1. Diese Seite verwendet Cookies. Wenn du dich weiterhin auf dieser Seite aufhältst, akzeptierst du unseren Einsatz von Cookies. Weitere Informationen
Mohikanerin

// Moonwalker LDS [3]

a.d. Fly me to the Moon, v. Outer Space | _zw91

Tags:
// Moonwalker LDS [3]
Mohikanerin, 6 Dez. 2021
    • Mohikanerin
      [​IMG]

      kapitel tjugosechs | 29. August 2022

      Moonwalker LDS / Northumbria / Glimsy / Pay My Netflix / Millennial LDS / Enigma LDS / Schneesturm / Maxou / Henade

      Vriska
      Bereits Ende Januar wurde der Schnee von einem Dauerregen abgelöst, der die Fahrt auf dem Sulky undenkbar ekelig machte. Trotzdem überwand ich mich. Durch den Frost hatten sich tiefe Furchen in den Sand legt und verursachten damit eine reine Schlammschlacht. Walker, der sonst hell den Stall erleuchtete, konnte erst nach einer verdienten körperwarmen Dusche seine gewohnte Fellfarbe hervorbringen.
      Ich lehnte in der Stallgasse an einem Holzbalken und beobachtete, wie Walker genüsslich sein Futter verspeiste unter den roten Lampen. Neben mir stand Nour, vollkommen begeistert von dem Hengst. Sie erzählte womöglich zum vierten Mal an dem Tag, wie sehr sie das Training mit ihm vermisste, aber froh war, dass ich es so lang übernahm. Ihr Arm verursachte noch immer Probleme und die Naht wollte sich nicht schließen. Da Walker seine unberechenbaren Phasen hatte, fuhr sie nur mit einfachen Pferden.
      „Wir sind ein wirklich gutes Team“, sagte sie und boxte mir leicht an den Oberarm.
      „Schon, ja“, murmelte ich.
      „Jetzt lass den Kopf nicht hängen. Das mit Lina renkt sich sicher wieder ein, auch wenn ihr Kerl ziemlich seltsam ist“, mahnte sie. Ich wusste das, aber es änderte nichts, egal, wie oft es mir sagte oder jemand anderes. Auch, was Niklas Problem seit Wochen war, konnte ich nicht genauer herausfinden. Einzig meine Anwesenheit brachte ihn zu unbeschreiblich unfreundlichen Taten. Selbst nach dem Urlaub wechselten wir kaum Worte, aber ich konnte spüren, dass es wieder besser werden würde.
      “Willst du heute selbst Humbria nehmen?”, wechselte Nour sogleich das Thema und stellte sich demonstrativ vor mir. Erst jetzt richtete den Kopf auf, um ihr ins Gesicht zu blicken. Sie war nur etwas größer als ich, wodurch es kein Problem war. “So ein Turnierpferd kauft sich schließlich nicht von selbst und ich will mein Walkerlein auch demnächst wieder haben.”
      “Versteh’ schon, du und dein Schatz”, grinste ich.
      Voller Tatendrang verschwand Nour und kehrte mit meinem rosafarbenen Halfter aus dem Schrank zurück, um es mir in die Hand zu drücken. Etwas verwirrt schaute ich die Dame an, aber zuckte mit den Schultern und lief zum Stutenpaddock, um besagte Stute zu holen. Lina hatte ihr eines Tages den Spitznamen „Pilzi“ gegeben, nach dem Tyrell bei einer Farbuntersuchung feststellte, dass sie das Mushroom Farbgen trug, das bisher nur bei Shetlandponys nachgewiesen werden konnte. Umso mehr freute ich mich, dieses Pferd zu meinem Zählen zu dürfen, wenn auch nur im Rahmen der Betreuung. Glücklicherweise war Niklas klug genug, uns die Stute zu überlassen, denn es hatte sich immer mehr herauskristallisiert, dass sie sensibel war und Ruhe bedarf. Sensibel mag er gehändelt bekommen, aber Ruhe bewies er bisher nie. Ich schätze, sie war froh, mich zu haben. Ihre Ohren stellten sich bereits auf, als ich ihren Namen rief. Beim zweiten Mal kam sie zum Zaun gelaufen und wieherte in hohen Oktaven.
      „Toots, wir haben Großes vor“, strich ihr über die schmale, schräge Blesse und öffnete das Halfter, um es hinter den Ohren zu schließen. Sie mochte es nicht, wenn man es über ihren Kopf zog, aber wir arbeiteten daran. Ihr erstes Leckerli verdrückte sie in Windeseile und folgte wie ein glücklicher Hund.
      „Mit dir habe ewig nichts mehr gemacht. Das tut mir leid“, sprach ich weiter mit dem Tier, das mir ohnehin nicht antworten würde. Aber sie stupste mich an, was ich als Kommunikation verstand.
      Angekommen in der Stallgasse bemerkte ich Walker in seiner Box stehen, interessiert den Kopf nach der Stute recken. Humbria legte die Ohren an.
      „Ich verstehe dich, Männer sind doof“, lachte ich.
      „Ach ja? Alle?“, kam auf einmal Lars hervor. Mir stockte der Atem und die dunkle Stute sprang zur Seite weg, dabei klapperte der Beschlag laut an dem Holz einer Boxenfront.
      „Du willst uns noch umbringen“, schüttelte ich den Kopf. Humbria beruhigte ich mit Klopfen am Hals und sogleich schmiegte sie sich an mich heran. „Aber ja, besonders du.“
      Dann lachte auch Nour, die neben ihm auf der Bank saß und aufstand, um die dunkle Stute zu begrüßen.
      „Leider muss ich ihr zustimmen, du bist der Schlimmste von allen“, fügte seine Schwester amüsiert zu und legte demonstrativ ihren Arm auf meine Schulter.
      „Jetzt verbünden sich meine Lieblingsmädchen auch noch. Das kann eine Saison werden. Gott, steh mir bei“, schüttelte er den Kopf. Lars begleitete uns zum Anbinder und diverse Nachfragen bezüglich der Stute neben mir. Besten Gewissens erzählte ich von meinen Erfahrungen von ihr, aber hatte keine Vorstellung davon, wie sie am Wagen fuhr.
      „Ich kann mitkommen. Glimsy braucht ohnehin noch etwas Auslauf“, beschloss er und lief davon. Als ich ihm so nachsah, wurde mir doch etwas wärmer ums Herz. Sein eleganter Gang übertraf um Längen, was Niklas ausstrahlte. Nur Tattoos würden ihn noch attraktiver machen, um genau mein Typ zu sein.
      „Erde an Vivi“, trat Nour vor meinen Blick, aus dem Lars bereits verschwunden war.
      „Ähm, ja?“, schüttelte ich erwischt den Kopf.
      „Stehst du auf ihn?“, kam sie noch etwas näher, damit es sonst keiner im Stall mitbekam.
      „Nein!“, empörte ich mich und flüsterte zu mir selbst: „Nicht auf ihn.“
      „Jetzt wird es interessant. Aber ihr habt doch miteinander geschlafen, oder stimmen die Gerüchte nicht?“, legte sie wieder mal ihren Arm um meinen Hals. Nour war ziemlich körpernah unterwegs, aber sie strahlte eine hohe Sympathie aus, weshalb es mich nicht störte.
      „Ich werde mich dazu nicht äußern“, schmunzelte ich.
      „Doch, ich werde es schon noch erfahren.“
      Bis auch Lars die Rappstute am Wagen hatte, dauerte es eine Weile. Nour hielt die Beine still und fragte mich nicht weiter über ihren Bruder aus. Stattdessen wollte sie mal wieder mehr über ihren Liebling, Walker, wissen. Also beantwortete ich erneut alle Fragen. Langsam sollte es doch genug sein, dachte ich, insgeheim und ging mit Bedacht vor, also ich Humbria den Gurt umlegte. Sie hampelte unsicher herum, aber sanftes Vorgehen beruhigte sie mehr oder weniger. Das Blutblatt löste in ihr einen weiteren Schock aus, dass ich zunächst durch den Stall führte. Aus ihren aufgeblähten Nüstern prustete Humbria laut Luft, erregte dabei von jedem, der durch den Stall lief, Aufmerksamkeit. In meinem Kopf ging unsere Rennkarriere den Bach herunter.
      “Vielleicht hilft das hier”, schlug Nour vor und drückte mit Watte in die Hand. Verwundert drückte ich die Brauen zusammen.
      “Das wird ihr wohl kaum helfen”, winkte ich ab. Doch sie ignorierte förmlich meine Aussage und stopfte das weiße Zeug in die Plüschohren der Stute, diese schnaubte einmal und wurde ruhiger.
      “Doch”, grinste Nour überzeugt.
      „Ach Mensch, tu einfach, was man dir sagt, dann ist einfacher“, scherzte Lars und trat damit leider in eine schmerzhafte Stelle. Ich hatte es versucht, allen recht zu machen, aber selbst das reichte nicht aus. Kommentarlos zog ich Humbria die Watte wieder aus den Ohren. Ihre Hektik kehrte zurück aber kaum steckte ein Leckerli im Maul, konzentrierte sie sich auf mich.
      „Ich gehe allein“, schnaubte ich. Dann führte ich die Stute wieder in den Anbinder, in dem bereits mein Sulky lehnte. Erst legte ich Trense um, streifte das Halfter wieder über und den Wagen ins System. Die Stute hampelte unter den wachsamen Augen der Beiden, die misstrauisch Blicke austauschten. Letztlich schaffte ich es und Humbria schnaubte sogar ab. Zu meinem Bedauern folgte uns Lars.
      “Du bist noch nicht so weit”, rief er mir nach, was mir nichts ausmachte. Natürlich bekam ich sogleich Herzklopfen, als würde ich auf der Göttin sitzen und mich lächerlich machen, aber es war anders. Humbria und ich kannten einander und hatten eine Bindung. Zumindest glaube ich das. Die ersten Meter auf dem Hof lief die Stute im ruhigen Tempo voran, bis sie den Kopf hochstellte und die Schritte verkürzte. Mit guten Hintergedanken durchwühlte ich alle Informationen in meinem Kopf, nach Trainingsmethoden, wie ich sie einmal in der Berufsschule hatte. Wieder sprach ich auf die nervöse Stute ein und ließ dabei immer wieder Kontakt an der Leine nach, um sie zum Strecken zu animieren. Humbria wirkte verwirrt, was ich von ihr wollte, aber als die gewünschte Aktion folgte, lobte ich die Stute. Dafür lehnte ich mich auch nach vorn, um ihr sanft über den Po zu streichen. Tatsächlich klappte es, auch entgegen meiner Erwartungen.
      „Ziemlich beeindruckend“, merkte Lars an und schloss neben uns auf.
      „Tja, bin halt nicht so ein Anfänger, wie du denkst“, grinste ich mit deutlicher Selbstsicherheit.
      „Du hast den zweiten Platz belegt, nachdem du ewig keine Rennen gefahren bist. So schlecht denke ich nicht über dich“, beschwichtigte er.
      Bis zur Trainingsbahn fuhren wir nebeneinander her, tauschen Erfahrungen über meine Stute aus und besprachen den heutigen Ablauf. Vorbereitend für kommende Rennen hatte Lars die Stute in sein Trainingsprogramm aufgenommen, das Bruno sich zuvor für den Wiedereinstieg überlegt hatte. In diese, beinah geheimen, Informationen wurde ich nicht eingeführt, musste also mit Nacherzählungen vorliebnehmen. Gespannt hing ich an seinen Lippen.
      Auf der Bahn legten wir an Tempo zu, um die Pferde im lockeren mittleren Trab durch den gefrorenen Sand zu joggen. Immer wieder holten wir sie zurück, um eine Schrittphase einzulegen. Die Geschwindigkeit passten wir individuell an. Humbria brauchte mehr Ruhe, die sie durch Glimsys Anwesenheit bekam. Ich sah ein, dass seine Begleitung eine kluge Wahl war. Deswegen legte ich bereits in der dritten von vier Trabphasen an Tempo zu.
      Zufrieden kehrten wir auf den Hof zurück, aber wir alle sichtlich erschöpft.
      “Und, möchtest du dann nächste Woche mitkommen nach Visby mit Humbria?“, fragte Lars aus heiterem Himmel, als ich das Geschirr von der verschmutzten Stute abnahm.
      „Ich weiß nicht. Das ist so weit weg von hier“, merkte ich wenig begeistert an, obwohl mir bekannt war, dass es Lars und seine Familie von dort kam.
      „Nicht viel weiter als Stockholm und der Großteil der Strecke ist auf der Fähre“, zuckte er mit den Schultern. „Außerdem …“ Willkürlich stoppte er, mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen.
      „Außerdem, was?“, hakte ich nach. Nervös wippte mein Bein auf Stelle.
      „Es gibt noch mehr Gerüchte, aber schweige wie ein Grab“, hielt Lars inne und verschwand, um das Equipment seiner Stute zu verräumen. Noch eine Weile stand ich neben Humbria und versuchte aus meinem Gedächtnis zu fischen, worauf er hinauswollte. In der vergangenen Zeit benahm ich mich, wie man es unter Normal verstand, nahm mir lediglich Ruhephasen in den Rennen, an den ich neugierig im Zelt stand und die vorbeifahrenden Pferde musterte. Das eine oder andere Gespräch entstand dabei, aus dem ich Informationen erhaschte. Niklas mied ich, wenn er da war und von Erik hatte auch ewig nichts mehr gehört. Selbst seinen Instagram-Account begutachtete ich nicht mehr jeden Tag vor dem Schlafen gehen, also alles in allem, sehr normal. Was für Gerüchte sollten da aufkommen?

      Lina
      Der europäische Winter lockte nicht gerade mit molligen Temperaturen. Vor wenigen Tagen hatte ich noch bei schätzungsweise achtundzwanzig Grad den australischen Sommer ausgekostet, doch vorbei war es mit dem Urlaub. Niklas begab sich bereits in den frühen Morgenstunden zu Arbeit, so verschlief ich meinen Wecker und erwachte erst, als der Regen gegen das Fenster prasselte. Der Trubel auf dem Hof war schon lange erwacht, als ich mich, eingepackt in mehrere Schichten, wärmender und wasserabweisender Schichten, hinauswagte. Durch den Matsch patschte ich direkt zum Paddock, um Mill zu holen. Die junge Stute konnte ein wenig Beschäftigungen gebrauchen und dazu konnte diese unter einem Dach stattfinden. Der Rappe schien von dem Wetter ebenso wenig zu halten, wie ich, denn alles, was ich von ihr erblicken konnte, war ein wohlgeformtes Hinterteil in der hinteren Ecke des Unterstanden. Geschickt kletterte ich durch den Zaun und lief auf die Stute zu. Neugierig blickte sie mir aus ihren hellen Augen entgegen, doch auch zog ich die Aufmerksamkeit der anderen Stuten auf mich. So auch die der Göttin, die sogleich schlecht gelaunt, wie immer angetrottet kam und mich zu vertreiben suchte. Allerdings erfolglos, denn seitdem ich Caja im Training hatte, konnte mich eine schlecht gelaunte Stute nicht wirklich abschrecken. Unbeirrt halfterte ich das junge Pferd und steckte ihr als Belohnung ein Leckerli zwischen die rosafarbenen Lippen. Damit ich mit dem rangniedrigen Tier passieren konnte, scheuchte ich die dunkle Fuchsstute aus dem Weg, woraufhin Mill mir artig folgte. Als wir in den Regen hinaustraten, begann sie allerdings ein wenig das Rennpferd heraushängen zu lassen. Ungeduldig drängelte sie voran, warf den Kopf in die Höhe und ließ ihr schrilles Wiehern ertönen, als sie sich nicht so recht durchsetzen konnte. Wir schafften es trotz des Theaters auf der Stallgasse anzukommen, wo sie sich schließlich beruhigte.
      “Gut, dass du kommst, Lina”, grinste Mateo mich an, der gerade dabei war, Schnees helles Fell ansatzweise sauber zu bekommen. Die Beine der Traberstute waren mehr schlammig braun und ihr Bauch war nun gesprenkelt. Dieses Wetter war eindeutig nicht für helle Pferde geeignet.
      “Weswegen, habe ich etwas Wichtiges verpasst?”, fragte ich erstaunt über diese Begrüßung. Aufgeschlossen schnuppert Mill an der anderen Stute, während ich die langen Stricke in ihr Halfter hängte.
      “Zuerst sei gesagt, dass dir dein Urlaub wirklich gut zu Gesicht steht, du solltest mehr Zeit in der Sonne verbringen”, sprach der Schweizer zuvorkommend.
      “Wenn das nur so einfach wäre”, lachte ich verlegen und strich der Schimmelstute, die mich interessiert beschnupperte, über die helle Stirn,” Aber das ist sicher nicht, was du mir mitteilen wolltest, also erzähl schon.” Was war es nur, was alle sahen? Wenn ich in den Spiegel blickte, sah ich nicht viel mehr als ein Mädchen, an dem nicht wirklich besonders zu finden war, daran würde auch ein sonnengebräunter Teint nichts ändern.
      “Samantha hat da eine talentierte Stute, die derzeit etwas Langeweile hat und sie überlegt sie hier her in den Betritt zu geben”, erzählte mein Kollege beiläufig und beschäftigte sich weiterhin mit der Reinigung seiner Stute. Deshalb bemerkte er vermutlich nicht, wie ich eilig nach einer Bürste griff, um die Verlegenheit zu überspielen.
      “Das ist schön, aber warum erzählst du mir das und nicht unserem Chef?”, hinterfragte ich irritiert. Mir erschoss es sich nicht ganz, weswegen diese Information für mich relevant sein sollte, schließlich, war nicht ich es die entschied
      “Weil es davon abhängt, was du dazu sagst. Sam hätte gerne, dass du diese besondere Stute reitest und es hat ihr gut gefallen, wie du mit deinen Pferden umgehst. Du musst wissen, Hanni liegt, ihr ziemlich am Herzen, weswegen es ihr wichtig ist, dass sie in guten Händen ist. ”, ergänzte er auf meine Nachfrage hin. Bei dem Wort besonders horchte ich auf: “Ich hoffe, du meist nicht so besonders wie Caja. Ein Pferd, was es darauf anlegt, mich in den Wahnsinn zu treiben, ist für das Erste ausreichend.”
      “Nein, keine Sorge, Hannis Besonderheit bezieht sich auf ihre Optik. Sie trägt das gleiche Gen wie dein Hengst, ist aber nicht ganz so weiß. Charakterlich ist sie eher eine kleine Prinzessin und hat zwar auch ihre Macken, aber alles ziemlich harmlos. Ich glaube, sie könnte dir ziemlich gut gefallen”, umriss Mateo die Stute seiner Schwester, “ach und natürlich ist sie ein Freiberger, aber das dachtest du dir sicher bereits.” Die Umschreibung von Hanni gefiel mir, doch mit den letzten Worten hatte er mich vollends überzeugt. Einem weiteren Tier in dieser seltenen Färbung zu begegnen, hatte ich nicht geglaubt. In ihrem Heimatland galten die bunten Tiere als unerwünscht und werden, sofern es sich um einen Hengst handeln sollte, von der Zucht ausgeschlossen und auch Stutfohlen landeten dadurch häufig beim Schlachter. Eine Schande, denn es war es bereits ohne diese Verschwendung wertvoller Blutlinien kein leichtes, den alten Schlag der Rasse zu erhalten.
      “Das klingt hervorragend, du kannst Sam sagen, ich mache es”, grinste ich zufrieden. Es erfüllte mich ein wenig mit Stolz, von einem Außenstehenden mit einem Pferd betraut zu werden, auch wenn dieser nicht ganz unparteiisch war.
      “Perfekt, dann werde ich sogleich alles in die Wege leiten”, nickte Mateo und zückte augenblicklich sein Handy, vermutlich um seiner Schwester davon zu berichten. Ich hingegen entschwand in die Sattelkammer, um Kappzaum und Longiergurt für Millennial zu holen. Ungeduldig hibbelte die Stute umher, als ich mit den Lederstücken zurückkehrte und diese auf ihr befestigen wollte. Etwas Hilfe wäre jetzt zuträglich. Schnee döste neben uns, doch mein Kollege hatte sich innerhalb der wenigen Minuten in Luft aufgelöst, da musste wohl eine Alternative her. Suchend blickte ich die Stallgasse entlang und entdeckte schließlich Lars Schwester, die nicht sonderlich schwer beschäftigt wirkte, denn sie war ausgiebig damit beschäftigt einem der Hengste den Hals zu kraueln.
      “Nour, könntest du mir hier vielleicht mal kurz helfen?”, bat ich freundlich.
      „Klar“, sagte sie und kam sofort angelaufen. Sie griff in ihre Jackentasche, wühlte ein wenig herum, bis zwei weiße, weiche Bällchen zum Vorschein kamen. Diese steckte Nour beherzt in die Ohren der Stute, ohne wirklich acht auf das ungeduldige hin und her wanken zu geben. Kaum steckte die Watte in den Ohren, wirkte Mill ruhiger. Sie half beim Gurt und den Kappzaum legte ich selbst an.
      “Danke”, lächelte ich und hakte das eine Ende der Longe in den Zaum, um die Scheckstute in die Halle zu führen.
      „Bruno ist sie die letzten Tage schon etwas gefahren, also könnte Mill ziemlich aufbrausend sein“, sagte sie und lief mir stürmisch nach, als gäbe es noch weiteres zu sagen. Mateo, der mittlerweile wieder erschienen war, putzte noch immer, wollte dann nachkommen. „Was ist eigentlich mit deinem neuen Schnuckelchen?“ Im ersten Moment irritierte mich ihre Wortwahl und ich verstand nicht so recht, worauf sie hinauswollte, doch sie konnte eigentlich nur eins meinen.
      “Mateo? Was sollte mit ihm sein?”, fragte ich, um den Grund ihrer Frage zu ergründen.
      “Ach, na ja”, grinste Nour, blickte sich noch mal zu ihm um und wendete ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich, “er hat ziemlich oft nach dir gefragt, als du weg warst und schwärmte auch ziemlich.”
      “Wirklich?”, sprach ich und blickte sie voller Unglauben an. Ihre Worte kamen mir unwirklich vor, doch gleichermaßen fühlte ich mich geschmeichelt.
      “Nein, weißt du, ich möchte dir einen Bären aufbinden”, scherzte sie kopfschüttelnd. “Aber ja, hat er. Sonst würde mich die Neugierde nicht so befeuern!”
      “Was hat er so gesagt?”, lag die Neugierde nun auch auf meiner Seite, auch wenn ich diese zu verbergen suchte, indem ich geschäftig die Leinen an der Stute befestigte.
      „Willst du das ernsthaft wissen, schließlich hast du doch den wohl eifersüchtigsten Freund auf diesem Planeten“, hütete sie die Informationen weiterhin hinter einem Vorhang aus Nebel. Unrecht hatte Nour damit nicht. Niklas war ein ziemlicher Platzhirsch und gab sich auch nur selten die Mühe, dies zu verbergen. Dennoch brannte die Wissbegier in meiner Seele, was der Schweizer über mich zu sagen hatte.
      “Ja … Niklas muss das ja nicht erfahren“, nickte ich unumwunden und senkte dabei unbewusst die Stimme als könne und jemand Unerwünschtes hören.
      „Na gut, aber du weißt das nicht von mir“, Nour zwinkerte und kam an mein Ohr heran. Sie erzählte davon, dass das Angebot der Stute im Beritt weniger dem Geiste Sams entstammte, viel mehr eine Gunst der seine war. Des Weiteren hinterfragte er vieles bei Erzählungen, um mehr Informationen über mich zu bekommen und wie ernst das mit Niklas sei. Einstellern, die zu gern über mich herzogen, stand Mateo mit straffer Brust entgegen und verteidigte mich. Nicht viele Menschen standen unaufgefordert derart für jemanden ein, was mich beeindruckte. Doch auch bei ihren restlichen Worten wurde mir warm ums Herz.
      “Oh wow, das alles ist ziemlich … charmant”, lächelte ich zurückhaltend, vermochte kaum zu glauben, was hinter der Fassade des schweigsamen jungen Mannes steckte.
      “Aber ich möchte mich nicht in dein Liebesleben einmischen, du überstehst das schon”, zuckte noch ein Grinsen über Nour Lippen, bevor eine Einstellerin mit einem braunen Wallach vorbeikam und sie neugierig zu ihr lief. Überstehen? Ich wusste nicht, was sie damit meinte, aber anstatt mir den Kopf darüber zu zerbrechen, widmete ich mich der Rappstute, bevor sie noch anfangen würde, Löcher in den Sand zu graben.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 20.465 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte Februar 2021}
    • Mohikanerin
      [​IMG]

      kapitel tjugonio | 07. September 2022

      Maxou / Northumbria / Wunderkind / Moonwalker LDS / WHC’ Golden Duskk / Planetenfrost LDS / Global Vision / Satz des Pythagoras / Pay My Netflix / Osvominae / Just A Bear

      Lina
      Mit dröhnendem Schädel erwachte ich, als ein Vogel unmittelbar vor meinem Fenster sein schrilles Lied anstimmte. Mühsam öffnete ich die Augen, blinzelte in das Sonnenlicht, welches sich durch die Vorhänge zwängte. Gestern Abend mussten rege Mengen an Alkohol, denn alles in meinem Kopf war verschwommen, was den gestrigen Abend betraf und der Weg in mein Bett komplett verschwunden. Schwerfällig kugelte ich mich zur Seite und angelte mein Handy vom Nachttisch. Acht Uhr siebenundzwanzig leuchte auf dem Bildschirm. Darunter eine Benachrichtigung von der bekannten App mit dem Telefonhörer in der Sprechblase. Mein Freund hatte sich endlich auch mal bei mir gemeldet, teilte mit, dass er gegen zehn hier sein wollte. Ebenso entschuldigte er sich, dass er mir nicht antwortete, aber er habe ein wenig Abstand gebraucht. Wie ich Niklas Worte las, lichte sich der Dunst in meinem Kopf ein wenig. Relativ spät gestern Abend meldete er sich bei Vriska, erklärte sein absonderliches Verhalten ihr Gegenüber und erbat letztlich einen Rat von ihr. Einen solchen bekam er auch, allerdings wollte mein Kopf, die Worte, welche Nour auf mein Anraten schrieb, nicht freigeben.
      “Fuck”, murmelte ich, als mir dafür ganz andere Bilder in den Kopf kamen. Im Laufe des Abends hatte ich Mateos Annäherungsversuche nicht nur zugelassen, sondern war offenbar selbst offensiver geworden. Wäre Samu dabei gewesen, wäre spätestens das der Punkt gewesen, an dem er mir aus guten Gründen den Alkohol wegzunehmen pflegte. Hoffentlich hatte ich gestern nicht dummes getan. Verzweifelt versuchte ich den Dunst in meinem Kopf aufzulösen, doch das Einzige, was ich wahrnahm, war das schrille Gezwitscher von draußen. Warum mussten die Viecher denn so furchtbar laut sein.
      Langsam quälte ich mich aus dem Bett und tapste schnurstracks ins Badezimmer, wo ich zielsicher in den Medikamentenschrank griff. Aus dem Blister drückte ich eine der weißen Tabletten heraus, schluckte sie mir reichlich Wasser. Das sollte schnell gegen das Hämmern hinter meiner Stirn helfen. “Okay, Lina, denk nach”, murmelte ich zu meinem Spiegelbild und spritze mit etwas kaltes Wasser ins Gesicht, “Wenn du dich nicht erinnerst … “ Es dauerte wirklich lange, doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Mateo könnte meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen. Diese Erkenntnis ließ meinen inneren Drang zu erfahren, was gestern Abend passiert, wieder aufleben. Eilig lief ich zurück in mein Zimmer, um mir schnell etwas überzuwerfen. Gerade als ich aus der Tür getreten war, hörte ich bereits Schritte, die sich näherten.
      “Ah, das Dornröschen ist bereits erwacht. Guten Morgen”, grüßte der Schweizer freundlich, nach dem ich mich gerade auf die Suche machen wollte. Doch er war nicht allein, denn Vriska lief an seiner Seite.
      “Guten Morgen”, entgegnete ich ein wenig irritiert, was die beiden vor meine Haustür brachte,” Was führt euch zu mir?” Es konnte schließlich nicht möglich sein, dass sie meine Gedanken lesen konnten. Oder waren Vriskas Hexenkräfte doch so weitreichend?
      “Ich wollte sehen, ob du mittlerweile lebendig bist, nachdem du vorhin nicht wach zu bekommen warst”, erklärte Mateo.
      “Nicht wach zu bekommen?”, wiederholte ich seine Worte. Hieß das etwa, er hatte bei mir geschlafen? Warum erinnerte ich mich daran nicht? “Warum wolltest du mich überhaupt wecken?” Kaum hatte ich die Frage ausgesprochen, kam sie mir auch gleich ein wenig doof vor.
      “Schon mal auf die Uhr gesehen?”, lachte er, “Die Pferde hatten Hunger und die Prinzessen hätten eigentlich füttern sollen, aber lass uns doch erst einmal hereingehen, bevor du weiter unnötige Fragen stellst.” Mit diesen Worten schob er mich zurück in die Hütte und auch Vriska trotte hinterher und ließ sich direkt auf einen Stuhl fallen.
      “Hast du schon gefrühstückt?”, fragte Mateo und war einen Blick in den Kühlschrank, als fühle er sich hier ganz wie zu Hause. Ich verneinte, woraufhin er die Kaffeemaschine einschaltete und begann verschiedene Dinge zusammenzusuchen. Früchte, Haferflocken, Joghurt.
      “Möchtest du auch etwas essen, Vriska? Dann mache ich für dich etwas extra”, bot er ihr zuvorkommend an.
      „Lieb gemeint, aber nein“, schüttelte sie den Kopf, „habe genug an mir.“ Dabei deutete Vriska auf ihre Beine, die noch immer dünn wie Streichholz waren, kein Vergleich zu Mateos Muskulatur.
      “Rede doch nicht immer so einen Quatsch. Du vollkommen in Ordnung, wie du bist”, tadelte ich sie. Es war immer wieder besorgniserregend, wie hart sie über sich selbst urteilte, obwohl es nicht mal einen wirklichen Grund dafür gab.
      „Lars hat gesagt, dass ich zugenommen habe, deswegen lasse ich Frühstück wieder weg“, murmelte sie in sich gekehrt und seltsam abwesend. Schon als beide ankamen, wirkte sie eine wandelnde Leiche und hing ebenso im Holzstuhl mit einem Arm über der Lehne, ihren Kopf darauf abgelegt.
      “Hat Lars noch mehr doofe Sachen gesagt oder was ist los mit dir, Vriskalein?”, versuchte ich ihr einfühlsam auf den Zahn zu fühlen.
      „Als er wiederkam, bin ich ihm aus unerklärlichen Gründen um den Hals gefallen und dann… es ging alles so schnell. Ich fühle mich schuldig und dreckig, obwohl wir nur das Bett noch teilen“, seufzte sie niedergeschlagen. Beinahe wäre mir herausgerutscht, dass sie im Gegensatz zu mir wenigstens wusste, wie ihr Abend endete, doch das wäre hier nur wenig zielführend und ehrlich gesagt, schämte ich mich dafür.
      “Dafür brauchst du dich nicht schuldig dafür fühlen. Gefühle und Bedürfnisse sind nicht immer logisch und es ist ja nicht so als hättest du Lars dazu genötigt”, versuchte ich sie aufzumuntern.
      „Es ist wegen Basti!“, jämmerlich zitterte Vriskas Stimme, wie die eines alten Schlosshundes.
      “Ach Süße, der Mann weiß gerade einmal so, dass du existierst. Es ist demnach ein wenig früh, sich Gedanken darum zu machen, was er davon hält, dass du auch noch etwas mit einem anderen hast”, versuchte ich ihr näherzubringen, dass es keinerlei Grund für ihr Empfinden gab. Wenn sich hier jemand schlecht fühlen musste, war das wohl eher ich, schließlich hatte ich, trotz meiner Beziehung, meine Finger nicht unter Kontrolle. Ein unangenehmes Drücken entstand in meinem Bauch, wenn ich daran dachte, dass ich Niklas betrogen haben könnte.
      „Dennoch fühlt es wie Verrat an. Aber immerhin ihr beide seid vernünftig geblieben“, seicht legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Unsicher schielte ich zu Mateo hinüber, versuchte eine Reaktion abzulesen. Entweder hatte der Kerl ein verdammt gutes Pokerface oder es war wirklich nicht viel passiert, denn er schnippelte fröhlich sein Obst, unterbrach nur kurz, um Vriska eine aromatisch duftende Tasse hinzustellen. Die Option, dass er nicht zugehört hatte, schloss ich kategorisch aus, da man keine zwei Meter mitbekommen musste, was gesprochen wurde.
      “Ja, genau”, nickte ich und versuchte meine Unwissenheit über diese Aussage zu überspielen, doch ich spürte, wie mein Puls ein wenig anstieg.
      „Wenn man nur sinnig entscheiden könnte, bei dem ganzen Testosteron“, warf Vriska mit Floskeln um sich, nur, um die verbrühte Zunge an der Luft zu kühlen.
      “Ja, wenn das nur so einfach wäre”, sprach ich zustimmend, denn Unrecht hatte sie nicht. Es gab Tage an denen wusste man nicht, wo einem der Kopf stand. Mateo hatte die Schüsseln mit dem Frühstück inzwischen fertig, stellte beide auf den Tisch.
      “Mädels, ich kann euch sagen, als Mann hat man es auch nicht so viel einfacher”, brachte er sich nun auch in die Konversation ein und setzte sich mit seinem Kaffee dazu. Interessiert beschaute ich den Inhalt meiner Schüssel. Aus den paar einfachen Zutaten hatte der Schweizer eine simple, aber recht ansehnliche Fruchtbowle gezaubert, einzig die Menge schien mir für ein zartes Persönchen wie mich ein wenig überdimensioniert.
      „Wer weiß das schon, ihr bleibt hinter verschlossenen Türen, als wären Gefühle eine unantastbare Sache“, zuckte Vriska mit den Schultern. Unter dem Tisch wippte unterdessen ihr Bein und die Finger zitterten an der Tasse. Um ihr ein Gefühl von Ruhe zu vermitteln und in der Hoffnung, dass sie die Bewegung unterließ, legte ich meine Hand auf ihr Knie. Ein Stillstand trat ein, doch hielt er nur für wenige Sekunden, bis das Wippen erneut begann.
      „Also so gefühlskalte Wesen sind wir nun auch wieder nicht“, versuchte der Schweizer sein Geschlecht zu verteidigen, „viele von uns sind nur … emotional unbeholfen.“
      „Von kalt war nie die Rede, sondern unantastbar, verschlossen“, merkte sie erneut an. Den Oberkörper drehte sie wieder weg, irgendwie war Vriska seltsam, verändert, aber zum Alten.
      “Ist sonst alles in Ordnung bei dir?”, probierte ich der Sache auf den Grund zu gehen, “du wirkst so unruhig heute.”
      „Es ist das schlechte Gewissen. Tut mir leid“, murmelte sie mir zu, wohl wissend, dass wir bereits darüber sprachen, seufzte Vriska laut und warf einen leidenden Blick über den Tisch. Ich war mir beinahe sicher, dass mehr bewegte, als sie offenbarte.
      “Schon okay”, entgegnete ich sanft, “Sag einfach, wenn man dir etwas Gutes tun kann.” So gerne würde ich etwas tun, dass sich Vriska nicht mehr so mies fühlte, doch es schien nicht leicht.
      „Erik hat mir vorhin geschrieben. Schon wieder“, kamen wir der Sache langsam näher. Es wirkte nachvollziehbarer, warum sie auf dem Sprung war, die Tür im Auge hatte und kaum stillsaß.
      „Er vermisst mich. Aber er soll einfach nur … sich in Luft auflösen“, erklärte Vriska im nächsten Atemzug, bevor ich spezifische Fragen stellen konnte. Mateo blickte fragend von dem Mobilgerät auf, dem er sich zwischenzeitlich widmete. Natürlich wusste er nicht, warum es ging, schließlich geschah das ganze Drama vor seiner Ankunft auf dem Hof. Doch jetzt war nicht die Zeit für Erklärungen.
      „Kann ich verstehen“, sagte ich zustimmend. Nach all dem, was sie durchmachte, war es zu gut nachzuvollziehen, dass sie sich das Ende seiner Existenz wünschte. Dass er gerade jetzt wieder auftauchte, wo sie begann nach vorzusehen und sich neu zu orientieren, brachte in ihrem Inneren sicher einiges durcheinander. Zumindest würde es mir so ergehen würde mein Ex plötzlich wieder auftauchen.
      „Aber warte … Schon wieder, seit wann schreibt er dir?“, fragte ich nach, als mein Kopf die Information vollständig zu erfassen begann.
      „Einmal die Woche kommt mal eine Nachricht, Anfang des Jahres habe ich auch noch geantwortet, aber mittlerweile …“, Vriska seufzte abermals und wühlte das Handy aus der Tasche, „nur über Bilder von Trymr freue ich mich.“ Sie zeigte mir den Chat, der sehr dominant von Nachrichten ihres Ex-Freundes war. Aber recht hatte sie, die Bilder waren niedlich. Zwischendrin gab es Antworten von ihr, wenn eine spezifische Frage gestellt wurde, oder ein ‚ich dich auch‘.
      „Du hängst noch an ihm, nicht?“, fragte ich vorsichtig. Es musste so sein, anders konnte ich mir nicht erklären, warum sie die Nachrichten nicht einfach ins Leere laufen ließ.
      “Er war, nein ist, ein toller Mensch, nur sollte er an seiner Offenheit arbeiten. Vermutlich kamen zu viele Sachen auf einmal, dass es nicht funktioniert hat”, schönte Vriska die Realität. Noch weitere Ansätze kamen, die alle darauf hinausliefen, dass sie das Problem war und Erik von nichts alle dem wollte.
      “Darf ich mich kurz einmischen?”, unterbrach Mateo den schier endlosen Schwall an Begründungen, der ihren Mund verließ, “Ich weiß zwar nicht, was genau zwischen euch vorgefallen ist, aber Vriska, wenn eine Beziehung nicht funktioniert, gehören immer zwei dazu. Mach’ dich nicht selbst schlecht, indem du all die Schuld auf dich nimmst.”
      “Mh?”, brummte sie überrascht, als hätte sie nicht damit gerechnet, dass jemand sie unterbrechen würde. Ihre Stimmung ungewöhnlich versöhnlich. “Ach, ich bin nun mal so.”
      “Ja und du bist gut, wie du bist. Auch wenn du manchmal herausfordernd und anstrengend sein magst, aber ganz ehrlich, eine bessere Freundin als dich könnte ich mir kaum wünschen,” sprach ich, obwohl es dem Gespräch vermutlich nur wenig zuträglich war. Doch der Drang überkam mich, die Worte auszusprechen, die Vriska lang schon einmal hätte, hören müssen. Auffällig langsam beugte sie sich zu Mateo hinüber, ohne die Augen meinen zu lösen.
      „Hast du etwas in ihr Essen gemischt? So kenne ich sie gar nicht“, murmelte sie ihm zu.
      “Nein, weder Zucker noch Zaubermittel”, schüttelte dieser nur lachend den blonden Schopf. Verdrießlich rollte ich mit den Augen und stopfte mir einen beladenen Löffel in den Mund. Wirklich schön, wie solche Worte hier wertgeschätzt wurden.
      „Nun gut“, richtete Vriska sich wieder an mich, „ich könnte dir mindestens drei Gründe nennen, wieso man mich nicht als Freundin haben sollte, aber gut. So sei es.“
      Sie erhob sich aus dem Stuhl und tigerte um die Couch, als würde sie etwas suchen. Unter jedem Schritt knarrten die Dielen, die Haare schwangen locker von einer Seite zur anderen. Auch mit den Armen spielte sie, nur um uns zu zeigen, dass wir uns beeilen sollten.
      „Imitierst du eine Koralle oder was wird das?“, scherzte ich. Obwohl ich nach gerade einmal der Hälfte der Schüssel beinahe satt war, sah ich nur wenig ein, warum ich schneller machen sollte ohne einen ersichtlichen Grund.
      „Nein, es ist nur komisch hier zu sein. Vor allem, wenn du nachts auch noch anderen Männerbesuch hast“, merkte sie trocken an und schielte zu Mateo. Während ich versuchte Vriska aufzumuntern, hatte ich beinahe vergessen, dass neuen ursprünglichen Mission etwas anderem galt und begann heftig zu husten bei der plötzlichen Erwähnung dieses Sachverhaltes, weil ich aus Versehen einige Haferflocken einatmete.
      „Nicht ablenken!“, lachte Vriska.
      „Tu ich nicht“, japste ich nach Luft und nahm einen großen Schluck aus dem Wasserglas, welches Mateo mir anreichte. Vriska blickte mich die ganz Zeit dabei an, wie ein hungriges Krokodil, welches seine Beute ausspähte. Ich seufzte, sie würde nicht aufgeben, bevor sie nicht wenigstens ansatzweise erfuhr, was gestern geschah.
      „Also was das angeht, muss ich gestehen …, dass mir möglicherweise … entfallen ist, was gestern noch so passierte“, murmelte ich undeutlich und spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. Noch peinlicher, dass gestern überhaupt etwas passierte war, dass ich es vergaß.
      „Dabei kann ich dir wohl aushelfen“, grinste Mateo und blickte mich unmittelbar an, mit seinen geheimnisvollen Augen.
      „Maaateo, jetzt sag schon“, jammerte ich. Es war mir noch nie passiert, dass ich so vollständig eine Nacht vergaß wie diese, denn normalerweise fehlten mir, wenn, nur wenig Minuten.
      „Sicher, dass du das nicht deiner Fantasie überlassen willst?“, schmunzelte er und schien seine Überlegenheit regelrecht zu genießen.
      „Ja, weil meine Fantasie sagt, dass ich ein ganz schrecklicher Mensch bin“, beklagte ich, als der Knoten in meinem Bauch zurückkehrte. Was, wenn ich wirklich mit Mateo geschlafen hatte? Wie sollte ich das nur meinem Freund erklären? Und was wäre … Nein, an die Konsequenzen wollte ich lieber gar nicht erst denken.
      “Süße, du kannst gleich aufhören, so ein Quatsch zu denken. Es ist gestern nämlich gar nichts passiert, weswegen du dir Sorgen machen müsstest”, sprach er, doch ich war noch nicht komplett beruhigt. Wer wusste schon, wie der Schweizer “nichts passiert” definierte.
      “Könntest du ein wenig konkreter werden?”, nuschelte ich. Es war bereits unangenehm genug mit Mateo darüber reden zu müssen, doch dass Vriska hoch interessiert am Sofa lehnte, brachte mein Blutdruck nicht gerade runter.
      “Soll Vriska gehen? Du siehst so danach aus”, fragte er rücksichtsvoll. Wenn ich richtig lag, hatte mein Kopf vermutlich die Farbe einer Tomate, doch ich schüttelte nur hektisch mit dem Kopf. Selbst wenn man Vriska hieraus bekommen würde, fragte sie sicher ohnehin noch einmal nach.
      “Na dann”, zuckte er nur mit den Schultern, “aber mach dir keine Sorge, die Klamotten sind angeblieben, die meisten zumindest.” Bei den letzten Worten zwinkerte er schelmisch. Was gestern passierte, schien demnach zumindest einem Spaß bereitet zu haben. Mateo erzählte weiter von dem Abend. Offenbar saßen wir alle noch eine ganze Weile in der Küche, bevor Vriska sich schließlich ins Bett verabschiedete und auch Nour ihr Hochgestimmt folgte. Unser beider Weg führte dann wohl hierher, genauer gesagt auf das Sofa, wo wir noch eine halbe Flasche Wein leerten, bis ich schließlich auf seinem Schoß einschlief.
      Mit seinen Worten blitzten verschwommen in meinem Gedächtnis auf. Seine Finger, die sanft über meine Haut strichen, Worte der süßen Verführung … und wow, was sich unter dem lockeren Pulli verbarg, konnte sich sehen lassen. Hör auf, du hast einen äußerst ansehnlichen Freund, bot ich mir selbst Einhalt, bevor mein Gedanken abdriftete.
      Ein Rest eines schlechten Gewissens verblieb, auch wenn eine gewisse körperliche Grenze nicht überschritten wurde. Mein Handeln war moralisch definitiv nicht einwandfrei und passte ebenso wenig in mein stark romantisiert Vorstellung vom Leben. In meine kleine Traumwelt gab es keinen Platz für Fehltritte. Doch ich musste immer wieder einsehen, dass die Realität so nicht funktionierte.

      Später im Stall
      Vriska
      Eigentlich wollte ich Eriks Nachrichten nicht lesen oder gar zu Herzen nehmen, aber Zuge meiner geistigen Umnachtung, fiel es mir schwer, überhaupt klar zu werden. Ich stand vor Maxous Box, hoch motiviert, die Ponystute herauszuholen an der Doppellonge etwas zu tun, doch da setzte mir Lars einen Strich durch die Rechnung.
      „Wunderkind müsste noch bewegt werden“, sagte er mir, die Stimme gereizt und der Gesichtsausdruck kühl. Vor knapp einer Stunde war noch alles okay, wie konnte er derart verärgert sein?
      „Aber wollte Nour …“, meinen Satz durfte ich nicht zu Ende sprechen, denn er unterbrach mich sogleich, „die jammert wieder wegen ihres Arms und sitzt auf der Couch. Papa hat auch keine Lust. Also sagst du mir nicht auch noch ab.“
      „Natürlich bewege ich ihn, kein Problem, aber was hat dich denn gebissen?“, versuchte ich ihn zu besänftigen.
      „Es nervt einfach“, seufzte Lars und ließ sich laut auf die Bank hinter sich fallen. Die Augen sprachen mehr als Worte. Beinah geblendet von dem anziehenden Grünton, bemerkte ich seine Enttäuschung und quälende Gedanken.
      „Was nervt dich denn?“, fragte ich, setzte mich schließlich zu ihm.
      „Danke, dass du fragst. Ganz ehrlich“, liebevoll legte sich ein zartes Lächeln auf seine Lippen, während Lars einen Arm um meine Schultern legte und mich zu sich heranzog. „Es ist ziemlich viel zu tun und es gibt Interessenten aus Amerika an ihm. Die wollen jedoch aktuelle Rennergebnisse und Wunder lief zuletzt im Oktober. Nour weigert sich mehr als ein Rennen zu fahren, sieht es auch nicht ein, dass Walker am Sonntag zu Hause bleibt. Ich habe bereits Vision, Plano, Dustin und Eifellust. Natürlich könntest du ihn fahren, aber ich weiß nicht, ob du das nötige Etwas herauskitzeln kannst aus ihm.“
      „Und wenn du es mir zeigst? Wir müssen doch erst morgen die Nennungen einreichen“, schlug ich vor. Nachdenklich nickte er langsam.
      „Aber dann müsstest du mit Humbria noch warten, denn es gibt nur ein Amateurrennen“, erklärte er dann. Darüber hatte ich bis dato nicht nachgedacht, aber klar, zerteilen in einem Rennen konnte ich mich nicht.
      „Das wird ihr sicher guttun, eine Woche zu warten“, stimmte ich wohl wissend zu, dass es für die Stute keinen Unterschied machen würde, an welchem Wochenende ihr erstes Rennen sein würde.
      „Du weißt, dass es dann in Visby wäre, und bisher hatten wir nicht eingeplant, dass du mit auf die Insel kommst“, kam Lars nächste Hiobsbotschaft.
      „Nun gut, dann“, unentschlossen überlegte ich, bevor ich weitersprach, „dann muss ich wohl neue Orte kennenlernen.“ Natürlich kam mir direkt in den Sinn, dass Basti auch da sein würde und ich keine zwei Wochen auf ein Wiedersehen hoffen musste. Somit strahlte auch ich.
      „Das ist toll, wirklich. Dann holte ich mir Vision und du machst Wunder fertig“, sagte Lars beim Aufstehen. Während er sich ein Halfter holte, führte ich den Schecken bereits aus der Box.
      „Du kommst vielleicht nach Amerika“, erklärte ich dem neugierigen Hengst, der interessiert an meiner Hosentasche zupfte, in der mein Handy sich in Form herausdrückte. Besonders die abgerundeten Ecken schienen ihn nicht loszulassen. Erst als ich seicht wegschob, hörte er auf, mit der Oberlippe mich schmutzig zu machen. Ich putzte ihn dann und war noch lange vor meinem Kollegen fertig, der erst ankam, als ich schon den Schecken gegurtet hatte und getrenst. Wunderkinds Ohren stellten sich auf, als Vision ihn interessiert musterte. Es folgte ein Quietschen und Schlag gegen die Brust. Der Kaltblut-Verschnitt wirkte nicht sonderlich begeistert von dem Schecken. Lars zog ihn ein Stück zurück, denn Verletzungen kurz vor dem nächsten Rennen, waren vermeidbar.
      Zusammen fuhren wir vom Hof. Die Sonne kitzelte sich durch die dichte Wolkendecke und leichtes Lüftchen wehte mir kalt ins Gesicht. Ich hätte meine Maske aufsetzen sollen, dachte insgeheim und sortierte die Leine neu, auf der ich saß.
      „Er muss motiviert werden und locker angefahren werden, sonst zeigt Pass“, erklärte Lars, als wir auf der Bahn ankamen. „Auch im Schritt solltest du ihn lieber etwas zu lang halten.“
      „Verstanden“, sagte ich und ließ etwas vom Leder ab. Wunderkind begann sich mehr zu strecken und wölbte dabei den Hals, auch seine Schritte verlängerten sich.
      „So ist schön“, grinste er neben mir. Vision warf immer wieder prüfend einen Blick zu dem Schecken und schlug dabei nervös mit dem Schweif. Aber Wunderkind nahm diese Manieren hin, ohne sich beirren zu lassen. Im ersten Trab gab Lars mir noch weitere Tipps, dazu zählte auch, besonders sanft an der Leine zu sein, jede noch zu harte Parade könnte den Hengst in den Pass umstellen, deshalb fuhr ich ihn ohne Peitsche. Einzig die Stimme blieb mir zum Treiben, auf die Wunder sehr fein reagierte. Nach der dritten Kurve legten wir im Tempo zu, dass ein Gefühl für ihn bekam. Natürlich rutschte er mir einige Male in den Pass, aber nach dem Zurückholen und neu Antraben kam die Wunschgangart wieder. Mein Kollege setzte sich vor uns, damit jeder für sich in Ruhe trainieren konnte. Der Braune an seinem Wagen brachte viel Potenzial mit, diskutierte dauerhaft, doch Lars war hartnäckig.
      Mit beiden Pferden kamen wir verschwitzt auf den Hof zurück. Zu meiner Enttäuschung stand gerade Niklas mit Smoothie in der Putzgasse und schielte leicht zu mir. Höflich begrüßte Lars ihn, aber bekam keine Rückmeldung. Stattdessen drehte sich Hulk zu seiner Stute. Kaum erblickte Vision die weibliche Gleichgesinnte hob der Hengst erregt den Kopf und prustete aufgebracht mit weiten Nüstern. Leicht tänzelte er auf der Stelle, doch Lars zog ihn am Gebissring neben sich her. Auch Smoothie reagierte auf den Flirt mit zutraulichem Brummen, streckte dabei den Kopf neugierig nach vorn. Niklas drückte sie unsanft weg.
      „In deinem Umfeld darf wohl niemand soziale Kontakte haben“, merkte mein Kollege unberührt an. Erst jetzt drehte sich Linas Freund zu ihm, die Augen leicht zusammengedrückt und tiefe Falten bildeten sich. Er schnappte einmal nach Luft, als ich ihm ein Zeichen gab, einfach die Klappe zu halten. Doch das Prinzesschen dachte gar nicht daran.
      „Immerhin jage ich kein Pferd auf der Rennbahn in den Tod“, zischte er boshaft.
      „Genau, weil dein komischer Sport auch so viel gesünder für die Gelenke ist, wie man sieht“, lachte Lars daraufhin nur, sichtlich überlegen fühlend.
      „Männer, es reicht“, mischte ich mich schließlich ein, wurde damit, aber das möchte Opfer Niklas‘.
      „Du bist am besten ganz ruhig. Dein Scherbenhaufen kann niemand ertragen, also geh‘ endlich.“ Die Worte trafen mich mit roher Gewalt und in meiner Magenregion fühlte es sich ebenso an, als hätte er mich eine Klippe hinunter geschubst.
      „Niklas, am besten gehst du, wenn du mit uns allen ein Problem hast“, kam Lars zurück, nachdem er den Hengst an die Stricke gelegt hatte, „im Gegensatz zu dir, arbeiten wir hier. Niemand zwingt dich, auf dem Gestüt dein Pferd unterzustellen. Außerdem“, nun warf einen prüfenden Blick zu mir, „solltest du nicht so hart über ihr Leben urteilen, wenn deins nicht so viel besser ist.“
      In Niklas‘ Augen erkannte man, dass er nachdachte und sich dessen bewusstwurde, was mein Kollege versuchte ihm klarzumachen. Mit Schweigen ging er dem Gespräch aus dem Weg. Ich stand währenddessen wie gelähmt neben Wunderkind, der sich den Kopf an einem Holzbalken scheuerte.
      „Vivi, komm‘“, Lars legte sein Arm auf meine Schultern, „lass uns Wunderkind wegbringen, damit du noch Maxou und Osvo reiten kannst.“

      Gesagt, getan. Ich löste mich aus der Starrte und zusammen legten wir alles von dem Schecken ab. So lange wartete Vision in der anderen Putzbucht. Erst als ich Maxou zurückkam, begann Lars den Braunen alles abzunehmen und zufüttert. Giftig schielte meine Ponystute hinüber, nicht sonderlich begeistert von dem Hengst, der mit gleichen Flirt-Versuchen ankam, wie bei Smoothie. In aller Ruhe putze ich sie und kontrollierte alle Wehwehchen, die sie in der Zeit angesammelt hatte. Ihre Beule wurde schon besser, lediglich ihre Hufe bräuchten mal wieder einen Schmied. Die Hufwand war brüchig und an den Vorderhufen deutlich zu lang. Ich erinnerte mich daran, dass Lars die Pferde seines Vaters machte und warf einen prüfenden Blick zu Vision. Er stand neben dem Hengst am Handy und grinste schief.
      „Du? Hast du kurz Zeit?“, fragte ich.
      Lars senkte das Telefon und richtete den Kopf zu mir.
      „Klar“, er trat einige Schritte auf mich zu, „wie kann ich dir helfen?“
      Ich zeigte auf Maxous Hufe.
      „Könntest du grob was machen?“
      „Ja, lass mich nur Vision wegbringen und das Werkzeug holen“, antwortete er zustimmend und löste die Stricke. Mit großen Schritten traten sie an mir vorbei, ohne dass Maxou zuckte. Stattdessen versuchte sie mir aus der zu weiten Jacke ein Leckerchen zu klauen. Doch der Reißverschluss hinderte sie daran. Ihren Kopf drückte sie an meinem Rücken.
      „Kannst du aufhören zu betteln?“, die Stute hörte sofort auf, legte stattdessen sich auf meine Schulter, „danke.“ Der waren Atem aus ihren Nüstern kitzelte mich am Ohr und während wir auf die Rückkehr Lars‘ warteten, wagte ich einen Blick auf mein Handy. Einsamkeit überkam mich unmittelbar, als ich den leeren Sperrbildschirm betrachtete. Niemand wollte etwas, nur Basti lag verschwommen vor mir auf dem Bild vom Rennen mit Netflix. Zur Kontrolle, auch wenn ich wusste, dass ich nichts finden würde, öffnete ich eine Social-Media-Plattform nach der anderen. Aber bis auf einen Post von Nour fand ich nichts vom Renntag. Sie zeigte sich glücklich mit dem hellen Hengst, dazu im Karussell noch mehr Bilder von Walker und eins mit Lars. Da er noch außerhalb der Sichtweite war, klickte ich mich interessiert durch sein Profil – Natürlich präsentierte er sich so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Lauter Oberkörper freier Bilder strahlten mich vom Bildschirm an und keine Spur von einem Pferd, allerdings entdeckte zwei Storyhighlights, eine mit Rennbildern und die andere von seinem Hengst Bear. Viele davon waren schon vor Jahren online, andere recht neu, aber keins auf unserem Hof aufgenommen. Bevor ich annähernden Schritte hörte, war es bereits zu spät. Er stand mit einem breiten Lächeln neben mir.
      „Ach, doch noch Interesse?“, lachte Lars und stellte klirrend die Werkzeugkiste neben der Ponystute ab, die sofort drohend in die Luft schnappte.
      „Nur gucken, nicht anfassen“, sagte ich schelmisch und steckte das Handy weg.
      „Denkst du das wirklich, oder versuchst du, dein Verlangen zu unterdrücken?“
      „Wer weiß das schon“, ich machte einen Schritt von ihm weg, um Maxou fester zu binden. Die Stute mochte es nicht sonderlich, wenn an ihren Hufen gearbeitet wurde, aber reiten wollte ich sie so ungern. „Erfahren wirst du das nicht.“
      „Wir werden sehen“, stimmte Lars mit seinem Lachen mit ein. Dann nahm er die Raspel und entfernte größtenteils das eingerissene Horn. Ich beruhigte die Stute dabei am Kopf, tätschelte etwas unbeholfen ihren Hals und hielt mit der anderen Hand sie am Halfter. Sie war nur wenig dafür zu begeistern, versuchte lieber ihm den Huf wegzuziehen oder den Schweif in sein Gesicht zu schlagen. Von beidem ließ sich Lars nicht beeindrucken.
      „Hatte sie mal Hufrehe?“, fragte er nach. Dabei tastete er die ausgeprägten Ringe auf der Hufwand ab, die mir auch schon aufgefallen waren.
      „Ich weiß nicht so viel über Krankheitsgeschichte“, beantwortete ich oberflächlich.
      „Wie alt ist sie denn?“, informierte Lars sich weiter, während er sich dem nächsten Huf widmete.
      „Vierzehn wird sie dieses Jahr.“ Ich musste kurz durchrechnen, hatte aber noch im Kopf, dass sie zweitausendsieben geboren wurde, im Juni, wenn ich mich nicht irrte.
      „Dann hat Maxou noch einiges vor sich. Sie gehört dir, oder?“
      „Fast, also … halb. Erik gehört eine Hälfte und er hat sie auch bezahlt. Wer weiß, wie lange sie noch bei mir ist“, seufzte ich. Die Wände hatten Ohren, dementsprechend senkte ich meine Stimme. Niklas putzte noch immer sein Elitepferd, aber ich war fest davon überzeugt, dass er einzig und allein uns belauschte. Gerade, als ich diesen Gedanken bekam, führte er Smoothie, schwarz einbandagiert, an uns vorbei und sah abfällig zu mir. Nach der Nachricht mitten in der Nacht hatte ich eigentlich eine Veränderung seiner Art erhofft, aber offensichtlich entschied er sich dagegen, freundlich zu mir zu sein.
      „Viel Spaß“, wünschte ich ihm dennoch und bekam nur entrüstetes Schnauben als Antwort. Nun gut, sein Problem und nicht meins. Einen Moment später huschte auch Lina durch den Gang, begrüßte freundlich Lars und mich, um die Tribüne hinaufzuverschwinden.
      „So, dein Pony ist wieder hübsch“, sagte mein Kollege nach verrichteter Arbeit.
      „Danke dir“, umarmte ich ihn entschlossen und spürte, dass es mehr als eine dankbare Geste wurde. Wie ein Äffchen hing ich um seinen Hals und langsam bewegten sich seine Hände von meinen Rippenbogen abwärts. Verführerisch funkelten seine Augen. Gefangen in den Grüntönen, wie sie nur die Natur zu bieten hatte, verlor ich abermals die Kontrolle. Noch enger legte ich mich an ihm, als würde es keinen morgen geben, kochte das Blut in meinen Adern. Wieso Lars eine derartige Anziehungskraft für mich hatte, konnte ich mir für den Moment nicht erklären. Stattdessen drückte ich die Lippen auf seine. Ein merkwürdiges Geräusch gesellte sich dazu und verdrängte das Gefühl etwas Falsches zu tun. Dennoch löste ich mich nach wenigen Sekunden wieder, als mein Kopf die Situation begriff.
      „Das kam unerwartet“, schmunzelte er und setzte zu einem weiteren Kuss an, den ich ihm verwehrte.
      „Tut mir leid“, stammelte ich verwirrt. Gefangen im eigenen Chaos versuchte ich mich von ihm loszureißen und verspürte die aufkommenden Schuldgefühle. In Lars‘ Gegenwart konnte mein Kopf nicht mehr unterscheiden, wer er war und assoziierte all die Freude mit ihm. Meine Medikamente nicht mehr zu nehmen, stellte sich zum ersten Mal für mich selbst, als eine schlechte Idee heraus.
      „Vivi, ganz ruhig“, er legte seine Hände auf meinen Schultern ab. Das Herz in der kleinen Brust dröhnte zu explodieren und meine Lunge versuchte nach Sauerstoff zu Ringen, aber es fühlte sich an, als würde nichts davon in meinem Körper ankommen. In dem kargen Gebäude suchte ich krampfhaft nach roten Gegenständen, aber bis auf den Strick auf der Bande, entdeckte ich keinen. Ebenso wenig blau war zu sehen.
      Lars begann zu zählen und ich sollte mit ihm ein- und ausatmen. Äußerst gekonnt, ging er mit meinem Anfall um, bis ich mich wieder beruhigt hatte. In der Zwischenzeit war auch Lina dazu gekommen und stand unbeholfen neben ihm. Ihrem Gesichtsausdruck nach musste ich fürchterlich aussehen in dem Augenblick.
      “Alles okay? Was ist passiert?”, fragte sie besorgt.
      “Ähm”, stöhnte ich erhitzt und schielte zu Lars.
      “Sie hat mich geküsst und hatte dann eine Panikattacke”, erklärte dieser wahrheitsgemäß.
      “Was machst du nur für Sachen”, fragte sie, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten, “Das ist doch kein Grund für Panik.”
      “Das sagst ausgerechnet du”, schnaubte ich verärgert, aber schluckte den restlichen Satz trocken herunter. Dabei nahm ich einen kräftigen Atemzug. Lina sollte von allen am besten wissen, woher dieses Gefühl rührte, bloß hatte Niklas ihr offenkundig das Gedächtnis gelöscht. Mir lag es buchstäblich auf der Zunge, einen vernunftwidrigen Spruch zu drücken. Lars vernahm jene Wut und drückte kräftiger die Finger in meine Schulter. Doch mein Körper hatte sich dieser angepasst, als würde die Hitze wie ein Parasit an mir festhalten. Einzig Maxou, die nun auch mit kurzen Berührungen versuchte, mich in die Wirklichkeit zu holen, senkte den Blutdruck.
      “ ‘Tschuldigung, war wohl ein wenig unsensibel”, murmelte sie kleinlaut, “Ich verstehe dich ja.”
      Nach dem kleinen Missverständnis mit Lina sattelte ich Maxou und überlegte, in den Wald zu gehen. Mit unserem Sahnetörtchen in der Reithalle wollte ich ungern sein und hinüberlaufen und die kleinere Halle könnte mir Ärger mit Jonina einbringen, die aus unerklärlichen Gründen noch immer auf Krawall gebürstet war, wenn sie mich sah. Somit blieb mir nur Matsch übrig. Kaum ritt ich vom Hof, klingelte mein Handy. Vollkommen überrascht, dass das Gerät überhaupt in der Lage war, Geräusche von sich zu geben, zog ich es aus der Jackentasche heraus. Doch als ich den Bildschirm erblickte, sah ich nur, dass eine unbekannte Nummer versucht hatte, mich zu erreichen. Zurückrufen konnte ich nicht. Im Fortlauf des Ausrittes dachte ich ununterbrochen darüber nach, wer wohl etwas von mir wollte und vor allem, was. Die Antwort auf jene Fragen wurde mir verwehrt, denn es folgte kein zweiter Versuch, mich zu erreichen. Versunken in meinen Gedanken schenkte ich meinem nervösen Pony kaum Aufmerksamkeit, sodass sie immer wieder auf die Vorderhand rutschte, ohne dass ich es korrigierte. Es war alles so viel, dass ich auf halber Strecke einfach umdrehte und denselben Weg zurücknahm.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 33.794 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang März 2021}
    • Mohikanerin
      [​IMG]

      kapitel trettioett | 12. September 2022

      Wunderkind / Moonwalker LDS / Monet / May Bee Happy / Maxou / Planetenfrost LDS / Global Vision / WHC‘ Golden Duskk

      Sonntag
      Lindö Dalen Stuteri
      Vriska
      In der Nacht von Samstag auf Sonntag rollte ich mich von einer Seite zur anderen und bekam kein Auge zu. Zu sehr raste mein Herz bei dem Gedanken, dass ich ihn wiedersehen würde. Außerdem konnte ich nicht genau einschätzen, wie Wunderkind in Form war. Das Training mit dem Hengst wirkte vielversprechend aber meine Konkurrenz war hart. Auch Nour lief in meinem Rennen mit, hatte mit Walker deutlich bessere Chancen auf einen Sieg als ich. Dennoch bedeutete mir das nicht viel. Generell wollte ich nur da sein.
      „Warum schläfst du nicht?“, kam auf einmal Lars aus dem Schlafzimmer heraus, nur in einer Boxershort bekleidet und lief zum Badezimmer hinüber
      „Mein Kopf ist so laut“, erklärte ich.
      „Dann leg dich doch zu mir, da konntest du bisher immer einschlafen“, in seiner Stimme konnte ich ein Lächeln heraushören.
      „Aber Lars“, ich seufzte, „ich will nichts von dir, das ist nur immer … so verführerisch mit dir.“
      „Darum geht es doch gar nicht.“ Das Holz knarrte unter seinen Schritten und spürte seine warme Hand an meiner Wange. „Klar. Du bist mir sehr wichtig, aber wenn du sagst, für dich zählt nur der eine, dann akzeptiere ich das. Außerdem habe auch so meinen Spaß.“
      „Sicher“?“, hakte ich nach und wusste nicht genau, was ich daraus ziehen sollte.
      „Ja und gegen Kuscheln spricht doch nichts, oder?“, sprach Lars zuversichtlich. Ich schnappte mir mein Kissen und huschte hinüber. Im weichen Bett lag es sich sofort angenehmer. Als auch er wieder kam, legte er seinen Arm um mich und ich schloss die Augen.
      „Möchtest du nicht vielleicht doch etwas …“, noch bevor Lars seinen Gedanken vollständig aussprechen konnte, bekam er meine Flache Hand gegen die Wange gepatscht.
      „Schon gut“, knurrte er müde, „hättest du einfach sagen können.“ Mit diesen Worten zog er mich fester an sich heran und ich schlief endlich ein. Allerdings klingelte der Wecker um neun Uhr, eine unchristliche Zeit, wenn man erst gegen fünf Uhr die Augen schließen konnte. Lars verschwand unter der Dusche und ich klickte mich durch die Instagram Timeline. Neben bisher nicht gesehenen Postings von Lina, entdeckte ich ein Bild, das sofort meine Aufmerksamkeit Ju war, gestern nach uns in der Reithalle, nutzte mit Amy die aufgebauten Sprünge – natürlich auf doppelter Höhe. Die Scheck-Stute machte mit ihm eine schöne Figur. Zusehen darauf war auch unsere Praktikantin, also Neele, die bei Ponys im Nebenstall mithalf. Interessiert klickte ich auf ihr Profil. Sie hatte ihren Hengst mitgebracht, der in seinem weißen Fellkleid wie ein Traumpferd daherkam. Auf den meisten Bildern tänzelte er in der Piaffe. Wirklich ein Traum. Seufzend legte ich mein Handy wieder weg. Happy hatte noch einen langen Weg vor sich, wenn wir einmal so ein Pferd-Reiter-Paar darstellen wollen oder gar Maxou.

      Eine Stunde später
      Stall, kurz vor der Abfahrt

      „Und wir haben wirklich alles eingepackt?“, wuselte Nour wie ein aufgebrachtes Eichhörnchen um uns herum, als Lars und ich die Pferde in den Transporter luden.
      „Ich denke schon“, gab er seiner Schwester zu verstehen. Obwohl ihr Arm noch immer Schmerzen bereitete, hatte sie entschieden, Walker zu fahren im selben Rennen wie ich. Bald wären die Kategorie Zwei Rennen vorbei, wenn sie erst einmal die Prüfung bestanden hatte, erklärte Nour mir zwischendurch.
      Sehnsüchtig blickte sie den Sulky am Transporter an und versuchte mit bester Absicht, uns zu helfen, auch wenn ihre Möglichkeiten beschränkt waren.
      „Du könntest noch ein paar Bandagen holen“, schlug ich vor, obwohl genug dabeihatte. Aufgeregt nickte sie und verschwand durch das große Rolltor. Ihre Schritte hallten durchs ganze Gebäude.
      „Ist sie immer so?“, flüsterte ich Lars zu, der schon auf dem Beifahrersitz saß und in sein Handy grinste.
      „Nour meinst du?“, ich nickte, „Ja, auf jeden Fall. Und mit dir im Gepäck fühlt sie sich dazu berufen dich in den Welpenschutz zu nehmen.“
      Kaum kehrte sie zurück, kontrollierte ich noch ein weiteres Mal alle Türen, bevor wir die Abfahrt hinab fuhren nach Kalmar. Ich saß am Steuer, Lars hing weiter am Handy und Nour nervte ihn. Dem genauen Gespräch folgte ich nicht, zu sehr rollte mit jedem Meter der Reifen auf der Fahrbahn mehr Anspannung auf mich zu. Dass ich mich dem Getümmel aus freien Stück hingab, erfüllte mich einerseits mit Stolz, andererseits konnte ich, das mit niemandem teilen. Natürlich wussten die Geschwister Bescheid, aber ich wollte sie nicht damit nerven.
      Haarscharf sah ich die Beleuchtung der Bahn von der Straße aus, standen auf dem Hinterhof und Lars verschwand mit den Papieren zur Nennstelle. Nour tätschelte Walker in seiner Box, während ich Wunderkind ein weiteres Mal putzte. Seine Scheckung sollte leuchtete, bevor uns der Matsch traf. Auf dem Geläuf fuhren bereits die Fahrzeuge, um den Sand eben zu halten und einige Fahrer ihre Warm-Ups.
      Bis auf Wunderkind hatte jeder der Hengste schon sein Band, selbst Vision, der sich aufspielte und in der Box angebunden war, strahlte in einem ganz anderen Licht mit dem niedlichen Zopf. Er wirkte unschuldig aber sein Blau passte wunderbar zu seinen Augen. Kontrolliert drehten meine Finger die einzelnen Strähnen um das grüne Band, bis nur noch ein kleiner Zipfel übrigblieb.
      „Sehr schick“, flüsterte ich ihm und bewunderte mein Werk.
      „Das stimmt“, sagte eine bekannte Stimme hinter mir, die sich mit verstummenden Schritten bereits ankündigte. Ich schluckte verunsichert.
      „Danke“, drehte ich mich zu Basti um. Mit Verwunderung über seine Anwesenheit bei mir, blickte ich in seine dunklen Augen und musste mir weitere Dinge verkneifen, damit meine Gedanken nicht über mein Gesicht zuckten. „Lars fährt nun also für euch“, begann er mit Smalltalk. Ob er sich an mich erinnerte oder hatte man ihm mehr verraten? Vielleicht war es einfache Freundlichkeit, aber in meinem Magen legte sich ein Hitzegefühl, dass ich ungewohnt gut anfühlte.
      „Gut zu hören, dass er ein paar neue Leute zum Fahren bringt. Also viel Erfolg“, sprach er weiter, mit einem höflichen Lächeln auf den Lippen, nach dem ich abermals in Schockstarre verfallen war. „Aber sag‘ mal, ist Nour da? Es hat sich rumgesprochen, dass sie sich verletzt hat.“
      Aus der Hitze wurde ein elendiges Stechen. Wollte er sie? Ich schüttelte mich und erntete skeptische Blicke.
      „Ähm, ja“, stammelte ich und zeigte einige Boxen weiter auf den hellen Hengst, „sie ist bei Walker.“
      Mit einem Nicken bedankte er sich, aber drehte sich auf halbem Weg noch einmal um.
      „Ach und, ich hoffe, Malmö hat dir gefallen“, sprach er lachend. Peinlich berührt drehte ich mich weg, sah aber im Augenwinkel, wie Basti Nour begrüßte. Mein Gesicht vergrub ich in der Mähne des bunten Hengstes. Überkommen von Scham bemerkte ich Lars erst, als er mein Gebrabbel kommentierte. Damit versuchte meine Nerven zu beruhigen und Wunderkind kümmerte das nur wenig.
      „Das Pony kann dir auch nicht helfen aber jetzt Hopp, du musst gleich fahren“, klopfte Lars mir auf den Po.
      „Ihr müsst euch heute auch alle anschleichen“, murmelte ich mit scharfem Unterton.
      „Bin ich jetzt schon alle?“, scherzte er weiter. Aber mein Blick hing wieder an Basti, der noch immer bei Nour am Pferd stand. Wie angewachsen verharrte ich bei Wunderkind, der bereits weggedreht hatte und an seinem Heu knabberte. Bei ihr lag noch mein Equipment und der Sulky lehnte dort ebenfalls.
      „In einem Moment kannst du nicht genug von ihm bekommen, aber in Live schlägst du Wurzeln. Ihr Frauen seid mir ein Rätsel“, mit seiner Hand an meiner Schulter, drückte er mich vor. Um nicht fallen, bewegten sich meine Beine selbstständig voran.
      „Das ist ziemlich sexistisch von dir“, merkte ich beiläufig an.
      „Na und wenn schon, oder bist du jetzt auch noch Aktivistin?“, lachte er. Seine Aussage nahm ich schweigend hin, denn die größeren Probleme lagen vor mir. Natürlich war ich mir dessen bewusst, dass nichts passieren würde, wenn ich Sachen holte für das Rennen, aber gleichzeitig sorgte seine bloße Anwesenheit für weiche Knie. Aber ich entschied, es mitzuteilen.
      „Lars, warte“, sagte ich mit trockenem Hals und schluckte einmal.
      „Klar“, blieb er stehen und kam die fehlenden Meter zwischen uns zurück.
      „Solang er da ist, kann ich das nicht“, vermittelte ich.
      „Verstehe ich. Einen Moment, ich regle das“, sprach Lars mit einem Lächeln auf den Lippen. Seine Hose, bereits voller Flecken, trat er weiter durch den Matsch. Nur unverständlich hallten ihre Worte in meinen Ohren. Als Alibi zog ich mein Handy hervor und bewegte mich in Zeitlupe zu meinem Pferd.
      „Dann viel Erfolg dir, aber glaube nicht, dass du uns schlagen kannst“, warf Nour ihre Arme um mich. Ein spitzes Lächeln lag auf ihren Lippen. Es galt als reine Motivation, aber ich wusste schon, dass die beiden unschlagbar waren. Nour entfernte die Schnüre und führte Walker zum Geläuf, weiterhin im Gespräch mit Basti, der, ohne ein Blick auf mich zu werfen, an mir vorbeilief.
      Mir schlug das Herz bis in den Hals, aber ich hatte noch genügend Zeit, bis mein Rennen begann. Einige fuhren bereits auf der frisch gezogenen Bahn, was ich auch noch nutzen wollte.
      Wunderkind, der immer die Ruhe selbst war, scheute allerdings. Kaum hatte ich die Bandagen von seinen Beinen genommen, trampelte er unruhig von einer Seite zur anderen. Aufgeregt wieherte er und bekam sogleich eine Antwort von Dustin. Lina wäre eine große Hilfe gewesen, dachte ich, insgeheim aber wollte es keinesfalls die Kontrolle übernehmen lassen. Du schaffst das, sagte ich mir und ging mit neuer Kraft an das Pferd heran. Im Putzkasten lächelte mich die Watte an, die sofort ergriff und vorsichtig in seine Ohren steckte, oder zumindest erst einmal versuchte. Der Hengst hampelte noch immer wie vom Teufel besessen und streckte den Kopf nach oben.
      „Laaaars!“, rief ich in aufkommender Verzweiflung quer über den Platz, aber er kam schon angelaufen, als hätte er mich beobachtet. Im nächsten Moment nahm er den Hengst am Halfter und steckte die Watte in die Ohren. Reichte mir selbem Zuge einen Schutz, den ich noch darüber ziehen sollte. Schon nahm man eine Veränderung wahr. Wunder seufzte förmlich und schnaubte dann ab.
      „Danke“, sagte ich zu Lars und tat dem Hengst gleich.
      „Soll ich bleiben, falls was ist?“, bot er an.
      „Ja, bitte“, nickte ich. Sogleich half Lars mir weiter und legte den Beinschutz um den Hengst, während ich ihm die Trense umlegte. Endlich kam so etwas wie Entspannung in das Tier und selbst ich konnte ohne Trittleiter, ihm das Leder befestigen.
      Langsam schlich ich zum Transporter, um mich umzuziehen. In der alten und dreckigen Jogginghose würde ich gegen die Kleiderordnung verstoßen, was außerhalb meines Interesses lag. Mit gemischten Gefühlen wechselte ich in meine weiße Hose und schwarz-grüne Jacke, um den Hof zu präsentieren. Ich hatte aufkommende Sorge, mich auf der Bahn zu blamieren, erst recht, wenn Nour sich noch immer mit ihm am Eingang unterhielt. Zähneknirschend nahm ich die Leine entgegen. Lars hatte mir bereits den Sulky angehangen. Am Kopf hielt er Wunder fest, damit aufsteigen konnte und zum Warm-Up fuhr.
      „Vivi, keine Sorge. Die kennen sich nur schon ewig, also kein Anflug von Eifersucht, okay? Ich möchte nicht, dass ihr euch anzickt“, bat er mich. Damit fiel das Drücken in der Brust von mir und ich konnte beruhigt durchatmen. Dort wartete auch schon Nour, endlich allein, aber mit einem breiten Grinsen auf den Lippen.
      „Gute Nachricht“, sprach sie und setzte sich mit Walker neben mich. Zwischen dem Lärm aus dem Zuschauerbereich, Musik aus den Lautsprechern und Kratzen der Räder auf dem feuchten Unterboden, war es eine Herausforderung, etwas zu verstehen.
      „Ach ja?“, meine Stimme bebte wieder, obwohl ich versuchte gleichgültig zu bleiben.
      “Wir haben über dich gesprochen”, grinste sie, aber mir zitterten sogleich die Finger. All das Drama wollte ich mir ersparen und trieb den Schecken etwas schneller voran. Walker zog jedoch mit.
      “Vivi, er hat mich nach dir gefragt. Nichts Schlimmes, also freu dich”, mahnte Nour.
      “Ich möchte das nicht wissen und wenn er Interesse an Informationen hätte, kann er auch mich fragen”, zischte ich eingeschnappt.
      “Hätte er, aber du sprichst nicht mit ihm. Deswegen hat er sich Sorgen gemacht, ob etwas mit dir nicht stimmt”, lachte sie amüsiert.
      „Okay“, murmelte ich vor mich hin. Nour trieb ihren Hengst voran, denn sie verstand, dass das Thema unpassend war und damit trat ich allein übers Geläuf. Entspannt wippte Wunders Kopf in der Bewegung. Nur im Augenwinkel beachtete ich die anderen Fahrer, um die volle Konzentration auf den Pferdepo vor mir zu haben. Nach einer Runde Schritt wechselte ich die Hand und trabte an. In einer schönen Selbsthaltung schwebte er voran.
      Für die Wiederqualifikation musste ich mit dem Hengst das Geläuf frei machen und fuhr den anderen hinterher, die sich auf der Innenbahn platzierten. Meine Aufregung spürte ich deutlich in den zitternden Finger, die nervös zuckten und willkürlich den Hengst Paraden gaben. Aber je mehr ich versuchte, es zu unterdrücken, umso schlimmer wurde ich.

      > Starten är frigjord!
      „Der Start ist freigegeben“, dröhnte es dumpf von den Lautsprechern an meine Ohren. Durch das Stirnband unter dem Helm hörte ich nicht mehr so gut, aber dass alle anderen sich am Auto hinter ihrem Startplatz stellten, unterstrich meine Annahme.
      „Wir schaffen das“, flüsterte ich Wunderkind zu, der bereits beim Anlaufen übermotiviert die Beine nach vorn warf. Wir starteten von Platz drei, der wohl beliebteste Platz, da man am Start mit etwas Glück vorziehen konnte und sich an die Spitze setzte. Nour stand mit Walker vor der sechs. Sie konnte schon einige Siege mit dem hellen Pferd erringen, umso größer war meine Kampflust, es auch zu schaffen.
      Treiben musste ich Wunder nicht, dafür mit sanften Paraden zurücknehmen. Deutlich spürte ich seinen Widerstand, aber musste behutsam an der Leine sein. Auf der Startmarke gab das Fahrzeug Gas, um uns den Weg freizumachen und besten Gewissens setzte ich mir Wunderkind vor. Wir zogen an einem Braunen vorbei an zweiter Stelle in zweiter Reihe. Im Rausch der Geschwindigkeit verschwamm alles neben mir, bis die Ohren des Dunkelfuchses aufblitzten. Ich versuche mich an ihm vorbeizudrücken, doch der Fahrer versperrte mir den Weg. Nach dem zweiten Bogen bremste ich den Schecken etwas, doch da kam Nour mit Walker und bedrohlich nah. Der Hengst war voll in seinem Element. Aus uns dreien wurde ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wir befanden uns im letzten Bogen, als ich entschied, es zu riskieren. Ich lenkte durch gezieltes Schütteln der Leine den Hengst nach Außen, um an Walker vorbeizukommen. Dabei verspürte ich die Kampflust des Schecken, der in großen Sprüngen über das Geläuf fegte. Er wusste genauso gut wie ich, dass er es konnte. Mit der Stimme trieb ich ihn noch etwas stärker, doch dann die Schlussglocke. Das Ergebnis stand noch nicht fest, aber langsam kam meine Wahrnehmung wieder. Am ganzen Körper zitterte ich und ließ Wunderkind einfach machen. Beinah eine halbe Runde kam er nicht runter, aber bremste schließlich. Sofort kam an Ausfahrt Lars.
      „Das war heftig“, keuchte er, vollkommen außer Atem. „Aber komm, wir müssen deine Schleife abholen.“
      „Was?“, fragte ich verwirrt.
      „Die Nase hatte Wunder vorn, wenn auch sehr knapp“, grinste Lars. Ich konnte es nicht fassen, aber mein Gefühl hatte recht. Unverständlich ertönte mein Name zwischen anderen Worten durch die Lautsprecher, doch ich konnte nur auf die Ohren vor mir blicken.
      Lars hielt den Hengst fest, als ich aus dem Bock sprang und mich mit weichen Knien an den Wagen stellte. Durch den Kopf schwirrten so viele Dinge, dass ich kaum denken konnte. Aber das Wichtigste war: unser Sieg. Von einem zum anderen Ohr strahlte ich in Kameras vor mir, riss mir vorher den Gesichtsschutz vom Mund. Lars bekam ein liebevoll eingepacktes Geschenk für mich in die Hände gedrückt und Wunderkind eine lila Schleife an die Trense. Nach einem Auf- und Abfahren für das Publikum, das ehrlich gesagt bei dem Wetter sehr gering ausfiel, ging es zurück. Neben mir herlief Lars, der kaum ein Auge von mir lassen konnte. Auch Nour hatte sich bei uns eingereiht, die vollkommen überrascht zu mir sah.
      „Müsstest du nicht gleich Warmfahren?“, stammelte ich bester Absicht, wieder zur Sprach zu kommen, aber ich fühlte mich wie ein Teenager auf einem Talentwettbewerb, der nicht genau wusste, was er da tat.
      „Ja, aber du brauchst jemanden, der dir hilft“, lächelte er zuversichtlich und verschwand mit den Sachen am Hänger. In der Zwischenzeit stieg ich ab.
      „Großartig! Ich hatte das nicht erwartet“, sagte Nour mit funkelnden Augen und warf sich um meinen Hals. Überfordert blickte über ihre Schulter hinweg zu Lars, der wieder aus dem Transporter stieg.
      „Danke?“, tastete ich mich an die richtige Antwort. „Aber Wunderkind ist einfach ein Ausnahmetalent.“
      „Nicht so bescheiden, freu dich mal. Außerdem hast du damit bestimmt Eindruck geschändet“, lachte sie.
      „Ich weiß nicht.“ Meine Unsicherheit blieb. Nour begann, währenddessen zu erzählen, wieso Walker nicht angezogen hatte. Die Ohren standen mittlerweile auf Durchzug, denn sie begann abermals von vorn. Lars hatte sich ebenfalls aus dem Staub gemacht, um den Falbhengst mit großen Abzeichen warmzufahren. Um seinen Start nicht zu verpassen, beeilte ich mich etwas, alle Sachen zu verräumen und die Beine einzupacken.
      „Wenn du ihn so toll findest, warum kaufst du ihn nicht“, zischte es deutlicher schärfer über meine Lippen, als ich wollte. „Es tut mir leid, das war ungewollt.“
      „Es nervt dich, oder? Aber ja, schon gut. Ich habe auch schon überlegt, doch so viel Geld, werde ich nicht haben“, gab sie kleinlaut zu und legte die Arme um seinen Hals.
      „Wirklich nur minimal, aber das liegt nicht an dir“, seufzte ich und betrachtete die enge Bindung zueinander als das größere Problem. Mit meiner Stute war es anders. Sie liebte mich aus unerklärlichen Gründen abgöttisch, nur ich konnte das nicht ganz so zurückgeben, dafür hatte zu viel Angst, unbegründet. Zudem wechselten die Pferde in Leben mittlerweile so oft, dass es schwer war, sich für einen Liebling zu entscheiden.
      „Was auch immer ist – wir bekommen das in den Griff. Wenn Humbria erst einmal fahrbereit ist, wirst du sie alle platt wälzen“, lachte sie und zeigte dabei eine seltsam anmutende Handbewegung, als würde sie einen Rasenmäher schieben.
      Zusammen sahen wir uns noch Lars an, der zunächst mit Plano den vierten Platz belegte. Vision sprang in den Galopp, somit heimste er sich eine Disqualifizierung ein und schließlich mit Dustin doch noch einen Ersten. Feierlich umkreisten ihn, mir unbekannte, Personen und Nour war zur Siegerehrung auf das Geläuf gegangen. Teilnahmslos stand ich am Zaun. Sofort wurde mir unwohl, als hätte ich etwas Falsches gemacht, was natürlich bloße Einbildung war. Zudem hinkte der Vergleich mit ihm, schließlich galt Lars schon lange nicht mehr als Amateur, sondern fuhr als Berufsfahrer – mit großem Erfolg.
      „Kopf hoch, ist doch super“, erklang auf einmal eine tiefe und dunkle Stimme neben mir, die mir eine Gänsehaut über den Körper jagte. Langsam bewegten sich meine Augen in die Richtung, aus der Worte an mich getragen wurden.
      „Ach, du schon wieder“, seufzte ich und stelle dann fest, wer neben mir stand. Erschüttert von meiner eigenen Antwort schüttelte ich mich wie ein nasser Hund und drückte die Schultern zusammen, als würde es etwas ändern.
      „Ich kann auch wieder gehen“, grinste Basti spitz, verharrte aber an Ort und Stelle. Noch immer konnte ich mir nicht erklären, was seine Aufmerksamkeit so erregte, bis mich Nour aus der Ferne angrinste. Überall mischte sie sich ein und für einen kurzen Augenblick überkam mich eine aufkommende Hitze.
      „Nun gut, wenn du dich nicht unterhalten möchtest”, er zog eine Schachtel aus der Jackentasche und zündete sich eine Zigarette an, “Man sieht sich“, dann lief Basti zu den Ställen. Die Hoffnung flammte für einen Augenblick auf, dass ich ihm nachlaufen würde, aber ich verharrte wie ein Idiot an auf der Stelle, Wurzeln so groß und schwer wie die eines Mammutbaums. Kein Wort würde er mit mir wechseln und die Wut kochte. Wut, gegen mich selbst, dass ich es mir leicht vorgestellt hatte, mich in dem Gedanken verlor, mit ihm sein zu können. Allerdings stellte sich die Realität als eine andere heraus, wer hätte es nur gedacht.
      „Was ist passiert?“, fragte Nour schockiert, als sie mit Lars von der Siegerehrung kam.
      „Nichts“, seufzte ich.
      „Aber warum schaust du dann, wie zehn Jahre Regenwetter?“, wunderte sie sich.
      „Weil nichts passiert, ist“, wurde meine Stimme lauter und einige Menschen um uns herum, schauten uns verwirrt an.
      „Reiß dich zusammen“, schüttelte Lars den Kopf, „was hast du denn gedacht was passiert? Dass er dir einen Antrag macht?“
      Seine genervte Stimmung gab mir den Rest und trotzig lief ich zum Stall. Die Rennen waren durch, also begann ich unsere Sachen aufzusammeln und in den Transporter zu verräumen. Sie kamen wenig später ab, aber sprachen kein Wort. Erst, als ich Wunderkind aus der Box holte, um ihn zu verladen, mischte sich mein Kollege wieder ein.
      „Was du vor? Wir fahren noch nicht nach Hause“, erklärte er monoton.
      „Gut, dann rufe ich mir ein Taxi“, antwortete ich aufgebracht. Lars zog mich zur Seite.
      „Mir ist gerade vollkommen egal, was passiert ist und was nicht, aber ich lasse mir mit deinem kindischen Verhalten nicht den Tag verderben. Du hast Aufgaben hier, also setze dich meinetwegen in den Transporter und warte“, maulte er.
      Ich riss mich aus seinem festen Griff heraus und stürmte in besagten. Nour blickte mir wehleidig nach.
      „Das kannst du doch nicht sagen“, hörte ich sie zu ihrem Bruder sprechen.
      „Es kann nicht sein, dass jeder nach ihrer Nase tanzen soll“, gab er zu verstehen. Den Rest ihres Gespräches war außerhalb meiner Hörweite und ich verschwand im Inneren des Transporters. Zunächst warf ich die Kleidung von mir, wechselte sie gegen meine Jogginghose und Pullover. Dann warf ich mich ins Bett. Mit meinem Verhalten hatte ich wieder einmal dafür gesorgt, dass die ganze Welt gegen mich war. Ich verstand ihre Enttäuschung, dennoch sprach diese elendige Stimme in meinem Kopf. Obwohl sie schrie, verstand ich kein einziges Wort, lediglich versetzte sie mir ungeheure Schmerzen in den Bauch. Alles drehte sich. Vor meinen Augen funkelte es uns noch im richtigen Moment schaffte ich es vor die Tür. Mein Magen entschied sich dazu, den nicht vorhandenen Inhalt zu entleeren.

      Stunden vergingen, bis einer zum Transporter kam. Teilnahmslos saß ich auf der Bank und starrte in die Leere. Ein reinstes Chaos war in meinem Kopf, die Finger zitterten und auch meine Beine hatte ich nicht mehr unter Kontrolle.
      „Es tut mir leid, was ich gesagt habe“, entschuldigte sich Lars und setzte sich zu mir. Ich rückte weiter in die Ecke, um keinesfalls von ihm berührt zu werden.
      „Schon okay“, antwortete ich abwesend.
      „Nour wollte, dass ich nach dir schauen gehe“, erklärte er.
      „Schön.“
      „Du bist nicht okay. Sollen wir nach Hause fahren?“, versuchte Lars mir fürsorglich auf den Zahn zu fühlen, doch das war vorbei. Eine Antwort gab ich ihm nicht, weshalb er wieder den Transporter verließ. Dem Gepolter zu folgen, verluden sie wenig später die fünf Rennpferde und Lars setzte sich ans Steuer. Noch ein paar Mal gab sich Nour Mühe, ein Gespräch aufzubauen, aber ich blockte komplett ab. Zu Hause angekommen, stieg ich sofort aus. Sie brauchten meine Hilfe nicht und zischte in die Hütte, für Stunden saß ich allein und als die Sonne schon lange am Horizont verschwand, war von Lars nichts zu sehen. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass er auch in der Nacht nicht kommen würde.

      © Mohikanerin // 23.588 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang März 2021}
    • Mohikanerin
      [​IMG]

      kapitel trettiotvå | 13. September 2022

      May Bee Happy / Wunderkind / Northumbria / Maxou / Planetenfrost LDS / Global Vision / Drivblesa / Moonwalker LDS / HMJ Divine / Jokarie / HMJ Holy / Pay My Netflix / Glimsy / Einheitssprache

      Samstag, eine Woche später
      Lindö Dalen Stuteri

      Vriska
      Es war schon wieder Wochenende. Ich stand mit Happy am Strick auf der Rückseite des Stallgebäudes und fröhlich zupfte er einige Grashalme. Von meinem emotionalen Rückschlag hatte ich mich entsprechend erholt. Am nächsten Tag wachte ich sehr früh am Morgen auf und nutzte die Stunde allein am Stall für ein Training mit Happy, der sich nach dem Springen deutlich leichter im Sattel gab. Wunderkind hatte frei und mit Humbria fuhr ich einen Heat. Nach einem kleinen Frühstück half ich Bruno bei der Stallarbeit. So ging es die folgenden Tage weiter. Lars kehrte erst am Dienstag zurück. Er war bei seiner neuen Flamme, die wohl seine Unterstützung benötigte. So sei es. Ich kam klar. Lina hatte ich nichts erzählt, doch aus ihrer Stimmung heraus konnte ich ablesen, dass Nour ihr berichtet hatte. Mit Niklas war es weiterhin schwierig. Wenn ich ihn im Gang traf, warf er mir beliebige Sprüche an den Kopf und Lina schämte sich dafür. Am Abend schrieb ich mein Buch weiter.
      „So kleiner Mann, das reicht“, sagte ich zu dem großen Fuchs, der die Ohren in meine Richtung drehte und den Kopf hob. Entspannt folgte er mir in den Stall. Dort nahm ich die farblich passende Decke zum Halfter ab und stellte ihn zurück in die Box. In der Gasse räumte Nour bereits die Sachen zusammen für die Abfahrt nach Visby. Maxou hatte ich longiert und morgen wollte Erik kommen, somit war ich ganz froh, nicht dazu sein.
      „Fühlst du dich wirklich bereit für das Rennen?“, hakte Nour besorgt nach.
      „Klar, wieso nicht?“, versuchte ich den Zwischenfall zu überspielen. Sie sprach es ungern an, denn es tat ihr leid, mir nicht helfen zu können.
      “Ich”, sie seufzte tief, als hätte sie seit Minuten die Luft angehalten, “ich wollte nur sichergehen, aber Humbria hat bisher eine gute Figur gemacht, oder?”
      “Ja, sie ist sehr motiviert”, erklärte ich zuversichtlich. Am Donnerstag hatte ich die Zeit gestoppt und auf einer Meile waren wir bei 1:13,5. Damit lagen die Chancen gut auf das Treppchen.
      “Du läufst das Stutenrennen, oder?”, Nour stellte weiter unnötige Fragen, denn sie hatte die Nennung vorgenommen. Somit sollte sie sich bewusst sein, was ich fuhr.
      “Genau, sofern wir die Qualifikation nachher bekommen.” Ich legte die Decke zusammen und hängte diese über die Stange an Happys Box. Glücklicherweise gab es heute um zwanzig Uhr die Möglichkeit noch einen Probelauf zu fahren, bei dem sich entschied, ob wir starten konnten. Normalerweise fand so was am selben Renntag fest und eine weitere Nennung wäre nicht möglich an dem Tag.
      “Den großen Transporter fahren wir?”, hakte ich noch einmal nach, um mich emotional vorzubereiten. Den Großen bin ich bisher nur ein einziges Mal gefahren, doch Lars weigerte sich.
      “Leider, ja. Der hat aber zwei große Schlafkabinen”, nickte Nour.

      Nach einer Stunde standen die Pferde im Stall, vorbereitet für den Transport. Zur Kontrolle schaute ich den Inhalt meiner Tasche, die bereits im Transporter lag und Dog direkt darauf. Ich hatte alles dabei, sogar meine kleine Plastikdose für die Medikamente. Noch Abend am Sonntag entschloss ich, den Kram wieder zu nehmen. Gestresst kam Nour angelaufen: „Wo steckt der Kerl nur.“
      Damit meinte sie Lars, der eigentlich zurück sein wollte, bevor wir losfahren. Zum Abschied fuhr er zu seiner Flamme, um mit ‚einem guten Gefühl zu starten‘, wie er uns gestern lang und breit bei der Besprechung am Abend erklärte.
      „Hast du versucht ihn zu erreichen?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte.
      „Natürlich, siebenmal“, lachte sie.
      Wir begannen die Pferde zu verladen, auch wenn er nach zwanzig Minuten in der Stallgasse sitzen, noch immer nicht zusehen war. Zunächst kamen Walker, Plano und Vision in den Transporter. Im Anhänger folgten Humbria und Blessa, eine Fuchsstute, die Mitte der Woche von Bruno als Trainingspferd übernommen wurde. Sie stammte aus Norwegen und sollte in Schweden große Erfolge erzielen. Nour fuhr sie an dem Wochenende. Ich schloss die schwere Klappe allein, als ein großes blondes Wesen neben mir auftauchte. Vor Schreck fiel mir diese beinah herunter, wenn er nicht seine Hand daran gehabt hätte.
      “Ihr wolltet nicht etwa ohne uns fahren?”, grinste Mateo. Verwundert drückte ich meine Stirn zusammen.
      “Eigentlich schon”, murmelte ich undefiniert, dann trat auch Lina hervor, “ich wusste nicht, dass euch das interessiert.”
      “Mateo, meinte, er müsse sich unbedingt mal ansehen, was seine Kollegen denn da immer so treiben”, erklärte sie, “dabei habe ich eigentlich sehr anschaulich erklärt, dass ihr nur knappe zwei Minuten im Kreis rennt.”
      “Es ist die Geschwindigkeit, Kleines”, kam Nour dazu, um ihr nun die Leidenschaft dahinter zu erklären. Ich stand grinsend daneben, denn hatte Lars’ Schwester erst mal jemanden ohne Ahnung gefunden, konnte sie stundenlang über den Trabrennsport und, vordergründig, Walker sprechen. Zwischendurch rollte ich mit den Augen, denn eine solche Leidenschaft konnte ich mit ihr nicht teilen, viel mehr, wollte ich mich, aus freien Stücken, bei Basti entschuldigen. Mein Verhalten war alles andere als in Ordnung, außerdem hatte sich in der Woche das Gefühl zu ihm, noch mehr verstärkt, obwohl ich ihn nur einmal aus der Ferne in Kalmar gesehen hatte.
      “Nour, ich glaube, dass das reicht”, kam endlich der Herr der Schöpfung an. In der Hand hielt er eine Tasche, die er in den Transporter schmiss.
      “Dann können wir los?”, ging ich nicht weiter auf seine Verspätung ein, sondern dachte nur an die Fähre und meine Qualifikation.
      “Ja”, brachte der Schweizer freudig hervor, während die kleine Brünette neben ihm nur mäßig viel Motivation ausstrahlte. Ihren Unmut konnte ich sogar nachvollziehen, obwohl ich das Pilzi dabeihatte. Vermutlich war die Stute der einzige Grund, weshalb Mateo sie überzeugen konnte.
      Die beiden Süßen setzten sich auf die Rückbank und mit Lars saß ich vorn, falls etwas sein würde. Das erste Anfahren war ruckelig, zu lange fuhr ich keinen Schaltwagen mehr, doch nach einigen Metern der Ausfahrt entlang, bekam ich ein Gefühl für das Gespann. Hinter mir wurde sich unterhalten über Linas Hengst, was mittlerweile dieselbe Stufe erreicht hatte, wie Nour mit Walker.
      Nach der Strecke auf der Autobahn kamen wir in dem Gewerbegebiet von Oskarshamn an. Trostlos lagen auf beiden Seiten riesige Hallen und Geschäfte mit leeren Parkplätzen. Selbst auf der Straße waren kaum Autos unterwegs, obwohl es Samstagmittag war. Es folgte ein Kreisverkehr und langsam wurde es ansehnlicher, sofern man Plattenbau als solches bezeichnen konnte. Zumindest hatten sie kleine Blumenkästen am Geländer, die es bunter machten in der farblosen Umgebung. Gegenüber vom Hafen standen einige alte Häuser, die die Stadt lebhafter machten. Wir stellten den Transporter ab, um auf die Fähre zu warten. Eine halbe Stunde hatten wir vor uns und ich suchte mir ein ruhiges Plätzchen zum Rauchen, Dog folgte mir unauffällig und mit ihm noch ein weiteres Wesen.
      “Vriska?”, kam Lina neugierig angeschlichen, wie eine Katze auf Erkundungstour, “bekommt man dieses Wochenende auch noch etwas … interessanteres zu sehen als euch?”
      Verwundert drehte ich mich um, kalt schlug mir eine Meeresbrise ins Gesicht, die einen Fischgeruch mit sich trug. Selbst Dog rümpfte angeekelt die Nase.
      „Als uns? Aber ich weiß nicht genau. In der Nähe sind ein Museum und ein Themenpark, der aber vermutlich noch geschlossen hat“, überlegte ich laut, jedoch fiel mir noch etwas anderes ein, das Niklas mal erwähnt hatte. „In der Nähe soll es Wildpferde geben, vielleicht wäre das, was für dich und Mateo.“
      “Wildpferde sagst du? Das klingt tatsächlich sehenswert”, nickte sie, “aber ob Mateo das ebenso spannend findet?” Sie wirkte ein wenig nachdenklich, als würde sie versuchen abzuschätzen, was der Schweizer davon halten würde.
      “Mehr als dich, braucht er nicht”, scherzte ich augenzwinkernd. Die Funken zwischen ihnen verspürte ich mittlerweile auch im Stall, wenn nur einer von ihnen zu sehen war. Wenn sie ritt, warf er einen prüfenden Blick auf Lina und andersherum. Mich brachten die beiden immer zum Lächeln.
      “Klar, weil die Welt sich ja nur um mich dreht”, rollte sie mit den Augen.
      “Jetzt übertreiben wir nicht”, schaltete ich einen Gang zurück, “ihr beide mit euren Tönnchen seid dennoch niedlich.” Dabei zog ich mein Handy hervor und zeigte ihr einige Bilder, die ich in der Woche gemacht hatte. Mittlerweile nahm ich häufiger meine Kamera aus dem Zimmer mit, um die Website und Social-Media-Plattform mit Inhalten zu füttern. Natürlich behielt ich solche Aufnahmen für mein Archiv auf dem Laptop. Lina stand an der Bande, spielte mit dem Finger an dem Zopf und blickte verträumt zu Mateo, der auf Karie saß und im Sand tanzte.
      “In Kombination von Nour und dir bleibt auch wirklich nichts verborgen. So ein wenig gestalkt, fühle ich mich ja schon”, stellte sie fest.
      “Tut mir leid, aber es war ein schönes Motiv”, ich tippte ein weiteres Mal auf das Bild, um die interaktive Oberfläche zu sehen und drückte auf den Mülleimer in der unteren rechten Ecke. Bevor ich diese Aktion bestätigte, funkte Lina dazwischen und fummelte an einer anderen Stelle auf dem Touchscreen herum, wodurch sich die Option schloss.
      “Du kannst doch so hübsche Bilder nicht einfach löschen”, empörte sie sich, “aaaber zeigen tust du es bitte trotzdem niemandem.”
      Zustimmend nickte ich und zeigte ihr noch anderen Bilder. Unter anderem war eins vom Satteln dabei, bei dem Mateo ihr half. Die Beiden waren wirklich in jedem Moment niedlich und es überraschte mich, dass keiner mich mitbekam.
      Nach einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es Zeit war, zum Transporter zurückzukehren. Ich rief den Hund zu mir und zusammen liefen wir auf den Parkplatz. Der Rest der Truppe saß bereits auf den Plätzen, als hätten sie Stunden auf uns gewartet.

      Drei Stunden später, 18:31 Uhr
      Trabrennbahn, Visby

      In Stalltrakt neun brachten wir unsere Pferde unter. Blessa hatte eine tolle Paddockbox zugeteilt bekommen und erfreute sich sofort an der kleinen Pfütze im Sand. Mit dem Huf trat sie darin herum, um sich schließlich, samt Decke, darin zu wälzen. Humbria hatte nur ein Fenster, das sie nicht sonderlich interessierte. Meine Jackentaschen raschelten schließlich verführerisch. Ich beobachtete die dunkle Stute einen Moment, bevor ich zurück zum Transporter lief. Dabei schaute ich mich um, in der Hoffnung, Basti zu entdecken. Allerdings hätte mich überrascht, dass ein beschäftigter Mann wie er, schon so früh anreisen würde. Sein erstes Rennen war erst um dreizehn Uhr dreißig Morgen. Seufzend drehte ich mich ein letztes Mal um und stieg die Treppe hinauf. Die Vier saßen am Tisch und spielten Karten.
      „Und, alles gut im Stall?“, fragte Lars höflich nach, was ich mit einem Stummen „ja“, beantwortete. Mir hatte die fehlende Anwesenheit bereits die Stimmung vermiest, obwohl ich mich lange darauf vorbereitet hatte. Dennoch gab es diesen einen kleinen Gedanken, der mich vom Gegenteil überzeugen wollte.
      „Ich gehe mit Dog spazieren“, sagte ich schließlich, als ich meine Hose gewechselt hatte und mir eine dickere Jacke überzog. Als der Hund das S-Wort hörte, sprang er sogleich auf und tänzelte am Ausgang herum.
      “Warte kurz, ich komme mit”, verkündete die Kleine, blickte konzentriert in ihre Handkarten. Lars machte einen Spielzug, legte dabei die letzten Karten ab, woraufhin Lina eine Schnute zog: “Das ist unfair, warum gewinnst du den immer?”
      “Er schummelt gekonnt”, seufzte auch Nour und legte ihre Hand offen. Das Spiel war wohl damit vorbei, doch unserer Herzensbrecher lehnte sich triumphierend zurück, ohne sich zu dem Tatbestand zu äußern. Lina stand auf, um sich ebenfalls eine Winterjacke überzuziehen. Von den beinah warmen zehn Grad Celsius auf unserem Hof, war es hier in Küstennähe unter null gerutscht und ein eisiger Wind zog über das offene Feld. Hinter uns schloss ich sofort die Tür und warf mir die Leine um den Hals.
      “Deiner Stimmung nach zu urteilen”, setzte Lina an, als wir einige Schritte entfernt waren und betrachte mich analysierend, “hast du dir erhofft, jemanden hier anzutreffen.”
      “Warum denkst du wohl, tue ich mir das alles hier an?”, gab ich offen zu, dass mir die Rennen gleichgültig waren. Ich könnte jederzeit auf den Rausch verzichten, aber wenn es Aufmerksamkeit auf mich lenkte, tat ich es gern.
      “Wäre ja möglich, dass es dir tatsächlich Spaß macht”, zuckte sie mir den Schultern, “aber dann ist der eigentliche Grund wohl Basti.”
      “Natürlich macht es mir das, aber es ist nicht der Hauptgrund. Den Spaß daran könnte ich auch auf der heimischen Trainingsbahn genießen”, berichtete ich, ohne auf ihren Nebensatz einzugehen. Seinen Namen zu hören, löste umgehend Bluthochdruck aus.
      „Da hast du recht“, nickte sie zustimmend.
      “Aber du wirst wohl kaum mitkommen, nur um ihn zu suchen? Was ist los?”, fragte ich voller Zuversicht nach, den Lina torkelte sichtlich unentschlossen neben mir her, während der Hund mit seinem leuchtenden Halsband vor uns blieb.
      „Mh, ich brauchte eine kurze Pause“, sagte sie unspezifiziert. Ihre Finger steckten in den Jackentaschen und mit leichtem gesenktem Kopf beobachtete sie den Boden, der übersät war von Hufabrücken. Hier und da lagen kleine Steine im Sand, die sie zur Seite trat.
      „Doch nicht etwas von dem netten Schweizer?“, versuchte ich mich heranzutasten.
      „Es ist kompliziert, aber eher von mir selbst“, führte sie näher aus, „Mateos Gegenwart ist etwas … verwirrend.“
      „Kann ich nachvollziehen“, log ich, zumindest halb. In meinem Kopf spielten sich alte Bilder ab, die nicht mehr das gleiche Gefühl auslösten, wie vor Monaten. Damals war es Niklas, von dem ich in der Anfangszeit nicht genug bekommen konnte, obwohl er schon mit Lina zusammen war. Dass sich dadurch Traumata lösten, die ich erst in England aufarbeiten konnte, hatte seine Anziehungskraft wie auf Knopfdruck entfernt. „Vielleicht solltest du eine Pro- und Kontraliste erstellen, um den Kopf klar zu bekommen. Oder ein Buch schreiben, wie ich.“
      „Wenn das nur so einfach wäre, wie es klingt“, seufzte sie und klickte schwungvoll einen Stein zur Seite, dem Dog augenblicklich nachsprang.
      „Ich weiß nicht, was dich so stark beschäftigt, aber wenn es nur ansatzweise dramatisch, wie in meinem Kopf ist, dann solltest du dir deinen Gefühlen bewusstwerden. Allein, dass weiteres Verlangen in dir spuckt, sollte klarmachen, dass in der Beziehung etwas falsch läuft“, möglichst oberflächlich gab ich ihr einen Tipp, den ich schon längst hätte, selbst befolgen sollen. Aber in mir gab es ohnehin so viel Reibereien, dass die Einordnung schwierig wurde. Auf dem Weg drehten wir um, den langsam sollte ich, mich für die Wieder-Qualifikation bereitmachen. Lina nickte seufzend: „Warum muss das nur so komplex sein? “

      Erneut umgezogen, huschte ich zum Stall. Lina, die noch immer in Rätseln sprach, über das, was in ihrem Inneren ablief, folgte unauffällig. Dog lag im Transporter, während die Drei verbittert, ihr Kartenspiel fortsetzten.
      Humbria steckte ihren Kopf durch das Fenster, um mein Kommen genau zu beobachten. Voller Übermut wieherte sie mir entgegen und drehte Kreise in der Box. Sie kannte es bereits aus Kanada, solange eingepfercht auf engen Raum zu sein, was mich zweifeln ließ, die heimische Leistung abrufen zu können. Ich führte sie am Halfter auf den Gang und hakte beidseitig die Stricke ein. Ihr dunkles Fell glänzte leicht geschwitzt in der dürren Beleuchtung der Deckenlampen, die leise flimmerten. In der Ferne hörte man weiterhin das Geschrei von Pferden und Schritte im Stroh.
      Im Eifer des Gefechts vergaß ich beinah, meinen Helm aufzusetzen, den Lina mir noch im richtigen Augenblick gab. Die letzten Meter führte ich Humbria aus der Gasse heraus und setzte mich in den Bock. Unauffällig folgte meine Kollegin zum Zaun, an dem zu meiner Überraschung auch der Rest der Mannschaft stand, eingehüllt in dicker Winterbekleidung. Nur Lars musste beweisen, dass ihm die Kälte nichts ausmachte und trug eine einfache Neoprenjacke. An den schlotternden Knien erkannt ich allerdings, dass ihm sehr wohl Kälte etwas ausmachte.
      „Zeige nur so viel wie nötig, sie hat morgen noch einen anstrengenden Tag vor sich“, mahnte er, was ich mit einem einfach nicken hinnahm. Dann schob ich die Schutzbrille über meine Augen und lenkte Humbria im Schritt auf das Geläuf. Wir waren nicht allein. Drei weitere Fahrer drehten ihre Runden, mit teils sehr erschöpften Pferden, wovon eins auch im morgigen Rennen genannt war. Locker fuhr ich an, legte das Warmfahren auf sinnvolle Übungen aus. Die Leute schauten nicht schlecht, dass ich zwischendrin anhielt und Humbria stehen ließ. Aber Ungehorsam könnte mir die Qualifikation kosten, deshalb arbeitete ich wie zu Hause. Meine Zeiteinteilung passte perfekt. Alle Fahrer für die Qualifikation wurden auf das Geläuf gebeten, als ich Humbria ausreichend erwärmt hatte. Zufrieden kaute sie auf dem Gebiss und schüttelte sich nicht, wie die anderen Pferde.
      „Dann wollen wir mal“, sagte ich zu ihr, als sie Startfreigabe erteilt wurde und wir vier uns hinter dem Fahrzeug aufstellten. Sicher beschleunigte die Stute, ihre großen Tritte im Trab wurden gleichmäßiger. In der ersten Kurve hielt ich noch zurück, aber nach der dritten durfte sie sich frei entfalten. Wir reihten uns in zweiter Stelle ein und fuhren an jener Position auch durch die Zielmarke bei einer Meile. Ihre Zeit war mittelmäßig, aber ausreichend für die Qualifikation. Das war es auch schon. Unsere Aufgabe war erfüllt und im Rausch der Geschwindigkeit hatte ich nicht mitbekommen, dass es mehr geworden sind, an der Bande. Bei Lina stand noch Folke und Hedda, die sich über Holy auszutauschen schienen.
      „Ich fahre jetzt auch“, nervte mich sogleich der Rotschopf, als ich das Geläuf verließ.
      „Das ist schön“, antwortete ich teilnahmslos und strich Humbria über den Po. Lars legte ihr zeitgleich eine Decke über, obwohl die Strecke vom Geläuf zum Stall kaum mehr als zweihundert Meter war.
      „Du hast sie zurückgehalten, oder?“, fragte mein Kollege beiläufig, was ich bejahte. Zustimmend nickte er.
      „Eine schöne Stute“, klopfte Folke ihren Hals und wendete sich schließlich wieder zu Lars. Sie schienen sich zu kennen, aber wie ich bereits festgestellt hatte, war die Szene ohnehin familiär strukturiert. Lina half mir dabei, die Stute wieder für die Box fertig zu machen. Den Sulky stellte ich zur Seite, an Blessas Boxenwand, und die kleine Brünette nahm den Gurt ab. Dann huschte sie zur Seite, um aus den Eimern zwei Maß Hafer zu holen.
      „Weißt du was?“, schmunzelte sie deutlich redseliger als noch zuvor.
      „Worauf willst du hinaus?“, fragte ich, ohne zu überlegen.
      „Wenn Folke da ist, kann dein Basti auch nicht weit sein“, kicherte Lina und schielte zu den Männern hinüber. Jeder hatte es gehört, zumindest sagte mir das, Lars‘ schiefes Grinsen auf den Lippen.
      „Sebastian?“, hakte Folke bei ihm nach.
      Nour nickte.
      „Der ist einen Stall weiter und füttert gerade“, antwortete Folke unbekümmert, worauf das Ganze anspielte. Mir wurden die Knie weicher und mit zittrigen Fingern fummelte ich den grünen Zopf wieder aus der kurzen Mähne der Stute, die seit ihrer Ankunft gut nachgewachsen war. Dem armen Tier hatte man alles abrasiert, aber langsam konnte man ihre schöne Farbe wiedererkennen. Zwischen den hellen Strähnen versteckten sich dunklere, die vom Deckhaar kamen. Aus der Ferne konnte man das Farbspiel nicht sehen, aber die helleren Tupfer im Fell, waren ohnehin ihr Hauptmerkmal und der Bauch, in derselben abhebenden Färbung.
      „Ganz ruhig, es wird dich schon niemand fressen wollen“, sprach sie zuversichtlich.
      „Nicht? Blonde Mädchen sind doch sonst sehr begehrt“, lachte ich, ohne von dem Band abzulassen, das mittlerweile aus der Mähne entfernt war.
      „Dann bekommt er es mit mir zu tun“, grinste sie.
      „Oh, da hat er sicher Angst“, warf ich scherzhaft ein. Das Band legte ich zurück in den Putzkasten und führte Humbria in die Box. Die Schüssel stellte ich ihr hinein und schloss mit einem Scheppern das Metall zu. Sie zuckte zusammen, aber hielt krampfhaft den Kopf im Essen.
      “Sollte er besser, nicht wahr, Mateo?”, entgegnet sie überzeugend, schielte erwartungsvoll zu ihrer Verstärkung.
      “Ich erzittere vor dir und deinen Haargummis”, lachte dieser, was mit einem Augenrollen quittiert wurde.
      „Ihr seid blöd“, merkte ich kopfschüttelnd an. Aber noch bevor ich überhaupt mich in Bewegung setzte, kam besagter Herr in den Stalltrakt gelaufen.
      „Hier steckt ihr also“, grinste er Folke und Hedda an, die noch immer bei Nour und Lars standen. Wieder einmal war Walker das Gesprächsthema.
      „Ja und man hat nach dir gefragt“, merkte Folke umgehend an und nickte zu mir. Im nächsten Atemzug verharrte ich, bis der Druck in der Brust zu stark wurde. Die weichen Knie festigten sich allerdings und zogen ein Kribbeln im Bauchbereich mit sich, das ich allerdings als Hunger abstempelte.
      „Interessant“, murmelte Basti, die Brauen zusammengezogen und lief tatsächlich auf mich zu.
      „Du steigst direkt voll ein, wie ich sehe“, stellte er vor mir fest. Vermutlich spielte er dabei darauf an, dass ich bei fast jedem Rennen dieses Jahr im fahrbaren Umfeld von Unterwegs war. Seltsamerweise stand ich als Besitzer auf dem provisorischen Boxenschild.
      „Offensichtlich, ja“, stammelte ich unsicher und vollkommen überwältigt von seiner Alltagskleidung, die an ihm ein ganz anderes Bild zeigte. Ich versuchte den Blick von ihm zu lösen, mit jedem Atemzug wurde es schwerer meine Nervosität in Zaum zu halten.
      „Und was wolltest du von mir?“, sprach Basti weiter. Bei den Worten hingen alle schweigenden Augen im Raum an uns beiden, kein angenehmes Gefühl, wenn ich mich wie ein Idiot vor ihm verhielt und kaum ein zusammenhängendes Wort aus dem Mund bekam. Aber keiner machte Anstalten, mich zu erlösen. Dennoch hatte ich mir fest vorgenommen, mich zu entschuldigen. Ich fasste all meinen Mut und hob den Kopf.
      „Es tut mir leid, dass ich letzte Woche so seltsam war“, wurde ich zum Ende hin stiller.
      „Als wäre es etwas Neues“, scherzte Nour sogleich, die es offenbar nicht abwarten konnte, sich einzumischen.
      „Okay“, antwortete er verwundert, als wüsste er nicht, wovon ich sprach. Vermutlich war es auch besser so. Nun fehlten mir allerdings die Worte und stumm wendete ich den Blick von ihm. Glücklicherweise ergriff Folke das Wort.
      „Wir wollten hinübergehen ins Restaurant, kommst du auch mit?“, fragte er seinen Kollegen.
      „Klar, wieso nicht. Aber ich gehe noch Nelly holen“, antwortete er und lief hinaus. Fragend sah ich zu Nour hinüber, die einen leichtes Lächeln auf den Lippen hatte, aber eher mitleidig wirkte als freundlich. Während die Männer voran liefen, reihte sie sich zu Lina und mir auf. Ich wollte ohnehin vorher noch zum Transporter, das millionste Mal meine Kleidung wechseln und den Hund holen.
      „Das ist so eine Sache, die wir dir bisher nicht erzählt haben“, seufzte sie. Mir stockte der Atem, aber ich wusste, was jetzt kam. Nour erzählte, dass Nelly seine Freundin sei und das schon etwas länger mit den beiden lief. Natürlich wäre auch zu einfach gewesen. Mir war der Hunger vergangenen.
      „Ich bleibe hier“, sagte ich missmutig und ließ mich auf die Bank am Tisch fallen.
      “Das tut mir leid, du hast es wirklich nicht leicht”, sprach Lina mit aufrichtiger Anteilnahme, “aber du kannst doch nicht den ganzen Abend allein hier sitzen.”
      „Aber ihn verliebt zu sehen, ertrage ich nicht“, seufzte ich.
      „Vivi, er ist alles andere als ein Romantiker. Ihnen die Beziehung anzusehen, gelang am Anfang nicht einmal mir“, wandte sich Nour zu mir.
      „Dennoch weiß ich es. Wie würdest du dich denn in der Situation fühlen?“, stellte ich als Gegenfrage.
      „Wie ich mich fühlen würde?“, wiederholte sie ungläubig, „Ich habe nie das gefühlt, was ihr alle durchmacht“, sie zuckte mit den Schultern.
      “Ich verstehe dich”, sagte die Kleine einfühlsam, ließ sich neben mir nieder und schlang ihre Arme in einer tröstlichen Geste um mich, bevor sie mit Nour sprach: “Du magst doch Walker ziemlich?” Sie nickte, blickte Lina erwartungsvoll an, was folgen würde: “Und jetzt stell dir vor, jemand anderes, dürfte den exklusiven Umgang mit ihm Pflegen und du dürftest nur zu sehen. Wärst du da nicht auch ein wenig traurig?”
      „Nein, ich würde mich für ihn freuen, dass er jemanden hat“, blieb sie weiterhin äußert irritiert über meine Zweifel.
      „Ein Grund, aber kein Hindernis“, sprach im nächsten Moment den Gedanken aus und sprang hoch. „Er wird schon sehen, was er verpasst.“
      Mit neuer, nicht unbedingt berechtigter, Motivation erhob ich mich wieder und zog die weiße Hose aus. Darunter hatte ich eine Leggings, die ich anbehielt. Nur ein sauberes Shirt warf ich mir über und wieder die Jacke.
      „So, kommt ihr“, trat ich zur Tür und sah meine Kolleginnen an.
      “Da ist ja die Vriska wieder, die ich kenne”, grinste die kleine, schnappte sich die Hundeleine von Tisch und kam samt dem Tier hinterher gewuselt.

      Bis auf unserer Truppe saß niemand in dem kleinen und eher rustikal eingerichteten Restaurant. An den Wänden hingen Plasmabildschirme aus dem letzten Jahrzehnt. Die Zeit wirkte, wie stehen geblieben, aber es sollte für das Abendessen ausreichen.
      „Das hat aber gedauert“, grinste Lars und klopfte neben sich. Aber ich wich ihm bewusst aus, denn neben Basti war ein Platz frei, den ich sofort einnahm. Freundlich zuckte ein Lächeln über seine Mundwinkel. Stattdessen setzte sich Nour zu ihrem Bruder und Lina daneben auf die Bank. Überraschenderweise saß die große blonde Dame, die wohl Nelly sein sollte, zwischen Mateo und Folke, mit denen sie sich auch unterhielt.
      Man brachte uns die Karte und ich bestellte mir ein Bier. Etwas Mut war nötig, um mit ihm sprechen zu können. Seine reine Anwesenheit verunsicherte mich, aber ich hielt mich wacker an dem Glas. Kaum flossen die ersten Schlucke meine Kehle herunter, spürte ich den Alkohol durch meine Adern krabbeln, wie kleine Ameisen breiteten sie sich aus und regulierten die Stimmung. Er erzählte von Netflix, nach dem Lars angemerkt hatte, dass unser Chef trotz der mittelmäßigen Rennergebnisse ihn noch nicht über den Haufen warf. Ich hing förmlich an Bastis Lippen, bewunderte ihn für das breitgefächerte Wissen – Natürlich war die Realität eine andere. Er erzählte davon, dass Netflix im Rennen übermütig wurde und im Umgang sehr sanft war. Kein einziges Mal gab Basti etwas über sich preis, sondern sprach neutral über das Pferd. Nur in meinen Ohren klang es anderes.
      Schließlich kam das Essen, für mich ein Salat, denn mehr gab es nicht, dass frei von tierischen Erzeugnissen war. Er schielte irritiert auf meinen Teller, aber sagte nichts. Währenddessen liefen Renn-Replays auf den alten Fernsehern, auch eins, bei dem Lars noch Glimsy in Visby gefahren war.
      „Das war ihr letzter Sieg“, erzählte Nour und nickte in Richtung des Bildschirms.
      “Der letzte, ist sie seitdem keine Rennen mehr gelaufen?”, fragte Mateo interessiert nach.
      „Doch eins noch“, erzählte Lars und stopfte sich eine Fritte in den Mund, „aber da hatte sie einen Gangfehler und dann haben wir sie aus dem Training genommen.“
      „Erst einmal“, fügte Nour überzeugt hinzu, ”die schweren Traber können bis vierzehn Jahre noch bei Rennen mitlaufen, die nur für sie sind.”
      “Oh, interessant. Also soll sie noch ein paar Erfolge einfahren?”, nickte der Schweizer.
      „Schafft die Dicke doch gar nicht mehr“, gab nun Nelly mit ihr außergewöhnlichen lieblichen Stimme zu verstehen und funkelte Lars an, der umgehend auf den Flirt einging. Verwundert schielte ich zu Basti, der in aller Ruhe weiter aß.
      „Ich zeige dir gleich mal Dick!“, empörte sich Nour, „die schafft im Training gut und gerne 1:15,6!“
      “Warum mobben denn alle immer die armen Ponys nur, weil sie kräftiger sind”, trug auch Lina bei, die sich bereits bei mir regelmäßig beschwerte, wenn ich über die Körperform ihrer kleinen Kugeln sprach.
      „Die hat schon ziemlich an Rennfigur verloren“, stellte Lars ebenfalls fest. Dann nahm er einen Schluck aus meinem Bier, nur weil sich dazu entschloss, eine Cola zu bestellen.
      „Hey!“, beschwerte ich mich, aber er reagierte gar nicht.
      “Bodyshaming ist auch bei Ponys nicht okay”, beschwerte sich die Kleine und verteidigte weiterhin die dunkle Traberstute.
      „Mit eins sechsundfünfzig ist sie über Endmaß“, erklärte Lars zunehmend genervt von uns. Als wäre es so ein Drama, wie wir die Pferde bezeichnen. Nun rollte ich mit den Augen und erhob mich von der Bank.
      „Ich gehe mal an die frische Luft“, erklärte ich freundlich.
      „Warte, ich komme mit“, stand auch Basti auf und nahm die Schachtel vom Tisch in die Hand. Lina murmelte etwas, dem Klang nach in ihrer Muttersprache, was auf einen vermutlich nicht so freundlichen Inhalt schießen ließ. Mateo vereitelte allerdings ihre Anstalten mir zu folgen, indem er sie mit einem intensiven Blick bedachte und kaum merklich den Kopf schüttelte. Irritiert zuckte ich mit den Schultern und verschwand mit Basti im Schlepptau zur Tür hinaus. Dog wollte uns nach, aber Lina hielt ihn zurück. So standen wir also allein vor dem heruntergekommenen Gebäude, das von außen einen neuen Anstrich gebrauchen könnte. Obwohl der Alkohol in meinem Blut die Gedanken lockerte, brachte er meinen Mund nicht in Bewegung.
      „Jetzt muss ich nachfragen“, sagte er plötzlich und schloss den Reißverschluss bis zum Kinn, aufmerksam blickte zu ihm, ohne lange Augenkontakt zu halten, „Warum hat Nour mich gefragt, weshalb wir uns nicht unterhalten?“
      Irritiert runzelte ich die Stirn.
      „Das wüsste ich auch gerne“, antwortete ich stammelnd und zog an meiner Zigarette.
      „Also“, er seufzte und hielt für einen Moment inne, „sind die Gerüchte reine Fiktion?“
      Ich schluckte, als wäre ein großer Klumpen in meinem Hals, der mir die Luft abschnürte, aber der Alkohol sprach aus mir.
      „Was denn für Gerüchte?“, fragte ich weiterhin verwundert und unsicher darüber, was Nour herumerzählte. Jemand anderes würde wohl kaum Puzzle legen können, wie sie. Egal, worauf das Gespräch hinauslaufen würde, ich wäre abermals der Idiot. Den Titel konnte nur ich mit stolzer Brust tragen.
      „Es überrascht mich, dass du nichts weißt“, antwortete er, ohne direkt auf meine Frage einzugehen. Als ich Augen wieder öffnete, stand er einen Schritt näher vor mir. Ein leichter Geruch von Aftershave lag in der Luft, wenn nicht gerade die Zigarette diesen übertünchte. Ich nahm einen tiefen Atemzug, um ihn abspeichern und über den Kamin aufstellen, wie ein wichtiges Artefakt.
      „Dann kann ich dir leider nicht helfen, sonst du musst sie selbst fragen“, stellte ich zur alternativen Wahl der Informationsbeschaffung.
      „Vriska - du heißt oder so, oder?“, fragte Basti unsicher nach, was ich mit einem Nicken bestätigte, „es stimmt schon, wenn ich so darüber nachdenke, bist du ziemlich oft, zufällig da.“
      Ertappt, strömte es direkt durch meinen Kopf und ich drehte mich weg, als würde ich jemanden suchen. Natürlich hatte ich gehofft, dass Lina noch nachkam und mir in der schweren Situation weiterhalf, aber sie konnte nicht jede Entscheidung treffen und hatte selbst genug zu regeln.
      „Vielleicht gehe ich besser rein“, lenkte ich dann ab, obwohl meine halbe Zigarette noch in der Hand hielt, oder besser gesagt, umklammerte.
      „Vielleicht besser nicht“, antwortete Basti direkt, „sonst können wir nichts Nours Wunsch erfüllen.“
      „Okay“, murmelte ich. Ein zartes Lächeln huschte über meine Lippen.
      „Aber ich bin neugierig. Warum stehen wir jetzt hier zusammen vor dem Restaurant und rauchen?“, konnte er von dem Thema nicht ablassen.
      „Woher soll ich das Wissen?“, wurde ich auf einmal zickig, schließlich konnte ich meiner Flucht nicht nachgehen.
      „Na, was denn jetzt los?“, tadelte er scherzhaft.
      „Es tut mir leid, es ist nur“, ich stockte. Meine Knie zitterten und in meinem Kopf explodierte es förmlich, egal welcher Gedanke in den Vordergrund trat, ich verwarf ihn. Alles, was ich wollte, war ihm meine Gefühle zu offenbaren, aber es wirkte so banal und schwachsinnig, dass er sicher Abstand neben würde.
      „Es ist nur, was?“, blieb er beharrlich. Seine Geduld schmeichelte mir wirklich. Aber ich konnte es ihm nicht sagen. Was sollte er von mir denken? Allerdings bemerkte ich, dass es der richtige Moment sein könnte, so ungestört und ohne echten Druck.
      „Es ist nur so, dass“, an derselben Stelle stoppte ich wieder, „ich finde dich gut“, verschluckte ich bestmöglich die Worte. Regungslos stand Basti vor mir und überlegte offenbar, wie sehr er mir das Leben zur Hölle machen könnte.
      „Dann lasse ich dich besser in Ruhe, bevor es Streit mit deiner Freundin gibt“, fügte ich kleinlaut hinzulief zur Tür.
      „Stopp, warte“, rief er mich zurück, „meine Freundin? Was sprichst du da bitte? Wir sind seit Wochen getrennt.“
      „Okay“, murmelte ich.
      „Und da kannst du mich nicht allein lassen, nachdem du so etwas gesagt hast. Ich muss das doch erst einmal verarbeiten und es kommt nicht alle Tage vor, dass man das hört“, erzählte er fröhlich weiter. Mich überraschte es, wie gefasst er den Umstand annahm. Nun, wenn ich mir eingestand, gab Schlimmeres im Leben.

      Sonntag, am Morgen
      Trabrennbahn Visby

      Aufgeregt huschte durch den Stall. Die wenigen Stunden Schlaf hatte ich mir selbst zuzuschreiben. Ich wälzte mich auf einer Seite zur anderen, um auf gar keinen Fall, Lars zu nah zu sein, schaute andauernd auf den abgedunkelten Bildschirm meines Handys, in der Hoffnung eine Nachricht von Basti erhalten zu haben. Nach dem, man könnte sagen, befreienden Gespräch, hatte ich ihm meine Nummer gegeben und er hatte versprochen, mir zu schreiben. Bisher kam keine Nachricht, aber in dem Moment, wo ich am wenigsten daran dachte, vibrierte es in meiner Tasche. Ich stand auf dem Tritt neben Walker, der angebunden in der Box stand und währenddessen sein Frühstück inhalierte. Mit den Fingern fummelte ich zeitgleich einen Zopf für den Start. Als ich die Hände wieder freihatte, sprang ich umgehend von Tritt und holte mein Handy hervor.
      „Godmorgon, warte auf dich vor dem Stall“, las ich und vermutlich stürmte ich nie schneller aus einer Box, wie in dem Moment. Tatsächlich stand er da, in einer Jeans und seiner Rennjacke in blau-weißer Stallfarbe am Oberkörper. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als ich wie vom Teufel gejagt vor ihm stand, wirr ums Haar und leicht außer Atem. Noch bevor ein Wort fiel, bot Basti mir ebenfalls eine Zigarette an und wir liefen einige Meter zur Seite. Ein Fahrer in grün-weiß, mit niedlichen Rauten auf der Rückseite fuhr an uns vorbei und murmelte unverständlich, aber der Stimmlage nach, hatte er schlechte Laune.
      „Und, schon aufgeregt?“, ergriff Basti das Wort, nach Minutenlangen schweigen. Ich blickte ihn durchgehend an, ohne mein breites Grinsen verbergen zu können.
      „Es geht. Toots ist gut vorbereitet und hat mir gestern in der Qualifikation gezeigt, dass sie schneller will und auch kann“, erzählte ich zuversichtlich.
      „Toots? Heißt die Stute so?“, fragte er verwundert.
      Ich lachte.
      „Nein, Northumbria, aber sie hat viele Spitznamen und das ist mein liebster“, informierte ich.
      „Verstehe“, nickte er. „Also werde ich bei deinem Sieg dabei sein?“
      “Sehr gewagt, mich unter solchen Druck zu stellen”, grinste ich und zog ein weiters Mal an der Zigarette. “Und was ist mit deinem Hengst? Wird er es heute zum Ende schaffen?”, wechselte ich gekonnt, das Thema.
      “Na, jetzt werden wir nicht direkt frech“, scherzte er.
      „Aber er galoppiert wunderbar“, gestand ich.
      „Damit kann ich nur leider nichts anfangen, aber ja. Ich denke, dass er heute geschmeidiger läuft“, sagte Basti noch, bevor jemand von Seite dazu kam.
      “Guten Morgen”, grüßte Lina freundlich, obwohl sie noch ein wenig verschlafen wirkte. Die Leine, die sich umgehängt hatte, zeugte davon, dass es wohl Dog war, der sie aus dem Bett holte, den ich zurückließ, weil er noch friedlich schlief, als ich in den Stall ging.
      “Dann lasse ich euch Schnuckis allein”, verabschiedete sich Basti mit einem Grinsen und noch bevor ich Einspruch erheben konnte, bog er in Stall vier ein. Sehnsüchtig hing mein Blick an ihm, bis ich mich an Lina wandte.
      “Du hattest offenbar auch nur wenig Schlaf”, ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen, schließlich führte mein Weg durch den Transporter unweigerlich an ihrer Schlafkabine entlang. Den Vorhang hatten sie nicht geschlossen, also sah ich beide friedlich ruhend. “Mateo scheint ziemlich bequem zu sein.”
      “Ja, indirekt. Es ist mehr, dass er sehr Raum vereinnahmend ist und so viel Platz ist dort ja ohnehin nicht”, erklärte sie und begann sich ausgiebig zu strecken.
      “Ich lasse das so stehen, weil ich heute gute Laune habe”, zwinkerte ich ihr zu, “Frühstück?”
      “Ja, klingt nach einer guten Idee”, nickte sie.
      Im Stall räumte ich noch die stehengelassenen Gegenstände zur Seite und fütterte Humbria, die ich in der Aufregung beinah vergessen hatte. Eingeschnappt schnaubte sie in den Trog voller Hafer, als ich die Schüssel ausschüttete. Zur Entschuldigung legte ich noch einen Apfel dazu, denn ich mir frecher Weise von jemand anderes aus dem Netz stibitzt hatte. Einen prüfenden Blick schweifte ich den Stall, bevor wir zurückliefen.

      Vorbereitet stand eine kleine Auswahl am Frühstück im Transporter bereit, die Lars mit seiner Schwester gezaubert hatte. Es war kein Festmahl, aber um nicht vom Sulky zu fallen, alle Male ausreichend. So aßen wir in Ruhe, unterhielten uns über die kommenden Rennen und Mateo überlegte, wie man Lina beschäftigen könnte. So kam auch das Thema der Wildpferde wieder auf.
      „Also, ich hätte ab vierzehn Uhr Zeit und die letzte Fähre am Abend, bekommen wir ohnehin nicht, wenn Lars um achtzehn Uhr dreißig noch das Rennen hat mit Plano“, erklärte ich, als ich die leere Schüssel zur Seite geschoben hatte.
      „Was hältst du denn davon, wenn wir uns dann mit Vriska die Ponys anschauen gehen, Lina? Würde dir das mehr Freude bereiten als hier zu sein?“, wandte sich der Schweizer an die Kleine, die mittlerweile ein klein wenig aufgeweckter wirkte.
      „Finde ich gut, den Vorschlag“, lächelte sie. Die Aussicht darauf, nicht den ganzen Tag hier auf der Rennbahn zu verbringen, weckte augenscheinlich die Energien in ihr.
      “Dann werde ich schon mal ein Mietwagen reservieren”, nickte ich und holte mein Handy aus der Hosentasche. Keine Nachricht von Basti, aber anderes hatte ich es auch nicht erwartet. Die Finger schwebten über den Bildschirm, bis ich einen kleinen BMW auswählte für den frühen Nachmittag. “So, alles bereit.”
      „Perfekt“, strahlte Lina sogleich. In derselben Sekunde vibrierte ihr Handy auf dem Tisch vernehmbar. Natürlich sah sie auch direkt nach, was es denn von ihr wollte.
      „Naww, Rambi akzeptiert Ivy endlich“, verkündete sie sogleich verzückt und präsentiert ein Foto welches Samu ihr gerade geschickt zu haben schien. Besonders spektakulär war das Bild nicht, es zeigte lediglich das kräftige dunkle Pferd, welches genüsslich an sein Heu knabberte. Ivy daneben Strecke nur vorsichtig und mit langem Hals die Nase in die schmackhaften Halme, als erwarte er jeden Moment verscheucht zu werden. Zugegeben, sein Blick dabei, sah ziemlich niedlich aus.
      „Das ist doch schön“, stimmte ich ihr zu.
      Mit Nour zusammen räumte ich den Tisch ab und spülte sogar das Geschirr ab. Lars nutzte den kurzen Augenblick der Ruhe von seiner Schwester, um den Transporter zu verlassen. Wo er genau hin verschwand, wollte er nicht erzählen, aber Mateo folgte ihm. Männersachen offensichtlich. Angeregt tippte Lina noch einen Moment auf ihrem Handy herum, bevor sie aufblickte, ein neugieriges Funkeln in den Augen.
      „Vriska, sag mal, war deine Begegnung mit Basti vorhin eigentlich Zufall?“, fragte sie hoch interessiert.
      „Wenn wir jetzt endlich zu dem Thema kommen, kannst du auch noch direkt von gestern erzählen! Du hast so gestrahlt und er wirkte auch zufriedener als sonst“, warf Nour umgehend ein. Allerdings schwebte in meinem Kopf, was er mir berichtete.
      „Ich erzähle gar nichts, schließlich konntest du auch nichts für dich behalten“, antwortete eingeschnappt an sie gerichtet.
      „Was soll das denn heißen? Ich habe nur mit ihm gesprochen über dich, sonst wusste es keiner“, empörte sie sich.
      „Es wird wohl kaum Lars gewesen sein“, gab ich zu bedenken und schüttelte ungläubig den Kopf, dabei stellte ich die Teller abgetrocknet zurück ins Regal.
      „Ohhhh doch! Der kann eine ziemliche Tratschtante sein“, fiel sie ihrem Bruder in den Rücken. Dennoch änderte es nichts an meiner Meinung, dass bald der ganze Platz davon wissen würde, wenn es noch nicht Runde machte.
      „Kann mich einer aufklären, was hier überhaupt das Problem ist?“, fragte Lina und blickte irritiert zwischen uns beide her.
      „Es wird bereits herumerzählt, dass ich auffällig oft in seiner Nähe bin und ich glaube kaum, dass jemand so involviert ist, um mich zu kennen!“, kam ich Wort für Wort mehr in Range. Nachdenklich sah Nour in die Luft.
      „Zugegeben, das klingt ziemlich nach mir“, gab sie zu und atmete kräftig durch, „aber wie zuvor erwähnt Lars erzählt auch gerne, um zu prahlen und er ist schon länger in Kenntnis davon als ich.“
      Tatsächlich erkannt ich, dass sie recht hatte. Als er zu Marlene verschwand, gab er bereits Tipps, obwohl Lars unmöglich etwas wissen konnte. Außer … mir fiel es wie Schuppen von den Augen. An einem Abend hatte ich meinen Laptop nicht ausgemacht und schlief auf der Couch ein. Vielleicht hatte er sich für einen Augenblick meine offenen Tabs angeschaut?
      „Oh, ja, das klingt tatsächlich nach einem Problem“, stellte die kleine Brünette wenig hilfreich fest.
      „Aber wenn ich es offenbar nicht war, kannst du es doch erzählen?“, sprach Nour jedes Wort behutsam, als wäre ich chinesische Vase mit Rissen, die jeden Moment vom Schrank fallen würde.
      „Also gut“, ich seufzte und hängte das nasse Geschirrtuch um einen Griff der Küchenwand. Dann setzte ich mich an den Tisch. „Gestern haben wir uns minimal Unterhalten, weil du“, dabei sah ich bedrohlich zu Nour, die nur grinste, „ihm gesagt hast, dass er sich mit mir unterhalten solle.“
      „Das stimmt so gar nicht! Ich habe ihm nur einen Anstoß gegeben, damit du Anschluss findest in der Szene“, warf sie ein.
      „Auf jeden Fall, vielleicht ist mir im Rausch der Gefühle herausgerutscht, dass er mir gefällt“, ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Das auszusprechen im Nachhinein, fühlte sich unglaublich demütigend an.
      Linas Augen wurden groß: „Wow, das ist aber ein schneller Übergang von Vergessen der Sprachkompetenz, gleich hin zu ersten Geständnissen. Was hat er dazu gesagt?“
      „Zumindest hat es ihn nicht verschreckt“, lachte ich, „und ich schätze, dass es ihm schmeichelte, denn er wollte nicht, dass ich gehe. Ach, und meine Nummer wollte er auch.“
      „Oh, so kennt man ihn gar nicht. Sonst muss man ihm alles erklären, von selbst kommt er auch keine Idee. Aber das scheint für dich zu sprechen“, lachte Nour.
      „Oh wie schön, ich freue mich für dich“, grinste die Kleine und ich glaube beinahe die Herzchen in ihrem Augen sehen zu können.
      „Jetzt macht die jungen Pferde nicht scheu. Es bleibt abzuwarten, ob es was wird, schließlich gibt es noch Hindernisse zu überwinden. Auf Rennen mag es schön sein Mal zu reden, aber wer weiß“, bremste ich die beiden Mädels umgehend, vermutlich auch mich selbst. Gestern Abend hatte ich provisorisch nachgeschaut, die Heiraten hier im Norden funktioniert und festgestellt, dass Schweden im Vergleich zu anderen europäischen Ländern seine Vorzüge hat. Selbst ein wunderschönes schwarzes Kleid fiel mir ins Auge. Unentschlossen seufzte ich, als mein Handy vibrierte. Sofort sah ich nach, unter den drängenden Blicken der anderen. Allerdings war es Erik, der gerade Maxou zurückgestellt hatte und sich freuen würde, wenn ich nächstes Mal auch da wäre. Ohne zu antworten, steckte ich es zurück.
      „Ich glaube diese Hindernisse nimmst du mit Leichtigkeit“, ließ Lina sich ihre Freude nicht nehmen, „Du hast mit Happy, ja bereits gezeigt, wie gut du das kannst.“
      „Wow, dass“, stammelte ich, „schlechter Wortwitz.“
      Gemeinsam lachten wir.

      Stunden später stand ich im Stall und begrüßte Humbria, die mich mit gespitzten Ohren genau beobachtete. Obwohl ihr Fell glänzte unter Decke, putzte ich in Ruhe. Wir hatten noch mehr als eine Stunde, bevor die Parade begann und ich wollte nur ein leichtes Warm-Up fahren. Lars, der nachgekommen war, machte Vision fertig, der in Rennen vor mir lief. Aber seine Aufmerksamkeit hing an drei Männern, die vor Walker Box standen und über diesen sprachen. Hallend trugen sich die Worte zu uns, aber durch den Dialekt konnte ich kaum eins verstehen. Meinen Kollegen ließ die Sache nicht los, stattdessen blickte er unentwegt hinüber, bis er sich entschloss, der Sache auf den Grund zu gehen.
      > Kan jag hjälpa dig?
      „Kann ich ihnen behilflich sein?“, fragte er höflich und begann zu grinsen, als sich einer von ihnen, zu ihm drehte. Offensichtlich kannte er die Männer und wechselte sofort die Stimmfarbe in der Unterhaltung.
      „Kennst du sie?“, flüsterte ich Humbria zu, die im Stroh nach Ähren suchte.
      Nun wurde ich neugierig und putzte in Zeitlupe weiter das Fell, allerdings dieselbe Stelle, immer und immer wieder.
      „Vriska, komm bitte her“, rief Lars schließlich. Die Bürste legte ich zurück in die Kiste und schloss hinter mir die Box. Einer der Herren kam mir mit seinen Gesichtszügen bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht so recht einordnen. Als sich dann der ältere neben ihm, ebenfalls zu mir drehte, erkannt ich eine weitere Ähnlichkeit, vermutlich sein Vater.
      „Weißt du, was Walker dreijährig beim Breeder’s Crown gelaufen ist?“, erkundigte sich mein Kollege.
      „1:08,2“, sagte ich wie aus der Pistole geschossen.
      „Nicht schlecht“, nickte der älteste der drei.
      „Würdet ihr ihn verkaufen?“, fragte der jüngere, den Lars erkannt hatte. Der Dritte im Bunde stand nur schweigend da und beobachtete, wie der Perlino sich in der Box drehte und zwischendurch einen schrillen Schrei durch den Stall sendete. Ohne Lina oder Nour war der Hengst nur schwer zu bändigen, zeigte sich in größter Ungeduld.
      „Das liegt außerhalb meiner Verfügung, aber Tyrell hat bisher nicht darüber gesprochen, dass wir ihn abgeben. Aber er deckt an der Hand“, erklärte ich möglichst höflich und sah mich um, ob Nour in Hörweite war, aber nein. Zum Glück entging sie diesem Unheil.
      „Nun gut, danke“, sagte der Jüngere. Mir kam es noch immer seltsam vor, dass sich keiner vorgestellt hatte.
      > Är det Bastis lilla flicka?
      „Ist das die Kleine von Basti?“, flüsterte der bisher schweigende dem jüngeren zu. Glücklicherweise hatte ich mich bereits umgedreht und lief zu Humbria, somit konnte sie mein vor Scham gerötetes Gesicht nicht sehen.
      > Jag tror inte det. Hon är fortfarande ett barn.
      „Ich denke nicht. Sie ist doch noch ein Kind“, antwortete der Ältere. Lars enthielt sich, zumindest mit Worten, dem Gespräch. Eigentlich hätte ich mir gewünscht, dass er ihnen gesagt hätte, dass ich schon über zwanzig war, dementsprechend kein Kind mehr.
      Mich beschäftigte die Situation eine Weile, auch als ich schon im Sitz saß und die erste Runde im Schritt auf dem Geläuf drehte. Am Himmel kämpfte sich die Sonne durch die Wolken, zauberte einige Strahlen auf den feuchten Boden. In den Hufabdrücken schimmerten kleine Wasseransammlungen, während unter den Eisen es plätscherte. Ich fuhr dicht am Rand und Lars trabte bereits mit dem braunen Hengst, der flink durch den Matsch hetzte. Durch das Paar vor ihm, war seine Brust vollkommen verschmutzt. Auch von meinem Rennen huschten einige Pferde an mir vorbei und die Zweifel kamen wieder, wieso ich das überhaupt tat. Doch die Sonne brachte mir eine Erleuchtung. In der zweiten Kurve stand Basti und grinste, als ich ihn bemerkte. Neben ihm standen die Leute aus dem Stall und ich sah schnell zurück auf den Pferdepo. Mit einem einfachen Schnalzen trabte ich Humbria an, um so schnell wie möglich aus der Kurve zu sein. Den Blicken zu folgen, begriffen sie gerade, dass das „Kind“ jene Vermutung war. Allein die Vorstellung, im Vorfeld derartig verurteilt worden zu sein, bestärkte mich, dass ich mir zu viel auf die Schultern gelegt hatte. Seufzend trieb ich Humbria etwas schneller, damit mehr Takt in den Trab kam. Bisher war der Zweitakt noch durch kurze Töltphasen verschoben und nun setzte sie entspannt voran. Auch in der zweiten Runde standen sie noch an Ort und Stelle, was nur bedeuten konnte, dass ich mir Mühe geben musste.
      Für das Kaltblutrennen räumten wir das Geläuf und ich reihte mich hinter den anderen ein, die im Schritt auf dem Weg fuhren, der neben der Bahn entlanglief. Dicht wendete ich bei Basti, versuchte aber den Blick an meinem Pferd zu halten, um keinen Stoff für weitere Gerüchte zu produzieren. Allerdings machte er mir einen Strich durch Rechnung und kam angelaufen. Ruhig pfiff ich, wodurch Humbria anhielt. Gelassen schnaubte sie ab und rieb sich den Kopf am Bein. Die Brille schob ich auf den Helm, um ihn besser sehen zu können.
      „Bei deiner plötzlichen Flucht, konnte ich dir gar keinen Erfolg wünschen“, sagte Basti und klopfte der Stute auf den Po.
      „Du bist doch einfach verschwunden“, grinste ich siegessicher.
      „Es wirkte wichtig, da wollte ich kein Störfaktor sein“, wandte er ein, nun begann sich Humbria an ihm zu reiben, den hellen Teil der Jacke mit dunklen Flecken zu versehen. Sie hörte erst auf, nachdem Basti sie mehrfach weggedrückt hatte.
      „Du bist kein Störfaktor“, murmelte ich mehr, als dass es voller Elan aus meinem Mund kam, zu groß die Sorge, dass es jemand mitbekam.
      „Dein Riese sieht das ganz anderes“, scherzte er, „aber sie sieht wirklich toll aus und ihre bisherige Form spricht auch für sich.“
      „Danke dir“, schmunzelte ich.
      „Also streng‘ dich an. Ihr könnt das schaffen“, versuchte er mich zu ermutigen.
      „Ich möchte nichts riskieren. Es ist ihr erstes Rennen nach monatelangen Reitpferdetraining. Wir wollen Spaß haben, bis mein Hengst fertig ist“, erklärte ich.
      „Dein Hengst?“, wiederholte er und stellte sich zu mir.
      „Ja, deswegen war ich Malmö. Wenn er so weiter macht, könnte ich in einem Monat die Qualifikation reiten“, berichtete ich ihm.
      „Reiten? Ich verstehe nicht, was du meinst“, gestand Basti und kratzte sich am Kinn.
      „Gut, das hätte ich weiter auslegen sollen. Happy ist ein S-Dressurpferd und möchte mit ihm zur schwedischen Meisterschaft.“
      „Dressur“, ungläubig nickte er, „also bist du eins von den Prinzesschen, die sich auf ihrem Erfolg ausruhen und nur im Sattel sitzen. Verstehe.“
      Es tat in der Seele weh, als er das zu mir sagte, mit solcher Überzeugung, dass es unmöglich schien, ihn ein weiteres Mal zu sehen. Wortlos setzte ich Humbria in Bewegung und drehte sich weg. Ein letztes Mal drehte ich mich nach ihm, aber er setzte ununterbrochen seinen Weg fort. Das hatte ich gehörig vergeigt.

      Lars schaffte es mit Vision auf den zweiten Platz, während ich volles Risiko mit Humbria fuhr, in der Hoffnung, es bei Basti wieder gutzumachen oder eher, ihn zufrieden zu stimmen. Leider sprang mir die Stute dabei heraus, drei Sprünge Galopp und dann folgte wunderbarer Pass, den ich allerdings nicht gebrauchen konnte. Niedergeschlagen lobte ich sie dennoch, schließlich hatte sie bis zum Schluss ihr Bestes gegeben. Am Tor wartete niemand auf mich, weder Lars noch Nour. Selbst Lina und Mateo schienen wie in Luft aufgelöst zu sein. Dementsprechend stieg ich ohne Hilfe ab und führte Humbria an den anderen Teilnehmern vorbei. Sie schnaubte entspannt ab, aber Bammel hatte ich trotzdem. Zurück im Stall nahm ich ihr jegliches Gurtzeug ab, gab ihr Futter und ordnete alles an seinen Platz.
      „Nächstes Mal wird besser“, flüsterte ich in ihr Ohr und blieb zuversichtlich. Eine Hilfe ging zu weit, die folgende zu spät, deshalb lag der Fehler bei mir. Ich hätte gern noch Lars‘ Meinung gehört, aber am Abend würde sicher noch eine Feedbackrunde folgen.
      “Oh, du bist ja bereits fertig”, tauchte Lina plötzlich an der Box auf, “Und, wie war Pilzi?”
      „Also warst du auch nicht da“, seufzte ich nach dem ersten Schreck, dass die Brünette durch den Spalt mich im Stroh entdeckte.
      “Ja, tut mir voll leid”, entschuldigte sie sich, “ Ich wollte schauen kommen, aber du kennst meinen Orientierungssinn. Auf dem Weg zur Toilette habe ich mich verlaufen.”
      „Schon gut, meine Disqualifizierung direkt im Ziel hat damit keiner ertragen müssen“, murmelte ich weiterhin abwesend, mit den Augen an der Stute hängend.
      “Du wirkst aber nicht als sei alles gut. Ist sonst etwas vorgefallen?”, hakte sie sanft nach.
      „Niemanden hat interessiert, was ich getan habe. Niemand, keiner“, japste ich, spürte, wie erste Tränen an meiner Wange herunterliefen. Sofort trat sie zu mir in die Box und schlang die zarten Arme um mich herum.
      “Vriska, mich interessiert es, was du tust, ansonsten wäre ich nicht hier”, sprach sie einfühlsam.
      „Du bist hier, weil Mateo das wollte“, blieb ich kleinlaut am Boden sitzen, „ach und Basti hasst mich“, murmelte ich direkt.
      “Naja, Mateo hat es zwar induziert, aber sein Hauptargument war eigentlich, dass du wohl ein wenig moralische Unterstützung gebrauchen könntest”, erklärte sie, “Aber warum, glaubst du, dass Basti dich hasst?”
      Undefiniert brummte ich und richtete mich schließlich auf. Die einzelnen Strohhalme sammelte ich von der Hose ab, bevor ich auf die Frage antwortete: „Er hat gesagt, dass ich unfähig bin.“
      „Ich denke nicht, dass er das sagte“, bedachte sie nachdenklich.
      „Indirekt schon. Ich erzählte von Happy und dass ich nur vorübergehend fahre, bis er für die Meisterschaft so weit ist und er meinte, dass ich mich wie alle Dressurreiter wohl nur auf meinem Erfolg ausruhe, nichts dafür tue“, seufzte ich. Mit Lubi mag das der Fall sein, dennoch konnte ich die hübsche braune Stute nie auf einem Turnier zeigen. Ungefähr zu der Zeit wäre unsere erste Prüfung gewesen, was mich mittlerweile mehr traf, als ich mir eingestand.
      “Nimm das doch nicht einfach so hin, sondern zeige ihm, dass es auch etwas anderes gibt als Prinzesschen auf teuren Pferden”, redete sie mir gut zu, “Außerdem, dass du mit dem Pilzi hier bist, zeigt doch bereits, dass du wohl nicht ganz so klassisch unterwegs bist.”
      „Stimmt schon“, stand ich mir frustriert ein. „Aber wir müssen los, die Ponys warten nicht ewig.“

      Obwohl die Sonne sich zunehmend dem Horizont näherte und ich mich über mein Verhalten ärgerte, fuhren wir den Weg aus der Stadt heraus, in ein Gebiet, in dem sich die Ponys am häufigsten aufhielten. Im Winter wurden sie zugefüttert, so war es nicht untypisch, dass weiterhin im März nach Futter an besagten Orten gesucht wurde. Zumindest erzählte uns das die Dame im Pferdemuseum, das wir zuvor inspizierten. Ich versuchte mich begeistert von allem zu zeigen, aber Lina spürte, dass ich nicht bei der Sache war und lächelte mich warm an.
      „Das wird schon“, sagte sie, bevor Mateo wieder das Wort ergriff. Er fühlte sich sicher, dass wir die verwilderten Pferde finden würden und hielt schon seit Minuten Ausschau.
      „Ich glaube, da war eins“, rief er dann und ich trat umgehend die Bremse. Am Wegesrand stellte ich den kleinen Wagen ab. Gemeinsam stiegen wir aus und die beiden liefen vor, um sich durch das Dickicht zu kämpfen. An den mannshohen Büschen hingen kleine Fellfetzen, der Boden aufgewühlt von kleinen Hufabdrücken und einige Bäume wiesen ebenfalls auf Treiben der Wildpferde hin. In kleinen Schritten setzten wir durch die Natur, um keine Spuren zu hinterlassen. Handzahm seien sie nicht, erinnerte ich mich aus dem Artikel, aber mich durch trieb das ungewisse Gefühl, dennoch eins anfassen zu wollen. Meter um Meter setzen wir tiefer in den Wald und ich zweifelte, ob sie wirklich da waren. Doch gerade, als ich anmerken wollte, dass wir uns verlaufen würden, hielt Mateo an, den Finger auf die Lippen gelegt. Auf einer Lichtung, nur wenige Schritte entfernt graste eine Herde junger Tiere, die Mähne lang und zerzaust, ihre Hufe in einem schrecklichen Zustand und andere rollten mehr, als dass sie liefen.
      “Die sind ja niedlich”, hauchte Lina, die ganz eingenommen von dem Anblick war. Vorsichtig, um keine Geräusche zu verursachen, bekam sie auch sogleich ihr Handy hervor, um den Moment in Form von Pixeln festzuhalten.
      „Vielleicht sollten wir die Isländer von der Weide lassen“, schlug ich leise lachend vor. In zwei Jahren würden vermutlich die Tiere ebenso unförmig und verwildert aussehen.
      “Ich fürchte, das Naturschutzamt wäre davon nur wenig begeistert”, schmunzelte der Schweizer und auch Lina erklang ein unterdrücktes Lachen.
      „Aber unser Gestüt ist Privatgelände und mindestens genauso groß“, stellte ich trocken fest, „und vermutlich bekommen wir im Juni noch den Küstenabschnitt, samt Wald westlich vom Hof.“
      “Dann will ich sehen, wie du den Ponys erklärst, wo das Gelände aufhörst”, grinste die Kleine.
      „Zaun?“, fiel ich wie aus allen Wolken, ich dachte, dass es offensichtlich sei, wie Geländegrenzen gesetzt werden.
      Von der Seite kam eine Stute in kleinen Schritten, nebenher trottete ein zartes Fohlen, der Größe zu Folge kaum älter als eine Woche. Die dünnen Beine mit großen Gelenken stampften unsicher den weichen Waldboden. Es lief neugierig zu Lina und stupste sie an der Hand an. Kaum zog ich mein Handy heraus, um es für sie festzuhalten, sprang es panisch zur Seite und trabte zur Mutter zurück, die auf sicheren Abstand angehalten war. Die kleine Brünette sah aus, als würde sie gleich vor Niedlichkeit zergehen.
      “Wie kann man nur so putzig sein”, wisperte sie verzückt, “Können wir eins mitnehmen?” Ihre Augen leuchten immer mehr, je länger sie die plüschigen Tiere beobachtete. Skeptisch bewegte sich mein Blick zwischen ihr und Mateo, der sich nicht dazu äußerte, sondern geduldig die Pferde beobachtete.
      „Tendenziell hast du schon genug und wie war das mit, ‚keine Pferde sammeln‘? Langsam wird es zur Sucht“, versuchte ich ihr ins Gewissen zu reden.
      “Aber ich habe doch nur … zwei”, versuchte sie sich die Sache schönzureden. Dennoch überlegte ich, welchen Teil ich schon wieder verdrängt hatte. Kritisch blickte ich sie an: “Nur zwei? Und was war dann das Gejammer am Mittwoch?”
      “Lina, wovon spricht sie?”, fragte der Schweizer verwundert. So langsam schien auch Mateo zu begreifen, dass sie es tatsächlich ernst meinte.
      “Sie spricht von Rambi”, murmelte Lina kleinlaut, “aber wenn mir nicht bald was einfällt, wird das ohnehin nichts.”
      “Musst du wohl einen reichen Kerl heiraten”, scherzte ich und drehte mich weg, um auch zu versuchen, an eins der Plüschkugeln heranzukommen. Allerdings setzten sie sofort weg, wenn ich nur einen Zentimeter zu nah kam.
      “Wirklich lustig”, rollte sie mit den Augen, „Niklas würde das sicher machen, aber ich kann mir doch nicht ständig Pferde kaufen lassen.” Verständnisvoll nickte der Schweizer.
      „Hast du bereits an eine Teilhaberschaft gedacht? Ich könnte mir vorstellen, dass meine Schwester durchaus Interesse an dem Hengst haben könnte“, schlug er schließlich vor. Obwohl ich besten Willen versuchte, mich aus ihrem Gespräch herauszuhalten, hingen meine Ohren an ihren Mündern. „Teilhaberschaft, wie funktioniert das?“, fragte sie stirnrunzelnd, als sei ihr der Begriff nicht geläufig.
      „Man kann auch Besitzergemeinschaft sagen“, warf ich unbekümmert ein, „das ist im hohen Sport nicht unüblich. Besonders wenn es um viel Geld geht.“
      Augenblicklich spürte ich, dass ich mich abermals im Ton vergriffen hatte, aber seit dem Debakel mit Basti, konnte ich meine Stimmung nicht mehr verbergen. Mir tat es für die anderen leid, nur zu ändern war nichts daran. Es schien, als würde ich mich ihr überlegen fühlen, dabei hatte ich es auch nur von Lars aufgegriffen, der mit Tyrell regelmäßig über Hengste und Anteilverkäufe philosophierte.
      „Mhm, du glaubst also nicht, dass ich mich damit lächerlich mache? Immerhin ist Rambi so wertvoll nun auch wieder nicht.“ Unsicher blickte sie Mateo an, bevor ihr Blick sich wieder auf die Tiere richtete. Besonders als sie eines der kleinen braunen Pferdekinder betrachtete, welches an der Seite seiner Mutter den ersten Grashalm probierte, wurde ihr Blick verträumt.
      “Quatsch, frage Sam einfach”, sprach Mateo ermunternd, “Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie dem abgeneigt sein wird.” Lina nickte nur beiläufig, bekam die Augen nicht von dem kleinen Fellknäuel los.
      „Wenn du dir so viel Gedanken um seinen Preis machst, scheint er aber wertvoll genug zu sein, um über Teilung nachzudenken“, mischte ich mich ein, „und vielleicht stellt sie ihn auch Turnieren vor, dann zeigt sich, was er kann.“
      “Also denkst du auch, ich sollte Sam fragen”, schlussfolgerte die kleine Brünette aus meinen Worten.
      “Nun”, ich seufzte und zog mein Handy hervor, darauf tippte ich herum, bis ich schließlich mein Konto vor mir hatte, “ich kann dir sonst 4.503.797,34 schwedische Kronen bieten. Reicht das ungefähr für ihn?” Schließlich kramte ich noch in der Hosentasche: “Ach und hier sind noch zweihundert.”
      “Du bist viel zu lieb”, schmunzelte Lina, “aber ich denke, ich muss mir das erst einmal durch den Kopf gehen lassen und mich informieren, bevor ich das endgültig entscheide.”
      “Wie du willst, mir ist es egal”, zuckte ich abwesend mit den Schultern. Für einen Moment fühlte ich zu desinteressiert, dafür, dass es so viel Geld war, doch dann erinnerte ich mich wieder, wofür ich es bekomme, und schenkte ihm keinerlei weitere Beachtung. Stattdessen freute ich mich darüber, dass mein selbst erarbeitetes Geld langsam wuchs. Nichts war zuhörend, außer den Geräuschen, die die Pferde verursachten. Mit einem verträumten Lächeln auf den Lippen, beobachtete die Kleine diese, wohingegen ich wahrnahm, dass Mateos helle Augen zu ihr abschweiften.
      “Woran denkst du gerade?”, durchbrach seine warme Stimme die Stille.
      “Nichts Besonderes, ich dachte nur gerade … siehst du das Pony dort zwischen den Büschen”, sie deute etwas abseits der Herde. Zwischen den Blättern stand ein vergleichsweise langbeiniges Pony in einen hübschen Braunton und einigen ausgeblichenen Strähnen in der dunklen Mähne.
      “Es erinnert mich nur ein wenig an ein Pferd von früher”, lächelte sie sanft und dennoch schwang ein Hauch von Nostalgie mit. Allerdings meldete sich mein Handy und ich konnte es gar nicht schnell genug aus der Tasche ziehen. Kurz trat ich einige Meter von den Beiden weg, vielleicht war die Zweisamkeit das Richtige für sie.
      „Ich habe dich bei meinem Sieg vermisst“, schrieb Basti, als wäre nichts vorgefallen.
      „Ach ja? Ich hätte mir auch mehr Unterstützung gewünscht“, antwortete ich verärgert.
      „Dann haben wir wohl beide nicht bekommen, was wir wollten.“
      „Offenbar.“ Meine Finger huschten nur so über den Bildschirm, während der Körper vor Wut kochte. Wo nahm er all die Überzeugung von sich selbst her und hatte nicht einmal eine Sekunde dafür übrig, sich bei mir zu entschuldigen, obwohl es in meinen Augen ratsam wäre. Sein Status wechselte von online direkt auf offline und damit hatte sich das Gespräch. Zumindest dachte ich das, denn gerade, als es wieder in der Jackentasche steckte, meldete es sich zurück.
      „Du hast es vergeigt, kommt vor. Nächstes Mal wird besser“, schien er mich ermutigen zu wollen, dennoch trafen mich seine Worte. Eine Stimme im Kopf sollte mich zur Vernunft bringen, dass er es gut meinte, doch sie hallten so leise, dass ich sie ignorierte.
      „Sehr freundlich“, tippte ich. Im Moment der Rage wurde die zarte Stimme dennoch lauter, sprach zu mir, dass er gut meinte. Zudem war ich es, die ihn begehrte und kennenlernen wollte, nicht er. Für ihn stellte ich nichts Besonderes dar, obwohl Basti mittlerweile die Welt für mich bedeutete. Wo dieses Gefühl herrührte, erklärte sich mir nicht, aber konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, sobald er im Vordergrund stand.
      „Wo bist du? Ich möchte noch persönlich auf Wiedersehen sagen“, leuchtete es auf dem Bildschirm. Dass er meine Provokation nicht als solche auffasste, erleichterte mich tatsächlich.
      „Irgendwo im Wald hinter Visby. Wir schauen uns Wildpferde an“, erklärte ich.
      „Schade. Dann wohl bis zum nächsten Renntag, wir fahren in zehn Minuten los. Liebe Grüße“, kam es als letzte Nachricht und wie eingefroren starrte ich auf mein Handy. Wieso wollte er damit das Gespräch beenden? Nichts wäre falsch daran, weiterzuschreiben, nur für ihn schien die Sache klar. Seufzend steckte ich es endgültig zurück in die Tasche, denn es vibrierte kein weiteres Mal. Die paar Meter trat ich zurück. Augenscheinlich führte Lina die Vergangenheit noch genauer aus, denn Mateo hielt ihr Handy in der Hand.
      “Sieht aus, als hätte ihr eine wirklich schöne Zeit gehabt”, lächelte er charmant und reichte ihr das Gerät zurück.
      “Ja, das war so. Nur leider viel zu kurz”, seufzte sie und ließ das Gerät in der Tasche verschwinden, als sie mich bemerkte. “Und? Wirst du schon vermisst?”, fragte sie neugierig, wer es wohl war, der mich von ihnen weglockte.
      „Mhm“, brummte ich unbestimmt und nickte dabei ebenso undeutlich. Als Vermissen würde ich es nicht bezeichnen, sonst hätte das Gespräch nicht als beendet entschieden.
      “Offenbar nicht, wie du dir erhofftest”, schlussfolgerte sie, ohne weiter Fragen zu stellen.
      „Immerhin scheint er der Meinung zu sein, dass wir uns nächstes Wochenende sehen“, zitterte meine Stimme und ein ungewolltes Lächeln zuckte über die Lippen. Ich versuchte es durch willkürliche Bewegung der Wangen zu unterdrücken, schließlich war ich sauer und nicht freudig gestimmt, dass er mich sehen wollte! Aber es gelang mir nicht, stattdessen fühlte das Grinsen immer größer und strahlender an.
      “Das ist doch gut, das heißt, er ist gewillt dich weiter kennenzulernen”, lächelte sie sanft.
      „Wer weiß, vielleicht hat er auch ganz andere Pläne, die einzig auf persönliche Erfolge abzielen“, blieb ich skeptisch und erinnerte mich an die Worte der Männer im Stall, die sich im Nachhinein als seine Familie herausstellten. Mich ihnen letztlich noch richtig vorzustellen, war ihm sicher peinlich, aber ich konnte es auch niemanden verübeln. Ich hatte nichts und das Rennen vergeigte ich auch. Bei meinem Glück würde Humbria nun immer rausspringen.
      “Male dir doch nicht gleich das Schlimmste aus, nur weil er nicht so offensiv vorgeht”, versuchte Lina mich etwas positiver zu stimmen. Natürlich wusste ich tief im Herzen, dass sie vollkommen recht hatte, erst recht nach dem Nour bereits andeutete, dass er kühl sei. Nur mein Kopf wollte es sich nicht eingestehen.
      “Aber vielleicht sollten wir dennoch langsam zurück”, lenkte ich ab. Die Sonne war beinah am Horizont verschwunden und damit würde man von den Pferden nicht mehr viel erkennen. Da von den Geschwistern auch nichts kam, wusste ich nicht, wie ihre endgültigen Rennen abliefen.
      “Da hast du natürlich recht”, stimmte der Mann in der Runde zu, woraufhin auch Lina nickte.

      Kategorisch verfuhren wir uns und legten damit eine Ehrenrunde über die Insel hin, zumindest fühlte es sich so an, als wären wir eine ganze Runde über als Öland gefahren. Damit kamen wir über eine Stunde später auf dem Gelände ab, schließlich musste ich auch noch das Auto zurückbringen. Nour und Lars saßen wider Erwarten nicht im Transporter.
      “Ich würde in den Stall gehen, kann man euch beide allein lassen?”, zwinkerte ich Lina zu, die müde neben Mateo saß.
      “Wir knapp überleben ohne dich”, scherzte der Schweizer, nachdem Lina nur ein Nicken, begleitet von unverständlichem Gemurmel zustande brachte.
      “Das meinte ich nicht”, scherzte ich und trat schließlich aus der Tür heraus, mit Dog im Schlepptau, der neugierig jeden Grashalm inspizierte. Auf dem Gelände war es gespenstisch leer und still. Einzig die Geräusche der Pferde aus dem Stall schallten in meine Ohren, zusammen mit dem Wind, der durch die Kronen der Bäume fegte. Irgendwo klammerte loses Holz.
      Im Stall ruhten die Tiere, doch Humbria streckte sofort den Kopf heraus und unsere anderen folgten ihr. Alle waren da, das Heu aufgefüllt und rundum versorgt. Dennoch verfolgte mich ein schlechtes Gefühl. Oder war es im heimischen Stall, was mir ein Bauchgefühl sagen wollte? Nervös fummelte ich am D-Ring der Hundeleine herum und wusste es nicht genau zu deuten. Vorsorglich schaute ich auf mein Handy, aber auch da war keine Nachricht, die mir die erhoffte Erleuchtung brachte. Also schaltete ich das Licht wieder aus und schloss die Holztür. Zähneknirschend lief ich zurück. Im Transporter saßen sie noch immer entspannt auf der Bank. Mateo sprach leise, denn Lina hing auf seiner Schulter, beinah eingeschlafen. Sie kuschelte sich noch näher an ihn heran, als ich die Tür schloss. Es war wohl eher das Geräusch, dass sie kurzzeitig weckte, als meine Präsenz. Aber ja, schlafen klang nach einer guten Idee, nach dem die Nacht schon unglaublich kurz war und wir am Morgen die erste Fähre nahmen.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 68.346 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte März 2021}
    • Mohikanerin
      [​IMG]

      kapitel trettiotre | 18. September 2022

      HMJ Divine / Hendrikus von Stalburck / May Bee Happy / Wunderkind / Maxou / WHC‘ Golden Duskk / Moonwalker LDS / Caja / HMJ Holy / Kölski von Atomic / Snotra / Kempa / Glymur / Lotti Boulevard / Just A Friend / Genesis / Global Vision

      Dienstag
      Lindö Dalen Stuteri

      Lina
      Gedankenverloren striegelte das dichte Fell meines Hengstes. Ivy hatte sich heute mal wieder besonders viel Mühe gegeben, mit dem Matsch, welcher in Sprenkeln und Flecken über seinen Körper verteilt war. Hoffentlich würde dieses elendige Matschwetter bald wenig werden, allmählich nervte es mich, dass Divine häufiger aussah wie eine Kuh, als dass er sauber blieb.
      “Meinst du nicht, diese Stelle ist allmählich sauber”, erklang eine Stimme hinter mir, die mich regelrecht zusammenzucken ließ. Blitzartig fuhr ich herum. Über den Rücken des dunklen Pferdes hinweg beobachteten mich zwei strahlend blaue Augen.
      “Samu, du kannst mich doch nicht so erschrecken”, beschwerte ich mich, worauf hin er nur anfing zu lachen. Wie konnte er samt Pferd einfach dort erscheinen?
      “Also, dass du mich übersiehst, okay, aber ich dachte, du hättest zumindest Hendrik bemerkt”, schmunzelte die Finne und strich besagtem sanft über den eleganten Hals.
      “Offensichtlich habe ich das nicht”, brummte ich, ”wie lange steht ihr da schon?” Sanft pustete mein Hengst mir seinen warmen Atem in den Nacken und platzierte seine Schnauze auf meiner Schulter. Der Helle mochte es nicht besonders, wenn ich in solch unwirsche Stimmungslagen geriet und versuchte stets, mit seiner Sanftheit dagegen anzugehen.
      “Ungefähr seit zehn Minuten”, überlegte Samu und bedeute nicht nur darauf, dass Hendrik keine Decke mehr trug, sondern ebenso sämtliches Sattelzeug herangeschafft war.
      “Oh, solange schon und dann sagst du nichts?”, entgegnete ich erstaunt.
      “Ja, ich wollte herausfinden, wie lange du wohl diesen Fleck putzt”, lachte er und begann seinerseits seinen Hengst zu striegeln. Im Gegensatz zu Ivy, war Hendrik nahezu sauber, einzig den hellen Kopf schien er irgendwo entlang gerieben zu haben, denn ein grüner Streifen zierte seine Stirn.
      “Du bist doch blöd”, rollte ich mit den Augen, legte die Bürste weg und griff dafür zum Hufkratzer.
      “Ach, Linchen, sei doch nicht gleich beleidigt”, grinste er, “dafür ist die Stelle jetzt besonders weiß”
      “Definitiv besser aus Moosgrün”, kicherte ich und hob einen der Hufe von Ivy auf.
      “Ich weiß auch nicht, wie er das geschafft hat”, schüttelte Samu den Kopf und verschwand, um einen feuchten Schwamm aus der Waschbucht zu holen.
      “Vielleicht war ihm einfach langweilig und er dachte sich auf diese Art müsstest du dich länger mit ihm beschäftigen”, stellte ich eine, mir logisch erscheinende, Theorie auf.
      “Ja, ich weiß, dass er einen Boxenpartner benötigt und ich habe auch bereits mit Alec darüber gesprochen”, ging Samu auf meine Anmerkung ein.
      “Warum stellst du nicht Lego wieder rein. Wäre das nicht die schnellste Lösung?”, wand ich ein. Da Alec den Rappen konnte ich mir kaum vorstellen, dass er ein Problem damit haben würde.
      “Wäre es”, stimmte mein bester Freund zu,” allerdings hat er sich so gut in der Herde eingelebt und scheint dort auch zufrieden, dass ich ihn ungern dort herausnehmen würde.” Dies stellte tatsächlich ein schlagkräftiges Argument dar, so erkundigte ich mich, was Alec dazu sagte. So wie Samu es wiedergab, hatte er im Grunde freie Entscheidung, darüber, wie er die Problematik löste, was sich darin begründete, dass das Whitehorse Creek offenbar große Pläne hatte, die Alec vereinnahmten.
      “Wenn dir nichts einfällt, könnte ich Tyrell fragen. Er hat sicherlich einen Hengst, der der großen Gesellschaft leisten kann”, überlegte ich. Der Finne nickte und ich verschwand zur Sattelkammer, um Sattel und Schabracke zu wählen. Als Unterlage griff ich zu der hübschen blaue, die Vriska mir schenkte, mir die Wahl des Sattels dauerte heute länger, denn der, den ich sonst für Ivy nutze, war nicht da. Nervig, es wurde wirklich Zeit, dass Divines Sattel endlich fertig wurde. Vielleicht sollte ich mal im Büro nachhaken, ob es Neuigkeiten diesbezüglich gab. Gesagt, getan. Nach der Auswahl eines anderen Sattels, der hoffentlich passen würde, lud ich alles bei meinem Hengst ab, und wuselte unmittelbar die Stufen hinauf. An der Tür hielt ich mich nicht lange damit aufzuklopfen, doch irritierenderweise fand ich nicht die erwarteten Personen darin vor. Hinter dem riesigen Bildschirm des iMac saß Nour, mit den Füßen an Polstern, führte dabei murmelnd ein Selbstgespräch. Auf der Couch langweilte sich Vriska, hing am Handy, aber starrte es mehr an, als es ernsthaft zu verwenden.
      “Muss ja spannend sein, was hier geschieht”, sprach ich irritiert, als ich eintrat, “Was tut ihr hier?”
      „Die Idioten von der Baustelle haben doch gestern das Glasfaserkabel durchtrennt. Seitdem haben wir das blöde Kupferzeug“, seufzte Nour lautstark.
      „Die Renntag Anmeldung dauert ewig oder viel mehr, bis die Seite geladen hat“, erklärte Vriska zusätzlich, die Stimme monoton und der Blick weiterhin am Mobilgerät.
      “Verstehe, deswegen diese maßlose Motivation hier drinnen”, nickte ich. Ich konnte mir ungefähr vorstellen, wie lange die beiden hier bereits sitzen mochten, denn ohne das gute Kabel glich die Browsergeschwindigkeit, wohl möglich der einer Schnecke.
      „Ja, ich durfte auch noch nicht gehen, bevor wir nicht fertig sind“, schnaubte die Blonde.
      „Oh! Da ist die Seite“, schrie Nour plötzlich und hampelte wild auf dem Stuhl, „also Humbria?“
      „Mh, wenn du es für richtig hältst“, zweifelte sie sofort. Für einen Augenblick wich sie von ihrem Gerät, bevor es wieder in ihren Mittelpunkt stand. Dafür, dass sie nichts daran tat, wirkte es ungewöhnlich interessant.
      “Was ist da so interessant?”, fragte ich und trat neugierig an sie heran, denn ein solch unbegründetes Interesse brachte Vriska nur selten für irgendetwas auf. Zumindest so lang kein begehrenswerter Kerl seine Finger im Spiel hatte. Sie versteckte das Display nicht, aber sonderliche Spannung erweckte es auch nicht. Sie hatte einen Chat offen, die Nachrichten noch ganz frisch, sodass sie gerade einmal die volle nutzten. Als ich den Kontaktnamen Sebastian Göransson wurde mir zumindest klarer, worauf sie wartet oder hofft.
      „Auf jeden Fall, da fehlte nur etwas Pfeffer, dann wird das“, motivierte Nour sie, wieder auf den Renntag zurückkommend.
      „Na gut“, Vriska seufzte, „aber ich würde auch gern noch, was mit Wunder machen.“
      Hektisch scrollte sie mit der Maus hoch und runter am PC.
      „Wunder? Wir hätten eine Langstrecke. Da müsstest du dich mit Papa hinsetzen und noch mal die Taktik mit ihm überdenken. Aber grundsätzlich, wenn du nicht auf Sieg aus bist“, berichtete sie.
      „Dann mache ich das. Wer weiß, wofür das gut ist“, beschloss Vriska wagemutig. Nour grinste breit und lehnte sich im bequem aussehenden Bürostuhl zurück.
      „Der Grund fängt nicht zufällig mit B an und endet mit Asti, weshalb du so eifrig bist?“, preschte die schwarzhaarige amüsiert voran. Vriska antwortete nicht, blickte mich allerdings mit großen Augen an, bevor sie das Gesicht in den Händen versteckte.
      „Und …“, Nour baute extra Spannung auf, „da denkt sie direkt wieder an. Es ist schon niedlich, wie verknallt du bist.“
      „Das stimmt doch gar nicht“, eingeschnappt verschränkte Vriska die Arme.
      „Ne, gar nicht“, schmunzelte ich, „dein Handy ist nur so in deiner Hand festgewachsen.“ Augenblicklich rollte sie mit den Augen.
      „Oh doch, Madame! Wenn ihr heiratete, nimmst du dann seinen Namen an?“, konnte Nour sich gar nicht mehr mit Thema aufhören.
      „An was für absurde Situationen denkst du bitte?“, stellte die Blonde verwundert fest und legte schließlich das Handy zur Seite.
      “Nour ist offenbar schon drei Jahre weiter”, grinste ich, “Aber ganz so absurd finde ich den Gedanken eigentlich nicht, so in Zukunft.”
      „In drei Jahren?“, ihre Augen drohten vor Schreck aus dem Kopf zu fallen und sie selbst von der Couch. Kaum hatte Vriska sich wieder aufgerappelt, stand sie im Türrahmen. „Ist noch etwas, oder kann ich meinen Fuchs in den Aquatrainer packen?“ Grandios, wie sie wichtigen Themen aus dem Weg ging. Wobei sie selbst doch immer recht unnachgiebig bei solchen Themen war.
      “Nimm doch nicht alles wörtlich, aber geh, du kannst uns nicht ewig davonlaufen”, schüttelte ich schmunzelnd den Kopf.
      „Stopp, du bleibst!“, stürzte sich Nour dazwischen. „Willst du immer noch mit dem zur Meisterschaft? Ich meine, Elitloppet und schwedische Meisterschaft sind schon ziemlich hohe Ziele.“
      Vriska warf erst mir, dann ihr, skeptische Blicke zu.
      „Was sollte ich bei dem Elitloppet?“, trat weitere Verwunderung ein.
      “Das würde mich nun auch interessieren, was ist das überhaupt?”, hakte auch ich neugierig nach.
      „Eins der preis trächtigsten Trabrennen der Welt. Nur auf Einladung kann man teilnehmen, aber Papa hat seine schon mit Vision und ich hoffe“, begann sie wie ein Wasserfall zu sprechen. Ich wusste nun, dass es Stockholm stattfindet wie jedem Jahr.
      „Dann viel Erfolg“, grinste sie.
      „Vriska! Du kommst gefälligst auch mit. Es kann doch nicht sein, dass du so geringe Ansprüche hast. Sonst muss Basti dir ins Gewissen reden“, gab Nour sich weiterhin Mühe, mich für so ein Event zu motivieren.
      “Das wäre doch etwas für dich, du bist doch sonst nicht aufzuhalten, wenn es um die utopischen Ziele geht”, stimmte ich zu. Schließlich steckte sie sich auch in der Dressur die Ziele immer recht hoch, was bei den Pferden, die ihr immer zuflogen, auch immer Erfolg brachte.
      „Ich kann es versuchen, aber Happy hat Priorität“, nickte Vriska, „aber Lina, was wolltest du eigentlich? Wohl kaum einen Gastfahrerschein beantragen.“
      “Da liegst du vollkommen richtig. Ich wollte eigentlich nachforschen, was mein Sattel macht”, erklärte ich den Grund für das Aufsuchen des Büros.
      „Ähm“, Nour klickte wild herum, bis sie vor dem Bildschirm wieder auftauchte, „drei Wochen ist der letzte Stand. Also, das Warten hat bald ein Ende.“
      “Das ist toll”, grinste ich. Somit würde zumindest für eins meiner Pferde das tägliche Sattelspiel ein Ende finden, “Vielen Dank für die Auskunft, aber jetzt entschuldigt mich, mein Pony wartet.“ Ohne den beiden Mädels noch eine Chance zu lassen, mich weiter aufzuhalten, tippelte ich zurück zu meinem Pferd.
      „Ich dachte schon, du kommst nie wieder“, empfing mich Samu, der gerade Ivy Sattelgurt zu zog und sogar an die Hufglocken hatte er gedacht. „Was hast du denn so ewig gemacht?“ Freundlich von ihm mein Pferd zu Sattel dabei hätte er nicht einmal auf mich warten müssen. Ehrlich gesagt lag meine Erwartung eher darin, dass er bereits seine Runden in der Halle dreht, denn er hatte sicher Wichtigeres zu tun.
      „Neuigkeiten eingeholt“, erklärte ich wage und bedankte mich selbstverständlich, für seine Mühe auch mein Pferd zu satteln.
      „Worüber?“, fragte der Blonde interessiert, während er dem braunen Warmblut das Metallstück vor das Maul hielt. Artig senkte Hendrik den Kopf, nahm dieses von selbst und warte, bis auch das Genickstück hinter seinen Ohren lag.
      „Über meinen neuen Sattel, genauer gesagt, wann dieser endlich ankommt“, erklärte ich, „Ich wollte eine Runde raus, kommst du mit?“ Samu nickte und folgte mir hinaus, wo wir unsere Tiere bestiegen.
      „Ich kann mir kaum vorstellen, dass es so lange dauert, oder holst du deine Informationen per Brieftauben?“, scherzte er und lachte. Von der Heiterkeit angesteckt, machte seinen Hengst einen kleinen Hüpfer
      „Das wär’s noch“, grinste ich, „Nein, Nour und Vriska waren im Büro.“ Bevor ich weitersprach, ließ ich den Blick schweifen, ob jemand in Hörweite war. Vriska würde es sicher schätzen, wenn sie nicht gleich der neue Stalltratsch sein würde. Wie hungrige Hyänen stürzten, sich die Einsteller auf jeden Fetzen, der interessant sein könnte. Manchmal bekam man wirklich das Gefühl, sie hätten nichts Besseres zu tun, als die Handlungen und Leben anderer zu bewerten. Insgeheim glaubte ich, dass dies einer der Gründe war, weshalb es mit Caja nicht funktioniert hatte. Mein innerer Druck war zu hoch. Die sensible Stute spürte das und spannte sich dadurch noch mehr an. Somit gerieten wir in einen Teufelskreis, indem wir einander stressten.
      „Na ja, weißt du, Vriska hat einen neuen Schwarm“, schmunzelte ich und setzte meinen besten Freund über das Gröbste in Kenntnis, ohne wirklich detailreich zu werden. Interessiert lauschte der Finne, warf gelegentlich einen Kommentar ein, bleib aber mit der Konzentration bei dem Hengst. Hendrik schien heute ziemlich spritzig. Bereits beim Aufsteigen tänzelte er unruhig auf der Stelle und auch jetzt drängte er voran und schüttelte ungeduldig mit dem Kopf, wenn Samu ihn mit sanften Paraden zügelte. Divine interessierte das Spektakel wenig, mit wachem Blick stiefelte er gemütlich voran, aber benötigte nicht einmal Zügelkontakt, um sein Tempo zu halten, sodass diese locker auf seinem Hals hingen.
      “Linchen, du darfst gerne gleich weiter quatschen, aber mein Pferd explodiert gleich”, unterbrach er mich, als ich gerade von unserem Besuch bei den wilden Ponys erzählen wollte. Die scheuen Geschöpfte waren wohl das niedlichste, was mit seit Wochen untergekommen war.
      “Dann zeig mal, ob dein edles Tier auch anders kann”, grinste ich herausfordernd und nahm Ivys Zügel auf. Hendriks Körper war bereits so gespannt wie eine Bogensehne kurz vor dem Abschuss,
      “Ach, deine Kugel schafft Hendrik mit links”, feixte er frech und gab seinem Hengst den Weg frei. Wassertröpfchen stoben auf, als der Braune aus dem Stand heraus ansprang, direkt in eine Pfütze.
      “Dem zeigen wir, wer langsam ist”, murmelte ich meinem Hengst zu und drückte ihm die Waden in die Flanken. Leicht verzögert machte Divine zwei Trabtritte, bevor er in den Galopp übersetzte. Sein Schnauben erklang synchron zum Dreitakt seiner trommelnden Hufe, unter denen der Boden erbebte. Mit jedem Galoppsprung, den ich näher an Samu und seinen Hengst herankamen, spritze mir Klumpen aus Matsch entgegen, hinterließen dunkle Sprenkel auf dem hellen Fell und legte sich feucht auf meine Haut. Die raue Landschaft flog nur so an uns vorbei und für einen Moment spürte ich als sei die Freiheit grenzenlos. Stetig schob Divine seine Nase voran, sodass er mit Hendrik fast gleichauf war, als wir die Hengste wieder abfingen. Mit bebenden Flanken fielen die Tiere in den Schritt.
      “Dein Kleiner ist ziemlich flott geworden”, sprach Samu mir seinen Respekt aus.
      “Danke, einen Erfolg muss ja nach einem Jahr sichtbar werden”, lachte ich fröhlich und wuschelte meinem Hengst durch die dichte Mähne.
      “Jetzt untertreib mal nicht, du hast richtig viel geschafft mit Divine. Oder hast du schon vergessen, wie er zu Beginn aussah.”, schüttelte Samu den Kopf.
      “Ja …”, nickte ich unbestimmt. Optisch sah ich auch definitiv einen Unterschied, aber reiterlich schien sich seit Dezember nicht mehr zu tun.
      “Lina, ich merke doch, dass da noch ein ‘aber’ ist”, sagte der Finne und blickte mich scharf an,” brauchst du erst eine Auszeichnung für deinen Erfolg?” Ich zuckte mit den Schultern, woraufhin er sein Handy zückte. Seinem Gesichtsausdruck konnte ich entnehmen, dass er etwas im Schilde führte. Dass er verdächtigt, lange auf darauf herum scrollte, bestätigte meine These.
      “Samu, was tuts du da?”, hinterfragte ich langsam misstrauisch werdend.
      “Ich schaue”, sagte er und klickte etwas an, “für welches Turnier ich Ivy und dich melden werden.” Ein selbstsicheres Grinsen lag auf seinen Lippen, als er dies aussprach.
      “Nein, das geht nicht”, quietschte ich beinahe und riss panisch die Augen auf. Unmöglich konnte ich auf ein Turnier gehen und dann auch noch mit Divine. Das würde doch sicherlich in einer Katastrophe enden.
      “Doch und wie das geht. Ist ganz einfach”, grinste er und tippe auf dem Bildschirm umher.
      “Nein, nein, nein”, protestierte ich und wollte ihm das Handy wegnehmen. Geschickt ließ er Hendrik zur Seite weichen und geriet dabei außer Reichweite. “Ich habe das doch noch nie gemacht und … und Ivy auch nicht. Das kann gar nicht klappen.”
      “Gut, dann nicht mit Divine”, sprach er den Blick noch immer auf dem Viereck in seiner Hand, “Ich nehme an du hast keine Turnierlizenz?” Fragend blickte er mich an, bevor er Hendrik ein wenig in seinem Tempo regulierte, um mir nicht einfach davonzureiten.
      “Ähm, was …”, blinzelte ich perplex. Samu schien entschlossener zu sein, als mir lieb war.
      “Okay, dann müssen wir dir erst einmal eine organisieren”, murmelte er und notierte sich etwas in seinem Handy, bevor es wieder in seiner Tasche verschwand.
      “Ich habe noch gar nicht gesagt, dass ich das mache”, versuchte ich es mit einem letzten Widerstand, doch es half nichts. Samu blieb fest bei seiner Überzeugung und begann damit auszuführen, was alles auf mich zukam, um besagte Lizenz zu erwerben. Irgendetwas von einer … Green Card. So richtig zu hören, ich ihm nicht, versuchte eher zu überlegen, wie ich aus der Nummer rauskommen konnte, ohne tausend Tode zu sterben oder mich vollständig zu blamieren …
      „Du musst aber mitkommen, sonst mache ich das nicht“, stellte ich meine Forderung, als er erneut dazu ansetze, dass es keinen Grund für meine Verunsicherung gab. Er hatte leicht reden, sein Leben war auch stet von Prestige und Erfolg gekrönt gewesen.
      Der Finne grinste breit: „Natürlich, du brauchst schließlich einen Fanclub.“
      „Soweit ich mich entsinne, besteht ein Fanclub, aber aus mehr als einer Person“, entgegnete ich kritisch.
      „Richtig, aber ich gehe davon aus, dass dein Freund und Vriska, ebenfalls als emotionale Unterstützung mitkommen werden“, sprach Samu wohl gestimmt. Der braune Hengst unter seinem Sattel brummelte zufrieden, fast so als habe er zugehört und wollte uns damit seine Zustimmung vermitteln.
      „Mhm, Vriska bewundert, zweifelsohne, lieber ihren Basti auf der Bahn, als mir zuzusehen, wie ich bei einem Einsteigerturnier versage“, sprach ich pessimistisch. Ich hatte in letzter Zeit nicht wirklich das Gefühl, dass jemand ein ernstes Interesse an dem pflegte, was ich tat. Zuschauer ließen sich nur selten blicken und außer Niklas fragte kaum jemand nach meinem Alltag. Dies verursachte das Gefühl in mir, mich wie einer diese Fake-Anzeigen an einer Uhr zu fühlen. Den einzig den Zweck hatten einen schicken, teuren Look zu erzeugen, ohne dass dem Produkt einen tiefen Sinn verlieh. Ich seufzte leise und strich Divine durch die dichte Mähne.
      „Sag schon, was brennt dir auf der Seele“, sprach Samu sanft, „du bist doch sonst nicht so still.“ Wie immer erkannte der Finne, dass es mehr gab als das ausgesprochene.
      „Nichts Wichtiges“, murmelte ich verschlossen. Wie so häufig, kam es mir nicht richtig vor meinen besten Freund in meine banalen Probleme einzuweihen. In den meisten Fällen konnte er ohnehin nicht helfen. Den braunen Hengst hatte Samu so dicht an den Freiberger herangetrieben, dass die Steigbügel klirrend aneinanderschlugen.
      „Linchen, wenn es dich so beschäftigt, kann es nicht so unwichtig sein. Sprich mit mir“, drängte er weiter darauf, die Ursache meiner Stimmung zu finden. In einer ermutigenden Geste strich er mir über meine Schulter. Ich druckste ein wenig herum, während ich zu erklären versuchte, was in mir vorging. Obwohl es mit Mola relativ gut funktionierte, versetzte eine Tatsache, die mir Nour letzten Freitag vor Augen führte, der anfänglich Euphorie einen ordentlichen Dämpfer. Die junge Stute war ein Rennpferd und für die Rennen musste, sei nun mal eingefahren werden. Genau in dieser Tatsache lag das Problem. Mal ganz davon abgesehen, dass meine Grundkenntnisse bezüglich des Themas ziemlich eingeschränkt waren und bereits eine Weile zurücklagen, brach mir allein beim Gedanken daran auch nur Leinen in die Hand zu nehmen, der kalte Schweiß aus. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, wenn es das Ziel war ein Pferd auszubilden. Demnach würde meine Zeit, mit Mondlandung, wohl ziemlich kurz werden.
      Gerade als ich Samu darin einweihen wollte, dass Niklas inzwischen eine Wohnung in der Stadt suchte, genauer gesagt, mittlerweile eine solche gefunden hatte und er jetzt eine Entscheidung von mir verlangte, begann das Handy in meiner Tasche wie wild zu zappeln und wollte gar nicht mehr damit aufhören. Ein eingehender Anruf von Vriska war der Grund, wie ich bei einem Blick auf den Bildschirm feststellte.
      „Liiiina“, schallte mir direkt ihre Stimme ins Ohr kaum hatte ich den grünen Hörer bestätigt, „wo steckst du?“ Allein an der Klangfarbe konnte ich mir vorstellen, wie sie ruhelos umherlief.
      „Ich bin mit Samu Ausreiten“, entgegnete ich und wollte noch den Grund für ihren Anruf erfragen, das fiel sie mir bereits ins Wort. „Wie schnell kannst du bei den Stuten an der Weide sein?“
      „Fünfzehn Minuten, wenn ich mich beeile, vielleicht … Acht“, schätze ich, die Entfernung zur Winterweide ab und überlegte gleichzeitig, was so wichtig sein konnte, dass es nicht warten konnte, bis ich von allein wieder zurückgekehrt wäre.
      „Perfekt, dann beeil dich“, war alles, was ich noch vernahm, bevor das Gespräch abrupt abbrach. Mist, der Mobilnetz war abgebrochen. Fragend hob Samu die Augenbrauen, als ich das Handy nach einem verzweifelten Versuch den Funk wiederzuerlangen, wegstecken.
      „Vriska möchte, dass wir zurückkommen. Ich glaube, es war wichtig“, erklärte ich knapp und versetzte meinen Hengst in den Trab. Ohne Protest tat Samu es mir gleich und wir folgten, dem schmalen Trampelpfad, der auf direktem Weg zum Hofende führte, als der Hauptweg.

      Vriska
      Rhythmisch bebte die Flanke der Stute, die auf der matschigsten Stelle im Gras lag. All das Weiß in ihrem Fell färbte sich braun-grau und mittlerweile auch Rot an den Fusseln der Hinterbeine. Ihren zerzausen Schweif hatte Lars in der Eile eingeflochten, um dem Fohlen den Weg auf die Welt zu erleichtern. Doch nun hing ich an seinem Arm. Die keuchende Atmung des Tinkers am Boden verunsicherte mich, gleichzeitig wusste ich, dass es ein Geschenk der Natur war. Keiner von uns ahnte, dass die Stute Beifang hatte, umso faszinierender, wie aus einem Pferd zwei wurden. Kleine Hufe ragten heraus und ich war mir nicht mehr sicher, ob ich weiter hier stehen wollte am Zaun.
      “Wo bleibt die nur?”, murmelte ich ihn Lars’ kräftige Schulter, an der ich nach Sicherheit suchte.
      “Lina kommt gleich”, aufmunternd strich er mir über den Rücken, “aber das Fohlen ist schon fast draußen. Hoffentlich verpasst sie das Aufstehen nicht. Das ist das Beste.”
      Er konnte nicht riechen, wie viel Kraft mir dieser Umstand raubte. Die letzte Geburt fiel auf schlechte Zeiten, für die Kölski nichts konnte und dass er ein Zwilling wurde, auch nicht. Der Stute nahm es viel und mir noch mehr, dass Krít derartig litt. Zeitgleich musste ich mit dem Tod meiner besten Freundin kämpfen. Zu viel für mein kleines Hirn, dass ohnehin Probleme schuf, die es nicht gab. Offenbar drückte sich das Chaos nach außen, denn Lars legte seinen Arm um mich.
      “Das wird schon und Lina kommt auch”, sagte er und zeigte zum Wegesrand. Ich richtete mich etwas auf. Holys Kind, rabenschwarz, mit kleinen Abzeichen an den Beinen, hing nur noch mit den Hinterbeinen in ihr.
      Von der Seite schallte gleichmäßiger Hufschlag auf dem nassen Waldboden. Das Trommeln drückte mir auf die Ohren. Kalte Luft zog wie eine Meeresbrise durch mein Haar, bevor warmer Atem mir am Ohr kitzelte. Eine weiche, helle Pferdenase drückte sich nah in mein Gesicht, obwohl ich eigentlich in Lars‘ Arm schützend lag.
      “Gerade noch rechtzeitig”, grinste ich Lina an, die sofort vom Hengst sprang. Ohne darüber nachzudenken, ließ sie die Zügel los und Samu griff direkt danach, mit einem unverständlichen Seufzer auf den Lippen. Sie stellte sich zu uns, schenkte meiner ungewöhnlichen Position keinerlei Beachtung, sondern blickte mit funkelnden Augen zur Stute.
      „Da ist der kleine Fratz ja schon“, stellte sie begeistert fest, „und so dunkel, gar nicht wie die Mama.“
      “Wer weiß, was sich auf ihr verirrt hatte”, lachte Lars, den Blick begierig auf mich gerichtet.
      „Los, geh‘ auch schauen. Wir haben so lange auf sie gewartet“, flüsterte er mir dann zu und gab mir einen kleinen Schubser, dass ich mich auch zum Fohlen bewegte.
      Holy stand auf, um ihr Neugeborenes zu säubern und der Rest der Herde kam langsam dazu. Dabei war auch Snotra, die ebenfalls ein Geschenk ankündigte. Unsere Vermutung aus Kanada hatte sich bestätigt. Glymur schaffte es in der kurzen Zeit zwei Stuten zu decken, zu meinem Enttäuschen war Kempa die andere. Von Milena hatte ich lange nichts mehr gehört und ich war froh, dass Tyrell ihr diese Nachricht überbrachte. Seiner Aussage zur Folge hatte sie keine Bedenken und freute sich sogar – kein Wunder, Glymur gehörte schließlich zu den guten Pferden.
      Ich scheute die Isländer etwas zur Seite, denn Holy wirkte alles andere als zufrieden mit der Situation. Ihre Ohren lagen im Genick und zwischendurch quietschte sie leise. Lina nährte sich dabei langsam dem Fohlen, um es genauer inspizieren zu können. Leise murmelte sie einige fremdländische Worte und behielt dabei die Körpersprache der Stute im Blick. Der Tinker schenkte ihr allerdings das nötige Vertrauen, sodass Lina sich mit geringem Abstand vor Holy mit dem Neugeborenen hocken konnte. Erschöpft lag das kleine Wesen im Gras und erhob langsam den Kopf und richtet zum ersten Mal die kleinen Ohren auf. Die Augen blinzelten langsam. Meine Beine standen wie verwurzelt auf der Stelle. In mir zerrte die Neugier, aber Angst und Schuld lag im Vordergrund meiner Bewegungsunfähigkeit.
      “Ivy scheint nicht der Vater zu sein, auch wenn es dich zu mögen scheint”, flüsterte ich mit einem zarten Schmunzeln.
      „Es scheint so“, nickte sie ein Lächeln auf den Lippen, „aber sicher hat Holy sich einen ebenso hübschen Hengst ausgesucht.“
      “Vielleicht erfahren wir es noch.”
      Eine Weile standen wir in der Herde. Tätschelten all die neugierigen Stuten. In kleinen und vorsichtigen Schritten kämpfte sich das junge Pferd auf die Beine. Zittrig stand es im Dreck, das Fell nass, aber sauber geputzt von der blutverschmierten Stute. Alle Augen waren auf es gerichtet und eine angenehme Stille hing in der Luft an diesem kühlen Märztag. Weiterhin nuschelte Lina in ihren hohen Kragen hinein, während ich die Stuten mit Mineralien aus meiner Jackentasche versorgte, um sie vom Fohlen fernzuhalten. Die Männer unterhielten sich am Zaun, nicht sonderlich angetan von der Situation.
      “Wann kommt denn der erste Traber?”, fragte Lars. Ich löste mich von den Stuten. Neugierig liefen sie mir nach, schließlich hatte ich noch immer die Leckereien bei mir.
      “Mitte, Ende April. Lotti war als Erstes trächtig geschallt worden”, klärte ich ihn auf. Langsam wurde mir kalt. Durch meine gefütterte Neoprenjacke kroch der Wind an meine verschwitzte Haut und Kleidung. Selbst die Winterreithose hielt nicht, was sie beim Kauf versprach. Wirklich passend gekleidet war ich somit nicht für einen so langen Aufenthalt auf der Weide, zu dem wollten wir nur kontrollieren, wie es den Pferden geht. Wer hätte es kommen sehen können, dass plötzlich ein Tinker im Dreck liegt?
      „Hat Nour dir schon erzählt, was Papa für eine Idee hatte?“, wechselte Lars das Thema. Ich schüttelte den Kopf und stieg durch den Zaun zu ihm. Samu drehte sich ebenfalls etwas ein, um dem Gespräch zu lauschen, denn seine beste Freundin war in ihrer eigenen Welt abgetaucht.
      „Er möchte ein oder zwei Pferde kaufen.“ In seinen Augen leuchtete es, als hätte er im Jackpot gewonnen.
      „Oh, das ist toll“, versuchte mich freundlich gesinnt auszudrücken, aber der ironische Unterton schwang mit. Woher mein Unmut rührte, erklärte sich mir nicht, aber vermutlich war es meine allgemeine Stimmung.
      „Auf jeden Fall und für Bear gibt es bereits Deckanfragen“, erzählte er weiter.
      “Und selbst ein Fohlen von ihm ziehen?”, schlug ich vor. Der Frühling stand bevor. Zugvögel kehrten aus dem Süden zurück, obwohl wir gerade einmal an den zehn Grad Celsius kratzten und das auch nur an wirklich heiteren Tagen. Noch deutlicher spürte man eine Leichtigkeit, ein beschwingtes Gefühl, das über den Hof zog, wie eine Welle aus Hormonen, von denen niemand verschont blieb. Es schien, als würde es in unserer Natur liegen, doch ich wusste es besser. Jahreszeiten beeinflussten uns nur in die Stimmung.
      “Nun”, er atmete stark aus, “wir haben noch einen Dreijährigen in Visby stehen, der von Bear abstammt.”
      Verblüfft drehte ich mich deutlich zu ihm.
      “Wieso habt ihr ihn nicht mitgebracht?”, hakte ich nach.
      “Er gehört uns nur zur Hälfte und bisher gab es keinen Grund den Trainer zu wechseln. Ihm geht es gut dort”, erklärte Lars zuversichtlich.
      “Schade, kein kleiner Bear am Hof”, theatralisch drückte meine Unterlippe über die andere.
      “Die beiden haben keine Ähnlichkeiten”, merkte er an. Aus der Innentasche seiner Jacke holte er das Handy heraus. Die Finger huschten zügig über den Bildschirm, bevor er mir das Gerät reichte. Irritiert drehte ich es. Überall waren Risse im Glas, die noch frisch wirkten. Durch die Folie sah ich, dass auch der Bildschirm betroffen war.
      “Mh”, seufzte ich in mich hinein.
      “Jetzt schau dir die Bilder an, nicht das Handy”, rollte er mit den Augen. In der Zeit verdunkelte sich die Oberfläche.
      “Geht nicht”, gab ich es ihm zurück. Lars schüttelte schmunzelnd den Kopf und tippte seinen Bildschirm-Code ein. Schon sah ich, was er mir präsentierte. Auf den Bildern war ein junges Pferd, schmale Beine, mit einem breiten Kopf und Rumpf. Den Nasenrücken zierte eine zarte Blesse. Nur ein Bein zeigte ein kleines Abzeichen. Von dem vielen Weiß des Vaters übertrug sich nichts auf das braune Tier und eine solche imposante Ausstrahlung hatte es ebenfalls nicht.
      „Cool“, sagte ich unbeeindruckt.
      “Was ist cool?”, schnappte Lina das Wort auf. Die Kleine beschloss wohl, dass das kleine dunkle Pferdebaby nun ausreichend Beachtung hatte. Möglicherweise lag ihre Wiederkehr aber auch an den herrschenden Temperaturen, die allmählich auch sie erreichten. Ivy hob den Kopf, als auch die Schritte seiner Besitzerin hörte. Einzelne kurze Grashalme ragten aus seinem Gebiss heraus.
      “Lars hat mir ein Bear-Kind gezeigt, aber es ist”, bewusst verstummte ich und biss mir auf die Lippe.
      Skeptisch hob er eine Braue.
      “Es ist was? Wolltest du etwas hässlich sagen?”, legte er mir nicht gesagt Worte in den Mund.
      Jetzt hob ich eine Braue, aber lächelte stolz zu ihm.
      “Das hast du gesagt, nicht ich”, scherzte ich.
      “Aber du hast es gedacht?”, fragte sie feixend und strich dem weichen Hengst, der sich ungestüm näher an den Zaun drängte, durch die dichten Haare auf seiner Stirn.
      “Noch nicht fertig. Das war mein Gedanke”, klärte ich die Situation auf, obwohl sie recht hatten. Samu hielt sich weiterhin aus der Sache heraus, aber folgte uns gespannt. Dabei fraß sein Berittpferd im Grünstreifen die wenigen Halme.
      “Ich denke, wir sollten zurück. Es wird kalt”, stelle Lars monoton fest.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 30.405 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte März 2021}
    • Mohikanerin
      Rennen A zu L / Jogging | 15. Oktober 2022

      Moonwalker LDS / A zu L
      Northumbria / L zu M
      Glimsy / L zu M

      Ich lehnte in der Stallgasse an einem Holzbalken und beobachtete, wie Walker genüsslich sein Futter verspeiste unter den roten Lampen. Neben mir stand Nour, vollkommen begeistert von dem Hengst. Sie erzählte womöglich zum vierten Mal an dem Tag, wie sehr sie das Training mit ihm vermisste, aber froh war, dass ich es so lang übernahm. Ihr Arm verursachte noch immer Probleme und die Naht wollte sich nicht schließen. Da Walker seine unberechenbaren Phasen hatte, fuhr sie nur mit einfachen Pferden.
      „Wir sind ein wirklich gutes Team“, sagte sie und boxte mir leicht an den Oberarm.
      „Schon, ja“, murmelte ich.
      “Willst du heute selbst Humbria nehmen?”, wechselte Nour sogleich das Thema und stellte sich demonstrativ vor mir. Erst jetzt richtete den Kopf auf, um ihr ins Gesicht zu blicken. Sie war nur etwas größer als ich, wodurch es kein Problem war. “So ein Turnierpferd kauft sich schließlich nicht von selbst und ich will mein Walkerlein auch demnächst wieder haben.”
      “Versteh’ schon, du und dein Schatz”, grinste ich.
      Voller Tatendrang verschwand Nour und kehrte mit meinem rosafarbenen Halfter aus dem Schrank zurück, um es mir in die Hand zu drücken. Etwas verwirrt schaute ich die Dame an, aber zuckte mit den Schultern und lief zum Stutenpaddock, um besagte Stute zu holen.
      Ich schätze, sie war froh, mich zu haben. Ihre Ohren stellten sich bereits auf, als ich ihren Namen rief. Beim zweiten Mal kam sie zum Zaun gelaufen und wieherte in hohen Oktaven.
      „Toots, wir haben Großes vor“, strich ihr über die schmale, schräge Blesse und öffnete das Halfter, um es hinter den Ohren zu schließen. Sie mochte es nicht, wenn man es über ihren Kopf zog, aber wir arbeiteten daran. Ihr erstes Leckerli verdrückte sie in Windeseile und folgte wie ein glücklicher Hund.
      „Mit dir habe ewig nichts mehr gemacht. Das tut mir leid“, sprach ich weiter mit dem Tier, das mir ohnehin nicht antworten würde. Aber sie stupste mich an, was ich als Kommunikation verstand.
      Angekommen in der Stallgasse bemerkte ich Walker in seiner Box stehen, interessiert den Kopf nach der Stute recken. Humbria legte die Ohren an.
      „Ich verstehe dich, Männer sind doof“, lachte ich.
      „Ach ja? Alle?“, kam auf einmal Lars hervor. Mir stockte der Atem und die dunkle Stute sprang zur Seite weg, dabei klapperte der Beschlag laut an dem Holz einer Boxenfront.
      „Du willst uns noch umbringen“, schüttelte ich den Kopf. Humbria beruhigte ich mit Klopfen am Hals und sogleich schmiegte sie sich an mich heran. „Aber ja, besonders du.“
      Dann lachte auch Nour, die neben ihm auf der Bank saß und aufstand, um die dunkle Stute zu begrüßen.
      „Leider muss ich ihr zustimmen, du bist der Schlimmste von allen“, fügte seine Schwester amüsiert zu und legte demonstrativ ihren Arm auf meine Schulter.
      „Jetzt verbünden sich meine Lieblingsmädchen auch noch. Das kann eine Saison werden. Gott, steh mir bei“, schüttelte er den Kopf. Lars begleitete uns zum Anbinder und diverse Nachfragen bezüglich der Stute neben mir. Besten Gewissens erzählte ich von meinen Erfahrungen von ihr, aber hatte keine Vorstellung davon, wie sie am Wagen fuhr.
      „Ich kann mitkommen. Glimsy braucht ohnehin noch etwas Auslauf“, beschloss er und lief davon. Als ich ihm so nachsah, wurde mir doch etwas wärmer ums Herz. Sein eleganter Gang übertraf um Längen, was Niklas ausstrahlte. Nur Tattoos würden ihn noch attraktiver machen, um genau mein Typ zu sein.
      „Erde an Vivi“, trat Nour vor meinen Blick, aus dem Lars bereits verschwunden war.
      „Ähm, ja?“, schüttelte ich erwischt den Kopf.
      „Stehst du auf ihn?“, kam sie noch etwas näher, damit es sonst keiner im Stall mitbekam.
      „Nein!“, empörte ich mich und flüsterte zu mir selbst: „Nicht auf ihn.“
      „Jetzt wird es interessant. Aber ihr habt doch miteinander geschlafen, oder stimmen die Gerüchte nicht?“, legte sie wieder mal ihren Arm um meinen Hals. Nour war ziemlich körpernah unterwegs, aber sie strahlte eine hohe Sympathie aus, weshalb es mich nicht störte.
      „Ich werde mich dazu nicht äußern“, schmunzelte ich.
      „Doch, ich werde es schon noch erfahren.“
      Bis auch Lars die Rappstute am Wagen hatte, dauerte es eine Weile. Nour hielt die Beine still und fragte mich nicht weiter über ihren Bruder aus. Stattdessen wollte sie mal wieder mehr über ihren Liebling, Walker, wissen. Also beantwortete ich erneut alle Fragen. Langsam sollte es doch genug sein, dachte ich, insgeheim und ging mit bedacht vor, also ich Humbria den Gurt umlegte. Sie hampelte unsicher herum, aber sanftes Vorgehen beruhigte sie mehr oder weniger. Das Blutblatt löste in ihr einen weiteren Schock aus, dass ich zunächst durch den Stall führte. Aus ihren aufgeblähten Nüstern prustete Humbria laut Luft, erregte dabei von jedem, der durch den Stall lief, Aufmerksamkeit. In meinem Kopf ging unsere Rennkarriere den Bach herunter.
      “Vielleicht hilft das hier”, schlug Nour vor und drückte mit Watte in die Hand. Verwundert drückte ich die Brauen zusammen.
      “Das wird ihr wohl kaum helfen”, winkte ich ab. Doch sie ignorierte förmlich meine Aussage und stopfte das weiße Zeug in die Plüschohren der Stute, diese schnaubte einmal und wurde ruhiger.
      “Doch”, grinste Nour überzeugt.
      „Ach Mensch, tu einfach, was man dir sagt, dann ist einfacher“, scherzte Lars und trat damit leider in eine schmerzhafte Stelle. Ich hatte es versucht, allen recht zu machen, aber selbst das reichte nicht aus. Kommentarlos zog ich Humbria die Watte wieder aus den Ohren. Ihre Hektik kehrte zurück aber kaum steckte ein Leckerli im Maul, konzentrierte sie sich auf mich.
      „Ich gehe allein“, schnaubte ich. Dann führte ich die Stute wieder in den Anbinder, in dem bereits mein Sulky lehnte. Erst legte ich Trense um, streifte das Halfter wieder über und den Wagen ins System. Die Stute hampelte unter den wachsamen Augen der Beiden, die misstrauisch Blicke austauschten. Letztlich schaffte ich es und Humbria schnaubte sogar ab. Zu meinem Bedauern folgte uns Lars.
      “Du bist noch nicht so weit”, rief er mir nach, was mir nichts ausmachte. Natürlich bekam ich sogleich Herzklopfen, als würde ich auf der Göttin sitzen und mich lächerlich machen, aber es war anders. Humbria und ich kannten einander und hatten eine Bindung. Zumindest glaube ich das. Die ersten Meter auf dem Hof lief die Stute im ruhigen Tempo voran, bis sie den Kopf hochstellte und die Schritte verkürzte. Mit guten Hintergedanken durchwühlte ich alle Informationen in meinem Kopf, nach Trainingsmethoden, wie ich sie einmal in der Berufsschule hatte. Wieder sprach ich auf die nervöse Stute ein und ließ dabei immer wieder Kontakt an der Leine nach, um sie zum Strecken zu animieren. Humbria wirkte verwirrt, was ich von ihr wollte, aber als die gewünschte Aktion folgte, lobte ich die Stute. Dafür lehnte ich mich auch nach vorn, um ihr sanft über den Po zu streichen. Tatsächlich klappte es, auch entgegen meiner Erwartungen.
      „Ziemlich beeindruckend“, merkte Lars an und schloss neben uns auf.
      „Tja, bin halt nicht so ein Anfänger, wie du denkst“, grinste ich mit deutlicher Selbstsicherheit.
      „Du hast den zweiten Platz belegt, nachdem du ewig keine Rennen gefahren bist. So schlecht denke ich nicht über dich“, beschwichtigte er.
      Bis zur Trainingsbahn fuhren wir nebeneinander her, tauschen Erfahrungen über meine Stute aus und besprachen den heutigen Ablauf. Vorbereitend für kommende Rennen hatte Lars die Stute in sein Trainingsprogramm aufgenommen, das Bruno sich zuvor für den Wiedereinstieg überlegt hatte. In diese, beinah geheimen, Informationen wurde ich nicht eingeführt, musste also mit Nacherzählungen vorlieb nehmen. Gespannt hing ich an seinen Lippen.
      Auf der Bahn legten wir an Tempo zu, um die Pferde im lockeren mittleren Trab durch den gefrorenen Sand zu joggen. Immer wieder holten wir sie zurück, um eine Schrittphase einzulegen. Die Geschwindigkeit passten wir individuell an. Humbria brauchte mehr Ruhe, die sie durch Glimsys Anwesenheit bekam. Ich sah ein, dass seine Begleitung eine kluge Wahl war. Deswegen legte ich bereits in der dritten von vier Trabphasen an Tempo zu.
      Zufrieden kehrten wir auf den Hof zurück, aber wir alle sichtlich erschöpft.
      “Und, möchtest du dann nächste Woche mitkommen nach Visby mit Humbria?“, fragte Lars aus heiterem Himmel, als ich das Geschirr von der verschmutzten Stute abnahm.
      „Ich weiß nicht. Das ist so weit weg von hier“, merkte ich wenig begeistert an, obwohl mir bekannt war, dass es Lars und seine Familie von dort kam.
      „Nicht viel weiter als Stockholm und der Großteil der Strecke ist auf der Fähre“, zuckte er mit den Schultern. „Außerdem …“ Willkürlich stoppte er, mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen.
      „Außerdem, was?“, hakte ich nach. Nervös wippte mein Bein auf Stelle.
      „Es gibt noch mehr Gerüchte, aber schweige wie ein Grab“, hielt Lars inne und verschwand, um das Equipment seiner Stute zu verräumen. Noch eine Weile stand ich neben Humbria und versuchte aus meinem Gedächtnis zu fischen, worauf er hinaus wollte. In der vergangenen Zeit benahm ich mich, wie man es unter Normal verstand, nahm mir lediglich Ruhephasen in den Rennen, an den ich neugierig im Zelt stand und die vorbeifahrenden Pferde musterte. Das eine oder andere Gespräch entstand dabei, aus dem ich Informationen erhaschte.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 9212 Zeichen
    • Mohikanerin
      [​IMG]

      kapitel trettiofem | 16. Oktober 2022

      Moonwalker LDS / Maxou / Minelli / Global Vision / Henade / Osvominae / I’m a Playboy / Northumbria / Wunderkind

      Donnerstag, 12:21 Uhr
      Lindö Dalen Stuteri
      Vriska
      Müde, aber glücklich kämpfte ich mich von der Couch. Viel zu spät, wie ich bei einem kurzen Blick auf mein Handy feststellte. Unter der Uhrzeit einige Banner mit verschiedenen Nachrichten, wovon besonders eine mich mit ihrem Inhalt noch breiter strahlen ließ: „Noch einmal Danke für den schönen Abend gestern. Ich wünsche dir einen erfolgreichen Tag heute.“
      Ich legte mein Bettzeug zusammen und räumte es wie jeden Tag nach dem Aufstehen auf den Stuhl in das Schlafzimmer, nur eine Sache unterschied sich zum herkömmlichen Ritual – anstelle eines großen Kaffees reichte mir ein kleiner, für den Geschmack. Nach der lieben Nachricht von Basti war ich gestärkt genug und würde ohnehin heute nur wenig zu tun haben. Durch den Renntag Morgen hatten die Pferdepause und ich würde mich den anderen Tieren widmen.
      Im Stall stand Lars bei Walker, beschäftigt an seinen Hufen. Weit konnte Nour nicht sein, wenn ihr Schatzi gerade umsorgt wurde. Ihren Kontrollzwang übte sie bestimmt auch gegenüber ihrem Bruder aus. Je weiter ich in die Gasse hineintrat, umso sicherer wurde ich mir, dass Nour woanders steckte. Stattdessen saß Lina ihm gegenüber auf der Bank und stopfte ein Brötchen in sich hinein.
      „Oh, die Schlafmütze ist da“, scherzte Lars. Die Feile in seiner Hand steckte er gekonnt in den Latz und stützte sich an Walker ab, der ruhig in den Stricken hing.
      „Entschuldigung, ich war uns mal erst um drei Uhr zurück“, rollte ich mit den Augen.
      „Warum so spät erst? Erzähl“, forderte Lina freundlich und ihre Augen begannen neugierig zu funkeln. Womöglich hatte es keiner mitbekommen, dass ich um halb neun noch mit meinem Auto hinüber in die Stadt fuhr.
      „Etwas trinken mit ein paar Leuten“, hielt ich mich kurz.
      „Okay und wer waren diese Leute?“, hakte sie weiter nach. Natürlich war ihr Drang nach Neuigkeiten nicht so einfach zu stillen.
      „Männlich, weiß, Anfang bis Mitte dreißig. Vier an der Zahl“, lachte ich. Aber Lars, der sich wieder den Huf widmete, drehte sich um und kam auch ins Gespräch dazu.
      „Also bist du angetrunken nach Hause gefahren?“, seine Stimme klang verärgert, aber was wollte er tun? Niklas anrufen? Also nickte ich nur zusammen mit einem chaotischen Zucken der Schultern.
      „Gleich vier davon? Du legst aber ganz schön los“, scherzte Lina ungeachtet des Kommentars des Kerls.
      „Reiten war öfter das Thema, so falsch liegst du nicht“, feixte ich ebenfalls. Wieder drehte sich Lars zu mir um.
      „Hoffentlich nicht gleichzeitig“, murmelte er und bekam einen Klaps auf den Po. Kurz lachte er.
      „Klingt, als hättest du einen schönen Abend gehabt. Ich gehe recht in der Annahme, dass einer der Vieren wohl Basti war? “, lächelte die Kleinen fröhlich auf der Bank.
      „Möglich“, über beide Ohren strahlte ich, obwohl ich versuchte mein Glücksgefühl zu überspielen. „Aber ja, ich war mit bei Freunden von ihm, ziemlich spontan.“
      „Freut mich“, erwiderte sie aufrichtig, „dann warst du scheinbar noch in der Lage, mit ihm zu sprechen.“
      „Das eine ganz andere Sache“, seufzte ich, lief hinüber zu Maxou, die trommelnd in der Box stand und nach Aufmerksamkeit buhlte. Lina folgte mir engelsgleich.
      Ich strich der hellen Stute über den stoppeligen Hals. Der Hautpilz war durch die Behandlung mit der Salbe, Cortison-Spritzen und regelmäßigen Waschen wie weg. Nun wuchs langsam das Fell nach. Wenn der Auslauf geschlossen war, benötigte sie keine Decke mehr.
      „Wir saßen, wie zuvor erwähnt, bei seinen Freunden. Als ich ankam, waren zunächst alle überrascht, fragten mich ein paar persönliche Fragen und damit hatte sich das. Man reichte mir ein Bier. Dann ging sie wieder ihrer Beschäftigung nach und spielten FIFA. Ich saß neben Basti, mit dem ich vorher etwas geschrieben hatte. Zwischendurch sah er zu mir hinüber und legte seinen Arm um mich, aber gesprochen so wirklich wurde nicht. Dafür hatte ich zu viel Angst, etwas Falsches zu sagen. Aber ich fühlte mich wohl bei ihm“, erzählte ich vom Abend. Natürlich freute ich mich dennoch da gewesen zu sein.
      “Ich möchte nur ungern stören”, unterbrach Lars abermals unser Gespräch, “aber Ricarda fragte, ob du Minelli reiten könntest. Sie kommt erst nächste Woche wieder.“
      Die Rede war von einer Einstellerin, die ihre Kaltbluttraber Stute öfter bei uns im Beritt haben wollte. Bisher konnte ich mich immer gut aus der Affäre ziehen. Minelli gefiel mir nicht. Sie lief schwerfällig, unbalanciert und unwillig. Grundsätzlich hatte ich Spaß am Beritt, aber dem Pferd fühlte ich mich nicht gewachsen. Zu schnell verzweifelte ich bei Unwilligkeit.
      „Warum macht Nour das nicht?“, hakte ich nach.
      „Sie hat genug zu tun mit den Jungpferden und nachher noch Unterricht“, klärte er auf.
      „Longieren reicht nicht?“, versuchte ich weiter alles, um mich nicht auf das Pferd setzen zu müssen.
      „Vriska“, mahnte Lars mit eindringendem Blick, „hör auf zu diskutieren. Du überlebst es schon.“
      Mit den Worten lief er zurück zu Walker, somit er mein Augenrollen nicht, aber dafür Lina, die mich zuversichtlich angrinste.
      „Ich möchte nicht auf die Tonne“, murmelte ich in den Kragen.
      “Was findest du denn so schlimm an ihr, außer dass du offensichtlich ein pauschales Problem mit kräftigen Pferden hast?”, horchte sie nach. Mit ihren Freibergern lag ihr das natürlich fern.
      „Das pauschale Problem hängt damit zusammen, dass deren Sättel für mich groß sind, ich somit nicht richtig arbeiten und sitzen kann. Der Beritt besteht damit nur aus Selbstkontrolle, als mit dem Tier voranzukommen. Außerdem ist Minelli extrem faul“, legte ich ihr nah. Während ich wild gestikulierte, hatte Maxou ganz andere Ideen und fummelte mit ihren Lippen an meinem Zopf herum. Solange, bis sie schließlich den Haargummi zwischen den Zähnen hatte und herauszog. Kräftig zog sie daran, einige Strähnen verlor ich dabei und meine Löwenmähne fiel in mein Gesicht. Schnell konnte ich nicht darauf reagieren, denn da lief das Pony mit ihrer Trophäe bereits davon.
      “Also dein Sattelproblem kann gelöst werden. Entweder du schaffst dir einen eigenen Sattel an oder du machst es wie mit Happy. Auf dem reitest du schließlich auch nur mit deinem Pad”, entgegnet meine Kollegin ungeachtet dem, was das Pony trieb, “und na ja, wenn sie so faul ist, solltest du die Ursache dafür suchen. In aller Regel gibt es einen Grund, der sich beseitigen lässt.”
      “Ich kaufe doch nicht einen Sattel, der nur auf Kaltblüter passt, weil ich das Vieh einmal bewegen soll”, lachte ich auf. Ich blickte noch meinen Haargummi nach, der jedoch verloren schien. Eine Strähne nach der anderen versuchte ich hinter das Ohr zu streifen, doch die Haare waren zu dick und die Dreads zu schwer.
      “Dann kann dein Problem so groß wohl nicht sein”, zuckte Lina mit ihren Schultern, griff in ihre Jackentasche und zauberte ein Haargummi draus hervor, um es mir anzubieten. Als wäre eine Gabe Gottes nahm ich ihn an und knotete so gut ich konnte die Haare zusammen. Ohne Spiegel würde es nicht werden, aber wer sollte heute schon vorbeikommen und es interessieren.
      “Ich gehe mal den Panzer holen”, sagte ich nach kurzer Stille und verschwand zur Sattelkammer.
      Der riesige Schrank von mir quoll mittlerweile über. Mehr als zehn Halfter teilten sich den kleinen Haken in der Tür, Schabracken türmten sich und genauso viele lose Bandagen und Gamaschen. Ordnung wäre angebracht. Stattdessen nahm ich mir das grüne Nylon-Halfter heraus und drückte die Tür hinter mir wieder zu. Natürlich schloss diese nicht mehr, aber das Chaos versteckte sich zumindest.
      Auf dem Stutenpaddock holte ich die braune Stute, die auf der linken Seite ein blaues Auge hatte. Neugierig stellte sie die Ohren auf. Freundlich gesinnt strich ich über den Hals und streifte schließlich das Halfter über. Zusammen liefen wir zum Stall, dabei kam sie bereits ins Schleichen. Immer wieder trieb ich sie mit dem Strickende, aber Minelli interessierte das nicht die Bohne. Sie bremste noch mehr ab und kam zu stehen. In ihrem Interesse waren die Grashalme am Wegesrand, nach denen sie sich streckte. Auf meine Versuche, sie von dort wegzuziehen, reagierte sie nicht. Es schien, als wäre hinter der dicken Mähne ein Dickkopf versteckt. Das konnte noch was werden, dachte ich, insgeheim und diskutierte weiter mit dem Panzer.
      “Jetzt komm doch endlich”, nörgelte ich. Minelli reagierte nicht, sondern trat noch einen weiteren Schritt zur Seite ins Grün.
      “Mir scheint, als habe das Gras die überzeugenderen Argumente”, stelle Lina grinsend fest, die vom Stall her auftauchte.
      “Ich habe doch gesagt, die ist komisch”, rollte ich mit den Augen und zog ein weiteres Mal am Strick, aber die sechshundert Kilogramm bewegten sich nicht.
      “Ich würde es eher unerzogen und verfressen nennen”, entgegnete sie und stiefelte zu der Stute hin. Auch Lina wurde von dem braunen Koloss ignoriert, nicht mal die Ohren bewegten sich, als sie Minelli anstupste. “Darf ich mal?”, fragte sie prophylaktisch und nahm mir den Strick aus den Händen. Zart zupfte sie am Strick und natürlich bekam sie keine Reaktion. Statt weiter zuzuziehen, wand sie sich der Hinterhand der Stute zu, schickte diese von sich weg. Auch das ignorierte die Stute zeitweise, bis ihr das Ganze wohl doch zu doof wurde.
      “So ist gut”, lobte Lina, das Pferd steckte ihr ein Leckerli in die Schnauze und überreichte mir den Strick.
      “Vielleicht machst du mit ihr was”, schlug ich vor und schielte zu dem kauenden Pferd neben mir.
      “Ich hätte kein Problem damit, aber ich denke, Lars wäre nicht so erfreut, wenn du dich drückst”, lachte sie.
      „Das werden wir mal sehen“, sagte ich verzückt und zog die Stute hinter mir in den Stall. Teils irritiert, teils neugierig folgte mir Lina. Lars stand bei Vision und verpasste ihm neuen Beschlag.
      „Laaaars“, rief ich mit jämmerlichem Unterton.
      „Was willst du?“, drehte er sich um und stellte den Vorderhuf ab. Vision hob den Kopf, brummte leise die unbeeindruckte Stute an.
      „Du magst mich doch, oder?“, setzte ich ein breites Grinsen auf. Langsam lief ich näher an ihn heran, sodass ich seinen Atem in meinem Gesicht spüren konnte.
      „Da bin ich mir gerade unsicher“, scherzte er und strich mir durchs wirre Haar.
      „Man“, jammerte ich weiter.
      „Na sag‘ schon, was möchtest du schon wieder?“ Seine Hand wanderte vom Kopf abseits zum Hals, als würde er sonst etwas erwarten, weiterhin verführerisch grinsend.
      „Kann Lina nicht den Beritt machen? Ich bin doch immer so doof“, schmollend blickte ich hoch zu ihm, während meine Fingerspitzen sanft über seinen Oberkörper spielten. Er schluckte, aber versuchte, die Fassung zu wahren.
      „Ausnahmsweise, aber“, noch bevor er seinen Satz beenden konnte, löste ich mich von ihm und drückte Lina den Strick in die Hand.
      „Danke“, strahlte ich Lars an und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Mit meiner Kollegin lief ich zur nächsten Putzbucht und befestigte die Stricke seitlich am Halfter.
      “Du weißt schon ziemlich genau, wie man bekommt, was man will, nicht?”, kicherte sie.
      “Man muss sich doch alles offenhalten”, flüsterte ich in ihr Ohr, schließlich sollte die Tratschtante nicht alles mitbekommen.
      “Klug”, nickte Lina und begann damit, das dunkle Fell der Stute vom Staub zu befreien. Im warmen Licht der indirekten Beleuchtung der Bucht tanzten die Körner in der Luft, beinah, als würden sie uns ein Zeichen geben wollen. Nur welches, konnte ich in dem Dreck nicht entnehmen. Stark versuchte ich ein Bild zu erkennen. Von außen wirkte ich wie ein Idiot, dem konnte ich mir zumindest sicher sein.
      “Und was mache ich jetzt?”, fragte ich in den Raum hinein, eher an Lina gerichtet, aber Lars wusste sofort eine: “Du könntest stattdessen was anderes reiten, wenn du dich schon vor der Dicken drückst.”
      Ich rollte mit den Augen. Als wäre ich nicht selbst auf die Idee gekommen.
      “Ich würde ja sagen, du kannst da Pferdchen nehmen, welches ich jetzt eigentlich bespaßen wollte, aber Hanni willst du sicherlich auch nicht”, trug meine Kollegin auch noch mit einer Antwort bei.
      “Neeeeeein, auf gar keinen Fall”, trat einen Schritt zurück, “außerdem ist das dein persönliches Berittpferd. Das mache ich nur kaputt.”
      “Mir leuchtet zwar nicht ein, wie du sie beschädigen solltest, aber dachte ich mir schon, dass diese Antwort kommt”, amüsierte sie sich.
      „Ich mache alles kaputt“, zuckte ich mit den Schultern.
      Aus der Jackentasche zog mein Handy hervor. All die Benachrichtigungen auf dem Sperrbildschirm schob ich zur Seite, bevor ich auf die Stallapp zu griff. Unentschlossen scrollte ich durch die Pferde. Einige hatten Pause, andere standen ohnehin auf der Weide und wieder andere waren, seit dem Mateo hier ist, schon bewegt. Meine Abwesenheit heute erschien mir somit nicht ganz schlüssig. Ich überlegte mir einen freien Tag einzutragen, von dem ich noch genügend hatte.
      „Du kannst auch was mit Osvo machen“, schlug Lars dann noch im richtigen Moment vor.
      „Klingt gut“, nickte ich und holte die Rappstute.
      Als ich zurückkehrte, mit ihr, führte Lina bereits das schwerfällige Pferd auf die Reitbahn. Nour gab parallel Unterricht auf dem barocken Quarter Horse, aber es gab genug Platz, um sich aus dem Weg zu gehen. Ich befreite also den Traber vom Matsch am ganzen Körper. Immer mehr Dreck fiel auf den Boden, als Lars unerwartet mir stand. Vom Schrecken erholte ich mich nach einem kräftigen Atemzug. Erwartungsvoll blickte er zu mir hinunter, als hätte ich etwas Falsches gesagt.
      “Ist es nicht unhöflich, wenn du mich nicht ausreden lässt?”, fragte er mit leiser und ruhiger Stimme. Kurz dachte ich nach, dann fiel mir sein ‘aber’ wieder ein.
      “Als wäre es neu, dass ich dir nur halb zuhöre”, grinste ich.
      “So nicht, Madame”, scherzte er. Schelmisch legte sich ein breites Lächeln auf seine Lippen, an den Wangen bildeten sich kleine Falten und an den funkelnden Augen ebenfalls. Ich schaute ihn gern an. Sein Gesichtsausdruck war ehrlich und stets voller Gefühl. Wüsste ich nicht, wie er sich verhielt und worauf all seine Anstrengung abzielte, hätte ich nie Basti ins Auge geworfen. Natürlich gab dies seiner Anziehungskraft keinen Abbruch, aber ich sah meinen Kollegen als einen engen Freund.
      “Sonst?”, hakte ich provokant nach. Entschlossen legte er seine Hände hinter meinen Rücken ineinander, was mich für einen Moment irritierte, aber schließlich in Sicherheit wog.
      “Sonst brauchst du einige Erziehungsmaßnahmen, die wir allerdings in andere Räume verschieben sollten.”
      “Aha, verstehe. So ist das also”, nickte ich, “aber es scheint mir verschwendete Energie.”
      “Ich möchte, dass du heute Abend mal mehr kochst als Reis oder Pasta”, rückte er mit seiner Forderung heraus.
      “Kann gemacht werden, aber ist es dafür nötig, mir so nah zu kommen?”, skeptisch musterte ich seine Gesichtszüge, die weiterhin mit einem strahlenden Lächeln gezeichnet waren.
      “Sonst hörst du mir doch nicht zu. Außerdem hätte ich dich gern wieder bei mir”, rückte Lars mit dem wahren Grund heraus. Manchmal konnte er verklemmt sein, um seine Wünsche zu äußern.
      “Wir werden sehen”, murmelte ich.
      Schritte näherten sich vom großen Tor und im nächsten Moment löste sich mein Mitbewohner von mir, trat sogar einen Schritt zur Seite. Er verstand genauso gut wie ich, dass solche Situation in der Gerüchteküche kochte. Gerade rechtzeitig. Niklas kam in seiner dunklen Uniform den hallenden Gang entlang, am Auge mit einem Veilchen versehen, aber wirkte sonst außergewöhnlich freundlich gesinnt.
      “Hallo”, grüßte ich höflich und bekam sogar eine Antwort.
      “Hast du Lina gesehen?”, lächelte er. Meine Augen bewegten sich von einer Seite zur anderen. Dabei bemerkte ich natürlich, dass Lars eine Hand neben sich zur Faust ballte und die Arme verschränkte. Ich war es auch nicht mehr gewohnt, dass Niklas Dinge wie ein normaler Mensch sagen konnte.
      “Ähm”, stammelte ich deshalb, bis mein Sprachzentrum mit Blut versorgt wurde, “gleich nebenan auf dem Sand.”
      Niklas bedankte sich und lief an der Bande herum, die Tribüne hinauf.
      “Was denn heute mit dem los?”, wunderte sich auch Lars direkt.
      Ich zuckte nur mit den Schultern.
      “Aber ich werde Osvo nun satteln, nicht, dass du noch auf blöde Ideen kommst”, scherzte ich und folgte Niklas.

      Osvo trat mit großen und gleichmäßigen Schritten voran. Die Zügel lagen auf ihrem Hals und ich blickte auf mein Handy. In der Sattelkammer bekam ich das plötzliche Bedürfnis, Basti zu schreiben, der sogar antwortete. Vollkommen verträumt, bemerkte ich nicht, dass Lina im Trab mir entgegenkam, aber im letzten Moment noch auswich.
      “Tut mir leid”, rief ich ihr noch nach, bevor die Finger wieder über dem Display huschten.
      “Kein Handy am Steuer gilt auch in der Reitbahn”, lacht sie nur im Vorbeireiten und setzte mit dem Panzer weiter über den Sand. Gleichmäßig, wenn auch ein wenig langsam trommelten die Hufe und ließen den Boden erzittern. Osvo zuckte zusammen, aber lief dann im unveränderten Tempo weiter. Lobend strich ich ihr über den Hals.
      “Aber ist wichtig”, redete ich undeutlich vor mich hin, ohne den Blick zu heben. Doch nun bremste mein Pony ab, regte den Kopf über die Bande. Niklas tätschelte sie, als würde er Linas Aussage untermalen wollen. Leicht legte ich die Beine an den Bauch des Pferdes, das sich davon nicht beeindrucken ließ. Ich tippte die Nachricht an Basti zu Ende. Gerade, als ich es wegsteckte, meldete sich das Gerät zurück. Kurz warf ich noch einen Blick darauf, als mir der Mund offen stehen blieb. Etwas überfordert blickte ich von links nach rechts. Wieder rollte das Kettenfahrzeug auf uns zu. So gut ich konnte, drückte ich die Ferse an Osvo, aber Niklas hinderte sie daran, sich zu bewegen.
      “Die Jungs hätten dich gern wieder da. Hast du Zeit nachher?”, stand auf dem Bildschirm. Eigentlich hatte ich welche, wenn nicht Lars schon seinen Wunsch geäußert hätte.
      “Welches Gespenst ist auf deinem Bildschirm aufgetaucht?”, fragte Lina leicht irritiert, als sie die Stute gezwungenermaßen abbremste, da die Stute sich verweigerte erneut auszuweichen. Beinahe so als wüsste sie, dass sie einfach alles umwälzen konnte, was ihr in den Weg kam. Der Rappe legte seine Ohren an und schnappte in ihre Richtung wie eine Schlange.
      “Die Gespenster von gestern, wünschen meine Anwesenheit”, erklärte ich wahrheitsgemäß, aber geheimnisvoll genug, um Niklas aus dem Thema herauszuhalten. Ungefragt würde er sonst seine Meinung freigeben. Endlich reagierte Osvo auf meine Hilfe und zusammen ritten wir im Schritt an.
      “Oh, das ist doch schön. Dann hast du wohl einen guten Eindruck gemacht”, lächelte sie.
      “Aber er sagt, dass sie mich dahaben wollen, nicht er mich”, seufzte ich unentschlossen, schließlich wollte ich Lars nicht versetzen, erst recht, nachdem er mir so entgegengekommen war, dass Lina die Stute bewegen durfte. Außerdem meldete ich vor zwei Tagen auch seine Flamme wieder, die ihn von einem auf den anderen Tag versetzt hatte. Ich spürte, dass ihn das verletzt hatte, auch, wenn Lars sich nicht eingestehen wollte. Wieder kamen so viele Dinge aufeinander, die mich mit den Pferden fühlen ließ.
      “Ach Vriska, vielleicht ist das einfach seine Art sich auszudrücken. Manche sind nicht gut darin, offen zu kommunizieren, was sie wollen”, versuchte sie mich aufzumuntern.
      Ich stimmte ihrer Aussage zu. Die Zügel zog ich vorsichtig nach und begann mit Osvo zu arbeiten. An den kurzen Seiten nahm ich sie im Tempo deutlich zurück, setzte mich dabei auf den dritten Hufschlag, um Lina nicht noch mehr zu behindern. Fest in meinem Element drängten sich die Gedanken rund um das Abendprogramm in den Hintergrund. Stattdessen dachte ich an das Hofturnier, das Eskil erwähnt hatte. Bisher stand nur Happy auf dem Plan, aber Osvo könnte in einer Anfänger-Prüfung ein ebenso schönes Bild hergeben. Um mich darin zu bestärken, trabte ich den Rappen an und ritt verschiedene Bahnfiguren. In den Biegungen kam sie schön an den Zügel heran. Ihren Kopf trug Osvo in aktiver Haltung und trat unter den Schwerpunkt.
      So sehr vertieft in die Einheit, bemerkte ich nicht, dass Lina die Bahn verließ. Auch Niklas stand irgendwann nicht mehr am Rand. Zum Schluss galoppierte ich noch am lockeren Zügel mehrere Runden, bevor ich im Schritt draußen abritt.
      Ich zog mein Handy wieder heraus.
      „Es tut mir leid, aber heute Abend ist schlecht“, antwortete ich Basti. Sein Status wechselte sofort.
      „Schade. Bist du Freitag da?“, erkundigte er sich jedoch.
      „Ja“, tippte ich nur.
      „Ok“, kam es als Antwort, dann ging er offline.
      Von mir folgten noch weitere Nachrichten, die jedoch unbeantwortet blieben. War es falsch, das Treffen abzusagen?
      Enttäuscht von mir selbst, steckte ich das Handy zurück und versuchte bei der kleinen Runde um den Hof, wieder auf andere Gedanken zu kommen, aber im Vergleich zu vorher, schwebte nun Schuld und Reue in der Luft. Natürlich dachte man noch intensiver daran, wenn man versuchte, einen bestimmten Gedanken aus dem Kopf zu schieben. Als ich noch sah, dass Lina sich von Niklas am Auto verabschiedete, mit einem innigen und intimen Kuss, wurden meine Augen glasig. Mein Blick senkte ich auf den wippenden Mähnenkamm. Osvo kümmerte das alles nicht. Sie als Pferd kannte die Sorgen nicht, die mich tagtäglich beschäftigten, als diese Belastung auf den Schultern zu haben. Stattdessen musste sie mich tragen, meine Unfähigkeiten als selbstverständlich erachten.

      Eine Weile zog ich die Melancholie mit mir, die Augen immer wieder auf dem Sperrbildschirm. Keine Nachricht, kein Lebenszeichen. Es schien beinah, als hätte es unseren Kontakt zueinander nie gegeben. Osvo stand schon lange wieder auf dem Paddock. Die Sonne nährte sich dem Horizont und demnächst würde der kleine Lebensmittelladen ein Dorf weiter schließen, in dem ich noch einkaufen gehen wollte. Gefüttert hatte ich die Pferde und somit nun Feierabend. Lina lief gerade zur Hütte, als ich sie abfing. Mit wenigen Worten überzeugte ich sie mich zu begleiten.
      “Ich habe Basti abgesagt”, seufzte ich und öffnete ihr die Beifahrertür.
      “Weswegen das denn?”, wollte sie wissen, bevor sie hineinkletterte.
      “Lars hat sich gewünscht, dass ich heute richtig für ihn koche, und es fühlte sich nicht richtig an, ihn für einen Typen zu versetzen”, erklärte ich aufrichtig. Die Tür schloss ich leise hinter ihr und stieg selbst auf der anderen Seite ein. Ich drehte den Schlüssel. Der kleine rote Golf sprang zuverlässig an und setzte sich in Bewegung.
      “Okay, das ist nachvollziehbar”, äußerte sie nachdenklich, “gerade, weil das ja noch recht neu mit dir und Basti ist.”
      “Von Lars weiß ich wenigstens, dass er gut im Bett ist”, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen, auch wenn mir schon bei dem Gedanken etwas warm ums Herz wurde.
      “Das ist auch eine wichtige Eigenschaft, die es nicht zu vernachlässigen gilt”, grinste sie.
      “Er weiß wirklich mit seinem Werkzeug umzugehen“, setzte ich eins obendrauf, „also, wenn er nur … etwas weniger Lars wäre. Ach, ich weiß auch nicht. Kennenlernen ist blöd.“
      “Aber um das Kennenlernen kommt man nun mal nicht herum, aber das wird schon noch mit Basti und dir”, sprach sie optimistisch.
      “Und dann wird es wie mit Erik“, stellte ich die bloße Behauptung auf und seufzte aus tiefen Herzen.
      “Es läuft doch nicht immer so unvorhersehbar schlecht”, versuchte sie mich aufzumuntern.
      Wir kamen im Nachbardorf an, gerade noch rechtzeitig, denn die ältere Dame war bereits am Aufräumen. Schnell huschten wir hinein.
      “Lina, möchtest du mit uns heute essen?”, rief quer durch den kleinen Laden, als ich die verschiedenen Gemüsearten in den Korb packte.
      “Ja, gerne”, erklang sogleich eine Antwort. Ich packte von allem das Doppelte ein und schon nach zehn Minuten waren wir bereit. Im Stoffbeutel befanden sich Obst und Gemüse für einen Salat und warmen Auflauf, nichts Besonderes, aber für uns alle ein guter Kompromiss.
      Zurück am Hof räumten wir unsere Sachen und liefen direkt zu mir. Lars saß auf der Couch, schaute ein Fußballspiel und fluchte unverständlich. Als er uns bemerkte, schaltete er sofort das Gerät aus und setzte sich an den Tisch.
      “Endlich, ich dachte, ich muss sterben vor Hunger”, scherzte Lars, dass wir noch einen Gast hatten, kritisierte er nicht. Stattdessen wirkte er froh, nicht mit mir allein zu sein. Ich räumte den Beutel auf der Platte aus, um die einzelnen Zutaten zu präsentieren.
      „Und Lina, wie hat die Minelli gefallen?“, fragte er schließlich.
      “Eigentlich ziemlich gut, nur an der Motivation lässt sich noch arbeiten”, erzählte sie ihr Fazit.
      “Da kenne ich noch jemanden”, schielte er zu mir.
      “Sei du mal ruhig”, quietschte ich angefressen und begann die Kartoffeln anzuschneiden in Fächerform. Sie bildeten die Grundlage des Auflaufs. Der Ofen heizte bereits vor.
      “So wenig macht sie doch gar nicht”, verteidigte Lina mich.
      “Das sagst du so”, schmunzelte Lars, wie mit sich selbst zufrieden, und hob ein wenig seinen Kopf, nickte, als bestätigte er selbst einen Gedanken. Manchmal konnte er der größte Arsch auf dieser Welt sein.
      „Ich gehe gleich zu Basti, wenn du so weitermachst“, fauchte ich vor Zorn und Verzweiflung. Dabei rutschte mir das Messer von der Kartoffel, geradewegs in den Finger. Leiste fluchte ich und hielt diesen unter kaltem Wasser, das im Becken eine rote Färbung annahm.
      “Brauchst du ein Pflaster oder so?”, fragte Lina fürsorglich und betrachtete die Situation argwöhnisch. Aber bevor ich überhaupt antworten konnte, erhob sich Lars aus dem Stuhl, lief ins Bad und brachte ein Pflaster. Die Wunde tupfte ich mit einem Küchentuch ab, das in greifbarer Nähe lag. In chirurgischer Genauigkeit legte er mir den Schutz auf, stand dafür dicht neben mir, dass sein neues Aftershave in der Nase kitzelte. Bereits im Stall war mir der neue Geruch nicht entgangen, obwohl ich versuchte jedem seiner Reize zu widerstehen. Doch wie ein verletztes Tier suchte, ich mich in Sicherheit, funkelte ihn mit weiten Augen an.
      „Das wird wieder“, sprach er absichtlich leise, um meine Sinne noch mehr zu fordern. Für Sekunden blickte ich tief in das Grün seiner Augen, bevor ich mich schnell abwendete und wieder zu den Kartoffeln lief. Das rege Klopfen in meiner Brust bemerkte ich natürlich.
      Die restlichen Zutaten schnitt ich ohne weitere Unfälle und schließlich war alles so weit vorbereitet, dass es in den Ofen konnte und das Dressing im Kühlschrank sich entfaltete. Lina und Lars hatten ein gemeinsames Thema gefunden – Pferdezucht, genauer gesagt, Farbzucht. Dabei drehte es sich um das Weiß, das ihre Tiere trugen. Meine Kollegin zeigte dabei deutlich mehr Fachwissen als er. So hing er förmlich an ihren Lippen und starrte sie an, als wäre Gott persönlich im Raum. In dem Moment wurde ich mir bewusst, dass unsere Verbindung überhaupt keine war, sondern seine Art im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Etwas enttäuscht ließ ich mich auf den Stuhl neben ihm fallen und holte zum wiederholten Mal das Smartphone heraus, das noch immer keine Nachricht von Basti empfangen hatte. Leer fixierte ich den Chat, als würde sie etwas ändern. Nichts passierte. Ich setzte zu einer Nachricht an, ob ich etwas Falsches geschrieben hätte, aber löschte sie direkt wieder. Es war nicht mein erster Versuch, bei ihm nachzuhaken, weshalb er mich ignorierte.
      „Was bewegt dich schon wieder, Basti?“, fragte die Kleine freundlich nach, bei der meine Stimmung nicht unbemerkt blieb.
      „Lina, ich kann dir sagen, egal was ist – Ihr Leben dreht sich nur noch um den“, antwortete Lars stattdessen mit einem Augenrollen. Er lehnte sich nach hinten in den Stuhl und verschränkte die Arme. „Lade ihn doch ein, bei Martin wird er ohnehin nur herumsitzen.“
      „Woher“, noch bevor ich die Frage beendete, beantwortete sich das von selbst. Mir fiel wieder ein, dass er mit der Truppe befreundet war oder wie auch immer man diese Zusammensetzung bezeichnete. Vermutlich fragte man ihn auch, ob er vorbeikommen wollte. „Nein, morgen ist Renntag.“
      „Ja, und?“, zuckte Lars mit den Schultern.
      „Ich möchte morgen fit sein“, erklärte ich.
      „Warum solltest du nicht? Denkst du etwa, er wird es die ganze Nacht mit dir treiben?“, zwischen den Zeilen hörte ich heraus, dass Lars eifersüchtig war oder etwas Ähnliches. Freundlich gesinnt kam seine Aussage nicht.
      „Nein, aber ich würde gerne schlafen und nicht ganze Nacht an ihn denken“, seufzte ich.
      „Deswegen kommst du auch heute zu mir unter die Decke“, schmunzelte er.
      „Okay“, zuckte ich mit den Schultern.
      „Na, ob das hilft … “, murmelte Lina vor sich hin. In der Art wie ihre Augen zwischen uns Hin und Her huschten, wurde deutlich, dass ihr nicht wirklich behagte dieser Diskussion beizuwohnen. Um ihr den faden Beigeschmack zu nehmen, lächelte ich sie an. So ganz zufrieden war sie jedoch nicht und ich entschied, mit ihr vor die Tür zu gehen. Vom Haken ergriff ich die erstbesten Jacken, die in ihrem Fall ein dicker Packer von Lars war. Damit würde sie wenigstens nicht erfrieren. Dog war bei meinem Bruder, somit bedarf es keiner abendlichen Runde durch die Dunkelheit.
      „Wann ist denn das Essen fertig?“, rief uns der Herr der Schöpfung noch nach. Ich streckte den Kopf durch die halb geöffnete Terrassentür.
      „Zehn Minuten, höchstens zwanzig“, erklärte ich.
      „Dann kann ich noch Duschen gehen?“
      Ich nickte und schloss die Tür.
      Lars‘ Schlappen standen noch auf der Fußmatte und ich schlüpfte in die kalten und feuchten Schuhe. Lina kämpfte währenddessen damit, den Reißverschluss bis zum Kinn zu bekommen. Bevor ich die Zigarette anzündete, half ich ihr kurzerhand.
      „Wir sind nur Freunde“, erklärte ich unbestimmt und klickt das Feuerzeug, die Hand schützend an der Flamme. Mittlerweile konnte selbst ich mir nicht mehr erklären, wieso ich Zeichen unklar sendete. Tage wie diese waren der Grund für mein Buch, mir klar zu werden, wieso ich etwas tat oder eben nicht. Es könnte so viel einfacher sein, wenn ich Lars’ Flirt-Versuche als jene belassen würde, die Schmeichelei ignorierte. Aber ich hatte Spaß dabei und war mit Basti auf keiner Ebene unterwegs, in der man es als Vertrauensbruch ansehen würde. Wieder seufzte ich, schielte durch die große Glasfront in den Wohnraum. Das Deckenlicht brannte, im Ofen kochte der Auflauf vor sich hin. Stillstanden Stühle um den Birkentisch herum und auf der Couch lag mein Laptop zusammengeklappt, auf einer blau karierten Decke. Es könnte schön sein, wenn ich in all der Zeit am Hof nicht ständig den Mitbewohner wechseln müsste. Mit Lars war es nett, aber eben nicht idyllisch.
      “Nur Freunde? Und deswegen wirkt Lars wie ein Löwe, dem man sein Revier streitig macht”, argwöhnte sie, “Ihr zwei seid verwirrend.”
      “Samu war auch nicht begeistert von Niklas”, erinnerte ich Lina.
      “Ich sage ja schon gar nicht mehr”, gab sie klein bei, “du wirst wissen, was du tust.”
      “Wie geht es mit dem jetzt eigentlich weiter? Das Hüttchen wirkt ziemlich einsam”, bemerkte ich beiläufig.
      “Ist es auch. Keine Ahnung, wo genau er aktuell steckt, aber langfristig sucht Niklas etwas in der Stadt”, seufzte sie, den Blick zum Boden gerichtet. Auch wenn ihre Finger in den langen Ärmeln versteckt lagen, war ich mir sicher, dass sie wie so häufig etwas Greifbarem suchten.
      “Eigentlich wünscht er auch, dass ich mitkomme … ”, deute die Zweifel ihrerseits an.
      „Aber? Ein Auto lässt sich doch kaufen, oder Fahrrad“, irritiert runzelte ich die Stirn, „du musst nicht am Hof wohnen, um hier zu arbeiten.“
      “Ja, ich weiß doch. Irgendwas daran … beängstige mich”, versuchte sie zu erklären. “Ach man, das klingt doch jetzt komplett dämlich. Ich wechsle von heute auf morgen das Land, trau mich aber nicht in die Stadt zu ziehen”, schob sie leicht jammenden hinterher.
      “Kalmar? Das ist doch kein Vergleich mit Stockholm”, scherzte ich und nahm den letzten Zug von der Zigarette, die schon am Filter kratzte. Mit einem Schritt stand ich bei dem Aschenbecher und drückte sie aus. In Linas Augen funkelte es bereits, der Gedanke, dass im Inneren nicht nur wärmer war, sondern auch das Essen wartete.
      “Das ist aber schon deutlich mehr als das nirgendwo”, beschwerte sie sich. Augenscheinlich konnte sie sich selbst, nicht mehr ernst nehmen, denn in ihren Mundwinkeln zuckte ein selbstironisches Schmunzeln.
      “Zwingt dich doch keiner zu Hause herumzusitzen”, lachte ich. Die Tür zog ich hinter uns zu und brachte die Jacken parallel zum Haken. Aus dem Bad tönte das Plätschern der Dusche, untermalt mit lieblichen männlichen Klängen, die ich so nicht erwartet hatte. Kurz stoppte ich, aber Linas Blick erinnerte mich an das Abendessen.
      “Sag’ ich doch, ich bin lächerlich”, grinste sie schief und ließ sich auf einen Stuhl nieder.
      “Nein, so ist das nicht. Du fühlst dich nur der Herausforderung nicht gewachsen, mit deinem Partner zusammenzuziehen, weil das bedrohlich endgültig sich anhört und fühlt”, gab ich mir Mühe, die Situation möglichst neutral zu betrachten.
      “Ja, genau das ist es, denke ich”, überlegte sie einige Sekunden und nickte schließlich bestätigend.
      Ich lief hinüber zum Ofen, stellte den Regler auf 0 und holte die heiße Auflaufform heraus. Um die Tischplatte zu schützen, platzierte Lina bereits ein Brettchen darauf. Im selben Moment kam Lars heraus, einzig ein Handtuch um die Hüfte und trocknete sich das Haar ab. Für einen wirklich kurzen Augenblick wurden die Knie weich. Aber als Sauerstoff durch meine Lungenflügel strömte, kam ich wieder zu Verstand.
      “Essen ist gerade fertig geworden”, berichtete ich fröhlich.
      “Perfekt, dann ziehe ich mir etwas über”, drehte er sich um.
      “Musst du nicht”, kam ein unbedachter Kommentar über Linas Lippen. Noch im selben Moment wie sie merkte, was sie da eigentlich sagte und vor allem zu wem, biss sie sich von Pein ergriffen auf die Lippe und ihre Gesichtsfarbe wechselte zu Tomatenrot. Er sah über Schulter hinweg zu mir, denn sie saß außerhalb seiner Sichtweite. Ich zuckte nur mit den Schultern. Augenblicklich drehte er um und kam zurück.
      “Ich dachte tatsächlich, es stört dich. Aber gut, dann kann ich trocknen”, grinste Lars und setzte sich ihr Gegenüber auf den freien Stuhl. Es fehlte nur noch der Salat auf dem Tisch, den ich umgehend dazu stellte. Damit konnten wir Essen.
      “Nein, alles gut”, murmelte sie noch immer peinlich berührt und schaufelte sich etwas von dem Grünzeug auf den Teller.
      Stunden saßen wir noch am Tisch, leerten schließlich nach dem ersten Bier noch eine Flasche Wein, die ich aus den Tiefen des Regals fand. Jahrgang 2017, also ein beinah edler Tropfen. Nicht nur meine Knie wurden weicher, sondern auch die Zunge lockerer. Ebenso konnte ich mein Chaos innerlich nicht mehr zurückhalten und saß mittlerweile auf Lars’ Schoß, eine Arme fest um mich geschlossen und sein Kopf schützte auf meiner Schulter. Währenddessen schaute ich immer wieder auf mein Handy, schließlich konnte man nie wissen, ob nicht doch noch, die ersehnte Nachricht eintrudeln würde. Jedes Mal, wenn ich den Bildschirm zurück auf die Tischplatte, löste sich ein leichtes Seufzten von meinen Lippen.
      “Er wird schon noch merken, was er verpasst”, flüsterte Lars mir ins Ohr und legte einen sanften Kuss auf meinem Hals. Kaum hörbar schlich sich ein Stöhnen nach draußen, das im Atem bebte und eher, wie ein Brummen klang. Natürlich befeuerte es ihn noch mehr, aber als Lina aufmerksam wurde, hörte er auf. Dass es ihm dennoch ernster wurde, spürte ich sofort.
      “Ich kann auch gehen, wenn ihr lieber allein wärt”, bot sie schmunzelnd an.
      Lars wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, aber bekam von mir den Ellenbogen an die Brust.
      “Nein, alles gut. Der Herr kann nur seine Hormone nicht zügeln”, sprach ich leicht zittrig. Mir schwebte der Gedanke vor dem inneren Auge, was passieren könnte, wenn sie nicht da wäre. Ich wollte das nicht, also schon, aber nein.
      “Na dann”, grinste sie und lenkte das Thema schließlich auf ein anderes Thema, “Mit wem fährst du morgen eigentlich?”
      “Zuerst mit Humbria und dann noch mit Wunder auf der Langstrecke”, erklärte ich. Schon wieder fast verdrängt, kam mir die Rennbahn in den Kopf, Basti. Hektisch drehte ich das Handy, keine Nachricht.
      “Oh, mit Pilzi, wie schön. Dann wünsche ich euch viel Erfolg morgen”, freute sich meine Kollegin. Obwohl sie kaum mit der dunklen Stute in Kontakt stand, fand sie diese unheimlich interessant. “Übrigens, ich glaube nicht, dass du eher eine Nachricht erhältst, nur weil du dein Handy regelmäßig anstarrst. Mach’ dich nicht verrückt, du siehst ihn morgen doch sicher”, lächelte sie aufmunternd.
      “Ich weiß nicht genau, schließlich fahren wir morgen nach Halmstad”, informierte ich sie.
      “Ach so ist das”, nahm sie die Information zur Kenntnis, “aber lässt sich das theoretisch nicht herausfinden?”
      “Bisher hatte ich Angst nachzuschauen, aber er fragte, ob ich Freitag da bin. Ich bin bisher von Halmstad ausgegangen, denn Romme und Bollnäs sind ziemlich weit weg, für ein paar Starts”, seufzte ich.
      “Warte, du bist noch tiefer in der Materie, als ich dachte”, sprach Lars fasziniert und strich weiter mit seinen Fingerspitzen über meinen Oberschenkel, “langsam tut es mir leid, dass er es nicht zu schätzen weiß. Selbst Papa würde dich seit Stunden zuquatschen.”
      “Dass er gefragt hat, kann man doch als gutes Zeichen sehen, wenn die anderen Orte so ungünstig gelegen sind, wie du sagst”, sprach Lina zuversichtlich.
      “Kommst du mit?”, fragte ich gähnend.
      “Ja, gerne. Ich muss nur mit Sam noch mal abklären, wann sie kommen wollte, morgen, weil sie meinte irgendwas von spät”, überdachte sie ihren Zeitplan.
      “Wir sollten gegen achtzehn Uhr zurück sein”, erläuterte Lars. Einen kurzen Augenblick tippte sie auf ihrem Handy umher, schien etwas nachzusehen und tippte kurz.
      “Das sollte passen”, sprach sie schließlich als der Bildschirm erlosch.
      „Nun“, wieder gähnte ich, allerdings länger als zu vor und steckte auch Lars damit an, „sofern du uns nicht Gesellschaft in der Nacht leisten möchtest, wäre Bettchenzeit.“
      Ich lehnte mich noch weiter zurück, sodass ich einen ziemlich bequemen Punkt an seiner Schulter fand. Dabei fiel mir die Uhrzeit ins Auge, die mich daran erinnerte, dass ich seit zwei Stunden schlafen wollte. Blöd gelaufen. Um sechs Uhr klingelte der Wecker, doch glücklicherweise war der Transporter, bis auf wenige Sachen, bereits vorbereitet.
      „Nein, danke. Ich gehe lieber in mein eigenes Bettchen“, lehnte sie ab und erhob sich gemächlich, „Also dann, Gute Nacht.“
      “Verstehe ich gar nicht“, grinste mich Lars an. Lina zog sich ihre Jacke an und ich erläuterte ihr nebenbei die Zeitplanung. Obwohl ich ihren Gesichtsausdruck nicht sehen konnte, schwebten förmlich ihre Zweifel zur Zusage in der Luft. Höflich, wie sie war, sprach sie diese nicht aus, sondern nahm schweigend die Tatsachen hin, ich brachte sie noch zur Tür, während Lars zum Bett torkelte. Eine Jacke zog ich mir nicht über, stand also zitternd im Freien, um noch eine zu rauchen und ihre Ankunft in den eigenen Vierwänden genau zu inspizieren. Als ihre Tür zu viel, konnte ich mir sicher sein, dass alles okay war.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 38.662 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte März 2021}
    • Mohikanerin
      [​IMG]

      kapitel trettiosechs | 26. Oktober 2022

      Moonwalker LDS / Maxou / Northumbria / Astronaut in the Ocean LDS / Global Vision / Sturmglokke LDS / WHC‘ Golden Duskk / Pay My Netflix / Fieberglas / Wunderkind

      FREITAG, 6:15 Uhr
      LINDÖ DALEN STUTERI

      Vriska

      Viel zu früh klingelte der Wecker, nach dem es deutlich zu spät ins Bett ging. Allerdings schlief ich an Lars‘ Seite angenehmer als auf der Couch, was ich als kleinen Trost ansah. Seine Schulter war verdammt bequem.
      „Vriska, komm bitte“, forderte er mich zum wiederholten Mal auf. Schon vor mir hatte, er sich aus dem warmen Nest bewegt, war im Badezimmer und bereitete einige Brötchen vor.
      „Muss das sein“, knurrte ich mit rauer Stimme und drehte das Gesicht ins Kissen.
      „Ich fahre auch ohne dich, aber du bist dann für mindestens zwei Wochen gesperrt“, erklärte er trocken. Das wollte ich nicht. Seufzend schlug ich die Decke zur Seite und setzte die Füße mit einem Schwung auf den kalten Holzboden. Wie tausend kleine Ameisen kribbelte der Kälteschmerz in mir und durchzog mich bis zu den Schultern. Zumindest schreckte es mich hoch und ich kämpfte mich zu einem Karton vor, in dem Sachen von mir lagerten. Erfolgreich fing ich einen Pullover, Shirt, Unterwäsche sowie Hose und Strümpfe. Nach einer raschen, aber warmen Duschen war für einen Augenblick wie neu geboren, als mich die Realität wieder einholte.
      „Wunder lahmt“, seufzte Lars und sah von seinem Handy auf.
      „Also bleibt er hier?“, hakte ich nach. Blöde Frage, natürlich würden wir ihm die Fahrt nicht zumuten.
      „Sieht so aus. Papa regelt gerade, dass wir ein Attest bekommen“, erklärte er.
      Es war gar nicht so leicht, so früh einen Tierarzt zu bekommen, aber sein Start war erst gegen Nachmittag und bis dahin sollten wir den Wisch haben. Also entfiel ein Start für mich, schade, auf den Schecken hatte ich mich besonders gefreut. Nach Humbrias Fehler in der letzten Woche konnte ich nicht genau einschätzen, wie das Rennen in dieser Woche sein würde. Halmstad lag an der Nordsee und zählte zu den gut besuchten Veranstaltungen in unserer Region. Die Schmach wäre groß, erneut einen Fehler zu machen.
      Ich lief zum Stall, um Nour und Bruno zu helfen. Zumindest versucht ich es, denn der Kaffee entfaltete noch nicht seine Wirkung. Schwer zog sich jeder Schritt über den gefrorenen Boden, die Luft kalt, aber erfrischend. Dunkel war es zu dem auch, was meinem Körper klar vermittelte, lieber wieder zu schlafen. Zur gleichen Zeit bewegte sich Lars zu Lina, um auch ihr selbiges Leid anzutun.
      Mit einer halben Stunde Verspätung fuhren wir vom Hof, Bruno am Steuer des riesigen Gefährts. Sechs Pferde hatten wir dabei, so viele wie noch nie. Jeder Kilometer brachte mehr Zweifel ins Rollen, aber die Müdigkeit hielt mich fest in ihren Klauen. Ebenso Lina, die bereits im Sitz eingeschlafen war.

      10:30 UHR
      HALMSTAD, TRABRENNBAHN

      Gähnend stieg ich aus dem Transporter, streckte die Arme in die Luft und nach einem kräftigen Atemzug. Eine Geruchsmischung aus Fisch und Plankton kroch mir in die Nase, der typische Frühling des Meeres. Überall waren Leute, bekannte und unbekannte Gesichter, die ich eher anhand ihrer Pferde identifizieren konnte. Bruno öffnete mit seinem Sohn den Transporter und als Erstes führte ich Humbria, als einzige Stute, heraus. Ebenso neugierig blickte sie sich um. In den Ohren trug sie Nours altbekannte Watte und das nahm ihr vermutlich den ersten Schreck. Bevor es wieder in die Box ging, schnappte ich mir eine Gerte und lief los, um sie zu führen. Lina kam im selben Moment noch dazu.
      “Wir gehen uns die Füße vertreten”, erklärte ich.
      “Oh, das klingt nach einer guten Idee. Ich komme mit”, verkündete sie inspiriert. Humbria drehte sich zu der kleinen Brünetten um, die ein Stirnband über die Ohren zog und an meine Seite setzte. Leiste brummte das Pferd. Kurz tippte ich mit der Gerte an ihre Hinterhand und das Pferd folgte, ohne ein weiteres Mal den Kopf zum Gras zu senken. So wünschte ich mir das Tier. Wir sahen uns um, Lina das Gelände und ich suchte den weißen Transporter mit dunkelblauer Aufschrift.
      “Das hier ist wirklich kein Vergleich zu Kalmar”, stellte ich teils überwältigt, teils eingeschüchtert fest.
      “Ja, so gigantisch”, nickte meine Kollegin, die ähnlich zu empfinden schien, ”ziemlich beeindruckend.”
      “Vielleicht schauen wir mal da”, ich zeigte auf einen kleinen Imbissstand, bei dem ein paar Leute anstanden und es verführerisch süß roch, “da könnten wir eine Stärkung bekommen.”
      “Oh ja, das könnte ich jetzt gut gebrauchen, bei der Aktivität so früh am Morgen”, entgegnete sie.
      “Dabei hast du ebenso tief geschlafen, im Transporter.”
      Zusammen stellten wir uns an. Humbria inspizierte dabei alles sehr genau. Die Girlande an der Markise war dabei ihr Lieblingsobjekt. Mit langem Hals streckte sich die Stute nach oben und versuchte mit der Oberlippe an das seltsame bunte Zeug zu kommen, das sie schließlich noch zu fassen bekam und herunterriss. Wie einen Schal legte ich ihre Trophäe um den Hals.
      “Dann muss ich es wenigstens nicht abmachen”, scherzte der Eigentümer.
      “Tut mir leid”, stammelte ich unbeholfen, aber beruhigt, dass es kein Problem darstellte.
      Als Nächstes in der Reihe bestellte ich mir einen großen Kaffee und Lina betrachtete noch immer die Speisekarte.
      “Das heißt nicht, dass ich ausgeschlafen bin”, sprach sie an mich gewandt, bevor sie ebenso ihre Bestellung aufgab. Diese bestand aus einer heißen Waffel und erstaunlicherweise einem kleinen Milchkaffee. Es roch perfekt, aber jede Zubereitung war mit Milch oder Eiern. Vor Enttäuschung atmete ich kräftig durch und bezahlte unsere Bestellung. Humbria hingegen wirkte vollends glücklich mit ihrer Girlande, mehr Hund als Pferd.
      “Morgen kannst du wieder ausschlafen”, grinste ich.
      “Das hoffe ich doch. Das nächste Mal frage ich erst nach der Uhrzeit”, lachte sie milde.
      „Nächstes Mal müsste wieder in Kalmar sein“, erklärte ich gutmütig und nahm einen Schluck aus dem Pappbecher, der bereits mit kleinen Wolken ankündigte, heiß zu sein. Schmerzhaft krampfte mein Gesicht zusammen, als die Zunge die Flüssigkeit berührte.
      Angekommen im Stall suchten wir nach Humbrias Box, die mittig gelegen von Lina gefunden wurde. Ich nahm die Decke ab, wechselte sie aus und stellte das Pferd hinein. Ohne sich ein einziges Mal zu drehen, warf sich die Stute in die Einstreu und wälzte sich ausgiebig darin.
      „Mache es dir nicht zu bequem, du musst gleich in den Heat“, scherzte ich und versuchte es ein weiteres Mal aus dem Becher zu trinken. Immer noch zu heiß.
      “Ich fürchte, das ist ihr ziemlich egal. Sei eher froh, dass es eine Box und keine Matschpfütze ist”, entgegnete sie und wagte sich an das Gebäck in ihrer Hand.
      “Die Dankbarkeit ist groß. Aber sag mal, was erwartest du denn von heute?”, interessiert hakte ich nach, wieso sie mitkommen wollte.
      “Darf ich keine Zeit mit dir verbringen wollen? Zugegeben bot sich das außerdem als gute Gelegenheit, dass Samu aufhört mir vorwerfen, ich käme ja nie von Hof”, erklärte sie ihre Motivation.
      “So meinte ich das gar nicht, sondern ob du etwas Bestimmtes hier erleben möchtest. Aber klar, du darfst natürlich mit mir Zeit verbringen”, stellte ich richtig, ohne den Blick von Humbria zu lösen, die weiterhin in dem Einstreu lag und das Leben genoss in großen Zügen.
      “Dich mit einem Schleifchen zu sehen wäre schön”, lächelte sie, “aber so wirklich konkrete Erwartungen habe ich eigentlich nicht.”
      “Im Stolopp gibt einen Pokal”, tönte Bastis tiefe Stimme durch Gang.
      “Stalker”, rief ich ihm lachend zu. Woher nahm ich die Energie nur? Für einen Augenblick schüttelte ich mich, aber dann stand er schon bei uns. Obwohl in meine Nase noch das Meer und das Röstaroma des Kaffees in meiner Hand hing, schwang sein Parfüm mit, das mir den Verstand vernebelte.
      “Na, dann auch mit einem Pokal”, korrigierte Lina ihre Aussage mit einem breiten Grinsen.
      “Aber leider könnt ihr euch beide dann nur aus der Ferne anschauen”, legte er noch eine Stufe an Provokation oben darauf. Sein Blick wanderte von unten nach oben, bis sich für einen Atemzug unsere Augen trafen. Sofort sah ich weg. Ebenso unbeholfen wirkte er. Wollte Basti eine richtige Begrüßung oder was hatte sein unsicheres Tänzeln auf der Stelle zu bedeuten?
      “Das glaubst auch nur du”, schnaubte ich schnippisch.
      “Ich würde aufpassen, Vriska und Humbi sind eine ernstzunehmende Konkurrenz”, hielt Lina zu mir.
      „Wir werden sehen. Die Nachwuchsstute von Papa ist ein Kämpfertyp und deins“, ein zartes Grinsen huschte über seine Lippen, als er verstummte.
      „Sie ist, was genau?“, leicht eingeschnappt blickte ich mit senkten Kopf nach oben, dabei hob sich eine Braue an.
      „Eher ein Dauerläufer mit wenig Takt“, legte Basti seine Behauptung nieder. Wie konnte er den armen Pilz derart verurteilen? Er kannte sie gar nicht.
      Ich verschränkte die Arme.
      „Du bist wohl kaum hergekommen, um mein Pferd zu beleidigen“, versuchte ich den Grund seiner Anwesenheit genauer zu untersuchen.
      „Nein, eigentlich nicht. Aber du hast nicht geantwortet“, zuckte er mit den Schultern, „dann traf ich Lars, der meinte, dass du hier bist.“
      Etwas geschmeichelt fühlte ich mich schon, dass ich es ihm wert war, nachzuschauen, was ich tat. Mich in Sicherheit wiegend, vielleicht war es auch die Müdigkeit, die Teile meines Gehirnes außer Kraft setzte, wollte ich mehr wissen. Dabei behielt ich natürlich die Uhr im Blick, denn der Kampfwille, das Pferd seiner Familie zu überholen, wuchs.
      „Verstehe“, ich nickte unbestimmt, musterte ein weiteres Mal sein Gesicht, „hast du mich etwa vermisst?“
      Wie ein hilfloses Tier sah er sich im Stall um, aber wir waren allein, also fast. Schließlich stand noch Lina neben mir, wenn auch mit der Waffel im Kampf. Basti schwieg für mehrere Sekunden. Seine Hand fasste sich durchs kurze Haar und rückte das Cap wieder gerade. Erst dann seufzte er.
      „Es war schade, dass du gestern nicht kommen konntest“, stammelte er. Ich trank gerade meinen Kaffee, der bereits etwas abgekühlt war und damit trinkbar. Dennoch verschluckte ich mich bei seinen Worten. Den halben Kaffee verteilte ich auf dem Beton. Mist.
      „Wir hatten Teamabend, den konnte ich schlecht verschieben“, erklärte ich die Wahrheit schönend. Lina schielte zu mir, aber blieb stumm.
      „Schon gut, aber als ich sah, dass alle von euch draußen standen, wollte ich auch nicht, dass du hier allein bist. Doch wie sehe, brauchst du mich nicht“, verriet er sich immer mehr. Obwohl ich Bastis Zeichen deutlicher wurden, konnte ich mir kaum vorstellen, dass es der Realität entsprach. Für mich wirkte es wie ein falscher Film und ich wartete nur darauf, dass die versteckte Kamera sich lüftete. Aber nichts von alledem passierte, stattdessen stand er vor mir.
      „Das ist im übrigen Lina. Meine Lieblingskollegin aus Kanada“, stellte ich sie endlich mal einander vor, auch wenn sie über ihn vermutlich schon alles wusste, nachdem ich stets meine neusten Informationen teilen sollte.
      „Nett dich kennenzulernen. Fährst du auch?“, fragte er.
      “Ich freue mich ebenso. Nein, das gehört zu Vriskas Vorlieben”, erwiderte sie die Worte höflich, aber recht kurz angebunden, was wohl weniger an Basti als an dem Thema liegen mochte.
      „Vorliebe?“, leicht irritiert sah er zu mir, „ich dachte, dass unser Prinzesschen schwedischer Meister in der Dressur werden möchte.“
      Unangenehm drückte mein Herz auf die Geschwindigkeit und färbte das Gesicht in dem Bruchteil einer Sekunde zu einem Stoppschild. Möglichst unauffällig versuchte ich die Scham zu verstecken, gut, ich drehte mich weg und sah zu Humbria in die Box, die noch immer in Einstreu lag und döste.
      „Abwarten“, murmelte ich. Dann bewegte mich etwas. Ich hatte bemerkt, dass mein Sulky am falschen Pferd stand und wollte ihn schon mal herholen. „Ich bin gleich wieder da.“
      Die beiden nickten und ich lief zu Walker, der interessiert seinen Kopf in meine Richtung reckte.
      „Ich muss einmal blöd Fragen stellen“, hörte ich Basti zu Lina flüstern, „läuft was bei ihr und Lars? Der hatte heute besonders schlechte Laune. Erst seitdem er bei euch ist, wirkt er vollkommen ausgewechselt und distanziert.“
      “Meines Wissens nicht”, hörte ich ihre zurückhaltende Antwort. In meinem Kopf erhob die Stimme direkt Beschwerde, denn nur ‚Nein‘, hätte die richtige Antwort dazu sein können. Stattdessen fummelte ich am Sulky herum, um dem Gespräch unbemerkt weiter zuzuhören.
      „Aber sie meint es schon so, wie ich es mitbekomme, oder? Ich traue der Sache nicht“, seufzte er. Mir erschloss sich das alles nicht. Wieso fragte Basti nicht mich? Und wieso holte er so viele Informationen ein? Kann er nicht weiter auf Distanz bleiben? Je mehr ich darüber nachdachte, umso stärker wurde der Druck auf Humbria und mich. Das nervende Ich im Kopf wollte ihn beeindrucken und heute schien genau der richtige Tag. Ich hatte dieses Bauchgefühl, dass die schlafende Stute besonders viel Elan im Rennen zeigen würde.
      “Ja, sie meint es wirklich so, darauf kannst du vertrauen”, entgegnete die Kleine aufrichtig. Immerhin diese Frage beantwortete sie korrekt und ich entschied, das Privatgespräch für beendet zu erklären. Mit dem leichten Rennsulky hinter mir herziehend, kam ich zurück. Basti stellte sich einen weiteren Schritt von Lina weg, fasste sich erneut durchs Haar.
      „Wollen wir den Heat zusammenfahren? Vielleicht lohnen sich doch tausend Kronen auf dich?“, fragte er. Auch Lina huschte ein freundliches Lächeln über den Lippen, als wäre das auch in ihrem Sinne. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie mir ihre Pläne in Halmstad verheimlichte.
      „Können wir machen, aber ich möchte nicht, dass du arm wirst“, gab ich zu bedenken, dann, das war nicht gerade wenig Geld. Besser könnte er es einem Tierheim spenden, wenn Basti es dringend verlieren wollte.
      „Mäuschen, wenn ihr beide gewinnt, macht ihr mich zu einem reichen Mann. Eure Quote war vorhin bei 7,8“, funkelten seine Augen enorm.
      „Warum weißt du das so genau?“, blieb ich wenig begeistert von seinem Spielgedanken.
      „Das Pferd von Papa läuft doch mit und wir waren schon am Wettschalter. Sie bringt nur 2,2 gerade“, setzte er fort, „wir machen es so. Wenn du … wir gewinnen, dann nehmen wir das Geld und du hast einen gemeinsamen Wunsch frei.“
      Nun leuchteten meine Augen, aber überfordert suchte ich bei Lina Rat. Diese nickte aufmunternden: „Worauf wartest du? Das sollte ein klares Ja sein.“
      „Okay, ja. Gut, machen wir“, stammelte ich vor mich hin. Er lachte und lief zur Tür hinaus, durch die er auch hineinkam. Mein Gesicht vergrub ich abermals in den Händen. All das, was in wenigen Minuten hier im Stall passiert war, hätte ich mir in keiner Dimension vorstellen können.
      „Gott, wieso ist er so perfekt“, jammerte ich über mein Luxusproblem.
      „Das habe ich gehört“, erklang es noch aus der Ferne, deutlich das Lächeln auf seinen Lippen zu hören. Damit war es um mich geschehen. Aus dem leichten Pink wurde ein leuchtendes und signalfarbenartiges Rot, dass vermutlich jeden zum Anhalten bewegen würde. Einmal schlug ich den Kopf gegen das Metall, das die Boxen aneinanderhielt. Das Holz wackelte und Humbria sprang wie von einer Biene gestochen auf.
      „Meinst du nicht, es gewinnt sich besser, wenn dein Kopf unversehrt bleibt? “, runzelte Lina irritiert und voller Unverständnis die Stirn.
      „Vielleicht schon, ja“, stellte ich fest, rieb mir dabei die Anstoßstelle, die an- und unangenehm zugleich pochte. Immerhin wusste ich, dass ich wach war und dass alles der Realität entsprach.
      Humbria, die noch etwas wackelig auf den Beinen stand, blickte mich mit ihren großen hellen Augen an. Sie wusste, was folge, als ich sie am Halfter herausholte und in der Stallgasse an den dafür vorgesehenen Stricken befestigte.
      „Weißt du, ob wir Zugwatte dabeihaben?“, fragte ich Lina, als wir das Pferd gemeinsam putzten.
      „Bestimmt haben wir das, aber ihr habt gepackt, also solltest du das doch eigentlich wissen“, antwortete sie.
      „Bisher nutzte ich das nicht, aber damit könnte Humbria auf den letzten Metern noch mal deutlich zulegen“, erinnerte ich mich an die Ausbildung zurück. Bei einem guten Gefühl müsste ich schließlich nicht ziehen.
      Während Lina noch zu Ende putzte und den Beinschutz befestigte, machte ich mich auf die Suche nach dem großen Koffer, in dem unser Zubehör lag. Bei Vision wurde ich fündig. Tatsächlich hatten wir alle Hand an Dingen dabei, eine Zugohrenkappe, aber keine Watte. Das gefiel mir rein optisch jedoch nicht und an Ohren war die Stute zu empfindlich, um dort so viel Stoff dranzuhängen. Diesen zu ziehen, könnte einen Fehler bedeuten.
      „Sieht schlecht aus“, kam ich ohne Erfolg zurück und legte den Rest an Zubehör auf das Pferd. Da ich schon umgezogen war, konnte ich direkt den Sulky anhängen und mit Lina im Schlepptau zum Geläuf.
      Humbrias Anspannung zuckte nervös in ihrer Haut. Sie schlug mit dem Kopf um sich, trat dabei auf der Stelle. Ich versuchte sie möglichst, ruhig zu fahren, aber als ein weiteres ungehaltenes Tier an uns vorbeikam, setzte die Stute im Tölt voran. Durch kurze Paraden versuchte ich, sie zu bremsen, aber die Stute ließ das unbeeindruckt. Schließlich gab ich auf. Wenn sie es für das richtige hielt, konnte ich nichts daran ändern. Lina rief mir etwas nach, was im Lärm des Getümmels unterging. Immerhin wurde Humbria ruhiger, je näher wir dem Geläuf kamen.
      „Ich dachte schon, dass ihr euch verfahren, habt“, lachte Basti, der im lockeren Trab hinter uns auftauchte. Wieder erschrak sich das Pferd, aber reagierte auf meine Parade. Einmal schüttelte sie sich, um abzuschnauben.
      „Nein, so schwer war der Weg nicht“, erklärte ich grinsend.
      Er nickte zufrieden und fuhren die Pferde warm. Wenn ich nicht wüsste, dass ich in einer knappen Stunde mein Rennen anstand, hätte ich die Situation als befreiend und losgelassen beschrieben. Neben dem deutlich erfahrenen Pferd fühlte sich Humbria sicher. Der Trab war taktklar und rhythmisch, bis auf der kurze Anflug auf dem Weg, kam kein Viertakt hervor. Stattdessen streckte sie sich schön in der Bewegung und machte stellenweise sogar Happy Konkurrenz. Dennoch lag Druck auf meinen Schultern. Wenn Humbria allerdings wieder springen würde, gab es kaum Hoffnung für uns beide. Dann brauchte ich ein anderes Pferd für niedrige Rennen, was angesichts des aktuellen Trainingsplans Schwierigkeit mitbrachte. Zudem wollte ich kein anderes Pferd, zu viel Energie hatte ich in ihr bisheriges Training gelegt, sowohl zum Reitpferd als auch für die Rennen. Außerdem wollte diesen Wunsch einlösen.
      Konzentriert fuhren wir den Heat. Zwischendurch wechselten wir unsere Positionen, um die Pferde an die Situation zu gewöhnen. Anfangs schüttelte sich Humbria, wenn ihr Fieber zu nah kam, aber mittlerweile ignorierte sie die andere Stute. Auch wenn andere an uns vorbeizischten, kam keine Reaktion. Nach mehreren Runden schritt auch die Zeit voran.
      „Ich wünsche dir viel Erfolg, Mäuschen“, verabschiedete sich Basti.
      „Danke, dir auch“, antwortete ich gestärkt.
      „Wir sehen uns dann im Winnercircle. Ich setze auf euch“, mit einem Augenzwinkern lenkte er das Punktepferde ein zum Stallabteil. Ich wartete stattdessen am Geläuf mit Lina, die noch tausend Fragen hatte. Offenbar lockerte das Frühstück ihre Zunge, sodass ich beinah die ganzen schlechten Gedanken in den Hinterkopf drücken konnte.
      Bruno erreichte mit Sturmi die Qualifikation. Nour freute sich bereits auf das Rennen in der nächsten Woche mit ihm, sofern ich mit Humbria Fortschritte zeigte. Bis heute verstand ich nicht, wieso man dem armen Pferd nicht Zeit ließ, um sich zu entfalten, schließlich verlangte doch niemand, dass sie nach vier Wochen Training wieder auf Hochtouren lief, na ja, niemand außer Familie Alfvén.
      „Das wird schon“, sagte Lars dazu.
      Er hatte mich beim Warmfahren beobachtet und ich spürte den verärgerten Unterton, den sowohl Lina gestern als auch Basti vorhin angesprochen hatte. In meinen Augen waren wir dennoch einzig guten Freund, zu dem strebte er doch nach eigener Aussage, überhaupt keine Beziehung an. Außerdem, wenn es nicht so wäre, sollte er sich äußern und nicht, wie ich, alles in sich hineinfressen.
      Schließlich war es so weit. Im Schritt und langsamen Trab fuhr ich noch einige Runden, bevor die Durchsage kam. Zum Auftakt der Parade fuhr ich hinter allen anderen her und war froh, dass Humbria weiterhin ihre gute Form hielt. Der Marsch zum Auto kam schneller als erhofft und schon trabte sie im starken Tempo dem Fahrzeug heran. Es war ein guter Start. Kein Pferd sprang heraus und wir setzten uns noch vor der ersten Kurve vor allem anderen. Es sah leicht aus, aber war genau das Gegenteil. Sofern ich die Leinen lockerte, wurde sie schneller und mich beschlich das Gefühl, dass am Ende die Kraft fehlen könnte. Zudem war ich froh, ihren Kampfgeist gefunden zu haben. Aber es lag schon fast vor uns. Die anderen holten auf und die zickige braune Stute setzte sich neben uns. Humbria hatte noch Kraft, drückte sich immer tiefer ins Gebiss, bis ich ihr endlich die Möglichkeit freigab, anzuziehen. Mit jeder Schwebephase bäumte sich mehr Pferd vor mir auf. Die Mähne flatterte mit dem Zopf fröhlich im Wind und der Schweif kitzelte an den Wangen. Noch hundert Meter, dann hatten wir den Sieg. Tatsächlich dachte nicht viel darüber nach und mit einer Länge liefen wir durchs Zielfoto. Klatschen dröhnte von der Tribüne zu uns hinunter. Mit einem breiten Grinsen klopfte ich ihren Po. Die Stute pumpte, die Nüstern weit aufgebläht, aber die Schritte gleichmäßig. Mehr als glücklich drehte ich sie in der Kurve, um zum Winnercircle zu fahren. Auf halber Strecke kam Bruno dazu, der in die Leine griff, um sie zu führen. Mir rauchte der Kopf. Erst als den Blumenstrauß in der Hand, mit Pokal, hielt und für Gewinnerbild posierte, begriff ich, dass wir diesen Sieg mich nach Hause brachten.
      > Började rida sent och nu den första segern med ett kanadensiskt sto. Hur känner du dig?
      „Spät angefangen mit dem Fahren und nun den ersten Sieg mit einer kanadischen Stute. Wie fühlst du dich?“, drückte man mir ein Mikrofon ins Gesicht. Ich verstand nur die Hälfte. Das lag weniger an der Sprache, mehr am Rauschen meines Bluts und dem starken Wind.
      > Det är en stor ära.
      „Es ist eine große Ehre“, stammelte ich nur und der Herr begriff sofort, dass ich kaum ein Wort hervorbringen konnte. Er lachte kurz auf, eher verwirrt als belustigt.
      > Vi hade inga tvivel om de två i stallet och är glada att hon efter misstaget i förra loppet visade bättre form idag. Med framgång.
      „Wir hatten keine Zweifel an den beiden im Stall und sind froh, dass sie nach dem Fehler im letzten Rennen, heute eine bessere Form zeigte. Mit Erfolg“, schaltete sich Bruno mit ein. Musik ertönte aus den Lautsprechern und ich schwang mich wieder auf den Sitz, um zurück in die Box zu fahren. Der Plan wurde gestrichen. Vor mir tauchte Basti auf, mit einem derartig strahlenden Lachen, dass ich vor Glück beinah vom Sulky rutschte. Natürlich projizierte ich seine Freude sehr auf mich, doch der Grund waren die ganzen bunten Scheine vom Wettschalter, so meine Annahme. Beweisen konnte ich meine Gedanken nicht, aber zweifelte weiterhin daran, dass mich jemals jemand mögen, könnte. Es lag einfach in meinem Blut, dass jeder einen bösen Hintergedanken haben würde, erst recht, nachdem Erik mir selbiges bewiesen hatte. Lina sprang auch aufs Geläuf dicht hinter ihm.
      “Ich wusste, doch ihr zwei könnt das schaffen, herzlichen Glückwunsch”, strahlte die Kleine beinahe so freudig, als habe sie selbst gewonnen. Sie nahm mir den Strauß und Pokal ab, die ich beide auf unbestimmte Weise zwischen meine Beine, Hänge und Leinen hielt.
      “Danke”, sagte ich zittrig und suchte den Blickkontakt zu meinem Schwarm, der neben mir lief, die Hand auf meiner Schulter gelegt. In mir brach ein Sturm aus, zerstörerisch und ungezügelt wie psychischen Probleme, die mich steuerten. Von seiner Berührung aus trug sich das wohle Gefühl durch den ganzen Körper, wusste nicht genau, wie ich all das verstehen und verarbeiten sollte. Ich hatte keinen Vergleich. War es normal, sich zu fühlen? Schließlich waren Erik und ich uns ziemlich schnell einig, dass die Anziehung von beiden ausging, aber seine Körpersprache verstand ich nicht. Es könnte auch reine Freundlichkeit sein, wie von Lars.
      “Geborene Champions”, lobte Basti uns, “aber leider muss ich dich wieder verlassen. Netflix möchte auch laufen.”
      “Sehen wir uns später noch?”, rief ich ihm nach. Er drehte sich um und zuckte deutlich mit den Schultern, hob auch die Arme dabei an. Wie genau sollte ich das verstehen? Hing es an mir oder wollte er das Geld doch komplett behalten? Auf jeden Fall hatte ich Humbria davor gerettet, wieder von der Trainingsliste zu fliegen und das nächste Rennen lag in fassbarer Nähe.
      “Und wie fühlt man sich so als Champion?”, fragte Lina interessiert und in Plauderlaune.
      “Musst du das Pferd fragen, aber wie wäre es, wenn du es einfach testest?”, strahlte ich provokant und stieg aus dem Sitz. Leicht zog ich an den Leinen, um Humbria anzuhalten, die sich bereits beruhigt hatte und geduldig den Hilfen folgte.
      “Was, ich soll … jetzt?”, stammelte sie überrascht und ein leichtes Zittern machte sich in ihrer Stimme bemerkbar. Gleichzeitig schlossen ihre Finger sich fest um die Gegenstände in ihnen.
      “Ja, ich führe sie. Du musst auch nicht die Leinen nehmen”, schlug ich entschlossen vor und öffnete den Helm unter meinem Kinn, sonst würde es noch eine Auszählung von der Rennleitung geben oder einen der Helfer, die auf dem ganzen Gelände herumschwirrten wie gierige Mücken.
      “Du schwörst mir das Humbi brav ist?”, brachte sie piepsend hervor und schielte ängstlich zu der Stute.
      “Sieht sie aus, als würde etwas passieren?”, fragte ich stattdessen. Der Pilz konnte ihren Kopf nicht einmal halten, sondern hing in meinem Arm. Vorsichtig strich ich den Nasenrücken, während die Augen geschlossen waren. Selbst, als Pferde hektisch an uns vorbeizogen, öffnete sie diese nicht.
      “Nein?”, fragte sie mehr, als dass es eine Feststellung war. Dann wurde sie still, blickte nervös die Stute an, dann glitt ihr Blick irgendwo in die Leere. Ihre Mimik verriet nicht, dennoch war ich mir sicher, dass in ihrem Inneren ein Kampf tobte. Bestimmt eine halbe Minute war sie ebenso unbeweglich wie die Stute, bis sich ihr Blick wieder klärte.
      “Okay”, ein leichtes Zittern lag noch immer in ihrer Stimme, “ich probier’s, aber nur … nur ganz langsam.” Der Mut hatte sich offenbar als der Stärkere in dem inneren Gefecht herausgestellte.
      Kurz lachte ich, denn obwohl die Stute müde war, mochte sie langsam nur bedingt. Ich sagte nichts dazu, aber hoffte darauf, dass Humbria die Unsicherheit ihrer Fahrerin spüren würde. Meine Preise nahm ich ihr aus den Händen.
      “Leinen?”, fragte ich und bot das Leder an. Hektisch schüttelte sie ihren Kopf.
      Ich fummelte diese aus dem Gurt, machte einen großen Knoten rein und setzte das Pferd so langsam wie möglich in Bewegung. Erst schlug sie aufgebracht mit dem Kopf, doch als Lina schon hinabspringen wollte, blieb Humbria ruhig. Lobend wisperte ich der Stute zu. Schritt für Schritt legte ich etwas an Tempo zu, denn auch ich konnte nicht derart langsam laufen. Dennoch blieb es bei Schildkrötengeschwindigkeit bis zum Stall. Dann zuckte ich mein Handy und machte ein Bild, bevor Lina überhaupt Einspruch erheben konnte. Siegessicher grinste ich.
      “Ja, ja, das Leid für die Ewigkeit festhalten”, jammerte sie wenig ernstzunehmend und kletterte von dem Gestänge hinunter, als hätte sie Sorge Zuschauer anzulocken. Unmittelbar entspannte sich ihre Körpersprache, kaum hatte sie festen Boden unter den Füßen.
      „Samu glaubt mir das sonst nie im Leben“, lachte ich, Humbria öffnete ich sofort das Kopfstück und sie scheuerte sich ausgiebig. Ohne die Stricke zu befestigen, stand sie in der Gasse. Ich löste zunächst die Startnummern, reichte sie Lina, die sie an die Box hing. Diese waren nur gestellt von der Bahn: dann löste ich den Klickschluss vom Sulky und stellte diesen Weg. Zusammen nahmen wir das ganze Zeug ab, putzten noch einmal über das verschwitzte Fell, bevor ich die trockene Decke auflegte. Lina warf die Standardmenge an Futter in den Trog, dann konnte Humbria sich ausruhen. Bis zum Rennbeginn hatten wir einige Minuten und trotteten hinüber. Nour drehte bereits mit ihrem Hengst Runden.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 27.966 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte März 2021}
    • Mohikanerin
      [​IMG]

      kapitel fyrtio | 03. November 2022

      Maxou / Northumbria / Mondlandung LDS / Anthrax Survivor LDS / Forbidden Fruit LDS / Legolas / HMJ Divine / Just A Bear / Heldentum LDS / Astronaut in the Ocean LDS / Harlem Shake LDS / Outer Space / Moonwalker LDS / Meltdown / Pay My Netflix / Henade / Millennial LDS

      Vriska
      Nicht anders als erwartet, klingelte der Wecker wahnsinnig früh. Lars sprang beinah aus dem Bett, der Gesichtsausdruck ebenso müde wie meiner. Wir schwiegen, aber stellten durch reinen Augenkontakt sicher, dass es auch besser war. Während er zunächst das Badezimmer besuchte, schaltete ich die Kaffeemaschine ein. Sie piepte.
      „How dare you”, murmelte ich und füllte den Wassertank auf, wie sie es mir auf kleinen Display als Fehlermeldung ausgab. Einige Wassertropfen gingen daneben. Seufzend griff nach dem Küchentuch am Haken und wischte jene weg. Beide Kaffees waren bereits umgefüllt in Thermobecher, als mein Kollege endlich aus dem Bad kam. Jeder, der mir vorwarf, dass ich am Morgen Stunden darin verbrachte, kannte Lars nicht! Ich ärgerte mich noch etwas darüber, als ich im Anschluss den Raum betrat und wir wenig später zum Stall trödelten.
      „Wie immer?“, fragte er mit kurzen Worten. Damit meinte er, dass wir erst die Tröge in den Boxen füllten und im Anschluss ihre Bewohner holten. Es folgten die Hengste von den Paddocks und zum Schluss die Stuten.
      Die ersten zwei Arbeitsstunden vergingen. Nur langsam näherte sich die Sonne, an dem eher kühlen Tag und ich überlegte, womit ich anfangen sollte. Aus den wenigen aktiven Rennpferden wurden gefühlt immer mehr. Beinah wöchentlich kam Tyrell auf die Idee, ein weiteres Jungpferd von der Weide zu holen und uns damit zu beauftragen, es anzufahren. Immerhin beschäftigte er sich ebenfalls mit den Tieren bei der Bodenarbeit. Hinten und vorn kam ich durcheinander und war froh, wenn nur zwei Tiere für den Tag an mich zugeteilt wurden. Humbria hatte Pause, schließlich stand ein Rennen morgen an. Um mich zu gewissermaßen, wer noch mitkommen würde, holte mein Handy hervor. Tatsächlich waren es mehr als sonst. Sieben Pferde standen auf der Liste, zwei mehr, als wir durchschnittlich transportierten. Vielleicht lag es auch am Standort. Die Konkurrenz in Mantorp war überschaubar, mittelmäßig, ebenso die Dotierungen – dafür war die Stallanlage wunderschön und gepflegt. In der kleinen Gemeinde selbst gab es kaum etwas, neben der Trabrennbahn und Rennstrecke.
      „Was sitzt du hier herum, nichts zu tun?“, trat mein Bruder unverhofft in den Mitarbeiter-Raum herein.
      „Ich habe geschaut, welche Pferde morgen mitkommen“, erklärte ich.
      „Einige, soweit ich weiß“, sprach er, „ihr bleibt über Nacht, oder?“
      „Meiner Kenntnis nach, ja. Wieso?“, skeptisch schielte ich über meine Brille zu ihm hinüber. Mit verschränkten Armen stand er an den Küchentresen gelehnt, als gäbe es ein Problem.
      „Du hast Geburtstag. Willst du diesen nicht feiern?“, rückte er mit der Sprache heraus.
      „Nein?“, schrie ich beinah hysterisch und drückte mich mit den Händen von der Tischplatte ab, um aufzuspringen.
      „Schon gut. Ich wollte nur nachgefragt haben“, zuckte Harlen zurück. „Nimmst du deine Freundin wenigstens mit?“
      „Wir haben nicht darüber gesprochen“, gab ich achtlos zu verstehen und stürmte hinaus. Auf Gespräche wie diese hätte ich verzichten können, primär meinen Bruder sollte klar sein, dass dies ein schlechtes Thema am frühen Morgen. Oder allgemein.
      Verloren irrte ich durch den Stall, versuchte eine Aufgabe zu finden, was hinsichtlich der Müdigkeit und des allgemeinen Befindens alles andere als leicht erschien. Mehrmals lief ich den langen Gang an den Boxen vorbei, schaute zwischendurch zu den Pferden, bevor ich vor Frust den Weg zur Hütte einschlug. Allerdings kam ich nur bis zum Ende der Boxen, denn da stand Lars, mit Mola am Strick. Diesen übergab er mir.
      „Hier, du fährst mit ihr“, sagte er.
      „Warum? Lina arbeitet doch mit ihr“, wunderte ich mich zugleich und strich der neugierigen Stute über die Nase. Sie musterte mich mit ihren treuen Augen. Sanft spürte ich den warmen Atem aus den Nüstern auf meiner Haut, verwehte dabei einige Strähnen aus dem Gesicht.
      „Sie fährt aber nicht und du kannst besser mit Stuten umgehen als ich. Auch, wenn ich das ungern zugebe“, grinste mich mein Kollege an.
      „Na gut, hoffentlich nehme ich dir nicht die Arbeit weg“, gab ich mit einem Schmunzeln zurück.
      „Oh nein, wie schade, ein Pferd weniger. Da werde wohl wieder schlecht schlafen“, lachte Lars, dann verfinsterte sich die Miene, „Ich bin dir tatsächlich sehr dankbar, weil Anti sprang, abermals in das Gitter der Führanlage und nun spinnt der Motor.“
      „Und warum macht dein Papa das nicht?“
      „Der hat anderes zu tun“, erklärte er im Gehen, „bei den Stuten ist schon wieder die Heizung ausgefallen, deswegen funktionieren die Tränken nicht.“
      „Langsam bräuchten wir einen Haustechniker“, rief ich ihm noch nach. Nur unklar schwang eine Antwort an mich heran, die allerdings im Windzug und zwischen den Pferdegeräuschen unterging.
      „Und was machen wir beide?“, tätschelte ich Mola am Hals. Zusammen standen wir in der Putzbucht, die Stricke am Halfter befestigt und ich suchte mal wieder nach einer Bürste. Seit einigen Tagen lagen die Dinge nicht mehr Regal, sondern überall verteilt. Unglaublich, wer hinterließ nur so ein Chaos? Letztlich holte eine der Putztaschen aus der Sattelkammer und befreite das Pferd vom Staub. Schwer waren ihre Augenlider und der Atem ruhig. Ebenso still wie der Stall – keine blöden Sprüche aus der Halle, keine gezwungenen Gespräche – nur der Wind an den Scheiben und das Hufgetrappel auf dem Beton.
      Mola war sauber, trug den kürzesten Gurt, den ich fand und eine schwarze Unterlage. Über das Vorzeug dachte ich nur einen Moment nach, griff nach dem Erstbesten. Es fehlte nur noch der richtige Beinschutz sowie ihre Trense.
      Mit dem Sulky eingehängt, führte ich sie hinaus. Wir lenkten in den Wald ein. Frische Spuren mehrerer Pferde zeichneten sich in Sand, was sich nur auf Lina und ihre Gefolgschaft zurückführen ließ. Durch leichtes Zupfen an den Leinen blieb Mola stehen, spitzte die Ohren und ich versuchte ebenfalls herauszufinden, wie weit sie entfernt waren. Im Surren der Baumkronen flatterten Vögel hervor und leise schwebten einige Nadeln herunter. Mola lief auf Kommando wieder an. Ich wollte niemandem begegnen, also ging ich auf die mittlere Grasbahn, auf der für gewöhnlich nicht geritten wurde. Mich belastete der bloße Gedanke, dass ich Linas Pferd am Wagen hatte, obwohl sie es nur pflegte. Jede Begründung in meinem Kopf ergab nur wenig Sinn, dennoch konnte ich mich nicht davon lösen. Mir fiel es zwar leicht, ein Pferd abzugeben, dennoch bedeutete die Abgabe meistens den generellen Verlust. Fruity, die mittlerweile in Kalmar stand, war eins davon. Sie zu sehen, schmerzte, obwohl sie bei der Familie gut aufgehoben war. Manchmal erzählte Eskil mir vom gemeinsamen Training, aber ich hörte nie richtig zu.
      Nach einer Runde im Schritt trabte ich locker an und hielt das Tempo. Mola streckte sich. Wie die meisten unserer Traber, zog sie nicht an den Leinen, sondern wartete darauf, dass man nachgab. Ihren Kopf hielt sie selbst und fand damit selbst die Balance, sodass ich nur ihr Tempo über die Stimme regulierte. Meinen Blick richtete ich auf den kleinen Monitor vor mir. Gleichmäßig blieb ihre Herzfrequenz. Besonders bei den jungen Tieren war es wichtig auf Ausdauer zu setzen, damit sich der Herzmuskel langsam stärkte, sonst konnte es zu bösen Verletzungen kommen. Eine halbe Stunde später kamen wir zum Hof zurück. In der kalten Luft dampfte sie und wirkte dabei wie ein kleiner Drachen. Schmunzelnd stieg ich vom Bock und führte sie in die Stallgasse hinein. Dort herrschte ein reges Treiben, denn offenbar war Lina mitsamt ihrem Hofstaat bereits zurückgekehrt. Lego döste entspannt unter dem Rotlicht, während sein Reiter die Beine vom Dreck bespritzten Stoff befreite. Alle weiteren Pferde standen ordnungsgemäß zwischen den Anbindepfosten. Oder besser fast alle. Divine schob, begleitet von einem kratzenden Geräusch seine Futterschüssel, quer über die Stallgasse und hinterließ dabei einen Spurt aus Hafer, als wolle er wie Hänsel und Gretel seinen Weg markieren. Leicht schockiert blickte ich in die Menge, beinah erstarrt, doch Mola stupste mich an, als würde sie mich erinnern wollen, dass ihr kalt war.
      „Oh, Hallo“, lächelte Sam, die als erste Notiz von mir nahm. Freundlich stellten sich die Ohren des rundlichen Fuchses zu ihrer Linken auf.
      „Godmorgon“, murmelte ich überfordert von der Situation, schließlich bin ich bis zur letzten Sekunde davon ausgegangen, niemanden anzutreffen. Doch nun musste ich mich dem stellen, dass ich Mola gefahren war. Hitze stieg in mir auf, trotz der Kälte.
      „Wer ist denn das hübsche Tierchen?“, fragte die Schweizerin interessiert und hielt der Stute die Hand zum Beschnuppern hin. Neugierig bewegte sie ihre Lippe in die Richtung, aber begann dann, sich an ihr zu reiben. Mit dem Finger im Gebissring zog ich sie weg.
      „Mola“, antwortete Lina ihr, „das Jungpferd, was ich ausbilde. Na ja, zu teilen zumindest.“ Sie klang freundlich, wie immer, doch das standardisierte sanfte Lächeln ließ eine Regung nur schwer erkennen.
      „Und heute musste ich sie fahren“, murmelte ich gedrückt, bewusst den Augenkontakt meidend.
      „Wie war’s, hat die Kleine sich benommen?“, erkundigte sie sich interessiert. Falls es sie störte, dass jemand bei „ihrem“ Pferd mitmischte, ließ sie sich das nicht anmerken. Laut schepperte es, als Ivy auf seinem Weg eine Boxentür rammte. Lina zupfte leicht an seiner Mähne, woraufhin er den Kopf hob und sie ihn zurück dorthin führte, wo er ursprünglich gestanden haben musste, zumindest ließen die Hufglocke mit den Ottern dies vermuten. Von seinem neuen Standort aus ging nun die Suche nach den Futterkrümeln los. Warum konnte sie nicht wie jeder andere das Pferd befestigen? Innerlich schüttelte ich mit dem Kopf.
      „Ja, alles gut. Die Herzfrequenz schwankt noch, aber es geht Bergauf“, erklärte ich zuversichtlich, „in zwei Monaten spätestens soll sie in die Qualifikation.“
      „Das ist schön zu hören“, nahm sie die Information zur Kenntnis und befestigte inzwischen doch die Halteseile an ihrem Pferd, welches geradewegs eine fremde Futterschüssel ansteuert. Nach kurzem Schweigen führte ich Mola schließlich vor den neugierigen Blicken aller vorbei, selbst Niklas stand dabei und sah beinah mitleidig aus.
      „Ich gehe dann“, verabschiedete ich mich zittrig in der Stimme.
      „Ist alles in Ordnung mit dir?“, kam Lina mir nachgelaufen.
      „Ja … nein, keine Ahnung. Hat Niklas dir nichts erzählt?“, flüsterte ich. Am Gurt löste ich die Sicherheitsschnallen und drückte den Verschluss hinunter, um den Sulky herauszunehmen. Mola drehte sich einmal neugierig zu mir um, aber verharrte auf der Stelle. Erst dann befestigte ich sie in der Gasse.
      „Erzählt?“, fragte sie irritiert, „Ich weiß nicht …“
      „Interessant … nun, ich hatte gestern sehr freundlichen Besuch“, seufzend rollte ich mit den Augen und fummelte die Leinen auf dem Geschirr heraus, „Nelly ging davon aus, mir ihre Meinung zu unterbreiten, auch wenn sich mir noch nicht ganz erschließt, wie sie herausfinden konnte, wo ich wohne.“
      „Was? Das ist ja heftig“, mit weit geöffneten Augen blickte sie mich an.
      „Joa. Ich soll mich von Basti fernhalten, aber er antwortet mir ohnehin nicht, also passt schon“, murmelte ich. Den Gurt hob ich vom Rücken und legte ihn über die Mauer. Das Gebiss hängte ich an den Verschluss. Erleichtert schüttelte sich die verschwitzte Stute.
      „Oh nein, das tut mir leid“, entgegnete sie mitfühlend, „kann man dir irgendwie beistehen?“
      „Keine Ahnung“, ich zuckte mit den Schultern und schaltete den Wasserhahn. Ich wartete, bis es wärmer war und begann, den Schweiß aus dem Fell zu waschen. Lina ging einen Schritt zurück, um dem Strahl auszuweichen.
      “Was hältst du davon, wenn wir uns heute einen netten Abend machen, nur wir zwei?”, schlug sie vor, “Oder möchtest du lieber Zeit für dich?”
      „Kommst du morgen nicht mit?“, umging ich ihre Vorschläge. Mit weichen Knien tastete ich mich wieder zum Hahn vor und stellte diesen ab.
      “Es fragte mich bisher keiner gefragt, aber gerne komme ich mit”, entgegnete sie.
      “Jemand muss doch die Pferde trocken führen”, grinste ich.
      “Ach, du suchst noch einen Sklaven”, lachte sie, “Na gut, weil du es bist.” Sanft strich sie Mola über die nach vorn gestreckter Schnauze.
      “Es zählt zum Arbeiten, also bekommst du dein Geld”, nahm ich ihr den Wind aus den Segeln. Am Ende des Tages kamen wir alle gut klar, natürlich, Tyrell gab uns auch Verpflegungsgeld mit.
      “Ist ja gut, darum geht es doch gar nicht”, lächelte sie, “Ich wäre auch so mitgekommen.”

      15:30 UHR

      Nachdem Mola aufgefressen hatte und trocken war, konnte sie zurück auf dem Paddock. Von dort nahm ich das nächste Pferd mit in den Stall, um erneut zur Bahn zu fahren. So ging es noch ein paar Mal, bis der Plan mir keine weiteren Tiere anzeigte. Zwischendrin traf ich auf Lars, der sich den Hengsten widmete. Gerade, als ich Feierabend machen wollte, holte er mich zurück.
      „Wo willst du hin?“, fragte er verwirrt und ich drehte auf der Ferse um.
      „Auf die Couch“, antwortete ich trocken.
      „Aber Lina darf doch den Bären kennenlernen“, lachte Lars. Mir erschien kein Licht, als dass mir diese Information bekannt war.
      „Okay, schön. Was habe ich damit zu tun?“, hakte ich unbeteiligt nach.
      „Wir hatten gestern darüber gesprochen“, runzelte er die Stirn, „du kannst natürlich auch gehen, aber sie freut sich sicher. Außerdem ist Hulk mittlerweile nach Hause.“
      Lars tat beinah so, als wäre der Kerl ein Problem für mich, obwohl er in letzter Zeit ganz erträglich war – insbesondere, wenn ich an die Nacht dachte. Ein zartes Lächeln zuckte über meine Lippen und ich entschloss, noch zu bleiben. Zusammen liefen wir zum Anbinder, an dem Lina bereits, wie ein Reitschüler um das helle Pferd huschte, mit einem breiten Strahlen im Gesicht. Es schien beinah so, als wäre ihr Traum in Erfüllung gegangen, obwohl der Gedanke ziemlich weit hergeholt war.
      “Schön, beehrst du mich auch, Vriska?”, sprach sie beschwingt.
      „Natürlich, der Teddy bringt dir sicher neue Perspektiven“, brachte mich ihre Art ebenfalls auf Glücksgefühle, obwohl ich vor Minuten noch überlegt hatte, wie ich für ein paar Monate erneut verschwinden könnte. Lars, der sonst seine Blicke auf mich richtete, hing an Lina. Das Funkeln in seinen grünen Augen und diese gewissen Züge im Gesicht ließen nur erahnen, woran er gerade dachte. Ich beobachtete ihn nur für kurzen Moment, bevor ich ihn in die Seite zwickte und er sich krümmte.
      „Ey, was soll das?“, empörte er sich. Bears Ohren drehten interessiert in unsere Richtung und auch Lina drehte sich um. Da meinerseits keine Antwort kam, richtete sie sich dem Pferd hin und zurrte den Gurt fest.
      „Sie hat seinen Freund. Denk gar nicht daran“, flüsterte ich ihm ins Ohr.
      „Weiß ich doch“, schmunzelte er selbstsicher und zog eine Augenbraue verdächtig hoch.
      Lina und Bear waren so weit. Sie klickte den Verschluss des Helmes zu. Zusammen liefen die drei vor, ich folgte stumm. Aus dem Schrank hatte ich mittlerweile mein Handy geholt, scrollte die Benachrichtigungen auf dem Sperrbildschirm durch, aber entdeckte nichts, das meine Aufmerksamkeit bedarf. Lars gab Lina noch wichtige Tipps an die Hand, bevor er die Hand in den rechten Bügel drückte und sie sich in den großen Sattel schwang. Behutsam drückte sie die Beine in die Seite, während ihre Hände noch die langen Zügel sortieren. Der stämmige Hengst wurde mit vier an der Zahl geritten. Zwei davon führten zum Gebiss, die anderen zum Kappzaum.
      Von der Seite kam Nour angelaufen.
      „Oh, Lina reitet das Bärchen!“, stellte sie mit Begeisterung fest und setzte sich neben mir auf das Holz. Ihre schwarzen Haare hatte sie heute mal wieder offen, wie auch alle anderen Damen am Hof, bevorzugte sie einen Pferdeschwanz und an manchen Tagen trug sie diese sogar geflochten. Meistens war Lina der Grund dafür, denn sie diente ihr häufig – in Bezug auf die Haarpracht – als Vorbild. Tatsächlich bemerkte ich immer häufiger, wie wir uns alle an Lina orientierten.
      „Aber was sitzt du denn hier wie ein nasser Sack?“, fragte Nour nach Minuten der Stille. Lars war beschäftigt mit dem Reitunterricht, denn im Gegensatz zu den Freibergern, erwies sich Bear als sehr fein an den Hilfen. Jeder Druck zu viel am Bein bewegte den Hengst dazu, das Tempo zu erhöhen.
      „Ich weiß auch nicht, Nour. Es ist ziemlich viel im Moment“, hielt ich mich bedeckt, ihr Gegenüber, wissend, dass es sonst jeder wusste binnen Stunden.
      „Nelly hat es erzählt“, blickte sie mich mitleidig an.
      „Was denkst du denn? Bin ich zu weit gegangen?“, begann ich tatsächlich Rat bei ihr zu suchen, aber sie war mir das auf eine gewisse Weise auch schuldig. Schließlich war Nour es, die unbedingt eine Verbindung zwischen uns aufbauen wollte.
      „Nein, du hast dich richtig verhalten. Dass Basti wieder ankam, war doch auch nur eine Frage der Zeit“, sagte sie und lächelte.
      „Wie meinst du das?“, nachdem mir erzählt wurde, dass er kalt sei und kaum Gefühle zu ließ, hätte mich nicht darauf schließen lassen. Viel eher ging ich davon aus, ihn unglaublich nerven zu müssen, um Kontakt aufzubauen.
      „Vivi, der steht auf dich. Was denkst du, wieso er mit dir Essen geht und bei seinen Freunden auch dich dahaben möchte?“, sprach sie die Umstände aus, vor denen ich Angst hatte, zu denken.
      Unklar seufzte ich.
      „Es bringt nur nichts, wenn er eine Freundin hat“, murmelte ich.
      „Das stimmt. Hast du ihm das gesagt?“, hakte Nour weiter nach, die Worte mit Bedacht gewählt. Etwas war anders an ihr, tatsächlich fühlte es sich wie ein freundliches Gespräch an. Sonst lag eine gewisse Neugier in der Luft, die nun versteckt, im Inneren verstaut war.
      „Indirekt, aber er hat mir bereits klargemacht, dass er Nelly nicht verlassen wird. Damit ist das Thema für mich durch und ich muss ihn ziehen lassen“, sprach ich gedrückt zu Ende und starrte zum wiederholten Mal auf mein Handy, dass ich mittlerweile aus der Hose herausgeholt hatte. Lag mit dem Bildschirm nach unten auf dem Holz. Nour bemerkte dies natürlich.
      „Du vermisst ihn, stimmt das?“
      „Sehr, ja“, gab ich zu, „aber Lars hat gesagt, dass ihm Zeit geben soll. Wenn er mich braucht, wird er sich melden.“
      „Das klingt aber nicht danach, dass du ihn ziehen lassen möchtest“, scherzte sie.
      „Ich habe meinen Namen gehört“, drehte sich Lars auf der Reitbahn zu uns. Auf dem Zirkel bei A galoppierte Lina gerade, versuchte die großen Sprünge des Hengstes zu sitzen, aber wurde im zu großen Sattel nach vorn geschoben. Die starke rote Färbung ihres Gesichtes ließ mich nur ahnen, wie viel Kraft sie aufwenden musste.
      „Vergiss nicht zu atmen“, rief er ihr noch zu und stand dann mit den Armen auf der Bande vor uns.
      „Tatsächlich ja“, grinste ich, auf seine Anmerkung antwortend.
      „Aber es dreht sich nicht alles um dich“, trug Nour dazu bei. Die Geschwister sahen einander mit abschätzigen Gesichtszügen an, als würden sie genau die Gedanken des anderen hören können, während ich nichts verstehend daneben saß.
      „Worüber quasselt ihr? Vivi scheint mir ziemlich fröhlich“, blickte er skeptisch zu mir, als dürfte ich nur schlechte Laune haben.
      „Ihre Beziehung“, grinste Nour überzeugt.
      „Du meinst wohl eher, die Wunschvorstellung von einer“, zischte er. Aua. Das saß tief. Wie eine Diva drückte Lars sich vom Holz weg und stiefelte zurück in die Mitte.
      „Es gibt Tage, da ist er komisch. Hör nicht auf den“, versuchte sie mich wieder auf bessere Laune zu stimmen, aber das Thema war emotional durch. Schweigend saßen wir im Zuschauerbereich und beobachteten Lina, bis sie fertig war mit Bear. Lars wurde ungnädig, forderte viel von ihr und brachte sie ans Äußerste. Vermutlich konnte meine Kollegin damit einiges lernen, aber deutlich spürte ich die Frustration, die in Form von weiteren Fehlern ans Tageslicht kam. Endlich gab er nach und ließ sie allein Abreiten.
      „Wir bringen dann die Pferde raus“, verabschiedete sich Lars für den Augenblick und begann, mit Nour die ersten Tiere aufs Grün zu bringen.
      “War das anstrengend und ich dachte bereits Nikis Ansprüche seinen hoch”, erschöpft hielt sie mit dem hellen Hengst vor mir an. Sabbert tropfte aus seinem Maul, während er zufrieden das Metall in seinem Maul bearbeitete.
      “Mit Lars ist nicht gut Blumen pflücken”, scherzte ich. Wenn ich es verglich mit meinen Stunden bei ihm, musste Lina deutlich mehr hinnehmen. Eine Einordnung war schwierig.
      “Ich merke schon”, lächelte sie matt, ”aber Bear hat Spaß gemacht.” Sanft klopfte sie dem Traber den Hals und wuschelte durch die bunte Mähne. Zum Sauber machen begleitete ich sie. Seitdem ich mehr mit den Rennpferden arbeitete, bevorzugte ich es, die Pferde komplett abzuspülen, dass der Schweiß zum Abfluss lief. Lina war mit dem Füttern beschäftigt und ich reinigte das weiße Pferd. Bevor das Wasser durchsichtig wurde, spülten sich Massen an Dreck heraus.

      20:40 UHR

      Inzwischen saß ich bei Lina, oder eher meinem Häuschen, auf dem Fußboden, ziemlich abseits der Gespräche. Auf dem Wohnzimmertisch standen mehrere leere Gläser und Flaschen, die wir bis dato getrunken hatten. Die Stimmung war locker, nur ich fühlte mich noch immer fehl am Platz. In meinen Händen hielt ich fest die braune Flasche mit einem halben Etikett, starrte durch den Hals auf den Grund. Ein letzter Schluck darin schäumte sanft und ein bitterer Geruch stieg in meine Nase. Leise seufzte ich.
      “Ist dir heute nicht nach Gesellschaft?”, fragte Lina sanft, die auf dem zum Kühlschrank an mir vorbeigeschlendert kam.
      “Weiß nicht. Ich kann leider nichts Sinnvolles beitragen”, klagte ich.
      “Das erwartet doch auch niemand von dir”, sprach sie gutmütig. Im Hintergrund klirrte es, als ein Glas umfiel. Glücklicherweise bestand der Inhalt nur aus wenigen Tropfen, die sich auf dem Tisch verteilten. Auf der Zunge zuckte ein Kommentar, aber die Worte verklebten meine Lippen.
      “Vielleicht sollte ich wieder gehen”, redete ich leise vor mich hin, ohne wirklich zu erwarten, dass es jemand mitbekam. Wie eine alte Frau drückte ich mich mit den Händen vom Parkettboden ab und stellte die leere Bierflasche beiseite, um meine Jacke zu holen.
      “Du willst schon gehen?”, rief Sam plötzlich quer durch den Raum, offenbar hatte sie nicht nur Augen für den einzigen Mann in der Runde.
      “Ja, ich störe doch nur mit meiner Laune”, grinste ich selbstironisch.
      “Du störst doch nicht”, leugnete sie meine Aussage. Wie zur Untermauerung dieser Aussage nickten Lina und auch Nour grinste freundlich.
      „Jetzt lass dich doch nicht so runterziehen, das wird schon“, stimmte Lars‘ Schwester an, obwohl sie genauso gut wusste, dass die Worte nicht mehr als hohle Phrasen waren. Natürlich musste ich da durch, aber es war leichter, als er mich beim ersten Mal ignorierte.
      „Ist doch schon gut“, rollte ich mit den Augen und holte mir ein weiteres Bier. Schließlich setzte ich mich mit in die Runde.
      “In welchem Semester studierst du jetzt, Enya?”, nahm die Schweizerin, das Gespräch wieder auf, während Lina die Gläser mit roter Flüssigkeit befüllte.
      “Ich bin jetzt im Elften. Im Mai bin ich endlich fertig”, erklärte sie und unterstrich dies mit theatralischen Gesten.
      “Oh, schreibst du also gerade deine Doktorarbeit?”, fragte Lina interessiert.
      “Nicht ganz”, lachte Enya, “Ich mache gerade mein Staatsexamen und die Doktorarbeit kommt erst danach. Aber ich weiß bereits, worüber ich schreiben werde.” Erwartungsvoll blickten die anderen drei Mädels die Schwedin an.
      “Wer hätte es gedacht, über Pferde”, grinste sie, “genauer gesagt soll es eine Forschungsarbeit über bisher unbekannte Farbphänomene werden.”
      “Oh, das klingt cool”, sprach Lina begeistert, “Wäre Mola nicht perfekt dafür?” Aufgeregt sprang sie auf und suchte wie wild nach ihrem Mobilgerät, das augenscheinlich nicht in näherer Umgebung zu liegen schien.
      “Was hast du vor?”, rief Samu der Brünetten hinterher, als sie aus dem Zimmer wuselte. Er bekam keine Antwort, stattdessen krachte es wenig später besorgniserregend.
      “Die fährt bestimmt wieder ihren Film”, schüttelte ich mit dem Kopf und formte die Beine in den Schneidersitz.
      “Renoviert sie da drin?”, scherzte Sam, als weitere undefinierte dumpfe Geräusche aus dem Zimmer erklangen. Ich zuckte mit den Schultern. Kurz darauf kam sie aus der Tür getreten und lief ins Badezimmer.
      “Ha, ich hab’s”, rief sie triumphierend und kehrte mit ihrem Handy in der Hand zurück, welches sie sogleich Enya vor die Nase hielt.
      “Langsam Lina, der genau Rahmen ist noch gar nicht festgelegt”, bremste sie die Kleine in ihrem Enthusiasmus aus, “aber es ist ein wirklich hübsches Pferd.”
      “Wir hatten auch noch einen weiteren Nachkommen, aber der ist mittlerweile in Kanada”, warf ich in die Runde.
      “Ihr verkauft sogar außerhalb Europas? Respekt”, sprach Sam anerkennend. Ich wusste, dass sie selbst züchte, allerdings wohl in deutlich kleinerem Rahmen, als wir es hier taten.
      “Traber werden versteigert und da weiß man nie, wo der Jährling landet”, erklärte ich wahrheitsgemäß, “und besonders die Tiere aus Schweden sind beliebt auf dem Markt. Ein Grund mehr, weshalb Tyrell hierher wollte.”
      “Taktische Standortwahl, wirklich geschickt”, nickte sie, “das kann ich nicht gerade behaupten.” Sie lachte selbstironisch.
      “Dass es keinen Kredit mehr gab, weil das Gestüt abgebrannt ist, gehört auch dazu und Freiberger als Freizeitpferde mit Sportpferden ist schwierig”, zischte ich teils zickig, teils genervt.
      “Jetzt reiß dich doch mal zusammen”, flüsterte Nour mir ins Ohr, aber ich schwieg. Die Schweizerin sagte nichts weiter, schüttelte nur kaum merklich den Kopf, doch Lina schienen die Worte förmlich auf der Zunge zu liegen. Eindringlich blickte der Finne ihr in die Augen, als wisse er genaustens, was sie tun wollte.
      > Anna sen olla
      “Lass gut sein”, sprach Samu, bevor auch nur ein einzelner Buchstabe ihre Lippen verließ. Es folgte ein intensives Blickduell, was beinahe wirkte wie eine stumme Diskussion, bis die Kleine schließlich aufgab und den Blick abwendete.
      “Möchte noch jemand was zu trinken?”, fragte sie in die unangenehme Stille hinein, leerte ihr Glas in einem Zug, um es gleich darauf wieder aufzufüllen.
      “Besser nicht, ich fahre morgen den Transporter”, erklärte ich und stellte die leere Bierflasche auf dem Tisch ab. Auch Nour, die bisher nur ein Glas getrunken hatte, lehnte ab. Bei den anderen erübrigte sich die Frage aufgrund der nahezu noch gefüllten Gläser, genauer gesagt der etwas längeren Heimreise, die Samu und seine Freundin zurückzulegen hatten.
      “Welche Pferde nehmen wir morgen eigentlich mit”, nahm sie den Themenwechsel auf und drückte den Korken wieder auf den Flaschenhals.
      „Viele“, beschloss ich, nicht jedes aufzuzählen.
      „Mill fährt morgen ihr erstes Rennen mit Papa. Und ich habe mir wieder Walker“, schloss Nour sofort dem Thema an. In ihren Augen funkelte es, schließlich ging es um ihren Liebling.
      „Klingt, als hätten wir morgen einiges zu tun“, stellte Lina fest, „Da bin ich gespannt, wie Milli sich schlägt bei ihrem ersten Mal.“
      „Vor allem ist es ein Bänderstart. Grundsätzlich konnten wir das gründlich üben, aber bei der Qualifikation zog sie sich wirklich gut ans Auto, also mal sehen. Sie fährt gegen sechs andere Pferde, also überschaubar“, erläuterte Nour näher, „ach Vivi, du fährst morgen den Heat mit Shaker.“
      „Wieso muss ich das machen? Kannst du nicht?“, versuchte ich mich aus der Affäre zu ziehen.
      „Nein, kann ich nicht. Der muss nach dem zweiten Rennen laufen und ich bin mit meinem im dritten“, zog sie einen schärferen Ton an. Dazu sagte ich nichts mehr, aber konnte mir schon ausmalen, welche Lachnummer es werden würde. Der Falbe hatte viel Temperament und war im Heat sehr angefixt.
      „Shaker klingt nach einem außerordentlich schnellen Pferd", brachte Sam sich in das Gespräch ein.
      „Geht so“, spielte ich ihn herunter, „er verliert schnell die Kraft. Deutlich mehr Power haben Astro und Walker.“
      „Vergiss Alfi nicht“, fügte Nour hinzu.
      „Warte, der alte Bock kommt auch mit?“, wunderte ich mich. Sie zuckte nur mit den Schultern, hatte wohl auch nicht viel mehr Informationen.
      „Das ist ja interessant, den hattet ihr doch ewig schon nicht mehr mit“, überlegte Lina.
      „Er war eigentlich verkauft, vielleicht hat es damit zu tun“, warf ich ein.
      „Gute Frage, aber ich glaube, der Typ ist abgesprungen. Zudem wird er es nicht leicht haben gegen Netflix und Melt“, fügte Nour hinzu.
      „Das sind doch die beiden von Nelly “, sprach Sam unbeirrt den Namen aus, den ich am aller wenigstens hören wollte. Sofort richtete sich große Schwarzhaarige neben mir zu mir. Ihre Augen blickten tief in meine, dabei bewegte sie den Kopf von links nach rechts.
      „Stimmt, aber schwieriges Thema gerade“, erklärte sie der Schweizerin. Die Fragezeichen standen ihr ins Gesicht geschrieben, doch sie wagte nicht mehr in Erfahrung zu bringen. Damit hatte sich aber beantwortet, wie die Olle mich finden konnte.
      „Lina, wann fahrt ihr denn morgen?“, fragte sie stattdessen.
      „Um zwölf Uhr wollen wir eingepackt vom Hof“, nahm sich Nour der Frage an, denn Lina wusste nicht einmal, wann der Renntag begann.
      “Perfekt, dann kannst du mir morgen früh ja noch das Problem bei Hanni zeigen ”, schloss sie daraus, woraufhin Lina zustimmend nickte. Das Gespräch nahm seinen Laut, während die Zeiger der Uhr unaufhörlich weiterwanderten.
      “Wir würden uns so langsam verabschieden”, erhob sich Enya, was auch ihren Freund in Bewegung brachte. Vor den Fenstern war schon lange die Dunkelheit eingekehrt und den meisten von uns, waren die Anstrengungen des Tages anzusehen. Das Verlassen des Pärchens läutete das Ende des Abends ein, mit dem sich auch wir anderen in unsere eigenen Gemächer begaben. Endlich.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 29.362 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende April 2021}
    • Mohikanerin
      Ausdauertraining / Rennen L zu M | 28. Februar 2023

      Millennial LDS / Drive Me Home Tonight / Ehawee / Rainbow / WHC' Golden Duskk / Planetenfrost LDS / Moonwalker LDS

      Im entspannten Trab bewegten wir die Trainingspferde über die Bahn. Neben einiger der Zuchthengste hatten wir auch Gastpferde dabei. Besonders Toni zeigte Bedarf. Grundsätzlich erwies sich ihr Trainingsstand ziemlich gut, jedoch zog sie wie besessen an den Leinen, sodass die Durchlässigkeit im Vordergrund stand. Mill hingegen lief fröhlich voran, wie erwartet. Damit waren alle Rennpferde oder eher ehemaligen Rennpferde bewegt, etwas verbessert an der Ausdauer.

      © Mohikanerin // 465 Zeichen
    Keine Kommentare zum Anzeigen.
  • Album:
    stall.
    Hochgeladen von:
    Mohikanerin
    Datum:
    6 Dez. 2021
    Klicks:
    1.238
    Kommentare:
    26

    EXIF Data

    File Size:
    48,3 KB
    Mime Type:
    image/jpeg
    Width:
    960px
    Height:
    640px
     

    Note: EXIF data is stored on valid file types when a photo is uploaded. The photo may have been manipulated since upload (rotated, flipped, cropped etc).


  • Walker ist 6 Jahre alt.

    Aktueller Standort: Lindö Dalen Stuteri, Vadstenalund [SWE]
    Unterbringung: Hengstpaddock


    –––––––––––––– s t a m t a v l a

    Aus: Fly me to the Moon (DK) [Standardbred]
    MMM: Unbekannt ––––– MM: Unbekannt ––––– MMV: Unbekannt
    MVM: Unbekannt ––––– MV: Unbekannt ––––– MVV: Unbekannt


    Von: Outer Space (NZL) [Standardbred]
    MMM: Unbekannt ––––– MM: Unbekannt ––––– MMV: Unbekannt
    MVM: Unbekannt ––––– MV: Unbekannt ––––– MVV: Unbekannt



    –––––––––––––– h ä s t u p p g i f t e r

    Zuchtname: Moonwalker LDS
    Rufname: Walker
    Farbe: Perlino Schimmel
    [Ee AA CrCr Gg]
    Geschlecht: Hengst
    Geburtsdatum: Mai 2016
    Rasse: Standardbred [STB]
    Stockmaß: 158 cm

    Charakter:
    lauffreudig, ausdauernd, schreckhaft

    _2018
    Mai, Qualifikation in Hamburg (15,6s)
    Training bei Thomas Loewe
    Rennen in Deutschland und Schweden

    _2020
    März, Rückkehr auf das eigene Gestüt


    –––––––––––––– t ä v l i n g s r e s u l t a t

    [​IMG][​IMG] [​IMG]

    Dressur L [L] – Fahren E [E] – Rennen M [M] – Distanz E [E] – Gangreiten E [L]

    Ebene: National

    Dezember 2021
    Dressur E zu A

    Januar 2022
    1. Platz, 504. Distanzturnier
    3. Platz, 310. Gangturnier
    3. Platz, 570. Rennen
    3. Platz, 312. Gangturnier

    Februar 2022
    1. Platz, 313. Gangturnier
    3. Platz, 314. Gangturnier
    Rennen E zu A
    2. Platz, 510. Distanzturnier
    2. Platz, 315. Gangturnier

    März 2022
    1. Platz, 511. Distanzturnier

    Oktober 2022
    Jogging, Rennen A zu L

    Februar 2023
    Ausdauertraining, Rennen L zu M

    März 2023
    Gymnastizierung, Dressur A zu L


    –––––––––––––– a v e l

    [​IMG]

    Gekört durch HK 514 im Juni 2022.

    Zugelassen für: Traber aller Art; Barock-Reitpferd; Speed Racking Horse; Cruzado Iberico
    Bedienung: Keine Inzucht; Rennen mind. M
    DMRT3: AA [Fünfgänger]
    Lebensrekord: 1:09,2
    Decktaxe: 229 Joellen [Verleih auf Anfrage]

    Fohlenschau: 0,00
    Materialprüfung: 0,00

    Körung
    Exterieur: 7,23
    Gesamt: 7,81

    Gangpferd: 7,53


    –––––––––––––– a v k o m m e r

    Moonwalker LDS hat 3 Nachkommen.
    • 2019 Mitternacht LDS (aus: Nachtschatten)
    • 2019 Timetraveler LDS (aus: Middle Ages)
    • 2019 Khonshu Tröt (aus: Fieberglas)


    –––––––––––––– h ä l s a

    Gesamteindruck: gesund, im Training
    Krankheiten: keine
    Beschlag: Falzeisen [Stahl], Voll


    –––––––––––––– s o n s t i g e s

    Eigentümer: Lindö Dalen Stuteri [100%]
    Bezugsperson: Nour; Lina
    Züchter: Lindö Dalen Stuteri, Vadstenalund [SWE], Tyrell Earle
    [geb. in Deutschland]
    VKR / Ersteller: Mohikanerin

    Punkte: Gekört

    Abstammung [2] – Trainingsberichte [4] – Schleifen [9] – RS-Schleifen [0] – TA [2] – HS [2] – Zubehör [2]

    Spind – HintergrundKörung