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Mohikanerin

Mondlandung LDS [7/20] *11.24

v. Wunderkind, a.d. Fly me to the Moon

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Mondlandung LDS [7/20] *11.24
Mohikanerin, 6 Apr. 2023
Stelli, Veija und Wolfszeit gefällt das.
    • Mohikanerin
      Kein Anschluss unter dieser Nummer | 07. März 2022

      Iridium / Spooky Gun For Mister Einstein / Friedensstifter / Fly me to the Moon / Middle Ages / Kölski von Atomic / Blávör / Hawking von Atomic / Skrúður / Milska / Litfari / Kría von Atomic / Halldór von Atomic / Mondlandung LDS / Nachtzug nach Stokkholm LDS / Rainbeth / Schleudergang LDS


      Ein schlechtes und fast erdrückendes Gefühl thronte in meinem Bauch, als hätte es die Macht übernommen von meinem Körper. Es lähmte mich. Obwohl das Gestüt von meinem Bruder so viel mehr Möglichkeiten bot als das kleine Grundstück bei Stockholm, kam ich nicht voran. Schon vor Wochen wollte sich Ilja zurückmelden, wann er endlich mit seinen beiden Pferden in Schweden ankommen würde, doch er wirkte wie verschollen. Ein Grund mehr, wieso ich stundenlang nachdachte, was mit ihm sein könnte. Gab es Probleme mit der Einreise von Einstein oder Iridium?
      Wie jeden Tag kurz nach Zehn Uhr saß ich in dem Nebenraum zur Sattelkammer, trank meinen Tee und starrte durch das Fenster zum Hof. Von hieraus konnte man die Paddocks der Pferde sehen. Fried und Flyma knabberten gegenseitig an ihren Decken herum, während Middy in aller Seelenruhe danebenstand. Ihr Fohlen war abgesetzt worden. Nur noch Kölski schwirrte ihr um die Beine, der immer größer wurde.
      “Bruce, kommst du mit?”, betrat Jonina den Raum, in der Hand, ein Hufeisen. Sie legte es auf der Kommode ab und verblieb dort.
      “Klar, wieso nicht”, lächelte ich und erhob mich aus dem weichen Stuhl, “wer ist schon wieder Schuhlos?”
      “Blávör. Zumindest fehlte ihr eins”, erklärte sie. Zusammen verschwanden wir in der Sattelkammer.
      “Ich nehme Hawking heute mit. Wer muss denn heute noch?”
      “Du kannst Skrú nehmen, der hat sehr traurig aus der Box herausgeschaut, als ich mit Milska in die Halle gegangen bin”, scherzte Jonina.
      Wie gesagt, holten wir unsere Pferde, sie entschied sich für Litfari. Im Stall entfernten wir den getrockneten Matsch aus dem Fell, insbesondere den Beinen. Für die Tiere war das Wetter perfekt – Etwas feucht, kühl aber nicht kalt. Für meinen Geschmack könnten es fünfzehn Grad mehr sein. Wir sattelten die Pferde und ritten zum Wald. Jonina wollte gern die Jungpferde sehen. Also legte ich die Runde so fest, dass wir zwischen den Weiden hindurchkamen. Von allen Seiten strömten die Heranwachsenden zum Zaun. Kría und Halldór waren noch immer da. Mola, Tyrells Sonderlackierung klammerte sich an der Isländerstute, dicht gefolgt von Stokki. Alle wirkten fit, sie schnaubten, wieherten und spielten. Auch Hawking begrüßte interessiert seine Freunde, bei denen er noch vor zwei Wochen sein Leben verbracht hatte. Doch der Hengst wurde langsam groß und wollte unter den Sattel. Deshalb nahm ich ihn immer wieder als Handpferd mit, während Jonina mit der Bodenarbeit begann. Unsere Aufgabenteilung war klar und immer besser fasten die Zacken der Zahnräder ineinander, um die Abläufe fließender zu haben.
      Zurück am Hof kam mir Lina mit Betty entgegen, wohl auch auf dem Weg zum Wald. Auf dem Platz ritt Tyrell auf Schlendrine, die noch immer ihre Beine nicht sortiert bekam.
      “Was will der eigentlich mit der?”, flüsterte Jonina mir zu und zeigte dabei auf besagt Stute mit den Punkten auf dem Po.
      Ich wusste es nicht.
      “Wer weiß das schon. Ist nicht das einzige Pferd hier, bei dem die Notwendigkeit fraglich ist.”

      © Mohikanerin // Bruce Earle // 2990 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Oktober 2020}
      Fohlenbericht eins von sieben.
    • Mohikanerin
      Ankunft im Chaos | 20. Juli 2022

      Erlkönig / Raleigh / Glanni frá glæsileika eyjarinnar / Monet
      Otra / Narcissa / Blávör / Hallveig från Atomic / Saints Row / Kölski von Atomic / Voodoozirkus / Vrindr von Atomic / Willa / Þögn / Snotra

      Tasmania / Sign of the Zodiac LDS / Nachtschwärmer / Forbidden Fruit LDS / Ruvik / Lotti Boulevard / HMJ Holy

      Nachtzug nach Stokkholm LDS / L‘Épirigenys LDS / Ours de Peluche LDS / WHC' Email / Mitternacht LDS / Yumyulakk LDS / CHH' Death Sentence / Halldór von Atomic / Liv efter Detta LDS / Sighvatur från Atomic / Kría von Atomic / Mondlandung LDS / Kempa

      Polka Dot / WHC' Griechischer Wein / Sakura Blomst / Sisko / WHC' Oceandis / Snúra

      WHC' Ritter Der Rose / WHC' Guardien / Gneisti från Atomic / Connerys Brownie


      Natürlich kommt es immer anderes, als man denkt, aber, dass ich von einem Chaos im nächsten lande, lag außerhalb meiner Denkleistung. Der erste Tag vom Praktikum war ziemlich cool. Man zeigte mir den riesigen Hof. In einem Teil standen die Sport- und Rennpferde, in dem kleinen die Islandpferde und Ponys, bei denen ich sein würde. Allerdings war die Stimmung gedruckt und später erfuhr ich auch warum. Eine Kollegin floh von einem zum anderen Tag in den Urlaub, zumindest wurde das gesagt. Sie sei wie ein Teil der Familie, weshalb man es ihr nicht übel nehmen konnte. Die genaue Geschichte musste ich mir zusammenlegen, immer mal wieder schnappte ich einzelne Stücke davon auf. Nicht, dass es nicht wirklich interessierte aber mittlerweile war sie wieder da. Gesprochen haben wir bisher nicht, nur provisorisch. Vriska war ein seltsamer Mensch: Übertrieben freundlich, wankelmütig und unberechenbar. Die andere Kleine, Lina, kam verschlossen daher, sehr in sich gekehrt, doch als ich eines Tages entdeckte, wen sie an ihrer Seite, nahm ich Abstand, obwohl wir uns das eine oder andere Mal nett in der Reithalle unterhielten. Dass ich jemals auf Knasti treffen würde, außerhalb eines Turniers, hätte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen können.
      „Neele, kommst du mit?“ Jonina kam aus dem Stall, in der Hand hielt sie zwei Stricke.
      „Gern, wenn nimmst du?“, hakte ich nach. Einige der Pferde müssten noch bewegt werden aber vor allem mit Monet wollte ich gern in den Wald. Oft war bisher nicht ausreiten. Es lag eher an meiner begrenzten Zeit, als an meinem Pferd.
      „Ich dachte, wir nehmen unsere“, schlug sie lächelnd vor. Zum Glück!
      Wir liefen zu den Hengsten, die etwas weiter weg standen, genauer gesagt, neben dem Reitplatz. Dort standen auch Erlkönig, der Fuchs ihres Bruders und Raleigh, ein anderer Einsteller Hengst, der aktuell am Huf verletzt war.
      Freundlich brummte mich Monet an, als wir an der Ecke in sein Blickfeld liegen. Die Ohren standen kerzengerade nach oben, der Kopf ebenso aufgestellt und seine Hufe tänzelten aufgeregt auf der Stelle. Glanni, Ninas Hengst, interessierte sich nur wenig für uns. Er zupfte an seinem Heunetz im Unterstand, selbst das diese Kaltblut wirkte neugieriger als der Fuchs. Mit einem Blick zu meiner Kollegin wurde mir allerdings klar, dass die beiden wunderbar zusammenpassten. Auch ihre augenscheinliche Begeisterung breitete sich nur mäßig im Gesicht aus, vermutlich einer der Tage, an dem man sein Pferd dem Tier zur Liebe bewegt.
      Im Stall unterhielten wir uns über dieses und jenes, nichts sonderlich relevantes. Zwei neue Reitschüler waren für den nächste Tag angemeldet, weshalb Jonina meine Einschätzung über die Wahl der Pferde wissen wollte. Otra und Narcissa waren auf jeden Fall eine Idee, aber auch Kempa, die Einstellerin war und zwischendurch im Betrieb mitlief, könnte für Ältere etwas sein. Blávör, ebenfalls ein wenig beschäftigtes Einstellerpferd, hingegen wäre zu anspruchsvoll.
      „Du kannst morgen mit ihr auf die Bahn“, schlug die Kollegin vor.
      „Ja, warum nicht“, grinste ich und klopfte die Bürste am Holz ab. Einige der kleinen weißen Haare schwebten wie kleine Feen in der Luft, glitzernd durch den Staub im Strahl der Sonne, die durch das Fenster und ihr Licht schenkte. Der zauberhafte Moment hielt nur kurz an, denn Monet schlug mit Schweif und wirbelte die Partikel auf. Mit einem dumpfen Klacken flog die Bürste in meine Putzkiste. Ich lief hinüber in die Sattelkammer, schnappte mir all das nötige Sattelzeug und legte dem Pferd alles an, als auch die Huf sauber waren. Jonina war zu dem Zeitpunkt schon lange fertig, aber wartete geduldig, dass auch ich so weit war. Es faszinierte mich, wie sonderbar wenig Zeit die Leute hier am Hof in die Fellpflege investierten. Allerdings sah Glanni auch aus wie ein Plüschtier, das gerade aus der Waschmaschine kam.
      Wir ritten den schmalen Weg an der Baustelle entlang, um von dort den Wald zu erobern. Dabei begegneten wir Bruce, der mit einer kleinen Gruppe von zwei Reitschülern ausreiten war. Anhand der Pferde erkannt ich, dass es Fortgeschrittene waren. Hallveig und Saints Row konnten Stimmungsschwankungen haben, während die eine Stute ziemlich guckig an uns vorbeiritt, interessierte sich die andere nur wenig für die Hengste. Monet brummte ein paar Mal. Beruhigend tätschelte ich seinen Hals. Es faszinierte mich immer wieder, wie entspannt die Ponys aus dem Norden waren. In meiner Heimat wäre das Treffen deutlich hektischer verlaufen. Meine Augen hingen noch einen Moment an der Gruppe, bevor Jonina sich an mich wandte: „Lass uns hier abbiegen, dann können wir noch nach Pferden auf der Weide schauen.“
      Ich nickte, damit sparte ich tatsächlich den Kontrollgang, der am heutigen Tag auf meiner Liste stand. Zunächst ritten wir an den Hengsten vorbei, die verteilten auf dem kargen Grün ein paar Halme zupften. Die bunte Gruppe bestand aus allen erdenklichen Pferden, einige alte Renter-Wallache standen in der einen Ecke, in der anderen Jährlinge und dazwischen der Rest. Bei den Stuten sah es ähnlich aus. Allerdings waren die tragenden Stuten getrennt von den Jungpferden, um in den kommenden Wochen Leben auf die Welt zu bringen.
      „Wer ist das?“, zeigte ich ein kleines Pony in der letzten Ecke.
      „Du, das weiß ich gar nicht. Manchmal tauchen hier Pferd auf und manchmal fehlt eins. Es ist nicht so, dass ich die kenne. Wir schauen nur, ob sie leben und atmen“, lachte meine Kollegin und trieb ihren Fuchs etwas schneller am Zaun entlang. Tatsächlich wunderte mich auf diesem Hof nichts mehr. In meiner Vorstellungen waren Gestüte wie diese besser organisiert und hoffte auch darauf, dass dieser eine Ausnahme war. Geschichten, die an mich herangetragen wurden, klangen wie erfunden, besonders in Anbetracht, wie der Betrieb am Laufen blieb. Ein paar Mal überlegte ich, das zu fragen, aber behielt es für mich.
      Endlich im Wald angekommen, trabten wir die Pferde an und ritten eine gemütliche, wenn auch kalte, Runde auf der Bahn.

      © Mohikanerin // Neele Aucoin // 5980 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Februar 2021}
      Fohlenbericht zwei von sieben.
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugofem | 11. August 2022

      Satz des Pythagoras / Jokarie / Pay My Netflix / Maxou / Ready for Life / Northumbria
      Ours de Peluche LDS / Spök von Atomic / Nachtzug nach Stokkholm LDS / Mondlandung LDS / Kría von Atomic / Yumyulakk LDS / Heldentum LDS / Halldór von Atomic / Anthrax Survivor LDS / Liv efter Detta LDS / CHH’ Death Sentence / Kempa

      Lina
      So gut wie heute hatte sich die Schimmelstute vermutlich noch nie unter mir bewegt. Sie lief locker, kaute zufrieden auf dem Metall in ihrem Maul und selbst die Gespenster, die häufig für unvorhersehbare Hopser sorgten, schien heute vollkommen unsichtbar. Warum diese Einheit dennoch so ziemlich alles von mir forderte, war ausnahmsweise nicht Smoothies Kreativität, sondern viel mehr der kritische Blick meines Freundes. Konzentriert auf die Lektion galoppierte ich den Schimmel auf einer großen Kreislinie. Drei, zwei, ein Sprung und … Smoothie sprang bereits um. Natürlich blieb dabei nicht unbemerkt, dass die erfahrene Stute, den Wechsel vorwegnahm, bevor ich überhaupt die Hilfe gab.
      “Noch einmal und diesmal bestimmst du den Wechsel, nicht das Pferd”, schallte Niklas Anweisung durch die Halle, die ich nur nickend zur Kenntnis nahm. Den Wechselpunkt fest im Blick versuchte ich die Bewegung der Stute bewusst wahrzunehmen, um den vorherigen Fehler zu vermeiden. Diesmal sprang Smoothie den Wechsel tatsächlich erst auf meine Hilfen hin, wenn auch nicht so schön wie den vorherigen. Zwei weitere Wiederholungen wurden verlangt, dann war der Herr für heute endlich zufriedengestellt. Wo die Stute gerade so wirkte, als würde sie noch eine ganze Weile so fortfahren könne, war meine Energie erschöpft. Langsam ließ ich Smoothie die Zügel aus der Hand kauen, während sie locker vorwärts trabte. Runde um Runde streckte die Stute den Kopf tiefer zum Sand hin, schnaubte ab, bis ich schließlich zum Schritt parierte.
      “Lina, schau mal, was hältst du davon”, kam Niklas aus der Ecke herangelaufen, wo er es sich bisweilen gemütlich gemacht hatte und hielt mir sein Handy vor die Nase.
      “Du hast es aber eilig mit dem neu einrichten”, schmunzelte ich und betrachte den Inhalt des Bildschirmes genauer, auf denen sich mir offenbar Einrichtungsideen eröffneten.
      “Klar, ich möchte, dass wir es hübsch haben, wenn wir jetzt endlich allein sind”, sprach Niklas, beinahe, als sei Vriska ein lästiges Insekt gewesen, was es loszuwerden galt. So wirklich verstand ich noch immer nicht, weswegen seine Aversion derartig ausgeprägt war. Doch imstande, etwas daran zu verändern, war ich nicht. Als Lars darum bat, ob ich sie beide auf die Bahn begleitete, weil Vriska Unterstützung gebrauchen könnte, hatte ich ziemlich mit mir gerungen. Noch immer verspürte ich ein unangenehmes Drücken in der Brust, weil mein Kopf unwillkürlich negative Bilder mit ihrem Erscheinen verknüpfte, die nur sehr langsam verblassen wollten. Hinzukam, dass Orte mit angeschirrten Pferden nur bedingt zu meinen Lieblingsorten zählten. Die Traber mit ihrer bunten Ausrüstung lagen noch recht weit von meinem persönlichen Albtraum entfernt, erinnerten mich aber dennoch an die Dinge, die ich einst unwiederbringlich verlor. Zudem mochte ich mir nicht ausmalen, welche Gefahren die unheimlich hohe Geschwindigkeit in Kombination mit nervösen Pferden wohl mit sich bringen mochten. Warum ich dennoch mitging? In der Art und Weise, wie Lars um den Gefallen bat, wurde mir klar, dass es nicht einfach um Hilfe mit den Pferden ging, sondern dass er um meine Unterstützung als Freundin fragte. Das könnte nur heißen, dass es Vriska nicht wirklich gut ging. Ich konnte nachvollziehen, dass es für sie belastend sein musste, gerade erst wieder angekommen zu sein und dann solch eine Abweisung zu erfahren. Auch mir fehlten die täglichen Interaktionen mit ihr, so wollte ich zumindest versuchen über die Bilder, die mir klebrig und zäh wie Baumharz im Gedächtnis klebten hinwegzusehen.
      “Und, was sagst du jetzt dazu?”, erinnerte mich Niklas daran, dass er immer noch auf eine Antwort wartete.
      “Es ist ziemlich schlicht”, äußerte ich diplomatisch. Was ich sah, war ästhetischen ansprechend, aber ziemlich unpersönlich und minimalistisch.
      “Also dir gefällt es nicht?”, schlussfolgerte mein Freund aus der eher Verhalten Reaktion und nahm sein Mobilgerät wieder an sich.
      “Na ja, schon, aber es könnte alles ein wenig wohnlicher sein. Aber können wir uns damit nicht später befassen?”, bat ich ihn erst einmal in Ruhe seine Stute abzureiten und wegzubringen.
      “Natürlich, mein Engel”, gab er nach und steckte das Handy weg. Stattdessen holte er ein Leckerli auf der Tasche und steckte es Smoothie zwischen die Lippen. Genüsslich kauend trotte die Stute neben ihrem Herrchen her, stupste ihn immer mal wieder spielerisch an mit dem Ziel eine Reaktion zu erhalten. Bereits seit einigen Wochen beobachtete ich, dass die Schimmelstute deutlich ausgeglichener war. Selbst mir gegenüber war sie weniger unwirsch, was ziemlich sicher mit Niklas vermehrter Anwesenheit zusammenhing. Was ein Glück, dass dies nun ein dauerhafter Zustand sein würde.
      “Ich wette morgen wird mir alles wehtun, aber allein das Reitgefühl heute war es wert”, grinste ich zufrieden, als ich zwanzig Minuten später aus dem Sattel glitt. Bereits jetzt spürte ich die leichte Verhärtung in meinen Muskeln, die den Muskelkater nahezu ankündigten.
      “Schön, dass es dir offensichtlich Spaß gemacht hat”, sprach mein Freund und nahm mir die Zügel seiner Stute aus der Hand, “Das kannst du öfter haben, wenn du nicht gleich alles vergiss und schön weiterübst.”
      “Ob ich mir das alles bis nächstes Jahr behalten kann?”, scherzte ich munter, “Ich weiß ja nicht.” Während Niki, bereits damit begann die Stute vom Sattelzeug zu befreien, lief ich fröhlich vor mich hingrinsend, direkt in die Futterkammer. Mit wenigen schwungvollen Bewegungen war die Schüssel mit gut duftendem Hafer befüllt und zurück zu dem Pferd getragen. Kaum hatte die Schüssel den Boden berührt und das Standardbred verdient seine Schnauze darin versenkt, vibrierte es an meinem Oberschenkel. Kaum hervorgezogen, leuchtete der Bildschirm auch schon mit einigen Benachrichtigungen auf. Zu Oberst leuchtet Instagram, welches mir mitteilen wollte, dass nach wie vor meinen Notifikationen explodierten. Aus mir nicht ganz erklärlichen Gründen löste das bisher erste und einzige Reitvideo von dem kleinen Weihnachtsauftritt eine wahre Lawine an Likes und Kommentaren aus, deren Inhalt ich allerdings nicht näher betrachtet hatte. Zu groß war, meine Sorge, weniger erfreuliche Worte darin zu entdecken. Das soziale Netzwerk weiterhin ignorierend, öffnete ich stattdessen die Nachricht von Mateo, die ebenso dort aufleuchtete.
      “Hast du Karie schon bewegt?”, war alles, was dort zu lesen war. Verwundert zog ich die Augenbrauen. Für gewöhnlich war es nicht die Art des Schweizer mit der Tür direkt ins Haus zufallen. Zudem hatte er gestern erst angekündigt, dass er heute wiederkommen wollte, also warum fragte er dann nicht einfach, wenn er da war?
      “Nein, habe heute Morgen nur nach dem Rechten gesehen. Sah happy aus, dein Pony”, tippte eine schnelle Antwort. Kaum war die Nachricht versendet, sprangen die Haken hervor und änderten ihre Farbe.
      “Perfekt <3”, war alles, was darauffolgte und prompt, war er wieder Offline. Normal war dieses Verhalten nicht. Untypisch war nicht nur die Wortwahl, sondern auch die Nutzung des leuchtenden roten Herzens. Hatte er sich plötzlich eine neue Persönlichkeit zugelegt oder was stimmte nicht mit ihm nicht? Wenn er später kam, sollte ich diesem Mysterium auf den Grund gehen.

      Zur gleichen Zeit, einige Meter weiter

      Vriska
      Über tausend Ecken hatte ich erfahren, dass ich selbst von meiner Familie zurückgelassen wurde. Sie fuhren nach Stockholm, um den Jahreswechsel zu erleben. Der Schmerz saß tief, zwischen all den anderen Päckchen, die ich mit mir trug und verdrängte. Ich war immer außen vor, egal, was mich betraf. Vermutlich hatte keiner überhaupt einen Gedanken verschwendet, ob ich mitkommen wollte. Das Gespräch konnte ich mir förmlich schon vorstellen, wenn ich Mama sagen würde, dass ich es nicht nett fand. „Du kommst doch nie mit“, wäre ich ihre Standardantwort und dann verlässt sie den Raum. Somit konnte ich es mir sparen, überhaupt was zu sagen.
      Seit Stunden saß ich allein in der Küche, goss mir ein Glas Wein nach dem anderen ein und versuchte im Internet einen Ausgleich zu finden. Aber ich kam in ein Rabbit Hole, das mich minütlich in tiefere Ebenen zog. Zufällig wurde mir Moa auf Instagram empfohlen und ich sah hunderte Bilder mit Erik, auch aus Zeiten, als wir miteinander gingen. Anhand des Datums identifizierte ich auch, dass es Tage waren, an denen er ‚wegen des Studiums‘ nicht herkommen konnte. Schön wäre gewesen, wenn ich nicht noch mehr entdeckte hätte, wie, dass er einen Account hatte, diesen mir aber bis heute verschwieg. Nein, er hatte mich sogar blockiert. Mit zittrigen Fingern tippte ich durch seine Beiträge über einen anderen Account von mir, den ich mal mit Jenni erstellt hatte. Es schien, als hätte ich nie existiert, aber den Eindruck vermittelte mir jeder im Umfeld. Anstatt es hinzunehmen, trank ich einen kräftigen Schluck und holte mein Handy von der Couch. Keine einzige Nachricht leuchtete mich an, aber ich wusste es zu ändern. Im Chat prangerte noch immer seine Bitte auf Abstand. Aber ich machte mir nichts daraus, stattdessen fotografierte ich kommentarlos sein Profil ab und sendete es ihm. Kaum wurde aus einem Haken, ein Zweiter änderte sich ‘online’ auf ‘schreibt’.
      „Du hast nie danach gefragt“, kam es als Antwort. Damit hatte er recht. Ich wusste nicht, was nicht erwarten würde, andererseits schätzte ich ihn nicht als so eine Person ein, die auf Instagram Bilder veröffentlichte. Aber dem war nicht so, stattdessen waren es sehr viele, teils freizügig. Seltsam, wenn ich bedachte, dass er beim Schwimmen nicht einmal, sein Hemd ausziehen wollte.
      „Du hast mich blockiert“, antwortete ich.
      „Ja“, leuchtete sofort auf. Mir fehlten die Worte hierfür. Also schloss ich den Chat nur und schaltete das Handy auf Bitte nicht stören. Es verstummte, obwohl es zuvor kaum mehr von sich gab. Zumindest gab es mir auf diese Weise die Möglichkeit, ein Gefühl von Kontrolle zu erfahren. Erik schien die Angelegenheit wichtig, denn auf meinem Laptop leuchtete eine Nachricht von ihm auf, aber unter seinem Pseudonym, dass ich aus nicht erkenntlichen Gründen, noch in meinen Kontakten aufführte.
      „Deine Berührungen fehlen mir“, schrieb er. Misstrauisch beäugte ich seine Nachricht und war mir nicht sicher, worauf er hinauswollte. Mit Abstand hatte das wenig zu tun, deshalb ignorierte ich es und schloss das Rabbit Hole, genauer gesagt alle vierzehn Tabs, die ich mittlerweile angesammelte hatte. Unter seinen Zweitnamen, wie ich im Laufe der Recherche herausfand, eröffnete sich eine ganz andere Person vor mir. Erik hatte mir Dinge nicht nur einfach verschwiegen, sondern gelogen. Mehrfach. Ich stieß auf Bilder aus jüngeren Jahren, Geschichten aus der Zeitung und es mutete eher so an, als wäre er in einem glücklichen Familienbild aufgewachsen. Kein Übergewicht, nur ein Autounfall mit achtzehn Jahren. Er hatte ein Fahrzeug auf einem Parkplatz geklaut und sich damit um eine Laterne gewickelt. Selbst dazu fand ich Bilder, die mir ein elendiges Drücken im Magen auslösten. Aber damit sollte Schluss sein. Nur noch ein Tab lag offen vor mir und das war Niklas’ Instagram Profil, auf dem er sich mittlerweile mit eiserner Brust und Lina an der Seite präsentierte. Die Beiden sahen glücklich aus, mit den zwei hellen Pferden neben sich. Davon bekam ich jedoch nur noch wenig mit. Seine Aktion, immer weiter einen Keil zwischen uns zu treiben, gipfelte nun in seiner bereits angesprochen Drohung, dass ich ausziehen müsse. Gestern aus heiterem Himmel kam Lina her, erzählte von seinen Plänen und sagte dazu: “Es wäre doch für uns alle nicht ganz angenehm.” Nickend und mit einem aufgesetzten Lächeln nahm ich es hin. Eine Diskussion würde nichts nutzen, zu dem wirkte sie so glücklich über seinen Einzug, dass ich ihr die Freude nicht nehmen wollte. Damit verzichtete ich auf meine Bedürfnisse, aber die verloren ohnehin an Wert.
      Noch einen prüfenden Blick erhaschte ich auf Niklas‘ straffen Oberkörper, bevor auch dieses Tab in der Versenkung landete. Seufzend lehnte ich mich zurück in den knarrenden Stuhl und klammerte mich fest an dem Weinglas, das beinah leer war. Unter dem Tisch erwachte der Rüde zu leben. Langsam hob er den Kopf und schaute mich mit müden Augen an, schlappte dabei mit der Zunge seine Nase. Vermutlich wollte Dog seine Abendrunde. Mir fehlte leider die Motivation, weshalb er noch eine Stunde warten musste, bevor er seine Nase in den Schnee stecken konnte. In der Zwischenzeit packte ich das Worddokument aus, das als meine aktuell einzige Ablenkung herhielt. Nach meiner Recherche fühlte es sich an, als wäre alles für den Mülleimer. Nichts daran stimmte mehr, noch schlimmer, brachte mir den sehnsüchtigen Wunsch nach Erik zurück. Trotz all des Schmerzes vermisste ich ihn fürchterlich und selbst Lars, der je her weitere Annäherungsversuche in Kauf nahm, änderte nichts daran. Nur ein Gedanke verdrängte diese Gefühle – Der Herr von Rennbahn, der eigentliche Grund, weshalb ich das Laptop gestartet hatte. Ich hatte einen Namen, sowie den seines Hengstes, damit würde ich weit kommen, dachte für einen Augenblick, bis die Suchmaschine mir gegenteiliges bewies. Augenscheinlich war er ein unbeschriebenes Blatt und Netflix ebenfalls. Mit den Erfahrungen, die bei Erik gesammelt hatte, wurde ich suspekt. Was verheimlichte er?
      Bevor ich der Sache auf den Grund gehen konnte, meldete sich Dog zu Wort und legte seine Vorderpfoten auf meinen Beinen ab. Die kastanienbraunen Augen leuchteten im warmen Licht der Deckenlampen und drückten das Weiß nach oben.
      „Lass uns herausgehen“, schlug ihm vor und stand auf. Der Rüde rannte schwanzwedelnd zur Tür und sprang dabei immer wieder um meine Beine herum. Da ich erneut umgeben von Kisten war, hatte ich keinen Überblick in welcher mein Anzug lag, also schnappte ich mir Lars Thermohose und meine dicke Hofjacke, darunter mehrere Schichten aus Shirt und Pullover. Über den unordentlichen Zopf setzte ich eine Mütze und verließ letztlich die Hütte. Sofort drückte sich ein kalter Windzug in mein Gesicht. Doch den Hund schien das kalte Wetter nicht zu interessieren. Fröhlich sprang er von einem kleinen Schneehaufen zum nächsten.
      An den Weiden gab es so gut wie mein Licht, aber im Schein des Mondes erkannte ich die Facetten der Jungpferde. Neugierig treten die Hengste heran und musterten das seltsame kleine Wesen, dass seine Nase zu ihnen streckte. Besonders Halldór, ein vierjähriger Isländer Hengst, konnte es kaum abwarten, das Tier zu sehen. Mit einem lauten Quietschen setzte er nach vorn und verdrängte die anderen neben sich. Aber Dog wollte lieber weiter. Zusammen liefen wir den Weg zum Hof entlang, unter uns knarrte der Schnee und vereinzelte Flocken rieselten herunter. In den Ohren lagen das Schnauben der Pferde, aneinanderreibende Baumkronen und zwischendurch meine ich einen Uhu gehört zu haben. Wenn es nur nicht so kalt wäre, könnte es idyllisch sein.
      In der Reithalle leuchtete noch die komplette Deckenbeleuchtung. Durch die großen Glasfenster rauschten undeutliche Facetten vorbei, die aber auf Lina hinwiesen und vermutlich ihren Göttergattern.
      „Komm Dog, wir gehen hier lang“, wies ich den Rüden auf einen schmalen Weg entlang, der entlegen vom Hof zu den Wohnhäusern führte.
      „Hast du gar keinen Besuch?“, merkte Tyrell an, als wir bei ihm vorbeikamen. Er stand mit einer halb abgebrannten Zigarette auf der Terrasse und überblickte sein Schaffen.
      „Nein“, antwortete ich knapp, ohne Blickkontakt zu suchen.
      „Dann komm doch zu uns. Bruce ist da, Eve -“, bevor die Aufzählung beendete, unterbrach ihn.
      „Passt schon, ich habe zu tun“, grinste ich aufgesetzt.
      „Kartons mal wieder ausräumen?“
      „Jein, mein Buch“, erklärte ich kurz und damit endete das Gespräch. Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus und verschwand ins Innere der Hütte, aus der tiefe Basstöne dröhnten. Allein der Musik wegen wollte ich nicht dabei sein, obwohl ich die letzten Jahre immer bei ihnen saß, konnte ich die Fassade nur schwer aufrechterhalten.
      Dog trocknete ich im Flur ab, bevor er wie von einer Tarantel gebissen ins Wohnzimmer hetzte und sich über die Couch drückte. Ich hatte mir in der Zeit das Handy genommen. Unter Avledning begrüßte mich noch eine weitere Nachricht: „Ein Wort und ich stehe vor deiner Tür.“
      Er bekam keins von mir, stattdessen verdrehte ich die Augen und wischte auf dem Homescreen herum, als eine weiße Eins in einem roten Kreis ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Eigentlich gar keine schlechte Idee, vielleicht wäre in der Nähe jemand, der heute noch Zeit hatte. Deswegen aktualisierte ich meinen Standardort auf Kalmar, den in Vadstenalund und Umgebung würde sicher niemand sein.
      Eine Weile wischte nach links, bis mich ein attraktives Bild gegrüßte und gerade dazu einlud, die Automatik zu stoppen. Niklas, 26 Jahre. Mit offenem Mund starrte ich auf den Bildschirm, versuchte mich zu irren, aber ihn konnte ich zwischen Tausenden erkennen. Der blaue Haken neben seinem Namen sprach ebenfalls Bände. Aus reiner Neugier drückte ich mich durch sein Profil und alles daran klang nach ihm, selbst Wagner als „Lieblingsmusiker“ abzugeben, würde nur ihm einfallen. Geplagt von Trauer und Verlust, drückte ich den Sperr- und Lauterbutton, um den Screenshot ohne weitere Nachrichten an Lina weiterzuleiten. Allein das gab mir Genugtuung für den Abend und ich lehnte mich in die Couch. In zwanzig Minuten war es so weit. Ein weiteres schreckliches Jahr würde sich in mein Leben schleichen, ohne etwas ändern. Ich würde älter werden, vielleicht eine neue Frisur haben und eine weitere hoffnungslose Bekanntschaft. Nichts Nennenswertes, wenn es mit dem Leben anderer verglich. Aber es sollte endlich was werden, also wischte Niklas nach rechts und schaute weiter. Immer mehr Nichtigkeiten eröffneten sich vor mir, bis wieder mein Finger stoppte. Dieses Mal musste ich mich zusammenreißen, nicht sofort nach rechts zu wischen und zu hoffen, dass er antworten würde. Ein Gefühl von drängender Lust schoss von einem zum anderen Augenblick durch meine Finger. Seine Hilfsbereitschaft hatte mir Geld beschert, dass ich für ein richtiges Turnierpferd gebrauchen konnte. Aber bevor ich zusammen hätte, wäre Maxou sicherlich so weit. Wie es mit der Stute weitergehen würde, wusste ich nicht. Schließlich teilte ich sie mir noch mit Erik, der vermutlich nicht mehr lange so gnädig mit mir sein würde. Zweifel kamen, doch als ich den Blick wieder zum Handy hinabsenkte, verflüchtigten sie sich, wie eine Mücke im Tornado. Interessiert öffnete ich sein Profil und verschlag all die mir gezeigten Inhalte. Er war genauso, wie ich ihn mir unter der Bedeckung vorgestellte hatte. Sein Gesicht zeichnete ein fröhliches und ehrliches Lächeln, mit kleinen Grübchen am Kinn. Der Bart stoppelig rasiert. Auf dem Bild trug er sogar Reit-Stiefeletten und neben dem Bier auf dem Tisch, lag ein Führstrick. Egal, wie schwer es werden würde, ich wollte ihn, auch wenn es verrückt klang.

      In der Reithalle

      Lina
      “Und ihr glaubt wirklich, dass das klappt?”, blickte ich zweifelhaft die Hindernisständer an, auf denen Mateo, gerade eine der bunten Stangen platzierte, “Ich bin seit Ewigkeiten nicht mehr gesprungen.” Die Stange lag nicht viel höher als dreißig Zentimeter und konnte somit locker mit einem normalen Galoppsprung überwunden werden, doch es bereitete mir dennoch ein mulmiges Gefühl. Zuletzt gesprungen war ich vor fünf Monaten mit Nathalie, auf die hundertprozentiger Verlass war. Die große Scheckstute sprang ausnahmslos jedes Hindernis, egal, wie schlecht man es anritt. Außer ein paar Minisprünge in meiner Jugend besaß ich auch kaum mehr Springerfahrung, als die mit Nathy.
      “Na, klar, klappt das. Es ist nur ein kleiner Hüpfer”, grinste Sam, die seit einigen Stunden auf das nächtliche Ereignis hinfieberte. Unerwartet war die junge Frau in meinem Wohnzimmer aufgetaucht und hatte mir noch, bevor sie erklärte, wer sie war, eröffnet, dass ich für dieses Jahr noch ein letztes Mal aufs Pferd musste. Niklas hatte sie auch überzeugen wollen, doch auch oder ganz besonders in der Silvesternacht wurde nach Sicherheit verlangt, weshalb er leider arbeiten musste. Auch wenn ich meinen Freund lieber dabeigehabt hätte, verhießen Mateo und seine aufgeweckte Schwester eine nette Gesellschaft für den Jahreswechsel zu werden.
      “Lina, komm mal her zu mir”, sagte Mateo freundlich und winkte mich zu sich heran. Sanft drückte ich meiner Stute die Waden in den Bauch, worauf hin sie freudig zu ihm hertippelte.
      “Ich weiß, du bist mit deiner Stute noch nie gesprungen, aber ich habe euch schon bei der Dressur gesehen, ihr passt gut zusammen. Außerdem sagtes du doch, Redo ist nicht nur ein Lehrpferd, sondern eines, welches auch noch bei der Polizei war”, sprach er mir Mut zu, “Ich bin mir sicher deine Stute macht das mit links und wenn du gleich auch so gut im Sattel sitz wie sonst, schaffst du das hier auch.” Ein bestärkendes Lächeln lag auf seinen Lippen, bevor er noch etwas hinzufügte: “Aber ich werde dich nicht mit diesen Steigbügeln springen lassen.” Sanft löste er meinen Fuß aus dem Bügel und machte sich wie bei einem Anfänger an den Reimen zu schaffen, um diese gute fünf Löcher kürzer zu schnallen.
      “Ja, so ist besser”, stellte er zufrieden fest und stellte mein Fuß zurück, bevor er sich auch an der anderen Sache zu schaffen machte.
      “Um das Pferd sorge ich mich auch weniger, aber was ist, wenn ich alles vergessen habe? Wie man sitzt, wie man den Sprung anreitet, wie man richtig mitgeht …”, äußerte ich weitere Bedenken.
      “Erzähl nicht so einen Quatsch, Lina, so schnell vergisst man, dass alles nicht und falls doch, bin ich ja auch noch da. Du fällst mir nicht vom Pferd, dafür sorge ich schon”, schlug Mateo meine Argumente voller Überzeugung nieder und zurrte so gleich auch noch den Gurt der Stute enger. “Und jetzt zeigt Ihr erst einmal das Hindernis und dann kannst du mal in Schritt und Trab darüber.” Kurz drückte er in einer Geste der Ermutigung mein Bein, dann trat er zu Seite. Erstaunlicherweise fühlten sich seine Gegenwart unheimlich vertraut an, obwohl er gerade erst seit Mitte November zum Team gehörte.
      “Na gut”, nickte ich und trieb die Rappstute einige Schritte vor. Hoch interessiert schnupperte sie an dem glänzenden Plastik und befand es ziemlich schnell als ungefährlich. Verfressen wie sie war, stupste sie nun Mateo an und verlangte nach einem Leckerbissen. Dieser schüttelte nur lachend den Kopf, griff in den Zügel und führte die Stute über die Stange. Artig folgte Redo dem jungen Mann, hob dabei die Füße allerdings nicht viel höher als notwendig, wodurch bei jedem Schritt ein dumpfer Laut erklang.
      “Siehst du Lina, dein Pferdchen langweilt sich dabei sogar”, grinste Sam und trabte mit der Stute ihres Bruders locker vorbei. Die dunkle Fuchsstute bewies auch heute Nacht wieder einmal ihr Temperament und stellte die Sattelfestigkeit ihrer Reiterin mit dem ein oder anderen Bocksprung infrage.
      “Du hast jetzt noch ungefähr acht Minuten, dich und dein Pferd mit dem Hindernis vertraut zu machen”, stelle Mateo nach einem Blick auf sein Handy fest.
      “Na gut, dann wollen wir mal”, sprach ich mehr zu mir selbst und brachte die Stute in den Trab. Während Samantha geradewegs den Spring ansteuerte, drehte ich zwei Runden außen herum, um mich an die neue Bügellänge zu gewöhnen.
      “Lina, lass dein Knie dran, wir reiten jetzt keine Dressur mehr”, wurde ich sogleich korrigiert, “und gib Redo ein wenig mehr Zügel.” Seine Kritik umsetzend, ritt ich gerade auf die bunten Stangen zu. Aufmerksam gingen die Ohren meiner Stute nach vorn und sie überwand einwandfrei die niedrige Stange. Begeistert klopfte ich den Hals der Stute, dass sie es nicht nur brav, sondern auch noch motiviert machte, hatte ich es nicht erwartet, denn in der Dressur war sie häufig ein wenig maulig.
      “Sehr gut, er wäre nur noch besser, wenn der Rhythmus gleichmäßig bleibt”, kam so gleich ein Lob von Mateo. Die vergehenden Minuten überwand ich im Wechsel mit Sam noch ein paar weitere Male die Stangen, bis ihr Bruder die letzte Minute ankündigte. In der Zwischenzeit hatte er eine Flasche Sekt herbeigezaubert und reichte jedem von uns ein Glas mit der perlenden, goldgelben Flüssigkeit. Gebannt starrten wir zu dritt auf sein Handy, auf dem sich der Zeiger der Uhr der Null immer weiter annäherte. Fünf, vier, drei, zwei, eins …
      “Ein frohes neues Jahr”, kam es beinahe gleichzeitig aus unseren Mündern, worauf wir anstießen. Leicht säuerlich rann das Nass meine Kehle hinab und sammelte sich blinzelnd in meinem Bauch.
      “Lina, der Neujahrssprung gebührt dir, wenn du möchtest”, bot Samantha mir freundlich an und ritt mit Karie ein wenig zu Seite. Ein wenig nervös war ich schon, so nahm ich noch einen kräftigen Schluck aus dem Glas, bevor ich es Mateo reichte. Direkt aus dem Stand brachte ich meine Stute in den Galopp. Motiviert sprang sie an, fand bereits nach wenig Sprüngen ihren Rhythmus. Auf einem weiten Bogen steuerte ich die Stute auf das Hindernis zu. Wie schon zuvor im Trab richtet Redo die Ohren steil nach oben, hob auch den Kopf ein wenig an und setzte leichtfüßig über die Stange. Überschwänglich lobte ich die Stute und lenkte sie auf einen großen Zirkel um das Hindernis herum. Es schien fast so, als, sei die Stute für das Hüpfen gemacht.
      “Prima, das klappt doch ganz wunderbar”, grinste Mateo, “Willst du den nächsten Sprung ein wenig höher haben?”
      “Ja, bitte”, rief ich ihm begeistert zu. Wer hätte nur gedacht, dass das Rückbesinnen auf etwas Altes so einen guten Start in das neue Jahr darstellen würde. Mit wenigen Handgriffen hatte der Schweizer dem Hindernis eine weitere Stange hinzugefügt. Erneut steuerte ich den Sprung an. Mit großen Sprüngen näherten wir uns dem Ziel, was die Stute auch dieses Mal einwandfrei überwand.
      “Platz da, jetzt komme ich”, rief Sam durch die Halle, die Karie bereits auf dem Zirkel am anderen Ende der Halle galoppierte. Bereitwillig räumte ich den Weg und parierte Redo durch.
      Die Fuchsstute quietschte freudig und machte einen mächtigen Bocksprung, bevor sie sich von Samantha bändigen ließ. Wagemutig stürmten die beiden auf den Sprung zu, den Mateo nicht einmal zurückgebaut hatte. Natürlich überwand Karie, die sonst deutlich höhere Hindernisse überwand, den Sprung mit knapp sechzig Zentimeter mit Leichtigkeit.
      “Springt deine Schwester öfter?”, fragte ich neugierig. Sam machte nämlich eine hervorragende Figur auf der kräftigen Fuchsstute.
      “Mittlerweile nicht mehr”, verneinte Mateo und tätschelte nebenbei Redo den Hals.
      “Mittlerweile, warum springt sie nicht mehr?”, versuchte ich mehr Informationen zu gelangen. Für gewöhnlich war mein Kollege nicht besonders redselig, wenn es um ihn ging. So war etwa offensichtlich, dass Karie ihrem Anschein zu trotz, ein ausgezeichnetes Springpferd war, aber dass er sogar international mit ihr unterwegs war, fand ich eher zufällig heraus.
      “Ja, bevor sie hier nach Schweden zog”, erklärte er und legte seine Schwester die Stange ein wenig höher, “Ihre Stute hat es inzwischen allerdings in den Gelenken.”
      “Hat sie auch ein Freiberger, so wie du?”, interessierte ich mich weiterhin.
      Mateo lachte: “Sie hat, wie du weißt, sogar mehr als einen Freiberger, aber nein, NAME WIRD NOCH GESUCHT, ist ein Schweizer Warmblut, aus der Zucht meiner Eltern.”
      “Quatschen könnt, ihr später noch, ich will dich lieber hüpfen, sehen”, unterbrach Sam, das Gespräch und parkte die Fuchsstute neben uns.
      “Mateo, würdest du dann vielleicht”, noch bevor ich den Satz beendete, hatte er bereits verstanden und baute das Hindernis wieder niedriger. Auch wenn das Springen Spaß machte, wollte ich das Jahr doch nicht gleich mit einer Portion Selbstüberschätzung beginnen. Bis halb eins trieben wir das Spektakel, bevor wir die Pferde auf ihre Paddocks brachten. Müde, aber zufrieden verschwanden die beiden Stuten in der Dunkelheit und mischten sich unter ihre Herdenmitglieder.
      “Kommst du noch mit rein?”, fragte Sam, als wir schließlich bei den Hütten ankamen. Dafür dass es Silvester war, war es relativ ruhig auf dem Hof, was vermutlich an der Abwesenheit von Vriskas Familie liegen mochte. Aus der Tatsache, dass in ihrer Hütte noch Licht brannte, schloss ich, dass sie selbst offenbar zurückgelassen wurde. Sie tat mir leid, ihre Familie war weg, auch Lars, an den sie sich seit Weihnacht anschloss, war ausgeflogen. Hoffentlich hatte sie den Jahreswechsel, trotzdem nicht allein verbringen müssen.
      “Ja, ich würde nur schnell rüber etwas anders anziehen”, stimmte ich zu.
      “Perfekt, ich sorge schon einmal für Nachschub”, wedelte sie mit der leeren Sektflasche umher und verschwanden in ihrer Hütte.
      In Hochstimmung lief ich zu meiner eigenen Hütte. Im Vorbeigehen ergriff ich das Handy vom Couchtisch, welch ich dort zurückgelassen hatte. Auf dem Pferd hätte es mir ohnehin nichts genützt. Direkt begrüßt wurde ich von den Neujahrsgrüßen meiner Schwester, die dem verwischten Selfie nach zu urteilen, mit ihrem Freund in einem Club feierte. Samu hatte ebenfalls eine Nachricht hinterlassen, allerdings ohne Bild. Zielsicher griff ich eine Leggings aus dem Regal, doch der Pulli, den ich suchte, war nicht aufzufinden. Während ich wie ein blindes Huhn durch die gesamte Wohnung rannte, scrollte ich weiter durch meine Nachrichten und stieß dabei auf einen Chat, der in der vergangenen Woche wie eingefroren schien. Vriska hatte ein Bild gesendet, offensichtlich ein Screenshot, von einem Trabrennen. Im Zentrum des Bildes stehen, war ein Rappe zusehen, der in vollem Renntempo neben einem großen Braunen hertrabte. Sonst gab es keinerlei weitere Information dazu. Verwirrt starrte ich das Bild an, hatte ich etwas übersehen? Was wollte sie mir damit mitteilen? Vielleicht war es der Einfluss des Alkohols oder auch der, der körpereigenen Drogen, die noch immer durch meine Blutbahnen wallten, doch ich hielt es für eine grandiose Idee unmittelbar zu Vriska hinüberzugehen und nachzufragen. Die Suche nach dem Pullover gab ich auf, griff stattdessen, nach einem beliebigen und marschierte voller Tatendrang hinüber zu Vriska. Von meiner Mission überzeugt, klopfte ich an und wartete ungeduldig in der Kälte auf Einlass. Kaum löste sich meine Hand vom Holz, ertönte Gebell. Mit schlotterten die Knie, bis schließlich Dog verstummte und sich die Tür einen Spalt öffnete.
      „Was denn?“, murmelte Vriska, mit stark geröteten Augen und eher wankend auf den Beinen, denn sie klammerte sich am Holz. Der Hund drückte sich hindurch und sprang aufgeregt an mir herum.
      “Falls ich dich geweckt haben sollte, tut es mir leid, aber ich habe eine wichtige Frage”, verkündete ich direkt mein Anliegen, “Was willst du mir damit sagen?” Während ich sprach, hatte ich das Handy bereits eingeschaltet und drehte ihr den geöffneten Chat mit dem rätselhaften Bild hin. Sie wischte sich durchs rechte Auge.
      „Ich habe keine Brille auf“, sagte sie nur und ließ von der Tür ab. Sie lief in die Hütte hinein, was ich sogleich als Chance nutzte, der Kälte zu entfliehen. Dog folgte mir nicht. Auf den ersten Blick herrschte ein unkontrolliertes Chaos im Inneren. Überall standen halb geöffnete Kisten, während andere sich türmten. Auf dem Küchentisch stand einsam eine geleerte Weinflasche und neben dem geöffneten Laptop auf dem Wohnzimmertisch eine weitere. Sie suchte ihre Brille und ich erhaschte einen neugierigen Blick auf den Bildschirm. Es war ein Video geöffnet, betitelt mit einem Datum aus dem September, mittlerweile, letzten Jahres, einem Rennen in Kalmar. Ein weiteres Puzzleteil bot mir, das weiterhin rätselhaft blieb. Vriska kehrte zurück mit ihrer Brille und abermals streckte ich das Handy in ihre Richtung. Kaum zuckten ihre Augen über den Chat, färbten sich ihre Wagen rötlich.
      „Ähm, das war aus Versehen. Ich wollte dir was Anderes schicken, aber ist auch egal“, seufzte sie und wich dauerhaft meinem Blickkontakt aus. Erst jetzt registriere ich ihre Niedergeschlagenheit richtig. Sollte ich nachfragen oder war es vielleicht besser zu gehen und ihr ihren Frieden zu lassen? Nein, ganz sicher konnte ich nicht einfach zu Mateo und seiner Schwester hinübergehen und fröhlich sein, ohne wenigstens versucht zu haben, ob ihr zu helfen war.
      „Okay“, nickte ich zögerlich, „willst du mich aufklären, was dich betrübt … oder soll ich einfach wieder gehen?“
      „Wonach sieht das hier denn für dich aus? Dass ich einen spaßigen Abend hatte mit Menschen, die mich mögen? Dann ja, diesen hatte ich.“ Vriska rollte mit den Augen und stieg zurück auf die Couch, aber weggeschickt hatte sie mich nicht, überließ ausschließlich mir weitere Schritte. Ein unglaublich schlechtes Gewissen überkam mich, dass ich ihr in meiner Bewegtheit nicht einmal erklärt, weswegen ich mich so plötzlich distanzierte. Fair war das nicht.
      “Tut mir leid”, murmelte ich schuldbewusst und nestelte mit meinen Fingern unsicher an dem filigranen Metall an meinem Handgelenk herum.
      “Passt schon”, winkte sie ab, ohne sich zu mir zu wenden, “Außerdem wartet sicher dein Göttergatter.”
      “Nein, der ist arbeiten”, erklärte ich, obwohl es sie vermutlich gar nicht interessierte, doch etwas anders wusste ich nicht zu sagen. Vriska wirkte nicht wirklich so als sei meine Gegenwart weiterhin erwünscht, sodass ich mich schon zum Gehen wenden wollte.
      “Ist dann deine Frage beantwortet?”, kam sie auf mein ursprüngliches Anliegen zurück. Ganz desinteressiert war sie doch nicht, obwohl ihr Laptop einen Großteil der Aufmerksamkeit forderte.
      “Na ja, so halb”, überlegte ich, denn was hinter dem rätselhaften Bild steckte, wusste ich noch immer nicht, “Warum machst du Screenshots von Trabern, die ganz eindeutig nicht hier zum Hof gehören? Ist das Rennen nun deine neue Passion?”
      “Erkennst du das Pferd nicht?”, seufzte Vriska und stellte das Laptop zurück. Eindringlich betrachte ich das Bild auf dem Handy erneut, bis es mir langsam dämmerte: “Das Pferd von dem Rennen neulich? Wie hieß es noch mal … etwas mit Netflix?”
      „Pay My Netflix, genau“, ein Lächeln zuckte über ihre Lippen und schlagartig kam auch wieder Farbe in die helle Haut.
      “Und du stalkst das Pferd, weil … es so umwerfend ist?”, hakte ich weiter nach, denn mir fiel allmählich ein, dass Vriska auch an dem Renntag bereits, wie eine Motte vom Licht, von diesem Pferd und dem zugehörigen Jemand angezogen wurde.
      “Ja, genau. Das Pferd.” Sie vergrub das Gesicht in ihren Händen, um das ungebändigte Grinsen zu verstecken. Doch längst hatte ich es bemerkt, dass auch mich ansteckte.
      “Erzähl mir mehr”, forderte ich angefixt, von ihrer plötzlichen Euphorie. Vriska nickte und stand auf, um aus dem Regal eine weitere Weinflasche zu holen. Auch meine Jacke nahm sie mir ab, bevor ein Glas für uns beide eingeschenkt wurde. Zur Überraschung begann es vor den Scheiben an zu schneien und als würde uns das Schicksal etwas sagen wollen, vibrierte ihr Handy und sie grinste noch spitzer.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 34.694 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Jahreswechsel 2020}
      Fohlenbericht drei von sieben.
    • Mohikanerin
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      kapitel trettio | 08. September 2022

      May Bee Happy / Aares / Maxou / Fjärilsviol / Schneesturm / Nachtschwärmer / Rainbeth / Lotti Boulevard / Anthrax Survivor LDS / Caja / Yumyulakk LDS / Mondlandung LDS / Nachtzug nach Stokkholm LDS / Just A Bear / Jokarie / Sign of the Zodiac LDS

      Freitagabend, vier Tage später
      Lindö Dalen Stuteri

      Vriska
      Die größte Sorge lag darin, dass Happy keinesfalls den Hänger betrat, nach dem der Einstieg in Malmö eine Herausforderung war, doch vergeblich. Wie ein alter Hase lief er die Rampe hinauf und stand binnen Sekunden darin, wodurch wir am Vormittag rasch in Kalmar ankamen. Gespannt wartete Eskil auf mich, auch, um mir seinen eigenen neuen Fuchs zu zeigen. Aares hieß der Riese und harmonierte optisch sehr mit meiner Leihgabe. Eine Weile unterhielten wir uns, bis die Halle frei war und ich meinen Unterricht bekam. Hier und da kamen Schwierigkeiten auf, doch im Gesamtbild machte Happy eine gute Figur.
      “Herr Holm hat vorhin gesagt, dass Happy viel Potenzial für das Team hat”, erzählte ich am Tisch, an dem die Stammbelegschaft saß, ohne die Ponymenschen von nebenan. Dann tunkte ich das Brot in die Linsensuppe, um es mir im Anschluss in den Mund zu stopfen.
      “Dann willst du es dieses Jahr noch zur schweren Prüfung schaffen?”, fragte Tyrell, der wieder nach Hengsten Ausschau hielt und davon aufsah.
      “Ich weiß nicht genau. Die Motivation fehlt dafür, aber der Hengst macht sich wirklich toll”, schwärmte ich weiter.
      “Dennoch, die aktuellen Besitzer würden ihn dort gern sehen”, fühlte er mir weiter auf dem Zahn, aber es kümmerte mich nur wenig.
      “Freut mich, dann sollen sie sich doch an ihn trauen und nicht kleine Mädchen vorschicken”, antwortete ich unbeeindruckt. Lars neben mir musste sich das Lachen verkneifen, aber verschluckte sich dabei an der Suppe. Fürchterlich begann er zu Husten, dass ich ihn den Rücken klopfte.
      “Ja, ja, kleines Mädchen. Äußerlich vielleicht”, feigste Lina.
      „Psst, das weiß doch keiner“, grinste ich, doch als Lars begann zu lachen, setzten auch die anderen mit ein. Es dauerte nicht lange, da kamen die erste Wahlmöglichkeit ans Licht, was ich stattdessen war. Vom bissigen Terrier, über mörderischer Prinz und alten Mann in der Rente stellte sich alles heraus. Nur mein Bruder hielt sich bewusst aus dem Gespräch heraus und verließ auch wenig später den Raum. Seit Wochen ignorierte er mich, aber das sollte nicht mein Problem sein. Ich hatte besten Gewissens die Spannung zwischen uns zu lösen, aber er konnte ein ziemlicher Sturkopf sein und wollte es augenscheinlich dabei belassen, dass ich das schwarze Schaf der Familie war. Nun gut.
      „Also keine Dressur mehr?“, kam Tyrell auf das ursprüngliche Thema zurück und zuckte dabei mit der Augenbraue, „schließlich beginnen demnächst die Turniere.“
      „Ehrlich gesagt, bin ich mir sehr unsicher“, gab ich offen zu. Mein Blick fiel zu Lars, der auch keine Antwort dazu hatte. Nur Nour grinste mich verschmitzt an.
      „Ich glaube, dass sie lieber den Berufsfahrerschein anstrebt“, legte sie eine steile These vor, die ich nicht wusste zu verteidigen.
      “Wirklich starke These, aber ich glaube, das wird nicht passieren. Dafür glitzern die Schleifen und Schabracken viel zu schön”, stellte Lina eine Gegenbehauptung auf.
      “Mhm”, summte Nour unschlüssig, “die sind aber auch in der Prüfung nicht zulässig.”
      “Ihr seid beide nicht ganz hell”, lachte ich kopfschüttelnd.
      “Entschuldigung, was soll das den jetzt heißen?”, beschwerte sich die Kleine sofort.
      “Warum kann ich nicht einfach machen? Außerdem kann Humbria auch schön glitzern”, stellte ich fest, “Vielleicht springe ich auch morgen.”
      “Du springst morgen? Oha, das komme ich mir anschauen”, grinste Mateo, “Mit welchem Pferd gedenkst du das zu tun?” Dass meine blöde Idee im nächsten Augenblick bereits Wurzeln setzte, hatte ich nicht bedacht. Selbst unser Chef schaute überrascht zu mir hinüber. Kurz dachte ich darüber nach, wieder zurückzurudern, aber vielleicht war es Zeit, mich meiner Angst zu stellen.
      „Ich kann mal schauen, was Happy bei dem bunten Holz empfindet“, schlug ich entschlossen vor und sah es bereits kommen, dass ich schneller wieder am Boden lag, als es mir lieb war.
      “Mhm … ja, so rein körperlich könnte das was werden mit deinem Fuchs”, überlegte der Schweizer.
      “Vriska, hältst du das wirklich für eine gute Idee?”, äußerte Lina zweifelnd, “Erinnerst du dich nicht, wie es das letzte Mal endete? Und da hattest du keinen launischen Fuchs unter deinem Sattel.”
      „Aber klein Vivi möchte doch mal wieder allen beweisen, dass sie alles kann“, scherzte Lars und gab mir einen zarten Kuss auf die Wange, als wären wir mehr als Freunde. Zugegeben, seit unserem Kuss im Stall gab es jeden Abend Momente, die meiner Einschätzung Zweifel boten. Seine Schwester schien es zu unterhalten, dass ihr Bruder mir unauffällig schmeichelte und holte jedes Mal ihr Handy heraus, um in Windeseile etwas zu tippen. Brennend interessierte mich, was genau auf dem Bildschirm passierte, aber sie gab es an niemanden preis.
      “Du übertreibst vollkommen”, schnaubte ich teils belustigt, teils verärgert, “Maxou traue ich es weniger zu als ihm und dass eins der Rennpferde hinüber stolpert, fehlt mir gerade noch.”
      “Viola kann springen”, mischte sich Tyrell mit ein, “und Schneesturm ist auch noch da. Ach, Fly, der Haflinger macht seinem Spitznamen auch allen Ehren.”
      Keines der genannten Pferde interessierte mich sonderlich, nicht, dass die Pferde schlecht waren, viel mehr, waren sie langweilig. Die Warmblutstute lief brav und den Haflinger kannte ich nur vom Sehen. Einzig Schneesturm war ein Spaß, doch Mateo ritt sie bereits vier- bis fünfmal die Woche und hatte somit angemessenen Auslauf. Zudem hatte ich in meiner Recherche herausfinden können, dass Happy für die Körung Freispringen musste, also wusste das Pferd Bescheid, wie man die Beine hebt.
      Während wir philosophierten, welches Pferd ich springen könnte, holte ich zunächst für jeden ein kaltes Bier und Lars entschied, dass nach dem Essen ein Kurzer angebracht war. Nur Lina weigerte sich vehement. Kaum floss es mir die Kehle herunter, brannte es unangenehm im nächsten Augenblick. Dennoch hatte es etwas Befreiendes.
      “Mir egal, ich werde Happy nehmen”, entschied ich entschlossen und glaubte an den Fuchs, der bisher sehr fein unter mir lief.
      “Mach’ halt, aber bei mir brauchst du dich dann nicht beschweren”, blieb die kleine Brünette bei ihrem Standpunkt, dass sie es für keine gute Idee hielt.
      “Pff, so viel zu guter Freundin”, rollte ich mit den Augen und füllte mir das Glas nach. Auch Lars hielt mir seins nach. Dann war es auch schon wieder leer. “Du hast bestimmt auch morgen anderes zu tun, also machen wir das allein.” Meine Stimmte zitterte, aber nach einem kräftigen Atemzug konnte ich mich zusammenreißen.
      “Ja, ist okay”, entgegnet sie kiebig. Welche Laus ihr wohl über die Leber gelaufen sein mochte, dass sie gleich so empfindlich war. Vermutlich hatte es mit Niklas zu tun, aber ich entschied, es erst einmal dabei zu belassen, solang noch so viele am Tisch saßen. Vorrangig sollte Tyrell davon nichts mitbekommen, das würde nur Bedenken auslösen. Dieser hing noch immer über dem Papier. Mit Lars brach abermals eine Diskussion über Hengste aus, die sich in den Sand verlief. Sie wurden sich nicht einig, ob Betty noch gedeckt werden sollte oder in den Verkauf ging. Auf Rennen bot die siebenjährige Stute ohnehin keine ausreichenden Leistungen und ging für gewöhnlich als vorletzte durchs Ziel, deshalb lag das letzte auch mehr als ein halbes Jahr zurück, noch unter Folke. Seit dem Stand sie herum. Ähnliches Bild war auch bei Lotti zu sehen und Nachtschatten, doch die Rappstute hatte bereits einen Käufer gefunden, der sie abholen würde, sobald ihr Fohlen abgesetzt sei, das in einem Monat kommen sollte.
      “Wie läuft es eigentlich mit Anti?”, fragte Tyrell, als auch wir weniger wurden und Bruno sich in die Hütte aufmachte, nur unsere Schnüfflerin saß noch da, sowie meine persönlichen Turteltauben.
      “Gut, wenn er so weiter macht, kann er in zwei Monaten in einen Probelauf”, erzählte der groß gebaute junge Mann neben mir. Ich enthielt mich dem Gespräch, holte stattdessen mein Handy heraus und bekam prompt eine Nachricht von Nour.
      “Schau mal”, schrieb sie und schickte ein Bild mit. Mir blieb für einen Moment die Luft weg. Über den Bildschirm hinweg schielte ich böse zu ihr hinüber, musste auch das Telefon auf den Tisch legen, um nicht an einer Atemnot einzugehen. Allerdings konnte ich es nur für einen Wimpernschlag da belassen und hob es wieder hoch. So gut ich konnte, versuchte ich ihr eine Nachricht zu tippen, aber meine Augen konnte sich nur schwer von dem attraktiven Bild lösen, was unbewusst ein Lächeln auf meine Lippen zauberte.
      “Lass das! DU bist gemein”, formulierte ich schlussendlich und sie lachte. Dem folgte ein weiteres Bild, selbes Motiv, aber deutlich bekleideter.
      “Du nimmst du das alles her?”, tippte ich noch, bevor wieder die Atmung sich verabschiedete, denn sie konnte es nicht lassen, mich weiter zu zuspammen. Durch die ständige Vibration wurde auch Lars aufmerksam, aber in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit wechselte ich den Chat zu Eskil. Damit erlosch sein Blick auf mein Gerät. Von nun an tippte ich mit Nour, die mir erklärte, dass es Storys aus dem Messenger waren, die sie für mich abgespeichert hatte und nur auf den richtigen Moment wartete, um sie mit mir zu teilen. Etwas neidisch war ich schon, denn seine Nummer hätte gern, aber in wenigen Worten vermittelte Nour mir, dass ich schon mehr Mühe geben sollte. Vordergründig ermutigte sie mich, mit ihm zu sprechen, denn das würde Erfolg mit sich bringen, außerdem wäre es ungewiss, ob sonst überhaupt eine Antwort bekäme. Leider hatte sie recht.

      Eine Stunde später verabschiedete sich dann auch Tyrell und wir saßen in gewohnter Runde beisammen. Lina schwieg noch immer, die Arme verschlungen und das Gesicht sah nach zehn Jahre Regenwetter aus. Während ich mich an den Bildern nicht satt sehen konnte, versuchte ich auch irgendwie die Kleine aus der Reserve zu locken. Es war nicht einfach ein Wort ihr herauszubekommen, doch als sie aufstand zur Toilette, folgte ich wenige Sekunden später und wartete an der Tür. Überrascht trat sie heraus, zuckte dabei erschrocken zusammen.
      „Du erklärst mir jetzt, weshalb du so schlecht gelaunt bist. Das Wetter war doch heute toll mit fast elf Grad Celsius!“, sprach ich offensive und direkt auf sie ein.
      „Ja, das war auch das einzig Schöne an dem Tag heute“, brummte sie unwirsch.
      „Was denn los?“, erinnerte ich sie an meine Frage, minimal zittrig, denn für gewöhnlich strotzte sie vor Energie auch noch zu später Stunde.
      „Der ganze Tag war heute einfach blöd, angefangen bei heute Morgen“, rückte sie nun endlich mit der Sprache raus, „Ich war absichtlich früh bei Caja, dass wir die Halle allein haben. Einerseits, weil sie ja immer noch nicht so umgänglich ist und andererseits, weil sie super rossig ist.” Nachdem was ich so von Caja mitbekommen hatte, war ‘nicht so umgänglich’ noch milde ausgedrückt. Vier Monate stand die Fuchsstute mittlerweile hier auf dem Gestüt und duldete trotzdem kaum jemanden in ihrer Nähe. “Heißt also, sie war heute ohnehin schon schlecht gelaunt und dann kam da so ‘ne Trulla rein und die hatte ihren blöden Hengst nicht unter Kontrolle. Infolgedessen konnte ich nur das Training vergessen, nein, gebissen hat sie mich dann auch, obwohl ich das so langsam im Griff hatte”, sprach sie frustriert und ließ das Sweatshirt von der Schulter gleiten. Darunter zum Vorschein kam ein blau-violett schimmernder Fleck in der Größe eine 2-Euro-Stücks.
      „Blöder Vorschlag, aber hast du mal über eine Fressbremse nachgedacht?“, schlug ich vor aus dem Dunst heraus, dass bissige Hunde auch einen Maulkorb trugen.
      “Mmmm, nein”, sprach sie langsam, als würde sie noch darüber nachdenken, ob es eine Option sein könnte, “Aber vielleicht sollte ich das mal probieren.”
      “Sonst kommt zum Hengst und sollte mal eine Pause von dem ganzen Kram bekommen”, gab ich als weitere Möglichkeit, so hatte Bruce seine chaotische Isländerstute wieder auf den richtigen Weg gelenkt.
      “Mmm, wenn das nur in meiner Entscheidung läge”, seufzte sie. So wirklich glücklich wirkte sie noch immer nicht, wenn auch weniger angespannt als vor wenigen Minuten.
      “Dann sprich mit Tyrell morgen, der reißt dir nicht Kopf ab” zuckte ich schließlich mit den Schultern, “keiner ist dir hier für Versagen sauer, zu dem kann es auch mal mehr werden als ein blauer Fleck am Arm.”
      “Weiß ich doch …”, murmelte sie und zog an ihrem Ärmel herum, “Ihr habt eure Turniere und Rennen … Ach, ich will doch auch nur mal etwas erreichen.”
      „Verstehe ich“, gestand ich offen. Für sie musste es noch schwieriger sein als für mich. Während ich von einer Disziplin zur anderen sprang, um das Richtige zu finden, fehlte ihr der Reiz für mehr. Ebenso fehlte auch die wirkliche Gemeinschaft auf dem Hof, denn jeder von uns hatte Pferde vorzustellen.
      „Was wäre, wenn wir mal raus zur Weide gehen und dir ein Jungpferd holen? Da stehen teilweise vierjährige und fünfjährige, die aktuell nicht in den Trainingsplan von uns allen passen“, kam es als letzte Idee, ihr eine sinnvolle Aufgabe zu geben. Denn die Arbeit mit Ivy hatte sie bisher erfüllt und mir Leben ausgestattet, doch nun machte der Hengst nur noch Kinderschritte, die natürlich ebenso wichtig waren wie den Anfang zu finden. Zaghaft nickte sie: “Mhm, Ja?” In ihrer Antwort schwang noch ein letzter Rest von Unsicherheit mit.
      “Ja”, sagte ich überzeugend und zog die Augenbrauen hoch, “sonst kaufen wir irgendwas für dich.” Darüber musste ich erst einmal lachen, als würde ein Pferd kaufen, ein Problem lösen anstelle welche zu schaffen.
      “Okay”, entgegnete sie und ein winziges Schmunzeln zuckte in ihren Mundwinkeln, “Aber wen auch immer du bei ‘wir’ implizierst, mich kannst du nicht meinen.”
      “Dann hauen wir den Schweizer an. Du kannst mir nicht verschweigen, dass da Funken fliegen”, zwinkerte ich ihr zu und sprach bewusst etwas lauter.
      “Vriskaaaa, sei doch still”, beschwerte sie sich sogleich und eine zartrosa Färbung trat auf ihre Wangen. “Aber ja, er ist ganz niedlich”, gestand sie mit deutlich gesenkter Stimme.
      “Das ist meine Rache”, flüsterte ich scherzhaft und klopfte ihr leicht auf die Schulter, wer wusste schon, wo sich weitere blaue Flecken verstecken. “Aber komm, wir gehen zurück. Dann kannst du ihn länger genießen.”

      Samstag, nächster Tag
      An der Jungpferdeweide

      Selbstverständlich musste es anfangen zu regnen, als wir aus dem Auto ausstiegen. Die Pferde hatten uns schon aus der Ferne gehört und standen neugierig am Zaun. Auch die Zuchtstuten mit ihren kugeligen Bäuchen konnten unseren Besuch kaum fassen, obwohl jeden Tag mindestens zweimal jemand in den Wald fuhr zur Kontrolle. Es war eine bunte Herde, bestehend aus allen Altersgruppen und Rassen. Auch die Isländer standen dabei, die wohl eher weniger für Lina sein würden. Zwei Weiden weiter rechts, tummelten sich die jungen Hengste, die bereits mit schrillem Wiehern auf sich aufmerksam machten, besonders Yu wollte unbedingt gestreichelt werden. Lina drückte ich ein Halfter in die Hand.
      „So, dann suche dir mal etwas aus“, sagte ich. Wir hatten bereits mit Tyrell gesprochen, der meine Idee mit einem ‘macht, was ihr wollt‘ lachend hinnahm. Ich lehnte derweil am Auto und prüfte das vierte Mal an dem Tag, die Starterlisten für den morgigen Renntag. Noch nicht ganz entschlossen stiefelte die Kleine in die Herde hinein und wurde augenblicklich von einigen der Tiere umringt und neugierig inspiziert. Lina ließ sich Zeit, nahm einige der Jungstuten in Augenschein, streichelte sie und schien sich keineswegs an dem Nass stören, welches rhythmisch auf das Blech schlug. Eines der Tiere drängte sich immer wieder in den Vordergrund, steckte die Schnauze in Linas Jackentaschen und verfolgte sie regelrecht, sobald sie einige Schritte tat.
      “Die ist niedlich, ich glaube, sie soll es werden”, grinste Lina und kraulte der hellen Stute die Stirn. Mein Handy steckte ich zurück in die Innentasche, nach dem ich keine neuen Informationen über meinen Angebeteten fand. Dabei seufzte ich leise und trottete mit riesigen Gummistiefeln durch das hohe Gras. Mit genauem Blick sah ich das blauäugige Pferd an.
      “Das ist Mola”, stellte ich fest, “die wird vier dieses Jahr, also, passt dir das?”
      “Ja, das ist gut”, nickte sie, “Jung, aber schon alt genug, dass man auch damit ein wenig was anfangen kann.”
      “Sollten ihre langen Beine es noch nicht verraten haben: Sie ist ein Traber”, erklärte ich zuversichtlich und öffnete den Beiden das Tor. Die anderen Pferde schubste ich zur Seite, damit kein weiteres versuchte zu fliehen. Stokki drückte den Kopf gekonnt an Lina vorbei, doch ich scheute die Rappstute im richtigen Moment zurück und mit einem großen Sprung floh sie vor dem Stromzaun.
      “So, dann steig mal ein, dann gebe ich dir den Strick. Sie wird schon nachlaufen”, sagte ich zu der Brünetten, die unsicher den Strick in der Hand hielt, während Mola lange Grashalme zupfte.
      “Okay, du wirst schon wissen, was du tust”, entgegnete sie ein wenig zweifelnd, reichte mir aber dennoch das Pferd und tat wie geheißen. Unwillig folgte mir die junge Stute, aber als Lina das Fenster heruntergefahren hatte, gab ich den Strick zurück. Zunächst musterte das Pferd den Seitenspiegel und steckte schließlich auch den Kopf hinein.
      Den Motor ließ ich langsam und möglichst leise angehen, dennoch zuckte das Jungpferd, aber gewöhnte sich direkt an das seltsam trommelnde Geräusch aus der Motorhaube. Im Schritttempo fuhren wir an. Mola folgte im selbigen und schnaubte sogar einige Male ab, was sie jedoch nicht daran hinderte, an einigen Grashalmen zu zupfen.
      “Das funktioniert ja wirklich”, staunte Lina, “und sie ist so brav.” Dem Grinsen auf ihrem Gesicht zu urteilen, war sie bisher zufrieden mit ihrer Auswahl.
      “In Island wird es nicht anders gemacht. Deswegen hat Bruce schnell entschieden, dass das der bequemste Weg ist”, informierte ich sie freundlich, als auch schon die Gebäude des Gestüts am Ende des Weges auftauchten. Heute wurde der erste Kran aufgebaut, nachdem alles nicht mehr Brauchbare dem Erdboden gleich gemacht wurde. Ein Schwall von Melancholie lag in der Luft, aber ich versuchte durch ein kräftiges Ausatmen, aus meinem Kreislauf zu bekommen.
      “Ja, bequem ist das wohl”, nickte sie zustimmend.
      Vor der Halle kamen wir zum Stehen, aus der gerade Lars seinen schneeweißen Hengst führte, deren Brust und Hals geschoren war. Ihm dicht folgte Mateo, allerdings ohne Vierbeiner.
      „Na Mensch, ihr wart schnell“, stellte der Dunkelhaarige fest und blieb auf Abstand mit dem Hengst, der den Damenbesuch bewunderte.
      „Sie hat sich recht schnell entschieden, oder viel mehr Mola“, grinste ich ihm zu. Zeitgleich half ich Lina beim Aussteigen.
      „Schau mal, dein bald Freund ist auch gekommen“, flüsterte ich leise.
      “Glaubst auch nur du”, wisperte sie und verdrehte die Augen. Dann huschte sie auch schon an uns allen vorbei, um die Stute auf den Paddock zu verfrachten. Ich brachte noch das Auto zurück auf dem Parkplatz.
      Im Stall lief ich zunächst zu dem Fuchs, der mit dem Kopf in der Ecke stand und mich erst bemerkte, als ich seinen Namen sagte. Die Ohren drehten sich in alle Richtungen und schließlich bewegte er sich mit kargen Schritten auf mich zu. Vorsichtig strich ihm über die große Blesse. Aus der Jackentasche kramte ich ein Leckerli hervor, dass er dankbar von der flachen Hand griff. Ihn aus der Box zu holen, war heute wieder eine Herausforderung. Immerhin akzeptierte er direkt sein rosafarbenes Halfter, für das jeder am Hof eine Meinung hatte. Die meisten mochten es nicht, aber ich wollte seine Männlichkeit unterstreichen und damit gelang es mir ziemlich gut.
      “Happy, komm schon”, zog ich kräftig am Strick, ihn interessierte das aber nicht im Geringsten. Auch als ihn noch einmal drehte, setzte er keinen Huf aus der Einstreu. Stattdessen machte er seinem Traberanteil allen Ehren, wurde immer länger und länger. Hoffentlich würde er nicht vor den Sprüngen parken, dass könnte gefährlich werden.
      “Sieht so aus, als wäre dein Pferd nicht so überzeugt von deinem Vorhaben”, stellte Mateo fest, der plötzlich neben mir stand.
      “Kein Wunder, der mag Männer nicht”, gab ich sogleich zurück und als würde Happy zustimmen, schnaubte er ab.
      “Na, dann kommst du wohl gut allein klar”, zuckte der Schweizer mit den Schultern, ”Ihr könnt ja dann kommen, falls ihr es jemals da rausschafft.”
      Offenbar hatte er meinen Scherz in den falschen Hals bekommen, aber er mochte Männer wirklich nicht. Ich lockte den Strick etwas. Dann setzte der Hengst voran, als würde er Mateo folgen wollen. Selbst ohne Hending kamen wir voran.
      In der Putzbucht kam der Hengst zur Ruhe und genoss das ausgiebige Putzen. Da er über eins siebzig war, nur etwas kleiner als Lubi, brauchte ich den Hocker, um an alle Stellen zu gelangen. Das ständige Auf- und Absteigen nervte, aber leider würde ich mit Anfang zwanzig nicht mehr wachsen. Als er schließlich sauber war, setzte ich mich in Gang, um einen Sattel zu finden. Aus der großen Sattelkammer nahm ich mir ein Martingal, das in einer der Metalkisten herumschwirrte, sowie Fesselkopfgamaschen und Glocken aus meinem Schrank. Bei der Schabracke begannen die ersten Zweifel. Obwohl ich mittlerweile eine schöne Sammlung aufgebaut hatte - ja, meine Kaufsucht schlug wieder zu – gab es keine einzige zum Springen. Wozu auch? Dennoch fand ich eine, die zumindest etwas runder geschnitten war und nahm sie mit.
      „Tyrell?“, fragte ich und streckte den Kopf ins Büro.
      „Ja, was ist denn?“, kam es sogleich wenig begeistert. Ich kam für gewöhnlich nur, wenn ich etwas wollte.
      „Wir haben doch sicher einen Springsattel, oder?“, hakte ich nach.
      „Einige, aber der von Schneesturm wird seinen Fuchs nicht passen“, begriff er sofort den Tatbestand, „aber unten in der Kammer müssten einige hängen.“
      Dankend nickte ich und verschwand nach unten. Tatsächlich hingen dort gefühlt tausende. Was ich an Schabracken besaß, sammelte mein Chef an Sättel, der Großteil davon wurde nie genutzt, dementsprechend staubig hingen sie auf den Sattelhaltern.
      „Hmm“, überlegte ich laut und streifte durch den Raum, der im Gegensatz zu dem Rest des Gebäudes, schlecht beleuchtet war. Kurzerhand holte ich eine Schubkarre und legte alle vielversprechenden Modelle mit zum Fuchs. Das Klappern des Metalls weckte ihn auf. Mateo, der sich mit Lars unterhielt, schaute nicht schlecht, als ich ankam.
      „Was hast du denn vor?“, hinterfragte Lars verwundert.
      „Einen passenden Sattel finden, was denkst du denn? Ich laufe doch nicht tausendmal“, erklärte ich.
      „Das sieht aus wie eine Flohmarkt Versteigerung“, merkte er an.
      “Soll man dir bei deinem Ausverkauf da helfen?”, bot Mateo an und fasste bereits die Lederstücke kritisch ins Auge.
      “Gern”, lächelte ich. Dabei hob ich das erste Modell heraus. Das Leder wirkte schon sehr mitgenommen und vor allem ungepflegt, aber die Polster unter dem Baum waren noch weich und ohne Knoten. Der Blonde nahm erst den Sattel und dann Happys Rücken näher unter die Lupe, welches der Fuchs Zähneknirschen und mit angelegten Ohren erduldet.
      “Der hat einen ziemlich schmalen Wirbelkanal, dass wir zu knapp schätze ich”, urteilte er.
      “Dann schaust du am besten durch”, schlug ich vor, beruhigte, währenddessen den Hengst, der zu dem Schweizer schielte. Fachkundig beschaute Mateo das Sammelsurium, legte nacheinander zwei Sättel auf den Hengst. Seine Wahl fiel letzten Endes auf ein zweifarbiges Modell, welches aussah, als wäre es noch nie im Einsatz gewesen.
      “Nicht ganz ideal für dich, aber zumindest für dein Pferd sollte der funktionieren”, ergänzte er erklärend. Die Sitzfläche war groß, aber für einen Tag kein Problem.
      “Danke für eine Hilfe”, sagte ich und nahm zunächst das Leder wieder vom Rücken, um alle anderen in der Schubkarre zurückzubringen.

      Wenig später saß ich im viel zu großen Sattel, den ich mit einem Lammfellüberzieher etwas bequemer gemacht hatte und ritt den Fuchs warm. Mateos Parcours stand bereits, als von einem zur anderen Sekunde Happy begann zu tänzeln. Im richtigen Augenblick fasste ich die Zügel nach. Seine Ohren drehten sich hektisch, während er versuchte, sich meinen Hilfen am Bein zu entziehen. Laut schepperten seine Eisen an der hölzernen Wand, bis ich den Grund seiner Aufregung bemerkte. Lina kam mit einem breiten Grinsen auf den Lippen durch den Sand stolziert, am Zügel hielt sie Mateos Stute Karie. Dass sie einen Helm auf dem Kopf hatte, konnte nur bedeuten, dass er sein Pferd nicht reiten würde. Happy spielte sich währenddessen weiter auf, als hätte er nur eine Aufgabe im Leben. Ich erinnerte mich daran, wieso ich keinen Hengst wollte.
      “Hör auf”, knurrte ich ihm ins Ohr und wie aus dem Nichts blieb er stehen. Allerdings bewegte sich nun gar nichts mehr, weder vor noch zurück. Sicherer, als plötzlich die Kleine umzureiten.
      “Welch verzückte Überraschung”, rief ich ihr lachend zu und tätschelte den Hals meines Riesen.
      “Ja, finde ich auch”, strahlte sie, “diese Gelegenheit konnte ich mir auch einfach nicht entgehen lassen.” Die kräftige Stute störte sich nur wenig an der Gegenwart des Hengstes, folgte Lina artig in die Zirkelmitte, wo sie den Gurt enger zog. In meinem Kopf leuchtete eine kleine Lampe auf, aus einem Bereich, den ich versuchte, geschlossen zu halten. Doch plötzlich stand die Tür offen und unterbreitete mir ein teuflisches Gefühl von Neid, Angst und Zweifel an mir. Dabei konnte die Kleine nicht einmal etwas dafür, einzig meinem Hengst fehlte es an benehmen. Dabei merkte ich, dass mein Geist noch immer nicht gefasst war, Veränderungen hinzunehmen. Seufzend legte ich die Beine an den Bauch des Pferdes. Er bewegte sich schließlich aus der Starre, aber spielte sich sogleich auf Höhe der Stute auf. Den Kopf streckte Happy in die Luft und entzog sich komplett dem Zügel. Gleichzeitig spürte die wegtretende Hinterhand. Damit verlor ich die Kontrolle über ihn und im Trab legte er zu, bis der Fuchs seine Runden drehte. Ich hätte ihn vermutlich ablongieren sollen, obwohl er gestern eine intensive Einheit hatte. Müde sollte er sein und nicht wie ein abgestochenes Schwein durch den Sand rasen. Der positive Nebeneffekt kam, dass Happy sich abreagierte und schließlich abschnaubte. An dem Punkt parierte ich durch und gurtete nach.
      Lina ritt zur gleichen Zeit die Dunkelfuchsstute warm, weiterhin mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Vermutlich hatte meine eigene Unsicherheit dafür gesorgt, dass sich das sensible Pferd derart extrem verhielt. Im Schritt lobte ich ihn ausgiebig. Die Stute beachtete er gar nicht mehr, nur Mateo war ihm weiterhin ein Dorn im Auge.
      “Dein Pferd mag mich ja wirklich nicht. Kommst du damit zurecht oder müssen wir nach einer Lösung schauen?”, erkundigte sich dieser rücksichtsvoll.
      “Wir holen eine Schere und berauben ihm seiner Männlichkeit, so einfach”, lächelte ich bewusst. Auf rätselhafter Weise konnte er jedes meiner Worte genau verstehen, denn seine Schritte verlängerten sich und er senkte den Kopf. Dabei schwang der Rücken mit. Tatsächlich verspürte ich endlich seine Ausbildung, das, was Happy auch gestern zeigte.
      „Der hat dich genau verstanden“, lachte der Schweizer. Lina, die derweil im Hintergrund herumzirkelte, wurde nun ebenso aufmerksam und kam locker herangetrabt. Happy zuckte nicht einmal, kaute stattdessen auf seiner Stange aktiv.
      „Worüber amüsiert ihr euch?“, fragte sie interessiert.
      „Offenbar ist Happy seine volle Männlichkeit überaus wichtig“, grinste ich und strich ihm durch die lange Mähne.
      „Dann ist ja gut, dass er seine Halfterfarbe nicht erkennt“, lachte sie.
      „Ja, ja. Schon klar“, rollte ich mit den Augen und trabte ebenfalls an. In gleichmäßigen Tritten federte er durch den Sand und wölbte dabei bilderbuchmäßig seinen eher kurzen Hals. Die Schwebephase auszusitzen war mit den kurzen Bügeln ein noch schwierigeres Unterfangen, sodass ich lieber leicht trabte. Nach einigen Schlangenlinien und Seitengängen legte ich das äußere Bein heran, stellte das Genick leicht nach innen und der Hengst sprang in den Galopp um. Geschwungen setzte er voran und ich entschied in der letzten Sekunde, doch noch über das niedrige Kreuz zu setzen. Den Höhenunterschied spürte ich kaum, so sehr versuchte das Pferd vor weiblicher Anwesenheit sich zu präsentieren. Auch beim zweiten Mal konnte ich nicht genau abschätzen, ob wir das Hindernis absolviert hatten und lenkte letztlich auf das höhere Rick zu. Nun musste ich genau aufpassen und wie ich es die wenigen Male in der Ausbildung hatte, gab ich eine halbe Parade, um schließlich mit mäßig gutem Abstand abzuspringen. Deutlich weiter flog er über die Stange, als würden wir einen Wassergraben springen, zumindest sagte mein Hirn mir, dass er sich verschätzt, hatte in der Weite. Freundlich tätschelte ich den Hals und holte ihn in den Trab zurück, nur der Schritt schien in weiter Ferne. Der potente Hengst strotzte vor Energie und legte mächtig an Tempo zu, ohne aus dem Rahmen zu fallen. Wirklich Hilfen waren dabei nicht nötig, denn Happy entschied selbst, sein Können zu präsentieren. Ich fühlte mich etwas unbeholfen im Sattel, aber konnte ihn schließ doch noch für Schritt begeistern.
      „Der springt ja wirklich“, staunte Lina, „Das sah gar nicht so schlecht aus.“
      „Ich frage besser nicht, wie du meinst“, scherzte ich. Sie meinte es nicht böse, dennoch vernahm einige Zweifel in ihrer Stimme, die ich versuchte zu überhören. Nach einigen Runden über die Stangen am Boden übernahm auch Lina das Ruder und flog über die aufgebauten Hindernisse. Die Stute war ebenso motiviert für das bunte Holz wie mein Hengst. Sie galoppierte deutlich hektischer, aber sprang deutlich gleichmäßiger ab und zog dabei kräftig an. Mir war es bis heute ein Rätsel, wie die etwas dicklich anmutende Stute, so flink unterwegs war. Unauffällig schielte ich zu Mateo, der mit seinen Augen fest an Lina gehaftet war und jeden Absprung anpeilte, als säße er selbst im Sattel.
      Nach einer ausgiebigen Pause galoppierte ich wieder an. In der Zwischenzeit hatte sich die Höhe etwas verändert und lag nun auf achtzig Zentimeter. Vom Rücken des Riesens wirkte es noch immer niedrig, aber meine Vernunft sagte mir, dass ich mich nicht überschätzen sollte. So sprang ich nur einmal hinüber und Ritt schließlich ab. Das Schicksal wollte ich nicht herausfordern, außerdem schwitzte Happy, als hätte ich ihn geduscht. Auch Lina nahm Karie in den Schritt zurück. Tatsächlich benahm sich der Kerl unter dem Sattel und reihte mich neben ihr ein.
      „Und, immer noch der Meinung, dass es nicht sein Bald-Freund ist?“, zwinkerte ich überzeugt zu ihr hinüber, „schließlich überlässt er dir sein Lieblingspony.“
      „Ja, dafür müsste ich nämlich erst einmal auf der Suche sein“, blieb sie standhaft, „und jemanden seinem Pony reiten zu lassen, ist noch lange kein Liebesbeweis.“
      „Ach, ich denke schon, dass er sich abends im Bett vorstellt, wie sich sein Pony wohlfühlen muss“, konnte ich mich nicht zurückhalten, unpassende Sprüche zubringen. Schließlich musste auch ich Lars ertragen, der bei jeder Fahrt im Wald, an nichts anderes dachte.
      „Was ist denn los, dass hier alle nur das eine im Kopf haben“, schüttelte sie den Kopf.
      „Der Frühling kommt, mein Schatz“, grinste ich.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 30.952 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang März 2021}
      Fohlenbericht vier von sieben.
    • Mohikanerin
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      kapitel trettiofyra | 16. Oktober 2022

      May Bee Happy / HMJ Divine / Mondlandung LDS / Pay My Netflix / Lubumbashi / Erlkönig / Maxou

      Warum sollte mich nicht interessieren, was Lina mit ihrem Pferd erreicht? Zugegeben, im Moment war ich Emotional deutlich distanzierter als sonst, versuchte mich auf neue Dinge zu konzentrieren, um meine Leidenschaft zu finden, die gefühlt jeder in meinem Umfeld bereits hatte. Gleichzeitig sollten doch die mehr oder weniger geheimen Aufnahmen, Beweis genug sein, dass ich an ihrem Geschehen teilnahm? Wie sollte ich sonst merken, dass sie geistig woanders war, an sich und ihrer Leistung zweifelte und ihre Beziehung auch nicht mehr ganz nach ihren Vorstellungen lief? Jederzeit hätte ich sie darauf ansprechen können, aber wenn Lina sich in ihrem Schneckenhaus verkroch, lag es nicht in meiner Natur, ständig präsent zu sein und wie Nour auf Teufel komm raus, alles wissen zu wollen. So lag es an ihr, Missstände an mich heranzutragen.
      Gefallen hatte ich an Samus Idee, dass sie heute zum Training kommen sollte. Mit Eskil hatte ich bereits alles geklärt und er freute sich längst, sie auf ihrem Hengst zu erleben. Bewusst entschied ich, dass es besser war, ihn zu nehmen, schließlich kannte Happy diesen aus dem Stall.
      Lina arbeitete mit Mola, der seltsam gescheckten Stute, in der Halle an der Doppellonge. Das Jungpferd war aufmerksam, aber auch etwas energisch unterwegs. Mit der Stimme regulierte Lina das Tier, das gut auf diese Hilfe reagierte. Die Ohren drehten sich bei jedem Geräusch und zwischendurch hielt sie unbegründet an. Das Spiel schaute ich mir eine Weile, als auch Samu dazu kam.
      „Gut macht sie das“, lächelte der Blonde unbestimmt. Bei seinem Satz wurde nicht ganz deutlich, ob er von Lina oder dem jungen Tier sprach, doch es war für beides zutreffend.
      “Könnte mir die beiden auch gut beim Rennen vorstellen”, überlegte ich laut, aber nur so, dass er es verstand. Sie hatte uns bisher nicht an der Bande bemerkt, zumindest warf Lina keinen einzigen Blick zu uns. Kleine Flächen bildeten sich zwischen seinen Augenbrauen, als würde er diese Möglichkeit in Erwägung ziehen.
      „Durchaus“ nickte er, „Ich fürchte nur, sie jemals wieder in dieser Richtung zu bekommen, grenzt an das Unmögliche.“
      Durch meinen Kopf flimmerte die Geschichte, die sie mir erzählt hatte und auch das Gewitter, dass sie in Kanada schlottern ließ. Zudem waren Rennen auch sehr weit entfernt von entspannt durch den Wald fahren.
      “Wenn ich so an sie und Mateo denke, könnte es schon was werden. Zumindest, wenn es sich derartig weiterentwickelt”, sagte ich unbedacht, wie viel sie ihm erzählt hatte.
      „Mateo?“, hakte er interessiert nach. Offenbar hatte Lina ihrem besten Freund nicht alles erzählt, was so vor sich ging.
      „Äh“, kam ich in Verlegenheit. Samu hob interessiert und gleichermaßen irritiert eine Braue, dabei bewegte sich seine Haarlinie mit. „Das solltet ihr in einer ruhigen Minute mal besprechen.“
      „Okay … Dann werde ich sie beizeiten wohl selbst fragen“, akzeptierte er meine ausweichende Antwort. Gleichermaßen fand dieses Gespräch darin ein Ende, dass Lina uns allmählich doch bemerkte, welches sie mit einem kurzen Lächeln signalisierte, bevor sie den Fokus zurück auf die Stute richtete. In aller Ruhe beendete sie die Lektion und holte Mola zu sich, um ihr ausgiebiges Lob zukommen zu lassen. Das zerrupfte Winterfell klebte eng an ihrer Haut. Im Tageslicht glänzten die zarten Muskeln, die mittlerweile den schmalen Körper zierten.
      „Ich weiß auch nicht wirklich was. Es sind nur Vermutungen“, gab ich Samu nach minutenlangem Schweigen zu verstehen. Er zuckte kurz, als hätte er meine Anwesenheit schon wieder verdrängt.
      „Lina, jetzt stopfe nicht so viele Leckerlis in das Pferd hinein, wir müssen gleich los“, rief ich der Kleinen zu, nachdem kurz auf die Uhr geschaut hatte. Noch hatten wir über eine Stunde Zeit, aber sie konnte ziemlich trödeln und ich wollte den Druck etwas erhöhen. Eine Verspätung konnte ich mir aus vielerlei Gründen nicht erlauben. Eskil wartete schließlich auf uns und wenn ich mich nicht irre, war Basti nachher mit Netflix oder einem anderen Pferd auf der Bahn. Seine Aktivität zu analysieren, war aufgrund der geringen Datenlage alles andere als einfach – Lars half mir jedoch. Dankbar nahm ich jeden Tipp von ihm an, auch, wenn im Gegenzug jeden Abend kochen musste und den Putzdienst übernahm. Natürlich hätte ich ihn selbst fragen können, aber das wäre nicht nur zu einfach, sondern auch seltsam.
      „Okay“, entgegnete sie neutral. Aus der Entfernung glaube ich erkennen zu können, wie sie mit den Augen rollte, tatsächlich schnallte sie die Longe um und kam mit dem Pferd im Schlepptau in unsere Richtung. Freundlich gesinnt lächelte ich und öffnete die Schiebetür des Durchgangs. Sie traten hindurch.
      In der Stallgasse trafen wir uns wieder. Jeden Handgriff musterten wir, als würden wir ihre Arbeitsfähigkeit prüfen. Lina blickte uns zwiegespalten an, unsicher darüber, was wir schon wieder im Schilde führten. Den Drang ihr mehr zu erzählen, quälte mich bereits im Schlaf. Samu stoppte mich einzig durch einen erhobenen Gesichtsausdruck, als wüsste er genau, was in mir vorging. Er konnte Frauen lesen, obwohl ich alles andere als ein offenes Buch war. Mimik und Gestik verleitete ich durch leere und müde Gesichtszüge, wenn nicht gerade einer der Herren mein Gemüt erheiterte.
      “Wenn ihr etwas von mir wollt, dann sprecht”, forderte sie uns auf, als sie schließlich den Gurt vom Rücken der Stute hob, “Ihr macht mich noch ganz kirre, wenn ihr mich anstarrt wie zwei Eulen.”
      “Interessiert dich also nicht, welcher ominöse Termin in deinem Dienstplan eingetragen ist und dir damit einen beinah freien Tag verschafft. Verstehe”, nickte ich geheimnisvoll. Ich bewegte mich zur gegenüberliegenden Bank, nahm mein Handy heraus und begann undefiniert durch meine Apps zu tippen.
      “Oh, du steckst also dahinter … und ich wunderte mich schon, warum mich keiner Informierte”, begriff sie den Zusammenhang und tapste mir neugierig hinterher, nachdem sie dem hellen Pferd die wärmenden roten Lampen eingeschaltet hatte.
      “Nicht nur ich”, funkelte ich in Samus Richtung, der in Zeitlupe den Kopf schüttelte. “Deswegen wäre es gut, wenn du deinen Helm einpackst und was auch sonst du zum Reiten benötigst.”
      “Okay … “, entgegnete sie irritiert, “jetzt gibt es also schon eine Verschwörung gegen mich.”
      “Nicht gegen dich”, grinste der Finne nur unbestimmt, stand seiner Freundin allerdings keine weite Antwort, als diese probierte aus ihm schlauer zu werden. Kurzzeitig verschwand die kleine Brünette.
      “Willst du mir jetzt endlich verraten, was das werden soll?”, hakte sie nach und stellte Samu demonstrativ den bepacken Rucksack vor die Füße, “Du willst mich wohl kaum ein Pony kaufen schicken.”
      “Nein, kein neues Pferd, davon hast du wirklich genug”, schüttelte er lachend den Kopf, “Du packst bitte dein eigenes ein und du sollst auch nicht mehr wieder bringen, als du mitgenommen hast.” schlug er ihr gleich wieder den Gedanken aus dem Kopf, es könne sich um eine Pferdebesichtigung handeln.
      “Erstens mal habe ich zwei davon, du müsstest deine Anweisung ein wenig konkreter fassen”, beschwerte sie sich sogleich, “Und zweitens, wofür?”
      “Ivy. Du wirst Vriska heute begleiten”, erläuterte er freundlich. Linas Ausdruck wechselte erst von verwirrt zu nachdenklich, bis ihr klar zu werden schien, welche Motivation ihren besten Freund antrieb.
      “Du bist gemein, ich habe dem nie zugestimmt”, wehklagte sie. Samu schien ungerührt von ihrem Vorwurf, lächelte sie nur weiterhin mild an.
      “Und was genau ist daran so schlimm? Wir dachten, dass du dich vielleicht freust”, seufzte ich, mich auch in das Gespräch einmischend.
      “Ich kann das alles nicht”, jammerte sie, ohne die Aussage wirklich zu differenzieren. Samu schien dennoch zu erkennen, wo ihr Problem lag.
      “Linchen, entspann dich, darum geht es doch gar nicht”, sprach er sanft und legt ihr eine Hand auf die Schulter, “Es ist doch nur ein Training und du bist nicht mal allein, Vriska ist doch auch dabei. Ich dachte, es könnte dir helfen, wenn du mal ein paar Tipps bekommst.” Ihr Ausdruck wurde ein wenig milder, doch so wirklich überzeugt wirkte sie von dem Vorhaben noch nicht.
      “Denkst du etwa, dass Samu irgendwann auf ein Pferd gestiegen ist und alles konnte? Wir nehmen alle Reitunterricht”, erklärte ich deutlich unsanfter, als er es versuchte zu kommunizieren.
      “Ich weiß nicht …”, murmelte sie kleinlaut, blickte unsicher zu Samu hoch, “Ich habe Samu noch nie mit einem Trainer gesehen und auch viele andere in Kanada nie. Ich dachte, das ist nur was für … Menschen mit einem Ziel. ”
      “Dann lassen wir es halt und du versinkst weiter im Selbstmitleid”, zuckte ich schließlich mit den Schultern. Das Handy steckte ich zurück in die Jackentasche und stand von der Bank auf. Aus der Box blickte mich bereits Happy an, als wüsste er, dass es gleich losgehen würde.
      “Nein, ich will mit”, sagte sie hastig, als habe sie die Sorge, dass ich sekundenschnelle verschwinden würde.
      „Dann pack dein Pferd ein. Samu bringt sicher Mola weg.“ Ich rollte mit den Augen. Offenbar wollte sie hören, wie toll sie war, aber dafür stimmte meine Stimmung nicht. Vor Happys Box hatte ich bereits die Bandagen zurechtgelegt sowie Glocken. Mittlerweile sah das Winkeln schon nach etwas aus, auch, weil Eskil sich noch immer darüber beschwerte. Im Handumdrehen befestigte ich den schwarzen Fleece Stoff an seinen weißen Beinen und legte ihm seine pinkfarbene Decke um, für den Transport. Die Tür schob ich wieder auf und führt ihn hinaus. Lina putzte noch Ivy, der abermals seine Fellfarbe gewechselt hatte. Kaum erblickte der Fuchs seinen Mitfahrer, legt er die Ohren an. Viel mehr würde er aber nicht tun. Happy prustete zwar und vermittelte seinen Unmut gegenüber anderen Pferden, doch Treten oder Beißen erlebte ich noch nie. Selbst, als Maxou ihn den einen Tag am Po berührte, erschreckte sich das Tier bloß.
      Zuverlässig trat Happy in den Anhänger, sodass ich den Strick losließ und hinter ihm die Stange schloss. Durch die Seitentür stieg ich hinein und band ihn fest. Ihn interessierte der Heusack allerdings mehr als meine Anwesenheit.
      “Benimm dich”, mahnte ich den Fuchs und stieg hinaus. Den Rest meiner Sachen verräumte ich. Wie ein emsiges Bienchen schwirrte Lina um ihren Hengst, sodass auch dieser weniger später geschniegelt und gestriegelt in den Hänger stieg. Während sie Sattel und Trense ebenfalls in der kleinen Sattelkammer verstaute, trug Samu ihr ihren Rucksack hinterher, den sie sicherlich am Putzplatz hätte stehen lassen, hätte er nicht mitgedacht.
      “Pferd, Sattel, Trense, Rucksack … ich denke, ich habe alles. Wir können los”, ging sie durch, was sie eingeladen hatte, und verschloss die kleine Tür.
      “Gut”, grinste ich und drehte den Schlüssel im Schloss. Der Motor röhrte auf, beruhigte sich umgehend wieder und ich drückte das Gas langsam dazu. Langsam setzte sich das Auto in Bewegung. Wir setzten vom Hof.
      “Wie viel hat Samu dir eigentlich im Rahmen dieser Aktion erzählt?”, fragte sie interessiert.
      Undefiniert knurrte ich, ungewiss, ob ich ihr das wirklich mitteilen wollte. Aber ihre großen Augen funkelten wie die eines Welpen.
      “Einiges”, begann ich still, “aber, dass ich kein Interesse an deinem Leben habe, finde ich, ziemlich anmaßend. Schließlich erzählst du nichts und gehst mir wegen deines komischen Freundes aus dem Weg, also möchte ich auch nicht nerven.” Das Blut kochte hoch in meinem Kreislauf und es fühlte sich an, als würde kleine Schweißperlen meinen Rücken hinunterlaufen. Natürlich nahm ich das persönlich, aber eine Entschuldigung wollte ich nicht hören. “Du kannst machen, wie du möchtest, aber dich in Entschuldigungen und Ausreden zu verfangen, ist auch nicht die feine englische Art. Aber ich denke, du weißt schon, was du tust, also nimm dich dem Unterricht an und dann wird das auch mit Turnieren was. Wer weiß, Niklas will dich sicher auch bei sich haben auf Tour.”
      “Tut mir …”, wollte sie zu einer Entschuldigung ansetzen, stoppte allerdings von selbst, als sie merkte, dass sie in ihr typisches Vermeidungsverhalten rutschte. Unruhig nestelte sie an dem Metall an ihrem Handgelenk und rutschte auf ihrem Sitz umher.
      “Du hast recht, das ist nicht fair dir die Schuld dafür zu geben”, gestand sie sich ihren Fehler ein, bevor sie wieder verstummte.
      “Ja, also reiß dich einfach zusammen”, ich legte ein freundliches Lächeln auf die Lippen, löste den Blick für eine Sekunde von der Straße zu ihr, “muss ich auch. Jeder ist genervt von mir, also ich weiß, wovon ich spreche. “
      “Ich werde mir Mühe geben, versprochen”, lächelte sie zaghaft, “Wenn ich wieder so etwas Doofes mache, dann darfst du mich steinigen oder so etwas.”
      „Oh! Dann gibt es demnächst wohl Ivy-Steak. Da freuen sich die Männer der Tafelrunde sicher“, feixte ich.
      “Armer Kerl, so jung und soll schon an die Löwen verfüttert werden”, schüttelte sie lachend den Kopf.
      “Wenn man rollt, statt rennt, kann man dem leider nicht entkommen”, legte ich meinen alt bewerten Scherz über die leichten Kaltblüter voran, bewusst, dass Ivy im zwar deutlich schwerer war als viele andere Pferde am Hof, aber kein Vergleich zu Rambi. Niedlich konnte Lina schon sein, wenn man ihre Schwachstelle kitzelte.
      “Jetzt mobbst du mein Pferd schon wieder”, schmollte sie, “nur weil er anders ist als deine Flamingos mit ihren unendlichen langen Beinen.”
      „Ich habe nur einen Mini Lusitano“, gab ich siegessicher zu verstehen.
      Wir bogen von der Autobahn ab auf die Straßen zur Rennbahn. Sehnsüchtig schweifte mein Blick zum Geläuf, bevor die Tribüne und das Hauptgebäude die Sicht darauf verborgen. Ich bremse langsam das Auto und wir fuhren die sandige Ausfahrt hoch bis zum Stall. Beinah leergefegt lag das Gelände vor uns, kein Wunder. Es war Mittag mitten in der Woche, die meisten gingen ihrer Hauptbeschäftigung nach. Neben dem Stallgebäude parkte ich das Gespann ab und wir stiegen aus.
      “Noch, ewig kann es nicht mehr dauern, bis du dir einen Rennflamigo zulegst, das spüre ich”, stellte Lina eine steile These an. Aus dem Hänger ertönte ein Wiehern, welches gegen Ende eher in ein Bummeln umschlug. Ziemlich sicher gehörte dieser Laut zu Divine.
      “So falsch liegst du gar nicht”, gab ich zu, während ich die Winkelhebelverschlüsse öffnete. Aufgeregt trat Happy auf der Stelle. “Ich überlege das Fohlen von Humbi zu nehmen, denn Tyrell möchte sie decken lassen.”
      “Ein Minipilz? Das ist bestimmt niedlich und unter dem Sattel macht Pilzi ja auch keine schlechte Figur. Das klingt vielversprechend”, nickte sie.
      “Aber es bleibt abzuwarten, schließlich müsste ich dann drei bis vier Jahre warten. Und ich bin doch so furchtbar ungeduldig”, seufzte ich. Hinter Happy schob ich die Boxenstange hoch. Langsam lief er rückwärts die Rampe herunter, wie ein alter Hase im Transportwesen. Lina löste zuvor den Strick, den ich nun ergriff von seinem Hals. Für einen Moment stellte ich ihn ab, um auch Ivy die Stange zu öffnen. Meine Kollegin ließ das Pferd nicht selbst laufen, sondern führte ihn in Minischritten die Rampe herunter. Damit waren beide draußen und wir sattelten.
      “Ach Vriska, bis dahin könntest du doch mit Maxou die Dressurplätze dieser Welt erobern”, lächelte sie zuversichtlich. Als sie den Gurt langsam anzog, legte ihr Hengst kurz die Ohren an, entspannte sich aber sofort wieder, sobald die Schnallen einrasteten.
      “Erst mal abwarten. Wir haben erst Mitte März und im August soll sie besamt werden, dementsprechend”, überlegte ich laut. Mich konnte es aktuell überall hintreiben. Einerseits machten mir die Rennen Spaß, andererseits wäre nur außen herumfahren auf Dauer ziemlich eintönig. Unentschlossen seufzte ich und legte Happy die Trense an. Nur widerwillig nahm er das Gebiss an, aber wusste genauso gut wie ich, dass wir noch übten, gebisslos zu reiten. Er hatte seltsame Phase, bei denen jeder über das Metall im Maul dankbar war.
      “Muss ja nicht sofort entscheiden, werden”, nicke sie und sortierte den reichhaltigen Schopf unter dem Genickstück.
      Zu guter Letzt zog ich noch ein Strohhalm aus dem Schweif meines Pferdes, dann betraten wir die Halle. Eskil saß mit übereinander geschlagenen Beinen am Rand, in der einen Hand eine weiße Tasse, in der anderen sein Handy. Erst als wir ihn begrüßten, realisierte er uns.
      „Oh, du hast den anderen Zwerg wirklich überzeugen können. Das ist toll“, schwärmte er ungewöhnlich freudig erregt und klatschte die Hände zusammen, nach dem er alles darin, zur Seite gelegt hatte.
      “Sieht so aus, heute gibt es Zwergen Pas de deux”, scherzte Lina froh gesinnt. Ivy erforschte derweil neugierig seine Umgebung, steckte überall seine Schnauze hin und puste eine kleine Staubwolke aus einer Ecke hervor.
      “Das kann etwas werden”, übertrieben pitschte er seine Stimme hoch und vergrub das Gesicht. Lachend schwang ich mich in den Sattel. Direkt widmete Eskil sich Lina, die abermals unsicher wurde. Kurz griff sie die Zügel und zerrte etwas daran herum, obwohl Ivy vollkommen ruhig durch Sand trottete. Ich blieb auf Abstand, wissend, dass der Hengst sonst an uns hängen würde. Happy kannte das bisher nicht. Allgemein spürte ich seine Aufregung unter dem Sattel. Seine Schritte wurden kürzer und er drückte den Kopf nach oben. Sanft zupfte ich am Zügel. Den Gedanken fest daran, dass es besser würde. Nach dem ersten Trab löste sich der Hengst deutlich. Sein Hals wölbte sich aktiv in der Bewegung und bei einer haben Parade kam er näher an die Hand. Die Hinterhand fußte spürbar in den Sand, wodurch ich besser sitzen konnte. Eskil wollte, dass ich Happy aussaß, obwohl es bei dem starken Schwung wie eine Unmöglichkeit erschien. Doch senkte er uns beiden nur wenig Beachtung. Freundlich warf er Lina ein paar gut gemeinte Tipps entgegen. Anfangs versuchte sie sich herauszureden, aber sie nahm wahr, dass mein Trainer wohlgesinnt daherkam. Jedes noch so kleine Wort schwebte wie eine Elfe durch die Luft und legte selbst mir ein warmes Gefühl in den Körper. Nicht grundlos hatte ich ihn noch immer an meiner Seite. Zugegeben, hätten Lina und Erik nicht so ein Problem mit Niklas gehabt, wäre ich lieber bei ihm geblieben. In kürzester Zeit könnte ich nun im schweren Niveau reiten.
      Fein folgte Happy meinen Hilfen, kein Wunder. Der Hengst genoss eine vielversprechende, wenn auch grobe, Ausbildung. Schon wenn meine Ferse seinen Bauch berührte, musste ich aufpassen, dass er nicht plötzlich zur Seite wich oder schneller wurde – je nachdem, wo die Hilfe lag. In der richtigen Arbeitsphase wurde es intensiver. Sein Potenzial präsentierte sich im Galopp. In großen Sprüngen schwebte er durch den Sand, vollkommen in seinem Element. Ivy ignorierte er vollkommen, obwohl Lina zu kämpfen hatte, dass der Freiberger sich nicht an unsere Fersen heftete. Eskil zeigte ihr zwei, drei Techniken, um ihn daran zu hindern. Tatsächlich funktionierte es, fernab davon, dass sie beinah täglich an diesem Problem arbeitete.
      “Vivi, nimm Happy bitte zurück. Lina soll jetzt galoppieren”, rief Eskil mir zu. Augenrollend kam ich auf den Zirkel, als wäre es so ein großer Umstand, aber natürlich widersprach ich nicht. Stattdessen parierte ich in den Schritt durch und gab dem Hengst die Zügel.
      Bebend rollte der Weißgeborene an uns vorbei. Wieder legte mein Fuchs die Ohren an und versuchte tatsächlich nach ihm zu schnappen. Irritiert maßregelte ich ihn mit der Stimme.
      “Das geht so nicht”, zischte ich. Die Ohren drehten sich, als wüsste er von seinem Fehler. Abermals kam Ivy an uns vorbei, doch die Antennen blieben an Ort und Stelle. Umgehend klopfte ich seinen Hals. Der Freiberger schien Spaß an diesem Auswärtstraining zu haben. Es waren nicht nur die aufgestellten Ohren, die dies vermuten ließen, Nein, an der nächsten langen Seite wurde das junge Pferd übermütig und machte einen gewaltigen Hüpfer und schleuderte die Hinterhand in die Luft. Dies überraschte offenbar nicht nur mich, sondern auch Lina, die sich nur mit einem beherzten Griff in die Mähne auf seinem Rücken hielt. Irritiert über die Veränderungen auf seinem Rücken wurde der Hengst augenblicklich langsamer und fiel in den Schritt.
      “Die Tonne wird zum Ball”, konnte ich die Provokation nicht zur Seite schieben.
      “Hör gar nicht hin, Ivy, du hast eine gute Figur”, raunte sie dem Tier zu und rollte mit den Augen.
      “Mädels, reißt euch zusammen”, mischte sich Eskil ein. Siegessicher trabte sie an mir vorbei und ich prustete aufgebracht. Ich hatte recht, ganz einfach. Vermutlich würde uns das noch ewig verfolgen, aber der innerliche Dämon wollte nicht aufhören, über das Gewicht des Pferdes herzuziehen.
      Happy spürte, dass ich nicht bei der Sache war, dabei spielte Lina mit ihrem vierbeinigen Partner natürlich auch mit ein, aber daran lag es nicht. So schnell wie möglich wollte ich fertig wollen, zudem fehlte auch die Lust am Training, wenn ich genauer darüber nachdachte. Ich war nur da, damit Lina es überhaupt versuchte. Im Trab drehte ich meine Runden auf gebogenen Linien, wechselte Mal die Hand, aber keine Seitengänge. Stattdessen blieb ich bei den Grundlagen, die Happy mittlerweile beherrschte. Niemanden erzählte ich es, aber das ständige Reiten in der Halle langweilte mich und demotivierte. Stattdessen setzte ich ein Grinsen auf, damit keiner fragte.
      Lina bekam derweil noch einige Tipps an die Hand, wie sie ihren Hengst fleißiger bekam und ihn auch im Galopp dazu animieren konnte sich zutragen. Widerspruchslos setzte sie alles um, was sich in einem zufriedenen Pferd niederschlug, welches schnaufend wie eine Dampflok durch die Halle walzte.
      “Möchtest du auch noch etwas machen, oder heute nicht der Tag für mehr?”, fragte Eskil wissend, dass ich Happy nach Bauchgefühl ritt, nicht nach einem festen Plan.
      “Er ist heute komisch”, log ich. Als würde der Hengst mich verstanden haben, drehte er den Kopf für einen Moment zu mir.
      “Dafür scheint Happy aber sehr rund zu sein, allerdings du wirst es besser wissen”, gab mein Trainer mir recht. Lobend klopfte ich den leicht verschwitzten Hals und ließ die Zügel fallen. Es waren bereits über vierzig Minuten vergangen, weshalb der Unterricht ohnehin in wenigen Minuten endete. Auch Ivy schien das entgegenzukommen, der ebenso pumpte wie seine Besitzerin.
      “Vielen Dank für die hilfreiche Stunde. Wirklich nett, dass ich mitkommen durfte”, bedanke Lina sich in erster Linie bei Eskil und ließ Ivy die Zügel aus der Hand kauen. Sogleich nutzte der Weiße, den gewonnen Freiraum und streckte die Nase gen Boden.
      “Na dann, in einem Monat ist unser Hofturnier”, grinste er und lief einige Meter neben ihr her. Ich stand währenddessen am Ausgang, um auf Lina zu warten.
      „Oh, interessant“, lächelte sie mild. Nur das kaum merkliche Zucken ihrer Finger verriet die innerliche Anspannung, die aufkam.
      „Kannst du dir überlegen, in zwei Wochen ist Nennschluss“, wies er sie noch darauf hin, ehe er wieder auf seinen Platz auf der Tribüne kletterte.
      „Lina, ich gehe draußen Abreiten. Die Nächsten werden gleich da sein“, versuchte ich sie zu überzeugen, nicht in der Enge zu bleiben. Innerlich trieb es mich von hier weg, an einen Ort, der mir bessere Gefühle gab.
      „Okay“, nickte sie und folgte meinem Fuchs und mir. Vor Tür nahm ich einen kräftigen Atemzug als hätte ich seit Stunden die Luft angehalten. Befreiend fiel ein Teil des Schweregefühls von mir, selbst bei Happy spürte ich durch das Reitpad, dass die Muskulatur entspannte. Er schnaubte ab und schüttelte sich einmal. Lobend strich ich ihm über den Hals. Dann legte ich die Beine leicht an, wodurch sich das Pferd umgehend in Bewegung setzte. Natürlich kannte er den Weg, den wir nicht zum ersten Mal nahmen, nur, dass wir zur Ausnahme nicht allein unterwegs waren. Unter den Hufen knirschten die kleinen Steine des Weges. In der Luft lag Stille, nur die Geräusche der Pferde begleitete uns. Happy giftete Ivy nicht mehr an, sondern streckte immer wieder interessiert den Kopf in seine Richtung. Dabei verlor ich allerdings nicht aus den Augen, dass vor uns lag, oder mittlerweile neben uns. Denn in zweiter Spur zur Rennbahn verlief die Trainingsbahn. Ich versuchte zu hören, ob sich ein Pferd näherte, was aktuell nicht der Fall war.
      „Pass bloß auf dem Sand auf“, belehrte mich Eskil einmal, als wir noch mit Lubi und Erlkönig im Winter draußen abritten. Aber ich fürchtete mich nicht. Ich hoffte, nein, viel mehr betete ich.
      „Erwartest du etwas?“, fragt Lina nach einer Weile neugierig. Offenbar entging es ihr nicht, dass meine Aufmerksamkeit nicht bei dem Pferd lag. Wozu auch, der Hengst trottete schläfrig dem Weg entlang. Seine Müdigkeit konnte nur der Fahrt und Uhrzeit geschuldet sein, schließlich waren die Übungen heute alles andere als eine intensive Einheit. Nicht mal ich kam zum Schwitzen, obwohl mich bei nahezu jeder erdenklichen Gelegenheit warm wurde. In Kombination mit einem schnellen Frostgefühl, das ich stets ignorierte, verstand ich meinen Körper schon lange nicht mehr.
      „Ein Wunder, ja“, blieb ich verhalten. Sie konnte sich die Frage selbst beantworten, aber wollte unbedingt hören, wie sehr ich dem eigentlich unbekannten Typen verfallen war – Oder der Vorstellung zu ihm. Vermutlich lagen Welten zwischen meinem Ideal und seinem richtigen Ich, aber natürlich bereitete ich mich emotional darauf vor, dass er mich nicht mögen würde. Selbst, wenn er Pferde stehlen und Menschen zum Spaß quält würde, kam ich damit klar. Immer mehr entwickelte ich mich zu einem Ja-Sager, nur um die Vorstellung in meinem Kopf gerechtzuwerden. Dazu gehört leider auch, etwas im Leben erreichen zu können. Unsicher fummelten meine Hände an der Mähne des Fuchses, der von der Überlegung nichts mitbekam. Zu sehr versuchte er, den komischen weißen Ball neben uns zu untersuchen, der allerdings vollkommen erschöpft durch den Sandweg stampfte.
      Durch das fehlende Laub an den Bäumen hatte ich einen guten Blick auf das Geläuf und den Rennstall. Gerade, als ich den Fuchs einlenken wollte für den Weg zurück zum Hof, sah ich einen Rappen aus der Ferne. Ich bremste in den Halt ab.
      Der zarte Farbverlauf am Schweif des Pferdes am Stall ließ keine Zweifel aufkommen – da war mein Wunder. Obwohl er im Training bis auf seinen weißen Helm, wie alle anderen in Schwarz gekleidet war, erkannt ich ihn. Die hageren Gesichtszüge, dass mehr oder weniger breite Kreuz auf der schmalen Hüfte zusammen mit der ziemlich ungesund wirkenden Körperhaltung im Wagen, ließen mich ihn zwischen tausenden identifizieren. Tatsächlich hatte ich ein Auge dafür entwickelt nach den ganzen Rennvideos, die teilweise sehr unscharf waren. Selbst Netflix und seine braune Stute mit Punkten, oder der seltsame Fuchs, erkannt ich problemlos. Zwischendurch fuhr er auch einen Braunen mit großen Abzeichen, ansonsten war seine Aktivität auf Rennen ziemlich geschrumpft seit dem Herbst.
      Automatisch richtete ich mich im Leder auf, drückte die Schultern zusammen und legte die Beine in die korrekte Position. Happy hob den Kopf, als würde er sich auf weitere Impulse vorbereiten. Ein leichtes Kribbeln durchfuhr mich, gefolgt von einem undefinierten Ziehen im Unterkörper, dabei begann meine Leiste zu krampfen und Schmerzen in den Oberschenkel zu leiten. Korrekt Sitzen löste immer häufiger Krämpfe aus, obwohl es bei meinem Reitpad bereits wie verschwunden war.
      „Da ist ja dein Wunder“, raunte Lina mir zu und grinste fröhlich vor sich hin.
      “Fast”, seufzte ich.
      „Was ist denn los?“, fragte sie einfühlsam.
      „Ist doch lächerlich. Jetzt stehen wir hier herum“, konnte ich die Wahrheit nicht weiter verdrängen. Jeder, der nur Teile davon mitbekommt, würde mich für verrückt erklären.
      „So ist das, wenn man seinen Gefühlen folgt“, zuckte sie mit den Schultern, „da kann es schon mal passieren, dass man ein wenig irre wirkt.“
      Gefühlen folgen, hallten ihre Worte noch durch den Kopf. Nicht allein auf meiner Lichtung zu stehen, ließ mich die Kernunzufriedenheit wieder spüren. Mit jedem Atemzug kam das Schweregefühl, legte mich in Ketten. Gefesselt von all der Negativität und Angst, zitterte ich wie Espenlaub und bemerkte, dass er nicht mehr am Stall stand.
      „Gefühle sind sinnlos. Basti wird mich nie lieben“, sprach ich niedergeschlagen meine Bedenken aus. „Er fühlt nichts. Beachtet mich nicht.“
      “Was heißt er beachtet dich nicht, hast du überhaupt probiert Kontakt aufzunehmen? Und wer sagt denn, dass er nichts fühlt und das auch niemals tun wird?”, stellte sie Fragen, vermutlich um die Situation besser zu verstehen. “Verliere nicht gleich die Hoffnung. Gefühle sind kompliziert und was noch hinzukommt, ist vermutlich der Altersunterschied. Ich denke, in seinem Alter liegt der Fokus einfach auf anderen Dingen, wodurch der Prozess anders abläuft”, versuchte sie mir gut zuzureden.
      „Du solltest mehr auf deine Freundin hören und nicht Schwachsinn, der in deinem Kopf schwirrt, glauben“, ertönte es plötzlich hinter uns. Happy hatte sich vom Geläuf weggedreht, um endlich wieder zum Hänger zu kommen. Darauf schob ich auch die aufkommende Unruhe. Dennoch hätte ich wohl damit rechnen sollen, dass seine fehlende Anwesenheit eher damit zu hatte, dass er das Pferd auf die Trainingsbahn lenkte.
      Schlimmer hätte es natürlich nicht kommen können. Peinlich berührt und vollkommen überfordert drehte sich alles in mir, der Drang von hier zu verschwinden, aber eine innerliche Kraft hielt mich davon ab. Es drückte mich in den Sattel und Happy inspizierte das seltsame bunte Gefährt neben sich. Netflix interessierte sich reichlich wenig für die beiden Hengste, die mit großen Augen im Sand verharrten. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen und Zügeln, um die aufkommende Röte zu verschleiern und die eindringenden Blicke, die auch ohne zu schauen spürte, zu entkommen. Förmlich hing alles an mir und zum, ich hatte mittlerweile aufgehört zu zählen, demütigte ich mich auf ganzer Linie.
      „Es tut mir so leid“, stammelte ich in meine Handflächen hinein, kaum verständlich. Mich zu erklären, würde nichts bringen.
      „Wir sind in keinem Märchen, auch wenn du gerne eine Prinzessin sein möchtest“, grinste Basti spitz, warf dabei auch einen prüfenden Blick zu Lina, die ebenso überrascht war über sein plötzliches Erscheinen. „Aber nur zu Träumen bringt dich nicht weiter.“
      Kleinlaut nickte ich.
      „Wenn du was willst, dann musst du das sagen. Keiner von uns riecht, was in deinem Kopf los ist. Aber lass uns später reden“, sprach er zu Ende.
      Wieder nickte ich nur. Diese Blöße gab mir den Impuls nicht zum Rennen zu fahren, sondern den nächsten Flieger am Flughafen zu nehmen, egal wohin, einfach weg.
      „Also?“, hakte er noch mal nach, als wir minutenlang nur schweigend auf der Stelle standen.
      „Ja“, kroch es mir nur zart aus dem Mund.
      Basti nickte und schwang die Leinen, um den nervösen Rappen in Bewegung zu setzen. Zittrig sah ich ihm nach, aber Happy zog es wie von einer magischen Macht gesteuert hinterher. Soweit es mir das die weichen Knien erlaubten, drückte ich mich in das Pad, Willens, den Fuchs zu bremsen. Dieser ignorierte mich allerdings und trabte schließlich von selbst an, den Kopf nach unten gedrückt. Durchkommen war am Zügel nicht mehr. Überrascht drehte sich Basti um.
      „Ist noch was?“, fragte er.
      „Nein, eigentlich nicht. Er hat sich auf Autopiloten gestellt“, gab meine Unfähigkeit zu.
      Umgehend stellte er sein Pferd wieder auf Schritt um, wodurch auch Happy sich genötigt fühlte zu bremsen, denn an dem seltsamen bunten Ding mit Rädern wollte er nicht vorbeilaufen. Stattdessen stellte er die Ohren wieder auf, aber auf Hilfen reagierte dieser weiterhin nicht. Im Schritt sprang ich hinunter, zog die Zügel über den Kopf und konnte ihn schließlich wegführen.
      „Viel Spaß“, sagte ich meinem Schwarm, der kopfschüttelnd lachte. Vermutlich glaube er mir nicht, dass mein Fuchs selbstständig Entscheidungen traf.
      “Was sollte das denn werden?”, fragte Lina irritiert, die uns nun mit ihrem abgekämpften Pferd erreichte. Schwerfällig setzte der Hengst die Hufe voran und stolperte beinahe über die eigenen Füße.
      “Da musst du leider das Vieh selbst fragen”, sagte ich genervt und zog ein weiteres Mal am Zügel, obwohl er mir folgte.
      “Ich fürchte, das gestaltet sich schwierig. Ich spreche zwar einige Sprachen, aber … Pferdisch zählt nur sehr eingeschränkt dazu”, runzelte sie die Stirn und betrachtete den Fuchs ausgiebig. Er wehrte sich gegen meine grobe Hand.
      “Bedauerlicherweise weiß ich es auch nicht, nur, dass ich es versaut habe. Oh man, wie soll jemals wieder mit ihm sprechen. Ab jetzt bin ich die gestörte Blonde”, ärgerte ich mich weiter und strampelte den Kiesweg zum Anhänger entlang. Ivy kam kaum hinterher.
      “Vriska, jetzt rede nicht wieder so einen Quatsch, niemand hält dich für gestört. Es gibt als gar keinen Grund, weswegen du dich verschämt sein müsstest”, widersprach sie mir kopfschüttelnd.
      „Er hat gehört, was ich über ihn gesagt habe. Wie würdest du dich denn fühlen, wenn du das hören würdest von jemandem, den du nicht kennst? Sicher nicht ganz so freudig gestimmt“, meine Stimme denkt sich wieder. Aber eigentlich wollte ich nicht mehr darüber sprechen. „Ich muss dir noch was sagen. Vorhin ist mir bei Samu, was herausgerutscht, weil ich dachte, du hast schon mit ihm gesprochen. Mateo.“
      “Was hast du ihm erzählt?”, reflexartig krallten sich ihre Finger um die Zügel und sie starrte mich mit dem nervösen Blick eines Bambis an. Ivy drehte irritiert den Kopf in ihre Richtung, als versuche er nachzuvollziehen, welche Gefahr seine Reiterin entdeckt hatte.
      “Wenn man es genau nimmt, nichts. Ich schwärmte, wie du mit Mola gearbeitet hast. Dass du mit ihr auch hübsch wärst im Sulky. Samu meinte daraufhin, dass man dich unmöglich in eine Kutsche bekommt und ich warf ein, dass Mateo das sicher schafft. Ich versicherte ihm aber, dass ich nichts weiß und nur vermute”, ratterte ich wie eine Schreibmaschine die Fakten herunter. Erleichtert amtete sie auf: “Gott sei Dank, das ist ja noch im Rahmen.”
      “Entspricht schließlich der Wahrheit. Mehr weiß ich nicht”, murmelte ich. Es hätte nicht in meiner Hand liegen sollen, dass ihr bester Freund davon erfährt, aber wer hätte auch ahnen können, dass sie ihm nicht von Mateo erzählt hatte. Allerdings gab es, eventuell, nichts.
      “Wie auch, wenn ich es nicht mal selbst weiß”, seufzte sie leise, strich Ivy simultan über den Pelz.
      Angekommen am Transporter stieg sie aus dem Sattel und nahm diesen auch direkt ab. Nebenbei bereitete ich Happy ebenfalls für den Transport vor.
      “Ihr versteht euch einfach gut”, grinste ich vertraut. Es sollte endlich Schluss sein, dass die böse Stimme in meinem Kopf versuchte Niklas von ihr zu reißen. Mateo passte aufgrund verschiedener Umstände besser, was von außen betrachtet zumindest so schien.
      “Ja, im Grunde schon”, nickte sie unbestimmt und verräumte einigen Kram an die vorhergesehene Stelle.
      “Du hast mir mal gesagt, man muss nicht immer alles mit einem Namen versehen. Also belassen wir es dabei. Er ist Mateo und du Lina”, versuchte ich ihre Stimmung wieder zu heben. Happy stieg von selbst hinein und ich schloss die Stange.
      “Und wieder mal hast du recht. Ich sollte mich wirklich öfter an die klugen Dinge erinnern, die ich so von mir gebe”, entgegnet sie nachdenklich und schnappte sich das Ende des Strickes, welches nur locker über Ivys Hals gebaumelt hatte. Bereitwillig folgte der helle Hengst ihr schließlich die Rampe hinauf und ich verschloss die Stange aus hinter ihm. Bevor Lina den Hänger durch die kleine Tür an seiner Vorderseite verließ, vernahm ich einige fremdländische Klänge, die klar ihrem Pferd galten.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 35.294 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte März 2021}
      Fohlenbericht fünf von sieben.
    • Mohikanerin
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      kapitel fyrtio | 03. November 2022

      Maxou / Northumbria / Mondlandung LDS / Anthrax Survivor LDS / Forbidden Fruit LDS / Legolas / HMJ Divine / Just A Bear / Heldentum LDS / Astronaut in the Ocean LDS / Harlem Shake LDS / Outer Space / Moonwalker LDS / Meltdown / Pay My Netflix / Henade / Millennial LDS

      Vriska
      Nicht anders als erwartet, klingelte der Wecker wahnsinnig früh. Lars sprang beinah aus dem Bett, der Gesichtsausdruck ebenso müde wie meiner. Wir schwiegen, aber stellten durch reinen Augenkontakt sicher, dass es auch besser war. Während er zunächst das Badezimmer besuchte, schaltete ich die Kaffeemaschine ein. Sie piepte.
      „How dare you”, murmelte ich und füllte den Wassertank auf, wie sie es mir auf kleinen Display als Fehlermeldung ausgab. Einige Wassertropfen gingen daneben. Seufzend griff nach dem Küchentuch am Haken und wischte jene weg. Beide Kaffees waren bereits umgefüllt in Thermobecher, als mein Kollege endlich aus dem Bad kam. Jeder, der mir vorwarf, dass ich am Morgen Stunden darin verbrachte, kannte Lars nicht! Ich ärgerte mich noch etwas darüber, als ich im Anschluss den Raum betrat und wir wenig später zum Stall trödelten.
      „Wie immer?“, fragte er mit kurzen Worten. Damit meinte er, dass wir erst die Tröge in den Boxen füllten und im Anschluss ihre Bewohner holten. Es folgten die Hengste von den Paddocks und zum Schluss die Stuten.
      Die ersten zwei Arbeitsstunden vergingen. Nur langsam näherte sich die Sonne, an dem eher kühlen Tag und ich überlegte, womit ich anfangen sollte. Aus den wenigen aktiven Rennpferden wurden gefühlt immer mehr. Beinah wöchentlich kam Tyrell auf die Idee, ein weiteres Jungpferd von der Weide zu holen und uns damit zu beauftragen, es anzufahren. Immerhin beschäftigte er sich ebenfalls mit den Tieren bei der Bodenarbeit. Hinten und vorn kam ich durcheinander und war froh, wenn nur zwei Tiere für den Tag an mich zugeteilt wurden. Humbria hatte Pause, schließlich stand ein Rennen morgen an. Um mich zu gewissermaßen, wer noch mitkommen würde, holte mein Handy hervor. Tatsächlich waren es mehr als sonst. Sieben Pferde standen auf der Liste, zwei mehr, als wir durchschnittlich transportierten. Vielleicht lag es auch am Standort. Die Konkurrenz in Mantorp war überschaubar, mittelmäßig, ebenso die Dotierungen – dafür war die Stallanlage wunderschön und gepflegt. In der kleinen Gemeinde selbst gab es kaum etwas, neben der Trabrennbahn und Rennstrecke.
      „Was sitzt du hier herum, nichts zu tun?“, trat mein Bruder unverhofft in den Mitarbeiter-Raum herein.
      „Ich habe geschaut, welche Pferde morgen mitkommen“, erklärte ich.
      „Einige, soweit ich weiß“, sprach er, „ihr bleibt über Nacht, oder?“
      „Meiner Kenntnis nach, ja. Wieso?“, skeptisch schielte ich über meine Brille zu ihm hinüber. Mit verschränkten Armen stand er an den Küchentresen gelehnt, als gäbe es ein Problem.
      „Du hast Geburtstag. Willst du diesen nicht feiern?“, rückte er mit der Sprache heraus.
      „Nein?“, schrie ich beinah hysterisch und drückte mich mit den Händen von der Tischplatte ab, um aufzuspringen.
      „Schon gut. Ich wollte nur nachgefragt haben“, zuckte Harlen zurück. „Nimmst du deine Freundin wenigstens mit?“
      „Wir haben nicht darüber gesprochen“, gab ich achtlos zu verstehen und stürmte hinaus. Auf Gespräche wie diese hätte ich verzichten können, primär meinen Bruder sollte klar sein, dass dies ein schlechtes Thema am frühen Morgen. Oder allgemein.
      Verloren irrte ich durch den Stall, versuchte eine Aufgabe zu finden, was hinsichtlich der Müdigkeit und des allgemeinen Befindens alles andere als leicht erschien. Mehrmals lief ich den langen Gang an den Boxen vorbei, schaute zwischendurch zu den Pferden, bevor ich vor Frust den Weg zur Hütte einschlug. Allerdings kam ich nur bis zum Ende der Boxen, denn da stand Lars, mit Mola am Strick. Diesen übergab er mir.
      „Hier, du fährst mit ihr“, sagte er.
      „Warum? Lina arbeitet doch mit ihr“, wunderte ich mich zugleich und strich der neugierigen Stute über die Nase. Sie musterte mich mit ihren treuen Augen. Sanft spürte ich den warmen Atem aus den Nüstern auf meiner Haut, verwehte dabei einige Strähnen aus dem Gesicht.
      „Sie fährt aber nicht und du kannst besser mit Stuten umgehen als ich. Auch, wenn ich das ungern zugebe“, grinste mich mein Kollege an.
      „Na gut, hoffentlich nehme ich dir nicht die Arbeit weg“, gab ich mit einem Schmunzeln zurück.
      „Oh nein, wie schade, ein Pferd weniger. Da werde wohl wieder schlecht schlafen“, lachte Lars, dann verfinsterte sich die Miene, „Ich bin dir tatsächlich sehr dankbar, weil Anti sprang, abermals in das Gitter der Führanlage und nun spinnt der Motor.“
      „Und warum macht dein Papa das nicht?“
      „Der hat anderes zu tun“, erklärte er im Gehen, „bei den Stuten ist schon wieder die Heizung ausgefallen, deswegen funktionieren die Tränken nicht.“
      „Langsam bräuchten wir einen Haustechniker“, rief ich ihm noch nach. Nur unklar schwang eine Antwort an mich heran, die allerdings im Windzug und zwischen den Pferdegeräuschen unterging.
      „Und was machen wir beide?“, tätschelte ich Mola am Hals. Zusammen standen wir in der Putzbucht, die Stricke am Halfter befestigt und ich suchte mal wieder nach einer Bürste. Seit einigen Tagen lagen die Dinge nicht mehr Regal, sondern überall verteilt. Unglaublich, wer hinterließ nur so ein Chaos? Letztlich holte eine der Putztaschen aus der Sattelkammer und befreite das Pferd vom Staub. Schwer waren ihre Augenlider und der Atem ruhig. Ebenso still wie der Stall – keine blöden Sprüche aus der Halle, keine gezwungenen Gespräche – nur der Wind an den Scheiben und das Hufgetrappel auf dem Beton.
      Mola war sauber, trug den kürzesten Gurt, den ich fand und eine schwarze Unterlage. Über das Vorzeug dachte ich nur einen Moment nach, griff nach dem Erstbesten. Es fehlte nur noch der richtige Beinschutz sowie ihre Trense.
      Mit dem Sulky eingehängt, führte ich sie hinaus. Wir lenkten in den Wald ein. Frische Spuren mehrerer Pferde zeichneten sich in Sand, was sich nur auf Lina und ihre Gefolgschaft zurückführen ließ. Durch leichtes Zupfen an den Leinen blieb Mola stehen, spitzte die Ohren und ich versuchte ebenfalls herauszufinden, wie weit sie entfernt waren. Im Surren der Baumkronen flatterten Vögel hervor und leise schwebten einige Nadeln herunter. Mola lief auf Kommando wieder an. Ich wollte niemandem begegnen, also ging ich auf die mittlere Grasbahn, auf der für gewöhnlich nicht geritten wurde. Mich belastete der bloße Gedanke, dass ich Linas Pferd am Wagen hatte, obwohl sie es nur pflegte. Jede Begründung in meinem Kopf ergab nur wenig Sinn, dennoch konnte ich mich nicht davon lösen. Mir fiel es zwar leicht, ein Pferd abzugeben, dennoch bedeutete die Abgabe meistens den generellen Verlust. Fruity, die mittlerweile in Kalmar stand, war eins davon. Sie zu sehen, schmerzte, obwohl sie bei der Familie gut aufgehoben war. Manchmal erzählte Eskil mir vom gemeinsamen Training, aber ich hörte nie richtig zu.
      Nach einer Runde im Schritt trabte ich locker an und hielt das Tempo. Mola streckte sich. Wie die meisten unserer Traber, zog sie nicht an den Leinen, sondern wartete darauf, dass man nachgab. Ihren Kopf hielt sie selbst und fand damit selbst die Balance, sodass ich nur ihr Tempo über die Stimme regulierte. Meinen Blick richtete ich auf den kleinen Monitor vor mir. Gleichmäßig blieb ihre Herzfrequenz. Besonders bei den jungen Tieren war es wichtig auf Ausdauer zu setzen, damit sich der Herzmuskel langsam stärkte, sonst konnte es zu bösen Verletzungen kommen. Eine halbe Stunde später kamen wir zum Hof zurück. In der kalten Luft dampfte sie und wirkte dabei wie ein kleiner Drachen. Schmunzelnd stieg ich vom Bock und führte sie in die Stallgasse hinein. Dort herrschte ein reges Treiben, denn offenbar war Lina mitsamt ihrem Hofstaat bereits zurückgekehrt. Lego döste entspannt unter dem Rotlicht, während sein Reiter die Beine vom Dreck bespritzten Stoff befreite. Alle weiteren Pferde standen ordnungsgemäß zwischen den Anbindepfosten. Oder besser fast alle. Divine schob, begleitet von einem kratzenden Geräusch seine Futterschüssel, quer über die Stallgasse und hinterließ dabei einen Spurt aus Hafer, als wolle er wie Hänsel und Gretel seinen Weg markieren. Leicht schockiert blickte ich in die Menge, beinah erstarrt, doch Mola stupste mich an, als würde sie mich erinnern wollen, dass ihr kalt war.
      „Oh, Hallo“, lächelte Sam, die als erste Notiz von mir nahm. Freundlich stellten sich die Ohren des rundlichen Fuchses zu ihrer Linken auf.
      „Godmorgon“, murmelte ich überfordert von der Situation, schließlich bin ich bis zur letzten Sekunde davon ausgegangen, niemanden anzutreffen. Doch nun musste ich mich dem stellen, dass ich Mola gefahren war. Hitze stieg in mir auf, trotz der Kälte.
      „Wer ist denn das hübsche Tierchen?“, fragte die Schweizerin interessiert und hielt der Stute die Hand zum Beschnuppern hin. Neugierig bewegte sie ihre Lippe in die Richtung, aber begann dann, sich an ihr zu reiben. Mit dem Finger im Gebissring zog ich sie weg.
      „Mola“, antwortete Lina ihr, „das Jungpferd, was ich ausbilde. Na ja, zu teilen zumindest.“ Sie klang freundlich, wie immer, doch das standardisierte sanfte Lächeln ließ eine Regung nur schwer erkennen.
      „Und heute musste ich sie fahren“, murmelte ich gedrückt, bewusst den Augenkontakt meidend.
      „Wie war’s, hat die Kleine sich benommen?“, erkundigte sie sich interessiert. Falls es sie störte, dass jemand bei „ihrem“ Pferd mitmischte, ließ sie sich das nicht anmerken. Laut schepperte es, als Ivy auf seinem Weg eine Boxentür rammte. Lina zupfte leicht an seiner Mähne, woraufhin er den Kopf hob und sie ihn zurück dorthin führte, wo er ursprünglich gestanden haben musste, zumindest ließen die Hufglocke mit den Ottern dies vermuten. Von seinem neuen Standort aus ging nun die Suche nach den Futterkrümeln los. Warum konnte sie nicht wie jeder andere das Pferd befestigen? Innerlich schüttelte ich mit dem Kopf.
      „Ja, alles gut. Die Herzfrequenz schwankt noch, aber es geht Bergauf“, erklärte ich zuversichtlich, „in zwei Monaten spätestens soll sie in die Qualifikation.“
      „Das ist schön zu hören“, nahm sie die Information zur Kenntnis und befestigte inzwischen doch die Halteseile an ihrem Pferd, welches geradewegs eine fremde Futterschüssel ansteuert. Nach kurzem Schweigen führte ich Mola schließlich vor den neugierigen Blicken aller vorbei, selbst Niklas stand dabei und sah beinah mitleidig aus.
      „Ich gehe dann“, verabschiedete ich mich zittrig in der Stimme.
      „Ist alles in Ordnung mit dir?“, kam Lina mir nachgelaufen.
      „Ja … nein, keine Ahnung. Hat Niklas dir nichts erzählt?“, flüsterte ich. Am Gurt löste ich die Sicherheitsschnallen und drückte den Verschluss hinunter, um den Sulky herauszunehmen. Mola drehte sich einmal neugierig zu mir um, aber verharrte auf der Stelle. Erst dann befestigte ich sie in der Gasse.
      „Erzählt?“, fragte sie irritiert, „Ich weiß nicht …“
      „Interessant … nun, ich hatte gestern sehr freundlichen Besuch“, seufzend rollte ich mit den Augen und fummelte die Leinen auf dem Geschirr heraus, „Nelly ging davon aus, mir ihre Meinung zu unterbreiten, auch wenn sich mir noch nicht ganz erschließt, wie sie herausfinden konnte, wo ich wohne.“
      „Was? Das ist ja heftig“, mit weit geöffneten Augen blickte sie mich an.
      „Joa. Ich soll mich von Basti fernhalten, aber er antwortet mir ohnehin nicht, also passt schon“, murmelte ich. Den Gurt hob ich vom Rücken und legte ihn über die Mauer. Das Gebiss hängte ich an den Verschluss. Erleichtert schüttelte sich die verschwitzte Stute.
      „Oh nein, das tut mir leid“, entgegnete sie mitfühlend, „kann man dir irgendwie beistehen?“
      „Keine Ahnung“, ich zuckte mit den Schultern und schaltete den Wasserhahn. Ich wartete, bis es wärmer war und begann, den Schweiß aus dem Fell zu waschen. Lina ging einen Schritt zurück, um dem Strahl auszuweichen.
      “Was hältst du davon, wenn wir uns heute einen netten Abend machen, nur wir zwei?”, schlug sie vor, “Oder möchtest du lieber Zeit für dich?”
      „Kommst du morgen nicht mit?“, umging ich ihre Vorschläge. Mit weichen Knien tastete ich mich wieder zum Hahn vor und stellte diesen ab.
      “Es fragte mich bisher keiner gefragt, aber gerne komme ich mit”, entgegnete sie.
      “Jemand muss doch die Pferde trocken führen”, grinste ich.
      “Ach, du suchst noch einen Sklaven”, lachte sie, “Na gut, weil du es bist.” Sanft strich sie Mola über die nach vorn gestreckter Schnauze.
      “Es zählt zum Arbeiten, also bekommst du dein Geld”, nahm ich ihr den Wind aus den Segeln. Am Ende des Tages kamen wir alle gut klar, natürlich, Tyrell gab uns auch Verpflegungsgeld mit.
      “Ist ja gut, darum geht es doch gar nicht”, lächelte sie, “Ich wäre auch so mitgekommen.”

      15:30 UHR

      Nachdem Mola aufgefressen hatte und trocken war, konnte sie zurück auf dem Paddock. Von dort nahm ich das nächste Pferd mit in den Stall, um erneut zur Bahn zu fahren. So ging es noch ein paar Mal, bis der Plan mir keine weiteren Tiere anzeigte. Zwischendrin traf ich auf Lars, der sich den Hengsten widmete. Gerade, als ich Feierabend machen wollte, holte er mich zurück.
      „Wo willst du hin?“, fragte er verwirrt und ich drehte auf der Ferse um.
      „Auf die Couch“, antwortete ich trocken.
      „Aber Lina darf doch den Bären kennenlernen“, lachte Lars. Mir erschien kein Licht, als dass mir diese Information bekannt war.
      „Okay, schön. Was habe ich damit zu tun?“, hakte ich unbeteiligt nach.
      „Wir hatten gestern darüber gesprochen“, runzelte er die Stirn, „du kannst natürlich auch gehen, aber sie freut sich sicher. Außerdem ist Hulk mittlerweile nach Hause.“
      Lars tat beinah so, als wäre der Kerl ein Problem für mich, obwohl er in letzter Zeit ganz erträglich war – insbesondere, wenn ich an die Nacht dachte. Ein zartes Lächeln zuckte über meine Lippen und ich entschloss, noch zu bleiben. Zusammen liefen wir zum Anbinder, an dem Lina bereits, wie ein Reitschüler um das helle Pferd huschte, mit einem breiten Strahlen im Gesicht. Es schien beinah so, als wäre ihr Traum in Erfüllung gegangen, obwohl der Gedanke ziemlich weit hergeholt war.
      “Schön, beehrst du mich auch, Vriska?”, sprach sie beschwingt.
      „Natürlich, der Teddy bringt dir sicher neue Perspektiven“, brachte mich ihre Art ebenfalls auf Glücksgefühle, obwohl ich vor Minuten noch überlegt hatte, wie ich für ein paar Monate erneut verschwinden könnte. Lars, der sonst seine Blicke auf mich richtete, hing an Lina. Das Funkeln in seinen grünen Augen und diese gewissen Züge im Gesicht ließen nur erahnen, woran er gerade dachte. Ich beobachtete ihn nur für kurzen Moment, bevor ich ihn in die Seite zwickte und er sich krümmte.
      „Ey, was soll das?“, empörte er sich. Bears Ohren drehten interessiert in unsere Richtung und auch Lina drehte sich um. Da meinerseits keine Antwort kam, richtete sie sich dem Pferd hin und zurrte den Gurt fest.
      „Sie hat seinen Freund. Denk gar nicht daran“, flüsterte ich ihm ins Ohr.
      „Weiß ich doch“, schmunzelte er selbstsicher und zog eine Augenbraue verdächtig hoch.
      Lina und Bear waren so weit. Sie klickte den Verschluss des Helmes zu. Zusammen liefen die drei vor, ich folgte stumm. Aus dem Schrank hatte ich mittlerweile mein Handy geholt, scrollte die Benachrichtigungen auf dem Sperrbildschirm durch, aber entdeckte nichts, das meine Aufmerksamkeit bedarf. Lars gab Lina noch wichtige Tipps an die Hand, bevor er die Hand in den rechten Bügel drückte und sie sich in den großen Sattel schwang. Behutsam drückte sie die Beine in die Seite, während ihre Hände noch die langen Zügel sortieren. Der stämmige Hengst wurde mit vier an der Zahl geritten. Zwei davon führten zum Gebiss, die anderen zum Kappzaum.
      Von der Seite kam Nour angelaufen.
      „Oh, Lina reitet das Bärchen!“, stellte sie mit Begeisterung fest und setzte sich neben mir auf das Holz. Ihre schwarzen Haare hatte sie heute mal wieder offen, wie auch alle anderen Damen am Hof, bevorzugte sie einen Pferdeschwanz und an manchen Tagen trug sie diese sogar geflochten. Meistens war Lina der Grund dafür, denn sie diente ihr häufig – in Bezug auf die Haarpracht – als Vorbild. Tatsächlich bemerkte ich immer häufiger, wie wir uns alle an Lina orientierten.
      „Aber was sitzt du denn hier wie ein nasser Sack?“, fragte Nour nach Minuten der Stille. Lars war beschäftigt mit dem Reitunterricht, denn im Gegensatz zu den Freibergern, erwies sich Bear als sehr fein an den Hilfen. Jeder Druck zu viel am Bein bewegte den Hengst dazu, das Tempo zu erhöhen.
      „Ich weiß auch nicht, Nour. Es ist ziemlich viel im Moment“, hielt ich mich bedeckt, ihr Gegenüber, wissend, dass es sonst jeder wusste binnen Stunden.
      „Nelly hat es erzählt“, blickte sie mich mitleidig an.
      „Was denkst du denn? Bin ich zu weit gegangen?“, begann ich tatsächlich Rat bei ihr zu suchen, aber sie war mir das auf eine gewisse Weise auch schuldig. Schließlich war Nour es, die unbedingt eine Verbindung zwischen uns aufbauen wollte.
      „Nein, du hast dich richtig verhalten. Dass Basti wieder ankam, war doch auch nur eine Frage der Zeit“, sagte sie und lächelte.
      „Wie meinst du das?“, nachdem mir erzählt wurde, dass er kalt sei und kaum Gefühle zu ließ, hätte mich nicht darauf schließen lassen. Viel eher ging ich davon aus, ihn unglaublich nerven zu müssen, um Kontakt aufzubauen.
      „Vivi, der steht auf dich. Was denkst du, wieso er mit dir Essen geht und bei seinen Freunden auch dich dahaben möchte?“, sprach sie die Umstände aus, vor denen ich Angst hatte, zu denken.
      Unklar seufzte ich.
      „Es bringt nur nichts, wenn er eine Freundin hat“, murmelte ich.
      „Das stimmt. Hast du ihm das gesagt?“, hakte Nour weiter nach, die Worte mit Bedacht gewählt. Etwas war anders an ihr, tatsächlich fühlte es sich wie ein freundliches Gespräch an. Sonst lag eine gewisse Neugier in der Luft, die nun versteckt, im Inneren verstaut war.
      „Indirekt, aber er hat mir bereits klargemacht, dass er Nelly nicht verlassen wird. Damit ist das Thema für mich durch und ich muss ihn ziehen lassen“, sprach ich gedrückt zu Ende und starrte zum wiederholten Mal auf mein Handy, dass ich mittlerweile aus der Hose herausgeholt hatte. Lag mit dem Bildschirm nach unten auf dem Holz. Nour bemerkte dies natürlich.
      „Du vermisst ihn, stimmt das?“
      „Sehr, ja“, gab ich zu, „aber Lars hat gesagt, dass ihm Zeit geben soll. Wenn er mich braucht, wird er sich melden.“
      „Das klingt aber nicht danach, dass du ihn ziehen lassen möchtest“, scherzte sie.
      „Ich habe meinen Namen gehört“, drehte sich Lars auf der Reitbahn zu uns. Auf dem Zirkel bei A galoppierte Lina gerade, versuchte die großen Sprünge des Hengstes zu sitzen, aber wurde im zu großen Sattel nach vorn geschoben. Die starke rote Färbung ihres Gesichtes ließ mich nur ahnen, wie viel Kraft sie aufwenden musste.
      „Vergiss nicht zu atmen“, rief er ihr noch zu und stand dann mit den Armen auf der Bande vor uns.
      „Tatsächlich ja“, grinste ich, auf seine Anmerkung antwortend.
      „Aber es dreht sich nicht alles um dich“, trug Nour dazu bei. Die Geschwister sahen einander mit abschätzigen Gesichtszügen an, als würden sie genau die Gedanken des anderen hören können, während ich nichts verstehend daneben saß.
      „Worüber quasselt ihr? Vivi scheint mir ziemlich fröhlich“, blickte er skeptisch zu mir, als dürfte ich nur schlechte Laune haben.
      „Ihre Beziehung“, grinste Nour überzeugt.
      „Du meinst wohl eher, die Wunschvorstellung von einer“, zischte er. Aua. Das saß tief. Wie eine Diva drückte Lars sich vom Holz weg und stiefelte zurück in die Mitte.
      „Es gibt Tage, da ist er komisch. Hör nicht auf den“, versuchte sie mich wieder auf bessere Laune zu stimmen, aber das Thema war emotional durch. Schweigend saßen wir im Zuschauerbereich und beobachteten Lina, bis sie fertig war mit Bear. Lars wurde ungnädig, forderte viel von ihr und brachte sie ans Äußerste. Vermutlich konnte meine Kollegin damit einiges lernen, aber deutlich spürte ich die Frustration, die in Form von weiteren Fehlern ans Tageslicht kam. Endlich gab er nach und ließ sie allein Abreiten.
      „Wir bringen dann die Pferde raus“, verabschiedete sich Lars für den Augenblick und begann, mit Nour die ersten Tiere aufs Grün zu bringen.
      “War das anstrengend und ich dachte bereits Nikis Ansprüche seinen hoch”, erschöpft hielt sie mit dem hellen Hengst vor mir an. Sabbert tropfte aus seinem Maul, während er zufrieden das Metall in seinem Maul bearbeitete.
      “Mit Lars ist nicht gut Blumen pflücken”, scherzte ich. Wenn ich es verglich mit meinen Stunden bei ihm, musste Lina deutlich mehr hinnehmen. Eine Einordnung war schwierig.
      “Ich merke schon”, lächelte sie matt, ”aber Bear hat Spaß gemacht.” Sanft klopfte sie dem Traber den Hals und wuschelte durch die bunte Mähne. Zum Sauber machen begleitete ich sie. Seitdem ich mehr mit den Rennpferden arbeitete, bevorzugte ich es, die Pferde komplett abzuspülen, dass der Schweiß zum Abfluss lief. Lina war mit dem Füttern beschäftigt und ich reinigte das weiße Pferd. Bevor das Wasser durchsichtig wurde, spülten sich Massen an Dreck heraus.

      20:40 UHR

      Inzwischen saß ich bei Lina, oder eher meinem Häuschen, auf dem Fußboden, ziemlich abseits der Gespräche. Auf dem Wohnzimmertisch standen mehrere leere Gläser und Flaschen, die wir bis dato getrunken hatten. Die Stimmung war locker, nur ich fühlte mich noch immer fehl am Platz. In meinen Händen hielt ich fest die braune Flasche mit einem halben Etikett, starrte durch den Hals auf den Grund. Ein letzter Schluck darin schäumte sanft und ein bitterer Geruch stieg in meine Nase. Leise seufzte ich.
      “Ist dir heute nicht nach Gesellschaft?”, fragte Lina sanft, die auf dem zum Kühlschrank an mir vorbeigeschlendert kam.
      “Weiß nicht. Ich kann leider nichts Sinnvolles beitragen”, klagte ich.
      “Das erwartet doch auch niemand von dir”, sprach sie gutmütig. Im Hintergrund klirrte es, als ein Glas umfiel. Glücklicherweise bestand der Inhalt nur aus wenigen Tropfen, die sich auf dem Tisch verteilten. Auf der Zunge zuckte ein Kommentar, aber die Worte verklebten meine Lippen.
      “Vielleicht sollte ich wieder gehen”, redete ich leise vor mich hin, ohne wirklich zu erwarten, dass es jemand mitbekam. Wie eine alte Frau drückte ich mich mit den Händen vom Parkettboden ab und stellte die leere Bierflasche beiseite, um meine Jacke zu holen.
      “Du willst schon gehen?”, rief Sam plötzlich quer durch den Raum, offenbar hatte sie nicht nur Augen für den einzigen Mann in der Runde.
      “Ja, ich störe doch nur mit meiner Laune”, grinste ich selbstironisch.
      “Du störst doch nicht”, leugnete sie meine Aussage. Wie zur Untermauerung dieser Aussage nickten Lina und auch Nour grinste freundlich.
      „Jetzt lass dich doch nicht so runterziehen, das wird schon“, stimmte Lars‘ Schwester an, obwohl sie genauso gut wusste, dass die Worte nicht mehr als hohle Phrasen waren. Natürlich musste ich da durch, aber es war leichter, als er mich beim ersten Mal ignorierte.
      „Ist doch schon gut“, rollte ich mit den Augen und holte mir ein weiteres Bier. Schließlich setzte ich mich mit in die Runde.
      “In welchem Semester studierst du jetzt, Enya?”, nahm die Schweizerin, das Gespräch wieder auf, während Lina die Gläser mit roter Flüssigkeit befüllte.
      “Ich bin jetzt im Elften. Im Mai bin ich endlich fertig”, erklärte sie und unterstrich dies mit theatralischen Gesten.
      “Oh, schreibst du also gerade deine Doktorarbeit?”, fragte Lina interessiert.
      “Nicht ganz”, lachte Enya, “Ich mache gerade mein Staatsexamen und die Doktorarbeit kommt erst danach. Aber ich weiß bereits, worüber ich schreiben werde.” Erwartungsvoll blickten die anderen drei Mädels die Schwedin an.
      “Wer hätte es gedacht, über Pferde”, grinste sie, “genauer gesagt soll es eine Forschungsarbeit über bisher unbekannte Farbphänomene werden.”
      “Oh, das klingt cool”, sprach Lina begeistert, “Wäre Mola nicht perfekt dafür?” Aufgeregt sprang sie auf und suchte wie wild nach ihrem Mobilgerät, das augenscheinlich nicht in näherer Umgebung zu liegen schien.
      “Was hast du vor?”, rief Samu der Brünetten hinterher, als sie aus dem Zimmer wuselte. Er bekam keine Antwort, stattdessen krachte es wenig später besorgniserregend.
      “Die fährt bestimmt wieder ihren Film”, schüttelte ich mit dem Kopf und formte die Beine in den Schneidersitz.
      “Renoviert sie da drin?”, scherzte Sam, als weitere undefinierte dumpfe Geräusche aus dem Zimmer erklangen. Ich zuckte mit den Schultern. Kurz darauf kam sie aus der Tür getreten und lief ins Badezimmer.
      “Ha, ich hab’s”, rief sie triumphierend und kehrte mit ihrem Handy in der Hand zurück, welches sie sogleich Enya vor die Nase hielt.
      “Langsam Lina, der genau Rahmen ist noch gar nicht festgelegt”, bremste sie die Kleine in ihrem Enthusiasmus aus, “aber es ist ein wirklich hübsches Pferd.”
      “Wir hatten auch noch einen weiteren Nachkommen, aber der ist mittlerweile in Kanada”, warf ich in die Runde.
      “Ihr verkauft sogar außerhalb Europas? Respekt”, sprach Sam anerkennend. Ich wusste, dass sie selbst züchte, allerdings wohl in deutlich kleinerem Rahmen, als wir es hier taten.
      “Traber werden versteigert und da weiß man nie, wo der Jährling landet”, erklärte ich wahrheitsgemäß, “und besonders die Tiere aus Schweden sind beliebt auf dem Markt. Ein Grund mehr, weshalb Tyrell hierher wollte.”
      “Taktische Standortwahl, wirklich geschickt”, nickte sie, “das kann ich nicht gerade behaupten.” Sie lachte selbstironisch.
      “Dass es keinen Kredit mehr gab, weil das Gestüt abgebrannt ist, gehört auch dazu und Freiberger als Freizeitpferde mit Sportpferden ist schwierig”, zischte ich teils zickig, teils genervt.
      “Jetzt reiß dich doch mal zusammen”, flüsterte Nour mir ins Ohr, aber ich schwieg. Die Schweizerin sagte nichts weiter, schüttelte nur kaum merklich den Kopf, doch Lina schienen die Worte förmlich auf der Zunge zu liegen. Eindringlich blickte der Finne ihr in die Augen, als wisse er genaustens, was sie tun wollte.
      > Anna sen olla
      “Lass gut sein”, sprach Samu, bevor auch nur ein einzelner Buchstabe ihre Lippen verließ. Es folgte ein intensives Blickduell, was beinahe wirkte wie eine stumme Diskussion, bis die Kleine schließlich aufgab und den Blick abwendete.
      “Möchte noch jemand was zu trinken?”, fragte sie in die unangenehme Stille hinein, leerte ihr Glas in einem Zug, um es gleich darauf wieder aufzufüllen.
      “Besser nicht, ich fahre morgen den Transporter”, erklärte ich und stellte die leere Bierflasche auf dem Tisch ab. Auch Nour, die bisher nur ein Glas getrunken hatte, lehnte ab. Bei den anderen erübrigte sich die Frage aufgrund der nahezu noch gefüllten Gläser, genauer gesagt der etwas längeren Heimreise, die Samu und seine Freundin zurückzulegen hatten.
      “Welche Pferde nehmen wir morgen eigentlich mit”, nahm sie den Themenwechsel auf und drückte den Korken wieder auf den Flaschenhals.
      „Viele“, beschloss ich, nicht jedes aufzuzählen.
      „Mill fährt morgen ihr erstes Rennen mit Papa. Und ich habe mir wieder Walker“, schloss Nour sofort dem Thema an. In ihren Augen funkelte es, schließlich ging es um ihren Liebling.
      „Klingt, als hätten wir morgen einiges zu tun“, stellte Lina fest, „Da bin ich gespannt, wie Milli sich schlägt bei ihrem ersten Mal.“
      „Vor allem ist es ein Bänderstart. Grundsätzlich konnten wir das gründlich üben, aber bei der Qualifikation zog sie sich wirklich gut ans Auto, also mal sehen. Sie fährt gegen sechs andere Pferde, also überschaubar“, erläuterte Nour näher, „ach Vivi, du fährst morgen den Heat mit Shaker.“
      „Wieso muss ich das machen? Kannst du nicht?“, versuchte ich mich aus der Affäre zu ziehen.
      „Nein, kann ich nicht. Der muss nach dem zweiten Rennen laufen und ich bin mit meinem im dritten“, zog sie einen schärferen Ton an. Dazu sagte ich nichts mehr, aber konnte mir schon ausmalen, welche Lachnummer es werden würde. Der Falbe hatte viel Temperament und war im Heat sehr angefixt.
      „Shaker klingt nach einem außerordentlich schnellen Pferd", brachte Sam sich in das Gespräch ein.
      „Geht so“, spielte ich ihn herunter, „er verliert schnell die Kraft. Deutlich mehr Power haben Astro und Walker.“
      „Vergiss Alfi nicht“, fügte Nour hinzu.
      „Warte, der alte Bock kommt auch mit?“, wunderte ich mich. Sie zuckte nur mit den Schultern, hatte wohl auch nicht viel mehr Informationen.
      „Das ist ja interessant, den hattet ihr doch ewig schon nicht mehr mit“, überlegte Lina.
      „Er war eigentlich verkauft, vielleicht hat es damit zu tun“, warf ich ein.
      „Gute Frage, aber ich glaube, der Typ ist abgesprungen. Zudem wird er es nicht leicht haben gegen Netflix und Melt“, fügte Nour hinzu.
      „Das sind doch die beiden von Nelly “, sprach Sam unbeirrt den Namen aus, den ich am aller wenigstens hören wollte. Sofort richtete sich große Schwarzhaarige neben mir zu mir. Ihre Augen blickten tief in meine, dabei bewegte sie den Kopf von links nach rechts.
      „Stimmt, aber schwieriges Thema gerade“, erklärte sie der Schweizerin. Die Fragezeichen standen ihr ins Gesicht geschrieben, doch sie wagte nicht mehr in Erfahrung zu bringen. Damit hatte sich aber beantwortet, wie die Olle mich finden konnte.
      „Lina, wann fahrt ihr denn morgen?“, fragte sie stattdessen.
      „Um zwölf Uhr wollen wir eingepackt vom Hof“, nahm sich Nour der Frage an, denn Lina wusste nicht einmal, wann der Renntag begann.
      “Perfekt, dann kannst du mir morgen früh ja noch das Problem bei Hanni zeigen ”, schloss sie daraus, woraufhin Lina zustimmend nickte. Das Gespräch nahm seinen Laut, während die Zeiger der Uhr unaufhörlich weiterwanderten.
      “Wir würden uns so langsam verabschieden”, erhob sich Enya, was auch ihren Freund in Bewegung brachte. Vor den Fenstern war schon lange die Dunkelheit eingekehrt und den meisten von uns, waren die Anstrengungen des Tages anzusehen. Das Verlassen des Pärchens läutete das Ende des Abends ein, mit dem sich auch wir anderen in unsere eigenen Gemächer begaben. Endlich.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 29.362 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende April 2021}
      Fohlenbericht sechs von sieben.
    • Mohikanerin
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      kapitel fyrtiotvå | 4. April 2023

      Maxou / Anthrax Survivor LDS / Sign of the Zodiac LDS / Fire to the Rain LDS / Astronaut in the Ocean LDS / Millennial LDS / Mockup / Schleudergang LDS / Mondlandung LDS / St. Pauli’s Amnesia / HMJ Divine / Ready for Life / Northumbria / Blávör / May Bee Happy / WHC' Humanoid Crashtest / Eichkatze / Sisko / Meltdown / Pay My Netflix / Trotaholic / Crazy Love

      Seit dem Renntag, und meinem ziemlich irrelevanten Geburtstag, verflogen die Tage wie im Flug. Mein Pferd – immer noch kaum zu glauben, dass ich vollkommen allein eins besaß – beanspruchte viel Zeit, schließlich hatten wir ein ziemlich kurzfristiges Ziel. Glücklicherweise war Mocki bereits angeweidet, konnte somit in der Nacht, wie alle anderen Pferde, auf die Weide. Für ihn war es noch alles neu auf dem Hof, also zeigte ich ihm erst einmal alles. Der Osteopath hatte kurzfristig einen Termin frei und kam am Tag nach der Ankunft. Gleichzeitig zeigte er mir weitere Handgriffe, die ich täglich durchführen sollte. Es waren reine Wellenessmaßnahmen, um die Vielzahl von Verspannungen zu lösen. Besonders in der Schulter, im Genick zeigte Mockup seine schmerzlichen Stellen. Zur Unterstützung kam er trocken unter das Rotlicht für eine halbe Stunde und am Nachmittag longierte ich ihn an der Doppellonge. Bereits nach zwei Tagen konnte ich eine Verbesserung feststellen, obwohl ich die Einheiten Schrittarbeit begrenzte. Wenn er von selbst ein paar Meter traben wollte, ließ ich es zu.
      Heute war der vierte Tag unserer Arbeit. Neugierig stand er bereits an der Boxentür, als ich die Stallgasse betrat und ein neues Halfter in der Hand hielt. Bevor mein Arbeitstag begann, war ich zum Reitgeschäft nach Kalmar gefahren. Neben einem Lammfellhalfter in Grau und Blau kamen mir noch passende Gamaschen, Glocken und Bandagen zwischen die Finger, die ich natürlich auch mitnahm.
      „Na schau mal“, begrüßte ich den Fuchs in hohen Tönen. Mit aufgeblähten Nüstern nahm er den Gegenstand unter die Lupe und ließ sich brav auf halftern. Der Weg an den Boxen vorbei, war das einzige, woran wir noch, vom Boden aus, arbeiten mussten. Auf dem Untergrund rutschte er mit den Hufeisen, aber ich wollte diese ohnehin entfernen. Zufälligerweise war Lars gerade Schlendrine beschäftigt.
      „Laaaars?“, fragte ich mit großen Augen, als wir an ihm vorbeikamen. Die Pferde schnupperten interessiert aneinander, aber fanden einander nur wenig relevant für weitere Interaktionen.
      „Jaaaa?“, wiederholte er in derselben Tonart und stellte das Bein ab.
      „Würdest Mocki die Eisen vorn abnehmen?“, formulierte ich freundlich.
      „Solltest du das nicht selbst schaffen?“, wunderte er sich. Ganz Unrecht hatte er mit dieser Annahme nicht, schließlich war es ein Teil meiner Ausbildung. Jedoch stellte sich ziemlich schnell heraus, dass ich nur wenig begabt darin war.
      „Schon ja, aber ich bin doch zu doof dafür“, gab ich kleinlaut zu.
      „Na gut, in zwanzig Minuten“, ließ er sich überzeugen und setzte die Arbeit fort. Hintergründig hörte man die Schläge auf das Eisen, aber Mocki beirrte dies keines Wegs. Er folgte mit dem Blick jeden meiner Schritte, als ich die Weidedecke vom Rücken nahm und an dem Haken an der Putzbucht anhing. Kaum hatte ich die Bürste weggebracht, kam Lars dazu. Freundlich hielt er dem Pferd die Hand entgegen. Dieser blähte einmal die Nüstern auf, dann stieß Mocki die Luft hörbar aus.
      “Warum sollen die Eisen ab?”, musterte Lars den Beschlag.
      “Er rutscht und das ängstigt ihm”, erklärte ich kurz gebunden.
      „Hast du dir Gedanken gemacht, wie es dann weitergeht? Ich meine, der Gute läuft seit zwei Jahren nur auf Beschlag und wenn er mit nach Finnland soll, könnte es ungewohnt werden“, klärte er auf. Ehrlich gesagt, war die Idee auch nur von mäßigem Erfolg geprägt. Wir diskutierten Alternativen, die ebenso wenig von Erfolg gepriesen waren. Ich wollte ihn Barhuf, aber Lars riet mir davon ab. Zwischenzeitlich kam Lina dazu, mit Mola. Die Pferde waren sich zuvor schon begegnet, dennoch war der Junghengst der Artgenossin skeptisch gegenüber. Dabei machte die Stute nichts, sie stand nur da und kratzte den Kopf am Holzbalken.
      „Aber wenn du keinen Kunststoff willst, bleibt nur noch Gummi“, seufzte Lars, dem mittlerweile die Ideen ausgingen.
      „Was wäre denn so schlimm daran, wenn er nichts an den Hufen hat?“, rollte ich mit den Augen.
      “Der wird dir in spätestens zwei Tagen lahm gehen bei dem harten Boden hier am Hof. Etwas muss er gegen die Stöße bekommen, sonst kannst du dein Ziel vergessen.”
      Zunehmend war Lars genervt und machte seinen Unmut meiner Sturheit gegenüber klaren Ausdruck. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, tänzelte wie auf heißen Kohlen über den Beton.
      “Ich schätze Lars könnte recht damit haben”, wand Lina zurückhaltend ein, “vielleicht solltest du das probieren mit dem Gummi, zumindest für den Übergang.”
      “Meinst du? Seine Hufe sehen doch super aus“, sprach ich nach unten gebeugt und fuhr mit meinem Daumen über das Horn. Die Struktur war fest, kein Riss in der Wand. Wer auch immer ihm vorher beschlug, sollte eine Auszeichnung bekommen.
      „Vivi, am Ende ist es deine Entscheidung, aber sprich mit Basti, der kennt das Pferd schon länger und du fährst doch nachher ohnehin zu ihm“, seufzte Lars. Er hatte sich auf die Zwischenwand gesetzt, wissend, dass es noch eine Weile dauern würde, bevor eine Entscheidung fiel.
      “Nein, Vriska, ich bin kein Hufschmied”, entgegnet meine Kollegin ehrlich, “aber ich denke ich jetzt komplett vom Beschlag zu nehmen, könnte ihn erheblich beeinflussen. Stell dir vor, du läufst jahrelang dauerhaft mit Eisenschuhen an den Füßen herum, das ist ein ganz anderer Bewegungsablauf.”
      “Na so ein wenig kenne ich mich auch aus”, erklärte ich wahrheitsgemäß, auch wenn ich mich häufig blöd stellte, “wäre Gummi eine ernstzunehmende Alternative oder ist eine blöde Idee, die jemand auf dem Markt hatte, um Geld zu verdienen?”
      Unterhalten stieß Lars Luft aus und schüttelte leicht den Kopf.
      “Es wirkt beinah so, als hättest du nichts mit den Pferden am Hof zu tun. Ini kam mit Gummischuhe zurück und wir haben angesichts der Erfolge nichts am Beschlag geändert. Seitdem haben wir es auch bei Mill und Enigma am Huf. Besonders für junge Pferde wird es empfohlen, denn sie dämpfen die Last maximal und sollen die Durchblutung fördern”, legte er die Vorteile nah. Nebenbei hatte mein Handy hervorgezogen und überlegte, auch bei Basti mir Informationen zu holen, denn das Internet selbst, sagte genau das, was Lars mir mitteilte.
      “Sorry, wenn ich störe, aber ich brauche deine Meinung”, tippte ich. Natürlich antwortete er direkt, hatte er sonst keine Hobbys?
      “Hau raus.”
      “Was denkst du von Gummi? Sinnvoll, oder nicht?”, flogen meine Finger die Tastatur. Es dauerte. Die drei Punkte bebten in der Ecke und eine Sprachnachricht kam an. Wie immer grinste ich breit, wenn wir miteinander schrieben. Um den Unmut seiner Belegschaft nicht zu befeuern, hielt ich es bei den nötigsten Nachrichten, obwohl ich ihm jede Sekunde schreiben wollte.
      “Klingt nach ganz schön coolem Zeug, Beschlag, der die Durchblutung fördert”, überlegte Lina.
      “Ähm, was?”, horchte ich auf, bemerkte, dass ich nur halb dem Gespräch folgte. Dann tippte ich auf die Sprachnachricht, zu blöd, es allein zu hören.
      „Ach Harley“, seitdem er auf dem Kaufvertrag ermitteln konnte, dass ich einen Zweitnamen hatte und diesen im Leben mied, zog er mich damit auf, „das Gespräch über Bienchen und Blümchen sollten doch deine Eltern mit dir führen. Grundsätzlich befürworte ich die Nutzung von Gummis, außer du hast andere Vorstellungen.“ Mit hochroten stand ich in der Putzbox und wollte am liebsten im Abfluss versinken, aber eine nächste Nachricht folgte sofort: „Ich schätze jedoch, dass du Gebiss, Gurt oder Eisen meintest, aber ja, alles hat sein für und wider. Mocki kommt mit Gummi jeder Art gut zurecht.“
      “Upsi, da sollte sich jemand differenzierter ausdrücken”, lachte die kleine Brünette reichlich amüsiert über die Angeleinheit.
      “Maaaaaan”, beschwerte ich mich zutiefst in Pein gehüllt.
      “Du musst dich nicht dafür schämen, scharf auf ihn zu sein”, munterte mich Lars ungewöhnlicherweise auf.
      „Damit machst du es nicht besser“, echauffierte ich mich und lief nervös Kreise.
      „Aber er scheint dem auch ganz offen gegenüber, was man ihm nicht verübeln kann“, rief er mir noch nach, aber ich versuchte mir die Ohren zuzuhalten.
      „Vriska, ist doch nichts dabei. Beruhige dich“, versuchte Lina, zu mir durchzudringen, „du machst alle noch ganz verrückt.“
      “Okay, okay, okay”, stammelte ich losgelöst.
      Ich atmete tief durch.
      “Danke für deine Hilfe, aber so genau wollte ich deine Präferenzen nicht wissen”, tippte ich grinsend und steckte schließlich das Handy zurück in die Jackentasche.
      “Dann bekommt Mockup nun Gummi an die Hufe”, beschloss Lars. Er richtete sich auf und verschwand für einen Moment, um den gewünschten Beschlag aus dem Lager zu holen. Hintergründig hörte man ihn fluchen und krachen, als würde er die Ware nicht finden. Schließlich kehrte er zurück, als ich selbstständig begonnen hatte, die Nieten zu öffnen und hielt bereits das erste Hufeisen in der Hand in der Hand.
      “Ach, jetzt schaffst du es selbst?”, schmunzelte Lars.
      Den Rest übernahm er. Meinem Pferd ging es nicht schnell genug. Er versuchte den Huf abzustellen und erst, als ich wieder an den Kopf kam und langsam die Finger hinter den Ohren kreisen ließ, entspannte er. Lina brachte Mola weg, aber setzte sich interessiert dazu. Von der Arbeit mit meinem Fuchs bekam sie nur peripher etwas mit. Ich bemühte mich früh im Stall zu sein, wenn die anderen noch mit dem Abäppeln beschäftigt waren und am Abend sehr spät, wenn jeder in der Hütte saß.
      „Soll heute wieder nur für mich kochen?“, fragte ich Lars, als er fertig war mit dem Beschlag. Nur im Stand sah ich bereits Besserungen am Fuchs. Seine Schulter war entspannt und der Rücken weicher – Faszinierend, dieser Gummibeschlag.
      „Ich weiß es noch nicht, kommt darauf, an, ob sich noch jemand meldet“, sagte er grinsend.
      „Ach, stehen die Damen wieder Schlange?“, lächelte ich.
      „Wer weiß das schon, ein Gentleman genießt und schweigt.“ Selbst sicher stolzierte er an mir vorbei, um das Werkzeug an seinen Platz zu bringen. Ich ging meiner Routine mit dem Pferd nach. Einen Schmerzpunkt nach dem anderen behandelte ich mit unterschiedlichen Druckstärken. Die Stricke hatte ich gelöst, denn er stand ruhig und sollte sich strecken können. Das tat Mocki auch. Genüsslich kaute er, gähnte und kam der Entspannung nah.
      „Immer wieder faszinierend“, staunte Lars, der wohl schon ein paar Minuten an der Seite stand.
      „Hattest du es nicht in der Ausbildung?“, hakte ich nach und drückte etwas stärker an den Muskel am Hinterbein.
      „Doch schon, aber was du nicht gut warst beim Schmieden, war ich in Physio.“
      „Verstehe, soll ich dir was zeigen?“, bot ich an. Interessiert nickte er und ich erklärte zunächst die unterschiedlichen Druckstärken, dabei auch der Einsatz von Arm und Handfläche ein wichtiges Thema. Wie ein Kleinkind verschlang mein Kollege das Wissen und versuchte sich selbst an Mockup. Der Hengst war anfangs irritiert, aber nach einigen Wiederholungen gelang es auch ihn, das Pferd in Trance zu versetzen.
      „Ziemlich cool, danke dir“, lächelte Lars und blickte mit seinen grünen Augen zu mir hinunter, als würde er etwas erwarten.
      „Ist etwas?“, beäugte ich ihn, ohne den Augenkontakt zu lösen.
      „Kannst du das auch beim Menschen?“
      „Ein wenig, aber Pferde sind einfacher“, sprach ich.
      „Okay, dann essen wir heute zusammen“, beschloss Lars, bevor er ein Halfter holte und sich einen der aktiven Trabern fürs Training schnappte. Die Pferde vom gestrigen Renntag hatten Pause und standen noch immer auf der Weide. Sie hatten es sich verdient.
      „Mich beschleicht das Gefühl, Lars möchte mehr als nur mit dir Essen“, schmunzelte Lina, die alles interessiert, von ihrem Sitzplatz aus mitverfolgt hatte.
      „Da stößt er auf taube Ohren“, sprach ich und befestigte den Pulsmesser am Pferdebauch. Mocki wachte nur langsam aus der Entspannung auf, mit dem Gefühl des Gurtes riss er die Augen auf. Hektisch setzte er einen Schritt zurück. Ich hielt ihm noch ab Halfter.
      „Ganz ruhig“, flüsterte ich ihm gut zu und tätschelte den angespannten Hals.
      „Wie hältst du das eigentlich aus, ist das nicht anstrengend, ihm ständig Widerstand leisten zu müssen?“, erkundigte sie sich.
      “Du meinst Lars gegenüber?” Sie nickte.
      “Sagen wir es mal so”, ich atmete einmal durch, denn bisher hielt ich kommenden Informationen verschlossen, “wir haben Bedürfnisse und an manchen Tagen gibt es keinen Grund, ihm Widerstand zu leisten. Er hört sofort auf, wenn ich es ihm sage.“
      „So habe ich das nie betrachtet, aber durchaus nachvollziehbar“, entgegnete sie verständnisvoll.
      “Ich mag ihn, aber Nour hat mir von Anfang an glaubhaft gemacht, dass Lars nur auf kurzfristige Dinge aus ist. Außerdem, Basti”, die letzten Worte verschluckte ich, nicht wissend, wie ich die vorherrschende Situation formulieren sollte. Er bedeutete mir unglaublich viel, aber, wie er selbst sagte, war ich nur eine Freundin.
      „Ist aber auch immer komplex bei dir, als würdest du es geradezu anziehen“, sprach die Kleine mitleidig.
      „Es ist okay, gibt Schlimmeres“, winkte ich ab, „immerhin den Pferden geht’s gut.“
      Ich führte Mockup zur Führanlage. Er durfte sie bereits von außen kennenlernen und begutachtete das klapprige Ding. Sie war in keinem guten Zustand mehr, musste andauernd repariert werden, aber im Zuge des Umbaues hatte Tyrell bereits angekündigt, dass wir eine neue bekamen. Wann das genau sein würde, stand noch in den Sternen, aber bisher kamen die Bauarbeiten voran. Teile neuen Gebäude waren schon ausgehoben und ein Fundament gegossen. Im Wald – wo eine weitere Stallanlage entstand – konnte man schon Wände erkennen, aber ich war nicht oft dort.
      “Aber dir sollte es doch genauso gut gehen“, seufzte sie, doch gab es gleichzeitig auf, dies weiter infrage zu stellen, “aber jetzt mal wirklich, ich bin erstaunt, wie schnell du Pferde wieder hinbekommst. Erst Happy und jetzt bei Mocki auch wieder.”
      “Ich kenne die Vergangenheit der beiden nicht und fasse sie nicht mit Samthandschuhen an, insbesondere Mocki scheint mir, bis auf die Verspannungen, kerngesund. Er soll nur unglaublich langsam sein”, erklärte ich meinen Eindruck.
      “So langsam sieht er gar nicht aus”, sagte sie und betrachtete die langen Beine des Fuchses.
      “Sehr oberflächlich von dir”, schmunzelte ich. Parallel änderte ich die Richtung der Anlage. In Zeitlupe wendete er auf der Hinterhand und stieß mit dem Kopf gegen das Metall. Perplex sah er sich aber, aber begriff nur so halb, dass er selbst dagegen gekommen war. Im Schritt lief Mocki voran. Das klügste Pferd war er nicht.
      “An etwas muss man das doch festmachen”, zuckte sie mit den Schultern.
      “Die haben alle lange Beine”, stellte eine bekannte Stimme von der Seite fest. Bevor ich begriff, wer plötzlich bei uns war, bekam ich einen schwarzen Pferdekopf ins Gesicht. Mit der Oberlippe fummelte Amy das Brillengestell von meiner Nase, erst dann zog Ju sein Pferd zur Seite.
      “Ja, da hast du nicht unrecht”, nickte Lina nachdenklich, “Woran erkennt man es dann?” Neugierig inspizierte die Stute nun auch sie und begann verspielt an ihren Zöpfen zu knabbern.
      “Training und Charakter. Das Pferd muss im Aufbau Sauerstoff im Blut speichern können, oder so. Ich weiß es nicht mehr so genau, wie die physischen Belange sind, aber dafür ist Lars da. Ansonsten, es braucht diesen Funken an Lust, schwer zu erklären”, sagte ich nachdenklich. Für einen Moment wurde mir klar, dass meine Ausbildung im Islandpferdebereich die dümmste Idee von allen war, denn bis auf die zwei Berittpferde, hatte ich nichts mehr mit den Tieren zu tun. Dabei begann die Ausbildung im Trabrennsport, bevor ich Hals über Kopf wechselte.
      “Klingt kompliziert. Gut, dass das für meine Ponys irrelevant ist”, lacht sie.
      “Was machst du eigentlich mit deinen?”, mischte auch Ju sich in das Gespräch ein.
      “Sie rollen auf Vierbeinen durch den Wald”, übernahm ich kurzerhand die Antwort. Böse Blicke trafen mich.
      “Wir rollen nicht!”, entgegnete sie trotzig, bevor sie mit einem freundlicheren Ton fortsetzte, “Mit Ivy versuche ich aktuell die Basics zu verfeinern, bevor es in der Dressur weitergeht. Redo steht theoretisch ebenso im Dressurtraining, aber ich habe aktuell nicht das Gefühl, dass sie Spaß daran hat, deshalb sind wir viel im Wald.”
      “Vielleicht braucht sie nach der Dienstzeit eine richtige Pause, mit einem Baby oder so”, schlug Ju vor. Während die beiden sich über ihre Pferde unterhielt, erhöhte ich die Geschwindigkeit der Anlage. Einmal knatterte es laute, aber dann bewegte sich doch noch der Motor schneller.
      „Haustechniker wäre eine Investition wert“, dachte ich insgeheim, aber war froh, dass der Hengst nur zusammen schreckte und trabte. Auf dem Handy warf ich einen Blick auf seine Herzfrequenz, trotz der geringen Geschwindigkeit zeigte er einen hohen Wert, für ein trainiertes Rennpferd nicht zufriedenstellend. Skeptisch sah ich ihn an, aber würde es weiterhin beobachten. Hoffentlich fällt Finnland nicht ins Wasser, schließlich stand viel auf dem Spiel.
      „So, Mädels, ich muss weiter“, verabschiedete sich Ju grinsend und führte Amy in den Stall.
      Ich seufzte.
      „Er ist schon ziemlich hot“, gab ich Lina in leisen Tönen zu verstehen. Ein breites schmunzelt, trat auf ihr Gesicht: “Du stehst also noch auf ihn.”
      “Jetzt übertreiben wir mal nicht, aber ich wäre nicht abgeneigt”, holte ich sie auf den Boden der Tatsachen zurück.
      “Ja ja, nicht abgeneigt”, grinste sie, “aber kann man dir auch nicht verübeln.”
      “Du willst mich offenbar fest in den Armen eines Typen sehen”, schüttelte ich unterhalten den Kopf.
      “Ich möchte nur, dass du glücklich bist und wenn ein paar starke Arme dabei helfen, unterstütze ich das”, setzte sie ein Statement.
      “Aber nur ein paar starke Arme wären mir eine Hilfe”, grinste ich, in Gedanken wieder bei Basti.
      “Eines Tages wird er erkennen, was er gutes verpasst”, antwortete sie und es klang beinahe wie eine Versprechung.
      “Für eine Affäre wäre er offen, aber ich schaffe das emotional nicht”, seufzte ich. Allein, dass ich immer wieder auf das Thema mit ihm zurückkam, verdeutlichte mir, wie schwer die Situation war. Mit gesenktem Kopf blickte ich zum Fuchs, der schnaubend im Kreis lief.
      “Das kann ich verstehen, das könnte ich auch nicht”, stimmte sie zu, “Aber verliere die Hoffnung nicht, wenn du mich fragst, ist an Nelly etwas seltsam.”
      “Aus dem Buschfunk hörte ich, dass sie wohl nicht so treu ist, wie sie sich gibt”, zuckte ich mit den Schultern.
      In der Führanlage schepperte es, dann stand die Anlage.
      “Seriously?”, keifte ich und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Weit und breit war keiner der Männer zu sehen, also musste ich das panische Pferd selbst aus dem Käfig bekommen. Mockup stieg und trat heftig gegen die Gitter. Beruhigend sprach ich auf das Tier ein, bis er sich schüttelte und die Hufe auf dem Boden behielt. Langsam schob ich die Abteilung. Angekommen am Aus- und Eingang, befestigte ich den Strick. Wir liefen hinaus. Der Fuchs zitterte am ganzen Körper, schnaufte, als wäre er vor dem Teufel davongelaufen. Sanft tätschelte ich den Hals und führte ihn im Schritt auf dem Vorplatz.
      “Armer Mocki, wir benötigen dringend ein neue Führanlage, das ist ja eine Zumutung”, schüttelte sie den Kopf, “aber ja, was Nelly angeht, habe ich so etwas auch gehört.”
      “Aha, du bist im Buschfunk der Traber unterwegs?”, staunte ich nicht schlecht. Das Chaos um die Anlage ignorierte ich, schließlich lag das außerhalb unserer Entscheidung. Gehorsam folgte Fuchs, schaute sich in der Gegend um. Erneut lobte ich.
      “Indirekt”, lachte sie, “ viel mehr dem des weniger rasanten Fahrsports.”
      “Sie fährt Kutsche?”, fiel ich immer weiter aus allen Wolken, wieso wusste sie so viel?
      “Ja, sogar gar nicht so schlecht, habe ich gehört”, führte Lina weiter aus.
      Hörbar atmete ich aus.
      “Also eine bessere Freundin für dich”, sprach ich eher zu mir, als zu ihr gerichtet. Ihr Blick sagte mir jedoch, dass sie jedes einzelne Wort genau vernommen hatte.
      “Rede keinen Quatsch”, schüttelte sie entschieden den Kopf.
      Ein paar undeutliche Worte verließen meine Lippen, dann bogen wir in den Stall ein. Am Anbinder befestigte ich nur einen der Stricke und entfernte den Frequenzmesser. Ungeduldig wartete der Fuchs auf sein Futter. Bevor ich dieses aus der Futterkammer holte, schaltete ich das Solarium an. Mocki scharrte mit den Hufen, hörte erst auf, als Lina ihn maßregelte.
      “So, guten Appetit”, stellte ich ihm die Schüssel hin. Vorbeugend mischte ich Tonerde an, um seine Beine und Kruppe zu teilen, einzuschmieren. Lars hatte mir empfohlen – als wir mit Mockup am Stall ankamen – ihn damit zu behandeln. Lina stand an die Wand gelehnt daneben und scrollte auf ihrem Handy umher. Den Bewegungen zu Urteil hing sie auf Instagram herum. Dabei veränderte sich ihren Gesichtsausdruck von freudig, über amüsiert, bis zu genervt.
      “Menschen sind doch blöd”, rollte sie mit den Augen und steckte das Gerät wieder weg.
      „Was tun sie denn Böses?“, hakte ich nach, wissend, dass es vermutlich ähnliches war, was ich seit Wochen bekam. Statt einer Antwort zog sie das Gerät wieder hervor und zeigte mir die Kommentare ihres letzten Posts, indem sie, neben den Fortschritten ihres Hengstes, auch offen über die Motivationsprobleme von Redo berichtete. Im ersten Anblick schienen die Kommentare übersäht mit positivem, doch bei genauerem Hinsehen, tauchten immer negative Dinge auf. Einige Kommentare kamen von naseweisen Kindern, die sich aus ihrer Weltanschauung heraus bereits an Gebiss und Sattel störten. Doch was Lina vermutlich viel mehr der Dorn im Augen war, waren jene Personen, die ihre Kritik nicht nur äußerst unfreundlich ausdrückten, sondern über das eigentliche Thema hinaus, ziemlich persönlich wurden. Kritik fanden sie an eigentlich allem und zwei recht schreib freudige Damen, gingen sogar so weit über sie herzuziehen und ihr gesamtes Umfeld herzuziehen. Teilweise konnte ich die Negativität nachvollziehen, denn einige Dinge missfielen mir ebenfalls, aber kein Grund, dies zu äußern oder gar zu veröffentlichen. Vielmehr war es „wir haben unterschiedliche Ansichten“, weshalb ich mich zurückhielt.
      „Blockieren und löschen“, sagte ich distanziert und begutachtete mein Werk an den Pferdebeinen, „die werden immer so weiter machen, weil sie persönliche Differenzen haben und dich als geeignetes Opfer betrachten, schließlich bist du für sie nur Pixel und nicht aus Fleisch und Blut.“
      „Mhm, blöd nur, dass Pixel Gefühle haben“, murmelte sie unbestimmt und ließ das Handy in der Jackentasche verschwinden. Ihre sonst übertrieben gute Stimmung war von ihr gewichen.
      „Je mehr Menschen du erreicht, umso mehr mit wertlosen Charakterzügen finden dich. Du kannst es nicht jedem recht machen. Solang du hinter deiner Arbeit stehst, ist doch alles gut“, versuchte ich ihr einen anderen Standpunkt zu vermitteln. Es war unglaublich, wie Menschen es als ihr Recht erachteten, jedem die eigene Meinung im Internet zu unterbreiten. Am Ende betitelten sie es als Meinungsfreiheit, die sich allerdings auf die Straffreiheit und politischen Verfolgung bezieht.
      „Soll ich mir mal deine unmotivierte Tonne anschauen?“, schlug ich aus der Stille heraus vor, die sich im Putzbereich gelegt hatte. Mockup schlief abermals und Lina schaute undefiniert ins Nichts. Es dauerte einen Moment, bis eine Reaktion kam, doch dann nickte sie langsam: “Ja, bitte.“
      Dass sie dem zustimmte, machte mir die Dummheit dahinter bewusst. Auch wenn Lina ebenso klein wie ich war, konnte ich mir nur schwer vorstellen, dem Pferd eine klare Hilfe geben zu können.
      Ich brachte den Fuchs mit Decke zurück in seinen Laufstall, dort stürzte er sich auf seine Heulage. Zur gleichen Zeit holte Lina den Rappen. Sie befreite den Rappen vom Schmutz und ich wechselte meine Kleidung, zumindest zog ich Stiefel über die Arbeitshose und vorsichtshalber befestigte ich meine Sporen. Aus dem Schrank funkelte mich die Schutzweste an, die ich ebenfalls überwarf.
      “Du siehst aus, als hättest du großes vor”, betrachte meine Kollegin mich interessiert. Die dunkle Stute hatte bereits Gamaschen an den Beinen und ließ entspannt die Unterlippe hängen.
      „Ich möchte es nicht riskieren, schließlich steht Großes auf dem Plan“, erläuterte ich meine Intention.
      “Ich denke nicht, dass da notwendig sein wird, aber deine Sache”, sprach sie und verschwand mit einem winzigen Schmunzeln auf den Lippen in die Sattelkammer. Wenig später kehrte sie zurück, mit Sattel und Trense. Mit dem Schließen des Gurtes erwachte die Stute langsam aus ihrer Ruhephase, stellte alle vier Hufe wieder auf den Boden und streckte sich vom Hals zum Rücken.
      „Wirklich gut sieht der Sattel nicht aus“, stellte ich auf ersten Blick fest und löste den Gurt wieder. Eher teilnahmslos stand Lina daneben und beobachtete, wie ich mit der Hand am Polster entlangfuhr. Bereits in der Mitte bildete sich eine Brücke. Zudem kippte der Sattel leicht nach hinten, was ihr ebenfalls Schmerzen bei Belastung bereitete. Einzig mit einem Kopfschütteln kommentierte ich das vor mir liegende und nahm ihn herunter. Aufgrund der kurzen Sattellage sowie vergleichbar breiten Kammer würde so schnell keinen Ersatz in der Sammlung finden, stattdessen holte ich eins der dicken Korrekturpads. Hinsichtlich der Situation würde es der Stute Erleichterung bringen, aber war ganz klar, keine Lösung auf Dauer. Ich legte das Pad zwischen Sattel und Schabracke. Gebiss und Trense passten aus meiner Sicht, also schloss ich den Helm und führte das Pferd zum Reitplatz hinaus.
      Der Sand war frisch abgezogen. Ein leichter Wind wehte den Duft von Frühling an uns heran. Zum Beginn wärmte ich Redo vom Boden aus auf. Sie arbeitete konzentriert, wenn auch holprig. Vermutlich kamen ihr die Hilfen spanisch vor, aber sie versuchte es nach ihren möglichen Kräften. Dann zog ich den Gurt ein Loch fester und schwang mich in den Sattel. Wie vermutet, saß ich wie Prinzesschen auf der Erbse und um Längen breiter als auf anderen Pferden. Obwohl ich mich nicht wohlfühlte auf dem Kaltblüter, nahm ich mich dem Problem an. Von Anfang an trieb ich aktiv, hörte jedoch auf, wenn sie das geforderte Tempo erreichte. Dann lobte ich ausgiebig. Zumindest ergab sich mir, warum Lina so geschafft war, wenn sie von Redo abstieg.
      „Jetzt siehst du, was ich meine und du hast noch Glück, dass sie heute nicht auch noch die Stute raushängen lässt“, seufzte Lina, „so extrem treibig ist sie fast nur in der Bahn.“ Die Kleine wirkte ziemlich unglücklich darüber, dass sich die Rappstute bei mir nicht wirklich anders verhielt. Allerdings wärmte ich das Pferd noch auf, welche große Veränderung sollte dabei auftreten?
      „Mit Stuten kann ich umgehen, allerdings kennen wir uns nicht“, versuchte ich sie mit den Fakten etwas zufriedener zu stimmen, was keinerlei Veränderung bewirkte. Nach einem Handwechsel begann ich die Zügel kürzer zufassen und auf gebogenen Linien, die Rittigkeit zu fördern. Zwischendrin stoppte ich, richtete rückwärts und versuchte jede folgende Lektion unvorhersehbar zu gestalten. Damit kam ich voran. Redo hielt ihre Ohren bei mir und war leicht in der Hand. Je schneller die Wendungen und Figuren wechselten, umso genauer reagierte sie auf meine Schenkelhilfe. Durch das vermehrte Untertreten kam sogar ein annehmbares Tempo zustande. Schließlich trabte ich an. Energisch trieb ich sie voran und schob im Sattel das Pferd voran. Der erste Tritt ohne Hilfe folgte und ich parierte wieder durch in den Schritt, um die Hand aus der Ecke heraus zu wechseln und den Schenkel anzulegen. Es wurde deutlich besser. An meine Vorstellung von der korrekten Umsetzung der Hilfen kam das schwarze Pferd jedoch nicht heran, aber es war mein Problem. Lobend holte ich sie zurück und ließ sie abkauen. Gerade einmal zwanzig Minuten arbeiteten wir intensiv. Redo blähte aufgebracht ihre Nüstern, kam allerdings der Losgelassenheit nahe. Lina beobachte das Ganze von der Bande aus, betrachte jeden Tritt mit Argusaugen, wobei sich ihr Gesichtsausdruck nur geringfügig veränderte. Nach wie vor wirkte sie mit der Gesamtsituation nicht glücklich.
      “Ach Lina, was stört dich denn so?”, seufzte ich, den Hals der Stute tätschelnd.
      “Wozu mache ich das eigentlich …”, murmelte sie, ”das hat doch alles keinen Sinn.” Wie sie das so sagte, bekam ich das Gefühl, dass das Problem nicht allein bei der Stute lag.
      „Muss alles einen Sinn ergeben? Grundsätzlich verdienst du Geld auf dem Hof und die hier, sind deine Freizeitbeschäftigung, etwas eintönig, aber ist doch schön, wenn dich etwas begeistert“, versuche ich gewählt mich auszudrücken. Die Sorgen und Ängste anderer zogen sich durch mehrere Generationen und aus irgendwelchen Gründen suchte jeder nach einem Sinn. Vielleicht war der Sinn, Spaß zu haben und das sollte doch reichen.
      Sie seufzte: “Vielleicht hast du recht.”
      „Dann reitest du mal deine Tonne ab, ich habe noch zu tun“, sagte ich schließlich und sprang aus dem Sattel. Lina drückte ich die Zügel in die Hand, um schließlich im Stall wieder meine Ausrüstung abzulegen und in die bequemeren Stallschuhe zu steigen. Alles andere fand seinen Platz zurück in den Schrank.

      Vor Stunden überlegte ich noch, ob ich wirklich die Lust und Energie hatte, erneut nach Kalmar zu fahren. Allerdings fiel die Entscheidung recht schnell, als Lina begann an mir zu hängen wie eine Klette. Ihr fehlte die Beschäftigung, also schob ich ihr Blávör zu, die ich seit Monaten mit ritt. Max war ohnehin egal, wer seine Stute bewegte, solang sie mal vom Paddock konnte. Für Humbria stand schnelles Fahren auf dem Trainingsplan und erstaunlich gut, konnte Lina im Galopp mithalten. Zwischendurch verlor sie den Anschluss und kürzte dann ab. Auch bei den nächsten Trainingspferden wurde ich sie nicht los. Es war ein Tag, an dem auch Nour wenig Zeit für sie übrighatte und die kleine Brünette nur schwer selbstständig eine Beschäftigung fand. Im Wald trafen wir auf Alexa, die, mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, auf Happy einen Ausritt veranstaltete.
      Mit den Worten „ich fahre gleich zu Basti“ wurde ich schließlich meinen Anhang los. Sie interessierte sich blendet dafür, was ich auf dem Hof wollte, aber konnte sich nicht dazu durchringen, danach zu fragen, ob sie mitdürfte. An der Fernstraßenauffahrt rauschte Niklas in seinem Porsche an mir vorbei, was mir zumindest beantwortete, wieso sie nicht gefragt hatte. Vor den Ställen parkte ich das Auto ab und begab mich auf die Suche nach Basti.
      „Vriska, oder?“, fragte ein junger Herr, wenige Jahre jünger als ich.
      Zustimmend nickte ich. Er stellte sich als Timo vor. Binnen kürzester Zeit ergab sich eine nette Unterhaltung. Seit ungefähr einem Jahr war er auf dem Hof, pflegte die Pferde und übernahm den Großteil der anfallenden Stallarbeit. Dabei hatte er überhaupt keine Erfahrung im Umgang, benötigte einzig etwas Geld zum Leben.
      “Basti müsste gleich so weit sein, wollen wir noch eine rauchen?”, fragte Timo und hielt mir seine Schachtel Zigaretten entgegen. Dankend nahm ich das Angebot an.
      „Über dich wird viel gesprochen“, sagte er plötzlich, als kurzzeitiges Schweigen eintrat.
      „Das passiert mir häufiger“, schmunzelte ich, um die Verlegenheit zu überspielen. Je häufiger ich es hörte, umso schlechter kam ich mir dabei vor.
      „Also kaufst du viele Pferde?“, wunderte sich Timo.
      „Nein, das nicht“, ich wollte gerade zum ‘aber’ ansetzen, als Basti hinter einem Stallgebäude hervorkam und mich angrinste. Obwohl ich versuchte, meinen Gesichtsausdruck möglichst neutral zu halten, spürte ich den Widerstand im Kiefer. Bis zum Hals schlug mein Herz, so sehr, dass die Finger aufgrund der fehlenden Durchblutung begannen zu kribbeln.
      „Schön, dass du es einrichten konntest“, begrüßte er mich. Seine Augen wanderten unentschlossen über meinen Körper, als wüsste er ebenso wenig, ob eine Umarmung angebracht wäre. Ich zog einen Mundwinkel nach oben.
      „Danke für deine Hilfe, Timo, wenn du möchtest, darfst du Feierabend machen. Den Rest schaffen wir allein“, verabschiedete er seinen Angestellten und zusammen liefen wir in den Stall. Kaum hatte Basti einen schweren Schritt auf den Beton gesetzt, hörte man das Brummen mehrere Pferde. Einige drehten sich, um den Kopf über weiß gestrichene Fronte zu strecken. In jeder Box stand eins, hauptsächlich Braune, zwischendurch ein Rapp oder Fuchs. Meltdown konnte ich nirgendwo entdecken, allerdings gab es noch zwei weitere Gebäude.
      „Dann erzähl doch mal“, wir setzten uns in einen kleinen Aufenthaltsraum. Die Wände waren mit rötlichem Holz vertäfelt, darüber hingen Bilder. Sie zeigten allerlei Erfolge der Familie und auch welche von ihm entdeckte ich dazwischen. Aktuell waren diese nicht, das aktuellste war von 2013, also lagen acht Jahre zu heute dazwischen. Basti zündete sich darin eine Zigarette an. „Wie läuft es mit Mockup?“
      “Ich dachte, dass ich hier sei, um deine Pferde zu begutachten?”, fragte ich eingeschüchtert, noch immer überwältigt von dem, was mich umgab. Auf einem Schrank standen unordentlich Pokale und Decken übereinandergestapelt, die vermutlich zu den Auszeichnungen gehörten.
      “Hast du es eilig? Abhalten von deinen Plänen, möchte ich dich natürlich nicht”, grinste er im Begriff, sich aus dem Plastikstuhl zu erheben.
      „Nein, ich habe Zeit mitgebracht“, stoppte ich sein Vorhaben. Er legte den Arm wieder locker auf die Lehne und drückte sich in das bedrohlich knackende Plastik. Leicht bogen sich die Beine nach hinten.
      Ich begann zu erzählen vom Stress in der Führanlage, aber dass er sonst, gute Fortschritte machte. Dass ich ihn bisher noch nicht gefahren war, verschwieg ich Anfangs. Durch seine immer spezifischer werdenden Fragen kam diese Tatsache zügig ans Tageslicht.
      „Also startet ihr nicht in Visby?“, hakte er skeptisch nach.
      „So genau habe ich darüber noch nicht nachgedacht. Bruno fährt bestimmt samt Familie hinüber, aber wir haben bisher keine Nennung gemacht“, erklärte ich. Vorsorglich schaute ich im System nach, das meine These bestätigte.
      „Hoffentlich entscheidest du dich noch dazu. Ich würde gern Mocki mit dir sehen.“
      Basti drückte die Zigarette aus und stand auf. Interessiert folgte mein Blick, um zu erfahren, was er vorhatte. Er öffnete den kleinen weißen Schrank und holte einen dunkelblauen Fleecepullover heraus. Wie eingefroren starrte ich ihn an, als Basti den dicken Pullover über den Kopf zog und oberkörperfrei im Raum stand. Unbewusste schnappte ich nach Luft, denn obwohl er nicht dem Katalogmann in meinem Kopf entsprach, regte sich deutlich etwas in mir. Seine eher schmale Silhouette schmeichelte mir sehr und dem kurzen Blick zu mir entnahm ich, dass sich bewusster war, was er tat, als er zugeben wollte.
      Ich schluckte.
      „Wollte mich noch entschuldigen“, stammelte ich überfordert.
      „Wofür?“ Basti runzelte die Stirn, dabei zog er die Arme in die Ärmel.
      „Für die komische Nachricht vorhin“, kam es wie Balsam für die Seele von den Lippen. Meine Augen richtete ich Richtung Boden, um seinem Gesichtsausdruck zu entkommen. Ich spürte den strengen Blick förmlich auf der Haut brennen. Noch deutlicher formte sich ein Kribbeln in der Körpermitte. Langsam hob ich mein Kinn nach oben. Bedrohlich nah stand er bei mir, zumindest so nah, dass ich hätte meine Arme ausstrecken können, um ihn zu berühren.
      „Es muss dir nicht leidtun. Ich habe deine Nachricht bereits verstanden“, schmunzelte Basti und ich meine, in der Tonlage etwas Verführerisches zu entdecken. Mittlerweile hatte er den Stoff über den Körper geführt, obwohl ich mir wünschte, einen längeren Anblick auf seine freiliegende Haut gehabt zu haben. Dennoch war jeder Moment mit ihm ein inneres Blumenpflücken.
      „Gut, ich wollte das nur klarstellen, denn“, kaum hörbar, kam ein Seufzen hervor und verschluckte die letzten Worte.
      „Mh? Denn was?“, hakte er sogleich nach.
      „Nicht wichtig. Also, bei wem soll ich Hand anlegen?“, wechselte ich das Thema. Ich wusste bisher nur von Netflix, allerdings konnte ich mir vorstellen, dass mir direkt weitere Pferde zugeschoben werden, wenn ich schon mal da bin. Ebenso war es bei dem letzten Mal.
      „Du provozierst es aber auch, dass man dich falsch versteht, oder?“, scherzte Basti. Peinlich berührt schlug das Herzklopfen um und flutete mein Gesicht mit Blut. Für einen Moment vergrub ich es in meinen Händen.
      “Man, du machst mich irre”, jammerte ich und folgte ihm in den Stall.
      „Ich dachte an Netflix und Ole. Nelly wollte, dass du dir Crazy anschaust, aber ich brauche dich lebend“, sprach er ohne auf meine Aussage einzugehen. Die Worte ließen mich mit gemischten Gefühlen zurück. Einerseits war die bloße Erwähnung ihres Namens ein Messerstoß ins Herz, andererseits fühlte ich mich geschmeichelt, dass er mich brauchte.
      Aus der Box führte Basti den ersten Rappen heraus, putze ihn und ich fühlte ihm auf den Zahn. Gedanklich versuchte ich mich von dem mich umgebenden zu distanzieren, obwohl ziemlich schwer war, wenn er neben mir saß und jeden Handgriff beobachtete. Zwischendurch zog er das Handy hervor und tippte darauf herum. Was darauf genau geschah, sah ich nicht. Aber Basti grinste. Neugier brannte bis zu Nägeln, jedoch hatte ich die Baustellen des Pferdes zu begutachten. Die Praktik brachte Netflix bereits nach zehn Minuten Entspannung. Langsam schlossen sich seine Augen und er kaute genüsslich.
      “Meine Güte. Auf den Luxus deiner Zauber-Fingerchen kann man nur neidisch sein”, sprach Basti aus der Stille heraus, mit einem Grinsen auf den Lippen.
      “Wieso sollte man darauf neidisch sein? Jeder kann das lernen”, stellte ich mit leichter Irritation fest.
      Amüsiert schnappte er nach Luft.
      “Diese Unschuld in deinem Verständnis finde ich bemerkenswert”, gab Basti offen zu verstehen. Vermutlich war Linas Naivität ansteckend, dabei versuchte ich ein Blatt vor den Mund zu nehmen, um mich ins rechte Licht zu rücken.
      „Sag‘ doch, was du möchtest, dann kann ich dir besser behilflich sein“, schlug ich vor, ohne den Blick vom Pferd abzuwenden.
      „Woran denkst du denn?“
      „Das steht hier nicht zur Debatte“, knackend löste sich eine Verspannung im Rücken und Netflix schüttelte sich schnaubend, „ich möchte wissen, worauf du anspielst.“
      “Wir verschieben das Gespräch”, seufzte Basti überraschend distanziert und stand auf.
      “Ich warte ungern und nicht lange”, stellte ich zum Schluss noch fest.
      Es trat Schweigen ein. Mit gekonnten Bewegungen löste er den Strick und brachte Netflix zurück in die Box, um schließlich Ole zu holen. Für den Großteil meiner Beschäftigung war Basti verschwunden und kehrte erst zurück, als die letzten Griffe an der Kruppe machte. An dem Schecken war weniger verspannt, sodass wir schnell in den Zustand der Losgelassenheit kamen. Die angesprochene Stute wurde mir nicht bereitgestellt. Wir rauchten gemeinsam eine Zigarette bei mir am Auto, tauschten Floskeln und Vermutungen zum Renntag in Visby auf, bevor ich gekränkt in den Stall fuhr. Niklas’ Fahrzeug stand tatsächlich auf dem Parkplatz, also hatte ich Ruhe vor Lina.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // Vriska Isaac // 38.552 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende April 2021}
      Fohlenbericht sieben von sieben.
    • Mohikanerin
      Balance und Takt / Dressur E zu A | 30. April 2023

      Global Vision / Songbird / Eifelgold / Windspiel / Mondlandung LDS / Mávur från Atomic / Hawking von Atomic

      Die morgendliche Sonne tauchte den Dressurplatz in goldenes Licht, als ich mich auf den bevorstehenden Tag als Pferdetrainer vorbereitete. Meine Aufgabe war es, eine bunte Gruppe von Pferden auf ihrem Weg von der E-Niveau-Dressur zur anspruchsvollen A-Niveau-Dressur zu führen. Diese Pferde waren nicht gerade einfach; sie hatten ihre ganz eigenen Herausforderungen und Charaktereigenschaften.
      Ein Teil der Truppe arbeitete ausschließlich an der Doppellonge. Das war eine bewusste Entscheidung, um die Rittigkeit und die Losgelassenheit zu fördern, bevor sie jemals das Gewicht eines Reiters tragen würden. Besonders in Erinnerung bleibt mir ein ziemlicher Sturkopf – Hawking – ein Pony mit einer Attitüde, die ihresgleichen suchte. Doch ich wusste, dass hinter seiner störrischen Fassade großes Potenzial schlummerte. Wir begannen mit Geduld und einem klaren Plan, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen und seine Muskulatur zu stärken.
      Ein weiteres Pony in unserer Gruppe, Mávur, war genauso eigensinnig. Doch er hatte zusätzlich das Talent, die Geduld eines jeden Trainers auf die Probe zu stellen. Seine Neigung, jeden Befehl zu hinterfragen, trieb uns oft zur Verzweiflung. Dennoch gab ich nicht auf, denn ich spürte, dass in ihm ein echtes Dressurgenie steckte.
      Die Rennpferde in unserer Gruppe waren eine ganz andere Herausforderung. Sie waren unbalanciert und hatten Schwierigkeiten, an die Hand zu kommen. Eifelgold, ein ehemaliger Traber, war einer von ihnen. Seine schnellen Beine hatten Schwierigkeiten, sich dem Rhythmus der Dressur hinzugeben. Wir begannen mit Übungen zur Verbesserung seiner Balance und seiner Versammlung, um seine natürliche Energie in die richtigen Bahnen zu lenken.
      Ein weiteres Rennpferd, Windi, war ebenso schwierig. Sein Name passte zu ihrem temperamentvollen Wesen. Sie war schnell und wendig, aber auch ungestüm und schwer zu kontrollieren. Unsere Trainingseinheiten waren eine Mischung aus Geduld und Ausdauer, um sie in die richtige Richtung zu lenken.
      Tag für Tag arbeiteten wir hart, um die Rittigkeit und Losgelassenheit bei diesen schwierigen Pferden zu verbessern. Es war nicht immer einfach, und es gab Momente des Zweifels, aber ich war fest entschlossen, sie auf ihrem Weg zu unterstützen.
      Die Fortschritte kamen langsam, aber sie kamen. Hawking begann, auf die Doppellongen-Signale zu achten, und seine Muskulatur entwickelte sich prächtig. Pippin, der Sturkopf, begann, auf meine feinen Hilfen zu reagieren, und ich spürte eine Verbindung, die immer stärker wurde. Eifelgold und Mola wurden ruhiger und ausbalancierter und zeigten in der Dressurhalle immer mehr Talent.
      Als der Tag der ersten A-Niveau-Dressurprüfung näher rückte, fühlte ich eine Mischung aus Aufregung und Stolz. Diese Pferde, die einst so schwer zu handhaben waren, hatten eine erstaunliche Transformation durchgemacht. Ihre Rittigkeit und Losgelassenheit hatten sich verbessert, und sie waren bereit, sich auf die nächste Stufe zu begeben.

      © Mohikanerin // 2959 Zeichen
    • Mohikanerin
      Platzhalter
      Rennen E zu A
    • Wolfszeit
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      kapitel fyrtiotre | 13. Juni 2023

      Jokarie / St. Pauli’s Amnesia / Ready for Life / Mockup / HMJ Divine / Mondlandung LDS / Binomialsats / Small Lady / Glanni frá glæsileika eyjarinnar / Erlkönig / Ermgravin / Aares / Maxou / Form Follows Function LDS / Satz des Pythagoras / Tjelvar

      SONNTAG, 11:45 Uhr
      LINDÖ DALEN STUTERI

      Lina
      Trotz des herannahenden Frühlings herrschte heute eine unheimliche Kälte, was wohl an dem kräftigen Wind liegen mochte, der heftig an den jungen Trieben zerrte. Ich hatte Redo nach einem kurzen Spaziergang gerade zurück auf ihren Auslauf gebracht und lief die Stufen hoch zur Gemeinschaftsküche, als ich aus dem Fenster heraus das Geschehen in der Halle erblickte. Während Mateo mit seiner Stute im Schlepptau, einen augenscheinlich letzten Oxer aufbaute, drehte Ju mit seiner gescheckten Stute bereits die ersten Runden im Schritt. Mit routinierten Handgriffen bereitete ich mir in der Küche ein Heißgetränk zu, mit dem ich in den Zuschauerbereich der Halle lief. Wenn ich schon kältebedingt eine Pause einlegte, konnte ich dies auch bei guter Unterhaltung tun. Die Hände um einen Becher Kaffee geklammert saß dort, optisch deutlich übernächtigt, Vriska.
      “Morgen”, grüßte ich und ließ mich neben ihr auf der Bank nieder.
      “Na, ist dein Kerl schon wieder abgehauen?”, fragte sie. In der Stimme schwang reges Interesse mit.
      “Niki ist nur gerade zu seinen Ponys gefahren”, informierte ich sie und nahm einen großen Schluck von meinem Tee. Wohlig rann die Flüssigkeit meine Kehle hinab und verbreitete eine angenehme Wärme in meinem Bauch.
      “Ach, das ist schön, aber wieso bist du nicht mit zum Stall?”
      Vriska nahm ebenfalls einen Schluck aus dem Becher. Ihre Haare fielen in der Bewegung nach hinten, dass deutlich schlecht kaschierte Flecken am Hals sichtbar wurden. Kaum bemerkte sie meine Blicke, zog sie den Rollkragen etwas höher und zupfte die Haare zurecht. Die Neugierde brannte in mir, doch als Mateo vor uns anhielt, um Karies Decke auf der Bande abzulegen, hielt ich mich zurück und beantwortete stattdessen ihre Frage: “Weil er mit ein paar Leuten ausreiten gehen wollte, da wäre es etwas sinnfrei ihn zu begleiten.” Für gewöhnlich begleitete ich ihn gerne mit zum Training, doch auch mir war es einleuchtend, dass ich zum Herumsitzen und Warten nicht mitkommen brauchte. Das konnte ich hier schließlich genauso gut.
      “Das klingt natürlich schlüssig”, nickte Vriska. Ungewöhnlich höflich und in sich gekehrt wirkte sie. Seitdem sie am späten Nachmittag zu den anderen Rennpferden gefahren war, hatte ich sie weder gesehen noch gehört, obwohl ziemlich lange noch das Licht in der Hütte brannte. Prüfend blickte ich zur Sandfläche vor uns. Sowohl Mateo als auch Ju befanden sich außer Hörweite auf der anderen Seite der Halle.
      “Was war bei dir gestern eigentlich noch los?”, taste ich mich an das Thema meines Interesses heran.
      “Hach, da kommt der Schäferhund wieder. Lars hatte noch Besuch und es wurde ziemlich spät“, umriss sie die Umstände mit einem trügerischen Grinsen auf den Lippen. Ihre Augen hingen mittlerweile an Ju, der trotz der höllischen Kälte im kurzärmligen Shirt seine Stute trabte.
      “Dass es spät wurde, ist mir nicht entgangen”, lachte ich, “muss wohl Spaß gemacht haben, was ihr da tatet.” Für einen Moment wanderte mein Blick zu Mateo hinüber, der schwungvoll einen Stangenfächer nahm, den seine Freibergerstute mit Leichtigkeit im Trab überwand.
      “Es war gewagt und brachte leider mit sich, dass Lars bereits sehr früh aufstand und mir seitdem aus dem Weg geht”, feixte sie, nicht wirklich getroffen von der Tatsache. Kurzzeitig schwang die Aufmerksamkeit um und sie tippte fröhlich auf dem Handy herum.
      “Gewagt, inwiefern?”, hakte ich weiter nach und versuchte gleichzeitig einen Blick auf ihren Bildschirm zu erhaschen. Mit ihrer diffusen Ausdrucksweise macht sie mich nur noch neugieriger, zumal mein Verdacht größer wurde, dass es mit dem schlecht versteckten Staubsaugerunfall zusammenhing.
      “Nun, ich weiß nicht genau, ob dein Nervenkostüm dafür bereit ist”, misstrauisch zog sie ihre Brauen nach oben und blickte über das Brillengestell hinweg. Dabei konnte ich kurzzeitig sehen, dass sie mit Basti schrieb, der ihr ein Bild von einem Rappen geschickt hatte, den ich nicht genauer identifizieren konnte.
      “Was habt ihr denn bitte getrieben, was derart furios sein soll?”, fragte ich verdutzt.
      „Ich habe dich vorgewarnt“, sagte sie noch und begann zu erzählen, dass Lars zufälligen Besuch von einem alten Bekannten hatte. Mit diesem sei er in Visby zur Schule gegangen, bis sich, durch die Berufswahl, ihre Wege trennten. Besagter Bekannter entschied sich recht früh, Jurist zu werden und war aufgrund einer Verhandlung in der Region. Vriskas Blick huschte durch Halle, aber anhand des Funkelns in ihren Augen, ahnte ich bereits, wie er sich womöglich vorgestellt hatte. Im selben Zuge zeigte sie mir Bilder auf Instagram, der Herr in Lars‘ Alter hätte genauso gut Erik sein können, wenn auch mit einem anderen Haarschnitt und die Gesichtszüge fülliger. Große Unterschiede waren sonst nur schwer zu finden – zumindest, wenn man die Tattoos wegdachte und die breite Silhouette, die eher nach Niklas aussah, ignorierte.
      „Und auf jeden Fall“, Vriska schluckte, „war Lars nur wenig begeistert, dass wir einander gut verstanden.“
      “Das kann ich mir vorstellen”, entgegnete ich und musste unwillkürlich daran denken, wie von sich selbst überzeugt Lars sein konnte. Dennoch brannte ich noch immer darauf, wie der Abend fortfuhr, was ich ihr auch sogleich zu verstehen gab.
      “Gegen einundzwanzig Uhr brachte er die Pferde vom Renntag in den Stall, sodass wir knappe dreißig Minuten für uns hatten”, schelmisch schmunzelte sie und drückte die Lippen zusammen, “ich muss dazu sagen: Mit Basti war es seltsam und er hat mir viele Hoffnungen auf mehr gemacht, die ich betrunken zu dem Zeitpunkt nicht mehr einordnen konnte. Anstelle ihm all mein Verlangen zu eröffnen, war Markus da.”
      “Du hast doch nicht etwa …?”, ich beendete den Satz nicht, starrte sie nur mit großen Augen an, als mir ihre Mimik bereits die Antwort verriet.
      “Ich weiß nicht genau, worauf du hinauswillst, aber wir sind übereinander hergefallen”, immer breiter wurde ihr Lächeln, je weiter die Geschichte ging. Da einer des jungen Herrn bedrohlich nah an der Bande vorbeikam, stoppte sie kurzzeitig. Ein dumpfes Geräusch dröhnte durch die Halle und im Sand landete eine der bunten Stangen, die Amy berührt hatte. Bei einer Höhe von 145 Zentimetern wunderte ich mich bereits, dass noch keine fiel. Mir fehlten komplett die Worte, so starrte ich Vriska nur an, bis Ju an der Bande hielt und auf sich aufmerksam machte.
      “Ich unterbreche euch nur ungern bei eurem Kaffeekränzchen, aber wäre einer von euch Grazien so freundlich, die Stange wieder aufzulegen?”, fragte er freundlich.
      “Ähm, ja”, nickte ich, die Zellen meines Sprachzentrums wieder zur Funktion bringend, da sprang Vriska bereits die Bande hinunter. Zum Glück war Tyrell nicht im Haus, um sie zu ermahnen. Wie ein Hörnchen wuselte sie durch den Sand und wenig später lag die Stange wieder auf dem Gestell. Ju nickte ihr freundlich zu.
      “So, zurück”, sie setzte sich auf die Sitzmöglichkeit, nach dem sie deutlich anmutiger als ich es könnte die Bande hinaufkletterte.
      “Wow, elegant”, kommentierte ich ihren Aufschwung, konnte dennoch nicht erwarten, dass sie endlich weitersprach.
      “Ist Markus also die Ursache dein kleines Andenken”, brachte ich die verschiedenen Informationen in Zusammenhang. Deutlich erkannt ich in ihrem Gesicht, dass sie mit sich haderte. Ihre Hand hielt sie vor den Mund, um das nicht aufhörende Grinsen zu verbergen. Mit geschlossenen Augen sprach sie: “Nein, nicht nur er.” Wie das Affen Emoji versteckte sie ihre Augen, schob dabei leicht die Brille nach oben.
      “Was?”, mit offenem Mund starrte ich sie an. Hieß das etwa … Ich traute mich nicht so recht den Gedanken zu Ende zu bringen, wirkte er zu surreal für mich, als dass es der Wahrheit entsprechen könnte.
      „Lars kam natürlich zurück, als die Pferde im Stall standen und war wenig begeistert von dem, was er sah. Allerdings konnte er auch nicht mehr davon sprechen, klar bei Verstand zu sein. Wie ein zu groß gewachsener Spatz plusterte er sich auf, bekam sogar Tränen in den Augen, als hätte Vorrecht auf irgendwas. Kurz um, ich gab ihm, was er wollte, und Markus schloss sich dem an“, damit war die Geschichte wohl zu Ende, denn Vriska tauchte vollständig in Händen ab und zog die Kapuze über den Kopf. Es zu bereuen, schien sie nicht, zu sehr strahlte sie.
      “Heftig” brachte ich ein einziges Wort hervor und presste meine Hände gegen die Wangen, die allein von ihren Worten ganz heiß geworden waren. Erneut hallte ein dumpfer Schlag durch die Halle. Diesmal war es Karie, die mit dem Hinterhuf eine Stange riss, weil Mateo die Distanz deutlich zu weit wählte.
      “Würdet ihr …”, noch bevor Mateo den Satz beendete, sprang ich in die Halle hinunter und brachte die Stange zurück an Ort und Stelle. Für den Rückweg nahm ich lieber den herkömmlichen Weg, denn Vriskas Geschick lag weit über meinen Fähigkeiten.
      “Vielen Dank”, bedankte sich Mateo, ein keckes Funkeln in den Augen, bevor er seine Stute aus dem Stand angaloppierte. Unverändert kauerte Vriska auf der Sitzfläche und ich hätte schwören können, dass die hinter ihren Finger rot, wie eine Warnlampe leuchtete. Erst jetzt, wo ich mir ihre Worte erneut durch den Kopf gehen ließ, entfaltete ihre Erzählung ihre volle Wirkung und die darauffolgenden Gedanken, brachten meine Wangen erneut zum Glühen.
      “Da hattest du ja wirklich eine wilde Nacht”, sprach ich überwältigt und schüttelte sogleich den Kopf, um die sich immer weiter entwickelnden Bilder zu vertreiben.
      “Wenn es nur das wäre”, seufzte sie laut, dass sogar die Herren auf den Pferden zu uns sahen.
      “Was ist denn noch?”, fragte ich nun eher ein wenig besorgt. Solch ein Stimmungswechsel konnte nichts Gutes bedeuten.
      “Ich glaube, ich will ihn wiedersehen.”
      “Und was ist daran so dramatisch?”, versuchte ich ihren Standpunkt besser nachvollziehen zu können.
      “Basti ist bestimmt sauer, wenn er davon erfährt und ich möchte nicht, dass er sauer wird. Außerdem schien der Schlipsträger mir weniger mitfühlend als Erik”, brabbelte sie in den Kragen hinein.
      “Warum sollte er denn sauer sein, er hat doch selbst gesagt, dass ihr nur Freunde seid?” Irritiert verzog ich die Stirn, letzteres klang schon eher nach einem Argument für mich, auch wenn es mir einen wenig seltsam vorkam. Bisher erweckte es den Anschein, als würde Vriska den optischen Aspekt, bei der Wahl ihrer reinen Sexualpartner weit über den emotionalen stellen.
      “Noch sind wir das”, sprach sie leise, aber ziemlich überzeugt, dass sie einen Plan hatte. Obwohl, wenn ich genauer nachdachte, kam seine Sprachnachricht vom gestrigen Tag wieder in den Vordergrund.
      „Aber ist es theoretisch nicht irrelevant, was geschah, bevor man eine verbindliche Beziehung einigt?“, überlegte ich und korrigierte mich im selben Zug, “Beziehungsweise bevor absehbar war, dass es verbindlich werden könnte.“
      „Das sagst du so leicht aus deiner privilegierten Position heraus, beinah seit einem Jahr in einer Beziehung zu sein“, kippte ihrerseits die Stimmung komplett. Ich seufzte, an ihren Worten war etwas dran, würde ich aus ihrer Position ähnliches denken. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass dies nicht der Fall wäre, hätte ich Niklas alles von dem aufgewogen, was davor geschah. Ihr Handy, das auf dem Holz lag, vibrierte. Sofort griff sie danach und begann zu lachen. Ohne die Benachrichtigungen zu öffnen, zeigte sie mir die beiden Mitteilungen. Zum einen war eine Nachricht von Basti mit dem Inhalt: “Herzlichen Glückwunsch, du hast Eindruck bei Timo hinterlassen und er möchte nun Fahren lernen. Zudem wissen, ob du einen Freund hast.” Darunter eine Nachrichtenanfrage, die offenbar von diesem besagten Timo war.
      „Wer ist Timo?“, fragte ich verwirrt von dem Anschein, dass nun noch ein weiterer Mann ins Spiel kam.
      “Das muss auf dich wirken, als würde von einem Bett ins nächste Springen”, leicht schüttelte sie den Kopf, “er ist einer der Pfleger von Basti, der mich gestern viele Minuten unterhielt.”
      „Bei dem musst du aber ziemlichen Eindruck geschundenen haben“, lachte ich. Es wirkte beinahe, als ziehe Vriska die Männer an wie ein Magnet.
      “Schätzungsweise bin ich nicht solch eine Gesichtsgrätsche wie der Rest. Außerdem war er mir zu jung”, feixte sie, verständlich, dass sie nicht jedem offen gegenüberstand.
      „Ein wenig wählerisch darf man ja auch ruhig sein“, lächelte ich, aber selbst, wenn sie es nicht wäre, war es ihre Sache.
      “Nett anzuschauen, ist er dennoch”, Vriska übergab mir erneut das Handy. Dieses Mal war das Profil von Timo geöffnet. Viele Bilder hatte dieser nicht veröffentlicht, doch was ich sah, war zwar hübsch, nur konnte er meinem Freund nicht das Wasser reichen.
      „Ja, ganz niedlich", urteilte ich. Mir fehlte das gewisse Etwas, was den Funken so wirklich überspringen ließ.
      Zustimmend nickte Vriska.
      Eine Weile saßen wir noch auf der Tribüne, hatten mittlerweile das Thema gewechselt zu etwas weniger Pikanten. Erstaunlich agil überwanden beide Pferde immer wieder die Hindernisse, wobei im direkten Vergleich zwar Karies Körperbau herausstach, doch schien sie Amy im Können nichts nachzustehen. Pünktlich mit dem letzten Tropfen in meinem Becher beendeten die beiden Jungs ihr Training. Wir halfen noch, die Hindernisse abzubauen und wegzuräumen, wobei Vriska beinahe wie eine Elfe durch die Gegend schwebte. Fehlten nur noch die Flügel und sie würde tatsächlich abheben. Wir verstauten die letzte Stange in der Bande, dann schlug Vriska etwas vor: „Ich habe überlegt, heute Mocki anzuspannen. Hast du Lust uns zu begleiten mit Divine?“
      Dieser Tag verdiente ein dickes, farbiges Kreuz im Kalender. Sie hatte meine Pferde nach Ewigkeiten nicht als Tonne bezeichnet! Offenbar lösten all die Ergebnisse etwas Unbegreifliches in ihr aus, das bestenfalls so bleiben sollte.
      “Ja, gerne würde ich Mocki in Action sehen”, stimmte ich freudig zu, woraufhin wir zusammen meinen Hengst vom Paddock holten und auf demselben Weg auch Mocki eingesammelten. Interessiert inspizierte der Helle den Fuchs, welches mit gleichem Interesse erwidert wurde. Verspielt zog der Traber an einer der langen Strähnen, woraufhin Ivy nach seinem Halfter schnappte, was mir zum Grinsen brachte. Die beiden waren ziemlich niedlich zusammen. Dennoch griff ich wenig später nach Ivy Halfter, um die Anbindestricke daran zu befestigen. Auf dem Gang huschte Lars an uns vorbei, der es tatsächlich heute ziemlich eilig hatte. Mit wenigen Worten begrüßte er uns – oder viel mehr mich, denn Vriska schaute er nur mit gesenktem Blick an. Sie sah sich nach ihm um, auch er tat ihr gleich. Anders als, sonst hatte Lars sich nicht gewendet, um sie von hinten zu begutachten, sondern sammelte die leeren Eimer vor den Boxen ein.
      „Wow, was hast du denn mit dem gemacht?“, flüsterte ich Vriska zu. Dass er sie infolge des gestrigen Abends mied, hatte sie bereits angekündigt, aber dass die Ereignisse solche Ausmaße hatten, damit rechnete ich nicht.
      “Wenn ich das wüsste”, sprach sie in normaler Lautstärke und zuckte mit den Schultern.
      “Mysteriös” entgegnete ich und widmete mich wieder Divines Fell. Auch Vriska war bereits ganz auf ihren Fuchs konzentriert und reinigte ihn penibel. In Windeseile waren die beiden Pferde vorbereitet und ich half Vriska anspannen. Misstrauisch schaute Mockup das Gefährt an, was auch in mir gemischte Gefühle auslöste. Sie tätschelte ihn friedfertig und ging behutsam beim Einklinken vor. Aus der Sattelkammer holte ich Ivys Trense.
      “Och nein”, jammerte ich, als klimpernd etwas zu Boden fiel, Ivys Schutzengel. Beim Schubbern hatte der Freiberger, den Anhänger deutlich in Mitleidenschaft gezogen. So war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis eintrat, was gerade geschah.
      „Kann man dir helfen?“, fragte Vriska, den Kopf aus der Putzbucht reckend.
      “Nein, ich denke nicht wirklich”, seufzte ich und sammelte vom Boden, was davon übrig war.
      “Mh?”
      Sie trat näher an mich heran. Mockup war zunächst an Reithalfter wieder angebunden, das dafür eigene Ringe hatte.
      „Ivy hat nur seinen Anhänger getötet“, erklärte ich und hielt ihr die einzelnen Perlen hin, die von dem dünnen Draht gerutscht waren, der sie zusammenhalten sollte.
      “Ach, das können wir doch zusammenbasteln. Ich müsste noch”, Vriska lief zu ihrer Putztasche und wühlte hektisch darin, bis sie eine kleine Plastiktüte herausholte.
      “Hier” reichte sie mir das Ding, um alles vorsorglich zu verpacken.
      „Oh, danke, du bist meine Rettung “, lächelte ich und lies die Kleinteile, des bereits verloren geglaubten Schmuckstückes hineinfallen, um das Ganze sicher zu verstauen. Damit trenste ich meinen Hengst nun wirklich, womit wir wenig später den Stall verließen. Mittlerweile hatte der Wind etwas nachgelassen, sodass die schwachen Sonnenstrahlen alles etwas aufwärmten. In einem zügigen Schritt lief der Fuchs den verwachsenen Weg entlang, die Ohren aufmerksam nach vorn gerichtet. Ivy hingegen wurde an jedem grünen Blättchen ein wenig langsamer und ich musste ihn mehrfach ermahnen nicht alles zu fressen, was ihm in die Queere kam. Auf dem äußersten Ring der Rennbahn angelangt, wo der Weg etwas breiter und vor allem Futter frei wurde, schloss ich zu Vriska auf. Wir tauschten uns über die aktuellen Veränderungen am Stall aus. Besonders interessant war dabei, was ich noch gar nicht mitbekommen hatte, der Bau im Wald für einen ganz neuen Stalltrakt. Weitere sollten wohl auch kommen, nur sei dieser von äußerst hoher Priorität. Vriska wusste allerdings so wenig wie ich darüber und wir rätselten eine Weile, für wen diese bestimmt sei.
      „Also unsere Pferde kommen dort nicht hin, dafür hat Tyrell zu viel Eifer in die Planung der Halle gesteckt“, sprach sie nachdenklich und schaute am Wagen vorbei, um den Weg vor uns besser zu sehen.
      “Wer auch immer dort einzieht, muss viel Geld bringen, wenn es derartig priorisiert wird”, überlegt ich eine Alternative. Abgesehen davon, dass mein Interesse an den Bauarbeiten gering war, hatte ich ohnehin den Überblick verloren, was alles errichtet werden sollte.
      “Gut möglich, aber wer will hier mitten ins Nichts ziehen?”, trug sie dazu bei. Mockup schnaubte ab und schüttelte sich, sodass einer der Zugwatten-Bommel aus dem Ohr rutschte. Aufmerksam schossen Ivys Ohren, die bis eben in halb acht Stellung ruhten, nach vorn und betrachte das seltsame Ding, welches am Hals seines Kumpels baumelte.
      “Ich habe absolut keine Ahnung, Naturliebhaber?”, scherzte ich.
      “Hoffentlich keine Wendy-Reiter, die dann täglich herumheulen, dass wir Rennpferde haben”, rollte Vriska mit den Augen. Noch lockerer fasste sie die Leinen, sodass die letzte Schlaufe in ihren Händen lag. Damit lief der Hengst wie ein Trüffelschwein durch den weichen Sand.
      “In dem Fall wüsste ich, welches Gebiet ich großräumig meide”, stimmte ich ihr zu. Diese Art von Menschen war mir schon auf Social Media zu viel. Ständig kritisierten sie alles, ohne zu reflektieren, dass es auch Gründe für bestimmte Gegenstände und Trainingsansätze geben könnte, schließlich funktionierte nicht jedes Tier mit Telepathie.
      “Ob unsere Weiden bleiben oder müssen die Kinder umziehen?”, Vriska überlegte mehr laut, als dass sie eine Antwort erwartete. “Na komm, lass uns etwas zulegen.”
      Wir hatten die erste Hälfte der langen Seite passiert, da klatschten die Lederstrippen auf den Po des Fuchses und mit Dino ähnlichen Geräuschen trabte er an. Sie hatte mit ihm zu kämpfen. Mockup lag in den Leinen, zerrte fürchterlich daran und wurde Meter für Meter mehr Pferd. Die Vorderhand schwang er wie ein Dressurpferd nach vorn, ohne dabei die Balance zu verlieren. Divine hingegen trabte locker unter mir, schnaubte entspannt und zeigte sogar von sich aus eine annehmbare Selbsthaltung. So langsam wurde mein kleiner doch tatsächlich ein Dressurpferd. Wie Mocki an Tempo zulegte, fiel es dem Freiberger zunehmend schwerer den Takt zu halten, sodass er in den Galopp umsprang. Für einen Moment war die Luft einzig durchdrungen von dem Hufschlag und dem rhythmischen Schnauben der Pferde. Zum Ende der geraden hin hatte Vriska Mühe den großen Fuchs abzubremsen, wurde dennoch langsamer, woraufhin ich Ivy ebenso abbremste.
      “Ziemlich schnell dein Fuchsi”, sprach ich zu Vriska, als wir das Schritttempo erreicht hatten und klopfte Ivy lobend den Hals. Noch vor einem halben Jahr hätte er einen solchen Galopp nur ein paar Meter halten können, doch heute konnte er recht gut mit dem Traber mithalten, ohne großartig zurückzufallen.
      “Ach, das war normales Jogging-Tempo”, lachte sie angeheitert, “selbst Eichi zieht mehr an.”
      “Wenn das normal ist, was ist dann schnell?”, fragte ich neugierig. Gemessen an Ivy, war es ein langsames bis mittleres Galopptempo gewesen, was für einen Trab schon recht ordentlich schien.
      “Du warst doch mit bei mehreren Rennen, da solltest du doch die Geschwindigkeiten kennen”, sah sie zur mir.
      „Ja, aber das sieht doch so von außen immer ganz anders aus“, entgegnete ich. Tatsächlich hatte ich nie so genau in Relation gesetzt, wie schnell die Traber waren. Stückweise fehlte es mir auch einfach an Anhaltspunkten für einen Vergleich.
      Eine Antwort wurde mir verwehrt, stattdessen wurde Vriska nachdenklich. Wie hypnotisiert hing, ihr Blick am pendelten Schweif. Minute für Minute verging, als es plötzlich an meiner Brust vibrierte. Die Zügel einfach auf Ivys Hals fallen lassend kramte ich hektisch das Handy hervor, bevor es sein Signal wieder einstellen würde. Eine unbekannte Nummer leuchtet auf, aus Kanada. Wer war denn so irre, um mitten in der Nacht jemanden anzurufen?
      „Seltsam“ murmelte ich mehr zu mir selbst und betätigte den grünen Hörer.
      „Hallo“, meldete ich erwartungsvoll.
      „Ich spreche mit Lina, richtig?“, erklang eine Männerstimme am anderen Ende.
      „Ja“, entgegnete ich irritiert, denn ich konnte die Stimme keiner bekannten Person zuordnen, „und mit wem habe ich das Vergnügen?“ Ivy schnaubte und schüttelte dabei die Mähne, sodass die Zügel in Richtung seines Kopfes rutschen.
      „Oh, entschuldige, ich bin Raphael“, stellte der Anrufer sich vor. Nein, eindeutig unbekannt, stellte ich fest und angelte nach meinen Zügeln.
      „Okay, Raphael, dürfte ich erfahren, was du von mir willst?“, fragte ich mit in Falten gelegter Stirn. Es kam nicht gerade alle Tage vor, dass mich unbekannte Männer anriefen. Schon gar nicht welche, die mich offenbar zu kennen schienen.
      „Ähm, das ist ein wenig kompliziert…“, setze er an, „Hast du gerade Zeit, könnte ein klein wenig länger dauern.“ Ich warf einen kurzen Blick zu Vriska, die jedoch immer noch in ihrer Welt verloren schien.
      „Sieht so aus“, antwortete ich also und warte gespannt auf seine Erklärung. Raphael erzählte, dass er Springreiter sei und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Er war Quinn geheimnisvolle Begleitung. Darin lag auch der entscheidende Punkt, der junge Mann würde sie gerne überraschen, wenn sie hier nach Schweden kämen, benötigte allerdings jemanden, der vor Ort einige Dinge klären und begutachten könnte. Gespannt lauschte ich seiner Idee und stellte einige Nachfragen zu seinen Vorstellungen.
      „Okay, ich denke, das ist umsetzbar“, schloss ich schließlich, „könntest du mir die Eckdaten erneut zu senden, das wäre klasse.“
      „Ja klar, mache ich“, bestätigte Raphael, „vielen Dank für deine Hilfe.“
      „Gerne, ich freue mich, wenn ich helfen kann. Dir einen schönen Tag noch“, verabschiedete ich mich.
      „Danke dir auch“, entgegnete der Kanadier und legte auf.
      „Vriska, wir haben eine Mission!“, verkündete ich, als ich das Gerät wieder verstaute. In meinem Kopf ratterte es und die Informationen begannen sich zu einem Bild zusammenzusetzen. Ich war mir sicher, dass wir etwas für Raphael finden würden.
      „Noch mehr? Langsam kann man den Überblick verlieren“, antwortete sie, ohne sich zu rühren.
      „Wie noch mehr?“, fragte ich verwirrt. Sie konnte doch noch gar nicht wissen, was es beinhaltete.
      “Du hast sicher genauso viel auf deiner Agenda wie ich”, nun sah sie zu mir, ein schiefes Lächeln tragend.
      „Ja, das stimmt wohl“, nickte ich, „Jedenfalls braucht jemand unsere Hilfe, okay, meine Hilfe. Aber ich könnte deine Ideen gebrauchen.“
      “Du trägst ziemlich viel auf, als würde es um viel Geld gehen”, Vriska wirkte misstrauisch, aber zu gleichen Teilen interessiert. Allerdings wurde der Fuchs zunehmend unruhiger, zerrte wieder an den Leinen und verdrehte den Kopf. Durch halbe Paraden versuchte sie ihn in die korrekte Haltung zurückzubekommen, aber er sträubte sich. Seine Oberlippe zuckte nach oben und in Manieren, wie ich sie von Mola kannte, drückte er den Unterhals hervor.
      „Geht es auch gewissermaßen auch“, erklärte ich. Am nötigen Kleingeld schien es keineswegs zu mangeln, der Preisrahmen, welchen der Springreiter nannte, war groß, ziemlich groß sogar. Im Schnelldurchlauf gab ich Vriska das Telefonat wieder. Aufmerksam hörte meine Kollegin zu, auch wenn sie mit ihrem Fuchs beschäftigt war.
      “Wir haben bestimmt was”, antwortete sie entschlossen.
      „Ja, dachte ich auch“, nickte ich mit einem nervösen Lächeln, „du willst mir sicher dann beim Auswählen helfen?“ Auch wenn ich Raphael gerne half, zweifelte ich ein wenig daran, dass ich kompetent genug war, um seinen Ansprüchen gerecht zu werden. Ich meine, wann hatte ich denn schon einmal ernsthaft so etwas ausgewählt.
      „Ich verspreche nichts, aber kann dir bestimmt helfen, auch wenn mir Warmblüter nicht ferner liegen könnten“, witzelte sie. Nur halb war sie bei der Sache, noch immer kämpfte Mockup. „Eigentlich müssten wir jetzt abbiegen zum Hof, aber ich schätze, der Kerl möchte dir einmal hautnah zeigen, was Geschwindigkeit bedeutet.“
      Ohne auf meine Antwort abzuwarten, trabte Vriska an und Mockup legte im Tempo zu. Deutlich schneller als ich, schalte mein Pferd und sprang im Galopp hinterher. Ich dachte zu Beginn nicht, dass Ivy den Traber, der in vollen Renntempo über die Bahn fetzte, einholen konnte, doch erstaunlicherweise verringerte sich der Vorsprung des Traber langsam. In einer atemberaubenden Geschwindigkeit flogen die beiden Pferde über den Sand, dass mir der kalte Wind die Tränen in die Augen trieb. Der Neid auf Vriskas Schutzbrille war groß. Ivy und ich waren gleich auf mit dem Gespann, als sie das Tempo drosselte und Mocki erst in einen langsameren Trab, dann schließlich in den Schritt fiel. Auch ich parierte meinen Hengst, doch er brauchte einige Meter mehr, um aus dem schnellen Galopp in der langsamsten Gangart anzukommen. Wie eine Dampflok prustet er und das Fell an Brust und Hals war dunkel vom Schweiß. Eine so intensive Galoppeinheit hatte er noch nie geleistet. Für diese außerordentliche Leistung steckte ich ihm ein Leckerli zu.
      “Okay, jetzt verstehe ich, was schnell ist”, sprach ich zu Vriska, mit einem Grinsen auf den Lippen.
      “Kam allerdings mehr Tempo, als ich erwartet hatte”, gab sie offen zu. Die Brille schon sie hoch auf den Helm. Ihr Kopf glühte rot.
      “Mocki ist wohl doch nicht so langsam, wie dir gesagt wurde”, entgegnete ich.
      “Als Halbbruder zu Who’s Who, Makethemark oder auch Moni Viking wundert es mich nur wenig, dass Kurzstrecke ihm liegt”, schmunzelte sie zufrieden und klopfte den schäumenden Hengst. Am Himmel lichtete sich die Sonne hervor. Mockup, der ohnehin wie eine Warnweste leuchtete, glänzte warm.
      “Keine Ahnung welche Pferde das sein sollen, aber das wird schon stimmen”, nickte ich zustimmend. Was die Traberwelt anging, war ich schon froh, wenn ich den Durchblick bei unseren eigenen Pferden behielt. So war es bewundernswert, dass sich noch ungefähr Hunderte weitere merken konnte und auch zudem wusste, in welchem Zusammenhang diese standen.
      “Pferde, die bisher schon viel Geld verdient haben”, erklärte sie lachend.
      “Dann hast du wohl gute Chancen, dass Mocki ein wenig einbringt”, sagte ich zuversichtlich.

      15:09 Uhr
      Kalmar Stuteri
      Eskil
      „Meine Güte, nimm den Bock zurück und gib ihm die Sporen“, tönte es lautstark vom Springplatz in den Stall. Irritiert rümpfte ich die Nase und ließ den Gurt durch meine Finger gleiten. Lady schüttelte sich. Beinah kam mir der Sattel entgegen, den ich, ohne nachzudenken griff.
      Seit Wochen, nein eher seit Monaten liefen die Vorbereitungen für das große Springturnier auf dem Hof. Gäste aus aller Welt würden uns überlaufen und sich messen. Ich nahm Abstand von dem Stress, hatte kurzzeitig überlegt Lady oder Gräfin vorstellen oder gar meinen Fuchs, aber wich vom Plan ab. Erlkönig schickte ich in Turnierrente. Jonina, meine Schwester, ritt ihn im Moment, denn Glanni tat sich im Augenblick schwer. Erst hatte der Isländer Mauke, dann eine Verletzung an der Brust und nun lahmte er aus unerklärlichen Gründen. Das Pferd war ihr Ein und Alles, schmerzlich mit anzusehen, wie sie zu Hause saß auf der Couch und das Internet durchforstete nach einer Lösung.
      „Willst du dir noch länger die Beine in den Bauch stehen?“
      Zickig, wie immer kam Phine mit ihrem riesigen Pferd an, das mit müden Augen die Stute anblickte. Motivation sah anderes aus.
      „Ja, bis ich verschrumpelte bin“, erwiderte ich gekonnt und hob den Sattel vom Rücken. Den Gurt ich bereits auf die Sitzfläche gelegt. Phine zog das Tier hinter sich her und band es am Ende der Stallgasse an. Zum Glück.
      Small Lady, die gar nicht so klein war, wie man bei dem Namen vermuten konnte, stellte ich zurück in ihre Box. Ihren Trog fühlte ich mit der täglichen Portion Hafer. Bei einem Blick auf die Uhr zeigte sich, dass es Zeit wurde, nach Hause zu fahren. Demnächst hatte sich meine Schwester Feierabend, die – wie gesagt – durch Glanni Sonderbetreuung benötigte. Weit kam ich allerdings nicht.
      „Kili, willst du etwa gehen?“, grinste mich Niklas an, der am langen Zügel seinen Braunen abritt. Der Hengst hatte eine gelbe Decke über Po gelegt und schäumte.
      „Meine Schwester kommt gleich“, rief ich ihm zu. Noch immer war unser Verhältnis schwierig, nicht, auf der Weise, wie es vorher war. Blöde Kommentare verkniff er sich oder formulierte sie so, dass jeder etwas zum Lachen hatte. Aber der Zwischenfall in der Umkleide, der eine einmalige Sache war, hing zwischen uns wie ein unsichtbarer Vorhang.
      Schließlich lief ich doch noch zum Zaun und legte darauf meine Arme ab. Herr Holm baute währenddessen die Hindernisse auf eine andere Höhe um.
      „Kann ich dir helfen?“, fragte ich höflich, was er mit einem Handzeichen verneinte.
      Niklas bremste vor mir ab. Ich klopfte freundlich den Hals des Hengstes, der mit schielendem Blick mich ansah.
      „Der hat sich entwickelt“, stellte ich fest.
      „Mal mehr, mal weniger“, seufzte er resigniert und fummelte die kurze Mähne zu Recht. Beinah wöchentlich hantierte er mit der Schere daran herum. Viel hatte der sportliche Traber ohnehin nicht, sodass ich manchen Tages Sorge hatte, dass er bald aussehen würde wie Form. Die arme Stute lief mit ein paar Zottel herum, denn scheuern gehörte zum Tagesgeschäft.
      „Lass dich nicht unterkriegen. Wir zählen auf dich“, versuchte ich ihn aufzumuntern und setzte ein Lächeln auf.
      „Mir reicht es, wenn ich durchkomme. Ju ist mit Amy deutlich weiter und die Weiber machen auch kein schlechtes Bild“, schmunzelte Niklas nun auch. „Besonderes Lyra“ – „die Blonde?“ – „genau die. Manchmal muss ich mich wirklich zusammenreißen.“
      „Zusammenreißen?“, hakte ich skeptisch nach. Die Wortwahl klang oberflächlich, beinahe verwerflich, aber ich sparte mir, ihm einen Vortrag zu halten.
      „Du weißt schon“, mied er seinen Gedanken freien Lauf zu lassen.
      „Ehrlich gesagt, nein“, blieb ich unwissend zurück. Niklas setzte Bino in Bewegung. Kopfschüttelnd stand ich weiterhin am Zaun, obwohl ich nach Hause wollte. Ihn allerdings beim Abreiten zu beobachten, gefiel mir aus vielerlei Gründen besser. Bereits bei dem Ausritt am Morgen konnte ich mich nur schwer lösen, ob es daran lag, dass wir einander unregelmäßig sahen oder er verdammt gut ritt, ließ ich offen. In letzter Zeit war es für mich stressig, hauptsächlich Aares, dem seine neue Heimat weniger gefiel als gedacht. Der Fuchs stand ebenso wie Bino unter dauerhaften Strom. Ich gab ihm Zeit und aktuell verbrachte er mehr Zeit auf der Weide als im Stall. Umso glücklicher stimmte mich, dass ich zumindest zwei Berittpferde hatte, womit alle Kosten gedeckt waren und sogar etwas übrigblieb.
      „Du hast offenbar mehr Zeit, als du zugeben willst“, sprach Niklas. Er glitt aus dem Sattel und rollte die Bügel des Springsattels hoch, dann lockerte er den Gurt für ein paar Löcher.
      „Eigentlich nicht“, murmelte ich ertappt und senkte leicht den Kopf. Im stillen Einverständnis folgte ich in den Stall, schrieb nebenbei meiner Schwester, dass ich später zu Hause sein würde.
      „Kein Problem. Bringst du für uns Bowles mit?“, schlug sie vor. Dem stimmte ich zu und steckte das Handy zurück.
      „Ich habe länger Zeit“, teilte ich Niklas mit.
      „Ach, wunderbar. Man sieht sich schließlich kaum noch“, grinste er. Beim Absatteln half ich. Der Hengst verschlang gierig den Inhalt seiner Schüssel, während sein Besitzer die Gamaschen von den Beinen löste. Ich hatte zeitgleich alle anderen Sachen in die Kammer geräumt.
      „Wie läuft es mit der Wohnungssuche?“
      So viel hatte ich noch mitgenommen, wusste bereits, dass er welche zur Auswahl besichtigte. Einzig die Ergebnisse daraus waren mir fremd.
      „Letzte Woche bin ich eingezogen“, berichtete er sogleich.
      „Fabelhaft. Und Lina? Traf sie mittlerweile eine Entscheidung?“ Niklas blickt hoch zu mir und rollte mit den Augen. Dann seufzte er.
      „Schwieriges Thema“, sprach er mit deutlicher Enttäuschung in der Stimme und drehte sich wieder zum Hinterbein. Nervös schlug der Hengst mit dem Schweif, aber trat nicht.
      „Es ist so: Sie möchte ungern in die Stadt und ich ertrage es nicht, jeden Tag zum Hof zu fahren. Der Weg von der Arbeit ist zwar nicht weit, aber die Einöde kann einen erschlagen“, fügte er hinzu. Aufmerksam folgte ich seinen Worten.
      „Verständlich, aber du musst bedenken, sie hat dort ihr Umfeld und wenn du arbeitest, würde sie sich langweilen“, versuchte ich, ihm eine andere Sichtweise nahezulegen. Seiner Reaktion nach hörte er es öfter.
      „Smoothie zieht zum Ersten wieder hierher, damit ich besser trainieren kann. Die ganzen Einsteller und neugierigen Blicke der Angestellten bieten mir kein optimales Erlebnis der Trainingsmöglichkeiten. Ich habe es so lang versucht, aber Smoothie war seit Jahren nicht mehr dermaßen unentspannt“, zweifelte er.
      Bino hatte aufgefressen und bekam eine Weidedecke umgelegt. In der Nacht sanken die Temperaturen noch immer auf Minusgrade. Wieder lief ich ihm nach. Obwohl ich die Situation nur schwer nachvollziehen konnte, hörte ich zu. Ich spürte, dass es ihm guttat. Je mehr aus Niklas heraussprudelte, umso ruhiger wurden die Worte.
      „Hast du Lust, dir die Wohnung anzuschauen?“, fragte er plötzlich auf dem Weg zu den Autos. Nach kurzem Überlegen stimmte ich zu. In meiner Brust klopfte es lauter und stärker, als ich gedacht hatte, ewig war es her, dass ich bei jemandem zu Hause war. Ich versuchte mir vorzustellen, wie wohl seine Einrichtung aussehen würde. Bestimmt hatte Niklas eine Innenarchitektin beauftragt, die in penibler Kleinstarbeit ihm auf den Zahn fühlte, um ihre Aufgabe zu meistern. Bei einer Sache war ich mir sicher: Die Wohnung war ordentlich und sauber, wenig Deko und keine persönlichen Gegenstände. Höchstens ein paar Pokale würden auf einem Regal an der Wand stehen und an der Wand Zertifikate.
      Ausgestiegen, fuhren wir mit einem Fahrstuhl aus der Tiefgarage direkt in seine Wohnung. Ich hatte mit allem recht. Seine Küche sah aus, als hätte er sie nie verwendet, obwohl ein Obstkorb dastand. Auf einer Anrichte stand ein Bild von seiner Schimmelstute, die anderen suchte man vergeblich.
      „Hier ist die Küche und nebenan direkt das Wohnzimmer“, führte mich Niklas durch einen langen Flur und zeigte nach links einen hellen Raum. Gegenüber war ein Badezimmer. Er zögerte kurz, bevor ich die Tür zu einem weiteren Zimmer öffnete, am Ende des Gangs.
      „Das Schlafzimmer“, murmelte er unbeholfen, „ich ziehe mir kurz etwas anderes an.“
      Niklas verschwand kurz und ich betrachtete für einen Moment die karge Dekoration im Flur. Dabei huschten meine Augen nur für einen Wimpernschlag zurück ins Schlafzimmer. Er stand dort, zog sich gerade das Shirt über den Kopf. Ein Geruch von Schweiß und Parfüm schwang in kleinen Wellen zu mir heran. In mir regte sich etwas, das ich für den ersten Moment nicht einzuordnen wusste. Schnell drehte ich mich weg, als er das Starren bemerkte.
      „Es ist okay“, lachte er und kam heraus, ohne sich etwas übergezogen zu haben.
      Auch ich musste schmunzeln. Hatte er anderes erwartet? Niklas zog immer und überall die Blicke auf sich, was natürlich auch belastend sein konnte, keine Frage.
      „Manchmal“, er setzte anzusprechen, aber schwieg. Als wären wir verbunden, hörte ich den Rest seiner Aussage im Kopf und sprach mit: „Musst du noch daran denken?“
      Zustimmend nickte Niklas, den Blick von mir abgewandt. Er wusste, meine Einstellung dazu, an der sich nichts ändern würde.
      „Oft fühle ich mich allein“, sprach er.
      „Jeder fühlt sich mal allein. Vollkommen normal“, versuchte ich ihn aufzumuntern, aber wie ein nasser Sack, ließ er sich auf der Couch fallen. Leise knackte das Holzgestell.
      „Ich wünschte, ich könnte glücklich sein mit dem, was ich habe“, Niklas rieb sich mit den Handflächen die Augen, „aber es funktioniert nicht. Der Reiz von damals fehlt.“
      „Reiz?“, fragte ich nach.
      „Dieses Kribbeln in den Fingern, das sich langsam im ganzen Körper ausbreitet und unnötige Gedanken abschaltet. Mir fehlen der Fokus und ich laufe blindlings in jedes Drama hinein“, erläuterte Niklas näher. Auch wenn mir nicht vorstellen konnte, welches Drama er meinte, legte ich ihm nette Worte ans Herz. Es gab nun mal schwierige Zeiten, die nur überwunden werden konnten, wenn der Stressor wegfällt.
      „Aber jetzt überlege doch mal genau. Bino ist schwer zu händeln, ja, aber du bist mit ihm auf Prüfungsniveau gesprungen. Beim Kauf war das undenkbar. Ich kann mir vorstellen, dass er durch dich so gestresst ist, weil du dich selbst unter immensen Stress setzt“, warf ich ein, nach dem Schweigen eingetroffen war.
      „Nicht ausgeschlossen“, sprach Niklas und legte den Kopf in den Nacken. Langsam fuhr er sich mit den Händen durchs Haar, dabei spannten mehrere Muskelpartien an. Ich wandte Blick hinaus zum Fenster. Das Apartment war höher gelegt, sodass man einen Blick auf die dämmernde Stadt hatte und das Meer sah. Autos fuhren mit grellen Lichtern durch die Straße.
      „Würdest du Form zweimal die Woche bewegen?“, schlug er plötzlich vor und richtete sich auf. Mein Blick drehte zu ihm. Die Hände waren in der Hüfte aufgestellt, als gäbe es einen Anlass für motivierende Worte seinerseits.
      „Kann ich tun, aber hast du Vriska gefragt? Sie kennt das Pferd doch“, wunderte ich mich.
      „Ach, die“, mit einer Handbewegung vermittelte er deutliche Abneigung, „hat anderes zu tun. Jedes Wochenende fährt sie mit dem Pack auf Renntage. Zudem bändelt sie mit Sebastian an.“
      Mir entglitten die Gesichtszüge. Natürlich hatte ich mitbekommen, dass sie häufiger mit zu diesen Trabrennen fuhr, aber alles andere kam wie eine Lawine. Das gesamte Gelände – auch unsere Stallanlage – gehörte den Göransson. Schon öfter gab es Verhandlungen zur Pachtauflösung, denn sie wollten ihre Stallanlagen zurück. Dass sich die Rennen überhaupt rentierten, wunderte mich, schließlich hatten sie vor einigen Jahren eine Insolvenz abwenden können. Zumindest erzählte man es sich so im Stallgeflüster. Obwohl ich die Familie und alle anderen, die dazu gehörte, nur oberflächlich kannte, verspürte man eine gegenseitige Abneigung. Das Prinzip Pferderennen war mir zuwider, so wunderte es mich stark, dass ich Vriska dem annahm. Nun, sie arbeitete auf einem Gestüt, das Traber züchtete, doch aus ihren Erzählungen wurden rennunfähige Tiere, wie jedes andere Pferd auch, ausgebildet und verkauft. Mit dem Gedanken, dass sie sich einen deutlichen älteren Kerl anlachte, der Pferde rein zum Profit über die Bahn hetzte, konnte ich mich ebenfalls nicht anfreunden.
      „Und keiner sagt etwas dazu?“, sprach ich abfällig und schüttelte den Kopf.
      „Keine Ahnung, aber meinetwegen soll sie wieder in das Loch fallen, aus dem sie gerade herausgestiegen war“, äußerte Niklas, „selbst bei Nelly kann ich bis heute nicht verstehen, wieso sie schon so lang mit dem zusammen ist.“
      „Warte, Sebastian hat schon eine Freundin und trotzdem …“, mein Gegenüber ließ mich nicht aussprechen.
      „Genau und das hat Nelly nicht verdient“, seufzte er.
      „Verstehe, aber dann ist es doch einigermaßen gut so wie es sich entwickelt“, dachte laut nach und er stimmte nickend zu.
      „Woher kennst du sie überhaupt?“
      Niklas holte weit aus, erzählte von seiner ersten Beziehung und ließ dabei keine Details aus. So wusste ich binnen Minuten, wie er mit ihr zusammenkam. Dabei schwang ein Hauch von Wehmut mit, ein Gefühl davon, dass es ihn immer noch schmerzte, darüber zu sprechen. Freundschaftlich klopfte ich ihm auf die Schulter, bis zu dem Punkt kamen, dass seine Exfreundin sie damals einander vorstellte. Es ist nie etwas gelaufen, versicherte er und ich glaubte ihm das. In dem Atemzug lernte er auch Sebastian kennen, der wohl wenig gesprächig war, keine Gemeinsamkeiten aufwies außer dem Interesse an Trabern. Nur konnte Niklas nie etwas mit dem Sport anfangen und ritt die meisten Pferde der Familie nebenbei, schließlich war zu dem Zeitpunkt bereits hoch in der Vielseitigkeit und Dressur angesehen.
      Die Abneigung gipfelte wohl darin, dass versucht wurde Gelder zu unterschlagen und Training anders als abgesprochen durchzuführen. Inwieweit diese Aussagen stimmten, konnte natürlich nicht prüfen. Stattdessen hörte ich zu.
      „Ich hoffte, dass ich den loswerde“, erklärte er und seufzte.
      „Es muss ein Schock gewesen sein“, stellte ich fest. Niklas stimmte nickend zu.
      „Erst nimmt er Nelly aus wie eine Weihnachtsgans und versucht er bei Vriska dasselbe“, redete er sich in Rage.
      „Wir wissen nichts, also wäre es falsch, ihm etwas zu unterstellen“, versuchte ihn zu beruhigen aber traf auf Widerstand.
      „Ich würde mich nicht wundern, wenn auch der andere Kerl Ähnliches plant.“ Seine Behauptungen wurden immer wilder, dass mir zunehmend die Worte fehlten. Deutlich spürte ich, dass all der Hass aus der allgemeinen Unzufriedenheit herauskamen und der innerliche Kampf um Kontrolle seinen Beitrag leistete. Niklas brauchte Hilfe, ob ich diese sein würde, unvorstellbar.
      „Möchtest du mit zu mir kommen? Dann können wir mit meiner Schwester etwas essen und du kannst dich ablenken“, schlug ich vor.
      „Warum nicht“, stimmte er zu und zog sich endlich etwas über. Zumindest hielt ich mich mit meinen Worten zurück, denn auch mir herrschte eine Zerrissenheit. Ich war vernünftig genug, die Situation zu überblicken, aber dennoch ein gewisses körperliches Verlangen zu verspüren. Mein Herz rutschte mir in die Hose, nicht unüblich in seiner Nähe.


      © Mohikanerin, Wolfszeit // 42.368 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte April 2021}
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    stall.
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    6 Apr. 2023
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  • Mola ist 4 Jahre alt.

    Aktueller Standort: Lindö Dalen Stuteri, Lindö [SWE]
    Unterbringung: Stutenpaddock


    –––––––––––––– s t a m t a v l a

    Aus: Fly me to the Moon (DK) [Standardbred]
    MMM: Unbekannt ––––– MM: Unbekannt ––––– MMV: Unbekannt
    MVM: Unbekannt ––––– MV: Unbekannt ––––– MVV: Unbekannt


    Von: Wunderkind (DE) [Standardbred]
    VMM: Unbekannt ––––– VM: Unbekannt ––––– VMV: Unbekannt
    VVM: Unbekannt ––––– VV: Unbekannt ––––– VVV: Unbekannt



    –––––––––––––– h ä s t u p p g i f t e r

    Zuchtname: Mondlandung LDS
    Rufname: Mola
    Farbe: (Sooty) Buckskin Schecke
    [Ee Aat nCr nSty nW?]
    Geschlecht: Stute
    Geburtsdatum: Juli 2017
    Rasse: Standardbred [STB]
    Stockmaß: 164 cm

    Charakter:
    neugierig, frech, aufmüpfig, regelbar, temperamentvoll

    Mola erstaunte bei ihrer Geburt alle. Ihre Scheckung wirkte ungewöhnlich
    und als die Testergebnisse des Musters da waren, folgte der nächste Schock.
    Sie ist auf alle Scheckungen negativ getestet und zeigt sich als erstes
    Fohlen dieser Art ihres Vaters.

    * Mola läuft derzeit keine Trabrennen


    –––––––––––––– t ä v l i n g s r e s u l t a t

    [​IMG] [​IMG]

    Dressur A [L] – Rennen (S) ['S] – Gangreiten E [L]

    April 2023 Balance und Takt, Dressur E zu A
    Juni 2023 Renntag, Rennen A zu L
    Juli 2023 Höher, Schneller, Weiter, Rennen L zu M
    September 2023 Intervalle im Fokus, Rennen M zu S

    Ebene: National

    Oktober 2023
    SW 564


    –––––––––––––– a v e l

    [​IMG]

    Gekört durch x im x 20x.

    Zugelassen für: Traber aller Art; Speed Racking Horse
    Bedingung: Rennen mind. S
    DMRT3: AA [Fünfgänger]
    Lebensrekord: -
    Leihgebür: Nicht gekört / Preis [Verleih auf Anfrage]

    Fohlenschau: 0,00
    Materialprüfung: 0,00

    Körung
    Exterieur: 0,00
    Gesamt: 0,00

    Gangpferd: 0,00


    –––––––––––––– a v k o m m e r

    Mondlandung LDS hat 0 Nachkommen.
    • 20xx Name (von: Name)


    –––––––––––––– h ä l s a

    Gesamteindruck: gesund, im Aufbautraining
    Krankheiten: keine
    Beschlag: Barhufer


    –––––––––––––– s o n s t i g e s

    Eigentümer: Lindö Dalen Stuteri [100%]
    Pfleger: Lina Valo
    Trainer: -
    Fahrer: -
    Züchter: Lindö Dalen Stuteri, Lindö [SWE], Tyrell Earle
    [geb. in Deutschland]
    VKR / Ersteller: Mohikanerin

    Punkte: 7

    Abstammung [2] – Trainingsberichte [4] – Schleifen [1] – RS-Schleifen [0] – TA [0] – HS [0] – Zubehör [0]

    Spind – HintergrundFohlen

    Mondlandung LDS existiert seit dem 20. November 2021.
    Sie wurde Großgemalt am 06. April 2022.