend ihre Reitsachen gelegt hatte. In der Hand hielt sie eine Tasse mit einer dunklen Flüssigkeit, die sich als Kaffee herausstellte.
      „Soll ich etwa so gehen?“, scherzte ich. Sie schaute noch immer gelangweilt in meine Richtung.
      „Wie du aussiehst, weiß wohl jeder. Also ja. Musst du. Und wieder kommen, brauchst du auch nicht“, murmelte Vriska und schlürfte einen Schluck aus der Tasse. Sie verwirrte mich.
      „Was ist los mit dir?“ Empört blieb ich stehen und schaute zu ihr. Sie sah entschlossen aus, aber irgendwie zufrieden.
      „Die Frage solltest wohl eher du dir stellen.“ Ich lief die Meter, die uns trennten, zu ihr, ging in die Hocke und legte meine Hände auf ihre Knie. Vriska zitterte und entschlossen war sie auch nicht mehr. Die Reste von der Schminke hatte sie aus dem Gesicht entfernt. Ihre Augen waren rot, verweint. Obwohl mein Shirt ihre Oberschenkel größtenteils bedeckte, sah ich ihre frischen Wunden.
      „Ich möchte nicht, dass du dich schlecht fühlst. Erst recht nicht meinetwegen. Wenn du mir egal wärst, würde ich gar nicht erst vor dir Knien und mich über dein Wohlempfinden erkundigen. Sondern hätte gewartet, bis du einschliefst und wäre zu Chris verschwunden. Außerdem …“ Ich stockte. So wie ich es formulieren wollte, klang es wie ein Vorwurf. Aber ich wollte nicht ihr vorwerfen sich an mich herangemacht zu haben, denn ich hätte sie abweisen können, ihr klar und deutlich vermitteln können, dass ich es nicht wollte. Das tat ich nicht.
      “Außerdem?”, wiederholte Vriska und schaute endlich zu mir.
      “Nimm es mir bitte nicht persönlich. Du wolltest es und hast dich auf mich gesetzt. Alles geschah aus freien Stücken”, legte ich ihr nah.
      “Du hast recht. Ich sollte sauer auf mich sein und jetzt geh bitte”, sagte Vriska und stieß meine Hände von sich.
      „Ich werde nicht gehen, solang du hier traurig hängst.“ Auf dem Boden nahm ich Platz, winkelte meine Beine an und legte die Arme darauf.
      „Wieso bist du so aufdringlich und komme mir jetzt nicht, dass du mir nur helfen willst? Das höre ich andauernd“, murmelte sie genervt.
      „Weil ich weiß, dass es nicht gut ist in so einer Phase allein zu sein und Selbstmitleid zu versinken.“ Es war mir eine Herzensangelegenheit, denn von Zwischenfall im Stall lag es mir noch schwer im Magen. Ju wollte nicht mit mir drüber reden und heute könnte ich es wohl auch nicht erwarten. Was mich nicht vom Willen abbrachte, später mit ihm ein Gespräch zu führen.
      „Kaum vorstellbar, dass jemand wie du das wissen sollte“, entgegnete Vriska mit zitternder Stimme.
      „Nun, ich bin auch nur ein Mensch. Und jetzt zieh dich an, ich habe eine Idee, wie wir dich auf andere Gedanken bringen können“, schlug ich vor. Sie grinste und sagte: “Was auch immer du vorhast, aber das muss noch warten. Ich hätte für einige Minuten wirklich gern meine Ruhe.” Auf ihrer Stirn bildeten sich kleine Falten und spürte, dass sie es ernst meinte.
      “Na gut, dann gehe ich rüber zu Ju, hole ein paar Sachen und dusche hier. Danach dann los?”, stellte ich alternativ vor. Vriska nickte. Es war mir ein Rätsel, warum sie plötzlich mich mied.

      Vriska
      Niklas verschwand, endlich. Sein Verhaltenswechsel zu einem charmanten interessierten jungen Mann schüchterte mich ein. Lina schaute er nach, aber suchte die Aufmerksamkeit bei mir. Ständig kam er zu mir und benötigte die Bestätigung. Das wollte ich nicht. Einerseits gefiel es mir, dass Niklas versuchte mich aufzumuntern, mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Andererseits kam er mir Tag täglich näher, eine Nähe, die ich in meiner aktuellen Lage nicht gebrauchen konnte. Den Abstand musste ich mir wieder erkämpfen. Ein Blick über den Tisch brachte mich auf eine Idee. Die Visitenkarte lag noch immer neben den Äpfeln. Ich schaute um mich, Niklas schien noch einiges mit Ju klären zu müssen, was ich den beiden nach dem gestrigen Abend nicht verübeln konnte. Keiner von ihnen verhielt sich angemessen der Situation. In meinem Kopf spielten sich die Bilder ab, vor allem die Worte, die sein bester Freund in den Mund nahm. Lag es an mir? Ich wollte es nicht glauben, doch ein Schmerz zog sich durch meine Brust, ein Stechen. Wieder begann ich an meinem Piercing herumzubeißen. Das musste ein Ende haben und Niklas war nicht das Ende, auch nicht der Anfang von etwas Gutem. Obwohl. Er spielte eine tragende Rolle dabei, die ich ihm nicht zusprechen wollte. Beherzt griff ich zu der kleinen Pappkarte und betrachtete sie. Auf der Vorderseite stand nicht viel mehr als der Name von Erik, die Rückseite hingegen fiel mir direkt ins Auge. Ich stellte erst heute fest, dass auch seine Adresse darauf gedruckt wurde. “431 53 Mölndal”, murmelte ich vor mir hin. Kanadisch klang der Ort nicht und auch der Straßenname irritierte mich. Müsste er nicht in Kanada leben, wenn Erik in der Botschaft arbeitete?
      Im Handy tippte sich die Adresse wie von Zauberhand ein und Karten zeigte mir, dass das die Adresse mehr als 4h fahrt, vom Heimathof entfernt lag. Könnte es an der Aktualität liegen? Ich benötigte mehr Informationen und begann das Internet nach ihm zu durchforsten. Dabei stellte ich fest, dass sich Niklas und er auf Instagram folgten. Sein Profil war privat. Auch Markierung konnte ich nicht sehen. Es blieb mir nur, mich bei ihm zu melden. Das Geheimnisvolle erweckte Interesse mir, ein kleines Verlangen dem auf die Spur zu kommen, erwachte in meinem Kopf. Zunächst speicherte ich die Nummer unverbindlich als “just friends” ein, um neugierigen Blicken der anderen zu entkommen. Dann sah ich den leeren geöffneten Chat vor mir. Sein Profilbild war genauso leer, nur der von mir gewählte Name stand am oberen Rand meines Handys. Was schreibt man jemanden, den man nicht kennt, aber das gerne ändern würde? Fragen konnte ich diesbezüglich niemanden. Jenni würde endgültig als verrückt einstufen und Lina hätte sicher viel zu sagen, außer etwas Nettes. Also musste ich selbst eine Lösung finden. Da kam es mir direkt in den Kopf. Wild entschlossen, versuchte ich ihm auf Schwedisch zu schreiben, doch ich scheiterte. Das hätte sicher einen guten Eindruck gemacht. Stattdessen tippte ich: “Hoffentlich hast du alles wieder sauber bekommen” und sendete es ab.
      Schlagartig stellte ich den bitte-nicht-stören Modus ein und legte es mit dem Bildschirm nach unten auf den Tisch, den eine Hose trug, ich noch immer nicht. Mein Herz raste in meiner Brust. In meinen Ohren hörte ich das Rauschen meines Blutes und ich sackte in den Stuhl mit dem Blick nach oben. War es eine Erleichterung, den Schritt getan zu haben oder ein ridiküler Einfall? Seitdem ich nicht mehr bei meiner Mutter in England lebte, war es ein einziges auf und ab mit meinen Gefühlen. Jeden zweiten Typen fand ich anziehend, konnte mir mehr vorstellen aber stieß ihn nur doch wieder von mir. Bei Tyri dauerte es mehr als drei Jahre bis ich mich aus seinen Fesseln entreißen konnte, umso mehr versuchte ich jeden Moment zu genießen – zu leben.
      Aus meinen Gedanken riss mich dann doch Niklas, der in das Zimmer hineinstürzte mit einem äußerst verärgerten Gesichtsausdruck. Eruptiv legte ich meine Hand auf den Tisch über die Visitenkarte, um meine Spuren zu verwischen. Er sagte kein Wort, stand nur im Raum, schaute Richtung Badezimmer. In der Hand hielt er frische Kleidung und seine Brille trug er auf der Nase.
      “Kann ich dir helfen? Suchst du was Bestimmtes?”, überkam es mich. Doch sein Blick lockerte sich und er antwortete: “Er wollte schon wieder diskutieren, obwohl ich ganz normal mit ihm sprach. Wieso kann er nicht gewöhnlich sein, wie wir alle?” Niklas brannte es auf der Zunge, als wollte mehr erzählen. Etwas hinderte ihn.
      “Im Gegensatz zu dir, ist er von seinen Emotionen gesteuert, die du ziemlich verletzt hast”, vermittelte ich ihm.
      “Du auch, also musst du das mit ihm klären. Ich will es nicht noch schlimmer machen.” Beschloss er und lief ins Badezimmer. Ohne auf eine Antwort zu warten, schloss er die Tür und im nächsten Moment hörte ich bereits das Wasser rauschen. Wieso sollte ich das klären? Eine Überlegung war es Wert, obwohl mir gerade ganz andere Dinge durch den Kopf liefen. Nach einem kräftigen Schluck aus meiner Tasse drehte ich erwartungsvoll mein Handy wieder um, tippte auf den Bildschirm. “Messages, 5 min ago, 3 Notifications … just friends”, überflog ich. Alsdann hob ich hoch und die Antworten erschienen: “Ich dachte schon, du meldest dich nie. Alles gut bei dir? Und ja, alles wieder sauber, war direkt in der Waschanlage.” Das kleine Herz in meiner Brust begann Luftsprünge zu machen und darnach tippte ich: “Freut mich zu hören, wäre ein Skandal gewesen mit solchem Unflat durch das Land zu fahren. Nach deiner Antwort fühle ich mich besser und bei dir?” Wieder drehte ich es direkt um, aber stand auf und machte mich fertig. Für das kollektive Morgenessen zeigte die Uhr die falsche Zeit an und auch Glymur musste noch warten, bis er auf die Weide konnte.
      Da Niklas etwas plante, zog ich mir die Reithose von gestern an und überlegte, welches Oberteil es werden sollte. In seinem Shirt fühlte ich mich wohl, aber andere könnten es falsch deuten. Schlussendlich verabschiedete ich mich von dem Oberteil und suchte wieder mal meinen Kapuzenpullover. Von draußen drückte die Hitze hinein, aber es fiel mir schwer, ein Shirt zu wählen. Bisher bedeckte nur ein Sleeve meine Narben und irgendwelche Gespräche darauf, wollte ich nicht lenken. Wie gelähmt stand ich vor einem Berg aus Kleidung und starrte darauf. Eine warme Hand berührte mich an der Schulter und ich zuckte zusammen.
      “Ach jetzt bekomme ich mein Oberteil wieder? Verstehe”, scherzte Niklas und gab mir einen Kuss auf die Haare. Alsdann griff er nach einem Shirt für mich und drückte es in meine Hand. Es war ein lockeres Shirt mit sehr engem Ausschnitt am Hals aber dafür bauchfrei in dunkelblau. Ein Aufdruck befand sich auf der Rückseite. Ich warf es mir über und es fehlte nur noch eine ordentliche Frisur.
      “Und was hast du vor?” Ich bürstete vor dem Spiegel meine Haare und sah zu ihm, als er sein Handtuch zur Seite legte, um sich was Frischer drüber zuwerfen. Etwas zu lange starrte ich und merkte selbst, dass mein Blick unangebracht immer weiter nach unten sank.
      “Nicht das, was du gerade denkst. Aber geht in die richtige Richtung”, deute er an. Also ging es um die Pferde, doch was ich genau damit zu tun hatte, konnte ich mir auch nicht erklären. Erst nach dem er sich Stoff über den muskulösen Körper zog, konnte ich meinen Blick von ihm wenden und meinen Zopf fertig machen. Es entging ihm natürlich nicht und provokant stellte Niklas sich in den Türrahmen, die Arme breit, um mir den Weg zu versperren.
      “Wie heißt das Zauberwort?”, schaute er herunter zu mir und grinste breit.
      “Muss das jetzt sein?”, rutschte es genervt über meine Lippen. Sein Gesichtsausdruck änderte sich eruptiv und Niklas drückte mich gegen die Badezimmertür. Diese Hand an meinem Hals und die andere rutschte langsam in meine Hose. Bevor ich mich von ihm abwenden konnte, presste er seine Lippen auf meine und ich erwiderte den leidenschaftlichen Kuss. Das hatte mir gefehlt, der Niklas, der genau wusste, was er wollte, ungeachtet davon wie es mir ging oder ich mich fühlte. Zielgerichtet und entschlossen, etwas anderes erwartete ich von ihm nicht. Im nächsten Moment vergaß ich meine Zweifel des Aufstehens und er öffnete seine Hose. Niklas löste seinen festen Griff und ich ging in die Knie.
      Peinlich berührt stand ich auf und blickte hoch zu ihm. Er ordnete alles und schloss den Hosenstall. Dabei schaute er tief in meine Augen.
      “Beim nächsten Mal überlegst du dir hoffentlich, was du sagst. Also mach’ dich noch mal frisch und ich warte auf dich”, erklärte er und setzte sich an den Tisch. Ich wusch meine Hände und das Gesicht, bevor ich wieder das Badezimmer verließ. Er hielt mein Handy in der Hand und schien unzufrieden zu sein.
      “Wieso schreibst du mit Erik und vor allem, warum so?”, schimpfte Niklas. Ich konnte nicht nachvollziehen, was ihn das anging und wieso er einen Grund darin sah, dass ich mich verteidigen sollte.
      “Soll ich mich entschuldigen, oder was geht in deinem Kopf ab?”, fragte ich vorsichtig, um einer erneuten Maßregelung zu entgehen.
      “Das kann ich dir sagen. Du gehörst nur mir und ich bestimme, was du tust und was nicht.” Wie in Zeitlupe spulten sich seine Worte in meinen Ohren ab. Die Augen wurden größer und ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, außer: “Okay, wenn du das sagst.” Mein Haupt senkte sich und er nahm mich in den Arm.
      “Ich will nur das Beste für dich, denk daran. Und ich kenne ihn lange genug, um dir sagen zu können, dass er dich nur verletzen wird.” In mir begann sich alles zu drehen und das wohlige Gefühl verschwand. Niklas war steht’s ehrlich zu mir, doch waren seine Anschuldigungen nur eine Maßnahme mich an der kurzen Leine zu halten oder eine gerechtfertigte Aufklärung? Er gab mir mein Handy zurück und lief los zum Stall. Meine Schritte verkürzten sich und ich prüfte, was Erik mir schrieb: “Wie lange bist du noch hier? Wollen wir uns in der Zeit noch mal richtig treffen? Es würde mich freuen.” Ich würde mich auch freuen, doch die positiven Gefühle verwandelten sich in ein unangenehmes Drücken in der Brust.

      Lina
      “Ist das Kaffee?”, fragte ich Samu verschlafen, als ich meinen Kopf in die Küche steckte. Eigentlich war ich ja kein Kaffeetrinker, doch heute war es dringend nötig. Der wenige Schlaf der letzten Tage begannen nun so langsam seine Folgen zu haben. Die Tatsache, dass mein Hirn heute Nacht lieber mit den Ereignissen des Tages beschäftigt war, verbesserte die Situation auch nicht gerade.
      “Ja, aber eigentlich ist das meiner”, protestierte Samu als ich ihm einfach seine Tasse stahl, um einen großen Schluck daraus zu nehmen.
      “Jetzt nicht mehr”, antworte ich ihm nur und gähnte. Samu betrachtet mich einen Moment, bevor er antwortete: “Ok, offensichtlich hast du den auch mehr nötiger als ich”. Stimmt, ich trug definitiv noch meine Schlafsachen, denn ich hatte mich bisher noch nicht in der Lage gefühlt etwas anzuziehen.
      “Danke. Mal wieder höflich und zuvorkommen so wie immer. Aber warum bist du schon so wach?”, murmelte ich und nahm einen weiteren Schluck Kaffee. Auch wenn Samu ausgeschlafener sein sollte als ich, war er doch genauso spät im Bett gewesen. Aber er war schon immer so gewesen. Irgendwoher nahm er immer unglaublich viel Energie her. Aber nicht diese nervige hyperaktive Energie, sondern viel mehr eine positive ruhige Energie.
      “Also erst einmal haben wir schon fast halb 9 und Zweites ist doch ein schöner Tag heute. Soll ich dir noch einen machen?”, fragte er beiläufig.
      “Mmm …passt schon, mir fällt gerade wieder ein, warum ich das Zeug nicht mag. Aber was genau macht diesen Tag jetzt schon so schön? Habe ich was verpasst?”, fragte ich misstrauisch.
      “Nein, hast du nicht. Es ist einfach ein schöner Tag. Es ist warm, die Sonne scheint …”, begann Samu auszuführen.
      “Manchmal glaube ich, du bist eine Pflanze. Sobald die Sonne aufgeht, kannst du deine Fotosynthese betreiben und bist happy.”
      “Müsste ich dann nicht grün sein”, scherzte mein Gegenüber.
      “Irgendwo richtig … Aber hör auf meine Theorie infrage zu stellen, es ist noch zu früh, um über so was nachzudenken.” Ich leerte die Tasse und stellte sie in die Spülmaschine. Samu der offenbar voller Tatendrang war, stand auf und verkündete, dass er jetzt die Pferde auf die Weide stellen würde.
      “Kannst du meine Bitte auch rausstellen?”, fragte ich ihn. Wenn er schon so viel Energie hatte, konnte er sie ja wenigstens sinnvoll einsetzten.
      “Alle?”, fragte er nach, während er sich einen Müsliriegel aus dem Schrank fischte.
      “Ja bitte, bis auf Divine, den bring ich gleich selbst raus.”
      “Ok” war seine einzige Antwort und er verschwand seinen Müsliriegel essen aus der Küche. Ich für meinen Teil wählte den Weg zurück zu meinem Zimmer, doch ich kam nicht weit. Im Flur begegnete mir ein ähnlich gut gelaunter Jace. Das war ein wenig unerwartet nach gestern.
      “Guten Morgen”, kam es für meinen Geschmack ein wenig zu euphorisch aus seinem Mund. Was ist denn heute los mit den Menschen? Warum sind die so gut gelaunt?
      “Morgen”, antworte ich irritiert. Glücklicherweise war er nicht auf ein Gespräch aus, sodass ich mich schnell in mein Zimmer verkrümeln konnte. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits viertel vor neun war. Wenig ambitioniert sammelte ich Samu Pulli, den er mit gestern geliehen hatte von dem Stuhl, wo er lag. Dabei fiel mir das kleine silberne Armband entgegen, welches mit Jace gestern in die Hand gedrückt hatte. Besser ich verstaute es erst einmal in meine Schmuckkästchen, denn ich fühlte mich nicht ganz wohl dabei es tatsächlich zu tragen. Auch wenn Jace gesagt hatte es solle mich an hier erinnern, war mir klar, dass er nicht hier im Allgemeinen gemeint hatte. Außerdem hätte man bei der Szenerie gestern auch etwas ganz anderes erwarten können anstelle einer einfachen Liebeserklärung. Die Szene auf dem Reitplatz gestern wäre schon fast Oskar verdächtig, mit dem Unterschied, dass es kein Film war, sondern das reale Leben. Wie ich so daran dachte, spürte ich ein paar der Gefühle wieder hochkommen. Entschlossen schüttelte ich den Kopf. Nein, Jace ist ein abgeschlossenes Kapitel und genau deshalb gibt es heute keinen Platz für Jace in meinem Kopf. Am besten konzentriere ich mich heute auf meine Pferde. Von denen würde mir wohl keiner eine plötzliche Liebeserklärung machen.
      Ich ging in Bad, um mich frisch zu machen. Ich wusch Hände und Gesicht. Nach einem kurzen Blick auf das Wetter und die angesagten Temperaturen beschloss ich auf großartige Schminke zu verzichten. Meine Haare flocht ich zu zwei französischen Zöpfen. Diese Frisur hatte sich schon öfter bewährt, denn so hatte ich keine Haare im Gesicht und in der Regel sahen die Zöpfe auch nach dem Reiten noch halbwegs okay aus.
      Meine Oufitwahl fiel heute auf die schwarze Reithose kombiniert mit einem blau weißen Shirt.
      So konnte ich mich angezogen und halbwegs wach auf dem Weg zu meinem Pferd machen. Als ich aus der Haustür trat, konnte ich gerade noch sehen, wie Samu mit Legolas und Sky den Weg zu den Koppeln hochlief. Damit das es warm war und die Sonne schien, hatte er zwar recht gehabt, aber ich befürchte, dass es nicht den ganzen Tag so angenehm wie jetzt bleiben würde, denn schon jetzt stand die Sonne hoch am wolkenlosen Himmel.
      Auf dem Weg zu Stall stand Bubbels so plötzlich vor mir, dass ich beinahe über den Hund drüber fiel, weil ich ihn nicht gesehen hatte.
      “Mensch Bubbels, wo kommst du denn auf einmal her”, tadelte ich den Dalmatiner. Dieser blickte mich allerdings nur aus seinen braunen Augen an und wedelte freundlich mit dem Schwanz. Vermutlich war der immer hungrige Hund mal wieder auf der Suche nach etwas zu Essen.
      “Sorry, ich habe nichts für dich dabei”, sagte ich zu dem Hund und streichelte ihm über den Kopf. Beinahe sofort warf Bubbels sich auf den Rücken und hielt mir seinen Bauch hin. Dieser Hund wusste einfach zu gut, wie man bekommt, was man möchte. Also ging ich in die Hocke, um den gepunkteten Bauch zu kraulen.
      “Genug jetzt, da wartet noch jemand anderes auf mich.” Mit diesen Worten beendete ich die Streicheleinheit und stand wieder auf. Bubbels hielt diesen Vorschlag offensichtlich nicht für sinnvoll, denn er versuchte mich mit Faxen wieder zum Streicheln aufzufordern. Als ich nicht weiter darauf einging, stand der Hund auf und folgte mir in den Stall.
      Kaum hatte ich den Stall betreten, kam begleiten von einem leisen wiehern, ein weißer Kopf aus einer der Boxen.
      “Godmorgon. Ein Hübscher ist das. Geht es dir … na ja, besser? Du warst so plötzlich weg”, sprach Chris, der einige Meter weiter an der Box seines Wallachs stand. Bubbels schien sich sehr für Chris zu interessieren, denn er lief zielstrebig auf ihm zu und begann ihn abzuschnüffeln.
      “Guten Morgen. Ähh ja, ich habe gestern nur ein wenig Abstand gebraucht”, erklärte ich knapp. Ich sprach eigentlich nicht gerne mit praktisch fremden über solche Dinge. Niklas und war da irgendwie eine Ausnahme gewesen. Divine streckte mir seine feuchte Schnauze ins Gesicht und pustete mich an. Sanft schob ich seine Schnauze weg.
      “Das klingt doch gut”, lächelte er und streichelte dem Hund über den Kopf. Wirklich erstaunt über meine Worte schien er nicht zu sein, als wäre es eine rhetorische Frage gewesen. Seine Reaktion war zwar irgendwie ein wenig seltsam, aber ich sollte aufhören immer alles zu hinterfragen.
      “Wie heißt er eigentlich?”, fragte ich und deutete auf den braunen Wallach.
      “Das ist Hammy, also Ally Hamlet mit vollen Namen. Sag Hallå.” Dabei hielt er seine Hand nach oben, der Wallach hob seinen Huf, der gegen die Boxenwand stieß, und schüttelte seinen Kopf. Chris lachte. Auch ich musste dabei lächeln.
      “Oh so ein höfliches Pferd ist mir bis jetzt noch nicht begegnet. Das ist wirklich ein cooler Trick”, sagte ich anerkennen.
      “Danke”, befahl Chris dann ihm und Hammy verlagerte das Gewicht, dabei steckte seinen Kopf zwischen die Vorderbeine.
      “Hammy scheint sehr talentiert zu sein”, stellte ich freundlich fest. Irgendwie hätte ich von Chris nicht erwartet, dass sein Pferd auch solche Tricks beherrschte.
      “Ist der Rentner. Ich habe zu Hause noch eine junge Stute, aber sie ist im Beritt und noch nicht fertig für so ein Training. Aber so wie es scheint, wirst du ja bald auf öfter bei uns sein. Dann siehst du sie mal”, sagte Chris und legte seinem Wallach das Halfter um. Daraufhin führte er ihn aus der Box und gab ihm eine große Portion Kraftfutter in einer Schüssel.
      “Da freue ich mich schon deine Stute kennenzulernen.” Beim Geräusch des Futters begann Divine ungeduldig zu werden und mit den Hufen über den Boden zu scharren.
      “Ich glaube, ich gehe diesem ungeduldigen Herrn hier sein Frühstück holen”, verkündete ich und verschwand in Begleitung von Bubbles in der Futterkammer. Da ich Ivys Futter gestern schon vorbereitet hatte, braucht ich nicht lange, um sein Futter zu holen. Bubbles staubte noch eine halbe Möhre ab, mit der er sich auch direkt in eine Ecke verzog. Divine musste ich einmal kurz daran erinnern, dass er warten sollte, bis sein Futter im Trog war, bevor ich es einfüllen konnte. Zufrieden begann der Freiberger zu fressen.
      “Und was steht bei dir noch auf dem Plan für heute?”, unterbrach Chris die Stille im Stall. Bis auf die Geräusche der Pferde lag eine Ruhe über den Hof.
      “Für den Hübschen da steht heute ein wenig Dressur auf dem Plan, genauso wie für Legolas. Die beiden Stuten haben heute Springtag … und was ich mit Pancho mache, habe ich mir noch nicht überlegt”, beantworte ich Chris frage.
      “Oh Mann, dann wünsche ich dir viel Erfolg. Das wird wohl ziemlich stressig. Meine morgendliche Beschäftigung kommt dann auch”, sagte er und deutete zur Tür. Niklas kam rein, gefolgt von Vriska, die den Kopf hängen ließ und nicht sehr zufrieden wirkte. Seinen Wallach stellte er zurück in die Box.
      “Danke, dir auch viel Erfolg.” Divine hatte so gut wie aufgefressen, weshalb ich mir seine Sonnencreme aus dem Beutel vor seiner Box holte. Was wohl zwischen den beiden vorgefallen sein mag, dass Vriska so unzufrieden ist? Gestern sah das immerhin noch ganz anders aus. Brav ließ sich der Freibergerhengst eincremen, bevor er auch noch die letzten Futterkrümel aus dem Trog schleckte.
      “Morgen”, grüßte ich Niklas, der gerade an Ivys Box vorbeilief.
      “Na, gut geschlafen?”, fragt er freundlich und bleibt bei uns stehen.
      “Geht so, aber zum Glück gibt es Kaffee”, antwortete ich wahrheitsgemäß. Divine kam neugierig an die Tür, um zu sehen, wer denn da stehen geblieben war.
      „Ich bevorzuge Mate, aber klar. Koffein ist für die meisten ein guter Start in den Tag.“ Niklas tätschelte den hellen Hengst, während Vriska gespannt auf ihr Handy sah und breit grinste. Die Begeisterung des Herrn hielt sie deutlich in Grenzen, denn er warf ihr böse Blicke zu, die sie nicht mal beachtete. Stattdessen lief sie weiter zu ihrem Hengst, der weiter hinten stand. Liebend gerne würde ich wissen, was bei den beiden nicht stimme, aber im Gegensatz zu Milena besaß ich genug Contenance, um solche Fragen für mich zu behalten.
      “Normalerweise bevorzuge ich ausreichend Schlaf, anstelle von Koffein, das ist der allerbeste Start in den Tag.”
      “Ehekrise oder was stimmt bei euch nicht?”, übernahm Chris meine Gedanken.
      “Ach, Kindergarten. Sie akzeptiert die Tatsachen nicht, stimmt’s”, antwortete Niklas sogleich und warf einen Blick zu Vriska, die verärgert den Kopf drehte.
      “Willst du das wirklich hier ausdiskutieren? Na dann. Hör einfach auf, dich in meine Angelegenheiten einzumischen. Ich bin ein Mensch wie jeder andere und möchte nicht hin und her geschubst werden, so wie du es gerade benötigst. Also reiß dich zusammen und alles ist gut”, machte sie eine kräftige Ansage und wendete sich wieder ihrem Hengst zu. Seine Scheuerstellen wurden über Nacht deutlich schlimmer und sie mit einer Salbe einschmierte.
      “Hätte ich mal nicht gefragt”, murmelte Chris beinah unverständlich und stand noch immer verloren mitten im Gang herum. Mein Hengst schien ein wenig verwundert über den Stimmungswechsel, denn er hob den Kopf ein Stück in die Luft und seine Ohren, die vorher freundlich nach vorne Gerichtet waren, begannen sich in alle möglichen Richtungen zu bewegen. Wow, immerhin hat Vriska keine Schwierigkeiten ihr Problem zu kommunizieren, auch wenn ich lieber nicht dabei sein wollte. Jetzt gerade war einer dieser Zeitpunkte, wo man sich gerne in Luft auflösen würde.
      “Kaikki hyvin”, murmelte ich meinem Hengst zu und strich ihm beruhigen über den Hals, was bei Ivy allerdings kein Stück weit zu Entspannung führte.
      „Humbi wartet schon, ich bin gleich wieder da“, verabschiedete sich Niklas und verschwand wieder aus dem Stall.
      „Eigentlich sollte ich Vriska gleich bei Arbeit mit Humbria unterstützen, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass das nicht einfach wird, heute“, sagte Chris nachdenklich zu mir.
      „Ach das ist also euer Plan. Ich wurde nicht einmal gefragt, also ist deine Annahme richtig. Viel Spaß noch.“ Vriska wollte gerade verschwinden, dich er stellte sich geschickt in den Weg.
      „Nichts da. Du bist die Einzige, die Tölten kann. Also bleib hier, mir zuliebe“, bremste er ihre Entschlossenheit.
      „Jetzt fängst du auch noch an, aber gut. Ausnahmsweise“, antwortete sie und lehnte sich an die nächste Boxenwand. Wieder nahm Vriska ihr Handy zur Hand und direkt wandelte sich ihre Stimmung. Das breite Grinsen erleuchtete wieder ihr Gesicht. Diesen Ausdruck auf ihrem Gesicht hatte ich schon einmal gesehen, als dieser Botschafter hier gewesen war. Wie hieß er gleich … ach, ja Erik. Ob es da wohl einen Zusammenhang gab?
      Laut prustend schüttelte sich Divine auf einmal, häufig ein Zeichen, das er sich entspannte. Immer wieder faszinierend, wie gut dieses Pferd die Stimmung spiegelt. Während Vriska immer noch mit einem breiten Grinsen auf ihrem Handy herumtippte, zog ich Divine Fliegenmaske und Halfter an.
      “Ich gehe dann mal mein Pferd auf die Koppel bringen, soll ich noch irgendeins mitnehmen?”, fragte ich freundlich als ich den weißen Hengst aus der Box führte.
      “Nein alles gut”, antwortete Chris. Da Vriska so aussah als wäre sie gerade wo ganz anders, verließ ich den Stall nur mit meinem Hengst. Brav trottete er mir hinterher.
      Auf der Koppel hatte mein weißes Pferd natürlich nichts Besseres zu tun, als sich erst einmal zu wälzen. So schön diese weißen Pferde auch waren, die Farbe ist nicht gerade praktisch.

      Vriska
      Seine plötzliche Meinungsänderung konnte ich nicht nachvollziehen. Dass er mehr oder weniger mir von Anfang an versuchte zu helfen, spürte ich, doch nun mich als sein Eigentum herabzustufen, ging mir zu weit. Langsam wurde mir klar, wovon Ju sprach am See. Er musste dieses Verhalten bei seinem besten Freund schon öfter miterlebt haben müssen und wollte Lina eigentlich davor schützen, doch ich wurde das Opfer seiner Gier. Ein eruptives Gefühl sie davor zu schützen, unterbreitete sich in meinem Kopf. Bevor mich mein vibrierendes Handy wieder ablenkte. Natürlich wollt ihr wissen, was Erik wollte. Ich wechselte zum Messenger Dienst und scrollte die bisherigen Nachrichten durch, bevor ich die neuen las.

      “Ich würde mich auch freuen dich wiederzusehen. Am Montagmorgen geht es wieder zurück und am Sonntag ist ein kleines Ereignis am Hof.
      -
      Na dann, komme ich am Sonntag auf jeden Fall vorbei, oder wäre das ein Problem für dich?
      -
      Für mich nicht. Niklas hat jedoch mein Handy genommen und sehen, dass wir schreiben. Er wurde richtig sauer.
      -
      Was geht ihn das an? Was hat er denn gesagt? Er war schon immer komisch.
      -
      Er meinte, dass du mich nur verletzen wirst und ich es gar nicht erst versuchen sollte. Obwohl nie die Rede davon war, dass wir heiraten und Kinder bekommen. Es nervt mich.
      -
      Spannend. Warum geht er denn davon aus, dass wir mehr vorhaben? Oder muss ich was wissen haha
      -
      Nur so viel, dass ich dich attraktiv finde, sonst hätte ich auch nicht nach deiner Nummer gefragt, um nicht zu sagen, dass ich so was sonst nicht mache
      -
      Das kann ich nur zurückgeben und ja, du wirktest nicht wirklich geübt. Es macht dich interessant
      -
      Dein Outfit sieht man nicht auf einem Pferdehof. Dass jemand auf dich ein Auge werfen wird, war wohl vorhersehbar
      -
      Ach, egal wo ich hingehe, überall sorge ich für Aufmerksamkeit. Berufskrankheit würde ich sagen, aber ich muss dann los
      -
      Willst du heute Abend vorbeikommen?
      -
      Ich sage dir spontan Bescheid”

      Aufgeregt steckte ich mein Handy zurück, denn eine Antwort war nicht mehr nötig. Erst jetzt fiel mir auf, dass Lina und Chris mich anstarrten. Ich merkte gar nicht in meinem Wahn, dass sie wieder kam.
      “Okay, ich merke schon, dass mein Gesicht rot sein wird und auch mein Lächeln sehr breit ist. Jeder von euch darf eine Frage stellen oder ihr schweigt. Für immer”, lachte ich.
      “Schreibst du da etwas mit einem Gewissen Botschafter?”, fragte Lina neugierig.
      „Ich kann es selbst kaum fasse aber ja, nachher kommt er vielleicht sogar“, freute ich mich und vergaß die Schwierigkeiten zwischen Lina und mir.
      „Du bist aber auch eine. Erst machst du Niklas schöne Augen und jetzt willst du was von seinem Halbbruder.“ Chris schüttelte amüsiert den Kopf. Meine Augen wurden groß und ich sah wieder zu Lina, die genauso schaute wie ich.
      “Hast du gerade Halbbruder gesagt?”, fragte sie dann perplex.
      “Offenbar hat er das nicht gesagt, nach dem Erik hier war. Das könnte jetzt schlimm werden”, antwortete und deutete auf Niklas, der genauso gelähmt im Stalleingang stand. Humbria stupste ihn freundlich an der Schulter und schlug nervös mit dem Schweif.
      “Das hast du jetzt nicht gesagt, oder?” Niklas sah frustriert seinen Kumpel an. Dann zog er stark am Strick, was seine Stute nur noch mehr verunsicherte.
      “Ich wollte das nicht, es tut mir leid.” Chris suchte die richtigen Worte, nur Niklas hörte das wohl nicht. Er ballte seine Faust und biss auf seiner Wange herum. Ohne etwas zu sagen, stützte ich mich zu der Stute, nahm den Strick aus seiner Hand und führte sie aus dem Stall. Einige Runden führte ich sie im Kreis im Schritt bis Humbria ruhiger wurde. “Prima”, lobte ich sie. Niklas stand noch immer wie versteinert an der Stelle. Sogar seine Hand formte sich in der Haltung des Stricks. Vorsichtig trat ich an ihn heran und legte meine Hand auf seine Schulter, während seine Stute entspannt neben am Gras zupfte.
      “Fass mich nicht an”, fauchte Niklas mich an und Humbria schreckte wieder zurück.

      Lina
      Offensichtlich waren die Familienverhältnisse zu Erik ein schwieriges Thema, ein sehr schwieriges Thema, denn in Niklas schien es förmlich zu brodeln und Vriska schien die Situation nicht gerade zu verbessern.
      “Vielleicht bringst du Humbi erst einmal auf den Paddock”, sagte ich zu schließlich zu ihr, in der Hoffnung, dass sie meinen Vorschlag auch befolgen würde.
      „Nej, die beiden sollen sie bewegen“, flüsterte Niklas kaum hörbar.
      “Meinetwegen könnt ihr auch in die Halle oder sonst wo hingegen, Hauptsache hier rennt nicht gleich ein panisches Pferd über den Hof”, sagte ich nachdrücklich zu Vriska. Ein freies Pferd wäre jetzt sicherlich nicht hilfreich und mein Gefühl sagte mir zudem, dass Vriska hier auch gerade nicht erwünscht war. Ich ging ein paar Schritte auf Niklas zu, blieb allerdings weit genug weg um ihm seinen Freiraum zu lassen.
      “Hey, ich bin mir sicher, du hast deine Gründe so zu fühlen und das vollkommen okay.” ich würde gerne behaupten, dass ich seine Reaktion nachvollziehen kann, aber das konnte ich aufgrund der geringen Faktenlage leider nicht. So blieb mir nicht viel übrig, als mich so verständnisvoll wie möglich zu zeigen und weiterhin darüber nachzudenken, wie ich ihn auf andere Gedanken bekommen könnte.
      „Ich dachte wirklich, dass Vriska und ich etwas Besonderes hatten, doch ich Idiot habe selbst dafür gesorgt, dass sie ausgerechnet bei dem landet. Ein Typ, der immer alles perfekt in seinem Leben macht, aber das derer zerstört, die ihm im Weg stehen. Ich … es tut mir leid. Das alles. Ich wollte dich nicht verletzen“, Platze es aus Niklas und er umarmte mich. Das kam für mich jetzt irgendwie ein wenig überraschend. Auf einmal wirkte Niklas so komplett anders als sonst, viel fragiler, emotionaler. Mein Kopf benötigte noch einen Moment, um die Sätze vollständig zu verstehen, bis ich allmählich begriff, dass da noch weitgehend mehr hinter stecken musste.
      “Ist schon okay … verletzt zu werden gehört zu den Gefahren, die das Leben mit sich bringt”, sprach ich das Erste aus, was mir in den Kopf kam und überraschte mich selbst wie locker ich das auf einmal sah. “Und was Vriska angeht … du kannst nicht dafür für wen sie sich Entscheidet, das hätte auch ganz ohne deinen Einfluss passieren können”, versuchte ich irgendetwas Aufmunterndes zu sagen.
      “Erik wird das sicher geplant haben … kann ich dir vertrauen, oder gibt es etwas, was du mir noch sagen musst?”, fragte er vorsichtig. Dabei schaute er an mir vorbei und mied Augenkontakt.
      “Natürlich kannst du mir vertrauen”, versicherte ich ihm.
      “Danke dir, was hast du jetzt vor?” Seine Stimmung änderte sich punktgenau, ein Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus. Wow, so einen schnellen Stimmungswechsel hatte ich jetzt nicht erwartet. Ein leicht verwirrter Blick auf meine Uhr verriet mir, dass es noch ca. 1 Stunde bis zum Frühstück dauern würde. Genug Zeit also, um noch zu tun, was ich eigentlich vorgehabt hatte.
      “Ich wollte jetzt eigentlich Nathy und Masko in die Führanlage bringen, damit die schon mal warmlaufen könne, während ich die Halle fürs Freispringen vorbereite”, beantwortete ich Niks Frage.
      “Na gut, dann werde ich allein mein Pferd betreuen gehen. Nicht, dass die beiden noch auf blöde Ideen kommen”, sagte er und blickte in den Stall. Dort unterhielten sich Vriska und Chris noch, während Humbria entspannt danebenstand.
      “Was genau habt ich eigentlich mit Humbi vor?” Ich war schon irgendwo ziemlich neugierig. Noch während ich auf die Antwort wartete, überlegte ich schon, ob ich die beiden Stute einfach an Jayden abtrat. Er schuldete mir ohnehin noch einen Gefallen, da ich neulich seinen Koppeldienst gemacht hatte.
      “Bei dem Sprungtraining auf dem Geländeplatz galoppierte sie nicht und machte es mir unmöglich überhaupt einen Sprung anzureiten. Wohingegen der Galopp gestern auf dem Platz ziemlich gut war. Außerdem töltete sie bei dem Springen, deswegen soll Vriska mal gucken. Heute muss ich Humbria entweder bezahlen oder zurückbringen, somit benötige ich die Meinung von jemandem. Alle anderen von Gangmenschen ritt zwar besser, aber keiner von ihnen war wirklich gut auf mich zu sprechen”, erklärte Niklas ruhig und geduldig.
      “Das wäre schade, wenn du sie zurückbringen müsstet. Sie so ein hübsches Pferd und irgendwie mag ich sie. Aber das klingt, als könnte es interessant werden … vielleicht sollte ich doch mitkommen”, überlegte ich laut.
      “Schon, aber ich kann kein Pferd gebrauchen, das dauerhaftes Training bedarf. Deswegen soll Vriska beurteilen, ob die Stute überhaupt das Potenzial dafür hat und wenn nicht … dann fängt die Suche wieder an.” Niklas senkte den Kopf und winkte die drei aus dem Stall zu uns. Chris nickte.
      “Dann hoffe ich mal, dass sie Talent hat.”

      Vriska
      Mit Abstand zu seinem Herrchen wurde Humbria ruhiger und entspannte sich. Chris half mir die Stute zu Satteln und die Trense anzulegen. Immer wieder drehte sich um und schaute genau was wir machten. Als Chris den Sattel holte und ihn langsam auf ihren Rücken packen wollte, legte Humbria die Ohren an und schnappte nach ihm. Unsicher schaute ich zu Niklas und Lina, die sich noch immer unterhielten.
      “Vriska, wir schaffen das schon. Jeder von uns hatte schon mal Kontakt zu verschiedenen Pferden, da werden wir diese Nuss auch Knacken”, lenkte Chris meine Aufmerksamkeit wieder auf die Stute.
      “Du hast recht, ich möchte nur nichts falsch machen”, erklärte ich.
      “Dafür ist es wohl redlich spät, aber wir sorgen dafür, dass es nicht schlimmer wird”, munterte er mich auf und legte erneut den Sattel auf ihren Rücken. Langsam strich ich ihr über den Hals. Sie konzentrierte sich auf mich und knusperte an meinem lockeren Shirt herum. Die Trense reichte ich Chris, denn Humbria lief stets mit erhobenem Kopf und machte es mir unmöglich das Genickstück richtig zu positionieren.
      “Ich wusste gar nicht, dass Nik Gebisslos reitet”, sagte ich zu Chris, der das Ceto ihr umlegte.
      “Die Zähne müssen wohl noch gemacht werden, hatte ich mitbekommen.” Ich drehte mich von ihr weg, um meinem Helm zu holen und die Chaps über meine Stiefeletten zu ziehen. Doch Humbria gefiel es gar nicht, dass ich aus ihrem Blickfeld verschwand. Mit dem Ziel vor den Augen lief sie mit zur Sattelkammer und Chris konnte sie nicht daran hindern. Neugierig blickten Humbi mich an und senkte ihren Kopf. Ihre Augen funkelten und ich lachte. Aus meiner Hosentasche holte ich ein Leckerli, dass sie sogleich verschlang.
      “Damit verziehst du das Pferd aber wirklich”, tadelte Chris, der nun auch zur Tür reinschaute.
      “Nein, das nennt sich Bestechung und lieber soll sie sich alles anschauen, als panisch durch die Gegend zu tanzen”, lachte ich schloss meinen Helm. Zusammen warteten wir, bis Niklas uns zu sich winkte.
      “Interessant wie ruhig sie bei euch ist. Uns wurde gesagt, dass sie fremde, nicht so mag”, erklärte er dann, als wir ankamen. Mir verkniff ich etwas zu sagen, doch Chris hatte die passende Antwort parat: “Ach, mit genug Geduld funktioniert das. Wer weiß, was das für Fremde waren, die sonst mit ihr Kontakt hatten.” Niklas nickte und zu viert liefen wir zum Platz. Die Sonne, die am wolkenlosen Himmel stand, brannte auf meiner Haut. Nach dem Duschen hätte ich mich eincremen sollen mit dem Sonnenschutz, dachte ich.
      Chris half mir auf die große Stute, nach dem ich die Steigbügel auf meine Länge eingestellt hatte, das letzte Loch und überschlagen zeigte mir, wie kurz meine Beine für einen normalen Sattel waren. Zu Hause hatte ich eigene Monoriemen, die ich an jedem Sattel verwendete.
      “Und was genau wird das jetzt hier?”, fragte ich Niklas, der mit Lina im Grünstreifen saß. Humbi lief sehr schwungvoll unter mir.
      “Du bist heute dafür zuständig zu beurteilen, ob dieses Pferd eine Zukunft bei mir hat und wenn ja welche. Humbria soll grundsätzlich alle drei Disziplinen laufen, dafür ist wichtig, dass der Tölt nicht die Gänge dominiert”, erklärte er sachlich, beinah abweisend. Ich nickte und konzentrierte mich wieder auf die Stute. Was Chris Aufgabe dabei war, konnte ich mir nicht erklären. Als sie lockerer wurde, gurtete ich noch mal nach und trabte am langen Zügel auf dem Zirkel. Humbria suchte immer wieder den Kontakt und schlug dabei hektisch mit dem Kopf. Ihre Schwebephase verkürzte sich dabei stark und Taktfehler schlichen sich ein, ich spürte das ihr Vorderhuf vor dem dazugehörigen Hinterhuf abfußte. Im Rücken machte sie sich steif und ihre Oberlippe spitzte sich nach oben. Ruhig strich ich den Hals und sprach auf sie ein. Mein Sitz verlagerte ich leicht nach vorn, um sie zu entlassen. Erst nach einigen Handwechseln und Schrittpausen vernahm ich eine Besserung ihres Taktes. Ständig lobte ich ihre richtigen Schritte und strafte nicht. Erst jetzt adhibierte ich die Zügel. Direkt verkrampfte Humbi sich wieder, drückte den Rücken weg und hob den Kopf. Auch im Schritt wurde es nicht besser.
      “Also so viel kann ich dir sagen, an Vriska liegt es nicht”, kommentierte Chris das Verhalten der Stute.
      “Ja, sie sitzt heute wirklich gut”, lobte auch Niklas mich, überraschenderweise. Es motivierte mich, sein Pferd zu reiten, obwohl der Boden ziemlich weit von mir entfernt lag. Der Gedanke manifestierte sich in meinem Kopf und meine Beine wurden unruhiger, was sich auch auf Humbria auswirkte. Ihre Schritte verkürzten sich und noch weiter erhob sich ihr Haupt.
      “Kaum sagt man was Nettes, sitzt du wieder wie der erste Mensch auf dem Pferd.” Niklas Worte trafen mich nun noch tiefer und Humbria schlug heftig mit dem Kopf. Meine Hände verkrampften sich dabei und sie töltete an. Bewusst wurde mir das erst nach einigen Metern, doch im Tölt hatte sie sehr viel Takt, ihr Rücken wurde lockerer und sie schnaubte sogar ab. Mit meiner Stimme lobte ich und verschleierte, dass das unbewusst geschah. Ich spürte, dass alle Blicke sich auf uns richteten, doch es war ein schönes Gefühl. So viel Druck, wie ich aufbauen konnte, legte ich den Schwerpunkt tiefer in den Sattel und versammelte ihren Tölt bis zum Schritttempo. Die Zügel hielt ich locker in meinen Händen und blieb flexibel. Ihre Vorderhand strampelte kräftig und immer mehr Pferd baute sich vor mir auf. Nach der kurzen Seite nahm ich den Druck wieder weg, um das Tempo zu verstärken. Außergewöhnlich gut setzte Humbria die Tempounterschiede um und das panische verspannte Pferd entwickelte mehr Takt als Glymur.
      “Ich schätze, du solltest die Disziplin ändern. So viel Tölt habe ich noch nie bei einem Pferd ihrer Größe erlebt. Von Natur aus bietet sie extrem viel Takt und Losgelassenheit an, ohne dabei vor etwas wegzurennen”, erklärte ich Niklas, während Humbria am langen Zügel den Kopf zu Boden streckte und entspannt Schritt lief.
      “Also würde mein Plan mit ihr nicht funktionieren?”, hinterfragte er.
      “Das würde ich so nicht sagen. Deine Stute ist sehr unsicher und findet im Tölt eine Möglichkeit die Balance zu finden, die Versammlung und sogar Verstärkung beherrscht sie. Doch der Galopp wird dementsprechend deutlich mehr gelaufen sein und benötigt intensives Training, aber unmöglich ist es nicht”, versicherte ich und strich ihr über den Hals. Direkt hob sie ihren Kopf wieder und die Schritte verkürzten sich.
      “Zu Deutsch: Wenn ich gute Noten bekommen will, sollte ich ein anderes Pferd holen oder Humbria in einen intensiven Beritt stecken, wenn ich selbst keine Zeit habe?”, fragte er erneut. Entweder wollte Niklas die Tatsachen nicht wahrhaben, oder er war heute schwer von Begriff. Ich nickte nur.
      “Gut, danke. Dann kannst du Abreiten.” Er klang genervt und enttäuscht. Auch sein Verschwinden vom Platz unterstützte meine Annahme. Lina folgte ihm.
      “Der hat das ja schnell verkraftet”, murmelte ich. Jedoch so laut, dass Chris es auch hörte. Er lief neben uns her und sagte: “Schwer zu sagen, aber es gab auch keine Notwendigkeit mehr zu bleiben.”
      “Warum lauschst du meine lauten Gedanken”, giftete ich ihn an.
      “Wer so laut denkt, sollte damit rechnen, dass jemand etwas dazu sagt. Außerdem bist du auch nicht besser”, gab er ehrlich zu. Natürlich hatte Chris recht, doch es war von Anfang an klar, dass wir einander nicht Rechenschaft für irgendwas schuldig waren. Stolz auf Humbria reiten zu dürfen, fühlte ich mich wirklich wohl auf ihrem Rücken. Gerade, weil es das erste und letzte Mal für mich war, schätzte ich den Moment und genoss die letzten Runden auf ihr.
      Im Stall nahmen wir das Zubehör von ihr runter und Chris brachte sie zurück auf die Weide. Ich machte den Heusack für sie fertig und lief ebenfalls dorthin. Direkt stürzte sie sich auf diesen und wir beide begaben uns zum Frühstück, dass gleich fertig sein sollte.

      Lina
      Vriskas Urteil schien mir ziemlich eindeutig. Humbi war für den Gangsport, wohl deutlich besser geeignet als für alles andere. So zügig wie sich Niklas entferne, schien ihm das auch klar zu sein.
      “Und was machst du jetzt mit ihr?”, fragte ich vorsichtig, als ich ihn eingeholt hatte.
      “Zwei Behinderte kann ich eigentlich nicht gebrauchen, aber sie zurück zu so einem Stall geben, kann ich auch nicht”, antwortete Niklas nachdenklich.
      “Verstehe ich, dass du sie nicht dahin zurückbringen möchtest”, stimmte ich ihm zu.
      “Was würdest du machen?”, fragte er mich und bremste abrupt ab.
      “Ich würde sie mitnehmen und falls sie wirklich gänzlich ungeeignet ist, dafür sorgen, dass sie irgendwo hinkommt, wo ihr Potenzial genutzt werden kann”, beantwortet ich seine Frage ehrlich.
      “Danke für deine Meinung, dann werde ich mal die Zahlung klären, sehen wir uns beim Frühstück?” Ich bejahte seine Frage, woraufhin er sich entfernte. Ich für meinen Teil schlug dann den Weg zum Frühstück ein. Unterweges begegnete mit Samu, der offenbar gerade das Heu verteilt hatte, denn ein paar Halme hingen noch an seinem Shirt.
      “Hast du die Pferde gefüttert oder im Heu gebadet?”, fragte ich ihn als mir auffiel, dass er das Heu sogar in den Haaren hing.
      “Pepper war der Meinung so ein bisschen Heu würde mein Outfit verbessern”, sagte er lachend und strich sich die Halme von Shirt.
      “Ahh, er wollte dir also Extension verpassen. Ach! Und danke für den Koppelservice heute”, bedankte ich mich fröhlich.
      “Für dich doch immer gerne. Offenbar hast du die Zeit ja wenigstens sinnvoll genutzt, um deine gute Laune wiederzufinden”, sagte er schon fast loben zu mir.
      “Danke für die Anerkennung, aber da musst du die Laune loben, die ist mir gewissermaßen zugelaufen”, erläuterte ich. Vriska und Chris saßen schon an einem der Tische und auch ein paar der anderen hatten sich bereits eingefunden.
      “Wie kann einem denn die gute Laune zulaufen?”, hinterfragte Samu meine Antwort.
      “Wenn du gesehen hättest, wie charmant das Pferd von Chris ist, wüsstest du wie das geht!”, versicherte ich ihm. “Und schau, da kommt auch gute Laune auf vier Pfoten.” Von irgendwoher war Bubbels wieder aufgetaucht und unterzog jedem der Anwesenden einer Futterkontrolle.
      “Das Pferd ist Charmant … Soll ich mir Sorgen machen, woher du weißt, warum das Pferd charmant ist? Hat es mit dir gesprochen?”, scherzte Samu, doch ich merkte, dass eine gewisse Ernsthaftigkeit in seiner Stimme mitschwang.
      “Nein, brauchst du nicht, ich höre noch keine Stimmen oder so! Hammy kann lediglich ein paar großartige Tricks und wenn du mir nicht glaubst, kannst du dir ja selbst von Chris zeigen lassen, was Hammy kann”, verteidigte ich mich. Auf einmal kam Jace gut gelaunt aus dem Büro und wedelte mit etwas in der Luft herum.
      “Lina! Ich habe hier etwas was dich sehr freuen wird!”, verkündete, als er vor mir und Samu stand und drückte mir einen Briefumschlag in die Hand.
      “Was genau ist das, Jace”, fragte ich, bevor ich in den Umschlag schaute, denn nach der Aktion gestern fragte ich lieber vorher. Nicht dass mir noch mitten auf dem Hof ein weitere Liebesbekundung entgegenflog. Zugegebene maßen unter anderen Umständen, wäre das süß, aber in der aktuellen Lage … eher schwierig.
      “Das ist Post vom Schweizer Zuchtverband, steht doch drauf. Ich denke mal da sind Divines Abstammungspapiere drin”, erklärte Jace enthusiastisch. Beruhigt, dass ich ungefähr wusste, was darin war, öffnete ich den Umschlag und zog den Inhalt heraus. Jace Vermutung bestätigte sich, neben dem Abstammungsnachweis, befanden sich auch noch seine Feldtestergebnisse darin. Die Noten hatte ich bisher nur teilweise rausfinden können. Umso mehr freute ich nun die genaue Aufschlüsselung zu haben.
      “Ivy muss auch damals schon ziemlich brav gewesen sein, er hat Bestnoten im Verhalten”, stellte ich fest, als ich den Zettel überflog.
      “Hätte mich jetzt auch gewundert, wenn es anders gewesen wäre”, kommentierte Samu da ganze grinsend. “Immerhin ist Ivy ein wahres Lämmchen, vermutlich war er sogar schon als Fohlen so ruhig und ausgeglichen.”
      “Sag das lieber nicht, manchmal bin ich mir nicht mal sicher, ob er weiß, dass er ein Pferd ist”, scherzte ich. Vermutlich könnte man Ivy genauso gut in eine Kuhherde stellen, solang man ihn oft genug streicheln kommt, wäre er sicherlich genauso glücklich wie mit pferdigen Freunden.
      “Wenn du jetzt seine Papiere hast, kannst du Divine ja endlich zu Körung anmelden”, sagte Jace triumphierend. Einen kurzen Moment freute ich mich darüber, bis mir klar wurde, dass ich das nicht könnte. Denn in drei Tagen würde ein ziemlich großer Ozean zwischen meinem Pferd und mir liegen.
      “Nein, kann ich nicht. Ich werde nämlich in 3 Tagen nicht mehr hier sein”, erläuterte ich die Umstände, warum ich ihn nicht direkt anmelden würde. Sosehr ich mich auch über diese gute Nachricht freute, Ivys Körung würde noch eine Weile warten müssen, denn einen ungünstigeren Zeitpunkt konnte es nicht geben.
      “Aber ich könnte doch auch mit ihm auf die Körung gehen”, warf Jace ein.
      “Ich bin mir sicher, sie möchte den hübschen lieber selbst Vorstellen”, sprach Samu sogleich meine Gedanken aus.
      “Genauso ist es. Ich würde Divine gern selbst vorstellen. Mit einem eigenen Pferd ist das noch mal etwas anderes und mit Ivy sowieso”, bremste ich Jace aus.
      “Na gut, das sehe ich ein. Wäre es mein Pferd würde ich vermutlich auch lieber selbst gehen”, gab Jace klein bei. Währenddessen sah ich mir Divines Abstammungspapiere an.
      Durch meine Recherchen über Divines Vergangenheit wusste ich mittlerweile eine ganze Menge über Freiberger. Welche Hengste in der Freibergerszene wichtig waren, was der Unterschied zwischen Urfreiberger, Basisfreiberger und Freiberger war, was die Rasse ausmachte und noch vieles mehr.
      Na ja, der wichtigste Fakt in Bezug auf meinen Hengst ist allerdings, dass seine Farbe häufig gar nicht richtig erkannt wird. Die dominant Weißen Freiberger, die zur Zucht benutzt werden, sind häufig als Schimmel eingetragen, denn es gibt in der Schweiz tatsächlich nur einen einzigen Verband der diese Sonderfarbe als solche anerkennt und auch diese Pferde zur Zucht zulässt. Genauso gibt es nur ein paar wenige Züchter, die diese besondere Farbe gezielt Züchten.
      “Oh Eiger ist sein Opa”, murmelte ich vor mich hin. “Judää … Jura … Wow, damit vereint Ivy einfach wichtige Hengstlinien”, plapperte ich begeistert weiter. Den beiden Jungs war anzusehen, dass sie von all dem nichts verstanden. Wie sollten sie denn auch, immerhin hatte keiner der beiden sich damals nützlich gemacht um mir bei der Recherche nach Ivys Herkunft unterstützt!
      “Ok, ich mach es mal kurz für euch, weil ihr das ohnehin nicht versteht. Divine ist so was wie wahres Gold, weil er nicht nur gute Hengstlinien vereint, sondern weil er dabei auch noch 0 % Fremdblut hat. Er ist somit, ein waschechter Urfreiberger von denen gibt es nicht mehr allzu viele”, erklärte ich so kurz wie möglich.
      “Du weißt aber schon, dass man auf Papieren nicht reiten kann?”, kommentierte Jace das Ganze.
      “Sagt der mit dem Vakanyfohlen im Stall”, erwiderte ich und verdreht die Augen.
      “Ey, der Kleine hat schöne lange Beine und er bewegt sich auf der Weide schon ganz wunderbar”, verteidigte er sich sogleich.
      “Ist doch gut Jace, wir wissen doch das dein Fohlen ganz großartig ist. Auch, wenn wir es nur außergewöhnlich selten zu Gesicht bekommen. Warum versteckst du den kleinen eigentlich bei Alec?”, trug Samu mit deutlich ironischem Unterton zu Unterhaltung bei.
      “Ich verstecke Solist nicht”, protestierte Jace. “Er steht bei Alec, damit der kleine Tinker nicht ohne andere Fohlen aufwachsen muss.”
      “Ja ja, das werden wir ja sehen, ob du ihn nächstes Jahr dann zurückholst, wenn es an seine Grundausbildung geht”, sagte Samu und lachte. Jace hatte schon recht, dass der kleine Solist ziemlich viel Potenzial hatte, aber manchmal übertrieb er ziemlich. Immerhin war der Falbhengst gerade einmal ein knappes Jahr alt und er tat immerzu als habe er schon Olympia mit dem kleinen gewonnen.
      “Ich hoffe eher für dich, dass dein Pferd Teamfähiger ist als sein Name vermuten lässt” triezte ich Jace nun auch.
      “Ohhhh, das ist doch nur ein Name. Und zwar ein deutlich schönerer als Twinkle Star oder so was.”
      “Weißt du überhaupt was der Name deines Pferdes bedeutet?”, fragte ich. Immerhin wusste ich das Jace kein Deutsch verstand und ich konnte es mir auch nur schwer vorstellen, dass er sich die Mühe gemacht hatte, das zu Googlen.
      “Äh, es hat eine Bedeutung?”, antworte Jace und Samu wie auch im mussten schmunzeln. Hatte ich es mir doch gedacht.
      “Ohhhh, jetzt verstehe ich auch, worauf du eben hinauswolltest.” Diese Erkenntnis hatte ziemlich lange gebraucht, schließlich war das englische Wort den deutschen nicht gerade unähnlich.
      “War das jetzt zu viel für deine grauen Zellen oder ist das zu komplex für vor dem Frühstück”, scherzte Samu und bot damit den idealen Punkt, um zum Essen überzugehen.

      © Mohikanerin, Wolfszeit, Zion | 99.774 Zeichen

    • Mohikanerin
      Nationalteam XIII | 1. Juni 2021
      Northumbria // Satz des Pythagoras // Glymur // St.Pauli‘s Amnesia
      El Pancho // WHC’ Solist // Don Carlo // Briair // Legolas// Ases Maswamozi// WHC’ Ahvani// Lilli vom Hirschberg// Ermgravin// Liliada// Avicii// Balisto// Ardehel// BS’Little Snowwhite// Torashko// Chocolate Churro// Aldaire// Löwenherz // Finest Selection // Nathalie


      Niklas
      “Wie oft willst du uns heute noch stören?”, stöhnte Ju und stütze sich aus dem Bett nach oben. Linh lag unter ihm, bekleidet.
      “Macht doch was ihr wollt, ich wechsle nur meine Schuhe, denn Frühstück wartet.” Ohne einen weiteren Blick auf sie zu werfen, griff ich nach meinen dreckigen Turnschuhen und stellte die Reitstiefel beiseite.
      “Ist es schon so spät?”, fragte er dann in den Raum. Ich nickte und ging aus dem Zimmer. Eine erneute Auseinandersetzung wie am früheren Morgen wollte ich verhindern. Viele Gedanken und Eindrücke rauschten durch meinen Kopf, verwirrten mich. Auf halbem Weg drehte ich eruptiv um und rannte beinah hektisch zurück. Wieder hingen sie übereinander aber schenkten mir keine Aufmerksamkeit. Im Badezimmer stand meine kleine Dose und ich griff nach hier. Direkt sammelte sich Speichel in meinem Mund, den ich nutzte, um die zwei kleinen Pillen zu schlucken. Die Wirkung würde erst in einer halben Stunde einsetzen, doch die reine Tatsache beruhigten meinen Geist. Dass Smoothie unter keinen Umständen abgegeben werden wird, stand fest, bloß bei Humbria war ich mir unsicher. In der kurzen Zeit baute ich eine Bindung zu ihr auf. Sie ließ nur wenige an sich heran und gab mir die Möglichkeit neue Dinge zu versuchen, zu entdecken. Es half mir zur Ruhe zu kommen. Am Geld scheiterte es nicht, doch meine Zeit war begrenzt. Insbesondere, wenn ich nun häufiger bei Einsätzen in Stockholm eingesetzt werden sollte. Dann fehlte sogar die Zeit, um Smoothie zu besuchen.
      Die Tische zum Frühstücken waren voll besetzt. Lina saß lachend bei ihrer Truppe, Chris hatte Vriska noch im Schlepptau. Einige Reihen weiter war mein Bruder mit seinen Chaoten und noch weiter der Rest des Vereines. Es fühlte sich plötzlich so an, als wäre ich das lästige Beiwerk des Vereins.
      „Är det ingen som vill ha dig med dig längre? “, lachte Ju mit Linh im Arm, die es nicht so lustig fand. Schmerzerfüllt zuckte er zusammen, denn ihre Faust berührte alles andere als sanft seinen Oberarm. Unverständlich zischte er ihr etwas zu und setzten sich mit an den Tisch, an dem bereits Milena und Max saßen. Bevor ich entschied, mich doch zu Chris zugesellen, atmete ich tief durch und lief los. Als ich mich setzte, rutschte meine Brille von der Schiene. Sie blickten zu mir, jedoch sagte keiner etwas. Ich schob sie wieder hoch und suchte nach Herrn Holm, der uns alle um 10 Uhr geordert hatte.
      “Und? Was ist mit der Stute?”, erkundigte sich nun auch Chris.
      “Sie kommt mit nach Schweden, aber im Team werde ich nicht mit ihr reiten”, antwortete ich nach einer Bedenkzeit.
      “Also verlässt du uns?” In seiner Stimme schwangen Enttäuschung und eine Traurigkeit mit, die ich nicht richtig deuten konnte. Ich lachte.
      “Nein natürlich nicht, sonst würdet ihr nur noch National reiten können. Das will doch keiner”, scherzte ich.
      “Na dein Glück. Aber mit welchem Pferd? Du kennst die Regeln”, erinnerte mich Chris.
      “Mal sehen, was ich Zuhause dann finde. Irgendein Pferd wird mir schon zu laufen. Ansonsten kenne ich genug Leute, die mir für das gewisse Kleingeld eins finden.” Vriska meldete sich dann zu Wort, doch ich benötigte einen Moment, bevor ich mich auf ihre Worte einlassen konnte. In mir kochte wieder die Wut hoch, aber ich riss mich zusammen.
      “Wir haben eine Stute in der Ausbildung, Form. Sehr geschickt und talentiert unter dem Sattel. Wenig Tölt, kein Pass aber viel Galopp. Sie wird derzeit vom Chef geritten, der genauso wenig Interesse an mehr als drei Gängen hat”, erklärte sie und nahm ihr Handy zur Hand.
      “Und was soll an der besser sein als Humbi?”, fragte ich abfällig und stütze meinen Kopf auf meinen Arm ab.
      “Mir ist es egal. Ich versuche dir nur bei der Pferdesuche zu helfen”, antwortete sie und schob das Handy zu mir. Vor mir erstrahlte eine pechschwarze Stute mit einem kleinen Stern auf der Stirn und einer rosafarbenen Unterlippe. Ihre blauen Augen schauten direkt in meine Seele, doch vom äußeren ließ ich mich bereits bei Humbi blenden. Das durfte kein zweites Mal passieren. Ich scrollte weiter und lass den Trainingsplan der Stute. Der Chef arbeitete beinah täglich mit ihr, neben entspannten Ausritten in allen Gangarten stand sie öfter im Aquatrainer und lief schon L-Lektionen auf dem Platz. Ihre Trackingwerte vermittelter ebenfalls einen guten Ausbildungsstatus. Die Mutter hatte sich einen Namen im Rennsport gemacht und auch ihr Vater schien erfolgreich zu laufen. Sogar in der Dressur hatte er sich lokal einen Namen gemacht. Erstaunt schaute ich mir die Noten an und auch, die aus dem Westernsport. Vintage war ein ziemlicher Alleskönner, was für Form follows Function nur Gutes vermelden ließ.
      „Na gut, sie scheint wirklich gar nicht so schlecht zu sein. Ich werde dann einen Termin mit deinem Chef ausmachen“, sagte ich schließlich zu ihr und gab das Handy zurück.
      „Schon in Ordnung, ich kläre das mit ihm“, bot Vriska an. Zustimmend nickte ich. Auch Chris wollte die Rappstute nun genauer betrachten und klickte interessiert auf dem Bildschirm herum, bis es vibrierte. Schnell griff sie wieder nach ihrem Handy und das gleiche Lächeln wie im Stall breitete sich in ihrem Gesicht aus. Genervt verdrehte ich die Augen und schweifte meinen Blick zu Lina, die amüsiert mit Jace sprach. Einige Wortfetzen griff ich auf, natürlich war das Hauptthema Pferde. Anfangs sprachen sie über Divine, was mich neugierig machte. Doch schnell sprangen sie um zu einem anderen Pferd, was offenbar ein Nachwuchshengst von Jace war.
      „Und Vriska, weißt du schon, wie es weitergeht? So ganz ohne uns?“, fragte Chris und lenkte wieder die Aufmerksamkeit auf ein unnötiges Gespräch.
      „Vor euch hatte ich schon ein Leben, ein sogar wunderbares. Den ganzen Tag auf dem Pferdehof arbeiten und früh schlafen. Was man nun mal, so macht“, scherzte sie und sah immer wieder zu mir. Wieder biss sie auf ihrem Lippenpiercing herum, was ein unangenehmes Geräusch mit sich brachte.
      „Ach, wenn das so ist. Ich freue mich auf monatliche Einladungen zum BBQ“, strahlte er.
      „Ich weiß gar nicht, ob ich euch so oft ertragen kann“, lachte sie.
      „Und ich schätze das da ohnehin keiner kommen würde“, mischte ich mich beim Gespräch ein.
      „Sei doch nicht immer so ein Spaßverderber“, echauffierte sich Chris. Unrecht hatte er nicht, aber einen Kommentar dazu ersparte ich mir. Endlich sah ich Herrn Holm kommen. Die Nacht ging wohl bei ihm noch länger. Unter seinen Augen zeichneten sich große Augenringe ab und sein Gang war geknickt.
      „Guten Morgen alle miteinander. Ich entschuldige meine Verspätung und deswegen ist der Plan für heute ein anderer. Wer bedarf für ein Training hat, kann ab 11 Uhr mit uns am Platz und der großen Halle rechnen. Ansonsten übt so viel wie ihr könnt. Am Abend soll jeder seine Dressurkür einmal Ablaufen auf dem Platz und wer möchte, kann noch an einem Geländespringtraining teilnehmen, das wir ab 20 Uhr machen wollen. Stärkt euch, ihr habt noch viel zu tun!“, sprach Herr Holm und setzt sich zu der Chefin und ihrem Mann an den Tisch zum Essen. Schon nach einigen Minuten amüsierten sie sich prächtig und ich war immer noch wütend auf Vriska. In ihrem Gesicht zuckte nicht einmal, wenn ich zu ihr schaute. Sie schien mich Größenteils zu ignorieren, als hätte sich das mit uns in Luft aufgelöst.

      Lina
      “Was tust du da?”, fragte ich neugierig und schielte auf Jace Handy, auf dem er gerade herumtippte. Ich konnte lediglich sehen, dass er mit Alec schrieb.
      “Euch beweisen, dass ich mein Pferd nicht vor euch verstecke”, antwortete er und tippte weiter.
      “Welches Pferd versteckst du vor uns?”, fragte nun Jayden der offensichtlich nur ein Teil des Gespräches mitbekommen hatte.
      “Gar keins. Ich werde Solist nämlich gleich herholen!”, antworte Jace überschwänglich.
      “Das glaube ich erst, wenn ich es sehe”, betonte ich noch einmal, es war typisch für Jace eine große Klappe zu haben. Doch, ob er das auch durchziehen würde, war meistens recht ungewiss.
      “Na, dann wirst du heute noch ins Staunen kommen, ich muss nämlich jetzt los, mein Pferd wartet”, erwiderte er und stand auf, um sein Geschirr wegzubringen.
      “Macht er nicht wirklich?”, murmelte Jayden staunend.
      “Natürlich macht er das. Du kennst doch Jace, bietet sich eine Möglichkeit, dass er sich beweisen kann, macht er das auch”, sagte Samu lachend zu ihm, der das Gespräch bisher stumm verfolgt hatte, um sich sein Frühstück hineinzuschaufeln. Wie recht Samu da nur hat, selbst wo es nichts zu beweisen gibt, versucht Jace etwas zu beweisen … genug davon, kein Jace heute!
      “Jayden, du möchtest sicherlich Masko mit zum Freispringen nehmen?”
      “Ich vermute mal, Nein ist keine Möglichkeit?”, schlussfolgerte Jayden auch so gleich.
      “Richtig, gut erkannt!”
      “Ok, dann nehme ich das Monster wohl mit”, antworte er und mampfte weiter.
      “Sie ist kein Monster, zumindest nicht, wenn sie ausreichend beschäftigt wird”, stellte ich die Faktenlage richtig. Samu grinste nur vor sich hin. Er selbst hatte die Stute ein halbes Jahr lang trainiert und kannte somit ihre Eigenarten. Die roten Streifen, die Masko vor zwei Tagen mit der Longe verursacht hatte, zeichneten sich immer noch auf meinen Handflächen ab. Allerdings war die Stute daran nicht wirklich schuld. Die Fuchsstute nicht ausreichend auszulasten ist einfach doof und ohne Handschuhe longieren, noch viel doofer, gerade bei einem Pferd wie Masko.
      “Dann nehme ich eben das nicht Monsterpferd mit, auch gut”, antwortete Jayden und leerte seine Tasse. „Na dann gehe ich wohl mal an die Arbeit“, fügte er an und verschwand in dieselbe Richtung, in die Jace vorhin verschwunden war.
      “Was wird das denn? Hast du heute noch irgendetwas vor?”, fragte Samu zwischen zwei bissen.
      “Ja, nämlich die letzten Tage hier genießen oder es zumindest versuche ich es. Und das geht deutlich besser, wenn man keine 5 Pferde am Tag bespaßen muss”, erklärte ich munter. “Und wo wir schon bei Bespaßen sind, hast du eine Idee was ich heute mit Pancho machen kann?”
      “Was hast du denn die letzten Tage so mit ihm gemacht?”, fragte er und steckte sich das letzte Stück Brötchen in den Mund. Ich musste einen Moment nachdenken. Innerhalb der letzten zwei Wochen war so viel passiert, dass ich mir nicht wirklich sicher, ob ich Pancho überhaupt nennenswert trainiert hatte.
      “Jaaa … ich glaube, er ist ziemlich kurz gekommen in den letzten Tagen”, räumte ich ein.
      “Was heißt denn hier, ich glaube? Normalerweise kannst du doch jedes Detail deines Trainings aufzählen?”, stellte er fest.
      “Hänellä on sinut ilmeisesti pää kierretty sinulle”, fügte der Finne amüsiert hinzu. Damit hatte Samu nicht ganz unrecht. Normalerweise notierte ich mir nach jedem Training alle wichtigen Dinge. Was ich gemacht hatte, was gut gelaufen war, was nicht so gut funktioniert hatte. Doch bei dem, was hier alles los gewesen war, hatte ich nicht nur Divine vergessen, sonders offensichtlich auch noch andere Dinge.
      “Ach, auf einmal findest du das also lustig? Missä on herra. Tiedän paremmin, mikä on sinulle hyväksi?”, fragte ich ihn. Entweder war mein bester Freund kaputt oder er hatte endlich begriffen, dass ich selbst auf mich aufpassen konnte.
      “Hän on tyytyväinen, Että olet onnellinen”, antwortete er mit einem Lächeln auf den Lippen. Er schien einen Moment lang, nach den richtigen Worten zu suchen, bevor er weitersprach: “Jos Ruotsi sinulle onnellisuus tarkoitta Aion et sinä edelleen olla tiellä.” Trotzdem widerstreben in seiner Stimme, spürte ich, dass er es so meinte.
      “Kiitos, se merkitsee minulle paljon”, antwortete ich ihm und lächelte. Für ein paar Minuten aß jeder von uns stumm sein Frühstück.
      “Du wirst dir jemand Neues suchen müssen, der dich daran erinnert, dass du noch keine 80 bist, wenn ich nicht mehr da bin. Sonst wirst du noch zum Opa”, scherzte ich, um die Stille zu unterbrechen.
      “Jetzt werde mal nicht frech junges Fräulein. Ich weiß immerhin, wie man einen Koffer packt im Gegensatz zu dir!”, zog er mich auf und lachte.
      “Dank dir habe ich diese Weisheit nun auch erlangt. Aber zurück zur eigentlichen Frage: Was mache ich mit dem dicken Knabstrupper?”, versuchte ich auf mein eigentliches Anliegen zurückzukommen.
      “Weiß ich doch nicht, er ist dein Schützling nicht meiner. Vielleicht machst du das mit Pancho, was du nicht mit den anderen Pferden machst. Ich muss dann auch mal los. Im Gegensatz zu dir habe ich ein paar Pferde mehr zu versorgen als du”, beantwortete Samu die Frage wenig hilfreich und trank seinen Kaffee aus.
      “Vielen Dank für deinen Rat”, sagte ich sarkastisch und verdrehte die Augen.
      “Für dich doch immer gerne.” Grinsend stand er auf und sammelte sein Geschirr ein. “Viel Spaß beim Nachdenken, irgendwas wird dir sicher einfallen. Du bist doch sonst so kreativ”, sagte mein bester Freund und wand sich ab, um wie auch schon Jace und Jayden zuvor im Stall zu verschwinden. Nicht mal in Ruhe Frühstücken konnten die Jungs, als gäbe es einen Wettbewerb wer am schnellsten Arbeitet. Ein Blick auf meine Schüssel verriet mir, dass ich noch ca. eine halbe Müslischüssel lang Zeit haben würde, darüber nachzudenken wie ich den grauen Hengst heute bespaßen wollte. Während ich so darüber nachdachte, ließ ich meinen Blick über die anderen Tische schweifen, bis mein Blick an Niklas hängen blieb. Obwohl er bei Chris und Vriska saß, schien er an der Konversation nicht wirklich Teil zuhaben. Stattdessen ging sein Blick vielmehr in meine Richtung. Ein kleines Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Ich sollte ihm Gesellschaft leisten gehen und vielleicht hat er auch eine Idee, was ich mit Pancho machen kann. Also schnappte ich mir den Rest meines Frühstücks und begab mich zu dem anderen Tisch rüber.
      “Hey, ist hier noch ein Platz frei?”, fragte ich Niklas und deutete neben ihn auf die Bank.
      “Sieht so aus”, murmelte er leise und rückte ein beiseite, um mir Platz zu machen.
      “Alles ok so weit?”, fragte ich, während ich mich neben ihn setzte. Mir war nicht entgangen, das Vriska ihn gewissermaßen nicht beachtete.
      “Offenbar bin ich für alle nur noch Luft, außer dir”, stammelte Niklas.
      “Was redest du denn für einen Quatsch?”, protestierte Chris und richtete sich zu uns auf.
      “Also wenn ich das Richtig sehe, bist du maximal Luft für Vriska … und die ist, glaub ich gerade in einer anderen Welt”, merkte ich an, denn sie tippte schon wieder auf ihrem Handy herum.
      “Was ist mit mir?”, erhob sie ihren Kopf und schien wieder anwesend zu sein.
      “Nik ist der Meinung, dass er für uns nicht mehr existent ist”, wiederholte Chris.
      “Aha. Und wie kommst du bitte darauf?”, legte Vriska ihr Handy zur Seite.
      “Können wir bitte das Thema lassen, es nervt”, stand Niklas aus und blickte erwartungsvoll zu mir.
      “Ich habe ein viel besseres Thema, und zwar könnte ich mal ein wenig Inspiration gebrauchen in Bezug auf El Panchos Bespaßungsprogramm für heute. Du hast doch sicher eine großartige Idee”, wand ich mich Nik zu.
      “Da Smoothie ewig warm geritten werden muss, wollen wir Ausreiten? Dann kann ich danach mit ihr noch die Kür üben”, schlug er vor.
      “Ja, das klingt nach einer perfekten Idee. Dass ich da nicht von selbst drauf gekommen bin …”, stimmte ich zu. “Dann lass uns doch gleich die beiden holen.” Er nickte und lief voraus. Ich stellte noch schnell mein Geschirr weg und machte mich dann auf den weg zur Koppel. Natürlich standen die Hengste heute auf der hintersten Koppel, damit der Weg auch möglichst lang war. Die meisten Hengste standen am Waldrand und grasten dort im Schatten. Nur drei von ihnen waren nicht allzu weit vom Tor weggekommen. Divine und El Pancho grasten gerade einmal 3 Meter vom Tor entfernt. Tiger, der auf seinen Schatten beim Grasen nicht verzichten wollte, stand bequem unter Divine. Immerhin muss ich so nicht auch noch über die ganze Koppel rennen.
      “Na ihr drei”, sprach ich die drei an, während ich das Tor öffnete. Natürlich haben Ivy und Panchy den Kopf und kamen freundlich auf mich zu getrottet. Freundlich streichelte ich den beiden über die Stirn, bevor ich den Strick in das Halfter des Knabstruppers einhakte. Divine trottete hinter uns her, als ich Pancho aus dem Tor führte. “Du bist erst später dran”, sprach ich zu dem Hengst und schloss das Tor vor ihm. Mit dem grauen Hengst am Strick machte ich mich auf den Weg zurück zu Stall, doch offenbar wollte El Pancho seinem Namen mal wieder alle Ehre machen und lief unglaublich langsam hinter mir her. Kurzentschlossen baute ich den Strick als Zügel an sein Halfter.
      “Wir machen das jetzt anders, sonst sind wir morgen nicht am Stall”, sagte ich zu dem Hengst und zog mich auf seinen Rücken, was auch nur ging, weil er nicht allzu riesig war. Geduldig warte Pancho, bis ich oben war. In einem fleißigen Schritt ritt ich das graue Pferd zum Stall.

      Niklas
      Lina verschwand mit der nötigen Ausrüstung, um das besagte Pferd zu holen. Ich vergaß bereits nach einigen Minuten, welches es sein sollte und lief, in das Stallgebäude. Smoothie stand ruhig in ihrer Box und steckte aufmerksam den Kopf nach draußen. Leise brummelte sie. „Jag går inte tillbaka. Kommer också att gå med skorna “, informierte ich meine Stute und legte ihr das Halfter um. Gemütlich folgte sie. Prüfend warf ich mein Blick nach hinten. Ihr rechtes Hinterbein hakte und die Kurve aus der Box heraus, nahm ich zu eng. Unsanft knallte sie mit ihrem Huf gegen die Tür. „Jag är ledsen“, entschuldigte ich mich. Vor dem Gebäude wäre mehr Platz, um sie zu putzen. So band ich sie an der Stange an und holte von drinnen ihre Putzbox. Einige Strohhalme dekorierten ihren Schweif, die ich als Erstes entfernte und zu Boden warf. Ihr Fell war mäßig dreckig, Grasflecken trug sie keine. Das erleichterte mir das heutige Putzen und ich war fertig, als Lina auf dem Rücken von dem grauen Hengst ankam.
      „Ach und ich dachte, dass ich vor dir fertig sei“, scherzte ich kniend an dem verletzten Bein meiner Stute. Ich massierte ihr Gelenk und legte die wärmend um es.
      “Ja sorry, der gnädige Herr möchte heute seinem Namen alle Ehre machen”, antwortete Lina und rutschte vom Rücken des Pferdes.
      „Wieso denn das?“ Verwundert folgte mein Blick ihrer Bewegung. Als sie am Boden aufkam, schreckte Smoothie mit dem Kopf nach oben und brummelte den Hengst an, der neugierig sich zu ihr streckte.
      “El Pancho heißt der Gelassene. Manchmal praktisch, aber meistens würde ihm ein wenig mehr Geschwindigkeit nicht schaden”, schilderte Lina und band den Hengst an.
      “Dann wird er heute einiges zu tun haben”, merkte ich an und wickelte die erste Bandage um ihr Schienbein. Die Unterlage ließ ich aufgrund der hohen Temperaturen im Putzkasten.
      “Gut so, der hatte die letzten Tage genug frei.” Lina machte ebenfalls den Hengst fertig und sprintete förmlich. Nur Vriska machte schneller ihr Pony fertig. In der Sattelkammer betrachtete ich mein Equipment und entschied doch die Kandare zu nehmen. Für das Training im Anschluss würde ich sie benötigen. Ein Spiegel hing an der Wand, erinnerte mich daran, dass ein Helm heute nicht funktionierte. Es gab nichts Schlimmeres als die Kombination aus Helm und Brille außerdem saßen meine Haare ungewöhnlich gut. Vorbereitung war alles, doch ich war es nicht. Die Kontaktlinsen hatten mir am morgen Schmerzen zugefügt, meine Schuhe wechselte ich bereits mehrfach und unentschlossen saß ich am Morgen beim Essen. Dafür vergaß ich die Medikamente nicht, immerhin. Smoothie spitzte die Ohren, als ich mit dem Zaum herauskam und nahm die Gebisse an. Die Zügel legte ich über ihren Hals und zog noch mal den Gurt nach. Auch Lina war beinah fertig mit ihrem Hengst.
      “Können wir dann?”, fragte ich und lief zur Aufstiegshilfe, die einige Meter neben dem Anbinder stand. Smoothie folgte mir und ich schickte sie näher heran, in dem ich mit meiner Hand zu mir deutete. Einige Schritte setzte sie vor, ehe ihre Hinterhand sich näher zu mir drehte. Nun konnte ich aufsteigen, ohne mich anstrengen zu müssen. Ich drehte im Stall zu Lina, die ihrem Hengst gerade die Trense über die Ohren zog.
      “Bin gleich so weit”, antworte sie und verschloss die Trense.
      „Ihr benötigt aber auch immer lange“, scherzte ich. Meine Stute trieb in die Richtung der beiden, die sich so gleich wieder anbrummten. Eigentlich sollte ihre Rosse vorüber sein, doch bei einigen Hengste konnte Smooth nicht wieder widerstehen, es zu versuchen die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Offenbar waren wir uns beide noch ähnlicher, als ich es bisher für möglich kannte. Obwohl ich die Stute, solange mein Eigen nennen konnte, lernte ich sie täglich mehr kennen. Im selben Gedanken kamen mir wieder die Zweifel. Zweifel, ob ich wirklich bereit für ein weiteres Pferd sein könnte. Ob ich mich von ihr trennen könnte und wie es mit ihr weitergehen würde. Mir würde die Zeit fehlen ein Pferd für die Turniere vorzubereiten, zu arbeiten und dann noch weiterhin ihr gerecht zu werden.
      “Bist du da festgewachsen? Ich dachte, wir wollten los”, unterbrach Lina meine Gedanken, die inzwischen auf ihrem Pferd saß.
      “Im Kopf vielleicht, aber bewegen geht”, antwortete ich kurz und trieb Smoothie voran. Den Kandarenzügel legte ich auf den Sattel vor mir und die anderen hatte ich nur locker in einer Hand. Pancho hatte Mühe uns zu folgen, so bremste ich die Stute über meinen Sitz. Sie holten uns auf. Schweigend ritten wir nebeneinanderher. Lina hatte ein wenig Mühe den grauen Hengst in einem vernünftigen Tempo zu halten, denn das Gras schien deutlich interessanter zu sein als alles andere. Immer wieder versucht Pancho stehenzubleiben, um sich einen Snack zu schnappen. Es war ziemlich lustig mit anzusehen, denn Smoothie lief treu gerade auf, warf nicht einmal einen Blick zum Gras. Ich spürte, währenddessen das noch immer ihr rechtes Bein Taktfehler verursacht, wodurch sie das Tempo immer mal wieder erhöhte, was ich mit einer Erhöhung der Körperspannung herunterregulierte. Die Stute reagierte punktgenau.
      „Bist du immer so still beim Ausreiten? Sonst hast du doch immer was zu sagen“, unterbrach ich die Stille.
      “Ja und Nein. Hier draußen verliere ich mich gerne mal in meinen Gedanken”, antwortete Lina und blickte mich entschuldigend an.
      “Und worüber denkst du nach? Willst du doch lieber hierbleiben?” Smoothie wehrte mit ihrem Schweif die Fliegen ab und stolperte dabei mehrfach über die Wurzeln, die vom feinen Sand bedeckt waren. Unkonzentriert kippte ich nach Vorn, was Smoothie dazu bewegte eruptiv stehenzubleiben und mich nach hinten kippen ließ. Elegant sah anders aus. Auch Pancho bremste.
      “Nein, das ist es nicht. Ich freu mich auf Schweden, wirklich. Es ist nur … ich habe ein wenig Angst davor, die die für mich zu einer Familie geworden sind, zu verlieren … wahrscheinlich mach ich mir einfach wieder zu viele Gedanken.” Während sie sprach, zupfte sie an Panchos Mähne herum.
      “Ich weiß, wie es ist seine Familie zu verlieren, nicht schön. Aber ich denke, dass sie dich nicht direkt vergessen werden, und sie können dich doch besuchen kommen. Du ziehst nur nach Europa und nicht auf den Mars”, versuchte ich sie aufzumuntern.
      “Du hast einfach irgendwie recht”, murmelte sie, doch Panchos Mähne hatte noch keine Ruhe vor ihren Fingern.
      “Wenn du so weiter machst, dann hat das arme Pony gleich gar keine Mähne mehr”, versuchte ich den Hengst aus ihren Fängen zu befreien.
      “Oh, ja”, murmelte sie und strich die Stelle glatt, an der sie herumgezupft hatte. “Sorry Panchy, wenn du jetzt meinetwegen eine blöde Frisur hast, tut es mir leid”, sprach sie zu dem Hengst. Schon fast erleichtert darüber, dass das Gezuppel endlich ein Ende hatte, schüttelte sich El Pancho.
      Mittlerweile hatten wir uns wieder in Bewegung gesetzt und auch das Sprunggelenk meiner Stute bewegte sich flüssiger. So entschieden wir endlich zu traben. Ich nahm den rechten Kandarenzügel zwischen Zeige- und Mittelfinger, darunter den linken und den Trensenzügel hielt ich normal. Die Kandare nahm ich sehr locker und ließ die Zügel ohne Spannung hängen. In der rechten Hand hatte ich nur den rechten Trensenzügel. Smoothie trabte im mittleren Tempo vorwärts und schnaubte mehrfach ab. Lina mit Panchy hatte deutlich mehr Arbeit, um ihn überhaupt in den Trab versetzen zu können.
      “Kommt ihr klar?”, fragte ich und blickte nach hinten.
      “Ja, alles klar bei uns”, meldete sie zurück. Mit gespitzten Ohren trabte ihr Hengst hinterher und Smoothie verlangsamte ich über meinen Sitz etwas ab. Im Gegensatz zu meinen Kameraden lehrte mich mein Opa Teile der Reitkunst. So trieb ich sie nur, wenn eine Hilfe notwendig war. Ansonsten lagen meine Beine locker und ruhig im Sattel und parallel zum Bauch. Meine Stute konzentrierte sich darauf, auf Impulse meinerseits zu achten. Im Westernreiten verbreitete sich ebenfalls diese Art des Reitens. Während sie locker im Genick blieb und es der höchste Punkt in ihrer Oberlinie war, streckte sich der Kopf von Pancho nach oben. Bequem sah es nicht aus. Lina kämpfte damit den Hengst vorwärts zubekommen. Doch er ignorierte die treibende Hilfe und lief in seinem Tempo weiter. Wir bauten immer Abstand zu den beiden auf. Ich parierte meine Stute in den Schritt durch, legte die Kandarenzügel wieder ab und die der Unterlegtrense hingen locker durch. Mit gerötetem Kopf und vollkommen außer Atmen holte Lina auf. Panchy bremste abrupt ab. Seinen Kopf legte er in die Zügel und schüttelte diesen mehrmals von oben nach unten. Es brannte in mir ihr zu helfen und vor allem dem Pferd mehr Freiraum zu geben. Doch ich sagte nichts, denn erst zu kritisieren, dass sich bei Humbi einmischte am Vortag und dann einen Vortrag zu halten, wäre unklug. Deswegen richtete ich mich wieder auf Smoothie ein, die tiefenentspannt vorwärtsschritt. Freundlich strich ich über ihren Hals. Die Rappstute kam vor meinem inneren Auge wieder auf und es war naheliegend auf dem Lindö Dalen Stuteri.
      Sie gehörten zu den Einzigen im Småland und Östergötland, die Standardbreds als Reitpferd züchteten. Zudem stand Nobel ebenfalls bei ihnen, den Opa vor seinem Tod an sie abgab. Es wäre schön zu sehen, was aus ihm geworden ist. Von meiner nächtlichen Schlaflosigkeit wusste ich, dass er regelmäßig auf Passrennen Siege nach Hause brachte. Je später die Nacht, umso mehr Pferde recherchierte ich aus unserer Zucht. Es lag mir am Herzen, wo die Pferde nun waren. Nicht jedes konnte ich bisher finden, doch einige wie Nobel standen noch in der Region.
      “Sag mal, was machst du eigentlich so, wenn du nicht gerade auf einem Pferd sitzt, hast du noch irgendwelche anderen Hobbys?”, fragte Lina interessiert.
      „Wenn ich nicht arbeite oder koche, dann bin ich wohl im Urlaub. Oder eben im Club mit meinen Leuten“, dachte ich laut. Lina wählte eine ziemlich schwierige Frage, um die Stille zu unterbrechen.
      “Reisen, ein schönes Hobby. Ich würde so gerne mehr von der Welt entdecken. Früher war mein größter Traum immer ein Känguru in freier Wildbahn zu sehen”, erzählte sie versonnen.
      “Hast du sie denn mittlerweile schon mal gesehen?”, fragte ich neugierig.
      “Nein, leider nicht. Australien ist leider nicht gerade um die Ecke”, antwortete sie.
      „Na dann sollten wir, dass nächstes Jahr ändern. Bisher war ich nur in Sydney. Mehr kenne ich von Australien nicht.“ Als würde meine Stute dem Gespräch folge, hob sie den Kopf und schnaubte bestätigt ab. Freundlich lachte ich und strich über ihre kurze Mähne.
      “Wow, das wäre toll.” Ein begeistertes Leuchten trat in ihre Augen.
      “Dann haben wir einen Plan. Aber jetzt sag mir mal, was mit deiner Schwester ist. Wir reden nur über Pferde, Schmerz und die Zukunft. Was ist denn mit dem hier und jetzt?” Es bedrückte mich, sie einfach von hier mitzunehmen, denn sie war vermutlich nicht besser auf Vriska zu sprechen als ich. Dann würde Lina in wenigen Tagen gemeinsam mit ihr sein Tag und Nacht den Hof bewirtschaften. Unaussprechliches würde in ihrem Kopf los sein, soviel dachte ich mir.
      “Juliet ist fast der einzige Mensch, den ich mitten in der Nacht anrufen kann und der dann auch noch zuhört. Mir verdankt sie sicherlich bald eine Schlafstörung”, scherzte sie. “Aber ganz ehrlich, ich glaube ohne sie wäre ich schon lange durchgedreht. Egal wie bescheuert meine Ideen auch sein mögen, sie steht immer hinter mir. Sogar als ich damals, ich müsste so ungefähr 8 gewesen sein, mitten in der Nacht im Wald Einhörner suchen wollte, ist sie mitgekommen, anstatt mir zu erklären, dass es Einhörner gar nicht gibt. Ach, Juli ist einfach die beste große Schwester, die man sich wünschen kann und genau deshalb freue ich mich umso mehr, sie bald wieder zusehen, also so in echt, nicht nur auf dem Bildschirm”, erzählte Lina unbeschwert.
      “Jetzt hast du doch sogar ein Einhorn, also erkläre mir nicht, dass es die nicht gibt. Das Horn ist vermutlich durch die Evolution verschwunden, aber es gibt sie noch”, sagte ich Ernst zu ihr und war froh darüber, dass ihre Stimmung direkt besser wurde.
      “Ich könnte mir auch kein besseres Einhorn wünschen, auch wenn er kein Horn hat”, stimmte sie mir zu.
      “Das lässt sich sicher ändern. Also, das fehlende Horn mein ich”, scherzte ich weiter.
      “Möchtest du ihm etwa eins ankleben? Ich weiß einfach nicht, ob das eine vielversprechende Idee wäre, so tollpatschig wie Ivy ist … nicht, dass er noch irgendwen aufspießt”, gab sie zu bedenken, lächelte aber weiterhin.
      “Man kann doch einen rosa Plüschball auf die Spitze machen, oder so was. Lass uns aber erst mal den heutigen Tag überstehen. Das wird sicher noch stressig”, legte ich nach und am Wegesrand tauchten die ersten Zaunpfähle des Hofes auf.
      “Was du nicht sagst, aber irgendwie wird das schon werden”, sagte Lina optimistisch. Sie hatte recht, doch nach dem, was heute schon alles geschah, würde es nur schlimmer oder viel besser werden. Wir trabten die Pferde erneut an, aber die Kandare hing weiterhin locker herum. Panchy kam diesmal auch besser hinterher. Während Lina am Stall abstieg, ritt ich weiter zum Platz, auf dem Herr Holm noch Unterricht machte mit Ju und Amy.

      Lina
      Am Stall sattelte ich El Pancho ab. Als ich gerade wieder aus der Sattelkammer kam, ritt Samu mit seiner Schimmelstute in die Stallgasse.
      “Ah, wie ich sehe, hast du wohl eine Beschäftigung für Pancho gefunden”, sagte der Finne und ließ sich aus dem Sattel gleiten.
      “Ja, ich war mit Niklas ausreiten, hat sich so ergeben”, erläuterte ich. Briair streckte die Nase aus, um an Pancho zu schnuppern, doch der döste bereits.
      “Und war euer Ausritt schön?”, erkundigte Samu sich, während er die Trense seiner Stute öffnet.
      “Ja, schon. Wir haben eine nette Unterhaltung geführt”, antwortete ich und warf einen Blick auf mein Pferd, dessen Kopf mit jeder Minute tiefer sank.
      “Ich glaube ich bring den mal lieber zurück auf die Koppel, bevor er hier noch umfällt”, scherzte ich und sprach mein Pferd an, um es zu wecken. Langsam gingen Pancho Augen auf und seine Ohren nach vorn.
      “Na komm, du kannst auf der Koppel weiterschlafen”, sagte ich zu dem Hengst und zog sanft am Strick. Pancho bewegte sich kein Stück weit.
      “Sieht nicht so aus, als wäre Pancho überzeugt davon mitzukommen”, machte sich Samu über mich lustig.
      “Warte nur ab, den Überzeuge ich schon”, antworte ich und gab dem grauen Pferd einen Klaps mit dem Strick. Langsam verlagerte er sein Gewicht auf alle 4 Beine und machte tatsächlich einen Schritt. “Siehst du, sage ich doch.” Triumphierend verließ ich mit El Pancho den Stall und brachte ihn auf die Koppel. Nachdem ich den Knabstrupper auf die Wiese entlassen hatte, ging ich direkt weiter zu der Koppel, auf der Legolas stand. Diese Koppel war deutlich bewaldeter. Von den Pferden war von Weitem nicht zu sehen. Sicherlich würden sie irgendwo zwischen den Bäumen stehen oder sie standen hinter dem kleinen Dickicht am Bach, wo es etwas kühler war als auf der Freien Fläche.
      Schon als ich am Rand des Dickichts angekommen war, konnte ich das helle Fell von Don Carlo durch die Blätter schimmern sehen. Ein Zeichen, das vermutlich auch die anderen Hengste, nicht allzu weit sein konnten. Und tatsächlich auf der anderen Seite des Dickichts stand die kleine Herde. Einige der Pferde hoben den Kopf, als ich von Blättergeraschel begleitet zwischen den Bäumen heraustrat.
      Zwischen den ganzen hellen Pferden fiel der Rappe regelrecht auf. Mit gespitzten Ohren blickte mir Lego entgegen. Ich kraulte den Hengst kurz an seiner Lieblingsstelle, bevor ich ihm sein Halfter überstreife. Brav folgte mir der Rappe von der Koppel.
      Der Stall war bereits wieder leer, als ich ihn mit Legolas erreichte. Um dem Hengst zu ersparen, schon vor dem Training zu schwitzen, beschloss ich ihn drinnen zu putzen. Das Fell des Hengstes war nicht sonderlich dreckig, dafür hatte er Menge Kletten in Schweif und Mähne hängen.
      “Du möchtest heute wohl besonders viel Aufmerksamkeit, großer”, sagte ich zu dem Hengst und ging in die Sattelkammer, um Mähnenspray und Putzkasten zu holen.
      Während das Mähnenspray trocknete, putzte ich schon einmal das restliche Pferd. Anschließend machte ich mich an die Entfernung der Kletten. Nach fast einer halben Stunde war Legolas schließlich wieder Kletten frei. Schnell war der Rappe gesattelt. Bevor ich die Trense holte, räumte ich noch den Putzplatz wieder auf, denn gefühlt 100 Klettern auf dem Boden sahen nicht gerade aus. Da ich beim Putzen eine kleine Verletzung im Maulwinkels des Pferdes entdeckt hatte, hatte ich Divine Glücksradzaum aus dem Spind gekramt. Was auf den Dickschädel des Freibergers passte, sollte auch einem Pferd wie Legolas passen. Meine Vermutung bestätigte sich, leidlich den Backenreimen musste ich ein wenig länger schnallen. “Perfekt”, zufrieden strich ich Legolas über die breite Blesse. Die Glitzersteine auf dem Stirnriemen begannen im Licht zu funkeln, als Legolas seinen Kopf runternahm, um das Leckerli entgegenzunehmen, welches ich ihm hinhielt. Vorsichtig nahm er es von meiner Hand und begann darauf rumzukauen. “So, jetzt müssen wir aber wirklich anfangen zu arbeiten Großer”, sagte ich zu dem Hengst und führte ihn zur Aufstiegshilfe vor dem Stall.

      Während auf dem WHC alle mit ihren Pferden beschäftigt sind, ist Jace fast auf dem SMA angekommen.

      Jace
      Von Weitem konnte ich schon das Efeu bewachsene Stallgebäude sehen. Zuletzt war ich hier Ende Juni gewesen, als das kleine Fohlen von wie hieß die Stute noch mal...Wamzi. Eigentlich trug sie einen anderen Namen, doch der war so unaussprechlich, dass ich ihn mir nicht merken konnte. Wo ich so gerade an das Fohlen dachte, fiel mir wieder ein, dass ich Alec dringen Fragen musste, ob es wirklich auch diesen Tölt hatte. Irgendwie konnte ich mir das nur schwer vorstellen.
      Der Kies knirschte unter den Reifen als ich den Parkplatz erreichte. Schon von hier aus konnte ich sehen, dass sich auf dem Hof doch wieder einiges verändert, hatte in den letzten zwei Monaten. Die Türen und Fenster des Stalles hatten einen neuen Anstrich bekommen und die fehlenden Steine im Pflaster waren ersetzte worden. Die Paddocks, die zu den Boxen gehörten, waren nun nicht mehr gepflastert, sondern mit Sand eingestreut.
      Auch im Stall sah es nun um einiges neuer aus, stelle ich fest als ich eintrat. Jetzt machte der alte Hof echt etwas her. Auf dem Putztplatz entdeckte ich Anu, die gerade die Tinkerstute sattelte.
      “Hey, Jace. Was machst du denn hier? Ich dachte, ihr hab Gäste drüben?”, begrüßte sie mich und umarmte mich freudig. Die Stute sorgte dafür, dass die Umarmung nur kurz war, denn sie schob ihren Kopf zwischen uns. Schon fast so als sei sie ein wenig Eifersüchtig.
      “Ja, da denkst du richtig, aber ich wollte mal nach meinem kleinen schauen kommen. Außerdem sind die vielen Menschen ganz schön anstrengend…”
      “Seit wann findest du Menschen denn anstrengend? Du kannst doch sonst nicht genug Aufmerksamkeit bekommen.” Anu lachte und begann dem Tinker die lange, dicke Mähne einzuflechten.
      “Mm, die meisten von denen gehen mir auch nicht auf die Nerven, nur dieser eine Typ..”, erklärte ich Anu. “... weiß gar nicht, was Lina so großartig an ihm findet”, fügte ich murmelt hinzu.
      “Macht dir etwas jemand Konkurrenz um die weibliche Aufmerksamkeit? Vielleicht sollte ich dann auch mal vorbeikommen”, scherzte Anu. “Aber sag mal wie kommt es dann dazu, dass du ihn so wenig leiden kannst? Ich meine, er macht dir deine Aufmerksamkeit streitig, aber das tut Jayden auch und über den redest du nicht so”, fragte sie neugierig.
      “Das ist eine lange Geschichte. Weißt du wo Alec ist?”, versuchte ich ihre Frage unbeantwortet zu lassen.
      “Der müsste mit Gräfin auf dem Platz sein”, antworte sie.
      “Ok, danke. Dann sehen wir uns später vielleicht noch mal”, verabschiedete ich mich und verließ die Stallgasse, bevor sie noch weitere Fragen stellen konnte.
      Tatsächlich fand ich Alec auf dem Platz, wo er gerade mit einer braunen Stute an einfachen Galoppwechseln arbeitete. Etwas weiter hinten auf dem Reitplatz ritt Eva gerade Liliada warm. Mit ihren langen Beinen hatte die Vollblutstute ein ordentliches Tempo darauf uns schritt elegant durch die Gegend. Um Alec nicht in seiner Konzentration zu stören, stelle ich mich leise an den Zaun und beobachtete ihn dabei, wie er mit der Stute arbeitete. Nach gut 10 Minuten hatte er das Training offenbar beendet, denn er trabe die Stute nun in einem folgten Trab am langen Zügel. Als Zeichen, dass er mich bemerkt hatte, nickte er mir zu und trabte weiter. Während ich darauf wartete, dass Alec endlich fertig war, scrollte ich eher desinteressiert durch meinen Instafeed, bis ich über einen Beitrag von Lina stolperte. Sie musste ihn offenbar gestern irgendwann gepostet haben. Das Bild zeigte Divine und El Pancho die im Sonnenuntergang grasen. Neugierig las ich die Bildunterschrift: “ For the world has changed, and we must change with it.
      Wie ihr sicher alle gemerkt habt, ist es hier ein wenig still gewesen die letzten drei Tage. Es gibt ein paar Ereignisse, die hier einiges Verändern werden.
      Wie die meisten von euch bereits mitbekommen haben sollten, hat das HMJ leider ein Ende gefunden. Auch wenn Divine so die Möglichkeit verwehrt, bleibt sich im Finale zu präsentieren, freu ich mich dennoch, sein Können zukünftig auf zahlreichen Turnieren zu präsentieren. Bisher stand noch nicht fest, was Mit Divine, nach ende des HMJs geschehen wird doch in diesem Zuge habe ich eine gute Nachricht für euch. Divine wird bei mir blieben. An dieser Stelle wünsche ich auch noch allen andren HMJ Teilnehmer weiterhin viel Glück mit ihren Schützlingen und dass die Pferde, die nicht bei ihren Trainern bleiben, ein schönes neues Zuhause finden.
      Ich auch noch etwas Weiteres anzukündigen. In meinem Leben wird es bald eine große Veränderung geben. Bei dieser Veränderung werde ich Divine erst einmal nicht mitnehmen können, weshalb es hier auch vorübergehen ein wenig stiller bleiben wird. Aber macht euch keine Sorgen, Divine wird von Samu gut versorgt und ihr werdet trotzdem noch das ein oder andere Update bekommen <3. Leider werdet ihr dann nicht mehr viel von Lego und den anderen Pferden hören, denn die werde ich leider auch nicht mitnehmen.
      Jetzt noch etwas zur aktuellen Lage. Wenn es eins gibt, was ich diese Woche gelernt habe ist es: longiere niemals ohne Handschuhe! Vor allem, wenn es ein Pferd mit zu viel Energie ist. Masko ohne Handschuhe zu longieren war definitiv die dümmste Idee diese Woche. Ansonsten stand für Nathalie diese Woche recht viel Gelände- und Springtraining an. Legolas wird langsam zum Dressurcrack und Pancho hatte eine ziemlich entspannte Woche. Mit Divine freue ich mich endlich über Fortschritte in der Dressur, langsam macht der süße das richtig gut. Klar von einer S Dressur sind wir noch weit entfernt, aber die Grundlagen werden immer sicherer.

      Ich hoffe, ihr hattet auch ohne meine Updates, eine schöne Woche.”
      “Was liest du da?”, riss mich Alec stimme auf einmal aus meinen Gedanken. Er hatte mit seiner Stute neben mir angehalten
      “Nur Linas letzten Post”, antwortete ich ihm und hielt ihm mein Handy hin. Er ließ die Zügel seiner Stute auf ihren Hals sinken und nahm das Gerät entgegen.
      “Was für Veränderungen meint sie denn? Und wie kommt es eigentlich dazu, dass Divine jetzt ihr gehört?”, fragte er als er mir das Handy wieder gab.
      “Ach, stimmt, das weißt du ja alles noch nicht.” Ich hatte ganz vergessen, dass Alec zwar da gewesen war, aber er war nur da gewesen, weil ich irgendetwas dämliches gemacht hatte. “Okay, du bekommst jetzt erst mal die Kurzfassung. Die genauen Details kenne ich nämlich auch nicht zu 100 %. Na ja, dass da irgendetwas zwischen Niklas und Lina läuft, hast du ja mitbekommen. Frag mich nicht was sie an dem Typen so großartig findet …”, fing ich an zu erzählen.
      “Ach, ist doch ein hübscher. Ich verstehe schon was sie an ihm findet”, was Alec ein.
      “Äh, ja … wärst du dabei gewesen bin ich mir sicher, du würdest anders denken. Aber egal, darum geht es jetzt nicht. Dass ich dann ein wenig Eifersüchtig geworden bin und ein wenig die Kontrolle verloren habe, weißt du auch. Na ja, auf jeden Fall am Abend, nachdem das alles passiert ist, gehörte ihr auf einmal Divine. Ich weiß auch nicht genau, wie es dazu kam, aber ich würde mal sagen Niklas ist bei der Sache nicht ganz unbeteiligt. Niklas hat sie auf jeden Fall erfolgreich zwei Tage lang vom Arbeiten abgehalten … was meinerseits zu einer weiteren Dummheit führte, aber das weißt du auch schon. Was dann zwischen den beiden passiert, ist weiß ich nicht so genau. Was ich weiß ist, dass Niklas gestern auf einmal was mit Vriska am Laufen hat oder hatte? Keine Ahnung. Und warum Lina heute Morgen trotzdem so gute Laune hat, ist mir ein Rätsel …” Ich ließ absichtlich aus, was gestern zwischen ihr und mir auf dem Reitplatz geschehen war. Bestimmt musste ich mir ansonsten wieder einen Vortrag anhören oder irgendeine Lebensweisheit über das Schicksal anhören.
      “Also der letzte Teil ergibt irgendwie nicht so viel Sinn”, sagte Alec und trieb seine Stute in den Schritt.
      “Aber es ist so passiert, ich bin mir sicher! Wobei ihre gute Laune könnte auch mit Divines Zuchtpapieren zusammenhängen …”, überlegte ich laut, während ich neben seiner Stute herlief.
      “Was haben denn jetzt die Zuchtpapiere damit zu tun?”, frage Alec verwirrt.
      “Na, die sind heute angekommen, also kann Lina ihn jetzt zur Körung anmelden. Auf jeden Fall hat sie sich sehr über die Papiere gefreut”, erklärte ich.
      “Aber hat sie in ihrem Post nicht irgendwas von Veränderung geschrieben, wo sie Divine nicht mitnehmen kann?” Mittlerweile waren wir am Stall angekommen und Alec hielt die Stute an.
      “Ach ja, habe ich dir gar nicht gesagt … Sie geht mit Niklas nach Schweden, zumindest ist das ihr Plan”, murmelte ich. Der Gedanke gefiel mir nicht sonderlich gut vor allem nicht, wenn ich daran dachte, dass sie dort mit Niklas und Vriska hinging. In meinem Kopf konnte dabei einfach nichts Gute bei rauskommen.
      “Ah, ja jetzt ergibt das schon mehr Sinn, auch wenn ich das Gefühl habe, dass da noch ein paar Infos fehlen.” Alec war abgestiegen und begann nun die braune abzusatteln.
      “Kannst du mir gerade mal Gräfins Halfter holen, hängt vor ihrer Box”, fügte er noch hinzu.
      “Ja, ich weiß, so ganz zusammen Reimen kann ich mir das ganze auch noch nicht”, räumte ich ein und ging in die Stallgasse, um besagtes Halfter zu holen. Ich lief zweimal die Stallgasse auf und ab, denn auf keinem der Schilder konnte ich den Namen Gräfin entdecken. Avicii, Ases Maswamozi … Ermgravin … gravin. Vielleicht meinte Alec diese Box. Ich nahm das rote Halfter, welche vor der Box hing und ging damit zurück zu Alec: “Ich hoffe, das ist richtig.”
      “Ja, danke. So, jetzt haben wir schon eine Menge geredet, aber das war doch nicht der eigentliche Grund warum du gekommen bist, oder?”, fragte Alec nun nach. Ich war ganz froh darüber, dass er das Thema wechselte.
      “Ja, genau. Eigentlich möchte ich Solist mitnehmen. Meinst du denn, das geht?”
      “Ich kann dir ja schlecht verbieten dein eigenes Pferd mitzunehmen, oder?”, lachte Alec. “Aber, ja das ist kein Problem. Balisto ist so ruhig, dass es ihm meisten reicht mit den älteren zu spielen. Ich bringe sie jetzt auf die Koppel, dann können wir deinen Rabauken gleich holen”, schlug er vor.
      “Perfekt, so machen wir das. Aber ich hätte da noch ein Anliegen”
      “Das wäre?”, fragte Alec, während er die Stute losband und loslief.
      “Ich muss noch eine Dressurkür ausarbeiten und habe einfach keinen Plan, wo ich angefangen soll”, erläuterte ich mein Anliegen.
      „Wofür benötigst du denn eine Dressurkür? Und bis wann benötigst du die?“, fragt Alec verwundert.

      Währenddessen sind Vriska und Chris auf dem Whitehorse Creek mit ihrer Kür beschäftigt.

      Vriska
      “Ich kann das nicht”, beschwerte ich mich lautstark, als ich Glymur zurück in den Schritt holte. Der Hengst lief großartig, doch meine Schulter schmerzte heute wieder besonders stark. Chris kam mit seinem Wallach zu uns.
      “Ach, jetzt stell dich doch nicht so an. Ihr macht das großartig”, lobte er uns.
      “Schon, aber ich kann mir das nicht merken und es bringt mir auch nichts.” Enttäuscht trabte ich Glymur wieder an und ritt auf dem Zirkel bei A. Er schüttelte mit dem Kopf und ich lockerte wieder meine Hände, denn er trug die neue Kandare, die ich mit Lina zusammen in der Stadt kaufte. Ehrlich gesagt ritt ich zuvor nur ein einziges Mal mit einer isländischen Kandare und da war Bruce dabei, der mich immer wieder korrigierte. Die Kinnkette hing durch, da ich nicht wusste, wie fest diese sein sollte.
      “Dann steig ab und lass es. Verkriech dich im Zimmer, versinke im Selbstmitleid oder was auch immer du dann machst”, zickte mich Chris an und lenkte seinen Wallach zurück auf die Mittellinie.
      “Warte!”, rief ich ihm nach und trieb Glymur in seine Richtung.
      “Jetzt hörst du mir doch zu?”, fragte er überrascht und hielt wieder an.
      “Ist das der Eindruck, den du von mir hast?”, hinterfragte ich seine Aussage. Es machte mir zu denken, wenn Leute diese Meinung von mir hatten.
      “Schon, du unterhältst dich mit kaum jemanden, willst, dass alle auf dich zu kommen und hast dich direkt an den nächsten ran gemacht, der eigentlich jemanden hatte. Und das hast du dann wiederholt und jetzt erwartest du, dass alle dich mögen. Wirklich sozial ist das nicht. Dazu kommt dann noch, dass unwillkürlich bei jedem Drama du mit drinhängst, also würde ich mir an deiner Stelle mal Gedanken machen”, gab er offen zu. Verblüfft bremste ich Glymur in den Halt. Wie er es aussprach, wurde mir klar, wovon er sprach. Eine Bindung hatte ich zu niemanden und durch den Ausschluss für eine bestimmte Zeit, machte ich mir nichts mehr daraus was die Leute von mir dachten.
      “Danke”, murmelte ich und eine Träne lief die Wange herunter.
      “Klar, müssen wir uns nicht alle lieben, auch wenn Niklas das anderes sieht. Aber es wäre trotzdem nicht schlecht, wenn man sich unterhalten könnte. Zudem hast du auch die Möglichkeit wieder zu kommen, auch wenn das nun schwieriger wird”, sprach Chris weiter und umkreiste uns im Trab. Glymur schlug mit seinem Schweif und jedes Mal, wenn Hammy uns vorbeitrabte, legte er die Ohren an.
      “Denkst du wirklich, dass ich wieder komme?”, fragte ich verunsichert.
      “Von dem was ich bisher sah, dein Umgang mit den Pferden, deine reiterlichen Leistungen, würde ich ja sagen, aber das drumherum ist auch wichtig. Wenn es dir wirklich wichtig ist, dann solltest du etwas ändern”, erklärte Chris und lenkte Hammy weg von uns. Aus seiner Hosentasche holte er wieder seine Kür und verabschiedete sich. Ich verließ den Reitplatz, damit er ungestört üben konnte und trabte sinnlos, um die aufgebauten Sprünge herum. Die Sonne brannte auf meiner Haut. Langsam, aber sicher breitete sich die Mittagshitze aus.
      „Eigentlich gehört sich das nicht, aber ich habe euer Gespräch belauscht“, sagte Herr Holm und trat an uns heran.
      „Okay“, antworte ich kurz und blickte ihn an.
      „Die Neuen haben es in der Gruppe nie leicht, aber es wäre schön, wenn du wiederkommst“, erklärte er sanft und legte seine Hand an mein Bein. Innerlich breitete sich ein ungutes Gefühl aus. Ich wusste nicht richtig zu deuten, was er mir damit sagen wollte. Auch, weil ich Ähnliches schon bei den anderen beobachtete.
      „Aber dazu gehört auch, dass du an deinem Sitz arbeitest“, lachte er und schob mein Bein in eine andere Position. Meine Wade berührte mehr den Bauch des Hengstes und ich setzte mich um. Zustimmend nickte er und ich ritt wieder an. Zum Glück ging es um meinen Sitz. Er gab mir noch einige Tipps, ehe er sich wieder zu Chris richtete. Im Schritt ritt ich Glymur ab.
      Am Stall duschte ich meinen Hengst ab und legte wieder die Decke um. Aus dem Putzkasten holte ich das Kadaveröl, um die Mistviecher loszuwerden.
      “Alles gut, du hast gleich wieder deine Ruhe”, beruhigte ich Glymur beim Einsprühen. Unruhig schlug er mit seinem Schweif. Wenig später liefen wir zur Weide und Glymur schmiss sich mit der Decke direkt in den Dreck. Wozu machte ich das Ding eigentlich sauber? Chris' Worte schwebten immer wieder durch meinen Kopf. Was ich bisher tat, war wirklich nicht das klügste, umso überraschter schaute ich, als Linh zu mir kam.
      “Gut, dass ich dich gefunden habe”, sagte sie und gab mir ein Zeichen, ihr zu folgen.
      “Ach ja? Was ist denn los?”, fragte ich überrascht und lief ihr nach. Es konnte nicht um ihre Stute gehen, denn sie trug keine Reitsachen und steuerte die Zimmer an.
      „Ich ertrage den Typ nicht mehr, bring den zur Vernunft“, erklärte sie und öffnete die Tür. Wie ein eingeschnapptes Kind saß Ju auf dem Sofa und sah in die Leere. Überfordert schaute ich zu Linh, die Tür wieder schloss. Auf dem Gang hörte ich ihre Schritte.
      “Kannst du mir erklären, warum ich hier bin?”, fragte ich daraufhin Ju, der mir keines Blickes huldigte.
      “Weil ich ihr das gesagt habe”, antwortete er trocken.
      “Aha. So, jetzt bin ich da. Und was soll ich machen? Putzfrau?” Der Gedanke kam nicht von irgendwo. Obwohl Niklas nicht da war, herrschte hier wieder ein heilloses Chaos, dass dringend beseitigt werden sollte. Auf der Arbeitsfläche der kleinen Küche türmte dreckiges Geschirr in Kombination mit benutzten Töpfen und Werkzeugen. Auch auf dem Tisch sah es nicht besser aus. Neben Häufchen aus Papier und Besteck lagerte sich getragene Kleidung.
      “Wenn du schon so fragst … aber nein. Ich will wissen, wie es passieren konnte, dass es plötzlich so unangenehm zwischen uns wurde. Am Anfang hatte ich das Gefühl, endlich jemanden gefunden zu haben, der mich versteht und die gleichen Ziele verfolgt wie ich. Doch dann verschwand die Person auf einmal und trieb einen Keil zwischen alle”, begann er zu erzählen. Es brauchte in meinem Kopf etwas, bis ich verstand, worauf das gerade hinauslief. Tausend Dinge schwirrten durch meine Gedanken und nach dem, was Chris beim Reiten zu mir sagte, machte es das nicht einfacher. Viel tiefer war meine Begeisterung verankert, dass Erik heute kommen wollte, aber sich seitdem auch nicht mehr meldete. Stattdessen fing ich wirklich an, etwas Ordnung zu machen, wogegen Ju nichts einzuwenden hatte.
      “Wenn du so anfängst, stelle mir bitte präzisere Fragen. Ich möchte nicht beim Urschleim anfangen”, murmelte ich beim Abwaschen.
      “Wieso habt ihr miteinander geschlafen, da gehören immer zwei dazu? Und sag’ jetzt nicht wieder, dass du es nicht weißt”, holte er den Hasen aus dem Sack. Wieso? Das war eine gute Frage. Die Töpfe hatte ich sauber, bevor ich antwortete. Es schien, als hätte Ju alle Zeit der Welt, um auf meine Antwort zu warten. Nicht mal sein nerviges Nachfragen und Druck ausüben, kam nicht.
      “Es war für den Moment einfach so ein Gefühl”, hielt ich mich kurz. Doch die Antwort reichte ihm nicht und er fragte erneut: “Was für ein Gefühl? Werde genauer.“ Ich fühlte mich wie bei einem sehr unangenehmen Vorstellungsgespräch oder als würde hier gleich die Verstecke Kamera zur Tür hereinkommen.
      „Wieso ist das denn so wichtig? Es gehört jetzt der Vergangenheit an“, murmelte ich.
      „Wer hätte es gedacht! Da redest du dich direkt wieder heraus. Ich möchte nur verstehen, wieso er nicht mit mir darüber gesprochen hat, sondern so ein Geheimnis darum macht”, gab er zu.
      “Verstehe ich, aber wieso sprichst du dann nicht mit ihm, sondern mit mir?”, fragte ich.
      “Es nervt mich einfach und aus seiner Sicht wird es deutlich unpersönlicher sein. Ich möchte nur mit ihm wieder eine normale Freundschaft führen können.” Jus Worte klangen wirklich besorgniserregend. Hatte ich mich dazwischen gedrängt?
      “Ich wollte einfach dazu gehören und nicht als die Süchtige weiter dastehen. Das ist nur nach hinten losgegangen und dann auf einmal heute früh, wurde er extrem Ernst und hat mehr hineininterpretiert als ich wollte. Deswegen habe ich mich heute entschieden, dass mehr oder weniger zu beenden und habe dann endlich einen Schritt gewagt, den ich nach dem ersten Mal schon hätte tun sollen”, erklärte ich beim Abtrocknen der Teller, die ich nacheinander in den Schrank stellte. Langsam konnte man wieder die Oberfläche der Arbeitsplatte sehen.
      “Wie, es wurde dir zu Ernst?”, wollte er genauer wissen.
      “Es wurde ihm plötzlich wichtig, was ich fühle und wie es mir geht. Aber das wollte ich nicht. Ich empfand ihn als attraktiver, als es ihm egal war und er nur seinen Willen wollte.” Ich schämte mich dafür, dass zu sagen, aber ihm eine Lüge aufzutischen, hätte es nicht angenehmer gemacht.
      “Tiefgründiges ist wohl nicht deins”, sagte Ju trocken und stand nun auf, um mir beim Sauber zu machen zu helfen.
      “Meine erste und einzige Beziehung endete in einem großen Drama und seitdem nehme ich Abstand von Menschen, die der Meinung sind, mir bei meiner emotionalen Lage helfen zu wollen. Deswegen wollte ich auch nicht, dass das mit uns in eine Richtung gelenkt wird. Reicht das jetzt?”, fragte ich eindringlich und blickte zur Tür.
      “Du wolltest einfach nur mit ihm schlafen?”, wollte er erneut wissen. Langsam nervte mich dieses Gespräch.
      “Ja, wie oft den noch. Mehr nicht. Und du hättest das nicht mit gemacht”, sagte ich warf ihm das Geschirrtuch entgegen.
      “Du hättest einfach fragen können, aber als ich bei dir war, wolltest du so viel Abstand wie möglich”, rief Ju mir nach, als ich zur Tür lief.
      “Ich rede darüber nicht und jetzt vertrag dich bitte wieder mit Niklas, das ist mir wichtiger als alles andere”, sprach ich aus. Er nickte und ich konnte endlich gehen. Die Küche hatte ich in der Zeit geschafft und ich musste auch bei mir endlich etwas Ordnung hineinbringen. Deswegen lief ich zur mir und begann saubere und dreckige Wäsche auf jeweils einen Haufen zu werfen. Dabei stelle ich fest, dass so gut wie alles in die Maschine musste. Ich wechselte meine Reithose und zog meine geliebten grauen Jogger an, die mich förmlich anlachte. An meinen Beinen zeichnete sich die Naht der Leggings ab. In einem Korb brachte ich alles zum Waschraum und stellte die Maschine ein auf 30 °C.

      Zurück bei Alec und Jace auf dem SMA.

      Jace
      “Ich habe dir sicherlich erzählt, dass ich super gerne auf internationalem Niveau reiten würde, oder?”, begann ich zu erklären.
      “Ja, das hast du schon des Öfteren erwähnt, aber was hat das mit einer Dressurkür zu tun?”, hakte Alec nach.
      “Ja, dazu komme ich ja jetzt. Unsere Gäste haben Sonntag eine Prüfung und mir wurde vorgetragen, dass auch ein Vorstandsmitglied des kanadischen Teams sitzt, anwesend sein wird. Wenn ich mich anstrenge, könnte, dass meine Chance sein.”
      “Ich verstehe, wobei ich dir nicht ganz abnehme, dass das deine einzige Motivation ist. Wen willst du beeindrucken?”, antworte Alec breit grinsend. Er kannte mich wohl einfach zu gut.
      “Niemanden, außer dem Vorstandsmitglied versteht sich”, beteuerte ich.
      “Ist klar”, feixte Alec. Mittlerweile waren wir an den Koppeln angekommen und Gräfin beobachtete mit gespitzten Ohren die anderen Pferde auf der Koppel. Ich öffnete für Alec das Koppeltor, sodass er die Stute hineinführen konnte.
      “Achtung Jace, die Minis”, versuchte Alec mich noch zu warnen, doch da waren die Ponys schon durch das Tor geschlüpft.
      “Machen die das immer?”, fragte ich ein wenig erstaunt und sah den beiden Miniponys hinterher. Alec blieb dabei ganz entspannt und stellte derweil die Warmblutstute auf die Wiese.
      “Ja, kommt schon mal vor. Die beiden haben einfach nur Unsinn im Kopf”, antwortete Alec nur schulterzuckend und schloss das Koppeltor. “Na, dann suchen wir mal die beiden, die sind bestimmt wieder in der Futterkammer.” Ich folgte meinen Kumpel zurück in den Stall, wo die beiden Ponys gerade die Stallgasse herunter trabten.
      “Wofür habt ihr die beiden eigentlich?”, fragte ich, während wir den Ponys folgten. Die beiden erreichen nun langsam das Ende der Stallgasse und wurden langsamer.
      “Na kommt her ihr zwei”, lockte Alec die Stuten. Daraufhin drehten sie sich tatsächlich um und kamen näher.
      “Wir haben sie einfach so. Gerade Magnus hat einen Narren an den beiden gefressen. Er nimmt sie gerne mit zum Ausreiten mit oder so”, erzählte Alec und griff nach dem Halfter der kleinen Fuchsscheckstute, die nun vor ihm stand. Ich griff nach dem Halfter der anderen Stute, die auch so gleich zu schmusen versuchte.
      “Habt ihr schon mal überlegt die beiden zu fahren, dann haben sie vielleicht weniger Unsinn im Kopf”, schlug ich vor und griff nach einem Strick, der vor einer der Boxen hing.
      “Nein, daran habe ich bisher nicht gedachte, aber das wäre sicherlich mal einen Versuch wert. Da wäre nur das Problem, dass sich außer Allister niemand damit auskennt und der ist schon beschäftigt genug mit seinem Tory.”
      “Weißt du was, ich komm nächste Woche mal vorbei und schau mir die beiden mal an, vielleicht kann man mit den beiden ja was anfangen. Aber ich komme nur, wenn du mir dafür bei meiner Kür hilfst.” Auch Alec hatte mittlerweile einen Strick in das Halfter der Ministute eingehängt und so konnten wir zurück zu Koppel gehen.
      “Na gut. Ich helfe dir, aber du wirst allein damit anfangen müssen oder noch ein wenig hierbleiben. Ich habe hier nämlich noch zu tun und du hast doch sicher auch noch ein paar Pferde zu bewegen. Ich kann kaum glauben, dass du schon fertig bist mit der Arbeit”, antwortete Alec mit einem Blick auf die Uhr.
      “Ja, da hast du recht. Ich bin zwar schnell, aber so schnell auch wieder nicht. Also kommst du dann heute Abend vorbei?”, fragte ich und wir stellten die beiden Miniponys wieder auf die Koppel, wo sie direkt davon flitzten.
      “Ja, denke schon, aber ich werde noch mal anrufen und dir Bescheid sagen, wann ich komme. Aber jetzt lass uns doch mal dein kleiner Solist holen”, erinnerte mich Alec wieder an den Grund für mein Kommen. Ich hatte schon ganz vergessen wie entspannt ich in der Gegenwart meines Kumpels war. Manchmal vermisste ich die Zeit in New York, wie wir gemeinsam um die Häuser zogen. Kaum zu glauben, wie man von New York mitten in der Einöde landete.
      “Alec wir sollten uns öfter sehen”, verkündete ich.
      “Wie kommst du denn jetzt da drauf?”, fragte Alec amüsiert.
      “Ich dachte gerade an New York. An die Zeit als wir noch jung waren, also so richtig jung meine ich”, teilte ich meine Gedanken mit ihm.
      “Ja, New York, das waren Zeiten. Aber Jace, du weißt schon, dass du einen Club hier vergeblich suchen wirst, oder?”, scherzte er.
      “Ja, aber ich rede auch nicht vom Feier gehen an sich, mir geht es viel eher um unsere Freundschaft, wir sehen uns viel zu selten.” Mittlerweile waren wir an den Hengstkoppeln angekommen. In etwas Entfernung konnte ich die Pferde grasen sehen. Ich konnte Alec Hengst Chocolate Churro entdecken und gleich daneben graste das Pferd von Magnus. Zwischen Churro und einem kompakten Fuchsschecken stand ein heller, schlaksiger Junghengst. Sein helles Fell glänzte in der Sonne und die zweifarbige Mähne fiel ihm in leichten Wellen über den Hals.
      “Wow, er ist echt groß geworden”, sagte ich staunend zu Alec.
      “Ja, er ist schon fast so groß wie Churro. Und ein unglaublich kluger kleiner Kerl hast du da”, stimmte Alec mir zu.
      “Ich hoffe vor allem, dass er genauso talentiert ist, wie hübsch. Auf ihn wartet eine große Karriere, wenn er mal so weit ist”, sagte ich mir ein wenig Stolz in meiner Stimme zu ihm.
      “Selbst, wenn er nur halb so begabt ist, wie seine Mama hast du ein spitzes Pferd und jetzt hole ihn endlich. So wie ich dich kenne, ist dir nicht einfach so eingefallen ihn jetzt abzuholen, da steckt doch sicher wieder irgendeine von deinen Wetten hinter.” Ein Grinsen trat auf in seinem Gesicht.
      “Sag mal, warst du heute Morgen dabei?”, scherzte ich. “Du hast nämlich recht. Jayden, Lina und Samu sind mir nämlich so sehr damit auf die Nerven gegangen, ich würde Solo verstecken, da habe ich beschlossen ich hole ihn jetzt.”
      “Ahh, ganz der Jace den ich kenne, muss sich ständig beweisen.” Alec lachte herzhaft. “Und jetzt los, hol dein Pferd”, fügte er hinzu und drückte mir ein Halfter in die Hand.
      “Klingt fast so als wolltest du mich loswerden”, erweiterte ich empört ging aber trotzdem mit dem Halfter auf die Pferde zu.
      “Na, Kleiner kennst du mich noch?”, freundlich hielt ich dem Falben die Hand hin. Neugierig schnupperte der Hengst an mir. Nach einer ausgiebigen Inspizierung durch Solist streife ich ihm das Halfter über den Kopf.
      “Mein Gott hast du viel Mähne bekommen”, staunte ich nicht schlecht als Schopf und Mähen auseinander sortierte. Mit dem Junghengst am Strick kehrte ich zu Alec zurück, der bereits am Tor wartete.
      “Mein Gott warum hat er denn auch so viel Mähne, ich glaube die muss ab”, beschwerte ich mich bei ihm.
      “Oh mach das bitte nicht. Die letzte Mähne, die du geschnitten hast, sah einfach nur schlimm aus. Außerdem was machst du denn schon mit ihm, er wird doch sicher wieder auf die Koppel kommen, da kann er seine Mähne doch wohl behalten”, brachte Alec als Einwand.
      “Na gut, da hast du recht, vielleicht sollte ich das lieber lassen”, gab ich zu. Alec hatte irgendwo recht, die letzte Mähne sie ich geschnitten hatte, war nicht allzu ansehnlich gewesen. Auf dem Weg zu Hänger fiel mir wieder die Frage ein, die ich Alec noch stellen wollte: “Sag mal Alec, was ist eigentlich mit Ahvani, macht die auch diesen komischen Tölt wie ihr Vater?”
      “Ja, Ahvani töltet ganz ausgiebig, das macht sie meisten sogar lieber als Trab, aber daran ist doch nichts komisch”, sagte Alec amüsiert.
      “Na, ich weiß nicht. Ich finde diese Gangart äußerst suspekt.” Inzwischen waren wir am Hänger angekommen und Alec war so freundlich die Klappe zu öffnen.
      “Meinst du er wird darauf gehen?”, fragte ich meinen Kumpel als mir einfiel, dass vermutlich niemand das mit ihm geübt hatte.
      “Wirst du doch gleichsehen”, antwortete er nur geheimnisvoll. Langsam führte ich den Falbhengst an die Rampe heran. Brav folgte er mir auch als ich weiterging. Wow, so problemlos hatte ich wohl noch kein einziges Jungpferd verladen.
      “Warum kann er das so gut?”, rief ich Alec aus dem inneren des Hänger entgegen.
      “Na, weil ich das mit ihm geübt habe, du Dummkopf. Mir war schon klar, dass du ihn irgendwann wieder mitnehmen wirst”, antwortete er und verschloss die Stange hinter Solist.
      “Oh cool, kann er denn noch irgendwas?”, fragte ich nach und kletterte wieder aus dem Hänger.
      “Er kann alles, was ein Pferd in seinem Alter können muss und ich muss schon sagen, er ist echt ein kleiner Streber, ganz im Gegensatz zu seinem Besitzer”, triezt er mich.
      “Ey, so schlecht war ich jetzt auch nicht in der Schule”, protestierte ich.
      “Ja, in ausgewählten Fächer warst du gut, stimmt.” ich schloss die Hängerklappe und sah dann noch einmal nach Solist. Er stand ruhig im Hänger und knabberte an seinem Heunetz.
      “Na, wenn du so charmant heute bist, freue ich mich ja so richtig dich heute Abend noch einmal zu sehen”, erweiterte ich seine Sticheleien. “Also dann mach ich mich mal auf den Weg”, verabschiedete ich mich und umarmte meinen Kumpel freundschaftlich. “Wir sehen uns dann heute Abend”, verabschiedete auch Alec sich. Ich stieg in mein Auto und mit Solist im Hänger machte ich mich auf den Rückweg.
      Nach 1 ½ Stunden fahrt, auf denen sich Solist ausgezeichnet benommen hat, ist Jace auch wieder auf dem WHC angekommen.

      Lina
      Ich hatte gerade Divine nach dem Training wieder auf die Koppel gebracht und entdeckte Samu im Innenhof, der sich dort wohl gerade für eine Pause niedergelassen hatte.
      “Ist das etwas eine kalte Wasserflasche, die du dahast?”, fragte ich und setzte mich dazu.
      “Ja ist es und mich beschleicht das Gefühl, das du die gerne haben möchtest. Ich habe das Gefühl heute hast du es eindeutig auf meine Getränke abgesehen”, scherzte er und reichte mir die Flasche. Gierig nahm ich einen großen Schluck. Bei den Temperaturen, die heute schon wieder herrschen, war ein kaltes Getränk Gold Wert.
      “Eigentlich ist mir das egal wem das Getränk gehört, Hauptsache es ist kalt”, antwortete ich ihm, als mein erster Durst gestillt war. Ein Motorengeräusch ließ mich aufhorchen.
      “Ach, schau mal wer auch wieder auftaucht. Was glaubst du, hat er sein Pferd auch wirklich dabei?”, scherzte Samu sogleich. Seine Frage beantworte sich praktisch von selbst, denn aus dem Anhänger kam ein aufgeregtes Wiehern, welches auch gleich für irgendwo beantwortet wurde.
      “Ich glaube, das heißt ja”, antwortete ich lachend. Es dauerte noch einen kurzen Moment bis der Motor ausging und sich die Tür des Autos öffnete.
      “Es ist immer noch so warm hier draußen”, beschwerte sich Jace, während er ausstieg.
      “Na, das ist mal wieder typisch. Kaum angekommen schon gibt es Beschwerden”, kommentierte ich.
      “Ah, was ein großartiges Empfangskomitee, das geht aber netter. Was macht ihr zwei eigentlich da, müsst ihr nicht Arbeiten oder so?”, fragte Jace.
      “Im Gegensatz zu dir haben wir schon gearbeitet, du hast immerhin ziemlich lange gebraucht”, beantworte Samu seine Frage.
      “Ja, ich musste noch bestaunen, was Alec aus dem Hof gemacht hat. Das sieht doch immerhin aus wie einen komplett neuen Hof”, berichtete Jace von seinem Ausflug.
      “Aber jetzt zeig uns doch mal endlich dein Pferd, oder hast du das doch dagelassen”, forderte ich ihn neugierig auf.
      “Nein, natürlich habe ich ihn nicht dagelassen. Schaut!”, antworte Jace und öffnete die kleine Tür am Hänger. Neugierig schaute dort ein heller Kopf mit einer hübschen Blesse heraus.
      “Ihr kennt ihn ja bereits, auch wenn er noch deutlich kleiner war als er das letzte Mal hier war. Aber einer von euch beiden könnte sich dann jetzt mal nützlich machen und mir beim Ausladen helfen”, rief er uns zu.
      “Ah, bei einem so hübschen Kerlchen helfe ich doch gerne”, rief ich begeistert und stand auf.
      “Dann klettre mal rein”, forderte Jace mich auf und reicht mir seine Hand, damit ich leichter hineinsteigen konnte.
      “Danke”, sagte ich und ließ mir von ihm in den Hänger helfen. Im Hänger kam mir auch gleich eine neugierige Schnauze entgegen. Natürlich fand diese Schnauze auch direkt die Hosentasche mit den Leckerlis. “Tervetuloa takaisin Solist”, sprach ich zu dem Falbhengst und steckte ihm ein Leckerbissen in die Schnauze. Zwischenzeitlich hatte Jace nun auch die Hängerklappe geöffnet.
      “Lina, wenn du so weit bist, könnt ihr zwei aussteigen”, reif Jace mir von draußen zu. Mit einem sanften Zug löste ich den Strick, mit dem der Hengst angebunden war.
      “Na, dann wollen wir mal aussteigen, hübscher.” Langsam ließ ich den Hengst ein paar Schritte rückwärts treten und schlüpfte unter der vorderen Stange hindurch. Brav ging das junge Pferd Schritt für Schritt die Rampe hinunter, bis er schließlich auf dem Hof stand. “Braaav”, lobte ich den Falben und klopfte ihm den Hals.
      “Der kleine ist definitiv echt hübsch geworden”, sagte Samu anerkennend, der inzwischen auch neben dem Hänger stand. Ich betrachtete den Hengst, der neben mir stand und neugierig die Umgebung beobachtete. Obwohl er jetzt erst ungefähr 1 ½ Jahre alt sein müsste, war er schon recht groß. Sein helles Fell glänzte in der Sonne und die Mähne lag im lang auf dem Hals.
      “Also bei der Mama ist das auch kein Wunder, der, na ja nun mehr nicht mehr so, kleine war schon immer hübsch”, fügte ich zu Samu Kommentar hinzu.
      “Danke für deine Hilfe”, bedanke sich Jace und nahm mir den Führstrick aus der Hand. “Meint ihr, der Platz ist frei? Dann kann der Kleine sich erst einmal ein wenig austoben”, fragte Jace und strich Solist über die Mähne.
      “Keine Ahnung. Da wirst du nachsehen müssen”, antworte Samu schulterzuckend. Schritte kamen näher zu uns und drehte mich um. Niklas stand da mit einer Kochschürze und im ersten Moment sah es aus, als trüge er nichts darunter. Jedoch unpassender Weise Reitstiefel dazu.
      “Hej ihr drei, Hunger?”, fragte er freundlich.
      “Wo du es so erwähnst, ja! Was gibt es denn?”, antworte Samu. An seinem lächeln konnte ich erkennen, dass er Niklas Outfit offenbar ziemlich lustig fand.
      “Einen kalten Kartoffelsalat mit warmem Reh dazu. Es genug für euch alle da”, lud er uns ein. Wie Niklas so beschrieb, was er gekocht hatte, begann sich mein Bauch zu melden. “Oh, das klingt unheimlich lecker. Da bekomme ich gleich richtig Hunger”, sagte ich begeistert.
      “Wir haben alles aufgebaut und warten auf euch. Normalerweise hätte ich es mit Elch oder Rentier gemacht und noch Camembert hinzugefügt, also experimentell heute”, erzählte Niklas offen weiter und schien wie ausgewechselt. Ohne auf eine Antwort zu warten, lief er zurück. Bis auf eine Unterhose trug er wirklich nichts unter der Schürze. Während Niklas davon schlenderte, faselte er weiter, schien nicht zu erwarten, dass jemand zuhörte.
      “Was ist denn bitte mit dem los? Hat der irgendwie zu viel Sonne abgekriegt?”, murmelte Jace verständnislos vor sich und sah Niklas mit einem irritierten Blick hinterher.
      “Keine Ahnung, ich weiß nur, dass du dein Pferd da jetzt bald bewegen solltest, weil ich jetzt sonst gleich verhungere”, antwortete ich Jace.
      “So hungrig kannst du ja noch nicht sein, wenn du noch so wissbegierig auf das Pferd sein kannst”, stichelte Samu. Allerdings wusste ich, dass er mindestens genauso neugierig war wie ich. Jace hatte sich tatsächlich schon in Bewegung gesetzt. Auch wenn Solist noch ein wenig schlaksig war, ließ sich bereits eine gewisse Anmut in seinem Gang erkennen. Der Reitplatz war tatsächlich leer, was sicherlich auch der Mittagshitze zu verdanken war. Kaum hatte Jace den Hengst freigelassen, trabte er auch schon los. Solist trabe erst eine Runde in einem eindrucksvollen Trab am Zaun entlang, selten hatte ich ein Pferd seine Füße so hochheben sehen.
      “Die Füße bekommt er schon mal hoch, wobei das ziemlich lustig aussieht”, merkte Samu an. Kurz blieb Solist vor dem kleinen Zäunchen, welches das Dressurviereck abgrenzte, stehen, um kurz darauf einen riesigen Satz darüberzumachen.
      “Was geht denn hier ab? Und warum wurde ich nicht eingeladen?”, kam Milena an und wackelte aktiv zu uns. Sie führte sich, als gehöre sie zu uns.
      “Die zwei da bewundern meinen kleinen Solist”, brüste Jace sich sogleich, wobei er das meinen besonders betonte.
      “Na da macht er sich seinen Namen zumindest allen Ehren und passt auch ziemlich gut zu dir”, antwortete sie und stellte sich zu uns.
      “Danke dir, er war auch schon als Fohlen immer so, dass er alle Aufmerksamkeit auf sich zog, deshalb habe ich ihn ausgewählt”, erklärte er Milena stolz. Jace genoss die Aufmerksamkeit, die ihm und seinem Pferd zuteilwurde, sichtlich. Solist galoppierte ein paar Meter, bevor er wieder langsamer wurde. Mit der Nase auf dem Boden lief er im Schritt über den Sand und schien eine geeignete Stelle zu suchen, um sich zu wälzen. Scheinbar wurde er nicht fündig, denn statt sich auf den Boden zu werfen, kam er zu uns an den Zaun.
      “Na dann beeilt euch mal mit dem Hübschen, Niklas wartet sicher nicht ewig auf uns”, verabschiedete sie sich und verschwand ebenfalls.
      “Ich für meinen Teil habe genug gesehen, ich habe jetzt Hunger”, verkündete ich und wandte mich auch zum Gehen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Samu mir folgte.
      “Dann geht ihr zwei schon mal vor. Ich bringe ihn hier noch weg und komme dann auch”, rief uns Jace noch hinterher.

      Niklas
      “Und wie genau kamst du an diese Zutaten? Im Kühlschrank hatten wir nichts mehr oder überhaupt irgendjemand”, erkundigte sich Ju, der sich dazu entschloss wieder netter zu sein. Eine Entschuldigung verließ seinen Mund bisher nicht, was man ihm schwerlich verdenken konnte. In all den Jahren gab es mehrere Streite, die ich an der Hand abzählen könnte, doch dass er nicht einmal seinen Standpunkt darlegte, war neu für mich. Umso mehr freute ich mich, dass Ju wieder gut auf mich zu sprechen war.
      “Lätt. Jag red med Smoothie till affären och köpte allt som behövdes”, erklärte ich ihm und briet die klein geschnittenen Rehschenkelstücken in der Pfanne an. Zustimmend nickte Ju. Einige Minuten später brachte er alles Wichtige zur befestigten Feuerstelle, an der wir sonst auch immer saßen.
      ”Har du inte övat dressyr?”, fragte Ju, als er wieder hineintrat.
      ”Självklart”, antworte ich konzentriert. Die letzte Portion brutzelte noch. Es benötigte ein gewisses Gefühl, damit es von allen Seiten gleichmäßig gebraten war, ohne zäh zu werden oder verkohlt zu sein. Normalerweise gab es zu Hause Wild nur, wenn ich mit Vater jagen war. In Kanada wäre es mir zu kompliziert die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um ein Reh zu schießen. Im Laden fand ich in der Fleischtheke etwas und nun können Teil daran haben.
      Ju holte den mittlerweile kalten Salat aus dem Kühlschrank und ich zog mir ein anderes Outfit an. Während ich meine Sachen durch sah, entschied ich noch unter die Dusche zu hüpfen. Obwohl es seit Tagen ziemlich warm war, erschien es heute besonders unerträglich zu sein, weswegen ich das Wasser aus dem Duschkopf genoss. Schritte näherten sich, als ich mir ein Shirt überwarf.
      “Kom nu”, scheuchte mich Chris auf. Ich nickte und folgte ihm. Am Tisch hatten sich wirklich viele Leute versammelt.
      “Jag går till Lina”, flüsterte ich ihm zu. Sein allseits bekanntes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus und er ging zu Ju, der mit Linh und Milena an einem Tisch saß. Mein Herz pochte, als ich zu Lina schaute. Samu saß bei ihr und Jace hatten sie offenbar auf der kurzen Strecke verloren, mein Glück. Obwohl ich mir alle Mühe gab, ihm das Leben nicht noch schwerer zu machen, doch ich spürte die negative Energie, die er ausstrahlte, wenn ich dazu kam. Beiden sahen so aus, als könnten sie ein Kaffee gebrauchen.
      “Ska jag göra en espresso?”, fragte ich freundlich und stellte mich zu ihnen.
      “Ja da ich für ein Nickerchen wohl nicht die Zeit habe, wäre so ein wenig Koffein sicher ganz gut”, antworte Lina auf meine Frage.
      “Das du noch mal zu Kaffeetrinker wirst, hätte ich nicht gedacht”, scherzte Samu. “Ich würde auch einen nehmen”, schloss er sich dann Linas Antwort an.
      “So viel noch zu tun heute? Ich könnte da helfen. Aber dann gehe ich mal für jeden eine Tasse holen”, sagte ich und verschwand. Eine Antwort bekam ich ist erst einige Minuten später, als ich die kleinen Heißgetränke brachte. Dann setzte ich mich dazu. Das große Fressen eröffnete ich kurz und bündig.
      “Naja an der Menge bin ich zu einem gewissen Teil selbst schuld, eigentlich ist Ivy schon bewegt, aber ich wollte mit ihm noch mal zu Fluss runter, weil er so gerne badet und dann muss ich noch Nathy bewegen und die Koppeln muss ich auch noch abäppeln. Wenn du helfen willst, gerne, aber musst du nicht, es gibt sicherlich spannenderes als das”, erklärte Lina.
      “Ach, nicht alles muss spannend sein, aber du reichst mir vollkommen”, schmunzelte ich und schob mir eine Gabel voll mit Salat in den Mund. Dann fragte ich: “Macht ihr nachher mit beim Springen auf dem Geländeplatz?”
      Da Lina gerade noch kaute, antwortete Samu zuerst: “Ja, man hat schließlich nicht alle Tage so geniale Trainer wie eure zu Gast.”
      “Zum Glück muss das Pferd springen und nicht ich, das sollte ich gerade noch so schaffen, denke ich. Das ist übrigens echt lecker, könnte ich mich dran gewöhnen”, antwortete dann auch Lina und steckte sich gleich eine weitere Gabel Salat in den Mund.
      “Freut euch nicht zu früh, heute werde ich auch mit als Trainer zur Verfügung. Und gewöhne dich lieber nicht dran. Du könntest natürlich auch mit bei uns wohnen, aber ich glaube nicht, dass Vater darüber so erfreut wäre und entspannt, wäre es sicher auch nicht”, sagte ich zu ihr freute mich über das Kompliment.
      “Wer weiß, vielleicht lernt es sich von dir noch viel besser”, sagte sie lächelnd. “Ich vermute mal, die wenigsten Väter wäre da so begeistert. Vielleicht auch besser, wenn ich mich nicht an so leckeres Zeug gewöhne, sonst kann ich mich nicht mehr allein ernähren”, schob sie noch ein.
      “Ach doch, Chris oder Ju sein Vater würden sich freuen, wenn plötzlich eine nette und hübsche junge Dame einzieht. Aber solang man Vater keine ordentlichen Abstammungspapiere nachweisen kann, wird es ohnehin schwierig”, lachte ich und freute mich über die Anspielung.
      “Na, wenn das so ist, solltest du wohl eher mein Pferd mitnehmen”, scherzte sie munter.
      “Lieber nicht, der hat zu viel gekostet, um auf dem Teller zu landen. Aber jetzt Spaß beiseite, wir müssen heute Abend noch etwas besprechen”, erklärte ich Lina zunehmend ernster.
      “Okay”, antwortete sie irritiert. “Sollte ich mir deshalb Sorgen machen?”
      “Ich denke über ein Kind nach und brauche deine Hilfe nachher”, brachte ich beide zur Kenntnis, denn alles wollte ich nicht direkt verraten.
      Samu blickte ein wenig verwirrt zwischen uns beiden her und man konnte förmlich die Fragezeichen über seinem Kopf schweben sehen.
      “Sanoiko hän lapsi?”, fragte er Lina und der Ausdruck in seinem Gesicht wechselte von verwirrt zu besorgt und wieder zu verwirrt.
      “Kyllä, ja ennen kuin kysyt, en tiedä, myös mistä hän puhuu, Mutta saan pian tietää”, antworte Lina ihm. Ihre Antwort schien ihn nicht wirklich zu beruhigen, denn statt verwirrt sah er nun ein wenig misstrauisch aus.
      “Mein Pferd soll Mutter werden, nicht Lina”, klärte ich ihn auf. Was dachte er nur von mir? Wenn es anderes wäre, würde ich das vor allem nicht vor ihm mit ihr besprechen wollen.
      “Dann ist doch gut”, entgegnete er, aber das Misstrauen war offensichtlich noch nicht ganz verschwunden denn er aß nur zögerlich seinen Salat weiter.
      Lina hingegen schien viel mehr begeistert: “Für Pferdekinder bin ich immer zu haben, vor allem wenn sie dann auch noch so eine hübsche Mama haben sollen.”
      “Dazu aber erst später mehr, Ju will sicher nicht allein sauber machen”, erklärte ich ihr und nahm ihre Teller mit.

      Bis auf Vriska, erfreuten sich alle am Essen und eine Siesta abhielten. Sie saß allein im Zimmer, dachte über Zukunft nach und verfiel erneut in einen Teufelskreis des Selbstmitleids. Auch die Gefühlsachterbahn mit Niklas machte ihr deutlich mehr zu schaffen, als sie sich erhoffte. Er verschwendete bei der Arbeit mit Lina keinen Gedanken an Vriska, denn ganz das Gegenteil. Durch die große innerliche Wunde, die sie wieder aufriss, verlor er den Glauben an sie und widmete sich einer weniger toxischen Person. Der frühe Abend setzte ein, die Temperaturen wurden niedriger und die meisten bereiteten sich auf das Springen auf dem Geländeplatz vor. Niklas wurde als zusätzlicher Trainer herangezogen, da er kein Pferd zur Verfügung hatte. Feste Gruppen wurden nicht eingeteilt, stattdessen konnte jeder kommen und gehen, wie er wollte. Lina, Samu und Jayden ritten ihre Pferde bereits warm. Die wenigen vom Team machten ihre Pferde noch fertig.

      Vriska
      “Ich bin wirklich erstaunt, dass du bei dem Training mit machst”, lobte mich Chris, der seinen Wallach bereits fertig hatte. Ich für meinen Teil kämpfte noch immer mit den Gamaschen, die eigentlich sehr simpel zu befestigen waren. Ungeduldig riss der große Typ sie aus meiner Hand und machte die Gamaschen an den Beinen meines Hengstes fest.
      „So gute Gamaschen und du schaffst es nicht, sie an deinem Pferd zu befestigen.“ Chris klang genervt, drückte mir meinen Helm in die Hand und verließ den Stall.
      “Danke?” Vermutlich wäre das die einzig angebrachte Antwort und wir liefen zum Platz. Glymur trottete müde neben mir her, denn das Training in der Dressur hatte uns beiden ziemlich viel Kraft gekostet. Die Entscheidung heute noch zu springen, traf ich vermutlich unterbewusst, denn als ich Lina mit Niklas so beschäftigt betrachtete, wurde es mir wacklig um die Beine.
      “Benötigst du Hilfe, oder schaffst du es allein?”, bot Chris mir an, als ich den Sattel festzog. Ich verneinte und stieg selbstständig auf mein Pferd auf. Jenni hätte ich dich heute anrufen sollen, dachte ich im Stillen, während Glymur im Schritt entspannt seinen Kopf senkte und schnaubte. Vielleicht war ich wieder mal sehr voreilig in meinen Entscheidungen, genau wie mein Umzug vor einigen Jahren zu Eva, meiner Tante. Tief in mir sehnte ich mich nach der alten Zeit in Deutschland und der Freiheit, die ich damals genoss. Der Tag lief geregelter ab und die Vorfreude am Nachmittag mit dem Fahrrad zu fahren, fühlte sich besser an, als am Morgen früh aufzustehen und an nichts anderes zu denken als ‚Wann beginnt das Frühstück und wann kann ich endlich mal sitzen‘. Es fehlte mir, dass meine Familie wollte, dass etwas aus mir wird und ich mir Gedanken darüber machen sollte, was ich studieren will oder doch lieber eine Ausbildung. Schlussendlich endete es mit einem abgesprochenen Physikstudium und einer miserablen Ausbildung zum Pferdewirt ohne wahrhaftigen Perspektiven.
      “Vriska, hörst du mir überhaupt zu?”, ermahnte mich Frau Wallin. An ihrem Ton entnahm ich, dass schon mehrfach versuchte mit mir zu kommunizieren.
      “Jetzt, ja”, antwortete ich verwirrt und prüfte meinen Sitz, mit dem gleichsam alles stimmte.
      “Du sollst dich mehr auf dein Pferd konzentrieren und nicht in den Gedanken verlieren”, erinnert sie mich. Glymur stolperte derweil fröhlich vor sich hin. Sein Kopf streckte er zum Boden wurde immer schneller, bis ich ihn langsam zurückholte und mit einigen Übungen mehr auf die Hinterhand brachte. Ich schaffte es jedoch nicht einen klaren Gedanken zu fassen und klammerte mich an alten Zeiten fest, die lange zurücklagen und keinen großen Einfluss mehr haben können auf die Zukunft.
      Mein Pony hatte ich genügend aufgewärmt, um den ersten Sprung in Angriff zu nehmen. Die Steigbügel kürzte ich mithilfe meiner Trainerin und galoppierte Glymur auf der rechten Hand auf dem Zirkel an. Vor uns lag ein Baumstamm, den ich auf der Geraden ansteuerte und sprang. Ich merkte, dass sich mein Körper zu früh aus dem Sattel erhob, doch mein Hengst entschied selbstständig später abzuspringen und bei der Landung plumpste ich unsanft in den Sattel.
      „Wenn du so weiter machst, hat dein Pferd bald keinen Rücken mehr“, ermahnte mich Niklas direkt, der mehrere Meter entfernt stand. Genervt schnaufte, ich trabte mit Glymur weiter. Auf einem Zirkel galoppierte ich erneut an und wiederholte den Sprung. Diesmal konzentrierte ich mich besser, sowohl Absprung als auch die Landung waren leichter und koordiniert. Wen wollte ich etwas beweisen? Mir oder Niklas? Egal, zufrieden galoppierte weiter und wechselte mit einem einfachen Galoppwechsel die Hand. Ich blickte fokussiert zum Trapez, das sicher einen Meter hoch war. Glymur wurde schneller und kurz vor dem Hindernis regulierte ich sein Tempo, um ihn besser zu kontrollieren. Gezielt sprang er hab und ich schloss meine Augen, denn sollte ich wieder einmal fallen, würde ich es nicht mitbekommen. So mein Gedanke, doch wir landeten grazil am Boden und galoppierten weiter. Erfreut klopfte ich seinen Hals und parierte einige Meter weiter in den Schritt durch.
      “Offenbar verstehst du nur, wenn man dich beleidigt”, grinste Niklas schelmisch. Ich freute mich, dass er wieder mit mir sprach, doch Lina schien es nicht zu gefallen. Stechende Blicke warf sie mir zu, als sie mit Nathy über den Zaun mit Busch sprang. Die Tage hinwegwuchsen sie extrem gut zusammen und von Stunde zu Stunde verbesserte Lina sich im Sattel. Was anfangs beim Springen noch sehr gezwungen wirkte, machte sie nun wie aus dem Handgelenk. Statt ihm eine Antwort zu geben, schaute ich immer wieder zur Einfahrt, die man vom Platz aus gut im Blick hatte.
      „Da gibt es doch nichts Spannendes zu sehen“, kam Ju angeritten.
      „Doch, einen Weg“, sagte ich knapp und richtete meinen Kopf wieder auf den Platz. Es ich Niklas Stimme wieder vernahm, rollte ich mit den Augen, auch wenn es nicht an mich gerichtet war.
      „Du tust gerade zu, als wäre es der schlechteste Mensch auf der Welt“, kommentierte es Ju und ritt weiter im Schritt neben mir.
      „Und du tust so, als wäre plötzlich alles in Ordnung“, rollte ich wieder mit den Augen und trabte mit Glymur davon. Es fehlte mir gerade noch, dass er mit der Moralkeule um sich schwang, nur weil wir vorhin uns aussprachen.
      „Was denn mit ihr los?“, hörte ich Chris fragen.
      „Die bekommt bestimmt ihre Tage“, stempelte Ju mich ab und trabte Amy an. Für mich waren damit die Typen das letzte, was ich sehen und hören wollte. Im Galopp entfernte ich mich deutlich von der Gruppe, denn der Geländeplatz war weitläufig und brachte mir den nötigen Abstand. Abstand, den ich gerade gut gebrauchen konnte, um den Kopf freizubekommen. Im gestreckten Galopp trieb ich meinen Hengst voran, der auch gefallen daran fand, die letzte vorhandene Kraft herauszulassen. Ich fühlte mich frei und nichts vernebelte mir mehr den Kopf. Der warme Wind umschloss uns und ließen alles hinter uns. Nach einer Weile erreichten wir das Ende des Platzes, was durch einen sehr großen Zaun deutlich wurde. Es befand sich eine Art Tor in ihm, das mit Litze geschlossen war. Dort entlang mussten sich noch weitere Sprünge befinden, die ich jedoch nicht entdecken wollte. Ohne Aufsicht der Trainer wollte ich mich nicht auf die Reise machen, noch nach dem Unfall.
      „Hier sind wir ungestört“, sagte ich zu meinem Hengst, der schnell atmete und gierig am Gras zupfte.
      „Einerseits hoffe ich, dass er es heute nicht mehr schafft“, begann ich meine Gedanken laut auszusprechen.
      „Andererseits bleibt nicht mehr viel Zeit in Kanada und wer weiß, vielleicht ist er genau das, was ich benötige, um Abstand von dem ganzen zu bekommen“, erzählte ich meinem Pferd, dass noch immer seinen Kopf im Gras hatte.

      Samu
      Sally sprang heute konzentriert und war mal wieder mit viel Freude dabei. Jace, der mit Alec und ein paar anderen Menschen am Zaun stand, sah mäßig begeistert aus. Offenbar fand er die Tatsache, dass Niklas heute den Trainer machte, nicht wirklich gut, vor allem Linas Anwesenheit auf dem Platz spielt dabei sicher eine Rolle. Da Alec da war, muss man sich immerhin keine Sorgen darüber machen, dass Jace irgendwelche Dummheiten anstellen würde. Ich für meinen Teil bin mir noch nicht so ganz sicher was ich von Niklas halten soll. Lina hatte heute Nachmittag ziemlich glücklich ausgesehen, obwohl sie bei sengender Hitze die Koppel abäppelten. Das freut mich auch für sie, aber Niklas Stimmungen schienen gefühlt jeden Tag zu ändern und ich bin mir nicht sicher, wohin das noch führen wird.
      Doch statt weiter darüber nachzudenken, konzentrierte ich mich lieber wieder auf meine Stute. Mit recht hohem Tempo überwand ich die Distanz zu dem Sprung, bevor ich die Fuchsstute zurücknahm. Vor uns lagen mehrere Stufen, die es hinaufzuspringen galt. Aufmerksam sah die Stute in die Richtung des Hindernisses, bevor sie absprang. Der erste Sprung war ein wenig zu weit, weshalb wir bei der zweiten Stufe ein wenig knapp waren, doch Sally schaffte dies auszugleichen. In einem leichten Galopp ritt auf Wall bis zum Ende, bevor ich hinunter trabte. Im Vorbereiten bekam ich ein paar Gesprächsfetzen, des Gespräches zwischen Ju und Vriska mit und es schien kein sonderlich harmonisches Gespräch zu sein. Diese Vermutung bestätigte sich, als Vriska zum anderen Ende des Platzes galoppierte. Ich beschloss ich unauffällig zu folgen, denn irgendwie hatte ich im Gefühl, dass sie jemanden zu reden gebrauchen könnte. Sprung für Sprung näherte ich mich dem anderen Platzende. Sobald ich Vriska und ihrem Pferd näherkam, ließ ich Selection langsamer werden.
      “Hey, was machst du denn ganz allein hier hinten. Alles Okay?”, fragte ich und ließ meine Stute neben dem Isländer stehen bleiben.
      “Eigentlich die Ruhe genießen, aber es ist okay, wenn du hier sein möchtest”, antwortete sie abwesend und strich ihrem Pferd weiter über die Mähne. Einen Moment lang beobachtete ich sie dabei, bevor ich weitersprach: “Ruhe vor denen da vorne? Die scheinen dir das Leben ja nicht gerade einfach machen zu wollen.”
      “Ich werde dazu einen großen Teil mit beitragen, aber ich weiß auch nicht so genau, was mit mir nicht stimmt. Das verwirrt mich alles und dann noch so viele Gefühle auf einmal. Ich trage das nicht”, murmelte sie.
      “Was verwirrt dich, möchtest du darüber reden?”, fragte ich freundlich. Sally schnaubte und begann Gras zu zupfen. Vriska dachte mehrere Minuten nach, bevor sie antwortete.
      “Ich dachte, dass ich ein anderer Mensch werde, wenn ich mit jemandem Schlafe und mich dann irgendwie besser fühle. Vermutlich war die Wahl, die erste Möglichkeit zu nutzen, aber auch nicht beste. Doch jetzt ist alles so kompliziert, ich musste mich so vielen schon erklären und eigentlich will ich nur nicht mehr einsam sein. Und dann ist da noch der Typ, mit dem es irgendwie so unverhofft gut anfängt, dass irgendwas nicht stimmen kann”, erklärte sie schließlich und eine Träne lief die Wange herunter. Ich verspürte sofort das Bedürfnis von meinem Pferd zu steigen und sie in den Arm zu nehmen, so traurig und verloren, wie sie gerade aussah. Ich versuchte meine Worte mit bedacht zu wählen, denn nur ungern wollte ich sie noch trauriger machen, als sie ohnehin schon war. “Weißt du ein anderer Mensch wird man nicht einfach so über Nacht, das ist ein Prozess, eine Entwicklung. Dein erster Schritt mag vielleicht nicht der Beste gewesen sein, aber du hast es jetzt in der Hand was du daraus machst. Und auf dem Gebiet Typen bin ich zwar kein Experte, aber ich finde, du solltest mit ihm reden, sieh, wohin es dich führt.”
      Vriska zögerte und betrachtete das Geschehen am Horizont. Die Leere in Augen füllte sich langsam wieder mit Leben. Lächelnd wischte sie die Tränen aus dem Gesicht und begann zu lachen, vollkommen grundlos, zumindest sah ich keinen.
      “Du hast recht, ich hoffe, er schafft es heute Abend. Hier mitten im Nirgendwo ist man schließlich so was wie gefangen”, sie schmunzelte noch immer und gab mir ein Handzeichen im Schritt wieder loszureiten. Ich musste Sally ein wenig zurückhalten, doch nach ein paar Metern passte sie sich dem Tempo des Isländers an.
      “Ja, da hast du recht. Aber manchmal hat das Nirgendwo auch seine Vorteile, hier gibt es wenigstens sehr viel Ruhe”, antwortete ich. ”Ich bin mir sicher, dein Typ wird es schaffen”, fügte ich zuversichtlich hinzu.
      “Danke für deine Zuversicht. Ich mache mir vermutlich wieder viel zu viele Gedanken, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass das was werden könnte. So vom ersten Moment an fühlte ich was, weißt du was ich meine?”, schwärmte sie.
      “Ja, ich verstehe, was du meinst”, antworte ich und strich meiner Stute über den Hals.
      “Wer zuerst wieder bei den Anderen ist?”, fragte Vriska herausfordernd und galoppierte den Kleinen an.
      “Na, dann zeig mal was dein Kleiner darauf hat”, reif ich ihr zu. Ich brauchte Sally nur den Zügel vorgeben und schon sprang die Fuchsstute an. Mit wenigen großen Galoppsprüngen war sie auf einer Höhe mit dem Isländer. Für ein Pferd mit so kurzen Beinen war er ziemlich schnell und er schien sogar noch einmal ein wenig an Geschwindigkeit zuzulegen, dennoch reichte es nicht ganz aus, um mit der Hannoveranerstute mitzuhalten, denn sie kam knapp eine halbe Pferdelänge nach mir bei den anderen an.
      “Respekt, dein Pferdchen hat ganz schön viel Power dafür, dass es so klein ist”, sagte ich anerkennend zu ihr, als sie Glymur neben mir durch parierte.
      “Er ist schon müde und wird sicher gern in sein Bettchen sein”, lachte Vriska außer Atmen und ließ die Zügel locker. Auch der Hengst schnaubte ab und biss mehrfach nach einem Grashalm am Boden.
      “Dann lass uns die beiden wegbringen, die Maus hier hat für heute auch genug getan”, schlug ich vor. Selection schnaubte, wie als wolle sie meine Aussage unterstützen. Vriska nickte nur und begann ihren Hengst abzureiten. Obwohl es inzwischen kühler geworden war, zeichnete sich dennoch ein dunkler Rand unter der Schabracke ab. Ich trieb Sally an und ließ sie am langen Zügeln noch ein wenig um den Platz laufen. Lina war immer noch am Trainieren und so langsam ließ Nathalies Ausdauer sichtbar nach.
      “Lina …”, rief ihr zu, was tatsächlich bewirke, dass sie ihr Pferd durch parierte. Ich ließ Sally bis zu ihr traben und ließ sie neben der Scheckstute wieder in den Schritt fallen.
      “Ist was Samu?”, fragte sie.
      “Du denkst schon daran, dass dein Pferd nicht unendlich viel Energie hat, oder?” wies ich sie indirekt darauf hin, dass sie so langsam zum Ende kommen sollte.
      “Ja, daran denke ich. Ich wollte nur noch den Sprung da ein letztes Mal wiederholen und dann bin ich auch fertig”, erklärte sie mir.
      “Nein Lina. Samu hat recht. Das reicht für heute. Du musst mich nicht weiter beeindrucken, ich sehe schon, dass ihr beide es darauf habt”, mischte sich nun auch Niklas ein.
      “Okay, okay. Hast du gehört Nathy, der Chef hat gesagt wir sind fertig. Hast du gut gemacht, Süße”, sagte sie zu ihrer Stute, ließ die Zügel länger und klopfte der Stute den Hals. Sofort schüttelte Nathalie den Kopf und schnaubte.
      “Ziemlich motiviert heute. Ist heute irgendwie gute Laune Tag?”, fragte ich schmunzelnd.
      “Möglich, vielleicht habe ich auch einfach gelernt, wie man Fotosynthese betreibt, so wie du”, antwortete sie verschmitzt.
      „So jetzt verratet mir aber mal bitte, was ihr da hinten getrieben habt“, kam Chris mit seinem Wallach neugierig an. Vriska ritt uns noch immer stillschweigend nach.
      “Genau das, was wir hier auch gerade tun. Wir haben eine Unterhaltung geführt”, beantwortete ich die Frage.
      “Na dann wird dich sicher nicht interessieren, dass gerade jemand für dich gekommen ist Vriska”, wand er lächelnd ein und zeigte nach drüben zum Zaun. Verwirrt schaute sie sich um, aber blieb mit ihrem Pferd bei uns. Auch mein Blick ging, in die Richtung in die Chris deutete. Tatsächlich stand dort ein junger Mann, den ich hier schon einmal gesehen hatte. Es war der Botschafter, der vor fast einer Woche hier gewesen war. Offensichtlich war das also der Besuch den Vriska noch erwartete.
      “Möchtest du deinen Besuch nicht begrüßen?”, fragte ich Vriska freundlich.
      “Ich weiß nicht, was ich sagen soll, also versuche ich es zufällig wirken zu lassen”, sagte sie unsicher.
      “Du solltest nicht so viel darüber nachdenken, dir wird schon das richtige einfallen”, versuchte ich ihr Zuspruch zu geben.
      “Letztes Mal wurde es schon komisch, deswegen verstecke ich mich noch zwischen euch”, duckte Vriska und drängte sich mit ihrem Pferd zwischen Lina und mich.
      “Du kannst dich gerne noch länger verstecken, aber ich glaube Erik ist klug genug, um zu wissen, dass Pferde keine 8 Beine haben, also wird dein Plan vermutlich nicht funktionieren. Aber wenn es dich beruhigt, wenn es wieder komisch werden sollte, schicke ich dir Samu als Rettung vorbei”, trug nun Lina zu dem Gespräch bei.
      “Nett, dass ich auch gefragt werde, aber wenn ich damit helfen kann, mach ich das gerne. Aber ich glaube, dass du das gar nicht nötig haben wirst, gerettet zu werden”, sagte ich zu ihr.
      “Aber ich sehe schrecklich aus und nach Pferd rieche ich auch, so geht das nicht”, antwortete Vriska noch nervöser und biss auf ihrer Unterlippe herum. Glymur schlug ebenfalls mit seinem Kopf.
      “Dieser Zustand lässt sich ändern. Das Problem liegt nur darin, dass du dann trotzdem vom Reitplatz runtermusst”, meldete sich Lina wieder zu Wort.

      Vriska
      Wieso war er schon hier und warum waren Lina und Samu so nett zu mir, obwohl ich mir nicht mal Mühe gab mein Verhalten zu bessern? Den beiden müsste ich dringend eins unserer Pferde überreichen – Friedensnobelpreis. Aber das ging gerade nicht. Meine Gedanken waren so wirr wie mein Verhalten, aber Chris holte mich zurück.
      „Wollen wir dann zu Stall?“, sagte er und stieg ab von Hammy. Ich nickte und stieg ebenfalls vom Pferd. Lina und Samu taten uns gleich. Im Gespann machten wir uns auf zum Tor und spürte wie meine Knie weicher wurden.
      „Wie lange wolltest du dich noch verstecken?“/, scherzte Erik und schmunzelte. Natürlich hatte er gemerkt, dass ich ihn sah. Doch, bevor ich etwas antworten konnte, half mir Chris und begrüßte ihn.
      „Lange nicht mehr gesehen, du hättest den Tag auch mal länger bleiben können“, sagte er zu ihm.
      „Jetzt bin doch da, außerdem musste ich noch woanders hin“, erklärte Erik und schaute immer wieder zu mir, als wir zum Stall liefen.
      „Dann können wir doch froh sein, dass ihr beiden einen Draht zueinander gefunden habt“, brachte Chris ein und unterhielt sich weiter mit ihm. Ich konnte in der Zeit tief durchatmen, aber schämte mich ein wenig dafür, noch kein Wort mit ihm gewechselt zu haben. Schließlich war er extra meinetwegen hergekommen. Lina, Samu und Chris liefen in den Stall und ich blieb bei Erik stehen, der abrupt vor dem Gebäude verharrte. Erwartungsvoll schaute er zu mir und mir steckte irgendwas im Halse fest. Kein Wort brachte ich heraus, stattdessen sah ich ihn nur an.
      “Und jetzt schweigen wir uns den ganzen Abend lang an, oder wie stellst du dir das vor?”, fragte Erik.
      “Gute Frage, aber ich freue mich das du da bist”, sagte ich schlussendlich und umarmte ihn fest. Ganz offensichtlich hatte er keinen Pferdeduft an sich, was ich änderte. Freundlich stupste mich Glymur am Rücken an, als ich Erik wieder loslassen wollte.
      “Ich schätze dein Pferd, weiß mehr als ich”, lachte er und trat einige Schritte zurück. Als hätte Glymur uns verstanden, wippte er mit seinem Kopf auf und ab.
      “Kommst du, oder willst du da ewig herumstehen?”, unterbrach und Chris. Er hatte recht und ich ließ Glymur einfach draußen stehen, um von der Box sein Halfter zu holen. Da draußen ebenfalls eine Anbindestange war, band ich ihn dort an. Im Stall war es mir persönlich sowieso zu voll. Erik blieb auf Abstand zu den Pferden und erzählte mir von seinem Arbeitstag. Interessiert, wenn auch unwissend, hörte ich ihm zu, während ich alles von Glymur nahm. In der Box füllte ich das Futter auf, als Chris mich von der Seite ansprach: “Und, wann heiratet ihr?” Perplex blickte ich ihn an und benötigte einen Augenblick, bis ich seine Worte verstand.
      “Wieso sollten wir das tun und vor allem was ginge es dich an?”, fragte ich ihn.
      “Ist doch klar, warum er das wissen möchte, er will zu Hochzeit eingeladen werden”, warf Lina ein, die mit den Gamaschen ihrer Stute in Richtung Sattelkammer unterwegs war.
      “Ich glaube eher, dass er der Trauzeuge sein möchte”, mischte sich nun auch Erik ein, der am Eingang des Stalles stand und lachte.
      “Awkward”, murmelte ich und sonst stillschweigend an allen vorbei, um Glymur ebenfalls die Gamaschen abzunehmen.
      “Das muss dir doch nicht peinlich sein”, versuchte er mich nun wieder zum Lachen zu bringen, doch ich schaute nicht mal zu ihm, sondern versuchte nur so schnell wie möglich mit meinem Pferd fertig zu werden.
      “Es muss dir wirklich nicht peinlich sein, ihr seht gut zusammen aus”, unterstützte Lina seine Aussage und lief mit einer Futterschüssel zurück zu ihrer Stute.
      “Na dann werden wenigstens die Bilder schön, reden muss man schließlich nicht miteinander”, rollte ich mit den Augen und stellte Glymur in die Box. Direkt scheuerte er sich und holte die Salbe, um ihn einzuschmieren.
      “Zumindest über Kinder müsst ihr euch keine Gedanken machen”, sagte Chris und ich schaute verwirrt zu Erik.
      “Chris, du musst immer Spoilern”, beschwerte er sich bei seinem Kumpel.


      © Mohikanerin, Wolfszeit | 98.887 Zeichen

    • Mohikanerin
      Rennen E zu A | August 2021

      Architekkt // Northumbria // Lu'lu'a // Fly me to the Moon

      An einem ziemlich bewölkten Spätsommer morgen hatte ich bereits Archi in den Aqua-Trainer gestellt und Flyma im ersten Heat auf der Bahn trainiert. Danach stand erst einmal mein Frühstück auf dem Plan, bevor die erdfarbene Stute ihren zweiten Heat des Tages bekam. Anfang des Jahres war eine ziemliche spontane Entscheidung sie wieder Rennen zu fahren, aber es zahlte sich aus. Auf der Distanz fuhr sie bereits einen Sieg ein und bekam ansonsten weitere Platzierung auf dem Treppchen, das sorgte zwar nicht für den Geldregen, den wir uns erhofften, aber somit ermöglichte es uns mehr Pferde für auf Rennen vorzubereiten und flüssig zu sein.
      Flyma stand in Box mit einer Decke, wartete darauf, endlich wieder hinauszudürfen. Ich stand davor mit dem Halfter und zwei große freundlich dreinblickende Augen starrten in meine Richtung. Sie sprachen beinah zu mir, als würde sie flüstern. Ich führte sie hinaus, legte die dunkle Decke über den Ständer und putzte sie noch einmal über. Zur anderen Seite hing noch ihre Ausrüstung, die schon Flyma herummachte bevor ich das Fitnesstracking-System aus der Sattelkammer holte mit trockenen Gamaschen. In der Kiste fand ich zumindest zwei gleiche Paare. Voll ausgerüstet fuhren wir am Hof los zur Bahn, ihr Schritt ruhig und der warme Atem bildete Wölkchen in der kühlen Luft. Wir nutzen die Strecke als Aufwärmphase und eine halbe Runde auf dem harten Boden, um ihre Koordinierung zu verbessern, das Verletzungsrisiko zu minimieren. In der Sprintphase legten wir zweimal zweitausendzweihundert Meter zurück mit einer Pause von sechs Minuten dazwischen. Mit einem Blick auf den Kontrollmonitor wusste ich, dass es sich die Werte verbesserte, wenn auch nur minimal.
      Das nächste Pferd war Northumbria, die erst vor wenigen Tagen zu uns kam, aber wohl aktiv im Rennsport lief. Die erste Konfrontation hatten wir bereits auf der Weide. Sie legte die Ohren an, warf nervös den Schweif und weigerte sich mir zu folgen. Nach einer gewissen Zeit bettelte ich das Pferd an, bis ein Leckerli in meiner Tasche auftauchte und die Augen sehr groß wurde. Neugierig spitzte Humbria die Ohren. Geschafft, ich hatte sie am Halfter und konnte in den Stall gehen. Für die Stute stand Jogging auf dem Plan mit vier Schrittphasen und drei Trabphase, bei dem sie selbst das Tempo entscheiden durfte als Aufbau nach der Pause. Jeden Arbeitsschritt beobachtete sie genau, inspizierte das Equipment und empfand den Gurt mit Tracker als störend, also nahm ich den anderen, der am Kopf befestigt wurde. Dieser schien kein Problem darzustellen und im Schritt verliefen wir den Hof. Humbria war nach einigen Minuten bereits ruhiger.
      Lu hatte Lina bereits gearbeitet, aber er sollte noch fahren. Wir machten eine Tempoeinheit, die ihn an den Sulky gewöhnen sollte. Die ersten Schritte stellten sich als Schwierig vor, weswegen sie uns einige Meter begleitete, bis der Hengst die Leinen verstand. Auf der Bahn durfte er sich alles anschauen und schnaubte mehrfach ab, bevor wir im Pass ansetzten, einige lockere Runden drehten in der Aufwärmphase. Architekkt fuhr ich am leichtesten Sulky den wir hatten mit Lammfellschutz, denn seine Knochen waren noch zu sehen, aber wir sollten arbeiten, damit er Muskulatur aufbaut. Auch mit ihm legte ich eine Joggingeinheit an, die er mit Bravour absolvierte. Damit hatte ich das heutige Pensum an Pferden geschafft.

      © Mohikanerin // Folke Wallström // 3364 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang September 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel tre | 25. September 2021

      Forbidden Fruit LDS // Satz des Pythagoras // HMJ Divine // Northumbria // Form Follows Function LDS // Raleigh // Middle Ages // Lundi LDS // Kölski von Atomic // Lu’lu’a // Glymur

      Vriska
      An den Boxen bekam die Falbstute eine große Portion Futter. Überall verteilte sich der Möhrenbrei und die Ölsaaten sowie diverse Fasern und Kräuter. Selbst die Schüssel blieb nicht verschont und wurde am Ende durch die Gegend geworfen. Müde blickte ich der nach, aber schenkte ihr keine weitere Beachtung. Dann zog ich Fruity hinter mir mit geradewegs zum Paddock.
      “So, jetzt beweise ich es dir”, sagte ich zu Harlen und lief zu Göttin, die in der Mitte des Paddocks stand und mich bereits gewittert hatte. Mit angelegten Ohren sah in meine Richtung. Selbst das Leckerli interessierte sie nicht ansatzweise. Stattdessen schnappte sie in meine Richtung und schlug aufgeregt mit ihrem Schweif.
      “Gut, ich glaube es dir”, knickte er ein.
      Am Himmel bewegte sich die Sonne immer weiter Richtung Horizont und verschwand in den Baumkronen des Mischwaldes. Um weiteren Überfällen zu entgehen, schlüpfte ich in meine Jogginghose und hatte es mir mit Harlen auf der Terrasse bequem gemacht. Für einen Wimpernschlag schloss ich die Augen, als mein Handy in der Tasche vibrierte. Eine unbekannte Nummer rief mich an. Ich hob ab.
      „Vriska?“, sagte eine vertraute Stimme, die ich nicht direkt einordnen konnte.
      „Wer fragt?“
      „Nicht dein Ernst! Chris natürlich. Ich … wir wollten fragen, ob du mit Lina rumkommst zum Grillen?“, stellte er sich dann vor. Ich hoffte kurz, dass Erik anrief, doch die Stimme war zu tief dafür, wurde mir im nächsten Moment klar.
      „Ähm, muss sie erst fragen. Aber ich habe mein Bruder hier“, stammelte ich überrascht.
      „Dann bringst du denn mit, sag ihr, dass ihr Schatzi hier wartet und er wie ein Schlosshund weint“, lachte Chris. Aus dem Hintergrund hörte ich Beschwerden seitens Niklas und ich rollte die Augen. Eigentlich hatte ich wirklich gehofft solchen Situationen in nächster Zeit aus dem Weg gehen zu können. Aber das Schicksal meinte es nicht gut mit mir und wenn ich nein gesagt hätte, dann wäre ich ein Langweiler. Oder wer weiß, welche Auswirkungen es gehabt hätte.
      „Ich schaue, was sich einrichten lässt“, antwortete ich kurz und legte auf.
      „Wer war das?“, fragte Harlen interessiert nach dem er vernahm, dass ich aufstand.
      „Das Team, ich soll rüberfahren und du kommst mit“, befahl ich. Doch vorher musste ich noch zu Lina. Der Kontakt zueinander war noch immer schwierig. Wir wechselten nur die nötigsten Worte, Small Talk gab es keinen, wenn überhaupt, dann über die Pferde. Es verletzte mich, dass ich so war. Was auch immer. Ich klopfe an die an ihre verschlossene Zimmertür und hoffte, dass keine Resonanz käme. Wieder Enttäuschung, denn sie öffnete langsam die Tür und musterte mich. Im Hintergrund flimmerte der Fernseher und ich vernahm eine Silhouette auf der Couch. Sie drehte sich in unsere Richtung und winkte freundlich.
      “Was führt dich her?”, fragte sie erwartungsvoll.
      “Wir wurden eingeladen zum Grillen beim Verein und ich soll dir mitteilen, dass Niklas dich fürchterlich vermisst”, versuchte ich ein Lächeln, aber es gelang mir nicht besonders.
      “Lina, lass dich nicht von mir aufhalten, du gehst mit! Aber ich hätte auch kein Problem mitzukommen …”, war es nun bestimmt von der Couch zu vernehmen.
      “Ich denke mal, du hast die Antwort gehört. Ist es okay, wenn Juliett mitkommt? Ansonsten lass ich sie einfach dort vor dem Fernseher sitzen, das sollte sie den Abend beschäftigen”, antwortete sie offensichtlich belustigt über ihre Schwester.
      „Wenn Harlen mitdarf, sollte Juliett kein Problem sein. Aber mach dich auf lüsterne Blicke gefasst. Wir sehen uns gleich am Auto, ich versuche den großen zu bekommen“, warte ihre Schwester und lief weiter zu Tyrell. In seinem Bungalow brannte bereits Licht und auf den Weiden standen schon die Pferde. Somit konnte er vom Stalldienst wieder zu Hause sein. Wieder klopfte ich an der Tür. Es dauerte, bis sie sich öffnete. Nur mit einem Handtuch um die Hüften bekleidet, stand er vor mir.
      „Ach Damenbesuch am Abend lässt mein Herz direkt schneller schlagen“, lachte er und stützte sich auf der Klinke ab. Langsam strich ich mir eine Strähne. Ich spürte wie mir wärmer wurde und ich den Blick zu Boden senkte.
      “Ich … Ich brauche den BMW”, sagte ich entschlossen. Ohne weitere Fragen zu stellen, griff er zum Schlüsselbrett und drückte mir die Fernbedienung in die Hand.
      “Aber bring den heile wieder und seid nicht so spät zurück, ihr habt morgen Stalldienst und du noch Unterricht”, erinnerte Tyrell mich und ich bedankte mich. Sogar einen kleinen Knicks machte ich. Harlen hatte sich offenbar schon vorbereitet und ein Hemd drübergezogen sowie eine schwarze Anzughose dazu. Er übertrieb wieder einmal.
      “Dir ist klar, dass das kein Geschäftsessen ist, sondern grillen mit hitzigen Männern und einigen Mädchen, die auf unschuldig machen, aber vermutlich mit jedem schon im Bett waren”, klärte ich meinen Bruder auf, mit dem ich zum Auto lief. Lina und Juliett warteten bereits. Wie schnell waren die beiden? Und dann auch noch so viel attraktiver als vor wenigen Minuten an der Tür. Faszinierend diese Familie.
      “Ich werde es überleben”, lachte Harlen und stieg auf dem Beifahrerplatz. Die anderen beiden machten es sich auf der Rückbank bequem. Ich hatte meinen Sitz eingestellt, das Licht angestellt und ausgeparkt. Den Hof ließen wir langsam hinter uns. Meine Augen behielt ich auf der Straße, schweigend. In der nächsten Woche begann die Elchjagd und deswegen konnte es jetzt schon zu einem erhöhten Risiko kommen, dass die mörderischen Tiere die Straße wechselten. Wildunfälle gehörten zu der häufigsten Todesursache in Schweden und ich hatte auch überhaupt keine Lust darauf, so ein Hirsch auf der Motorhaube zu haben. Denn der Kuhfänger würde das Vieh nur in Maßen halten können. Aus den Erinnerungen strahlten Unfallbilder aus den Nachrichten im inneren Auge. Ekelhaft.
      In der Dämmerung fuhr ich ungern die Strecke. Es gab nur wenige Straßenlaternen, die nur ein seichtes Licht spendeten. An den Seiten waren kleine Steinmauern, bis wir am Fernstraßenkreuz ankamen. Die Strecke zum Festland kam mir ewig vor. Mit meinen Händen wippte ich im Takt der Töne aus dem Radio und versuchte mit einem Ohr das Gespräch der drei zu verfolgen. Linas Schwester freute sich Niklas näher kennenzulernen und mein Bruder schwärmte förmlich davon nicht nur die Damen zu betrachten. Ich wunderte mich zwar, aber hinterfragte seine Aussage nicht weiter.
      Endlich an der Ausfahrt angekommen, verließen wir die E22. Die Flutlichter der Rennbahn erkannte man bereits aus der Ferne, also waren wir fast da. Nach dem Kreisverkehr leuchtete schon das Schild der Trabrennbahn und am Ende kam die Einfahrt zu dem gepachteten Teil des Vereins. Ich parkte das Auto vor dem Tor ab und steig aus.
      “Wir sind da”, sagte ich erfreut und hüpfte aus dem Geländewagen. Hätten wir meinen VW genommen, würde jeder mit Rückenschmerzen geplagt sein. Bereits ab achtzig Stunden pro Kilometer wackelte das Ding herum, aber in dem von Tyrell schwebte man über die Straße. Auf der Brücke bekam man schnell das Verlangen etwas schneller zu fahren, aber ich hielt mich zurück.
      “Wow, ich dachte ja schon der Hof sei riesig, aber das hier scheint ja noch riesiger. Also zumindest der Teil den ich sehen kann”, staunte Lina während sie aus dem Fahrzeug kletterte. Ihre Schwester hatte weitaus weniger Augen für die Anlage.
      “Ist das die richtige Richtung?”, fragte sie hochgestimmt und lief zielstrebig in Richtung des Tores. Dass sich diese Frage übrighatte, merkte Juliett ziemlich schnell, denn Chris und Niklas kamen angelaufen – Zum Glück, denn ich hatte wieder einmal den Code vergessen.
      “Ich dachte schon, ihr habt euch verfahren”, lachte Chris und schloss mich direkt in seine Arme. Ich drückte meinen Kopf in den Nacken und schnappte nach Luft. Umarmungen mochte ich nicht. Auch Niklas lief direkt zu Lina, um sie angemessen zu begrüßen, bemerkte ich im Augenwinkel.
      “Prinzessen, ihr könnt am Feuer rummachen”, alberte er glücklich und wir liefen hinüber zur Terrasse, bei der bereits der Grill loderte und auch die Feuerschale stand.
      “Nenn’ mich nicht immer so”, trabte Niklas uns nach. Dicht gefolgt von dem Rest. Ich sah mich um. Viele unbekannte Gesichter schauen zu uns, teilweise freundlich, teilweise abwertend, aber größtenteils neutral. Nur eine Person fehlte – Ju.
      „Eins musst du wissen“, zog mich Chris zur Seite. Ich wollte ihn gerade fragen, wo der Dritte des Gespanns steckte, doch dazu kam ich gar nicht. Sein Gesichtsausdruck war ernst.
      „Und was?“, fragte ich verwundert, ziemlich leise.
      „Es hat die Runde gemacht mit dir und Niklas.“ Dass hier so getratscht werden würde, dachte ich mir schon. Es klärte die bissigen Blicke von zwei Damen, die auf einer Bank nebeneinandersaßen und tuschelten.
      „Und woher wissen sie das?“ Wild gestikulierte ich herum und Chris hielt meine Arme fest, denn ich war im Inbegriff ihn gegen den Bauch zu hauen.
      „Anna.“ Ach, das hätte ich mir denken können. Egal. Die blöde Kuh würde ich hoffentlich in der nächsten Zeit nicht mehr sehen müssen. Es reichte schon die Turteltauben neben mir zu haben, denn aus unerklärlichen Gründen beschäftigte Nik sich nur mit Linas Körper und hatte sich nicht einmal ihrer Schwester vorgestellt. Warum beschäftigte mich das so? Es brodelte in meinem Bauch, meine Hände zitterten und auch die Knie wurden weicher. Vermutlich lag es daran, dass Erik kein Fünkchen Interesse mehr zeigte, obwohl er täglich mehr als eine Nachricht von mir bekam. Wenn es so weitergeht, würden mir noch mehr Haare ausfallen.
      „Ich hoffe, dein Freund weiß von deinen Ausrutschern“, fauchte mich eine der beiden von der Bank an. Verwirrt sah ich zu ihr, dann zu meinem Bruder und deutete mit dem Finger auf ihn.
      „Schätzchen, das ist mein Bruder“, lachte ich böswillig und setzte mich auf einen der Baumstämme.
      “Welche Ausrutscher?”, fragte er mich leise.
      “Darüber reden wir wann anderes”, maulte ich ihn an. Freundlich, wie Chris war, brachte er einen Teller mit Gemüse und setzte sich zu uns.

      Lina
      “Juli, bist du jetzt mal endlich so weit. Ich mach jetzt das Licht aus”, verkündete ich, während ich noch mal prüfe, dass ich meinen Wecker richtiggestellt hatte. Ziemlich früh mussten Vriska und ich morgen die Pferde reinholen.
      “Ja, ich komme ja”, rief meine Schwester aus dem Bad, bevor von dort aus noch einmal in die Küche wuselte. Juliett war schon immer ein Nachtschwärmer gewesen und wenn es nach ihr gegangen wäre, wären wir auch noch länger geblieben.
      “Der Abend hat echt Spaß gemacht. Ach, und ich mag deinen Freund, den darfst du behalten”, vermeldete sie und ließ sich endlich auf dem Bett nieder.
      “Seit wann brauche ich denn deine Erlaubnis für meinen Freund? Aber genug, jetzt ich muss morgen früh raus, Gute Nacht”, scherzte ich und reckte mich aus dem Bett, um die Nachttischlampe auszuknipsen. Mit einem leisen Klick erlosch die Glühbirne.
      “Schlaf gut”, hörte ich Juli noch sagen, bevor Stille im Raum lag, die einzigen Geräusche waren leises atmen und ab und zu raschelte ihrer Decke, wenn sie sich bewegte. Dass meine Schwester heute Abend Spaß gehabt hatte, wunderte mich eigentlich nicht. Schon immer war sie der kontaktfreudigere Mensch von uns beiden. Egal, wo man war, ob sie die Leute kannte oder nicht, sie schaffte es immer irgendwelche verrückten Gespräche zu führen. Somit verbrachte Juliett den Abend damit, von Grüppchen zu Grüppchen zu wandern und überall ein paar Gespräche zu führen. Trotz der vielen fremden Menschen, hatte sogar ich meinen Spaß gehabt, zumindest nachdem ich mein Gewissen erleichtert hatte. Zu Beginn fand ich die neidischen und verachtenden Blicke, die mir einige der Damen zuwarfen, überaus unangenehm. So ganz durchblickt, hatte ich die Gründe für diese Abscheu nicht, aber bei den jüngeren Mädchen im Verein schien Niklas so etwas wie das höchste Achievement zu sein, was nur einem exklusiven Club an Auserwählen zustand. Zwei dieser Grazien nutzen jede Gelegenheit, um ziemlich erfolglos die Aufmerksamkeit meines Freundes auf sich zu ziehen. So kindisch wie sie sich verhielten, hätte ich das Ganze fast lustig gefunden, wenn die beiden dabei nicht so penetrant und nervig gewesen wären. Offenbar gingen sie nicht nur mir auf die Nerven, denn Vriska sah ich den ganzen Abend lang nicht, bis wir uns wieder auf den Nachhauseweg machten. Nik, dessen Pegel ziemlich sicher schon bei meiner Ankunft nicht mehr bei 0 lag, hatte eher anderes im Kopf und störte sich reichlich wenige an dem Spektakel drumherum. Man könnte jetzt denken, dass die ungeteilte Aufmerksamkeit des äußerst attraktiven Mannes an meiner Seite dazu beitrug, dass ich den Abend genießen konnte, doch das Gegenteil war der Fall. Beim Fertigmachen vorhin war mir das Armband, was Jace mir schenkte entgegengefallen. Wie ein ungebetener Reminder, glitzerte es mir vom Boden entgegen und augenblicklich bekam ich ein schlechtes Gewissen, dass ich Nik bisher nichts davon erzählte, was zwischen mir und Jace auf dem Reitplatz geschah. So wuchs mit jeder Minute am Feuer der Drang danach, Niklas von dem Ereignis zu erzählen. Letztlich nutzte ich einen Moment, in den wir allein waren, um mein Gewissen zu erleichtern. Erstaunlicherweise reagiert Nik ganz entgegen meiner Erwartung. Statt sich darüber aufzuregen, war er äußerst belustigt darüber, hoffentlich würde er das auch nüchtern noch ähnlichsehen. Er sah in ihm keine ernsthafte Konkurrenz, denn seiner Meinung nach, könnte ohnehin niemand mithalten. Das empfand ich als ziemlich selbst überschätzt, aber gut. Nachdem er sich ausgiebig darüber amüsiert hatte, wollte er lieber mit mir über Smoothie reden. Aufgrund ihrer Arthrose sollte sie nun in Turnierrente gehen. Neben seinem Job würde Nik es unmöglich schaffen sich um zwei Pferde zu kümmern, weshalb ich sie abtrainieren sollte. Deswegen und weil sie ohnehin nicht weiter auf der Rennbahn stehen konnte, sollte die Stute auf das LDS ziehen. Sonntagabend wollte er die Schimmelstute zusammen mit Humbria vorbeibringen und Form wird gleichen mitzunehmen. Ich wusste sehr zu schätzen, dass er seine Stute in meine Obhut gab, denn ihm lag mindestens so viel an Smoothie wie mir an Ivy. Keinesfalls würde er Smooth jedem einfach so anvertrauen.
      Allmählich wurden meine Glieder schwerer. Die Worte in meinem Kopf schienen sich voneinander zu lösen, zusammenhanglos durch meinen Kopf zu schweben bis Träume daraus wurden.

      Vriska
      „Es tut mir leid“, raunte es in mein Ohr als wir eng umschlossen in der Box im Stutentrakt standen. Wie ich oder besser gesagt wir beide hierherkamen, wusste ich nicht. Beherzt griff er mich an meinen Oberschenkeln und drückte mich gegen die Boxenwand. Ein stummes Stöhnen verließ meine Lippen und ich tauchte in eine andere Welt ab.
      Der Wecker klingelte. Fünf Uhr dreißig. Bestürzt schüttelte ich den Kopf. Was war das bitte? Erschöpft stieg aus dem Bett und lief zuerst ins Badezimmer, um mir das Gesicht zu waschen. Der Traum steckte noch tief in meinen Knochen und zeigte mir klar auf, was mich gestrigen Abend belastete. Lina hatte, was ich nicht haben konnte. Sie fühlten sich wohl beieinander, es war eine Geborgenheit, ein Vertrauen, dass mir keiner schenkte. Ich setzte mich mit einem Kaffee bewaffnet und der nicht mehr so wirklich Notfallschachtel, denn ich hatte mittlerweile schon so viele gekauft an der Tankstelle, dass es nicht mehr zur Stressbewältigung beitrug, an dem Tisch auf der Terrasse. Es ließ mich nicht los. Hätte ich nicht plötzlich entschieden, meine Zeit mit Erik zu verbringen, würde er mir gehören. Nur mir allein. Lina brauchte ihn mehr als ich, aber die Trauer jagte mich. Nun sogar im Traum.
      “Stopp”, sagte ich laut zu mir, um der Spirale zu entfliehen. Tatsächlich half es mir immer wieder das Wort zu wiederholen, um zurück auf eine gerichtete Spur zu kommen. Denn ich musste los zur Arbeit. Am Himmel traten durch die Baumkronen die ersten Strahlen der Sonne und spiegelten sich in den Scheiben der Reithalle. Ein Zeichen dafür, endlich voranzugehen.
      “Guten Morgen”, begrüßte ich Lina beiläufig und winkte sie zu mir. Wir besprachen kurz, wer was machen würde und im nächsten Augenblick trennten sich schon wieder die Wege. Ich übernahm die Hengste. Ralle, der Kaltblüter vom Hof bereitete mir noch immer Sorgen. Er war ein ruhiger und sanfter Hengst, dennoch beeindruckte er mit seiner Größe. Alles an ihm wirkte überdimensioniert und gigantisch im Vergleich zu meinen Ponys. Freundlich schnupperte Ralle an meiner ausgestreckten Hand. Seine großen Nüstern prusteten im Takt der Atmung und ich schob auf Zehenspitzen das Halfter über seine Ohren. Er senkte ein Stück den Hals, um mir zu helfen. Ich strich ihm lobend den kräftigen Hals, bevor es weiter ging in den Stall. Im Hintergrund vernahm ich das Getrappel der Stuten, die Eilig in den Stall stürmten. Als Nächstes folgten noch unsere beiden Stammrennpferde sowie Middy die mit Lundi und Kölski auf einer weiter entfernten Weide standen. Unser Sorgenkind entwickelte sich prächtig. Mit aufgestelltem Schweif tollte er um uns herum, trabte vor und galoppierte mit einer schnellen wieder in unsere Richtung. Lundi hingegen folgte eng seiner Mutter und traute sich kein Schritt von ihr zu entfernen. Uns entgegen kam Lina – freudestrahlend.
      “Dieser kleine Wirbelwind da ist einfach nur entzückend! Toll, wie viel Lebensfreude er ausstrahlt”, teilte sie mir hochgestimmt mit. Innerlich drehte es sich bei mir, als sie sprach. Ja, ich wollte nicht weiter daran denken. Aber nein, das fiel mir schwer. Knirschend schliffen meine Backenzähne sich aneinander und ich atmete mehrmals tief durch.
      “Dafür, dass er, wie wir, ein Verstoßender ist, merkt man das nicht”, lachte ich aufgesetzt und merkte, dass der Kommentar nicht angebracht war. Zu spät. Im Stall spielte sich Middy auf. Sie tanzte auf der Stelle und hob den Kopf, als Ralle neugierig zu ihr blickte. Der Zickerei schenkte ich keine Beachtung und öffnete die Boxentür, in die die Fohlen direkt liefen und sich in den frischen Spänen fallen ließen. Lina sparte es sich weiter mit mir zu sprechen, was wohl für uns beide einfacher war. Stattdessen lief sie aus dem Stall heraus, schließlich war es das erst mal mit der Arbeit. Sauber machen brauchten wir nicht, denn die Pferde standen über Nacht auf den Weiden und die werden in den nächsten Wochen ohnehin gemulcht, um sie für den Heuanbau vorzubereiten. Somit blieb es an mir hängen, die Halle noch einmal zu Wässern, bevor auch ich erst mal zurückging, um noch einmal ein kurzes Nickerchen auf der Couch zu machen, hoffentlich, ohne seltsame Träume.
      Hämmernde Geräusche. Meine Augenlider sprangen auf und ich auch. Harlen schlief wie ein Stein, nicht ein Muskel zuckte. Wie konnte man den Lärm so leicht ignorieren? Unglaublich! Ich lief geradewegs zur Tür und Tyrell stand verärgert vor mir.
      “Kommst du dann mal endlich?”, fragte er provokant. Nickend schloss ich den Kopf und folgte zur Halle. Fertig gesattelt stand Fruity in der Putzbox mit einem Halfter um den Hals. Sie wirkte müde und die Augen schlossen sich langsam, das Hinterbein aufgestellt. Meinen Helm drückte er mir direkt in die Hand.
      Nach dem Training stellte ich das verschwitzte Pferd zurück auf den Paddock. Sogleich schließ sie sich in den Sand fallen und eine ordentliche Panade entstand auf beiden Seiten.
      “Fahren wir dann rüber?”, fragte Harlen und wedelte mit den Autoschlüsseln in der Hand. Ich nickte, aber brachte vorher noch das Halfter zurück in den Stall. An meinem Auto trafen wir uns wieder, nach dem ich Lina vorsorglich fragte, ob sie ebenfalls mitkommen wollte. Sie arbeitete wieder mit Lu im Roundpen und verneinte. Glücklich darüber, sie nicht auch noch am Hals zu haben, fuhren wir los. Harlen saß am Steuer. Ich sah aus dem Fenster und beobachtete die Landschaft, die wie in einem Film an uns vorbeizog. Die Vorgärten sammelten erste Blätter an, die ich bei der Fahrt in der vergangenen Nacht nur spärlich erkennen konnte. Es hatte etwas Romantisches in Schweden zu leben. Der Schritt von London nach Brandenburg, in Deutschland, hatte bereits seine Tücken und Unterschiede gezeigt, doch war keinesfalls vergleichbar mit dem Leben auf der Halbinsel. Direkte Nachbarn am Hof gab es nicht, aber im nächsten Dorf wurden wir freundlich begrüßt. Bei der Eröffnung konnte jeder kommen und beinah alle Bewohner der Insel ließen sich die Chance nicht nehmen, den neuen Erlebnishof zu entdecken. Tyrell hatte große Bedenken, wie sie reagieren würden. Niemand hegte Zweifel oder sprach negativ darüber, ganz im Gegenteil. Sie legten unsere Flyer in ihren Geschäften aus und Kinder kamen bereits nach einigen Tagen, um Reitstunden zu vereinbaren. Wir unterstützten einander und bekamen viel Zuspruch. Das bestärkte alle an dem Projekt festzuhalten, auch wenn es schwieriger wurde. Besonders jetzt hatten wir so was wie eine Flaute. Deswegen hatte Tyrell vor ungefähr einem halben Jahr die Pension angeboten. Das Schwelgen in Erinnerungen wurde mehrfach von Harlen unterbrochen, der fluchend stark bremste. In seinem Kopf war er noch im Linksverkehr und missachtete Vorfahrtsregeln, wodurch er angetippt wurde und aufgebrachte Fahrer hervorbrachte. Ich konnte nur lachen, denn ich kannte es aus Deutschland, nur dass mir dort einige Male prügle angedroht wurde, wenn jemanden die Vorfahrt nahm.
      Harlen hatte noch nicht einmal den Motor abgestellt, als ich bereits die Beifahrertür aufriss und aus dem Auto hechtete. Meine Tasche entnahm ich aus dem Kofferraum und lief zum Tor. Es war zu. Ich sah mich um. Am Hof stand bis auf unser Auto und dem einen Transport von drei kein weiteres Fahrzeug. Einige vereinzelte Pferde liefen auf ihren Paddock auf und ab und auf der Trainingsbahn fuhren Jockeys mit den Trabern.
      “Fällt dir noch der Code ein, oder musst du wen anrufen?”, kam mein Bruder dazu und sah wie ich fragend das Tastenfeld an, dass neben dem Tor an einer kleinen Hütte befestigt war. Tatsächlich wusste ich den Code einmal und hoffte, dass er mir wieder einfiel. Nervös scrollte ich durch meine Notizen, in denen ich nicht fündig wurde. Dann wechselte ich mit wenigen Berührungen in das Mailfach und sah die einzelnen Nachrichten durch, bis ich endlich die wichtigen Informationen fand. 1-5-9-3-0-4 tippte ich nacheinander ein und wie von Zauberhand schob sich das Tor nach rechts und ging auf.
      “Ich bin groß genug, um das ohne Hilfe zu schaffen”, strahlte ich und lief durch.
      “Alt genug eventuell, aber groß genug auf keinen Fall”, neckte er mich und folgte.
      Obwohl ich wusste, dass die Zuteilung der Prüfungspferde zufällig sein würde, übte ich heute alle praktischen Teile noch einmal. Glymur tat die Pause gut. Mit viel Elan tippelte er voran und hatte aus Kanada genauso viel mitgenommen wie ich. Nebenbei stellte mir Harlen diverse Fragen, sowohl aus dem Fragenkatalog als auch darüber, was ich gerade tat. Im Klaren zu sein, dass die Prüfungen immer näher rückten, machte mich nervös. Genauso nervös, dass ich mit Fruity in einer Dressur reiten soll. Meine Hände zitterten. Wie würde es weitergehen? Schaffe ich das alles?

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 22.936 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende August 2020}
    • Mohikanerin
      Rennen A zu L | September 2021

      Rainbeth // Northumbria // Lu'lu'a

      Zwischen den Bäumen funkelte die Morgensonne hindurch und warf ein sanftes oranges Licht über die Nebel vergangenen Weiden, die man von meiner Terrasse aus wunderschön bewundern konnte. Der Dampf meines heißen Kaffees wirbelte in der Luft. In Schweden rückte der Herbst immer näher und färbte die Laubbäume in Braun- und Orangetöne. Im Inneren schliefen noch alle, doch Folke hatte mich gebeten, ihn bei dem Training heute zu unterstützen. Als Erstes holten wir alle Pferde von den Weiden hinauf zum Hof und hatten bereits das Heu in den Boxen und Paddocks verteilt.
      Ich bekam die Ehre Humbi zu fahren. Neugierig spitzte sie ihre Ohren, als ich mit Halfter auf sie zukam. Erhobenen Hauptes schritt sie mir entgegen. Dann streckte sie ihr Maul mir entgegen, vorbereitet holte ich ein Leckerli heraus, dass sie gierig verschlang.
      “We have great things ahead of us”, lachte ich und führte sie in den Stall. Alles, was ich tat, beobachtete die dunkle Stute genau und wollte inspizieren, was ich in der Hand hielt. Somit dauerte es länger als gewöhnlich das Pferd zu putzen und das Finntack vollständig zu befestigen. Folke half mir den Sulky anzuhängen und hatte selbst Lu schon fertig. Ich setzte mir noch einen Helm auf, holte mir eine Decke und dann ging es los.
      Im Schritt fuhren wir in den Wald hinein und wärmten locker die Muskulatur auf. Beide Pferde dampften in der kalten Luft. Die Sonne stieg weiter vom Horizont nach oben und funkelte auf dem Tau des Grases. Obwohl ich meiner Freude Ausdruck verleihen wollte, schwieg ich und verkniff mir, Niklas ein Foto zu senden, der sich regelmäßig nach ihr erkundigte.
      Wir entschieden keine Heats mit den Pferden zu machen, sondern eine ruhige Joggingrunde einzulegen. Dafür legten wir die Pferde in einen ruhigen Pass und folgten der Bahn, eine Runde nach der anderen. Nach einer halben Stunde kehrten wir zum Hof zurück und stellten sie nach einander in das Solarium, bevor es auf die Paddocks zurückging. Darum kümmerte ich mich, den Folke wollte noch mit Betty den erste von Heats laufen.


      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 2046 Zeichen
      zeitliche Einordnung {September 2020}
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  • Album:
    stall.
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    Mohikanerin
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    15 März 2021
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  • Zuchtname: Northumbria
    Rufname: Humbi (Ham-bi'), Toots

    Aus der: Unbekannt
    Mutter: Unbekannt Vater: Unbekannt
    Den: Unbekannt
    Mutter: Unbekannt Vater: Unbekannt
    ____________________________________

    Geschlecht: Stute
    Rasse: Standardbred
    Geburtsdatum: April 2014
    Farbe: Braunwindfarben Sooty Pangare Mushroom
    Abzeichen: Blesse, Fesselkrone
    Stockmaß: 171 cm

    Charakter:
    Ungeduldig, sensibel, wird zickig bei nicht erhalten eines Leckerli

    *großrahmig
    *linkshohl
    *mag es nicht, wenn ihr Sachen über den Kopf gezogen werden
    ____________________________________

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    Gencode: Ee Aa nZ PaPa StySty MuMu
    Zuchtzulassung: Ja
    Gesamtnote: 7,25
    Nachkommen: -
    *19, Ours de Peluche LDS (v. Lu'lu'a)

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    SK 477
    ____________________________________

    Dressur: A / M
    Springen: E / L
    Military: E / A
    Fahren: E / A
    Rennen: M / L
    Gangreiten: E / S
    Western: -
    Distanz: E / L

    Gänge: 5

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    484. Militaryturnier (24.05.2021)

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    630. Springturnier (07.06.2021)

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    292. Gangturnier (10.08.2021)
    306. Gangturnier (24.11.2021)

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    295. Gangturnier (27.08.2021)
    301. Gangturnier (08.10.2021)
    303. Gangturnier (29.10.2021)
    307. Gangturnier (08.12.2021)
    308. Gangturnier (19.12.2021)

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    503. Distanzturnier (19.12.2021)
    505. Distanzturnier (13.01.2022)
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    Besitzer: Mohikanerin
    Zucht: The Track, Kanada
    VKR: Mohikanerin
    Ersteller: Mohikanerin
    Punkte: Gekört
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