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Mohikanerin

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Mohikanerin, 13 Sep. 2021
MeisterYoda und Wolfszeit gefällt das.
    • Mohikanerin
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      kapitel fyra.ett | 15. September 2021

      Otra // tc Herkir // Milska // Vrindr von Atomic // Narcissa // Iridium // Spooky Gun For Mister Einstein

      Im Kampf gegen die Armut tat ich alles, was konnte. Doch, das Ende nahte. Die letzten Ersparnisse steckte ich in die Behandlung von Otra, die sich schwer am Huf verletzte und ein Geschwür bildete. Nun war ich pleite, nicht in der Lage einen Kredit aufzunehmen und keines der Verkaufspferde fand einen Besitzer, somit blieb mir nur eine Sache – Ich musste das Gespräch suchen und mit Tyrell eine Lösung finden. Dann kam noch Ilja, aber eine Sache nach der anderen.
      Die Reitschule lief außergewöhnlich gut und die Kinder hatten auch Spaß dabei, die Pferde auf Turnieren vorzustellen. Somit konnte ich mit einem gewissen Einkommen jeden Monat rechnen, aber durch Otras Klinikaufenthalt musste ich nicht nur ein wertvolles Reitschulpferd auf unbestimmte Zeit in Rente schicken, sondern auch Kosten auf mich nehmen, die schier unmöglich waren, zu bewältigen. Glymur hatte einige Wochen später auch mein letztes Geld verschlungen, ja, Tyrell gab einen großen Anteil dazu, um Vriska diese Chance zu ermöglichen, aber aktuell, brachte er nicht die Einnahmen, die wir uns erhofften. So auch mit Herkir. Er stand nach seiner Ankunft in Schweden zwar bei einem benachbarten Gestüt zum Decken für vier Wochen, aber nur wenige der Stuten haben aufgenommen und einen weiteren Deckakt wollten die Besitzer nicht. Somit erstattete ich einen Teil des Betrags.
      „Na komm“, sagte ich freundlich zu Vrindr, der ich das grüne Halfter über den Kopf zog und aus dem Paddock holte. Die junge Stute war erst seit einigen Wochen unter dem Sattel, aber beherrschte bereits die Grundelemente des Reitens. Sie verstand den Schenkel und auch den Einsatz des Zügels. Die Grundgänge saßen und bei Übergängen zum Schritt, kamen auch gerne einige Schritte Tölt. Für den heutigen Tag hatte ich mir vorgenommen die Gymnastizierung im Sattel zu beginnen. Deswegen sattelte ich sie nach dem Putzen. Misstrauisch sah ich hoch zum Himmel. Aus der Ferne zogen dunkle Wolken auf, nach dem den ganzen Tag strahlend blauer Himmel sich zeigte und ich mit Milska sogar im Shirt ausreiten war.
      „Hoffentlich werden wir nicht nass“, lachte ich und stieg nach einigen Runden im Schritt auf. Elsa saß geduldig am Zaun, beschäftigt, ihren Ball noch weiter kaputtzumachen. Unruhig laute die Stute auf dem Gebiss herum, rollte sich ein und trat einige Schritte zurück, als ich Zügel fasste zum Aufsteigen. Ich wartete, bis sie ruhiger wurde, erst dann, legte ich mich über den Sattel. Weiter trat sie zurück und ich führte Vrindr erneut eine Runde über den Platz. Erst bei dem dritten Anlauf zu den Aufstiegen blieb die Stute ruhig und akzeptierte, dass sich jemand auf sie setzen wollte. Sie schnaubte ab. In einem gleichmäßigen Viertakt drehten wir weitere Runden im Schritt, auf der ganzen Bahn und auf dem Zirkel. Zunehmend zog ich den Zügel nach und motivierte sie dazu, sich mehr fallenzulassen und aktiver Vorwärtszutreten. Im Trab fiel es ihr leichter sich zu senken und sogar vorwärts abwärts zu laufen. So entschied ich die ersten seitwertsweisenden Hilfen einzusetzen. Vom Boden aus gelang es Vrindr bereits die Schulter und die Kruppe zur geforderten Seite zu senken und darauf wollte ich aufbauen. Ich hatte mir die Gerte zur Hilfe genommen, um sie zielgenau zu punktieren. Am Himmel kamen die dunklen Wolken immer näher, was auch die Stute zunehmend verunsicherte und als ein plötzlicher Sturzregen begann, ritt ich sie ab. Elsa flüchtete in die Sattelkammer und einige Zeit später, waren auch wir im Trockenen. Ich legte der Scheckin eine Abschwitzdecke drüber und wechselte meine Jacke. Der Regenschauer wurde nicht weniger, aber normalisierte sich in eine gleichmäßige Frequenz aus Tropfen, die nicht mehr Eimerweise vom Himmel flossen.
      Die restliche Planung des Tages hatte sich erledigt und ich brachte die Stute zu den anderen. Ich wollte ursprünglich noch Cissa Korrektur reiten, da sie in der letzten Reitstunde sehr zickig wurde und jegliche Hilfen ignorierte, nur stupide geradeaus lief, angeheftet an den anderen Pferden vor ihr. Somit widmete ich mich meinem Haushalt. Nach dem Duschen, Essen und Raubtierfütterung rief den kleinsten der Familie zurück. Ilja versuchte seit Tagen mich zu erreichen, doch jedes Mal schlief ich oder war mit Reitunterricht beschäftigt. Es tutete eine ganze Weile, bevor den Anruf entgegennahm. Er klang erleichtert und auch freute mich mal wieder seine Stimme zu hören.
      „Aber jetzt komm bitte zur Sache, deine Nachricht klang sehr ernst. Was ist los?“, fragte ich nach einer Weile Small-Talk. Natürlich ahnte ich, worauf es hinauslief, aber hoffte innerlich auch, dass es nicht so drastisch sein würde. Doch damit lag ich falsch.
      „Mylessa hat sich von mir getrennt. Von einem auf den anderen Tag sollte ich Iri und Einstein holen. Nun sitze ich hier, irgendwo an der Grenze zu Kanada und muss in weniger als sechzig Stunden das Land verlassen, weil mein Visum abgelaufen ist. Bruce, ich weiß nicht, was ich tun soll“, schluchzte er am anderen Ende und mir fehlten die Worte. Wie sollten wir innerhalb so kurzer Zeit organisiert bekommen, dass seine Pferde nach Schweden kämen und das ohne Geld? In der Nachricht berichtete er, dass alles weg sei, da ihm bei der Reise zum Motel im Bus das Portemonnaie geklaut wurde. Wenigstens seinen Pass hatte er woanders verstaut, sonst wäre es noch schwieriger.
      „Ilja, wir machen das so. Ich versuche morgen mit Tyrell zu sprechen und dann versuchen wir dich und deine Pferde hierherzubekommen, okay?“, blieb ich zuversichtlich. Ihm bliebe noch die Ausreise nach Kanada, aber das verschwieg ich. In mit tausenden Lösungsmöglichkeiten zu bombardieren, würde niemanden ans Ziel bringen, außerdem wäre es schön, wenn das Trio sich wieder vereint.


      © Mohikanerin // Bruce Earle // 5690 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang September 2020}
    • Mohikanerin
      Dressur E zu A | 31. Dezember 2021

      Moonwalker LDS // HMJ Holy // Einheitssprache // Klinkker LDS // Northumbria // Ready for Life // Schleudergang LDS // Milska // Hallveig från Atomic // Narcissa // Vrindr // Spök von Atomic // Legolas

      Mit einem lauten Klirren fiel nur wenige Meter von uns entfernt das Rolltor aus der Verankerung. Heinz, der nur noch einige Zeit bei uns war zum Beritt, sprang zur Seite und streckte den Kopf zur Linken, um zu prüfen, woher dieses schreckliche Geräusch stammte. Immerhin sorgte es dafür, dass die klirrende Kälte vor dem Stall blieb. Der Hengst hatte sich wieder dem gelben Futternapf gewidmet und dampfte weiter unter dem wärmenden Licht der roten Birnen.
      Zuvor beschritten wir eine erfolgreiche, wenn auch kurze, Reiteinheit mit Tyrell, der gleichzeitig Walker an der Hand schulte, zum Lösen von Verspannungen. Zunehmend kam der helle Hengst ins Gleichgewicht und lernte auch entspannt zu sein, wenn andere Pferde sich in der Halle befanden. Von vornherein war es klar, dass er sich schwer, nicht die Ranghöhe bei der Arbeit zu genießen, die er sich hart mit Frost erkämpfte. Deswegen überlegten wir noch, die Paddocks zu teilen, um allen Pferden die nötige Ruhe gewährleisten zu können. Den Herren neben mir interessierte das alles jedoch überhaupt nicht. Heinz hatte zwar eine gewisse Blütigkeit mütterlicherseits geerbt, aber ihm kam auch die Ruhe seines Vaters zugute, was ihn zu einem treuen und ausgeglichenen Partner machte. Deswegen, und natürlich auch seiner Optik, war es nicht verwunderlich, dass er schnell Anhänger fand und ein schönes Zuhause in Deutschland. Brooke, eine, die mir bisher als Springreiterin bekannt war und an der einen und anderen Stelle als aufsteigender Stern angesehen wird. Zumindest hatte ich das einmal in einem der Onlineartikel gelesen aus meiner ehemaligen Heimat, neben Tratsch und Klatsch aus der Reiterszene.
      „Vriska, machst du dich dann bitte Humbria bereit?“, sagte Tyrell, der Walker zurück auf den Paddock brachte.
      Ich nickte.
      Neugierig blickte mich die dunkle Stute an, als ich mit dem Halfter in der Hand am Tor stand und ihren Namen rief. Tag täglich war Humbria motiviert mit mir zu arbeiten und auch fand meinen Reiz darin, der Stute den Weg zu zeigen in das Leben eines gesunden Reitpferdes.
      Die kleinen Steine knirschten beinah friedlich unter unseren Schritten, während die Idylle von dem Lärm der Maschinen auf der anderen Seite des Gestüts gestört wurde. Sosehr ich auch versuchte mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass sich der Hof auf kurz oder lang zu einem der renommiertesten entwickeln würde, sah ich kritisch in die Zukunft. Ich liebte das alles hier, wie es war und es gab keine Notwendigkeit etwas zu verändern, aber meine Stimme hatte kein Gewicht.
      Schwermütig seufzte ich, als ein Fuß, nach dem anderen den Betonboden betrat und ich schließlich die Stute fertig machte. Auch Lina war bereits damit beschäftigt ihre neuste Errungenschaft zu putzen. Das Pferd war ebenfalls komplett rasiert und benötigte dementsprechend nur mäßige Fellpflege. Humbria legte immer wieder die Ohren an, als Redo freundlich sie inspizierte. Einmal quietschte sie sogar auf. Konsequent ignorierte ich ihr Verhalten, das mussten die beiden unter sich klären.
      In der Sattelkammer betrachtete ich nachdenklich die Auswahl an Schabracken und Sätteln. Für gewöhnlich würde ich den Wolken-Sattel von Lubi nehmen, doch aus unerklärlichen Gründen nahm ich das Schulungspad und dazu meine Filzunterlage aus der Schweiz, die bisher wie ein gehüteter Schatz in meinem Schrank hing. Behutsam nahm ich den Schutz von ihr ab und betrachtete das kleine Vermögen. *‘Ich sollte weniger Geld ausgeben für so was’*, überlege ich augenblicklich, aber zuckte mit den Schultern und lief hinaus, nach dem ich noch die Trense vom Haken nahm.
      „Ich gehe schon in die Halle“, nickte Lina mir zu und führte die Rappstute aus der Bucht heraus. Nur kläglich folgte sie, streckte den Hals so lang sie konnte, ehe der erste Schritt nach vorne sich setzte. Dann folgte einer nach dem anderen und nur noch der Hufschlag war von den Beiden zu hören. Urplötzlich verschwand wieder meine Motivation, was vermutlich damit zusammenhing, dass Jonina mit Halli die Gasse betrat, gefolgt von Bruce, der jedoch ohne Pferd unterwegs war. Schnell drehte ich mich wieder zur dunklen Stute, um den Baumwohlgurt zu befestigen.
      „Heute wird es eine große Runde“, lachte Bruce und klopfte mir auf die Schulter.
      Ich nickte, aber schwieg.
      Noch immer konnte ich mir nicht erklären, wie ich so schnell meine Angst gegenüber großen Pferden ablegen konnte. Die Fahrt nach Kanada hatte alles verändert. Fortan setzte ich neue Ziele, versuchte mich wieder zu einer besseren Form meiner Selbst zu entwickeln. Aber was dachte ich andauernd über das nach? Der Tod meiner besten Freundin zog sich wie ein roter Faden durch mein Leben, nagte an mir und ließ mich nicht los. *Wird es jemals erträglich?*
      Von der Seite stupste mich die dunkle Stute an und versuchte mich wieder in die Realität zu holen. Ihre Augen funkelten fröhlich im warmen Licht der Deckenstrahler. Im sicheren Abstand zu den anderen beiden Damen führte ich Humbria im Schritt durch den tiefen Sand, viel mehr, um mich selbst auf diese Einheit vorzubereiten, als die Stute. Sie war ruhig und sogar deutlich geschmeidiger im Genick als die Tage zu vor.
      „Vriska, jetzt steige endlich auf. Das sinnlose Herumführen bringt dem Pferd nichts“, schnaubte Tyrell aus den Kopfhörern, aber widerwillig zog ich an den Zügel zu der Aufstiegshilfe. Das Schulungspad verfügte nicht über Steigbügel und stellte damit die erste Herausforderung dar, doch mein Trainer kam freundlicherweise dazu und drückte sanft mein Bein nach oben. Einmal schüttelte Humbria mit dem Kopf, aber wartete geduldig, bis ich vernünftig im Leder saß. Vorbereitend prüfte ich meinen Sitz, spürte direkt, dass ich rechts höher saß als links und der Kopf des Pferdes wieder nickte. Langsam setzte ich das Tier in Bewegung, wirklich langsam. Ein Tritt nach dem anderen setzte sie nach vorn, jedoch genau an meiner Hilfe. Mithilfe der Zügel holte ich den Kopf nach oben, um die Geschmeidigkeit im Genick zu behalten und setzte mich tief in den Sattel. Doch als Lina, bereits im Mitteltrab, fiel mir die Stute aus dem Rahmen. Trotzig schnaubte Humbria ab.
      „Sei geduldig mit ihr. Noch vor drei Wochen lief sie auf der Bahn, da kann sie dir auch heute keine Hochleistung im Sand bringen“, korrigierte mich Tyrell. Seine Sprüche waren mir bekannt und die Intention noch viel mehr, aber ein kleiner innerlicher Teufel versuchte mir immer ins Gewissen zu sprechen, dass es bei anderen so viel einfacherer war und ich allein diesen täglichen Kampf hatte.
      „Okay, aber was soll ich tun?“, murmelte ich in das kleine Mikrofon an meiner Brust.
      Seufzten ertönte in meinen Ohren.
      „Hör ihr zu, was sagt sie? Und im Unterschied dazu, was sagst du ihr? Gib ihr die Zeit. Am besten fernab der anderen, viel weiter im Inneren. Erst, wenn ihr auf einer Ebene kommuniziert, könnt ihr die Schiefe ausgleichen. Außerdem muss der Schub weg, aber daran bist du auch gewillt zu Arbeit, wie ich sehe“, holte er weit aus. Wie ein Anfänger fühlte ich mich, als säße ich zum ersten Mal auf dem Rücken eines Pferdes, aber weit davon war ich auch nicht entfernt. Drei Jahre Erfahrung machen mich nicht zu Profi, wenn auch der unter 25 Jahren Kader eine glückliche Fügung darstellte.
      Im Inneren arbeitete ich im Stillen mit Humbria, konnte von jedem Abwenden sie besser ausgleichen, bis sie schließlich geschlossen stehen bleiben konnte und mich in den Kurven nicht mehr nach Außen hob. Die anderen Beiden Reiter erschienen im Kontrast so viel weiter. Lina trabte entspannte mit Redo, galoppierte gezielt aus dem Schritt an und konnte die Rappstute durch wenige Hilfen zurücknehmen. Auch Jonina auf Hallveig konnte sich sehen lassen, wenn auch unvergleichbar. Die braune Isländerstute brachte enormen Schwung an den Tag, was Auswirkung auf die Tragkraft hatte. Im Tölt strampelte sie wie ein Weltmeister und was so wirklich das Ziel der Beiden in der Reithalle war, konnte ich nur erahnen. Als hätte Tyrell meine Gedanken erhört, kommentierte er ihre Reitweise. Bruce saß still daneben. Eine kleine Diskussion entbrannte darüber, was richtig und was falsch sein. Ich schnappte vor Verwunderung nach Luft und konzentrierte mich wieder auf den Chaoten unter mir.
      Behutsam drückte ich beide Haken in die Seite der Stute und die Gerte wedelte gezielt. Aus dem versammelten Schritt heraus, baute sich Humbria auf, bekam einen bombastischen Schwung an Energie und sprang direkt in den Galopp, den man beinah als Schulgalopp bereits ansehen konnte. Es war das erste Mal, dass sie aus sich herauskam und den Brustkorb hob, dass ich dieses Angebot nur annehmen konnte für einige Tritte und dann die Zügelverbindung beendete und lobte. Wie ein hungriges Krokodil drehte sie sich zu mir und öffnete das Maul, um auf das Leckerli zu warten. Natürlich bekam sie aus, angesichts der Tatsache, dass sie unausstehlich wurde, wenn es keins gab. Ja, es war eine schlechte Angewohnheit, woher auch immer diese Stammen sollte, aber wir arbeiteten daran. So gab es keins mehr beim Holen vom Paddock, was mittlerweile verkraftbar war.
      Ein letztes Mal auf der anderen Hand wollte ich die Energie aus ihr herausholen. Bekam sogar den gewünschten Trab, den ich mit einer weiteren treibenden Hilfe ins Arbeitstempo verstärkte und mir auf dem vierten Hufschlag die Zügel aus der Hand kauen ließ. Zur gleiche Zeit waren die anderen Beiden in einer Abteilung unterwegs, trabten auf einer Schlangenlinie mit vier Bögen und galoppierten sogar zusammen auf einem sehr großen Zirkel. Aus dem Augenwinkel betrachtete auch Humbria dies. Voller Freude sprang ich beim nächsten Halt aus dem Pad und lobte die Stute ausgiebig.
      „Gut ihr Beiden, dann kannst du mir auch die Ente fertig machen“, sagte Tyrell zu mir, bevor ich Kopfhörer rausnahm und das Mikrofon stummte. Die Ente war kein anderes Pferd als Schleudergang, eins seiner Nachzuchten. Ich verstand nicht genau, wie er auf die Idee kam, das Barock-Reitpferd neu zu erfinden, aber mein Chef tat es und das beinah radikal. Unsere Ente hatte dichtes Langhaar mit einem mittellangen Hals, die Schulter schräg und reichte markant in den Rücken hinein – rundum, dem Zuchtprogramm entsprechend. Aber was man erst bei einem zweiten, und vor allem genaueren, Blick sah, war, dass dieses Pferd sehr ungeschickt lief. Ente hatte sich nicht unter Kontrolle, wirkte wie ein junges Tier, das vor wenigen Stunden lernte sich zu bewegen. Das machte die Arbeit mit ihr zu einem großen Problem, oder wie mein Chef zu sagen pflegte: Es ist kein Problem, sondern eine Herausforderung. Deswegen war ich froh, den nötigen Abstand zur Stute zu haben.
      Northumbria fraß genüsslich ihre Kraftfuttermahlzeit im Solarium und ich hatte mich mit einem Halfter bewaffnet, um die Ente vom Paddock zu holen. Wie alle anderen stand sie mit dem Po Richtung wird vor dem Unterstand, der Kopf gesenkt und von Motivation eher weniger geprägt. Genauso verlief auch das Holen und fertig machen für’s Training. Mit mir zusammen erreichte auch Bruce die Reithalle, hatte dabei seine große Hoffnung: Spök. Die junge, und ziemlich hübsche, Stute aus Krít lief mit wippenden Ohren neben ihm her, auf dem Rücken einen Longiergurt und in seiner Hand die Doppellonge.
      „Und, wann wirst du dich draufsetzen?“, erkundigte ich mich.
      „Jonina saß gestern das zweite Mal im Sattel und nächste Woche möchte ich mit ihr eine kurze Runde in den Wald in Begleitung“, erzählte Bruce und ging weiter zum Tor.
      Die Ente hatte ich geputzt und gesattelt, bevor Tyrell kam, um sie abzuholen. Dann nahm auch ich Humbria wieder aus dem Solarium heraus. Obwohl das Pferd nahezu trocken war, legte ich ihr wieder die grüne Weidedecke auf den Rücken und stellte sie weg. Direkt lief sie in den Unterstand und begann das Heu zu knabbern. Von der Seite kam Jonina dazu, hatte offenbar Halli weggestellt und nun Milska sowie Cissa in der Hand.
      „Bruce wollte, dass du sie Korrektur reitest“, gab sie mir die gescheckte Stute. Durch den dichten Schopf funkelten ihre Augen, wovon eins blau war und das andere tiefschwarz. An der linken Ohrspitze befand sich ein kleiner Fleck, ansonsten war ihr Kopf hell. Bruce hatte mir schon von der Stute berichtet. Angeschafft für die Reitschule, stellte sie sich als eine Herausforderung dar für junge Leute, da sie zwar geduldig war und sehr zuverlässig den Hilfen folgte, hatte sie Tage, an den nichts lief.
      Aufgeregt pochte mein kleines Herz in der Brust, drohte sich den Weg ins Freie zu suchen. Cissa erfüllte beinah alle meine Anforderung, rein optisch, zu einem Traumpferd. Die Augen waren treu und groß, die Ohren Aufmerksamkeit und die Gelenke kräftig. An den Fesseln hing viel Behang und das Langhaar war dicht. Neugierig stupste sie mich an, beobachtete jeden meiner Schritte im Stall und konnte es scheinbar gar nicht abwarten, sich zu präsentieren. Glücklicherweise hatte ich meinen eigenen Sattel, musste demnach Bruce nicht stören, der mit Spök die Anforderungen einer A-Dressur vom Boden aus erarbeitete. Mit einer Lammfellunterlagen konnte ich kleinere Unebenheiten zwischen Rücken und Sattel ausgleichen und legte darunter die grüne Otter-Schabracke, die natürlich um einiges zu groß war, aber das störte mich nicht. Da ich nicht wusste, was auf mich zukommen würde, legte ich ihr noch einfachere schwarze Gummiglocken an die Vorderbeine, ehe wir auch wieder in die Halle gingen.
      Die Brüder konzentrierten sich vollständig auf die Handarbeit mit den beiden Stuten, bemerkten mich nur peripher, auch Lina nickte nur, als ich „Tor frei“, rief. Auf der Mittellinie stellte ich mich auf und gurtete nach. Dabei immer im Augenwinkel die elfjährige Stute, die noch immer sehr genau meine Schritte beobachtete. Zum Kennenlernen nahm ich die Zügel in die rechte Hand auf Höhe des Widerristes und trieb sie mit der Gerte, in der linken Hand, schrittweise los. Unbalanciert taumelte sie nach vorn, wenig davon begeistert, dass ich sie einrahmte. Aber Meter für Meter, die wir hinter uns ließen, kam Cissa in ihren Schwerpunkt. Der Unterschied von einem Gangpferd ihrer Art war unverkennbar. Sie war in der Lage, die Schulter und Vorderhand zu heben, ohne dabei den Rumpf mitzunehmen und sich dabei mehr zu tragen. Jeden Schritt, den sie bei alldem in die richtige Richtung machte, belohnte ich mit einem Leckerli. Zufrieden mit der bisherigen Handarbeit schwang ich mich auf ihren Rücken und trabte auf dem Zirkel an. Mir fehlte der Vergleich, aber bequem trabte ich leicht, fühlte mich ungewöhnlich auf ihr. Für mein eigenes Vergnügen töltete ich auch einige Male die Bahnfiguren einer Anfänger Dressur in Verbindung mit vorbereitenden Seitengängen. Im Tölt fiel es ihr leichter sich in der Schulter zu wegen und mobil zu sein, während die Kruppe sehr steif an seiner Stelle blieb. Wenige Schritte kamen, wenn ich gezielt das Gewicht nach innen verlagerte, dabei die Stellung des Genicks am Zügel hielt und außen schob. Ja, seitwärts Bewegungen waren in einer so frühen Phase des Tanzes im Sand außergewöhnlich, aber durch Tyrell hatte ich es zu schätzen gelernt Pferden von Anfang an das Tragen zu vermitteln. Besonders für ein Gangpferd war es wichtig Tragkraft zu bekommen, denn Schwung und Schubkraft waren von Natur aus zu genüge da. Wie auch schon mit Humbria hörte ich auf, als es am besten lief. Ohne sie wirklich abzureiten, sprang ich ab und führte sie heraus.
      „Hufe noch“, erinnerte mich mein Bruder, der diese Sparmaßnahme auf Biegen und Brechen durchbringen wollte.
      „Das ist so unnötig“, rollte ich mit den Augen und griff nach dem Hufkratzer neben dem Tor. Zugegeben, Cissa hatte wirklich viel Sand zwischen dem Grip und zufrieden setzte er seinen Weg fort.
      „Wo willst du eigentlich, schon wieder hin?“, rief ich noch nach, aber bekam bis auf ein freches Grinsen, keine Antwort.
      Cissa hatte sich eine Portion Kraftfutter verdient und ich mir eine Pause. In der Futterkammer mischte ich die alle Zutaten laut ihres Speiseplans zusammen und mir reichte ein Apfel. Da auch sie vollkommen verschwitzt nicht auf das Paddock zurückkonnte, durfte sie eine Einheit im Rotlicht genießen. Da Lina und Tyrell noch eine Einzelstunde hatten, setzte ich mich an den Rand.
      Der Hengst hatte einen wunderschönen Zopf entlang des Mähnenkamms bekommen und sie selbst trug ihr Haar auch wie eh und je geflochten. Im Gleichklang wippten die Zöpfe im Takt des Schrittes. Rambi, oder Einheitssprache, wie er auf dem Papier hieß, machte sich seines Geschlechtes alle Ehre. Den Rumpf groß aufgebäumt trug er sich auf der Hinterhand, dabei den Schweif leicht aufgestellt und immer wieder drückte er sich von der Gebrauchshaltung weg. Dabei brummte er schrittweise, oder wieherte. Von draußen kamen mehrere Antworten der anderen Männer und auch die eine oder andere Stute beteiligte sich an dem innigen Gespräch.
      „Ihr solltet miteinander arbeiten, nicht gegeneinander“, hörte ich Tyrell sagen, bevor Lina den Hengst mit großem Kraftaufwand anhielt. Er schüttelte den Kopf und mit der Kruppe stieß er gegen die Bande, untermalt von einem leisen Brummen.
      „Und wie?“, fragte Lina. Dann begann eine ausführliche Erklärung über die Hengsterziehung und was alles dazu gehörte mit einem neuen Pferd ein Team zu werden. Gespannt hörte meine Kollegin, und auch Freundin, zu, aber mich nervte das Geschwafel. Das Glück war auf meiner Seite, so piepte das Rotlicht zweimal und Cissa hatte aufgefressen. Mit dem Handtuch neben der Bucht, wischte ich zur Kontrolle durch Fell, trocken.
      „Kann ich in den nächsten Tagen noch einmal mit ihr arbeiten?“, hoffte ich mit einem Ja beantwortet zu bekommen von Bruce, dem ich am anderen Stall begegnete, um Cissa zurück auf ihren Paddock zu stellen. Er blieb stehend und musterte uns beide. Aufgeregt fummelte meine Hand an dem kleinen Gummi, der als Etikett am Bund meiner Jacke hing. Natürlich konnte trotz aller Anspannung, das Grinsen auf meinen Lippen nicht verbergen. Die Mundwinkel zuckten vergnügt.
      „Natürlich“, lachte er mit seiner Hand auf meiner Schulter. Ein altes, aber wohlbekanntes Gefühl breitete sich durch meinen Blutkreislauf aus – Familie. *Seid ihr das?*

      Aus Schulungszwecken hatten Lina und ich zusammen mit Holy am Kappzaum gearbeitet. Die junge und trächtige Stute kannte die Grundlagen der Légèreté, umso angenehmer war es, dass sie etwas in Bewegung kam. Mit ihrem Kugelbauch konnte man kaum denken, dass erst in vier Monaten das Fohlen kommen sollte. Jeder ihrer Schritte wirkte wie eine Herausforderung, aber die Arbeit half der Stute an der Tragkraft zu arbeiten. Schließlich wollte auch das Baby getragen werden.
      „Du musst die Hilfen korrekt am Bauch setzen, da wo auch dein Schenkel liegen würde“, zeigte ich Lina noch einmal mit so viel Geduld und Freundlichkeit, wie ich aufbringen konnte. Ja, nicht jeder konnte sofort Profi sein, denn ich war es auch nicht, aber Hilflosigkeit irritiert mich.
      „Okay“, lächelte sie. Erneut legte Lina ihre Hand an das Gebiss, um das Genick der Stute in eine leichte Stellung zu nehmen und mit der Gerte am Bauch bewegte sich Holy schrittweise nach innen.
      „Kann ich euch allein lassen, oder brauchst du noch meine Hilfe?“, erkundigte ich mich einige Minuten später, als Lina mit Holy an der Haltung arbeitete.
      „Nein, alles gut“, winkte sie, aber rief mir noch nach, „Was hast du jetzt noch vor? Mit Humbi Ausreiten?“
      Lachend hielt ich an.
      „Eigentlich wollte ich mit Bruce raus, da er mit Spök nicht allein den Wald beschreiten möchte“, grinste ich fröhlich und hüpfte hinaus.
      Aus der klirrenden Kälte, deren Wind unsanft durchs Land zog, wurde zwar kein Hochsommer, aber es war trockener. Die Luft stand, erzeugte eine angenehme Frische, sodass ich in meinem Outdoor Pullover wieder in den Wald konnte. An dem dunklen Stoff der Ärmel klebten überall Pferdehaare. Ich hatte aufgegeben jeden Tag sie zu entfernen, aber warum auch? Ungewöhnlicherweise gefiel mir, die kleinen Fellmonsterreste an mir zu tragen.
      Wie ein alter Hase lief Spök neben Vrindr durch den Wald, den manch ein Pferd als den gruseligsten Teil des Gestüts empfand. Von allen Richtungen ertönte lautes knacken des Unterholz und meine sogar einen Hirsch gehört zu haben, als wir auf die Trainingsbahn abbogen. Die gescheckte Stute sah sich mit angewinkelten Ohren in der Gegend um, schien nach bekannten Orten zu suchen oder einem Gespenst, das es natürlich nicht gab. Bruce scherzte derweil.
      „Kannst dir vorstellen Cissa in deine Obhut zu nehmen bis zum nächsten Jahr?“, fragte er nach einem Stück, das wir getrabt waren.
      „Vorstellen ja, aber ich denke, meine Zeit gibt das nur schlecht her“, antwortete ich entrüstet. Tyrell schob mir im Arbeitsplan immer mehr Pferde zu und auf meinem eigenen Pony hatte ich bis heute nicht gesessen, obwohl es bei ihr mehr die Angst war, etwas falsch zu machen, als meine Zeit. Gleichzeitig benötigte Lubi sehr viel Bewegung. Morgens begann es mit einer halben Stunde Führanlage und abends stand sie häufig noch im Aquatrainer, dazwischen arbeiteten wir an der Hand oder hatten eine lange Einheit auf dem Platz. Die Stute war wissbegierig und nur schwer müde zu bekommen, kein Wunder, wenn sie in Kalmar täglich drei Stunden Training hatte vor meiner Zeit. Die Besitzer legten viel Wert darauf, dass sich der Trainingsstand ihrer Stute verbessert und dabei sollte auch die Ausdauer auf dem gewünschten Stand befinden. Außerdem hatte ich auch meinen Freund, der sich nach gemeinsamer Zeit sehnte, die ich aktuell in den Hintergrund schob und dabei selbst auch den Boden unter den Füßen verlor. Wenn es so weitergehen würde, könnte ich wieder im Teufelskreis landen oder bei Niklas.
      „Es würde schon reichen, wenn du mit ihr zwei bis drei Mal auf dem Platz arbeitest. Sie ist sehr motiviert in ihren Gängen in der Dressur und bei euch hatte ich das Gefühl, dass es passt. Also würden wir uns beide darüber freuen“, baute Bruce mich auf. Den restlichen Weg durch den Weg dachte ich darüber nach, konnte aber keine Entscheidung treffen, bevor ich mit einer außenstehenden Person die Situation besprochen hatte. Damit sei es nicht getan, auch meinen Zeitplan sollte ich dafür noch einmal genau studieren, doch zuvor sollte die Vrindr versorgt werden.
      Bei der Rückkehr in den großen Stall, durchquerte ich den Weg an den Stutenpaddocks, auf dem Holy wieder am Heu zupfte mit Girlie zusammen. Auf dem Sand daneben folgte mir der Blick von Humbria, die bereits am Morgen eine kurze, aber intensive Einheit auf dem Reitplatz genoss. Ein Lächeln huschte mir über die Lippen bei dem Gedanken, dass die Stute so große Lernerfolge zeigt. Ja, es gab Rückfälle, die sich als impulsive Ausfälle zeigten. Sie sprang hektisch durch den Sand, ignorierte ihren Reiter komplett und Tyrells Meinung zur Folge half dabei nur Absteigen und das ruhige Vermitteln der Lektion vom Boden. Dem kam ich nach und tatsächlich beruhigte sich das Rennpferd dabei.
      „Nachbesprechung ist essenziell“, erinnerte Tyrell, als wir uns im Büro versammelten. Lina und ich hingen zusammen auf einem Sessel, während Jonina allein auf dem daneben saß und mich mit ihren durchdringenden Blicken löcherte. Unauffällig versuchte ich die junge Dame zu analysieren, verstand aber nicht, welches Problem sie mit mir hatte. *Egal?*
      „Nun gut, da keiner von euch Einwände hat, fahre ich fort. Northumbria entwickelt sich großartig, so gut, dass sie sich eine Woche Pause verdient hat. Lockere Ausritte würden ihr guttun, aber keine intensiven Versammlung, lieber durchparieren in den Halt, um anschließend einige gezielte Tritte rückwärtszusetzen. Demzufolge wirst du in den Einheiten Walker bekommen. Lina, deine Stute ist großartig, aber wir sollten an einem anderen Punkt mit ihr weiterarbeiten. Die Anfänger Einheiten sind zu leicht, wodurch sie auf blöde Ideen kommt, umso wichtiger ist die Zeit mit deinem Hengst. Außerdem solltest du ihm Glocken anlegen, am besten sogar auf dem Paddock. Auch du Jonina kannst mit den Isländern gut an das Niveau der Anderen ansetzen, aber ich schätze, du schaffst das auch mit meinem Bruder. Zum Abschluss möchte ich euch noch sagen, dass wir morgen der theoretische Kurs beginnt und dabei gern dich und Rambi zum Vorzeigen hätte. Und, dein Freund kommt noch?“, erkundigte sich Tyrell, worauf Lina nickte, „sehr gut, dann sehen wir uns alle morgen um zehn Uhr in Raum 102.“
      Den freie Nachmittag nutze ich tatsächlich für ein Training mit Cissa auf dem kleinen Reitplatz, denn auf dem großen herrschte reger Wechsel der Einsteller und sogar Zickerei, wovon ich bestmöglichen Abstanden nahm. Neugierig beobachtete sie abermals jeden meiner Schritte, ein Zupfen an der Jacke hier und warmer Atem in meinem Gesicht da. Dennoch trat sie unruhig von einem Huf auf den anderen, dabei klimperten die Eisen einige Male, was mich an Tyrells Worte an Lina erinnerte. Auch Cissa sollte wohl besser Glocken zum Schutz tragen. Demnach holte ich alles Nötige aus der Sattelkammer, vergaß wie sooft den Helm, und befestigte das Zubehör korrekt.
      Für die heutige Einheit entschied ich besonders viel Wert auf Ruhe zu legen, die sie von vornherein an dem Tag nicht hatte. Es fiel ihr schwer den Schwerpunkt in der Mitte zu finden, setzte mich immer wieder nach außen, obwohl ich in den Kurven deutlich innen sitzen müsste. Im Stand nahm ich den Bügeltritt zur Hilfe, um das Gewicht gezielt zu verlagern und setzte die Einheit fort. Ihre Balance nahm zu, so legte ich mit sanften Impulsen an Geschwindigkeit zu und wiederholte die wichtigen Figuren der Anfänger Dressur. Kaum zu glauben, aber in meinem Kopf eröffnete sich, wieso auch das so wichtig war zu üben. Durch eine klare Linienführung spürte ich bei jedem Schritt, ob die Hufe ordnungsgemäß fußten, welche Defizite das Pferd unter dem Sattel vorwies und ihr leichter fiel. Cissa war rechts hohl. Besondere Auswirkungen hatte diese schiefe auf ihre Schulter. In den wenigen Metern Tölt, die sie in den Ecken im Trab zwischendurch machte, blieb das eine Bein deutlich länger am Boden und hielt sich tiefer in der Luft. Häufige Handwechsel und auch Kehrwendungen auf der Vorderhand ermöglichten es mir, die Körperteile akkurat zu mobilisieren. Man soll aufhören, wenn es am schönsten ist, deswegen schwang ich mich nach weiteren Runden im Trab aus dem Sattel und lobte die Stute ausgiebig.
      Am Horizont verabschiedete sich die Sonne langsam, ein Zeichen, dass ich die letzte Reiteinheit des Tages in die Halle verlagern sollte. Erneut war ich mit Lina verabredet, die mit Redo noch an der Longe arbeitete und mit mir zusammen die Hengste plante zu bewegen. Klinkker hatte vor der Abreise noch ein Training und bei meiner Kollegin entwickelte sich so etwas wie Ehrgeiz, um morgen mit Rambi morgen zu glänzen. Sie sprach nicht offen darüber, aber ich sah dieses Leuchten in ihren Augen, das sich ausbreitete, wenn ich Fragen zu dem hübschen Hengst stellte.
      In der Sattelkammer durchsuchte Lina hektisch ihren Schrank, der sich mittlerweile zu einem kleinen Paradies aus Schabracken verwandelt hatte. Gut, bei mir wurden es, gefühlt, ebenfalls immer mehr. Einige der Stücke hatten sogar noch das Etikett daran. Noch bevor ich meine abschließende Wahl traf, griff ich nach meinem Handy. Der Sperrbildschirm war überseht von Benachrichtigungen, wovon die meisten uninteressant waren, doch eine Nachricht, weckte direkt mein Interesse – *Avledning*. Prüfend schwebten meine Augen von links nach rechts. Alle wussten davon, aber ich wollte besonders das Treffen in weniger als einem Monat weiterhin geheim halten.
      „Wenn es sich glücklich macht, nutze die Chance. Ich sehe keine Nachteile darin“, las ich in seiner Nachricht. Zuvor berichtete ich von Cissa, natürlich nur indirekt. Das Thema Pferd und Reiten waren für viele zu kompliziert, besonders emotional gesehen, dass ich ihm dies ersparte.
      „Okay, dann werde ich es versuchen“, schwebten meine Finger über die dunkle Tastatur.
      „Nein, du versuchst es nicht. Du machst das“, antwortete er umgehend und verlor mich selbst in der Konversation.
      Offenbar hatte ich es mir unbewusst auf den Polstern inmitten des Raumes bequem gemacht, denn Lina stand vor und tippte mich auf den Beinen an. Eingeschüchtert fuhr ich hoch, was dem Schrecken geschuldet war.
      „Eigentlich will ich dich ungern stören, aber die Pferde warten auf uns“, lächelte sie.
      Ich rollte mit den Augen. *War es ihre übertriebene Freundlichkeit oder die reine Tatsache, dass ich mein Handy weglegen sollte, die mich nervte?*
      Rambi sah einmalig aus. Lina hatte wirklich Talent dafür, das Outfit ihres Pferdes, auch wenn nicht wirklich ihr gehörte, abzustimmen. In der geflochtenen Mähne trug der Hengst ein violettes Band, die Schabracke ebenfalls in dieser Farbe und aus der Wühlkiste mit Glocken hatte sie tatsächlich auch welche gefunden, die dazu passten. Außer acht sollte man auch die Trense nicht lassen, die nach ihren Farbwünschen gemacht hatte. Das Kletterseil in dem beerigen Violett fand ich noch in meiner Sammlung aus alten Schnüren und bis auf den letzten Zentimeter hatte ausgereicht, um ihr ein schönes Zaum zu gestalten. Ich hingegen hatte eine beliebige Schabracke gewählt in Grün und sehr unpassend dazu trug Klinkker dunkelblaue Bandagen mit Wolle als Unterlage, worauf ich im Internet stieß.
      „Wenn du mich brauchst, musst du mich über das Headset kontaktieren“, sagte ich zu Lina und stellte bei den Geräten die korrekte Frequenz ein. Zustimmend nickte sie und schwang sich in den Sattel. Einige Meter entfernt reihte ich mich auf der Mittellinie auf, gurtete nach und setzte mich ebenfalls auf den Rücken des Tieres. Interessiert drehte er den Kopf zu mir, musterte genau meine Bewegungen. Gezielt setzte ich mich ins Leder. Das letzte Pferd eines Tages war immer eine Herausforderung für meine Konzentration, umso mehr hatte ich das große Ganze im Kopf.
      Klinkker brachte sich gut in die Arbeit ein. Bereits nach einigen Runden im verkleinerten Viereck balancierte sich der Hengst und brachte eine hohe Konzentration an Tragkraft auf. Daraus entschied ich mehr am Schwung anzusetzen, die Schubkraft herauszuarbeiten. Ein Ansatz dafür stellten Schritt-Galopp-Übergänge und Rückwärtsrichten.

      Erst im Nachgang erfuhr ich, wie Lina mit ihrem Hengst zu kämpfen hatte. Abermals präsentierte Rambi sich mit den schlimmsten Hengstmanieren, die ein Pferd an den Tag bringen konnte. Sie schaffte es jedoch einige Bahnfiguren mit ihm zu erarbeiten und näher an die Ansprüche der Anfänger Dressur zu rücken.
      „Was denn das für ein Kaffeeklatsch?“, lachte Niklas, der mit Smoothie an der Tribüne vorbeikam. Böse schielte ich zu ihm.
      „Weiterbildung, eine Aktivität zum Vertiefen, Erweitern oder Aktualisieren von Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen“, gluckste ich. Lina stieß mir im selben Moment mit zwei Fingern in die Seite. Aua, formte ich auf meinen Lippen. Sie grinste.
      „Endlich, du kannst schließlich nicht immer das dumme Blondchen bleiben“, gab er noch hochnäsig zu verstehen und setzte sich wieder mit der Schimmelstute in Bewegung. Im Herzen brannte die Sehnsucht, wenn auch hintergründig, aber sie war da. Seufzend drehte ich mich weg, als sie aus dem Sichtfeld verschwanden.
      Tyrell hatte Samu gebeten sich auf Lego zu setzen und seine normale Dressurarbeit zu zeigen. Neben der kleinen Gruppe vom Hof saßen auch noch andere Außenstehende. Von verschiedenen Höfen kamen sie her, versuchten besser zu verstehen, was es mit der Ecolé de Légèreté auf sich hat. Einige bekannte Gesichter gab es natürlich, die regelmäßig bei Tyrell Unterricht nahmen. Anhand des Rappen zeigte er auf, welche Probleme das Pferd hatte, inwieweit eine Lektion bereits zu früh angefangen wurde und es nicht am Reiter liegt. Dann begann ein tiefsinniger Monolog über den Druck der Gesellschaft und der heutigen Turnierkultur. Wichtig war ihm der Punkt, dass er kein grundlegendes Problem mit der Turnierlandschaft hatte, sondern wie gerichtet wurde und die Rücksichtslos die Tiere ausgebildet wurden. Mit einigen Tipps konnte Legolas sich mehr Fallen lassen und Samu die Hilfen gezielter einsetzen, um dem Hengst klar und deutlich zu vermitteln, was er von ihm wollte.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 31.853 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte Oktober 2020}
    • Mohikanerin
      Gang E zu A | 15. März 2022

      Narcissa // Vrindr von Atomic // Milska // Otra // Spök von Atomic

      Neuer Tag, neues Glück. So sagt man das doch, oder? Ich wollte heute auf die Bahn. Folke war bereits mit dem Schneepflug darüber gefahren, um den Schnee zur Seite zu schieben. Die Kies Oberfläche wurde nicht sichtbar, aber das reichte mir. Die vier Stuten, die heute auf dem Plan standen, waren voll beschlagen mit Grip und Spikes, was mir eine Leichtigkeit war, die Tiere in ihrem Element zu schulen. Mit Narcissa ritt ich bereits im Schritt auf der Bahn. Es war ruhig auf dem Hof, ohne das Getümmel. Die meisten waren Kiel auf einer Pferdeauktion. Auch ich hätte mitfahren können, aber wollte lieber die Zeit nehmen in der kleinen Winterpause die Isländer im Tölt zu festigen. Normalerweise betreute Bruce die Scheckenstute, doch er hatte sich den Tag freigenommen, um Zeit für sich selbst zunehmen. Eine weise Entscheidung, wie ich fand.
      Am langen Zügel ritt ich zunächst im Schritt, wechselte einige Male die Hand, bevor ich langsam etwas mehr Kontakt zum Pferdemaul aufbaute. Mit halben Paraden machte ich sie Aufmerksamer und mit einer treibenden Hilfe setzte Narcissa im Tölt an. Wiederholend bremste ich sie ab, zurück in den Schritt, hielt an und startete erneut durch. Das half sowohl mir als auch dem Pferd genauer auf alles zu achten und sie mehr ans Bein zu holen. Besser setzte sie sich auf die Hinterhand, bis ich schließlich einige Runden ohne Rollen im Tölt hinlegte und zum Ende hin auch noch etwas trabte und galoppierte. Damit beendete ich die Einheit. Im Stall bekam sie ihr Futter, während ich Vrindr putzte.
      Die junge Stute lief bereits sicher im Tölt, aber fehlte es noch an der Kraft, um den massiven Schwung der Vorderhand auch kontrollieren zu können. Auch mit ihr feilte ich an den Übergänge, legte dabei aber mehr Wert auf die Flüssigkeit, dass die Beine richtig abzufußen zur Gangart. Sie tendierte dazu Schwebetritte zu machen oder im Boden zu versinken und dabei den Körper zu verschieben. Die Grundgänge lief die Stute zuverlässig.
      Fortlaufend arbeitete ich Milska, die immer mehr zum Reitpferd wurde und vorbereitet wurde die Körung wurde. Zu gleichen Teilen ging es auch mit Otra wieder ins Training, die zwar durch ihre Verletzung am Huf, die bereits abheilt, noch beeinträchtigt ist, aber zu wenig Auslauf hat. Deswegen ging ich mit ihr in die Halle, für einen weicheren Unterboden. Zwischendurch bockte sie durch die übermäßige Energie, aber ich wusste damit umzugehen. Gerade als ich Spök vom Paddock geholt hatte, klingelte mein Handy. Mein Bruder wieder mal, der offenbar ein Problem hatte mit seinem Auto.
      “Wollen wir ihm helfen?”, flüsterte ich der Stute zu, die weitere Heuhalme im Maul kaute. Sie nahm sich öfter etwas mit, um für später etwas zu haben. Schnaubend schien mir die Stute zuzustimmen und ich brachte sie wieder zurück. Als Schwester hatte man es nicht immer leicht, vor allem, wenn man eigentlich immer erreichbar war. Aus dem Schrank holte ich meine Papiere sowie den Autoschlüssel und spielte Taxi.
      Geschlagene zwei Stunden später, weil ich ihn erneut zum Hof fuhr, damit er nachher nach Stockholm fahren konnte, kam ich wieder an. Spök stand am Zaun, blickte mich mit den blauen Augen an, als konnte sie gar nicht abwarten, endlich geritten zu werden. Mit aller Zeit der Welt putze ich sie, legte das Sattelzeug darauf und führte sie zur Ovalbahn. Entspannt arbeitete ich vom Boden aus und stieg auf. Die Vorbereitung bevorzugte ich nicht im Sattel zu machen. Begonnen töltete ich sie auf kurze Distanzen an, um sie nicht zu überfordern und als wir eine halbe Runde zurücklegten, beendete ich.

      © Mohikanerin // Jonina Mattsson // 3561 Zeichen
      zeitliche Einordnung {November 2020}
    • Mohikanerin
      Gang A zu L | 30. Juni 2022

      Vrindr von Atomic / Otra / Narcissa

      Der Regen beruhigte sich, sodass ich nach dem Palomino Hengst mit den Stuten fortsetzen konnte. Jonina holte Narcissa vom Paddock und Otra, da sie einen fortgeschrittenen Ausritt hatte. Die junge Dame, die sie begleitete, wollte mit der Schecken Stute im April das erste Turnier reiten. Im Wald konnten alle besser Trainieren. Sie nahmen die Runde auf der Grasbahn und erreichten damit eine gute Aufrichtung und Haltung der Pferde, wie mir im Nachhinein erzählt wurde. Zur gleichen Zeit sattelte ich Vrindr, die immer mehr zum Reitpferd wurde. Nach einer Pause über Weihnachten schöpfte die Stute neue Kraft und lief freudig durch den Sand. Zuvor verlor das junge Pferd Spaß an der Arbeit, stolperte häufig und ignorierte meine Hilfen. Umso glücklicher war ich. Vrindr longierte ich die letzten Tage und nahm sie als Handpferd mit.
      Die Einheit in der Reithalle an dem Tag wollte ich reiten. Schon beim Satteln wurde sie zappelig und als wir ankamen im Sand, beruhigte sie sich. Vor dem Aufsteigen arbeitete ich an der Hand. Vrindr besserte sich, kaute aktiv am Gebiss und stieg schließlich auf. Dennoch ritt ich zunächst Schritt auf großen Biegungen, trabte und töltete. Im Programm legte ich auch viele Übergänge und Handwechsel fest. Stets musste sie auf meine Hilfen achten, damit sie nicht auf blöde Ideen kam. Nach einer halben Stunde hörte bereits aus. Vrindr bekam noch Futter und konnte zurück auf den Paddock.

      © Mohikanerin // Bruce Earle // 1420 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Februar 2021}
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugotvå | 9. Juli 2022

      Maxou / Caja / HMJ Divine / Legolas / Planetenfrost LDS / Lotti Boulevard/ Nachtschatten/ Lu‘lu‘a / Wunderkind / WHC‘ Golden Duskk / Eifellust / Lubumbashi / Fahrenheit LDS / Úlrik / Spök / Narcissa

      Lina
      Sehr unsanft durchdrang der Weckerton meine Träume. Verworrene Träume, die düster durch mein Unterbewusstsein waberten. Nicht gerade der Start, den man sich für den Weihnachtsmorgen wünschte, aber nicht ungewöhnlich. Jegliche Ereignisse, die man für gewöhnlich mit seiner Familie verbrachte, neigen dazu, mir das vor Augen zu führen, wogegen ich verzweifelt ankämpfte.
      Anlässlich des bevorstehenden Festest hatte ich mit nur meine Schwester eingeladen, nein, auch Jyrki erhielt eine Einladung. Sogar an meinen Vater dachte ich einen wahnwitzigen Moment lang, verwarf diese Idee aber schnell wieder. Wer über Jahre hinweg nicht einmal versucht Kontakt zu seinem Kind aufzunehmen, würde wohl kaum zu Weihnachten plötzlich seine Meinung ändern. Zumal nicht mal mein Bruder es für notwendig hielt, mir wenigstens eine Absagte zu schicken. Kaputt war sie, meine Familie. Langsam zerbrochen an der Last des Lebens. Langsam drang die Luft aus meinen Lungen. Eine normale Familie würde wohl für immer ein Traum bleiben.
      Langsam schob ich einen Arm unter der warmen Decke hervor. Die kühle Luft im Zimmer jagte mir augenblicklich ein Schauer über die Haut, unter dem sich die kleinen Härchen darauf aufstellten. Unglaublich, wie kalt so ein Raum werden konnte. Ein wisch über den Bildschirm und das Gerät schwieg endlich. Müde ließ ich den Kopf zurück auf das Kissen sinken. Der gestrige Abend war dann doch noch länger geworden als geplant, angesichts der Tatsache, dass die Vierbeiner natürlich auch heute versorgt werden wollten. Zumindest mit dem nötigsten. Die Stille war nur von kurzer Dauer, denn mit einem leisen Ping, wurde der Erhalt einer Nachricht angekündigt. Erneut griff ich nah dem Handy. Urheber der Störung war Enya, sie wollte in einer Stunde da sein damit wir noch einmal dem keinen Auftritt, üben konnte. Meine Güte, warum war sie denn schon so früh wach? Immerhin hatte sie keine hungrigen Vierbeiner vor der Tür sitzen. Aber ihr Tatendrang sprach zwangsläufig dafür, dass ich jetzt tatsächlich aufstehen musste. Doch vorher musste noch etwas anderes erledigt werden. Zielsicher tippe ich auf den obersten Chat, eine Morgenroutine, die innerhalb der vergangen zwei Monate beinahe in Vergessenheit geriet. Schließlich muss man niemandem schreiben, der unmittelbar neben einem lag. Mit flinken Fingern verfasste ich einen morgendlichen Gruß an meinen Liebsten, natürlich nicht mit dem Erwarten direkt eine Antwort zu erhalten. Niklas war sicherlich nicht an einem freien Tag bereits am frühen Morgen durch die Gegend springen. Dennoch gab es mir den nötigen Motivationsschub, um aus dem Bett zu kommen. Die Kleidungswahl fiel heute schlicht aus, schließlich würde ich schon den ganzen Abend ordentlich herumlaufen. So griff ich zu einer grauen Thermoreithose und stahl mir einen der Sweater, die mein Freund hiergelassen hatte. Wenn er schon nicht da war, mussten halt seine Klamotten herhalten.
      Ein schwaches Klopfen erklang vom Sofa als ich die Tür öffnet. Vollkommen fertig lag der gefleckte Welpe auf dem Sofa, denn er zusammen mit Nivi noch ziemlich lange die Hütte unsicher gemacht. Vriska hingegen saß bereits mit einer Tasse Kaffee am Küchentisch und tippte munter etwas in ihren Laptop.
      “Guten Morgen”, sprach ich freundlich, wollte eigentlich noch etwas hinzufügen, doch hielt inne. Etwas an ihr sah anders aus, und zwar nicht nur die Brille, die mir bereits gestern aufgefallen war. Eindringlich betrachte ich sie. Ihre Haare waren am Ansatz deutlich dunkler und einige der langen Strähnen waren zu Dreadlocks zusammengeklebt.
      “Oh, du bist wach”, bemerkte sie mich offenbar erst jetzt und nahm die Kopfhörer aus den Ohren, “das Wasser müsste noch warm genug sein. Eine Tasse steht auch schon da.”
      “Danke”, entgegnete ich und lief zur Küchenzeile, um besagtes Angebot entgegenzunehmen.
      “Was machst du da, so früh am Morgen?”, fragte ich neugierig, als ich im Vorbeigehen einen flüchtigen Blick auf ihren Bildschirm erhaschen konnte. Für gewöhnlich war sie nicht der Typ Mensch gewesen, der so früh bereits voller Tatendrang war, wenn man sie denn überhaupt so früh zu Gesicht bekam.
      “Ähm. Nichts”, stammelte sie mit zittriger Stimme und klappte das Gerät sofort zu. Eine leichte Röte überkam ihr Gesicht, dabei grinste Vriska schief und unkontrolliert.
      “Okay”, schmunzelte ich. Das Nichts war offenbar geheim, doch für das Erste beschäftigte mich etwas anderes.
      “Sonst alles in Ordnung bei dir? Lars war ja gestern noch ganz schön lange bei dir”, kam ich auf das zu sprechen, was mir seit gestern auf der Seele brannte. Nachdem wie nah, sich die beiden bereits vor ihrem Verschwinden gekommen waren, würde es mich wirklich interessieren, was die beiden dort drinnen gemacht haben.
      „Mehr oder weniger, ja. Er hatte ein paar Fragen und wollte mich dann unbedingt von der Stute überzeugen, aber na ja“, sie seufzte resignierte, „ich weiß noch nicht ganz. Und danach haben wir uns unterhalten über dies und das.“ Ein zartes Lächeln zuckte über ihre Lippen, dass sie sofort hinter ihrer Tasse versteckte. Sie fühlte sich offenbar immer noch ziemlich von ihm angesprochen. Kein Wunder, er war auch wirklich ein Hübscher.
      “Das mit dir und den Pferden bekommen wir schon wieder hin, nur nicht verzagen”, blieb ich positiv. Es war zwar nicht gänzlich vergleichbar, aber ich konnte es nachfühlen, denn auch meine Beziehung zu den Tieren war schon schwer erschüttert worden und ich hatte viel Zeit und Hilfe gebraucht, um zu ihnen zurückzufinden. Umso mehr Anerkennung hatte ich für Vriska, dass sie überhaupt hier war.
      “Wir werden sehen, aber ich muss gleich los”, sagte sie nach einem Blick zur Uhr hinter ihr an der Wand.
      “Wohin los?”, fragte ich ein wenig schwer von Begriff, “Aber solltest du dir dann vor allem nicht noch etwas anziehen.” Bisher saß Vriska nämlich in nicht viel mehr als einer Boxershorts und einem viel zu großen, viel zu teuer erscheinenden Hemd am Tisch.
      “Ach, so kalt ist es gar nicht”, Vriska lachte, “natürlich ziehe ich zum Arbeiten was anderes an. Die Pferde füttern und bewegen sich nicht von allein.” Dafür, dass sie immer wieder die Uhrzeit überprüfte, saß sie ruhig auf dem Stuhl ohne die Tasse aus der Hand zu stellen.
      “Du willst arbeiten? Bist du dir sicher?”, erstaunt blickte ich sie an. Dass sie sich so schnell ihrer Angst stellen wollte, hätte ich nicht mal bei ihr erwartet.
      “Von Wollen kann nicht die Rede sein, aber Lars möchte, dass ich was tue. Außerdem bin ich krankgeschrieben, also”, erklärte sie.
      “Daher weht also der Wind”, grinste ich leicht, “Na, dann hoffe ich, dass er weiß, was er tut.”
      Intensiv musterten mich ihre Augen, als würden tausende Dinge durch ihren Verstand schweben und nicht den Ausgang finden. Vriska wirkte sehr in sich gekehrt, verändert im Vergleich zu ihrer Abfahrt. Das hatte nicht nur mit ihrem äußeren Auftreten zu tun, eher das gesamte Konstrukt ihrer Selbstdarstellung.
      “Gibst es da etwas, was du mir mitteilen willst?”, kam sie zurück aufs Thema. Kurz musste ich überlegen, die richtigen Ausdrücke finden. Ich freute mich für sie, dass sie trotz der ganzen Geschichte Interesse an jemanden zeigte, aber gleichermaßen sorgte ich mich darum, dass sie sich zu schnell in etwas hineinstürzen könnte, was außerhalb ihrer Kontrolle lag. Und das sagte gerade ich, was eine Ironie.
      “Hab deinen Spaß, aber pass auf dich auf, das will ich dir sagen. Wenn du spurlos verschwindest, bekomme ich sicher einen Herzinfarkt”, sprach ich schließlich offen aus, was mir durch den Kopf ging. Verwirrt kippte sie den Kopf zur Seite.
      “Unwahrscheinlich und das liegt nicht nur daran, dass Mama keine Lust mehr auf mich hat”, scherzte sie. Okay, irgendwas hatte sich wirklich dramatisch verändert, schließlich wäre sie sonst verärgert abgehauen.
      Prüfend blickte ich sie an: “Was ist mit dir passiert da drüben? Du bist so … anders.”
      “Wie viel willst du hören?”, allein die Andeutung zeigte mir, dass es nicht offenbar nicht ihre Familie war, die sie in eine andere Richtung lenkten. Doch bevor ich ihr auf die Frage antworten konnte, öffnete sich die Terrassentür. Mit lautem Bellen stürmten die Hunde zu Lars, der sofort in die Knie ging und die Tiere herzlich begrüßte. Dog, wie Harlen Fred neuerdings benannte, sprang auf seinem Schoß und wollte am liebsten in ihn hereinkriechen für eine optimale Begrüßung. Vriska pfiff den Rüden zurück, der erstaunlicherweise auf sie reagierte.
      “Vivi, ziehst du dich dann an?”, hakte Lars noch nach, als er sich einen Augenblick später mit an den Tisch gesetzt hatte und von Vriska einen kleinen Kaffee bekam.
      “Alles?! Ich würde gerne verstehen, wer oder was so viel Einfluss hat, dass du innerhalb von zwei Monaten so eine Entwicklung machst”, kam ich auf ihre Frage zurück. Vielleicht war sie heimlich von Aliens gegen einen Doppelgänger ausgetauscht worden oder es gab eine deutlich realistischere Erklärung für ihren positiven Sinneswandel.
      „Du bist aber heute auch neugierig“, schüttelte sie amüsiert den Kopf und verließ dabei den Raum. Erst nach dem mehrmals sie die Türen ihres Schrankes geöffnet hatte, kam ihre Erklärung.
      „Im Großen und Ganzen habe ich mich alter Gewohnheiten gewidmet, war eigentlich die meiste Zeit feiern, habe mich mit einigen Typen getroffen“, dann verstummte sie. Lars hob eine Augenbraue und lehnte sich dabei tiefer in den Stuhl. Seine Arme lagen verschränkt auf der breiten Brust, die immer wieder zuckte bei ihrer Erzählung. Obwohl, von seinem Sitzplatz aus hatte man die volle Sicht in ihr Zimmer.
      „Und? Das kann doch nicht alles gewesen sein?“, hakte ich weiter nach. Nur ein wenig feiern zu gehen und dabei vielleicht auch einigen anderen Trieben nachzugehen, schien mir keine ausreichende Erklärung.
      „Schon klar, dass du direkt möchtest, dass Lars abhaut“, scherzte sie, wenn auch mit Verwunderung meinerseits. Er neigte leicht seinen Kopf zu mir, aber ich konnte nur mit den Schultern zucken. „Mama hat mich wieder zur Therapie geschliffen und da mussten einige Sachen geradegerückt werden. Deshalb habe ich mich auch wieder alten Hobbys gewidmet.“ Vriska kam mit einem äußerst freizügigen Outfit wieder aus den Zimmern heraus, was angesichts der Temperaturen keine gute Wahl war. Sie zupfte am Shirt herum und kehrte auf der Stelle um. Mit einem dicken, rosafarbenen Pullover stand sie nun vor uns. Lars nippte an seiner Tasse, die kaum an Flüssigkeit verloren hatte. Eilig hatten die beiden es offenbar nicht.
      „Ohhh, jetzt ergibt alles Sinn“, dachte ich laut. Tatsächlich war es ziemlich einleuchtend, denn das erklärte sowohl die Stimmungsschwankungen als auch die impulsive Handlungsweise, die vor ihrer Abreise an den Tag legte. War das dann also auch der Grund für das, was in Kanada geschehen war und für alles, was danach folgte? Oder hatte irgendwas davon auch die echte Vriska zu verantworten? Ihre Antwort warfen in etwa genauso viele Fragen auf, wie sie beantworteten. Es würde sicher Tage dauern, dem allem auf den Grund zu gehen. Unter der Masse der Gedanken begann sich alles in meinem Kopf zu drehen.
      „Tut mir auch leid, dass ich dir nicht geschrieben hatte, aber Mama hat mein Telefon und mein Laptop eine Internetsperre. Ich fühle mich wie zwölf Jahre, ganz ehrlich“, fügte Vriska nach kurzem Schweigen hinzu. „Meine Schwester überreichte mir ihr Handy nur kurz, deshalb musste ich die Zeit nutzen für“, sie seufzte wieder, „um einige Dinge zu klären, die aber auch jetzt nicht mehr relevant sind. Er soll zur Hölle fahren mit seinen Lügen.“ Also hatte sie es rausgefunden, all das, was zwischen Schein und Sein gelegen hatte und vielleicht noch mehr. Wer wusste das schon?
      “Es tut mir wirklich leid, wie das zwischen euch beiden gelaufen ist”, murmelte ich und klammerte mich an meine Tasse. Vriskas Worte hatten den kleinen Teufel erweckt, der sich nicht davon lossagen wollte, dass es hätte anders laufen können, hätte ich mich nicht dermaßen in dieses Trugspiel verwickeln lassen.
      “Ach, was im Nachhinein passiert ist, weißt du noch gar nicht”, zuckte Vriska vollkommen losgelöst von dem Thema, als wäre es schon mehr als ein Jahr später.
      “Im Nachhinein? Was ist denn noch geschehen?”, fragte ich verwirrt, sowohl von ihren Worten als auch ihrer Reaktion.
      “Lars, hör mal kurz weg”, lachte sie und hielt ihm die Ohren zu. Sein Kopf hob sich langsam in ihren Fängen. Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. War sie sich sicher, dass er ihr gut ging? Sie hätte ich auch einfach herausschicken können. Wunderlicher hatte sie sich wohl noch nie verhalten.
      “Die paar Minuten an Madlys Handy nutzte ich, um mit ihm zu telefonieren. Es war schön, keine Frage, aber immer wieder erklärte er, dass er mich noch lieben würde und das alles nur für Fredna tue. Ich glaube ihm das, keine Frage, aber was erhofft er sich bitte? Das ich jetzt warte, bis er wieder Zeit für mich hat? Deswegen denke ich einfach, dass der ganz schlimme Komplexe hat. Ach, und er hatte auch noch ein paar andere Weiber, also nein danke”, überkam es mich in einem Wasserfall an Worten, dann ließ sie wieder von seinen Ohren los. Ein breites Grinsen lag auf seinen Lippe und seine Hand hielt sich an ihrem Bein. Hatte ich was verpasst?
      Auf einen Schlag löste sich das ungute Gefühl in Luft auf, denn gegen diese Fakten schienen nicht mal meine inneren Dämonen anzukommen. Viel mehr bekam ich das Gefühl, dass es sogar besser war, dass es endete, denn offensichtlich war es so nerven schonender für uns alle. Nur eins passte nicht in dieses Bild, die beiden vor mir.
      “Irgendwas verheimlicht ihr zwei doch”, stelle ich nach hinreichender Betrachtung fest. Er grinste schief und zog sie noch näher an sich heran, dass sie ins Stolpern kam und auf seinem Schoß landete. Ihr Gesicht färbte sich abermals rot. Nun hielt er ihr die Ohren zu.
      “Zugegeben, ich finde sie gut und bin froh, dass sie den Kerl auch losgeworden ist. Ich hatte schon so ein Gefühl”, erzählte Lars mit ruhigen Worten und senkte die Hände wieder.
      “Dir ist schon klar, dass ich das gehört habe? Ich bin zwar blond, aber nicht blöd”, fauchte Vriska spielerisch und gab ihm erneut einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. Dass sie gestern nur geredet hätten, schloss ich mittlerweile kategorisch aus. Er erwiderte ihre Liebkose, aber am Hals und hörbar atmete sie aus.
      “Ich glaube, ich gehe dann mal”, lachte ich und erhob mich vom Tisch, “Viel Spaß euch noch.” Ich freute mich für die sie, doch hatte ich noch Besseres zu tun, als den beiden bei ihren Liebelein zuzusehen.
      “Wir kommen auch direkt mit”, kam es von Lars, der Vriska einen kleinen Stoß gab. Sie rannte zur Anrichte, griff ihre Reithandschuhe, die da schon vorbereitet lagen, nahm sich eine dicke Winterjacke. Im Laufen zog sie ihre Schuhe an und stürmte zusammen mit den jungen Hunden heraus, die ihre schnellen Bewegungen, direkt als Spiel ansahen. Wir beide hingegen standen noch immer im Wohnzimmer, erst dann nahm auch ich mir meine Sachen.
      “Was auch immer du ihr versprochen hast, es scheint ziemlich motivierend zu sein”, stellte ich lachend fest und zog den Reißverschluss der Jacke zu. Über Nacht hatte erneut ein kräftiger Schneefall eingesetzt, weswegen ich lieber auch noch nach einem Stirnband griff. Sicherlich war es kalt draußen.
      “Scheint so, dabei war es nur ein Kuss”, grinste er mich an. Er trug ohnehin noch seine Sachen, zog also auch nur den Reißverschluss zu. Wow, dann musste er das wohl ziemlich gut können, wenn ein Versprechen solche Auswirkungen entfalte.
      In einem gemäßigteren Tempo folgten wir, Vriska durch den Schnee. Sie war so zielstrebig unterwegs, dass sie sogar vor den Hunden dort ankam.
      “Kommt ihr endlich? Das Wetter ist so schön und ihr trödelt nur, anstatt euch ein Pferd zu schnappen”, jubelte sie euphorisch. Hatte sie wirklich Angst vor den Tieren? Ihr Verhalten erweckte nicht gerade den Eindruck dafür.
      “Wir kommen doch schon”, rief ich ihr zu, doch neben Vriska fühlten sich auch die beiden Fellknäuel angesprochen, die augenblicklich kehrt, machten und in vollen Tempo auf uns zu rannten. Während Nivi in letzter Sekunde einen Haken schlug und so nur leicht an Lars vorbeischrammte, schoss der Rüde voll in mich hinein. Ich geriet ins Straucheln, fand auf dem rutschigen Schnee nicht den Halt und fiel. Dann entsprach vermutlich nicht Vriskas Vorstellung von schneller. Lars reichte mir seine Hand und klopfte mich ab. Sie hatte das natürlich mitbekommen, lachte herzlich. An neue Vriska musste ich mich noch gewöhnen, denn mir schwebte Böses im Kopf, dass ihr attraktiver Schwarm nett zu mir war.
      „Du bist in die falsche Richtung gerutscht, mehr wie ein Pinguin“, schlug sie vor und machte dabei eine Bewegung, die eher einer bleiernen Ente glich.
      “Und du bist ein Exemplar der selten Gattung Spaßvogel?”, scherzte ich und setzte meinen Weg zu ihr fort.
      “Wer weiß, vielleicht sollte das näher untersucht werden”, hielt sie ihre gute Laune. Wir hatten Vriska schon eingeholt, da sprang sie auf Lars Rücken und ließ sich die letzten Meter tragen.
      “Du wiegst einfach nichts”, merkte er an und drehte sich beinah erwartungsvoll zu ihr um. Sofort gab sie ihm einen zarten Kuss und trieb ihn wie ein Pferd voraus.
      “Du hast dein Pferdchen ja offenbar schon gefunden”, lachte ich und folgte den beiden in den Stall. Ein leises Wiehern erklang und ein heller Ponykopf reckte sich über die Boxentür, zur Abwechslung sogar mal gut gelaunt. Den kompletten Kontrast dazu bildete Caja, meine Berittstute, ein paar Boxen weiter. Kaum hatte sie Lars erblickt, legten sich ihre Ohren komplett flach an ihren Hals, ihre Augen verdrehten sich und sie brachte schnell größtmöglichen Abstand zu Stallgasse auf. Vriska rutschte wieder herunter. Keinen Schritt weiter setzte sie, obwohl sie offenbar einen Deal hatte, den er umgehend ansprach.
      „I-Ich habe es mir anders überlegt“, stammelte sie aus heiterem Himmel im kompletten Verlust ihrer Selbstsicherheit. Vorsorglich setzte sie einige Schritte zurück, während Maxou versuchte durch die große Öffnung zu klettern. Das Pony regte sich immer mehr auf und stieg, bis sich das erste Bein dazwischen verfing und sie in Panik verfiel. Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, da sprang Lars bereits zur Stute, drückte ihre Huf zurück und öffnete kurzerhand die Box. Aufgeregt trabte das Tier heraus, aber stoppte bei Vriska, die in Schockstarre verfallen war. Mit lauten Prusten stand Maxou vor ihr, wölbte elegant den Hals und schnupperte an ihrem unordentlichen Dutt. Immer wieder drückte sie ihr Maul in Vriskas Gesicht, bis sie erwachte und sehr vorsichtig ihr Pferd über die Nase strich, als hätte sie noch nie eins berührt. Langsam, um das Pony nicht doch noch in die Flucht zu treiben, näherte ich, mit einem Strick in der Hand, begab mich neben Vriska, die zaghaft über das helle Fell strich.
      “Sehr gut, damit hast du den ersten Schritt schon gemacht”, lächelte ich ermunternd und beobachtete einen Moment, wie ruhig das Pony unter ihren Berührungen wurde. Offenbar hatte nicht nur ich meine Mitbewohnerin vermisst. “Möchtest du dein Pony selbst zurückbringen oder lieber nicht?”
      Freundlich bot ich ihr das Ende des Strickes an, den ich mittlerweile an dem Pony befestigt hatte. Über ihre Wange liefen mehrere Tränen, bis sie sich um den Hals ihrer Stute warf und kaum noch zu trennen war. Sie warf den Kopf nach oben bei der schlagartigen Bewegung, aber beruhigte sich sofort, als sie die Nähe ihrer Besitzerin spürte. Behutsam fummelte die Stute an Vriskas Kapuze als würde sie beginnen mit der Fellpflege.
      “Mein Plan war ein anderer, aber ähnlich”, sagte Lars plötzlich neben mir und grinste zuversichtlich.
      “Maxous eigener Plan hat offenbar auch funktioniert”, lächelte ich erleichtert. Ich hatte erwartet, dass es deutlich schwieriger und vor allem langwieriger werden würde, Vriska überhaupt nur in die Nähe ihres Ponys zu bekommen. Doch wenn ich sah, wie glücklich Besitzerin und Pony auf einmal wirkten, war die Hoffnung groß, dass mit dieser Wiedervereinigung nicht nur Maxous Laune besser wurde, sondern ebenso ihre Lebensgeister zurückkehrten. An der Schulter tippte mich jemand an, Enya war da. Lars verabschiedete sich auch in Vriskas Namen bei uns, dann liefen sie zusammen zur Box, um die Stute zurückzustellen. Sie folgten dem langen Gang zum Hauptausgang und tasteten sich dabei aneinander heran, wollten wohl gern Händchen halten, aber etwas hielt sie davon ab.
      “Passieren hier jeden Tag so niedliche Dinge?”, wollte die Schwedin sogleich neugierig wissen, “Wenn ja, muss ich eindeutig öfter vorbeikommen.”
      “Nein, leider nicht, das ist eher die Ausnahme”, entgegnete ich, “Aber du bist dennoch jederzeit willkommen.” Erst jetzt bemerkte ich, dass neben Lars und Vriska noch etwas fehlte, der Hund. Treudoof wie so ein Welpe war, musste Nivi mit den beiden und Dog verschwunden sein. Darum hätte ich mir im Normalfall auch recht wenig Gedanken gemacht, doch ich schätzte, meine Schwester wäre mit dankbar, wenn ich nicht gleich ihren Hund verlor. Ich pfiff einmal und tatsächlich kam wenig später ein zimtbraunes Hundebaby mit wehenden Ohren angerannt.
      “Oh, wer ist denn die kleine Maus, ist es deine? ”, sprach Enya erfreut und hockte sich zu dem Hund, der aufgeregt mit dem Hinterteil wackelte.
      “Nein, Nivi gehört meiner Schwester”, erklärte ich lächelnd, “zwei Pferde sind fürs Erste genug Haustiere.” Der Welpe war mittlerweile unter ihren Händen umgefallen und bot genüsslich den kleinen rosa Bauch dar.
      „Ja, gut, da magst du wohl recht haben, zumal hier auch ausreichend Hunde umherspringen", nickte sie verständnisvoll. Einen Augenblick lang kraulte sie noch den Hund, bevor wir uns schließlich aufmachten, die beiden Hengste vom Paddock zu holen.
      „Deine Schwester ist also schon da, nehme ich an?", regte die große Blonde interessiert ein Gespräch an, während wir durch den hohen Schnee stiefelten.
      „Genau, gestern angekommen. Hat dein Freund das etwa nicht erzählt?“, fragte ich leicht verwundert nach. Für gewöhnlich kommuniziert Samu recht viel und scheute nur selten davor Informationen nicht für sich zu behalten, sofern man ihn nicht anderweitig instruiert.
      Enya lachte herzlich: „Nein, den müsst ihr ganz schön gefordert haben. Samu kam nach Hause und ist gewissermaßen sofort ins Bett gefallen. Richtig niedlich, wie ein Teenie, der das erste Mal lange aus war.“ Niedlich, es war gestern zwar noch ziemlich spät geworden, aber etwas wirklich Anstrengendes hatten wir nicht gemacht. Dafür war mit bereits gestern früh aufgefallen, dass mein bester Freund ziemlich müder wirkte, aber mit der Sprache rausrücken, wollte, was er des Nächsten getrieben hatte.
      „Ich glaube, nicht, dass der gestrige Abend daran schuld ist", feixte ich und griff nach dem Halfter, die an einem Haken neben dem Tor hingen. Enya schmunzelte nur verschwiegen, ein Zeichen, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. Suchend glitten meine Augen über die Pferdeleiber, die gegen die Kälte zusammen gedrängt zusammenstanden. Legolas entdeckte ich schnell. Entspannt dösen stand er zwischen zwei braunen, doch mein Hengst schien unsichtbar. Nein, Stopp …
      „Na, der sieht wieder großartig aus", seufzte ich, als ich ihn schließlich doch entdeckte. Natürlich war der eigentliche weiße Hengst, mal wieder der dreckigste von allen. Einzig die Stirnseite seines Kopfes war nicht mit Schlamm bedeckt und ließ die eigentliche Farbe erahnen.
      “Wie gut, dass ich Zeit mitgebracht habe”, grinste meine Begleitung, “zusammen bekommen wir den schon wieder sauber.” Ihn sauber zu bekommen stand weniger infrage, immerhin funktionierte der Wasserschlauch auch im Winter, aber Ivy würde bis morgen doch niemals sauber bleiben.
      “Danke, dafür wird Lego sicher schnell gehen mit seiner Decke”, bedankte ich mich für das Hilfsangebot und schlüpfte durch den Zaun in das Gatter. Treudoof kam das Schlammmonster bereits an getrottet und drückte mir freundlich die Schnauze ins Gesicht. Während ich warte, bis auch Enya den Hengst ihres Freundes geholt hatte, versuchte Ivy sich einige Leckerlis zu erschleichen, indem er sämtliche Tricks, die er könnte, unaufgefordert vorführte. Natürlich erreichte er damit nicht sein Ziel. Denn auch wenn er niedlich war, hatte er in den letzten Wochen doch ein wenig Speck angesetzt, weshalb ich ein wenig genauer darauf achtete, wie viel er zu fressen bekam.
      „Du kannst Lego erst einmal in die freie Box stellen, dann muss er nicht die ganze Zeit auf dem Putzplatz warten, bis Ivy sauber ist", sprach ich zu Enya, als wir im Stall ankamen. Sie nickte und entließ den Hengst, der sich unmittelbar seinem Boxennachbarn widmete. Brummeln erklang, ein kurzes Quietschen und dann kehrte wieder Ruhe ein. Meinen Freiberger hingegen stellte ich direkt in die Waschbucht. Mit einer Bürste brauchte ich in seinem Zustand gar nicht erst anzufangen. Jacke und Pulli legte ich in weiser Voraussicht zur Seite und wies auch Enya an, sicherheitshalber etwas Abstand zu bewahren. Divine besaß das meistens eher unerwünschte Talent alles binnen Sekunden zu überfluten und dabei war es egal, ob das Wasser aus einem Eimer oder einem Schlauch stammte.
      Wie immer genehmigte der Hengst sich zuallererst einen ausgiebigen Schluck Wasser aus dem Schlauch, dabei biss er in den Strahl und schüttelte mit dem Kopf, wodurch die Wassertropfen in alle Richtungen flogen. Erst danach durfte ich das Wasser auf sein Fell richten. Schlammige Wassermassen, ähnlich denen in Afrikas Regenzeit, rannen durch das dichte Fell und legten allmählich die darunterliegende Farbe frei.
      “Enya, könntest du mir bitte etwas aus der Sattelkammer holen? Irgendwo im Schrank müsste eine Flasche Schimmelshampoo stehen”, bat ich Enya, die an die Wand gelehnt auf ihrem Handy herumtippte. Ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, würde ich sagen, ihr Freund war mittlerweile erwacht.
      “Na klar, bin gleich zurück”, entgegnete sie und tippte im Gehen weiterhin fleißig in ihr Handy. Es wirkte beinahe so intensiv, wie Vriska, als sie noch mit dem Unbekannten alias Erik schrieb. Was Samu wohl für offenbar hochinteressante Nachrichten senden mochte? Niedliche Morgengrüße oder doch eher Nachrichten der anderen Art?
      Noch bevor ich mir die Inhalte genauer ausmalen konnte, kehrt die große Blondine mit dem Wundermittel zurück.
      “Du hast ja ganz schön teures Zeug für dein Pferd”, stellte sie fest und reichte mir die Flasche. Neugierig schnupperte Ivy an dem Plastik, schnappte in den Deckel, ließ aber relativ schnell, davon ab, als er feststellte, dass es nicht essbar war.
      “Wie auch immer er das anstellte, findet er immer den hartnäckigsten Dreck, da ist das leider notwendig”, erklärte ich und verteilte die lila Flüssigkeit auf Ivys Rücken, “Aber wenn man es genau nimmt ist das auch eigentlich Smoothies.”
      “Ah, verstehe, das ist dann natürlich ziemlich Geldbeutel schonend”, lachte sie und begann hilfsbereit die andere Seite einzureiben. Bereits nach wenigen Minuten schloss der Freiberger genüsslich die Augen und begann zu dösen, das Wellenessprogramm war offenbar zufriedenstellend. Mit ihrer Hilfe war Divine recht schnell komplett eingeseift und auch wieder ausgewaschen.
      „Dann muss er jetzt nur noch trocken, dann können wir loslegen", sagte ich erfreut. Mähne und Schweif fielen seidig und das Fell erstrahlte wieder in schneeweißen Pracht. Während Enya sich nun daran machte Legolas zu putzen, fette ich meine Hengst auch gleich noch die Hufe. Wenn Beauty-Tag: dann richtig!
      Eine halbe Stunde später stand Divine schließlich trocken und frisiert auf dem Hallensand. Damit ich ihn morgen nicht gleich wieder waschen musste, hatte ich Mähne und Schweif eingeflochten und letzteren ausnahmsweise sogar mal bandagiert. So ordentlich hatte der Hengst, glaube ich, noch nie ausgesehen. Legolas gab ein ähnlich elegantes Bild ab, nur dass er in seiner natürlichen Pracht glänzte. Um den Welpen, der während der ganzen Waschprozedur auf Dogs Decke Platz genommen hatte, im Augen behalten zu können, platzierte ich Nivi samt Decke in der vordere Ecke, wo sie hoffentlich auch sitzen bleiben würde. In aller Ruhe wärmten wir die Pferde auf und bekamen sogar ein paar neugierige Zuschauer. Allerdings schickte ich meine Schwester mit sämtlichen anderen Zuschauen hinfort, bevor wir begannen, den eigentlich Auftritt durchzugehen. Es würde schon unerträglich genug werden, wenn sie am morgigen Tage den Vergleich herstellen konnten, wie plump und ungelenk der junge Freiberger neben dem deutlich erfahrenen Warmblut wirkte. Eventuell hätte ich mich doch für Redo entscheiden sollen, aber für einen Pferdewechsel war es nun auch zu spät. Aktiv und aufmerksam folgte Ivy meinen Anweisungen und, bis auf ein paar Verhaspler, die entstanden, weil ich die Reihenfolge durcheinanderbrachte, lief dieses letzte Training gut. Blieb nur zu hoffen, dass mir morgen nicht dasselbe passierte.

      Drei Stunden später

      Vriska
      „Deine Familie ist da, oder?“, fragte Lars, nach dem ich mit dem Traktor einen neuen Heuballen für die Hengste geholt hatte. Obwohl ich nicht viel mehr tat, als obendrauf zu sitzen, schwitzte ich wie ein Leistungssportler und bereute es kurzzeitig, mit dem Rauchen vor Jahren angefangen zu haben.
      „Ja, wieso?“, versuchte den Zweck seiner Frage zu hinterfragen, aber bekam nicht mehr, als ein verschmitztes Lächeln. Meine Vermutung, dass Madly ihn ausgefragt hatte, verstärkte sich. Ich erzählte ihr indirekt von ihm, nannte nur keinen Namen. Allerdings gab es nicht so viele hübsche Herren auf dem Hof, sodass meine Schwester womöglich schnell herausfand, wen ich meinte. Er verschwand, um das Werkzeug zurückzubringen und ich schwang mich aus dem gepolsterten Sitz des Fahrzeugs.
      Wir hatten alle grundlegenden Aufgaben erledigt und für meine Begleitung standen noch drei Pferde auf dem Trainingsplan. Also lief ich ihm nach, weiterhin zerrissen von kleinen Gewissensbissen. Maxou hatte mich vermisst, so sehr, dass sie sich beinah das Bein brach. Dennoch lag schwer mein Versagen im Magen.
      Nur zwei Einsteller traf ich bei der Arbeit, die mich mit ihren eindringenden Blicken komplett aus dem Konzept brachten. Reiten wurde immer mehr meine Leidenschaft. Dass ich aus so hoher Selbstüberschätzung mich wörtlich aufs falsche Pferde setzte und einfaches Training vergeigte, nagte an mir.
      „Vivi, wird wohl Zeit für den nächsten Schritt“, sagte Lars und drückte mir ein Halfter in die Hand. Instinktiv nahm ich es entgegen, bevor ich überhaupt begriff, was er wollte.
      „Was für ein nächster Schritt? Tut mir leid, aber ich möchte dich nicht Heiraten“, schmunzelte ich. „Zudem ist ein Halfter wahrlich kein guter Ring.“
      „Wie es mir scheint, hatte Lina recht. Du bist ein Scherzvogel“, spiegelte er meine Stimmung, aber entschied sich für einen weiteren Schritt. Langsam kam er näher, so nah, dass der markante Geruch seines Parfüms in meiner Nase kitzelte. Es fühlte sich an, als könnte ich den warmen Atem durch meine Kleidung spüren, aber es war viel mehr mein Blut. Kräftig donnerte das Herz in meiner Brust, wie der Bombenschlag im Kriegsgebiet, das sich Emotionen nannte.
      „Und du bist mir ziemlich aufdringlich heute, oder planst du etwas anderes zu reiten?“, stieg in sein kleines Spiel ein, das ihn nur noch mehr befeuert. Ohne mich zu berühren, schob mich Lars immer dichter an die Wand, um schließlich seine Hand nahe an meinem Kopf abzustürzen. Nur schwer konnte ich den Blick von seinen grünen Augen lösen, die mich lüstern anblitzten.
      „Eigentlich wollte ich mit dir fahren, aber Reiten klingt nach einem Plan.“ Von einem auf den anderen Moment unterbrach sich die Spannung zwischen uns beiden, nur sein freches Grinsen lag noch auf den Lippen. Er hatte seine Hand von der Wand genommen und griff nach meiner, die noch immer das Halfter umklammerte.
      „Was denn jetzt los?“, hakte verunsichert nach.
      „Habe ich doch gesagt, wir gehen Fahren“, wiederholte er, aber ich verstand gar nichts mehr. Widerrede war zwecklos. Dennoch folgte ich ihm flink zu den Boxen. Interessiert lugte Maxou heraus. Laut wieherte sie und als ich weiterlief, begann der Aufstand erneut.
      „Kümmere dich um dein Pony, ich musste vor ein paar Tagen bereits ihre Box reparieren“, merkte Lars scharf an, offenbar hatte sie dafür gesorgt, dass keiner mehr ein Auge schließen konnte. Nickend drehte ich mich um und lief zu ihr. Die Ohren wippten aufmerksam nach vorn, als ich die Hand ganz langsam in ihre Richtung hielt. Wie ein Fisch nippten die Lippen an den Fingerspitzen, als gäbe es etwas Interessantes zu entdecken. Aber ich zögerte, traute mich noch immer nicht, aus eigener Motivation zu ihr vorzudringen. Beinah regungslos stand ich vor der Box, versuchte ich mich für eine der inneren Stimmen zu entscheiden, die einen intensiven Diskurs führten, was passieren sollte.
      Dass jemand von der Seite kam, mit einem Pferd, bemerkte ich zunächst an den angelegten Ohren meiner Stute, dann hörte ich Hufschlag. Augenblick, das klang unrein. Verwirrt drehte ich mich zur Seite, von der Lars mit Plano ankam und einem Eisen in der Hand.
      „Hast du wohl noch einmal Glück gehabt“, scherzte er, offenbar sollte ich den Jungen Hengst nehmen, der alles andere als einfach am Sulky war.
      „Und jetzt?“, hakte ich nach.
      „Ich sage Papa Bescheid, der macht das später wieder an den Huf“, erkläre Lars zuversichtlich und ließ mich den Beschlag an eine geeignete Stelle legen. Entschieden wählte ich die Bank vor seiner Box, offensichtlicher konnte es nicht sein.
      „Dann kann zurück ins Zimmer?“ In Zeitlupe setzte ich einen Fuß nach dem anderen Turm Ausgang, aber er schüttelte entschlossen den Kopf.
      „Fräulein, wir haben noch was zu tun.“ Seine Beharrlichkeit schmeichelte mir zu tief. Ich stoppte in meiner Bewegung, um ihm den Sieg zu überlassen.
      „Nun gut“, ich seufzte, „was hat der werte Herr geplant?“
      Fest entschlossen lief er los, offenbar überzeugt, dass ich ihm blind vertrauen würde. Um ihn diesen Zahn zu ziehen, blieb ich unbewegt an meiner Stelle stehen und betrachtete, wie äußerst elegant er sich den Weg zu den Hengsten bahnte. Aufgeregt wieherte Astronaut in seiner Box, die er aktuell für sich allein hatte. Augenscheinlich war von der großen Pracht an Rennpferden nur noch ein Drittel am Stall verblieben, während der Nachwuchs noch auf der Weide verweilte. Selbst Lotti, in der noch so viel Hoffnung lag, wurde von einem zum anderen Tag Zuchtstute. Bei Nachtschatten gab es ohnehin keine Möglichkeiten mehr für die Rennbahn, dafür war ihr letztes Rennen nicht nur zu lange her, sondern auch problematisch verlaufen. Ein junger Fahrer hatte vor der Ziellinie seinen Hengst nicht im Griff und raste in ihren Wagen. Dieser Schock saß tief bei der sechsjährigen.
      „So macht das kein Spaß. Wenn ich andauernd betteln muss, dann geh bitte“, drehte sich Lars zu mir um.
      „Du sagst mir nicht einmal, welches Pferd, also was soll ich dann tun?“, zertrete ich. Er zuckte mit den Schultern und zeigte zu Lu, der schon die ganze Zeit aus der Box blickte.
      „Der steht unter Linas Pflege“, erklärte ich.
      „Ach so, dann“, wieder überlegte er und sah sich suchend im Stall um. So groß war die Auswahl nicht, da konnte ich nachvollziehen, dass nichts für mich dabei war. „Wunderkind. Der passt zu dir.“
      „Jetzt warte doch mal“, zog ich ihn am Arm zurück, er stoppte. „Ich habe Angst.“
      „Wo vor? Wunderkind schläft doch schon beim Putzen ein“, wunderte Lars sich und drückte die Augenbrauen zusammen.
      „Versagen“, murmelte ich bei gesenktem Kopf.
      „Schau doch mal: Ich bin die ganze Zeit bei dir. Wunderkind ist eine Schlafnase und du schon ein großes Kind. Zu Weihnachten wünsche ich mir so sehr, dass wir durch den Wald fahren.“ Lars stand dicht bei mir, strich mir mit seiner warmen für die Wange. Der Anflug eines Lächelns umspielte meine Lippen. Für einen langen Augenblick sah er mich an und flehende Hitze in seinem Blick, ließ mir den Atem stocken. Obwohl er zuvor nicht einen Hauch von Ablehnung vermittelte, zweifelte ich an seinem Interesse, der Grund lag nah. In meinem Kopf geisterte selbstverständlich noch Erik, den ich mit allerlei Bekanntschaften verdrängte aber am Stall, kam natürlich erlebtes wieder hoch.
      Ich schüttelte mich. Vergangenes war Vergangenheit und der kleine Flirt fühlte sich nach einem Neuanfang an. Zart drückte ich meine Lippen auf seine Wange, ehe ich ihm das Halfter aus der Hand klaute, um den Schecken von dem Paddock zu holen.
      Wunderkind stand in der letzten Ecke im Sand und ich hüpfte zwischen den Pfützen hinweg zu ihm, dicht gefolgt von Shaker, der meine Bewegungen äußerst interessant fand. Er schnupperte wieder an meinem wippenden Dutt, aus dem einige der Dreadlocks herausgerutscht waren. Einmal schnappte er sogar nach einer, bekam einen Schubser von mir. Der Schecke kam mir die fehlenden Meter entgegen und ich zog ihm das Halfter über die Ohren. Den Schopf sortierte ich darüber.
      Im Stall putzte Lars bereits Dustin, der hysterisch begann zu wiehern, als Hufschlag auf dem Beton durch die Halle schallte. Zufrieden grinste die Dunkelhaarige, aber verkniff sich weitere Kommentare. Wieder zögerte ich. Er streckte mir einen Striegel entgegen, mit dem ich im nächsten Augenblick die großen Sandflächen aus dem hellen Fell entfernte. Auf dem Boden zeichnete sich die genaue Position von uns ab. Zum Abschluss kratzte ich die Hufe aus. Lars brachte mir sein Geschirr mit, nach dem Dustin bereits fertig gemacht war. Ungeschickt hob ich einen Lederstriemen nach dem anderen in die Luft, um den Anfang zu finden.
      „Jetzt hilf mir bitte“, stöhnte ich, nach dem er sich vor Lachen bereits krümmte. Den Brustgurt hatte ich kurz als Bauchgurt um den Hengst gelegt, der jeden Handgriff mit sich machen ließ.
      „So schwer ist das doch nicht“, scherzte er und griff mir über die Schulter. Unter seinem Arm wollte ich abtauchen, damit er mehr Platz am Pferd hat, aber er hielt mich davon ab.
      „Sieh richtig hin“, wies Lars mich an. Langsam zeigte er mir noch einmal die richtige Reihenfolge zum Gurten, obwohl ich wusste, wo, was hingehört. Kurzzeitig stoppten meine Gehirnzellen.
      „Ich möchte euch ja ungern stören“, räusperte sich jemand hinter uns, „aber hat einer von euch vielleicht meinen Hund gesehen oder alternativ meine Schwester?“ Als ich mich umblickte, entdeckte ich Juli. Ihr Freund, den sie im Schlepptau hatte, blickte ein wenig skeptisch die Tier in den Boxen an und hielt einen sicheren Abstand zu ihnen.
      „Wart ihr schon im Büro nachschauen?“, fragte Lars und zeigte dabei mit gestrecktem Arm zur ersten Hütte an der Hallenbande. Ich schmiegte ich zur gleichen Zeit näher an ihn heran, es forderte mich undefiniert vor anderen ihm näherzukommen. Er hatte offensichtlich kein Problem damit, sondern drückte mich noch näher an seine breite Brust.
      „Nein, aber dann schaue ich da mal. Danke“, bedankte sie sich freundlich und verschwand schmunzelnd in genannte Richtung.
      „Wollte da etwa jemand die Besitzansprüche verdeutlichen?“, grinste er vertieft in meinen Augen. Auch hing an ihm fest. Was war das nur? Ich konnte mich doch umgehend in den nächsten Typen verlieben, aber das Potenzial dafür strahlte bereits. Es schrie in mir, ihn zu küssen, doch hielt mich zurück.
      „Eventuell, aber komm jetzt, bevor ich es mir anders überlege“, sagte ich entschlossen und lief mit ihm zusammen zur Sattelkammer, um Helm und Brille zu holen.
      „Spritzschutz ist am Wagen?“, überlegte ich laut, als mich das Plastik aus dem Regal entgegenlächelte.
      „An deinem nicht, also nimm lieber mit.“ Er schloss seinen Helm und wechselte noch die Hose. Ich für meinen Teil bevorzugte den Ganzkörperanzug und stieg mit meinen Reitsachen hinein.
      Schritte näherten sich und Linas Schwester tauchte erneut auf
      „Im Büro war sie nicht hab ihr sonst noch eine Idee, wo ich suchen kann?“, fragte sie.
      „Dann kann sie nur bei uns in der Hütte sein“, kam es mir als letzte Idee.
      „Danke, dann euch zwei noch viel Spaß“, sagte sie und verschwand. Komisch, Lina konnte doch nicht vom Schnee verschluckt worden sein? Ich zuckte mit den Schultern und verließ ebenfalls mit Lars die Sattelkammer. Es war erstaunlich, wie schnell er das Chaos beseitigte hatte und man in kurzer Zeit alles fand.
      Zusammen hingen wir die Sulky an. Immerhin musste ich nicht gurten, sondern hatte einen Schraubverschluss, der nur zur Sicherheit festgezurrt wurde. Aber der Herr der Schöpfung konnte natürlich alles. Meine Augen folgten seinen Händen, wie sie galant das Leder durch die Riemen zogen und den Verschluss schlossen. Dustin wippte dabei mit dem Kopf, konnte es kaum abwarten, durchzustarten. Wunderkind hingegen schlief beinah ein, wie Lars es prophezeite. Ich hatte mit dem Schecken kaum zu tun, aber unter Tyrell im Sattel kannte ich ihn als unberechenbares Pferd. Manchmal sprang er verschreckt zur Seite oder hängte sich an den Hintern eines anderen Pferdes im Sand, ließ sich fortan nirgendwo anderes lenken.
      Nacheinander führten wir die Traber aus dem Stall, sprangen im Schritt auf den Sitz und positionierten uns parallel. Spielerisch schnappten sie sich. Zwischendurch sprühte der Schnee nach oben, aber der Schutz an meinem Sulky war zu groß, damit bekam ich zur Abwechslung nichts ab.
      Lars konzentrierte sich auf Dustin, setzte sich streckenweise mehrere Pferdelängen voraus, um dann ihm in der Geduld zu schulden. Nur einmal trabte ich mit, aber entschied im Schritt zu bleiben. Bei fehlendem Beschlag rutschte Wunder mehrmals auf dem nass feuchten Untergrund. Um sich zu halten, gab ich ihm die Leinen und der Hengst balancierte sich von selbst. Im Wald selbst war es beinah still. Nur das Meeresrauschen drang gedämpft zu uns vor und vermischte sich mit dem Rascheln der Hufe im halbhohen Schnee und Matsch.
      „Und? Auf einer Skala von null bis Zehn, wie glücklich bist du?“, bremste Lars Dustin ab und positionierte sich neben uns.
      „Jetzt gerade?“, kurz sah ich zu ihm, „ich denke, dass es eine gute sieben ist.“
      „Sieben? Klingt vielversprechend“, schmunzelte er und zupfte dabei an den Leinen, um Dustin in seinem Grundtempo zu stoppen. Gar nicht zufrieden mit der Situation, tippelte der Braune voran und wippte mit dem Kopf.
      „Ich verstehe nicht, was er heute hat. Wir hatten diese Woche so viele Heats, da müsste er ein Lämmchen sein“, schüttelte Lars mit dem Kopf.
      Ich hob nur die Schultern. Wunderkind war glücklicherweise eins. In gleichmäßigen Schritten setzte er durch den Wald, sah sich bei nahen Geräuschen um und streckte den Kopf. Zwischendrin schnaubte er ab, dann lobte ich ihn. Ehrlich gesagt konnte ich mir nur schwer vorstellen, warum Lars so sehr mich am Pferd sehen wollte, aber er hatte gute Arbeit geleistet.
      Im Stall begegneten wir tatsächlich mehreren Einstellern, unter anderem einer Mädchen, die kichernd neben meiner Schwester saß. Obwohl es offenbar Kommunikationsschwierigkeiten gab, waren sie sich einer Sache sicher: Lars ist verdammt heiß. Dem konnte ich nichts entgegensetzen, aber sie, mich komplett ausblendeten, lag mir schwer im Magen. Zumindest Madly sollte dahinter gestiegen sein, aber hing mit jedem Blick an dem jungen Herren neben mir. Es wurde erst ruhiger, als ich mit ihm das Equipment in die Kammer brachte.
      „Das geht seit Wochen so. Egal, wo ich bin, alles tuschelt um mich herum, anstelle mich ansprechen“, sprach er umgehend das Thema an.
      „Mh“, brummte ich nur.
      „Was denn los?“, fragte er verärgert.
      „Du siehst nun mal umwerfend aus und das fällt als Erstes auf. Dass du zudem auch noch ein Lexikon über Pferdewissen hast, können sie nicht wissen, weil du bereits auf dein Aussehen reduziert wurdest“, zuckte ich unbeeindruckt mit den Schultern. Natürlich schloss ich mich dieser Meinung an, kam jedoch schon in den Genuss von mehr. Auch in Anbetracht an den heutigen Arbeitstag.
      „Aha?“, niedlich zuckte ein Lächeln auf seinen Lippen. Möglichst neutral versuchte er meine Aussage anzunehmen, aber das bewusst einen Schritt auf ihn zu machte, brachte ihn aus dem Konzept. Lars setzte zurück, stolperte über einen Eimer und landete auf dem Boden. Zuvor griff er nach meiner Hand, um mich mit sich in den Abgrund zu ziehen. Ungünstig landete ich auf ihm, doch er richtete mich direkt richtig, dass ich auf seinem Unterleib saß. Neben uns polterten mehrere Gurte auf den Boden, die einen höllischen Lärm verursachten. Aber ich wurde umgehend abgelenkt. Seine Händen strichen verführerisch über meine Oberschenkel. Überall in mir zuckte es, zerrend verbreitete sich Wärme vom Bauch aus. Ich schenkte ihm ein verträumtes Lächeln. Hundegebell erklang und just im selben Augenblick tapste ein Hundekind herein. Aufgeregt rotierte die Rute des Tieres durch die Luft und sie schnupperte an uns. Lange dauerte es nicht, bis dem Hund auch noch menschliche Schritte folgten.
      “Alles in Ord …”, setzte Lina bei Betreten der Hütte eine Frage an, brach allerdings ab, als sie uns auf dem Boden entdeckte. Stattdessen begann sie breit zu grinsen: “Ich sehe schon, ich brauche nicht weiter zu fragen.”
      Lars' Hände waren mittlerweile an meine Hüfte gewandert und wir starrten einander nur an. Peinlich berührt durch ihre plötzliche Erscheinung legte sich ein intensives Rot auf meine Haut.
      „Ähm“, stammelte ich unsicher, „das ist aus Versehen passiert.“
      Synchron begannen beide zu lachen.
      „Jetzt tu doch nicht so“, richtete sich Lars etwas auf. Ich spürte seine eindringenden Blicke auf mich, als würde er etwas erwarten. Noch mehr fehlten mir die Worte.
      “Ach, alles gut”, schmunzelte sie noch immer, “macht doch, was ihr wollt. Aber wenn ihr dabei allein bleiben wollt, solltet ihr das nächste Mal vielleicht weniger Lärm machen.”
      „Ich wollte gar nichts!“, versuchte ich mich zu verteidigen, nicht einfach. Endlich ließ er seine Hände von mir und konnte aufstehen. Neben Lina standen bereits die großen Eimer, voll mit drei Maß Hafer und verschiedener Kräuter. Zusätzlich bekam Dustin noch etwas für seine Gelenke.
      “Okay, du bist ein willenloses Wesen, ganz ohne Hintergedanken”, nickte sie, bemüht, das Schmunzeln zurückzudrängen. Der Welpe erkundete mittlerweile die heruntergefallenen Gegenstände, schlüpfte unter den unterschiedlichsten Strängen hindurch, kletterte darüber und begann dabei alles noch ein wenig mehr durcheinanderzubringen.
      “Heißt der Zweite da, dass du auch am Pferd warst oder kann Lars mittlerweile zwei Pferde zugleich trainieren?”, kam Lina nun auf ein anderes Thema zu sprechen.
      „Tatsächlich ist sie gefahren“, ergriff er beherzt das Wort und befreite die Geschirrunterlage vom Welpen, der versuchte an einem der Gurte zu ziehen. Auch ich bückte mich zu den Trensen herunter, die zuvor auf dem Bock lagen.
      “Oh, schön. Das ist ja schon ein großer Schritt in die richtige Richtung”, lächelte sie.
      „Da kommt noch mehr“, munkelte der Herr und reichte mir die andere Trense. Weiterhin versuchte ich mich aus dem Gespräch fernzuhalten. Andere trafen bessere Entscheidungen für mich, langsam sah ich diese Tatsache ein. Nacheinander hängte ich das Leder weg und damit waren wir fertig.
      “Du willst sie doch nicht etwa heute auch direkt auf Pferd setzen?”, hakte sie von Neugierde erfüllt nach. Frech huschte ein Lächeln über seine Lippen.
      „Das vielleicht auch“, feixte er.
      “Ich frage mal lieber nicht weiter”, lächelte sie irritiert, mehr, als sei es eine Übersprunghandlung und holte mit einer Geste Nivi zu sich, die gerade den nächsten Gegenstand als Spielzeug erwählen wollte.
      „Das“, betonte ich seine Anspielung ebenso zweideutig wie er, „bedarf mehr als deine Entscheidung. Ich muss schließlich meine Familie ertragen.“ Zusammen lachten wir und liefen mit den Eimern heraus. Vorsorglich schloss Lars die Tür, um den übermütigen Hund rauszuhalten.
      „Kommst du mit?“, fragte ich im Anschluss Lina, die nicht sonderlich beschäftigt wirkte. Vermutlich die Ruhe vor dem Sturm.
      “Jap, schließlich muss noch ein wenig Zeit Tod geschlagen werden”, nickte sie und folgte uns, während das kleine Fellknäuel mit Vollgas an uns vorbeischoss.
      „Wann fängt es denn bei euch an?“, informierte Lars sich. Aus meiner Hand nahm dem grünen Eimer für Dustin. Gierig drückte er den Kopf voran, um so schnell wie möglich sein Futter zu haben, aber er ließ sich Zeit.
      “Also Samu wollte mit seiner Familie so zwischen sechs und sieben hier auftauchen, aber seine Freundin samt Familie kommen ein wenig später, weil sie noch in die Messe gehen”, gab Lina Auskunft über die Pläne. Dann setzte er direkt fort, nur ich verschwand aus der Situation. Wunderkind hatte seinen vollen Eimer einige Meter entfernt vollständig aufgefressen, durfte damit zurück zu den anderen Jungs. Bei meiner Rückkehr standen die beiden noch immer da, vertieft über Erzählungen über die Feiertag. Kaum hatte ich mich verabschiedet, nahte Bedrohung von vorn. Meine Schwester und Mutter gefolgt mit Harlen kam auf uns zu. In der Hoffnung, dass sie mich nicht bemerkten, versteckte ich mich hinter Lars.
      „Was wird das?“, flüsterte er mir zu.
      „Ich hasse Weihnachten und verstehe nicht, wieso die das so ernst nehmen.“ Doch es war zu spät. Mein Bruder erspähte mich mit seinen Adleraugen, während Madly ihm immer wieder etwas Trällerndes auf dem Handy zeigte.
      „Hier steckst du“, lächelte Mama, „aber wie siehst du denn aus.“
      Auf der Hose waren vom Matsch einige Spritzer, so auch auf den Stiefeln. Meine Hofjacke hatte freilich bessere Zeiten erlebt, aber Arbeitskleidung durfte dreckig werden. Dafür gab es Waschmaschinen.
      „Es tut mir leid. Ich werde mich umziehen gehen“, duckte ich mich weg.
      „Schon gut, aber beim nächsten Mal“, es wird kein nächstes Mal geben, dachte ich insgeheim, „achtest du bitte darauf. Was sollen die Leute denken?“, appellierte sie. Ja, genau. Was sollten die Leute nur denken von der Gestörten am Hof. Ganz kritisch.
      Harlen nahm ihren Arm in den Haken und lief weiter. Auf meinen Lippen formte ich ein Danke, damit blieb nur Madly, die auch sofort zu Lina tigerte.
      „Hey, ich bin Vivis Schwester, aber in cool. Hast du einen Führerschein?“, charmant wie immer. Tatsächlich packte sie das Handy für einen Augenblick zur Seite.
      “Oh cool, Vorstellungsrunde, jeder sagt eine Sache, für die er qualifizierter ist”, sprach sie. Offenbar schien sie Madly nicht wirklich ernst zu nehmen.
      “Ich bin Lina und ja, ich habe einen Führerschein”, wandelte sie die Unhöflichkeit der kleinen Nervensäge in eine pädagogische Übung.
      „Ich bin Lars, und“, er überlegte ziemlich lange, mir fielen direkt mehrere Sachen ein, für die er qualifiziert war, aber er schwieg.
      „Und du bist heiß, ja wissen wir“, rollte Madly mit den Augen. Vorhin schien ihr das noch essenziell, das Leben der jungen Generation war wirklich kurz.
      „Aber gut, Lina. Kannst du mich hier wegbringen? Alle weigern sich, aber ich ertrage das nicht. Es riecht eklig und Internet gibt es auch nicht“, jammerte sie.
      “Könnte ich wohl, aber ehrlich gesagt steht das heute nicht auf meiner Agenda. Was das Internet angeht, das ist Mitarbeiter und Einsteller vorbehalten. Aber ich könnte mir vorstellen, dass deine Geschwister in dem Fall wohl möglich eine Ausnahme machen könnten”, sagte Lina äußerst diplomatisch und unbeeindruckt von ihrem Gezeter. Madly gegenüber schien die Brünette auf einmal eine Selbstsicherheit an den Tag zu legen, die sie sonst nicht aufzubringen vermochte.
      „Findest du nicht auch, dass ich etwas aufgemuntert werden sollte, nach so einer Frechheit?“, flüsterte mir Lars gleichzeitig zu.
      „Vielleicht, aber da kann ich dir vermutlich nicht helfen“, sprach ich genauso leise und schmiegte mich wieder eng an ihm. Obwohl mir jegliche Feiertage ein Dorn im Auge waren, lag etwas Magisches in der Luft, das mich immer wieder zu ihm zog. Er war daran auch nicht ganz unbeteiligt und schien meine Nähe geradezu zu genießen. Seinen Arm legte er an meinen Rücken, um mich noch enger zu halten.
      „Das wäre schon unfair“, merkte ich schließlich an, „ich habe nicht einmal mein Handy wiederbekommen.“
      „Du bist alt. Was willst du auch damit?“, konnte meine Schwester sich offenbar nicht zügeln. „Außerdem solltest du das nachher wieder bekommen, aber ich sage jetzt Mama, dass du frech warst.“ Madly schnaubte noch mal und rannte aus dem Stall. Ihre kleinen Absätze klackerten auffällig auf dem Beton, dann ertönte Stöhnen und Beschwerde über das matschige Wetter – Als wäre London so viel trockener!

      Am Abend …

      Lina
      “Lina, du solltest mal langsam fertig werden, Samu hat schon vor zehn Minuten geschrieben, dass sie gleich da sind”, kam meine Schwester mit meinem Handy in der Hand ins Bad marschiert, “Ach, und dein Freund hat etwas geschrieben.”
      “Jaaaa, ich bin ja gleich fertig”, entgegnete ich und zupfte die letzten Haarsträhnen zurecht, “und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du deine neugierigen Augen aus meinen Nachrichten lässt.” Ich kannte meine Schwester, vor ihr war wirklich nichts sicher, so hatte sie mit Sicherheit auch bereits mein Zimmer und die komplette Hütte auf den Kopf gestellt.
      “Schätzchen, ich habe doch schon alles gesehen. Ich glaube kaum, dass man da etwas finden könnte, was mich noch schockiert”, feixte Juli. Noch bevor meine Schwester das Thema vertiefen konnte, hörte ich es an der Tür klopfen. Eilig lief ich zu der Glastür und öffnete diese.
      “Schön, dass ihr da seid, kommt doch rein”, lächelte ich freudig. Nacheinander begrüßte ich erst Samus Eltern, dann seine Brüder und mit Samu bildete seine Schwester das Schlusslicht. Natürlich kam auch ihm eine gebührende Begrüßung zu, die von Eevi allerdings ziemlich schnell unterbrochen wurde.
      “Lina, ich habe dich so lange schon nicht mehr gesehen”, sprach sie höchst erfreut, schob ihren Bruder bei Seite und zog mich in eine Umarmung, die mir beinahe die gesamte Luft aus der Luge, drückte.
      “Schwesterchen, du solltest Lina schon am Leben lassen”, lachte dieser.
      “Sei du mal ruhig, du siehst sie auch ständig. Das verstehst du nicht”, beschwerte sie sich sogleich bei ihrem Bruder, lockerte aber tatsächlich ihren Griff.
      “Klar, ich bin auch nur ein Kerl. Ich kann das gar nicht verstehen”, scherzte er selbstironisch, verschwand aber schließlich, um Juli zu begrüßen.
      “Lina, Schätzchen, lass dich mal ansehen”, richtete Eevi das Wort wieder an mich und drehte mich einmal um dreihundertsechzig Grad, “Du bist ja eine richtig hübsche junge Frau geworden. Ich bin begeistert!” Sicher würde man sich an dieser Stelle fragen, wieso sie sprach wie eine Oma, die ihr Enkelkind mehrere Jahre nicht gesehen hatte. Na ja, weil es nicht ganz so weit von der Wahrheit entfernt war. Meine Oma war sie natürlich nicht, aber letzteres traf zu. Die letzte Begegnung dürfte zu Schulzeit gewesen sein.
      “Danke, aber komm doch erst einmal richtig rein”, lächelte ich und versuchte sie zum Weitergehen zu bewegen, damit ich endlich die Tür wieder schließen konnte.
      “Na, wer ist denn das niedliche Ding?” Eevi hatte Dog entdeckt, der geweckt durch den Trubel von seinem Kissen aufgestanden war und nun durch die Gegend taumelte. Nivi hingegen sprang wie ein Flummi durch die Gegend, dabei war sie den ganzen Tag lang mitgelaufen. Dieser Hund hatte echt einen enormen Energievorrat.
      “Das ist Dog, der Hund meiner Mitbewohnerin”, erklärte ich, bevor ich zu Samu weiterlief, der an der Küchenzeile, schon einmal das Nahrungsangebot begutachtete.
      “So hungrig, füttert deine Freundin dich nicht gut zu Hause”, feixte ich und stieß ihm die Finger spielerisch in die Seite.
      “Doch, das heißt, wenn sie denn zu Hause ist”, lacht Samu, “aber das sieht wirklich vorzüglich aus, was du da vorbereitet hast.” Gierig wollte er schon seine Finger in eine der Schüssel stecken, was ich mit einem Stoß gegen seinen Arm quittierte.
      “Finger weg, aber den Dank musst du an Taavi und Juli richten. Die zwei haben den halben Tag lang gezaubert”, sprach ich und versuchte den Blonden in Richtung des Tisches zu schieben. Natürlich konnte ich nichts gegen seine gut trainierte Körpermasse aussetzen.
      “Du darfst dich darauf stürzen, sobald alle da sind”, probierte ich meiner Aufforderung Nachdruck zu verleihen.
      “Nicht nett, dass du mich verhungern lässt”, schmollte dieser und verschränkte die Arme vor der Brust. Dennoch entging mir das Zucken in seinen Mundwinkeln nicht.
      “Du verhungerst in einer halben Stunde, aber bevor das passiert, hier”, sprach ich und drückte ihm eine Schale mit Plätzchen in die Hand. Samu schaute nicht schlecht, als er liebevoll verzierten Rentiere, Pferdchen und was mir sonst noch so an Ausstechern in die Hände gefallen war, in der Schüssel sah.
      “Lina, du hast dir viel zu viel Mühe gegeben Essen zu verzieren”, stellte er fest, begab sich aber dennoch endlich zum Tisch. Auch ich begab mich zu einem freien Stuhl zwischen seiner Schwester und Anni, seiner Mutter. Kaum hatte ich mich gesetzt, überfiel sie mich mit einer Frage: “Ich hörte gerade, du hast einen Freund, wie ist der so?” Dass diese Frage jetzt erst kam, verwunderte ich schon ein wenig. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie mit ihren Fragen so lange an sich halten konnte.
      “Niklas ist charmant, unheimlich klug, sieht gut aus …”, lächelte ich zurückhaltend. Nicht dass es mir peinlich war über meinen Freund zu sprechen, doch ich hatte das Gefühl gegenüber Samus Eltern die Worte ein wenig bedacht auswählen zu müssen.
      “Mensch Lina, jetzt untertreib mal nicht, dein Freund ist absolut heiß”, grätschte meine Schwester nun dazwischen. Taavi schien dieser Kommentar weniger zu gefallen, denn er legte ihr unmittelbar die Hand aufs Bein, als stiller Appell, dass sie bereits vergeben war.
      “Juliette”, empörte ich mich, während mir die Röte in die Wagen stieg.
      “Und wo hast du den heißen Niklas versteckt? Wird man den heute noch kennenlernen?”, schmunzelte die Blonde mit funkelnden Augen.
      “Nicht hier, er hat familiäre Verpflichtungen, aber morgen kommt er”, versuchte ich ihre Neugierde zu stillen. Bereits jetzt war sie mir ein wenig zu aufdringlich, zumal seit Julis Einwurf auch Samus Eltern hellhörig geworden waren. Einzig Niila und Joona schien das ganze wenig zu interessieren, denn diese hatten sich mit ihrem Bruder in eine hitzige Diskussion über das letzte Spiel des HIFK vertieft.
      “Wirklich bedauernswert, ich würde zu gerne sehen, wer dich in dieses Land entführt, hat”, entgegnete Eevi schon beinahe vorwurfsvoll, ”Aber dann möchte ich wenigstens Bilder sehen.” Während ich für Eevi ein paar Bilder heraussuchte, stand Juli auf und lief zu der Küchenzeile.
      “Damit du mal ein wenig redseliger wirst”, kicherte sie mir ins Ohr und schenkte mir ein Glas aus der grünen Flasche ein, bevor sie auch den Rest daraus anbot.
      In den folgenden zwanzig Minuten musste ich Eevi zahlreiche Fragen beantworten, wobei sie durch die schalkhaften Kommentierung meiner Schwester auch noch angefeuert wurde. Vorübergehend erlöst wurde erst als Samus Freundin endlich eintraf.
      Bereitwillig lief Samu zur Tür, um den Nachzüglern Einlass zu gewähren. Enya, die ich sonst nur im Alltagslook kannte, hatte eine wahrhafte Verwandlung durchgemacht. Engelsgleich erschein sie in einem schlichten weißen Kleid, welches ihrer außerordentlich schönen Figur schmeichelte und ihr goldblondes Haar fiel in leichten Wellen über ihre Schultern.
      “Warum hast du denn nicht erzählt, dass mein Bruder so eine hübsche Freundin hat”, tuschelte Eevi mir leise zu, während mein bester Freund, ganz der Gentleman, den neuen Gästen die Jacken abnahm.
      “Du hast mich ja kaum zu Wort kommen lassen”, entgegnete ich wahrheitsgemäß. Bevor sie noch etwas entgegnen konnte, kam allerdings ein strahlender Samu mit seiner Schönheit am Arm an den Tisch. Wohlerzogen stellte er Enya zuerst seinen Eltern vor, bevor sich die gesamte Familie Bäcklund auf die verbliebenen Plätze begab.
      “Wo jetzt alle da sind, möchte ich euch noch einmal herzlich willkommen heiße. Danke, dass ihr alle, den weiten Weg nach hier draußen auf euch genommen habt, um heute hier zu sein. Viel länger möchte ich euch auch nicht mehr vollquatschen. Somit God Jul und guten Appetit”, richtete ich meine Worte an die versammelte Menge und gab damit das Buffet frei. Frohsinn lag in der Luft und durchströmte auch mich. Über die Gespräche beim Essen konnte ich eine Menge neuer Informationen über die Geschehnisse in der Heimat erlangen, während Eevi damit beschäftigt war, der Freundin ihres Bruders auf den Zahn zu fühlen. Exponentiell zu den sich leerenden Weinflaschen stieg die Stimmung in dem Raum und die Gespräche wurden ausgelassener. Ich folgte gerade einer interessanten Erzählung von Enya über einen komplizierten, aber unheimlich interessanten Fall von Lahmheit in der Klinik, als das Smartphone in meiner Hosentasche keine Ruhe mehr geben wollte. Zahlreiche Benachrichtigungen ploppten auf dem Bildschirm auf, die ich grob überflog. Ein paar Weihnachtsgrüße von Alec, Quinn, auch Mateo hatte mir geschrieben. Der junge Mann, der seit Kiel zum Team gehörte, verbrachte die Feiertage bei seiner Schwester, die nicht unweit von Högsby einen kleinen Hof hatte.
      „Schöni Weihnacht wünsch ich dir”, schrieb er in dem komischen Dialekt, den er deutsch nannte. Wirklich seltsam waren diese Schweizer. Anbei sendete er noch einige Bilder von den Pferden seiner Schwestern, die einige wunderschöne Freiberger besaß. Ein prächtiger Schimmel trat besonders auffällig zwischen den restlichen Tieren hervor, der von der Statur her sicher ein Hengst sein mochte. Niedlich von Mateo, dass er an meine Passion für diese seltene Rasse dachte.
      Ich scrollte weiter durch meine Nachrichten, stockte, als ich einen Namen las, der schon lange nicht mehr dort aufgetaucht war, genauer gesagt seit über vier Monaten nicht mehr. Mit dem Verlassen des Whitehorse Creek Stud, brachte ich nicht nur eine räumliche Distanz zwischen uns. Zu verwirrend waren meine Gefühle noch gewesen und zu frisch die Erinnerungen an ganz neue Seiten, die dieser Sommer ans Tageslicht gefördert hatte. Doch mir war auch nicht entgangen, dass Jace das nicht so einfach akzeptierte. Jeden einzelnen meiner Social Media Post hatte er gelikte, sogar eines der Bilder mit Niklas. Das kam mir äußerst seltsam vor, immerhin sprachen wir noch immer von dem Kerl, der meinem Freund die Nase brach. Und dass, obwohl Niklas in dem Moment nicht mehr getan hatte als nett zu sein. Wie auch schon Jace Kommentierungen auf Instagram ignorierte ich ebenfalls seine Nachricht. Ich fühlte mich nicht bereit, mich mit ihm auseinanderzusetzen, erst recht nicht an diesem Festtag. Stattdessen sendete ich meinen anderen ehemaligen Kollegen Weihnachtsgrüße zurück.
      „Na wer beschäftigt dich so intensiv?“, fragte Eevi bei der meine Aktivität an dem Gerät nicht unbemerkt geblieben war, “Dein heißer Polizist?” Vom Alkohol aufgeputscht kicherte sie wie eine zwölfjährige. Im Allgemeinen schien die Stimmung erheblich vom Alkohol beeinflusst. Niila und Joona führten mit Enyas Vater einen angetretenen Fachdiskurs über Motoren oder Ähnliches, wohingegen Juliett ihre Finger nicht bei sich behalten konnte und fortwährend ihren Freund betatschte. Samus Mutter hingegen brachte zahlreiche Anekdoten ihrer Kinder zu besten, von denen sich Enya offenbar gut unterhalten fühlte, zumindest, solang ihre Mutter keine Geschichte ihrerseits dazu beisteuerte.
      “Wenn es so wäre?”, stellte ich mit einem verwegenen Grinsen eine Gegenfrage.
      “Dann könntest du ihn ja fragen, ob er nicht vielleicht doch herkommt”, schlug die Blonde schmunzelnd vor.
      “Ach, das schaffst du doch sicher nicht, dass er jetzt noch kommt”, warf meine Schwester plötzlich ein. Klar, dass sie bei diesem Thema augenblicklich hellhörig wurde, auch wenn sie für gewöhnlich weniger angriffslustig war. Vermutlich war es der Alkohol, der mir zu Kopf gestiegen war, der dafür sorgte, dass ich ihr augenblicklich widersprach.
      “Natürlich bekomme ich Niki her. Ist doch ein Kinderspiel mit den richtigen Worten”, entgegnete ich selbstsicher. Es war eindeutig der Wein, der aus mir sprach. In der Regel war es eher das Gegenteil von einfach den viel beschäftigten Mann herzubekommen, wenn er nicht ohnehin schon kommen wollte.
      Jedenfalls ergriffen meine von Überzeugung getriebenen Finger erneut das Mobilgerät und tippten in Lichtgeschwindigkeit auf dem leuchtenden Bildschirm herum. Kaum hatte ich die Buchstaben in das weltweite Netz entsendet, änderte sich der Onlinestatus. Auch fing er sogleich zu schreiben an, sodass wenig später ein einziger Satz erschien: “Ich fahre in zehn Minuten los.”

      Vriska
      „Wo willst du hin?“, fragte Mama irritiert, mit dem Weinglas in der Hand, das drohte rote Flecken auf dem hellen Teppich zu hinterlassen.
      „Das habe ich dir vor Stunden schon gesagt“, vorsichtshalber rutschten meine Augen zur Uhr, „ich möchte noch zu Tyrell und Bruce.“
      „Wir sehen uns doch kaum“, jammerte sie auf einem Mal, obwohl sie dazu beitrug, dass ich den Großteil aller Familienfeste seit Jahren mied. Immer wieder hakte sie auf mir herum mit denselben Sprüchen über mein Aussehen, das gipfelte in dem, dass selbst mein so schweigsamer Bruder für mich Partei ergriff.
      Ich schwieg und zog mir meine Jacke über an der Tür.
      „Was willst du überhaupt bei denen? Wir sind deine Familie“, warf Mama mir plötzlich vor, als hätte ich es jemals laut ausgesprochen, dass sie mir egal war.
      „Familie Earle ist auch meine. Sie haben mir durch so schwere Zeiten geholfen und lebe mit ihren, daran ist nichts verwunderlich“, erklärte ich ruhig, obwohl ich innerlich brodelte.
      „Aha.“
      Hinter mir fiel die Tür zu. Kopfschüttelnd lief ich über den gefrorenen Boden und sah schon aus der Ferne das kleiner Feuer, das entfacht wurde. Obwohl meine Schwester bis zum Schluss versucht hatte, Mama davon zu überzeugen, dass ich keinesfalls mein Handy zurückbekommen sollte, hielt ich es in der Hand. Es grauste mir, es tatsächlich anzuschalten. Vermutlich würde Bildschirm vor Überlastung explodieren. Schweren Herzens steckte ich es in die Jackentasche und versuchte Land zu gewinnen.
      Kaum erreichte ich die kleine Runde am Feuer, wurde ich herzlich begrüßt. Mir gegenübersaß ein älterer Herr, der sich sogleich als Lars Vater Bruno vorstellte. Bei Bruce hatte Nour Platz genommen, die ebenfalls zur Familie Alfvén gehörte.
      „Und du bist dann Vriska?“, lächelte Nour und schielte dabei immer wieder zu ihrem Bruder hinüber, der im Schein der Flamme einen hochroten Kopf hatte. In der Hand hielt er ein Bier, wie alle anderen. Auch mir bot man umgehend eins an, offenbar sah ich so aus, als würde, könne ich es gebrauchen.
      „Ja“, sagte ich freundlich. Noch während ich mich nach einem Platz umsah, zog Lars mich zu sich.
      „Wir haben schon viel gehört“, fügte Nour hinzu.
      „Nur Gutes, hoffe ich“, drückte ich einen Standardspruch heraus, aber bekam diverse Dinge in den Kopf, was genau sie meinten könnte. Das bestehende Gespräch setzte sich fort. Tyrell erzählte, dass noch vor dem neuen Jahr eine Stute aus Deutschland kommen würde zum Training. Ihre Chancen seien gut. In der Heimat fuhr sie bereits in Amateurrennen einige Siege ein, aber es fehlte noch viel zum Derby.
      „Hast du dir schon überlegt, wer sie fahren wird?“, funkelten Nours Augen in Tyrells Richtung, der sich hauptsächlich um die Zucht kümmerte. Das Training übergab er Bruno.
      „Wenn du so fragst, kannst du sie gerne übernehmen“, schlug er vor. Nicht, dass es ihm etwas bedeuten würde, wer welches Pferd trainiert, viel mehr war es die Tatsache, dass er die Damen am Hof glücklich sehen wollte.
      „Vriska, wie sieht das bei dir eigentlich im nächsten Jahr aus?“, fragte Tyrell, nach dem ein Schweigen ausbrach. Natürlich hatte ich darüber viel nachgedacht, aber ich wusste es nicht. Nachdem Lina meine größte Sorge bestätigt hatte, verlief sich der Strom in meinem Kopf in den Sand.
      „Ich lasse es auf mich zukommen“, sprach ich zittrig. Lars legte seinen Arm um mich und mein Kopf senkte sich an seine Brust. Sanft drückte er mir einen Kuss an die Haare.
      „Dressur ist damit wieder Geschichte? Erzähl doch mal“, versuchte Tyrell weitere Informationen zu bekommen. Ehrlich gesagt, wusste er kaum etwas. Seitdem ich Erik hatte und den größten Teil damit verbrachte, ihn zu vermissen, allein in der Hütte, mied ich den Kontakt zu allen Beteiligten. Aber ich vermisste die kleinen Runden, jeden Tag.
      „Lubi soll so gut wie verkauft sein, also fällt die Saison für mich weg. Aber ich drücke mich auch davor, mein Handy anzumachen“, gab ich offen zu.
      „Fahri hat leider einen Sehnenschaden, sonst hättest du den nehmen können. Demnächst kommt noch ein Hengst in den Beritt, der auch auf Turnieren gehen soll“, schlug er vor. Ich zuckte mit den Schultern. Es war mir zu viel, nicht einmal richtig angekommen, fühlte ich mich.
      „Ich hatte ihr Osvo angeboten“, richtete Lars an seinen Vater. Dieser war sich unsicher. Einerseits hielt er die Stute als zu unerfahren und gleichzeitig für zu alt. Glücklicherweise erklärte Tyrell ihm einiges und ein reges Gespräch entstand. Osvo stammt aus einer Linie von erfolgreichen gerittenen Trabern. Seit der Führung von Zuchtbüchern in Amerika, beobachtet man immer häufiger Pferde, die in der Dressur oder Springen erfolgreich Turniere laufen, die auf bestimmte Hengste zurückgehen.
      „Also wenn das so ist“, Bruno nahm zur Stärkung einen weiteren Schluck aus seiner Flasche, „dann solltest du auf jeden Fall Osvo nehmen.“ Mich schockierte es, dass keiner von meinem schlechten Ritt Notiz nahm, oder zumindest Zweifel hegte, dass ich überhaupt reiten konnte. Die Vermutung lag nah, dass sie eben so wenig Ahnung vom Dressursport hatten wie ich.
      „Danke, aber ich saß ewig auf keinem Pferd mehr“, murmelte ich und verkroch mich noch tiefer an Lars Schulter, der immer wieder schief zu mir herunter grinste. Währenddessen war seine Hand immer tiefer gewandert, sodass er zufrieden meinen Po hielt.
      „Das lässt sich doch im Handumdrehen ändern“, grinste Tyrell, „ich halte es auch für wichtig, dass du etwas Abstand von Kalmar nimmst. Die Leute dort scheinen Gift zu sein für deine Motivation.“
      Seine Bedenken waren berechtigt. Ähnliches schwebte mir bereits durch die Gedanken, als ich im Flieger hierher saß. Vor allem wollte Abstand von Niklas nehmen, was angesichts der Umstände, allerdings schwierig werden würde.
      „Mal schauen“, antwortete ich trocken. Mit den Worten öffnete ich die nächste Bierflasche, die neben mir im Kasten stand, an der Tischkante und nahm einen kräftigen Schluck. Für alle anderen war auch die nächste Runde angesagt. Die Stimmung wurde zunehmend gelassener. Bruce erzählte von seinem neuen Hengst aus Island, der ausgezeichnetes Potenzial hatte und eine seltene Zuchtlinie im Papier. Außerdem entwickelte sich Kríts Nachwuchs, Spök, ausgezeichnet. Jahrelang hatte er auf den Tag hin gefiebert, dass seine Ausnahmestute einen vielversprechenden Nachkommen bekommt und offenbar hatte er mit der hübschen dunklen Stute mit heller Mähne und großen Abzeichen, einen gefunden. Ich freute mich für ihn, erst recht, endlich mal wieder was von den Fellmonstern zu hören. Gefangen in meinem Kopf, hatte ich meine eigentliche Leidenschaft vollkommen verdrängt.
      „Du weißt doch, Narcissa kannst du dir jederzeit nehmen“, erinnerte er mich daran, dass er mir die Stute angeboten hatte.
      Die Gespräche setzten fort, auch als Tyrell mit seinem Bruder verschwand, um nach einer der Einstellerstuten in der Box zu schauen, die demnächst abfohlen sollte. So saß ich allein mit Familie Alfvén am Feuer, zumindest für einen Wimpernschlag.
      „Wir werden schon mal in die Hütte gehen“, sagte Nour.
      „Ja, mir ist auch kalt“, fügte ihr Vater hinzu.
      Dann standen beide mit einem breiten Grinsen auf. Lars hatte nicht vor, ihnen zu folgen. Er wollte bei mir bleiben. Noch immer lag sein Arm fest um mich und als seine Familie aus der Sichtweite verschwand, hob er mich auf seinen Schoß. Seine Lust verspürte ich schon eine Weile. Immer wieder funkelten seine grünen Augen, ganz glasig durch den Feuerschein, in meine Richtung. Auch in mir war der Funke übergesprungen. In mehreren Wellen überkam mich ein undefinierbares Zucken, das sich wie tausend Ameisen unter der Haut ausbreitete und sich in der Magenregion sammelte.
      „Du weißt, was dir auch jederzeit nehmen kannst?“, spielte er auf Bruce Angebot an, aber meinte natürlich nicht Narcissa damit. Das hätte Lars wohl gern! Ich gab mich blöd und mich am Kinn. Verführerisch zuckten seine Lippen, ohne etwas zu sagen.
      “Nicht wirklich. Bruce Reitschuli oder was möchtest du mir sagen?”, sprach ich nach reiflicher Abwägung, wie viel Kontrolle ich bereit war, abzugeben. Einen kurzen Halm überließ ich ihn, seine Wunsch zu äußern. Aber er setzte diesen in die Tat um. Ungezügelt fasten seine kalten Hände in meine Hose, um das Shirt heraus zu Friemeln. Gleichzeitig setzten seine Lippen auf meine und die Gehirnzellen schalteten auf Autopilot. Ich war nicht mehr Herr meiner Sinne. Vielmehr überkam es mich mit Glück und Erfüllung und hoffte, dass der stürmische Moment mit ihm gar nicht mehr endete. Aber der frische Wind kletterte wie ein eifriges Äffchen an meinem Unterrücken hinauf, kühlte mich damit in kurzer Zeit herunter.
      “Komm, Drinnen ist wärmer”, flüsterte ich in sein Ohr, stopfte das Shirt zurück und griff seine Hand. Mit großen Schritten zog ich ihn mir nach. Der Weg zur Hütte war kurz und ohne groß darüber nachzudenken, öffnete ich die Haustür. Erschrockene Gesichter blickten uns an. Von einem auf den anderen Augenblick verstummten die Gespräche und eine gähnende Stille legte sich über die Menge. Viele der Anwesenden kannte ich nicht. Langsam schloss ich die Tür hinter mir und begann zu lachen. Sofort setzte auch Linas Schwester ein, die offenbar auch gut dabei war.
      “Tut mir leid für die Störung. Ich bin Vriska, das ist Lars”, erklärte ich kurz.
      “Da lang”, flüsterte ich im nächsten Augenblick dem Kerl neben mir zu, der sich suchend nach dem richtigen Raum umsah. Mit dem Finger deutete ich nach rechts zur geschlossenen Tür, vor der Dog lag und leise mit dem Schwanz aufs Holz klopfte. Lars begrüßte den Hund, aber ich hatte nur die Klinke im Blick. Kaum war sie offen, trabte das gefleckte Wesen hinein und machte sich auf dem Bett breit.
      Geschickt fischten seine Finger nach dem Reißverschluss meiner Jacke, als ich die Tür hinter uns schloss. Er drückte mich an sie und entfernte im Wechsel zu ihm und mir ein Kleidungsstück. Wieder lagen seine wohltuenden Liebkosen auf mir. Das Zittern und Zerren am Körper löste sich wie in Luft auf. Von jemandem begehrt zu werden, fühlte sich befreiend an. Ich spürte das Pochen seines Herzens sehr nah an einem und mit jedem Kleidungsstück, das irgendwo im Zimmer landete, kribbelte es mehr unter der Haut. Schockiert stockte mein Atem, als ich ihn zum ersten Mal in voller Blöße betrachtete. Seine Brust zuckte vergnügt und sein stählerner Bauch, drückte sich immer wieder in den Vordergrund, obwohl als einzige Lichtquelle der kleine Spalt zwischen Tür und Fußboden diente. Ein wohliger und zugleich ängstlicher Schauer durchfuhr mich, aber noch bevor ich mich meiner Angst hingab, legte er seine Hände unter meinen Po und stemmte uns gegen das Holz.
      Der Akt selbst dauerte nur wenige Sekunden, aber war wohl das Beste der letzten Monate, was erleben durfte. Wir verharrten für einen Augenblick, eng umschlugen an der Tür und mir wurde klar, dass wohl auch jeder andere in hörbarer Nähe, davon Notiz genommen hatte.
      “Du warst großartig”, murmelte ich außer Atem, mit meinem Kopf auf seiner kräftigen Schulter abgelegt. Kleine Schweißperlen tropften von seiner Stirn auf meine Brust und als er seinen Mund abermals auf meine presste, schmeckte ich das Salz an einer Zungenspitze.
      “Das höre ich gern.” Lars trug mich vorsichtig auf Bett und beugte sich über mich.
      “Zweite Runde?”, schmunzelte er selbstüberzeugt.
      “Warte, ich habe Durst”, erklärte ich mit trockener Kehle und kletterte zwischen seinen Armen hindurch. Im schlechten Licht suchte ich nach einem Shirt, fand dennoch nur seins, aber dafür eine saubere lange Unterhose. Barfuß huschte ich durch die Tür, versuchte mich möglichst unauffällig an der Maße an Menschen vorbei zu schleichen, was, angesichts der Umstände, unmöglich war. Erst recht aus dem Grund, da Linas Schwester gerade eine neue Weinflasche aus dem Schrank holte.
      “Doch so schlecht, dass du schon wieder da bist?”, gluckste die Brünette, während sie sich an dem Korken zu schaffen machte.
      “Das ist aber lieb”, zog ich spitz die Augenbrauen zusammen und nahm ihr beherzt die Flasche aus der Hand, bevor sie reagieren konnte, setzte ich zu einem beherzten Schluck an. “Aber nein, natürlich nicht.”
      “Hätte mich auch gewundert”, mischte sich plötzlich eine tiefe männliche Stimme ein, die mir, gewiss, bekannt vorkam, “aber was soll man sagen, dumm fickt gut, nicht wahr?”
      Ein tiefes Raunen ging durch die Menge. Glücklicherweise hielt ich die Flasche bereits und setzte sie ein weiteres Mal an.
      „Da kannst du aus Erfahrung sprechen, nicht wahr?“, provozierte ich weiter, obwohl mir im selben Atemzug klar wurde, dass Lina auch noch da war. Flaschi und ich waren jetzt ohnehin schon Freunde, also durfte sie ein weiteres Mal ran. Erst dann drehte ich mich um und Lina lehnte mit hochroten Kopf in ihren Armen auf dem Tisch. Alle anderen Beteiligten lachten, was ich als eher als Übersprungshandlung einschätzte. Ich wäre mir auch unsicher, wie es gemeint war.
      “Wir leiden alle einmal an Geschmacksverirrung und du warst die Größte.” Niklas verschränkte die Arme und lehnte sich weiter in den Stuhl. Das war ein Tiefschlag. Mir blieb der Atem weg und jegliche Begeisterung glitt aus meinen Gesichtszügen. Niemand sagte mehr etwas, sodass die Schritte hinter mir klar ertönten. Eng legte Lars seine Arme über meine Schultern und drückte mich an sich heran.
      “Komm, Kleines. Der hat doch keine Ahnung.” Er gab mir einen seichten Kuss auf die Haare. Der Motor des Lebens kam wieder in Bewegung und ich war froh, dass er mir half. Natürlich nahm er mir meine neue Freundin aus der Hand, um selbst einen Schluck zu nehmen.
      “Der gehört mir”, funkelte ich meine Bekanntschaft an, der ein freches Lächeln auf die Lippen legte. Da ohnehin keiner mehr etwas sagte, liefen wir zurück ins Zimmer, um fortzusetzen, wo wir aufgehört hatten.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 77.570 Zeichen
      zeitliche Einordnung {24. Dezember 2020}
    • Mohikanerin
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      Beschlag | 14. Juli 2022

      Milska / Narcissa / Otra / Vrindr von Atomic / Hallveig från Atomic

      “Denkst du daran, dass heute der Schmied kommt?”, erinnerte mich Bruce und biss am Brötchen ab bei dem morgendlichen Team-Frühstück.
      “Selbstverständlich”, grinste ich. Klappernd stellte ich das Geschirr in die Spüle und ließ etwas Wasser darüber laufen.
      “Super, dann kann ich die Berittpferde machen”, sagte er entschlossen.
      Am Stall wartete ich bereits seit zwanzig Minuten. Milska und Narcissa scharrten ungeduldig im Gang, als endlich der große, weiße Transporter vorfuhr und einige Meter vor dem Eingang hielt. Vollkommen gerädert stand der hagere Mann vor mir, in der Hand einen Kaffeebecher und in der anderen sein Handy. Er hatte wohl keine gute Nacht, dachte ich ins Geheim.
      Lächelnd begrüßte ich ihn und seinen Helfer, erklärte, dass zwei von den fünf Pferden bereits im Gang standen. Die Hufe hatte ich sauber gemacht und sogar abgespült. Damit sollte schon mal ein Teil der Arbeit von ihm, erledigt sein. Sie bedankten sich herzlich und begannen die Eisen zu entfernen. Eins nach dem anderen landete in einem schwarzen Plastikeimer, bevor geraspelt wurde. Während der Helfer noch die Hufwand kürzte, suchte Herr Wellik den passenden Beschlag im Auto. Wenn ich überlegte, wie unaufgeräumt ich unsere Sattelkammer empfand, stellte seine Ordnung, ein reines Chaos dar. Allerdings fand er, was er gesucht hatte. Die Stuten standen still, ließen sich das ständige Heben und Senken der Hufe zu, bis endlich der Kaltbeschlag fest am Pferd war. In der Zeit holte ich Otra, Vrindr und Hallveig. Zwei der Drei bekamen ebenfalls Eisen an die Hufe, während Otra ihren abbekam, um zum Hengst zu können.
      Nach insgesamt drei Stunden waren alle Pferde fertig, der Schmied noch immer erschöpft und offenbar froh, dass er weiter konnte. Mit seinem Gehilfen sprang er ins Auto und zischte vom Hof. So hatte ihn bisher nicht erlebt, aber konnte mir gut vorstellen, wie anstrengend die Arbeit war.

      © Mohikanerin // 1893 Zeichen
    • Mohikanerin
      Ankunft im Chaos | 20. Juli 2022

      Erlkönig / Raleigh / Glanni frá glæsileika eyjarinnar / Monet
      Otra / Narcissa / Blávör / Hallveig från Atomic / Saints Row / Vrindr von Atomic / Voodoozirkus / Vrindr von Atomic / Willa / Þögn / Snotra

      Tasmania / Sign of the Zodiac LDS / Nachtschwärmer / Forbidden Fruit LDS / Ruvik / Lotti Boulevard / HMJ Holy

      Nachtzug nach Stokkholm LDS / L‘Épirigenys LDS / Ours de Peluche LDS / WHC' Email / Mitternacht LDS / Yumyulakk LDS / CHH' Death Sentence / Halldór von Atomic / Liv efter Detta LDS / Sighvatur från Atomic / Kría von Atomic / Mondlandung LDS / Kempa

      Polka Dot / WHC' Griechischer Wein / Sakura Blomst / Sisko / WHC' Oceandis / Snúra

      WHC' Ritter Der Rose / WHC' Guardien / Gneisti från Atomic / Connerys Brownie


      Natürlich kommt es immer anderes, als man denkt, aber, dass ich von einem Chaos im nächsten lande, lag außerhalb meiner Denkleistung. Der erste Tag vom Praktikum war ziemlich cool. Man zeigte mir den riesigen Hof. In einem Teil standen die Sport- und Rennpferde, in dem kleinen die Islandpferde und Ponys, bei denen ich sein würde. Allerdings war die Stimmung gedruckt und später erfuhr ich auch warum. Eine Kollegin floh von einem zum anderen Tag in den Urlaub, zumindest wurde das gesagt. Sie sei wie ein Teil der Familie, weshalb man es ihr nicht übel nehmen konnte. Die genaue Geschichte musste ich mir zusammenlegen, immer mal wieder schnappte ich einzelne Stücke davon auf. Nicht, dass es nicht wirklich interessierte aber mittlerweile war sie wieder da. Gesprochen haben wir bisher nicht, nur provisorisch. Vriska war ein seltsamer Mensch: Übertrieben freundlich, wankelmütig und unberechenbar. Die andere Kleine, Lina, kam verschlossen daher, sehr in sich gekehrt, doch als ich eines Tages entdeckte, wen sie an ihrer Seite, nahm ich Abstand, obwohl wir uns das eine oder andere Mal nett in der Reithalle unterhielten. Dass ich jemals auf Knasti treffen würde, außerhalb eines Turniers, hätte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen können.
      „Neele, kommst du mit?“ Jonina kam aus dem Stall, in der Hand hielt sie zwei Stricke.
      „Gern, wenn nimmst du?“, hakte ich nach. Einige der Pferde müssten noch bewegt werden aber vor allem mit Monet wollte ich gern in den Wald. Oft war bisher nicht ausreiten. Es lag eher an meiner begrenzten Zeit, als an meinem Pferd.
      „Ich dachte, wir nehmen unsere“, schlug sie lächelnd vor. Zum Glück!
      Wir liefen zu den Hengsten, die etwas weiter weg standen, genauer gesagt, neben dem Reitplatz. Dort standen auch Erlkönig, der Fuchs ihres Bruders und Raleigh, ein anderer Einsteller Hengst, der aktuell am Huf verletzt war.
      Freundlich brummte mich Monet an, als wir an der Ecke in sein Blickfeld liegen. Die Ohren standen kerzengerade nach oben, der Kopf ebenso aufgestellt und seine Hufe tänzelten aufgeregt auf der Stelle. Glanni, Ninas Hengst, interessierte sich nur wenig für uns. Er zupfte an seinem Heunetz im Unterstand, selbst das diese Kaltblut wirkte neugieriger als der Fuchs. Mit einem Blick zu meiner Kollegin wurde mir allerdings klar, dass die beiden wunderbar zusammenpassten. Auch ihre augenscheinliche Begeisterung breitete sich nur mäßig im Gesicht aus, vermutlich einer der Tage, an dem man sein Pferd dem Tier zur Liebe bewegt.
      Im Stall unterhielten wir uns über dieses und jenes, nichts sonderlich relevantes. Zwei neue Reitschüler waren für den nächste Tag angemeldet, weshalb Jonina meine Einschätzung über die Wahl der Pferde wissen wollte. Otra und Narcissa waren auf jeden Fall eine Idee, aber auch Kempa, die Einstellerin war und zwischendurch im Betrieb mitlief, könnte für Ältere etwas sein. Blávör, ebenfalls ein wenig beschäftigtes Einstellerpferd, hingegen wäre zu anspruchsvoll.
      „Du kannst morgen mit ihr auf die Bahn“, schlug die Kollegin vor.
      „Ja, warum nicht“, grinste ich und klopfte die Bürste am Holz ab. Einige der kleinen weißen Haare schwebten wie kleine Feen in der Luft, glitzernd durch den Staub im Strahl der Sonne, die durch das Fenster und ihr Licht schenkte. Der zauberhafte Moment hielt nur kurz an, denn Monet schlug mit Schweif und wirbelte die Partikel auf. Mit einem dumpfen Klacken flog die Bürste in meine Putzkiste. Ich lief hinüber in die Sattelkammer, schnappte mir all das nötige Sattelzeug und legte dem Pferd alles an, als auch die Huf sauber waren. Jonina war zu dem Zeitpunkt schon lange fertig, aber wartete geduldig, dass auch ich so weit war. Es faszinierte mich, wie sonderbar wenig Zeit die Leute hier am Hof in die Fellpflege investierten. Allerdings sah Glanni auch aus wie ein Plüschtier, das gerade aus der Waschmaschine kam.
      Wir ritten den schmalen Weg an der Baustelle entlang, um von dort den Wald zu erobern. Dabei begegneten wir Bruce, der mit einer kleinen Gruppe von zwei Reitschülern ausreiten war. Anhand der Pferde erkannt ich, dass es Fortgeschrittene waren. Hallveig und Saints Row konnten Stimmungsschwankungen haben, während die eine Stute ziemlich guckig an uns vorbeiritt, interessierte sich die andere nur wenig für die Hengste. Monet brummte ein paar Mal. Beruhigend tätschelte ich seinen Hals. Es faszinierte mich immer wieder, wie entspannt die Ponys aus dem Norden waren. In meiner Heimat wäre das Treffen deutlich hektischer verlaufen. Meine Augen hingen noch einen Moment an der Gruppe, bevor Jonina sich an mich wandte: „Lass uns hier abbiegen, dann können wir noch nach Pferden auf der Weide schauen.“
      Ich nickte, damit sparte ich tatsächlich den Kontrollgang, der am heutigen Tag auf meiner Liste stand. Zunächst ritten wir an den Hengsten vorbei, die verteilten auf dem kargen Grün ein paar Halme zupften. Die bunte Gruppe bestand aus allen erdenklichen Pferden, einige alte Renter-Wallache standen in der einen Ecke, in der anderen Jährlinge und dazwischen der Rest. Bei den Stuten sah es ähnlich aus. Allerdings waren die tragenden Stuten getrennt von den Jungpferden, um in den kommenden Wochen Leben auf die Welt zu bringen.
      „Wer ist das?“, zeigte ich ein kleines Pony in der letzten Ecke.
      „Du, das weiß ich gar nicht. Manchmal tauchen hier Pferd auf und manchmal fehlt eins. Es ist nicht so, dass ich die kenne. Wir schauen nur, ob sie leben und atmen“, lachte meine Kollegin und trieb ihren Fuchs etwas schneller am Zaun entlang. Tatsächlich wunderte mich auf diesem Hof nichts mehr. In meiner Vorstellungen waren Gestüte wie diese besser organisiert und hoffte auch darauf, dass dieser eine Ausnahme war. Geschichten, die an mich herangetragen wurden, klangen wie erfunden, besonders in Anbetracht, wie der Betrieb am Laufen blieb. Ein paar Mal überlegte ich, das zu fragen, aber behielt es für mich.
      Endlich im Wald angekommen, trabten wir die Pferde an und ritten eine gemütliche, wenn auch kalte, Runde auf der Bahn.

      © Mohikanerin // Neele Aucoin // 5980 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Februar 2021}
    • Mohikanerin
      Dressur A zu L | 30. Oktober 2022

      Finest Selection/ Vikar/ All Hope Is Gone/ Injaki/ Lancasters Peppermint/ Checkpoint/ Aschenflug/ Lilli vom Hirschberg/ Nurja/ El Montino
      Voodoozirkus/ Glanni frá glæsileika eyjarinnar/ Blávör/ Narcissa/ Orta/ Waschprogramm


      Viele Pferde standen heute auf der Starterliste. Einige von ihnen hatte ich bereits auf dem Abreiteplatz sehen können, andere würden eine Überraschung werden. Eröffnet würde die Prüfung von einer dunklen Fuchsstute. Nervös spielten ihre Ohren, doch ihr Reiter hatte sie vollends unter Kontrolle. Doch so sollten die Prüfung nicht weitergehen. Es schien, als sei der Platz heute verhext. Das eine Pferd erschrak sich vor den Blumenkästen, das andere vor einem unsichtbaren Geist. So ging es einer nach dem anderen und kaum ein Pferd schaffte es entspannt durch die Prüfung.


      © Mohikanerin | 572 Zeichen
    • Mohikanerin
      Experiment / Dressur L zu M | 30. April 2023

      Otra / Liliada / Pleasing / Narcissa

      "Es war ein aufregender Tag auf dem Gestüt, als vier talentierte Pferde in den Beritt genommen wurden. Jedes dieser Pferde sollte einen Monat lang von einem anderen erfahrenen Dressurtrainer geschult werden. Die Atmosphäre war erfüllt von Neugierde und Vorfreude auf die bevorstehenden Trainings.
      Der erste Trainer, eine elegante Reitlehrerin mit jahrelanger Erfahrung, nahm sich eines temperamentvollen Warmbluts an. Das Pferd hatte viel Energie, aber auch eine gewisse Unruhe. In den ersten Tagen des Trainings lag der Schwerpunkt auf der Grundlagenarbeit. Die Reitlehrerin arbeitete daran, das Pferd zu beruhigen und es zu lehren, sich auf die Hilfen zu konzentrieren. Mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen führte sie das Pferd durch Übungen, die seine Konzentration und Koordination schulten. Schritt für Schritt gewann das Pferd an Selbstvertrauen und begann, seine Energie positiv in die Dressurarbeit umzusetzen.
      Der zweite Trainer war ein erfahrener Dressurreiter, der sich eines jungen und vielversprechenden Isländer annahm. Das Pferd hatte bereits eine gute Grundausbildung, und der Trainer konzentrierte sich darauf, die Lektionen zu verfeinern und die Seitengänge zu festigen. Mit geschickten Hilfen und ruhiger Präsenz führte der Trainer das Pferd durch anspruchsvolle Dressurübungen. Die Arbeit war geprägt von Eleganz und Harmonie, als sich das Pferd weiterentwickelte und seine Bewegungen an Ausdruck gewannen.
      Der dritte Trainer, ein junger und aufstrebender Dressurreiter, übernahm die Ausbildung eines talentierten Pony Dressursportlers. Das Pferd war bereits gut ausgebildet, aber es hatte Schwierigkeiten mit der Versammlung und der Durchlässigkeit. Der Trainer arbeitete daran, das Pferd mehr an den Hilfen zu stellen und die Versammlung zu verbessern. Mit viel Begeisterung und Ehrgeiz führte der Trainer das Pony durch Übungen, die seine Kraft und Beweglichkeit förderten. Die Arbeit war geprägt von Dynamik und Leichtigkeit, als das Pferd immer geschmeidiger und durchlässiger wurde.
      Der vierte Trainer, ein erfahrener Dressurprofi, übernahm die Ausbildung eines stolzen Isländer. Das Pferd war bereits auf einem hohen Niveau ausgebildet, aber der Trainer arbeitete daran, seine Ausdruckskraft und Versammlung weiter zu verbessern. Mit fester Hand und viel Feingefühl führte der Trainer das Pferd durch anspruchsvolle Dressurlektionen. Die Arbeit war geprägt von Anmut und Präzision, als das Pferd seine Bewegungen immer weiter verfeinerte und an Ausdruck gewann.
      Während des gesamten Monats waren die Trainer fokussiert und engagiert, um das Beste aus ihren Pferden herauszuholen. Jeder von ihnen legte den Schwerpunkt auf unterschiedliche Aspekte der Dressurarbeit, aber sie alle teilten die gleiche Leidenschaft für die Entwicklung und Förderung der Pferde.
      Als der Monat zu Ende ging, hatten sich die Pferde erstaunlich gut entwickelt. Sie waren ausgeglichener, ausdrucksstärker und zeigten eine höhere Versammlungsbereitschaft. Die Zusammenarbeit zwischen den Trainern und den Pferden war geprägt von Respekt, Vertrauen und einer tiefen Verbindung.
      Es war ein außergewöhnliches Erlebnis, vier Pferde auf ihrem Weg in der Dressur zu begleiten. Jeder Trainer hinterließ seine einzigartige Spur, und die Pferde profitierten von der Vielfalt der Ansätze. Die Monate des intensiven Trainings waren eine Geschichte von Entwicklung, Zusammenarbeit und Leidenschaft – eine Geschichte, die das Herz jedes Dressurliebhabers berühren würde. Und so würde die Reise für die vier talentierten Pferde und ihre Trainer weitergehen, immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen und der ständigen Verbesserung ihrer Fähigkeiten."

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    atomics.valley.
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  • Cissa ist 12 Jahre alt.

    Aktueller Standort: Lindö Dalen Stuteri, Vadstenalund [SWE]
    Unterbringung: kleines Stallgebäude; Box [9h], Paddock [15h]


    –––––––––––––– s t a m t a v l a

    Aus: Unbekannt [Isländer]
    MMM: Unbekannt ––––– MM: Unbekannt ––––– MMV: Unbekannt
    MVM: Unbekannt ––––– MV: Unbekannt ––––– MVV: Unbekannt


    Von: Unbekannt [Isländer]
    MMM: Unbekannt ––––– MM: Unbekannt ––––– MMV: Unbekannt
    MVM: Unbekannt ––––– MV: Unbekannt ––––– MVV: Unbekannt



    –––––––––––––– h ä s t u p p g i f t e r

    Zuchtname: Narcissa
    Rufname: Cissa
    Farbe: Rappschecke (Tovero)
    [Ee aa nT nSpl]
    Geschlecht: Stute
    Geburtsdatum: April 2010
    Rasse: Isländer
    Stockmaß: 136 cm

    Charakter:
    zuverlässig, geduldig, unberechenbar

    *4 Gänger
    *arbeitswillig in der Dressur
    *rechts hohl, besonders auf Höhe der Schulter


    –––––––––––––– t ä v l i n g s r e s u l t a t

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    Dressur M [M] – Springen E [A] – Fahren E [A] – Western E [L] – Distanz E [A] – Gangreiten L [M]

    April 2023 Experiment, Dressur L zu M

    Ebene: National

    Dezember 2021
    Training, Dressur E zu A

    März 2022
    Training, Gang E zu A

    April 2022
    1. Platz, 621. Westernturnier
    1. Platz, 623. Westernturnier

    Mai 2022
    2. Platz, 626. Westernturnier
    3. Platz, 627. Westernturnier
    1. Platz, 327. Gangturnier

    Juni 2022
    3. Platz, 329. Gangturnier
    2. Platz, 631. Westernturnier
    2. Platz, 632. Westernturnier
    2. Platz, 634. Westernturnier
    2. Platz, 333. Gangturnier
    1. Auslosung
    3. Platz, 333. Gangturnier
    2. Auslosung
    3. Platz, 635. Westernturnier
    1. Platz, 334. Gangturnier
    Training, Gang A zu L

    Oktober 2022
    Training, Dressur A zu L

    –––––––––––––– a v e l

    [​IMG]

    Gekört durch SK 480 im September 2022.

    Zugelassen für: Isländer; Speed Racking Horse
    Bedienung: Gangreiten mindestens L qualifiziert
    DMRT3: CA
    Leihgebür: – [Nicht Leihbar]

    Fohlenschau: 0,00
    Materialprüfung: 7,45

    Körung
    Exterieur: 7,00
    Gesamt: 7,47

    Gangpferd: 7,08


    –––––––––––––– a v k o m m e r

    Narcissa hat 0 Nachkommen.
    • 20xx Name (von: Name)


    –––––––––––––– h ä l s a

    Gesamteindruck: gesund, im Training
    Krankheiten: keine
    Beschlag: Falzeisen [Stahl], Voll


    –––––––––––––– s o n s t i g e s

    Eigentümer: Bruce Earle [100%]
    Bezugsperson: Bruce
    Züchter: Stall, Ort [SWE]
    VKR / Ersteller: Sadasha

    Punkte: _gekört

    Abstammung [0] – Trainingsberichte [4] – Schleifen [13] – RS-Schleifen [0] – TA [0] – HS [2] – Zubehör [2]

    Spind – HintergrundVorschau