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Mohikanerin

May Bee Happy [8/20]

May Bee Happy [8/20]
Mohikanerin, 22 Sep. 2021
Friese, Sosox3, Stelli und 3 anderen gefällt das.
    • Mohikanerin
      Dressur E zu A | September 2021

      Henade // May Bee Happy // Hending

      Wie im jeden Jahr begann ich bereits nach der Auktion die nächste zu planen. Viele Besucher kamen jährlich zu uns und erkundigten sich regelmäßig, ob wir neue Tiere da hätten. Dennoch versuchten wir unsere Rettungsaktionen kleinzuhalten und vor allem in einem gesunden Maße. Wir sahen uns nicht als die Retter, die kranke Pferde vor der Schlachtung retteten, sondern viel mehr, noch hoffnungsvollen Tieren eine zweite Chance zu geben.
      In der vergangenen Woche kam der Transporter aus Ostdeutschland mit mehr als zwanzig Tieren, die wir für die Auktion am Ende des Jahres vorbereiten wollten. Ich hatte es sogar geschafft einzurichten, dass Bieter über das Internet mitmachen konnten. Mit stolzer Brust lief ich durch den eigens eingerichteten Stalltrakt und betrachtete die teilweise ruhigen Tier in ihren Boxen. Viele von ihren waren in einem schlechten Zustand, so auch Hending. Die zehnjährige Stute hatte vollkommen verfilzte Mähne und rollte bei jedem Schritt. Schuld daran war nicht nur das deutliche Übergewicht, sondern auch die ziemlich kurzen Beine und die fehlende Motivation sich auf der Weide zu bewegen. Doch ehrlich gesagt, würde es auch mir schwerfallen etwas, mit derartig vielem Fettgewebe auf den Rippen, zu tun. Etwas weiter stand Happy, ein Deutsches Sportpferd, dass in meinen Augen keinen Grund hatte beim Schlachter zu sein. Der Hengst hatte weder Auffälligkeiten bei der tierärztlichen Untersuchung noch rein optisch. Ja, am Körper trug er einige Verletzungen, die jedoch auf Tritte von anderen Tieren zurückzuführen sind, aber sonst gab es keine Anzeichen. Über seine Abstammung fand ich heraus, dass er ziemlich vielversprechend beim Springreiten sein könnte, aber auch in der Dressur seinen Weg finden könnten. Und zu guter Letzt konnte man auch Henade, liebevoll Hanni genannt, von meiner neunjährigen Tochter, die schon durch ihre Fellfarbe ein Hingucker im Stall war. Auf ihrem reinweißen Fell thronten braune Tupfer und Flecken, dazu treue Augen und helle Wimpern. Besonders sie wurde zum Liebling auf dem ganzen Hof.
      Femke, meine Tochter, schnappte sich am Morgen direkt Hanni und sattelte sie, während ich mich Happy widmete, der vor Energie strotzte und in der Nacht beinah die Box auseinander nahm. Seine Ohren zuckten aufmerksam, als ich mich langsam nährte und zur Begrüßung meine Hand hinhielt. Neugierig beschnupperte er sie, beobachtete jeden meiner Schritte und hielt nicht viel davon, sich den Strick am Halfter befestigen zu lassen. Sanftmütig sprach ich auf ihn ein, ermutigte Happy dazu, von selbst zu kommen und sich öffnete. Die Zeit verging und Femke verschwand bereits mit der gesattelten Stute Richtung Halle, doch ich stand an der Boxentür und beobachtete den nervösen Hengst. Nervös war der falsche Ausdruck für ihn. Er interessierte sich nur kurz für mich und drehte sich dann mit seinem Kopf in die linke Ecke.
      „Zu dir kommt er also auch nicht?“, lachte Noah, einer unserer Mitarbeiter. Er war hauptsächlich für handwerkliche Arbeiten am Hof zuständig, aber brachte häufig die Pferde am Morgen hinaus auf die Weide.
      „Nein, leider vertraut er niemanden“, sagte ich und hoffte doch noch eine Reaktion von dem Fuchs zu erhaschen, doch seine großen Ohren hingen regungslos zur Seite und er starte zum Holz.
      „Morgen vielleicht noch mal?“, schlug Noah vor.
      Ich nickte.
      Somit nahm ich mit als Nächstes unseren zu klein geratenen Tinker vor, der auf keinen Fall die prächtige Mähne verlieren sollte. Auf einige Zentimeter könnte Hena verzichten, aber mehr wollte ich hier nehmen. Sie kam direkt freundlich vor zur Box und folgte mir am Strick in die Gasse. Zuerst holte ich einen Eimer mit Wasser, um erst mal alles gründlich einzuweichen und elastischer zu machen. Schon nach den ersten Versuchen mit einer Bürste wurden die Knoten kleiner und einige Strähnen schafften es heraus. Zwischen den einwandfreien Dreadlocks fand ich viele kleine vertrocknete Kletten und anderes aus der Natur. Im trocknen Zustand wurden es immer mehr befreite Strähnen.
      „Maaaaaaama“, hörte ich meine Tochter durch die Gasse schreien.
      „Was ist denn los?“, machte ich meinen Hals lang und suchte den Blickkontakt zu Femke.
      „Ich konnte Hanni heute aus dem Schritt angaloppierten“, erzählte sie stolz von der heutigen Dressurstunde.
      „Hervorragend“, murmelte ich und fummelte an der Mähne weiter. Munter plapperte sie weiter über das getupfte Pferd. Ich spürte bereits jetzt, dass es nicht leicht werden würde, wenn jemand die zuverlässige Stute kaufen würde. Femke würde mir noch Wochen danach in den Ohren hängen, dass sie Hanni unbedingt haben wollten würde. Sie besaß aber bereits zwei Pferde, zwei Welsh Partbred Wallache, die aktiv in der Dressur und im Springen liefen. Monatlich gab ich ein Haufen Geld aus, um sie und ihre Ponys vorzubereiten.
      „Kaum zu glauben, dass dieses Pferd wieder ansehnlich ist“, kam Noah durch den Stall und bewunderte die Hendings Mähne. Ich hatte gerade einige Zöpfe gemacht, damit ich mir diese Arbeit kein zweites Mal machen müsste. Für heute ertrugen wir alle genug und ich entschied für den Tag Feierabend zu machen.
      Woche um Woche verging, in denen ich mich immer weiter dem Fuchs Hengst nähren durfte, bis er eines Tages, von selbst, einige Schritte auf mich zu machte und mich mit seiner Oberlippe am Bein berührte. Ich versuchte meine Freude kleinzuhalten, um ihn nicht noch mehr einzuschüchtern. Stattdessen legte ich meine Hand auf seinen Nasenrücken. Happy zuckte zurück, aber schnaubte dann ab. Für einen Augenblick drang ich zu ihm durch, bis er wieder zurückwich und seine Ecke bewunderte. Immerhin einen kleinen Erfolg verzeichneten wir.
      Hena holte ich vom Paddock herunter, auf dem sie mit zwei Welsh Stuten stand und Hanni. Die Palomino Stute kam freundlich zum Zaun gelaufen und zupfte an meinem Shirt herum. Ich führte sie hinunter. Reiten konnte ich den Zwerg nicht mit meinen eins zweiundsiebzig, aber auch seinen Sattel für sie zu finden, gestaltete sich, als schwieriger als wir vermuteten. Deswegen startete heute die erste Einheit an der Hand, nach dem sie vorher nur die Führanlage kennenlernen durfte. In meiner Vorstellung hatte die Fellkugel bereits einige an Pfunde verloren, aber ohne eine Waage war es schwer zu beurteilen.
      Im Schritt longierte ich die Stute viele Minuten und auch im Arbeitstrab. Auch, wenn Trab ziemlich weit gegriffen war. Hena musste für jeden einzelnen Tritt getrieben werden mit einem hohen Maß an Energie. Das Knallen der Peitsche verursachte nicht einmal ein Zucken ihrer Ohren, oder gar einem Augenzwinkern. Stur lief sie gefolgt an der Longe, zerrte daran, um die Biegung zu vergrößern. Mit ihr könnte es noch schwieriger werden.
      Hanni hatte heute Pause, denn die letzten zwei Tage hatte ich das Dressurtraining mit der Freiberger Stute fortgesetzt. Die Durchlässigkeit wurde besser. Ihre Tritte setzten zunehmend mehr unter und sie verstand in der Volte die Hinterbeine auf der Linie zu behalten, ohne zur Seite wegzutreten. Am rechten Schenkel bog sich Hanni besser und bekam die Idee sich zu lösen. Viele Verspannungen saßen in ihrer Schulter und dem Rippenbogen, die demnächst ein Osteopath anschauen möchte. Auch für Happy sollte er kommen, den noch immer kam er keinen Schritt heraus aus der Box. Mittlerweile tat der Hengst mir leid. Seit seiner Ankunft hatte er nur bedingt Tageslicht gesehen, denn auf Druck reagierte er mit Gegenwehr. Er trat gezielt nach dem Menschen.
      Das Pummelchen hatte wirklich Gewicht verloren, ganze fünfzig Kilogramm hatte Hending auf der Strecke gelassen und sogar mehr als eine Runde im Trab durchgezogen auf dem Zirkel. Femke saß bereits auf ihr, auch wenn es viel mehr nach einem Sandsack aussah, denn jegliche Bemühungen eine Hilfe auszuführen, ließ die Stute kalt. Noch immer stur lief sie voraus und zog an der Longe. Das einzige Pferd der drei, das wirklich ersichtliche Fortschritte machte, war Henade. Obwohl die Seitengänge eine fortgeschrittene Lektion darstellten und einen gewissen Grad der Versammlung benötigten, half es der Stute sich mehr zu stellen, Verspannungen zu lösen und mehr Schwung in die Arbeit zu haben. Die Stute war motivierte und mochte es zu gefallen, umso mehr Spaß brachte mit ihr in der Halle zu sein, sofern kein anderes Pferd dort war. Sonst legte sie ihre Ohren, schlug nervös mit dem Schweif und trat auch gern mal nach dem anderen Tier. Zur Vorbereitung arbeiteten wir am Schultervor, um die Koordination zu fördern. Ihre Durchlässigkeit wurde zuverlässiger und auch das Problem, dass sie ihren Kopf durch Genick warf, verbesserte sich. Allerdings fiel Hanni noch auf mehr als vier Schritten über die äußere Schulter heraus oder wurde zu eilig.
      Happy blieb unser Problemkind. Ich hatte eine Bindung zu ihm aufbauen dürfen, somit konnte er für einige Stunden auf die Weide und stand ansonsten auf einem einzelnen Paddock neben den Jungpferden. Seine Beine schlotterten und die Muskeln am ganzen Körper zitterten. Aktuell standen noch Tests aus, ob es Shivering sein könnte, aber bisher hoffte ich das Beste. Über Quellen im Internet fand ich sogar heraus, dass der Hengst schon auf M-Klasse gesprungen wurde, ziemlich erfolgreich, und auch die eine oder andere L-Dressur. Dort wehrte er sich stets gegen seinen Reiter, wirkte sehr unzufrieden. Die Videos auf dem Abreiteplatz eröffneten mir weitere schlimme Bilder. Am Schlaufenzügel wurde Happy eng geführt in der Versammlung im Trab. Erst im nächsten Augenblick wurde mir klar, dass einen sechsjährigen in der M zu springen, nicht so gut für die Gelenke war. Vermutlich erklärte alles das sein Verhalten.
      Hending war nach drei Monaten so weit an der Hand zuverlässig zu arbeiten, natürlich musste man noch immer viel Energie in die einzelnen Lektionen stecken, aber die Durchlässigkeit wurde angenehmer. Schwung hatte sie überhaupt keinen, aber darauf legte ich auch noch kein Wert. Stattdessen versuchte ich die Stute weiterhin in der Losgelassenheit zu fördern und tagtäglich machten wir kleine Fortschritte. Zufrieden blickte ich am Abend vom Schlafzimmer aus über das ganze Gestüt und war stolz darauf wieder so viele wundervolle Pferde für den Herbst vorzubereiten.

      © Mohikanerin // Carola Ampft // 10.132 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Frühling 2020}
    • Mohikanerin
      Dressur A zu L | 28. Februar 2022

      May Bee Happy // Henade // Tasmania

      Bis zur Auktion würden noch Zeit ins Lad gehen, doch Happy zeigte weiterhin als Wrack. Weit davon entfernt, was seine bisherige Karriere über ihn aussagte. Mit einer starken Narkose sorgten wir dafür, dass der Fuchs niemanden mehr in der Box treten würde und brachten ihn auf den Paddock heraus. Von da an stand er mit einer dicken Decke bei jeder Witterung draußen, auch als es langsam kühler wurde. Ich versuchte alles, um dem Hengst zu zeigen, dass er mir vertrauen konnte. Doch, er es schien, als wollte er es nicht. Unglaublicherweise gab es diesen einen Tag, aber ich beginne am Anfang.
      Femke hatte am Vormittag die erste Einheit auf Hanni, dir mittlerweile immer besser auf den Schenkel reagierte und an den Zügel herantrat. Ihre Tragkraft der schweren Stute war unermesslich, wodurch wir mit dem Schwung begannen. Zu Beginn arbeitete ich meistens mit dem Freiberger an der Hand, bevor sich meine Tochter in den Sattel setzte und mit punktgenauen Übergängen vorsetzte. Je mehr Energie in die Bewegung kam, umso besser setzte das Pferd die Idee vom Schwung um. Parallel arbeiteten wir an der Versammlung, die auch ihren Teil dazu beitrugen, mehr Aktion zu bekommen. Zur selben Zeit kam ein Berittpferd aus Kanada, Tasmania. Die Stute würde nur für weitere Umschulung bei uns sein.
      Noah brachte wie jeden Morgen die Pferde hinaus auf den Paddock, doch schlug einen anderen Weg ein. Normalerweise wurden alle Tiere durch den Haupteingang über den gepflasterten Weg auf ihren Freigang gebracht. Aber im Herbst, besonders so nah an der Küste, gab es Frost. Vor dem Stall hatte nach dem tagelangen Regen eine Pfütze gebildet, die zu einem großen Eisfeld verwandelte — unmöglich für die Pferde. Deswegen öffneten wir den Nebeneingang, der bei Happy entlang führte. Kaum erblickte der große Fuchs Noah, drehte er ihm den Po zu, schlug abgeneigt mit dem Schweif und legte die Ohren ins Genick. Kam ein Pferd ihm zu nah, schnappe dieser. Nur bei einem der Tiere schien Happy wie ausgewechselt. Ich hatte Hending am Halfter, die mit aufmerksamem Blick mir nach trabte und auch der Größe geschuldet, wie ein Hund daher ging. Kaum bemerkte er das Pony, kam er näher an den Zaun, streckte den Hals mit aufgestellten Ohren hinüber. Leise brummte der Hengst, wodurch auch Hending sich zu ihm streckte und Kontakt aufnahm. Es wirkte so als hätten wir das erste Pferd gefunden, dass er nicht umgehend verscheuchte. Ich versuchte verschiedenes aus, so folgte der Hengst dem Zaun so lange, wie das Pony neben ihm war und begriff nicht einmal, dass ich seinen Hals berührte. Darauf bauten wir in den nächsten Wochen auf. Innerhalb kürzester Zeit konnten wir Happy führen, putzen und satteln, sofern Hending bei ihm war. Auch longieren in der Halle funktionierte.
      Parallel zu Henade in der Halle, die meine Tochter noch immer als “das beste Pferd der Welt” deklarierte, schulte ich Tasmania um, die schnell den Weg vom Anfänger-Niveau zur leichten Klasse schaffte. Ihr fehlte es an Selbsthaltung, wie es in der Dressur gefordert war und streckte stattdessen unaufgefordert den Kopf zum Boden. Die halben Paraden verwirrten sie, aber langsam bekamen wir es in den Griff. Zur selben Zeit kam auch in kleinen Schritten der Hengst aus seiner Bubble heraus, sodass ich Noah, der normalerweise nicht auf Pferden saß, durch die Halle führte. Natürlich mit Hending im Schlepptau.

      © Mohikanerin // Carola Ampft // 3360 Zeichen
      zeitliche Einordnung {August 2020}
    • Mohikanerin
      Pflegetag | 21. März 2022

      Hending // May Bee Happy // Henade

      Im Angesichts der kommenden Gäste rückte die Vorbereitung näher. Die Zimmer waren größtenteils einzugsbereit, aber meine Tochter hatte Ferien, wodurch für sie die Reinigung des gesamten Zubehör anstand. Ich hatte am Morgen die Pferde Hending und Henade zur Weide gebracht, nur Happy musste auf seinem Paddock bleiben. Das Training mit ihm lief aktuell wieder rückständig. Hengsti parkte, verweigerte und biss, auch, wenn seine neue Freundin dabei war. Es gab wohl Ärger im Paradies. Mit meiner Tochter konnte ich klären, dass Hanni nicht bleiben konnte. Der eine und andere Abend brachten Diskussionen aus, aber die Situation beruhigte sich. Am Telefon hatte mir Tyrell schon mitgeteilt, wer vorbeikommen würde und wir alle freuten uns bereits auf den Besuch.

      © Mohikanerin // Carola Ampft // 760 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Oktober 2020}
    • Mohikanerin
      Dressur L zu M | 14. April 2022

      Henade / May Bee Happy / Delorya / BOS Gracy

      “Der muss wirklich einen Liebhaber finden”, überlegte ich laut vor Happys Box.
      “Oder Deckhengst werden, seine Leistungen waren bisher ziemlich gut und die Abstammung ist auch ziemlich cool”, sagte Michael, mein Mann. Man fand ihn nur noch selten in den Ställen. Meistens war er mit dem Nachwuchs auf Turnieren unterwegs und gab Unterricht in der Reithalle.
      “Er tut mir schon leid.” Ich nahm das Halfter von Haken und sofort drehte sich der Hengst wieder weg. Zuvor hatte er am Heu gezupft, das vor uns lag. “Mir gehen auch langsam die Ideen aus.”
      “Kann ich verstehen”, stimmte er mir zu und legte den Arm um meine Schulter, “aber das kommt vor, schließlich war er nicht grundlos beim Schlachter.”
      “Das stimmt. Schau doch nur Henade an, die ist tadellos”, sagte ich. Unsere Tochter sattelte mal wieder die hübsche Stute, die geduldig in den Stricken hing und beinah einschlief.
      “Ich werde dann Gracy fertig machen”, wechselte Michael das Thema.
      “Ach schön, die hellbraune Berittstute? Die läuft so schön”; schwärmte ich. Er nickte.
      Happy hatte sich wieder dem Heu gewidmet. Nachdem der Fuchshengst das Interesse an der Mini-Tinkerstute nicht mehr so offen bekundet hatte, fanden wir keinen Weg, ihn in die Reithalle zu führen, oder auf den Platz. Im Raum stand noch das Gelände, aber niemand zeigte sich irre genug, um das mit ihm zu bestreiten.
      “Mama, kommst du?”, sagte Femke. Ich nickte und lief vor zum Reitplatz. Nach dem Regen vor Wochen war alles gut abgetrocknet und da mein Mann ohnehin die Halle besetzte, wollte ich dort nicht stören.
      Schwerfällig setzte sich die Freiberger Stute in Bewegung, noch immer Müde von dem gestrigen Training. Ich saß ausnahmsweise mal auf ihr, hatte die fliegenden Galoppwechsel etwas besser ausgebaut, am Schenkel und an den Seitengängen gefeilt. Für ein schweres Warmblut zeigte sich Henade als sehr geschickt im Umgang mit ihren Beinen. Je länger man mit ihr arbeitete, umso mehr Schwung kam und die Hufe setzten leichtfüßig in den Sand. So auch heute. Runde für Runde wurde Hanni wacher, konzentrierte sich auf die Hilfen meiner Tochter. Zwischendurch kämpfte sich die Sonne durch die dicke Wolkenfront und dabei glitzerte das Stirnband so schön. Ich stand am Zaun, korrigierte ihren Sitz und erklärte mehrmals die Hilfen am Bein für die Seitengänge. Femke selbst war noch nicht so weit, aber mit meiner Vorarbeit schaffte sie es, die ersten Abfolgen einer mittleren Dressur zu reiten. Absatteln und auf den Paddock bringen, schaffte meine Tochter allein. Wieder stand ich ratlos vor Happys Box.
      “Der macht dir aber wirklich zu schaffen”, kam Noah dazu, der gerade mit Ray, einem Oldenburger Hengst, aus der Halle kam. Er hatte wohl mit Michael zusammen die Seitengänge trainiert. Die ungestüme Art des Braunen sorgte dafür, dass er nicht immer ganz bei der Sache war, imponierte den Stuten und zickte andere Hengste an.
      “Ja, er ist ein Häufchen Elend”, seufzte ich.
      “Du lässt das viel zu sehr an dich heran. Es ist ein Pferd und kein Kind”, sagte er trocken, womit er recht hatte. Happy löste in mir so etwas wie einen weiteren Kinderwunsch aus. Mit Michael hatte ich es noch einige Male versucht ein Geschwisterchen für Femke zu bekommen, aber die Ärzte waren ratlos. Aus medizinischer Sicht kam es keine Gründe dafür.
      “Dann willst du ihn vielleicht mal in der Halle arbeiten?”, schlug ich vor.
      “Ungern, der mag Männer noch weniger”, erklärte Noah. Auch das hatte ich schon bemerkt.
      “Und was ist, wenn ich das mache?”, kam Femke dazu. Hanni stand wieder auf ihrem Paddock bei Hending.
      “Auf keinen Fall”, erboste ich mich. “Es ist lieb gemeint, aber das ist zu gefährlich.”
      Noch einige Zeit diskutierten wir, was mit dem Hengst geschehen sollte, bis Noah auf die Idee kam, einfach zu warten, bis die Mädels aus Schweden kamen. Eine von ihnen sollte bestimmt in der Lage sein, das Tier zwischen den richtigen Verkaufspferden zu reiten.
      Am Abendtisch kam das Thema erneut auf. Michael berichtete, wie gut die beiden Oldenburger im Training waren. Zuversichtlich wirkte er, dass sie bis zum Ende des Monats die erste schwere M-Dressur laufen konnten, die er ohnehin mit einer anderen Reitschülerin anfahren wollte.
      “Darf ich auch mit?”, fragte Femke mit funkelnden Augen.

      © Mohikanerin // Carola Ampft // 4228 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Oktober 2020}
    • Mohikanerin
      Dressur M zu S | 19. Juni 2022

      Astronaut in the Ocean (Rennen A zu L) / Sturmglokke LDS (Rennen A zu L) / May Bee Happy (Dressur M zu S)

      „Warst du mit Astro schon draußen?“, rief ich in die Gemeinschaftsküche, als ich aus dem Büro kam. Papa saß dort über einer Zeitung und traf den morgendlichen Kaffee. Es war erst kurz vor sieben Uhr, kaum einer wuselte über den Hof.
      „Nein, kannst du gern machen“, antwortete dieser hörbar abwesend, „hat Vriska gefüttert?“
      „Ich habe nicht nachgeschaut, aber ich denke ja“, gab ich zu. Er nimmt vorsichtig an der dampfenden Tasse.
      „Dann schau bitte“, mahnte Papa.
      Ich stimmte zu und zischte die Treppe hinunter. Zunächst lief ich die Außengasse entlang, in der sich das Heu staute. Die Hengste fraßen entspannt, während einige Wallache spielten.
      Zur Abwechslung kam heute die Sonne zwischen den dicken Wolken hindurch und beinah tanzend trampelte ich durch den Stall. Interessiert streckten einige Pferde ihren Kopf heraus, nur Astro zeigte sich wenig engagiert für das Training. Er spitzte zwar die Ohren, als ich in Box hineintrat, aber konnte sich nicht vom Heu in der Raufe lösen. Ich legte meine Hand um seinen Kopf und drehte ihn davon weg, um, mit dem nächsten Griff, das Halfter über die Ohren zu ziehen. Gelangweilt folgte er mir heraus, während Dustin ihm nachblickte. Sturmi, der danach an der Reihe war, wieherte dem hellen Hengst nach, als dieser in der Putzbucht verschwand. Ansonsten war es ruhig im Stall, keine Einsteller und auch keins der Mädels wuselte an mir vorbei, einzig Dog kam von seinem Platz in der Stallgasse zu mir angelaufen.
      „Na, bist du auch wach“, tätschelte seinen Hals, bevor ich Astronaut putzte. Schon nach dem ersten Striegelstrich verteilten sich an meiner dunklen Fleecejacke überall helle Härchen des Hengstes, die durch Abklopfen, sich nicht mehr lösen wollten. Kaum hatte ich das Pferd sauber, gab es keinen Unterschied mehr zwischen uns beiden. In der Sattelkammer holte ich sein Gurt und zog mir eine andere Jacke an, die mit ihrer glatten Oberfläche nicht nur leichter zu reinigen war, sondern auch weniger anfällig für Pferdehaare.
      „Guten Morgen“, grinste mich Vriska an, die gerade Happy durch die Gasse führte. Der Fuchs hielt bereits nach wenigen Metern an, als er seine Stute aus den Augen verlor. Doch die kleine Blonde trieb ihn mit ruhiger Stimme weiter.
      „Du bist aber schon früh auf den Beinen. Alles gut?“, lachte ich.
      „Das übliche“, erwiderte sie, ohne den Blick von ihrem Pferd zu lösen, der es beinah perfektioniert hatte, einzuparken.
      „Kommst du jetzt öfter zu mir ins Zimmer?“, auf meinen Lippen formte sich ein spitzes Lächeln. Seit Tagen schlief sie auf der Couch und hatte von selbst gestern entschieden, sich zu mir zu legen. Zwischen uns schwebte eine seltsame Energie, einerseits zogen wir einander an, aber wenn Funken flogen, stoppte einer. Meistens legte sie die Bremse ein.
      „Reicht dir Marlene nicht?“, fragte sie distanziert.
      „Wieso eine, wenn ich zwei haben könnte?“, piesackte ich weiter.
      „Lars, es reicht. Du hast selbst gesagt, dass du nicht mit Arbeitskolleginnen intim werden willst“, zischte Vriska, dann drehte sie ihren Hengst. Folgsam lief er nach und stellte sofort die Ohren auf, als Hending ans Gitter trat.
      Tatsächlich hatte sie recht. Ich hatte aus weiser Voraussicht einmal entschieden, Arbeitskollegen als diese anzusehen, aber mit ihr war es anderes. Vriska konnte distanziert sein, beinah ignorant, aber gleichzeitig professionell. Ebenso gab sie sich fürsorglich und einfühlsam, wenn man allein war, vermittelte mir das Gefühl, gebraucht zu werden. So schmerzte es, dass sie mich abwies und vermeintliche Gefühle für jemand anderes hegte, den ich nicht leiden konnte. Zudem bildete sich ein Bild, dass nicht der Realität entsprach. Vriska weinte manchmal und schloss sich im Bad ein, schmerzlich mit anzusehen, dass sie ihr Geheimnis zu hüten versuchte. So auch an diesem Morgen, nur dass die Ausgangslage eine andere war. Es sollte mich nichts angehen, ich wollte sie nicht bevormunden, aber in mir brodelte es.
      Astronaut spürte meine Zweifel und stupste mir mehrmals von Seite an, als würde er mich erinnern wollen, was auf dem Plan stand. Ich legte ihm die Trense um und setzte mein Helm auf. Dann spannte ich den Sulky an den Gurt und führte ihn durch das kleine Tor heraus, denn Vriska diskutierte im Gang mit ihrem Fuchs. Kaum bogen wir zum Hauptweg ab, sprang ich in den Sitz und lenkte Astro zur Trainingsbahn. Seine Ausdauer hatte sich in den Wochen verbessert, deshalb erhielt er das erste Tempofahren dieser Woche. Eine Weile fuhren wir im Schritt und trabten schließlich an. Die Einheit durchzog sich mit zwei Phasen, einer kurzen im langsamen Tempo und eine lange in hoher Geschwindigkeit. Danach gab es eine Pause im Schritt, bevor ich wieder zulegte. Der Hengst hielt seine Balance und konnte ohne einen Galoppsprung durch den Sand ziehen.
      Im Training vergaß ich meine Zweifel, die erst auf dem Rückweg in den Vordergrund rückten. Erschöpft stolperte der Hengst durch den Sand und ich versuchte mich zu sammeln. Jederzeit gab ich mich ihr hin, selbst, als ich von meinem Date zu später Stunde die Hütte betrat. Sie warf sich mir plötzlich an den Hals, voller Lust und lüsternen Augen. Im Bett weinte Vriska dann und Stunden vergingen, bevor sie sich beruhigt hatte. Es war Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen und als Freund für sie dazu sein, nicht als temporärer Liebhaber.
      Seufzend stieg ich ab und im Handumdrehen konnte der helle Hengst wieder in seine Box, um auch seine erste Ration Hafer des Tages zu genießen. Aus der Reitbahn ertönte ein rhythmisches Brummen, das sich später als Geräusch des Fuchs im Trab herausstellte. Vriska ritt das störrische Tier leichtfertig durch den Sand, als hätte sie nie etwas anderes getan. Ganz anderes erstrahlte sie auf ihm, wenn ich an die unbeholfenen Stunden mit Osvo zurückdachte. Ihr Blick wich von der Schulter zu den Ohren, als würde sie versuchen etwas zu finden, dass nicht da war. Happy störte das alles nicht. Er trabte genau am Schenkel auf dem Zirkel, bis die Hilfe wechselte, um die Richtung zu ändern. Darauf folgte der Galopp, ebenso leichtfüßig und gefedert wie der Trab. Noch immer konnte ich es nicht wahrhaben, dass dieser Fuchs, der Teufel in Person sein sollte. Selbst in den anspruchsvollen Seitengängen trat er sicher durch und locker im Genick, dass Vriska kaum Einwirkung am Zügel benötigte. Einzig den Schenkel setzte sie energisch ein, um ihm im Rippenbogen zu biegen.
      „Das ist er also in Bewegung“, stellte ich mit Begeisterung fest, als sie ihn in den Schritt abbremste und sich die Zügel aus der Hand kauen ließ. Sie zuckte zusammen bei meinen Worten, wodurch auch Happy einen kleinen Sprung zur Seite machte. Leise klapperten die Hufeisen aneinander.
      „Erschrecke mich nicht so“, zischte Vriska im Schock mit grimmigem Gesichtsdruck, „aber ja, das ist Happy im Dressurviereck. Eigentlich wollte nur mal probieren, was er so kennt.“
      „Offenbar sehr viel“, sagte ich anerkennend. Da lichtete sich ihr Gesicht und ein charmantes Lächeln schmeichelte ihre Lippen.
      „Danke. Aber könntest du dann bitte gehen? Ich möchte mich konzentrieren können“, murmelte sie wie ein Kind, das seinen Eltern ein Geschenk basteln wollte.
      „Natürlich, Sturmi wartet ohnehin“, nickte ich zustimmend und lief über die hölzernen Stufen der Tribüne hinunter in die Stallgasse. Kaum stand ich vor der Box des Falben, streckte er den Kopf hindurch. Vom Haken nahm das Halfter, um es über seine Ohren zu streifen und ihn hinauszuführen. Zunächst putzte ich Sturmglokke, stellte dabei einige Bisswunden fest, die verarztete. Einzig ein blutende Stelle am Bein bereitete mir Sorge. Der Hengst schien auf dem Paddock mit seinem Partner gespielt zu haben, denn anderes konnte ich mir den Streifen an der Fessel nicht erklären. Vorsorglich sprühte ich sie mit Alu-Spray ein und band ein Verband darum, um es beim Fahren vor Dreck zu schützen. Zusätzlich legte ich ihm an allen Beinen Gamaschen um, dann verließen wir den Stall. Auch mit ihm war Tempo auf dem Plan, das Sturmi mit Elan meisterte. Nur seine Zeit wirkte vielversprechend. Ich zweifelte, ob der Hengst zu gebrauchen, war im Rennsport und schrieb eine Notiz dafür in sein Profil. Damit bekamen Bruno und Tyrell eine Benachrichtigung. Nach dem Training legte ich ein frischen Verband an, dann konnte er zurück in die Box. Vriska ritt nicht mehr. Der Fuchs zurück im Bettchen wies darauf hin, dass sie fertig war. Schade, ich hätte gern einen weiteren Blick auf die beiden geworfen.

      © Mohikanerin // Lars Alfvén // 8406 Zeichen
      zeitliche Einordnung {März 2021}
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugosju | 04. September 2022

      Henade / Hendrikus zu Stalburck / Einheitssprache / Wunderkind / Pleasing / Maxou / Fieberglas / Pay My Netflix / May Bee Happy / Hending

      Lina
      Ich war gerade dabei Rambi abzusatteln als Mateo zielstrebig die Stallgasse hinunterkam.
      “Dein Pony ist da”, verkündete dieser im Vorbeigehen und verließ den Stall sogleich wieder durch das große Rolltor. Davor war das Knirschen des gefrorenen Kieses unter Autoreifen zu hören.
      “Dein Ernst Lina, du hast dir schon wieder ein Pferd gekauft?”, ließ Samu einen kritischen Kommentar verlauten, den prächtigen braunen Warmbluthengst am Strick mit sich führend.
      “Guck nicht so, das ist nicht meins, also nicht in dem Sinne. Hanni ist ein Berittpferd”, erklärte ich meinem besten Freund, der tatsächlich noch keine Kenntnis von der Stute hatte, da er die letzte Woche mit Enya bei seiner Familie verbrachte und dabei wollte ich ihn nicht stören.
      “Ein Berittpferd also, wie kommt es dazu?”, zog er zweifelnd die linke Augenbraue nach oben.
      “Ähm, was soll das denn bitte jetzt heißen?”, empörte ich mich und hängte den Sattel auf den Halter, “Willst du mir etwa sagen, dass du mir das nicht zu taust?”
      “Nein, Linchen, du bist spitze. Ich bin nur verwundert, seit wann du Berittpferde angeboten bekommst”, beschwichtigte er sofort.
      “Seit Mateo und jetzt entschuldige mich, ich muss ein Pferd in Empfang nehmen”, entgegnete ich und lief freunden strahlend in die Richtung in der Mateo soeben verschwand. Natürlich hatte ich mittlerweile Fotos von Henade zu sehen bekommen, doch ich konnte es kaum erwarten sie gleich in Live zu sehen. Draußen wurde ich bereits von Mateo und seiner Schwester erwartet, welche auch sogleich mit einem breiten, grinsen auf mich zugelaufen kam.
      “Bereit Hanni kennenzulernen, Lina?”, fragte sie und zog mich zu Begrüßung in eine herzliche Umarmung. Es erfreute mich, dass Sam die Stute selbst vorbeibrachte. Sie war mir sympathisch und so hatte ich die Gelegenheit mir von ihr noch ein paar Tipps im Umgang mit der Stute zu holen.
      “Mehr als bereit”, entgegnete ich und konnte meine Aufregung nur schwer zurückhalten.
      “Na dann wollen wir sie doch mal ausladen”, grinste Sam, “Gehts du vorne rein?” Ich nickte und lief um den Hänger herum, um durch die kleine Tür an seiner Vorderseite in das innere zu klettern. Im halbdunklen Inneren kam mir unmittelbar ein heller Kopf entgegen.
      “Du bist also Hanni”, sprach ich sanft mit der Stute und strecke ihr vorsichtig meine Hand hin. Statt sie zu beschnuppern, schnappte sie nach meiner Hand. Doch anders als bei Caja kamen dabei keine Zähne zum Einsatz, sondern nur die Lippen, die interessiert meine Hand abtastete. Währenddessen öffnete sich die Klappe hinter der Stute und ließ Licht und kalte Luft einströmen. Aufmerksam drehte Henade die Ohren, hörte auf die Umgebungsgeräusche um sie herum.
      “Alles bereit, da drinnen?”, rief Mateo von hinten, bereit die Stange hinter dem Po der Stute zu entfernen.
      “Warte kurz”, antwortete ich und löste den Knoten, der die Stute an Ort und Stelle hielt.
      “Jetzt darfst du”, erteilte ich im daraufhin die Erlaubnis, der er auch sofort folge, leistete. Langsam, Schritt für Schritt, schicke ich die Stute die Rampe hinunter, bis sie vollständig auf dem Kies stand. Jetzt im Tageslicht konnte ich vollständig die hübsche Scheckung betrachten, die sich über ihr Fell zog. Zwischen den zerfransten weißen Rändern und an der Oberlinie schimmerte ein hübscher Braunton hindurch, wirklich eine außergewöhnliche Färbung.
      “Und was sagst du?”, blickte mich Sam mich forschend an.
      “Mensch Sam, was stellst du denn für Fragen. Das ist ein perfektes Match, hübsch und talentiert”, kam Mateo mir mit einer Antwort zuvor.
      “Jetzt übertreib nicht, Mateo. So gut bin ich nun auch wieder nicht”, sprach ich verlegen. Er wollte mir schon widersprechen, doch Sam fiel ihm ins Wort: “Vielleicht sollten wir meiner Hübschen erst einmal ihr neues zu Hause zeigen.” Bestrebt lief sie voran, was die Stute dazu bewegte ihr unaufgefordert zu folgen. Kaum hatten wir das Tor durchschritten, ließ Henade ein schrilles Wiehern ertönen. Einige Köpfe erhoben sich aus den Boxen und vom Putzplatz ertönte sogar eine Antwort. Eindeutig Rambi, der Stimmfarbe und dem lang gezogen brummen, nach zu urteilen. Hufgeklapper ertönte auf dem Beton, begleitet von dem Geklimper des Metalls, als der Strick dagegen schlug. Natürlich war der potente Freibergerhengst auch Quell dieses Lärms.
      “Uhhh, wer ist denn das Schnuckelchen”, erklang Samanthas entzückter Ausruf, als wir uns dem Putzplatz näherten und der Blick darauf freier wurde. Samu war augenscheinlich noch immer mit Hendrik beschäftigt, doch hatte von ihm abgelassen, um Rambi zu beruhigen.
      “Wer von den Dreien?”, fragte ich lachend, während ich Hanni in die Box führte, die Mateo und ich heute Morgen bereit vorberietet.
      “Alle drei, aber besonders der junge Mann, ist sehr ansprechend. Wer ist das?”, fragte sie wissbegierig und war Samu einen vielsagenden Blick zu.
      “Sammy, mach mal halblang, du bist nicht zum Flirten hier”, verdrehte ihr Bruder sofort die Augen und schüttelte mit dem Kopf.
      “Aber du, oder wie?”, entgegnet sie patzig, bevor sie sich lieber mir zu wand, “Also Lina, sag schon, wer ist das?” In Sams funkelte eine Energie, die der von Vriska glich, als sie Lars das erste Mal erblickte, nur dass sie deutlich indiskreter war.
      “Frag ihn doch selbst”, lachte ich, “Aber ich muss dich warnen, er hat eine Freundin. Rechne also nicht mit viel Erfolg.”
      “Ach, das werden wir schon noch sehen”, sprach sie von sich überzeugt und marschierte geradewegs die Stallgasse hinunter. Ich kannte meinen Freund, Sam würde bei ihm mit Sicherheit auf Granit stoßen. Statt mir den wenig Erfolg verheißenden Annäherungsversuch von Sam zu beobachten, zog ich Hanni das rosa, nicht preiswert erscheinende Halfter vom Kopf. Um den Nasenriemen war ein Schoner gewickelt, mit ihrem Namen darauf und einem Krönchen daneben. Ordentlich hängte ich den Gegenstand vor ihre Box und beobachte, wie sie den Kopf zu den Spänen hinstreckte. Erst als erneuter Hufschlag, nun von der anderen Seite, ertönte, wandte ich mich ab. Vriska kam mit Wunderkind auf dem Wagen daher gelaufen, strich dem verschwitzten, und allem voran verdreckten, Hengst am Hals. Dieser atmete wie ein Maikäfer und wusste seine Anwesenheit ebenfalls mit einem innigen Wiehern anzukündigen. Was nur los mit den Tieren heute?
      “Voll hier”, merkte Vriska beiläufig an und versuchte mit dem Sulky einen Weg zur Putzgasse zu finden, was trotz des außergewöhnlichen breiten Ganges, eine Herausforderung war.
      “Ja, Samantha hat gerade ihre Stute gebracht”, erklärte ich ihr den Grund den Trubel, “Ich kann Rambi gerade wegbringen, wenn er im Weg steht.” Besagter Hengst rumorte wieder und versuchte damit die Aufmerksamkeit, vermutlich vordergründig von der Stute, auf sich zu ziehen.
      “Mateos Schwester, richtig?”, sagte sie und nahm den Helm ab. Wunderkind stand ganz ruhig neben ihr, anders als die anderen Rennpferde am Stall hatte er nur einen kleinen Schaden im Kopf. “Aber nein, sein Halfter hängt ganz hinten.”
      “Ja, genau”, bestätigte der Schweizer selbst, der an die Boxenwand gelehnt sowohl mich als auch seine Schwester im Auge behielt.
      “Oh, hallo”, begrüßte sie ihn freundlich, aber verschwendete nur einen kurzen Blick an den hübschen Mann. Er nickte. “Aber, was für ein Pferd?”
      “Es steht nahezu vor dir”, deute ich auf die Box hinter mir, die allerdings verlassen war. Offenbar hatte Hanni sich genau in dem Augenblick auf den Paddock begeben.
      “Okay, doch nicht”, lachte ich, “Eigentlich sollte da eine hübsche Dame stehen.”
      Kommentarlos warf Vriska die Leinen über den Rücken des Hengstes und öffnete die Boxentür, um hindurchzulaufen und das Pferd im Dreck zu betrachten. Hanni hatte sich in den Matsch geworfen, als hätten die Späne nicht gereicht, nein. Das Gen löste offenbar auch eine Vorliebe für besonders hartnäckigen Dreck aus.
      “Hübsch ist es jetzt nicht mehr”, lachte sie und wich immer wieder den neugierigen Stupsern der Stute aus.
      “Meintest du nicht, sie sei eine Prinzessin, Mateo? Ihr Verhalten scheint bisher nicht sonderlich königlich”, fragte ich amüsiert bei dem jungen Mann nach.
      “Ja, Hanni verschleiert ihre wahre Identität gerne. Du weißt schon wegen der Presse”, scherzte dieser. Amüsiert schmunzelte ich und wand mich wieder Vriska zu: “Also du hast gehört, neben dir steht Prinzessin Henade.”
      “Ah, cool. Freut mich, dann euch allen noch viel Spaß. Ich muss weiter”, dann schaute sie auf ihre Uhr am Handgelenk, die große Ähnlichkeiten mit der Stute aufwies, “noch drei Pferde und ich habe einen Termin.” Kaum lagen die Worte in der Luft, sprang sie flink wie ein Eichhörnchen zum Hengst und kämpfte sich den Weg durch die Gasse. Was ein Termin das wohl sein mochte, der sie zu solcher Motivation trieb? So wie Vriska verschwand, kam Sam zurück, nicht minder fröhlicher als zuvor.
      “Erfolg gehabt?”, fragte ich neugierig, nicht in der Erwartung, dass sie Ja sagen würde.
      “Ja, ich kenne jetzt seinen Namen, was er hier macht und ebenso des hübschen Hengstes”, grinste die junge Frau triumphieren.
      “Klar, Schwesterchen, weil das sicher dein Ziel war”, zog Mateo sie sogleich auf.
      “Entschuldigung, ich habe mal ein wenig Respekt vor deiner Schwester, außerdem geht dich das gar nichts an”, echauffierte sie sich, “Aber anderes Thema. Lina, ich wollte dir noch ein paar Sachen zu Hanni sagen, bevor ich verschwinde.” Ich nickte, doch sogleich ertönte wieder Geklapper, verursacht durch einen gewissen Freiberger.
      “Ähm, entschuldige mich kurz. Ich bringe mal schnell die Krawallschachtel da weg, bevor er noch alles auseinandernimmt”, sprach ich und lief zu dem braunen Tier. Kaum war ich in seinem Blickfeld, endete der Krawall und er stand da wie ein unschuldiges Lämmchen.
      “Perfekt, dann kann ich ja endlich arbeiten”, sprach Samu und verschwand mit Hendrik in die Halle. Dahinter kam Wunderkind zum Vorschein, den Vriska gerade aus dem Lederzeug befreite. Noch immer interessierte es mich, was für ein Termin das wohl sein mochte.
      “Vriska?”, fragte ich neugierig, “Was ist das, wo du so dringend hinwillst?”
      “Äh”, stammelte sie. Aber noch bevor ich eine Antwort bekam, schob sie mit dem Fuß die Schüssel zum Hengst und lief zur Sattelkammer mit dem Equipment. So einfach würde sie mich nicht loswerden, also folgte ich ihr, nahm dabei sogar den Sattel mit, der noch neben meinem Freiberger hing.
      “Komm schon, mir kannst du es sagen. Ich verrate es auch keinem”, versprach ich ihr.
      “Ich fahre nach Malmö”, flüsterte Vriska mit funkelnden Augen, nach dem sie sich prüfend umsah, ob noch mehr Leute uns gefolgt waren.
      „Und was willst du da?“, fragte ich ebenso leise wie sie. Was auch immer ihr vorschwebte, schien wirklich geheimnisvoll zu sein.
      “Mir was anschauen”, sprach sie weiter in Rätseln, ohne dabei die Tür außer Acht zu lassen. Wirklich viel schlauer wurde ich aus dieser Information nicht, schließlich dachte ich mir bereits, dass sie nicht einfach aus Spaß dorthin fuhr.
      „Könntest du bitte ein wenig konkreter werden? Was schaust du dir an?“, hakte ich unentwegt nach. Noch einige weitere Minuten vergingen und Umformulierungen meiner Fragen, bis sie sich endlich zu Wort meldete.
      “Schon gut, ich erzähle es dir”, Vriska rollte mit den Augen, “am Abend ist Rennen und morgen Früh werde ich ein potenzielles Pferd Probereiten.” Bei Stichwort Rennen bekam ich allmählich eine Idee, was oder besser gesagt, wer der Grund für Vriska Motivation sein könnte.
      „Stalkst du mal wieder das arme Pferd?”, grinste ich beinahe sicher, dass ich auf der richtigen Fährte war.
      “Wieso arm? Der ist nun mal schick”, zuckte sie mit den Schultern, als wäre es sonst nichts.
      „Na, vielleicht möchte es nicht gestalkt werden", entgegnete ich, „Aber schick ist es tatsächlich."
      “Sehr witzig”, Vriskas Stimmung kippte plötzlich und sie stürmte beinah frustriert aus der Tür heraus.
      “Tut mir leid, was ich gesagt habe”, rief ihr nach, doch sie schien mich nicht hören zu wollen. Das hast du mal wieder gut hinbekommen, Lina, dachte ich. Natürlich zog ich die Fettnäpfchen mal wieder an, ohne es überhaupt zu bemerken. Seit dem Jahresende gab es immer mal wieder helle Momente, in denen es zwischen uns lief wie früher, doch dazwischen war es schwierig. Mir war bewusst, dass es nicht allein an ihr lag. War Niklas zu Hause, ging sie mir bewusst aus dem Weg, um Konflikte zu vermeiden. Ich verstand dies, denn er wurde ihr gegenüber noch immer außerordentlich unangenehm. War mein Freund nicht, da blieb häufig nur wenig Zeit für Gespräche und Aktivitäten, schließlich warte auf uns beide tagtäglich ein Haufen an Arbeit, der sich nicht von selbst erledigte. Infolgedessen lebten wir ziemlich aneinander vorbei, obwohl wir nahezu Tür an Tür wohnten.
      Als ich zu Rambi zurückkehrte, war Vriska mitsamt des gescheckten Trabers verschwunden. Ich seufzte, ob das jemals wieder normal werden würde zwischen uns?
      Treu rieb der Freiberger seinen Kopf an mir und hinterließ dabei einige helle Haare auf meiner dunklen Jacke.
      “Na, komm Rambi, bringen wir dich ins Bettchen”, sprach ich zu ihm, wuschelte ihm durch die dichte Mähne, bevor ich dir Stricke losmachte. Beim Durchschreiten, der Gasse, ließ es sich der Hengst natürlich nicht nehmen, an der Box der Stute noch einmal den Hengst raushängen zu lassen. Laut brummelte er, stellte Hals und Schweif auf und tippelte Piaffen-ähnlich auf der Stelle. Während Sam angetan von dem Hengst schien, zeigte die Stute in der Box nur recht wenig Interesse. Hanni steckte zwar den Kopf hinaus, schnuppert kurz an dem Hengst, suchte dann lieber in Mateo Taschen nach etwas Essbarem. Bevor der Womanizer an meiner Seite noch energischer sein Interesse bekundete, bemühte ich mich, ihn von der Stute wegzubekommen. Glücklicherweise zeigte das monatelange Training Erfolg, sodass er selbst für mich händelbar blieb.
      “Willst du einen Kaffee, bevor du mir von Hanni erzählst oder musst du direkt wieder los?”, bot ich an, als ich von draußen wiederkehrte. Mateo hatte sich offensichtlich wieder an die Arbeit begeben, denn er war verschwunden.
      “Gibt es den auch mit guter Aussicht”, grinste sie breit und schielte zu Halle hinüber.
      “Hast du mir eigentlich zugehört, als ich sagte, Samu habe eine Freundin?”, lachte ich.
      “Jetzt sei mal nicht so ein Spielverderber, ich will doch nur schauen”, rollte sie mit den, Augen.
      “Mach dir aber nicht zu viele Hoffnungen, Sam, deine Chancen stehen aktuell nicht so gut”, warnte ich sie und schlug den Weg zu dem kleinen Zuschauerraum ein.
      Als ich ihr die Tasse vor die Nase stellte, klebten ihre Augen bereits an Samu, der mit Hendrik über den Sand schwebte. Der Hengst war, aber auch wirklich ein Prachtstück und ich war mir beinahe sicher, dass er nicht nur seines Talentes wegen, als zukünftiger Zuchthengst für das WHC auserkoren worden war.
      “Danke”, sprach sie, als sie die Tasse wahrnahm, aber löste ihre Augen nicht von den Geschehnissen in der Halle. “Ist der hübsche Hengst von eben deiner?”
      “Ja … vielleicht, ich weiß noch nicht”, antworte ich ihr wahrheitsgemäß.
      “Wie kann man denn nicht wissen, ob einem ein Pferd gehört?”, blickte sie mich verwundert mit ihren strahlenden Augen an, bevor diese wieder abwanderten.
      “Das solltest du mal meinen Chef fragen”, kicherte ich. Es gab Momente in den Tyrell tatsächlich vergaß, dass es mehr Pferde auf dem Gestüt gab als die Traber. So war er ein wenig verwundert gewesen, als ich im Dezember vorschlug, Pleasing für etwas Ponygesellschaft zu Maxou zu stellen, denn er hatte vergessen, dass dieses Pony überhaupt existierte. Manchmal war es wirklich verwunderlich, wie lange Tyrell einen Hof hatte führen können, ohne dass etwas dabei gewaltig schiefging.
      “Aber in meinem Fall ist die Antwort relativ einfach. Rambi steht zum Verkauf und ich habe mich noch nicht entschieden”, erklärte ich schließlich.
      “Oha, dein Erst?! Wie kannst du dich noch nicht entschieden haben? Der Hengst ist großartig!” Sam klang empört und starrte mich dabei an, als sei ich von allen guten Geistern verlassen.
      “Ja, Einheitssprache ist wundervoll, aber ich weiß nicht, da sind so viel Sache, die es zu bedenken gilt. Ich habe ja bereits zwei Pferde und demnach ist da einerseits der zeitliche als auch der finanzielle Aspekt, schließlich wächst keins von beidem auf Bäumen”, legte ich dir Gründe für meine Unentschlossenheit dar. Tatsächlich war Rambis Verkaufsanzeige lange Zeit aus meinen Gedanken verdrängt worden. Ich wollte es mir nicht vorstellen, den Hengst eines Tages wieder abgeben zu müssen. Erst im Januar, als Ingrid die Vorbereitungen für ihren Umzug in die Wege leitete, rief sie mir ins Gedächtnis, dass es langsam erst wurde in dieser Sache. Bis Ende März hatte ich noch Zeit mich zu entscheiden, sollte ich ihn nicht nehmen, würde er vermutlich an einen Händler gehen.
      “Warte, das war Einheitssprache? Der Einheitssprache?”, rief die junge Frau aus und plötzlich hatte ich ihre volle Aufmerksamkeit. Ihrer Reaktion nach zu urteilen, schien mehr hinter dem Hengst zustecken, als ich bisher dachte.
      “Ich verstehe nicht, was du meist”, entgegnet ich irritiert.
      “Weißt du denn nicht, was ein wunderbar talentiertes Pferd er ist?”, mittlerweile waren ihre Augen so groß, dass ich befürchte, sie könnten ihr gleich aus dem Kopf herausfallen. Hektisch kramte sie ihr Handy aus ihrer Jackentasche und tippte darauf herum. Als sie es zu mir herumdrehte, war ein Video darauf zu sehen. Nordische Meisterschaften im Fahren 2015, Vaggeryd, CAI2*-H1 lautete der Titel. Sam hatte vorgespult bis zu einer Stelle, wo ein prächtiges fast schwarzes Pferd in die Arena trabte. Die Hinterbeine bis knapp in den Kronenrand in Weiß getaucht, der Kopf geziert von einer schmalen Blesse mit zwei leuchtenden blauen Augen. Unverkennbar, dieses Pferd war Rambi. Mit aktiver Hinterhand trabte der Freiberger in den Fesseln, sanft federnd, durch den Sand.
      “Wow, wenn der sich so mal unter dem Sattel geben würde”, staunte ich und beobachte weiterhin, wie das Pferd auf dem Bildschirm über den Bildschirm schwebte.
      “Ja, siehts du und deswegen versuche ich seit Jahren an Decksprünge von ihm heranzukommen, doch seine Besitzerin ist stur wie ein Esel”, ärgerte sich Sam ein wenig
      “Decksprünge? Heißt, dass er ist auch noch gekört?”, verwundert blickte ich sie an.
      “Sag mal Lina, was weißt du eigentlich über dieses Pferd?”, stellte sie eine Gegenfrage und lachte. Es schockierte mich ein wenig, dass sie so viel mehr zu wissen schien, obwohl ich mittlerweile ein halbes Jahr mit dem Hengst arbeitete. Wie war das möglich?
      “Offenbar weiß ich gar nichts. Aber wenn er so erfolgreich ist, wie du sagst und, und gekört, dann … dann wird er ja noch teurer sein, als ich dachte”, stelle ich resigniert fest. Bereits mit dem bisher geschätzten Preis wäre es kritisch geworden den Kauf zu finanzieren, doch mit seinen Erfolgen und der Körung, erschien er mir nahezu unmöglich.
      “Nicht gleich den Kopf hängen lassen. Erfrage doch erst einmal den Preis”, lächelte Sam und drückte aufmunternd meinen Arm, ”Und wenn du ihn dann wirklich willst, dann findet sich bestimmt eine Lösung.” Sie hatte leicht reden. Aus Mateos Erzählungen konnte ich bisher raushören, dass sie seit je her viel Unterstützung von ihren Eltern bekam. Vermutlich verstand sie es gar nicht, wie es war, wenn man nur wenig Rückhalt hatte. Natürlich hatte ich Freunde, aber die fragte man nicht nach Geld und Niklas …? Er hatte bereits an einem einzigen Tag mehr Geld für mich ausgegeben als gefühlt sonst jemand in meinem ganzen Leben, zumindest wenn man freiwillige Ausgaben betrachtete. Damit tat er bereits mehr als genug. Nein, wenn ich Rambi kaufen würde, dann musste ich das allein auf die Reihe bekommen, auch wenn mir nicht klar war, wie das funktionieren sollte.
      “Schon okay”, winkte ich ab, ”du wolltest mir noch etwas zu Hanni erzählen?”
      “Ja, genau”, leitete Sam ein, während ihre Augen wieder zu Samu abschweiften. Mittlerweile war das Warmblut aufgewärmt und Samu somit zu den komplexeren Lektionen übergangen. Momentan arbeitete er daran, dass Hendrik mehr Last auf die Hinterhand aufnimmt, denn wie viele Dressurpferde heutzutage, tat er dies sehr ungenügend, wodurch er zwar vorwärtsstürmt, aber das wenig mit einem harmonischen Anblick zusammenhängt.
      “Das wichtigste vorneweg, Henade verträgt keinen Mais, also bei der Fütterung bitte darauf achten”, informierte sie. Ich nickte und trug diese Information sogleich in das System ein.
      “Des Weiteren”, fuhr Samantha fort, ”musst du aufpassen, wenn du ins Gelände gehst. Hanni wird dort schnell unsicher und benötigt dann einen bestimmten, aber ruhigen Reiter. Nicht dass ich dir das nicht zutraue, aber mir wäre es lieber, wenn du die ersten Male nicht allein mit ihr ausreitest. Ach, und bitte nicht gebisslos, auch in der Halle nicht, dabei wird sie ebenfalls extrem unsicher.” Erneut nickte ich: “Natürlich, wie du es wünschst.”
      “Sehr gut, allgemein ist sie sehr fein zureiten. Im Umgang wirst du merken, dass Henriette ein wenig speziell ist. Sie will unter anderem nachts in der Box stehen, aber ihre Eigenheiten wirst du schon noch selbst entdecken”, grinste sie mich an. Allerdings hielt ihr Blickkontakt nur kurz, bevor er wieder abschweifte.

      Ein paar Stunden später
      Vriska
      “Welche Farbe passt zu einem Fuchs?”, murmelte ich in den Kragen meiner Jacke. Mit zwei Schabracken in der Hand stand ich in der Sattelkammer und konnte nicht entscheiden, was besser zu dem roten Fell passen würde. Hellgrün oder Otter-Gelb? Immer wieder streckte ich den Stoff in die Luft, in der Hoffnung, dass sich das Problem auflöste von selbst.
      “Nimm die Grüne”, erklang ein zartes Stimmchen hinter mir, die nur zu einer Person gehören konnte. Kurz trat Verwunderung ein, ob mein Bewusstsein gerade zu einem zweiten Ich wurde, dann begriff ich, dass Lina den Raum betrat.
      “Ähm”, drehte ich mich zu ihr, “danke.” Sogleich legte ich die gelbe zurück auf die blaue Schabracke und nahm die passenden Bandagen dazu. Wortlos schritt sie vorbei an das Waschbecken, um die Trense auszuwaschen, die sie in der Hand trug.
      “Ich wollte mich bei dir entschuldigen, für das, was ich vorhin gesagt habe. Ich wollte dich nicht verletzen”, sprach sie schließlich und stellte das Wasser an.
      “Schon vergessen”, versuchte ich darüber hinwegzusehen, “meine Reaktion war schließlich nicht die Beste.”
      “Okay, da bin ich erleichtert, dass du mir nicht böse bist”, sprach sie und ein zurückhaltendes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sich umdrehte, um das lederne Kopfstück an seinen Platz zu hängen.
      “Interessiert dich, dass womöglich neugierigste Wesen auf diesen Himmelsphären, gar nicht, dass Wieso?”, versuchte ich sie noch Augenblick länger hierzubehalten, bevor ich erst einmal verschwinden würde.
      “Also so neugierig bin ich jetzt auch wieder nicht, oder doch?”, entgegnete sie ein wenig verunsichert, “Aber doch, wenn du es schon so anbietest, wieso sucht du eine Schabracke aus?”
      „Na, für das Pferd. Ist das nicht, offensichtlich?“, wunderte ich mich nun. Wie ein hungriges Eichhörnchen durchwühlte sie den Waldboden und anstelle nach dem eigentlich abgelenkten Thema zu buddeln, dass ich sonst mit niemandem teilen konnte, fragte sie nach der blöden Sattelunterlage. Eigentlich sehr ironisch, dass ich das ursprüngliche Set von Lubi jetzt für den Hengst mitnahm, den Tyrell nicht schaffte, selbst anzuschauen.
      “Ähm, bedingt. Ich dachte, du geht’s es nur Probereiten?”, erklärte sie ihre Frage und blickte mich dabei irritiert an, “Aber mir scheint, du wolltest auf etwas anderes hinaus.”
      “Darf das arme Tier beim Probereiten nicht schön aussehen?”, scherzte ich und packte noch die letzten Gegenstände wie Gerte und Helm in die große Reisetasche vor meinen Beinen. Selbst Haargummis und ein nagelneues Päckchen voller Leckerlis lag darin.
      “Grundsätzlich, ja”, beantwortete ich noch ihren Zusatz.
      “Doch, du bist nur der erste Mensch, der mit unterkommt, der seine eigene Schabracke mitbringt oder ein Großteil des anderen Zeugs da”, lächelte sie mit einem prüfenden Blick in die Tasche.
      “Verrätst du mir auch, was du eigentlich ansprechen wolltest oder muss ich jetzt raten?”, hakte sie schließlich nach.
      “Kommt darauf an, wie viel Zeit du damit verbringen möchtest, denn ich müsste jetzt los”, seufzte ich und schielte zur Uhr. Seit zwanzig Minuten wollte ich im Transporter sitzen, in Richtung Malmö.
      “Na, dann möchte ich dich ungern weiter aufhalten, also sprich”, forderte sie mich auf.
      “Dann wirst du bis morgen Abend warten müssen, oder gar Sonntag früh”, grinste ich und hob die Tasche auf. Lina stellte sich mir allerdings in den Weg, als wäre eine riesige Herausforderung.
      “Aber das ist ja gefühlt erst in einer halben Ewigkeit, das kannst du doch nicht machen!”, beanstandete sie und blickte mich anklagend aus ihren großen, blauen Disney-Prinzessinnen-Augen an.
      “Siehst du doch”, geschickt fischte ich mich an ihr vorbei und lief den endlosen Flur entlang, der allerdings nicht mehr als zehn Meter maß.
      “Vriska, warte doch”, rief sie und lief schnellen Schrittes hinter mir her, “gib mir wenigstens einen Hinweis.”
      “Du hast die Wahl, entweder du springst auf den Beifahrersitz, oder du musst warten”, entschloss ich, ohne Lina direkt Fragen zu müssen, ob sie mitmöchte. Damit fühlte es auch für mich so an, als würde sie eine Wahl treffen und nicht mich enttäuschen.
      “Habe ich die richtig verstanden, ich soll mit, jetzt sofort?”, fragte sie mit ungläubigem Gesichtsausdruck.
      “Ja. Aber du kannst auch erst deinen eifersüchtigen Freund fragen, der dann mir die Hölle heiß macht, als würde ich dich an einen Sklavenhalter verkaufen”, zuckte ich mit den Schultern. Wir standen mittlerweile am grauen Transporter, auf dem die Aufschrift des Hofes im Licht der Reithalle reflektierte. Die Tasche lud ich in der Wohnkabine sicher ein und drehte mich, in der Tür stehend, zu ihr um.
      “Ähm, ich habe doch gar keine Klamotten parat”, stammelte sie hektisch, “Kannst du mir fünf Minuten geben?”
      “Wenn du Dog mitbringst, ja”, grinste ich selbstüberzeugt von meinem Erfolg. Dann zischte die Kleine schon ab, wie vom Teufel gejagt. In der Zwischenzeit überlegte ich, welche Worte die klügsten wären, um ihr zu erklären, dass ich auf einen Typ stand, den ich nicht nur kaum kannte, sondern auch nicht traute, anzusprechen. Noch bevor mein Hirn welche fand, kam der junge Hund angesprungen und trat vorsichtig die Stufe hinauf. Er kannte das Fahrzeug nicht, aber ich allein reichte aus, dass der Rüde sich überwand und im nächsten Augenblick das Innere begutachtete. Keuchend wie eine Lok und mit hochrotem Kopf, erschien auch Lina, kurz nach dem Fellbündel im Inneren. Den großen Rucksack, den sie dabeihatte, verstaute sie ordentlich und sog die Tür hinter sich zu.
      “Okay, ich bin bereit”, verkündete sie vollkommen außer Atem und ließ sich auf den Sitz plumpsen. Kaum saß auch ich auf meinem Polster, startete ich den Motor und fuhr mit knirschenden Reifen zur Ausfahrt. Die Stille hielt für weniger einer Minute an, bis Lina begann mich mit Frage zu löchern, die ich unmöglich alle gleichzeitig beantworten konnte. Immer wieder lachte ich und versuchte meine Unsicherheit zu verbergen, die sie, schlau wie Fuchs, bemerkte. Also begann ich zu erzählen. Die ersten Eckdaten von Basti kannte sie schon, doch dass ich kaum noch ein klarer Gedanken fassen konnte und kein Tag verging, an dem ich nicht an ihn dachte, erfuhr sie erst auf der Reise.
      “Und ja, das war alles, was ich weiß”, seufzte ich, “ach so und er fährt nachher.” Mit den Augen weiter auf der Straße, nahm ich eine Hand vom Lenker und suchte in meiner Handtasche nach den Karten. In weiser Voraussicht hatte ich zwei VIP-Lounge Karten gekauft, auch, falls Lars mitkommen würde, der allerdings für Samstag in Visby genannt hatte und somit keine Zeit aufbringen konnte.
      Lina saß verschmitzt grinsend auf ihrem Platz: “Deshalb die Motivation und die Eile, bereits den ganzen Tag über, ich verstehe. Aber du scheinst ein Händchen für die Unnahbaren zu haben.”
      “Kann man so sagen, ja”, ich spürte, wie meine Augen glasig wurden und wischte mir durchs Gesicht, “aber es wird wie die letzten Wochen auch sein, nur auf Abstand und existiere nicht.”
      “Hey, nicht gleich den Mut verlieren, Vriska”, sprach sie einfühlsam, ”Hast du mal probiert, ihn anzusprechen? Sonst kann er schließlich gar nicht wissen, dass du existierst.”
      “Wir haben schon das eine oder andere Mal Floskeln ausgetauscht, aber für mehr fehlt mir der Mut. Zudem hat er nicht auf Tinder geantwortet. Das sagt doch alles”, erklärte ich mit Enttäuschung in der Stimmenlage.
      “Was ist nur aus der Welt geworden, in der das reale Leben über dem Digitalen steht”, schüttelte sie den Kopf, ”Gib nicht so viel auf diese App und was das andere angeht … du hast ja diesmal mich dabei.”
      “Kann nicht jeder wie du urplötzlich den Bilderbuchkerl treffen”, sprach ich sogleich, bis mir wieder einfiel, wie eifersüchtig sich Niklas entwickelte, obwohl sie viel mehr Gründe dafür hätte – die sie nicht kannte. “Außerdem, was willst du machen, außer ihn verschrecken?”
      “Oha, als sei ich so furchtbar unerträglich. Warum nimmst du mich dann überhaupt mit? Und für Ersteres kann ich nichts, der ist mir einfach so zugelaufen”, schmollte sie sogleich.
      „Man, ich meinte mit deiner Neugier. Das könnte mein Verhängnis werden“, lächelte ich, „außerdem geht es eher um den Fuchs als um den Kerl. Der ist nur … hübsches Beiwerk für die Tour.“
      Von der Halbinsel lenkte ich das Gefährt auf die Europastraße und stellte das Tempomat auf das gegebene Tempolimit ein, um meinen Fuß zu entlasten. Entspannt rollten wir auf der rechten Spur hinter einigen LKW in der Kolonne, während der Hund hinten in einer großen Transportkiste schlief.
      „Ja, ja, aber ich werde mir Mühe geben, dein Beiwerk nicht zu vertreiben, versprochen", sprach sie versöhnlich, „Um was für ein Pferd geht es da eigentlich?“
      „Danke. Sehr zuvorkommend. Also Pferd ist ein Fuchs, Traber Mix aber mit deutscher Sportpferd Eintragung. Das Beste: hohe Dressurausbildung könnte damit Potenzial auf mein Turnierpferd haben. Tyrell war sich aber nicht ganz sicher, was wir mit dem sollen, es ist irgendwie ‚Hauptsache weg‘ und ‚macht was daraus‘, Pacht oder so sagte er“, erklärte ich. Ehrlich gesagt, hatte ich auch nicht genauer zugehört, wodurch mir der Name durch die Lappen ging. An dem Standort wusste man über meine Ankunft Bescheid, deswegen hoffte ich, mir wurde das richtige Pferd gegeben.
      „Oh, das klingt … Speziell“, kommentierte Lina das ziemlich kritisch, „Ich hoffe, du machst dir nicht allzu viel Hoffnung, dass es dein neues Turnierpferd wird.“
      „Tatsächlich, nein, bisher stellte sich jedes Pferd als Katastrophe dar. Als du in Urlaub warst, habe ich heimlich einige besichtigt. Du kannst dir nicht vorstellen, was das für traurige Tiere waren, vollkommen verritten und selbst Maxou kann vermutlich mehr als die“, nahm ich ihre Aussage nicht für bare Münze, „aber wie kommst du denn darauf?“
      “Doch, kann ich mir ungefähr vorstellen. Aber zurück zu dem Fuchs: Die Wortwahl der Umschreibung, impliziert, dass etwas an dem Pferd nicht stimmen kann“, erklärte sie ihren Gedanken.
      „Er sei etwas schwierig“, grinste ich, „aber wenn Tyrell überzeugt ist, dass ich das schaffe, dann vertraue ich ihm.“
      Auf Höhe Nättraby fuhren wir von der Autobahn herunter für eine Rast. Den Transporter tankte ich voll und Lina verschwand für einen Augenblick mit ihrem Handy. Ich dachte mir nicht viel dabei, schließlich würde Niklas nicht ohne Weiteres das Fehlen seiner Freundin bemerkten. Der aufgeregten Stimme dumpf zwischen den Fahrzeuggeräuschen, schien mir nahezulegen, dass ich recht hatte. An der Kasse nahm ich noch eine Schachtel mit und parkte den Transporter auf dem Parkplatz. Dog erwachte im Inneren und mit einer Leine liefen wir den Grünstreifen entlang. Ungefähr die halbe Strecke hatten wir geschafft. Ich bekam wieder weiche Knie. War es nicht etwas viel, dass ich mir das Pferd anschauen fuhr? Schließlich bewirtschafteten wir deutlich sicherere Reiter als mich am Gestüt, die der Aufgabe besser gewachsen waren.
      Nach einer knappen halben Stunde kehrte Lina zurück, vollkommen aufgelöst und augenscheinlich den Tränen nah. Sie aufmuntern, gehörte eher weniger zu meinen Stärken.
      „Niklas?“, fragte ich beiläufig und sie nickte. Dann seufzte ich. Lina kletterte auf den Beifahrersitz und nach dem Dog wieder in seiner Kiste saß, folgte ich. Ab da an, schwieg sie, stellte nur das Radio lauter, um das schreckliche Gedudel zu genießen. Mehrfach erleuchte ihr Handy das Innere der Kabine, doch ihrer verhaltenen Reaktion nach, blieb es stumm. Gut eine halbe Stunde hielt es an, bis sie schließlich aufgab.
      “Entschuldige, lass dir von mir nicht deine Stimmung vermiesen”, seufzte sie und packte das Mobilgerät so weg, dass es nicht nur aus ihrem Blick, sondern auch außerhalb einer bequemen Reichweite geriet.
      „Du kannst nichts dafür, dass er so ist. Mir würde es sicher nicht besser gehen als dir“, versuchte ich Lina zu beruhigen. Es lagen nur noch einstellige Kilometer vor uns, dann würden wir endlich ankommen. „Wenn du möchtest, können wir morgen auch noch hinüberfahren, nach Kopenhagen. Oder dir einen hübschen Kerl suchen.“ Bei meiner letzten Idee musste ich lachen.
      “Mir einen Kerl suchen? Aber was soll ich denn damit”, fragte sie, aber in ihren Mundwinkel zuckte ein amüsiertes Lächeln.
      „Dich mal mit jemandem unterhalten, der nicht so verrückt ist“, schlug ich vor, „und dann mal sehen.“
      “Mal mit jemandem unterhalten, der nicht so ist … also willst du damit sagen, alle am Hof seien verrückt oder ich rede mit niemandem?”, hinterfragte sie offenbar zum Scherzen aufgebracht.
      “Pferdeverrückt sind die zumindest alle”, brachte ich mehr Klarheit in die Umstände. Gleichzeitig leuchteten bereits die großen Flutlichter der Bahn uns entgegen.
      “Na gut, da magst du recht haben”, stimmte sie mir zu, “aber ehrlich gesagt kann ich mich nicht erinnern, wann ich zuletzt mit jemandem redete, der das nicht ist. Ich weiß sicher nicht mehr, wie das geht mit der Kommunikation”
      “Da kann ich dir auch nur schwer helfen. In der Heimat, egal, mit wem ich gesprochen habe, nach spätestens fünf Sätzen fiel das Wort Pferd und dann konnte ich nicht mehr aufhören”, gab ich offen zu. Mittlerweile stufte ich mich als unheilbar krank ein.
      “Dann bist du wohl ebenso irreversibel vom Pferdevirus befallen wie ich”, lachte sie.
      Auf riesigen Parkplatz standen wir beinah allein, kaum einer kam auf die Idee Ende Februar an einem Freitagabend sich Rennen anzuschauen. Nur mich trieb es wie ein Insekt zum Licht.
      “So, da sind wir”, sagte ich und drehte den Schlüssel um. Lina warf einen rundum Blick aus dem Fenster, wo nicht viel zu sehen war, als schemenhafte Umrisse anderer Fahrzeuge.
      “Mir scheint es, als gehörten wir zu den wenigen Irren, die sich gerne den Hintern abfrieren”, stellte sie fest, bevor sie sich vom Sitz erhob und als Erstes den Hund aus seiner Kiste ließ.
      “Hintern abfrieren?”, aus dem Fach auf dem Armaturenbrett nahm ich unsere beiden Karten heraus, “wir sitzen drinnen, mit Essen und Getränken.”
      Dog hörte das sehr eindeutige Wort und sprang durch den Spalt zu mir nach vorn. Der Schwanz klopfte gegen das Plastik. Sein Gesicht steckte er in meins. Sanft schob ich ihn zur Seite, um mich zu erheben.
      “Oha, also richtig Premium heute. Warum sagst du das denn nicht gleich?”, sprach Lina sogleich ein wenig motivierter. Lachend zuckte ich mit den Schultern, bevor ich aus der Tasche andere Kleidung suchte. Doch es wurde genauso schwer, eine schöne Hose zu wählen, wie die Farbe der Schabracke. Ach ja, ich hatte nur schwarze Hosen dabei, weshalb es niemanden auffallen würde, für welche ich mich entschied. Lina erblickte die Unschlüssigkeit und zeigte mit dem Finger auf die in der linken Hand.
      “So, ich bin fertig”, kam ich abgeschminkt aus dem kleinen Badezimmer, in dem man sich nur drehen konnte und das war es. Im Spiegel konnte ich kaum etwas erkennen, aber es reichte aus, um die Schlieren im Gesicht loszuwerden.
      “Perfekt”, nuschelte es mehr aus dem Pullover, aus dem kurz darauf auch ein Kopf auftauchte, “ich hab’s auch gleich.” Geschäftig schob sie sich an mir vorbei, warf noch im Türrahmen stehen einen Blick in die spiegelnde Oberfläche und zupfte an einer Strähne, die sich aus ihren Zöpfen gelöst hatte, um sie gleich wieder hinter das Ohr zustecken.
      “Okay, ich glaube, so kann man sich blicken lassen”, verkündete sie schließlich. Ihr Look hatte sich kaum verändert, so tauschte sie lediglich die dunkle Reithose, die sie noch trug, gegen eine Jeans und den vollgesabberten Sweater gegen einen sauberen.
      “Wunderschön, wie immer”, grinste ich, “also wirklich”, schob ich lieber noch nach, damit sie es nicht falsch auffasste. Dog bekam ein buntes Geschirr aus dem Schrank um und zusammen liefen wir über den matschigen Boden, den ich in der schützenden Umgebung des Transporters bereits verdrängt hatte. Auch der gefleckte Rüde schien nicht sonderlich begeistert und watschelte sie eine Ente auf heißen Kohlen. Am Eingang wurde unser Ticket kontrolliert und uns der Weg gewiesen zur Lounge.
      “Hier lang, denke ich”, entschied ich unentschlossen, denn die Worte verschwanden nach weniger als einer Sekunde aus meinen Ohren. Zumindest standen wir vor einem großen Gebäude, das die Tribüne sein sollte. Davor standen Leute und rauchten.
      “Ja, sieht richtig aus”, nickte die Brünette an meiner Seite. Wir schlängelten uns an den Personen vorbei ins Innere, folgten einer langen Treppe nach oben kann an einer großen Glastür. Entgegen meinen Erwartungen war es gut gefüllt und mit unseren Bändchen am Arm, die wir am Eingang bekommen hatten, ließ man uns eintreten. Eine nette Frau führte uns zu einem Tisch abseits der anderen. Dort stand ein kleiner, eher hässlicher, Blumenstrauß, der schon bessere Zeiten hatte. Von der Decke hingen große Lampen, die teilweise gedimmt waren und ein warmes Licht im Raum verteilten. Kaum saßen wir, wurde uns die Speisekarte samt Programmheft gereicht, als würde man direkt entscheiden können, welches Pferd man essen wollte. Absurde Vorstellung.
      „Ich werde ein Bier trinken, und du?“, fragte ich Lina.
      “Mmm, ich nehme auch ein. Das kann ich heute gebrauchen”, beschloss sie kurzerhand.
      Die Dame kam zurück und nahm die Bestellung entgegen. Nun begann die nächste Suche nach etwas Essbaren. Für mich war die Auswahl nicht groß, doch eine Ofenkartoffel mit Ofengemüse klang sehr lecker. Auch mein Gegenüber wurde fündig, Nudeln mit einer Tomatensauce, was auch als Empfehlung des Hauses galt.
      “Da ist er”, sagte ich zu Lina, als wenig später das Essen auf dem Tisch dampfte. Ich zeigte aus dem Fenster heraus, auch wenn man kaum was sah. Auf der anderen Seite des Raumes hing eine riesige Leinwand, auf der man das Geschehen verfolgen konnte.
      Anstatt auf diese zu blicken, folgte ihr Blick meinem Finger: “Der mit dem Braunen da?”
      “Genau. Die Quote ist ziemlich gut”, merkte ich zusätzlich an und versuchte möglichst normal im Raum zu wirken. Einen Tisch weiter diskutierte ein älteres Ehepaar darüber, welchen Hengst sie für eine ihrer Stuten wollte und dabei mischte sich eine weitere Person ein.
      “Gute Quote hießt gute Gewinnchancen, richtig?”, überlegte sie kurz.
      “Ja, genau. Ich … Ich habe auch eine Platzwette auf ihn, also mal sehen”, grinste ich verlegen und wich ihren Blick aus, der sich sofort zu mir bewegte. Mit der Gabel brach ich die Kartoffel weiter auseinander und verteilte die vegane Creme darin. Noch immer dampfte es, aber mir lief das Wasser im Mund zusammen.
      “Dann hast du hoffentlich auf das richtige Pferd gesetzt”, grinste sie und rollte die Nudel auf ihrer Gabel auf.
      Das Rennen begann nach der Parade. Mit dem Körper drehte ich mich zur Leinwand, um das Geschehen genau beobachten zu können. Mir zitterten die Finger. Das Messer legte ich weg, sicher war sicher. In hoher Geschwindigkeit setzte Fiberglas, die braune Stute an Bastis Leinen, voran, als gäbe es kein Morgen mehr. Nach der zweiten Kurve hatte sie bereits drei Pferdelängen vor dem folgenden Pferd und hielt konstant ihre Position. Obwohl es mir die Sprache verschlug, versuchte ich Lina etwas von meiner Freude in mir mitzuteilen, aber alles, was meinen Mund verließ, waren hohle Worte. Der Kloß im Hals wurde größer. Von hinten zischte eine Fuchsstute vor und überholte Fieberglas beinah, aber die Kurzstrecke hatte es in sich. Kurz vor dem Ziel zogen auch die anderen Pferde mächtig an, was den großen Vorsprung wett machte. Unter dem Tisch wackelte mein Bein und als das Kopf-an-Kopf-Rennen an der Zielgeraden erst ausgewertet werden musste, überkam es mich mit einer unbeschreiblichen Leere. Im Raum wurde gejubelt, aber ich konnte nicht mehr.
      Nach der Auswertung stand fest, dass Basti disqualifiziert, wurde durch Behinderung des anderen Fahrers, obwohl er dazwischen feststeckte. Damit durfte er auch nicht an dem Rennen danach teilnehmen mit Netflix.
      “Vriska, kannst du mir erklären, weswegen er genau disqualifiziert wurde?”, fragte Lina, die offenbar begann ein gewisses Interesse für die Rennen zu entwickeln.
      “Wurde doch gerade gesagt”, murmelte ich, aber erklärte es ihr natürlich. Am Handy spielte ich auch das Replay immer und immer wieder ab, bis ich sah, was die Rennleitung offenbar als Regelverstoß ansah. Sie hörte mir gespannt zu, obwohl meine Worte vermutlich auch klangen, wie von einem eingeschnappten Kleinkind.
      “Es so vielversprechend aus und dann so eine blöde Kleinigkeit. Ist ja wirklich ärgerlich”, kommentierte sie, als sie endlich verstand, was beanstandet wurde.
      “Na gut, egal, kann ich auch nicht ändern”, entschloss ich, die schlechten Gedanken zur Seite zu schieben und setzte das Essen fort. Wir wechselten das Thema. Lina berichtete von der neuen Stute, die im Stall stand und eigentlich auf Tätigkeiten hoffte. Zur gleichen Zeit lag Dog unter dem Tisch und schlief.
      “Ich bin schon gespannt, wie Hanni sich unter dem Sattel machen wird. Sie ist wohl ziemlich fein ausgebildet und demnach, was Samantha so erzählte, klang es wahrhaft traumhaft”, schloss sie ihren Bericht über das, was sie bereits über die Stute wusste. Die Freude über das neue Pferd war ihr wahrhaft anzusehen, denn ihre Augen leuchtete mit jedem Wort förmlich noch ein wenig heller, wie es sonst nur geschah, wenn sie von ihrem Hengst schwärmte.
      “Also geht es für dich dann dieses Jahr mit Niklas auf Turniere?”, scherzte ich und hoffte inständig, dass es sie nicht traurig machen würde. Ich sah das Talent, mit ihren Pferden, viel mehr als das, was ich im Sattel tat.
      “Vielleicht, es ist nicht ausgeschlossen”, lächelte sie, ”In Kiel konnte ich feststellen, dass Zuschauer nicht ganz so schrecklich sind, wie ich dachte. Zumindest habe ich nicht gleich einen Herzinfarkt erlitten.”
      “Du hast eine große Zukunft vor dir, das spüre ich”, stimmte ich zu. Im selben Moment kam allerdings noch ein weiteres Gefühl mit. Wenn es mit dem Hengst morgen nicht funktionieren würde, fehlte mir wirklich die Kraft, weitere Pferde anzuschauen. Wie konnte es so schwer sein, ein Turnierpferd zu finden, wenn das Limit ziemlich hoch lag? Seufzend bestellte ich mir noch ein Bier nach, dass mittlerweile das Dritte war.
      “Na, wenn du das als Hexe so sagst, dann muss das wohl stimmen”, akzeptierte sie meine Aussage grinsend, “Und was ist mit dir? Wenn du auf Pferdesuche bist, ist anzunehmen, du willst zu Dressur zurückkehren?”
      “Wollen ja, aber sehen wir es realistisch: Ich bin vermutlich am Boden besser aufgehoben”, seufzte ich unentschlossen.
      Noch bevor Lina eine Antwort gab, holte man unsere Teller ab und brachte eine Dessertkarte. Ich schob diese direkt an den Rand, doch sie blätterte zumindest darin.
      “Ach, quatsch, du hast ein Talent dafür, auch auf dem Pferd”, sprach sie hinter ihrer Karte.
      „Dennoch halte ich es für unmöglich, dieses Jahr eine internationale Prüfung zu reiten“, versuchte ich es möglichst unbekümmert klingen zu lassen, obwohl mich Lubis Verkauf zu teilen noch in der Nacht quälte. Allerdings war es nicht Lubi selbst in meinen Träumen, sondern ein Pferdewesen, dass sowohl Glymur als auch ihr glich. Wenn ich es ritt, stellte es ganz klar die große Warmblutstute dar, doch am Boden war es der Isländer. Seltsame Träume, die mich um spät nachts hochjagten.
      “Nicht so pessimistisch, das Jahr hat doch gerade erst angefangen. Wir finden erst einmal ein Pferd für dich und sehen dann mal, wohin das führt”, schenkte sie mir ein ermutigendes Lächeln.
      “Damit wird er mich wohl kaum mehr mögen.” Entmutigt stützte meinen Kopf auf den aufgestellten Ellenbogen und sah über ihre Schulter hinweg zur Tür. Noch bestand die Hoffnung, dass er engelsgleich durch die Tür schweben würde. Bisher passierte es nicht.
      “Ein Pferdesportspate bestimmt doch nicht allein, ob man von jemandem gemocht wird, viel wichtiger ist die Persönlichkeit, die den Sport ausübt”, redete Lina mir weiterhin gut zu. Vermutlich musste sie es wissen, aber mit vorlaufender Drehung des kleinen Zeigers, wurden die Augen schwerer und meine Laune schlechter. Sie hätte alles sagen können, aber es hätte nichts genutzt.
      Lina entschied sich gegen ein Dessert und als auch Dog begann zu drängeln, bezahlte ich, was außerhalb der Eintrittskarte lag und wir verschwanden die Treppe heraus. Müde und mit schmerzendem Unterleib vom langen Sitzen stolperte ich wie ein Storch die Stufen herunter. Der Hund zog, als gäbe es kein Morgen, was mir jeden Schritt noch schwieriger machte. Langsam öffnete die Brünette die Tür nach draußen und schon kam uns eiskalte Luft entgegen.
      “Ach ja”, fiel mir noch rechtzeitig ein, “wir schlafen im Transporter.” Bis zum letzten Augenblick hatte ich diesen Fakt verschwiegen.
      „Okay, reicht mir vollkommen", entgegnete sie sanftmütig und schlug den Weg zum Parkplatz ein. Weit kamen wir nicht. Ich stoppte wenige Meter nach der Tür und kramte hektisch in meinen Taschen nach einem Feuerzeug, das ich finden konnte. Ich hätte darauf geschworen, dass irgendwo eins sich darin versteckte, sich allerdings in Luft aufgelöst hatte. Mittlerweile bekam auch Lina meinen plötzlichen Stillstand mit und kam die letzten Meter zurück.
      „Man, jetzt geht das auch noch schief“, nuschelte ich ihr zu, mit der Zigarette im Mund, die mehr als unnötig war.
      „In dem Belangen kann ich dir auch leider nicht aushelfen“, zuckte sie entschuldigend mit den Schultern. Wer hätte das nur denken können, innerlich rollte ich mir den Augen, bis meine Rettung von der Seite an mich herantrat.
      „Ich allerdings schon“, sagte die Person, die mir längst von der Stimme und Dialekt bekannt vorkam. Das Licht der kargen Außenbeleuchtung fiel in sein Gesicht und mir stoppte der Atem. Beinah verschluckte ich mich, aber konnte den Reflex noch unterdrücken, zum Leiden meiner Lunge, die im selben Moment einen kräftigen Druck verspürte. Basti hielt mir das Feuerzeug an die Zigarette und wie versteinert stand ich vor ihm. Keine Regung, nur der Druck auf der Lunge, der immer stärker wurde und dabei weitere Schmerzen im Körper auslöste.
      „Danke“, sagte ich hustend.
      „Kinder sollte nun mal nicht rauchen“, grinste er und zog selbst an seiner.
      „Merke ich mir“, kam es teils nervös, teils genervt über meine Lippen. Erwartungsvoll blickte ich ihn, als gäbe es so viel, was er sagen sollte, aber selbst, schwieg ich. Obwohl ich fest entschlossen mich an der Leine klammerte und versuchte möglichst normal zu wirken, starrte ich ihn ununterbrochen an.
      „Ist noch etwas?“, sprach Basti mehr als verwundert.
      „Ähm“, stammelte ich wieder aus der Trance erwachend, „tut mir leid. Gute Nacht.“ So schnell ich konnte, setzte ich mich in Bewegung, reihte mich neben Lina ein, die das Geschehen aus sicherer Entfernung beobachtet hatte. Sie grinste unterhalten und nahm mir die Hundeleine ab.
      „Das ist er also, dein Basti“, stellte sie feixend fest, „Du weiß aber schon, dass es sich besser kennenlernt, wenn man spricht und nicht nur starrt.“
      „Bist du verrückt? Nicht so laut, sonst hört er das noch!“, sagte ich möglichst leise und klatschte mit der Hand gegen ihre Schulter, als würde Dog mit seinem Schwanz an ihr Bein wedeln. „Aber was soll ich schon groß sagen? Man. Das ist doch blöd. Ich bin nie so nervös, wenn ich jemanden gut finde.“ Hektisch zog ich an meiner Zigarette, damit sie nicht an Brennstärke verlor.
      „Ist ja gut“, beschwichtigte sie sogleich und senkte die Stimme, „Ich weiß nicht. Worüber man halt so redet, um ins Gespräch zu kommen, das Wetter zum Beispiel oder das Rennen.“
      „Schätzungsweise möchte er darüber nicht sprechen, nach so einem Reinfall, ist bestimmt schon schwer genug“, seufzte ich etwas erschüttert. Wir waren beinah am Transporter angekommen und noch immer vernahm ich seltsame Gefühl, als würden Blicke mir in den Rücken stechen und mich zurück zu ihm führen. Möglichst unauffällig drehte ich mich zu Basti um. Ich hatte recht, er starrte mir wirklich nach, als wäre ich ein Außerirdischer. Auf seinen Lippen lag ein spitzes Lächeln, doch als er mich bemerkte, drückte er die Zigarette im Aschenbecher aus und lief durch die Tür hinein.
      „Er hat es gehört. Ich sag’s dir!“, wiederholte ich meine Annahme. Lina hatte den Innenraum geöffnet und den ersten Fuß bereits auf der Stufe.
      “Ja und? Dann weiß er jetzt halt, dass du von ihm erzählt hast, ist doch kein Weltuntergang”, entgegnete sie relativ unbekümmert.
      “Aber es ist peinlich”, versuchte ich ihr meine Zweifel zu vermitteln, aber sie lachte nur.

      Am nächsten Tag, 9:50 Uhr
      Trabrennbahnparkplatz in Malmö

      Der Morgen kam viel zu schnell. Während Lina binnen Minuten die Augen schloss und in der Welt der Träume verschwand, plagt mich abermals dieser Alptraum. Mir lief kalt der Schweiß am Rücken herunter. Erst nach einer Hundewäsche und Outfitwechsel fühlte ich mich besser. Lina kam gerade mit zwei Bechern zurück: „Hier, Kaffee. Schwarz, ohne Zucker.“
      „Du bist ein Schatz, danke“, lächelte ich und rief den Hund. Dog kam vom Grünstreifen zurückgelaufen, legte sich in die Kiste und ich schloss sie.
      „Dann können wir los, oder?“, fragte ich Lina, die an ihrem dampfenden Tee nippte.
      “Bereit, wenn du es bist”, nickte sie.
      Kaum saßen wir wieder auf den Plätzen, startete ich den Motor. Laut dem Kartensystem fuhren wir nur fünfzehn Minuten bis zum Hof, der außerhalb der Stadt lag. Vorbei an kargen Bäumen und bunten Häusern folgten wir der Landstraße. Lina hatte ihren Blick aufs Handy gerichtet, lachte zwischendurch und die Finger flogen positiv gestimmt über das Glas. Ich versuchte konzentriert zu bleiben, aber hatte die Peinlichkeit mit Basti und den schlechten Traum noch im Hinterkopf. Unangenehm knurrte auch mein Magen, obwohl ich nie frühstückte. An dem Tag fühlte es sich anders an, auf eine Art unentspannt.
      „Das müsste der Hof sein“, sagte ich zu Lina, als das Navigationsgerät verkündete, dass das Ziel auf der linken Seite lag. Das Gestüt wirkte familiär. Heuballen stapelten sich am Eingang, zwei Hänger standen daneben und mehrere Fahrzeuge. Auf meinen Reitplatz wurde ein braunes Pferd geritten, dass aktiv den Hals wölbte und fleißig voran lief.
      “Oh, das ist hübsch hier ”, entgegnete sie, “Da bin ich mal gespannt, auf das Pferd.”
      „Und ich erst“, staunte ich und sprang in den Kies. Meine Augen hingen an dem großen weiß-roten Eingang, aus dem eine schmale Frau heraustrat.
      „Da sind unsere Gäste“, scherzte sie und kam näher, „freut mich, ich bin Anja.“
      „Vriska und das ist Lina“, stellte ich uns beide vor. Dann kam auch sofort Dog angerannt, der sich in den Dreck warf, um am Bauch gekrault zu werden. Nach der kurzen Begrüßung ging es schon zum Stall. Aus dem Transporter nahm ich meine Tasche mit. Viele Pferdeköpfe erstreckten sich aus dem Gang, durch den wir Anja folgten. Immer wenn wir an einem Fuchs vorbeikamen, dachte ich, wir seien da, doch erst an der letzten Box hielten wir an. Neben uns blickte eine kleine Stute heraus, die gerade so ihre Schnauze auf dem Holz ablegen konnte.
      „Da ist unser Pflegefall“, deutete sie auf einen Fuchs, der uns den Po zugedreht hatte und eine dunkle Stalldecke trug. Seine Ohren tief ins Genick gelegt. Ich nahm wahr, wie Lina erst das kleine haarige Pferd und dann den Warmblüter musterte.
      “Warte, ich kenne die beiden doch, ist das …”, sie klang erstaunt, beendete den Satz allerdings nicht, sondern nahm das Pferd genausten unter die Lupe. Der Hengste drehte sich schlagartig um und schnappte nach hier. Anja zog die kleine noch im richtigen Moment zurück und er traf nur Luft.
      “Das hätte ich sagen sollen”, merkte sie an, aber ich zuckte unbekümmert mit den Schultern. Stattdessen lief ich noch näher heran und reichte meine Hand. Seine Ohren spitzten sich für einen Augenblick, bevor er auch mich anvisierte. Ich schlug mit meinem Handrücken gegen sein Maul. Aufmerksam richtete er sich auf, als hätte er mit Abwehr nicht gerechnet.
      “Alles gut, mein Fehler. Ich hätte daran denken müssen, dass er so darauf ist”, winkte Lina freundlich ab.
      “Warum kennst du das Pferd?”, begriff ich mehr. Dem Pferd kehrte ich den Rücken. Die Augen der anderen wurden groß, aber unbegründet sicher fühlte ich mich in der Position.
      “Aus Kiel, Happy gehörte zu den Auktionspferden, die vom Abdecker freigekauft wurden”, erklärte dir Brünette bereitwillig.
      „Und man gab uns eure Adresse, weil mit ihm nichts läuft. Die ersten Wochen konnten wir in motivieren und jetzt“, Anja unterstrich ihre Aussage mit wedelnden Armen, als wäre das Problem offensichtlich, „also was auch immer ihr macht, nehmt den bitte mit, alles andere klären wir dann.“
      Verwundert sah ich zu Lina, die auch nicht so wirklich verstand, was Sache war.
      „Okay, aber Tyrell meinte, ich soll vorher einmal reiten“, erklärte ich.
      „Du kannst es gern versuchen, ich zeige dir alles.“ Die Dame lief vor und wir folgten. Die Sattelkammer war direkt neben dem der Box, Sattelzeug nahm ich auf den Arm und Lina griff die Putzkiste. Kaum kehrten wir zur Box zurück, stand der Hengst wieder mit drehten Hintern zu uns.
      „Bevor du hereingehst, der tritt, also pass auf“, warnte sie. Zaghaft nickte ich, wühlte aus der Jackentasche ein Leckerli heraus und bewaffnete mich mit dem Halfter. Das Scheppern der Box schreckte Happy auf. Drohend drehte er den Kopf zu mir.
      „So. Wir lassen das jetzt mal. Komm her“, murmelte ich, als würde es etwas ändern. Aber stattdessen giftete er ein weiteres Mal.
      „Willst du eine Gerte? Damit drehen wir ihn immer“, versuchte Anja zu helfen.
      „Nein, besser nicht“, lehnte ich dankend ab. Ein verängstigtes Pferd auch noch zu drohen, würde nicht viel an der Situation ändern. In der geöffneten Boxentür stand ich für geschlagene zwanzig Minuten, bis der Hengst auf der Stelle drehte und vorsichtig den Kopf zu strecken. Er bekam ein Leckerli, dass zunächst verschmäht wurde. Doch nach dem Schnuppern wirkte es wohl interessant und Happy fummelte es von meiner Hand.
      „Gut, jetzt mache ich mir keine Sorgen mehr“, hörte ich Anja zu Lina flüstern.
      “Brauchst du ohnehin nicht, sie weiß, was sie tun … und es scheint, Happy mag sie”, wisperte sie eine Antwort. Innerlich lachte ich, eigentlich wusste ich nichts, aber der Hengst sendete klare Zeichen, wie weit ich herandurfte. In langsamer Bewegung legte ich ihm das Halfter um, strich es vorsichtig über die Ohren und schon folgte er mir. Aus der Box zog er etwas Stroh mit.
      Putzen wurde eine weitere Herausforderung, aber nach knapp einer Stunde der Geduld, meisterten wir auch das. Anja verschwand zeitweise und Lina ebenfalls. Irgendwann kamen sie zurück und ich hatte den Sattel auf dem Riesen sowie meine Schabracke darunter. Leicht angewinkelt trug Happy seine Ohren und folgte mit den Augen genau, was die anderen beiden taten.
      “Vriska, du bist ein Wunderkind”, staunte Lina nicht schlecht, als sie meinen Fortschritt betrachtete. Aus sicherer Entfernung versteht sich.
      “Ihr übertreibt einfach. Der ist nur minimal empfindlich, aber sonst ziemlich umgänglich”, zuckte ich mit den Schultern. Meine Hand strich ihm sanft über die große Blesse, während seine Lippe an der Jacke fummelte.
      “Wenn du meinst”, zuckte sie mit den Schultern, “aber dann kannst du mal zeigen, ob du das minimal empfindliche Pferd auch reiten kannst. Schließlich sind wir dafür überhaupt hier.” Lina gab mir meinen Helm. Das Halfter zog ich herunter und führte ihm am Zügel mit. Doch nach zwei Schritten blieb er wie angewurzelt stehen, wollte keinesfalls mitkommen. Er wendete den Hals, um einen Blick die Gasse zu haben. Hektisch sprang die Plüschstute in ihrer Box.
      „Ach ja, die muss mit“, sagte Anja und holte die Stute. Hending, wie es mir im nächsten Moment vorgestellt wurde, war Happys Freundin und ohne die, bewegte er sich kein Stück. Mit sicherem Abstand folgten sie uns und damit setzte der Hengst auch einen Fuß aus der Gasse heraus. Lina übernahm das Pony, das aussah, wie ein zu kurz geratener Tinker, und ziemlich ungepflegt. In der Halle waren wir allein. Zusammen führten wir die Pferde, bis ein Gefühl für Happy hatte und aufstieg. Dafür hätte besser eine Aufstiegshilfe nehmen sollen, aber als Anja mit dieser ankam, sprang der Fuchs weg.
      Happy setzte mit großen und gleichmäßigen Schritten voran, deutlich weicher im Sitz als Lubi, aber ebenso schwungvoll. Es hatte etwas von einer Schaukel und bereitete mir Schwierigkeiten den Takt zu halten. Durch mein Gewicht versuchte ich ihn zu bremsen, aber Happy dachte nicht einmal daran. Der Zügel hing locker am Hals. Ich sammelte diesen auf und schon drückte er den Kopf an die Brust. Keine Chance gab er mir, überhaupt Kontakt zum Maul aufzubauen.
      „Ruhig“, sprach ich langgezogen. Die Schritte verkürzten sich und ich saß gleichmäßiger im Takt.
      „Guter Junge“, lobte ich und klopfte ihm den Hals. Dann schnaubte er ab.
      „Herzlichen Glückwunsch, du bist weiter, als wir alle zusammengekommen sind“, tönte es aus der Ecke. Ich nickte nur, um den Blick zwischen den braunen Ohren zu halten. Langsam, aber sicher baute ich eine Verbindung zum Pferdemaul auf. Sobald er sich einrollte, löste ich diese wieder auf. Runde um Runde arbeitete ich daran, bis er schließlich meine Hand akzeptierte. Im Zirkel hielt Happy locker die Linie und folgte dabei meiner Schenkelhilfe. Gleichzeitig zupfte ich am inneren Zügel, um ihm die Richtung zu weisen. Erstaunlich gut reagierte er darauf. Auch im Trab reagierte er sanft auf mich. Nur aussitzen konnte ich ihn nicht, dafür bot zu viel Schwung an, was sich wie eine Rüttelplatte anfühlte. Zwischendrin wechselte ich die Hand mit Bahnfiguren und geraden Linien. Auf Schlangenlinie spürte ich, dass ihm die Balance fehlte, aber wenn solange keiner an ihn herankam, wunderte es mich nicht. Nach einer Pause im Schritt am lockeren Zügel galoppierte ich auf der ganzen Bahn, denn in der Wendung trabte er aus, um den Schwerpunkt zu finden.
      “Vriska, ich glaube, aus dem kann richtig was werden. Das sieht richtig gut aus, was du da mit ihm machts”, rief Lina mit zu, die sich mit dem kleinen Fellmonster in der Zirkelmitte platziert hatte. Zum ersten Mal kamen Augen unter der langen Mähne zum Vorschein, denn sie hatte die Zeit genutzt, das ungepflegte Langhaar ein wenig zu bändigen.
      „Denke ich auch, deswegen hole ich mal die Verträge“, verschwand die Besitzerin aus der Halle. Happy holte ich zurück in den Schritt und musste erst einmal Luft holen. Auch er schnaubte ab. Natürlich hatte Lina recht, aber für mich fühlte es sich zu schnell an.
      „Ich weiß nicht. Ist das nicht etwas zu … vorhersehbar? Alle sagen, dass der ganz schrecklich ist und speziell, dann setzte ich mich in den Sattel und alles wunderbar“, seufzte ich unentschlossen. Gut, es ging ohnehin nicht um einen Kauf, sondern nur Training. Mit dem Gedanken ihn zu kaufen, hatte ich mich bereits auseinandergesetzt, aber war es so klug? Damit hätte ich schon zwei und beide davon nicht ganz klar im Kopf.
      “Gerade deshalb solltest du ihn mitnehmen, denk doch mal eine Sekunde nicht an dich, sondern an Happy. Hier ist dem armen Kerl doch nicht geholfen, wenn er sich nicht wohlfühlt und du willst doch sicher nicht, dass dieses talentierte Tier in einer Box versauert, nur, weil niemand an ihn rankommt”, versuchte Lina mich zu überzeugen.
      “Es steht wohl außer Frage, ob wir den mitnehmen. Aber ich denke doch schon wieder viel weiter”, seufzte ich, “weißt du, ich brauche ein Ziel und man. In meinem Kopf ist gerade zu viel.” Happy spürte sofort meine Unsicherheit. Er schlug mit dem Schweif und sprang im nächsten Moment in den Galopp um. Hektisch hob er die Hinterhand in die Luft, aber meine Balance reichte aus, um die Hüpfer auszugleichen. Mit den Knien war ich am Pferd und ermöglichte ihm, sich zu entfalten, außerdem wollte ich ihn nicht im Maul ziehen. Es dauerte lang genug, dass er sich der Verbindung zum Zügel näherte.
      “Tut mir leid, aber daran kannst du dich schon mal gewöhnen”, flüsterte ich, als Happy sich beruhigt hatte. Er schüttelte sich und ich ritt ab.
      “Mach dir nicht selbst so viel Druck. Bevor du verzweifelt nach einem Ziel suchst, solltest du dir erst einmal klar werden, was du überhaupt willst. Wenn du das weißt, findet sich dein Ziel von ganz allein”, sprach sie mit unglaublich viel Optimismus.

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      zeitliche Einordnung {Ende Februar 2021}
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      kapitel tjugoåtta | 05. September 2022

      Henade / May Bee Happy / Hending / Maxou / Monet / Northumbria / Pay My Netflix / Götterdämmerung LDS / Fjärilsviol / HMJ Divine

      Lina
      Obwohl der Tag heute regenfrei war, hingen die Wolken grau am Himmel. Kaum ein Sonnenstrahl, drang hindurch, sodass es kaum zu glauben war, dass es bereits Mittag war, als wir am Hof eintrafen. Schneller als erwartet, waren Happy und sein Anhang im Stall untergebracht, eben so eilig verschwand Vriska, murmelte etwas von Duschen und Kaffee.
      Schwer, wie ein Stein lag das Herz in meiner Brust, als ich schließlich vor meiner eigenen Tür stand, in dessen Glas sich der trübe Himmel spiegelte. Nur langsam drückten meine Finger die Tür auf und ich durchschritt das Portal. Stille umfing mich. Die Tür zum Schlafzimmer hin, stand offen, doch dahinter herrschte Dunkelheit bei geschlossenen Vorhängen. Einige von Niklas Sachen lagen nicht an ihrer gewohnten Stelle und auch sonst gab es keine Anzeichen für Leben in dem kleinen Haus. Der Stein in meiner Brust wuchs an, wurde so groß wie ein Felsbrocken und drückte mir auf die Lunge. Es war zu erwarten gewesen, aber ein Teil von mir hatte gehofft, dass er seine Worte nicht wahr machte oder vielleicht doch zurückkehrte, bevor ich es tat. Ohne auch nur das Licht einzuschalten, lief in das dunkle Zimmer, ließ Jacke und Rucksack achtlos auf den Boden fallen. Es war ohnehin egal, wer sonst sollte sich daran stören. Mit einem Seufzer fiel ich auf das Bett. Warum muss alles immer so kompliziert sein? Von der Erschütterung in Bewegung versetzt purzelte etwas von meinem Kissen hinunter direkt in mein Gesicht. Es war das helle Plüschtier, welches ich Mini-Ivy taufte. Was machte er dort, für gewöhnlich saß er doch auf dem kleinen Schrank? Das konnte nur heißen, dass das plüschige Ebenbild meines Hengstes absichtlich dort platziert worden war. Aber zu welchem Zweck das Plüschtier dort saß, leuchtete mir nicht ein. Niedergeschlagen betrachte ich das Tier in meiner Hand, wie es mich unschuldig ansah mit seinen großen Glupschaugen. Wie alle hier drin schrie auch das Plüschtier danach, dass ein wichtiger Mensch fehlte.
      “Du hast recht, kleiner Ivy”, seufzte ich nach einer Weile, ”statt hier den Trauerkloß zu schieben, sollte ich nach deinen großen Freunden sehen.” Wirklich nach arbeiten war mir nicht zumute, aber hier länger die Decke anzustarren, würde wohl auch nicht dazu beitragen, dass Niklas schneller wieder auftauchte. Langsam erhob ich mich. Bevor ich allerdings zurück in den Stall ging, musste ich dringend Duschen.
      Eine halbe Stunde später tapste ich in ein Handtuch gehüllt zu meinem Schrank. Eine große Auswahl an Reitsachen bestand nicht mehr, denn das meiste lag getragen im Wäschekorb. So griff ich nach der schwarzen Hose, die zuoberst auf dem Stapel lag, irgendeinem Shirt aus der Schublade und einer grauen Fleecejacke. Mit gekonnten Bewegungen bändigte ich schließlich noch meine Haare, bevor ich das Haus verließ. Laut hallten meine Schritte über die menschenleere Stallgasse, worauf hin sich einige Köpfe aus den Boxen erhoben. Hanni stellte aufmerksam die Ohren auf und reckte den Hals, als ich mich ihr näherte.
      “Mmm, Süße, du bist auch ganz allein”, sprach ich sanft zu ihr uns strich über die weiche Nase. Bestimmt langweilte sich die Stute in ihrer Box. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie bewegt worden war in meiner Abwesenheit, schließlich hatte ich Mateo lediglich gebeten, nach meinen Pferden zu sehen, nicht sich auch darum zu kümmern.
      Neugierig zupfte die Stute an meiner Jacke, stellte aber schnell fest, dass diese nicht essbar war. So griff ich nach dem Halfter vor ihrer Box, trat und streifte es über die flauschigen Ohren. Wohlerzogen folgte mir die Stute zum Putzplatz und wartete ebenso artig, als ich ihr Putzzeug holte. Es dauert ungefähr eine Dreiviertelstunde, bis ich den meisten Dreck aus dem Fell der Stute geputzt hatte. In der Sattelkammer stand ich schließlich ein wenig unentschlossen vor meiner Sammlung an Unterlagen, entschloss mich schließlich für die blaue Otterschabracke. Normalerweise hätte ich zu den Gamaschen gegriffen oder, wie bei Ivy häufig, sogar nur nach den Hufglocken, doch heute hatte ich das Bedürfnis möglichst viel Zeit im Stall zu verschwenden. Am Ende lief ich beladen mit Bandagen und all dem anderen Zubehör zurück zu Henade. Naja, zumindest fast, denn auf dem Weg verlor ich eine der Fleecerollen. Weitere zwanzig Minuten vergingen, bis die Stute ordentlich bandagiert vor mir stand. Auf ihrem Rücken ein Fellsattel, den Sam für die Stute daließ, da sie bisher keinen Sattler auftreiben konnte, der einen passenden Sattel für sie anzubieten hatte. Und dass, obwohl sie nicht gerade wenig Geld in die Stute investierte, dem ziemlich teuren Gelgebiss nach zu urteilen, welches in ihren Maulwinkeln lag.
      “Komm Hanni, dann wollen wir mal sehen, ob du den Beschreibungen gerecht wirst”, sprach zu ihr und verschloss meinen Helm. Ich glaubte zwar nicht, dass dieser wirklich notwendig sein würde, doch man wusste ja nie, schließlich kannte ich das Pferd nicht.
      Ganz von selbst lief die Stute im Schritt voran, fußte sicher unter ihren Schwerpunkt und benötigte kaum Zügelkontakt, um in eine Anlehnung zu kommen. Ich hatte gerade eine Runde um die gesamte Bahn geschafft, da trat eine kleine Gestalt mit einem weißen Pony, mit niedlichen buschigen Zöpfen geflochten, am Zügel in die Halle. Dieses kündigte sich mit einem lauten und schrillen Wiehern an, dass Hanni sogleich erwiderte.
      „Störe ich?“, fragte sie höflich und zurrte den Gurt fester.
      “Nein, ich denke, hier ist ausreichend Platz für uns beide”, lächelte ich freundlich. Kaum hatten meine Worte den Mund verlassen, stieg sie auf den Hengst und ritt los, um sich neben mich einzureihen.
      “Ich glaube, wir kennen uns nur peripher. Mein Name ist Neele und das ist Monet”, stellte sich die kleine Naturblonde vor. Den Namen kannte ich bereit, aber die Person dazu bekam ich bisher nicht wirklich zu Gesicht, denn sie verbrachte den ersten Teil ihres Praktikums drüben bei den Ponys aus dem Norden.
      “Schön, euch beide kennenzulernen. Ich bin übrigen Lina und die hübsche Dame hier”, sprach ich und strich der Stute über den Hals, “ist Henade.”
      “Cooler Name”, merkte Neele an. Auch sie wuschelte ihrem Pferd durch die Mähne und wendete dann auf den Zirkel ab, als ein kaltes Schweigen in der Halle eintrat. Ungewöhnlich weit setzte ihr helles Pony durch den Sand und hielt sich vollkommen selbst, sogar den Schwerpunkt fand es problemlos.
      “Ist Monet in der Dressur ausgebildet? Er bewegt sich so ungewöhnlich elegant für ein so kleines Pony”, starte ich einen Versuch, die Konversation wieder aufzunehmen, als sie auf ihrem Kreis an mit vorbeikam.
      “Richtig erkannt, wir wollen auch dieses Jahr wieder auf Turniere fahren”, erklärte sie umgehend.
      “Oh cool, auf welchem Niveau nimmst du teil?”, fragte ich interessiert. So wie das Pony sich bewegte, vermutete ich eine hohe Ausbildung, aber Tiere dieser Größenordnung sah man nur selten über L-Niveau oder vielleicht noch M-Niveau.
      “Grand Prix in den Jungen Reitern”, sagte Neele mit stolzer Brust.
      “Wow, dann habe ich ja zwei Profis vor mir“, sprach ich anerkennend. Irgendwie war es seltsam, dass ich egal, wohin ich ging, immer zu auf Leute traf, die viele Erfolge in hohen Klassen vorzuweisen hatten. Mit Ehrfurcht blickte ich zu diesen auf, traute ich mich selbst nach den dreizehn Jahren, die ich mittlerweile auf dem Pferderücken verbrachte, nicht auf ein Turnier.
      “Ach, wir machen das nur zum Spaß, außerdem bin ich der Meinung, die sollen endlich aufhören, sich auf ihren riesigen Viechern auszuruhen. Sieht alles gleich aus auf dem Turnier”, sprach sie mir aus der Seele.
      “Ja, da stimme ich dir vollkommen zu und dann sind auch alle noch braun und schwarz, man könnte mal mehr Farbe bekennen, mehr Formen einbringen, das wäre zum Zuschauen deutlich spannender“, stimmte ich Neele zu.
      “Deswegen habe ich noch immer ihn hier. So lange wollte man mich von meiner Idee abbringen, aber mittlerweile sind wir zweimal gestartet und es war wirklich cool”, dann schweifte ihr Blick zu Henade, “deine ist aber auch wirklich super toll.”
      “Danke, aber Hanni ist leider nicht meine. Sie ist nur zum Beritt hier“, erklärte ich der Ponyreiterin.
      “Ach, das eine schließt das andere doch nicht aus. Aber nun viel Erfolg, mein Junge möchte schneller”, verabschiedete sich Neele und trabte an. Ein seltsamer Zufall, am Freitag hatte ich mit Vriska ein Gespräch mit ähnlicher Thematik. Beinahe als wolle das Schicksal mir einen Wink geben.
      Auf einen leichten Druck mit dem Schenkel trieb ich meine Stute in den Trab. Wie auch im Schritt bereit waren ihre Tritte weich und sie hatte gerade so viel Schwung, dass man es noch bequem aussitzen konnte. Ich fühlte mich vollkommen sicher auf Hanni Rücken, denn sie schien wirklich durchschaubar zu sein. Nur eins schien der Stute nicht zu passen, Neele und ihr Pony. Immer dann, wenn wir an den beiden vorbeikamen, schlug sie missmutig mit dem Schweif, ließ sich allerdings nicht davon aus der Konzentration bringen. Nach einer lockeren Aufwärmphase wagte ich es langsam die Seitengänge anzutesten. Im Schritt legte ich das innere Bein an und fasste selbigen Zügel ein wenig kürzer, den äußeren gab ich gerade so weit nach, dass die Stute frei war, sich in den Rippen zu biegen, aber nicht abwenden würde. Die Gewichtshilfe folgte ebenso der Biegung, was bei Hanni allerdings umgehend zu Verwirrung führte, unsicher taumelte die Stute und verlor Takt wie auch Richtung. Hatte ich etwas falsch Gemachten? Ich brachte Hanni zurück in die Ausgangsposition und ging die Hilfe für das Schulterherein sicherheitshalber durch. Innerer Zügel, inneres Bein, außen verwahren, Gewicht in Stellungsrichtung. Nein, ich hatte alles gemacht, wie ich es lernte. Bei einem erneuten Versuch, die Lektion zu reiten, reagierte die Stute unverändert. Auch als ich andere Lektionen testete, wirkte es als sprachen wir zwar die gleiche Sprache, allerdings mit unterschiedlichen Dialekten, ich sollte mir definitiv Hilfe bei jemandem suchen, der wusste, wie ich die Kommunikation mit Hanni verbessern konnte. Anstatt das Pferd und mich weiter zu verwirren, ritt ich nur ein paar Hufschlagfiguren und einfache Lektionen. In den Schrittpausen, die ich Henade zwischendrin gab, beobachtete ich volle Faszination Neele mit ihrem Pony. Elfen gleich tanzte der kleine Hengst über den Sand und wirkte unheimlich leicht und harmonisch. Ob Divine sich wohl eines Tages auch mit so viel Kraft und Anmut bewegen würde?
      “Du siehst so planlos aus”, kam das helle Wesen zu uns und hielt, “kann ich dir helfen?”
      “Ich weiß nicht so genau. Ich wollte Seitengänge reiten, aber Hanni scheint mich nicht zu verstehen”, erklärte ich ihr das Problem wage.
      “Dann versuche es doch von der Grundlage, aus der Ecke heraus in der Versammlung, um jeden Schritt genau zu fühlen, damit ihr einander versteht“, gab Neele mir einen Anstoß und ritt mit dem Hengst voran. Nickend nahm ich ihren Tipp zur Kenntnis und ritt Henade im Schritt an. Wie die Blonde vorschlug, versammelte ich die Stute, konzentrierte mich und versuchte jeden Schritt nachzuspüren, was durch den Fellsattel deutlich erleichtert wurde. Auf der Geraden fühlte sich ihr Takt noch gleichmäßig an. Das Schultervor bereite noch keine Probleme, erst, als ich dieses zum Schulterherein umstellte kamen wieder die Probleme. Ein erster Verdacht kam mir, wo das Problem liegen könnte, denn die Hilfe der Lektionen unterscheiden sich nur marginal. Aus einer Volte heraus leitete ich erneut in die Lektion über und probiere diesmal bewusst, die Gewichtshilfe wegzulassen, was gar nicht so einfach war, wenn man es jahrelang anders machte. Zögerlich folgte Hanni der Anweisung, trat über den ersten Hufschlag hinaus und bewegte sich schrittweise voran. Zufrieden den Problempunkt gefunden zu haben, lobte ich die Stute nach einigen Schritten passablen Schritten.
      “Na, siehst du, wunderbar!”, lachte Neele, die einige Meter weiter parallel zur Mittellinie trabte.
      “Vielen Dank für deinen Tipp, jetzt weiß ich, wo ich ansetzen muss”, bedanke ich mit einem Lächeln. Neele erschein mir nicht nur talentiert im Umgang mit ihrem Pony, sondern kam mir mit jeder Minute sympathischer vor.
      „Freut mich, dass ich helfen konnte“, sagte sie noch, bis lautes Poltern unser Gespräch beendete. Es klang beinahe, als würde eines der Pferde versuchen, den Stall ein wenig umzudekorieren. Irritiert versuchte ich einen Blick über die hohe Bande in die Stallgasse zu werfen und auch die Stute reckte ihren Kopf in die Höhe, doch darüber sehen gelang mir nicht. Hanni und ich waren zu klein.
      “Ähm, ich denke, ich sollte mal nachsehen, wer da randaliert”, entschuldigte ich mich bei Neele und lenkte den Freiberger zum Hallentor. Kaum bog ich durch die Tribüne nach links, erblickte ich ein kleines Chaos. Eine große Pfütze Wasser schwamm vor Maxou, die mit aufgerissenen Augen und nach oben gerichtetem Kopf zu mir sah. Neben ihr lag der Zaum am Boden und die Zügel um ein Bein gewickelt, den sie vermutlich im Schreck vom Haken gerissen haben muss. Auch dieser lag einige Meter entfernt, während im Holz ein großes Loch prangerte. Zu guter Letzt stand das Pony zwischen dem ganzen Putzzeug, denn auch den Putzkasten trat sie weg. Nur von Vriska war nichts zu sehen, die vermutlich in der Kammer gerade den Sattel holte. Ich ließ mich vom Rücken meiner Stute gleiten und ließ sie einfach an Ort und Stelle stehen. Langsam, um das Tier nicht noch mehr zu verschrecken, näherte ich mich Maxou, streckte ihr die Hand hin.
      “Was machst du denn, kleines Pony”, sprach ich beruhigend zu der hellen Stute, strich über ihren Hals. Mit bebenden Nüstern beschnupperte sie mich, prustete laut. Behutsam befreite ich ihr Bein aus dem Zügel und bemerkte erst, als ich angestupst wurde, dass Henade nicht, wie ich dachte, stehen blieb, sondern mir neugierig nachgelaufen war. Interessiert beschnupperte die gescheckte Stute das Pony, welches ebenso aufgeschlossen schien, doch sogleich warnend aufquietschete. Hanni drehte die Ohren leicht nach hinten, ließ aber nicht wirklich von Maxou ab.
      „Oh, was ist denn hier los?“, kehrte Vriska lachend zurück und tätschelte sogleich den Hals der Freibergerstute, hielt dabei ihr Pad auf dem anderen Arm.
      “Ich glaube, dein Pony wollte den Boden schrubben oder ähnliches”, erklärte ich und deutete auf die kleine Überflutung, in der noch immer noch die Bürsten schwammen.
      “Lieb von ihr”, bemerkte sie, tänzelte zwischen dem Wasser hinweg, um zu ihrem Pferd zu gelangen. Das streckte sich zu ihr und fummelte ein Leckerli aus der Jacke heraus.
      “Ja”, nickte ich zustimmen, “auf jeden Fall solltest du später noch Tyrell Bescheid geben, der Haken ist Maxou auch zu Opfer gefallen.”
      “Ach, der bekommt das nicht auf die Reihe. Den mache ich nach dem Reiten wieder an Ort und Stelle fest.” Vriska betrachtete besagtes Loch etwas näher und murmelte unverständlich.
      “Selbst ist die Frau, nicht?”, lächelte ich sanft. Hanni verlor mittlerweile das Interesse an Vriskas Pony und senkte stattdessen den Kopf zu einer der Gegenstände auf dem Boden, um diese mit den Lippen gründlich zu untersuchen.
      “Genau”, von einem Moment zum anderen zitterte ihre Stimme, dieselbe Unbeholfenheit und Unsicherheit kehrte zurück, als würde mein Freunden jeden Moment kommen, um ihr die Meinung zu geigen.
      “Mach dir keine Gedanken, wir bleiben heute ungestört”, sprach ich, um sie zu beruhigen und bemühtem mich dabei, es möglichst beiläufig klingen zu lassen, denn ich wollte Vriska nicht ihre fröhliche Stimmung nehmen.
      “Tut mir leid”, antwortete sie weiterhin geduckt und legte die rosafarbene Schabracke auf die Stute, sowie ihr Reitpad. Maxou drehte sich langsam zu ihr um, Schwups, ein weiteres Leckerli wechselte von Jackentasche zu Ponymaul.
      “Ist schon okay, das Leben ist kein Disney Film”, sprach ich und zupfte unwillkürlich an der einzigen hellen Strähne in der Mähne des Freibergers.
      “Du bist aber eine, mit deinem Pony”, grinste sie wieder. Maxou trug den gebisslosen Zaum, wie immer, und folgte ihrer Besitzerin treu. “Bis später.”
      “Bis später”, spiegelte ich ihrer Worte mit einem winzigen Schmunzeln auf den Lippen und wand mich schließlich Hanni zu, um sie abzusatteln.

      Stunden später

      Vriska
      Eine kurze Einheit im Sand für gerade einmal zwanzig Minuten in der Halle, überstand ich, mit der Pony-Stute, ohne Probleme. Sie folgte nur mühselig am Schenkel, aber rang sich dazu durch, zum Schluss ihre hohe Ausbildung zu zeigen – Zumindest, was den Takt im Schritt betrifft. Vielmehr wollte ich nicht abverlangen, zu groß das Risiko, dass sie die Arbeit verweigerte. Ebenso stand vor des Fuchses Box, der noch immer die Tür zur Außenwelt seltsam fand.
      “Morgen?”, fragte ich ihn, ohne eine Antwort zu bekommen. Nicht einmal seine Ohren drehten sich zu mir, aber der Schweif pendelte immerhin ruhig.
      So verabschiedete ich mich im gedimmten Licht der Stallbeleuchtung von meinen Schützlingen, um in die Gemeinschaftsküche zu gehen. Lars und Nour waren vom Rennen zurück und wollten auf ihre Erfolge anschließen. Obwohl ich mich nach dem Kurztrip klarer im Kopf fühlte, besonders nach dem schönen Shopping-Tag in Kopenhagen – bei dem ich meinen nicht vorhanden Kleiderschrank um etwas Farbe erweiterte – herrschte zu gleichen Teilen, ein riesiges Chaos.
      „Da bist du endlich“, schmunzelte Lars, der wieder erwarten, mit Tyrell am Tisch saß.
      “Aber wo ist Nour?”, fragte ich verwirrt und setzte mich dazu. Überall lagen verteilt Zettel, bedruckt, mit kleiner Schrift und auf Schwedisch, was es für mich bei so später Stunde schwierig machte, meiner Neugier nachzukommen. Also nahm ich mir ein Bier aus dem Kasten neben mir.
      “Sie wollte noch mit Vision in die Halle”, wurde mir meine Frage beantwortet, bevor sie sich wieder ihrem Gespräch widmeten. Ich zog währenddessen mein Handy hervor. Dass ich in Malmö ein Pferd, genauer gesagt zwei, blieb offenbar nicht unbemerkt, obwohl ich es nirgendwo geteilt hatte.
      “Jetzt erzähle doch endlich”, schrieb Eskil, nach dem ich versuchte, seine Quelle zu finden. Seufzend tippte ich die Geschichte zu dem Fuchs und auch, dass ich mit ihm noch sprechen wollte. Aber warum? Ganz einfach: Mit Happy würde ich nur eine gewisse Zeit weiterkommen und bräuchte später auch seine Hilfe.
      “Gern, aber möchten wir nicht früher anfangen? Noch habe ich Platz für euch”, schlug er vor.
      “Überlege ich mir, okay?”, antwortete ich wahrheitsgemäß.
      „Nour ist an allen vorbeigezogen, als gäbe es kein Morgen“, berichtete Lars und sippte an der Bierflasche. Damit zog er wieder meine Aufmerksamkeit vom Handy weg.
      „Mh“, nickte ich abwesend, fummelte derweil das Etikett von meiner eigenen Flasche ab. „Das war dein gutes Training“, lachte Tyrell, gebeugt über bereits erwähnte Papiere, die er versuchte zu sortieren. Mittlerweile erkannt ich, dass es Ausdrucke von möglichen Hengsten für die Zuchtstuten in diesem Jahr waren. Die Liste war lang und mindestens genauso schwer zu entscheiden, was in Zukunft das Gestüt repräsentieren sollte.
      „Was ist mit dem?“, überlegte er laut, reichte dabei einen Zettel an Lars, der nur wenig Begeisterung dabei empfand. Er drehte die Augen nach oben und lehnte sich aus der bequemen Position vor.
      „Der ist cool, aber sollte mit einer ausgeglichenen Stute kombiniert werden“, sagte dieser. Ich versuchte einen Blick zu erhaschen, doch es wurde mir verwehrt. Stattdessen grinste Lars schief in meine Richtung.
      „Du hast doch gar keine Ahnung“, kommentierte er.
      „Dann bring mir doch etwas bei, anstelle mich immer außen vor zu schieben“, fauchte ich.
      Nun wurde auch Tyrell hellhörig und sah zu mir.
      „Ärger im Paradies?“
      „Also, in meinem ist alles gut“, gab Lars zu verstehen, obwohl ich aus allen möglichen Ecken gehört hatte, dass es dort ziemlich eingeschlafen war. Noch viel mehr: Seit Weihnachten konnte er nur mich ans Land gezogen haben, was angesichts seiner bisherigen Quote einen derben Verlust darstellte.
      „Dann ist gut“, murmelte unser Chef und reichte ihm ein weiteres Pferd, „den habe ich für Humbria überlegt.“
      „Für Humbria? Soll sie nicht mehr Rennen?“, kam es teils traurig, teils aufbrausend hervor. In Angesicht der Angst lief mir es kalt den Rücken herunter.
      „Nun, das hängt davon ab, wie lange du noch fährst und welche Erfolge ihr erzielt. Also sollte das nächste Woche mit euch beiden eine zuversichtliche Kombination sein, würde ich aufs nächste Jahr warten oder erst im August sie besamen lassen“, erklärte Tyrell vollkommen unbeeindruckt von meinen krampfenden Händen an der Tischkante. Das Schicksal schien es nicht gut mit mir zu meinen, wenn mir immer die Pferde abgenommen wurden, die ich am meisten mochte.
      „Wirklich? Der? Das könnte sehr blütig werden und Kraft hat die Hübsche schon genug“, Lars begann in dem Haufen zu suchen, „dieser hier könnte eine vielversprechende Kombination bringen.“
      „Der steht in Kalmar, oder?“, betrachtete Tyrell den zerknitterten Zettel. Endlich ergatterte ich ein Blick auf die ‚Breeder Bibel‘, wie sich diese Zusammenfassung nannte, bestehend aus Abstammung und Gewinnsummen. Oben stand ‚Pay My Netflix‘. Ein Mini-Netflix! Die Vorstellung erweichte mein Herz, dass der schicke Rappe einen Nachfahren bei uns hätten. In der Freude wippte mein Bein unter dem Tisch und grinste von einem zum anderen Ohr.
      „Vriska scheint begeistert“, sagte Lars und mysteriös funkelten seine Augen zu mir.
      „Das letzte halbe Jahr lässt aber zu wünschen übrig“, seufzte Tyrell, „Ich denke eher nicht, denn hier wiederum“, erreichte Lars ein weiteres Pferd.
      Das Ende vom Lied war, dass die beiden Männer sich nicht einig wurden über ein Pferd, aber für mich stand die Diskussion fest: Netflix oder kein Fohlen. Tyrell brachte die Unterlagen weg, stattdessen kam Nour dazu, die offenbar nicht lange den Hengst bewegt hatte.
      „Und wie war er?“, fragte ich, als auch sie ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank genommen hatte und am Tisch Platz nahm.
      „Ziemlich zickig, aber am Ende lief er gut“, berichtete sie, „aber, du, sage mal. Wie lange wolltest du uns den schicken Fuchs verheimlichen?“
      Da wurde ihr Bruder hellhörig, der zuvor auf sein Handy starrte.
      „Ähm, das ist das Berittpferd, dass ich mit Lina angeschaut hatte“, begann ich zu erzählen.
      „Deswegen war Niklas so schnell weg, verstehe“, unterbrach Nour meine Erzählung. Zustimmend nickte ich.
      „Und mit Happy hat es relativ gut gepasst, deswegen ist er jetzt hier.“
      „Dann hast du dein Turnierpferd? Ich freue mich so“, schwärmte sie weiter.
      „Erst mal abwarten, schließlich soll er nicht grundlos in den Beritt. So lange nerve ich euch“, auf meinen Lippen lag ein zartes Schmunzeln, denn ich wusste nicht genau, wie lange meine Laune für die Geschwindigkeit anhalten würde.
      „Oh nein, ich hoffte, dass du endlich wieder verschwindest“, scherzte Lars, „aber willst du uns das Tier nicht einmal zeigen?“
      „Ich weiß nicht, der braucht noch Ruhe, denke ich“, äußerte ich meine Zweifel. In meinem Kopf hing noch das Ereignis mit der Göttin, auch wenn durch das Training mit Osvo das Selbstvertrauen wuchs.
      „Und sonst? Wie sieht dein Plan mit ihm aus?“, drängte sich Nour in den Vordergrund. Tatsächlich hatte ich mir bereits etwas überlegt, was dem Pferd und meine reiterliche Leistung fördert.
      „Gut, dass du fragst“, grinste ich lehnte mich nach hinten, bedrohlich knarrte das Holz, aber sollte mich für gewöhnlich halten, „ich werde wieder mit Eskil trainieren.“
      „Das ist der Bruder von Jonina, oder? Sie hat erzählt, dass er überlegt, seinen Hengst hierher für die Turnierrente zu bringen“, überbrachte sie neue Informationen für mich.
      „Ja, genau. Als Lubi noch da war, hat mein Ex den Unterricht bezahlt und wir kamen gut voran miteinander. Deswegen schätze ich es als sinnvoll ein“, erklärte ich zuversichtlich, obwohl das Chaos in meinem Kopf gegenteiliges aussagte.
      „Wieso fragst du nicht mich?“, mischte sich Lars ein. Beinah synchron drehten Nour und ich uns zu ihm.
      „Seit wann gibst du Dressurstunden?“, kam sie nicht mehr aus dem Staunen heraus. Stattdessen nahm sie ihn weiter auf den Arm, mit unpassenden Sprüchen und Kommentaren, die, selbst ich, teilweise als eine Nummer zu hoch empfand.
      „Also mit Osvo hat er mir einiges beibringen können, aber denkst du, dass du mit einem Grand Prix Dressurpferd, das Menschen nicht mag, mir helfen kannst?“, versuchte ich das Gespräch zu entschärfen.
      „Die Grundlagen müssen sitzen und dann löst sich der Rest von selbst“, zuckte Lars beinah eingeschnappt mit den Schultern, „aber ich möchte verhindern, dass du unnötiges Geld ausgibst.“
      „Er macht guten Unterricht, nichts daran ist unnötig“, gab ich mir Mühe ihn zur Vernunft zu bringen, doch wie ein bockiges Kind stellte, er sich quer.
      „Die Schnösel da sind alle gleich“, behielt Lars seine Meinung.
      „Bist du eifersüchtig?“, kam auch Nour wieder zu Wort.
      „Worauf sollte ich bitte eifersüchtig sein“, zuckte er, „wisst ihr, mir ist das zu kindisch mit euch.“ Lars stand auf und wollte gehen, als ich über den Tisch nach seiner Hand griff. Mit großen grünen Augen blickt er zu mir und ich meine, das Funkeln tief darin erneut erblicken zu können. Damit erhärtete sich Nours Vermutung und triumphierend blitzte sie mich an. Ich schüttelte nur seicht den Kopf, um ihr diesen Zahn zu ziehen. Glücklicherweise kamen im selben Augenblick Lina und Mateo in den Raum.
      “Stören wir?”, scherzte der Schweizer und schob die kleine Brünette vor sich in den Raum. Sie sprühte nicht so vor Leben wie sonst, aber im Gegensatz zu heute Mittag schien ihre Stimmung minimal besser zu sein.
      “Nein, nein. Kommt rein”, lachte Lars. Sofort erhob er sich, um den beiden Platz zu machen und kam dafür ziemlich nah an mich heran. Nour blickte starr in meine Richtung, legte dabei ebenfalls ein strahlendes Lächeln auf. Was war nur los mit den allen heute?
      “Ein schickes Pferd hast du da mitgebracht, Vriska”, sprach auch Mateo den Fuchs an, nahm zwei der braunen Flaschen aus dem Kasten, öffnete diese geschickt und drückte Lina eine davon in die Hand, “und ich hörte, er kann nicht nur hübsch aussehen.”
      “Stimmt, er kann auch wunderbar auf Menschen losgehen”, konnte ich mir diese Gelegenheit nicht verkneifen, denn offenbar konnte ich mit nur einem Handgriff dieses Pferd bändigen. Sehr ironisch, denn er war alles, was ich nie in meiner Nähe haben wollte. “Aber eure Stute ist auch nicht schlecht.”
      “ Mit ihr hat Sam eine ziemlich gute Entdeckung gemacht, nicht wahr, Lina?”, lächelte der Blonde und warf der Kleinen einen sanften Blick zu.
      “Ja, Hanni ist toll”, nickte diese und wendete zurückhalten den Blick auf das Glas in ihren Händen, “aber ich muss noch ein wenig herausfinden, wie sie funktioniert.”
      „Lars gibt neuerdings Dressurstunden“, warf Nour direkt ein, woraufhin Mateo auch mit lachte. Besagter, neben mir, zuckte nervös.
      „Ganz ruhig“, flüsterte ich ihm vertraut zu und legte die Hand auf sein wippendes Bein. Obwohl es frei von jeglicher Bedeutung war, fühlte sich die innige Berührung notwendig an. Auch er hatte das Chaos in meinem Kopf mitbekommen und seinen Arm auf die Lehne hinter mir abgelegt. Für einen kurzen Augenblick schien alles so perfekt, aber da kam die Stimme in meinem Kopf wieder, die versuchte, mir ein schlechtes Gewissen zu geben. Basti wäre enttäuscht, mahnte sie. In meiner Kehle staute es sich, wie ein harter Klumpen aus Spucke hing bedrohlich fest. Je mehr ich versuchte ihn zu lösen, umso stärker wurde das kratzende Engegefühl. Aus dem Reflex musste ich husten.
      “Geht es?”, fragte Lars besorgt nach. Ich nickte. Prüfend blickte Lina mich an, vergewisserte sich ebenso meinem Wohlbefinden. Allerdings wirkte ihr Blick beinahe durchdringend, als erahne sie, was in meinem Inneren vor sich ging.
      “Passt schon, fürs Erste konnte Neele mir weiterhelfen”, ging sie schließlich auf Nours Kommentar ein. Lina war heute ungewöhnlich still, für gewöhnlich hätte sie bereits begonnen, von der Stute zu schwärmen.
      „Schätzchen, was ist denn mit dir? Du hängst da wie ein nasser Sack. Wegen deines Freundes?“, Nours Tonlage veränderte sich sofort, als auch ihr die Stille seltsam vorkam. So gern ich helfen wollte, konnte ich es nicht. Schließlich stellte ich den Grund dar.
      „Können wir ins Bett gehen?“, murmelte ich Lars zu, der sogleich verwundert, aber interessiert zu mir heruntersah. Noch bevor er antworten konnte, zischte seine Schwester: „ihr könnt nachher es noch miteinander treiben.“ Lina schwieg noch und hatte sich derweil einer lockeren Strähne gewidmet, die sie beinah hypnotisiert um den Finger drehte, mir damit das Gefühl gab, als würde mein Magen sich sogleich mit bewegen. Ich hätte besser darüber nachdenken sollen und der Gedanke, dass ich ein schlechter Einfluss für sie, bestärkte sich. Die kühle Ablehnung im Raum, setzte mir immer mehr zu, aber ich versuchte mich zusammenzureißen. Mateo legte behutsam seine Hand auf ihren Arm, was kurzzeitig für einen Stillstand sorgte. Gleichzeitig mit der Geste wiederholte er Nours Anliegen: „Was liegt dir auf der Seele? Du kannst ruhig mit uns reden.“ Zögerlich biss Lina sich auf die Unterlippe und blickte hoch, ließ den Blick Schweifen und schien letztlich alle anwesenden als Vertrauenswürdig genug zu befinden.
      „Ja, ich habe mich am Freitag mit Niklas gestritten und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Ich weiß nicht mal, wo er hin verschwunden ist“, öffnete sie sich. Bei dem Problem konnte ich behilflich sein. Vom Tisch hob ich mein Handy auf, das mit dem Bildschirm aufs Holz gedreht war. Lars schielte auf das Gerät, doch glücklicherweise lag Basti als mein Sperrbildschirm verdeckt von Benachrichtigungen, sonst wäre ihm sicherlich ein blöder Kommentar eingefallen. Stattdessen bewegten sich meine Finger zur Ortungsfunktion, in der Niklas mit bereits in Kanada hinzugefügt hatte und noch immer nicht entfernt.
      „Dein Freund ist Stockholm und bewegt sich durch den Park“, schob ich ihr mein Handy hinüber, „also schätze ich, dass er arbeitet.“ Aus dem Radio hatte ich vorhin die Nachricht aufgeschnappt, dass ein wichtiges Fußballspiel in der Hauptstadt war, und Fußballfans konnten grausame Menschen sein.
      „Danke“, murmelte Lina, wirkte immer noch gedrückt.
      „Lina, mach dir nicht so viele Gedanken, das ist ganz normal, dass man mal seine Differenzen hat. Das wird schon wieder mit deinem Freund“, sprach Mateo und legte ihr aufmunternd den Arm um die Schulter.
      “Letztlich hat er ein Problem und nicht du”, versuchte Nour ihr einen Rat zu geben, “wenn er sich derartig abhängig von dir fühlt, sollte er sein Leben überdenken. Du bist schließlich für ihn hergekommen.”
      Tatsächlich überraschte mich, dass sie davon wusste. Gut, es gehörte vermutlich zum Stallgeflüster, dennoch hatte ich vermutet, dass das Thema bereits Geschichte war. Lars rückte in dem Moment noch näher und bei seiner Schwester hob sich eine Augenbraue.
      „Wisst ihr schon die Neuigkeiten?“, wechselte sie sofort das Thema, ohne die Augen von uns zu lösen.
      “Worum geht's?“, hakte Mateo nach. Mit dem Themenwechsel entspannte Lina ein wenig und hielt ihre Finger endlich mehr oder weniger ruhig.
      „Bei den beiden geht es heiß her. Ich sage es euch, da liegt einiges im Busch“, sprach Nour siegessicher, aber ich musste meine Hand vor den Mund legen, um nicht laut loszulachen. Zugleich spürte ich Hitze in meinem Gesicht aufkommen.
      „Ich weiß nicht, welche Landschaften du besuchst, aber den Busch will ich sehen“, schüttelte Lars augenrollend den Kopf, aber sein Arm lag immer noch hinter mir. Am Nacken spürte ich die Muskeln zucken, als müsste er sich zusammenreißen. Rundum lag eine unangenehme Spannung im Raum, die mir wünschte, lösen zu können. Dafür kam aber infrage, den Fuchs vorzureiten.
      „Das nennst du eine Neuigkeit?“, schmunzelte Lina, „Ich dachte schon du hättest spannendere Informationen für uns.“
      Nun rollte seine Schwester mit den Augen, vermutlich wollte sie endlich Gewissheit haben, denn seit Weihnachten konnte sie nicht herausfinden, was gelaufen war. Viel mehr interessierte Nour auch, das noch. Lars gab sich auch äußerst Mühe, die Möglichkeit für mehr offenzuhalten. Dass meine Frage seine Hoffnung befeuerte, bemerkte ich erst jetzt.
      “Dann könnte dich interessieren, dass Tyrell Viola gekauft hat? Die Schecke Stute, die bei den Einstellern steht?”, warf sie stattdessen ein und auch wurde hellhörig.
      “Das alte Warmblut Ding?”, fragte ich verwundert.
      „Wozu das denn?“, trug Lina ebenso erstaunt eine Frage bei.
      “Er möchte ein Fohlen aus ihr ziehen und das dann teuer verkaufen, weil ihm jemand den Floh ins Ohr gesetzt hat, dass schwedische Warmblüter sehr beliebt im Ausland sind”, erklärte sie. Tatsächlich klang das nach unserem Chef, ebenso, dass das Tier auch in vier Jahren noch auf der Weide schmoren würde.
      „Das klingt ja nicht sehr durchdacht einfach mal so eine Zuchtstute anzuschaffen“, kommentierte Mateo kritisch.
      “Sage ihm das”, sagte Nour, “bestimmt darfst du die Stute erst mal reiten, schließlich muss sie auch noch zur Prüfung. Helga hat Viola nur longiert, mit Ausbindern mal ins Roundpen oder Führanlage.” Sie führte noch mehr aus, was alles mit der interessanten Scheckenstute schiefgelaufen war, aber dass die Abstammung ziemlich gut sei und ihr Vater erfolgreich Turniere lief. Während die drei Bilder von dem Hengst ansahen und schließlich auf dem Fernseher ein Video starteten, wie Viola in jüngeren gelaufen war, hatte ich wieder mein Handy gegriffen. Eskil freute sich bereits den Fuchs kennenzulernen und auch mich zu sehen. Er schickte mir ein Bild, von einem Lusitano, auch Fuchs, den er überlegt zu kaufen.
      “Der ist schick”, antwortete ich und zoomte den Hengst mehrmals heran. Die großen Augen funkelten freundlich und aufgeschlossen, aber als ein Reiter auf dem Rücken saß, lagen die Ohren eng am Genick. Ein mir bekanntes Bild. Offenbar hatten es Füchse nicht mit Menschen.
      “Er muss noch lernen”, schrieb er, “aber ich bin zuversichtlich. In einer Woche soll er aus Spanien herkommen.”

      “Und das springt dein Pony wirklich?”, stellte ich mit Erstaunen fest, als Mateo ein Video eingeschaltet hatte, von sich und Karie von einem Turnier in der Schweiz. Die Qualität war der Hammer, noch nie hatte ich so hübsch verarbeitetes Reitvideo von einer Veranstaltung sehen können, wie es gerade lief. Auch Nour, die ihre Beine nach oben gezogen hatte und auf dem Stuhl kauerte, bekam den Mund nicht mehr zu. Ob es wirklich an dem Video oder gar an dem Motiv lag, konnte ich nicht beurteilen. Sie erzählte nicht viel von ihrem Interesse, aber ich war mir fast sicher, dass sie eher Mateo nehmen würde als jemanden wie ihren Bruder. Dieser war gefangen an seinem Handy und grinste andauernd.
      „Ja, Karie, springt das wirklich. Ich kann es die Tage auch gerne mal live demonstrieren“, grinste der Schweizer selbstbewusst.
      „Oh ja! Das wäre toll. Seit meinem Sturz nehme ich lieber Abstand von dem bunten Holzstangen“, lachte ich. Dann verlange Lars nach mir.
      „Vivi?“, flüsterte in mein Ohr, während die anderen freudig über Mateos Stute sprachen.
      „Was denn so geheimnisvoll?“, funkelte ich interessiert. Es war der Alkohol, die mir den Kopf zu teilen ausschaltete und wieder auf seine dunkle Stimme reagierte, besonders so nah an mein Ohr, wenn der warme Atem die Härchen kitzelte.
      „Steht dein Wille noch?“, versuchte er sich möglichst unauffällig auszudrücken, denn Nours Lauscher waren überall. Kurz ging ich die Gespräche durch, bis mir meine Frage von vor zwei Stunden erschien. Der grundlegende Wille existierte, auch wenn mir jemand anderes an seiner Stelle wünschte.
      „Ähm“, stammelte ich unsicher, welche Antwort die richtige ist, „wieso?“
      „Ich hätte sonst“, seinen Satz sprach er nicht zu Ende, dass jemand nach ihm verlangte, wusste ich sofort.
      „Dann los“, sagte ich also mit einem Lächeln.
      „Du bist ein Schatz“, gab er zurück und sprang auf, „du hast was gut bei mir.“ Erst jetzt wurde seine Schwester aufmerksam.
      „Wo willst du hin? Und ohne Vriska?“, wunderte sie sich.
      „Nour. Ich sage es zum letzten Mal. Dein Bruder liegt außerhalb meines Interesses. Für mich zählt jemand anderes“, rollte ich mit den Augen, denn eigentlich sollte sie das wissen.
      „Ach ja, wirklich?“, hakte sie misstrauisch nach.
      „Unglaublich, puzzeln liegt dir doch gut. Vivi ist nicht grundlos schon am Freitag nach Malmö gefahren“, schüttelte Lars amüsiert den Kopf, als er in der Tür stand, fügte er noch hinzu: „Sein Name beginnt mit S, aber bei B kommst du vielleicht darauf.“
      Mir wurde wieder warm und ich vergrub das Gesicht in meinen schwitzigen Händen.
      „Das hilft nicht“, rief sie ihm nach und schwieg schließlich. Es schien, als könnte man die Zahnräder hören, wie in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit ineinandergriffen.
      „Unglaublich, dass hier immer jeder alles wissen will“, murmelte Lina und schüttelte den Kopf. Solche Worte aus ihrem Mund, dabei war sie sonst doch auch ganz vorn dabei, wenn es Geheimnisse zu erkunden gab. Aber zu Nour war sie kein Vergleich.
      “Sei kein Spielverderber. Wenn Vivi sich so sehr wünschen würde, dass es niemand weiß, wäre der Abstand zu ihrem Geliebten viel größer”, merkte sie an. So falsch lag sie damit nicht einmal, denn ich wollte es teilen, auch wenn ich mir blöd dabei vorkam, offen durch die Welt zu rennen und seinen Namen zu schreien. Das Gefühl hatte ich. Jeder sollte es wissen, mein Glück spüren und sich mitziehen lassen.
      “Leider ist er nicht mein Geliebter und in dem Sinne auch auf Abstand”, vermittelte ich entmutigt.
      „Was nicht ist, kann noch werden“, sprach Lina optimistisch, „Du darfst nur nicht vergessen, wie man spricht in seiner Gegenwart.“
      „Kann das denn wahr sein, du weißt es auch?“, beschwerte sich Nour, „Mateo, bitte, du nicht.“
      Dieser schüttelte den Kopf und erleichtert atmete sie aus. Gehüllt in ihren dunklen Strähnen, lehnte Lars Schwester sich über den Tisch, bemüht, ihre hellen Augen funkeln zu lassen.
      „Sprechen liegt mir nicht“, merkte ich derweil an, Nours Neugier ignorierend. Ihre Finger wanderten langsam zu meinem Handy, das ich noch im richtigen Augenblick vom Holz zog. So einfach sollte sie es nicht haben, wenn sie gerne puzzelt.
      „Von mir erfährst du nichts“, grinste die kleine Brünette, mir gegenüber.
      Mateo lehnte ein Stück näher an sie heran und legte ihr eine Hand auf das Knie.
      „Erfahre ich vielleicht etwas, weil es mir eigentlich egal ist?”, sprach er, ein charmantes Lächeln auf den Lippen, die Augen fest an ihre geheftet.
      „Nein, du auch nicht“, entgegnete sie zuckersüß und lehnte sich auch ein Stück zu ihm hinüber, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Doch dies war nicht so leise, wie sie dachte, bei der Stille im Raum: „Da helfen dir auch deine hübschen Augen nicht weiter.“
      “Immerhin”, tönte Nour zur gleichen Zeit. Ihre Aufmerksamkeit galt im nächsten Moment nicht mehr mir. Keuchend schob sie sich über die Tischplatte zurück auf ihren Platz und faltete die Beine übereinander.
      “Uh, ihr beiden Süßen”, kicherte Nour, “so gefällt mir das. Hoffentlich müsst ihr heute nicht allein sein.”
      “Du kannst nicht jeden verkuppeln, wie es dir passt. Wie wäre es, wenn wir dir mal jemanden suchen?”, versuchte ich sie von den beiden abzubringen, denn etwas mehr Diskretion wäre angebracht. Wie ein Reh im Lichtkegel eines Autoscheinwerfers erstarrte Lina für ein paar Sekunden, bevor sie ebenso hastig Mateos Hand entfernte.
      “Auf keinen Fall! Viel zu anstrengend, mir reichen die Pferde, um glücklich und erfüllt sein”, äußerte sich Lars Schwester sehr zielgerichtet.
      „Interessant, keinen anderen Menschen in deinem Leben? “, fragte Mateo interessiert, der sich im Gegensatz zu Lina nur wenig ertappt zu fühlen schien.
      “Nein, nie. Also klar, Papa ist da und Lars”, zuckte sie mit den Schultern, “Ich sehe doch, wie sehr ihr euch alle quält. Die eine kann nicht reden”, dabei sah sich mit einer schnellen Bewegung zu mir hinüber, “die eine macht sich Schuldgefühle, weil ihr Freund ein Arsch ist”, nun kam Lina an die Reihe, “und der andere verschwindet, um irgendwen die halbe Nacht flachzulegen. Nur, um Morgen vollkommen übermüdet mit den Pferden zu arbeiten und ich muss dem alles hinterherräumen. Aber du”, nun blickte sie zu Mateo, “dich kenne ich nicht gut genug.”
      „Schön, dass du kein vernichtendes Urteil über mein Liebesleben hast. Das soll ruhig so bleiben“, lachte er, „Aber zum eigentlichen Punkt: Da mögen gute Gegenargumente sein, aber hast du auch die Vorteile im Blick?“
      “Vorteile? Mich reizt nichts daran, außerdem habe doch euch und wenn Papa oder Lars entscheiden, wieder den Hof zu wechseln, dann lerne ich neue Leute kennen. Das reicht mir. Nur Walker werde ich mitnehmen, komme, was wolle!”, triumphierend drückte sie die Wangen nach oben und tiefe Falten bildeten sich auf der sonst glatten Stirn in ihrem anschaulichen Gesicht. Nur für einen Augenblick musterte ich sie, denn dann wollte mein Handy Aufmerksamkeit. Unglaublich, wer wollte etwas um die Uhrzeit?
      Euphorisch nahm ich es vom Polster hoch, auf das ich es zum Schutz vor Nour abgelegt hatte. Auf dem vollkommen überfüllten Bildschirm, leuchtete ganz oben eine Nachricht von Niklas, die ich nun wirklich nicht erwartet habe. Erst als das Schloss sich öffnete durch mein Gesicht, kam ein Teil davon zum Vorschein: “Tut mir leid. Ich habe etwas Falsches getan. Bist du noch wach?” Hell erregt begann mein Herz zu schlagen und die Atmung wurde stärker. Wie eine Motte angezogen vom Licht, starrte ich auf das Gerät, selbst, als der Energiesparmodus den Bildschirm erlosch.
      „Was ist los, Vriska, ein Gespenst oder dein Angebeteter?“, fragte Lina und blickte mich forschen an.
      “Eher ein Gespenst”, stammelte ich verunsichert. Ihr, die Wahrheit zu sagen, erschien mir richtig, aber je nachdem, was er Falsches getan hatte, könnte es ihre Grundmauern erschüttern.
      „Okay …“, sprach sie argwöhnisch, „Soll ich fragen, was dich so aus dem Konzept bringt?“
      Vielleicht war es Zeit, mit offenen Karten zu spielen. Im Chat gab es bis auf Floskeln nichts zu lesen, dass Lina weiter verunsichern könnte, deswegen seufzte ich und schob ihr in Zeitlupe das Gerät hinüber. Es benötige gerade einmal zwei Sekunden, bis ihr das Lächeln vollständig entglitt und einem undefinierbaren Ausdruck Platz machte. Mehrfach konnte ich beobachten, wie ihre Augen über den Bildschirm flogen, als bildeten die wenigen Buchstaben fürchterlich komplizierte Worte.
      „Willst du … wollen wir ihm antworten?“, fragte ich vorsichtig und sah dabei mir deutlicher Hilfslosigkeit zu Mateo, der sich aus seiner Position aufrappelte und ebenfalls ein Blick auf mein Handy warf.
      Kaum hatte er gelesen, was dort geschrieben stand, blickt er Lina voller Sorge an und griff nach ihrer Hand. Diesmal hatte seine Geste ihren amourösen Charakter verloren, war nur noch rein freundschaftlich.
      „Du weißt, dass es unschön werden könnte?“, vergewisserte er sich einfühlsam, dass die Kleine vorbereitet war, auf das, was folgen könnte, „Willst du, dass Vriska ihm?“ Einige Sekunden überlegte sie, krallte sich dabei dermaßen an dem ihr geboten Arm fest, dass ihre Fingerknöchel hell unter der Haut hervortraten. Als ich schon beinahe glaubte, die habe aufgehört zu atmen, so blass wie sie wurde, erklang ihr zartes Stimmchen, zitternd vor Furcht: „Ja.“
      Seufzend zog ich mein Handy zurück und fragte nach, was er zu so später Stunde noch für ein Anliegen hatte. Sogleich kam eine Antwort. Entgegen meinen Erwartungen schenkte Nour der ganzen Angelegenheit nicht einen müden Blick, hing stattdessen selbst am Handy.
      „Lars‘ Bekanntschaft ist ziemlich hübsch“, merkte sie beiläufig an, aber wir schwiegen.
      Meine Augen überflogen grob Niklas‘ Nachricht, bevor ich es zu Lina über den Tisch gab. Er schrieb, dass er nie wieder so sein wollte, wie er es aktuell ist. Viele Dinge hatten sich in ihm aufgestaut und dazu zählte auch meine Beziehung zu Erik, die nicht zu plötzlich ein Ende fand, sondern auch schon länger bröckelte, nur wusste ich nichts davon. Niklas hütete ein böses Geheimnis, dass ihn ans Ende seiner Nerven brachte. Mein Leid ertrug er nicht, eben so wenig meine Anwesenheit, weil es ihn, an sein Versagen erinnerte. Er liebte Lina, aber konnte nicht auf dem Gestüt so viel Zeit verbringen. Von mir wünschte er sich einen Tipp, wie er es besprechen könnte, dass sie zusammen auswärts ein Grundstück suchten. Innerlich zitterte alles. Ich traute Lina zu, so einer dümmlichen Idee zuzustimmen, aber meine egoistische Persönlichkeit wollte dies verhindern.
      „Wenn du gehst, esse ich dein Pferd“, kam es vollkommen unreflektiert über meine Lippen.
      „Was!?“, fragte sie erschüttert, starrte mich mit geweiteten Augen an und zerquetsche Mateo, dessen Arm gerade ein wenig Erholung errungen hatte, dies erneut.
      „Hast du gerade gesagt, du willst mein Pferd essen? Du, die Fleisch nicht mal anfasst!“, begann sie zu kichern, nachdem sie über den Wortlaut nachdachte.
      „Grundsätzlich fasse ich es an. Es kommt nur darauf an - welches“, da musste auch Nour schmunzeln, die das Gespräch nun doch heimlich belauscht hatte. „Aber ja, ich werde es essen!“ Demonstrativ nahm ich ein Teller aus dem Regal neben mir, als würde ich mich schon darauf vorbereiten, Ivy blutig zu servieren.
      „Ah ja, ich glaube auch“, japste sie nach Luft und kringelte sich beinahe vor Lachen. Um meine nicht vorhandene Ernsthaftigkeit zu untermalen, suchte ich Vidar aus den Kontakten, tippte auf Message und schrieb in aller Seelenruhe:
      > Skulle du slakta en häst åt mig?
      „Würdest du für mich ein Pferd schlachten?“
      Mein Finger schwebte über dem blauen Pfeil, als Lina, so schnell sie konnte, den Button auf der rechten Seite zu drücken wusste.
      „Untersteh dich! Sonst gehe ich zu Basti petzen“, fauchte sie scherzhaft und versuchte wieder zu normaler Atmung zu gelangen, was angesichts der Situation schwieriger wurde.
      „Warte. Vivi? Sage mir jetzt bitte nicht … Oh Gott! Das ist so niedlich“, kam das neugierige Wesen aus seinem Schneckenhaus in ganzer Blüte heraus. Auch sie lachte herzlich.
      „Du bist gemein!“ Mein Gesicht kochte förmlich vor Scham und ich hatte mir ganz anderes vorgestellt, wie Nour das Puzzle lösen würde. Währenddessen schlug ich meine Stirn auf die Tischplatte und versuchte die Situation zu verdrängen.
      „Das ist nur ein Traum“, murmelte ich ganz oft nacheinander, hoffend, dass es so sein würde. Dass der Kopf pochte wie ein Schweizer Uhrwerk, half dabei weniger.
      „Nein, da muss ich dich enttäuschen. Es ist die Realität“, trug Mateo wenig hilfreich zu der Konversation mit mir selbst bei.
      „Und wenn du Lina drohst, dann können wir das auch“, setzte mich die Schwarzhaarige nun unter Druck. Sie tippte auf ihrem Handy herum, was ich hörte, da ihre Fingernägel immer wieder hektisch den Bildschirm berührten, dabei sprach sie jedes Wort mit: „Hej Basti, ich entschuldige die späte Störung, aber es gibt ein Problem. Meine Kollegin, Vivi, du müsstest dich noch an sie erinnern, die für mich Walker gefahren ist, kann ohne dich nicht leben und …“
      „Stopp“, schrie ich verzweifelt, denn Nour traute ich zu, solch eine teuflische Nachricht abzusenden. Also entsperrte ich sogleich mein Handy und schüttelte es, um die verfasste Nachricht, aus dem Textfeld zu löschen, „so, bitte. Weg.“ Dann schloss ich den Chat.
      „Ivy wird nicht gegessen, das schwöre ich hoch und heilig“, nahm ich noch stärker eine Verteidigungshaltung ein. Die Finger zitterten nervös, so sehr, dass mir mein Handy entglitt und von der Tischplatte auf den Boden fiel. Sofort krabbelte ich unter den Tisch, bemerkte, dass Linas linke Hand nicht mehr ganz da lag, wo sie ursprünglich lag.
      „Aha“, rief ich aus und stieß mir höllisch den Kopf an dem Holz über mir. Ihre Hand zuckte aus seinem Schritt weg, wieder auf den eigenen Oberschenkel.
      „Aha, der Tisch ist noch immer sehr massiv?“, fragte die Kleine mit engelsgleicher Miene.
      „Genau, der Tisch“, betonte ich besonders ihre unschuldige Art, „aber wenn die neuerdings aus Fleisch sind, dann gehe ich nun lieber.“
      Tatsächlich wollte ich ins Bett, um möglichen Fragen ausweichen zu können, aber Nour wedelte fröhlich mit ihrem Handy in der Luft.
      „Wir sind noch nicht fertig“, lachte sie boshaft und brav, wie in der Schule, setzte ich mich ordentlich zurück auf meinen Platz.
      „Oh, was hast du denn vor?“ Lina schien augenblicklich Feuer und Flamme für das, was Nour offenbar wusste. Dass sie es lediglich als Druckmittel für mehr Informationen über ihren Bruder und mich nutze, konnte Lina noch nicht wissen.
      „Wir müssen das mit deinem Freund klären, nicht, dass Vivi eventuell stückweise dir von deinem edlen Ross nimmt“, scherzte Nour und nahm mein Handy, das natürlich versperrt war.
      „Aha, so ist das also“, scherzte sie. Wie in Ekstase hatte sie die Benachrichtigung nach rechts gewischt und bekam damit Sicht auf das furchtbare Handybild, dass ich mehr oder weniger heimlich am Rand des Geläufs geschossen hatte.
      „Jetzt ist es nichts Neues mehr“, rollte ich mit den Augen.
      „So, was schreiben wir ihm?“, Nour blickte zu Lina, die ernsthaft wieder mit ihrer Hand an Mateos Bein zu schaffen hatte.
      „Ähm“, stammelte sie ertappt.
      „Warte“, sagte ich plötzlich, als eine Information im Rechenzentrum ankam, „wie bist du in mein Handy gekommen? Das war gesperrt.“
      Überlegen schenke Nour mir ein schräges Lächeln, bevor sie sich wieder an Lina richtete.
      „Kommt darauf, an was du erzielen möchtest“, verwirrt darüber, was ihr Gegenüber erwartete.
      „Es ist dein Freund? Was sollte ich erzielen wollen“, zuckte Lars‘ Schwester mit ihren Schultern.
      “Weiß ich’s? Du scheinst viel Freude daran zu haben, bei derartigen Angelegenheiten mitzumischen”, zuckte sie mit den Schultern. Von allen Geistern verlassen, drehte Nour sich zu ihr. “Jedenfalls kannst du ihm schreiben, dass es nicht okay ist, einfach zu verschwinden und seiner Freundin nicht mal ein Lebenszeichen zu hinterlassen”, sprach sie, während Nour eifrig auf dem Bildschirm tippte, “aber sein Anliegen betreffend, wären Offenheit und Ehrlichkeit angebracht.”
      „Okay, passt das so?“, zusammen lasen sie es, bevor ich mein Gerät zurückbekam. Ich schloss nur das Fenster und versuchte meine Neugier zu zügeln, welch boshafte Nachricht vermeintlich ich, gesendet hatte.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 49.815 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende Februar 2021}
    • Mohikanerin
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      kapitel trettio | 08. September 2022

      May Bee Happy / Aares / Maxou / Fjärilsviol / Schneesturm / Nachtschwärmer / Rainbeth / Lotti Boulevard / Anthrax Survivor LDS / Caja / Yumyulakk LDS / Mondlandung LDS / Nachtzug nach Stokkholm LDS / Just A Bear / Jokarie / Sign of the Zodiac LDS

      Freitagabend, vier Tage später
      Lindö Dalen Stuteri

      Vriska
      Die größte Sorge lag darin, dass Happy keinesfalls den Hänger betrat, nach dem der Einstieg in Malmö eine Herausforderung war, doch vergeblich. Wie ein alter Hase lief er die Rampe hinauf und stand binnen Sekunden darin, wodurch wir am Vormittag rasch in Kalmar ankamen. Gespannt wartete Eskil auf mich, auch, um mir seinen eigenen neuen Fuchs zu zeigen. Aares hieß der Riese und harmonierte optisch sehr mit meiner Leihgabe. Eine Weile unterhielten wir uns, bis die Halle frei war und ich meinen Unterricht bekam. Hier und da kamen Schwierigkeiten auf, doch im Gesamtbild machte Happy eine gute Figur.
      “Herr Holm hat vorhin gesagt, dass Happy viel Potenzial für das Team hat”, erzählte ich am Tisch, an dem die Stammbelegschaft saß, ohne die Ponymenschen von nebenan. Dann tunkte ich das Brot in die Linsensuppe, um es mir im Anschluss in den Mund zu stopfen.
      “Dann willst du es dieses Jahr noch zur schweren Prüfung schaffen?”, fragte Tyrell, der wieder nach Hengsten Ausschau hielt und davon aufsah.
      “Ich weiß nicht genau. Die Motivation fehlt dafür, aber der Hengst macht sich wirklich toll”, schwärmte ich weiter.
      “Dennoch, die aktuellen Besitzer würden ihn dort gern sehen”, fühlte er mir weiter auf dem Zahn, aber es kümmerte mich nur wenig.
      “Freut mich, dann sollen sie sich doch an ihn trauen und nicht kleine Mädchen vorschicken”, antwortete ich unbeeindruckt. Lars neben mir musste sich das Lachen verkneifen, aber verschluckte sich dabei an der Suppe. Fürchterlich begann er zu Husten, dass ich ihn den Rücken klopfte.
      “Ja, ja, kleines Mädchen. Äußerlich vielleicht”, feigste Lina.
      „Psst, das weiß doch keiner“, grinste ich, doch als Lars begann zu lachen, setzten auch die anderen mit ein. Es dauerte nicht lange, da kamen die erste Wahlmöglichkeit ans Licht, was ich stattdessen war. Vom bissigen Terrier, über mörderischer Prinz und alten Mann in der Rente stellte sich alles heraus. Nur mein Bruder hielt sich bewusst aus dem Gespräch heraus und verließ auch wenig später den Raum. Seit Wochen ignorierte er mich, aber das sollte nicht mein Problem sein. Ich hatte besten Gewissens die Spannung zwischen uns zu lösen, aber er konnte ein ziemlicher Sturkopf sein und wollte es augenscheinlich dabei belassen, dass ich das schwarze Schaf der Familie war. Nun gut.
      „Also keine Dressur mehr?“, kam Tyrell auf das ursprüngliche Thema zurück und zuckte dabei mit der Augenbraue, „schließlich beginnen demnächst die Turniere.“
      „Ehrlich gesagt, bin ich mir sehr unsicher“, gab ich offen zu. Mein Blick fiel zu Lars, der auch keine Antwort dazu hatte. Nur Nour grinste mich verschmitzt an.
      „Ich glaube, dass sie lieber den Berufsfahrerschein anstrebt“, legte sie eine steile These vor, die ich nicht wusste zu verteidigen.
      “Wirklich starke These, aber ich glaube, das wird nicht passieren. Dafür glitzern die Schleifen und Schabracken viel zu schön”, stellte Lina eine Gegenbehauptung auf.
      “Mhm”, summte Nour unschlüssig, “die sind aber auch in der Prüfung nicht zulässig.”
      “Ihr seid beide nicht ganz hell”, lachte ich kopfschüttelnd.
      “Entschuldigung, was soll das den jetzt heißen?”, beschwerte sich die Kleine sofort.
      “Warum kann ich nicht einfach machen? Außerdem kann Humbria auch schön glitzern”, stellte ich fest, “Vielleicht springe ich auch morgen.”
      “Du springst morgen? Oha, das komme ich mir anschauen”, grinste Mateo, “Mit welchem Pferd gedenkst du das zu tun?” Dass meine blöde Idee im nächsten Augenblick bereits Wurzeln setzte, hatte ich nicht bedacht. Selbst unser Chef schaute überrascht zu mir hinüber. Kurz dachte ich darüber nach, wieder zurückzurudern, aber vielleicht war es Zeit, mich meiner Angst zu stellen.
      „Ich kann mal schauen, was Happy bei dem bunten Holz empfindet“, schlug ich entschlossen vor und sah es bereits kommen, dass ich schneller wieder am Boden lag, als es mir lieb war.
      “Mhm … ja, so rein körperlich könnte das was werden mit deinem Fuchs”, überlegte der Schweizer.
      “Vriska, hältst du das wirklich für eine gute Idee?”, äußerte Lina zweifelnd, “Erinnerst du dich nicht, wie es das letzte Mal endete? Und da hattest du keinen launischen Fuchs unter deinem Sattel.”
      „Aber klein Vivi möchte doch mal wieder allen beweisen, dass sie alles kann“, scherzte Lars und gab mir einen zarten Kuss auf die Wange, als wären wir mehr als Freunde. Zugegeben, seit unserem Kuss im Stall gab es jeden Abend Momente, die meiner Einschätzung Zweifel boten. Seine Schwester schien es zu unterhalten, dass ihr Bruder mir unauffällig schmeichelte und holte jedes Mal ihr Handy heraus, um in Windeseile etwas zu tippen. Brennend interessierte mich, was genau auf dem Bildschirm passierte, aber sie gab es an niemanden preis.
      “Du übertreibst vollkommen”, schnaubte ich teils belustigt, teils verärgert, “Maxou traue ich es weniger zu als ihm und dass eins der Rennpferde hinüber stolpert, fehlt mir gerade noch.”
      “Viola kann springen”, mischte sich Tyrell mit ein, “und Schneesturm ist auch noch da. Ach, Fly, der Haflinger macht seinem Spitznamen auch allen Ehren.”
      Keines der genannten Pferde interessierte mich sonderlich, nicht, dass die Pferde schlecht waren, viel mehr, waren sie langweilig. Die Warmblutstute lief brav und den Haflinger kannte ich nur vom Sehen. Einzig Schneesturm war ein Spaß, doch Mateo ritt sie bereits vier- bis fünfmal die Woche und hatte somit angemessenen Auslauf. Zudem hatte ich in meiner Recherche herausfinden können, dass Happy für die Körung Freispringen musste, also wusste das Pferd Bescheid, wie man die Beine hebt.
      Während wir philosophierten, welches Pferd ich springen könnte, holte ich zunächst für jeden ein kaltes Bier und Lars entschied, dass nach dem Essen ein Kurzer angebracht war. Nur Lina weigerte sich vehement. Kaum floss es mir die Kehle herunter, brannte es unangenehm im nächsten Augenblick. Dennoch hatte es etwas Befreiendes.
      “Mir egal, ich werde Happy nehmen”, entschied ich entschlossen und glaubte an den Fuchs, der bisher sehr fein unter mir lief.
      “Mach’ halt, aber bei mir brauchst du dich dann nicht beschweren”, blieb die kleine Brünette bei ihrem Standpunkt, dass sie es für keine gute Idee hielt.
      “Pff, so viel zu guter Freundin”, rollte ich mit den Augen und füllte mir das Glas nach. Auch Lars hielt mir seins nach. Dann war es auch schon wieder leer. “Du hast bestimmt auch morgen anderes zu tun, also machen wir das allein.” Meine Stimmte zitterte, aber nach einem kräftigen Atemzug konnte ich mich zusammenreißen.
      “Ja, ist okay”, entgegnet sie kiebig. Welche Laus ihr wohl über die Leber gelaufen sein mochte, dass sie gleich so empfindlich war. Vermutlich hatte es mit Niklas zu tun, aber ich entschied, es erst einmal dabei zu belassen, solang noch so viele am Tisch saßen. Vorrangig sollte Tyrell davon nichts mitbekommen, das würde nur Bedenken auslösen. Dieser hing noch immer über dem Papier. Mit Lars brach abermals eine Diskussion über Hengste aus, die sich in den Sand verlief. Sie wurden sich nicht einig, ob Betty noch gedeckt werden sollte oder in den Verkauf ging. Auf Rennen bot die siebenjährige Stute ohnehin keine ausreichenden Leistungen und ging für gewöhnlich als vorletzte durchs Ziel, deshalb lag das letzte auch mehr als ein halbes Jahr zurück, noch unter Folke. Seit dem Stand sie herum. Ähnliches Bild war auch bei Lotti zu sehen und Nachtschatten, doch die Rappstute hatte bereits einen Käufer gefunden, der sie abholen würde, sobald ihr Fohlen abgesetzt sei, das in einem Monat kommen sollte.
      “Wie läuft es eigentlich mit Anti?”, fragte Tyrell, als auch wir weniger wurden und Bruno sich in die Hütte aufmachte, nur unsere Schnüfflerin saß noch da, sowie meine persönlichen Turteltauben.
      “Gut, wenn er so weiter macht, kann er in zwei Monaten in einen Probelauf”, erzählte der groß gebaute junge Mann neben mir. Ich enthielt mich dem Gespräch, holte stattdessen mein Handy heraus und bekam prompt eine Nachricht von Nour.
      “Schau mal”, schrieb sie und schickte ein Bild mit. Mir blieb für einen Moment die Luft weg. Über den Bildschirm hinweg schielte ich böse zu ihr hinüber, musste auch das Telefon auf den Tisch legen, um nicht an einer Atemnot einzugehen. Allerdings konnte ich es nur für einen Wimpernschlag da belassen und hob es wieder hoch. So gut ich konnte, versuchte ich ihr eine Nachricht zu tippen, aber meine Augen konnte sich nur schwer von dem attraktiven Bild lösen, was unbewusst ein Lächeln auf meine Lippen zauberte.
      “Lass das! DU bist gemein”, formulierte ich schlussendlich und sie lachte. Dem folgte ein weiteres Bild, selbes Motiv, aber deutlich bekleideter.
      “Du nimmst du das alles her?”, tippte ich noch, bevor wieder die Atmung sich verabschiedete, denn sie konnte es nicht lassen, mich weiter zu zuspammen. Durch die ständige Vibration wurde auch Lars aufmerksam, aber in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit wechselte ich den Chat zu Eskil. Damit erlosch sein Blick auf mein Gerät. Von nun an tippte ich mit Nour, die mir erklärte, dass es Storys aus dem Messenger waren, die sie für mich abgespeichert hatte und nur auf den richtigen Moment wartete, um sie mit mir zu teilen. Etwas neidisch war ich schon, denn seine Nummer hätte gern, aber in wenigen Worten vermittelte Nour mir, dass ich schon mehr Mühe geben sollte. Vordergründig ermutigte sie mich, mit ihm zu sprechen, denn das würde Erfolg mit sich bringen, außerdem wäre es ungewiss, ob sonst überhaupt eine Antwort bekäme. Leider hatte sie recht.

      Eine Stunde später verabschiedete sich dann auch Tyrell und wir saßen in gewohnter Runde beisammen. Lina schwieg noch immer, die Arme verschlungen und das Gesicht sah nach zehn Jahre Regenwetter aus. Während ich mich an den Bildern nicht satt sehen konnte, versuchte ich auch irgendwie die Kleine aus der Reserve zu locken. Es war nicht einfach ein Wort ihr herauszubekommen, doch als sie aufstand zur Toilette, folgte ich wenige Sekunden später und wartete an der Tür. Überrascht trat sie heraus, zuckte dabei erschrocken zusammen.
      „Du erklärst mir jetzt, weshalb du so schlecht gelaunt bist. Das Wetter war doch heute toll mit fast elf Grad Celsius!“, sprach ich offensive und direkt auf sie ein.
      „Ja, das war auch das einzig Schöne an dem Tag heute“, brummte sie unwirsch.
      „Was denn los?“, erinnerte ich sie an meine Frage, minimal zittrig, denn für gewöhnlich strotzte sie vor Energie auch noch zu später Stunde.
      „Der ganze Tag war heute einfach blöd, angefangen bei heute Morgen“, rückte sie nun endlich mit der Sprache raus, „Ich war absichtlich früh bei Caja, dass wir die Halle allein haben. Einerseits, weil sie ja immer noch nicht so umgänglich ist und andererseits, weil sie super rossig ist.” Nachdem was ich so von Caja mitbekommen hatte, war ‘nicht so umgänglich’ noch milde ausgedrückt. Vier Monate stand die Fuchsstute mittlerweile hier auf dem Gestüt und duldete trotzdem kaum jemanden in ihrer Nähe. “Heißt also, sie war heute ohnehin schon schlecht gelaunt und dann kam da so ‘ne Trulla rein und die hatte ihren blöden Hengst nicht unter Kontrolle. Infolgedessen konnte ich nur das Training vergessen, nein, gebissen hat sie mich dann auch, obwohl ich das so langsam im Griff hatte”, sprach sie frustriert und ließ das Sweatshirt von der Schulter gleiten. Darunter zum Vorschein kam ein blau-violett schimmernder Fleck in der Größe eine 2-Euro-Stücks.
      „Blöder Vorschlag, aber hast du mal über eine Fressbremse nachgedacht?“, schlug ich vor aus dem Dunst heraus, dass bissige Hunde auch einen Maulkorb trugen.
      “Mmmm, nein”, sprach sie langsam, als würde sie noch darüber nachdenken, ob es eine Option sein könnte, “Aber vielleicht sollte ich das mal probieren.”
      “Sonst kommt zum Hengst und sollte mal eine Pause von dem ganzen Kram bekommen”, gab ich als weitere Möglichkeit, so hatte Bruce seine chaotische Isländerstute wieder auf den richtigen Weg gelenkt.
      “Mmm, wenn das nur in meiner Entscheidung läge”, seufzte sie. So wirklich glücklich wirkte sie noch immer nicht, wenn auch weniger angespannt als vor wenigen Minuten.
      “Dann sprich mit Tyrell morgen, der reißt dir nicht Kopf ab” zuckte ich schließlich mit den Schultern, “keiner ist dir hier für Versagen sauer, zu dem kann es auch mal mehr werden als ein blauer Fleck am Arm.”
      “Weiß ich doch …”, murmelte sie und zog an ihrem Ärmel herum, “Ihr habt eure Turniere und Rennen … Ach, ich will doch auch nur mal etwas erreichen.”
      „Verstehe ich“, gestand ich offen. Für sie musste es noch schwieriger sein als für mich. Während ich von einer Disziplin zur anderen sprang, um das Richtige zu finden, fehlte ihr der Reiz für mehr. Ebenso fehlte auch die wirkliche Gemeinschaft auf dem Hof, denn jeder von uns hatte Pferde vorzustellen.
      „Was wäre, wenn wir mal raus zur Weide gehen und dir ein Jungpferd holen? Da stehen teilweise vierjährige und fünfjährige, die aktuell nicht in den Trainingsplan von uns allen passen“, kam es als letzte Idee, ihr eine sinnvolle Aufgabe zu geben. Denn die Arbeit mit Ivy hatte sie bisher erfüllt und mir Leben ausgestattet, doch nun machte der Hengst nur noch Kinderschritte, die natürlich ebenso wichtig waren wie den Anfang zu finden. Zaghaft nickte sie: “Mhm, Ja?” In ihrer Antwort schwang noch ein letzter Rest von Unsicherheit mit.
      “Ja”, sagte ich überzeugend und zog die Augenbrauen hoch, “sonst kaufen wir irgendwas für dich.” Darüber musste ich erst einmal lachen, als würde ein Pferd kaufen, ein Problem lösen anstelle welche zu schaffen.
      “Okay”, entgegnete sie und ein winziges Schmunzeln zuckte in ihren Mundwinkeln, “Aber wen auch immer du bei ‘wir’ implizierst, mich kannst du nicht meinen.”
      “Dann hauen wir den Schweizer an. Du kannst mir nicht verschweigen, dass da Funken fliegen”, zwinkerte ich ihr zu und sprach bewusst etwas lauter.
      “Vriskaaaa, sei doch still”, beschwerte sie sich sogleich und eine zartrosa Färbung trat auf ihre Wangen. “Aber ja, er ist ganz niedlich”, gestand sie mit deutlich gesenkter Stimme.
      “Das ist meine Rache”, flüsterte ich scherzhaft und klopfte ihr leicht auf die Schulter, wer wusste schon, wo sich weitere blaue Flecken verstecken. “Aber komm, wir gehen zurück. Dann kannst du ihn länger genießen.”

      Samstag, nächster Tag
      An der Jungpferdeweide

      Selbstverständlich musste es anfangen zu regnen, als wir aus dem Auto ausstiegen. Die Pferde hatten uns schon aus der Ferne gehört und standen neugierig am Zaun. Auch die Zuchtstuten mit ihren kugeligen Bäuchen konnten unseren Besuch kaum fassen, obwohl jeden Tag mindestens zweimal jemand in den Wald fuhr zur Kontrolle. Es war eine bunte Herde, bestehend aus allen Altersgruppen und Rassen. Auch die Isländer standen dabei, die wohl eher weniger für Lina sein würden. Zwei Weiden weiter rechts, tummelten sich die jungen Hengste, die bereits mit schrillem Wiehern auf sich aufmerksam machten, besonders Yu wollte unbedingt gestreichelt werden. Lina drückte ich ein Halfter in die Hand.
      „So, dann suche dir mal etwas aus“, sagte ich. Wir hatten bereits mit Tyrell gesprochen, der meine Idee mit einem ‘macht, was ihr wollt‘ lachend hinnahm. Ich lehnte derweil am Auto und prüfte das vierte Mal an dem Tag, die Starterlisten für den morgigen Renntag. Noch nicht ganz entschlossen stiefelte die Kleine in die Herde hinein und wurde augenblicklich von einigen der Tiere umringt und neugierig inspiziert. Lina ließ sich Zeit, nahm einige der Jungstuten in Augenschein, streichelte sie und schien sich keineswegs an dem Nass stören, welches rhythmisch auf das Blech schlug. Eines der Tiere drängte sich immer wieder in den Vordergrund, steckte die Schnauze in Linas Jackentaschen und verfolgte sie regelrecht, sobald sie einige Schritte tat.
      “Die ist niedlich, ich glaube, sie soll es werden”, grinste Lina und kraulte der hellen Stute die Stirn. Mein Handy steckte ich zurück in die Innentasche, nach dem ich keine neuen Informationen über meinen Angebeteten fand. Dabei seufzte ich leise und trottete mit riesigen Gummistiefeln durch das hohe Gras. Mit genauem Blick sah ich das blauäugige Pferd an.
      “Das ist Mola”, stellte ich fest, “die wird vier dieses Jahr, also, passt dir das?”
      “Ja, das ist gut”, nickte sie, “Jung, aber schon alt genug, dass man auch damit ein wenig was anfangen kann.”
      “Sollten ihre langen Beine es noch nicht verraten haben: Sie ist ein Traber”, erklärte ich zuversichtlich und öffnete den Beiden das Tor. Die anderen Pferde schubste ich zur Seite, damit kein weiteres versuchte zu fliehen. Stokki drückte den Kopf gekonnt an Lina vorbei, doch ich scheute die Rappstute im richtigen Moment zurück und mit einem großen Sprung floh sie vor dem Stromzaun.
      “So, dann steig mal ein, dann gebe ich dir den Strick. Sie wird schon nachlaufen”, sagte ich zu der Brünetten, die unsicher den Strick in der Hand hielt, während Mola lange Grashalme zupfte.
      “Okay, du wirst schon wissen, was du tust”, entgegnete sie ein wenig zweifelnd, reichte mir aber dennoch das Pferd und tat wie geheißen. Unwillig folgte mir die junge Stute, aber als Lina das Fenster heruntergefahren hatte, gab ich den Strick zurück. Zunächst musterte das Pferd den Seitenspiegel und steckte schließlich auch den Kopf hinein.
      Den Motor ließ ich langsam und möglichst leise angehen, dennoch zuckte das Jungpferd, aber gewöhnte sich direkt an das seltsam trommelnde Geräusch aus der Motorhaube. Im Schritttempo fuhren wir an. Mola folgte im selbigen und schnaubte sogar einige Male ab, was sie jedoch nicht daran hinderte, an einigen Grashalmen zu zupfen.
      “Das funktioniert ja wirklich”, staunte Lina, “und sie ist so brav.” Dem Grinsen auf ihrem Gesicht zu urteilen, war sie bisher zufrieden mit ihrer Auswahl.
      “In Island wird es nicht anders gemacht. Deswegen hat Bruce schnell entschieden, dass das der bequemste Weg ist”, informierte ich sie freundlich, als auch schon die Gebäude des Gestüts am Ende des Weges auftauchten. Heute wurde der erste Kran aufgebaut, nachdem alles nicht mehr Brauchbare dem Erdboden gleich gemacht wurde. Ein Schwall von Melancholie lag in der Luft, aber ich versuchte durch ein kräftiges Ausatmen, aus meinem Kreislauf zu bekommen.
      “Ja, bequem ist das wohl”, nickte sie zustimmend.
      Vor der Halle kamen wir zum Stehen, aus der gerade Lars seinen schneeweißen Hengst führte, deren Brust und Hals geschoren war. Ihm dicht folgte Mateo, allerdings ohne Vierbeiner.
      „Na Mensch, ihr wart schnell“, stellte der Dunkelhaarige fest und blieb auf Abstand mit dem Hengst, der den Damenbesuch bewunderte.
      „Sie hat sich recht schnell entschieden, oder viel mehr Mola“, grinste ich ihm zu. Zeitgleich half ich Lina beim Aussteigen.
      „Schau mal, dein bald Freund ist auch gekommen“, flüsterte ich leise.
      “Glaubst auch nur du”, wisperte sie und verdrehte die Augen. Dann huschte sie auch schon an uns allen vorbei, um die Stute auf den Paddock zu verfrachten. Ich brachte noch das Auto zurück auf dem Parkplatz.
      Im Stall lief ich zunächst zu dem Fuchs, der mit dem Kopf in der Ecke stand und mich erst bemerkte, als ich seinen Namen sagte. Die Ohren drehten sich in alle Richtungen und schließlich bewegte er sich mit kargen Schritten auf mich zu. Vorsichtig strich ihm über die große Blesse. Aus der Jackentasche kramte ich ein Leckerli hervor, dass er dankbar von der flachen Hand griff. Ihn aus der Box zu holen, war heute wieder eine Herausforderung. Immerhin akzeptierte er direkt sein rosafarbenes Halfter, für das jeder am Hof eine Meinung hatte. Die meisten mochten es nicht, aber ich wollte seine Männlichkeit unterstreichen und damit gelang es mir ziemlich gut.
      “Happy, komm schon”, zog ich kräftig am Strick, ihn interessierte das aber nicht im Geringsten. Auch als ihn noch einmal drehte, setzte er keinen Huf aus der Einstreu. Stattdessen machte er seinem Traberanteil allen Ehren, wurde immer länger und länger. Hoffentlich würde er nicht vor den Sprüngen parken, dass könnte gefährlich werden.
      “Sieht so aus, als wäre dein Pferd nicht so überzeugt von deinem Vorhaben”, stellte Mateo fest, der plötzlich neben mir stand.
      “Kein Wunder, der mag Männer nicht”, gab ich sogleich zurück und als würde Happy zustimmen, schnaubte er ab.
      “Na, dann kommst du wohl gut allein klar”, zuckte der Schweizer mit den Schultern, ”Ihr könnt ja dann kommen, falls ihr es jemals da rausschafft.”
      Offenbar hatte er meinen Scherz in den falschen Hals bekommen, aber er mochte Männer wirklich nicht. Ich lockte den Strick etwas. Dann setzte der Hengst voran, als würde er Mateo folgen wollen. Selbst ohne Hending kamen wir voran.
      In der Putzbucht kam der Hengst zur Ruhe und genoss das ausgiebige Putzen. Da er über eins siebzig war, nur etwas kleiner als Lubi, brauchte ich den Hocker, um an alle Stellen zu gelangen. Das ständige Auf- und Absteigen nervte, aber leider würde ich mit Anfang zwanzig nicht mehr wachsen. Als er schließlich sauber war, setzte ich mich in Gang, um einen Sattel zu finden. Aus der großen Sattelkammer nahm ich mir ein Martingal, das in einer der Metalkisten herumschwirrte, sowie Fesselkopfgamaschen und Glocken aus meinem Schrank. Bei der Schabracke begannen die ersten Zweifel. Obwohl ich mittlerweile eine schöne Sammlung aufgebaut hatte - ja, meine Kaufsucht schlug wieder zu – gab es keine einzige zum Springen. Wozu auch? Dennoch fand ich eine, die zumindest etwas runder geschnitten war und nahm sie mit.
      „Tyrell?“, fragte ich und streckte den Kopf ins Büro.
      „Ja, was ist denn?“, kam es sogleich wenig begeistert. Ich kam für gewöhnlich nur, wenn ich etwas wollte.
      „Wir haben doch sicher einen Springsattel, oder?“, hakte ich nach.
      „Einige, aber der von Schneesturm wird seinen Fuchs nicht passen“, begriff er sofort den Tatbestand, „aber unten in der Kammer müssten einige hängen.“
      Dankend nickte ich und verschwand nach unten. Tatsächlich hingen dort gefühlt tausende. Was ich an Schabracken besaß, sammelte mein Chef an Sättel, der Großteil davon wurde nie genutzt, dementsprechend staubig hingen sie auf den Sattelhaltern.
      „Hmm“, überlegte ich laut und streifte durch den Raum, der im Gegensatz zu dem Rest des Gebäudes, schlecht beleuchtet war. Kurzerhand holte ich eine Schubkarre und legte alle vielversprechenden Modelle mit zum Fuchs. Das Klappern des Metalls weckte ihn auf. Mateo, der sich mit Lars unterhielt, schaute nicht schlecht, als ich ankam.
      „Was hast du denn vor?“, hinterfragte Lars verwundert.
      „Einen passenden Sattel finden, was denkst du denn? Ich laufe doch nicht tausendmal“, erklärte ich.
      „Das sieht aus wie eine Flohmarkt Versteigerung“, merkte er an.
      “Soll man dir bei deinem Ausverkauf da helfen?”, bot Mateo an und fasste bereits die Lederstücke kritisch ins Auge.
      “Gern”, lächelte ich. Dabei hob ich das erste Modell heraus. Das Leder wirkte schon sehr mitgenommen und vor allem ungepflegt, aber die Polster unter dem Baum waren noch weich und ohne Knoten. Der Blonde nahm erst den Sattel und dann Happys Rücken näher unter die Lupe, welches der Fuchs Zähneknirschen und mit angelegten Ohren erduldet.
      “Der hat einen ziemlich schmalen Wirbelkanal, dass wir zu knapp schätze ich”, urteilte er.
      “Dann schaust du am besten durch”, schlug ich vor, beruhigte, währenddessen den Hengst, der zu dem Schweizer schielte. Fachkundig beschaute Mateo das Sammelsurium, legte nacheinander zwei Sättel auf den Hengst. Seine Wahl fiel letzten Endes auf ein zweifarbiges Modell, welches aussah, als wäre es noch nie im Einsatz gewesen.
      “Nicht ganz ideal für dich, aber zumindest für dein Pferd sollte der funktionieren”, ergänzte er erklärend. Die Sitzfläche war groß, aber für einen Tag kein Problem.
      “Danke für eine Hilfe”, sagte ich und nahm zunächst das Leder wieder vom Rücken, um alle anderen in der Schubkarre zurückzubringen.

      Wenig später saß ich im viel zu großen Sattel, den ich mit einem Lammfellüberzieher etwas bequemer gemacht hatte und ritt den Fuchs warm. Mateos Parcours stand bereits, als von einem zur anderen Sekunde Happy begann zu tänzeln. Im richtigen Augenblick fasste ich die Zügel nach. Seine Ohren drehten sich hektisch, während er versuchte, sich meinen Hilfen am Bein zu entziehen. Laut schepperten seine Eisen an der hölzernen Wand, bis ich den Grund seiner Aufregung bemerkte. Lina kam mit einem breiten Grinsen auf den Lippen durch den Sand stolziert, am Zügel hielt sie Mateos Stute Karie. Dass sie einen Helm auf dem Kopf hatte, konnte nur bedeuten, dass er sein Pferd nicht reiten würde. Happy spielte sich währenddessen weiter auf, als hätte er nur eine Aufgabe im Leben. Ich erinnerte mich daran, wieso ich keinen Hengst wollte.
      “Hör auf”, knurrte ich ihm ins Ohr und wie aus dem Nichts blieb er stehen. Allerdings bewegte sich nun gar nichts mehr, weder vor noch zurück. Sicherer, als plötzlich die Kleine umzureiten.
      “Welch verzückte Überraschung”, rief ich ihr lachend zu und tätschelte den Hals meines Riesen.
      “Ja, finde ich auch”, strahlte sie, “diese Gelegenheit konnte ich mir auch einfach nicht entgehen lassen.” Die kräftige Stute störte sich nur wenig an der Gegenwart des Hengstes, folgte Lina artig in die Zirkelmitte, wo sie den Gurt enger zog. In meinem Kopf leuchtete eine kleine Lampe auf, aus einem Bereich, den ich versuchte, geschlossen zu halten. Doch plötzlich stand die Tür offen und unterbreitete mir ein teuflisches Gefühl von Neid, Angst und Zweifel an mir. Dabei konnte die Kleine nicht einmal etwas dafür, einzig meinem Hengst fehlte es an benehmen. Dabei merkte ich, dass mein Geist noch immer nicht gefasst war, Veränderungen hinzunehmen. Seufzend legte ich die Beine an den Bauch des Pferdes. Er bewegte sich schließlich aus der Starre, aber spielte sich sogleich auf Höhe der Stute auf. Den Kopf streckte Happy in die Luft und entzog sich komplett dem Zügel. Gleichzeitig spürte die wegtretende Hinterhand. Damit verlor ich die Kontrolle über ihn und im Trab legte er zu, bis der Fuchs seine Runden drehte. Ich hätte ihn vermutlich ablongieren sollen, obwohl er gestern eine intensive Einheit hatte. Müde sollte er sein und nicht wie ein abgestochenes Schwein durch den Sand rasen. Der positive Nebeneffekt kam, dass Happy sich abreagierte und schließlich abschnaubte. An dem Punkt parierte ich durch und gurtete nach.
      Lina ritt zur gleichen Zeit die Dunkelfuchsstute warm, weiterhin mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Vermutlich hatte meine eigene Unsicherheit dafür gesorgt, dass sich das sensible Pferd derart extrem verhielt. Im Schritt lobte ich ihn ausgiebig. Die Stute beachtete er gar nicht mehr, nur Mateo war ihm weiterhin ein Dorn im Auge.
      “Dein Pferd mag mich ja wirklich nicht. Kommst du damit zurecht oder müssen wir nach einer Lösung schauen?”, erkundigte sich dieser rücksichtsvoll.
      “Wir holen eine Schere und berauben ihm seiner Männlichkeit, so einfach”, lächelte ich bewusst. Auf rätselhafter Weise konnte er jedes meiner Worte genau verstehen, denn seine Schritte verlängerten sich und er senkte den Kopf. Dabei schwang der Rücken mit. Tatsächlich verspürte ich endlich seine Ausbildung, das, was Happy auch gestern zeigte.
      „Der hat dich genau verstanden“, lachte der Schweizer. Lina, die derweil im Hintergrund herumzirkelte, wurde nun ebenso aufmerksam und kam locker herangetrabt. Happy zuckte nicht einmal, kaute stattdessen auf seiner Stange aktiv.
      „Worüber amüsiert ihr euch?“, fragte sie interessiert.
      „Offenbar ist Happy seine volle Männlichkeit überaus wichtig“, grinste ich und strich ihm durch die lange Mähne.
      „Dann ist ja gut, dass er seine Halfterfarbe nicht erkennt“, lachte sie.
      „Ja, ja. Schon klar“, rollte ich mit den Augen und trabte ebenfalls an. In gleichmäßigen Tritten federte er durch den Sand und wölbte dabei bilderbuchmäßig seinen eher kurzen Hals. Die Schwebephase auszusitzen war mit den kurzen Bügeln ein noch schwierigeres Unterfangen, sodass ich lieber leicht trabte. Nach einigen Schlangenlinien und Seitengängen legte ich das äußere Bein heran, stellte das Genick leicht nach innen und der Hengst sprang in den Galopp um. Geschwungen setzte er voran und ich entschied in der letzten Sekunde, doch noch über das niedrige Kreuz zu setzen. Den Höhenunterschied spürte ich kaum, so sehr versuchte das Pferd vor weiblicher Anwesenheit sich zu präsentieren. Auch beim zweiten Mal konnte ich nicht genau abschätzen, ob wir das Hindernis absolviert hatten und lenkte letztlich auf das höhere Rick zu. Nun musste ich genau aufpassen und wie ich es die wenigen Male in der Ausbildung hatte, gab ich eine halbe Parade, um schließlich mit mäßig gutem Abstand abzuspringen. Deutlich weiter flog er über die Stange, als würden wir einen Wassergraben springen, zumindest sagte mein Hirn mir, dass er sich verschätzt, hatte in der Weite. Freundlich tätschelte ich den Hals und holte ihn in den Trab zurück, nur der Schritt schien in weiter Ferne. Der potente Hengst strotzte vor Energie und legte mächtig an Tempo zu, ohne aus dem Rahmen zu fallen. Wirklich Hilfen waren dabei nicht nötig, denn Happy entschied selbst, sein Können zu präsentieren. Ich fühlte mich etwas unbeholfen im Sattel, aber konnte ihn schließ doch noch für Schritt begeistern.
      „Der springt ja wirklich“, staunte Lina, „Das sah gar nicht so schlecht aus.“
      „Ich frage besser nicht, wie du meinst“, scherzte ich. Sie meinte es nicht böse, dennoch vernahm einige Zweifel in ihrer Stimme, die ich versuchte zu überhören. Nach einigen Runden über die Stangen am Boden übernahm auch Lina das Ruder und flog über die aufgebauten Hindernisse. Die Stute war ebenso motiviert für das bunte Holz wie mein Hengst. Sie galoppierte deutlich hektischer, aber sprang deutlich gleichmäßiger ab und zog dabei kräftig an. Mir war es bis heute ein Rätsel, wie die etwas dicklich anmutende Stute, so flink unterwegs war. Unauffällig schielte ich zu Mateo, der mit seinen Augen fest an Lina gehaftet war und jeden Absprung anpeilte, als säße er selbst im Sattel.
      Nach einer ausgiebigen Pause galoppierte ich wieder an. In der Zwischenzeit hatte sich die Höhe etwas verändert und lag nun auf achtzig Zentimeter. Vom Rücken des Riesens wirkte es noch immer niedrig, aber meine Vernunft sagte mir, dass ich mich nicht überschätzen sollte. So sprang ich nur einmal hinüber und Ritt schließlich ab. Das Schicksal wollte ich nicht herausfordern, außerdem schwitzte Happy, als hätte ich ihn geduscht. Auch Lina nahm Karie in den Schritt zurück. Tatsächlich benahm sich der Kerl unter dem Sattel und reihte mich neben ihr ein.
      „Und, immer noch der Meinung, dass es nicht sein Bald-Freund ist?“, zwinkerte ich überzeugt zu ihr hinüber, „schließlich überlässt er dir sein Lieblingspony.“
      „Ja, dafür müsste ich nämlich erst einmal auf der Suche sein“, blieb sie standhaft, „und jemanden seinem Pony reiten zu lassen, ist noch lange kein Liebesbeweis.“
      „Ach, ich denke schon, dass er sich abends im Bett vorstellt, wie sich sein Pony wohlfühlen muss“, konnte ich mich nicht zurückhalten, unpassende Sprüche zubringen. Schließlich musste auch ich Lars ertragen, der bei jeder Fahrt im Wald, an nichts anderes dachte.
      „Was ist denn los, dass hier alle nur das eine im Kopf haben“, schüttelte sie den Kopf.
      „Der Frühling kommt, mein Schatz“, grinste ich.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 30.952 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang März 2021}
    • Mohikanerin
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      kapitel trettioett | 12. September 2022

      Wunderkind / Moonwalker LDS / Monet / May Bee Happy / Maxou / Planetenfrost LDS / Global Vision / WHC‘ Golden Duskk

      Sonntag
      Lindö Dalen Stuteri
      Vriska
      In der Nacht von Samstag auf Sonntag rollte ich mich von einer Seite zur anderen und bekam kein Auge zu. Zu sehr raste mein Herz bei dem Gedanken, dass ich ihn wiedersehen würde. Außerdem konnte ich nicht genau einschätzen, wie Wunderkind in Form war. Das Training mit dem Hengst wirkte vielversprechend aber meine Konkurrenz war hart. Auch Nour lief in meinem Rennen mit, hatte mit Walker deutlich bessere Chancen auf einen Sieg als ich. Dennoch bedeutete mir das nicht viel. Generell wollte ich nur da sein.
      „Warum schläfst du nicht?“, kam auf einmal Lars aus dem Schlafzimmer heraus, nur in einer Boxershort bekleidet und lief zum Badezimmer hinüber
      „Mein Kopf ist so laut“, erklärte ich.
      „Dann leg dich doch zu mir, da konntest du bisher immer einschlafen“, in seiner Stimme konnte ich ein Lächeln heraushören.
      „Aber Lars“, ich seufzte, „ich will nichts von dir, das ist nur immer … so verführerisch mit dir.“
      „Darum geht es doch gar nicht.“ Das Holz knarrte unter seinen Schritten und spürte seine warme Hand an meiner Wange. „Klar. Du bist mir sehr wichtig, aber wenn du sagst, für dich zählt nur der eine, dann akzeptiere ich das. Außerdem habe auch so meinen Spaß.“
      „Sicher“?“, hakte ich nach und wusste nicht genau, was ich daraus ziehen sollte.
      „Ja und gegen Kuscheln spricht doch nichts, oder?“, sprach Lars zuversichtlich. Ich schnappte mir mein Kissen und huschte hinüber. Im weichen Bett lag es sich sofort angenehmer. Als auch er wieder kam, legte er seinen Arm um mich und ich schloss die Augen.
      „Möchtest du nicht vielleicht doch etwas …“, noch bevor Lars seinen Gedanken vollständig aussprechen konnte, bekam er meine Flache Hand gegen die Wange gepatscht.
      „Schon gut“, knurrte er müde, „hättest du einfach sagen können.“ Mit diesen Worten zog er mich fester an sich heran und ich schlief endlich ein. Allerdings klingelte der Wecker um neun Uhr, eine unchristliche Zeit, wenn man erst gegen fünf Uhr die Augen schließen konnte. Lars verschwand unter der Dusche und ich klickte mich durch die Instagram Timeline. Neben bisher nicht gesehenen Postings von Lina, entdeckte ich ein Bild, das sofort meine Aufmerksamkeit Ju war, gestern nach uns in der Reithalle, nutzte mit Amy die aufgebauten Sprünge – natürlich auf doppelter Höhe. Die Scheck-Stute machte mit ihm eine schöne Figur. Zusehen darauf war auch unsere Praktikantin, also Neele, die bei Ponys im Nebenstall mithalf. Interessiert klickte ich auf ihr Profil. Sie hatte ihren Hengst mitgebracht, der in seinem weißen Fellkleid wie ein Traumpferd daherkam. Auf den meisten Bildern tänzelte er in der Piaffe. Wirklich ein Traum. Seufzend legte ich mein Handy wieder weg. Happy hatte noch einen langen Weg vor sich, wenn wir einmal so ein Pferd-Reiter-Paar darstellen wollen oder gar Maxou.

      Eine Stunde später
      Stall, kurz vor der Abfahrt

      „Und wir haben wirklich alles eingepackt?“, wuselte Nour wie ein aufgebrachtes Eichhörnchen um uns herum, als Lars und ich die Pferde in den Transporter luden.
      „Ich denke schon“, gab er seiner Schwester zu verstehen. Obwohl ihr Arm noch immer Schmerzen bereitete, hatte sie entschieden, Walker zu fahren im selben Rennen wie ich. Bald wären die Kategorie Zwei Rennen vorbei, wenn sie erst einmal die Prüfung bestanden hatte, erklärte Nour mir zwischendurch.
      Sehnsüchtig blickte sie den Sulky am Transporter an und versuchte mit bester Absicht, uns zu helfen, auch wenn ihre Möglichkeiten beschränkt waren.
      „Du könntest noch ein paar Bandagen holen“, schlug ich vor, obwohl genug dabeihatte. Aufgeregt nickte sie und verschwand durch das große Rolltor. Ihre Schritte hallten durchs ganze Gebäude.
      „Ist sie immer so?“, flüsterte ich Lars zu, der schon auf dem Beifahrersitz saß und in sein Handy grinste.
      „Nour meinst du?“, ich nickte, „Ja, auf jeden Fall. Und mit dir im Gepäck fühlt sie sich dazu berufen dich in den Welpenschutz zu nehmen.“
      Kaum kehrte sie zurück, kontrollierte ich noch ein weiteres Mal alle Türen, bevor wir die Abfahrt hinab fuhren nach Kalmar. Ich saß am Steuer, Lars hing weiter am Handy und Nour nervte ihn. Dem genauen Gespräch folgte ich nicht, zu sehr rollte mit jedem Meter der Reifen auf der Fahrbahn mehr Anspannung auf mich zu. Dass ich mich dem Getümmel aus freien Stück hingab, erfüllte mich einerseits mit Stolz, andererseits konnte ich, das mit niemandem teilen. Natürlich wussten die Geschwister Bescheid, aber ich wollte sie nicht damit nerven.
      Haarscharf sah ich die Beleuchtung der Bahn von der Straße aus, standen auf dem Hinterhof und Lars verschwand mit den Papieren zur Nennstelle. Nour tätschelte Walker in seiner Box, während ich Wunderkind ein weiteres Mal putzte. Seine Scheckung sollte leuchtete, bevor uns der Matsch traf. Auf dem Geläuf fuhren bereits die Fahrzeuge, um den Sand eben zu halten und einige Fahrer ihre Warm-Ups.
      Bis auf Wunderkind hatte jeder der Hengste schon sein Band, selbst Vision, der sich aufspielte und in der Box angebunden war, strahlte in einem ganz anderen Licht mit dem niedlichen Zopf. Er wirkte unschuldig aber sein Blau passte wunderbar zu seinen Augen. Kontrolliert drehten meine Finger die einzelnen Strähnen um das grüne Band, bis nur noch ein kleiner Zipfel übrigblieb.
      „Sehr schick“, flüsterte ich ihm und bewunderte mein Werk.
      „Das stimmt“, sagte eine bekannte Stimme hinter mir, die sich mit verstummenden Schritten bereits ankündigte. Ich schluckte verunsichert.
      „Danke“, drehte ich mich zu Basti um. Mit Verwunderung über seine Anwesenheit bei mir, blickte ich in seine dunklen Augen und musste mir weitere Dinge verkneifen, damit meine Gedanken nicht über mein Gesicht zuckten. „Lars fährt nun also für euch“, begann er mit Smalltalk. Ob er sich an mich erinnerte oder hatte man ihm mehr verraten? Vielleicht war es einfache Freundlichkeit, aber in meinem Magen legte sich ein Hitzegefühl, dass ich ungewohnt gut anfühlte.
      „Gut zu hören, dass er ein paar neue Leute zum Fahren bringt. Also viel Erfolg“, sprach er weiter, mit einem höflichen Lächeln auf den Lippen, nach dem ich abermals in Schockstarre verfallen war. „Aber sag‘ mal, ist Nour da? Es hat sich rumgesprochen, dass sie sich verletzt hat.“
      Aus der Hitze wurde ein elendiges Stechen. Wollte er sie? Ich schüttelte mich und erntete skeptische Blicke.
      „Ähm, ja“, stammelte ich und zeigte einige Boxen weiter auf den hellen Hengst, „sie ist bei Walker.“
      Mit einem Nicken bedankte er sich, aber drehte sich auf halbem Weg noch einmal um.
      „Ach und, ich hoffe, Malmö hat dir gefallen“, sprach er lachend. Peinlich berührt drehte ich mich weg, sah aber im Augenwinkel, wie Basti Nour begrüßte. Mein Gesicht vergrub ich in der Mähne des bunten Hengstes. Überkommen von Scham bemerkte ich Lars erst, als er mein Gebrabbel kommentierte. Damit versuchte meine Nerven zu beruhigen und Wunderkind kümmerte das nur wenig.
      „Das Pony kann dir auch nicht helfen aber jetzt Hopp, du musst gleich fahren“, klopfte Lars mir auf den Po.
      „Ihr müsst euch heute auch alle anschleichen“, murmelte ich mit scharfem Unterton.
      „Bin ich jetzt schon alle?“, scherzte er weiter. Aber mein Blick hing wieder an Basti, der noch immer bei Nour am Pferd stand. Wie angewachsen verharrte ich bei Wunderkind, der bereits weggedreht hatte und an seinem Heu knabberte. Bei ihr lag noch mein Equipment und der Sulky lehnte dort ebenfalls.
      „In einem Moment kannst du nicht genug von ihm bekommen, aber in Live schlägst du Wurzeln. Ihr Frauen seid mir ein Rätsel“, mit seiner Hand an meiner Schulter, drückte er mich vor. Um nicht fallen, bewegten sich meine Beine selbstständig voran.
      „Das ist ziemlich sexistisch von dir“, merkte ich beiläufig an.
      „Na und wenn schon, oder bist du jetzt auch noch Aktivistin?“, lachte er. Seine Aussage nahm ich schweigend hin, denn die größeren Probleme lagen vor mir. Natürlich war ich mir dessen bewusst, dass nichts passieren würde, wenn ich Sachen holte für das Rennen, aber gleichzeitig sorgte seine bloße Anwesenheit für weiche Knie. Aber ich entschied, es mitzuteilen.
      „Lars, warte“, sagte ich mit trockenem Hals und schluckte einmal.
      „Klar“, blieb er stehen und kam die fehlenden Meter zwischen uns zurück.
      „Solang er da ist, kann ich das nicht“, vermittelte ich.
      „Verstehe ich. Einen Moment, ich regle das“, sprach Lars mit einem Lächeln auf den Lippen. Seine Hose, bereits voller Flecken, trat er weiter durch den Matsch. Nur unverständlich hallten ihre Worte in meinen Ohren. Als Alibi zog ich mein Handy hervor und bewegte mich in Zeitlupe zu meinem Pferd.
      „Dann viel Erfolg dir, aber glaube nicht, dass du uns schlagen kannst“, warf Nour ihre Arme um mich. Ein spitzes Lächeln lag auf ihren Lippen. Es galt als reine Motivation, aber ich wusste schon, dass die beiden unschlagbar waren. Nour entfernte die Schnüre und führte Walker zum Geläuf, weiterhin im Gespräch mit Basti, der, ohne ein Blick auf mich zu werfen, an mir vorbeilief.
      Mir schlug das Herz bis in den Hals, aber ich hatte noch genügend Zeit, bis mein Rennen begann. Einige fuhren bereits auf der frisch gezogenen Bahn, was ich auch noch nutzen wollte.
      Wunderkind, der immer die Ruhe selbst war, scheute allerdings. Kaum hatte ich die Bandagen von seinen Beinen genommen, trampelte er unruhig von einer Seite zur anderen. Aufgeregt wieherte er und bekam sogleich eine Antwort von Dustin. Lina wäre eine große Hilfe gewesen, dachte ich, insgeheim aber wollte es keinesfalls die Kontrolle übernehmen lassen. Du schaffst das, sagte ich mir und ging mit neuer Kraft an das Pferd heran. Im Putzkasten lächelte mich die Watte an, die sofort ergriff und vorsichtig in seine Ohren steckte, oder zumindest erst einmal versuchte. Der Hengst hampelte noch immer wie vom Teufel besessen und streckte den Kopf nach oben.
      „Laaaars!“, rief ich in aufkommender Verzweiflung quer über den Platz, aber er kam schon angelaufen, als hätte er mich beobachtet. Im nächsten Moment nahm er den Hengst am Halfter und steckte die Watte in die Ohren. Reichte mir selbem Zuge einen Schutz, den ich noch darüber ziehen sollte. Schon nahm man eine Veränderung wahr. Wunder seufzte förmlich und schnaubte dann ab.
      „Danke“, sagte ich zu Lars und tat dem Hengst gleich.
      „Soll ich bleiben, falls was ist?“, bot er an.
      „Ja, bitte“, nickte ich. Sogleich half Lars mir weiter und legte den Beinschutz um den Hengst, während ich ihm die Trense umlegte. Endlich kam so etwas wie Entspannung in das Tier und selbst ich konnte ohne Trittleiter, ihm das Leder befestigen.
      Langsam schlich ich zum Transporter, um mich umzuziehen. In der alten und dreckigen Jogginghose würde ich gegen die Kleiderordnung verstoßen, was außerhalb meines Interesses lag. Mit gemischten Gefühlen wechselte ich in meine weiße Hose und schwarz-grüne Jacke, um den Hof zu präsentieren. Ich hatte aufkommende Sorge, mich auf der Bahn zu blamieren, erst recht, wenn Nour sich noch immer mit ihm am Eingang unterhielt. Zähneknirschend nahm ich die Leine entgegen. Lars hatte mir bereits den Sulky angehangen. Am Kopf hielt er Wunder fest, damit aufsteigen konnte und zum Warm-Up fuhr.
      „Vivi, keine Sorge. Die kennen sich nur schon ewig, also kein Anflug von Eifersucht, okay? Ich möchte nicht, dass ihr euch anzickt“, bat er mich. Damit fiel das Drücken in der Brust von mir und ich konnte beruhigt durchatmen. Dort wartete auch schon Nour, endlich allein, aber mit einem breiten Grinsen auf den Lippen.
      „Gute Nachricht“, sprach sie und setzte sich mit Walker neben mich. Zwischen dem Lärm aus dem Zuschauerbereich, Musik aus den Lautsprechern und Kratzen der Räder auf dem feuchten Unterboden, war es eine Herausforderung, etwas zu verstehen.
      „Ach ja?“, meine Stimme bebte wieder, obwohl ich versuchte gleichgültig zu bleiben.
      “Wir haben über dich gesprochen”, grinste sie, aber mir zitterten sogleich die Finger. All das Drama wollte ich mir ersparen und trieb den Schecken etwas schneller voran. Walker zog jedoch mit.
      “Vivi, er hat mich nach dir gefragt. Nichts Schlimmes, also freu dich”, mahnte Nour.
      “Ich möchte das nicht wissen und wenn er Interesse an Informationen hätte, kann er auch mich fragen”, zischte ich eingeschnappt.
      “Hätte er, aber du sprichst nicht mit ihm. Deswegen hat er sich Sorgen gemacht, ob etwas mit dir nicht stimmt”, lachte sie amüsiert.
      „Okay“, murmelte ich vor mich hin. Nour trieb ihren Hengst voran, denn sie verstand, dass das Thema unpassend war und damit trat ich allein übers Geläuf. Entspannt wippte Wunders Kopf in der Bewegung. Nur im Augenwinkel beachtete ich die anderen Fahrer, um die volle Konzentration auf den Pferdepo vor mir zu haben. Nach einer Runde Schritt wechselte ich die Hand und trabte an. In einer schönen Selbsthaltung schwebte er voran.
      Für die Wiederqualifikation musste ich mit dem Hengst das Geläuf frei machen und fuhr den anderen hinterher, die sich auf der Innenbahn platzierten. Meine Aufregung spürte ich deutlich in den zitternden Finger, die nervös zuckten und willkürlich den Hengst Paraden gaben. Aber je mehr ich versuchte, es zu unterdrücken, umso schlimmer wurde ich.

      > Starten är frigjord!
      „Der Start ist freigegeben“, dröhnte es dumpf von den Lautsprechern an meine Ohren. Durch das Stirnband unter dem Helm hörte ich nicht mehr so gut, aber dass alle anderen sich am Auto hinter ihrem Startplatz stellten, unterstrich meine Annahme.
      „Wir schaffen das“, flüsterte ich Wunderkind zu, der bereits beim Anlaufen übermotiviert die Beine nach vorn warf. Wir starteten von Platz drei, der wohl beliebteste Platz, da man am Start mit etwas Glück vorziehen konnte und sich an die Spitze setzte. Nour stand mit Walker vor der sechs. Sie konnte schon einige Siege mit dem hellen Pferd erringen, umso größer war meine Kampflust, es auch zu schaffen.
      Treiben musste ich Wunder nicht, dafür mit sanften Paraden zurücknehmen. Deutlich spürte ich seinen Widerstand, aber musste behutsam an der Leine sein. Auf der Startmarke gab das Fahrzeug Gas, um uns den Weg freizumachen und besten Gewissens setzte ich mir Wunderkind vor. Wir zogen an einem Braunen vorbei an zweiter Stelle in zweiter Reihe. Im Rausch der Geschwindigkeit verschwamm alles neben mir, bis die Ohren des Dunkelfuchses aufblitzten. Ich versuche mich an ihm vorbeizudrücken, doch der Fahrer versperrte mir den Weg. Nach dem zweiten Bogen bremste ich den Schecken etwas, doch da kam Nour mit Walker und bedrohlich nah. Der Hengst war voll in seinem Element. Aus uns dreien wurde ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Wir befanden uns im letzten Bogen, als ich entschied, es zu riskieren. Ich lenkte durch gezieltes Schütteln der Leine den Hengst nach Außen, um an Walker vorbeizukommen. Dabei verspürte ich die Kampflust des Schecken, der in großen Sprüngen über das Geläuf fegte. Er wusste genauso gut wie ich, dass er es konnte. Mit der Stimme trieb ich ihn noch etwas stärker, doch dann die Schlussglocke. Das Ergebnis stand noch nicht fest, aber langsam kam meine Wahrnehmung wieder. Am ganzen Körper zitterte ich und ließ Wunderkind einfach machen. Beinah eine halbe Runde kam er nicht runter, aber bremste schließlich. Sofort kam an Ausfahrt Lars.
      „Das war heftig“, keuchte er, vollkommen außer Atem. „Aber komm, wir müssen deine Schleife abholen.“
      „Was?“, fragte ich verwirrt.
      „Die Nase hatte Wunder vorn, wenn auch sehr knapp“, grinste Lars. Ich konnte es nicht fassen, aber mein Gefühl hatte recht. Unverständlich ertönte mein Name zwischen anderen Worten durch die Lautsprecher, doch ich konnte nur auf die Ohren vor mir blicken.
      Lars hielt den Hengst fest, als ich aus dem Bock sprang und mich mit weichen Knien an den Wagen stellte. Durch den Kopf schwirrten so viele Dinge, dass ich kaum denken konnte. Aber das Wichtigste war: unser Sieg. Von einem zum anderen Ohr strahlte ich in Kameras vor mir, riss mir vorher den Gesichtsschutz vom Mund. Lars bekam ein liebevoll eingepacktes Geschenk für mich in die Hände gedrückt und Wunderkind eine lila Schleife an die Trense. Nach einem Auf- und Abfahren für das Publikum, das ehrlich gesagt bei dem Wetter sehr gering ausfiel, ging es zurück. Neben mir herlief Lars, der kaum ein Auge von mir lassen konnte. Auch Nour hatte sich bei uns eingereiht, die vollkommen überrascht zu mir sah.
      „Müsstest du nicht gleich Warmfahren?“, stammelte ich bester Absicht, wieder zur Sprach zu kommen, aber ich fühlte mich wie ein Teenager auf einem Talentwettbewerb, der nicht genau wusste, was er da tat.
      „Ja, aber du brauchst jemanden, der dir hilft“, lächelte er zuversichtlich und verschwand mit den Sachen am Hänger. In der Zwischenzeit stieg ich ab.
      „Großartig! Ich hatte das nicht erwartet“, sagte Nour mit funkelnden Augen und warf sich um meinen Hals. Überfordert blickte über ihre Schulter hinweg zu Lars, der wieder aus dem Transporter stieg.
      „Danke?“, tastete ich mich an die richtige Antwort. „Aber Wunderkind ist einfach ein Ausnahmetalent.“
      „Nicht so bescheiden, freu dich mal. Außerdem hast du damit bestimmt Eindruck geschändet“, lachte sie.
      „Ich weiß nicht.“ Meine Unsicherheit blieb. Nour begann, währenddessen zu erzählen, wieso Walker nicht angezogen hatte. Die Ohren standen mittlerweile auf Durchzug, denn sie begann abermals von vorn. Lars hatte sich ebenfalls aus dem Staub gemacht, um den Falbhengst mit großen Abzeichen warmzufahren. Um seinen Start nicht zu verpassen, beeilte ich mich etwas, alle Sachen zu verräumen und die Beine einzupacken.
      „Wenn du ihn so toll findest, warum kaufst du ihn nicht“, zischte es deutlicher schärfer über meine Lippen, als ich wollte. „Es tut mir leid, das war ungewollt.“
      „Es nervt dich, oder? Aber ja, schon gut. Ich habe auch schon überlegt, doch so viel Geld, werde ich nicht haben“, gab sie kleinlaut zu und legte die Arme um seinen Hals.
      „Wirklich nur minimal, aber das liegt nicht an dir“, seufzte ich und betrachtete die enge Bindung zueinander als das größere Problem. Mit meiner Stute war es anders. Sie liebte mich aus unerklärlichen Gründen abgöttisch, nur ich konnte das nicht ganz so zurückgeben, dafür hatte zu viel Angst, unbegründet. Zudem wechselten die Pferde in Leben mittlerweile so oft, dass es schwer war, sich für einen Liebling zu entscheiden.
      „Was auch immer ist – wir bekommen das in den Griff. Wenn Humbria erst einmal fahrbereit ist, wirst du sie alle platt wälzen“, lachte sie und zeigte dabei eine seltsam anmutende Handbewegung, als würde sie einen Rasenmäher schieben.
      Zusammen sahen wir uns noch Lars an, der zunächst mit Plano den vierten Platz belegte. Vision sprang in den Galopp, somit heimste er sich eine Disqualifizierung ein und schließlich mit Dustin doch noch einen Ersten. Feierlich umkreisten ihn, mir unbekannte, Personen und Nour war zur Siegerehrung auf das Geläuf gegangen. Teilnahmslos stand ich am Zaun. Sofort wurde mir unwohl, als hätte ich etwas Falsches gemacht, was natürlich bloße Einbildung war. Zudem hinkte der Vergleich mit ihm, schließlich galt Lars schon lange nicht mehr als Amateur, sondern fuhr als Berufsfahrer – mit großem Erfolg.
      „Kopf hoch, ist doch super“, erklang auf einmal eine tiefe und dunkle Stimme neben mir, die mir eine Gänsehaut über den Körper jagte. Langsam bewegten sich meine Augen in die Richtung, aus der Worte an mich getragen wurden.
      „Ach, du schon wieder“, seufzte ich und stelle dann fest, wer neben mir stand. Erschüttert von meiner eigenen Antwort schüttelte ich mich wie ein nasser Hund und drückte die Schultern zusammen, als würde es etwas ändern.
      „Ich kann auch wieder gehen“, grinste Basti spitz, verharrte aber an Ort und Stelle. Noch immer konnte ich mir nicht erklären, was seine Aufmerksamkeit so erregte, bis mich Nour aus der Ferne angrinste. Überall mischte sie sich ein und für einen kurzen Augenblick überkam mich eine aufkommende Hitze.
      „Nun gut, wenn du dich nicht unterhalten möchtest”, er zog eine Schachtel aus der Jackentasche und zündete sich eine Zigarette an, “Man sieht sich“, dann lief Basti zu den Ställen. Die Hoffnung flammte für einen Augenblick auf, dass ich ihm nachlaufen würde, aber ich verharrte wie ein Idiot an auf der Stelle, Wurzeln so groß und schwer wie die eines Mammutbaums. Kein Wort würde er mit mir wechseln und die Wut kochte. Wut, gegen mich selbst, dass ich es mir leicht vorgestellt hatte, mich in dem Gedanken verlor, mit ihm sein zu können. Allerdings stellte sich die Realität als eine andere heraus, wer hätte es nur gedacht.
      „Was ist passiert?“, fragte Nour schockiert, als sie mit Lars von der Siegerehrung kam.
      „Nichts“, seufzte ich.
      „Aber warum schaust du dann, wie zehn Jahre Regenwetter?“, wunderte sie sich.
      „Weil nichts passiert, ist“, wurde meine Stimme lauter und einige Menschen um uns herum, schauten uns verwirrt an.
      „Reiß dich zusammen“, schüttelte Lars den Kopf, „was hast du denn gedacht was passiert? Dass er dir einen Antrag macht?“
      Seine genervte Stimmung gab mir den Rest und trotzig lief ich zum Stall. Die Rennen waren durch, also begann ich unsere Sachen aufzusammeln und in den Transporter zu verräumen. Sie kamen wenig später ab, aber sprachen kein Wort. Erst, als ich Wunderkind aus der Box holte, um ihn zu verladen, mischte sich mein Kollege wieder ein.
      „Was du vor? Wir fahren noch nicht nach Hause“, erklärte er monoton.
      „Gut, dann rufe ich mir ein Taxi“, antwortete ich aufgebracht. Lars zog mich zur Seite.
      „Mir ist gerade vollkommen egal, was passiert ist und was nicht, aber ich lasse mir mit deinem kindischen Verhalten nicht den Tag verderben. Du hast Aufgaben hier, also setze dich meinetwegen in den Transporter und warte“, maulte er.
      Ich riss mich aus seinem festen Griff heraus und stürmte in besagten. Nour blickte mir wehleidig nach.
      „Das kannst du doch nicht sagen“, hörte ich sie zu ihrem Bruder sprechen.
      „Es kann nicht sein, dass jeder nach ihrer Nase tanzen soll“, gab er zu verstehen. Den Rest ihres Gespräches war außerhalb meiner Hörweite und ich verschwand im Inneren des Transporters. Zunächst warf ich die Kleidung von mir, wechselte sie gegen meine Jogginghose und Pullover. Dann warf ich mich ins Bett. Mit meinem Verhalten hatte ich wieder einmal dafür gesorgt, dass die ganze Welt gegen mich war. Ich verstand ihre Enttäuschung, dennoch sprach diese elendige Stimme in meinem Kopf. Obwohl sie schrie, verstand ich kein einziges Wort, lediglich versetzte sie mir ungeheure Schmerzen in den Bauch. Alles drehte sich. Vor meinen Augen funkelte es uns noch im richtigen Moment schaffte ich es vor die Tür. Mein Magen entschied sich dazu, den nicht vorhandenen Inhalt zu entleeren.

      Stunden vergingen, bis einer zum Transporter kam. Teilnahmslos saß ich auf der Bank und starrte in die Leere. Ein reinstes Chaos war in meinem Kopf, die Finger zitterten und auch meine Beine hatte ich nicht mehr unter Kontrolle.
      „Es tut mir leid, was ich gesagt habe“, entschuldigte sich Lars und setzte sich zu mir. Ich rückte weiter in die Ecke, um keinesfalls von ihm berührt zu werden.
      „Schon okay“, antwortete ich abwesend.
      „Nour wollte, dass ich nach dir schauen gehe“, erklärte er.
      „Schön.“
      „Du bist nicht okay. Sollen wir nach Hause fahren?“, versuchte Lars mir fürsorglich auf den Zahn zu fühlen, doch das war vorbei. Eine Antwort gab ich ihm nicht, weshalb er wieder den Transporter verließ. Dem Gepolter zu folgen, verluden sie wenig später die fünf Rennpferde und Lars setzte sich ans Steuer. Noch ein paar Mal gab sich Nour Mühe, ein Gespräch aufzubauen, aber ich blockte komplett ab. Zu Hause angekommen, stieg ich sofort aus. Sie brauchten meine Hilfe nicht und zischte in die Hütte, für Stunden saß ich allein und als die Sonne schon lange am Horizont verschwand, war von Lars nichts zu sehen. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, dass er auch in der Nacht nicht kommen würde.

      © Mohikanerin // 23.588 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang März 2021}
    • Mohikanerin
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      kapitel trettiotvå | 13. September 2022

      May Bee Happy / Wunderkind / Northumbria / Maxou / Planetenfrost LDS / Global Vision / Drivblesa / Moonwalker LDS / HMJ Divine / Jokarie / HMJ Holy / Pay My Netflix / Glimsy / Einheitssprache

      Samstag, eine Woche später
      Lindö Dalen Stuteri

      Vriska
      Es war schon wieder Wochenende. Ich stand mit Happy am Strick auf der Rückseite des Stallgebäudes und fröhlich zupfte er einige Grashalme. Von meinem emotionalen Rückschlag hatte ich mich entsprechend erholt. Am nächsten Tag wachte ich sehr früh am Morgen auf und nutzte die Stunde allein am Stall für ein Training mit Happy, der sich nach dem Springen deutlich leichter im Sattel gab. Wunderkind hatte frei und mit Humbria fuhr ich einen Heat. Nach einem kleinen Frühstück half ich Bruno bei der Stallarbeit. So ging es die folgenden Tage weiter. Lars kehrte erst am Dienstag zurück. Er war bei seiner neuen Flamme, die wohl seine Unterstützung benötigte. So sei es. Ich kam klar. Lina hatte ich nichts erzählt, doch aus ihrer Stimmung heraus konnte ich ablesen, dass Nour ihr berichtet hatte. Mit Niklas war es weiterhin schwierig. Wenn ich ihn im Gang traf, warf er mir beliebige Sprüche an den Kopf und Lina schämte sich dafür. Am Abend schrieb ich mein Buch weiter.
      „So kleiner Mann, das reicht“, sagte ich zu dem großen Fuchs, der die Ohren in meine Richtung drehte und den Kopf hob. Entspannt folgte er mir in den Stall. Dort nahm ich die farblich passende Decke zum Halfter ab und stellte ihn zurück in die Box. In der Gasse räumte Nour bereits die Sachen zusammen für die Abfahrt nach Visby. Maxou hatte ich longiert und morgen wollte Erik kommen, somit war ich ganz froh, nicht dazu sein.
      „Fühlst du dich wirklich bereit für das Rennen?“, hakte Nour besorgt nach.
      „Klar, wieso nicht?“, versuchte ich den Zwischenfall zu überspielen. Sie sprach es ungern an, denn es tat ihr leid, mir nicht helfen zu können.
      “Ich”, sie seufzte tief, als hätte sie seit Minuten die Luft angehalten, “ich wollte nur sichergehen, aber Humbria hat bisher eine gute Figur gemacht, oder?”
      “Ja, sie ist sehr motiviert”, erklärte ich zuversichtlich. Am Donnerstag hatte ich die Zeit gestoppt und auf einer Meile waren wir bei 1:13,5. Damit lagen die Chancen gut auf das Treppchen.
      “Du läufst das Stutenrennen, oder?”, Nour stellte weiter unnötige Fragen, denn sie hatte die Nennung vorgenommen. Somit sollte sie sich bewusst sein, was ich fuhr.
      “Genau, sofern wir die Qualifikation nachher bekommen.” Ich legte die Decke zusammen und hängte diese über die Stange an Happys Box. Glücklicherweise gab es heute um zwanzig Uhr die Möglichkeit noch einen Probelauf zu fahren, bei dem sich entschied, ob wir starten konnten. Normalerweise fand so was am selben Renntag fest und eine weitere Nennung wäre nicht möglich an dem Tag.
      “Den großen Transporter fahren wir?”, hakte ich noch einmal nach, um mich emotional vorzubereiten. Den Großen bin ich bisher nur ein einziges Mal gefahren, doch Lars weigerte sich.
      “Leider, ja. Der hat aber zwei große Schlafkabinen”, nickte Nour.

      Nach einer Stunde standen die Pferde im Stall, vorbereitet für den Transport. Zur Kontrolle schaute ich den Inhalt meiner Tasche, die bereits im Transporter lag und Dog direkt darauf. Ich hatte alles dabei, sogar meine kleine Plastikdose für die Medikamente. Noch Abend am Sonntag entschloss ich, den Kram wieder zu nehmen. Gestresst kam Nour angelaufen: „Wo steckt der Kerl nur.“
      Damit meinte sie Lars, der eigentlich zurück sein wollte, bevor wir losfahren. Zum Abschied fuhr er zu seiner Flamme, um mit ‚einem guten Gefühl zu starten‘, wie er uns gestern lang und breit bei der Besprechung am Abend erklärte.
      „Hast du versucht ihn zu erreichen?“, fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits kannte.
      „Natürlich, siebenmal“, lachte sie.
      Wir begannen die Pferde zu verladen, auch wenn er nach zwanzig Minuten in der Stallgasse sitzen, noch immer nicht zusehen war. Zunächst kamen Walker, Plano und Vision in den Transporter. Im Anhänger folgten Humbria und Blessa, eine Fuchsstute, die Mitte der Woche von Bruno als Trainingspferd übernommen wurde. Sie stammte aus Norwegen und sollte in Schweden große Erfolge erzielen. Nour fuhr sie an dem Wochenende. Ich schloss die schwere Klappe allein, als ein großes blondes Wesen neben mir auftauchte. Vor Schreck fiel mir diese beinah herunter, wenn er nicht seine Hand daran gehabt hätte.
      “Ihr wolltet nicht etwa ohne uns fahren?”, grinste Mateo. Verwundert drückte ich meine Stirn zusammen.
      “Eigentlich schon”, murmelte ich undefiniert, dann trat auch Lina hervor, “ich wusste nicht, dass euch das interessiert.”
      “Mateo, meinte, er müsse sich unbedingt mal ansehen, was seine Kollegen denn da immer so treiben”, erklärte sie, “dabei habe ich eigentlich sehr anschaulich erklärt, dass ihr nur knappe zwei Minuten im Kreis rennt.”
      “Es ist die Geschwindigkeit, Kleines”, kam Nour dazu, um ihr nun die Leidenschaft dahinter zu erklären. Ich stand grinsend daneben, denn hatte Lars’ Schwester erst mal jemanden ohne Ahnung gefunden, konnte sie stundenlang über den Trabrennsport und, vordergründig, Walker sprechen. Zwischendurch rollte ich mit den Augen, denn eine solche Leidenschaft konnte ich mit ihr nicht teilen, viel mehr, wollte ich mich, aus freien Stücken, bei Basti entschuldigen. Mein Verhalten war alles andere als in Ordnung, außerdem hatte sich in der Woche das Gefühl zu ihm, noch mehr verstärkt, obwohl ich ihn nur einmal aus der Ferne in Kalmar gesehen hatte.
      “Nour, ich glaube, dass das reicht”, kam endlich der Herr der Schöpfung an. In der Hand hielt er eine Tasche, die er in den Transporter schmiss.
      “Dann können wir los?”, ging ich nicht weiter auf seine Verspätung ein, sondern dachte nur an die Fähre und meine Qualifikation.
      “Ja”, brachte der Schweizer freudig hervor, während die kleine Brünette neben ihm nur mäßig viel Motivation ausstrahlte. Ihren Unmut konnte ich sogar nachvollziehen, obwohl ich das Pilzi dabeihatte. Vermutlich war die Stute der einzige Grund, weshalb Mateo sie überzeugen konnte.
      Die beiden Süßen setzten sich auf die Rückbank und mit Lars saß ich vorn, falls etwas sein würde. Das erste Anfahren war ruckelig, zu lange fuhr ich keinen Schaltwagen mehr, doch nach einigen Metern der Ausfahrt entlang, bekam ich ein Gefühl für das Gespann. Hinter mir wurde sich unterhalten über Linas Hengst, was mittlerweile dieselbe Stufe erreicht hatte, wie Nour mit Walker.
      Nach der Strecke auf der Autobahn kamen wir in dem Gewerbegebiet von Oskarshamn an. Trostlos lagen auf beiden Seiten riesige Hallen und Geschäfte mit leeren Parkplätzen. Selbst auf der Straße waren kaum Autos unterwegs, obwohl es Samstagmittag war. Es folgte ein Kreisverkehr und langsam wurde es ansehnlicher, sofern man Plattenbau als solches bezeichnen konnte. Zumindest hatten sie kleine Blumenkästen am Geländer, die es bunter machten in der farblosen Umgebung. Gegenüber vom Hafen standen einige alte Häuser, die die Stadt lebhafter machten. Wir stellten den Transporter ab, um auf die Fähre zu warten. Eine halbe Stunde hatten wir vor uns und ich suchte mir ein ruhiges Plätzchen zum Rauchen, Dog folgte mir unauffällig und mit ihm noch ein weiteres Wesen.
      “Vriska?”, kam Lina neugierig angeschlichen, wie eine Katze auf Erkundungstour, “bekommt man dieses Wochenende auch noch etwas … interessanteres zu sehen als euch?”
      Verwundert drehte ich mich um, kalt schlug mir eine Meeresbrise ins Gesicht, die einen Fischgeruch mit sich trug. Selbst Dog rümpfte angeekelt die Nase.
      „Als uns? Aber ich weiß nicht genau. In der Nähe sind ein Museum und ein Themenpark, der aber vermutlich noch geschlossen hat“, überlegte ich laut, jedoch fiel mir noch etwas anderes ein, das Niklas mal erwähnt hatte. „In der Nähe soll es Wildpferde geben, vielleicht wäre das, was für dich und Mateo.“
      “Wildpferde sagst du? Das klingt tatsächlich sehenswert”, nickte sie, “aber ob Mateo das ebenso spannend findet?” Sie wirkte ein wenig nachdenklich, als würde sie versuchen abzuschätzen, was der Schweizer davon halten würde.
      “Mehr als dich, braucht er nicht”, scherzte ich augenzwinkernd. Die Funken zwischen ihnen verspürte ich mittlerweile auch im Stall, wenn nur einer von ihnen zu sehen war. Wenn sie ritt, warf er einen prüfenden Blick auf Lina und andersherum. Mich brachten die beiden immer zum Lächeln.
      “Klar, weil die Welt sich ja nur um mich dreht”, rollte sie mit den Augen.
      “Jetzt übertreiben wir nicht”, schaltete ich einen Gang zurück, “ihr beide mit euren Tönnchen seid dennoch niedlich.” Dabei zog ich mein Handy hervor und zeigte ihr einige Bilder, die ich in der Woche gemacht hatte. Mittlerweile nahm ich häufiger meine Kamera aus dem Zimmer mit, um die Website und Social-Media-Plattform mit Inhalten zu füttern. Natürlich behielt ich solche Aufnahmen für mein Archiv auf dem Laptop. Lina stand an der Bande, spielte mit dem Finger an dem Zopf und blickte verträumt zu Mateo, der auf Karie saß und im Sand tanzte.
      “In Kombination von Nour und dir bleibt auch wirklich nichts verborgen. So ein wenig gestalkt, fühle ich mich ja schon”, stellte sie fest.
      “Tut mir leid, aber es war ein schönes Motiv”, ich tippte ein weiteres Mal auf das Bild, um die interaktive Oberfläche zu sehen und drückte auf den Mülleimer in der unteren rechten Ecke. Bevor ich diese Aktion bestätigte, funkte Lina dazwischen und fummelte an einer anderen Stelle auf dem Touchscreen herum, wodurch sich die Option schloss.
      “Du kannst doch so hübsche Bilder nicht einfach löschen”, empörte sie sich, “aaaber zeigen tust du es bitte trotzdem niemandem.”
      Zustimmend nickte ich und zeigte ihr noch anderen Bilder. Unter anderem war eins vom Satteln dabei, bei dem Mateo ihr half. Die Beiden waren wirklich in jedem Moment niedlich und es überraschte mich, dass keiner mich mitbekam.
      Nach einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass es Zeit war, zum Transporter zurückzukehren. Ich rief den Hund zu mir und zusammen liefen wir auf den Parkplatz. Der Rest der Truppe saß bereits auf den Plätzen, als hätten sie Stunden auf uns gewartet.

      Drei Stunden später, 18:31 Uhr
      Trabrennbahn, Visby

      In Stalltrakt neun brachten wir unsere Pferde unter. Blessa hatte eine tolle Paddockbox zugeteilt bekommen und erfreute sich sofort an der kleinen Pfütze im Sand. Mit dem Huf trat sie darin herum, um sich schließlich, samt Decke, darin zu wälzen. Humbria hatte nur ein Fenster, das sie nicht sonderlich interessierte. Meine Jackentaschen raschelten schließlich verführerisch. Ich beobachtete die dunkle Stute einen Moment, bevor ich zurück zum Transporter lief. Dabei schaute ich mich um, in der Hoffnung, Basti zu entdecken. Allerdings hätte mich überrascht, dass ein beschäftigter Mann wie er, schon so früh anreisen würde. Sein erstes Rennen war erst um dreizehn Uhr dreißig Morgen. Seufzend drehte ich mich ein letztes Mal um und stieg die Treppe hinauf. Die Vier saßen am Tisch und spielten Karten.
      „Und, alles gut im Stall?“, fragte Lars höflich nach, was ich mit einem Stummen „ja“, beantwortete. Mir hatte die fehlende Anwesenheit bereits die Stimmung vermiest, obwohl ich mich lange darauf vorbereitet hatte. Dennoch gab es diesen einen kleinen Gedanken, der mich vom Gegenteil überzeugen wollte.
      „Ich gehe mit Dog spazieren“, sagte ich schließlich, als ich meine Hose gewechselt hatte und mir eine dickere Jacke überzog. Als der Hund das S-Wort hörte, sprang er sogleich auf und tänzelte am Ausgang herum.
      “Warte kurz, ich komme mit”, verkündete die Kleine, blickte konzentriert in ihre Handkarten. Lars machte einen Spielzug, legte dabei die letzten Karten ab, woraufhin Lina eine Schnute zog: “Das ist unfair, warum gewinnst du den immer?”
      “Er schummelt gekonnt”, seufzte auch Nour und legte ihre Hand offen. Das Spiel war wohl damit vorbei, doch unserer Herzensbrecher lehnte sich triumphierend zurück, ohne sich zu dem Tatbestand zu äußern. Lina stand auf, um sich ebenfalls eine Winterjacke überzuziehen. Von den beinah warmen zehn Grad Celsius auf unserem Hof, war es hier in Küstennähe unter null gerutscht und ein eisiger Wind zog über das offene Feld. Hinter uns schloss ich sofort die Tür und warf mir die Leine um den Hals.
      “Deiner Stimmung nach zu urteilen”, setzte Lina an, als wir einige Schritte entfernt waren und betrachte mich analysierend, “hast du dir erhofft, jemanden hier anzutreffen.”
      “Warum denkst du wohl, tue ich mir das alles hier an?”, gab ich offen zu, dass mir die Rennen gleichgültig waren. Ich könnte jederzeit auf den Rausch verzichten, aber wenn es Aufmerksamkeit auf mich lenkte, tat ich es gern.
      “Wäre ja möglich, dass es dir tatsächlich Spaß macht”, zuckte sie mir den Schultern, “aber dann ist der eigentliche Grund wohl Basti.”
      “Natürlich macht es mir das, aber es ist nicht der Hauptgrund. Den Spaß daran könnte ich auch auf der heimischen Trainingsbahn genießen”, berichtete ich, ohne auf ihren Nebensatz einzugehen. Seinen Namen zu hören, löste umgehend Bluthochdruck aus.
      „Da hast du recht“, nickte sie zustimmend.
      “Aber du wirst wohl kaum mitkommen, nur um ihn zu suchen? Was ist los?”, fragte ich voller Zuversicht nach, den Lina torkelte sichtlich unentschlossen neben mir her, während der Hund mit seinem leuchtenden Halsband vor uns blieb.
      „Mh, ich brauchte eine kurze Pause“, sagte sie unspezifiziert. Ihre Finger steckten in den Jackentaschen und mit leichtem gesenktem Kopf beobachtete sie den Boden, der übersät war von Hufabrücken. Hier und da lagen kleine Steine im Sand, die sie zur Seite trat.
      „Doch nicht etwas von dem netten Schweizer?“, versuchte ich mich heranzutasten.
      „Es ist kompliziert, aber eher von mir selbst“, führte sie näher aus, „Mateos Gegenwart ist etwas … verwirrend.“
      „Kann ich nachvollziehen“, log ich, zumindest halb. In meinem Kopf spielten sich alte Bilder ab, die nicht mehr das gleiche Gefühl auslösten, wie vor Monaten. Damals war es Niklas, von dem ich in der Anfangszeit nicht genug bekommen konnte, obwohl er schon mit Lina zusammen war. Dass sich dadurch Traumata lösten, die ich erst in England aufarbeiten konnte, hatte seine Anziehungskraft wie auf Knopfdruck entfernt. „Vielleicht solltest du eine Pro- und Kontraliste erstellen, um den Kopf klar zu bekommen. Oder ein Buch schreiben, wie ich.“
      „Wenn das nur so einfach wäre, wie es klingt“, seufzte sie und klickte schwungvoll einen Stein zur Seite, dem Dog augenblicklich nachsprang.
      „Ich weiß nicht, was dich so stark beschäftigt, aber wenn es nur ansatzweise dramatisch, wie in meinem Kopf ist, dann solltest du dir deinen Gefühlen bewusstwerden. Allein, dass weiteres Verlangen in dir spuckt, sollte klarmachen, dass in der Beziehung etwas falsch läuft“, möglichst oberflächlich gab ich ihr einen Tipp, den ich schon längst hätte, selbst befolgen sollen. Aber in mir gab es ohnehin so viel Reibereien, dass die Einordnung schwierig wurde. Auf dem Weg drehten wir um, den langsam sollte ich, mich für die Wieder-Qualifikation bereitmachen. Lina nickte seufzend: „Warum muss das nur so komplex sein? “

      Erneut umgezogen, huschte ich zum Stall. Lina, die noch immer in Rätseln sprach, über das, was in ihrem Inneren ablief, folgte unauffällig. Dog lag im Transporter, während die Drei verbittert, ihr Kartenspiel fortsetzten.
      Humbria steckte ihren Kopf durch das Fenster, um mein Kommen genau zu beobachten. Voller Übermut wieherte sie mir entgegen und drehte Kreise in der Box. Sie kannte es bereits aus Kanada, solange eingepfercht auf engen Raum zu sein, was mich zweifeln ließ, die heimische Leistung abrufen zu können. Ich führte sie am Halfter auf den Gang und hakte beidseitig die Stricke ein. Ihr dunkles Fell glänzte leicht geschwitzt in der dürren Beleuchtung der Deckenlampen, die leise flimmerten. In der Ferne hörte man weiterhin das Geschrei von Pferden und Schritte im Stroh.
      Im Eifer des Gefechts vergaß ich beinah, meinen Helm aufzusetzen, den Lina mir noch im richtigen Augenblick gab. Die letzten Meter führte ich Humbria aus der Gasse heraus und setzte mich in den Bock. Unauffällig folgte meine Kollegin zum Zaun, an dem zu meiner Überraschung auch der Rest der Mannschaft stand, eingehüllt in dicker Winterbekleidung. Nur Lars musste beweisen, dass ihm die Kälte nichts ausmachte und trug eine einfache Neoprenjacke. An den schlotternden Knien erkannt ich allerdings, dass ihm sehr wohl Kälte etwas ausmachte.
      „Zeige nur so viel wie nötig, sie hat morgen noch einen anstrengenden Tag vor sich“, mahnte er, was ich mit einem einfach nicken hinnahm. Dann schob ich die Schutzbrille über meine Augen und lenkte Humbria im Schritt auf das Geläuf. Wir waren nicht allein. Drei weitere Fahrer drehten ihre Runden, mit teils sehr erschöpften Pferden, wovon eins auch im morgigen Rennen genannt war. Locker fuhr ich an, legte das Warmfahren auf sinnvolle Übungen aus. Die Leute schauten nicht schlecht, dass ich zwischendrin anhielt und Humbria stehen ließ. Aber Ungehorsam könnte mir die Qualifikation kosten, deshalb arbeitete ich wie zu Hause. Meine Zeiteinteilung passte perfekt. Alle Fahrer für die Qualifikation wurden auf das Geläuf gebeten, als ich Humbria ausreichend erwärmt hatte. Zufrieden kaute sie auf dem Gebiss und schüttelte sich nicht, wie die anderen Pferde.
      „Dann wollen wir mal“, sagte ich zu ihr, als sie Startfreigabe erteilt wurde und wir vier uns hinter dem Fahrzeug aufstellten. Sicher beschleunigte die Stute, ihre großen Tritte im Trab wurden gleichmäßiger. In der ersten Kurve hielt ich noch zurück, aber nach der dritten durfte sie sich frei entfalten. Wir reihten uns in zweiter Stelle ein und fuhren an jener Position auch durch die Zielmarke bei einer Meile. Ihre Zeit war mittelmäßig, aber ausreichend für die Qualifikation. Das war es auch schon. Unsere Aufgabe war erfüllt und im Rausch der Geschwindigkeit hatte ich nicht mitbekommen, dass es mehr geworden sind, an der Bande. Bei Lina stand noch Folke und Hedda, die sich über Holy auszutauschen schienen.
      „Ich fahre jetzt auch“, nervte mich sogleich der Rotschopf, als ich das Geläuf verließ.
      „Das ist schön“, antwortete ich teilnahmslos und strich Humbria über den Po. Lars legte ihr zeitgleich eine Decke über, obwohl die Strecke vom Geläuf zum Stall kaum mehr als zweihundert Meter war.
      „Du hast sie zurückgehalten, oder?“, fragte mein Kollege beiläufig, was ich bejahte. Zustimmend nickte er.
      „Eine schöne Stute“, klopfte Folke ihren Hals und wendete sich schließlich wieder zu Lars. Sie schienen sich zu kennen, aber wie ich bereits festgestellt hatte, war die Szene ohnehin familiär strukturiert. Lina half mir dabei, die Stute wieder für die Box fertig zu machen. Den Sulky stellte ich zur Seite, an Blessas Boxenwand, und die kleine Brünette nahm den Gurt ab. Dann huschte sie zur Seite, um aus den Eimern zwei Maß Hafer zu holen.
      „Weißt du was?“, schmunzelte sie deutlich redseliger als noch zuvor.
      „Worauf willst du hinaus?“, fragte ich, ohne zu überlegen.
      „Wenn Folke da ist, kann dein Basti auch nicht weit sein“, kicherte Lina und schielte zu den Männern hinüber. Jeder hatte es gehört, zumindest sagte mir das, Lars‘ schiefes Grinsen auf den Lippen.
      „Sebastian?“, hakte Folke bei ihm nach.
      Nour nickte.
      „Der ist einen Stall weiter und füttert gerade“, antwortete Folke unbekümmert, worauf das Ganze anspielte. Mir wurden die Knie weicher und mit zittrigen Fingern fummelte ich den grünen Zopf wieder aus der kurzen Mähne der Stute, die seit ihrer Ankunft gut nachgewachsen war. Dem armen Tier hatte man alles abrasiert, aber langsam konnte man ihre schöne Farbe wiedererkennen. Zwischen den hellen Strähnen versteckten sich dunklere, die vom Deckhaar kamen. Aus der Ferne konnte man das Farbspiel nicht sehen, aber die helleren Tupfer im Fell, waren ohnehin ihr Hauptmerkmal und der Bauch, in derselben abhebenden Färbung.
      „Ganz ruhig, es wird dich schon niemand fressen wollen“, sprach sie zuversichtlich.
      „Nicht? Blonde Mädchen sind doch sonst sehr begehrt“, lachte ich, ohne von dem Band abzulassen, das mittlerweile aus der Mähne entfernt war.
      „Dann bekommt er es mit mir zu tun“, grinste sie.
      „Oh, da hat er sicher Angst“, warf ich scherzhaft ein. Das Band legte ich zurück in den Putzkasten und führte Humbria in die Box. Die Schüssel stellte ich ihr hinein und schloss mit einem Scheppern das Metall zu. Sie zuckte zusammen, aber hielt krampfhaft den Kopf im Essen.
      “Sollte er besser, nicht wahr, Mateo?”, entgegnet sie überzeugend, schielte erwartungsvoll zu ihrer Verstärkung.
      “Ich erzittere vor dir und deinen Haargummis”, lachte dieser, was mit einem Augenrollen quittiert wurde.
      „Ihr seid blöd“, merkte ich kopfschüttelnd an. Aber noch bevor ich überhaupt mich in Bewegung setzte, kam besagter Herr in den Stalltrakt gelaufen.
      „Hier steckt ihr also“, grinste er Folke und Hedda an, die noch immer bei Nour und Lars standen. Wieder einmal war Walker das Gesprächsthema.
      „Ja und man hat nach dir gefragt“, merkte Folke umgehend an und nickte zu mir. Im nächsten Atemzug verharrte ich, bis der Druck in der Brust zu stark wurde. Die weichen Knie festigten sich allerdings und zogen ein Kribbeln im Bauchbereich mit sich, das ich allerdings als Hunger abstempelte.
      „Interessant“, murmelte Basti, die Brauen zusammengezogen und lief tatsächlich auf mich zu.
      „Du steigst direkt voll ein, wie ich sehe“, stellte er vor mir fest. Vermutlich spielte er dabei darauf an, dass ich bei fast jedem Rennen dieses Jahr im fahrbaren Umfeld von Unterwegs war. Seltsamerweise stand ich als Besitzer auf dem provisorischen Boxenschild.
      „Offensichtlich, ja“, stammelte ich unsicher und vollkommen überwältigt von seiner Alltagskleidung, die an ihm ein ganz anderes Bild zeigte. Ich versuchte den Blick von ihm zu lösen, mit jedem Atemzug wurde es schwerer meine Nervosität in Zaum zu halten.
      „Und was wolltest du von mir?“, sprach Basti weiter. Bei den Worten hingen alle schweigenden Augen im Raum an uns beiden, kein angenehmes Gefühl, wenn ich mich wie ein Idiot vor ihm verhielt und kaum ein zusammenhängendes Wort aus dem Mund bekam. Aber keiner machte Anstalten, mich zu erlösen. Dennoch hatte ich mir fest vorgenommen, mich zu entschuldigen. Ich fasste all meinen Mut und hob den Kopf.
      „Es tut mir leid, dass ich letzte Woche so seltsam war“, wurde ich zum Ende hin stiller.
      „Als wäre es etwas Neues“, scherzte Nour sogleich, die es offenbar nicht abwarten konnte, sich einzumischen.
      „Okay“, antwortete er verwundert, als wüsste er nicht, wovon ich sprach. Vermutlich war es auch besser so. Nun fehlten mir allerdings die Worte und stumm wendete ich den Blick von ihm. Glücklicherweise ergriff Folke das Wort.
      „Wir wollten hinübergehen ins Restaurant, kommst du auch mit?“, fragte er seinen Kollegen.
      „Klar, wieso nicht. Aber ich gehe noch Nelly holen“, antwortete er und lief hinaus. Fragend sah ich zu Nour hinüber, die einen leichtes Lächeln auf den Lippen hatte, aber eher mitleidig wirkte als freundlich. Während die Männer voran liefen, reihte sie sich zu Lina und mir auf. Ich wollte ohnehin vorher noch zum Transporter, das millionste Mal meine Kleidung wechseln und den Hund holen.
      „Das ist so eine Sache, die wir dir bisher nicht erzählt haben“, seufzte sie. Mir stockte der Atem, aber ich wusste, was jetzt kam. Nour erzählte, dass Nelly seine Freundin sei und das schon etwas länger mit den beiden lief. Natürlich wäre auch zu einfach gewesen. Mir war der Hunger vergangenen.
      „Ich bleibe hier“, sagte ich missmutig und ließ mich auf die Bank am Tisch fallen.
      “Das tut mir leid, du hast es wirklich nicht leicht”, sprach Lina mit aufrichtiger Anteilnahme, “aber du kannst doch nicht den ganzen Abend allein hier sitzen.”
      „Aber ihn verliebt zu sehen, ertrage ich nicht“, seufzte ich.
      „Vivi, er ist alles andere als ein Romantiker. Ihnen die Beziehung anzusehen, gelang am Anfang nicht einmal mir“, wandte sich Nour zu mir.
      „Dennoch weiß ich es. Wie würdest du dich denn in der Situation fühlen?“, stellte ich als Gegenfrage.
      „Wie ich mich fühlen würde?“, wiederholte sie ungläubig, „Ich habe nie das gefühlt, was ihr alle durchmacht“, sie zuckte mit den Schultern.
      “Ich verstehe dich”, sagte die Kleine einfühlsam, ließ sich neben mir nieder und schlang ihre Arme in einer tröstlichen Geste um mich, bevor sie mit Nour sprach: “Du magst doch Walker ziemlich?” Sie nickte, blickte Lina erwartungsvoll an, was folgen würde: “Und jetzt stell dir vor, jemand anderes, dürfte den exklusiven Umgang mit ihm Pflegen und du dürftest nur zu sehen. Wärst du da nicht auch ein wenig traurig?”
      „Nein, ich würde mich für ihn freuen, dass er jemanden hat“, blieb sie weiterhin äußert irritiert über meine Zweifel.
      „Ein Grund, aber kein Hindernis“, sprach im nächsten Moment den Gedanken aus und sprang hoch. „Er wird schon sehen, was er verpasst.“
      Mit neuer, nicht unbedingt berechtigter, Motivation erhob ich mich wieder und zog die weiße Hose aus. Darunter hatte ich eine Leggings, die ich anbehielt. Nur ein sauberes Shirt warf ich mir über und wieder die Jacke.
      „So, kommt ihr“, trat ich zur Tür und sah meine Kolleginnen an.
      “Da ist ja die Vriska wieder, die ich kenne”, grinste die kleine, schnappte sich die Hundeleine von Tisch und kam samt dem Tier hinterher gewuselt.

      Bis auf unserer Truppe saß niemand in dem kleinen und eher rustikal eingerichteten Restaurant. An den Wänden hingen Plasmabildschirme aus dem letzten Jahrzehnt. Die Zeit wirkte, wie stehen geblieben, aber es sollte für das Abendessen ausreichen.
      „Das hat aber gedauert“, grinste Lars und klopfte neben sich. Aber ich wich ihm bewusst aus, denn neben Basti war ein Platz frei, den ich sofort einnahm. Freundlich zuckte ein Lächeln über seine Mundwinkel. Stattdessen setzte sich Nour zu ihrem Bruder und Lina daneben auf die Bank. Überraschenderweise saß die große blonde Dame, die wohl Nelly sein sollte, zwischen Mateo und Folke, mit denen sie sich auch unterhielt.
      Man brachte uns die Karte und ich bestellte mir ein Bier. Etwas Mut war nötig, um mit ihm sprechen zu können. Seine reine Anwesenheit verunsicherte mich, aber ich hielt mich wacker an dem Glas. Kaum flossen die ersten Schlucke meine Kehle herunter, spürte ich den Alkohol durch meine Adern krabbeln, wie kleine Ameisen breiteten sie sich aus und regulierten die Stimmung. Er erzählte von Netflix, nach dem Lars angemerkt hatte, dass unser Chef trotz der mittelmäßigen Rennergebnisse ihn noch nicht über den Haufen warf. Ich hing förmlich an Bastis Lippen, bewunderte ihn für das breitgefächerte Wissen – Natürlich war die Realität eine andere. Er erzählte davon, dass Netflix im Rennen übermütig wurde und im Umgang sehr sanft war. Kein einziges Mal gab Basti etwas über sich preis, sondern sprach neutral über das Pferd. Nur in meinen Ohren klang es anderes.
      Schließlich kam das Essen, für mich ein Salat, denn mehr gab es nicht, dass frei von tierischen Erzeugnissen war. Er schielte irritiert auf meinen Teller, aber sagte nichts. Währenddessen liefen Renn-Replays auf den alten Fernsehern, auch eins, bei dem Lars noch Glimsy in Visby gefahren war.
      „Das war ihr letzter Sieg“, erzählte Nour und nickte in Richtung des Bildschirms.
      “Der letzte, ist sie seitdem keine Rennen mehr gelaufen?”, fragte Mateo interessiert nach.
      „Doch eins noch“, erzählte Lars und stopfte sich eine Fritte in den Mund, „aber da hatte sie einen Gangfehler und dann haben wir sie aus dem Training genommen.“
      „Erst einmal“, fügte Nour überzeugt hinzu, ”die schweren Traber können bis vierzehn Jahre noch bei Rennen mitlaufen, die nur für sie sind.”
      “Oh, interessant. Also soll sie noch ein paar Erfolge einfahren?”, nickte der Schweizer.
      „Schafft die Dicke doch gar nicht mehr“, gab nun Nelly mit ihr außergewöhnlichen lieblichen Stimme zu verstehen und funkelte Lars an, der umgehend auf den Flirt einging. Verwundert schielte ich zu Basti, der in aller Ruhe weiter aß.
      „Ich zeige dir gleich mal Dick!“, empörte sich Nour, „die schafft im Training gut und gerne 1:15,6!“
      “Warum mobben denn alle immer die armen Ponys nur, weil sie kräftiger sind”, trug auch Lina bei, die sich bereits bei mir regelmäßig beschwerte, wenn ich über die Körperform ihrer kleinen Kugeln sprach.
      „Die hat schon ziemlich an Rennfigur verloren“, stellte Lars ebenfalls fest. Dann nahm er einen Schluck aus meinem Bier, nur weil sich dazu entschloss, eine Cola zu bestellen.
      „Hey!“, beschwerte ich mich, aber er reagierte gar nicht.
      “Bodyshaming ist auch bei Ponys nicht okay”, beschwerte sich die Kleine und verteidigte weiterhin die dunkle Traberstute.
      „Mit eins sechsundfünfzig ist sie über Endmaß“, erklärte Lars zunehmend genervt von uns. Als wäre es so ein Drama, wie wir die Pferde bezeichnen. Nun rollte ich mit den Augen und erhob mich von der Bank.
      „Ich gehe mal an die frische Luft“, erklärte ich freundlich.
      „Warte, ich komme mit“, stand auch Basti auf und nahm die Schachtel vom Tisch in die Hand. Lina murmelte etwas, dem Klang nach in ihrer Muttersprache, was auf einen vermutlich nicht so freundlichen Inhalt schießen ließ. Mateo vereitelte allerdings ihre Anstalten mir zu folgen, indem er sie mit einem intensiven Blick bedachte und kaum merklich den Kopf schüttelte. Irritiert zuckte ich mit den Schultern und verschwand mit Basti im Schlepptau zur Tür hinaus. Dog wollte uns nach, aber Lina hielt ihn zurück. So standen wir also allein vor dem heruntergekommenen Gebäude, das von außen einen neuen Anstrich gebrauchen könnte. Obwohl der Alkohol in meinem Blut die Gedanken lockerte, brachte er meinen Mund nicht in Bewegung.
      „Jetzt muss ich nachfragen“, sagte er plötzlich und schloss den Reißverschluss bis zum Kinn, aufmerksam blickte zu ihm, ohne lange Augenkontakt zu halten, „Warum hat Nour mich gefragt, weshalb wir uns nicht unterhalten?“
      Irritiert runzelte ich die Stirn.
      „Das wüsste ich auch gerne“, antwortete ich stammelnd und zog an meiner Zigarette.
      „Also“, er seufzte und hielt für einen Moment inne, „sind die Gerüchte reine Fiktion?“
      Ich schluckte, als wäre ein großer Klumpen in meinem Hals, der mir die Luft abschnürte, aber der Alkohol sprach aus mir.
      „Was denn für Gerüchte?“, fragte ich weiterhin verwundert und unsicher darüber, was Nour herumerzählte. Jemand anderes würde wohl kaum Puzzle legen können, wie sie. Egal, worauf das Gespräch hinauslaufen würde, ich wäre abermals der Idiot. Den Titel konnte nur ich mit stolzer Brust tragen.
      „Es überrascht mich, dass du nichts weißt“, antwortete er, ohne direkt auf meine Frage einzugehen. Als ich Augen wieder öffnete, stand er einen Schritt näher vor mir. Ein leichter Geruch von Aftershave lag in der Luft, wenn nicht gerade die Zigarette diesen übertünchte. Ich nahm einen tiefen Atemzug, um ihn abspeichern und über den Kamin aufstellen, wie ein wichtiges Artefakt.
      „Dann kann ich dir leider nicht helfen, sonst du musst sie selbst fragen“, stellte ich zur alternativen Wahl der Informationsbeschaffung.
      „Vriska - du heißt oder so, oder?“, fragte Basti unsicher nach, was ich mit einem Nicken bestätigte, „es stimmt schon, wenn ich so darüber nachdenke, bist du ziemlich oft, zufällig da.“
      Ertappt, strömte es direkt durch meinen Kopf und ich drehte mich weg, als würde ich jemanden suchen. Natürlich hatte ich gehofft, dass Lina noch nachkam und mir in der schweren Situation weiterhalf, aber sie konnte nicht jede Entscheidung treffen und hatte selbst genug zu regeln.
      „Vielleicht gehe ich besser rein“, lenkte ich dann ab, obwohl meine halbe Zigarette noch in der Hand hielt, oder besser gesagt, umklammerte.
      „Vielleicht besser nicht“, antwortete Basti direkt, „sonst können wir nichts Nours Wunsch erfüllen.“
      „Okay“, murmelte ich. Ein zartes Lächeln huschte über meine Lippen.
      „Aber ich bin neugierig. Warum stehen wir jetzt hier zusammen vor dem Restaurant und rauchen?“, konnte er von dem Thema nicht ablassen.
      „Woher soll ich das Wissen?“, wurde ich auf einmal zickig, schließlich konnte ich meiner Flucht nicht nachgehen.
      „Na, was denn jetzt los?“, tadelte er scherzhaft.
      „Es tut mir leid, es ist nur“, ich stockte. Meine Knie zitterten und in meinem Kopf explodierte es förmlich, egal welcher Gedanke in den Vordergrund trat, ich verwarf ihn. Alles, was ich wollte, war ihm meine Gefühle zu offenbaren, aber es wirkte so banal und schwachsinnig, dass er sicher Abstand neben würde.
      „Es ist nur, was?“, blieb er beharrlich. Seine Geduld schmeichelte mir wirklich. Aber ich konnte es ihm nicht sagen. Was sollte er von mir denken? Allerdings bemerkte ich, dass es der richtige Moment sein könnte, so ungestört und ohne echten Druck.
      „Es ist nur so, dass“, an derselben Stelle stoppte ich wieder, „ich finde dich gut“, verschluckte ich bestmöglich die Worte. Regungslos stand Basti vor mir und überlegte offenbar, wie sehr er mir das Leben zur Hölle machen könnte.
      „Dann lasse ich dich besser in Ruhe, bevor es Streit mit deiner Freundin gibt“, fügte ich kleinlaut hinzulief zur Tür.
      „Stopp, warte“, rief er mich zurück, „meine Freundin? Was sprichst du da bitte? Wir sind seit Wochen getrennt.“
      „Okay“, murmelte ich.
      „Und da kannst du mich nicht allein lassen, nachdem du so etwas gesagt hast. Ich muss das doch erst einmal verarbeiten und es kommt nicht alle Tage vor, dass man das hört“, erzählte er fröhlich weiter. Mich überraschte es, wie gefasst er den Umstand annahm. Nun, wenn ich mir eingestand, gab Schlimmeres im Leben.

      Sonntag, am Morgen
      Trabrennbahn Visby

      Aufgeregt huschte durch den Stall. Die wenigen Stunden Schlaf hatte ich mir selbst zuzuschreiben. Ich wälzte mich auf einer Seite zur anderen, um auf gar keinen Fall, Lars zu nah zu sein, schaute andauernd auf den abgedunkelten Bildschirm meines Handys, in der Hoffnung eine Nachricht von Basti erhalten zu haben. Nach dem, man könnte sagen, befreienden Gespräch, hatte ich ihm meine Nummer gegeben und er hatte versprochen, mir zu schreiben. Bisher kam keine Nachricht, aber in dem Moment, wo ich am wenigsten daran dachte, vibrierte es in meiner Tasche. Ich stand auf dem Tritt neben Walker, der angebunden in der Box stand und währenddessen sein Frühstück inhalierte. Mit den Fingern fummelte ich zeitgleich einen Zopf für den Start. Als ich die Hände wieder freihatte, sprang ich umgehend von Tritt und holte mein Handy hervor.
      „Godmorgon, warte auf dich vor dem Stall“, las ich und vermutlich stürmte ich nie schneller aus einer Box, wie in dem Moment. Tatsächlich stand er da, in einer Jeans und seiner Rennjacke in blau-weißer Stallfarbe am Oberkörper. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als ich wie vom Teufel gejagt vor ihm stand, wirr ums Haar und leicht außer Atem. Noch bevor ein Wort fiel, bot Basti mir ebenfalls eine Zigarette an und wir liefen einige Meter zur Seite. Ein Fahrer in grün-weiß, mit niedlichen Rauten auf der Rückseite fuhr an uns vorbei und murmelte unverständlich, aber der Stimmlage nach, hatte er schlechte Laune.
      „Und, schon aufgeregt?“, ergriff Basti das Wort, nach Minutenlangen schweigen. Ich blickte ihn durchgehend an, ohne mein breites Grinsen verbergen zu können.
      „Es geht. Toots ist gut vorbereitet und hat mir gestern in der Qualifikation gezeigt, dass sie schneller will und auch kann“, erzählte ich zuversichtlich.
      „Toots? Heißt die Stute so?“, fragte er verwundert.
      Ich lachte.
      „Nein, Northumbria, aber sie hat viele Spitznamen und das ist mein liebster“, informierte ich.
      „Verstehe“, nickte er. „Also werde ich bei deinem Sieg dabei sein?“
      “Sehr gewagt, mich unter solchen Druck zu stellen”, grinste ich und zog ein weiters Mal an der Zigarette. “Und was ist mit deinem Hengst? Wird er es heute zum Ende schaffen?”, wechselte ich gekonnt, das Thema.
      “Na, jetzt werden wir nicht direkt frech“, scherzte er.
      „Aber er galoppiert wunderbar“, gestand ich.
      „Damit kann ich nur leider nichts anfangen, aber ja. Ich denke, dass er heute geschmeidiger läuft“, sagte Basti noch, bevor jemand von Seite dazu kam.
      “Guten Morgen”, grüßte Lina freundlich, obwohl sie noch ein wenig verschlafen wirkte. Die Leine, die sich umgehängt hatte, zeugte davon, dass es wohl Dog war, der sie aus dem Bett holte, den ich zurückließ, weil er noch friedlich schlief, als ich in den Stall ging.
      “Dann lasse ich euch Schnuckis allein”, verabschiedete sich Basti mit einem Grinsen und noch bevor ich Einspruch erheben konnte, bog er in Stall vier ein. Sehnsüchtig hing mein Blick an ihm, bis ich mich an Lina wandte.
      “Du hattest offenbar auch nur wenig Schlaf”, ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen, schließlich führte mein Weg durch den Transporter unweigerlich an ihrer Schlafkabine entlang. Den Vorhang hatten sie nicht geschlossen, also sah ich beide friedlich ruhend. “Mateo scheint ziemlich bequem zu sein.”
      “Ja, indirekt. Es ist mehr, dass er sehr Raum vereinnahmend ist und so viel Platz ist dort ja ohnehin nicht”, erklärte sie und begann sich ausgiebig zu strecken.
      “Ich lasse das so stehen, weil ich heute gute Laune habe”, zwinkerte ich ihr zu, “Frühstück?”
      “Ja, klingt nach einer guten Idee”, nickte sie.
      Im Stall räumte ich noch die stehengelassenen Gegenstände zur Seite und fütterte Humbria, die ich in der Aufregung beinah vergessen hatte. Eingeschnappt schnaubte sie in den Trog voller Hafer, als ich die Schüssel ausschüttete. Zur Entschuldigung legte ich noch einen Apfel dazu, denn ich mir frecher Weise von jemand anderes aus dem Netz stibitzt hatte. Einen prüfenden Blick schweifte ich den Stall, bevor wir zurückliefen.

      Vorbereitet stand eine kleine Auswahl am Frühstück im Transporter bereit, die Lars mit seiner Schwester gezaubert hatte. Es war kein Festmahl, aber um nicht vom Sulky zu fallen, alle Male ausreichend. So aßen wir in Ruhe, unterhielten uns über die kommenden Rennen und Mateo überlegte, wie man Lina beschäftigen könnte. So kam auch das Thema der Wildpferde wieder auf.
      „Also, ich hätte ab vierzehn Uhr Zeit und die letzte Fähre am Abend, bekommen wir ohnehin nicht, wenn Lars um achtzehn Uhr dreißig noch das Rennen hat mit Plano“, erklärte ich, als ich die leere Schüssel zur Seite geschoben hatte.
      „Was hältst du denn davon, wenn wir uns dann mit Vriska die Ponys anschauen gehen, Lina? Würde dir das mehr Freude bereiten als hier zu sein?“, wandte sich der Schweizer an die Kleine, die mittlerweile ein klein wenig aufgeweckter wirkte.
      „Finde ich gut, den Vorschlag“, lächelte sie. Die Aussicht darauf, nicht den ganzen Tag hier auf der Rennbahn zu verbringen, weckte augenscheinlich die Energien in ihr.
      “Dann werde ich schon mal ein Mietwagen reservieren”, nickte ich und holte mein Handy aus der Hosentasche. Keine Nachricht von Basti, aber anderes hatte ich es auch nicht erwartet. Die Finger schwebten über den Bildschirm, bis ich einen kleinen BMW auswählte für den frühen Nachmittag. “So, alles bereit.”
      „Perfekt“, strahlte Lina sogleich. In derselben Sekunde vibrierte ihr Handy auf dem Tisch vernehmbar. Natürlich sah sie auch direkt nach, was es denn von ihr wollte.
      „Naww, Rambi akzeptiert Ivy endlich“, verkündete sie sogleich verzückt und präsentiert ein Foto welches Samu ihr gerade geschickt zu haben schien. Besonders spektakulär war das Bild nicht, es zeigte lediglich das kräftige dunkle Pferd, welches genüsslich an sein Heu knabberte. Ivy daneben Strecke nur vorsichtig und mit langem Hals die Nase in die schmackhaften Halme, als erwarte er jeden Moment verscheucht zu werden. Zugegeben, sein Blick dabei, sah ziemlich niedlich aus.
      „Das ist doch schön“, stimmte ich ihr zu.
      Mit Nour zusammen räumte ich den Tisch ab und spülte sogar das Geschirr ab. Lars nutzte den kurzen Augenblick der Ruhe von seiner Schwester, um den Transporter zu verlassen. Wo er genau hin verschwand, wollte er nicht erzählen, aber Mateo folgte ihm. Männersachen offensichtlich. Angeregt tippte Lina noch einen Moment auf ihrem Handy herum, bevor sie aufblickte, ein neugieriges Funkeln in den Augen.
      „Vriska, sag mal, war deine Begegnung mit Basti vorhin eigentlich Zufall?“, fragte sie hoch interessiert.
      „Wenn wir jetzt endlich zu dem Thema kommen, kannst du auch noch direkt von gestern erzählen! Du hast so gestrahlt und er wirkte auch zufriedener als sonst“, warf Nour umgehend ein. Allerdings schwebte in meinem Kopf, was er mir berichtete.
      „Ich erzähle gar nichts, schließlich konntest du auch nichts für dich behalten“, antwortete eingeschnappt an sie gerichtet.
      „Was soll das denn heißen? Ich habe nur mit ihm gesprochen über dich, sonst wusste es keiner“, empörte sie sich.
      „Es wird wohl kaum Lars gewesen sein“, gab ich zu bedenken und schüttelte ungläubig den Kopf, dabei stellte ich die Teller abgetrocknet zurück ins Regal.
      „Ohhhh doch! Der kann eine ziemliche Tratschtante sein“, fiel sie ihrem Bruder in den Rücken. Dennoch änderte es nichts an meiner Meinung, dass bald der ganze Platz davon wissen würde, wenn es noch nicht Runde machte.
      „Kann mich einer aufklären, was hier überhaupt das Problem ist?“, fragte Lina und blickte irritiert zwischen uns beide her.
      „Es wird bereits herumerzählt, dass ich auffällig oft in seiner Nähe bin und ich glaube kaum, dass jemand so involviert ist, um mich zu kennen!“, kam ich Wort für Wort mehr in Range. Nachdenklich sah Nour in die Luft.
      „Zugegeben, das klingt ziemlich nach mir“, gab sie zu und atmete kräftig durch, „aber wie zuvor erwähnt Lars erzählt auch gerne, um zu prahlen und er ist schon länger in Kenntnis davon als ich.“
      Tatsächlich erkannt ich, dass sie recht hatte. Als er zu Marlene verschwand, gab er bereits Tipps, obwohl Lars unmöglich etwas wissen konnte. Außer … mir fiel es wie Schuppen von den Augen. An einem Abend hatte ich meinen Laptop nicht ausgemacht und schlief auf der Couch ein. Vielleicht hatte er sich für einen Augenblick meine offenen Tabs angeschaut?
      „Oh, ja, das klingt tatsächlich nach einem Problem“, stellte die kleine Brünette wenig hilfreich fest.
      „Aber wenn ich es offenbar nicht war, kannst du es doch erzählen?“, sprach Nour jedes Wort behutsam, als wäre ich chinesische Vase mit Rissen, die jeden Moment vom Schrank fallen würde.
      „Also gut“, ich seufzte und hängte das nasse Geschirrtuch um einen Griff der Küchenwand. Dann setzte ich mich an den Tisch. „Gestern haben wir uns minimal Unterhalten, weil du“, dabei sah ich bedrohlich zu Nour, die nur grinste, „ihm gesagt hast, dass er sich mit mir unterhalten solle.“
      „Das stimmt so gar nicht! Ich habe ihm nur einen Anstoß gegeben, damit du Anschluss findest in der Szene“, warf sie ein.
      „Auf jeden Fall, vielleicht ist mir im Rausch der Gefühle herausgerutscht, dass er mir gefällt“, ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Das auszusprechen im Nachhinein, fühlte sich unglaublich demütigend an.
      Linas Augen wurden groß: „Wow, das ist aber ein schneller Übergang von Vergessen der Sprachkompetenz, gleich hin zu ersten Geständnissen. Was hat er dazu gesagt?“
      „Zumindest hat es ihn nicht verschreckt“, lachte ich, „und ich schätze, dass es ihm schmeichelte, denn er wollte nicht, dass ich gehe. Ach, und meine Nummer wollte er auch.“
      „Oh, so kennt man ihn gar nicht. Sonst muss man ihm alles erklären, von selbst kommt er auch keine Idee. Aber das scheint für dich zu sprechen“, lachte Nour.
      „Oh wie schön, ich freue mich für dich“, grinste die Kleine und ich glaube beinahe die Herzchen in ihrem Augen sehen zu können.
      „Jetzt macht die jungen Pferde nicht scheu. Es bleibt abzuwarten, ob es was wird, schließlich gibt es noch Hindernisse zu überwinden. Auf Rennen mag es schön sein Mal zu reden, aber wer weiß“, bremste ich die beiden Mädels umgehend, vermutlich auch mich selbst. Gestern Abend hatte ich provisorisch nachgeschaut, die Heiraten hier im Norden funktioniert und festgestellt, dass Schweden im Vergleich zu anderen europäischen Ländern seine Vorzüge hat. Selbst ein wunderschönes schwarzes Kleid fiel mir ins Auge. Unentschlossen seufzte ich, als mein Handy vibrierte. Sofort sah ich nach, unter den drängenden Blicken der anderen. Allerdings war es Erik, der gerade Maxou zurückgestellt hatte und sich freuen würde, wenn ich nächstes Mal auch da wäre. Ohne zu antworten, steckte ich es zurück.
      „Ich glaube diese Hindernisse nimmst du mit Leichtigkeit“, ließ Lina sich ihre Freude nicht nehmen, „Du hast mit Happy, ja bereits gezeigt, wie gut du das kannst.“
      „Wow, dass“, stammelte ich, „schlechter Wortwitz.“
      Gemeinsam lachten wir.

      Stunden später stand ich im Stall und begrüßte Humbria, die mich mit gespitzten Ohren genau beobachtete. Obwohl ihr Fell glänzte unter Decke, putzte ich in Ruhe. Wir hatten noch mehr als eine Stunde, bevor die Parade begann und ich wollte nur ein leichtes Warm-Up fahren. Lars, der nachgekommen war, machte Vision fertig, der in Rennen vor mir lief. Aber seine Aufmerksamkeit hing an drei Männern, die vor Walker Box standen und über diesen sprachen. Hallend trugen sich die Worte zu uns, aber durch den Dialekt konnte ich kaum eins verstehen. Meinen Kollegen ließ die Sache nicht los, stattdessen blickte er unentwegt hinüber, bis er sich entschloss, der Sache auf den Grund zu gehen.
      > Kan jag hjälpa dig?
      „Kann ich ihnen behilflich sein?“, fragte er höflich und begann zu grinsen, als sich einer von ihnen, zu ihm drehte. Offensichtlich kannte er die Männer und wechselte sofort die Stimmfarbe in der Unterhaltung.
      „Kennst du sie?“, flüsterte ich Humbria zu, die im Stroh nach Ähren suchte.
      Nun wurde ich neugierig und putzte in Zeitlupe weiter das Fell, allerdings dieselbe Stelle, immer und immer wieder.
      „Vriska, komm bitte her“, rief Lars schließlich. Die Bürste legte ich zurück in die Kiste und schloss hinter mir die Box. Einer der Herren kam mir mit seinen Gesichtszügen bekannt vor, aber ich konnte ihn nicht so recht einordnen. Als sich dann der ältere neben ihm, ebenfalls zu mir drehte, erkannt ich eine weitere Ähnlichkeit, vermutlich sein Vater.
      „Weißt du, was Walker dreijährig beim Breeder’s Crown gelaufen ist?“, erkundigte sich mein Kollege.
      „1:08,2“, sagte ich wie aus der Pistole geschossen.
      „Nicht schlecht“, nickte der älteste der drei.
      „Würdet ihr ihn verkaufen?“, fragte der jüngere, den Lars erkannt hatte. Der Dritte im Bunde stand nur schweigend da und beobachtete, wie der Perlino sich in der Box drehte und zwischendurch einen schrillen Schrei durch den Stall sendete. Ohne Lina oder Nour war der Hengst nur schwer zu bändigen, zeigte sich in größter Ungeduld.
      „Das liegt außerhalb meiner Verfügung, aber Tyrell hat bisher nicht darüber gesprochen, dass wir ihn abgeben. Aber er deckt an der Hand“, erklärte ich möglichst höflich und sah mich um, ob Nour in Hörweite war, aber nein. Zum Glück entging sie diesem Unheil.
      „Nun gut, danke“, sagte der Jüngere. Mir kam es noch immer seltsam vor, dass sich keiner vorgestellt hatte.
      > Är det Bastis lilla flicka?
      „Ist das die Kleine von Basti?“, flüsterte der bisher schweigende dem jüngeren zu. Glücklicherweise hatte ich mich bereits umgedreht und lief zu Humbria, somit konnte sie mein vor Scham gerötetes Gesicht nicht sehen.
      > Jag tror inte det. Hon är fortfarande ett barn.
      „Ich denke nicht. Sie ist doch noch ein Kind“, antwortete der Ältere. Lars enthielt sich, zumindest mit Worten, dem Gespräch. Eigentlich hätte ich mir gewünscht, dass er ihnen gesagt hätte, dass ich schon über zwanzig war, dementsprechend kein Kind mehr.
      Mich beschäftigte die Situation eine Weile, auch als ich schon im Sitz saß und die erste Runde im Schritt auf dem Geläuf drehte. Am Himmel kämpfte sich die Sonne durch die Wolken, zauberte einige Strahlen auf den feuchten Boden. In den Hufabdrücken schimmerten kleine Wasseransammlungen, während unter den Eisen es plätscherte. Ich fuhr dicht am Rand und Lars trabte bereits mit dem braunen Hengst, der flink durch den Matsch hetzte. Durch das Paar vor ihm, war seine Brust vollkommen verschmutzt. Auch von meinem Rennen huschten einige Pferde an mir vorbei und die Zweifel kamen wieder, wieso ich das überhaupt tat. Doch die Sonne brachte mir eine Erleuchtung. In der zweiten Kurve stand Basti und grinste, als ich ihn bemerkte. Neben ihm standen die Leute aus dem Stall und ich sah schnell zurück auf den Pferdepo. Mit einem einfachen Schnalzen trabte ich Humbria an, um so schnell wie möglich aus der Kurve zu sein. Den Blicken zu folgen, begriffen sie gerade, dass das „Kind“ jene Vermutung war. Allein die Vorstellung, im Vorfeld derartig verurteilt worden zu sein, bestärkte mich, dass ich mir zu viel auf die Schultern gelegt hatte. Seufzend trieb ich Humbria etwas schneller, damit mehr Takt in den Trab kam. Bisher war der Zweitakt noch durch kurze Töltphasen verschoben und nun setzte sie entspannt voran. Auch in der zweiten Runde standen sie noch an Ort und Stelle, was nur bedeuten konnte, dass ich mir Mühe geben musste.
      Für das Kaltblutrennen räumten wir das Geläuf und ich reihte mich hinter den anderen ein, die im Schritt auf dem Weg fuhren, der neben der Bahn entlanglief. Dicht wendete ich bei Basti, versuchte aber den Blick an meinem Pferd zu halten, um keinen Stoff für weitere Gerüchte zu produzieren. Allerdings machte er mir einen Strich durch Rechnung und kam angelaufen. Ruhig pfiff ich, wodurch Humbria anhielt. Gelassen schnaubte sie ab und rieb sich den Kopf am Bein. Die Brille schob ich auf den Helm, um ihn besser sehen zu können.
      „Bei deiner plötzlichen Flucht, konnte ich dir gar keinen Erfolg wünschen“, sagte Basti und klopfte der Stute auf den Po.
      „Du bist doch einfach verschwunden“, grinste ich siegessicher.
      „Es wirkte wichtig, da wollte ich kein Störfaktor sein“, wandte er ein, nun begann sich Humbria an ihm zu reiben, den hellen Teil der Jacke mit dunklen Flecken zu versehen. Sie hörte erst auf, nachdem Basti sie mehrfach weggedrückt hatte.
      „Du bist kein Störfaktor“, murmelte ich mehr, als dass es voller Elan aus meinem Mund kam, zu groß die Sorge, dass es jemand mitbekam.
      „Dein Riese sieht das ganz anderes“, scherzte er, „aber sie sieht wirklich toll aus und ihre bisherige Form spricht auch für sich.“
      „Danke dir“, schmunzelte ich.
      „Also streng‘ dich an. Ihr könnt das schaffen“, versuchte er mich zu ermutigen.
      „Ich möchte nichts riskieren. Es ist ihr erstes Rennen nach monatelangen Reitpferdetraining. Wir wollen Spaß haben, bis mein Hengst fertig ist“, erklärte ich.
      „Dein Hengst?“, wiederholte er und stellte sich zu mir.
      „Ja, deswegen war ich Malmö. Wenn er so weiter macht, könnte ich in einem Monat die Qualifikation reiten“, berichtete ich ihm.
      „Reiten? Ich verstehe nicht, was du meinst“, gestand Basti und kratzte sich am Kinn.
      „Gut, das hätte ich weiter auslegen sollen. Happy ist ein S-Dressurpferd und möchte mit ihm zur schwedischen Meisterschaft.“
      „Dressur“, ungläubig nickte er, „also bist du eins von den Prinzesschen, die sich auf ihrem Erfolg ausruhen und nur im Sattel sitzen. Verstehe.“
      Es tat in der Seele weh, als er das zu mir sagte, mit solcher Überzeugung, dass es unmöglich schien, ihn ein weiteres Mal zu sehen. Wortlos setzte ich Humbria in Bewegung und drehte sich weg. Ein letztes Mal drehte ich mich nach ihm, aber er setzte ununterbrochen seinen Weg fort. Das hatte ich gehörig vergeigt.

      Lars schaffte es mit Vision auf den zweiten Platz, während ich volles Risiko mit Humbria fuhr, in der Hoffnung, es bei Basti wieder gutzumachen oder eher, ihn zufrieden zu stimmen. Leider sprang mir die Stute dabei heraus, drei Sprünge Galopp und dann folgte wunderbarer Pass, den ich allerdings nicht gebrauchen konnte. Niedergeschlagen lobte ich sie dennoch, schließlich hatte sie bis zum Schluss ihr Bestes gegeben. Am Tor wartete niemand auf mich, weder Lars noch Nour. Selbst Lina und Mateo schienen wie in Luft aufgelöst zu sein. Dementsprechend stieg ich ohne Hilfe ab und führte Humbria an den anderen Teilnehmern vorbei. Sie schnaubte entspannt ab, aber Bammel hatte ich trotzdem. Zurück im Stall nahm ich ihr jegliches Gurtzeug ab, gab ihr Futter und ordnete alles an seinen Platz.
      „Nächstes Mal wird besser“, flüsterte ich in ihr Ohr und blieb zuversichtlich. Eine Hilfe ging zu weit, die folgende zu spät, deshalb lag der Fehler bei mir. Ich hätte gern noch Lars‘ Meinung gehört, aber am Abend würde sicher noch eine Feedbackrunde folgen.
      “Oh, du bist ja bereits fertig”, tauchte Lina plötzlich an der Box auf, “Und, wie war Pilzi?”
      „Also warst du auch nicht da“, seufzte ich nach dem ersten Schreck, dass die Brünette durch den Spalt mich im Stroh entdeckte.
      “Ja, tut mir voll leid”, entschuldigte sie sich, “ Ich wollte schauen kommen, aber du kennst meinen Orientierungssinn. Auf dem Weg zur Toilette habe ich mich verlaufen.”
      „Schon gut, meine Disqualifizierung direkt im Ziel hat damit keiner ertragen müssen“, murmelte ich weiterhin abwesend, mit den Augen an der Stute hängend.
      “Du wirkst aber nicht als sei alles gut. Ist sonst etwas vorgefallen?”, hakte sie sanft nach.
      „Niemanden hat interessiert, was ich getan habe. Niemand, keiner“, japste ich, spürte, wie erste Tränen an meiner Wange herunterliefen. Sofort trat sie zu mir in die Box und schlang die zarten Arme um mich herum.
      “Vriska, mich interessiert es, was du tust, ansonsten wäre ich nicht hier”, sprach sie einfühlsam.
      „Du bist hier, weil Mateo das wollte“, blieb ich kleinlaut am Boden sitzen, „ach und Basti hasst mich“, murmelte ich direkt.
      “Naja, Mateo hat es zwar induziert, aber sein Hauptargument war eigentlich, dass du wohl ein wenig moralische Unterstützung gebrauchen könntest”, erklärte sie, “Aber warum, glaubst du, dass Basti dich hasst?”
      Undefiniert brummte ich und richtete mich schließlich auf. Die einzelnen Strohhalme sammelte ich von der Hose ab, bevor ich auf die Frage antwortete: „Er hat gesagt, dass ich unfähig bin.“
      „Ich denke nicht, dass er das sagte“, bedachte sie nachdenklich.
      „Indirekt schon. Ich erzählte von Happy und dass ich nur vorübergehend fahre, bis er für die Meisterschaft so weit ist und er meinte, dass ich mich wie alle Dressurreiter wohl nur auf meinem Erfolg ausruhe, nichts dafür tue“, seufzte ich. Mit Lubi mag das der Fall sein, dennoch konnte ich die hübsche braune Stute nie auf einem Turnier zeigen. Ungefähr zu der Zeit wäre unsere erste Prüfung gewesen, was mich mittlerweile mehr traf, als ich mir eingestand.
      “Nimm das doch nicht einfach so hin, sondern zeige ihm, dass es auch etwas anderes gibt als Prinzesschen auf teuren Pferden”, redete sie mir gut zu, “Außerdem, dass du mit dem Pilzi hier bist, zeigt doch bereits, dass du wohl nicht ganz so klassisch unterwegs bist.”
      „Stimmt schon“, stand ich mir frustriert ein. „Aber wir müssen los, die Ponys warten nicht ewig.“

      Obwohl die Sonne sich zunehmend dem Horizont näherte und ich mich über mein Verhalten ärgerte, fuhren wir den Weg aus der Stadt heraus, in ein Gebiet, in dem sich die Ponys am häufigsten aufhielten. Im Winter wurden sie zugefüttert, so war es nicht untypisch, dass weiterhin im März nach Futter an besagten Orten gesucht wurde. Zumindest erzählte uns das die Dame im Pferdemuseum, das wir zuvor inspizierten. Ich versuchte mich begeistert von allem zu zeigen, aber Lina spürte, dass ich nicht bei der Sache war und lächelte mich warm an.
      „Das wird schon“, sagte sie, bevor Mateo wieder das Wort ergriff. Er fühlte sich sicher, dass wir die verwilderten Pferde finden würden und hielt schon seit Minuten Ausschau.
      „Ich glaube, da war eins“, rief er dann und ich trat umgehend die Bremse. Am Wegesrand stellte ich den kleinen Wagen ab. Gemeinsam stiegen wir aus und die beiden liefen vor, um sich durch das Dickicht zu kämpfen. An den mannshohen Büschen hingen kleine Fellfetzen, der Boden aufgewühlt von kleinen Hufabdrücken und einige Bäume wiesen ebenfalls auf Treiben der Wildpferde hin. In kleinen Schritten setzten wir durch die Natur, um keine Spuren zu hinterlassen. Handzahm seien sie nicht, erinnerte ich mich aus dem Artikel, aber mich durch trieb das ungewisse Gefühl, dennoch eins anfassen zu wollen. Meter um Meter setzen wir tiefer in den Wald und ich zweifelte, ob sie wirklich da waren. Doch gerade, als ich anmerken wollte, dass wir uns verlaufen würden, hielt Mateo an, den Finger auf die Lippen gelegt. Auf einer Lichtung, nur wenige Schritte entfernt graste eine Herde junger Tiere, die Mähne lang und zerzaust, ihre Hufe in einem schrecklichen Zustand und andere rollten mehr, als dass sie liefen.
      “Die sind ja niedlich”, hauchte Lina, die ganz eingenommen von dem Anblick war. Vorsichtig, um keine Geräusche zu verursachen, bekam sie auch sogleich ihr Handy hervor, um den Moment in Form von Pixeln festzuhalten.
      „Vielleicht sollten wir die Isländer von der Weide lassen“, schlug ich leise lachend vor. In zwei Jahren würden vermutlich die Tiere ebenso unförmig und verwildert aussehen.
      “Ich fürchte, das Naturschutzamt wäre davon nur wenig begeistert”, schmunzelte der Schweizer und auch Lina erklang ein unterdrücktes Lachen.
      „Aber unser Gestüt ist Privatgelände und mindestens genauso groß“, stellte ich trocken fest, „und vermutlich bekommen wir im Juni noch den Küstenabschnitt, samt Wald westlich vom Hof.“
      “Dann will ich sehen, wie du den Ponys erklärst, wo das Gelände aufhörst”, grinste die Kleine.
      „Zaun?“, fiel ich wie aus allen Wolken, ich dachte, dass es offensichtlich sei, wie Geländegrenzen gesetzt werden.
      Von der Seite kam eine Stute in kleinen Schritten, nebenher trottete ein zartes Fohlen, der Größe zu Folge kaum älter als eine Woche. Die dünnen Beine mit großen Gelenken stampften unsicher den weichen Waldboden. Es lief neugierig zu Lina und stupste sie an der Hand an. Kaum zog ich mein Handy heraus, um es für sie festzuhalten, sprang es panisch zur Seite und trabte zur Mutter zurück, die auf sicheren Abstand angehalten war. Die kleine Brünette sah aus, als würde sie gleich vor Niedlichkeit zergehen.
      “Wie kann man nur so putzig sein”, wisperte sie verzückt, “Können wir eins mitnehmen?” Ihre Augen leuchten immer mehr, je länger sie die plüschigen Tiere beobachtete. Skeptisch bewegte sich mein Blick zwischen ihr und Mateo, der sich nicht dazu äußerte, sondern geduldig die Pferde beobachtete.
      „Tendenziell hast du schon genug und wie war das mit, ‚keine Pferde sammeln‘? Langsam wird es zur Sucht“, versuchte ich ihr ins Gewissen zu reden.
      “Aber ich habe doch nur … zwei”, versuchte sie sich die Sache schönzureden. Dennoch überlegte ich, welchen Teil ich schon wieder verdrängt hatte. Kritisch blickte ich sie an: “Nur zwei? Und was war dann das Gejammer am Mittwoch?”
      “Lina, wovon spricht sie?”, fragte der Schweizer verwundert. So langsam schien auch Mateo zu begreifen, dass sie es tatsächlich ernst meinte.
      “Sie spricht von Rambi”, murmelte Lina kleinlaut, “aber wenn mir nicht bald was einfällt, wird das ohnehin nichts.”
      “Musst du wohl einen reichen Kerl heiraten”, scherzte ich und drehte mich weg, um auch zu versuchen, an eins der Plüschkugeln heranzukommen. Allerdings setzten sie sofort weg, wenn ich nur einen Zentimeter zu nah kam.
      “Wirklich lustig”, rollte sie mit den Augen, „Niklas würde das sicher machen, aber ich kann mir doch nicht ständig Pferde kaufen lassen.” Verständnisvoll nickte der Schweizer.
      „Hast du bereits an eine Teilhaberschaft gedacht? Ich könnte mir vorstellen, dass meine Schwester durchaus Interesse an dem Hengst haben könnte“, schlug er schließlich vor. Obwohl ich besten Willen versuchte, mich aus ihrem Gespräch herauszuhalten, hingen meine Ohren an ihren Mündern. „Teilhaberschaft, wie funktioniert das?“, fragte sie stirnrunzelnd, als sei ihr der Begriff nicht geläufig.
      „Man kann auch Besitzergemeinschaft sagen“, warf ich unbekümmert ein, „das ist im hohen Sport nicht unüblich. Besonders wenn es um viel Geld geht.“
      Augenblicklich spürte ich, dass ich mich abermals im Ton vergriffen hatte, aber seit dem Debakel mit Basti, konnte ich meine Stimmung nicht mehr verbergen. Mir tat es für die anderen leid, nur zu ändern war nichts daran. Es schien, als würde ich mich ihr überlegen fühlen, dabei hatte ich es auch nur von Lars aufgegriffen, der mit Tyrell regelmäßig über Hengste und Anteilverkäufe philosophierte.
      „Mhm, du glaubst also nicht, dass ich mich damit lächerlich mache? Immerhin ist Rambi so wertvoll nun auch wieder nicht.“ Unsicher blickte sie Mateo an, bevor ihr Blick sich wieder auf die Tiere richtete. Besonders als sie eines der kleinen braunen Pferdekinder betrachtete, welches an der Seite seiner Mutter den ersten Grashalm probierte, wurde ihr Blick verträumt.
      “Quatsch, frage Sam einfach”, sprach Mateo ermunternd, “Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie dem abgeneigt sein wird.” Lina nickte nur beiläufig, bekam die Augen nicht von dem kleinen Fellknäuel los.
      „Wenn du dir so viel Gedanken um seinen Preis machst, scheint er aber wertvoll genug zu sein, um über Teilung nachzudenken“, mischte ich mich ein, „und vielleicht stellt sie ihn auch Turnieren vor, dann zeigt sich, was er kann.“
      “Also denkst du auch, ich sollte Sam fragen”, schlussfolgerte die kleine Brünette aus meinen Worten.
      “Nun”, ich seufzte und zog mein Handy hervor, darauf tippte ich herum, bis ich schließlich mein Konto vor mir hatte, “ich kann dir sonst 4.503.797,34 schwedische Kronen bieten. Reicht das ungefähr für ihn?” Schließlich kramte ich noch in der Hosentasche: “Ach und hier sind noch zweihundert.”
      “Du bist viel zu lieb”, schmunzelte Lina, “aber ich denke, ich muss mir das erst einmal durch den Kopf gehen lassen und mich informieren, bevor ich das endgültig entscheide.”
      “Wie du willst, mir ist es egal”, zuckte ich abwesend mit den Schultern. Für einen Moment fühlte ich zu desinteressiert, dafür, dass es so viel Geld war, doch dann erinnerte ich mich wieder, wofür ich es bekomme, und schenkte ihm keinerlei weitere Beachtung. Stattdessen freute ich mich darüber, dass mein selbst erarbeitetes Geld langsam wuchs. Nichts war zuhörend, außer den Geräuschen, die die Pferde verursachten. Mit einem verträumten Lächeln auf den Lippen, beobachtete die Kleine diese, wohingegen ich wahrnahm, dass Mateos helle Augen zu ihr abschweiften.
      “Woran denkst du gerade?”, durchbrach seine warme Stimme die Stille.
      “Nichts Besonderes, ich dachte nur gerade … siehst du das Pony dort zwischen den Büschen”, sie deute etwas abseits der Herde. Zwischen den Blättern stand ein vergleichsweise langbeiniges Pony in einen hübschen Braunton und einigen ausgeblichenen Strähnen in der dunklen Mähne.
      “Es erinnert mich nur ein wenig an ein Pferd von früher”, lächelte sie sanft und dennoch schwang ein Hauch von Nostalgie mit. Allerdings meldete sich mein Handy und ich konnte es gar nicht schnell genug aus der Tasche ziehen. Kurz trat ich einige Meter von den Beiden weg, vielleicht war die Zweisamkeit das Richtige für sie.
      „Ich habe dich bei meinem Sieg vermisst“, schrieb Basti, als wäre nichts vorgefallen.
      „Ach ja? Ich hätte mir auch mehr Unterstützung gewünscht“, antwortete ich verärgert.
      „Dann haben wir wohl beide nicht bekommen, was wir wollten.“
      „Offenbar.“ Meine Finger huschten nur so über den Bildschirm, während der Körper vor Wut kochte. Wo nahm er all die Überzeugung von sich selbst her und hatte nicht einmal eine Sekunde dafür übrig, sich bei mir zu entschuldigen, obwohl es in meinen Augen ratsam wäre. Sein Status wechselte von online direkt auf offline und damit hatte sich das Gespräch. Zumindest dachte ich das, denn gerade, als es wieder in der Jackentasche steckte, meldete es sich zurück.
      „Du hast es vergeigt, kommt vor. Nächstes Mal wird besser“, schien er mich ermutigen zu wollen, dennoch trafen mich seine Worte. Eine Stimme im Kopf sollte mich zur Vernunft bringen, dass er es gut meinte, doch sie hallten so leise, dass ich sie ignorierte.
      „Sehr freundlich“, tippte ich. Im Moment der Rage wurde die zarte Stimme dennoch lauter, sprach zu mir, dass er gut meinte. Zudem war ich es, die ihn begehrte und kennenlernen wollte, nicht er. Für ihn stellte ich nichts Besonderes dar, obwohl Basti mittlerweile die Welt für mich bedeutete. Wo dieses Gefühl herrührte, erklärte sich mir nicht, aber konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, sobald er im Vordergrund stand.
      „Wo bist du? Ich möchte noch persönlich auf Wiedersehen sagen“, leuchtete es auf dem Bildschirm. Dass er meine Provokation nicht als solche auffasste, erleichterte mich tatsächlich.
      „Irgendwo im Wald hinter Visby. Wir schauen uns Wildpferde an“, erklärte ich.
      „Schade. Dann wohl bis zum nächsten Renntag, wir fahren in zehn Minuten los. Liebe Grüße“, kam es als letzte Nachricht und wie eingefroren starrte ich auf mein Handy. Wieso wollte er damit das Gespräch beenden? Nichts wäre falsch daran, weiterzuschreiben, nur für ihn schien die Sache klar. Seufzend steckte ich es endgültig zurück in die Tasche, denn es vibrierte kein weiteres Mal. Die paar Meter trat ich zurück. Augenscheinlich führte Lina die Vergangenheit noch genauer aus, denn Mateo hielt ihr Handy in der Hand.
      “Sieht aus, als hätte ihr eine wirklich schöne Zeit gehabt”, lächelte er charmant und reichte ihr das Gerät zurück.
      “Ja, das war so. Nur leider viel zu kurz”, seufzte sie und ließ das Gerät in der Tasche verschwinden, als sie mich bemerkte. “Und? Wirst du schon vermisst?”, fragte sie neugierig, wer es wohl war, der mich von ihnen weglockte.
      „Mhm“, brummte ich unbestimmt und nickte dabei ebenso undeutlich. Als Vermissen würde ich es nicht bezeichnen, sonst hätte das Gespräch nicht als beendet entschieden.
      “Offenbar nicht, wie du dir erhofftest”, schlussfolgerte sie, ohne weiter Fragen zu stellen.
      „Immerhin scheint er der Meinung zu sein, dass wir uns nächstes Wochenende sehen“, zitterte meine Stimme und ein ungewolltes Lächeln zuckte über die Lippen. Ich versuchte es durch willkürliche Bewegung der Wangen zu unterdrücken, schließlich war ich sauer und nicht freudig gestimmt, dass er mich sehen wollte! Aber es gelang mir nicht, stattdessen fühlte das Grinsen immer größer und strahlender an.
      “Das ist doch gut, das heißt, er ist gewillt dich weiter kennenzulernen”, lächelte sie sanft.
      „Wer weiß, vielleicht hat er auch ganz andere Pläne, die einzig auf persönliche Erfolge abzielen“, blieb ich skeptisch und erinnerte mich an die Worte der Männer im Stall, die sich im Nachhinein als seine Familie herausstellten. Mich ihnen letztlich noch richtig vorzustellen, war ihm sicher peinlich, aber ich konnte es auch niemanden verübeln. Ich hatte nichts und das Rennen vergeigte ich auch. Bei meinem Glück würde Humbria nun immer rausspringen.
      “Male dir doch nicht gleich das Schlimmste aus, nur weil er nicht so offensiv vorgeht”, versuchte Lina mich etwas positiver zu stimmen. Natürlich wusste ich tief im Herzen, dass sie vollkommen recht hatte, erst recht nach dem Nour bereits andeutete, dass er kühl sei. Nur mein Kopf wollte es sich nicht eingestehen.
      “Aber vielleicht sollten wir dennoch langsam zurück”, lenkte ich ab. Die Sonne war beinah am Horizont verschwunden und damit würde man von den Pferden nicht mehr viel erkennen. Da von den Geschwistern auch nichts kam, wusste ich nicht, wie ihre endgültigen Rennen abliefen.
      “Da hast du natürlich recht”, stimmte der Mann in der Runde zu, woraufhin auch Lina nickte.

      Kategorisch verfuhren wir uns und legten damit eine Ehrenrunde über die Insel hin, zumindest fühlte es sich so an, als wären wir eine ganze Runde über als Öland gefahren. Damit kamen wir über eine Stunde später auf dem Gelände ab, schließlich musste ich auch noch das Auto zurückbringen. Nour und Lars saßen wider Erwarten nicht im Transporter.
      “Ich würde in den Stall gehen, kann man euch beide allein lassen?”, zwinkerte ich Lina zu, die müde neben Mateo saß.
      “Wir knapp überleben ohne dich”, scherzte der Schweizer, nachdem Lina nur ein Nicken, begleitet von unverständlichem Gemurmel zustande brachte.
      “Das meinte ich nicht”, scherzte ich und trat schließlich aus der Tür heraus, mit Dog im Schlepptau, der neugierig jeden Grashalm inspizierte. Auf dem Gelände war es gespenstisch leer und still. Einzig die Geräusche der Pferde aus dem Stall schallten in meine Ohren, zusammen mit dem Wind, der durch die Kronen der Bäume fegte. Irgendwo klammerte loses Holz.
      Im Stall ruhten die Tiere, doch Humbria streckte sofort den Kopf heraus und unsere anderen folgten ihr. Alle waren da, das Heu aufgefüllt und rundum versorgt. Dennoch verfolgte mich ein schlechtes Gefühl. Oder war es im heimischen Stall, was mir ein Bauchgefühl sagen wollte? Nervös fummelte ich am D-Ring der Hundeleine herum und wusste es nicht genau zu deuten. Vorsorglich schaute ich auf mein Handy, aber auch da war keine Nachricht, die mir die erhoffte Erleuchtung brachte. Also schaltete ich das Licht wieder aus und schloss die Holztür. Zähneknirschend lief ich zurück. Im Transporter saßen sie noch immer entspannt auf der Bank. Mateo sprach leise, denn Lina hing auf seiner Schulter, beinah eingeschlafen. Sie kuschelte sich noch näher an ihn heran, als ich die Tür schloss. Es war wohl eher das Geräusch, dass sie kurzzeitig weckte, als meine Präsenz. Aber ja, schlafen klang nach einer guten Idee, nach dem die Nacht schon unglaublich kurz war und wir am Morgen die erste Fähre nahmen.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 68.346 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte März 2021}
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  • Album:
    stall.
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    Mohikanerin
    Datum:
    22 Sep. 2021
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    Note: EXIF data is stored on valid file types when a photo is uploaded. The photo may have been manipulated since upload (rotated, flipped, cropped etc).

  • Zuchtname: May Bee Happy
    Rufname: Happy

    Aus der: Walking On Sunshine
    Mutter: Unbekannt Vater: Unbekannt
    Den: Alfred's Nobelpreis
    Mutter: Unbekannt Vater: Unbekannt
    ____________________________________

    Geschlecht: Hengst
    Rasse: Deutsches Sportpferd
    Geburtsdatum: Mai 2014
    Farbe: Fuchs
    Abzeichen: Blesse, alle vier Beine
    Stockmaß: 175 cm

    Charakter:
    zurückgezogen, unausgelastet, sanftmütig im Umgang, schreckhaft, kitzlig
    ____________________________________

    [​IMG]

    Gencode: ee aa nZ
    Zuchtzulassung: -
    Gesamtnote: -
    Nachkommen: -

    [Schleife]
    Prüfung

    Februar 2023 Elitäre Fortbildung, Fahren A zu L
    ____________________________________

    Dressur: S / M
    Springen: A / S
    Military: -
    Fahren: L / A
    Rennen: E / L
    Gangreiten: -
    Western: E / E
    Distanz: E / E

    Gänge: 4 [CA]

    ____________________________________

    Besitzer: Mohikanerin
    Zucht: Unbekannt, Deutschland
    VKR: Mohikanerin
    Ersteller: Mohikanerin
    Punkte: 9
    ____________________________________


    Spind // Hintergrund
    Reiter {Kiel}