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Mohikanerin

Lubumbashi [0]

a.d. unbekannt, v. unbekannt

Lubumbashi [0]
Mohikanerin, 29 Juli 2021
    • Mohikanerin
      Dressur E zu A | Juli 2021

      Lubumbashi

      Zitternd stand die schmale Stute in der Box und wagte es nicht einen Schritt aus dieser zu machen. Lubumbashi hatte kein Vertrauen zum Menschen, erst recht nicht zu anderen Pferden. Auch auf der Weide oder dem Paddock stand sie allein und sah sich panisch um. Jetzt, nach einem Jahr Arbeit war sie nicht mehr wiederzuerkennen. Lubi setzte sich in der Herde durch und entwickelte eine Persönlichkeit in der Bodenarbeit. Jeder kleine Schritt zum Ziel wurde zum Himmel gelobt. Daraus entstand die Motivation weiterzumachen, für Pferd und Reiter. Somit konnte die Ausbildung weitergehen.
      Das letzte Training stand auf dem Plan, damit Anna mit ihrer Stute die erste Anfänger-Dressur reiten konnte. Nach dem Warmreiten am langen Zügel im Schritt, baute ich einige mehr Wendungen ein, auch im Trab. Lubi schnaubte mehrfach ab und bot von selbst an. Dabei kaute die Stute aktiv auf dem Gebiss herum. Mein Augenmerk lag darin, mit den Hilfen auf den Punkt durchzukommen, um im Laufe des Trainings ein lockeres Pferd zu haben. Auf beiden Hände stellte ich sie sowohl in der Schulter, als auch in der Kruppe nach innen sowie nach außen. Dabei richtete sich Lubi immer mehr gerade und folgte entschlossen den Hilfen. Selbst die spielenden Pferde auf dem Paddoch nehmen den Platz, lenkten die Stute nicht ab. Ihre Ohren richteten sich aufmerksam zu mir als Reiter. Zur Vorbereitung auf kommende Turniere, hingen Fahnen ringsum auf dem Hof verteilt, auf der Bahn lief laut die Musik und einige Flatterbänder verirrten sich an der Bande. Lubi aber interessierte das alles nicht, nach dem sie vor ungefähr einem halben Jahr sicher noch panisch die Flucht gesucht hätte. Sie hatte sich positiv geändert, wodurch die Bahnfiguren im Schritt, Trab und sogar Galopp auf den Punkt trafen. Beim Wechseln durch die ganze Bahn filterte ich zunehmend die Stärke der Stute heraus. Sie verlängerte ihr Rahmen wie Profi und bot teilweise schon den starken Trab an, worin ich sie bremste. Bisher fragten wir nur nach Mitteltrab sowie -galopp.
      Zu guter Letzt folgten noch die letzten Lektionen der A-Dressur. Nach einem Viereck verkleinern und vergrößern, ließ ich die Rückwärts treten, um daraus anzutraben auf einer zehn Meter Volte. Im Schritt zum Galopp sprang sie noch immer etwas hastig nach vorne, was noch einige Trainingsstunden bedarf aber im Großen und Ganzen keine Schwierigkeit darstellte. Lubi war locker genug für Schlangenlinien mit vier Bögen und auch der Kehrtwendung auf der Vorderhand. Somit konnte Lubi erfolgreich in der Anfänger-Dressur starten am nächsten Wochenende.

      © Mohikanerin // Anders Holm // 2563 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Sommer 2015}
    • Mohikanerin
      Dressur A zu L | August 2021

      St.Pauli's Amnesia // Lubumbashi

      Die Tage wurden kürzer, kühle Luft wirbelte über den Hof und die meisten Pferde standen mit ihren Decken auf den Paddocks. Lubi fasste immer Selbstbewusstsein, sowohl in der kleinen Herde als auch unter dem Sattel, weswegen der Trainingsstand von ihr heute geprüft werden sollte. Auch Amy, die ihre Heimat im Springsport hatte, sollte mehr gymnastiziert werden. Also nahm ich zunächst die braune Stute in den Beschlag und ließ sie mir von einem der Kinder fertig machen. Sie liebten es sich auch im Winter im Stall zu beteiligen und so hatte ich dann eine saubere Stute unter dem Sattel, die sogar Zöpfchen bekam.
      Nach einer langen Aufwärmphase trabte ich zunächst locker am Zügel. Dabei baute ich Wendungen ein, sowohl Kurzkehrt als auch auf der Hinterhand. Die acht Meter Volten saßen schon und im Mitteltrab eine Schlangenlinie mit zwei Bögen, setzte Lubi auf den Schenkel genau um. Im Galopp auf dem Zirkel wechselte ich die Hand, ohne einen einfachen Wechsel zu reiten und auch den Außengalopp trat die Stute durch. Am Ende versammelte ich noch im Galopp und Trab. Das verschwitzte Pferd schritt entspannt vorwärts, bis eins der Kinder Amy zur Halle brachte und Lubi abritt. Auch mit der gescheckten Stute durchlief ich selbige Lektionen, Bahnfiguren und Gänge. Im Trab hatte sie noch Probleme die Geschwindigkeit zu halten, doch im Galopp sprang sie aktiv und achtete auf alle Hilfen. Somit sollte das Training der beiden Pferde weitergehen, aber die L-Dressur saß bei den Pferden!

      © Mohikanerin // Anders Holm // 1488 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Winter 2015/16}
    • Mohikanerin
      Dressur L zu M | September 2021

      Lubumbashi // Form Follows Function LDS

      „Du schaffst das“, motivierte mich Niklas. Er saß auf Form und holte sie aus dem starken Trab zurück. Die Rappstute federte locker in den Beinen, setzte sich aktiv auf die Hinterhand und kam mit maximalem Schwung nach vorn. Das Paar zu beobachten, faszinierte mich tagtäglich. Er kannte die Stute erst wenige Monate, aber schaffte es aus der nervösen Stute, ein übermotiviertes Pferd zu formen, dass stets alles gab. In allen Gängen federte sie locker in den Gelenken, gab sich vollends der Losgelassenheit hin und niemand konnte den beiden das Wasser reichen im Punkto Schwung. Ihre Abstammung sorgte auch dafür, wirklich für Antrieb dazu bekommen zu haben. Während ihr Vater bis heute höchst motiviert und ambitioniert ein Rennen nach dem anderen gewann, hatte ihre Mutter ein gewisses Maß an Disziplin für das große Ganze. Beide Pferde zeigten sich vor Publikum stets routiniert, als gäbe es nichts anderes. Im Training konnte es auch mal holprig werden, aber das vergessen, wenn sie den Geruch der verschiedenen Menschen aufnahmen und über den Sand passten.
      Erneut trabte ich an, ritt im versammelten Trab auf die Mittellinie auf. Bei jedem Wechsel des diagonalen Beinpaares schwebten wir für einen Moment in der Luft, in dem ich die Augen schloss und versuchte mich genau auf die Atmung zu konzentrieren. Ihre Kadenz erhöhte sich, also wie weit sie sich mit ihren Hufen vom Boden wegbewegte. Jeder Augenblick der vermeintlichen Schwebelosigkeit begnügte mich, vielleicht auch, weil unsere Zuschauer äußerst gespannt zu uns sahen. Stolz floss durch meine Adern. Stolz, dass ich ein solch zuverlässigen tierischen Partner an meiner Seite haben durfte. Stolz, dass ich im Mittelpunkt stand und sogar Niklas immer wieder zu mir sah, ohne dabei seine Augen an eine andere zu verlieren. Ich wollte ihn nicht mehr, aber den Spaß mit ihm, konnte ich nicht missen.
      Meinen inneren Schenkel legte ich an den Gurt, um die an den Rippen zu biegen und den Fleiß beizubehalten. Der äußere Schenkel verwahrte und trieb sie Vorwärts-Seitwärts, während der innere Zügel sie stellte und seitwärts weisend wirkte. Aus der Versammlung traversierte Lubi zuverlässig. Jedoch war das nur die Vorbereitung zur Losgelassenheit und maximalen Tragkraft. Beim Erreichen von M fiel sie mir aus dem Rahmen, also ignorierte ich die Verstärkung und sammelte das Pferd wieder ein. Lubi grunzte aufgeregt und schlug mit dem Schweif. Von der Seite spürte ich die Blicke der Anderen, aber schaffte es sie beim Halten auszublenden. Einige Schritte richtete ich die Stute ruhig rückwärts und galoppierte daraus auf der linken Hand an. Mit einem großen Sprung startet Lubi. Meine Hüfte schwang aktiv im Sattel mit und ich bekam das Gefühl über den Vorderzwiesel zu rutschen, also legte ich meine Beine noch etwas fester an. Der starke Galopp versetzte uns beide in einen Rausch der Gefühle und H kam viel zu schnell. In der Kurve flog der Sand lautstark gegen die Bande, während ihre Mähne im Takt schwang. Ich atmete tief durch, legte meine Beine im Wechsel an ihren Bauch und mit der Zügelführung wechselte Lubi punktgenau.
      „Siehst du, ich habe es doch gesagt“, rief Niklas grinsend und machte uns, für die Schlangenlinien durch die ganze Bahn mit vier Bögen, den Weg frei. Beim Überreiten der Mittellinie wechselte ich jedes Mal auf den Handgalopp und endete rechts. Anstelle der eigentlich folgenden weiteren Galoppwechsel holte ich die Stute zurück in den Trab und dann den Schritt. Kräftig lobte ich Lubi, die ihr Bestes gab meinen verwirrenden Hilfen folgezuleisten.
      Dann trieb auch er sein Pferd vorwärts, erweiterte den Rahmen im Schritt und versammelte die Rappstute an der nächsten kurzen Seite. Aus der Ecke heraus bog Niklas am rechten Schenkel das Pferd, um sie im Schulterherein auf dem zweiten Hufschlag. Dabei fasste er den inneren Zügel etwas nach, gab damit die Stellung vor. Im Schulterherein trat Form gleichmäßig durch den Sand und setzte sich Schritt für Schritt mehr auf die Hinterhand, besonders das innere Bein belastete sie mehr unter den Schwerpunkt. Durch die Stellung dehnt sich der größte Teil des Rumpfes und sie schnaubt einige Male genüsslich ab. Dabei klang sogar wie ein Schwein, dass im Wald die Nase in den Dreck steckte und nach etwas Fressbaren suchte. An der nächsten langen Seite wechselte Niklas Schritt für Schritt in den Renvers. Er war darauf bedacht, dass Form die Hilfen nach und nach wahrnahm, sich langsam gerade richtete und erst dann in die Konterstellung wendete. Dabei richtete er sich im Sattel auf, saß tief im Sattel und bewegte sich nur soviel, wie es für die Übungen wichtig war. Die Atmung sah kontrolliert aus. Sein Brustkorb unter dem dünnen Shirt bewegte sich gleichmäßig. Alle starrten ihn an, ausnahmslos jeder. Er war ein Augenschmaus, keine Frage. Sogar Eskil hatte das für Voll genommen, aber wusste, dass sie Chancen miserabel standen.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 4872 Zeichen
      zeitliche Einordnung {September 2020}
      Wolfszeit gefällt das.
    • Mohikanerin
      [​IMG]
      kapitel sechs | 26. November 2021

      Glymur // Satz des Pythagoras // Lubumbashi // Polka Dot // HMJ Divine

      Vriska
      Die Augen offenzuhalten, fiel mir schwer. Seit vier Uhr hielt ich mich wach. In der Nacht hustete ich mir das Leben aus der Lunge, nahm die wohl abscheulichste Zwiebelsuppe zu mir in Kombination mit so vielen Schmerztabletten, dass ich aufhörte zu zählen. Aber was ich soll sagen? War die Entscheidung ein Gute? Nein, aber geht es mir besser? Ja, deutlich. Ich konnte geräuschlos atmen, roch sogar den fruchtigen Geruch Glymurs Mähne, die ich mit Glanzspray einsprühte. Ein kalter Windzug fegte durch den Eingang, der zur Reithalle führte. Im Inneren hatte bereits drei andere ihren zweiten Ritt, während Glymur an meiner Schulter zupfte und mein Jackett immer wieder zerknitterte. Sanft schob ich ihn weg, wartete, endlich an der Reihe zu sein.
      “Können wir nachher sprechen?”, fragte ich Frau Wallin voller Hoffnung, als sie gestresst an mir vorbeitigerte und Sachen von links nach rechts räumte. Nach einem skeptischen Schulterzucken stimmte sie murmelnd zu. Wenig später kam es zu meinem Ritt.
      Alles fühlte sich an, wie ein normaler Trainingstag im Unterschied, dass drei Leute auf einem Klemmbrett dauerhaft Notizen machten und Fragen stellten. Glymur zeigte sich heute von seiner besten Seite und ich war mir meiner Sache auch sehr sicher. Punktgenau reagierte der Hengst auf meine Hilfen, trabte die ein hochpreisiges Dressurpferd, wenn auch mit deutlich mehr Schwung und Hinterhandaktion, und der Tölt. Mir fehlten wirklich die Worte. Um ehrlich zu sein, hatte ich in Kanada alles dafür getan, Niklas zu beeindrucken. Damit, dass ich Ponyreiter ebenfalls in der Lage war, ein Gangpferd in der klassischen Dressur zu reiten. Erst heute, genau in dem Moment, bemerkte ich, wie schnell ich mich weiterentwickelte. Am Wochenende ritt ich, ohne groß darüber nachzudenken, eine Dressurkür, nein, sogar zwei und landete damit auf dem Treppchen. Dazu kam, dass ich mit Glymur nur noch selten am Tölt oder Rennpass arbeitete, aber somit mehr Losgelassenheit und Rittigkeit sich entwickelte.
      „Dankeschön, ihr könnt nun Abreiten“, sagte einer der Prüfer und jeder von uns ließ sich die Zügel aus der Hand kauen. Erleichtert lobte ich den Hengst, strich ihm durch die weiche Mähne und grinste, wie ein Kind bei der Einschulung. Ich hatte es geschafft. Es war die letzte Prüfung und somit konnte ich endlich entscheiden, ob ich auf dem LDS bleiben würde oder mir einen anderen Hof suchen würde. Eigentlich gab es weder die Wahl noch eine Entscheidung darüber.
      Zum Absteigen ritten wir in Abteilung rechts um auf die Mittellinie auf und stiegen ab. Ich lockerte zunächst den Gurt und schlug Bügel über, danach nahm ich Glymur das Gebiss heraus und befestigte die Zügel am Reithalfter. Keiner, der anderen beiden, machte das, aber für mich stellte es einen wichtigen Aspekt dar, um dem Pferd das Ende einer Einheit zu vermittelt. Entspannt kaute er beim Zurücklaufen in den Stall, wo uns einer der Prüfer folgte. Neben dem Reiten und fertig machen, wurde auch gewertet, wie wir die Pferde nach dem Reiten versorgten. Das Sattelzeug hängte ich ordentlich an seinen Platz und holte die Abschwitzdecke. Glymur war klitschnass, aber länger durften wir nicht Abreiten, somit musste die Decke ihren Rest tun. In der Zeit bereitete ich sein Futter vor, dass ich sonst vorher fertig hatte aber nicht so gewollt war, in Laut zu sehen. Genüsslich kaute Glymur, als der Prüfer auch höflich verabschiedete und Frau Wallin weniger angespannt den Stall betrat.
      „So, Vriska. Was wolltest du?“, fragte sie freundlich. Am Morgen hatte ich mir noch genau zurechtgelegt, was ich sagen wollte, welche Argumente ich bringe, doch jetzt stand ich vor ihr, fand die Worte nicht und fummelte an den Enden des Jacketts herum. Wir gingen zur Seite.
      „Ich … Ich bin Ersatzreiter durch das Förderprogramm, oder?“, fing ich an.
      „Ja. Du willst bestimmt weg von Gangreitern, oder?“, musterte sie mich. Ich nickte. Dass mein Verhalten solche Wellen schlagen würde, hätte ich mir im Leben nicht vorstellen können, aber ein wenig stolz war ich darauf. Die Anerkennung tat mir gut, vielleicht fühlte ich mich das erste Mal im Leben wirklich zu etwas berufen, etwas gefunden zu haben, dass mir schmeichelte und im Inneren berührte. Vielleicht gehörte genau die Dressur in mein jämmerliches Dasein.
      “Ake … ähm, ich meinte natürlich Herr Norsberg hatte bereits erzählt, dass er dich auf die verrückte Idee gebracht hat. Aber wir können es versuchen, bisher hatten wir niemanden, der sich so dafür eingesetzt hat, nur von Dressur zum Springen oder andersherum. Also fühle dich geehrt, die Erste im Team zu sein. Wir haben vor einigen Tagen bereits formal darüber gesprochen mit den Anderen, da zwei der anderen Trainer dich auch gerne bei ihnen hätten, zumal nun jemand fehlt. Oder auch drei...“, die letzten Worte verstand ich nur mit Mühe. Warum würden auf einmal so viele fehlen? Ich wusste, dass die meisten nur im Eventing unterwegs waren, aber Schweden hat doch genug junge Talente oder meinte sie unseren Verein? Auch, dass mich offensichtlich die anderen Trainer begutachteten, überraschte mich. Ich kannte nicht mal ihre Namen! Herr Norsberg kam dazu.
      “Habe ich gerade meinen Namen gehört?”, lachte er freundlich und beglückwünschte mich zu dem Ritt mit Glymur. Es stellte mich zufrieden, dass niemand verächtliche Blicke auf mich richtete.
      “Wir hätten gerne noch deutlich mehr im Kernteam, aber es ist schwer einen gesunden Ausgleich zu finden von Talent und Menschlichkeit. Du weißt selbst, wie schwer es mit denen ist. Somit kannst du wirklich froh sein, dass du so herzlich begrüßt wurdest”, zwinkerte Frau Wallin auffällig unangenehm mir zu. Mein Lehrer lachte nur. Mir wurde es zunehmend seltsam. Natürlich musste man mich weiter damit aufziehen, als hätte ich nicht andere Sorgen.
      „Also gut, dann bist du bitte in 16 Uhr hier. Die anderen Trainer werden auch da sein und dann hast dein Vorreiten, dafür wird dir ein potenzielles Pferd gestellt, sofern du keins vorweisen kannst“, sagte sie nun wieder ernst. Ich dachte nach. Fruity wäre einsame Spitze dafür, aber Tyrell würde sie mir nie im Leben überlassen, außerdem war auch die Ausrüstung wohl nicht das, was man erwartete.
      „Nein, ich hätte kein Pferd“, antwortete ich also und bekam noch einige Hinweise. So sollte ich etwa eine Schabracke sowie Bandagen mit Bandagierunterlagen mitbringen und meine Teamkleidung anziehen. Der Frack hing vermutlich noch verpackt im Schrank, denn ich hatte bisher nur das Jackett an. Sechzehn Uhr also. Mir blieben somit sechs Stunden, um mich erholen, weitere Schmerztabletten zu inhalieren und irgendwie damit klarzukommen.
      Meine Beine zitterten als ich Glymur zurück auf seinen Paddock stellte. Der Hengst warf sich in den Sand und panierte sich kräftig von allen Seiten ein. Innerhalb kürzester Zeit färbte sich sein Fell in einem einheitlichen Farbton, die weiße Fleckungen konnte nur noch erahnt werden.
      „Hübscher, du darfst heute nach Hause“, flüsterte ich liebevoll. Tatsächlich war es weniger spontan, als man denken konnte. Bis zur Prüfung stand er kostenlos auf dem Gestüt und Einstellgebühren ab morgen konnte ich mir keineswegs leisten, außerdem gab es keine Notwendigkeit. Auch Bruce, den ich gestern nur peripher wahrnahm, freute sich seinen Schützling wiederzusehen.
      In Gedanken bereits auf dem Weg zum Reitfachgeschäft, überlegte ich, was für ein Pferd mir wohl gestellt werden könnte. Die eine Fuchsstute im Stall gefiel mir sehr, obwohl Füchse nicht mein Fall waren. Sie stand meistens mit Smoothie zusammen auf dem Paddock, aber drehte nun allein ihre Runden. Vielleicht würde es auch eine der Schimmel sein, die auf der anderen Seite des Hofes stehen. Während mein Blick so über das Gelände schweifte, hoffte ich am Telefon Erik zu erreichen. Monoton piepte es eine ganze Weile und ich biss mir auf der Lippe herum, hoffend darauf, ihn zu erreichen. Plötzlich erschien es mir sehr lächerlich und als mein Finger über dem roten Hörer schwebte, hörte ich seine Stimme. Überrascht wiederholte er einige Male meinen Namen, aus unerklärlichen Gründen hatte ich nicht erwartet, dass Erik meinen Anruf entgegennahm und starrte noch immer gedankenverloren in die Ferne.
      “Alles in Ordnung oder gab es einen Vorfall bei deiner Prüfung?”, fragte er schließlich, als ich wieder in die Realität zurückfand.
      “Die verlief super, also wirklich. Richtig, richtig gut. Glymi hat wirklich alles gegeben!”, freute ich mich, zügelte mich aber in der Wortwahl, denn viel hätte er ohnehin nicht mit den Pferdebegriffen anfangen können.
      “Freut mich zu hören, aber ich schätze, dass du nicht deshalb anriefst?”, interessierte Erik sich nun noch mehr.
      “Ich … also, ich … nein. Pferd”, druckste ich. In meinem Kopf klang die Idee so viel vielversprechender, als es in die Tat umzusetzen.
      “Nicht so wichtig”, beschämt verwarf ich meinen Willen, ihn bei mir haben zu wollen.
      “Baby, ich denke schon, dass es dir wichtig ist, sonst hättest du mir geschrieben. Also, was möchtest du?” Liebevoll drangen seine Worte aus den Lautsprechern. Ein unangenehmes Kribbeln durchfuhr mich vom Ohr bis in die kalten Zehen, ich biss wieder auf meine Unterlippe, unsicher, was ich sagen sollte. Jemanden zu haben, dem ich wirklich wichtig war, fühlte sich nicht echt an, eher wie einem klassischen Teeniefilm.
      “Ja … Ich habe um sechzehn Uhr einen wichtigen Termin und ich wünsche mir, dass du hier wärst. Wäre das möglich?”, fragte ich schlussendlich doch.
      > Behöver du mig eller kan jag åka någonstans i några dagar?
      „Brauchst du mich, oder kann ich für einige Tage wohin fahren?”, rief Erik vermutlich seiner Schwester zu, ohne mir eine genaue Antwort zu geben.
      > Jag har kunnat leva utan dig i över fyra år, så ja. Du kan gå.
      „Über vier Jahre habe ich ohne dich leben können, also ja. Du kannst abhauen”, lachte sie. Ihre Stimme klang in meinen Ohren ziemlich unsympathisch, obwohl er mir sie noch nicht einmal vorgestellt hatte. Darüber beklagte ich mich jedoch nicht, eher fühlte ich mich relativ gut dabei.
      > Jag antar att du ska gå till din konstiga flickvän? Kom då ihåg dokumenten
      „Ich vermute, dass du zu deiner seltsamen Freundin fährst? Dann denke an die Unterlagen”, fügte sie noch hinzu. Wow, jetzt bestätigte sich wirklich, dass Eriks Schwester unsympathisch war. Er stimmte ihr noch zu und sprach mit mir weiter.
      “Tut mir leid, dass ich das kurz klären musste. Sechzehn Uhr also?”, erkundigte er sich.
      “Genau und wenn du möchtest, kannst du deine beiden Anhängsel mitbringen”, schmunzelte ich in die Leere und freute mich tatsächlich ein wenig darauf seine Tochter etwas besser kennenzulernen, weil wenn sie mich nicht leiden würde, war es zum Scheitern verurteilt.
      “Lässt sich einrichten und Harlen hat sich noch immer nicht gemeldet?”
      “Nein, leider nicht. Treffen wir uns dann auf dem Lindö?”, hoffte ich nicht selbst fahren zu müssen. Allerdings war das große Auto schon durch Trymr befüllt und wenn Fredna im Kindersitz einen Platz bekommen sollte, müsste ich wohl in den Kofferraum. Außerdem müsste ich auch einen Hänger anhängen, denn Glymur wollte nach Hause kehren. Eventuell hätte ich nicht fragen sollen, allerdings war nicht einmal die Rede, dass wir sein Gefährt nahmen.
      “Klingt gut, wollen wir danach noch ins Restaurant zur Feier des Tages?”, freute Erik sich und lachte mit seiner rauen und tiefen Stimme.
      “Wir werden sehen, denn …”, durch Rufe von links meines Trainers, musste ich das Telefonat beenden, obwohl ich gerade anfing gefallen an dem Gespräch zu finden. Ob Erik sich dem bewusst war, dass es hier einerseits kaum Restaurant gab und andererseits so gut wie keins, dass vegane Speisen anboten, schaffte ich nicht mehr zu hinterfragen. Aber ich wusste selbst, dass ich lockerer werden sollte.
      Es folgte nun doch noch ein Nachgespräch über unsere Praktische, ich erreichte die wenigsten Fehlerpunkte und stolz grinste ich. Jeder von uns hatte diese bestanden. Der Termin für die Übergabe des Abschlusses stand noch nicht fest, würde uns aber in den nächsten zwei Wochen mitgeteilt werden. Ein Stein fiel mir von Herzen und ich konnte emotional damit abschließen. Ich hatte es wirklich geschafft. Der Planung über ein wirklich eigenes Pferd stand nichts mehr im Wege. Begnügt hüpfte ich zum Auto und fuhr nun endlich zum Reitfachhandel.
      Wonach ich genau suchte, wusste ich nicht und mein Kontostand sprach sich klar dagegen aus, mehr als ein Outfit zu kaufen. Aber konnte ich weder die grüne Schabracke mit passenden Bandagen hierlassen, noch die blaue im Set. Beide landeten im Einkaufskorb und fröhlich schaute ich noch nach einer anderen Reithose. Da hing sie, die hellgraue Vollbesatzhose, die ich bereits mehrfach im Internet bewunderte. Sie fühlte sich schon beim Berühren genauso an, wie ich mir eine Hose wünschte. Mit einer 32 und 34 verschwand ich in der Umkleide, leider passte die kleinste Größe besser, aber hin an einigen Stellen locker an meinen Beinen. Dass ich mehr essen sollte, wusste ich, doch, dass ich nun wieder weniger auf den Knochen hatte, belastete mich. Ich drehte mich mehrfach im Kreis in der Hoffnung, plötzlich mit mehr Masse gesegnet zu werden. Ach, ich nehme sie mit. Somit hatte ich eine kleine Motivation wieder auf meine Nahrungszunahme zu achten. An der Kasse schluckte ich kurz, aber bezahlte alles. Das sprengte eindeutig mein Budget, aber die Sachen waren so schön!
      Angekommen drückte ich mich erschöpft aus dem Auto. Die Wirkung der Schmerztabletten ließ zunehmend nach, verlangte mir einiges ab. Aber Erik holte mich nachher ab! Das war wohl die größte Motivation des Tages, auch wenn mir nicht mehr viel Zeit blieb, um ein Mensch zu werden. Lina kam, deutlich wacher als ich. Denn Geburtstag ihres besten Freundes hatte ich leider verpasst, obwohl ich gern vor Ort gewesen wäre. Samu war immer nett zu mir, redete überzeugend auf mich ein und hatte mich in der einen oder anderen Situation sogar gestützt. Ich war ihm zu großen Dank verpflichtet, vielleicht spielte auch er seinen Teil dazu bei, dass ich genau an dem Punkt stand. Niklas wollte ich eigentlich nicht sehen, obwohl ich ihn einlud, denn sonst hätte vermutlich keine Kommunikation zwischen den beiden stattgefunden. Über einige Ecken erfuhr ich, dass er nur provisorisch antwortete, aber wenn ich eine Mitteilung verfasste, konnte ich mit einer Antwort innerhalb von zehn Minuten rechnen. Der Typ setzte falsche Prioritäten.
      “Vriska, du bist zurück. Wie war deine Prüfung?”, erkundigte sie sich munter.
      “Tatsächlich habe ich es überlebt … und sogar die wenigstens Fehlerpunkte”; lachte ich munter und hob die beiden riesigen Einkaufstüten aus dem engen Kofferraum meines Golfes zwei, der schon mehr erlebt hatte, als ich.
      “Hervorragend! Hast du das halbe Geschäft gekauft oder ist da noch ein Pony drin versteckt?”, scherzte Lina ausgelassen und hängte an, ob sie bei Tragen helfen sollte.
      „Ich glaube, dass ich mir mittlerweile ein Pferd kaufen würde, aber leider nein. Nur zwei Sets und eine neue Reithose für den Winter“, antwortete ich. Glücklich wühlte ich in den Papptüten und hielt die neuen Errungenschaften in die Luft. Zu dem schwarz-blauen Set gehörte sogar eine Fliegenhaube, die vermutlich besser einem Esel passen würde als einem der Pferde hier, obwohl. Smoothie hatte riesige Ohren, aber wie schon in Kalmar, bewunderte ich sie nur aus der Ferne.
      “Wow, wunderschön”, bewunderte Lina den Einkauf. “Aber das passt definitiv nicht auf Glymi, was hast du vor?”, fügte sie neugierig hinzu.
      „Du wirst es nicht glauben! Heute Nachmittag darf ich vor den Bundestrainern der Dressur reiten, dafür bekomme ich ein Pferd gestellt. Wenn ich mich wie der letzte Ochse anstelle, dann darf ich vermutlich auch das dann übernehmen, also so für Turniere meine ich. Ich freue mich voll, aber weiß nicht, was das wird“, durchlebte ich beim Erzählen die reinste Achterbahn der Gefühle.
      „Ach und Erik kommt nachher auch“, quietschte ich eindeutig zu laut, gefolgt durch ein kräftiges Husten, dass mich wieder an meine Erkältung erinnerte.
      “Oh cool, wenn du das so toll machst wie mit Fruity wird das sicher werden”, sprach sie ermutigend. “Das freut mich für dich, dass Erik kommt, aber du solltest noch mal ins Bett gehen, du klingt alles andere als gesund. Nicht das du nachher noch vom Pferd fällst.” Sie blickte mich ein wenig besorgt an.
      „Vermutlich, aber ich muss noch mit Tyrell sprechen und Bruce hat auch nicht die nötige Aufmerksamkeit bekommen, die ihm gebührt.“ Den Kragen meiner Jacke zog ich etwas höher. Dieser plötzliche Umschwung des Wetters von warm auf kalt, gefiel mir nicht, viel mehr, gefiel es meinem Kreislauf nicht. Regelmäßig wurde mir Schwarz vor den Augen, was ich ebenfalls daran hinderte, mehr zu essen. Apropos Essen …
      „Wäre es möglich, dass du nach her für ein paar Stunden auf Fredna aufpasst? Erik und ich wollen ins Restaurant gehen und ich habe ein ungutes Gefühl, wenn sie mitkommt“, gab ich zu bedenken. Verständnisvoll stimmte Lina zu: “Ja klar, auf die Kleine passe ich gerne auf.” Ungemein beruhigte sie mich mit der Antwort.
      „Du bist super, danke. Ich weiß noch gar nicht so richtig, wie ich damit umgehen soll, oder viel mehr mit ihr. Vielleicht romantisierte ich das alles mit Erik, aber jetzt ihm zu sagen, dass ich doch nicht mit ihm mehr möchte, wäre wohl auch blöd.“ Laut stieß ich Luft aus meiner verstopften Nase. Unserer Einigung darauf es langsam angehen zu wollen, scheiterte auf gerade Linie. Keiner von uns beiden war in der Lage die Situation reflektiert zu betrachten, wo fiel es mir zwar schwer, mich emotional von Niklas zu lösen, aber meine Augen waren nur noch bei ihm.
      “Ich habe von so was genauso wenig Ahnung wie du, aber mein Gefühl sagt: Probiere es einfach, lass dich auf die Kleine ein, der Umgang kommt ganz von allein. Aber wunder dich nicht, wenn sie dich nicht sofort liebt. Auch für Fredna ist das eine neue Situation, ihr werdet euch beide erst einmal daran gewöhnen müssen”, riet sie mir zuversichtlich.
      „Danke, das ist lieb. Ich versuche es“, bedankte ich mich mit einem Lächeln auf den Lippen. Dann trug ich die Tüten zum Zimmer.
      „Wir fahren hier 15 Uhr los, also wenn du mitkommen möchtest“, rief ich noch. Sie nickte mit einem Lächeln und trat ihren Weg zur Halle an. Ich sah ihr noch einige Schritte nach, bis sich mein Handy in der Hosentasche bemühte, Aufmerksamkeit zu bekommen. Harlen hatte mir geschrieben, oh Wunder!
      “Kleine Schwester, es tut mir leid, dass ich nicht an deinem großen Tag bei dir sein kann. Verzeih mir. Bald werde ich aufklären, wo ich war und bis dahin: Ich vermisse dich, hab dich lieb. Harlen”, las ich seine hochgestochene Nachricht. Hatte er zu viel Bridgerton geschaut, oder einen Roman vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts inhaliert?
      “Schon gut, aber ich hoffe für dich, dass deine Ausrede eine gute ist. Habe heute noch ein Vorreiten, mal gucken”, tippte ich gelangweilt auf dem Display. Man vermisste erst etwas, wenn man es nicht mehr hatte. Genau das brodelte in meinem Magen, als ich die Nachricht begriff.
      Die leeren Tüten flogen in einem willkürlichen Bogen durch die Luft, landete mit lautem knittrigem Geräusch auf dem Holzboden. Die Schabracken bewunderte ich erneut. In dem warmen Licht der Stehlampe glänzte das Grün. Bei der Dunkelblauen glitzerten die kleinen Steine in der blauen Kordel. Zu entscheiden, welche der beiden heute ihren Auftritt bekam, fiel mir nicht leicht. Rein optisch würde die dunkelblaue wohl möglich einen besseren Kontrast zu dem gesättigten blauen Oberteil.
      Auf meiner Terrasse tummelte es sich. Noch bevor Linas friedliche Stimme in den Vordergrund rückte, ertönte lautes Grölen aus den Untiefen der Erde. Trymrs Schwanz klopfte an der Scheibe und aus sicherem Abstand sah ich, wie sich seine fusselige Schnauze am Glas drückte und zwischendurch mit einem Lecken abgewechselt. Wenn ich nicht mittlerweile wusste, dass dieser Hund noch mehr Interesse an mithatte als sein Besitzer, würde ich nun die Polizei rufen, dass ein Wolf mich belästigte. Natürlich, anatomisch war er viel zu schmal, um ein Wolf zu sein, aber Angst jagte er mir trotzdem ein.
      Langsam schob ich die Tür auf und riss die gesamte Aufmerksamkeit auf mich. Lina hielt Fredna auf dem Arm. Die Kleine verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse, als ich ein Stück hinaustrat, mit der Decke der Couch umwickelt. Und da stand er, in einem grau karierten Anzug, darunter anstelle eines Hemdes mit einem Rollkragen Pullover, der ihm sehr schmeichelte. Ideomotorisch zogen sich meine Lippen nach oben, auch Erik grinste charmant und an den Wangen zuckten niedlich seine Grübchen. Vielleicht war das einer der Gründe, die ich anziehend an ihm empfand. Sein Gesicht strahlte in jeder Situation seine Gefühlslage aus und grundlegende war er positiv gestimmt, aber im Kontrast dazu seine Tochter, die mich noch immer anstarrte, als sei ich ein Wesen von einem anderen Planeten. Plötzlich huschten tausende Szenarien durch meinen Kopf, wie sie sich zwischen uns stellen würde und ich jedes Mal verzweifelt wieder in einem Krankenhaus gefesselt liegen würde, nicht mehr Herr meiner Sinne und vollständig am Boden zerstört. Ich spürte, dass mein Lächeln verschwand und meine Hände begannen zu zittern.
      „Vielleicht sollten wir für den Moment hereingehen, du bist bleich vor Kälte“, schmunzelte Erik und ich bat alle hinein. Tollpatschig trampelte Trymr als Erster hinein und nahm direkt den Teppich in Beschlag, auf den zuvor geschlafen hatte. Nicht mal ins Bett schaffte ich es, sondern schlief zwischen den Sets ein. Schnell sammelte ich alle Teile ein und legte sie auf den Küchentisch ab. Dann stürmte ich ins Schlafzimmer, ohne meinen Freund richtig begrüßt zu haben. Ich wusste nicht genau, ob und wie ich das tun sollte, wenn Fredna dabei war. Konnte ich überhaupt irgendetwas? Hinter mir ertönten klackende Schritte vom Absatz Eriks Schuhe.
      „Du bereitest mir wirklich Sorgen. Was hast du auf dem Herzen?“, fragte er mitfühlend und nahm Platz auf der Kante des Bettes, während ich in meinen großen Kleiderschrank blickte und das bescheuerte Frack suchte. Aber konnte ich ihm auf seine Frage überhaupt eine ehrliche Antwort geben? Ich wollte nicht, wusste jedoch, dass ihm Ehrlichkeit wichtig war.
      „Weiß nicht“, murmelte ich und zog den Kleidersack heraus, in dem eine weitere weiße Reithose hing sowie den blauen Frack. Vorsichtig öffnete ich den Reißverschluss.
      „Vriska. Bitte sprich mit mir“, wiederholte er zum zweiten Mal. Zumindest drehte mich für einen Augenblick. Dann schüttelte ich den Kopf.
      „Für mich ist das auch neu, aber ich wollte mich für uns entscheiden, egal was passiert ist oder wird. Ich bin für dich da”, griff Erik nach meinem Arm, sah mir tief in die Augen. Stress brachte mich zum Zweifeln, vor allem an dem guten in meinem Leben. Ich hatte ihn nicht verdient.
      “Danke”, sprach ich leise und widmete mich wieder dem Kleidersack. Die Reithose konnte ich schon zu Hause anziehen, aber das Frack sollte keinesfalls vor dem Ritt knittern. Dennoch griff ich nach einem frischen Shirt, wohl angemerkt das letzte, aus dem Fach und warf das getragene Richtung Wäschekorb. Nur mit wenigen Zentimetern verfehlte es den Haufen auf dem Deckel und landete auf dem Fußboden. Erik musterte mich.
      “Wärst du so freundlich zu mir zu kommen?”, bat er in seiner ruhigen, gelassenen Art und Weise, zu wissen, mir klar überlegen zu sein. Ohne einen weiteren Gedanken an das Shirt zu verschwenden, setzte ich mich überzeugt auf seinen Schoß und lehnte an der kräftigen Schulter. Mit jedem Atemzug genoss ich seine Nähe und Wärme, obwohl er, im Gegensatz zu mir obenherum, etwas drüber trug. In meine Nase stieg ein unangenehmer Duft hinein, brannte an den Schleimhäuten. Er benötigte dringend ein anderes Aftershave oder Parfum, egal was, Hauptsache nicht dieses. Von der Hüfte aufwärts strich er mit seinen einzelnen Fingern sanft über meinen Rücken. Die Berührung war zart und voller Begehren. Alles an meinem Körper stellte sich auf und ich musste mehrmals tief ein und wieder ausatmen, um nicht die Fassung zu verlieren. Ich wusste nicht, dass mir etwas fehlte, bis ich es plötzlich hatte. Langsam öffnete ich wieder meine Augen und sah ihn tief in seine.
      “Ich will ja kein Spielverderber sein, aber eigentlich wollten wir schon vor einer Viertelstunde los, hebt euch das für später auf”, erinnerte Lina aus dem Wohnbereich und versuchte Fredna davon abzuhalten Konfetti aus den Tüten zu machen, die immer noch auf dem Boden lagen. Dass zwischen diesem und dem Schlafzimmer ein Vorhang oder bestenfalls eine Tür fehlte, wurde mir erst in dem Moment klar. Was sie wohl mitbekommen hatte, interessierte mich dann nicht mehr. Schnell griff ich nach dem frischen Oberteil, streifte es über erwärmtes Haus. Im Magenbereich kribbelte es noch immer. Erik hingegen stütze sich mit seinen Armen nach hinten, grinste dabei äußerst schelmisch, als hätte er Spaß dabei mich zu quälen. Abstreiten würde ich dies nicht, würde vermutlich in der Familie liegen.
      Im Eiltempo brachten wir alles in den großen mattgrauen Wagen und hingen den Anhänger ebenfalls an. Obwohl das Auto kein kleines war, wurde es ziemlich eng mit drei Personen, einem Kleinkind, das einen Kindersitz benötigte, und einem Höllenhund. Ich weigerte mich noch zu fahren und nahm auf dem Beifahrersitz Platz, während Lina ihre Stellung auf der Rückbank gegen Trymr verteidigte. Leider dachte der Hund, dass er nur so groß wie ein Chihuahua wäre und unbedingt auf ihren Schoß müsse. Diese Diskussionen dauerte eine Weile, bis Erik nur ein Wort sagte und alles geklärt war. Ich musste in der Zeit auf seinem Handy die Playliste suchen, die einzig und allein für Fredna existierte. Jedoch die besagte zu finden, stellte viel mehr als eine Herausforderung dar. Je mehr ich scrollte, umso größer wurde das Unheil. Nicht nur, dass es gefühlte Tausende Stück waren, eröffnete sich mir ein enormes sortiertes Chaos an Namen. Normale Menschen würden Stimmungen erstellen oder wie ich nur die Lieblingssongs hören, während Erik einerseits alles nach Genre sortierte und dazu noch nach Anlässen sowie Jahr der Erscheinung. Mein Finger wischte weiter, landete noch tiefer darin, was man als Playlistjungle bezeichnen konnte. Irgendwann bemerkte er meine Verzweiflung.
      “Nicht bei Spotify, sondern bei Musik”, erhob er seine Stimme echauffiert, als hätte ich sein Tagebuch gelesen. Schrieb er Tagebuch? Wohl möglich sollte ich das herausfinden!
      “Tut mir leid”, murmelte ich und wischte mehrfach wild auf dem Display herum, fand die blöde Anwendung jedoch nicht. Die Suchleiste herunterzuziehen, schien die einzige Möglichkeit zu bleiben. Was sich mir jedoch in den Siri-Vorschlägen eröffnete, stoppte mir kurz den Atem. Dass es sich bei Happy Pancake nicht um die neuste Kochapp handelte, hatte ich bereits durch eigene Überlegung herausfinden dürfen und neben Badoo leuchtete mich auch die furchtbare weiße Flamme auf roten Untergrund an. Der Vorschlag einer gewissen Ylva zu schreiben auf Tinder, brachte mich vollends aus dem Konzept. Technisch war ich zumindest so weit informiert, dass ich wusste, dass Vorschläge auf Gewohnheiten basierten in gewissen Zeitabschnitten. Innerlich zerbrach etwas, aber ich versuchte mit allen Mitteln, es mir nicht anmerken zu lassen, suchte schnell nach der Musikapp und öffnete die einzig vorhandene Playliste mit dem Namen seiner Tochter. Dann sperrte ich das Handy und steckte es in die Getränkehalterung. Auf der Rückbank wurde es zwar nicht stiller, aber das Geschrei verwandelte sich in Singen, zumindest sollte es das aller Wahrscheinlichkeit darstellen. Aber ich verstummte, sah aus dem Fenster und hoffte, dass das alles nur ein blödes Missverständnis sein würde. Mir jedoch vorzustellen, angelogen worden zu sein, nagte an meinem Gewissen. Ich hatte ihm von so gut wie allen Bekanntschaften erzählt, zugegeben, die Liste war kurz und übersichtlich.
      “Sind wir hier richtig?”, erkundigte Erik sich, als wir auf der engen Straße vor der Rennbahn entlangfuhren.
      “Gewiss”, antwortete ich kurz und hoffte in wenigen Sekunden aus dem Auto springen zu können, endlich das Pferd kennenzulernen, dass ich heute noch reiten würde. Dann war es so weit. Ich zog zweimal am Griff, denn Motor war noch nicht aus, somit öffnete sich die Tür nicht direkt. Die ganzen sichtlich teuren Fahrzeuge bemerkte ich erst auf den zweiten Blick. Es wirkte beinah so, als trafen sich heute nur Aktionäre. Rein optisch hatte sich dann auch Erik angepasst. Aus dem Kofferraum nahm ich die Tasche und stürmte zum Stall.
      Außer Atem stand in der Gasse, in der Herr Holm freundlich lächelte und mich begrüßte. Dass es zwanzig vor vier war, stellte offenbar kein Problem dar.
      “So dann folge mir, wir haben sie schon mal geputzt, aber lass die Zeit. Die sind alle noch im Haus”, lachte er. Viele Pferde streckten ihre Köpfe in den Gang, beobachteten ganz genau, wo wir hinwollten. Einige von ihnen brummten neugierig und stupsten mich an der Schulter an. Dann hielten wir vor einer Box an, die im Gegensatz zu den anderen nicht mit bunten Schleifen dekoriert war. Eine riesige braune Stute mit einer breiten Blesse sah mich interessiert an. Warte, was?
      “Aber das ist doch Lubi, die kann ich doch nicht reiten”, sagte ich aufgebracht und streckte meine Hand ihr entgegen, die sie friedlich abgeleckte.
      “Wie kommst du denn auf solchen Irrsinn?”, munterte Herr Holm mich auf und drückte mir den Strick in die Hand. Sie senkte ihren Kopf, als ich die Box betrat und den Karabiner einhing. Annas Stute machten einen sehr freundlichen Eindruck, besonders im Hinblick auf ihre diabolische Besitzerin. Nachdem der Verein beschlossen hatte, dass sie nur für die restliche Saison noch gesperrt war, kündigte sie selbst. Vermutlich, um die Scham zu entgehen und sich nun mehr auf andere Dinge zu konzentrieren. Dann ließ der Trainer uns allein, ich kramte aus meiner Tasche das grüne Set, für das ich mich eher aus Zeitnot entschied. Satteln und Trensen schaffte ich noch allein, aber spätestens bei den Bandagen wurde es schwieriger. Im Internet sah ich mir einige Bilder und Videos an, traute mich aber nicht so recht, sie anzulegen.
      “Suchst du etwas?”, sagte eine tiefe Stimme hinter mir. Nicht der schon wieder, was wollte er eigentlich? Muss er nicht irgendwann mal arbeiten? Mit rollenden Augen drehte ich mich um.
      “Nein, ich komm klar. Was machst du hier?”, antwortete ich genervt.
      “Vielleicht hast du es verdrängt, aber ich bin immer noch Kapitän, also habe ich auch ein Wörtchen mitzusprechen, bevor wir einen neuen Ersatzreiter bekommen. Und jetzt lass dir helfen, dass da an den Beinen sieht grauenhaft aus”, lachte Niklas und nahm mir die Bandagen ab. Freundlich erklärte er mir, wie ich anfangen musste und dass nur die erste Schicht etwas fester sein sollte. Die Wahl zu Fleecebandagen stellte sich auch als die Richtige heraus. Bevor ich mich versah, waren alle vier Beine von ihm verschnürt und nun fehlte noch das schlimmste – Zöpfe. Abgeteilt hatte ich bereits alles und auch schon geflochten. Die kritischen Blicke von Niklas entgingen mir natürlich nicht, als ich anfing die Strähnen zu rollen und irgendwie ineinander zudrücken. Lustig sah es auch, aber nichts was Leute mit solchen Autos sehen wollten. Langsam bekam ich Angst, ob ich mir die Ziele nicht etwas hochgesteckt hatte. Nur, weil ich einmal in meinem Leben ein Treppchen belegte mit einer ausgezeichneten Stute, würde nicht automatisch der Dressurcrack aus mir werden. Seltsamerweise bildete ich mich das wohl ein.
      “Was kannst du überhaupt?”, schmunzelte er und entfernte die Gummis aus den kleinen Hörnchen, die am Hals nach oben standen, als wäre Lubi ein Drachen. Meine Unfähigkeit ignorierte sie vollends, wirkte vielmehr begeistert davon, dass jemand mit ihr Zeit verbrachte. Sie stand locker da, den Kopf ließ sie entspannt hängen und schloss immer wieder langsam die Augen. Niklas antwortete ich nur mit Schulterzucken. Stumm drehte er sich um und verschwand aus der Sattelkammer. In der Hand hielt er eine Flasche, die ich sonst nur in meinem Badezimmer nutze vor dem Duschen.
      “Wozu brauchen wir Schaumfestiger?”, wunderte ich mich.
      “Damit das hält und fluffig bleibt.” Dann begann er mal wieder dem Trottel alles zu erklären. Ich stand auf einem Tritt, während Niklas seine Arme um mich legte und über meine Schulter hinweg arbeitete. Ich konnte damit besonders gut sehen, was er da machte. Die Enden klappte er weg und befestigte es erneut mit einem Gummi. Für einen Moment verschwand er wieder und kam mit einem dicken Garn an sowie einer stumpfen Nadel. Zu Erste vernähte Niklas den Anfang im Gummi und klappte dann zweimal um, vernähte mit einigen Stichen. Es überraschte mich wirklich, dass er das konnte. Sein Arm berührte mich immer wieder an der Seite und sein Atem kitzelte mich am Hals, man. Wieso passierte das alles? Hätte nicht plötzlich Chris im Stall stehen können und mir helfen? Mein Körper hatte mir bereits gewiesen, dass er mich in egal welcher Situation schwach werden ließ und gerade noch Hilfe zu empfangen, prägte das tiefe Gefühl in der Magengegend noch mehr. Ehrlich gesagt, gefiel mir sein Duft deutlich besser als den penetranten Moschus meines Freundes. Unsere Blicke trafen sich mehrfach und er setzte sein typisches selbst überschätzende Grinsen auf, was mich noch mehr verunsicherte. Was versuchte er hier? Gab es einen tieferen Grund, oder wieder nur eins seiner Spielchen, die frei jeglicher Bedeutung waren?
      “Ich bin ungern der Spielverderber, aber Niklas. Denkst du nicht, dass du dich etwas mehr zurückhalten solltest?”, kam nun auch Erik dazu, als es gerade schon wieder geschah. Ich duckte mich unter seinen Unterarmen hinweg ins Freie. Mir fehlten die Worte, also verschwand ich rasch in der Sattelkammer und zog mich um, also vielmehr zog ich die Jogginghose aus und band die Stiefel vollständig zu. Mit einem Ohr folgte ich der ruhigen, aber dennoch intensiven Diskussion darüber, wie Niklas mit mir umgehen sollte. Schließlich gehörte ich nun Erik und sei kein Freiwild mehr, oder so was. Dem zu folgen war noch immer nicht das leichteste, wenn er Buchstaben verschluckte, die dem Satz für Lernende erst einen Sinn gaben. Hilfreich so schnell zu sprechen, war es ebenfalls nicht. Vielleicht, irgendwann, war ich in der Lage meinen Freund in seiner Muttersprache zu verstehen, aber ich glaubte nicht daran.
      “Es ist schön, dass ihr beide so daran interessiert seid, meine Ansicht zu verteidigen. Aber Erik, Niklas hat mir nur geholfen, weil ich wie der letzte Volldepp dieses Pferd einkleidete. Kein Grund zur Sorge”, versicherte ich. Stimmt, viel mehr hatte ich Grund dazu, schließlich erinnerte Siri ihn daran, dass Ylva eine Nachricht haben wollte. Wer war die überhaupt?
      > Är du färdig?
      „Bist du fertig?”, fragte jemand aus einer Traube aus Menschen, als ich gerade meinen Helm aufgesetzt hatte und die beiden Streithähne zur Ruhe kamen. Ein waren sie sich nicht, aber zumindest schwiegen sie. Auf die Frage hin nickte ich und stieg auf Lubis Rücken, die langsam wieder wach wurde. Obwohl ich die Steigbügel als ziemlich gewöhnungsbedürftig empfand, überraschte mich dieser bequeme Sattel so viel mehr. Der Sattel war nicht nur bequem, nein. Er fühlte sich an, als würde ich auf Wolken schweben und als das Warmblut sich in Bewegung setzte, bestätigte es. Ich schwebte nur so. Obwohl ich eine Furcht hegte gegenüber großen Pferden, legte sich das direkt auf ihrem Rücken.
      In der Halle saßen bereits die meisten auf den Tribünen oder standen am Rand. Durch die Anzahl der Fahrzeuge konnte ich bereits erahnenden, dass nicht nur drei oder vier Leute dabei waren, aber so auf den ersten Blick würde ich so auf zwölf Leute tippen. Was war denn so besonders daran? Na gut, es ging schließlich, um verhältnismäßig viel Geld. Das Förderprogramm übernahmen private Sponsoren, die ich nicht kannte und dementsprechend musste man auch eine gewisse Leistung erbringen können. Im Schritt am lockeren Zügel drehte ich die ersten Runden auf der ganzen Bahn. Ein breites Lächeln setzte ich auf meine Lippen und flüsterte der Stute zu: „Ich weiß nicht, was ich hier tue, aber du bist hoffentlich dabei.“ Als hätte sie meine Worte verstanden, schnaubte sie ab. Lubi war wohl ein Traum, von dem ich nicht wusste, dass ich ihn immer hatte.
      Wie gewohnt ritt ich im Schritt warm. Noch immer konnte ich nicht fassen, was hier gerade passierte, aber es war richtig. Richtig, es zu versuchen und an dem Gedanken festzuhalten, den Herr Norsberg mir in den Kopf gepflanzt hatte. Vielleicht auch, um Niklas zu beeindrucken. Ich hatte zur besseren Kommunikation eine Funkanlage an der Hose, von der aus ich mit Herrn Holm sprach. Er durfte sich, nur, wenn nötig einmischen, ansonsten ging es einzig und allein um meine eigenen Kenntnisse. Eine Kür wurde heute nicht abgefragt, ganz im Gegenteil. Die Trainer wollten sich von meiner normalen Arbeit mit dem Pferd überzeugen. Dafür hatte ich überlegt, Elemente aus der Prüfung mit Glymur einzubauen. Nach den ersten engeren Wendungen wie einer Acht oder im Zirkel wechseln, gurtete ich noch einmal nach und trabte locker an. Dabei legte ich noch keinen Wert auf eine Verbindung am Zügel, sondern wollte Lubi erst einmal kennenlernen, um die Stärken und Schwächen herauszufiltern. Der hängende Zügel motivierte sie, sich fallenzulassen und Selbsthaltung anzubieten. Als sie die Idee davon bekam, fasste ich nach.
      „Wo hast du das gelernt?“, fragte eine ernst blickende Frau an der Bande. Sie kam mir nicht bekannt vor, aber offensichtlich hatte sie viel zu sagen. Niemand wagte einen Laut von sich zu geben, also war es an mich gerichtet.
      „Bei meinem Chef und Trainer, Tyrell Earle. Wir reiten zusammen die Jungpferde an, die nicht zur Rennbahn sollen. Er legt viel Wert darauf, Pferde auf die Welt hinauszuentlassen, die in der Lage sind, selbstständig zu denken, ohne dabei die Hilfen des Reiters außer Acht zu lassen, aber auch mal etwas infrage stellen“, erläuterte ich. Leichttraben und dabei etwas erzählen, stellte sich als äußerst anstrengend heraus. Lubi hatte einen schwungvollen Trab, den ich von den Gangpferden gar nicht gewohnt war. Gleichzeitig saß sie sich sehr bequem, ohne dass ich Probleme hatte, auszusitzen. Lubi verstand zügig, dass ich nicht dauerhaft trieb, sondern nur, wenn nötig eine Hilfe war. So gelang es mir schon nach einigen Runden das Tempo gleichmäßig zu halten, ohne eine gewisse Geschwindigkeit anzusetzen. Die ernste Dame nickte zustimmend und machte einige Notizen.
      Im Schritt versuchte ich mich an den Hilfen. Vom Boden aus habe ich schon viele Seitengänge geführt und auf Fruity auch beim Training geritten. Lubi hingegen verstand es nicht, was tat. Trotzdem lobte ich das Pferd weiterhin, bis die ersten Schritte in der Kruppe hineinkamen. Direkt ließ ich den Druck nach. Super! Als es dann immer besser und besser wurde, auch meine Linienführung, setzte ich zum Trab über, um selbiges erneut zu reiten. Über den Funk wurde der Galopp angewiesen. Innerlich hoffte ich, dem entgegenzukönnen, aber natürlich. Ich musste auf dem Riesen auch noch schneller. Im Zirkel saß ich aus und bei dem Durchqueren der zweiten Ecke galoppierte ich an. Nein wirklich, ich schwebte mit der Stute durch den Sand. Die sanften Sprünge machten alle Zweifel ungesehen und als ich fälschlicherweise einen fliegenden Galoppwechsel beim Zirkelwechsel machte, wusste ich, wieso alle darauf so scharf waren, uns zu sehen.
      Plötzlich verlangte Frau Wallin, dass ich eine typische Trainingswoche mit Lubi beschreiben sollte. So erzählte ich davon, dass ein fünf Tage Plan nur für mich infrage kommen würde. Egal, welches Lebewesen, wir brauchten alle eine ausgiebige Pause. Am liebsten hätte ich sie auf dem LDS, damit sparte ich mir den Weg und wusste, dass aktuell ohnehin nur einmal die Woche Training anstand. Somit reichte es, sie einzuladen und die paar Kilometer zu fahren, schließlich glich es nicht dem Weg nach Stockholm. Vielleicht trug auch Niklas seinen Teil zu dieser Entscheidung mit bei.
      “Wenn sie nicht locker ist, liegt der Blick darauf, sie zu lockern, solang wie nötig ohne Neues einzubauen. Wenn es gut läuft, dann versuche ich bekanntes erneut abzufragen und immer wieder die Rittigkeit zu überprüfen, bis ich es als richtig empfinde, etwas Neues zu machen“, versuchte ich meinen Plan, den ich mir bereits seit heute früh überlegt hatte, zu erläutern. Wieder machten Leute an der Bande Notizen, bis sie sich bedankten und mich mit der Stute erst mal in der Halle in Ruhe Abreiten ließen. Auch meine Lunge dankte mir, dass ich nun fertig war. Durch meine Adern raste das Adrenalin und ich fühlte mich wie auf Droge, was ich ziemlich vermisste. Ja, es war keine gute Zeit und auch nie die richtige Entscheidung, aber der Rausch ließ mich vergessen – so wie jetzt. Ich saß nur auf dem Pferd, konzentriert darauf, alle von meinem Können zu beeindrucken, auch wenn Lubi den größten Teil von selbst machte. Bis auf meine Anhängsel verschwanden alle.
      “Kaum zu glauben, dass du letzten Monat noch mit deinem Isländer im Kreis geritten bist, ohne irgendwas tun zu müssen”, lachte Niklas. Ja, ja. Wieder mal diese Vorurteile, dass man beim Gangreiten nur auf der Ovalbahn tölten würde, ohne sich über das Reiten Gedanken machen zu müssen. Solch spitze Kommentare konnten nur von ihm stammen.
      “Stimmt, ich habe nur meine Runden gedreht im Tölt, schließlich hat Glymur nur einen Gang”, schnaubte ich und strich der Stute über den nassen Hals. Fredna war die ganze Zeit über ruhig und beobachtete gespannt, wie Lubi durch den Sand flog. Obwohl sie sonst immer schlechte Laune in meiner Gegenwart hatte, wirkte sie plötzlich glücklich. Vermutlich würde auch sie in einigen Jahren ihrem Vater den letzten Cent aus der Tasche klauen, nur um Karriere im Reitsport zu machen. Für Erik hoffte ich, dass er emotional so stabil war, das auszuhalten. Ob ich dann überhaupt noch in ihrem Leben existierte, stand wohl noch in den Sternen. Ich wünschte es mir, denn so könnte ich ihm viel Last von den Schultern nehmen. Er hatte es nicht verdient, in ein erneutes Loch zu fallen, obwohl ich die Gründe dafür nicht einmal kannte. Jetzt wieder in den Gedanken zu verfallen, mit wem ich da eigentlich zusammen war, versaute den Moment. Deswegen versuchte ich positiv zu bleiben.
      Langsam aber sicher war die kahl rasierte Stute trocken und ich lief zurück. Lina verschwand mit den anderen in dem Stall der Ponys, denn Niklas hatte überraschender Weise versprochen, dass Fredna auf eins dieser sitzen dürfte. Da leuchteten ihre Augen, was auch Erik glücklich machte.
      “Willst du wirklich nicht mitgehen?”, fragte ich ihn, als er den anderen beiden nur nachsah und bei mir stehen blieb. Trymr kam schwanzwedelnd angetrabt, setzte sich höflich zu mir, aber erwartete dennoch ausgiebig gestreichelt werden. Die Stute stupste auch den Hund am Kopf an. Die beiden verstanden sich auf Anhieb, würde ich behaupten.
      “Nein, ich bin deinetwegen hier und die schaffen das”, grinste er und berührte vorsichtig den Nasenrücken von Lubi, als wäre es eine heiße Pfanne, an der man sich in nächsten Moment verbrennen würde. Zu sehen, dass er sich wirklich bemühte mit einer Sache in Kontakt zu treten, die ihm Angst einjagte, berührte mich. Tatsächlich griff er nach meiner Hand, als es zum Stall ging, der Weg war kurz, aber wirkte mit ihm so vertraut. Zum Glück hatte ich ihn gefragt, ob er herkäme.
      Im Stall setzte sich Erik auf eine der Bänke, während ich die Bandagen vorsichtig entfernte. Für Bilder waren die Dinger ein Hingucker, aber zum Reiten würde ich Fesselkopfgamaschen befestigen. Das bedeutete natürlich, dass ich welche in Olivgrün finden müsste, die orange Akzente haben. Vielleicht würde eine der Wühlkisten eine Überraschung für mich bereithalten! Herr Holm brachte die Futterschüssel in ihre Box und verabschiedete sich, denn er hatte noch einen Termin.
      „Tut mir leid Vriska, dass wir uns noch nicht vorgestellt haben“, sagte eine bekannte Stimme und ich drehte mich um. Hinter mir stand die ernst dreinblickende Dame von der Bande, nun deutlich entspannter. Tatsächlich lächelte sie sogar. Neben ihr stand ein Mann, der wohl ihrer sein wird. Höflich gab ich die Hand und hörte weiter zu.
      „Wir sind die Westerdahl. Uns gehört das Pferd.“
      „Annas Eltern. Wir wollen uns auch noch für den schlechten Start mit unserer jüngsten Tochter entschuldigen. Sie ist nicht einfach. Deswegen entschieden wir, dass sie mehr Energie in ihr anderes Hobby stecken soll. Das Eiskunstlaufen“, fügte Herr Westerdahl freundlich hinzu. Ich nickte nur.
      „Wir haben so viel Geld in die Ausbildung dieses Pferd gesteckt, deswegen soll es weiter im Sport laufen. Die Trainer baten wir, jemanden zu finden, der Lubi vorstellt. Und wir würden uns freuen, wenn du das tun könntest“, bot Frau Westerdahl an. Innerlich entbrannte ein Feuerwerk aus Gefühlen, dieses wunderbare Pferd sollte unter meiner Führung auf den Turnieren laufen. Also egal, ob ich zu den Ersatzreitern berufen werden sollte, ich konnte Lubi zunächst an meiner Seite haben. Glücklich bedankte ich mich tausendmal, dann drehten sich die beiden um und verließen den Stall. Jedoch drehte sich der Herr noch einmal um und sagte: “Du kannst Lubi natürlich mitnehmen. Wir kennen euren Hof und der ist zugegebenen Maßen besser ausgestatteter als dieser hier. Aber stell dich darauf ein, dass wir schauen kommen.” Herr Westerdahl war ziemlich freundlich. Wir sprachen noch ab, wie es ablaufen würde und er war sogar einverstanden damit, dass ich sie heute noch mitnahm. Nur das wichtigste sollte heute mitkommen, den restlichen Kram würde er in den nächsten Tagen vorbeibringen.
      “Bist du jetzt glücklich, mein Liebling?”, erkundigte sich Erik, der mit Trymr auf mich zukam. Hektisch nickte ich nur, denn mir fehlten wirklich die Worte. Dann legte ich meine Arme um seinen Hals, freute mich einfach, ihn bei mir zu haben.

      Niklas
      In dem Stalltrakt der Ponys schaltete ich das Licht, das mit einem Klirren erhellte. Neugierig streckten die Tiere ihre Köpfe durch die Öffnungen der Boxen. Die Kleine tapste ungeschickt durch den Stall und klammerte sich fest an meiner Hand. Dabei murmelte sie unverständlich, aber hatte es äußerst eilig zu endlich mehr Ponys zu sehen.
      > Vi har någon i din storlek
      ”Wir haben jemanden in deiner Größe”, lachte ich und führte sie zu Polka, die in einer der hintersten Boxen stand zusammen mit einer größeren Schimmelstute. Die beiden gehörten jemanden aus der Jugendklasse. Sie war offen dafür, wenn jemand etwas mit der gepunkteten Stute machen wollte. Somit war es die Chance für Fredna etwas zu reiten. Ich drückte ihr das Halfter in die Hand, ging in die Hocke und half dabei Polka aufzuhalftern. Das Stütchen wieherte in höchsten Tönen, konnte es gar nicht abwarten aus der Box hinauszudürfen. Währenddessen versuchte ich herauszufinden, was die Kleine bereits alles wusste und sich auch ausdrücken konnte gegenüber den Pferden. Lächelnd sah ich zwischendurch zu Lina, die von einem der Ponywallache an der Schulter besabbert wurde und die Situation sichtlich erheitern empfand. Sie strahlte über das ganze Gesicht und schob ein Leckerli nach dem anderen in das Pony neben ihr hinein.
      > Vad heter ponnyn?
      „Wie heißt das Pony?”, stammelte Fredna heiter und bürstete noch immer dieselbe Stelle am Hinterbein, wie die vergangenen Minuten.
      > Hon heter Polka.
      „Sie heißt Polka”, antwortete ich langsam und zeigte ihr, dass das Pferd auch an anderen Stellen sauber werden sollte. Wirklich dreckig war sie nicht, aber trotzdem erklärte ich ihr möglichst simpel, welche Stellen am Körper besonders sauber gemacht werden sollten, damit es zu keiner Verletzung kommt.
      Als ich das Sattelzeug holte, passte Lina wieder auf meine Nichte auf. Dass dieser Typ es wirklich schaffte, so ein niedliches Kind in die Welt zu setzen, verunsicherte mich seit je her. Natürlich trug auch Moa ihren Teil dazu bei. Blöderweise hatte ich die beiden damals einander vorgestellt und ziemlich schnell wurde mehr daraus. Das praktisch genau das wieder passierte, musste wirklich mein Schicksal zu sein. Ich wusste einiges aus der Zeit der beiden, was vermutlich auch daran lag, dass ich sehr neugierig war. Es ging mich nichts an, aber Moa war offen und sehr gesprächig, plauderte gerne aus dem Nähkästchen, was ich mir zunutze machte.
      In dem Chaos dieser Sattelkammer fand ich den Kindersattel der kleinen Stute nicht, aber ein dickes Pad und einen Longiergurt mit Griff, was für Fredna reichten würde. Als ich wieder kam, begann sie herzlich zu lachen. Mir wurde warm ums Herz.
      “Es ist schon ziemlich unfair”, sagte ich zu Lina und wechselte Frednas Pudelmütze gegen einen Reithelm.
      “Wovon sprichst du? Was ist unfair?”, fragte sie sanft nach und kraulte dabei die flauschigen Ohren der kleinen Stute.
      “Oh, habe ich das laut gesagt? Ich denke gerade darüber nach, wie jemand, wie Erik so ein tolles Kind haben kann. Sie ist fabelhaft”, sprach ich aus. Fredna verstand uns sowieso nicht, also konnten wir offen sprechen. Gleichzeitig hob ich sie vorsichtig auf den Rücken und drückte ihr die Zügel in die Hand, die ich am Halfter fest machte. Fröhlich lachte sie wieder und bedankte sich sogar. Dann begann die Reise nach draußen.
      “Ja, das ist sie, so ein zauberhaftes Kind. Die guten Gene müssen wohl in der Familie liegen, deine Kinder werden sich auch mal so toll”, lächelte Lina warm.
      “Erinnere mich nicht daran, dass der zur Familie gehört. Es reicht schon, dass er uns immer mehr auseinandertreibt. Und Kinder, vermutlich wohl nicht mehr”, gab ich zu bedenken. Während Lina noch nach einer Antwort suchte und verloren in der Weltgeschichte sich umblickte, musterte ich Fredna, die außergewöhnlich sicher auf dem Rücken des Pferdes saß. Ihre kleinen Beinchen hingen auf dem Pad, aber ihren Rücken streckte sie gerade nach hinten, hielt sich gleichzeitig noch an dem Griff des Gurtes fest. Ich half ihr, die Zügel etwas mehr in die kleinen Hände zu nehmen und das Gleichgewicht zu finden. Schon nach einigen Metern saß sie sicher, ohne den Griff zu halten. Lina hatte sich auf der anderen Seite positioniert, um sie gegebenenfalls abzufangen. Runde um Runde drehten wir über den Platz, der mit Schnipseln bedeckt war und an uns fegte kalte Luft entlang. Ich hätte mir die dickere Hose anziehen sollen, auch meine Füße kühlen langsam ab. Die Müdigkeit trug wohl den Rest dazu bei, denn ich hatte meiner Freundin noch nicht erzählt, dass ich nach dem Geburtstag ihres besten Freundes nur noch etwas gegessen habe zu Hause und eine halbe Stunde bereits um drei Uhr dreißig mich zum Dienst meldete. Schichtbeginn war vier Uhr, somit habe ich seit mehr als einem Tag nicht geschlafen. Die Reaktionsfähigkeit ließ langsam wirklich nach, obwohl zwei meiner Getränke reine Pre-Booster waren mit jeweils hundertfünfzig mg Koffein, äußerst ungesund, aber anders hielt ich mich nicht mehr wach.
      “Wohl nicht mehr? Was redest du da eigentlich? Du bist gerade einmal sechsundzwanzig, aber klingst, als wäre dein Leben schon nahezu vorbei.” Verwirrt blickte sie mich an.
      “Mit dir habe ich doch alles, was ich brauche”, schmunzelte ich. Der Wind kroch immer mehr unter meine Kleidung und erreichte nun auch den nasskalten Schweiß auf meinen Rücken, der sich schon bei dem bloßen Gedanken an Kinder mit ihr ergoss. Ich wusste nicht, ob sie welche wollte oder für so viel bereit war.
      “Ach, du bist süß”, lächelte sie verlegen und ich bemerkte, wie ihre Ohren rot wurden. Mir war es immer noch ein Rätsel, warum sie sich mit Komplimenten so schwertat. Plötzlich kreischte Fredna freudig, als Polka ein wenig übermütig antrabte. Sofort hatte Lina die Hand am Zügel und bremste das Pony wieder aus.
      > Även om det är roligt kan du inte vara så högljudd med en ponny, Fredna. Hästar är rädda för buller.
      „Auch wenn es Spaß macht, bei einem Pony darfst du nicht so laut sein, Fredna. Vor Lärm haben, Pferde nämlich Angst”, erklärte sie dem Kind sanft. Mit großen Augen nickte das kleine Mädchen und fragte, ob sie noch mal schneller reiten dürfte. Sie wirkte so sehnsüchtig, zum gleichen Teil auch frei und unbeholfen. Manchmal wünschte ich mir auch noch einmal so naiv sein zu können.
      > Ja, förstås, men håll ut och kom ihåg att vara tyst
      ”Ja klar, aber halte dich fest und denke daran, schön leise bleiben”, erwiderte sie dem Kind und trabte das Shetty langsam an, nachdem sie sichergestellt hatte, dass Fredna sich festhielt. Für ihr Alter saß die Kleine erstaunlich sicher auf dem Rücken des Ponys. Lina wirkte so vertraut im Umgang mit dem Kind umging, als würde sie das jeden Tag machen. Freudestrahlenden kam sie nach einer halben Runde wieder zurück mit meiner Nichte.
      „Lina, ich habe eine Bitte an dich“, setzte ich nach einem Moment der Stille an. Aufmerksam drehte, blickte sie hoch zu mir. In dem kalten Licht der Fluter leuchteten ihren Augen noch mehr als sonst. Kurz erstarrte mich, verlor mich in Gedanken und kam erst durch Frednas Jammern wieder in der Wirklichkeit an. Linas sonst so guten Zöpfe, sahen zerfetzt aus und durcheinander, als wäre der Tag kein leichter gewesen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie schwer sie es haben musste und vor allem mit mir, jemanden, der zwar gern ihn ihrer Nähe war, aber lieber auf Abstand blieb. Abstand, den ich brauchte, um nicht verletzt zu werden.
      „Pass auf Fredna auf … und vor allem auf Vriska, tust du mir den Gefallen?“, bat ich sie hochachtungsvoll, meinte sonst so souveräne Stimme zitterte bei einigen Worten. Als wusste ich nicht genau, was ich damit bezwecken wollte.
      “Ja, natürlich”, bestätigte sie verständnisvoll. Ich setzte Fredna am Boden ab. Nach der kleinen Trabeinlage führten wir sie noch zwei Runden, bevor es zurück in den Stall ging. Langsam schwand ihre Konzentration und an den kleinen Beinen begann sie zu zittern.
      „Ich meine das ernst, verstehst du? Wirklich. Es ist gefährlich“, gab ich erneut zu bedenken. Erik hatte sich in wirklich ernsthafte Schwierigkeiten gebracht, zumindest wenn man es als Außenstehender betrachtet und Vriska zog er hemmungslos mit hinein. Ich musste dafür sorgen, dass sie sich von ihm abwendete, auch wenn es nur eine Möglichkeit dafür gab. Bei dem Gedanken daran, gefiel mir die Idee ganz gut, doch als es komplett vom Hirn verarbeitet wurde, konnte es kein gutes Ende haben – Für uns beide.
      „Was ist gefährlich? Ich verstehe nicht warum …, aber wenn es dir so wichtig ist, werde ich definitiv mein Bestes geben“, antworte Lina irritiert, aber aufrichtig. Mich beschlich dennoch das Gefühl, dass sich meine Angst nicht für voll nahm, was vermutlich auch an meinem monotonen Tonfall lag, den ich besonders bei unangenehmen Situationen aufsetzte.
      „Er ist in seltsamen Kreisen unterwegs, sonst hätte Moa ihn nicht verlassen“, gab ich zu bedenken. Natürlich verstand Fredna, dass das der Name ihrer Mutter war. Ihr Gesicht begann zu strahlen und sie wurde hektisch. Keine gute Idee, denn Moa befand sich gerade in Japan und das noch für mindestens acht Wochen. Vielleicht verspürte ich auch deswegen dieses Gefühl, die beiden vor Schaden schützen zu müssen.
      „In seltsamen Kreisen …?“ Lina standen die Fragezeichen geradezu ins Gesicht geschrieben. Fredna begann nun quengeln nach ihrer Mutter zu fragen, die sonst eher wortkarg war und vor allem die Pferde im Satzsalat platzierte.
      “Ein Kult, wenn das so bezeichnen kann. Meine Familie ist da seit Jahrhunderten Mitglied und …”, für einen Moment stoppte ich, denn nicht nur Fredna wollte plötzlich auf meinen Arm, sondern auch Linas Blicke wurden eindringlicher. Sie brachte das Pony weg, während ich bestmöglich versuchte meine Nichte zu beruhigen.
      „Bis auf Opa und mir, sind da alle drin. Also aus meiner Familie. Und wie du bereits bemerkt haben wirst, mein kleinster Bruder und auch Ju hat es dorthin verzogen, in den extremen Kreis. Aktuell finden irgendwelche Rituale im Norden statt. Wir reden in einer ruhigen Minute mal drüber“, beendete ich das Thema, denn ich vernahm Vriskas Stimme, die mir wie ein Dolch in Bauch stach. Sie mit diesem zu sehen, so glücklich, konnte ich nicht zu lassen. Während Lina nur besorgt langsam nickte, brachte ich das Sattelzeug zurück in die Kammer. Einer der Eimer neben der Eingangstür flog im hohen Bogen durch den Raum und kam mit einem lauten Poltern auf dem kalten Betonboden auf.
      „Alles gut?“, fragte Lina beinah ängstlich. Ihre Worte zitterten, als wollte sie keine ehrliche Antwort bekommen.
      „Ja“, rief ich aufgesetzt freundlich und stellte das Ding zurück an seinen Platz, als das Sattelzeug zurück an seine Herkunft kam. Die Wut brachte mein Blut zu brodeln. Selten verspürte ich einen Rausch der Gefühle, zumindest nicht in dieser Art. Meistens hatte ich mich gut im Griff, neigte nur die eigene Perspektive als die richtige anzusehen, was wohl in der aktuellen Situation seinen Teil dazu beitrug. Ich kannte meinen Halbbruder nur bedingt, wusste, dass er ziemlich kalt sein konnte und distanziert, handelte nur im eigenen Interesse. Warte, halt. Somit verhielt ich mich auch wie er? Nein. Vriska war zerbrechlich, sensibel und argwöhnisch, und konnte äußerst heftige Stimmungsschwankungen haben.
      „Danke, dass ihr Fredna diese Möglichkeit gegeben habt“, bedankte sich Erik höflich mit einem breiten Lächeln, dass mir äußerst ironisch vorkam. Misstrauisch blickte ich zu ihm, nickte nur und stellte das Pony zurück in die Box.
      „Hilft mir jemand beim Verladen?“, fragte Vriska und ließ von Eriks Hand ab. Er sah kurz zu ihr, ehe er sich seiner Tochter widmete, die noch ihre Mutter sehen wollte. Tja, das hatte er versaut, wie so vieles.
      „Ich“, antwortete ich möglichst distanziert. Im selben Moment sahen sich Lina und Erik äußerst besorgt an, während Vriska loslief und die Handschuhe wieder über ihre knöchernen Hände zog. Ich folgte schnellen Schrittes, ohne auf den stummen Protest meiner Freundin einzugehen.
      „Soll ich reinfahren?“, fragte Vriska schließlich, als wir an dem Berg an Equipment standen, der sich vor Glymurs Einzelpaddock türmte. Wie kommt man so viel Kram besitzen für nur ein Pony, dass einem nicht gehörte? Einerseits freute ich mich, dass ich sie nicht mehr hier sehen würde so häufig, denn ich konnte mich dann besser auf die Beziehung mit Lina konzentrieren. Andererseits käme auch die Zeit, in der wir viele gemeinsame Aktivitäten haben würden, wenn die Turniersaison wieder ihre Vollen ausschöpft. Ich hoffte, dass ich dann mir im Klaren war, was ich wollte.
      „Wenn du das schaffst“, schmunzelte ich. Sie schnaubte und wühlte nach dem Autoschlüssel. Ich öffnete unterdessen das Tor. Galant stieg sie in das große Fahrzeug, ohne den Tritt zu verwenden. Obwohl die Autotür die Sicht versperrte, konnte ich mir bildlich vorstellen, wie ihre langen hellen Haare einen kleinen Sprung machten und sich ihr Po äußerst prachtvoll nach hinten bemerkbar machte. Der Schnitt ihrer Hose tat dabei den Rest. Stopp, ich sollte aufhören darüber nachzudenken.
      Aggressiv brummte das riesige Auto auf. Dann drehte Vriska auf dem Parkplatz und fuhr rückwärts auf das Gelände ein. Sie in so einem großen Ungetüm verwunderte mich dennoch ein wenig, denn man verlor sie beinah darin. Sie räumte alles ordentlich weg. Ich packte in der Zeit Lubi in der Box ein mit einer Decke und passenden Gamaschen. Dass Vriska nun diesen Riesen reiten würde, hätte ich mir keiner Welt vorstellen können. Doch das passierte wirklich, erinnerte ich mich. In der vergangenen Woche war bereits jemand da, aber sie kam überhaupt nicht mit Lubi klar, obwohl sich dieses Pferd alles andere als schwierig zeigt. Lubi wurde idiotensicher ausgebildet von Herrn Holm und auch ich ritt sie ziemlich häufig in der Anfangszeit. Aus der ängstlichen untergewichtigen Stute, die man für einen Spottpreis erworben hatte, kristallisierte sich ein selbstbewusstes Pferd heraus, dass enormes Potenzial in der Dressur zeigte. Leichtfüßig schwebte sie über den Platz, ein Pferd, auf das man sich in der jeder Situation verlassen lassen konnte, außer es lag ein Gartenschlauch in der Nähe.
      Ich führte sie heraus. Mit großen Schritten lief Lubi neben mir her, kaute genüsslich und spitzte die Ohren, als sie den Hänger sah. Etwas übermütig tänzelte sie. Dann legte ich den Strick auf ihren Rücken. Selbstständig stieg Lubi die restliche Rampe hinauf auf der Fahrerseite und widmete sich dem Heunetz. Vriska sah verblüfft im Wechsel zur Stute und zu mir.
      „Ein Traum“, schwärmte sie dann und holte Glymur vom Paddock. Bis auf Glocken an den Vorderhufen trug er nichts. Noch bevor ich eine gekonnte Antwort geben konnte, riss mich mein Handy aus den Gedanken. Für gewöhnlich vibrierte es nicht und nur wichtige Kontakte bekamen eine Ausnahme. So auch meine Mutti:
      > Vi kommer att få besök senare. Vill du laga mat eller ska Fjona göra det? Kyss.
      „Wir bekommen nachher noch Besuch. Möchtest du kochen oder soll Fjona das übernehmen. Kuss“, fragte sie diskret nach. Eigentlich wäre wieder mal Zeit, dass ich koche! Aber was für ein Besuch sollte das sein, der mitten in der Woche bei uns zum Essen käme?
      > Jag ska laga mat
      „Ich werde kochen“, tippte ich. Prompt kam schon eine Antwort.
      > Det är trevligt, men jag kommer inte att vara där. Varför frågar du inte din flickvän om hon också vill följa med?
      „Das ist schön, aber ich werde nicht dabei sein. Warum fragst du nicht deine Freundin, ob sie mitkommen will?“, schlug sie vor. Wenn Mama nicht dabei sein würde, bedeutete es, dass es Vaters Besuch sei. Meine Motivation zu kochen verflog im Winde, der kalt um meinen Nacken zog.
      > Låt oss se
      „Mal sehen“, verfasste ich als letzte Nachricht, bevor ich Vriska zu Hilfe eilte. Glymur weigerte sich kategorisch die Klappe zu betreten. Er stemmte seine Beine in den Boden und blieb wie angewurzelt auf dem Beton. Ich nahm ihr den Strick ab, führte ihn einige Meter den Weg entlang und führte ohne nach hinten zu schauen ihn auf die Klappe. Diesmal konnte man zumindest erahnen, wo es hingehen sollte, aber es hinderte den Schecken nichts daran, auch bei mir auf dicke Hose zu machen. Sowas liebte ich, dickköpfige Ponys, die nicht in den Hänger stiegen. Mit einem innerlichen Mantra erinnerte ich mich daran, dass das Pferd keine Schuld traf, sondern das fehlende Training an dem Problem. Viele Male setzte ich neu an, brach vorzeitig ab, damit er nicht wusste, ob ich nun hineingehen wollte oder nur daran vorbei. Mit dieser Technik gelang es mir nach geschlagenen zwanzig Minuten ihn auf die Beifahrerseite zu bekommen. Auch Glymur schnappte sich direkt das Heunetz und flirtete etwas mit der Stute, die ihm keines Blickes huldigte.
      “Bitteschön”, grinste ich provokant, nach dem Vriska nur regungslos dastand und nicht mal eine Höflichkeitsfloskel aussprach.
      “Du bist mein Held, danke”, sagte sie nun doch und lachte dabei. Ich wusste es. In dem Moment kamen auch die anderen dazu.
      “Interessant, dass man dich schon mit dem Verladen eines Pferdes beeindrucken kann”, überheblich trat der Lackaffe in den Vordergrund und führte seinen zumindest genauso arroganten Hund neben sich. Lina schien nicht so sicher zu sein, was das für eine Konversation werden sollte und schwieg.
      “Der wollte eben nicht rein”, wunderte sie sich über ihn und öffnete das Auto, einer nach dem Anderen verschwand im Fahrzeug, bis nur noch Lina vor mir stand. Sie wirkte unsicher, als würde sie nicht, was sie auf dem Hof zu suchen hatte. Obwohl ihre Augen ganz klar in meine Richtung sahen, starte sie vielmehr in die Leere. Langsamen Schrittes lief ich auf sie und lege ich sanft meine Hände auf ihrer Taille ab. Erst jetzt regt sich etwas.
      “Du musst nun gehen mein Engel”, schmunzelte ich und setzt einen Schmollmund auf.
      “Ähhm, ja sieht wohl danach aus”, murmelte sie und blickte nun wieder mit klaren Augen an. “Ich wünschte mir, ich könnte noch länger bei dir bleiben. Wir sehen uns immer nur so kurz”, fügte sie mit einem schwachen Lächeln hinzu.
      “Wir bekommen nachher Besuch zum Abendessen, wenn du möchtest, lasse ich dich abholen”, schlug ich vor.
      “Das ist ein echt netter Vorschlag, aber ich habe Vriska bereits versprochen, dass ich heute Abend auf Fredna aufpasse”, seufzte meine Freundin ein wenig betrübt. Langsam nickte ich und legte meine Hand an ihr Kinn, um es vorsichtig nach oben zu schieben. Ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen.
      “Ich werde sehen was ich tun kann diese Woche”, versuchte ich sie aufzumuntern und griff routiniert in meine Hosentasche, um mein Handy herauszuziehen. Ich wendete den Blick von ihr und starrte auf dem zu hellen Display. Noch immer hatte ich Joanna als Hintergrundbild, wie sie auf meinem Herzenspferd posierte. Vielleicht wäre es Zeit, ein anderes Bild zu wählen. Dann entsperrte sich das Gerät und aus der Galerie suchte ich den aktuellen Dienstplan. Wir hatten eine Art Dienstreise nach Malmö für zwei Tage, die ich nicht nur vergessen hatte, sondern bewusst verdrängt. Um fünf Uhr war Treffpunkt am Standort, somit würden die nächsten Tage nicht zur Verfügung stehen, aber danach hatte ich frei, denn am Wochenende wurden wir eingeteilt bei einem Fußballspiel präsent zu sein.
      “Wenn du möchtest gehen wir Freitag zusammen Ausreiten und dann lade ich dich ein. In Torsås gibt es eine wunderbare Pizzeria. Wir fahren ein Stück dafür, das lohnt sich”, bot ich freundlich an und steckte mein Handy zurück.
      “Freitag ist super, das klingt ganz hervorragend.” Ein freudiges Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus und brachte ihre Augen zum Strahlen.
      “Dann schreiben wir noch mal, morgen muss ich nach Malmö für zwei Tage”, informierte ich sie noch flüchtig und drückte meine Lippen auf ihre. Der Kuss war weit entfernt von brennender Lust und Begierde, viel mehr handelte es sich um eine Handlung aus Prinzip, die kurz anhielt und nun mal zu einer Beziehung gehörte. Schneller als es mir lieb war, entfernte sich Lina von mir und stieg auf der Rückbank ein. Sehnsüchtig sah ich dem davonbrausenden Gespann nach, bevor es zum Training ging. In einer halben Stunde würde ich ersten der Jugendtruppe kommen, um in der Halle von mir Unterricht zu bekommen. Schnellen Fußes lief ich zum Haus und zog mich um.

      Lina
      Im Auto herrschte eine seltsam gedämpfte Stimmung. Vriska starrte konzentriert auf die Straße und reagiert nur reserviert auf Eriks Kommunikationsversuche, bis nur noch unangenehmes Schweigen zwischen den beiden herrschte. Immerhin war Fredna eingeschlafen, weshalb keine Disney Song aus dem Radio dudelten. Das einzige Lebewesen in diesem Auto, was halbwegs erquickt, wirkte, war Trymr. Unaufhörlich versuchte der gigantische Hund auf meinen Schoß zu krabbeln, was weder das Platzangebot des Autos, geschweige denn dem meines Schoßes hergeben würde. Ganz abgesehen davon, dass das Ungetüm auch viel zu schwer für solche Faxen war. Der Hund und ich schlossen schließlich den Kompromiss, dass er seinen Kopf auf meine Beine legen durfte, der Rest von ihm aber blieb, wo er hingehörte. Eigentlich war froh über die Gegenwart des Hundes, denn sein fusseliges Fell unter meinen Fingern, fand ich ungemeinen hin beruhigend. Von außen betrachtet könnte man meinen, dass dieser Nachmittag ziemlich gut verlaufen war. Vriska hatte ihr Vorreiten gemeistert, ich hatte meinen Freund gesehen und Frednas unstillbare Sehnsucht nach Pferden konnte zumindest für ein paar Stunden gestillt werden. Es fühlte sich allerdings nur bedingt an, als sei alles perfekt gelaufen. Irgendetwas an diesem Tag verunsicherte mich. Verzweifelt versuchte ich zu verstehen, wo dieses Gefühl herkam, was der Auslöser dafür war. Aber je mehr ich darüber nachdachte, umso frustrierender wurde es, ich kam einfach nicht an die Lösung. Resigniert starrte ich aus dem Fenster, wenn nicht mal ich mich verstand, würde das wohl niemand können.
      Draußen flog die in die Dämmerung gehüllte Landschaft vorbei. Sobald wir den Highway verließen, kam uns kaum noch Autos entgegen, nur hier und da leuchtete ein Licht durch ein Fenster, die restliche Umgebung lag verlassen dar. Nicht mal Tiere schien in den abendlichen Wäldern unterwegs zu sein. Auf einmal hatte anstatt der Schnauze eine Pfote auf dem Bein liegen. Genervt wollte ich die Pfote wegschreiben, da ich dachte, Trymr wollte wieder anfangen auf meinen Schoß zu krabbeln, doch da sah ich den Blick des Hundes. Mit leicht angelegten Ohren sahen mir große, bekümmerte Hundeaugen aus dem schmalen Gesicht entgegen. Der sensible Vierbeiner hatte wohl meine Stimmung wahrgenommen und versuchte irgendetwas dagegen zu unternehmen. Ein klein wenig musste ich schmunzeln, als der Hund mich nun mit einem Stupser seiner Schnauze aufforderte ihn zu streicheln. Man könnte fast glauben, jemand hätte Divine genommen und ihn in ein Hundefell gepackt, denn genau das war es, was mein Pferd auch immer tat. Der graue Hund stellte sich lediglich ein wenig geschickter dabei an. Sanft strich ich dem Hund über den Kopf, unfassbar wie genau die Tiere uns Menschen lasen.
      Monumental tauchte der Hof in der Ferne auf. Die modernen, leuchtenden Gebäude bildete einen eigenwilligen Kontrast zu der den Hof umgebenden Natur, die nur noch dunkle Silhouetten erkennen ließ. In den letzte 3 Wochen war ich noch nie so froh gewesen diesen Hof zu sehen, denn es bedeutete der negativen Stimmung in diesem Auto entfielen zu können.
      Kaum stand das Auto, riss ich auch schon die Tür auf, um das Gefährt zu verlassen, gefolgt von einem gigantischen grauen Schatten. Erwartungsvoll stand der Hund vor der Fahrertür und wartete, dass sie sich öffnete. Frösteln stand ich neben ihm und zog den Pulli enger um mich herum. Es fühlte an, als sei es noch kälter geworden als vorhin. In dem Moment, wo sich die anderen Autotüren öffneten, ließ eins der Pferde ein ungeduldiges Wiehern auf den Hänger hören, von irgendwo her ertönte auch sogleich eine Antwort.
      Noch bevor Trymrs Herzenswunsch in Erfüllung ging, stieg Erik aus dem Wagen und legte mir kommentarlos seinen Mantel über die Schultern. Dann begann das Geheule des Hundes, als auch sie endlich die Tür öffnete. Mit einem Wort unterbrach das Herrchen seine Freude, denn Fredna schlief noch immer im Auto und niemand wollte sie wecken, wofür es genügend Gründe gab.
      “Soll ich dir beim Ausladen helfen?”, stellte ich Vriska die wohl unnötigste Frage überhaupt, um das unangenehme Schweigen zu brechen. Der Hund stand mit aufgeregt pendelnden Schwanz neben ihr und bemühte sich seine Freude leise auszurücken, bekam dafür aber keinerlei Beachtung.
      “Das wäre super, ich schätze beide müssen in den Stall. Vorher müssen wir noch eine weitere Box einstreuen, denn mit solch hohem Besuch wie Lubi, hatte ich heute nicht mehr gerechnet und …”, Vriska stoppte mitten im Satz und sah auch wieso. Tyrell kam zu und musterte die gesamte Situation ausgiebig.
      “Kann mir einer verraten, was das hier werden soll?”, neigte er seinen Kopf von der einen Seite zur anderen. Seine Stimmte hatte etwas Mächtiges, beinah Angsteinflößendes, wenn er nicht lächeln würde wie ein Honigkuchenpferd. Mir fehlten die Worte, denn was wusste ich schon. Glücklicherweise trat Vriska direkt in den Vordergrund und erklärte ihm alles. Am Anfang dachte ich, gleich würde einer von uns die Kartoffeln von unten wachsen sehen, doch dann bot er sogar seine Hilfe an und lief zurück in den Stall und streute für den Ehrengast extra die großen Späne.
      “Versprich mir nur eins, Vriska”, sagte er noch, “Bleib wie du bist und denk dran, wo du herkommst.” Dann verschwand er im Dunkeln. Dass Erik ihn bei dem ganzen Gespräch misstrauisch beäugte, entging mir nicht.
      Während ich mich an der Hängerklappe zu schaffen machte, fragte ich: “Laden wir Glymi oder Lubi zuerst aus?”
      “Glymur natürlich, für den ist schon alles vorbereitet und ich habe mit Kreide seinen Namen auf das Boxenschild geschrieben. Du findest das schon”, sagte Vriska überzeugt und schob den Hengst langsam hinaus, nach dem ich noch die Stange entfernte und im sicheren Abstand zur Klappe platzierte. Ich nahm den Strick des Schecken entgegen und führte ihm zum Stall. Ein wenig aufgeregt aber brav tippelte er neben mir her. Neugierig blickten mir zahlreiche Pferdeköpfe entgegen. Auch Glymur spitzte seine Ohren, blieb stehen und ließ ein kräftiges Wiehern hören.
      "Na komm", sprach ich zu dem Isländer und zupfte an seinem Strick, "da wartet eine schöne Box mit leckerem Heu auf dich." Tatsächlich setzte sich das Pferdchen wieder in Bewegung und folgte mir in die Box. Neugierig ging der Hengst ein paar Mal im Kreis, bevor er begann am Heu zu knabbern. Sein Halfter hängte ich vor seine Box, bevor ich zu den anderen beiden zurückkehrte.
      “Lina, wollen wir Fredna schon mal zu euch hochbringen? Vriska schafft das sicher hier ohne uns”, schlug Erik entschlossen vor und wartete meine Antwort nicht einmal ab. Langsam öffnete er die Seitentür und hob seine schlafende Tochter aus dem Kindersitz. Sie rührte sich nicht, aber war ganz klar tief am Schlafen. Vriska stand nur da und machte mehrere tiefe Atemzüge, ehe sie sich kopfschüttelnd von uns abwendete und Lubi aus dem Anhänger holte. Was war das denn wieder für eine Aktion? Auch ich schüttelte mit dem Kopf. Das ganz nachzuvollziehen probierte ich lieber gar nicht erst, würde es mir vermutlich ohnehin ein Rätseln bleiben.
      Mit einem leisen Seufzer setzte ich mich in Bewegung, lief mit Erik, dem natürlich auch Trymr folgte, zu meiner Wohnung. Kaum hatte ich die Tür aufgeschlossen, quetschte sich der Hund begeistert hindurch, noch bevor sie ganz offen war.
      “Ich sehe, du hast Besuch mitgebracht”, begrüßte meine Schwester uns freundlich. Wie selbstverständlich hatte Trymr sich mit auf das Sofa begeben und tat nun alles dafür, dass ihm jemand den Bauch kraulte. Er rollte dabei so schnell herum, dass ich dachte, dass er gleich vom Sofa fiel.
      “Komm doch rein”, wand ich mich freundlich an Erik, der im Gegensatz zu seinem Hund auf eine Einladung wartete, und trat beiseite, damit er eintreten konnte.
      “Dankeschön”, trat er ein und musterte alles sehr genau, “Ich sehe schon, Trymr wird kein Problem haben, auch hier bleiben zu dürfen? Um ehrlich zu sein, fahren wir zwar Essen, aber dort ist eine läufige Hündin und … Ich würde dem gern aus dem Weg gehen.”
      “Klar, kein Problem. Er scheint sich ja bereits häuslich eingerichtet zu haben”, erwiderte ich schmunzelnd. Hunde durfte man fast noch ein wenig lieber bei mir abgeben als Kinder, besonders dann, wenn sie so niedlich waren wie das graue Fusselmonster.
      “Wunderbar, ich weiß allerdings noch nicht, wann wir wieder da sein werden und ich möchte euch ungern mitten in der Nacht aus dem Bett jagen”, umschrieb er seinen Wunsch, seine Finger zitterten ein wenig, obwohl Erik sonst sehr sicher und gefestigt wirkte. Was auch immer es war, was ihn so aufwühlte, ein wenig Freiraum würde sicher nicht schaden.
      “Schon gut”, lächelte, ich ermunternd, “hol die beiden einfach morgen ab, wir kommen sicher miteinander klar.” Für eine Nacht würde ich mit einem Hund und einem Kleinkind schon klarkommen und schließlich war Juliett ja auch noch da.
      “Wenn doch etwas ist, ruf an”, sagte er und griff nach einer Visitenkarte aus seiner Brusttasche und legte sie auf dem Tisch ab. Zum Abschied strich er seinem Hund über den Kopf, der nur wehleidig nach oben blickte und bereits begriffen hatte, dass sein Herrchen nun wieder verschwinden würde. Fredna bekam einen liebevollen Kuss auf die Stirn und dann schloss er leise die Tür hinter sich. Alles, was von ihm blieb, war eine undefinierte Geruchsmischung von Pferd und Parfum, dass wie unangenehmer Cocktail in der Luft schwebte.
      Das immer noch schlafende Kind brachte ich ins Bett, dort würden wir sie am wenigsten stören. Sanft deckte ich das kleine Mädchen zu, nachdem ich ihr vorsichtig Jacke und Schuhe ausgezogen hatte. Unglaublich wie tief ein Kind doch schlafen konnte. Für einen Moment hielt ich inne und betrachte Fredna. Ihr Anblick war herzerwärmend, wie sie friedlich da lag mit ihrem Kuscheltier im Arm. Das kleine Mädchen sah schon fast aus wie ein kleiner Engel, ein Engel, welcher noch nichts wusste von all den bösen Dingen, die in der Welt lauerten. Dennoch musste die Kleine schon einiges miterleben, was ihr kindlicher Verstand noch gar nicht erfassen konnte. Eine Trennung war hart für ein Kind, gerade dann, wenn ein Elternteil plötzlich verschwand. Ich selbst war nicht viel älter gewesen, als meine Mutter mich verließ. Ich erinnerte mich nicht an viel aus dieser Zeit, kannte eigentlich nur das, was meine Geschwister von meiner Mutter erzählen und ihr Gesicht kannte ich nur von den wenigen Fotos, die existierten. Ich wusste lediglich, dass für mich eine Welt zusammenbrach, als ich verstand, dass meine Mutter nicht mehr zurückkehren würde und dass danach eigentlich alles falsch lief, was nur falsch laufen konnte. Umso dankbarer war ich meinen Geschwistern, besonders Juliett, dass sie mich auffingen. Ohne die beiden wäre ich vermutlich nicht der Mensch, der ich heute bin.
      Für Fredna wünschte ich mir wirklich von ganzem Herzen, das ihr Vater alles versuchen würde, um das beste aus der Lage zu machen. Ich hoffe was auch immer es war, was Niklas Sorgen bereitete, dass Erik den richtigen und vernünftigen Pfad einschlug, für Fredna und auch für Vriska. In diesem Moment spürte ich ganz tief in mir, dass ich alles mir Mögliche tun wollte, was dazu beitrug, dass es Happy End nehmen würde.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 77.010 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang September 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel sju | 2. Dezember 2021

      Einheitssprache // Sign of the Zodiac LDS // Avenue Shopper LDS // Northumbria // Lubumbashi // Form Follows Function LDS

      Lina
      Entspannt stand ich neben der jungen Stute und beobachtete wie sie das Gras ausrupfte. Zoi hatte heute hervorragend mitgearbeitet. Somit beendete ich das Training schneller als ich erwartet hatte und sie durfte noch ein wenig auf dem Grasstreifen neben Round Pen grasen. Heute war eigentlich ein ziemlich ruhiger Tag auf dem Hof. Erik und sein Mini-Me waren irgendwo in der Stadt unterwegs und Vriska lag seit gestern mit einer fetten Erkältung im Bett. Demnach, was ich Niklas Nachrichten hatte entnehmen können, war ihr Abend am Dienstag wohl noch ziemlich lang gewesen. Und zum Leidwesen meines Freundes, war das was Erik, Vriska und sein Vater veranstalten auch nicht gerade leise gewesen.
      “Oh Mist”, fluchte ich, als ich auf die Uhr blickte, “Zoi, wir müssen los!” Eigentlich sollte ich in zwei Minuten vor der Reithalle sein, um mich mit der Besitzerin, des Freibergerhengstes zu treffen. Schnellen Schrittes machte ich mit Zoi im Schlepptau auf den Weg zu ihrer Koppel und wollte sie zügig wegstellen, doch wie das so war, wenn man eilig hatte stellte sich etwas in den Weg. In diesem Fall war es ein Pferd. Avenue hatte sich genauso hinter dem Tor platziert, dass ich es zwar aufbekam, aber kein Pferd an ihr vorbeipasste.
      “Komm schon, Ave, jetzt bewegt dich.” Zentimeterweise ließ sich die Scheckstute tatsächlich wegschieben, sodass ich Zoi auf die Koppel stellen konnte.
      In Eile kam ich schließlich 5 Minuten zu später vor der Reithalle an, vor der bereits eine blonde Frau wartete. Sie sah ziemlich freundlich aus und schätzte sie ungefähr auf Ende dreißig, vielleicht auch ein wenig älter.
      > Du är säker fru Sjögren, ursäkta mitt dröjsmål.
      “Sie sind sicher Frau Sjögren, entschuldigen Sie bitte meine Verspätung”, begrüßte ich die Dame und schüttelte ihr höflich die Hand.
      > Det behöver du inte ursäkta, det är bara några minuter.
      “Sie brauchen sich nicht entschuldigen, es sind ja nur ein paar Minuten”, lächelte sie freundlich und bot mir sogleich das du an. Nach ein wenig Small Talk fragte sie auf einmal:
      > Du är faktiskt inte härifrån, eller hur? Jag har aldrig hört din accent här.
      “Du bist nicht von hier, oder? Ich habe deinen Akzent hier noch nie gehört.” Diese Frage irritierte mich ein klein wenig, war mir bisher nicht bewusst gewesen, dass sich mein Schwedisch so sehr abhob. Freundlich antwortete ich:
      > Nej, jag är ursprungligen från Finland.
      “Nein, ich komme ursprünglich aus Finnland.” Freundlich nahm Ilse dies zur Kenntnis und unterhielt sich ein wenig über meine Heimat. Auf dem Weg zu dem Paddock, wo der Hengst wohnte, erzählte sie bereits ein paar Dinge zu Einheitssprache und seinem Charakter. Dass der Hengst Bodenarbeit sehr zugetan sein sollte, gefiel mir dabei schon ziemlich gut. Die Konversation fiel mir nicht ganz leicht, noch immer war ich nicht ganz fit in der Landessprache. Je mehr schwedisch ich sprach umso häufige fiel mir auf, dass es Wörter zu geben schien, die sich stark von denen die ich in meiner Heimat gelernt hatte unterscheiden.
      > Hur kommer de till en Freiberger? Detta är inte exakt en ras som förekommer här ofta.
      “Wie kommen sie zu einem Freiberger? Dies ist nicht gerade eine Rasse, die hier oft vorkommt”, fragte ich freundlich nach. Diese Rasse war im Allgemeinen nicht sonderlich bekannt und ihr Herkunftsland lag jetzt auch nicht gerade um die Ecke.
      > Det här är en tillfällighet. På den tiden letade jag helt enkelt efter en bra vagnshäst och blev medveten om honom genom ett Online-erbjudande.
      “Das ist Zufall. Damals war ich einfach auf der Suche nach einem guten Fahrpferd und wurde durch ein Onlineangebot auf ihn aufmerksam”, erzählte die Frau, bevor sie eine Frage an mich stellte:
      > Har du erfarenhet av att köra vagn?
      “Hast du Erfahrung mit dem fahren?”
      > Lite.
      “Ein wenig”, lächelte ich aufgesetzt,
      > men det var länge sen.
      ”Aber es ist schon lange her.” Schon allein der Gedanken mich eine Kutsche zu näher jagte mir Schauer über den Rücken, seit dem Tag vor 10 Jahren hatte ich dies nicht mehr getan. Ich konnte nur inständig hoffen, dass nicht erwartet wurde, dass ich den Hengst tatsächlich vor eine Kutsche spannte.
      Mittlerweile waren wir an dem Paddock angekommen. Etwa in der Mitte des Auslaufes, stand der kräftige Freiberger. Außer einer hübschen, großen Blesse und weißen Hinterfüßen war er komplett schwarz, nur an Bauch, Maul und an den Hinterbeinen war es ein wenig heller und ließ erkennen, dass er eigentlich ein Brauner war. Sein langes dickes Langhaar war Rabenschwarz mit einem hübschen Verlauf ins Schokoladenbraune, darin niedliche kleine Zöpfchen. Ich war schier überwältigt. In echt sah der Hengst noch so viel beeindruckender aus, als auf den kleinen Bildchen die auf dem Zettel aufgedruckt waren. Ein Wunder, dass mir der Hengst bisher nicht aufgefallen war, wo er doch quasi vor meiner Nase stand.
      > Wow, verkligen en underbar kille. Han är en Urfreiberger, eller hur?
      “Wow, wirklich ein wunderbarer Kerl. Er ist ein Urfreiberger, nicht wahr?”, staunte ich noch immer. Ilse nickte anerkennend und fragte sogleich, woran ich das erkannt hatte. Freudig erklärte ich ihr die typischen Merkmale im Körperbau eines Urfreibergers, die bei ihrem Hengst sogar besonders deutlich ausgeprägt waren. Aus meiner Sicht war dies ein Pferd mit hervorragender Qualität, worauf sicher jeder Züchter stolz sein würde.
      Interessiert kam das Pferd an getrottet und streckte mir seine Nase entgegen. Erst jetzt fielen mir seine Augen auf, die hell aus dem dunklen Fell hervorstachen.
      > Hur vet du så mycket om Freiberger?
      “Woher wissen Sie so viel über Freiberger?”, fragte sie Besitzerin des Hengstes interessiert und reichte mir ein einfaches schwarzes Halfter, mit ein wenig Plüsch an Genick- und Nasenriemen.
      > Jag har själv en Freiberger, så jag är väldigt intresserad av denna ras.
      “Ich selbst habe einen Freiberger, daher interessiere ich mich sehr für diese Rasse”, erklärte ich. Ungeduldig schlug Einheitssprache mit dem Kopf. Unbeeindruckt von seinem Rumgehampel legte ich ihm das Halfter an und folgte Ilse zum Putzplatz. Während ich den Hengst putze, beobachte die Frau mich genau, wie ich mit der ungestümen Art zurechtkam. Im Anschluss schlug Ilse vor noch eine kleine Runde spazieren zu gehen, um sich noch einen besseren Eindruck machen zu können. Einheitssprache zeigte sich dabei nicht gerade als das wohlerzogenste Pferd. Er schubste mich frech an, versuchte mir den Strick aus der Hand zu klauen und begann zu drängeln, wenn es ihm zu langsam ging. Aber ganz so doof stellte ich mich offenbar nicht an, denn als wir dem Freiberger wieder wegbrachten, hatte ich den Job. Ich freute mich ein so wunderschönes Tier zu meinen Schützlingen zählen zu dürfen, auch wenn es mich davor graute, dass der Hengst bis Klasse S gefahren war. Wie für Freiberger üblich war er 3-Jährig zwar angeritten worden, hatte aber danach wohl nie wieder einen Sattel aus der Nähe gesehen, weshalb reiten wohl keine Option sein würde. Zum Glück besaß ich die Freiheit, den Hengst so zu unterhalten wie ich es für richtig hielt, denn Ilse ging es nur darum, dass er nicht den ganzen Tag nur auf dem Paddock rumstand. Irgendetwas würde mir sicher einfallen wie ich Einheitssprache beschäftigen konnte ohne in näheren Kontakt mit dem Fahrsport treten zu müssen.

      Vriska
      Nie wieder! Ich hatte mir geschworen nie wieder einen derartigen Absturz zu erleiden, aber aus unerfindlichen Gründen passierte es doch und es hatte einiges mit meinem körperlichen Zustand gemacht. Langsam bekam der Kaffee seine Wirkung und ich schaffte es einen klaren Gedanken zu fassen, zumindest so klar, dass realisierte, dass Trymr neben mir am Tisch saß und mit seinem Schwanz den Boden wischte. Mit weit geöffneten Augen sah er an mir hoch und brummte wehleidig.
      „Willst du raus?“, fragte ich vorsichtig. Verwundert drehte er schräg den Kopf von links nach rechts. Ach ja, der Hund versteht kein Deutsch, also versuchte ich es noch einmal auf Schwedisch. Wie von einer Tarantel gestochen, sprang er auf und rannte zur Tür. In tiefsten Tönen jaulte Trymr und brummte noch einige Male. Ich sah mich gezwungen zumindest die Schlafsachen gegen ein anderes Outfit zu wechseln. Als ich an mir heruntersah, bemerkte ich, dass das Shirt gar nicht mir gehörte und auch viel mehr ein Hemd war, genau genommen eins von den ziemlich teuren aus Eriks Sammlung. Überall war es zerknittert und alles andere, als in einem guten Zustand. Dennoch legte ich es fein säuberlich über die Lehne des Stuhles und griff nach dem ersten Pullover, den ich im Schrank fand. Wie hätte es anders sein sollen, war es mein Cheerleader Oberteil für kalte Trainingstage aus vergangener Zeit. Als Hose sollte eine der diversen Jogginghosen ihren Dienst leisten. Vom Kleiderhaken nahm ich die Hofjacke ab und setzte die Kapuze auf. Trymr trug bereits sein breites Lederhalsband, also nahm ich nur die Leine und verließ mein Bungalow. Schlüssel brauchte ich nicht, denn noch nie hatte ich dieses verschlossen.
      Langsamen Schrittes liefen wir Richtung Wald, wo uns Folke mit Humbria entgegenkam. Die windfarbene Stute war vollkommen verschwitzt und sah äußerst müde aus. Glauben, dass Niklas ein erstklassiges Eventingpferd aus dem Pferd zu machen, empfand ich von Anfang an als ziemlich hochgestochen. Dennoch bewunderte ich seinen Mut, es zumindest einige Male versucht zu haben, auch, wenn es für wenig Stärke zeugte, so schnell aufzugeben. Ich akzeptierte seine Entscheidung und würde mir nie wagen, diese infrage zu stellen.
      > Jag trodde att du aldrig skulle komma ut.
      „Ich dachte schon, dass du nie wieder herauskommst“, lachte Folke und fuhr an uns vorbei. Mehr als ein müdes Lächeln konnte ich nicht von mir geben und lief weiter.
      Teilweise glitzerte die Sonne durch die Kronen der Bäume und warf kleine Lichtblicke auf den verwurzelten Waldboden. Alles lag so still, dass ich mir nicht vorstellen konnte in London das Getose der Menschenmassen zu hören oder von einem der Taxis beinah zu Tode gefahren zu werden. Trymr blieb nah bei mir. Mittlerweile war ich fest davon überzeugt, dass dieser Hund auf keinen Fall bei Erik bleiben wollen würde, wenn sich unsere Wege trennen würden. Ja, ich sprach im Konjunktiv, denn nach dem Abend wollte ich nichts lieber, als für bei ihm zu bleiben. Es war keine Erinnerung, die mir diesen Gedanken gab, viel mehr ein Gefühl tief in meinem versteinerten Herzen. Alles kribbelte in mir, als ich innerlichen an ‚Vriska Harley Löfström‘ dachte. Vom Klang gefiel es mir nicht, aber die Bedeutung dahinter, schien viel wichtiger zu sein. Ein verträumtes Lächeln tuschte mir über die Lippen. War es das, wovon alle immer sprachen, wenn sie über ‚Schmetterlinge im Bauch‘ redeten?
      Obwohl das Atmen noch immer in der Lunge schmerzte, ging es mir schon deutlich besser nach der Runde im Wald. Trymr legte sich zufrieden auf den weichen Teppich vor der Couch, aber beobachtete jeden Schritt, den ich machte. Dazu gehörte auch, endlich mal auf mein blödes Handy zu schauen. Es hing noch immer am Ladekabel und als ich es entsperrte leuchteten mehr als Hundertzwanzig neue Mitteilung in der Mitteilungszentrale. Kurz überflog ich alles und löschte zunächst alles Unnötige, damit ich einen Überblick bekam, worauf ich auf jeden Fall klicken müsste. Neben einigen von Erik, leuchtete auch neben Niklas eine blaufarbende Neun. Warum hat der mir so viele Nachrichten geschrieben? Rein interessehalber drückte ich dort als Erstes rauf. Ich sah, dass es nicht nur Nachrichten von ihm gab, sondern offensichtlich auch welche von mir. Beim durchscrollen bemerkte ich, dass ich offenbar das alles erst in Gang gesetzt hatte.
      Wow. Perplex fiel mir mein Handy aus der Hand und starrte in die Leere. An Niklas erinnerte ich mich gar nicht mehr. Lief da etwas? Gehörte das zu den Gründen, wieso ich so viel getrunken hatte?
      „Es tut mir unglaublich leid, dir solche Sorgen bereitet zu haben. Das wollte ich nicht.
      Ich habe voll den Filmriss und weiß nicht mehr was seit Dienstag 23 Uhr passiert ist, und ja. Ich weiß, dass heute Donnerstag ist …“, tippte ich in Windeseile auf dem Bildschirm ein, nach dem ich es von Boden wieder aufhob. Gespannt starrte ich weiter auf das Display, bis sich gesendet zu gelesen änderte und das drei animierte Punkten auf seiner Seite auftauchen. Er schrieb, schrieb und schrieb, aber eine Nachricht kam bei mir nicht an.
      „Wir müssen uns nachher treffen, dann sprechen wir. Bin gegen neun Uhr am Abend am Stall, erwarte dich“, kam es urplötzlich, als ich es gerade zur Seite legen wollte. Es stellte sich somit nicht einmal die Frage, ob ich es wollte. Ich musste dort hinfahren, wenn ich beabsichtigte, die Puzzleteile zusammenzulegen.
      > Vill du ha ditt kött?
      “Möchtest du dein Fleisch?”, lachte ich voller Tatendrang und stemmte mich aus dem Bett hoch. Glücklich sprang der Riese mir um die Beine, ich glaube, dass ich ihn mittlerweile mehr mochte, als ich mir eingestehen konnte. Aus dem Kühlschrank griff ich nach der durchsichtigen Plastikdose, aus der mit einem schwarzen Stift ‘Trymr’ geschrieben stand. Wenn das Eriks Handschrift war, dann hatte sie Charakter. Ich mochte die Form, wie er das Y schrieb, wusste auch nicht wieso. Eigentlich sah es aus wie eine Vier, dass in der Zeile verrutschte, aber sich homogen in das Wort hineinschmiegte. Ich wurde anbellt. Anstatt mir stundenlang die Handschrift anzusehen, sollte ich dem Ungetüm seine Nahrung geben, nicht das ich zum gefundenen Fressen werden würde. Ein Nachteil hatte es, dass es mir zunehmend besser ging — ich konnte wieder Gerüche wahrnehmen. Mir stieg hab geronnenes Blut in Nase und wie auch immer ich die Innereien eines Wildschweins beschreiben sollte. Angewidert zog sich mein Magen zusammen, aber ich überstand es, dem Hund alles in seinen hölzernen Napf zu machen und auf den Boden zu stellen. Höflich wartete er, bis ich den Befehl gab zum Starten. Laut schmatzte Trymr und schob den Napf quer durch die Wohnung. Es dauerte nicht lange, bis dieser leer war und der Hund sich satt wieder vor die Couch legte.
      Durchs Fenster hindurch, sah ich Erik kommen, der mich sogleich bemerkte. Im Schlepptau hatte er Fredna, die eine niedliche geflochtene Frisur hatte und eine dicke Orange braune Jacke trug über ihren kleinen grauen Röcken mit Strumpfhose. Nur die dunkelgrünen Gummistiefel passten nicht ganz ins Gesamtbild.
      „Mein Fräulein ist wieder unter den Lebenden“, freute er sich und gab mir liebevoll einen Kuss auf die Stirn. Fredna hingegen ignorierte mich komplett. Sie saß auf der Fußmatte vor der Tür und kämpfte damit aus den Schuhen herauszukommen. Als auch Erik ihr Problem bemerkte, half er ihr und hängte auch ihre Jacke an den Haken.
      > Får jag spela?
      „Darf ich spielen“, fragte sie aufgeregt und Erik zuckte mit den Schultern. Stattdessen sah sie mit ihren riesigen blauen Augen zu mir, fummelte dabei an einen der beiden dunkelblonden Zöpfen herum.
      > Det finns gott om plats för dig bredvid sängen
      „Neben dem Bett ist ganz viel Platz für dich“, lächelte ich und zeigte Richtung Schlafzimmer. Entschlossen griff sie nach ihrem kleinen Koffer und zog ihn hinter sich her. Still saß sie neben dem Bett. Ich beobachtete, wie Fredna ihre kleinen Pferde auspackte und geordnet der Farbe nach aufstellte. Erik stellte sich zu mir an die Ecke, legte seine Arme um mich und atmete tief ein. Es fühlte sich wirklich an wie eine kleine Familie, die sich gerade den Wunsch vom Eigenheim erfühlte und nun glücklich in die Zukunft sah.
      „Ich bin froh, dass ihr da seid“, flüsterte ich und lehnte mich an seinem Oberkörper an.
      „Lass uns auf Couch gehen“, schmunzelte er, „sie mag es nicht beim Spielen beobachtet zu werden.“
      Ich drehte mich um und sah ihm direkt in die Augen. Er strahlte. Etwas an ihm schien verändert. Natürlich trug sie jeher einen seiner Anzüge, heute einen dunkelblauen, aber seine Haare. Seinen Haaren fehlte es am Gel. Der Großteil von ihnen befand sich in der gewünschten nach hinten geschobener Form, aber einige standen wie wild nach oben. Es lockerte seine strenge Ausstrahlung um Längen auf. Erik bemerkte, wie ich verliebt zu ihm aufsah, noch immer fest im Griff seiner Umarmung. Dann zog er mich noch näher an sich heran und sagte: „Ich bin auch froh, bei dir sein zu dürfen“, und gab mir einen Kuss auf die Haare. Ich schloss die Augen und wünschte, dass wir für immer nur hier stehen könnten. Bevor der Gedanke vollständig in mein Hirn einging, zog er mich hinüber zur Couch und schaltete einen Sender ein, bei dem Nachrichten liefen.
      „Wie geht es dir?“, erkundigte er sich, ohne den Blick von mir abzuwenden. Dem flimmernden Bildschirm schenkte er nur kurz seine Aufmerksamkeit.
      „Relativ gut, denke ich. Aber“, ich strauchelte.
      „Aber?“, wiederholte Erik aufrichtig und überdramatisiert betont.
      „Aber ich weiß nichts seit Dienstagnacht“, gab ich zu und senkte den Kopf. Wusste er was passiert war? Wollte ich es überhaupt herausfinden?
      „Dann hast du einiges verpasst“, lachte er, „auf jeden Fall hattest du dein Spaß. Papa mag dich.“
      „Klingt besorgniserregend“, murmelte ich.
      „Vivi, jetzt lächle doch wieder. Es ist alles gut, du hast es gerockt“, versuchte Erik mich aufzumuntern. Ich fühlte
      „Was habe ich gerockt?“
      „Du scheinst dich wirklich an nichts mehr zu erinnern“, Eriks Lachen wurde herzlicher und offener, „es entbrannte eine feurige Diskussion über Pferdeopferungen.“
      „Pferdeopferungen?“, wiederholte ich ungläubig und zu gleichen Teilen schockiert. Wieso gab es die Notwendigkeit darüber zu diskutieren? Jeder sollte das als unethisch empfinden.
      „Das ist nicht der Punkt. Du bist standhaft bei deiner Meinung geblieben, hast sie mit wirklich schlagfertigen Argumenten untermauert. Im Laufe der Diskussionen fehlten ihm die Worte und das, obwohl er immer etwas zu sagen hat. Dann beschloss Papa weiterhin fester Partner zu sein und würde euch gern helfen aus der Blamage herauszukommen“, schmunzelte er.
      „Awesome“, schrie ich aufgeregt, „ma‘ gosh!“
      „Ach, lernst du jetzt Englisch?“, witzelte Erik weiter. Ich winkte nur ab und sprang von der Couch, um zu versuchen, dass mein Bruder an sein verdammtes Handy ging. Ungeduldig lief ich den kleinen Flur zwischen Wohnküche und Schlafzimmer entlang und murmelte vor mich hin, bis mich plötzlich etwas am Oberschenkel berührte. Überrascht hielt ich an und sah an mir herunter. Fredna stand vor mir, sah mit feuchten Augen an mir hoch.
      > Jag måste gå på toaletten
      “Ich muss auf die Toilette”, flüsterte sie. Ja und? Was sollte ich da tun? Erik hatte es zum Glück ebenfalls gehört und lief mit ihr die Tür, die direkt an den Flur grenzte.

      Harlen erreichte ich nicht mehr, auch auf das Großaufgebot meiner Nachrichten reagierte er gab es keine Reaktion. Wo steckte der nur? Ununterbrochen biss ich mir auf der Unterlippe herum, solange, bis sie blutete. Auf dem Bildschirm des Fernsehers verfolgte ich die Horrorbilder aus der ganzen Welt, so viel Gewalt. Dahingegen erschienen meine Probleme auf der Couch, mit dem Typen, den ich mochte, in einer warmen Wohnung auf einmal so überschaubar und lächerlich.
      Erik schlief irgendwann ein und ich hatte es mir auf seinem Schoß bequem gemacht, immer mit einem Auge auf der Uhr. Wenn ich noch Lubi einladen würde, bräuchte ich sicher eine Stunde, um pünktlich in Kalmar anzukommen. Viel Zeit blieb mir nicht mehr, aber wenn ich aufstehen würde, wäre er sicher aufgewacht. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es ihm ginge und darüber sprechen, wollte er auch nicht. Die meiste Zeit schwieg er über seine Gefühle – außer, es ging um mich. So auch, wie sein heutiger Tag verlief. Alles, was er herausbrachte, war ein ‘Gut, danke’ und sah wieder zum Gerät. Ich konnte nicht einschätzen, wie das auf lange Sicht werden würde, vor allem im Hinblick auf Fredna, die zwar ungewöhnlicherweise besser auf mich zu sprechen war, aber im Generellen meine Anwesenheit eher weniger schätzte.
      Verdächtig nah kam der große Zeiger der elf. Vorsichtig versuchte ich mich aus seinen Armen zu befreien, die auf meinem Oberkörper lagen. Aber Erik wachte auf.
      “Wo willst du hin?”, murmelte er verschlafen und wischte sich mit der Hand durch die Augen.
      “Zum Training”, sagte ich kurz und verschwieg Niklas.
      “So spät noch? Dann warte, ich zieh mich um”, stöhnte er. Seine Begeisterung hielt sich in Grenzen, was ich zu meinem Vorteil nutzte.
      “Alles gut, bleib hier. Ich schaffe das allein”, versicherte ich. Erleichtert seufzte er und richtete sich dennoch auf. Ich sammelte leise aus dem Schlafzimmer meine Reitsachen vom Stuhl auf, um Fredna nicht zu stören. Aber sie bemerkte mich und fragte mich aus, wo ich hinwollte. Schließlich sei es dunkel und im Dunkeln sind böse Tiere unterwegs, die Menschen fressen. Aller klar Fredna, man sollte dir weniger Märchen vorlesen. So freundlich ich konnte, erklärte ich der neugierigen jungen Dame, dass ich Aufgaben hatte und mir nichts passieren würde. Eigentlich sollte doch ein Kind in ihrem Alter schon im Bett sein, oder nicht? Skeptisch sah sie zur mir hoch, nickte und widmete sich wieder ihren Pferden. Vaterschaft war damit bestätigt, lachte ich in mich hinein und zog mich im Badezimmer um. Meine neue graue Reitleggings fand ihren Einsatz, aber den dunkelblauen Kapuzenpullover aus der Schule behielt ich an. Bei dem nächsten Blick erschrak ich. Plötzlich stand Erik hinter mir, ich hörte seine Schritte nicht.
      “Darf ich dir die Haare machen?”, fragte er höflich. Verblüfft öffnete ich den Mund, für einen Augenblick innehielt und antworte: “Klar, warum nicht.” Aus dem Schubfach holte ich wieder die Bürste heraus und drückte ihm sie in die Hand. Es dauerte nur kurz, bis er begann auf der rechten Seite die ersten Strähnen zu flechten.
      “Aber ich habe nicht ewig Zeit, ich muss um spätestens fünfzehn zum Stall”, sagte ich, “pünktlich zehn vor neun erwartet man mich.” Er nickte nur lächelnd und fummelte an meinem Kopf weiter herum. Gespannt beobachtete ich durch den Spiegel sein Handwerk. Mit seinem kleinen Finger trennte er die Strähnen vom Kopf, verband sie miteinander, bis eine Art französischer Zopf entstand, aber seitlich und deutlich lockerer. Auf der anderen Seite wiederholte Erik sein Kunstwerk und war wenig später fertig.
      „So, jetzt kann Daenerys ihre Drachen reiten gehen“, lachte er und legte seine Arme auf meinen Schultern ab.
      „Clown gefrühstückt? Sehr lustig“, verdrehte ich die Augen und huschte aus seinen Zwängen heraus.
      „Jetzt habe dich nicht so“, folgte er mir aus dem engen Bad heraus, „das war lustig.“
      Es wurde weniger lustiger seit den unangebrachten Witzen von Chris am Wochenende, die ich mir bis heute anhören durfte. Zum Glück hatte mein Bruder kurzes Haar, wer weiß, wo sonst das alles enden würde.
      Freundlich wieherte mich Lubi in hohen Tönen an, als ich zehn Minuten später im Stall stand und anfing das Equipment in Pferdehänger zu räumen. Sie stand als Einzige noch drin, was ich mir auch nicht so recht erklären konnte. Eigentlich hätte Lina oder Folke sie auf eine der einzelnen Weiden stellen sollen.
      “Ja, es geht gleich los”, beruhigte ich die Stute. Unruhig trampelte sie in der Box und lief von der einen Seite zur anderen. Die Eisen klimperten auf dem Beton Boden. Etwas mulmig wurde mir dann doch, was wäre, wenn mir etwas auf Strecke und noch viel wichtiger: Was war, wenn Lubi etwas passierte? Müsste Harlen dann dafür aufkommen müssen? Wie sollte er ein solch teures Pferd finanzieren? Als spürte er meine Zweifel vibrierte mein Handy. Hektisch nahm ich es aus meiner Tasche am Bein.
      “Schwesterherz, du bist großartig! Ich wusste, dass du das bessere Durchsetzungsvermögen hast. Morgen komme ich für einige Stunden, dann sprechen wir. Hab dich lieb”, lass ich vom dunklen Bildschirm und steckte es zurück, ohne eine Antwort zu verfassen. Dann konzentrierte ich mich wieder auf die braune Stute und legte ihr das bordeauxfarbende Lammfell um den Kopf, führte sie hinaus und ließ wie Niklas den Strick los. Tatsächlich lief sie auch bei mir die Rampe hinauf und ich schloss die Stange, bevor es nach Kalmar losging. Am Straßenrand zogen die warmen Lichter der Innenraumbeleuchtung nur schemenhaft vorbei und sanft glitzerten die feuchten Laubblätter auf der Fahrbahn. In einem ruhigen Moment warf ich einen Blick auf Lubi, die ich durch die Hängerkamera auf dem Monitor des Fahrzeugs sah. Sie spielte mit dem Heunetz und zupfte daran. Aus dem Radio ertönten sanfte Töne eines mir unbekannten Liedes.
      “Ich hätte nicht gedacht, dass du kommst”, begrüßte mich Niklas verwundert, als ich Lubi in den hell erleuchteten Stall führte, “und erst recht nicht so aufgetakelt.”
      Er hatte Form den Gurt fester gezogen und musterte mich. Kurz grinste er, trat einen Schritt zurück.
      “Es interessiert mich, was du zu sagen hast”, flüsterte ich. Am anderen Ende stand Chris, aber hatte mich offensichtlich noch nicht bemerkt.
      “Dann treffen wir uns gleich in der Reithalle, oder was willst du machen?”, erkundigte sich Niklas. Ich nickte nur und ignorierte, dass es eine Ergänzungsfrage war. Eine Beschwerde gab es nicht.
      In der Halle war ich noch nicht oft und jedes Mal bewunderte ich dieses Bauwerk. Es gab einen breiten Flur, von dem einige Türen abging, den man erst führen musste, um zum eigentlichen Platz zu kommen. Auf dem Boden lag ein roter Teppich, der mit Sand aus den Hufen der Pferde bedeckt war, die Bande schwungvoll gebogen, vermutlich durch Wasserdampf in seine Form gebracht, Panel für Panel. Darauf befestigt die Dachbalken, die zur Decke hin spitz zuliefen und zuvor einen tropfenförmigen Bogen machten. Die großen Fenster brachten im Normal ausreichenden Licht ins Innere, aber spendeten drei riesige Kronleuchter dieses. Sie stammten vermutlich aus der Barockzeit oder Neo-Renaissance, was weiß ich. Im Kunstunterricht schlief ich die meiste Zeit, um solche Dinge erkennen zu können. Zur Ergänzung hingen noch Strahler an der Decke. Niklas führte fünf Minuten später seine Stute ebenfalls durch den Eingang.
      “Helm, brauchst du nicht?”, wunderte er sich monoton. Dass erinnerte mich daran, was ich vor dem Verladen noch einpacken wollte, aber Harlen hatte mich abgelenkt.
      “Doch, aber vergessen”, sagte ich, “aber auch egal. Ist sowieso nicht viel drin.”
      Er lachte, zuckte dann mit den Schultern und stieg auf.
      “Was wolltest du besprechen?”, fragte ich endlich, um die quälende Stille zu durchbrechen.
      “Was passiert ist”, kam es kurz.
      “Lustig. Hast du meine Nachricht gelesen? Ich erinnere mich an nichts. Mittlerweile weiß ich, dass ich eine Diskussion mit deinem Vater hatte”, schüttelte ich den Kopf, seine Augenbraue zog sich nach oben, “über Pferdeopferungen. Aber offenbar brachte ihn das zum Nachdenken.”
      “Ah, das Thema. Schwierig”, stimmte er mir zu. Die Verwunderung wich aus seinem Gesichtsausdruck. Statt mir endlich die Wahrheit zu offenbarten, schwieg er die meiste Zeit, starrte gedankenverloren in die Leere oder ignorierte mich. Schien ziemlich wichtig gewesen zu sein, was er besprechen wollte, wenn er nun diese Tour an den Tag legte. Reiten hätte ich auch in der heimischen Reithalle, aber nun gut.
      Bei X ritt ich auf die Mittellinie auf und gurtete noch einmal nach, erst dann nahm ich die Zügel mehr auf. Lubi kaute genüsslich auf dem rosé goldenen Gebiss, bei dem ich mich noch immer fragte, wieso kein silbernes reichte. Immerhin war der Zaum schwarz und der Sattel auch. Die meiste Zeit ritt ich Schritt, denn schon nach einigen Runden im Trab begann ein unerträglicher Hustenanfall. Verzweifelt schnappte ich nach Luft, bis es besser wurde.
      “Weniger Rauchen soll helfen”, kommentierte Niklas meine schwerfällige Atmung, als er an uns vorbeitrabte.
      “Klugscheißer”, rollte ich erneut mit den Augen.
      Keine Reaktion.
      Lubi nahm Acht darauf, dass ich nicht ganz fit war. Sie schritt ruhig unter mir und warf keinen flüchtigen Blick um sich herum, im Gegensatz zu dem kleinen Ritt gestern. Tatsächlich konnte ich das aus meinem Gedächtnis wieder hervor fischen, dass ich mich auf die riesige Stute schwang. Ich konnte mir nicht genau erklären, wieso ich in der Ekstase, meiner Krankheit und sonstigen Umständen in der Lage ein Pferd fertig zu machen und sogar zu trainieren. Vielleicht sollte ich mir bei meiner Rückkehr noch die Videoaufnahmen ansehen, dann wusste ich mehr.
      “Willst du jetzt noch reden, oder bin ich unnötigerweise rausgefahren?”, fragte ich genervt, als Niklas sich die Zügel aus der Hand kauen ließ und im Begriff war, seine glänzende Stute abzureiten. Er zuckte mit den Schultern.
      “Frechheit”, murmelte ich und wich ihm aus. Doch nun schien er doch auf mich zu reagieren und wendete Form ebenfalls, trabte ein Stück, um aufzuholen.
      “Wieso bist du so …”, er geriet in Wortlosigkeit, als ich zu ihm sah mit feuchten Augen.
      “Ernst?”, fragte ich.
      “Zurückweisend”, vervollständigte er seinen Satz.
      “Ich? Zurückweisend? Du wolltest mit mir sprechen und drückst dich auf einmal davor. Deinetwegen musste ich mir einen Schwachsinn überlegen, um hierherzufahren und das, obwohl es mir nicht gut geht. Jetzt komm mal klar”, schimpfte ich mit zittriger Stimme. Gänsehaut verteilte sich aus heiterem Himmel über meine ganze Haut und mir wurde kalt, sehr kalt.
      “Du wolltest das”, fauchte er zurück.
      “Bist du taub oder dumm?”, schüttelte ich meinen Kopf vor Verzweiflung, “Ich erinnere mich nicht, also entweder sagst du mir jetzt, was du willst oder schweige für immer.”
      Kräftig atmete er ein und wieder aus, sah hoch zur Decke und verkrampfte den Kiefer.
      “Weder bin ich taub noch dumm, du vielleicht. Aber ich wollte nicht glauben, dass du das Vergessen hast”, begann Niklas mit der Wahrheit herauszurücken, stoppte jedoch, als überlege er, wie die Worte am besten wählen sollte. Auf einer Stirn bildeten sich zwei wellenförmige Falten, die er nur bekam, wenn ihm etwas zuwider war. An seinem Hals schlug aufgeregt die Hauptschlagader und unsere beiden Stuten interessierten sich überhaupt für die Auseinandersetzung.
      “Du willst es unbedingt wissen, dann höre nun genau zu. Ich möchte dich nicht verletzen, beleidigen oder sonst irgendetwas damit. Es ist eine reine Tatsachendarstellung”, stellte er klar. Verwunderte drehte ich meinen Kopf, aber stimmte letztlich zu. Seinerseits folgten weitere kräftige Atemzüge.
      “Nach einem Rundgang wolltest du gehen, aber”, stoppte Niklas und atmete noch einmal hörbar, “dann standen wir ziemlich nah aneinander, sahen uns tief in die Augen. Du griffst mir ziemlich nah ans Becken. Ich legte meine Hände an deine Taille und drückte dich gegen die Wand. Hätte Erik dich nicht gerufen, wer weiß.”
      Und darum machte er jetzt so einen Rummel? Unwillkürlich schmunzelte ich, lachte auch etwas und schüttelte nur ungläubig den Kopf. Es unterhielt mich viel mehr, als ich, dass mir Sorgen machte etwas aufs Spiel gesetzt zu haben.
      “Warum lachst du?”, fragte er und rang nach Luft. Erst als er auf meine Antwort nicht reagierte, berührte ich ihn vorsichtig am Arm. Wie versteinert zuckte er auf einmal zusammen, schüttelte sich.
      “Ich zähle nun bis vier und atmest du durch die Nase, dann bis sieben aus, dann wieder ein”, sagte ich bestimmt in begann zu zählen. Niklas schloss die Augen und konzentrierte sich auf meine Zahlenfolge. Schon nach dem zweiten Mal wurde es besser. Seine Hände zitterten nicht mehr, sein Gesicht bekam wieder Farbe und auch Form stellte die zuvor unruhig angelegten Ohren wieder auf.
      “Danke”, murmelte er und versuchte ein Lächeln aufzusetzen.
      “Es ist okay, verstehst du? Offenbar war es meine Schuld und ich hätte dich nicht in so ein Dilemma bringen dürfen. Es tut mir aufrichtig leid”, versicherte ich nach weiteren Runden Schritt.
      “Das Problem ist nicht, dass es beinah passierte, sondern ich es gerne getan hätte. Deswegen lag ich noch Stunden wach, wie es dann wohl weitergegangen wäre, ob diese Entscheidung, zumindest für uns beide, die richtige hätte sein können”, erzählte er weiter, denn das schien der eigentliche Grund der Unterhaltung zu sein. Ich konnte nicht einordnen, was ich fühlte. Das, was ich sonst in seiner Nähe spürte, war spätestens nach Eriks Rückkehr zu großen Teilen verschwunden, vor allem, wenn ich an das Turnier zurückdachte. Ich hatte schon einmal eine Beziehung aufs Spiel gesetzt und offenbar würde es noch häufiger dazu kommen.
      “Niklas”, begann ich, “es ist alles gut, wie es ist. Etwas Festes einzugehen, scheint dir schwerzufallen und dir deswegen einen Anker zu suchen, mit dem du dich in der Vergangenheit besser fühltest, wird wohl normal sein. Dass dein Anker ziemlich unkontrollierte Schübe hat, sorgt jedoch für weitere Entgleisungen.”
      Besten Gewissens versuchte ich aufzumuntern, schon allein aus der Tatsache heraus, dass ich wusste, dass es Erik mehr oder minder egal schien. Wäre es nicht so, würde ich auch verzweifelt im Sattel meines Pferdes thronen und die Welt vernichten wollen – aber das tat ich nicht, denn es erleichterte mich sogar. Niklas schwieg, sah im Wechsel auf den Mähnenkamm seiner Stute und hoch zu den Deckenbalken. Irgendwann stiegen wir ab. Es wurde immer später und zunehmend nährte sich der kleine Zeiger der Zwölf.
      “Darf ich dich umarmen?”, fragte er plötzlich, als ich den Gurt von Lubi gelockert hatte und tastete, ob die Haut an den wichtigen Stellen getrocknet war.
      “Natürlich”, sagte ich freundlich und wurde beinah überfallen von seiner Freude darüber. Kurz schüttelte ich mich, um festzustellen, ob ich wach war. Unbeholfen klopfte ich auf seinen kräftigen, triefend vor Schweiß nassen Rücken und wusste nicht so recht, wie ich diesen Schwall an Gefühlen bändigen sollte. Durch meinen Schoß das Blut vor Freude, aber nicht das, was ich einmal bei ihm verspürt hatte. Ja, es war schon anziehend ihn so nah zu haben und zu wissen, was mich erwarten könnte, aber ich verlangte nicht danach.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 33.595 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte September 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel tio | 29. Dezember 2021

      Lubumbashi // Millennial LDS // HMJ Holy // Sign of the Zodiac LDS // Enigma LDS // Götterdämmerung LDS // Waschprogramm // tc Herkir // Glymur // Forbidden Fruit LDS // Girlie

      Vriska
      Ehrlich gesagt hatte ich mir genauso mein Leben vorgestellt. Mittlerweile fuhr ich zweimal die Woche nach Kalmar zusammen mit Lubi zum Training. Freitagnachmittag stand das Gruppentraining mit Herrn Holm an, dass Herr Norsberg gerne begleitete und mit stolzer Brust erzählte, dass eine der besten sei aus der Akademi und mir diesen Platz redlich verdient hatte. Da die Turniersaison so gut wie beendet war, gab es nicht viel, worauf ich hinarbeiten konnte. Umso wichtiger wurde es, dass die Lektionen sicherer ritt und Lubi erledigte den Rest für mich. Dienstags verabredete ich mich mit Niklas, der großen Gefallen daran hatte, mir weiterhin Befehle zu geben, die ich treu meiner Persönlichkeit befolgte. Das sorgte natürlich dafür, dass wir stets das Gespräch am Hof waren und die Gerüchteküche brodelte. Aber was soll ich sagen? Ich hatte es wirklich geschafft mich emotional von ihm zu lösen und seine Ablenkung verrichtete großartige Arbeit. Er war ein toller Mann mit genauen Vorstellungen vom Leben, und von mir. Schon der bloße Gedanke an ihn sorgte für ein leichtes Kribbeln in meinen Fingern. Mit Erik hingegen wurde es still. Wir hatten uns einige Male getroffen, aber diese magische Verbindung zwischen uns schien wie durchtrennt. Ich vermisste, was wir hatten, aber klammerte mich nicht mehr panisch daran, zumindest versuchte ich mir das einzureden. Wenn ich morgens wach wurde und feststellte, dass es keine Guten Morgen Nachricht gab, wusste ich schon, dass der Kontakt eher spärlich verlaufen würde. Ich vermisste seine Nähe.
      Mein Bruder hatte die Geschäftsführung des Hofes übernommen und blühte tagtäglich darin auf. Die Klage aus England wurde mit einer unnötig hohen Summe an Geld beglichen und es lief, mehr oder weniger. Er repräsentierte weiterhin das Unternehmen, aber entschied, dass jemand anderes das Geschäftliche regeln sollte.
      Es regnete wie aus Eimern, als ich einen Blick aus der Reithalle nach draußen warf, in der ich gerade Millennial abritt. Die junge Stute hatte vor einigen Tagen ihr erstes Rennen und schlug sich wacker zwischen den ganzen Cracks. Einen Sieg gab es für sie nicht, aber die Erfahrung war so viel wichtiger als eine weitere Scherbe in der Sattelkammer. Zum Ausgleich ritt ich sie seit Anfang September ein. Mill hatte Temperament und davon nicht wenig, dennoch bemühte sie sich einen Gang runterzuschalten. Verschwitzt drehten wir unsere Runden auf der ganzen Bahn, denn das Lenken ließ noch zum Wünschen übrig.
      “Denkst du daran, dass wir nachher noch aufs Folkes Geburtstag anstoßen?”, erinnerte ich Lina daran, die gerade mit Zoi den Stall betrat. Ihr Regencape war vollkommen durchnässt und auch die braune Stute wirkte sehr unzufrieden mit der Gesamtsituation.
      “Ja, ich denke daran, also zumindest jetzt”, erwiderte sie und schob sich die nasse Kapuze vom Kopf. Seitdem ihre Schwester nicht mehr da war, fanden wir immer mehr zueinander und mittlerweile würde ich sagen, dass wir Freunde waren. Sie wusste nichts von den ganzen Gerüchten, worüber ich froh war. Schließlich waren es auch nichts mehr Gerüchte, die sie nur wieder verunsichern würden.
      “Wenn du mit Zoi fertig bist, müssen wir uns mal Holy zusammen anschauen. Die wird immer dicker, obwohl sie schon auf Diät ist”, rief ich noch über die Bande. Mill hielt laute Geräusche für weniger lustig und legte die Ohren an. Sanft strich ich ihr über den nassen schwarzen Hals.
      “Okay. Ja, das ist mir auch schon aufgefallen, ziemlich seltsam”, nickte Lina stirnrunzelnd. Ich ritt mit der Stute noch weitere Runden, bevor ich aus dem Sattel rutschte und mit beiden Beinen fest im Sand landete. Millennial schüttelte sich, versuchte ihren Kopf an mir zu reiben und konnte gar nicht schnell genug wieder zurück auf den Paddock. Immer wieder bremste ich sie beim Verlassen der Halle und legte ihr das Halfter um, dass direkt neben dem Tor hing. Zur Kostensenkung hatte mein Bruder eine grandiose Idee, die mich nur zum Kopfschütteln brachte. Am Eingang hing neben dem Halfter auch ein Hufkratzer, mit dem wir den Sand aus den Hufen entfernen sollten und danach alles mit dem Besen zurück fegen. Ein Schicksal des Sandes war es, dass Tyrell alle drei Monate eine Fuhre nachorderte, um die Höhe zu halten. Durch das Auskratzen und Zurückfegen sollte das nun verhindert werden, schauen wir mal. Ich denke nicht, dass das etwas bringen würde.
      Mills Augen fielen immer wieder zu, als sie unter dem Solarium stand und die Wärme genoss. Lina stand daneben mit Zoi und versuchte mit aller Kraft der jungen Stute die Hufe auszukratzen, doch sie stellte sich stur und belastete immer wieder das gewünschte Bein. Amüsiert betrachtete ich die Szenerie, bis mich entschloss, doch zu helfen. Energisch patschte ich mit meinem Handrücken gegen das Bein der Stute, die umgehend das Bein hob.
      “Bei ihr brauchst du nicht höflich sein, sonst verarscht sie dich weiter”, erklärte ich und half noch bei den restlichen Beinen. Lina nickte und versuchte es beim letzten Huf allein. Zoi gab nach. Zusammen liefen wir zur Sattelkammer. Sie griff auch aus der großen ein Kappzaum und durchwühlte den riesigen Deckenhalter nach einer Weidedecke für Mill. Ihre richtige Decke hing noch zum Trocknen im Heizungsraum, also musste eine andere her.
      “Die sollte passen”, sagte ich im Selbstgespräch zu mir, als ich eine dunkelgrüne Decke in der Hand hielt, die genauso groß war wie ich. Zum Tragen knüllte ich sie irgendwie zusammen und lief über die Stufen hinaus. Millennial schlief beinah unter dem roten Licht und funkelte mich mürrisch mit ihren großen blauen Augen an, als ich es ausschaltete. So gut ich konnte, schmiss ich das Ding auf die trockene Stute und bahnte mir dann weg hinaus in den Regen. Obwohl die Wege befestigt waren, rutschten wir einige Male aus, bevor wir am Paddock ankamen. Mit angelegten Ohren sah sich mich an, als wollte sie sagen ‘Muss ich jetzt wirklich hierbleiben’ und gesellte sich zu den anderen Stuten unters Dach. Enigma stupste sie freundlich an, während Götterdämmerung versuchte, ihre Position neben der braunen Stute zu verteidigen, doch Mill wusste sich zu wehren und schnappte nach ihr. Die Diskussion war damit beendet und ich rannte zurück unters Dach, um nicht noch mehr durchweicht zu werden. In der Gasse machte ich etwas Ordnung und schielte immer wieder zu Lina hinüber, die Zoi versuchte für die Arbeit zu motivieren. Doch die Stute dachte gar nicht daran, sie für voll zunehmen und lief Runde um Runde im Kreis, schlief die Füße durch den Sand und schüttelte immer wieder den Kopf. Ich fand nicht die richtigen Worte, um den beiden zu helfen.
      “Hast du nachher Lust noch einen Film zu schauen?”, ertönte es hinter mir, gefolgt von Hufschlag. Tyrell betrat zusammen mit Bruce die Stallgasse. Perplex klammerte ich mich am Besen fest und musterte sie von oben bis unten. Die Beine der Hengste waren bis zu den Knien mit Matsch belegt und vom Schweif tropfte der Regen hinunter.
      “Du kannst es auch nicht lassen, oder?”, lachte Bruce und gab seinem Bruder einen leichten Schlag in den Oberarm mit der Faust. Tyrell funkelte ihn verärgert an, aber sagte nichts.
      “Können wir gern machen”, lächelte ich und stellte den Besen zurück an seinen Platz. Dabei stupste mich Herkir an meiner Hose an, in der sich wie immer Leckerlis versteckte. Ich kramte ihm umgehend nach einem und gab auch Waschi eins. Sanft fummelte er die Belohnung von meiner Handfläche. Ich strich beiden Pferden über den nassen Hals und schaltete das Solarium an, um die Hengste zu trocknen.
      “Kannst du ein Auge auf ihn haben?”, bat Bruce mich und bewegte seinen Kopf in Richtung des Hengstes, “ich muss mal nach Jonina gucken, die mit Cissa in der Reithalle sein sollte.”
      “Natürlich”, antwortete ich und stellte mich demonstrativ zu dem Fuchs. Bruce bedankte sich und zog die Kapuze über seinen Kopf, bevor er zurück in den Regen lief, um die zur anderen Halle zu gelangen. Lina schielte zwischen durch zu uns, aber hatte die junge Stute mittlerweile dafür motivieren können, aktiver vorwärtszulaufen.
      “Wir haben noch Red Sparrow auf der Liste”, kam Tyrell überraschend wieder, nach dem er Waschi auf den Paddock gebracht hatte. Mir entging, dass wir im April eine Liste erstellten mit Filmen und Serien, die wir ansehen wollten. In der Prüfungszeit und Vorbereitung zur Reise nach Kanada wurde meine Zeit immer knapper. Außerdem fühlte ich mich nicht wohl dabei, ihm immer näherzukommen.
      “Klingt gut”, schmunzelte ich, “aber vorher ist erst mal noch Folke an der Reihe.”
      “Wo ist der eigentlich?”, erkundigte er sich.
      “Er ist mit Hedda in Linköping, sollte jedoch demnächst wieder da sein”, erzählte ich mit einem Lächeln auf den Lippen. Dann verlangte Herkir wieder meine Aufmerksamkeit. Sinnloses herumstehen gefiel ihm nur mittelmäßig. Er tänzelte auf der Stelle, versuchte in die seitliche Befestigung zu beißen und wurde nervöser, je länger nicht von der Stelle kam. Sanft strich ihm über den Nasenrücken und hielt ihm am Halfter unten. Allmählich fand er sich mit seiner Situation, konnte sogar noch etwas dösen, bevor ich ihn in seine Box brachte. Er stand zusammen Glymur in unserem Stall und freute sich endlich wieder seinen Mitstreiter zu sehen.
      „Na mein Hübscher“, begrüßte ich den Hengst, für den ich seitdem intensiven Training mit Lubi, Fruity und der Göttin kaum noch Zeit schenken konnte. Auch er entschied meine Hosentasche, als äußerst interessant zu empfinden und fummelte mit seiner Oberlippe daran herum. Herkir spitze ebenfalls die Ohren. Für beide kramte ich eins heraus und übergab sie ihnen. Intensiv strich ihn durch die mittlerweile wieder volle Mähne und das plüschige Fell. Ich hatte extra meine Handschuhe ausgezogen, um seine Wärme spüren zu können. Es tat mir in der Seele weh, ihn so zu vernachlässigen, aber ich wusste, dass ich eine Entscheidung treffen musste und die nun mal, gegen das Gangreiten sprach. Ich träumte davon mit ihm selbige Prüfungen zu reiten wie ich mit Lubi vorbereitete, konnte mir aber schon denken, dass es für reinstes Gelächter sorgen würde. Glymur war trotz seiner fünf Gänge sicher im Trab und Galopp zu reiten und sogar so weit ausgebildet, dass eine L-Klasse locker mit einer Schleife belegen könnte, doch Bruce hatte schon lachend nur mit dem Kopf geschüttelt, als ich von dem Ritt in Kanada erzählte.
      „Würdest du bitte Platz machen? Ich möchte Glymur herausholen“, sagte die neue Trainerin, die Bruce ans Wasser zog für die Reitschule.
      „Ich denke nicht“, brummte ich genervt und wurde unfreundlich zur Seite gedrückt. Sie warf mir einen scharfen Blick zu und legte dem Hengst ein deutlich zu großes Halfter an. Dann verließ sie den Stall mit hocherhobenem Kopf. Tyrell zog mich zur Seite.
      „Vriska, so geht das nicht“, ermahnte er mich.
      Ich rollte übertrieben mit den Augen.
      „Das auch nicht!“, wurde seine Stimme lauter.
      „Aber der gehört mir“, protestierte ich und wusste, dass es nicht der Wahrheit entsprach. Das bekam ich direkt bitter zu spüren.
      „Dir gehört hier rein gar nichts“, tadelte mich Tyrell weiter, „ich teile mir mit meinem Bruder die Eigentumsrechte an dem Pferd. Wir haben dir freundlicherweise Glymur zur Verfügung gestellt und nun hast du dir das teure Dressurpferd angelacht.“ Dabei nickte er mit seinem Kopf zur vorletzten Box, in der Lubi ihren Kopf heraussteckte und albern wippte. Sie streckte die Zunge heraus, nach einem teuren Dressurpferd sah sie dabei nicht aus, eher nach einem Trottel, den man auf dem Jahrmarkt geschenkt bekommen hat.
      “Schon gut”, beendete ich wehleidig die Diskussion und wand mich von ihm ab. Ich spürte, dass er mir sehr auffällig nachsah, doch ich wollte ihn gerade wirklich nicht mehr vor den Augen haben. Stattdessen suchte ich Lina auf, die vermutlich alles davon mitbekam. Sie sammelte die braune Stute gerade ein, als ich am Tor auf sie wartete.
      “Gefällt dir wohl nicht so, dass jemand anders jetzt mit Glymi arbeitete, mh?”, erfasste sie die Situation, als sie mit Zoi im Schlepptau auf mich zukam.
      “Nicht so eingebildete, blöde Kuh”, sprach ich leise, damit Tyrell uns nicht hörte, “wenn ich das Geld hätte, wäre es schon mein Pferd.” Als erhörte jemand meinen Wunsch, vibrierte mein Handy. Ich warf einen kurzen Blick darauf: 1 Message from Niklas. “Also heute Abend ist die kleine Feier?”, schrieb er. Ich antwortete mit einem kurzen ‘Ja’ und steckte es zurück in die Brusttasche meiner Jacke.
      “Kann ich vollkommen nachvollziehen, ich wäre auch so drauf, ginge es um Ivy”, nickte Lina verständnisvoll.
      “Und dann kam der nicht adlige Prinz”, lachte ich aufgesetzt, “während meiner aus dem Frust heraus, sich direkt ‘nh andere sucht.” In dem Moment fiel mir ein, dass ich ihr noch gar nicht davon erzählt hatte und schämte mich für beides. Ich trat einige Schritte zur Seite, um ihr Platz machen am Anbinder. Neugierig zupfte Zoi an meinem Ärmel und bekam einen kleinen Klaps von mir, mehr als unkontrollierte Bewegung, als zur Erziehung. Ich seufzte.
      Lina hielt für einen Moment inne die Riemen des Kappzaums zu lösen und sah mich fragend an: “Soll ich fragen, was Erik angestellt hat oder willst du lieber nicht drüber reden?”
      „Ich weiß es nicht genau“, atmete ich erneut zu laut aus und ballte meine im Ärmel zur Faust, „er hat mir nichts Genaues erzählt, weil ich es nicht wollte. Alles, was ich weiß ist, dass er noch am Tag, als ich zutiefst im emotionalen Chaos versank, mit einer anderen schlief. Und als wir dann vor ein paar Tagen essen waren, meinte er, dass sich da etwas Ernstes entwickelte. Ich freue mich für ihn, aber es tut weh.“
      Zwischendrin schluckte ich immer wieder, fühlte mich schlecht dabei und noch schlechter, dass Trymr auch nicht mehr da war. Stattdessen klammerte ich mich an einem Typen, dessen Namen ich nicht kannte und womöglich die beste Chance im Leben verspielte. Ich war mir meiner Sache zu sicher, er war sich seiner Sache zu sicher und damit verloren wir beide das vermutlich wichtigste in dem Moment.
      “Das tut mir wirklich leid für dich, ich kann mir vorstellen, dass das schmerzt”, erwiderte sie mitfühlend. Lina meinte es gut, aber es war nicht wirklich das, was ich hören wollte. Dennoch lächelte ich und schniefte. Dann sah ich mich im Stall um, damit sonst keiner uns zuhörte.
      “Vielleicht”, murmelte ich, “sollte ich nachher wirklich noch zu Tyrell.”
      “Wenn du denkst, dass es dir guttut, mache es”, lächelte Lina freundlich.
      “Man”, protestierte ich laut stark und trampelte auf der Stelle herum. Zoi schreckte mit dem Kopf hoch, aber begriff im nächsten Wimpernschlag, dass ein Zwerg, wie ich es war, keine Bedrohung darstellte. Schockiert sah auch Lina mich an und setzte fort: “Du bist doch auch keine Hilfe. Weiß ich doch nicht, was mit guttut. Ich könnte vermutlich auch zu Vidar fahren und der würde sich zumindest mehr freuen.” Lachte ich zu sehr, um das es wie ein Scherz klang. Kurz dachte ich darüber nach, aber das war es wirklich nicht wert, knappe vierzig Minuten in die Höhle des Drachens zu fahren.
      “Entschuldigung”, beschwichtigen nahm Lina die Hände nach oben,” aber letzteres halte ich für eine sonderbare Idee. Noch ist nicht gesagt, dass das mit Erik und dir endgültig aus ist.”
      “Aber dann wäre wohl beides nicht ganz klug”, antwortete ich und überlegte kurz, “oder hast du Angst, dass ich deine Schwiegermutter werde?” Ich wusste, dass es nicht nur vollkommen absurd war, sondern auch geschmacklos. Doch irgendwie hatte Spaß daran, das Gespräch mit ihr zu führen, obwohl Lina ziemlich schockiert mich anblickte und nicht wusste damit umzugehen. Wir waren noch immer allein im Stall. Gegen die großen Fenster pladderte noch immer der Regen und der Wind toste an den offenen Toren vorbei. Die Pferde störte der Sturm nicht ansatzweise, doch mich beunruhigte es etwas.
      “Ähm, nein …”, sagte sie und blickte mich noch immer ein wenig verstört an, “und ob das andere unklug wäre, kann ich nicht beurteilen, weil ich keine Ahnung habe, was in deinem Kopf vor sich geht.”
      “Um dir das zu erzählen, bräuchten wir Alkohol, sonst könnte es dich ziemlich überfordern”, grinste ich. Meine Schulter lehnte an einen der Holzpfähle, rutschte ab, aber ich konnte mich noch rechtzeitig fangen. Wieder schlug das junge Pferd seinen Kopf nach oben.
      “Wenn es dich ernsthaft interessiert, kannst du zu mir kommen”, bot ich ihr beim Verlassen der Stallgasse an, “aber jetzt versuche ich erst mal Erik ein schlechtes Gewissen machen.” Dann lief ich weiter, noch rechtzeitig fiel mir noch ein, dass Niklas in wenigen Minuten da sein wollte.
      “Ach ja”, rief ich vom Tor, “dein Kerl ich gleich da.”
      Eine Antwort bekam ich nicht mehr, stattdessen blickte sie mich nur mit ihren großen Augen an. Nicht nur sie dachte gerade, dass ich verrückt sei, auch ich wusste das bereits. Aber normal kann jeder. Ich legte mir die Kapuze auf dem Kopf und rannte über den Kiesweg zu meiner Hütte. Eine Welle aus heißer, stickiger Luft kam mir entgegen, als ich die Schiebetür meiner Terrasse öffnete. Den Regenmantel warf ich in die Dusche und wechselte zunächst meine Kleidung. Da die Pferde bei dem Sturm nicht auf die Weiden sollten, gab es auch nichts weiter zu tun. Frisch umgezogen, ließ ich mich auf die weiche Couch fallen und konnte es eigentlich nicht abwarten, schlafen zu gehen und am nächsten Tag von vorne zu beginnen. Ein Tag sah bei mir seit Wochen sehr ähnlich aus: Ich stand auf, zog mich an, trank einen Kaffee und arbeitete mit drei Pferden, bevor ich mich an die Boxen machte und dann mit zwei Jungpferden fortsetzte. Danach variierte es, welche Pferde meine Aufmerksamkeit verlangten oder ob ich in die Stadt fuhr und Besorgungen machte.
      „Annäherungsversuche beim Chef machen, ja oder nein?“, schrieb meiner unbekannten Gesellschaft, die immer einen guten Rat zu schreiben hatten. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er meine Nachricht las und am Tippen war.
      „Eigentlich ist das immer eine idiotische Idee und du bist kein Idiot, junge Dame“, antwortete er.
      „Auch nicht, wenn ihm Gefühle vollkommen egal sind?“, formulierte ich frei heraus, denn ich wusste, dass Tyrell diese Sorte Mann war.
      „Erst recht nicht dann“, kam eine weitere Antwort, bevor die nächste bereits folgte, „schließlich hast du mich dafür. Also, was hast du auf dem Herzen?“
      „Der wichtigste Unterschied zwischen ihm und dir ist aber, dass er zur Verfügung steht und du dich hinter verführerischen Nachrichten versteckst, die mit aller Wahrscheinlichkeit immer Fantasie bleiben würden“, fühlte ich mich selbstsicher und kuschelte mich zwischen den Kissen ein. Mein Handy hielt in die Luft über meinen Kopf und grinste schelmisch. Mittlerweile konnte ich gut einschätzen, was ihm auf die Palme brachte und womit sich sein Ego nicht gut fühlte. Dazu zählte ganz klar die Tatsache, dass er ungern hinter anderen Männern gestellt wurde. Ewig pulsierten die drei Punkte, bis eine Antwort auf dem Bildschirm erschien: „Ach, so ist das also? Denkst du ernsthaft, dass ich nicht in der Lage bin, dich genauso glücklich zu machen, wie ich es sage? Das würde mich stark enttäuschen und glaube mir, du möchtest nicht, dass ich enttäuscht bin.”
      Mein Lächeln wurde immer breiter, ihn anzustacheln bereitete mir große Freude. Prüfend sah ich zur Tür. Der Regen wurde immer stärker und Lina noch kommen würde, bezweifelte ich immer mehr. Für mich selbst zuckte ich mit den Schultern und schrieb dann eine Antwort: “Was wäre denn, wenn du enttäuscht bist? Schließlich ist es für mich schwer einzuschätzen, ob du dazu in der Lage bist oder nicht, schließlich wagst du es dich nicht, mich physisch zu berühren.” Als hätte er schon beim Schreiben mitgelesen, leuchteten wieder die Punkte auf.
      “Das werden wir noch sehen”, provozierte er mich.
      “Ich will dich sehen”, nervös biss ich mir auf der Unterlippe herum, hoffte innerlich darauf, dass es ihn so sehr aus der Bahn warf, dass er noch heute herkommen wusste. Doch ich wusste, dass er keinesfalls an einen Ort kommen würde, an dem sich einer von uns beiden auskannte. Wir hatten bereits darübergeschrieben, wie das erste Treffen aussehen könnte und das würde auf jeden Fall in einem Hotel sein, dass für uns beide mehrere Stunden entfernt lag.
      “Sehen würdest du mich nicht, aber spüren würde doch schon reichen”, kam es als Antwort. Mein Herz pochte immer schneller, die Adern kochten und an meinem ganzen Körper breitete sich ein Zittern aus. Vielleicht sollte ich das alles nicht zu ernst nehmen, aber der Gedanke, dass er sich mehr Mühe gab, als der Kerl, von dem ich dachte, er sei der Eine, brachte mich zum Nachdenken. Ich war zu schwach, um ihm mehr zu schreiben, doch das war gar nicht nötig, denn er setzte direkt fort: “Aktuell hätte es niemand anderes mehr verdient als du. Wenn ich ehrlich bin, pulsiert alles auch nur für dich. Mein Herz ist bei dir.”
      Ich schluckte und schloss den Chat. Dann legte ich das Handy neben mich in die Couchritze und beobachtete, wie der Regen weiterhin gegen die großen Scheiben peitschte. Es wirkte hypnotisierend. Durch meinen Kopf liefen verschiedene Szenarien, wie es laufen würde, je nachdem welche Entscheidung ich treffen würde. Vor den Fenstern verdunkelte es sich und meine Augen fielen auch immer schneller zu, bis ich panisch wach wurde und nach meinem Handy in der Ritze wühlte. Neben vier Nachrichten hatte von meinem Unbekannten, hatte auch Erik mir geschrieben.
      “Ich glaube, du musst wieder Trymr zu dir nehmen”, las ich.
      “Warum?”, tippte ich auf den Bildschirm ein. Natürlich würde ich mich sehr darüber freuen, doch am Ende des Tages schien nur dieser Hund uns noch zu verbinden, als gäbe es sonst nichts mehr.
      “Er jault nur noch und frisst kaum”, vibrierte mein Handy umgehend. Ich atmete tief durch, wäre es der richtige Moment ihm zu sagen, dass es auch mir so ging? Immer wieder flogen die Finger über die matte Anzeige, löschten alles, um dann erneut dasselbe zu tippen. Ich hatte dafür gesorgt, dass er sich distanziert und ich die Kontrolle verlor. Es lag alles an mir, nur das sollte ich mir vor Augen führen. Eine Träne tropfte auf den Bildschirm und rief ihn unbemerkt an, was ich erst Minuten später bemerkte. Ich rieb mit meinen Händen durchs Gesicht, schluchzte immer wieder ‘Warum’ und weinte weiter. Dann hörte ich ihn: “Vriska?” Vor Schreck hielt ich den Atem an, verschluckte mich dabei und schnappte panisch nach Luft. Mit meinem Handballen wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und sah in mein Handy. Erik strahlte mich mit seinem übertrieben breiten Lächeln und winkte. Das war auf allen Linien einfach nur peinlich.
      “War ich das?”, fragte ich nasal und schniefte.
      “Ja, eindeutig”, lächelte er weiter, “aber jetzt sag mir, was los ist, sonst fahre ich zu dir.”
      Es gab Gründe, warum ich es in meinem Leben mied FaceTime abzuhalten. Dazu zählte, dass man seinem Gegenüber direkt sah und vor allem das, was im Hintergrund ablief. Trymr hatte mich offensichtlich an der Stimme erkannt und sprang über die äußerst hässliche Couch direkt auf seinen Schoß. Von Eriks Gesicht war nicht mehr viel zu sehen, dafür beobachtete der Hund genau, was auf dem leuchteten Bildschirm passierte und kam mit seiner großen Nase dem Touchscreen bedrohlich nah. Ich hörte auch Fredna quengeln, die vermutlich nicht in Bett wollte, sondern lieber mit den Pferdchen spielte. Obwohl noch immer Tränen über meine Wange liefen, lachte ich.
      „Ich spreche mit dir, was ist los?“, wiederholte Erik versucht seinen Hund vom Schoß loszuwerden, doch dieser rührte sich kein Stück.
      „Ich vermisse dich“, schluchzte ich.
      „Also fahre ich jetzt los“, beschloss er energischer und Trymr sprang überzeugt auf.
      „Nein, ist schon gut. Ich komm klar“, log ich und wischte mir erneut durchs Gesicht mit meinem Handrücken.
      “Jetzt lüge mich nicht an. So wie du aussiehst, kommst du nicht klar”, sagte Erik bedenklich und fuhr sich durch das offene Haar. Ihn nicht im Anzug zu sehen, war ein ungewöhnlicher Anblick, aber keiner, der mich an ihm zweifeln ließ.
      “Na gut”, murmelte ich und setzte mich ordentlicher auf das Sofakissen, “aber du musst nicht herkommen, möchte dich nicht belasten.”
      Erik begann zu Lachen und schüttelte den Kopf.
      “Dafür ist es reichlich spät. Also wie lange willst du noch diskutieren? So oder so mache ich mich gleich auf dem Weg”, erklärte er. Leider handelte es sich nicht mehr um einen Weg von vier Stunden, die er vor sich haben würde, um herzukommen, stattdessen waren es knappe dreißig Minuten, denn er zog vor zwei Wochen in ein Haus mit seiner Schwester am Rand von Kalmar.
      “Wenn es dich glücklich macht”, raunte ich.
      “Ja”, sagte Erik beschlossen, “aber ich ziehe mich erst mal ordentlich an.”
      “Nein”, rief ich sofort. Verwundert blickte er mich an.
      “Ich möchte nicht die Einzige in Jogginghose sein”, fügte ich noch hinzu.
      “Bis du mich in Jogginghose siehst, muss die Welt untergehen”, lachte er und bewegte das Handy nach unten. Erleichtert atmete ich aus, denn er trug eine Hose, eine Anzughose – wer hätte das nur denken können.
      “Dann bleib, wo du bist, ich packe deinen Freund ein und komme vorbei. Aber holst du mich dann mit einem Schirm vom Parkplatz ab?”, fragte er und stand auf. Aus dem Hintergrund ertönte:
      > Vart är du på väg nu? Har du tittat på din klocka?
      ”Wo willst du denn jetzt noch hin? Hast du mal auf die Uhr geschaut?)” Seine Schwester war von Anfang an ziemlich schlecht auf mich zu sprechen. Erik antwortete entschlossen:
      > Jag ska träffa min ängel och kommer inte tillbaka förrän i morgon.
      ”Ich fahre zu meinem Engel und komme erst morgen wieder.” Wieder stoppte mein Atem kurz. Hatte ich das gerade richtig gehört, oder verzog sein Dialekt wieder einmal die Worte.
      > Vriska, jag går nu.
      „Vriska, ich fahre jetzt los”, lächelte er und legte auf. Verkrampft hielt ich noch mein Handy in der Hand, starrte in dieselbe Richtung. Es half wirklich mit Menschen einfach darüber zu sprechen, was man wollte, anstatt es in sich hineinzufressen.
      Nervös tigerte die Wohnung auf und ab, es herrschte hier nicht nur das reinste Chaos, sondern es standen auch überall benutzte Teller und Kaffeetassen herum, die eigentlich in der vergangenen Woche bereits abgewaschen werden hätte sollen. Stattdessen stand alles hier herum.
      Zittrig nahm ich wieder mein Handy und sagte Lina Bescheid, dass ich entweder alles richtig gemacht habe, oder mich in das nächste Chaos katapultierte: “Ähm, Erik kommt gleich. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist.” Dann atmete ich tief ein und wieder aus, steckte mein Handy weg und versuchte in der verbleibenden Zeit zumindest minimale Ordnung hineinzubringen. Nicht zu vergessen, dass wir in circa einer Stunde noch Folkes Geburtstag feiern wollten und ich nicht so genau wusste, wie erwünscht weiterer Besuch war. Es dauerte nicht lange bis eine Antwort von Lina kam: “Wenn er jetzt noch extra herkommt, scheint es als würdest du es brauchen, das wird schon.”
      Meine Finger zitterten, als ich fest umschlossen mich am Handy klammerte und immer wieder die Nachricht mit meinen Augen überflog. ‚Als würdest du es brauchen‘, verbiss sich wie ein wütender Terrier in mir. Vielleicht konnte ich mir einfach nicht eingestehen glücklich zu sein und zu schätzen, was ich hatte. Es war ein Auf und Ab, dass ich stets versuchte zu bändigen.
      „Ich glaube, dass ihn liebe und es mir nicht eingestehen will“, schrieb ich Lina nach reichlicher Überlegung. Eigentlich hatte sie immer einen Rat, oder zumindest unterstützende Worte. So hoffte ich auch diesmal das Richtige von ihr zu hören. Nervös starrte ich auf den Bildschirm, aber sie kam einfach nicht mehr online. Einmal mehr wünschte ich mir, dass Niklas nicht existieren würde oder Jenni noch meiner Seite, denn auch sie wüsste mich nun zu bändigen. Verzweifelt tippte ich eine Nachricht an meinen Unbekannten, auch wenn das vermutlich die Stimmung für immer über den Haufen warf.
      „Du bist ein Mann, ein guter sogar. So ein wenig kennst du die Vorgeschichte und glaube, dass da mehr zwischen ihm und mir ist, zumindest fühle ich etwas, das vorher noch nie so mein Leben steuerte, mich in Bedrängnis brachte und mich nicht mehr klar denken ließ. Würdest du das erfahren wollen oder sollte ich lieber nicht mit ihm sprechen?“, tippte ich und drückte auf den blauen Pfeil zum Absenden der Nachricht. Im selben Moment trudelte auch endlich eine Antwort von Lina ein: “Schon allein, dass du mir diese Nachricht schreibst, sagt mir, dass da definitiv etwas ist. Ich weiß selbst, Gefühle zu akzeptieren ist nicht immer einfach, aber gehe nicht so verkopft an die Sache heranzugehen. Versuche einfach auf körperlicher Ebene zu fühlen, ohne zu bewerten. Lass dich von deinem Herzen leiten und akzeptiere, was du fühlst. Um mir Gefühle einzugestehen, hilft es mir persönlich häufig, wenn ich das Gefühl visualisiere, oder aufzuschreiben wie ich mich fühle, zu ergründen, wo es herkommt und warum ich mich so fühle. Habe keine Angst davor und denke stets daran, jemanden zu lieben ist schön und geliebt zu werden noch viel schöner. Ich weiß, dass du es zulassen kannst, du musst nur noch selbst daran glauben.” Kein Wunder, dass sie bei so einem Roman einen Augenblick länger benötigte zum Antworten. Zwischen den Tränen funkelte auf meinen Lippen ein Lächeln auf, „danke“, hauchte ich nur ins Leere meines Zimmers und stellte die benutzten Tassen in die Spülmaschine. Den Wäschehaufen verstaute ich in dem dazugehörigen Korb. Zumindest sah die Hütte nun weniger chaotisch aus. Da Eriks Auto im Vergleich zu Niklas‘ ziemlich laute Geräusche machte, entging es meinen Ohren nicht, dass er langsam über den Kiesweg zum Parkplatz einfuhr. Ein letzter Blick auf mein Handy verriet mir, dass auch mein Unbekannter eine Antwort parat hatte.
      „Dann solltest du es ihm sagen, es bringt nichts, wenn du dich wochenlang oder Monate damit quälst. Also erzähle mir später davon“, las ich, schnappte mir den Regenschirm und steckte das Handy weg. Bis zum Parkplatz waren es nur einige Meter, die jedoch reichten, um meine Reitschuhe vollkommen zu durchnässen. Mit Wasser in den Sohlen platschte ich weiter und hielt vor seinem Auto an. Lachend schielt Erik zu mir hoch und Trymr steckte seinen Kopf in die vordere Sitzreihe. Dann öffnete er langsam die Tür und nahm den Schirm schützend über sich. Unbeholfen stand ich daneben, wusste nicht genau, wie ich ihn begrüßen sollte. Sonst umarmten wir uns immer, doch heute fühlte es sich seltsam ab. Dann lies Erik zunächst den Hund ins Freie, der direkt zu mir rannte, quietschte und jaulte. An den Pfoten trug er etwas, dass ich als Schuhe bezeichnen würde und über dem ganzen Körper einen gelben, regenabweisende Pyjama. Willkürlich begann ich zu lachen.
      „Er soll doch auch nicht nass werden“, zuckte Erik mit den Schultern und zog mich am Kopf zu sich heran. Der sonst so stechende und ätzende Geruch seines Aftershaves wurde durch etwas Freundliches ausgetauscht, dass deutlich besser zu ihm passte. Auch ich legte dann meine Arme um seinen Oberkörper und drückte mich einfach nur fest.
      „Danke, dass du da bist“, raunte ich. Sanft strich er mir durch mein wüstes Haar.
      „Für dich immer, Engelchen“, lächelte er. Mir wurden die Knie weich, klammerte mich weiter an ihm unter dem Mantel an seinen Oberkörper und spürte, dass seine Muskeln zuckte bei jeder meiner Bewegung.
      “Lass uns drin weitermachen”, zog Erik mein Kinn nach oben, dass ihn ansehen musste, „hier ist eklig.“
      Ich nickte langsam. Aus dem Kofferraum nahm er eine große Ledertasche und zusammen liefen wir zur Hütte, eher rannten wir, denn der Regen wurde immer stärker und der dazugehörige Wind sprühte das Wasser unter den Schirm. An der Tür reichte ich Erik ein Handtuch für sich und den Hund, während ich die Schuhe zur eigentlichen Haustür brachte. Meistens ging es über die Schiebetür der Terrasse ins Innere meines Hauses, anstelle der eigentlichen Haustür neben der Küche.
      “Aber ich muss gleich noch mal weg, weil wir auf Folkes Geburtstag anstoßen, außer du kommst mit”, lächelte ich und schaltete die Lichterketten im Wohnzimmer ein über den Hub an der Wand.
      “Da Niklas offensichtlich da ist, nein”, schüttelte Erik entschlossen den Kopf und kramte neben einer Laptoptasche auch eine große Schüssel aus seiner Tasche, die ich direkt im Kühlschrank verstaute. Trymr hüpfte mir um die Füße und wollte so gernhaben, was ich trug.
      “Senare (später)”, hauchte ich dem Ungetüm zu. Mit großen Augen sah er an mir hoch, wollte nicht so recht akzeptieren auf sein Futter warten zu müssen. Je länger ich zu ihm heruntersah, umso größer schien das Funkeln in seinen Augen zu werden und sein Schwanz wischte energischer den Boden.
      “Erik, dein Hund stirbt gleich vor Hunger”, sagte ich mitfühlend und strich dem armen Tier über dem Kopf. Er drückte sich fest an mich heran, ehe er auf dem Rücken lag und den Bauch gekrault haben wollte.
      “So schnell stirbt es sich nicht”, lachte Erik und sah über die Lehne der Couch hinweg zu uns, “und wenn hier einer stirbt, dann bist du es, wenn du nicht herkommst.” Oh, was? Schnellen Schrittes stürzte ich mich über die Rückenlehne und wurde umgehend getadelt. Verlegen wich ich seinem stechenden Blick aus, starrte im Wechsel zur Decke und meinen Füßen, die ich überkreuzt auf dem Sitzkissen hatte. Wieder legte Erik seine Hand an mein Kinn. Es fühlte sich wieder so vertraut an, ihn bei mir zu haben, als hätte es die ganzen Vorfälle nicht gegeben, die zwischen uns lagen. Dabei wusste ich nicht einmal, wie es ihm damit ging. Immer heulte ich herum, nahm überhaupt keine Rücksicht auf seine Gefühle und hoffte darauf, dass er mit mir darüber sprechen würde, wenn ihm etwas missfiel. Aus dem Augenwinkel heraus musterte ich ihn heimlich und mir gefiel, was ich sah. Erik trug ein einfarbiges weißes Shirt und eine braun karierte Anzughose, die unnötigerweise mit einem Gürtel an seinem Becken saß. Die dunklen Härchen an seinen Armen stellten sich auf, als ich ihn grundlos in die Wange pikste und sagte: “Boop.” Langsam bewegten sich seine Augen meine Richtung und er warf mir ein strahlendes Lächeln zu.
      “Möchte da etwa jemand Aufmerksamkeit?”, grinste Erik und lehnte sich tiefer in die Rückenkissen.
      “Wir werden wohl kaum bis morgen früh auf der Couch sitzen und den Regen beobachten, wie er gegen die Scheiben plätschert”, erkundigte ich mich forsch.
      “Ach nicht? Ich finde es eigentlich ganz schön”, sagte er munter und legte seine Hand auf meinem Oberschenkel ab. Nervös schluckte ich. Mein Herz klopfte wie wild, bei Linas Nachricht im Hinterkopf, dass ich mich darauf einlassen sollte. Ich schielte zur Uhr an der Wand, langsam wurde es Zeit, dass ich zur Halle ging, um mit den anderen auf Folke anzustoßen.
      “Du verwirrst mich”, sprang ich aufgeregt auf, “doch jetzt muss ich kurz rüber.” Im Schlafzimmer warf ich mir ein anderes Oberteil über und suchte nach dem kleinen Paket, das ich für ihn vorbereitet hatte. Als ich vor einigen Wochen mit Niklas noch kurz in der Stadt war, fand ich die richtige Tasse für ihn. Ständig nahm sich jemand aus dem Aufenthaltsraum seine, worüber Folke sich lautstark Unmut machte.
      „Wieso verwirre ich dich?“, tauchte Erik unverhofft neben mir auf, grinste frech und zog sein Oberteil aus. Kopfschüttelnd stand ich wie angewurzelt an der Tür meines deckenhohen Kleiderschranks und musterte ihn wieder einmal von oben bis unten.
      „Weil“, stammelte ich, “deswegen.” Gestikulierte ich wild in der Luft herum und formte dabei imaginär seinen Körper. Er lachte nur, schien das ganze weiterhin für einen ziemlich guten Witz zu halten. Doch in mir zog sich alles zusammen, Hitze stieg mir in den Wangen herauf und langsam konnte ich mich wirklich nicht mehr davor verstecken, was ich noch immer fühlte. Tief atmete ich ein und auch wieder aus. Mit kleinen Schritten nährte ich mich ihm und wusste nicht genau wohin mit meinen Händen, was macht man sonst mit denen? Die hingen so sinnlos an meinem Körper herum, schwitzten wie wild und ballten sich immer wieder zu Faust. Auch meine Knie wurden immer weicher und mein Magen schlug weiterhin Purzelbäume. Mir wurde heiß, kalt und schlecht gleichzeitig. War es schon immer so warm in meiner Hütte, oder musste ich ihm die Schuld dafür zuschieben? Ich schloss die Augen und hoffte darauf, plötzlich im Konferenzraum aufzutauchen und Folke zu seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag zu gratulieren, dabei neben Lina zu stehen und irgendwelche blöden Scherze zu machen. Stattdessen erblickten meine Augen nur Eriks Gesicht, bedrohlich nah an meinem. Offenbar hatte mich, mein Weg wirklich zu ihm geführt und ich spürte seine ebenfalls schwitzige und warme Haut an meinen Händen. Langsam strich ich an seinem seitlichen Bauch entlang, wodurch in mir alles noch stärker kribbelte und gar nicht mehr aufhörte, mir den Verstand zu vernebeln. Ich schluckte wieder.
      “Solltest du nicht endlich Klartext sprechen?”, hob Erik seine Brauen nach oben und lächelte noch immer viel zu selbstsicher, um ihn weiterhin etwas vorzumachen.
      “Ich muss wirklich rüber”, stotterte ich. Es blieben noch mehr als zwanzig Minuten, bis auch der große Zeiger die Zwölf erreichte mit dem kleinen zusammen, aber ich fühlte mich gerade viel mehr als nicht wohl.
      “Man hat mir mein Pony weggenommen”, senkte ich den Kopf. Erik legte seine Hände an meine Schulter und drückte mich minimal von sich weg.
      “Warte”, schüttelte er verwirrt den Kopf, “damit habe ich nicht gerechnet.”
      “Du wolltest wissen, was los ist. Glymur wird jetzt von der Neuen umsorgt, die mich immer mehr von ihm losreißt”, seufzte ich.
      “Ach so, Stimmt. Das hatte ich gefragt”, murmelte er und kratzte sich am Kopf. Kurz sah er auf sein Handy und sagte dann: “Das klingt nach einer schwierigen Situation, wie kann ich dir helfen? Möchtest du, dass ich ihn kaufe oder was stellst du dir vor?”
      “Nein, auf keinen Fall, dann bist du arm und kannst dir nicht mal den Treibstoff deines Autos leisten”, lachte ich und wurde umgehend finster von ihm angeblickt. Noch bevor ich weitersprechen konnte, zischte er: “Wenn ich was will, dann bekomme ich es, schließlich muss man es sich auszahlen lassen vom Vater vernachlässigt zu werden.”
      “Wenn das so einfach wäre, dann könnte ich auch so verschwenderisch mit Geld umgehen”, rollte ich mit den Augen und hatte wirklich die Tatsachen in meinem Kopf verdrängt, dass er auch ziemlich verwöhnt wurde und unnötigerweise mit Geld um sich würft, als gäbe es kein Morgen.
      “Ich denke nicht, dass wir jetzt darüber diskutieren sollten”, verzog er verächtlich seine Mundwinkel, aber löste seinen stechenden Blick nicht von mir.
      “Es tut mir leid”, entschied ich zu antworten, was umgehend seinen Gesichtsausdruck wieder veränderte, “Ich wollte nur mit jemanden über Glymur sprechen, damit ich besser mit der Situation umgehen kann. Mehr erwarte ich nicht von dir, außer dass du für mich da bist.” Wieder schielten meine Augen zur Uhr, noch zwölf Minuten, bis wir auf den Geburtstag anstoßen wollten.
      “Hast du mir auch noch etwas zu sagen?”, erkundigte ich mich, eher erwartungsvoll, dass ich mich nicht öffnen musste.
      “Gerade nicht, nein. Finde es nur nicht in Ordnung, dass ich wegen des Pferdes hergekommen bin”, überlegte er, “das hättest du wirklich am Telefon sagen können, oder mir schreiben.” Das schmerzte tief im Herzen.
      “Aber ich wollte, dass du herkommst”, schämte ich mich, dass er Glymur als ein einfaches Pferd abstempelte und ihn für ersetzbar hielt. Ich musste jedoch einsehen, dass die Verbindung zu einem solch kraftvollen und majestätischen Tier für Außenstehende oft unbegründet wirkte.
      “Damit kommen wir der Sache doch langsam näher”, schmunzelte er schmutzig.
      “Egal was du noch hören willst, ich gehe nun zum Geburtstag, wir sehen uns gleich wieder”, strich ihm über die Brust und gab ihm einen flüchten Kuss auf die Wange.
      “Vivi, warte”, sagte er noch überraschend, als ich an der Tür stand, mit dem Geschenk unter dem Arm und mir die Regenjacke übergeworfen hatte. Abrupt blieb ich stehen und drückte die Tür wieder ins Schloss.
      “Ich komme doch mit, wenn es für dich in Ordnung ist”, schnappte er sich ein Hemd aus seiner Tasche und knöpfte des bis zum Hals zu, richtete den Kragen und folgte mir.
      “Na gut, gern”, lächelte ich glücklich und gab ihm den Schirm. Zusammen kämpften wir uns durch den Sturm und kamen mehr oder weniger trocken im Stall an. Durch die Fenster des Hauses leuchteten bunte Lichter und der Bass vibrierte auf dem Boden. Zusammen liefen wir die Treppen hinauf. Je näher wir der Tür kamen, umso sicherer fühlte ich mich. Meine Jacke streifte ich ab und hängte sie an den Haken im Flur. Der Regen tropfte vom glatten Material auf den Teppich, der komischerweise überall in den Räumen des Versammlungsgebäudes verlegt war. Ich zögerte, als ich meine Hand auf der Klinke hatte.
      “Willst du nicht hereingehen?”, fragte Erik überrascht und legte den Kopf leicht schräg, ohne seinen Blick von mir zu wenden.
      “Ich”, stammelte ich wieder unbeholfen, “ich muss vorher noch etwas klären.” Ehrfürchtig sah ich hoch zu ihm und atmete tief durch.
      “Und was?”, kratzte er sich am Kinn.
      “Du hast gesagt, dass das mit der was Ernstes ist”, vergewisserte ich mich nervös.
      “Ja, aber nein”, gab er zu und atmete selbst tief durch, “Ich wollte dich damit nur provozieren, um endlich ehrlich zu sein.”
      “Du bist ein Arsch”, antwortete ich entsetzt und wollte ihn weiter fertig machen, doch er holte mich durch eine einfache Berührung an meiner Hand zurück. Seine Augen funkelten auf einmal so sehr, dass ich mich fragte, ob er schon immer mich so ansah.
      “Ich habe meine Gefühle für dich die ganze Zeit verdrängt, weil ich Angst habe, dich immer wieder zu verletzten. Aber ich bin vermutlich in dich verliebt und will nichts mehr als dich zurückhaben”, ratterte ich herunter ohne Luft zu holen. Auch jetzt wagte ich nicht einen weiteren Atemzug zu nehmen.
      “Wir reden nachher weiter”, hauchte er in mein Ohr und öffnete die Tür. Na toll, jetzt sprach ich darüber, was ich fühlte und er verschob das Gespräch auf einen späteren Zeitpunkt? Das war unfair, aber im Raum freuten sich die Leute, für meinen Geschmack, viel zu sehr mich zu sehen.
      “Da bist du endlich”, umarmte mich Hedda überschwänglich und musterte meine Begleitung.
      “Wie schleppst du denn schon wieder mit dir herum, ich dachte, dass das zu Ende ist”, flüsterte sie mir zu.
      “Es ist kompliziert, habe ich dir doch schon erklärt”, zischte ich verärgert.
      “Ja, ja. Und gleich erklärst du mir, dass ich zu jung bin, um das zu verstehen”, rollte Hedda mit den Augen und lachte dreckig.
      “Ne, so was sage ich nicht, aber du verstehst es trotzdem nicht, weil ich selbst nicht tue”, antwortete ich kläglich. Endlich verschwand sie wieder zu ihrem Bruder. Erleichterte atmete ich aus und griff entschlossen nach Eriks Hand, um von dem kleinen Buffet an der Wand ein Getränk zu holen. Er blickte auf meinen Annäherungsversuch und sagte: “Ach ja? So ist das also?”
      “Pff”, rollte ich übertrieben mit den Augen und versuchte mich wieder zu lösen, aber er klammerte sich an mir fest, “offensichtlich, ja.” Für Zuschauer könnte das ziemlich übertrieben kitschig wirken, doch ich hatte meinen Spaß daran. Bewaffnet mit einem Getränk starrten wir zur Uhr, die sich in Sekunden schneller der Zwölf nährte und alle plötzlich begannen zu zählen. Nur ich schielte zu Lina und Niklas hinüber, die uns auch schon entdeckt hatten, aber auf ihrer Stelle wie angewurzelt stehen blieben.
      Auf die Sekunde genau stimmten wir das Geburtstagslied an und gratulierten ihm herzlich. Folke stand mit seiner Freundin an der Seite, lief rot an und konnte nicht wirklich mit unserer Freundlichkeit umgehen. Ich ließ Erik an Ort und Stelle stehen, lief zu meinem Arbeitskollegen und übergab ihm das Päckchen. Überrascht riss er das Papier ab und bestaunte die Tasse.
      “Endlich”, lachte er. Das Besondere an dem Geschenk war, dass sie einen Fingerabdrucksensor hatte und nur dadurch verwendbar war. Effektiv nutzen konnte man das Teil bestimmt nicht, aber die Idee war dennoch lustig. Dennoch konnte so niemand das Gefäß benutzen, denn sie war verschlossen, bis der Finger erkannt wurde. Der Verkäufer erklärte mir noch, dass dadurch die Flüssigkeit auch länger warm blieb.
      “Vriska, danke dir”, umarmte er mich glücklich und auch Eorann lachte. Lina gesellte sich nun auch dazu, um herzlich zu gratulieren, bevor sie sich neben mich stellte.
      “Du warst ja ziemlich knapp erst hier. Bist du der Lösung deines Problems nähergekommen?”, raunte sie mir neugierig zu und schielte zu besagtem Mann, der noch immer dort stand, wo ich ihn stehen ließ.
      „Ich weiß es nicht genau“, stammelte ich besorgt, „also ich denke ja, aber seine Antwort war, dass wir später darüber sprechen. Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass es mich erst knapp vor fünf Minuten dazu entschloss, es zu sagen. Nachdem er Glymur als ein Pferd wie jedes andere abstempelte.“ Das Glas in meiner Hand zitterte vor Aufregung, erst recht als Niklas dann auch dazu kam und nicht mehr sagte, als mich streng anzublicken. Ja, ich hatte ihm versprochen nichts mehr Alkoholisches zu mir zu nehmen, da meine letzte Ekstase bei einer kleinen Runde am Hof ziemlich ausuferte, wovon aber Lina noch nichts wusste und sonst eigentlich auch niemand.
      “Ein Pferd wie jedes andere? Hat er nicht gesagt”, hinterfragte sie verständnislos, “aber mach dich jetzt nicht verrückt, vermutlich möchte er dir in alle Ruhe antworten und nicht zwischen Tür und Angel.” Aufmunternd legte sie mir eine Hand auf die Schulter.
      “Nein, so genau hat er das natürlich nicht gesagt. Es war viel mehr, dass er hinterfragte, warum er wegen eines Pferdes zu mir kommen sollte”, gab ich zu.
      “Das klingt nach ihm”, runzelte Niklas die Stirn.
      “Sei ruhig”, zischte ich verärgert, “aber ich versuche ruhig zu bleiben, wird schon.”
      Zynisch lächelte ich und konnte kaum glauben, dass die Worte meinen Mund verließen. Auch Lina stimmte mit ein, während ihr Freund einige Schritte zur Seite wich und sie fest an sich zog. Ich wollte mir das nicht weiter ansehen, denn in meinem Magen rumpelte es energisch. Also schluckte ich, drehte mich um und lief zu Erik, der mich schon zu erwarten schien.
      “War es das schon?”, erkundigte er sich. Ich schüttelte den Kopf.
      “Ich muss noch kurz zu meinem Chef, dass ich doch keine Zeit habe”, erklärte ich.
      Er stand zusammen mit seinem Bruder am Buffet und hielt ein Gespräch ab mit der neuen und meinem Bruder. Die vier so vertraut miteinander zu sehen, verursachte weitere Zuckungen meiner Hand und die Stoppeln an meinem Körper stellten sich unangenehm auf. Sie kratzten an dem weichen Stoff meiner Hose.
      “Vivi, lässt du dich auch blicken”, lachte Harlen und musterte mich von oben bis unten. Natürlich, schließlich trug ich als einzige eine Jogginghose und in Kombination mit dem schwarzen Pullover, der eine Aufschrift auf der Brust hatte, wirkte ich nicht sehr festlich.
      “Entschuldige, ich habe auch den ganzen Tag gearbeitet und sogar mein Training abgesagt. Da brauche ich am Abend auch mal eine Ablenkung”, tadelte ich ihn. Erwartungsvoll blickte Tyrell zu mir hinüber.
      “Damit meinst du aber vermutlich nicht unseren Filmabend?”, erkundigte er sich scherzhaft, worauf ich mit einem Kopfschütteln antwortete.
      “Deswegen bin ich hier, wollte mich entschuldigen. Verschieben wir auf einen anderen Tag, okay?”, sagte ich einen Augenblick später.
      “Ach alles gut, mache dir nicht so einen Stress. Die Filme rennen nicht weg, aber wehe, du guckst sie ohne mich”, scherzte Tyrell. Erleichtert atmete ich aus.
      “Hast du dich erholt davon, dass du mit Glymur nicht arbeiten kannst?”, griff mich Jonina aus heiterem Himmel an und bekam direkt eine Ermahnung von Bruce.
      “Ja”, antwortete ich schockiert, aber versuchte mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Darauf kam zum Glück nichts mehr und ich verabschiedete mich, schließlich musste ich morgen um neun auf dem Pferd sitzen, damit ich Fruitys Trainingsplan aufrecht halten konnte.
      “Netflix and Chill?”, funkelte ich Erik an und hielt seine Hand. Wieder schnellte mein Puls nach oben und ich konnte nicht genau einschätzen, ob ein kleines Glas Wein diese Selbstsicherheit auslöste, oder die Überwindung zumindest ansatzweise ihm von meinen Gefühlen berichtet zu haben.
      “Werden wir sehen”, lachte er, “aber Netflix klingt gut.”
      Zusammen liefen wir zur Tür.
      “Vriska, warte kurz”, kam Lina angelaufen, ”was ist jetzt eigentlich mit Holy? Das haben wir vorhin ganz vergessen.”
      „Oh gut, dass du das noch sagst“, antwortete ich ein wenig überrascht und ließ Eriks Hand.
      „Zur Sicherheit holen wir noch einen Schwangerschaftstest aus dem Büro, nur um sicherzugehen“, sagte ich noch und zog mir die Jacke drüber. Irritiert sah er zwischen uns Hin und Her, bevor er überrumpelt fragte: „Soll ich mir Gedanken machen?“
      „Ach alles gut, du kannst nicht noch mal Vater werden“, lachte ich frech.
      „Mich brauchst du auch nicht so ansehen oder sehe ich aus wie ein Pferd“, fügte sie amüsiert hinzu, bevor sie mir lachend folgte durch den Flur. Erik sah uns irritiert nach. Ich konnte ihm nicht immer alles recht machen, schließlich sollte er auch mal etwas über sein Verhalten Gedanken machen. Zusammen standen wir vor der verschlossenen Tür, die nicht nur einfach gesichert war, sondern dreifach. Also gab ich die unterschiedlichen Codes auf dem Panel ein und hoffte, die richtige Reihenfolge getippt zu haben. Im nächsten Augenblick piepte es und die Tür öffnete sich.
      “Manchmal ist das alles sehr paranoid hier”, kommentierte ich und verschwand in dem großen Raum, einen Schreibtisch in Richtung des Reitplatzes ausgerichtet hatte und auf so was wie einem Podest stand. Dahinter türmten sich verschiedene Ordner in meterlangen Regalen, die Tyrell noch immer zur Sicherheit hatte. Vor dem Fenster neben dem Tisch war ein Apothekerschrank. Nach einander durchwühlte ich die Schubfächer, bis ich fand, wonach ich suchte. Triumphierend hielt ich das Päckchen in die Luft und steckte es in die Jackentasche.
      “Brauchst du sonst noch was? Ketamin?”, lachte ich.
      „Na, lass mal. Ich hatte nicht vor heute irgendwen zu entführen“, lehnte sie lachend ab.
      “Aber ich vielleicht”, überlegte ich kurz und sah in den verschlossenen Schrank in der Mitte. Aber stand dann auf, drehte mich um und verschloss das Büro wieder hinter mir. Mit Lina im Schlepptau machten wir uns auf dem Weg zum Paddock. Überraschenderweise stand Erik noch immer vor dem Konferenzraum.
      “Du hättest doch schon mal vorgehen können”, sagte ich im Vorbeigehen, aber er stoppte mich, in dem er an meinem Arm zog.
      “Wie redest du schon wieder mit mir?”, zischte er leise, damit Lina es nicht hörte. Langsam bewegten sich meine Augen nach oben. In mir bebte es, was nicht an dem Bass im Nebenraum lag.
      “Es tut mir leid”, tat ich auf unschuldig und klimperte mit meinen Augen. Ich konnte ihm nun doch noch ein verstohlenes Lächeln entlocken.
      “Entschuldigung akzeptiert”, grinste Erik und drückte seine Lippen auf meine Stirn, “aber beeile dich, ich warte im Zimmer auf dich.” Ich nickte und lief schnellen Schrittes mit Lina, die letzten Stufen herunter. Vor dem Rolltor tobte der Sturm, wirbelte die großen Tropfen durch die Luft und auch Äste flogen an uns vorbei. Dass es so ein Unwetter werden sollte, konnten nicht einmal die Wetterdienste erwarten. Schemenhaft erkannt ich im Kampf gegen das Wetter, die Stuten auf dem Paddock stehen oder viel mehr unter dem großen Unterstand. Keines der Tiere wagte es so verrückt zu sein wie wir, sich bei Orkanböen, die über das flache Eiland wehten, nur einen Zentimeter unter dem wolkenverhangenen Himmel zu bewegen.
      Holy stand schützend neben ihrer bekannten Girlie und kaute genüsslich das verbleibende Heu im Gang. Lina drückte den Lichtschalter am neben den Gittern und klirrend schaltete sich die spärliche Deckenbeleuchtung an.
      “Wenn sie wirklich trächtig sein sollte, denkst du, wie können das bei den Veranstaltern melden?”, sagte ich heiser zu Lina, die ihre Jacke vom Regen freischüttelte.
      “Mhm, das können wir sicher, aber ich weiß nicht, ob das viel bringen wird”, antwortete Lina stirnrunzelnd.
      “Aber irgendwer muss doch das Sorgerecht übernehmen”, musterte ich den runden Bauch der gescheckten Stute, “oder zumindest die Verantwortung.” Das Fohlen würde sicher noch verrückter sein als seine Mutter, die komplette Herde aufmischen und bestimmt uns alle in den emotionalen Ruin bringen.
      “Ja, da hast du schon recht, vor allem, weil dieses Fohlen sicher nicht von der ruhigen braven Sorte sein wird”, stimmte sie nachdenklich zu, “aber vielleicht sollten wir jetzt erst einmal feststellen, was Sache ist, bevor wir überlegen, wie es weitergeht.”
      “Stell dir mal vor, dass Ivy der Papa ist”, lachte ich und überlegte, wie man über so einen Test macht. Also klar, ich wusste, dass man dafür Urin benötigt, aber ich konnte schlecht das Pferd darum bitten, einfach mal in den Becher zu pinkeln. Doch glückliche Fügung kam schneller als ich dachte, denn die Tinker Stute begab sich zur Tränke und schlürfte genüsslich aus dem Wasserspender. Aus meiner Ausbildung erinnerte ich mich, dass sich durch Wasser recht schnell der Magen füllte und sich ein Fohlen dabei umlagerte. Also zog ich meine Handschuhe aus und legte meine Hände in ihr plüschiges Fell, wartete einige Zeit, bis ich plötzlich was spürte. Aufgeregt rief zu Lina: “Komm schnell.” Dabei kreischte ich viel zu sehr, als dass man mir glauben würde, dass ich riesige Abneigung gegen Schwangerschaften hatte. Natürlich war diese nur auf den Menschen bezogen, den tierische Babys konnte man gar nicht blöd finden. Interessierte kletterte Lina durch die Gitter. Ich griff eifrig nach ihren Händen und drückte sie auf die Stelle, an der sich das Fohlen bewegte.
      “Ohhh, dass das Fohlen, oder?”, fragte Lina aufgeregt und ihre Augen begannen begeistert zu leuchten. Natürlich musste es kommen, dass einer der Männer uns nicht einige Minuten allein lassen kann. Von der Seite kam Niklas dazu und ich wand meinen Blick umgehend von ihm ab, sondern strich der Stute zufrieden über den Hals.
      “Seid froh, dass ich mein Handy nicht dabeihabe. Das sieht nicht nur amüsant aus, sondern hört sich genauso an”, scherzte er und stellte sich provokant zu uns.
      “Ach schade, es wäre eigentlich schön gewesen diesen Moment festzuhalten”, grinste ich Lina an, die noch immer fasziniert den Bauch von Holy abtastete.
      “Liebling, weißt du eigentlich schon, wann die Tierärztin kommt, um Smoothie zu untersuchen?”, schien er nicht mal ansatzweise die Aufmerksamkeit auf jemand anderes zu lassen, als sich und dem was sich in seinem Kosmos befand. Ich rollte mit den Augen und blieb treu bei der Kugel stehen.
      “Ja, warte kurz”, entgegnete Lina ihrem Freund und kramte ihr Handy aus der Jacke. Das Gerät leuchtete auf, woraufhin sie zweimal darauf herumtippe.
      “Nächste Woche Dienstag um elf”, vervollständigte sie die Antwort und ließ das Gerät wieder in ihrer Tasche verschwinden.
      “Oh”, überlegte Niklas und auch meine Ohren spitzen sich, “da bin ich eigentlich mit Vriska verabredet zum Training. Aber das können wir doch verschieben auf einen anderen Tag, oder?” Ich sah kurz zu ihm, wusste genau, dass es darauf nur eine Antwort gab.
      “Ja, klar. Kein Problem”, zuckte ich mit den Schultern. Kein Problem, welch Irrsinn. Ich brauchte das Training so viel mehr, als dass er sich fünf Minuten lang Bilder auf einem Bildschirm ansah, die eventuell ein Fötus zeigten oder eben nicht. Mit zusammen gekniffen Augen sah er mich genau an, als suche er, dass ich log, aber fand es offensichtlich nicht.
      “Ich schätze, dass wir uns das hier jetzt sparen können”, sagte ich noch minimal gekränkt zu Lina und drückte ihr den Schwangerschaftstest in die Hand, stieg durch die Gitter und wünschte beiden eine gute Nacht, bevor ich mich zurück in den Sturm stürzte.
      “Ja, das war ziemlich eindeutig”, stimmte Lina zu, ”Lass dich nicht wegwehen auf dem Weg nach drinnen, Gute Nacht.”
      Zustimmend nickte ich noch, was sie wohl kaum noch sehen konnte und zog die Kapuze eng an meinen Kopf. Wild wirbelten Blätter um mich herum und flatternd blies der es in meine zu weiter Jacke. Ich fühlte mich für einen kurzen Moment so frei in der Dunkelheit, bis das Licht der Wegbeleuchtung sich in den Tropfen spiegelte und alles in Meer auf hellen Punkten verwandelte. Regen gehörte vermutlich in Alltag eines guten Briten, ohne sich davor zu ekeln oder undefinierte schlechte Gefühle auszulösen. Stattdessen erinnerte es mich an viele gute Momente, wie den Ritt mit Fruity, bei dem ich es vermutlich das erste Mal schaffte allen Mut aufzuraffen und nicht in der Scham versank. Natürlich gehörte auch Erik in diese Erinnerung, wenn es auch nur kurz die Glückseligkeit widerspiegelte. In einem Sturm wie diesen traf ich mich nach vielen Jahren mit meinem Bruder, den ich in meiner Kindheit nur selten zu Gesicht bekam. Zusammen liefen wir vollkommen geblendet an der Themse entlang und kamen irgendwann so nass in ein Geschäft, dass wir im selben Atemzug wieder den Laden verlassen mussten. Darüber amüsierten wir uns so stark, dass ich einen Laternenmast übersah und mit der Nase vorneweg dagegen lief. Mehr als eine Platzwunde an der Stirn zog ich mir bei dem kleinen Zwischenfall nicht zu, aber bis heute gehörte diese Geschichte zu einer, die mein Bruder zu gerne erzählte. Tatsächlich gab es sogar Bilder davon. Ich konnte mich glücklich schätzen ihn nun bei mir zu haben, auch wenn es zum Leid der anderen, durchaus ungemütlich werden konnte, denn Harlen war nicht gerade der freundlichste Geschäftsführer, wenn es um Kostenminimierung ging.
      “Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr”, lächelte mich Erik von der Couch aus an mit den Beinen auf dem Tisch. Auf seinem Schoß thronte sein Laptop und Trymr rannte vergnügt zur Tür, jaulte mich glücklich an.
      “Es tut mir leid, wir mussten Babybauch bewundern”, zog ich die klebrige Regenjacke vorsichtig aus, um nicht die Holzdielen in der Hütte zu beschädigen. Er klappte sein Gerät zu und legte ihn auf dem Tisch ab. Dann kam er einige Meter auf mich zu.
      “Freut mich zu hören, dein Pferd?”, erkundigte Erik sich und beobachtete, wie ich ein Kleidungsstück nach dem anderen auf der Fußmatte ablegte. Tatsächlich schaffte es der Regen mich bis auf die Unterwäsche zu durchnässen, obwohl es sich bei dem Weg vom Paddock bis zum Haus, um gerade mal fünfzig Meter handelte, wenn man zwischen den Weiden hindurchlief.
      “Ich habe kein Pferd”, erinnerte ich ihn. Er nickte missmutig und ich hob alles auf, um es im Badezimmer in der Dusche aufzuhängen. Mir wurde kalt trotz der paradiesischen Temperaturen hier im Inneren. Auf Schritt und Tritt folgten mir die beiden Kerle, als hätte ich Zucker in den mehr vorhandenen Taschen.
      “Habe ich etwas verpasst, oder darf ich mich nicht einmal mehr umziehen?”, versuchte ich ihn daran zu erinnern, dass ich alt genug war, das allein zu schaffen.
      “Was ist, wenn ich dir sagen, dass du so bleiben sollst?”, zog Erik seine Brauen nach oben und hielt seine Hände verdächtig nah an meinem Körper, um das ich mir keine Hoffnungen machte auf mehr.
      “Dann muss ich dich enttäuschen, denn mir ist super kalt”, folgten meinen Augen sehr genau, was er vorhatte. Zwei weitere Schritte setzte er auf mich zu und drückte mich an der Hüfte fest an sich heran. Gejagt von einer Gefühlsexplosion zur nächsten stieg Hitze in mir hinauf. Seine warmen Hände fühlten sich wie Feuer an, das mich immer weiter verbrennen ließ und mich quälte. Tief atmete ich ein und mindestens doppelt so lange wieder aus, bevor ich den Augenblick fassen konnte.
      “Wir wollten noch weiterreden”, kamen die Worte nur noch in Fetzen aus meinem Mund, obwohl ich mir beachtliche Mühe dabei gab, mich ordentlich zu artikulieren. Spitz grinste Erik mich an und lehnte sich ziemlich weiter nach unten, so weit, dass ich seinem Atmen auf meiner Haut spürte und sich den Haarwurzeln am ganzen Körper zum x-ten Mal aufstellten. Verlegten schluckte ich.
      “Na dann rede”, grinste er bedeutsam und folgte jeder Bewegung meiner Augen, die sich nicht scheuten, das zu begaffen, was vor mir strahlte.
      “Gleich”, verzog ich lüstern mein Gesicht und knöpfte langsam sein Hemd von oben nach unten auf, um sanft über seine Brust zu streichen und seinen Oberkörper an meinem zu spüren. Seine Hände bewegten sich von meiner Hüfte hinauf zu meinen Schultern, bevor er flink den Verschluss meines BHs öffnete und die Träger von mir streift. Ich vernahm die eigentliche Fremdheit ihm gegenüber, die mein Interesse von Anfang an weckte und neben Entdeckungslust auch Angst auslöste, doch im selben Atemzug schwang diese Vertrautheit mit, als würden wir einander auf eine besondere tiefe Art kennen, ohne es in Worte fassen zu könnten.
      “Erik?”, hauchte ich in sein Ohr und versuchte weiterhin mein Stöhnen zu unterdrücken.
      “Ich höre? Aber wie war das mit der Höflichkeit?”, zog er noch immer seine Mundwinkel nach oben und biss sich ungezwungen auf der Unterlippe herum, was sonst mein Ding war. Eigentlich wäre es so viel klüger es auf mich zukommen zu lassen, was nun noch passieren würde, aber ich konnte es nicht unkommentiert lassen.
      “Was wird das hier, wenn es fertig ist”, fragte ich unsicher und legte meine Lippen auf seinem Hals ab. Ein lustvolles rachenlastiges Ausatmen verließ seinen Mund, bevor er wieder am Kinn nach oben drückte und mich tief in seine Seele blicken ließ.
      „Ich habe einen Wunsch“, sagte er ziemlich ernst und starrte mich weiter an.
      „Und der wäre?“, raunte ich, hoffte auf das, was mir durch die Gedanken flog, jeden vereinzelten Tagen.
      “Können wir jetzt endlich einen Film gucken und nicht im Badezimmer herumstehen?”, lachte er und schob mich zur Seite. Das Blut hämmerte durch meine Adern und ich sah ihm nur mit weit geöffneten Mund nach, als er sich auf die Couch setzte und den Fernseher anschaltete. Ungläubig riss ich meine Augen auf, starrte ihn böse an und schloss die Tür hinter mir im Bad.
      “Ist das ein Nein?”, rief Erik.
      “Ganz klar”, schüttelte ich den Kopf und musste erst mal warm duschen gehen, um diese Frechheit zu verarbeiten. Viel musste ich nicht mehr ausziehen, bis mir das warme Wasser an den Haaren herunterlief, aber es nicht schaffte, mich auch der Euphorie zu entreißen, die ich noch verspürte auf meinem ganzen Körper. Es war nicht das erste Mal, dass er sich als Stimmungskiller entpuppte, doch mittlerweile konnte ich mir nicht einmal sicher sein, ob es seine Masche war, mich so an ihn zu binden. Immer wieder fluchte ich, schüttelte den Kopf und versuchte das alles von mir zu waschen. Ich rieb tatsächlich so lange, dass alte Wunden an meinen Beinen wieder aufrissen und das Wasser rot färbten. Noch lauter fluchte ich, als ich es bemerkte und das Wasser abschaltete. Zu meinem Glück waren nur noch weiße Handtücher in fassbarer Nähe, die ich dann in den Müll hauen konnte. Meine nassen Haare wickelte ich in einen dieser ein, und für den restlichen Körper stand ich so lange herum, bis ich trocken war. Da mein Handy noch in meiner Hosentasche steckte, schrieb ich in meiner Verzweiflung Lina in einer kurzen, eher undetaillierten Nachricht, was passiert war und hoffte, dass sie es besser fassen konnte als ich. Genervt blickte ich auf den leuchteten Bildschirm meines Handys, aber konnte die Spannung nicht lange aushalten und wechselte auf Instagram. Als wäre es mein Schicksal, tauchte natürlich Niklas ganz oben auf, eins von seinen tausenden Strandbildern unterstrich meine Lust auf mehr. Willkürlich starrte ich zu lange darauf, likte und wischte dann weiter nach unten. Wichtig dabei war zu sagen, dass ich nie seine Bilder likte, sondern nur kurz drauf sah und dann in der Timeline niedliche Pferdebilder bewunderte.
      “Oha, gemein dein Kerl, aber denke daran, dass er dir noch eine Antwort schuldig ist”, kam nur eine knappe, aber bestimmte Nachricht von Lina zurück.
      „Ich will immer noch mit ihm alt werden, obwohl er das bestimmt bis zu meinem Lebensende tun wird“, hämmerte ich auf dem Glas herum, sodass meine Fingernägel immer wieder laute Geräusche verursachten. Dann sperrte ich das Gerät und lief ins Schlafzimmer, um mir was drüber zu ziehen. Dass Erik mir intensiv nachsah, entging mir nicht, aber ich ignorierte sein rüpelhaftes Verhalten und versuchte mir möglichst provokante Kleidung herauszusuchen. Dabei war ich mir nicht ganz so sicher, ob knapp mit der größten Menge an Haut eine gute Wahl sein würde oder lieber mein geliebter Schlabberlook, den er nur allzu gut kannte. Von einem der Kleiderbügel strahlte mich dann wohl eins der provokantesten Stücke an, die hatte — mein Cheerleading Outfit, aber die Wahl fiel nur auf das Oberteil. Als Hose wählte ich eine schwarze Jogginghose mit einem ‚Fuck Off‘ Schriftzug. Ein letztes Mal rieb ich mit dem nassen Handtuch durch meine Haare, bis ich es wieder ins Badezimmer hängte und zur Couch schlenderte. Auf dem Weg dahin meldete sich mein Handy noch mal mit einer Nachricht von Lina: “Dann genieße mal die Zeit beim alt werden mit ihm :D
      Lachend steckte ich es zurück, ohne ihr noch eine Antwort zu geben, denn wir könnten morgen sicher bei einem Ausritt lange genug sprechen, denn über Niklas gab es sicher auch genau zu erzählen.
      „Na, was ist so lustig?“, musterte mich Erik und legte seine Hand an meinem Arm, als ich um die Couch lief, um Trymr nicht zu wecken, der vorne lag.
      „Dass ich offensichtlich mehr Gefühle für dich habe, als du mich aufbringst“, fauchte ich provokant und blieb hinter ihm stehen. Er legte seinen Kopf auf der Rückenlehne ab, blickte mich mit seinen grauen Augen an, die genauso funkelten im seichten Schein der Lichterketten und Kerzen, die Erik am Tisch angezündet hatte.
      „Und das behauptet wer genau?“, seine Stimme klang besorgt.
      „Ich, sonst würdest du mich nicht jedes Mal aufs Neue so hängen lassen“, blieb ich meinem Standpunkt, aber umfasste sanft sein Gesicht, das so einladend wirkte. Durch das fehlende Gel waren seine Haare so unglaublich weich, dass ich mich dazu zwang, nicht immer wieder darin meine Hände verschwinden zu lassen.
      „Du hast doch nicht mal gefragt, ob ich mit duschen kommen möchte“, schmollte er weiter.
      „Warum sollte ich mit dir duschen wollen?“, überlegte ich starrte hinauf zur Decke, dann fiel mir doch ein Grund ein, „na gut, du hast recht. Schließlich bist du ziemlich schmutzig heute.“
      „Ich glaube, jeder der uns gerade zuhört, wird schlecht bei so viel kitsch“, lachte er schließlich und versuchte mir mit seinen Lippen näher zu kommen, doch diesmal was ich klar im Vorteil und verteidigte meine höhere Stellung, wie ein Soldat im Krieg.
      „Wer sollte uns zuhören“, kniff ich skeptisch die Augen zusammen und ließ den Blick durch den Raum schweifen, als Erik leider nutzte, um mich an den Armen auf die Couch zu ziehen und mich im nächsten Moment dominierte, in dem er sich über mich Stützte. Mein Puls begann wieder zu rasen und seine Lippen kamen mir bedrohlich nah, dich anstatt sie auf meine zu drücken, küsste er sanft meinen Hals. Mit Wollust genoss er die Folter, der er mich aussetzte, mich ebenfalls mit Sinneslust erfüllte, bis zärtliches Stöhnen aus meinem Mund klang.
      „Ich finde das nicht fair“, ächzte ich kläglich und ich versuchte ihn möglichst behutsam von mir zu stoßen.
      „Zum Glück sind wir hier nicht bei Wünsch dir was, sondern im wahren Leben“, löste er sich von meinem Hals und sah mich wieder aus ganzer Seele an, langsam könnte er sich das blöde Grinsen sparen, denn ich wusste schon, dass sein Durchhaltevermögen größer war, als meins.
      „Dann warte ich halt, bis du fertig bist“, schloss ich entschlossen die Augen.
      „Sie“, kam es trocken über seine Lippen.
      „Na gut, dann bis Sie fertig sind“, schüttelte ich kurz den Kopf. Noch fester drückte ich meine Lider aufeinander, damit ich ihn nicht sehen könnte. Tatsächlich hatte es einen positiven Nebeneffekt, denn er ließ von mir ab und sagte: „So macht das keinen Spaß, wenn du nicht leidest.“ Ich lachte und durfte mich endlich richtig hinsetzen.
      „Aber jetzt mal im Ernst“, richtete er seine Frisur und blickte mich freundlich an, „alles, was du bisher sagtest, entsprach der Wahrheit?“ Ich musste kurz überlegen, denn ich hatte heute wirklich viel gesagt, also zumindest seitdem ich wach war, denn die Uhrzeiten schon lange nach null Uhr an und verriet im selben Zuge, dass ich bereits lange schlafen sollte. Vielleicht schlief bereits und das alles hier, war nur ein Traum? Ich kniff ihn in den Oberarm, wodurch er schmerzerfüllt aufschrie.
      „Was sollte das!“, schüttelte er den Kopf.
      „Wollte nur prüfen, ob ich wach bin“, sagte ich entschlossen.
      „Deswegen kneifst du mich?“
      „Ja.“
      Dann überdachte ich weiter meine Worte, zumindest soweit ich mich erinnern konnte.
      „Bei einer Sache entsprach es wohl nicht ganz der Wahrheit“, gab ich zu.
      „Und die wäre?“, fragte Erik neugierig nach und strich mir sanft den Arm.
      „Als Niklas vorhin fragte, ob es in Ordnung wäre, wenn wir den Termin verschieben“, überlegte ich weiter. Auffällig verdrehte er seine Augen und sagte nur: „Und warum genau, sollte mich das jetzt interessieren?“
      „Na, du hast doch gefragt, ob alles der Wahrheit entsprach“, wunderte ich mich, „oder bist du eifersüchtig?“
      „Ich meinte damit, was wir besprochen haben und ja. Mittlerweile stört es mich, wenn ich ehrlich bin, dass du immer noch so viel Zeit mit dem verbringst. Ich will dich bei mir haben und nicht so ein Möchte-gern wie er, soll mir wegnehmen, was mir gehört“, zischte er genervt. Ohne weiter nachzudenken, drückte ich meine Lippen auf seine und es fühlte sich so verdammt gut an, endlich wieder ihn vollständig bei mir zu haben. In einer unmöglich zu definierender Geschwindigkeit raste mein Puls nach oben, vernebelte mir den Verstand. Entschlossen fuhr meine Hand über seine Brust, öffnete das Hemd erneut, aber streifte es diesmal über seine Schultern ab. Er half mir dabei so gut er konnte, ohne dass sich unsere Lippen voneinander lösten. Erst als auch mein Oberteil daran glauben musste, kamen für einen Augenblick voneinander ab, das nutze ich auch dazu, auf seinen Schoß zu klettern und möglichst nah zu spüren, dass es der Wahrheit entsprach, was er sagte. Wieder trafen sich unsere Lippen noch leidenschaftlicher. Als ich in versehentlich anrief, kam noch gar nicht in den Kopf, dass wir Stunden später nur noch spärlich bekleidet auf der Couch sitzen würden und ich eine Gefühlsexplosion nach der anderen erleben würde.
      Langsam schob sich meine Hüfte immer stärker auf seinen Schoß auf ab, bis sich ein Quietschen neben mir in den Vordergrund schob. Im Begriff aufzuhören, spürte ich Eriks verschwitzen Hände in meine lockere Hose und umfassten meinen hinteren Teil und leise stöhnte ich in seinen geöffneten Mund. Doch das starrende Gefühl ließ mich nicht los, ich fühlte mich beobachtet, als stände eine Kamera neben der Pflanze in der Ecke und zeichnete das alles für die Nachwelt auf. Ich öffnete meine Augen und sah neben uns. Trymr wedelte aufgeregt mit dem Schwanz
      „Herr Löfström?“, funkelte ich ihn innig mit meinen Augen an, „mir fällt es schwer, mit dem Gedanken bei ihm zu bleiben, wenn wir beobachtet werden.“
      Er rappelte sich auf der Couch auf, aber hielt mich weiterhin fest. Dann sah er hinunter zu seinem Hund.
      „Ich schätze, dass er nun noch Essen haben wollen würde. Tut mir leid“, gab er mir einen flüchtigen Kuss und ich kletterte von ihm herunter. Erik richtete seine Hose beim Aufstehen, die nicht ganz unbefleckt erschien, als er etwas genervt in die Küche trottete und aus dem Kühlschrank die Schüssel holte. Sein Napf stand bereit auf der Theke und aufgeregt, trampelte der Hund links nach rechts, als er mit seiner Nase eindeutig Futter identifizierte. Verliebt lehnte ich über die Rückwand der Couch und beobachtete, wie liebevoll er mit dem Tier umging, obwohl seine Körpersprache nur Ärger zeigte. Ich lächelte.
      „Engelchen, ich meinte das Ernst“, wiederholte er.
      „Was genau meinst du?“, fragte ich überrascht.
      „Du sollst nur mir gehören und mit einem Großteil deiner Freunde werde ich vermutlich dich teilen können, aber nicht Niklas“, seufzte er und kniete sich zu seinem Hund.
      „Aber er ist mein Trainer und ohne ihn, kann ich nächstes Jahr keine internationalen Turniere reiten“, versuchte ich die Situation zu entschärfen, doch Erik schüttelte nur den Kopf.
      „Ihr habt doch noch mehr gute Leute am Stall. Was ist Eskil?“, hoffte er mich umzustimmen.
      „Der würde das sicher machen, aber wenn nicht“, stammelte ich und wurde unliebsam unterbrochen.
      „Frage ihn bitte, sonst suche ich dir jemanden und gebe meine letzte Öre dafür, um dir die beste Trainerin zu beschaffen, das schwöre ich“, bettelte Erik förmlich. Zustimmend nickte ich. Es hatte etwas, wieder jemanden im Leben zu haben, dem es wichtig war, was ich tat, auch wenn noch nicht ganz einschätzen konnte, wie weit das gehen würde. Vom Tisch griff ich das goldene Gerät und öffnete den Nachrichtendienst, um Niklas umgehend eine Nachricht zu schicken. Ich zögerte und schielte zwischen Bildschirm und Erik hin und her. Entschied, seinem Wunsch nachzukommen und tippte: „Hej! Es tut mir leid mitteilen zu müssen, dass wir ab sofort nicht mehr zusammen trainieren werden. Mir fällt diese Entscheidung nicht leicht, aber danke dir, wirklich! Du hast mich sehr weitergebrachte.“
      „Habe es ihm gesagt“, steckte ich mein Handy wieder weg und sah zu Erik, der erleichtert ausatmete. Die wenigen Meter zwischen uns überwand er im Handumdrehen und legte seine Hände an meinem Kopf.
      „Ich bin dir sehr dankbar, dass du keine Diskussion beginnst“, lächelte er und gab mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen.
      „Wenn es sonst nichts ist“, funkelte ich ihn weiter an, „dann tue ich das sehr gern. Aber leider sollten wir ins Bett, denn ich muss morgen spätestens um acht Uhr aufstehen.“
      „Okay, aber ich muss noch einige Dokumente durchsehen im Bett“, nickte Erik und holte sein Laptop vom Tisch, während schon zum Bett lief und ein Shirt aus dem Schrank wühlte, um es mir überzuwerfen. Dann strich die Hose von mir ab, legte sie ordentlich über den Stuhl und warf mich in das frisch bezogene Bett. Da meine Haare noch immer feucht waren, band ich sie in einem locker geflochtenen Zopf zusammen. Selten wirkte die frisch aufgeschüttelte Decke so verlockend wie heute, um sein Gesicht darin zu verstecken und vor Freude zu schreien, während der Regen weiterhin gegen die Scheiben prasselte.
      “Sollte ich mir Sorgen machen?”, grinste Erik und zog sich ebenfalls aus, doch so langsam, dass meine Augen jede seiner Bewegungen verfolgt, wie locker seine Muskeln zuckten.
      “Ja. Nein, brauchst du nicht”, murmelte ich abwesend, abgelenkt, nicht mehr klar, ob ich so schnell einschlafen könnte, wie ich es mir wünschte. Behutsam legte ich mich auf seiner Brust ab und strich ihm verliebt über den Arm.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 74.356 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende September 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel tolv | 31. Januar 2022

      Forbidden Fruit LDS // Lubumbashi // Ready for Life // Sturmglokke LDS // Klinkker LDS // Girlie // Maxou
      HMJ Divine // Keks // Legolas


      VRISKA
      Wie hatte ich das noch vor wenigen Jahren geschafft so spät ins Bett zu kommen und dennoch pünktlich aufzustehen, ohne müde zu sein? Der mittlerweile vierte Wecker drängelte mich aus der warmen Decke und stellte mir ernsthaft die Frage, ob arbeiten und leben an einem Ort wirklich die richtige Entscheidung war. Neben mir hatte es sich das Monster bequem gemacht, wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, als er mir in die Augen blickte. Nur mit Mühe konnte ich sie offenhalten und strich verschlafen dem Tier über den Kopf. Aus dem Wohnzimmer ertönte mechanisches Tippen in einem gleichmäßigen Rhythmus.
      “Gehst du jetzt unter die Autoren?”, rief ich heiser und schmunzelte in mich hinein. Die Geräusche verstummten. Es folgte ein kratziges Schieben über den Holzfußboden, ehe das Knarren ertönte und sich Schritte nährten.
      “Nein”, lachte er und nahm Platz auf der Bettkante, “vielleicht so ähnlich.”
      Interessiert zog ich eine Braue nach oben, krabbelte über die Decke hinweg zu ihm. Noch bevor eine Antwort kam, legte er eine Hand an meinem Kopf, strich sanft mit dem Daumen über meine Wange. Seine Lippen umzuckte ein Lächeln fröhlicher Zuversicht, als wolle Erik mir mitteilen, dass ich nichts mehr zu verlieren hatte. Innerlich strafte mich jedoch ein Gefühl der Zerrissenheit, und dem Wissen einander nur etwas vorzumachen. Er versteckte seine Angst, Kummer und Scheu hinter einer Fassade aus Selbstbewusstsein, konnte sich nicht eingestehen, die echten Gefühlen zu zeigen oder sich dem hinzugeben. So auch ich. Für mich gab es nur Kampf oder Flucht, obwohl mir der Rausch in seiner Nähe oft den Kopf vernebelte und ich alles gab, meine Unsicherheit zu überspielen. Ich schloss meine Augen, hoffend darauf mehr von ihm zu spüren. Aber in den Genuss kam ich nicht sofort. Trymr sprang zwischen uns, warf mich um und ich begann zu lachen. Das Fellknäuel ließ sich auf meinem Schoß fallen, als wäre das Tier nur wenige Zentimeter größer als eine Handtasche.
      “Ach Trymr”, stöhnte ich vergnügt und drückte seinen Hintern mehrfach zur Seite. Immer wieder kam er zurück, wedelte mit dem Schwanz und quietschte.
      > Gå ner!
      „Geh runter”, tadelte Erik und blickte ernst zu seinem Hund, der die Pupillen nach oben schob. Das Weiß kam hervor.
      “Er hätte auch hierbleiben können”, richtete ich mich wieder auf, strich die wenigen Hundehaare von meinem dunklen Oberteil.
      „Absammeln hilft bei den dünnen Haaren nicht“, erklärte er mir.
      Zur gleichen Zeit klopfte es zweimal laut an der Haustür. Direkt bekundete Trymr sein Leid, bellte und jaulte auf, als hätte er Angst, aber wolle gleichzeitig uns vor dem Geräusch schützen. Kurz drehte ich mich zur Seite, beschloss dann, mich weiter um die Morgentoilette zu kümmern.
      „Ich komme“, rief Erik, dann folgten Schritte. Wirr um den Kopf reckte ich diesen durch die Badezimmertür in den Flur.
      „Reicht dafür ein Klopfen?“, lachte ich. Mit einem Mal stand er vor mir, als hätte Erik sich zu mir gezaubert. In der Hand hielt er sein Hemd, legte es wie einen Schal um meinen Hals und drückte mich an sich heran. Erneut setzte das Kribbeln ein und in seinen blau-grauen Augen funkelte es wollüstig.
      “Wenn du es mir verwehrst?”, schmunzelte er.
      Ich schluckte und antwortete mit kratziger Kehle: “Du machst es mir nicht leicht.”
      “So der Plan.”
      Dann ertönte das Klopfen erneut, aber energischer und klang dringlich. Trymr bellte laut auf.
      “Ich geh’ dann mal nachsehen”, ließ Erik von mir ab, streifte sich das Hemd über und knöpfte es beim Laufen zu. Ich machte mir erneut die Haare. Der Spiegel vor mir sprach Bände. Mein Gesicht war übersät von kleinen geplatzten Adern unter meiner Haut, in Augen ebenfalls. Dazu traten die beiden Löcher an einem Mund hervor, wo sich mal die Lippenpiercings befanden. Schnell griff ich nach meiner Schminke und sorgte dafür, dass ich gesellschaftstauglich wirkte, auch wenn ich nur auf einem Pferdehof meine Zeit verbrachte.
      “Vivi, ist für dich”, wurde ich gerufen und sprang fröhlich aus dem Bad. Er trat zur Seite. Lina stand in der Kälte und grinste. Obwohl ich vor nicht mehr als einer Minute die Röte meiner Wangen verdeckte, spürte ich, dass sie wie Weihnachtsbeleuchtung wieder strahlte. Für gewöhnlich war mir nur sehr wenig unangenehm, doch dass Erik halb nackt die Tür öffnete, verunsicherte mich mehr als ich wollte. Die reflektierte und erwachsene Seite vertraute darauf, dass Lina ein Engel an Sanftmut war, weder kokett noch mit lüsterner Blicke auf ihn bedacht. Allerdings beruhte meine Erfahrung darauf, dass stille Wasser tief sind und ich ihn nicht teilen wollte, bestenfalls mit niemandem.
      „Ich“, kam es nur in Fetzen aus meinem Mund, „bin gleich so weit.“
      „Stress dich nicht“, munterte Lina mich auf. Dann hielt ich die Tür ein Stück weiter auf, um sie hereinzubitten. Ein eisiger Luftzug streifte mein Gesicht. So schnell wie möglich drückte ich die Eingangspforte zurück ins Schloss, um den Hauch aus dem Norden vor dem Haus zu lassen.
      „Kaffee? Tee?“, fragte ich höflich. Sie verneinte.
      Wir standen in der einigermaßen geräumigen Küche, die ausnahmsweise in einem ansehnlichen Zustand war, in der Trymr innig von Lina begrüßt wurde und eine intensive Streicheleinheit genoss. Währenddessen diskutierte ich mit meiner Kaffeemaschine, dass sie genug Wasser im Tank hatte, um mir das gewünschte Heißgetränk zuzubereiten. Sie hörte mit dem nervigen Piepen nicht auf, also füllte ich mit einem Messbecher aus dem Schrank die letzten Milliliter des Tanks, womit sie nun endlich zufriedengestellt war. Laut ertönte das Mahlwerk, dass die Bohnen zerkleinerte und dadurch das Wasser in die Tasse drückte. Ich nutze den Augenblick auf das ursprüngliche Gespräch zurückzukommen. Es wurde Zeit, etwas mehr über ihn zu erfahren.
      “Wenn du keinen Bestseller-Roman schreibst, was dann?”, sah ich über meine Schulter hinweg zu Erik, der sich zum Schutze meines geistigen Zustandes die Hose wieder übergezogen hatte.
      “Vielleicht geht er ja unter die Journalisten”, stellte Lina eine gewagte Hypothese auf.
      “Interessante Idee”, überlegte ich laut. Vor der Couch schielte er zu uns und schüttelte belustigt mit dem Kopf.
      “Später könnte beides der Fall sein, aber das würde noch einige Jahre dauern und bedauerliche Morde benötigen”, sagte er forsch und stellte sein Laptop zur Seite, “aber ich erkläre es dir so, dass du es verstehen solltest.”
      “Was soll das denn heißen?”, beschwerte ich mich lautstark. Dann sippte ich am Rand der Tasse, verbrannte mir natürlich die Zunge. Bedauerlich wedelte ich mit meiner Hand vor dem Mund. Autsch.
      “Dass du manchmal schwer von Begriff bist. Aber ich halte mich kurz. Wir müssen gerade ein Fallbeispiel bearbeiten und dafür werte ich diverse Statistiken aus, untersuche Zusammenhänge und vergleiche Zeugenaussagen, um erste Indizien zu finden”, erklärte Erik. Sonderlich spannend klang es allerdings nicht und ich sah auch keinen wirklichen Grund dafür schon vor acht Uhr aufgestanden zu sein.
      “Statistiken so früh am Morgen, wirklich spannend”, sprach Lina mein Gedanken aus und der sarkastische Unterton war nur schwer zu überhören.
      “Ihr seid doch doof”, schenkte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Elektrogerät. Wir beide ließen ihn in Ruhe, die Aufgaben weiterbearbeiten und unterhielten uns über die Pferde, besonders ihre Rappstute, Redo, war das Thema des Morgens. Die Freude übertrug sich phasenweise immer mehr auf mich. In meinem Verstand manifestierte sich die Tatsache, dass auch ich womöglich heute mein eigenes Pferd bekam, aber es auf dem Hof nichts besonders sein würde. Hier kamen andauernd neue Vierbeiner. Was war mein Problem? Ich durchforste die Nervenstränge meines Hirns, bis ich den Ursprung fand des Schweregefühls. Lubi wurde zwar die ersten Tage bewundert, wenn ich in der Halle ritt, doch mittlerweile ignorierte mich jeder, niemand lobte mich oder gab mir das Gefühl, etwas beizutragen. Schrecklich, dass ich mir darüber überhaupt Gedanken machte, schließlich war alles wie immer.
      “Hast du heute Nachmittag schon was geplant?”, fragte ich vorsichtig und konnte endlich einen kräftigen Schluck der bitteren Flüssigkeit.
      “Nein, bisher noch nicht”, antwortete sie, „warum fragst du?”
      “Ich … ähm, nein, eher wir gehen uns nachher ein Pony angucken. Aber ich habe doch keine Ahnung”, gab ich wehleidig meine Unfähigkeit zu, senkte mein Kopf Richtung Tasse, die ich im Anschluss erneut ansetzte. Warm floss der Kaffee mir die Kehle herunter, löste den schweren Kloß und ich bekam wieder das Gefühl tief durchatmenzukönnen.
      “Ich nehme an, deine Frage zielt darauf ab, dass ich euch begleite?”, fragte sie nach, woraufhin ich bestätigend nickte.
      “Toll, dass du jetzt auch unter die Pferdebesitzer gehen möchtest”, frohlockte sie, “Liebend gerne helfe ich dir dabei.”
      “Aber erst muss ich mit meinem Kontostand ein ernstes Gespräch führen”, murmelte ich und sah die letzten Ersparnisse erstaunlich schnell schwinden, sobald ein Vierbeiner in mein Leben treten würde. Keines der Tierheime wollte ich mitteilen ab sofort die Zahlungen einzustellen, denn auch die Hunde in Griechenland benötigten meine Hilfe. Auch, wenn es noch eine andere Möglichkeit gab.
      “Vivi, jetzt mach’ dir nicht um solch unnötige Dinge Gedanken”, kam es stillschweigend von der Couch. Erik spukte immer in meinem Kopf herum, als hätte er mir einen Chip am ersten Abend eingesetzt und verfolgte seitdem alles, was in mir herumschwirrte.
      “Ist klar, dass du wieder so großspurige Töne spuckst”, rollte ich mit den Augen.
      “Musst du nicht langsam arbeiten?”, provozierte er belustigt weiter. Lina nickte. Dann war es das Zeichen den Kampf in der Kälte zu beginnen.

      Später im Stall

      Unter meinen Pullover zog ich noch einen Rollkragen Pullover. Den Kragen stellte ich so hoch wie möglich auf, um den Kräften der Natur standhaft gegenüberzutreten. Na gut, holte so schnell wie möglich Fruity vom Paddock, die mit aufgestellten Ohren und blauen lachenden Augen neben mir hertrottete. Der Schweif pendelte gelassen bei jedem der weiten Schritte. Lina hatte in der Gasse bereits alles vorbereitet, ja, sogar das Sattelzeug hing schon da.
      “Danke, dass du mitgedacht hast”, grinste ich und band die Stute in der Putzbox an. An uns vorbeihuschten verschiedene Gestalten mit ihren Pferden und auch Folke mit Sturmi, einem jungen Hengst der Rennpferde. Er erzählte kurz, dass er mit ihm nun den zweiten Heat des Tages fahren gehen würde und die Zeiten vom ersten bereits sehr vielversprechend waren. Aus meiner Hosentasche kramte ich ein Leckerli. Interessiert hob die Stute ihren Kopf und verdrehte ihn leicht zur Seite, ihre Art, um zu betteln. Ich lachte und stopfte den kleinen Brick ins Maul des Pferdes. Dann strich ihr über den rasierten Hals, ehe ich mit dem vollen Putzprogramm begann. Obwohl sie auf dem Paddock die dicke Winterdecke trug, hatte Fruity es geschafft an ihrem ganzen Körper Sand zu verteilen, der sich nur mit Mühe entfernen ließ. Verärgert wechselte ich mehrfach die Bürste, bis ich am Ende noch einmal die Stehmähne gerade schnitt und auch den Schweif einige Millimeter kürzte.
      “Ich würde sagen, du siehst perfekt aus, aber ich wünsche mir so sehr, dass du hierbleibst”, musterte ich die Stute.
      “Jap, sieht gut aus”, bestätigte Lina, die mein fertiges Werk betrachtete, “Bei deinem Wunsch würde ich dir zustimmen, aber man kann leider nicht alles haben.”
      “Natürlich könnte man”, protestierte ich. Aber noch bevor ich weitere Hasstiraden schüren konnte, kam Tyrell von der Seite mit musterndem Blick.
      “Ich sehe schon, ihr beiden habt das im Griff”, grinste er. Wir nickten.
      “Und du musst noch lernen, professionell zu bleiben. Nimm’ dir ein Beispiel an Lina, sie macht das wirklich gut”, fügte unser Chef noch hinzu, bevor er mit dem Halfter weiter zum Paddock der Hengste lief.
      “Verschwende deine Energie mal nicht aufs Schimpfen, die kannst du gleich noch viel besser verwenden”, blieb Lina vollkommen unberührt und begann die türkisfarbenen Fesselkopfgamaschen an den Beinen der Falbstute zu befestigen.
      “Willst du nicht lieber Warm- und Vorreiten?”, erkundigte ich mich. Sie hatte deutlich mehr Erfahrung als ich und ihre Reittechnik war ebenfalls besser. Schade, dass sie nicht im Team reiten durfte, denn ich schätzte sie als gut genug ein. Aber sagen wir es anders: ununterbrochen vibrierte es in meiner Hosentasche am Bein. Natürlich zügelte ich meine Neugier auf das Nötigste, um schnellstmöglich mit dem Pferd fertig zu werden, aber in meinem Inneren brannte es, besonders in meinem Kehlen.
      “Du lässt heute auch nichts unversucht”, stelle sie schmunzelnd fest, “aber nein. Erstens kennst du Fruity genauer als ich und beim Reiten bewundert werden kannst du auch viel besser. ”
      Ich seufzte.
      “Das sagst gerade du!”, ein wirklich gutes Argument fiel mir jedoch nicht ein, also führte ich Fruity der Box heraus zur Halle. Lina öffnete mir freundlich die Tür und dann stieg ich auf. Mit meiner Hand griff ich zu meinem Kopf – kein Helm, egal. Im Schritt führte ich die Stute zunächst einige Runden durch den Sand, ehe ich mich auf der Mittellinie aufstellte, den Gurt zwei Löcher enger zog und mich in den barocken Sattel schwang. Leider musste ich mir eingestehen, dass die Neugier mich immer mehr auf die Folter spannte, als wäre sie ein Bogen mit Pfeil, bei dem nur noch das My fehlte, um zu zerreißen. Weit und breit war noch niemand zu sehen, also beschloss ich, die wohl einzige Regel zu brechen, die ich mir bisher zum Reiten setzte; kein Handy auf dem Rücken eines Pferdes.
      Aus der seitlichen Tasche an meinem Bein zog ich das Gerät heraus und es entsperrte sich umgehend mit der Gesichtserkennung. Im Nachrichtenordner befanden sich drei an der Zahl, eine davon war noch immer von Niklas, die ich mir seit gestern ersparte zu lesen, denn schon der Anfang klang nach typisch männlichem Geheule, durch kränken seines Egos. Doch darüber leuchtete eine blaue Zwei neben Avledning. Nervös biss ich mir auf die Unterlippe und nach einem tiefen Atemzug tippte ich mit geschlossenen Augen auf dem Chat. Meine Augen fuhren schnell über die Worte: “Godmorgon. Wolltest du mir nicht mitteilen, wie es gelaufen ist? Enttäuschend. Also, ich warte ungern, du weißt.” Schlagartig beschleunigte mein Herzschlag und mit meiner Hand, in der ich das Gerät hielt, drückte gegen meine Brust, als wäre die ultimative Heilung durch meinen Körper gefahren. Einhändig tippte ich mit einem breiten Lächeln auf den Lippen: “Hej. Es tut mir leid, wirklich. Ich hätte dir Bescheid sagen sollen, dass ich zeitlich ziemlich eingespannt bin. Es lief gut, wir haben uns wieder zusammengerauft.” Dann sah ich hoch, bremste die Stute mit meinem Sitz im Tempo ab. Noch immer waren keine Gäste in Sicht, umso mehr Glück erfuhr ich. Der Unbekannte antwortete umgehend.
      “Freut mich, aber was ist mit uns? Besteht weiterhin dein Interesse an Ablenkung, oder möchtest du es beenden?”, las ich erst einmal, dann erneut und wieder. Mir blieb die Luft weg. Was wollte ich? Unsicher hielt ich vor Lina an, das Lächeln schien immer noch präsent in meinem Gesicht, denn sie musterte mich sehr genau. Ihr Blick schwankte von unten nach oben, als wüsste sie genau, worum es ging.
      “Ich kenne diesen Blick”, erfasste sie, “Du schreibst noch immer mit dem Unbekannten.”
      “Eher schon wieder. Und er fragt, ob es dabeibleibt, oder ob ich aufhören will”, beim Sprechen strich ich mir eine der losen Haarsträhnen hinters Ohr.
      “Und offensichtlich denkst du noch über die Antwort nach, sonst würden deine Finger bereits über die Tastatur fliegen”, bemerkte sie und musterte mich mit zusammengezogenen Augenbrauen.
      “Ja, weil ich Angst habe, dass Erik wieder geht”, für einen Augenblick hielt ich inne. Es fühlte sich so real an, als würde mit ihm alles auf Kipp stehen und jeder kleinste Fehler meinerseits wieder das Verlassen werden einleiten. Ich atmete tief durch und sagte: “Obwohl es nur so was wie ein guter Freund ist, also nichts worüber man zweifeln sollte. Vielleicht wegen der Inhalte, aber sonst.” Aus der Ferne ertönten die Schritte von drei Personen und vergnügtes Lachen. Scheint, als würden unsere Gäste in wenigen Minuten da sein.
      “Ich verstehe deine Angst, aber wenn es nicht zu zweifeln gibt, gibt es doch auch keinen Grund das zu beenden”, antworte sie erwägend. Verschmitzt grinste ich Lina an. Wenigstens einer, der es verstand. Ich nickte und ritt Fruity wieder an, während meine Finger über den Touchscreen fegten: “Aus welchem Grund? Gibt es etwas, das ich wissen sollte? Aber entschuldige mich bitte, ich muss nun arbeiten. Wir schreiben später.”
      Für einen Augenblick starte ich noch auf mein Telefon, bis die Schritte so nah klangen und eine Nachricht erschien noch. In meiner Brust sprang es einige Male auf und ab, denn ungewöhnlicherweise leuchtete am Ende seiner Nachricht ein schwarzes Herz auf, das eine Art Motivation in mir weckte. Ich steckte es zurück und trabte am langen Zügel an.

      Whitehorse Creek, Kanada.

      SAMU
      Müde fuhr ich mir mit der Hand übers Gesicht, als pünktlich um sieben Uhr dreißig der Wecker klingelte. Die letzte Nacht war kurz gewesen, denn zum Anlass meiner endgültigen Abreise aus Kanada hatten meine Kollegen noch eine kleine Abschiedsfeier organisiert und wie das so häufig war, ging das Ganze länger als geplant. Ich zog die Vorhänge auf, um die ersten Sonnenstrahlen, die über die entfernten Bergrücken kletterten, hineinzulassen. Die Welt draußen war überzogen von Frostkristallen, die im ersten Licht des Tages glitzerten. Doch, für die Betrachtung der Natur bleib heute keine Zeit, denn schon um zehn Uhr mussten die Pferde auf dem Hänger stehen, damit wir pünktlich am Flughafen sein würde. Noch im Halbschlaf schlurfte ich ins Badezimmer, um mithilfe einer warmen Dusche, erst einmal meine Lebensgeister zu aktivieren.
      Eine halbe Stunde später saß ich mit einer dampfenden Tasse Kaffee, die ihren kräftigen Geruch in der Küche verteilte, am Küchentisch und kaum hatte ich mein Handy in der Hand, ploppten auch schon zahlreiche Benachrichtigungen auf. Ungefähr fünf der Nachrichten stammten von Lina, die mir einerseits Bilder ihrer neuen Stute geschickt hatte und sich andererseits darüber beschwerte, dass sie gestern kein Update über Divine bekommen hatte. Was auch immer es war, was Schweden an sich hatte, dass sie sich nun schon das zweite Pferd anschaffte, ich freute mich für sie. Dass sie mal mehr als einen der felligen Vierbeiner besitzen wurde, war mir schon lange klar, nur, nicht dass es so schnell gehen würde. Wenn sie so fortschreiten würde, würde sie nur allzu bald in die Fußstapfen ihrer Tante treten und ihre eigene Pferdezucht auf die Beine stellen und Schweden mit lauter kleinen Freibergern überfluten.
      Aber außer Lina verlangte auch noch jemand anderes nach Aufmerksamkeit, denn die Nachricht, die gerade eintrudelte, stammten wie jeden Morgen von meiner Freundin, die mir immer nach der Arbeit, einen kleinen Morgengruß sendete. Selig vor mich hinein grinsend tippte ich Enya eine ausführliche Antwort. Ich konnte es kaum erwarten meine Mädchen wieder in die Arme zu schließen, fehlte sie mir seit dem Besuch in Schweden noch mehr als vorher.
      Eine Nachricht von Jace, holte mich aus meinen Gedanken und erinnerte mich daran, dass noch einiges zu tun war, bis es zu diesem Ereignis kommen würde. Mit einem Zug leerte ich den Kaffeebecher, bevor ich die Küche aufräumte, um anschließend noch die letzten Dinge in den Koffer zu werfen. Die Pferdesachen hatte ich gestern bereits zusammengepackt, wobei Linas Zubehörsammlung, die sich noch in Divines Spind befand, den Großteil einnahm. Wie konnte man nur so viele Schabracken besitzen und mit Gewissheit konnte ich sagen, dass sie den Großteil davon anschaffte, bevor sie auch nur ein einziges Pferd besaß.
      An der Tür griff ich mir meine Jacke und lief zum Stall hinüber, wo Jace bereits dran war, die Pferde zu füttern.
      “Guten Morgen”, grüßte ich meinen Kollegen, der mit kurz zunickte und anschließend seiner Arbeit weiter nachging. Keks, die es wie so häufig nicht erwarten konnte, bediente sich einfach schon mal selbst aus der Schubkarre. Ach, wie ich die Pferdebande hier doch vermissen würde, einige der Tierchen waren mir doch ziemlich ans Herz gewachsen. Aus der Sattelkammer griff ich mir Divines Halfter, an dem der kleine Schutzengel baumelte, sowie auch das von Legolas, um die beiden Pferde von der Koppel zu holen.
      Der weiße Freiberger, der mittlerweile eher einem plüschigen Teddybären mit seinen kleinen Öhrchen ähnelte, wartete bereit am Tor. Eigentlich hatte ich Lina ein sauberes Pferd mitbringen wollen, nur Ivy schien andere Pläne zu haben. Irgendwie schaffte er es, sich die leichte Decke, die ich ihm gestern angezogen hatten, halb auszuziehen. Die Decke hing zu Hälfte auf dem Boden und ein dunkler Matschfleck hob sich von dem hellen Fell ab.
      Ich zog mein Handy aus der Tasche und beschloss Linas Wunsch nach einem Ivy Update zu befriedigen: “Dein Pony hat sich extra für dich hübsch gemacht”, kommentierte ich das Bild und drückte auf den Knopf zum Senden.
      In mich hinein grinsend öffnete ich das Koppeltor und streifte das Halfter über seinen Kopf. Der kräftige Hannoveranerhengst stand nicht weit entfernt und kam gutmütig auf mich zu getrottet, sobald ich nach ihm reif.
      “Na kommt ihr zwei”, setzte ich die beiden in Bewegung, nachdem ich auch den Rappen aufgehalftert hatte und führte sie zum Stall.
      Legolas stellte ich in die Box, denn als Erstes wollte ich versuchen den Matschfleck aus Divines Fell zumindest ein wenig auszubürsten. Die Regendecke von Divine tausche ich mit einer Abschwitzdecke aus, bevor ich mich mit Schimmelspray bewaffnet an seinem Fell zu schaffen machte. Nach knapp zwanzig Minuten war Ivys Fell wenigstens wieder ansatzweise weiß. Schweif und Mähne flocht ich ein, denn Lina wusste es sicherlich zu schätzen, wenn die mühevoll herangezüchtete Mähne unversehrt blieb.
      “Samu, bist du bald so weit? Wir sollten so langsam das Auto packen und die beiden verladen”, rief Jace über die Stallgasse.
      “Ja, in fünf Minuten bin ich fertig, aber du kannst ja schon mal anfangen”, entgegnete ich, während ich die kräftigen Beine des Hengstes mit Transportgamaschen umhüllte. Jace nickte und verschwand aus der Stallgasse. Divine war somit Abfahrt bereit, fehlte nur noch mein eigenes Pferd. Bei Lego tauschte ich lediglich die Decke und verpackte auch seine Beine sicher in Gamaschen. Ich ließ die beiden Pferde auf der Stallgasse stehen und trat aus dem Stall hinaus, um nach Jace zu sehen. Dieser hatte mittlerweile das Auto samt Hänger vorgefahren und packte gerade die Koffer ein. Perfekt, denn dann konnten die beiden Pferde auch gleich verladen werden. Ich verschwand wieder im Stall und füllte noch Heunetzte, die ich im Hänger platzierte, damit die beiden auch etwas zu knabbern, hatten auf der Fahrt.
      “Okay, ist das so weit alles bis auf die Pferde?”, erkundigte sich mein Kollege, der gerade den letzten Koffer ins Auto packte.
      “Wenn du auch Linas Pferdekoffer aus der Stallgasse mitgenommen hast, ja”, lachte ich.
      “Pferdekoffer?”, fragte Jace stirnrunzelnd nach.
      “Ja, da sind ihre ganzen Schabracken und all das Zeug drin”, antworte ich.
      “Ah, das war also drin”, sagte Jace, ”aber ja, den habe ich eingepackt.” Gemeinsam gingen wir zurück in den Stall, um nun auch noch die Pferde zu holen. Jace wirkte fast ein wenig trübselig, als er dem Freiberger über das lange Fell strich, bevor er ihn losband. So hundertprozentig schien er noch nicht über Lina hinweggekommen sein, obwohl er sich seit ein paar Wochen des Öfteren mit einem Mädchen traf.
      “Jace, alles okay bei dir?”, hakte ich nach, als er immer noch wie angewurzelt neben dem Freiberger stand und ihn streichelte, als ich mit Legolas loslief.
      “Ja, alles gut”, seine Stimme klang ein wenig belegt und ich glaubte ein verräterisches Glitzern in seine Augen zu sehen, was er eilig hinfort blinzelte. Schweigend verluden wir die beiden Hengste. Ein letztes Mal wand ich mich um, nahm den Hof in Augenschein. Viele Erinnerungen kamen auf. Momente voller Freude, aber auch Momente voller Trauer, Sorge und Wut. Ursprünglich war gar nicht vorgesehen, dass wir hier so lange bleiben würden, ein Monat war angedacht, sollte das Whitehorse Creek doch eine der letzten Stationen sein, bevor es zurück in die Heimat ging. Doch Lina hatte sich hier so wohlgefühlt, blühte richtig aus, dass aus einem Monat zwei wurden und aus Monaten wurden schließlich Jahre. Jahre, in denen jeder von uns eine feste Rolle hier hatte und auf seine eigene Weise den Hof bereicherte, nicht zu vergessen auch die persönliche Entwicklung. In meiner Ausbildung, die ich auf einem ziemlich prestigeträchtigen Hof machte, hatte ich ausschließlich mit hochkarätigen Pferden zu tun, die einen Stammbaum mit sich brachten, der durchzogen war von den erfolgreichsten Pferden der Szenen. Bei uns wurde nie ein Pferd angeritten, bevor es nicht mindestens 4 ½ Jahre alt war, aber immer mal wieder hatten wir junge Pferde in Beritt, die bereits 4-jährig S-Lektionen liefen, was in den meisten Fällen aber auch viele Probleme mit sich brachte. Unwillige, hypersensibler Tiere, die nur in Haltung liefen, wenn der Reiter sie mit dem Zügel in Position hielt, waren keine Seltenheit in der Dressur. Häufig wurde diese mangelnde Ausbildung mit schwungvollen Gängen und großrahmigen Pferden zu überdecken versucht. Traurigerweise sah man solche Pferde viel zu oft auf europäischen Turnierplätzen und für meinen Geschmack bekamen sie viel zu häufig, viel zu gute Noten. Im Springen hingegen sah man viel Pferde, die unkontrolliert durch den Parcours bretterten und der Reiter allein durch eine harte Hand und ein scharfes Gebiss überhaupt Kontrolle über ihr Tier hatten. Auf dem Whitehorse Creek genoss ich es regelrecht weit weg von der dem alltäglichen Wahnsinn der Turnierwelt zu sein. Das sollte man nicht falsch verstehen, ich präsentiere gerne das, was ich mit einem Pferd erreicht habe, aber mir geht es dabei immer, um Fairness gegenüber dem Tier und den Spaß an der Sache. Insgesamt empfand ich die Atmosphäre hier in Kanada stets als sehr angenehmen. Dadurch, dass die englische Reitszene nicht ganz so groß war wie die europäische, schien man alles auf nationaler Ebene deutlich entspannter zu sein. Neben der gemäßigten Atmosphäre auf den Turnieren werden mir auch die schier endlosen Ausritte durch die Rockey Mountain fehlen, die ihren ganz eigenen Charme mitbrachten und nicht zu vergessen auch die Hofgemeinschaft, die über die Jahre eine zweite Familie geworden war. Auch, wenn ich mich hier immer sehr wohlgefühlt hatte, konnte Kanada nie wirklich zu einer Heimat für mich werden, weshalb nun der Zeitpunkt für eine Veränderung gekommen war. Dankbar über all die Erfahrungen, die ich hatte, sammeln dürfen, würde ich diesen erinnerungsträchtigen Ort hier hinter mir lassen.
      “Na, komm, wir müssen los”, forderte Jace mich freundlich dazu auf ins Auto zu steigen. Einen, nun wirklich, allerletzten Blick warf ich auf das Gestüt, bevor ich in den Wagen stieg. Im Auto herrsche eine melancholische Stimmung und jeder von uns hing so seinen Gedanken nach. Meine Gedanken driften von dem, was ich hinter mir ließ, immer mal wieder zudem, was jetzt auf mich zukommen würde, durchmischt mit Fragen, wie es Lina wohl in dem vergangenen Monat ergangen sei. Diese Frage drängte sich immer wieder in mein Bewusstsein, obwohl wir ja in regem Austausch miteinander standen. Am Telefon konnte ich ihre Stimmungen nur eingeschränkt deuten, zumal Lina noch nie jemand gewesen war, der gerne telefonierte, weshalb sie Gespräche für gewöhnlich kurzhielt. Der Gedanke, dass sie etwas versteckte, um mir keine Sorgen zu bereiten, schlich sich in den letzten Wochen öfter in meine Gedanken. Im Vertrauen darauf, dass Lina trotz der Distanz auf mich zukam, wenn ihr etwas auf dem Herzen lagt, schob ich ihn allerdings beiseite.
      “Samu”, sprach Jace plötzlich in die Stille hinein, “Jetzt, wo du Ivy mitnimmst, fühlst es sich an, als würde auch das letzte Stück von Lina mit ihm verschwinden.” Jace starrte mit zusammengepressten Lippen auf die Straße vor ihm.
      “Ich habe Angst davor, dass mit den letzten physischen Spuren ihrer Existenz auch die Erinnerung schwindet, als sei sie nie da gewesen. Samu, ich möchte sie nicht vergessen. Gleichzeit habe ich Bedenken dabei mit ihr in Kontakt zu treten, dass ich damit etwas Schlechtes heraufbeschwören könnte”, sprach er kummervoll, “Ich möchte doch, nur dass sie glücklich ist.”
      Es war ungewöhnlich für Jace, dass er so frei heraus sprach, waren solch tiefe Einblicke in seine Seele doch meist Alec vorbehalten.
      “Jace, ich weiß, jemanden loszulassen ist nicht einfach, aber wenn du ihr weiterhin so hinterhertrauerst, wirst du dir nur selbst im Weg stehen und damit ist niemandem geholfen. Vergiss nicht, Lina ist nicht aus der Welt und auch deine Erinnerung werden sich nicht einfach in Luft auflösen. Zudem hat sie deutlich mehr Spuren zurückgelassen außer ihrem Pferd, du musst nur ein wenig genauer hinsehen”, sagte ich ermunternd. ”Ich kann dir nur sagen, dass es Lina aus meinem aktuellen Blickwinkel super geht, sie hat sich sogar gerade erst ein weiteres Pferd gekauft.” Jace nickte beim letzten Satz als sei das keine neue Information für ihn. Ich vermute, auch er hatte ihre kleine Story gesehen, die sie zu Ankunft der Stute online gestellt hatte.
      “Das ist auch alles schön und gut, aber was ist denn mit ihrer Beziehung? Ich mag diesen Kerl zwar ausgesprochen wenig, aber wenn das Linas Wahl ist, möchte ich dem auch nicht wieder im Weg stehen”, brachte Jace seinen Zweifel hervor. Einige der Dinge, die im Sommer, zwischen ihm und Lina vorgefallen waren, schien er wirklich zu bereuen.
      “Jace, du müsstest dich schon wirklich dämlich anstellen, um aus der Entfernung im Weg zustehen. Lina mag zerbrechlich wirken und ich kenne dein Bedürfnis, sie vor allem Unheil schützen wollten, nur zu gut, aber sie ist stärker als man glauben mag. Das zeigt sie jeden Tag aufs Neue”, sprach ich bedacht darauf, nicht aus Versehen Dinge preiszugeben, die nicht für Jace Ohren bestimmt waren. Der letzte Satz war tatsächlich nicht nur so dahingesagt, nein es entsprach der Wahrheit. Viele Dinge trägt sie mit sich herum und obwohl es einige Menschen gibt, die ihr mit diesen Belastungen helfen wollen, offenbart sie diese nur ungern, was es schwer macht sie, als Persönlichkeit vollständig zu erfassen.
      “Danke Samu, für deine Worte”, murmelte Jace. Auf der weiten offenen Fläche eröffnete sich nun das umzäunte Rollfeld, auf dem eine gigantische Maschine Fahrt aufnahm, um dann in einem steilen Winkel in den Himmel emporzusteigen. An einer Kreuzung bog Jace ab und folgte der breiten Straße zur Animal Lounge, wo wir als Erstes die beiden Pferde abgeben würden, bevor ich mich dann selbst auf dem Weg zum Boarding machte. Nachdem ich uns am Serviceschalter angemeldet hatte, kam auch sogleich ein Mitarbeiter, der uns zeigte, wo wir die Tiere ausladen konnten. Als Erstes luden, wird Divine aus, bevor ich auch meinen Rappen von der Rampe führte. Neugierig nahmen die beiden Hengste ihre Umgebung in Augenschein und der Freiberger ließ ein aufgeregtes Wiehern ertönen. Am Eingang der großen Halle bekamen die beiden nach der Überprüfung des Mikrochips noch jeweils ein Schild an ihr Halfter, wo Flugnummer, Zielflughafen, Name, sowie auch Farbe und Geschlecht darauf standen. Die Decken mussten die beiden ausziehen, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass sie damit in der Kiste irgendwo hängen bleiben würden, zudem wurde der Bauch des Flugzeugs extra beheizt, damit die lebende Fracht nicht fror. Als Erstes nahmen die Männer Legolas entgegen. Anstandslos ließ sich der Rappe in die große Metallkiste führen. Divine hingegen wehrte sich ein wenig. Mit aufgerissenen Augen starrte der Hengst die Kiste an und wollte keinen Fuß auf die Rampe setzen. Erst nach viel Gutem zu reden, ließ der Freiberger sich in den Container schieben. Erleichterung breitet sich aus, das hätte mir jetzt noch gefehlt, dass ich Lina sagen musste, dass ihr Pferd leider in Kanada bleiben musste, weil er nicht in den Container wollte.
      Nachdem die beiden Pferde verladen waren und sich auf dem Weg ins Flugzeug befanden, stand nun auch das Boarding für mich an. Jace half mir noch das Gepäck aufzugeben, bevor Abschied nehmen hieß.

      Am späten Nachmittag, zurück in Schweden.

      VRISKA
      Mit zittrigen Beinen stand ich neben gescheckten Hengst Klinkker, nur Heinz genannt von uns, der seinen Kopf in die gelbe Schüssel steckte und mit kleinen Bissen das Futter kaute. Alles in seiner Umgebung musste Gelb sein, das filterte sich bereits als Jährling heraus, erzählte mein Chef häufig. Sobald jemand in einem Kleidungsstück am Zaun oder der Box vorbeilief, stellten sich seine Ohren auf, die Augen funkelten und eine unbeschreibliche Kraft strahlte er aus. Könnt ihr euch vorstellen, wie schwer es war, die Richter bei der Körung davon überzeugen, dass ich ein gelbes Shirt tragen musste für die Vorstellung? Nun, genauso schwer wie mich. Aber es fruchtete und damit durfte Heinz nicht nur als der beste Hengst gekürt werden, sondern fand einen festen Platz auf dem Gestüt. Zumindest so fest, wie man es von Fruity behaupten konnte. Zu meiner Zufriedenheit war es Chris, der Interesse an der Stute fand und sie für seine kleine Schwester wählte, die am heutigen Tag ihren vierzehnten Geburtstag feierte und endlich ein eigenes Pferd bekommen sollte. Die Freude war groß, als sie die Blauäugige in der Halle laufen sah und wenige Minuten später selbst im Sattel saß. Missmutig übergab ich ihr die Zügel, aber blieb dabei, nicht nach meinem Handy zu greifen, wie jetzt auch. Stattdessen beobachtete ich den Hengst.
      Um seine Augen herum war es dunkel und der Rest seines Körpers, der mit einer Decke bedeckt war, triefte vor Schweiß. Wir hatten eine kurze, aber intensive Reitstunde bei Tyrell, die viel mehr meine reiterlichen Fähigkeiten ausbaute als das Talent unter dem Sattel des Hengstes.
      “Heinz, bist du immer noch nicht fertig?”, rollte ich mit den Augen und schwankte die Schüssel ein wenig in der Luft, um den Inhalt zu prüfen.
      “Warum Heinz?”, fragte Lina, die gerade mit Girlie die Stallgasse entlangkam, ein wenig verwirrt und blieb mit der Stute vor mir stehen. Umgehend erhob der Hengst sein Haupt, die Nüstern blähten sich auf und ein leises Brummen ertönte. Mit einem kleinen Klaps an der Brust hielt ich ihn zurück einen Schritt nach vorn zu setzen, denn er sollte endlich auffressen.
      “Der hat nur Faxen im Kopf und als wir hierherzogen, das erste Grillen hatte, entschied er sich aus der Box zu befreien und vom Tisch die Ketchupflasche zu klauen. Anfangs hielten wir es für einen blöden Zufall, doch mittlerweile passiert es häufig und deswegen haben wir den Grillplatz verlegt”, erzählte ich lachend. Er fraß den Inhalt nicht, aber schraubte mit seiner Oberlippe den Schraubverschluss auf.
      “Wow, das ist mal eine außergewöhnliche Geschichte”, lächelte sie amüsiert.
      “Du hast vermutlich das einzig normale Pferd am Halfter. Alle anderen hier sind gestört, wirklich gestört”, nickte ich und musterte die Criollo Stute, die sich so weit wie möglich ihren Kopf streckte. So gern hätte sie sich an dem gelben Trog bedient, doch Lina verhinderte es.
      “Na du musst es ja wissen, aber so ein richtig verrücktes Pferd ist mir bisher nicht aufgefallen. Nur der alltägliche Wahnsinn”, lachte sie,” Ich würde ja jetzt sagen, wie gut, dass Ivy das bald ändert, aber zugeben, so ganz normal ist er auch nicht.” Ihre Augen begannen zu leuchten und die Freunde über die baldige Ankunft ihres Hengstes war ihr deutlich anzumerken.
      „Holst du ihn ab oder wird er gebracht?“, fragte ich freundlich.
      „Er wird gebracht“, sagte sie fröhlich, „allerdings vermutlich erst am Sonntag wegen der Quarantäne und so.“ Lina zog eine Schnute, die die Missgunst, über die ihrer Meinung nach unnötigen Wartezeiten deutlich zum Ausdruck brachte.
      “Verstehe”, dachte ich laut und wirbelte meine Finger durch die kurz geschnittene Mähne von Heinz, der noch immer nicht fertig gefressen hatte. Prüfend sah ich auf mein Handy, nur noch dreißig Minuten, bis es zum Pony losging. Wieder wurden meine Knie zittrig. Ich atmete tief durch und steckte es zurück, ohne ihm zu schreiben.
      „Aufgeregt wegen des Ponys?“, fragte Lina, der es wohl nicht entgangen war, “Was für ein Pferde möchtest du dir eigentlich ansehen? Einen Isländer oder doch eher etwas mit weniger Gängen?“
      “Eine Gurke”, schmunzelte ich und holte dann doch wieder mein Handy heraus. Die Finger huschten über dem Display, landeten schließlich in der Anzeige, bei der groß réservé, vermutlich reserviert in der Baguette-Sprache. Ich reichte ihr mein Gerät, wenn auch nur zögerlich, denn meine Angst, dass mein Unbekannter schrieb, war stets präsent. Interessiert las sie sich die Anzeige durch.
      “Ein Lusitano Reitpony Mix also, das klingt nach einer gewagten Mischung”, kommentierte Lina grinsend, “Aber niedlich sieht sie aus mit diesen lustigen kleinen Zöpfchen, da bin, ich mal gespannt wie sie sich in Natura zeigt.” Nachdem sie die Anzeige in aller Ausführlichkeit studiert hatte, reichte sie mein Handy zurück.
      “Für mich klingt es alles sehr seltsam bei dem niedrigen Preis, aber ich hätte sagen können, was ich will, denn Erik will sie unbedingt angucken und wenn wir mal ehrlich sind. Die wird bestimmt auch gekauft, ob ich will und nicht”, atmete ich unentschlossen aus. Auch ich wischte noch einmal die Bilder durch, steckte es schlussendlich wieder weg.
      “Erik hat das angeleiert? Ich dachte, er mag Pferde nicht besonders. Aber warte erst mal ab, nur weil ihre Geschichte ein wenig seltsam ist, muss das nichts heißen. In Kanada hatten wir einige Pferde, die seltsame Geschichten mit sich brachten, aber sich letztlich zu wunderbaren Tieren mauserten”, versuchte Lina mir die Bedenken ein wenig zunehmen.
      “Es ist auch kein Pferd, sondern ein Pony”, korrigierte ich lachend, “Aber ja, ich weiß auch nicht so recht. Der Typ wird immer seltsamer.” Zum Ende des Satzes wurde ich langsamer und vor allem leiser, denn ich hörte Schritte hinter mir. Behutsam drehte ich meinen Kopf nach hinten, aber zu meiner Freude kam Harlen dazu.
      “Nimmst du dann das Auto oder den Transport?”, fragte er und streckte mir zwei Bünde Schlüssel entgegen. Fragend sah ich Lina an: “Auto oder Transporter?”
      “Wenn du dir so sicher bist, dass das Pony eh gekauft wird, vielleicht besser gleich den Transporter”, riet sie mir halb scherzend, halb im Ernst.
      “Du sagst es”, murmelte ich und griff wenig überzeugt nach den Schlüsseln vom kleinen Transporter. Harlen grinste verschmitzt. Dann trat er einen Schritt näher an mich heran, um seine Arme herzlich um mich zu legen. Er flüsterte: “Überlege es dir aber gut, sonst musst du mehr arbeiten.” Auffällig rollte ich mit den Augen, stieß ihn sanft von mir weg.
      “Ja, ja. Aber am besten nimmst du dir diesen Rat selbst zu herzen, du hast bestimmt noch eine Menge zu tun”, zischte ich.
      “Viel Spaß mit der”, lachte er und sah dabei zu Lina, die noch immer grinste. Meine Stimmungsschwankungen waren furchtbar, besonders wenn von einer Sache nicht wirklich überzeugt war. Dazu zählte insbesondere Maxou, die mich überhaupt nicht ansprach, zwar interessant war, aber ich wollte eigentlich irgendwas … Ich wusste nicht einmal was.
      “Ach, die findet ihre Laune schon noch wieder”, winkte sie nur lachend ab, ihre Laune schien heute mal wieder wirklich unerschütterlich zu sein. Da der gepunkteten Stute die gelbe Futterschüssel verwehrt blieb, begann sie nun in Linas Jackentaschen nach etwas Essbarem zu suchen, doch statt ein Leckerli zu bekommen, strich Lina ihr nur durch die lange Mähne und tätschelte sanft ihren Hals.
      “Danke Heinz”, stöhnte ich erleichtert und führte ihn umgehend von der Schüssel weg, die nahezu leer war, aber nicht mehr für ihn interessant. Sogleich ergriff die Stute das Teil. In der Gasse zu dem Paddock leuchteten nacheinander die kleinen LED-Lampen auf, die neben der Wegbeleuchtung mir die Sicht ermöglichten. Es wurde immer schneller Dunkel und so dämmerte es bereits um kurz nach drei Uhr am Nachmittag. Ich nahm dem Hengst zunächst die Decke ab und dann das Halfter. Heinz schüttelte sich. Einen letzten Atemzug und dann gab es kein Zurück mehr.
      In der Sattelkammer hängte ich alles an seinen Platz zurück, holte meinen anderen Helm aus dem Regal und schloss hinter mir die Tür. Bellend rollte mir das Ungetüm entgegen, wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, bis es schließlich auf dem Boden lag und am Bauch gekrault wurde. Freundlich beugte ich mich über das Tier, strich ihm vergnügt durch das weiche Fell am Bauch. Dämonenartig unterhielten wir uns, abwechselnd von meinen hohen quietschenden Tönen und seinem tiefen brünstigen Grummeln.
      “Aber sonst stimmt alles bei euch?”, lachte Erik. Langsam kam er einige Schritte zu mir, die Hände in den Taschen seines Mantels und die Haare nach hinten gegelt. Mitleidig schob ich die Unterlippe vor die Obere.
      “Ja, aber bei dir offensichtlich nicht”, täuschte ich eine nicht vorhandene Enttäuschung vor, die er jedoch genauso auffasste, wie ich plante. Sein Lächeln verschwand und er kniete sich zu mir, legte eine seiner Hände auf meine Schulter.
      “Es tut mir leid. Was habe ich gemacht?”, fragte er. Flüchtig bekam ich einen Kuss auf die Wange.
      „Deine Haare“, wimmerte ich.
      Erik lachte und fuhr durch meine.
      „Aber, so kennst du mich doch“, half er mir hoch und zog mich im selben Atemzug fest an sich heran. Meine Hände verschwanden sofort im Mantel, wärmend an seinem Rücken. Verträumt sah ich hoch zu ihm, konnte das Lächeln nicht mehr ablegen.
      „Schon“, sprach ich leise, schluckte. Sollte ich den Gedanken aussprechen? Erwartungsvoll hob er die Braue. Seine Wangenknochen kamen markant nach vorn. Die Worte steckten in meiner Kehle fest. Innerlich begann wieder Kampf um meine Gefühle. Es war unangenehm darüber zu sprechen. Rein die Tatsache, dass es sich wie wieder aufgewärmtes Essen mit ihm anfühlte, lag mir flau im Magen. Natürlich gab es einige Gerichte, die man problemlos für einige Sekunden in die Mikrowelle stellte und noch genießbar waren, doch häufig scheiterte es am Geschmack.
      “Kommt da noch was?”, funkelten seine Augen. Langsam nickte ich und er schwieg wieder. Geduld stand ihm nicht. Nervös tippten seine Finger an meinem unteren Rücken, drückten mich ungleichmäßig zu sich heran und wieder weg. Allein, dass wir still vor dem Eingang des Stalls standen, machte es von einer Sekunde zur anderen schwieriger.
      „Ich kann das nicht“, murmelte ich und senkte meine Stirn an seine Brust. Er strich mir über den Rücken.
      „Du musst es mir auch nicht sagen, es ist okay“, flüsterte Erik, „Aber du zeigst es mir, das reicht.“
      Kurz fühlte es sich an, als wäre mein Herz stehen geblieben und ich war froh, dass er es nicht falsch verstand. Wie Stein fiel der Kummer von mir. Frohen Mutes und trotzend vor neuer Energie griff ich nach seiner Hand und lief mit ihm zum Transporter. Trymr folgte uns, erblickte Lina an dem Fahrzeug und sprang los wie vom Teufel getrieben. Wieder setzten die brummenden Geräusche ein.
      “Da seid ihr ja, dann können wir ja jetzt los”, lächelte sie gut gelaunt und kraulte den großen Hund an seiner Lieblingsstelle, woraufhin das Brummeln sich noch verstärkte und er sich liebenswürdig an sie anschmiegte. Aus der Hosentasche kramte ich den Autoschlüssel, wollte die Fahrertür öffnen, als Erik die Tür festhielt und mir das Band abnahm. Auf seinen Lippen formte sich ein freches Grinsen und er stieg vor mir ein. Verwundert sah ich zum Steuer, aber stieg auf der anderen Seite ein, setze mich jedoch auf einen der hinteren Sitze in dem wirklich kleinen Schlafbereich des Transporters. Trymr nahm Platz neben mir und ich schnallte ihn an. Auch Lina kam zu mir nach hinten.
      “So abfahrbereit?”, sah Erik nach hinten. Synchron wippten Lina und ich mit dem Kopf. Der Schlüssel klackte im Schloss. Das gleichmäßige Dröhnen des Vierzylinders stotterte los. Interessiert beobachtete ich Lina mir gegenüber, die fasziniert das Innere des Fahrzeuges musterte. An einigen Stellen strich sie über die Oberfläche und drückte auf verschiedenen Knöpfen herum, die teilweise Licht auslösten oder die eine oder andere Klappe öffnete.
      „Wow, ziemlich cool“, sagte sie fasziniert und drückte auf einen weiteren Knopf, „Nicht, dass ich noch nie einen Transporter gesehen hatte, aber der hier ist so … luxuriös im Vergleich.“
      „Ach ja, den vom Team hast du ja noch nicht sehen dürfen von innen“, lachte ich freundlich. Das riesige Fahrzeug stellte alles in den Schatten, ich würde sogar sagen, unser ganzes Gestüt, aber was erwartete man auch anderes von dem elitären Standard, den, wohlgemerkt, Niklas dort setzte. Aber das spielte auch gar nicht zur Sache, wichtig war es, dass wir nicht froren und sicher bei dem Pony ankamen. Wo genau wir hinfuhren, hatte ich mir nicht gemerkt, konnte nur abschätzen, dass wir eine Weile fuhren. Entschieden nahm ich mein Handy zur Hand, verfasste erste eine Nachricht und wenig später eine weitere an meinen Unbekannten. Kurz beschrieb ich meine emotionale Beklemmnis aus der Situation am Stall, hoffte darauf, einen nützlichen Rat von ihm zu bekommen, aber Stille. Seine sonst so schnellen Antworten fehlten. Seufzend legte ich das Gerät zur Seite, versuchte mich darauf einzustellen, dass ich mir nun ein Pferd zulegte, eins, dass nur für mich bestimmt war. Na gut, vielleicht auch für Fredna, aber sonst musste ich es mit niemandem teilen oder mir sagen lassen, was ich zu tun hatte. Wärme erfüllte mich, wenn auch die Ungewissheit blieb.
      Lina tippte mich sanft an der Schulter an: „Vriska, wir sind gleich da.“ Ich drückte die Augenlider weit nach oben und blinzelte langsam. Draußen war es stockdüster und schlagartig kam das mulmige und flaue Gefühl in meinem Magen wieder auf. Sofort warf ich einen Blick auf mein Handy. Er hatte weder die Nachrichten gelesen noch geantwortet. Erst da bemerkte ich, dass sie nicht einmal zugestellt wurden. Hatte ich was falsch gemacht? Hätte ich ihn vorhin nicht sagen sollen, dass keine Zeit hatte? Stärker wurde das Drücken im Magen. Es drehte sich alles, auch in meinem Kopf wollte es nicht ruhiger werden.
      „Erik? Mir ist schlecht“, murmelte ich noch verschlafen. Das Fahrzeug bremste ab und umgehend stürzte ich hinaus ins Freie. Wir hielten mit im Wald, die einzige Straße lag leer vor uns und sonst standen die Bäume rings um uns herum.
      „Was ist los?“, er näherte sich langsam von der Seite und strich mir liebevoll über den Rücken, während die andere Hand meine Haare einsammelte und nach oben hielt. Ich hing gebeugt über dem kleinen Straßengraben. In meinen Augen liefen die Tränen und der Magen hatte wohl einen der schlechtesten Momente aller Zeiten.
      „Es ist gerade alles zu viel“, stammelte ich, ehe mein Magen sich erneut wölbte, um den Rest an Flüssigkeit wieder nach draußen zu bekommen.
      „Verstehe“, murmelte Erik, „oder auch nicht. Ich möchte nicht lügen, also ich verstehe nicht, wovon du redest. Was ist dir zu viel?“
      Konnte er nicht für einen Augenblick ruhig sein? Wieder übergab ich mich, bekam von Lina eine Flasche Wasser gereicht und setzte mich auf die Stufen im Eingang zur Wohnkabine. Mit verschränkten Armen, was wohl an der Kälte lag, stand der junge Mann vor mir und musterte mich. Meinen Kopf hielt ich fest, stützte ihn mit meinen Armen auf den Knien. Noch immer drehte sich alles, aber das flaue Gefühl legte sich zunehmend.
      „Muss das jetzt sein?“, stöhnte ich und wischte mit einem Taschentuch durch mein Gesicht.
      Erik nickte.
      Ich seufzte.
      „Dass du wieder da bist, als wäre nichts gesehen. Wir nicht einmal darüber reden. Die komische Aktion bei deinem Vater. Du mir den Kontakt verbietest zu Niklas. Wir jetzt ein Pony ansehen und“, es sprudelte alles aus mir heraus, bis ich stoppte, aber auch über den Unbekannten schwieg. Erik dachte nach, so viel erkannt ich in seinem Gesicht trotz der fehlenden Lichtquelle, die mir Aufschluss darüber geben würde, ob es richtig war, das unausgesprochene wieder hochzuholen.
      „Engelchen“, er strich mir noch eine Strähne aus dem Gesicht, „Ich bin wieder da, weil du mich brauchtest und ich dich vermisst habe. Wir reden nicht darüber, weil es nichts zu reden gibt. Letzten Monat war es einfach stiller, aber na und? Was sollte das ändern? Und bei meinem Vater? Ich hatte mich vermutlich nicht klar genug ausgedrückt, aber alles was folgte, hast du mehr oder weniger selbst entschieden“, er druckste weiter herum. Dann überlegte er für einen Augenblick: „Es ist nur Niklas, mehr nicht. Müssen wir darüber wirklich diskutieren? Du siehst doch wie glücklich Lina jetzt ist und das wird seinen Teil mit dazu beitragen“, wieder schüttelte Erik den Kopf, aber schlug zusätzlich die Hände dahinter zusammen, „und natürlich fahren wir uns Maxou anschauen. Du hast selbst gesagt, dass sie ein unschlagbares Angebot ist, wenn alles passt. Also komm. Du schaffst das und deswegen ist Lina doch da, falls du nicht weiterweißt.“ Zumindest sein letzter Satz klang logisch für mich und stieg wieder hinein, ohne ihm eine weitere Antwort zu geben. Immer wieder zettelte ich unangenehme Situationen an, aber er hatte leider recht, dachte ich. Mein Handy schwieg ebenfalls, Nachrichten noch immer nicht angekommen. Wie konnte das nur so unglaublich wichtig für mich sein? Lina kam ebenso wieder in das Fahrzeug geklettert, wobei sie mich besorgt musterte.
      „Geht es dir auch wirklich so weit gut? Wir müssen das hier nicht unbedingt heute tun?“, erkundigte sie sich fürsorglich.
      „Wir sind jetzt zwei Stunden gefahren, da drehen wir doch nicht wieder um, ohne dagewesen zu sein“, kam letzten Reste an Motivation aus mir heraus. Mit einer meditativen Atemübung versuchte ich den erhöhten Puls wieder zu beruhigen und auch Trymr half mir mit seiner Anwesenheit. Seinen Kopf hatte er auf meinen Beinen abgelegt, während seine Augen langsam zu mir hochsahen, sich öffneten und wieder schlossen. Ich strich ihm durchs Fell.
      “Das müsste es sein”, prüfend sah Erik auf den großen Monitor im Fahrerbereich und dann wieder aus dem Fenster. Vor uns lag ein matschiger, wenig beleuchteter Stall, der keinen Vergleich zu Höfen darstellte, die ich bisher kannte. Langsam fuhr er die Buckelpiste entlang, parkte das Fahrzeug zwischen einem Hänger und dem Zaun ab. Ich wechselte meine Schuhe, denn zum Glück hatte ich mir meine Wintermatschstiefel eingepackt. Auf den Bildern ließ sich bereits erahnen, dass wir nicht das königliche Gestüt besichtigten. Erik sprang aus dem Fahrzeug, stieß laut Luft aus der Nase, ehe er die Tür für uns öffnete. Ich schmunzelte. Nicht nur seine Schuhe hatten eine ungesunde Menge an Matsch abbekommen, sondern auch die Anzughose. Selbst schuld, strömte als erster Gedanke durch meinen Kopf und ich stieg aus. Lina zog sich derweil noch andere Kleidung an.
      “Ich zwinge dich zu nichts, wenn es nicht passt, dann passt es nicht, okay?”, vergewisserte sich Erik und strich mir mit seinem Handrücken durchs Gesicht. Willkürlich wurde mein Lächeln breiter.
      “Ja, okay. Aber du kannst mich ohnehin zu nichts zwingen”, provozierte ich ein wenig.
      “Das denkst auch nur du”, feixte er und drückte mich gegen die kalte Oberfläche des Transporters. Meine Hände fest in seinem Griff versuchte ich mich herauszuwinden, doch konnte mich nur schwer von seinem Antlitz lösen. Sanft küsste er meinen Hals. Ich schloss die Augen. Umschlungen von einem seltsamen Rausch, der wie Meeres Musik mein Blut und auch die Seele in Wallungen brachte, ließ ich kein weiteres klares Wort mehr verlauten, konnte mich nicht bewegen, nur fühlen. Einen Herzschlag später berührten seine weichen Lippen meine, ungleich intensiv spürte ich die Leidenschaft, die uns umgab und wie von einem Blitz durch uns beide ging, die Körper miteinander verschmolz. Fest packte er mich an der Hüfte und sich fester an mich heran. Etwas schockiert über seine plötzliche Zärtlichkeit erfüllte mich dennoch eine Hitze im ganzen Körper, die wohl auch mit dem sanften Druck gegen meinen Bauch zu tun hatte. Erik löste seine Lippen von mir, grinste noch immer verschmitzt und strich mir schließlich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus dem Dutt gelöst hatte.
      “Ich denke nicht, dass das jetzt der richtige Zeitpunkt ist”, fand ich meine Stimme zurück.
      “Zugegebenermaßen, nein”, lachte er und ließ mich in die Freiheit zurück. Lina lugte heiter aus der Tür des Transporters heraus, ehe sie einen Fuß nach dem anderen über die schmalen Stufen hinaussetzte. Trymr folgte ihr, aber stoppte, als er das dreckige Nass mit den ersten Ballen seiner Zehen berührte.
      > Du kan bo här.
      “Du kannst hierbleiben”, scherzte Erik. Der Hund drehte umgehend wieder um und legte sich auf die breite Sitzbank ab. Ich schloss die Tür.
      “Bereit?”, fasste ich allen Mut zusammen und lief los.
      Eine rundliche Frau kam uns entgegen, begrüßte uns herzlich auf Französisch, also schwieg ich. Erik übernahm das Wort und auch Lina schien fröhlich dem Gespräch zu folgen. Wie von einem plötzlichen Regen erfasst, schwemmte aller Mut von mir und ich fühlte mich wie in meine Kindheit zurückversetzt, wenn ich mit meinen Eltern einen Laden betrat, um etwas für mich zu kaufen, aber ich nur still folgte. Wir kamen in einen kleinen Stall mit warmem Licht, das aber nur wenig Helligkeit spendete. Auf beiden Seiten standen Ponys in ihren Boxen, zumeist eingedeckt, und genüsslich das Heu knabberten. Neugierig musterte ich die Tiere, die nicht einmal den Kopf hoben, um die Besucher zu betrachten. Beinah am Ende des Ganges blieben wir stehen. Das kleine Pferd von den Bildern stand vor uns.
      > Detta är hennes.
      “Das ist sie”, sprach die Frau ich schlechter Betonung. Zusammen mit Lina verschwanden wir in einem Raum. Ein reines Durcheinander dominierte das Auftreten. Überall standen Putzkisten herum, die zum einen Teil kaputt waren oder furchtbar dreckig. Auf dem Boden lagen auch Sättel und Trensen in einem ebenso schlechten Zustand. Sie drückte uns einen riesigen Springsattel in die Hand und eine abgescheuerte Schabracke. Mir blieb die Luft weg, aber versuchte meine Wut mit einem aufgezwungenen Lächeln zu überspielen. Lina wirkte gleichermaßen verwirrt, aber half der Dame die richtigen Sachen zu finden. Dann ließ sie uns allein, erklärte nur, dass sie in der Halle auf uns warten würde.
      “Laufen Besichtigungen immer so ab?”, fragte ich verwirrt und sah zu meiner Kollegin.
      “Nein”, antwortete sie skeptisch dreinschauend, “für gewöhnlich läuft so etwas … ein wenig betreuter ab und weniger …” Lina machte eine Geste, die wohl das Chaos um uns herum umschreiben sollte. Zustimmend nickte ich. Mit dem Zeug in der Hand liefen wir aus der verstaubten Kammer heraus und schockiert blieb ich stehen. Unsanft rammte Lina in mich heran, unverständlich murmelte und sah dann ebenfalls nach oben.
      “Sehe ich das richtig?”, flüsterte ich zu ihr, die Augen fest an Erik, aber mein Kopf drehte sich ein Stück zu ihr. Er hatte die Box zur Stute geöffnet, die mit Hals herausragte. Freundlich schmiegte sie sich an ihm und Erik fuhr mit seiner Hand durch das kurze Fell. Hätte Lina mich nicht daran erinnert, dass Pferde eher weniger in seinem Interesse lagen, würde ich meinen letzten Cent dafür geben, sie nicht mehr voneinander zu reißen.
      “Jap. Ich glaube, dieses Pony muss etwas Besonderes an sich haben”, raunte sie eine Antwort, mit einem Ausdruck der Verwunderung auf dem Gesicht. Erneut drückte das Pony an ihn heran, schloss dabei entspannt die Augen. Ihr Kopf gesenkt und das Bein angewinkelt, schienen sie schon jetzt ein Herz und eine Seele zu sein. Ein furchtbarer Schmerz fegte durch mein Inneres und entfesselte ein heftiger Anfall von Eifersucht. Beides versuchte ich kläglich zu unterdrücken, als ich mich hörbar räusperte. Lina drängelte sich im selben Atemzug an mir vorbei, aber mein Arm schob ich ein Stück zur Seite, um sie aufzuhalten.
      “Ich muss dir was mitteilen”, flüsterte ich und ihre Augen funkelten, getrieben von Neugier hielt sie an, “Ist es lächerlich, wenn ich dir sage, dass ich nie wieder die Beiden trennen vermag und bei mir machen möchte. So, für immer?”
      “Awww, wie herzig”, äußerte sie sich entzückt, ”was du da sagst ist nicht lächerlich, sondern vollkommen legitim.”
      „Aber ich will so was nicht fühlen“, sprach ich bedeckt, jedoch er bekam sichtlich mehr davon mit, als ich wollte. Erik trat aus der Box heraus, dabei kippte das Pferd minimal nach vorn, fing sich noch rechtzeitig auf.
      „Wollt ihr da Wurzeln schlagen? Ich finde es hier nicht so schön, um verweilen zu wollen“, lachte er. Ich schüttelte mich kurz und lief los. Das schreckliche Sattelzeug legte ich auf dem Strohballen vor der Box ab und Lina stellte dazu den Putzkasten, oder vielmehr die Werkzeugkiste. Aus meiner Hosentasche griff ich nach einem Leckerli und reichte es Richtung Pony. Maxou roch behutsam an meiner Hand, zuckte zurück, bevor die Oberlippe nach dem Brick fummelte. Sehr lange schob sie ihren Kiefer von links nach rechts und noch länger, bis sie schluckte. Selbst Heinz konnte schneller fressen als sie. Ich seufzte. Meine Hand fuhr ihr an der Stirn nach unten. Ihre Augen sahen matt in Eriks Richtung, der von einer anderen Stute uns gegenüber gepiesackt wurde. Sie fummelte interessiert an seinem braunen Mantel herum und ließ sich durch nichts von ihrem Plan abbringen. Erst als er sich zu einem anderen Pferd an die Box stellte, gab sie nach.
      “Lina, ich denke nicht, dass sie reiten werde”, musterte ich das erschöpfte Pony. Kritisch nahm sie das Pony ein wenig genauer in Augenschein. “Ja, das halte ich auch nicht für eine gute Idee. So fit schaut sie nicht aus und ihre Fressgeschwindigkeit finde ich äußerst bedenklich.” Ich beobachtete, wie Lina der kleinen Stute behutsam über die Stirn fuhr, bevor sie sich langsam zur Kauleiste hervor tastete. Obwohl sie nur sanften Druck ausübte, legte Maxou die Ohren an und es war ersichtlich, dass ihr die Berührung unangenehm war.
      “Dachte ich mir schon”, murmelte sie leise und entfernte die Hände wieder vom Kopf der Stute.
      “Wie schlimm sind die Zähne?”, seufzte ich.
      “Ihrer Reaktion nach, und so fest wie das alles ist, ziemlich schlimm. Sie hat sicherlich schon längere Zeit keinen Zahnarzt mehr gesehen”, erläuterte sie ihr Urteil.
      „Also?“, trat Erik mit verschränkten Armen an und heran. Mein Puls raste hoch, was wohl weniger an seinem fehlerlosen Anblick lag als an der Tatsache, dass ich mich offenbar entscheiden musste. Mir tat das Pony leid, oder vielmehr, dass er so sehr mit ihr verbunden war vom ersten Anblick an, dass es mir gar nicht möglich war, eine reflektierte Entscheidung zu treffen. Fragend sah ich zu Lina, die hektisch mit dem Kopf schüttelte und dann mit den Schultern zuckte, als meine Unterlippe nach vorne schob. Sie sah sich schließlich noch den Rest des Tieres an, der auch nicht wirklich überzeugend wirkte. Ja, sie war gut im Futter, die Muskulatur in Ordnung und der Körper zeigte noch keine Zeichen einer Trageerschöpfung, dennoch war sie geistig nicht anwesend und sah genauso müde aus wie ich.
      Entschlossen griff ich nach Eriks an und zerrte ihn zu der rundlichen Frau, die rauchend auf einer Bank vor der Reithalle saß. Verwundert sah sie uns, aber schüttelte nur den Kopf. Gerade im Begriff aufzustehen, stellte ich mich näher an sie heran, verwandelte düster meinen Blick.
      “Sag’ ihr, dass wir sie für fünftausend weniger direkt mitnehmen und sie nie wieder etwas von uns hört”, sagte ich ernst zu Erik. Nun sah auch er mich mit zusammen gekniffenen Augen an, zog mich stumm zu Seite. Offenbar war das gegenseitige Herumschubsen Pflichtprogramm. In mir raste es vor Wut, aber auch Enttäuschung, dass ich mir natürlich einen Tierschutzfall annahm. Nichts konnte normal laufen, aber warum auch. Für das Kleingeld meinerseits konnte es nur eine Gurke eines matschigen Pferdehofs werden, der inmitten des Waldes stand.
      “Was ist dein Plan?”, fauchte er mich leise an.
      “Ich weiß es nicht”, gab ich zu, “aber wir nehmen sie mit, ansonsten finden wir mit etwas Training und pflege jemanden anderes. Bei uns am Hof ist so viel Publikumsverkehr, das wird. Und die fünftausend fehlen mir für den Kaufpreis.”
      “Was habe ich dir gesagt, dass Geld die geringste Sorge ist”, ermahnte er, legte mir mal wieder eine Strähne hinter das Ohr. Die kleine Berührung beruhigte mich ungemein, zügelte meine Wut. Erik war stets so zärtlich und leidenschaftlich, so beschützend und großzügig. Womit verdiente ich das?
      “Also möchtest du sie haben?”, vergewisserte er sich. Langsam nickte ich, behielt seine Hand fest in meiner. Mit einer Bewegung schickte er mich jedoch weg und begann eine hitzig klingende Diskussion zu entbrennen. Kurz blickte ich zurück, ehe ich die Schritte vergrößerte und bei Lina ankam. Die Stute spitze die Ohren.
      “Die kleine kommt also mit?”, formulierte Lina es eher als Aussage als, als Frage.
      “Ja, wenn er sie runterhandelt, aber ich schätze, dass er jeden überzeugen kann”, dann lachte ich warm. In dem Augenblick kam Erik sogar schon wieder, hielt triumphierend einige Blätter in die Luft.
      “Guck mal”, reichte er mir das Papier, “Wir haben jetzt ein Pony.” Klamm stand ich neben Lina, starrte mit tränennassen Augen in seine Richtung. Nichts regte sich mehr, selbst mein Herzschlag fühlte sich an, als hätte es aufgehört. Ich schnappte nach Luft und sprang los, direkt in seine Arme. Maxou schreckte nach oben. Ihre Hufen klimperten auf dem steinigen Boden, dann beruhigte sie sich, doch in mir brannte es. Fest zog ich mich an ihn heran und richtete den Blick hoch zu seinem Gesicht, das genauso glücklich strahlte wie meins, nur weniger verweint.
      “Hätte mir einer gesagt, dass es so leicht ist dich glücklich zu machen mit einem Pferd, hätte ich mir überhaupt keine Mühe geben müssen”, lachte Erik und drückte überzeugt seine Lippen auf meine. Unwillkürlich wichen jegliche Anspannungen aus meinen Gliedern, aber seine kräftigen Arme hielten mich problemlos fest. In meinen feuchten Augen glitzerte das Licht der Stallbeleuchtung und alles verschwamm in einer gematteten Oberfläche.
      “Was für eine Mühe? Deine Anwesenheit reicht, um mir den Verstand zu verdrehen”, feixte ich und gab ihm erneut einen Kuss, musste mich dann unserem neuen Familienmitglied zuwenden.
      “Willkommen in der Welt der Pferdebesitzer”, beglückwünschte sie uns knapp.
      ”Ich will euch in eurer Freude nicht hindern, aber ich wäre dankbar, wenn ihr das vielleicht auf zu Hause verschieben könntet, dieser Ort behagt mir nicht besonders”, fügte sie ein wenig drängend hinzu, während ihre Augen immer wieder argwöhnisch umherwanderten.
      “So viel Leid in der Luft”, murmelte ich zustimmend.
      “Ich gehe zum Transporter, mir ist kalt”, fügte dann auch Erik hinzu. Ich nickte, folgte ihm jedoch, um alles Notwendige zu holen.
      Rau fegte der Wind über den offenen Vorplatz des sogenannten Pferdehofes, wirbelte mein Haar vor die, schon durch Dunkelheit beschränkte, Sicht. Langsam kroch der Nebel zwischen den Bäumen hervor und verschluckte bereits die ersten Zäune in sich. Für einige Schritte tänzelte ich durch den Matsch, bis ich mich schützend an Eriks Arm festhielt. Sanft lächelte er. Merkwürdig fühlte es sich an, einen solch fundamentalen Schritt mit ihm einzugehen, dass es beinah beängstigend war, wie nah wir einander kam. In seiner Umlaufbahn verspürte ich Zuversicht, Vertrauen und vollständige Hingabe, Dinge, die ich zu vor nur in wenigen Sekunden meines Lebens wahrnahm. Ich war zuversichtlich, als ich entschied bei den Earles auf dem Gestüt blieb, meine alte Heimat den Rückenkehrte und einen neuen Abschnitt begann. Vertrauen schenkte ich meinem Bruder, der nicht nur mit kleinen Überraschungen lockte, sondern auch ein offenes Ohr für meine Probleme hatte. Hingabe? Natürlich kam mir Niklas als Erstes in den Sinn, aber mit einem kräftigen Atemzug verschwand er wieder. Nichts sollte diesen Moment zerstören.
      “Ich würde dann gern einsteigen”, legte Erik seine Hand an mein Kinn und drückte es ein Stück nach oben, damit ich ihm in die Augen sah.
      “Sicher?”, lüstern verdrehte ich leicht den Blick, erkundete, für wie viel er sich heute noch bereit fühlen würde. Doch auch er hatte sein Talent darin, mir die Sicht zu vernebeln. So verhinderte er, dass ich meine Lippen erneut auf sein Drücken konnte, indem er den Zeigefinger auf meinen Mund ablegte.
      “Erst unser Pferd einladen”, grinste Erik vergnügt und begrüßte das Ungetüm. Trymr wedelte wild mit dem Schwanz, wagte es nicht in den Dreck zu hüpfen. Kurz beobachtete ich beiden noch, ehe ich aus der Sattelkammer hinten eine Abschwitzdecke holte sowie Gamaschen und eine andere Halfter. Beim Wühlen fand ich noch zwei Bürsten, die um einiges besser waren als der Dreck in der Werkzeugkiste.
      “Hast du die Papiere und den Equidenpass?”, lugte ich noch einmal vollbepackt in den hinten Abteil des Fahrzeugs. Auf dem Tisch legte er alles aus, was er bekommen hatte. Prüfend fuhren meine Augen die Buchstaben entlang und fanden alles Wichtige.
      “Ach und”, drehte ich mich noch mal um, Erik wollte gerade die Tür wieder schließen, “Danke. Danke für alles.” Dann setzte ich den Weg mit gesenktem Kopf fort, verängstigt, zu viel zu sagen, oder das falsche. Oder seine Reaktion zu sehen, dass ich mich nicht traute meine Gefühle auszudrücken. Im Stall tätschelte Lina weiterhin die angeschlagene Stute am Kopf und Hals. Ihre Ohren hingen locker zur Seite und auch die Unterlippe war vollständig erschlafft.
      “Hier, ich habe noch Bürsten gefunden”, reichte ich Lina eine und nährte mich langsam meinem Pferd. Unglaublich, dieses Pony gehörte nun mir. Ich hatte sie weder intensiv gestreichelt noch geführt, stattdessen nur beobachtet, aber war mir sicher, dass jemand wie Erik, der überhaupt keine Ahnung hatte, nur Sicherheit bei dem richtigen Tier verspürte. Maxou stellte die Ohren auf und stupste mich an der Jacke an, aus der sie vorhin bereits ein Leckerli bekam.
      “Möchtest du noch eins?”, fragte ich ins Blaue und kramte nach einem weiteren. Noch immer vorsichtig nahm sie es mit der Lippe von meiner flachen Hand und kaute langsam vor sich hin. Denn Moment nutze ich, ihr das eklig verdreckte Halfter abzunehmen, dass ich an den Haken vor der Box hängte. Erstaunlich, dass die Frau noch immer nicht im Stall auftauchte, wenn es danach hing: Im Hänger wäre noch ein weiterer Platz frei. Auffällig unauffällig schweifte Blick durch die Gasse, hielt Ausschau nach einem weiteren Kandidaten. Doch nichts Interessantes erblickte ich.
      “Ihre Hufe sehen genauso schlimm aus, wer hätte das nur gedacht”, sprach ich leise zu Lina, als ich die Hufe auskratze. Die Hufwand wuchs bereits merklich über die Eisen hinweg, Ringe waren zur Erleichterung meinerseits nicht zu sehen. Ein Rehe Pony hätte mir noch gefehlt.
      “Ja, armes Tierchen. Aber es hätte sie noch deutlich schlimmer treffen können, zumindest äußerlich lässt sich nichts erkennen, was sich nicht mit ein bisschen Pflege wieder geradebiegen ließe”, entgegnete sie und strich mit sanften Bürstenstrichen über das helle Fell.
      “Da wird sicher noch vieles mehr in ihr stecken”, verstummte ich schließlich. Von der Seite nahm ich die Gamaschen und legte sie vorsichtig an ihre Beine. Mehrmals zuckte sie nervös am ganzen Körper, schlug mit dem Schweif und legte sogar die Ohren an.
      “Alles gut, kleine Maus”, versuchte ich sie sanft zu beruhigen. Behutsam ging ich voran, bis sich mich schließlich an ihren Beinen gewähren ließ. Neugierig knusperte sie an meinem Dutt herum. Schief schielte ich zu ihr, aber konnte den Spaß nicht ablehnen, den sie mit dem großen Haargummi hatte. Lina legte genauso vorsichtig die Decke über das Pferd. Zu guter Letzt fehlte noch das ordentliche grüne Halfter für die Fahrt. Dann schnappte sich meine Kollegin noch die beiden Bürsten, somit waren wir fertig.
      Nur kläglich folgte Maxou aus der Box, aber mit einem weiteren Leckerli konnte ich sie genügend davon überzeugen. Ihre Hinterbeine hob sie ungewöhnlich hoch und stolzierte wie ein Storch durch den Matsch. Den Rest ließen wir sorglos liegen in der Stallgasse, würde ehrlich gesagt auch gar nicht weiter auffallen. Auffällig leuchtete der ganze Transporter und Lina öffnete die Rampe an der Seite. Langsam fuhr sie nach unten. Skeptisch tänzelte Maxou, baute sich am Hals hoch auf und stieg einige Zentimeter in Luft. Ich ließ ihr den Raum, den sie wollte, aber zupfte vorsichtig am Strick. Ihre kurze und ungerade geschnittene Mähne wehte im Wind, wie auch die Decke. Neugierig musterte sie dann doch die Gummiklappe und stürmte von selbst hinauf, drehte sich sogar in Fahrtrichtung hinein. Meine Brauen zogen sich überrascht noch oben zusammen.
      “Das ging schnell”, überlegte ich laut und drückte mit Lina die Rampe nach oben, nachdem ich Maxou ausreichend im Inneren befestigte und die Zwischenwand schloss. Ich überprüfte noch alle anderen Türen, ob sie ausreichend gesichert waren, ehe ich ebenfalls einstieg.
      Fröhlich begrüßte mich Trymr, jaulte, als wäre ich seit Wochen nicht mehr bei ihm gewesen, aber erwiderte die Reaktion aus vollem Herzen. Das Tier genoss die unverdrossene Einheit von Liebe. Im Schlusslicht sprang er zu Lina, holte sich eine weitere Streichelei ab.
      “Liebling”, quietschte ich viel zu laut und er nahm die Hand vors Ohr, an dem ich mich hinüberbeugte.
      “Wie ist dir zu helfen, Liebes?”, funkelten seine hellen und verträumten Augen.
      “Denkst du, Fredna würde sich darüber freuen, noch heute in mein trautes Heim zu kommen?”, schmunzelte ich. Überrascht drehte Erik sich stärker zu mir, schien vor Glück kein weiteres Wort mehr aus dem wohlgeformten Mund pressen zu können, stattdessen schloss er seine Augen und zog mich an sich heran. Er wusste genau, dass ein einfacher Kuss reichte, um mich zu überwältigen und die Lust zu entflammen. Aber ich zügelte mich und alles an wilden Gefühlen, die fürs Erste in den Hintergrund rücken sollten.
      “Meine Schwester erzählte bereits, dass sie mich vermisst, aber wohl auch dich. Na gut, es waren mehr die Pferde, die sie damit versuchte wiederzusehen”, feixte er. Ich nickte, drehte mich um und blickte prüfend durch das Fenster zum Pony. Maxou stand entspannt im Transporter. Kurz dachte ich nach, aber entschied mich ein Bild zu machen und nach Jahren wieder etwas auf Instagram zu posten. Sie war es wert der Welt präsentiert zu werden. Auch Lina scrollte gerade durch ihre Timeline, als ich mich dazu setzte, da Trymr sich auf der anderen Bank belagerte. Unbewusst huschte mein Blick auf ihr Gerät, beobachtete genau, was sie likte und in den Kommentaren nachlas. Natürlich versuchte ich mit aller Kraft ihr den nötigen Freiraum zu geben, aber meine Neugier ließ sich nur selten bändigen.
      Ich entschied mich dazu mich etwas mehr über das Pferd zu informieren, griff also nach dem Equidenpass und durchblickte den nichts aussagenden Stammbaum. Keins der Pferde kam mir auf Anhieb bekannt vor, wie auch? Ihre Mutter war ein französisches Pony und ihr Vater ein Hengst aus Spanien, laut dem Internet als Jährling aus Portugal gekauft. Heute steht er an der Grenze zu Frankreich am Mittelmeer. Ein warmes Gefühl breitete sich aus und versetzte mich in angenehmere Gebiete der Welt. An meinen Füßen spürte ich den Sand eines Strandes und zwischen den Zehen die Wellen des Meeres, während in der Nase der Duft von Fisch und Salz dominierte. Winter macht traurig und die wenigen Sonnenstunden im schwedischen förderten es noch mehr. Ich seufzte. Den Browser schloss ich und bemerkte die kleine zwei am Nachrichtendienst. Verwundert darüber drückte ich auf das grüne Symbol und bemerkte, dass der Unbekannte geschrieben hat. Langsam schielte ich durch den Transporter. War es der richtige Augenblick? Eigentlich hatte ich mit Lina bereits festgestellt, dass nichts an dem Kontakt falsch war. Der Chat war noch offen, so leuchteten die beiden Nachrichten auf: “Verkopf dich nicht so in den Kleinigkeiten, geh offen in die Situation. Du schaffst das”, ich schluckte und sah zur nächsten, “Es fällt mir schwer dich aufzubauen, aber so viel wie ich von dir bisher gelernt habe ist, dass du eine starke Frau bist mit festen Vorstellungen. Also mach’ etwas daraus. Behalte im Hinterkopf, dass ich dich will, so sehr wie nichts anderes. Jede Nachricht von dir bringt mein Blut in Wallungen und auch bei der Arbeit schwebst du in meinem Kopf, du machst mich verrückt. Mir wird warm, wenn ich meiner Fantasie freien Lauf lasse und mir nicht auszumalen weiß, wie die Zweisamkeit wäre. Ich entschuldige, wenn ich das Chaos in dir befeure.”
      Das Handy entglitt mir aus den Fingern und am ganzen Körper begann ein Zittern vor Erregung. Wie konnte er nur? Lina schien sichtlich amüsiert, aber auch verwundert. Ihr Gesicht strahlte noch immer heiter und ich konnte an ihren Augen erkennen, dass sie mitgelesen hatte. Frech!
      “Hast du etwas zu deiner Verteidigung zu sagen?”, versuchte ich ernst zu bleiben, aber kicherte beim letzten Wort doch noch.
      “Nein. Schuldig im Sinne der Anklage”, grinste sie keck, ”Tut mir leid, es war zu verlockend.”
      „Alles gut“, klopfte ich ihr auf die Schulter. Noch bevor ich weitersprechen konnte, vibrierte mein Handy und lenkte kurz meinen Blick in den Schoß, aber beschloss, die menschliche Unterhaltung zunächst fortzusetzen: „Jetzt hast du eine Vorstellung davon, was täglich zu lesen war.“ Ich drückte mich mit Bedacht sehr gediegen aus, um Eriks Aufmerksamkeit nicht noch weiter zu entfachen. Irgendwann würde er es erfahren, sofern es notwendig war, aber so blieb es bei einer netten Bekanntschaft. Doch mein Handy kam nun nicht mehr zur Ruhe. Immer mehr häufte sich das kurze Brummen, hörte gar nicht mehr auf, sodass ich nur rasch den Bildschirm musterte. Instagram nervte, aber wieso? Meine Brauen zogen sich irritiert zusammen und die erste Tätigkeit war es, aus rechten Bildschirmecken die Leiste herunterzuziehen und den ‚Bitte nicht stören‘ Modus zu aktivieren.
      “Wow, das Geräte möchte aber dringend deine Aufmerksamkeit. Was will es denn?”, fragte Lina diesmal interessiert, bevor sie auf den Bildschirm schielte.
      „Gute Frage, lass uns mal sehen“, schlug amüsiert vor. Ich entsperrte den Bildschirm und zog dieses Mal aus der rechten Ecke die Leiste herunter. Mittlerweile stapelten sich die Benachrichtigungen, davon waren über hundertzwanzig von Instagram, was mich schon ziemlich überforderte und zwanzig weitere aus der engen Vereinsgruppe. Wie konnte denn so viel auf einem Mal geschrieben werden? Überrascht drückte ich den Instagram Stapel an, scrollte nach unten, um den Ursprung des Sturms zu erforschen. Mir stockte der Atem als ich las. Auch Lina zog eilig die Luft nach oben. ‚(vriskahisc): niklas.olofsson mentioned you in their story‘ leuchtete groß an letzter Position. Wie ein Fisch am Trocknen schnappte ich noch einmal nach Luft.
      „Sorry“, murmelte ich leise zu ihr und öffnete die Benachrichtigung. Er hatte die Story von Maxou ebenfalls bei sich geteilt und dazu geschrieben:
      > Grattis! Äntligen hästägare!
      „Herzlichen Glückwunsch! Endlich Pferdebesitzer!“
      Ihr Gesicht sah noch immer betrübt aus, aber ehrlich gesagt wünschte man niemanden diesen Sturm an Nachrichten. Neben der übermäßigen Reaktion in Form von Glückwunsch auf meine Story, bekam ich auch Nachrichten, die größtenteils freundlich gesinnt waren, aber auch, was ich denn mit ihm zu tun hätte. Diese löschte ich umgehend, aber eine zog meinen Finger besonders magisch an. Die Nachricht beschäftigte mich gar nicht weiter, vielmehr war es ihr Profil. Natürlich war der Feed gefüllt von professionellen Bildern, die mein Kopf aber eher als mittelmäßig abstempelte, denn meine Würden deutlich besser aussehen. Ich klickte mich durch und entdeckte, worauf mein scharfsinniges Auge von Anfang an schielte. Ihr Rappe trug eine pinke Schabracke und darauf gedruckt kleine Otter. Umgehend wischte ich Instagram weg, öffnete Safari und fand mehr darüber heraus. Es gab eine umfassende Kollektion, sogar in vier Farben.
      „Liiiiiiina“, quietschte ich laut und zeigte ihr die Bilder auf der Website, „das sind einfach Otter.“ Meine Augen funkelten fasziniert. Linas Gesicht leuchte volle Begeisterung auf, als sie ganzen Artikel erblickte.
      “Oh, wie niedlich die aussehen”, rief sie entzückt aus, “Ich glaube, das benötige ich ganz dringend für meine Ponys. Sie nur wie herzig das aussieht.” Sie tippte auf ein Bild, auf dem ein zierlicher kleiner Rappe ein pinkes Exemplar unter dem Sattel trug. Ergänzt wurde das Outfit durch farblich passende Fesselkopfgamaschen. Auf einem weiteren Bild trug ein stattlicher Fuchs Halfter, Abschwitzdecken und Bandagen in Gelb, selbstverständlich alles mit Ottern bedruckt, sogar die Bandagierunterlagen, die unter dem Fleece hervorlugten.
      „Na dann“, sagte ich und überlegte bereits welche Größe wohl Maxou benötigte. Aktuell hatte sie hundertfünfundzwanzig auf dem Rücken, dass sie zwar abdeckte aber eine Nummer größer würde ihr guttun. Also entschied ich mich für hundertfünfunddreißig. Für Lubi würde es ebenfalls nur eine Größe zu klein sein, also ein guter Deal.
      „Blau?“, fragte ich Lina trocken, die kurz überlegte, „also für deine Ponys meine ich.“
      “Ja, das sollte auf beiden schick aussehen, wobei die Farben ja alle so schön sind”, schwärmte sie euphorisch.
      „Du kannst dir dann meine Ausleihen“, murmelte ich abwesend und musste bei jedem einzelnen Artikel viermal auf ‚Lägg i varukorgen‘ klicken, um alle Farben von allen zu haben. Linas Augen wurden immer größer, als ich zu guter Letzt noch das Handy hinhielt, dass sie die Rückenlänge ihres Hengstes auswählen konnte. Mit aller Wahrscheinlichkeit würde es auch Redo passen. Damit lagen alle Sachen fünfmal im Einkaufswagen und schnell tippte ich alle wichtigen Daten ein wie Adresse und Name, bei der Kasse war ich nicht sonderlich beeindruckt von dem mittleren fünfstelligen Bereich, sondern wählte nur die Kreditkarte aus, die ich im Apple Pay registriert hatte. Kauf bestätigt. Deutlich ärmer, aber noch glücklicher wechselte ich zurück auf Instagram, wo die Abonnenten Anzahl stieg, aber auch alles andere. Genervt änderte ich die Benachrichtigungen auf enge Freunde und Leuten, denen ich folge.
      „Sollte Montag oder Dienstag da sein“, wendete ich mich Lina zu, nachdem die Bestätigungsmail ankam.
      “Super, ich freu mich schon”, grinste sie zufrieden, “Was bekommst du?” Irritiert drehte ich meinen Kopf, wusste nicht genau, was sie mit der Frage bezwecken wollte.
      „Nichts?“, strahlten die Fragezeichen in meinen Augen noch heller. Aber auch ihre regten sich wieder nervös, dann zuckte ich mit den Schultern, „genau genommen ist das nicht meins, sondern so Scheine, die ich regelmäßig bekomme, um zu schweigen. Also egal.“
      „Worüber sollst du schweigen?“, mischte sich plötzlich Erik ein.
      „Du weißt, dass das so nicht funktioniert. Ich darf darüber nicht reden“, blieb ich vollkommen unbegeistert.
      „Liebes, wir sind doch unter uns“, versuchte er weiter eine Antwort herauszukitzeln.
      „Was für unter uns? Jeder von hier hat ein Telefon, du bist irgendwas zwischen kriminell und Gesetzeshüter und Lina sogar mit einem zusammen. Ich sage hier gar nichts ohne einen Anwalt“, monoton, oder eher wie einstudiert, sprach ich weiter. Viel zu interessant war es zu beobachten wie aus den ursprünglich tausend, erst zweitausend wurden und in Hunderten Schritten weiterliefen. Wie konnte der Kerl so viel Aufmerksamkeit erregen und was erhofften die sich bei mir? Mein Feed bestand aus einem Pferdebild, das ich mit Glymur am Strand hatte, aus der ersten Woche in Schweden, sonst aus City Touren oder Partybilder. Interessant für Pferdeleute keinesfalls.
      „Du sagst das jetzt“, wurde Erik ernster, wollte es einfach nicht auf sich beruhen lassen, sogar das Fahrzeug wurde langsamer.
      „Man, muss das jetzt sein? Ich darf nicht darüber sprechen, sonst würde ich das Blutgeld nicht haben“, rollte ich mit den Augen. Der Transporter hielt auf dem Seitenstreifen der Fernstraße. Ich nutzte den Moment, um mich kurz vom Gurt zu lösen und einen prüfenden Blick zu Maxou zu werfen, die noch immer wie die Ruhe selbst dastand. Die Augen fielen immer wieder zu, ihr Hinterhuf aufgestellt. Dann setzte ich mich zurück.
      „Vivi, wärst du so freundlich uns mehr zu erzählen“, forderte er bestimmt. Ich seufzte.
      „Papa hat genauso viele Leichen im Keller wie deiner, wovon ich einige kenne und auch verursacht habe, um bessere Verträge auszuhandeln. Damit aber keiner erfährt, was ich getan habe oder musste, schweige ich und bekomme die“, ich überlegte, „ich glaube, dass es um die fünfzigtausend Kronen sein müssten, also das, was ich gerade bezahlt habe.“ Dann schwieg ich und überdachte, was ich da gerade herunter gerattert hatte. Zählte das schon in die Schweigepflicht? Eigentlich nicht, reflektierte ich.
      „Geht doch“, schmunzelte Erik und setzte das Fahrzeug in Bewegung. Ich fühlte mich urplötzlich wieder seltsam bedrängt, unwohl in meiner eigenen Haut. Verspürte, dass etwas nicht so lief wie geplant und auch Lina vernahm diese schlechten Gefühle. Unsicher strich sie mir über das Bein mit einem Lächeln auf den Lippen.
      „Aber“, setzte er wieder an. Ich seufzte und schüttelte abwertend mit dem Kopf, was er natürlich nicht sehen konnte.
      „Was musstest du denn tun?“, hakte er nach.
      „Ich denke nicht, dass das ein Thema für so viele Ohren ist“, sprach ich pikant und formte ein Sorry in ihre Richtung auf meinen Lippen, „außerdem, was ist dein Ziel? Willst du ein Druckmittel?“
      „Liebling, das nennt man Unterhaltung und sowas tut man, wenn man sozial ist. Aber doch, Lina wird schon niemanden davon erzählen, ansonsten“, Erik verschluckte die Worte, aber in meinem Kopf endete der Satz umgehend mit Erpressung. Schwierig. Wie konnten wir hier eigentlich landen?
      „Der erste Abend bei Vidar beschreibt es ganz gut, nur, dass du nicht da warst“, murmelte ich und sprach es aus dem Dunst heraus. Plötzlich stoppte das Fahrzeug wieder. Langsam wurde der Faden aus Geduld kürzer und vor allem dünner.
      „Ernsthaft? Das hat er von dir verlangt?“, schockiert sah Erik zu uns nach hinten über die Lehne der vorderen Sitzreihe.
      „Du doch auch“, zuckte ich mit den Schultern, vollkommen kalt und distanziert von allem. Sein Gesichtsausdruck änderte sich, deutlich be- und getroffener als zuvor. Sinnlos stammelte er, versuchte die richtigen Worte zu finden. Stumm stand ich auf, löste wieder den Gurt und legte meine warmen Hände an seinen Kopf.
      „Es ist okay“, flüsterte ich vertraut und drückte leidenschaftlich meine Lippen auf seine, wollte nicht, dass er sich weiter in den Worten verrennt und schlimmstenfalls am Ende für immer verschwand. Alle meine Sinne verschwanden im nächsten Moment, zumindest die, die noch da waren und nicht von der inneren Kälte eine heillose Gleichgültigkeit ausgelöst hatten, als er langsam mit seiner Zunge in meinem Mund eindrang. Es fühlte sich an, als entzünde sich die vollständige Lust in ihm und Lina wäre gar nicht mehr anwesend. So beendete ich frühzeitig die Liebelei und hoffte auf das Verständnis aller. Peinlich berührt erröteten meine Wangen und ich setzte mich zurück zu ihr, den Trymr schlief noch immer auf seinem königlichen Platz. Wann waren wir endlich bei Fredna?
      “Ja, also danke für deine Großzügigkeit”, kam Lina wieder auf das ursprüngliche Thema zurück, als hätte es die Konversation eben gar nicht gegeben. Ihr war anzumerken, dass sie nicht so Recht wusste, wie das Ganze einzuordnen war, also überging sie es einfach.
      „Oh, selbstverständlich!“, grinste ich nun wieder, vollkommen verändert in der Stimmung, „gern. Wenn noch was ist, dann jetzt.“ Freute ich mich und sah erneut auf meine Abonnentenzahl, die sich langsam bei knapp dreitausend einpendelte. Seltsames Gefühl, aber irgendwie auch ein gutes.

      Lina
      “Wirklich beeindrucken, wie du mit einem einzigen Post so viel Aufmerksamkeit auf dich ziehst”, sagte ich anerkennend zu Vriska, als ich einen Blick auf die Zahl erhaschte, die auf ihrem Bildschirm prangte, bevor meine Gedanken abwanderten. Zu viel ratterten mir durch den Kopf. Seltsamerweise war das prägnanteste davon nicht das, was Vriska gerade offenbart hatte oder der Fakt, dass sie gegen jeglichen gesunden Menschenverstand ein Pony für eine vermutlich immer noch zu hohen Preis erworben hatte. Was sie mit ihrem Geld, oder viel mehr Eriks Geld tat, ging mich nichts an und ganz ehrlich, ich hätte die kleine Stute vermutlich auch mitgenommen und wenn es nur dem Zweck gedient hätte ihr ein liebevolles Zuhause zu suchen.
      Nein, viel dominanter war etwas anderes. Das Hochgefühl, welches eigentlich den ganzen Tag vorgeherrscht hatte, hatte urplötzlich einen mächtigen Dämpfer bekommen, allein durch eine winzige Interaktion auf einer Social Media Plattform, so wie sie tausendfach am Tag passierten. Es ist nur ein Repost, da ist doch nichts dabei, versuchte ich mir einzureden, doch es half nichts.
      Wie eine schwere stählerne Manschette legte sich dieses quälende Gefühl um mein Herz und zwängte es ein, sodass es schmerzhaft dagegen pochte.
      Es ging mir nicht um die mediale Aufmerksamkeit, die Vriska damit zuteilwurde, die sollte sie ruhig haben. Der Grund lag viel mehr darin, dass mein Freund noch immer sofort zur Stelle zu sein schien, wenn Vriska irgendetwas tat. Hatte er sich vielleicht nur deshalb für mich entscheiden, weil Vriska sich von ihm abwandte? Was war es nur, was sie an sich musste, eine solche anziehende Wirkung zu haben? Oder lag das Problem viel mehr bei mir? Machte ich irgendetwas falsch? Fehlte etwas an mir? Verdiente ich seine Liebe und Wertschätzung überhaupt? War es das, wie sich Liebe anfühlen sollte? Oder waren meine Vorstellungen einfach von Hollywoodromantik geblendet und verzerrt?
      Allzu deutlich bekam ich immer wieder zu spüren, dass Niklas genervt war, sobald nur ansatzweise meine Bedenken einflossen, also schloss ich sie, fern von jeglichem Tageslicht, tief in mir ein, wollte ihn nicht aufgrund dessen verlieren. Ich war es selbst leid, dass dieser Gedanke sich in mir manifestieren und wie Gift mein Herz zerfraßen, vor allem, weil sie meist vollkommen ohne Indikation auftauchten. Das sollte aufhören, ich wollte so was nicht mehr fühlen, wollte mich einzig fokussieren können auf all die herrlichen Gefühle, die er in mir auslöste. Aber wie nur all dem Negativen entkommen?
      Tief in meine verworrenen Gedanken versunken, hatte ich nicht gemerkt, wie schnell die Zeit verflog. Sanft leuchte der Schein von Straßenlaternen durch die Fenster, tauchte alles in ein fahles, gelbliches Licht. Wir befanden uns in einem kleinen Wohngebiet, fernab der großen Straße, die noch vor meinem inneren Auge zu sehen war. Es fehlte an Vorstellungskraft, wie wir aus diesem einspurigen Schotterweg wieder herauskommen sollten, aber glücklicherweise musste ich mir darüber nicht den Kopf zerbrechen. Zwischen einem Spielplatz und einem gelben Haus hielten wir. Niedlich sah das Häuschen aus mit seiner Sonnengelben Fassaden und den weiß gestrichen Fensterrahmen und Dachüberstand. Erik sprang aus dem Auto, um seiner, vermutlich Schwester, das Kind abzunehmen. Die Kleine war müde, aber freute sich sehr ihren Vater wiederzusehen und auch, dass ein Pferd auf dem Transporter klebte. Seine Schwester wies nur wenige Ähnlichkeiten mit ihm auf. Sie war klein, vermutlich noch kleiner als ich, aber stämmig und wirkte bestimmt. Ihre langen braunen Haare vielen offen über die Schultern und bewegten sich sacht im Wind. Kurz entfachte eine Diskussion, ehe Erik wieder einstieg und Fredna auf den Beifahrersitz verfrachtete. Trymr hob den Kopf, den er so eben noch auf seine Pfoten gebettet hatte, gab einige freudige Laute von sich und klopfte mit dem Schwanz, blieb aber auf seiner Bank sitzen. Vriska bekam von all dem nur wenig mit, denn sie war wieder eingeschlafen und ich sah auch keinen Grund sie zu wecken. Während Erik den Motor wieder anließ und das Fahrzeug in Bewegung setzte, sah sich seine Tochter mit großen Augen von ihrem Sitz aus um und brabbelte ein paar unverständliche Worte, als sie Vriska und mich entdeckte. Ein sanftes Lächeln huschte über mein Gesicht, als ich den Stoffotter entdeckt, der von ihrem Arm hing. Das Plüschtier ließ mich unwillkürlich an die Pferdesachen denken, die wir vorhin bestellt hatten, Fredna würde sicherlich auch ihre Freude daran finden, ganz besonders, wenn diese auch noch an einem Pony waren.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 87.916 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang Oktober 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel tolv | 31. Januar 2022

      Forbidden Fruit LDS // Lubumbashi // Ready for Life // Sturmglokke LDS // Klinkker LDS // Girlie // Maxou
      HMJ Divine // Keks // Legolas


      Vom monotonen Brummen des Motors eingeschläfert fielen dem kleinen Menschlein als bald die Augen zu, sodass eine eigentlich gelöste Stimmung herrschte. Sogar Maxou stand tiefenentspannt in ihrem Abteil und mümmelte an ihrem Heu. Das Einzige, was sich nicht so recht entspannen wollte, war mein Kopf. Während die nächtliche Landschaft an uns vorbeizog, hing ich noch immer meinen Gedanken nach und versucht zu evaluieren welche Lösungsmöglichkeiten sich mir boten.
      Als der Hof am Horizont in Sicht kam, hatte ich noch kein wirkliches Ergebnis, sah aber, dass kein Weg, um eine Konfrontation herumführen würde. Langsam rollte das Fahrzeug in den sanften erleuchteten Weg, der direkt vor den Stall führte. Ich amtete noch einmal tief durch und bemühte mich, die Sorgenfalten aus meiner Stirn heraus zu bügeln, wollte ich doch nicht die Freude über das neue Pony mindern. Sanft weckte ich Vriska, die mich im ersten Moment verschlafen anblinzelte.
      “Sind wir schon da?”, murmelte sie hörbar kratzig, räusperte sich, “und ich bin wieder eingeschlafen. Auto fahren ist anstrengend”, sie gähnte. Und auch auf der vorderen Reihe streckten sich kleine Arme in die Luft.
      “Dabei hast du doch fahren lassen”, scherzte ich. Die erhöhte Aktivität ließ auch den Hund erwachen, der natürlich auch am Geschehen teilhaben wollte.
      “Ausgesucht habe ich mir das nicht”, wischte sie sich durch Gesicht und wurde umgehend von Trymr befallen, der nichts anderes wollte, als sich eine langersehnte Streicheleinheit abzuholen.
      “Na ja, es gibt Schlimmeres als Fahrservice”, entgegnet ich nur schulterzuckend und warf einen Blick nach hinten zu dem Pony, welches den kleinen Kopf in die Höhe recke, um aus ihrem Fenster zu spähen. Dann wieherte sie, bekam sogar dumpf aus dem Stall ertönend eine Antwort.
      “Dann wollen wir mal”, stöhnte Vriska, drückte sich aus dem weichen Polster und verschwand durch den schmalen Durchgang nach hinten. Vorsichtig schob sie die Wand zur Seite. Das Pony musterte uns skeptisch, legte sogar für einen Moment die Ohren zurück, aber Vriska fand ein Händchen dafür mit dem Tier umzugehen. Interessanterweise gab es im inneren einen Knopf, womit sich die Seitenrampe langsam öffnete. Ein kalter Windzug huschte durch den Transporter und hinter uns schlug die Tür zu. Maxou stieg.
      “Ruhig”, sprach sie und konnte das helle Pony noch im letzten Augenblick zurückhalten. Sie schnaubte, begann zu kauen.
      “Kann man dir behilflich sein?”, erkundigte ich mich bei ihr, ehe ich im Begriff war aus dem Transporter zu klettern.
      “Ähm”, überlegte Vriska und führte das Pferd heraus, “wenn du willst, kannst du schon anfangen den Transporter sauberzumachen. Ich bringe sie jetzt erst mal weg und muss nach einer anderen Decke schauen.” Selbstbewusst lief sie an uns vorbei, wirkte dennoch nicht ganz überzeugt, insbesondere, als unser Chef dazu kam und umgehend einen blöden Spruch auf Lager hatte. Erik, der bereits mit Fredna auf dem Arm ausgestiegen war, warf ihm einen abfälligen Blick zu, schwieg jedoch. Vermutlich auch besser, dachte ich im Stillen. Umgehend lief ich in den Stall, um mich mit den nötigen Werkzeugen auszustatten, die für die Reinigung benötigt wurden. Neugierig kamen einige Köpfe aus den Boxen als ich mit der Schubkarre zurück nach draußen lief.
      Schneller als vermutet wurde ich fertig und Vriska kam mir mit leeren Armen entgegen. Durch das geöffnete Tor erblickte ich Vater mit Tochter, die wie in der Trance die Stute betüdelten. Vorsichtig streckte sich Maxou dem Kind entgegen, jedoch überzeugt war sie nicht.
      “Lina, brauchst du noch etwas? Du siehst so, fehl am Platz aus”, bemerkte Vriska reichlich spät. Damit geriet ich ein wenig in Erklärungsnot, denn eigentlich gab es nicht mehr zu tun, aber es trieb mich auch nicht gerade zurück in mein Zimmer, wo ich wieder allein mit meinen Gedanken sein würde.
      “Nein”, sprach ich gedehnt und sah mich suchend nach einer Möglichkeit elegant aus der Situation herauszugehen, “ich ähm … geh dann mal mein eigenes Pony belästigen.” Ein Segen, dass Redo genau im richtigen Augenblick ihren Kopf aus der Boxe herausstreckte. Tatsächlich hatte ich für den Bruchteil einer Sekunde nicht auf dem Schirm, dass ich seit gestern doch schon ein Pferd hier hatte.
      „Also, es ist Freitagabend und dein Göttergatte scheint wohl nicht mehr zu kommen, sehe ich das richtig?“, lüpfte Vriska skeptisch eine Braue. Ich nickte bestätigen.
      „Dann halte ich es für nicht ganz angebracht, wenn du den restlichen Tag in deiner kargen Wohnung verbringst. Möchtest du mit zu uns kommen? Oder ich zu dir?“, bot sie lächelnd an. Dieses Angebot kam mir nur mehr als Recht, manchmal schien es als könne Vriska Gedanken lesen.
      “Ja, das wäre schön”, nahm ich ihr Angebot dankbar an und sogar ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen.
      „Wir können nachher nochmal gucken gehen“, schmunzelte sie, griff eilig nach meiner Hand, zog mich in einem wahnsinnigen Tempo über den Hof bis zu den Häusern. Mit einem Druck des Knies an der Tür, öffnete sie sich so gleich und wir kamen in deutlich angenehmere Temperaturen. Trymr rannte uns ebenfalls nach, stützte sich auf sein Spielzeug Drachen und legte sich auf den hellen weichen Teppich vor der Couch.
      „Wie kann ihnen behilflich sein“, machte Vriska einen leichten Knicks und lachte erneut auf.
      “Es dürstet mich”, griff ich Vriskas vornehme Sprache auf, “vielleicht hätte sie etwas, dies zu ändern.” Ich konnte mich selbst so wenig erst nehmen, dass ich in Gelächter ausbrach.
      „Gewiss, My Lady“, nickte sie und zeigte mir eine exquisite Auswahl an Heiß- und Kaltgetränken, „wonach gelüstet es ihnen?“
      “Dieser Tee dort würde mir munden, Miss Isaac”, entgegnete ich und deute auf den gewünschten Tee in dem reichlich befüllten Schrank. Kurz überlegte sie, öffnete den Mund, doch schloss ihn wieder, verlor sich augenblicklich in Gedanken. Lachte dann nur auf, ehe sie das Wasser aussetzte für den Tee.
      „Wünschen sie ein anderes und vor allem bequemeres Beinkleid?“, wendete sich Vriska wieder zu mir. Für einen Augenblick dachte ich darüber nach und kam schließlich zu dem Schluss, dass es vermutlich eine kluge Entscheidung sei. Abende bei Vriska neigten dazu nicht die kürzesten zu sein, weshalb ich ihr kurz entschlossen antwortete: “Ja, ich wäre ihnen äußerst zugetan, wenn sie mir ein solches zur Verfügung stellen würden.”
      „Gewiss“ , stimmte sie mir zu und verschwand im Raum nebenan. Krachend stürzte ein Haufen Wäsche zu Boden, der Stuhl knarrte, bis mir schließlich eine Hose gereicht wurde. Verwirrt musste ich sie, nur in Unterwäsche stand sie plötzlich vor mir und lief ins Wohnzimmer, wenn auch mit Kleidung unterm Arm. Wie sollte es anderes sein, betrat ihre bessere Hälfte die kleine Hütte, mit der wieder schlafenden Fredna im Arm und einer großen Tragetasche in der anderen Hand.
      „Was habe ich schönes verpasst?“, lachte er dumpf, um die Kleine nicht zu wecken.
      „Diese Information muss ihnen verwehrt bleiben, was Damen, ohne Herren treiben, sollte von jeher gewahrt werden“, blieb Vriska dem Tonfall treu und bot dem Gatten sogleich ein Wein an, den sie auf einem kleinen Fach unter der Spüle ergriff und eingoss. Alles in allem bot es eine lustige Szene, schien Erik noch nicht ganz begriffen was hier vor sich ging. Grinsen zog ich mich ins Badezimmer zurück, denn auch wenn Vriska halb nackt durch ihr Reich lief, würde solch eine Aktion meinerseits vermutlich eher auf weniger Anklang treffen, widersprach es doch der Etikette. Zudem war die Betrachtung meiner Unterwäsche bereits einem anderen Kerl vorbehalten.
      „Vielleicht bleibst du für einen Moment darin“, amüsierte er sich. Dann verstummte alles wieder, wenn auch ungewisse Geräusche ertönten.
      „Darf man sich hinauswagen oder besser nicht?“, erfragt ich vorsichtig die Lage, bevor ich es wagte durch den Türspalt linsen, denn was auch immer sie taten oder auch nicht, ich konnte darauf verzichten es näher herauszufinden. Eine Antwort bekam ich nicht, aber es war auch verdächtig still. Als ich langsam die Tür aufschob, grinste mir eine vollständig bekleidete Vriska breit entgegen.
      „Der macht nur Scherze“, lachte sie, „schließlich ist auch Fredna da. Und ich habe auch noch ein Wort mitzureden.“ Erik stand hinter ihr. Mit einer Hand schwenkte er das Glas Rotwein und mit der anderen strich er über ihren Hals, nervös zuckte sie, aber bewahrte die Haltung.
      “Euch zwei ist alles zuzutrauen”, gab ich argwöhnisch zurück, ließ mich aber dennoch auf einem der Stühle nieder.
      „Ich bin unschuldig wie ein Lamm“, zuckte Erik mit den Schultern und einem selbstsicheren Lächeln auf den Lippen. Doch seine andere Hälfte zog, verwundert die Brauen zusammen. Eine große Falte bildete sich auf ihrer Stirn. Aber ehe sie seine Aussage kommentieren durfte, zückte er sein Handy und legte es mit einer geöffneten App auf den Tisch.
      „Was möchte unser Gast speisen? Ihr seht hungrig aus“, sprach Erik freundlich zu mir. Eine simple Frage, die mich für den Moment überforderte. Der Mangel an Hunger war es nicht, auch nicht eine mangelnde Kenntnis der landestypischen Küche, es war eher die Spontanität, die meinen Entscheidungsprozess hinderte.
      “Was wäre denn die Empfehlung des Hauses?”, gab ich die Frage ein wenig ratlos wieder zurück in der Hoffnung ein wenig Input zubekommen.
      “Aber ich wollte doch Grünkohl machen”, murmelte Vriska eingeschnappt an ihrem Freund hoch, obwohl ich mir sicher war, dass diese Bezeichnung lieber nicht laut gesagt werden sollte.
      Als höre er sie überhaupt nicht, wischte Erik auf dem Display herum und reichte mir wieder das Handy. Geöffnet blickte ich auf die Speisekarte eines Restaurants, das von allem etwas zu bieten hatte und mit Popular schienen, die beliebtesten Gerichte markiert sein. Interessiert scrollte ich durch die Karte und entschied mich letztlich für einen Chicken Wrap und einen Salat, was ich auch sogleich mitteilte. Auch er hatte flott ein Gericht gewählt, nur Vriska kam zu keinem wirklichen Entschluss.
      “Ich möchte nichts”, sah sie erneut durch die Möglichkeiten. Einige Male stoppte sie und ganz offensichtliche ratterte es im Inneren, aber wirklich eine Entscheidung traf Vriska nicht.
      “Doch”, sagte Erik mit Nachdruck, aber sie blieb stur. Ich war mich nicht ganz sicher, ob es ihr gerade ums Prinzip ging oder welche Motivation sie trieb. Mir widerstrebte es sie zu etwas drängen, doch ich ahnte, dass Erik ähnlich stur war, wie Vriska und es sich noch um Stunden handeln könnte.
      “Bitte Vriska tu mir den Gefallen, nimm irgendetwas und wenn es drei Salatblätter sind. Ich würde nur ungern verhungern, bis du das mit deinem Kerl ausdiskutiert hast”, bat ich sie sanft. Aber sie fasste es, wie so oft, falsch aus und blanker Hass sprühte aus ihren Augen. Dann seufzte Vriska über dramatisch laut.
      “Er ist nicht mein Kerl”, fauchte sie und wählte zumindest eine Portion Pommes aus, die mit der Bestellung landete. Sichtlich unbeeindruckt von ihrem Verhalten schloss er den Vorgang ab und fragte: “Sondern?” Sein Blick wanderte überrascht nach unten und auch ich spitzte neugierig meine Ohren, was sie wohl zu sagen hatte. Kleinlaut schwieg sie. Ihre Wangen färbten sich täuschend ähnlich einer Tomate rot. Hektisch wanderten die Augen von links nach rechts, aber bevor sie aufspringen konnte, drückte er ihre Schultern nach unten, was eine Flucht unmöglich machte.
      “Wir haben jetzt, bis das Essen kommt, Zeit und so lang, warten wir auf eine Antwort”, neckisch sah Erik zu mir. In Bedrängnis hatte ich sie nicht bringen wollen durch meine unbedachten Worte. Zugegebenermaßen musste man mir aber auch lassen, dass ihr Beziehungsstatus nicht gerade sonderlich einfach einzuordnen war. Jetzt lag nur die Frage darin, ob ich Vriska beistand oder die äußerst verlockende Gelegenheit nutze, wo das Thema bereits auf dem Tisch lag, um etwas Klarheit darüber zu gewinnen. Die Neugierde war es, die schließlich siegte.
      “Okay Vivi, darf ich denn fragen, was der dann noch hier macht, wenn es nicht dein … was auch immer ist?”, fragte ich interessiert, “Und na ja, ein Pferd kauft man ja jetzt auch nicht gerade mit jedem.”
      „Ihr wollt mich auch quälen, oder?“ Vergeblich huschte ein zwanghaftes Lächeln über ihre Lippen, was Erik nur dazu ermutigte, etwas fester die Hände an ihren Schultern zu schließen.
      „Ist doch schon gut“, kam es umgehend als Reaktion, „eigentlich.“
      Vriska strauchelte und fummelte mit ihren Fingern an dem Ärmel ihres schwarzen Pullovers herum, auf dem ihr Name auf der Brust stand. Erst jetzt fiel mir auf, dass der sehr klein ebenfalls am Ärmel eingestickt war.
      „Eigentlich ging es nur um das Wort Kerl“, murmelte sie und senkte den Kopf. Eriks Finger entspannten etwas. Dann beugte er sich leicht nach vorn, um ihr möglichst nahe zu sein. Vriska schluckte hörbar.
      „Was bin ich denn dann?“, provozierte er weiter.
      „Ich kann das nicht sagen“, schluchzte sie nun. Ihre Augen wurden schlagartig glasig und der Ärmel hatte immer mehr zu leiden unter der hektischen Bewegung ihrer Finger. In dem Augenblick tat sie einem plötzlich leid, dass sie sich nicht dafür bereit fühlte, offen über die vorherrschenden Gefühle zu sprechen, dass ich meine Hand auf ihre legte. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, als würde Vriska es amüsant finden, es nicht sagen zu können. So schlimm konnte es aber nicht sein, dachte ich im Stillen.
      „Wir zwingen dich zu nichts, aber ehrlich gesagt, würde es mir auch besser gehen, wenn ich unterscheiden könnte, ob du nur eine Affäre bist oder mit mir gemeinsam den Weg bestreiten möchtest“, flüsterte Erik, aber noch laut genug, dass ich es hören konnte. In dem Moment stand Fredna im Raum, wischte sich mit ihren kleinen Händen durch die Augen.
      > Gjorde du henne illa?
      „Hast du ihr weh getan?“, sprach sie müde und trat in vorsichtigen Schritten näher zu uns an den Tisch heran. Erik löste sich direkt von Vriska, um seine Tochter auf den Arm zu nehmen.
      > Nej, jag gråter för att jag är glad.
      „Nein, ich weine, weil ich mich freue“, lachte Vriska und wischte sich erneut Tränen aus dem Gesicht.
      > Men man gråter inte över det. Vad är du glad över?
      „Deswegen weint man doch nicht. Worüber freust du dich?“, hinterfragte Fredna nun auch die Sachlage, sah dabei immer wieder zu mir. Vriska fehlten die Worte. Doch die Kleine wirkte nicht so, als würde es ernsthaft in ihrem Interesse sein, mehr darüber zu erfahren. Sie begann zu zappeln und Erik setzte sie wieder ab. Zielgerichtet tapste sie zu ihrem Rucksack und wühlte darin nach einigen Spielsachen, die sie in mehreren Gängen ins Schlafzimmer brachte. Dann verschwand sie wieder, nur Klappern ertönte aus dem Nebenraum. Doch Vriska nutzte die Gunst der Stunde, um vom Tisch aufzustehen. Wieder sah sie sich um, suchte nach einem anderen Ausweg, aber Erik ergriff sie sogleich. Nächster Fluchtversuch kläglich gescheitert.
      „Schon gut“, seufzte sie und nahm wieder Platz auf dem Stuhl, zu dem sie geleitet wurde.
      „Ich wollte damit nur sagen, dass du“, dabei sah sie auffällig zu ihm hoch, „kein gewöhnlicher Typ bist, sondern jemand besonders.“ Je mehr sie sprach, umso mehr verschluckte sie die Worte, noch immer unsicher darüber, was sie überhaupt sagen wollte. Aber Erik machte es ihr auch wirklich nicht leicht, da konnte ich die zögerliche Art nachvollziehen, denn er sagte: „Ach, was Besonderes also? Ich bin gespannt.“ Dabei grinste er wieder selbstsicher. Auch meine ungestillte Neugier zuckte in den Fingern.
      „Man, Erik“, jammerte sie und verschränkte eingeschnappt die Arme, da war sie wieder: Vriska, die noch immer in der Pubertät feststeckte, aber auch nur ungern die Komfortzone verließ.
      „Wenn mich einer von euch auslacht, dann mache ich nichts mehr für euch“, drohte sie mit erhobenem Finger. Wir nickten, wenn auch Eriks Gesicht gegenteiliges aussagte. Entschlossen atmete sie ein und doppelt so lange wieder aus.
      „Ich wollte sagen, dass du nicht nur mein Kerl bist, sondern zu meinem Zuhause geworden bist. Bei dir fühle ich mich wohl, gut aufgehoben und vor allem erwünscht. Du gibst mir, all das, was ich mir immer gewünscht habe und noch nie zuvor fühlte. Das Schicksal wollte es, du bist mein Traum“, sagte sie mit zittriger Stimme. Wir schwiegen, dann schloss Erik sie fest in die Arme und drückte ihr einen kräftigen Kuss auf die Wange.
      „Also darf ich jetzt wieder sagen, dass du meine Freundin bist?“, fragte er hoffnungsvoll.
      „Wenn dir das so unglaublich wichtig ist, ja“, sprach sie zuversichtlich und strich ihm mit dem Handrücken über die Wange. Plötzlich strahlte sie etwas aus, dass ich zuvor nur kannte, wenn sie mit dem Unbekannten schrieb. Das Lächeln auf ihren Lippen wog so leicht und herzlich, dass ein angenehmes Gefühl durch den Raum zog und sogar mich zuversichtlich stimmte.
      “Aber”, schluckte Vriska einige Minuten später und stand vom Tisch auf, “ich habe ein mulmiges Gefühl im Magen, gehe noch mal nach Maxou sehen.”
      Als der Name des Ponys fiel, kam direkt Fredna angelaufen und sah mit den großen blauen Augen hoch zu ihr.
      > Vill du följa med?
      “Möchtest du mitkommen?”, fragte Vriska freundlich. Fredna nickte hektisch. Dann reichte Vriska ihr die Hand und Erik nickte nur zustimmend. Er half den beiden sich anzuziehen, im nächsten Augenblick fiel die Schiebetür zu. Trymr blickte nachdenklich nach draußen. Auch mir stellte sich die Frage, ob es tatsächlich Besorgnis um das Pony war, was sie trieb oder wohl doch eher ihr natürlicher Fluchtinstinkt. Aber würde sie dann das Kind mitnehmen? Wohl eher nicht. Es war ohnehin schon überraschend, dass sie Fredna ohne Wenn und Aber mitnahm.
      “So langsam scheinen sie sich ja anzufreunden”, beendet ich meinen Gedankengang laut.
      “Offenbar”, drückte Erik die Augenbrauen skeptisch zusammen, “mich verwundert es genauso sehr wie dich.” Nervös tigerte er im Raum auf und ab, was auch Trymr aufschreckte.
      “Was bereitet dir daran Sorgen? Vriska wird es schon schaffen auf die Kleine aufzupassen”, erfragte ich den Grund für das herum Gerenne.
      “Dass sie eine Schwester hat, weißt du?”, sah er zu mir und blieb endlich stehen. Verwundet schüttelte ich den Kopf, diese Information war mir neu.
      “Okay, also sie hat noch eine jüngere Schwester, die zehn Jahre jünger ist und Vivi hat sie mit vier im Park ausgesetzt, weil sie keine Lust hatte auf sie aufzupassen”, seufzte Erik und blickte durch die Terrassentür hinaus ins Dunkle, “ja, das ist schon länger her, aber zeugt nur bedingt dafür, dass sie mit Kindern klarkommt.” Das Vriska mit Kindern nicht sonderlich gut konnte war mir nicht neu aber, dass sie eines im Park aussetzte und noch dazu ihre eigene Schwester? So etwas hatte bisher fernab meiner Vorstellungskraft gelegen.
      “Und du bist jetzt besorgt darüber, dass sie mit Fredna dasselbe tun könnte?”, versuchte ich die Lage zu erfassen.
      “Eher unwahrscheinlich, aber meine Tochter ist speziell”, murmelte er. Ich spürte, wie sich eine Falte zwischen meinen Augenbrauen bildeten, als ich das Wort ‘Speziell’ zu ergründen suchte. Die kleine war ein wenig verwöhnt und mochte ihren Vater gut im Griff haben, aber so etwas hatte ich schon öfter bei Kindern beobachtet und stellte eigentlich nur wenig Grund zu Beunruhigung dar, damit sollte sogar Vriska umgehen können.
      “Inwiefern speziell und warum sollte das ein Problem darstellen?”, fragte ich weiter. Wieder überlegte er, schwieg sogar, ohne den Blick von der Scheibe abzuwenden, aber setzte sich schließlich mit an den Tisch, zum Glück. Vom Kragen aus öffnete Erik zwei Knöpfe des blauen Hemdes und zog dabei ein Stück aus seiner Hose heraus, es klang, als atmete er erleichtert aus.
      “Fredna war recht schnell selbstständig, will nichts gezeigt bekommen und auch nur wenig erklärt. Sie geht allein an Probleme ran, kann es nicht leiden gestört zu werden oder wenn andere Kinder ihre Spielsachen benutzen. Wenn dann doch mal etwas nicht funktioniert, wie sie es gernhätte, ist sie extrem frustriert und lässt es dann an allen anderen aus. Und ja, es klingt wie Mini Vriska, ich weiß”, lachte Erik für einen Moment, aber stütze dann verzweifelt seinen Kopf mit den Händen.
      “Ich habe tatsächlich Angst, dass sie sich zerstreiten, obwohl beide jetzt nur bedingt einen guten Wortschatz haben.”
      Erneut seufzte er. Das war tatsächlich eine Lage, wo ungewiss war, wie gut das Funktionieren wurde.
      “Mach dir nicht so viele Gedanken. Vriska mag zwar ein genauso schwieriger Charakter sein wie deine Tochter, aber sie hat auch erstaunlich viel Feingefühl, wenn es drauf ankommt, sie wird das schon schaffen”, aufmunternd lächelte ich ihn an.
      “Ich schätze sie zwar eher als Elefant in einem Porzellanladen ein, aber du magst recht haben”, dann wurde unser Gespräch von einem Klopfen gestört. Sofort sprang Erik von seinem Stuhl auf, steckte dich das Hemd wieder in der Hose und richtete alles gerade. Dann öffnete er freundlich die Tür und nahm das Essen entgegen. Höflich drückte er dem jungen Mann einen Patzen Geld bestehend aus blauen Scheinen in die Hand, dieser verschwand sofort und hinter sich schloss Erik wieder die Tür.
      “Ich geh dann mal, nach den beiden schauen”, bewegte ich mich vom Tisch zur Jacke, schmiss sie mir über und verstand wenige Minuten später hinaus in die Kälte. Immer mehr reckte der Winter die eisigen Finger ins Land, obwohl wir gerade erst Anfang Oktober hatten und noch nicht einmal alle Bäume ihr farbenfrohes Kleid verloren hatten. Die offene Fläche mitten im Wald bot dem Wind jedoch genug Möglichkeiten, um sich eine Schneise aus Frost zu schlagen. Recht schnell wurde ich fündig auf dem Hof, denn die Reithalle erstrahlte im vollen Licht und die großzügige Scheibenfront war beschlagen. In der Gasse vor den Boxen standen die Beiden. Vriska war dabei einen der Heulageballen aufzuschneiden und Fredna saß in den Spänen. Maxou knabberte neugierig an der Pudelmütze der kleinen. Weder distanziert noch verschlossen wirkte sie, im Vergleich zu unserem Kennenlernen.
      “Kann ich dir behilflich sein?”, fragte ich höflich, was Vriska verneinte und die Folie zur Seite schmiss. Sogleich kroch mir der süßliche Geruch in die Nase durch den Gärungsprozess und dem hohen Feuchtigkeitsgehalt. Mit einer Mistgabel schleuderte Vriska elegant alles über die Boxenfront und nur Weniges landete vor der Box oder obendrauf.
      “So, das war’s schon”, sagte sie zufrieden und startete den Lader wieder, um den Ballen zur anderen Seite zu fahren. Dann fuhr sie nur noch das Gerät weg. Ich beobachtete so lange Fredna, die wie hypnotisiert neben dem Pony saß, das gierig in dem Haufen aus Heulage herumwühlte und nur zögerlich fraß.
      “Noch schlimmer als wir vermutet haben?”, erkundigte ich mich bei Vriska, die nickte.
      “Sie hatte das Heu nur herumgeschoben, aber ich wusste nicht, ob die Silage verträgt, also habe aus dem Lager einen der Allergiker Ballen geholt. Und die Tierärztin kommt morgen. Sie wird sich dann auch Smoothie untersuchen”, erklärte sie und reichte ihre Hand zu Fredna, die nur zögerlich folgte. Die Box schloss ich. Maxou drehte nur das Ohr in meine Richtung und war viel zu sehr damit beschäftigt den Kopf in den riesigen Haufen zu stecken. Vriska hatte es wirklich gut gemeint mit der Portion, auch Lubi hatte noch mal etwas bekommen, aber Smoothie ging leer aus. Irritiert legte die helle Stute ihre Ohren an, aber als ich noch einen prüfenden Blick zu dem Heunetz an der Seite warf, merkte ich das volle Netz. Dann brauchte sie natürlich nicht noch mehr.
      “Mein Unbekannter hat mir noch mal geschrieben”, platze es aus Vriska heraus, bevor wir im Bungalow ankamen.
      “Ach ja?”, hinterfragte ich skeptisch.
      “Ja”, freute sie sich, “er möchte sich mit mir treffen, demnächst. Aber ich muss vorher noch einiges planen, denn ich soll selbst darauf kommen, wann und wo.” Ihr Gesicht strahlte so herzlich, dass man hätte, vergessen, worauf sie sich eingelassen hatte vor nicht einmal einer Stunde. Gern hätte ich mich für sie gefreut, dass sie dem Rätsel dieses geheimnisvollen Menschen näher auf den Grund zu kommen schien, aber es kam mir nicht so ganz richtig vor, was sie vorhatte. Ich glaubte nämlich nicht, dass sie vorhatte, ihren Freund darüber aufzuklären. Ich meine, dass sie mit ihm schrieb, war eine Sache, aber ein Treffen …
      “Und du hast dabei keine Bedenken? So moralischer Art?”, brachte ich zögerlich meine Bedenken hervor. Ich zögerte deshalb, weil es mir widerstrebte, mich ungefragt in ihre Angelegenheiten einzumischen.
      “Ungewöhnlicherweise nein”, zitterte ihre Stimme, als gäbe es doch mehr Einwände, als sie zugeben wollte, “aber erst mal abwarten. Es wird sicher noch einiges an Zeit ins Land fliegen und demnächst müssen wir ja auch nach Kiel.”
      Sie zuckte mit den Schultern. Ich überlegte gerade, was ich ihr entgegnen konnte, als mich ihre letzten Worte aufhorchen ließen.
      “Warte was, wir müssen nach Kiel? Habe ich etwas verpasst?” Verdattert blickte ich sie an. Soweit meine geografische Orientierung reichte, lag Kiel in Deutschland und mir fiel absolut kein Grund ein, was Vriska, ich oder wer auch immer mit wir noch eingeschlossen wurde dort zu suchen hätten.
      “Vermutlich hast du verpasst den Terminkalender vom Hof zu prüfen”, lachte sie, “Aber Spaß bei Seite, wir haben dieses Jahr die Möglichkeit bekommen bei einer großen Auktion zu reiten und im Voraus eine Woche die Pferde mitzutrainieren. Du musst nicht, aber es wäre eine hervorragende Möglichkeit.” Das klang zweifellos nach einer besonderen Gelegenheit, die sich vermutlich nicht so schnell wieder bieten würde. Gleichzeitig bedeute so ein Event aber auch eine Menge Menschen und ich war mir nicht im Klaren darüber, ob ich einer solchen Aufgabe gewachsen sei. Unsicher verknotetet sich meine Finger ineinander, um gleich darauf sich wieder zu entwirren und in anderer Form ineinanderzugreifen.
      “Ich weiß nicht, ob ich das kann. Da werden doch sicher viele Menschen sein”, entgegnet ich zurückhaltend.
      “Jetzt stell dich nicht so an, du musst mit denen nicht reden und ob wir überhaupt Pferde an der Auktion vorreiten, weiß ich nicht. Warmreiten auf jeden Fall, aber mehr … keine Ahnung”, zuckte sie erneut mit der Schulter, sah jedoch nicht zu mir, sondern lauschte Fredna, die leise brabbelte.
      “Aber dich zwingt niemand, du kannst auch mit Niklas nach Stockholm”, fügte Vriska hinzu. Diesmal war ich diejenige, die seufzte. Die Horse Show in Stockholm, war so etwas wie der Jahresabschluss der Turniersaison, der noch einmal in einem großen Event gefeiert wurde. Neben meinem Freund und ein paar weiteren aus dem Nationalteam würde es dort auch noch viele andere Showacts zu bewundern geben und es bedeute natürlich ebenso Zeit an Niklas Seite zu verbringen. Dass auch noch beide Veranstaltungen auf einen Termin fallen musste, stellte mich nun vor eine nicht einfach zu treffende Entscheidung. Im selben Moment wie ich an den Mann an meiner Seite dachte, fiel mir ebenso ein, dass ich ihn noch über die Planänderung in Bezug auf Smoothies Trächtigkeitsuntersuchung in Kenntnis setzten sollte, denn er wollte mit Sicherheit dabei sein.
      “Ich werde darüber noch ein wenig nachdenken müssen”, murmelte ich stirnrunzelnd, während ich mein Handy mittels der Gesichtserkennung entsperrte, um eine entsprechende Nachricht zu verfassen.
      “Verständlich”, schmunzelte Vriska. Vor uns lang mittlerweile die Terrassentür, die sie galant aufschob und umgehend die Schuhe auszog.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 27.165 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang Oktober 2020}
    • Mohikanerin
      Dressur M zu S | 28. Februar 2022

      Form Follows Function LDS // Lubumbashi // Morian

      Mit einem warmen Tee in der Hand stand ich an der Eingangstür zur Reithalle, beobachtete wie Niklas auf seiner Rappstute bis zum Äußersten Trainierte. Am Hals schäumte das Pferd auf Höhe des Zügels und aus dem Maul tropfte weiße Tropfen an die Brust, immer wieder und wieder kam er dem Tier Paraden, mal ganze, mal halbe, aber wie ein Esel entzog, sich Form und trottete voran. Sollte ich etwas sagen? Zunächst trat näher an die Bande heran, setzte ein Lächeln auf und zeigte meine Präsenz, schon, dass ich keinen blöden Spruch gegen den Kopf geworfen bekam, zeigte von besserer Laune des Herren. Er holte die Stute zurück in den Schritt und strich ihr freundlich über den Hals am lockeren Zügel. Sofort schnaubte sie ab, streckte dabei den Kopf weit nach unten. Dankbares Pferd, dachte ich insgeheim und nahm einen kräftigen Schluck von dem Heißgetränk.
      “Möchtest du nicht brauchbare Dekoration sein?”, hielt Niklas plötzlich vor mir an. Unvergesslich lag wieder dieses Gefühl in der Luft, dass ich mit einem Atemzug in mich aufnahm und wohliges Kribbeln unter der Haut auslöste. Die kleinen Härchen stellten sich unter dem dicken Stoff meiner Fleece Jacke auf, während der Motor meines Körpers von Sekunde zur nächsten schneller schlug. Da war es wieder, diese Gewissheit, dass wir einander brauchten.
      „Was heißt denn in deinen Augen ‚brauchbare Dekoration‘? Was wünscht der Herr?“, grinste ich unverfroren in die Tasse heran, die ich erneut an meinen Mund ansetzte.
      “Dann zeig mir doch mal, wieso Fräulein Isaac meint, dass du der bessere Trainer bist”, sprach er mit einem unterdrückten Lächeln, das nur durch die zittrigen Worte wahrnahm. Selbstverständlich nickte ich und trat durch das breite Tor auf den Reithallenplatz ein. Der Sand klebte sofort an meinen nassen Stiefeln. Wozu hatte ich sie vor ein paar Tagen noch geputzt?
      Einige Minuten beobachtete ich Niklas noch im Umgang mit seiner Stute, bevor ich mit den Hinweisen begann. Er war zu fest am Zügel und verwirrte damit das Pferd nur noch mehr, durch widersprüchliche Hilfen. Mit dem Bein trieb er, aber gab Form dauerhaft parallel halbe Paraden. Da konnte das Pferd kaum umsetzen, was er wollte. Ich zählte die Schritte der Stute laut mit, damit Niklas wieder in den Takt kam. Nachdem er im Schritt ruhiger im Sattel saß und beinah unbeweglich die Hilfen gab, versammelte das Pferd gelassen. Damit setzten wir die Übung auch im Trab durch auf kurzen Linien, gefolgt von Wendungen, Seitengängen und Überstreichen für den Schwung. Schon nach kurzer Zeit nahm Form mehr Last auf der Hinterhand auf und Niklas bekam das Gespür dafür, wann das Pferd für schwierigere Lektionen empfänglich war.
      “Prinzesschen, das reicht für deinen Totilas-Verschnitt”, lachte ich nach dem er einige Schritte in der Passage abfragte. Tatsächlich hatte ich lange keine ordentliche Bewegung gesehen, wie die Rappstute es präsentierte. Das Pferd wollte gefallen und hatte damit einiges mit ihrem Herrchen gemeinsam.
      “Jetzt fängst du auch damit an”, schüttelte Niklas mit dem Kopf und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. An seiner Stirn hatten sich kleine Schweißperlen gebildet, die er mehr oder weniger elegant in der Frisur verteilte, während andere an den Schläfen entlangliefen und auf sein Oberteil tropften, das ohne ihm von Schweiß getränkt war. Eng lag es an seine Brust, die ich für einen Moment zu lange anstarrte, als dass es unbemerkt blieb. Anstelle eines dämlichen Kommentars bekam ich ein verschämtes Lächeln zu geworfen, das als Kompliment abspeicherte.
      „Aber ich werde dann mal den Clown fertig machen“, entschied ich mich, meiner eigentlichen Aufgabe zu widmen, denn Vriska war außer Haus für eine kurze Zeit und hatte mir die Verantwortung von Lubi übertragen. Außerdem stellte es sich als eine vielversprechende Möglichkeit dar, um das Pferd näher kennenzulernen und ihr im Training präzisere Anweisungen zu geben. Schon allein, weil die Kleine es in der kommenden Saison für die internationale Liga qualifizieren wollte. Dabei scheiterte es nicht an dem Tier, sondern an ihr, umso wichtiger erschien es, dass Lubi korrigiert wurde.
      “Dann bis gleich”, rief mir Niklas noch nach, was mich erneut in ein Herzrasen versetzte, das ich in den letzten Tag deutlich häufiger hatte als sonst. Zumindest, wenn ich an das Kennenlernen mit Travaris dachte.
      Schnellen Schrittes trugen mich meine Beine durch den Schnee hinüber zum Stall, bis sie vor Lubis Box stoppten. Mit leisem Brummen streckte das Pferd seinen Kopf durch die Gitter und begann mit der Oberlippe mein Ohr näher zu untersuchen. Vorsichtig schob ich sie zur Seite, doch Lubi war nur schwer von ihrem Plan abzubringen. Fast traurig blickten mich die großen Augen an, als ich einen Schritt zur Seite machte. Damit war der außerhalb ihrer Reichweite, was sie natürlich nicht davon abhielt, möglichst seltsam den Kopf in meine Richtung zu drehen.
      “Die hört nicht auf, da hilft auch diskutieren nicht”, kam es von der Seite. Niklas kam mit seiner Stute in den Stall gelaufen, die stark dampfte durch die gelbe Abschwitzdecke.
      “Und das weißt du woher?”, zog ich Augenbraue nach oben und nahm mir das Halfter von der Front. Wieder drehte Lubi ihren Kopf schräg in meine Richtung, um das seltsame Pinke etwas in meiner Hand zu untersuchen. Laut prustete sie und schlug mit dem Huf gegen das Holz. Ich schüttelte nur den Kopf und legte das Halfter um.
      „Das ist das Pferd meiner Ex“, sagte Niklas beiläufig. Dann legte der den Sattel vom Schweißgebadeten Pferd herunter, bevor er ihr die Decke vollständig umlegte.
      „Ihr pflegt hier ein seltsamer Umgang miteinander, wenn ich es richtig verstanden habe, hattest du doch auch Vriska …“, die letzten Worte sparte ich mir, denn das Prinzesschen rollte jetzt schon mit den Augen.
      „Ich halte meinen Kreis gerade klein“, sprach er ernst. Nun gut, mehr wollte ich gar nicht wissen und führte die Stute aus der Box. Ohne weitere Worte zu wechseln, machte ich ihr Fell sauber, sattelte sie und befestigte zum Schluss meine Gamaschen an ihre Beine. Zwischen all den Sachen, die Vriska hinterließ, fand ich bis auf riesige Bandagierunterlagen, keine, aber glücklicherweise war Erlkönig kein Pony und ihr passten die schwarzen Fesselkopfgamaschen wie angegossen. Außerdem
      „Dann dir noch einen schönen Tag“, verabschiede mich freundlich von Niklas, der aus dem Nichts nach meinem Handgelenk griff. Wie eingefroren verharrte ich in meiner Position, was er wohl so geplant hatte. In den Ohren rauschte das Blut, als Stände ich am Meer und beobachte die ungebändigten Wellen. Mit einem Schritt stand er plötzlich vor mir, strich mit seiner Hand über meinen Oberarm. Was passierte hier? Noch bevor ich reagieren konnte, stieg sein lieblicher und männlichen Geruch in meiner Nase, was mich willkürlich in Bedrängnis brachte. Zum Glück holte mir Lubis Oberlippe wieder zurück aus der Starre.
      „Clown möchte in die Reithalle“, versuchte ich ihm nett zu sagen, dass ich nicht weiter so nah an ihm stehen wollte.
      „Bis gleich“, grinste Niklas breit und gab den Weg frei. Wieder stupste mich Lubi an, als ich das Tor zur Halle öffnete und sie hindurchführte. Sie wartete geduldig, bis ich alles Nötige tat und im Sand den Gurt ein Loch fester machte. Auch bei meinem Pferd begann ich vom Boden zu arbeiten. Sie hatten eine Gemeinsamkeit – ihre unheimliche Größe. Während Lubi noch gute zehn Zentimeter mehr hatte als mein Fuchs, kamen beide in die Bredouille ihren Körper zu kontrollieren. Für den Anfang tippte ich sie an der Hinterhand an, mit der Gerte und hielt meine Hand in dem Gebissring, der ebenfalls rosa war. Ein Überbleibsel von Niklas‘ Ex-Freundin? Kaum vorstellbar, dass ein Kind der Nacht heimlich rosa liebte. Das erste Übertreten wirkte unkontrolliert, aber Lubi Schiiten zu verstehen, was ich wollte, doch es fiel ihr schwer, die Hüfte zu mobilisieren. Runde für Runde setzte sie ihre Beine gezielter in den Sand, strengte sich an, die gefragte Aufgabe umzusetzen. Ihre Reaktion auf die Gerte war genau und noch bevor der Zipfel die Kruppe berührte, trat Lubi zur Seite.
      Im Schritt wechselte ich auf den Zirkel und führte das Pferd auf verschiedenen Linien, um die Schulter mehr zu mobilisieren und auch die Wirbelsäule zu biegen. Mit einem hohen Grad der Konzentration arbeiten wir im Sand, bis ich schlussendlich in den Sattel stieg. Zufrieden strich ich über den Hals. Das Pferd überraschte mich immer wieder, so viel Einsatzbereitschaft und Leichtigkeit hatte ich bei einem Flugzeugträger noch nicht erlebt.
      „Wenn du die Beine ruhiger am Bauch lässt, arbeitet ihre Hinterhand aktiver“, kam das Prinzesschen aus dem Flur hervor und legte die Arme auf der Bande ab. Leise knarrte das Holz, wie Feuer, das sich langsam in feuchten Scheiten verbreitete. Wortlos stützte ich die Füße näher außen am Bügel und damit öffnete sich meine Hüfte mehr, auch spürte ich die Tritte der Hinterhand mehr, die zunehmend mehr Last aufnahmen. In der fortlaufenden Arbeit konzentrierte ich mich mehr darauf, Niklas‘ Sitzkorrekturen anzunehmen, um den Schwerpunkt des Warmbluts zu finden. Dieser lag minimal weiter hinten, als der Sattel es mir vor, vermutlich auch dem geschuldet, dass die Sitzfläche für mich zu klein war.
      Eins musste ich der Stute eingestehen: Sie reagierte punktgenau und war nach der kurzen Einheit an der Hand auch gerade. Umso leichter wurde es, die gefragten Figuren in der schweren Klasse in einem bekannten Muster abzufragen. Sie zeigte schon einen hohen Grad der Versammlung, an der ich mit meinem roten Baron noch immer arbeitete. Die Hinterhand stützte auch im Galopp und erleichterte ihr die Arbeit. Zunehmend machte es richtig Spaß mit der Stute, so sehr, dass ich die Uhrzeit aus dem Blick verlor und schließlich Hals über Kopf aus dem Sattel stieg.
      “Was ist denn jetzt los?”, sprach Niklas verwundert. Seine neue Freundlichkeit überraschte mich jedes Mal mehr. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, allein zu sein auf dem so großen, aber einsamen Gestüt. Jeder hier verschwieg etwas, vielleicht aus einem triftigen Grund, allerdings sorgte es nicht dafür, sich willkommen zu fühlen.
      “Ich muss gleich noch arbeiten”, erklärte ich kurz. Er nickte und legte der Stute die Decke über den Po. Zuvorkommend half er Lubi Boxenfertig zu machen. Immer wieder berührten sich unsere Finger dabei, wodurch zurückzuckte und auch sein Gesicht umschmeichelte ein Grinsen. Ich ließ es mir nicht nehmen, ihn etwas aufzuziehen mit kleinen Anspielungen auf die Geschehnisse. Deutlich verkrampften seine Muskeln, wenn ihm ins Ohr flüsterte und dabei langsam seine Schultern berührte. Aber der tickende Zeiger meiner Uhr erinnerte mich minütlich daran, nach Hause zu fahren.
      „Hast du vielleicht Lust“, gluckste ich wie ein Schulkind herum, „nachher zum Essen vorbeizukommen, meine Schwester würde sich…“
      Doch Niklas ließ mich nicht einmal Aussprechen.
      „Klar, schreibst du mir dann?“, sagte er.
      Nickend stimmte ich zu, ehe ich das Pferd in die Box brachte und ihr Heu auffüllte. Sofort zog sich Lubi einen Halm nach dem anderen heraus, bevor ich den Stall und sie hinter mich ließ. Wie Gummi zog sich der sonst kurze Weg zu dem kleinen Haus am Stadtrand, das ich mit meiner Schwester bewohnte, die um die Zeit selbst noch arbeitete. Damit hatte ich ruhe für meinen neuen Kunden.
      Als ich die Tür öffnete, stürmte mir Kobi entgegen, der es gar nicht abwarten konnte, durch gekrault zu werden. Einmal bellte das Tier und schmiss sich auf den kühlen Fliesenboden. Offenbar war wieder einmal die Heizung ausgefallen. Nur einen kurzen Augenblick konnte ich mich meinem Hund zuwenden, bevor in der Küche das Laptop aufschlug und startete. Mit der Uhrzeit im Nacken tippte ich das Passwort ein – falsch. Erst beim dritten Versuch gelang es mir, den Bildschirm zu entsperren und die Konferenz zu starten.
      In Vorbereitung auf das erste gemeinsame Training hatte Alec mir bereits Bilder und kurze Videoclips der bisherigen Arbeit gezeigt. Der Fuchshengst, Morian, war in einem optimalen Trainingszustand, Hinter- und Vorderhand gleichermaßen bemuskelt und von einer guten Oberlinie geprägt. Zur allgemeinen Kontrolle sollte ich über eine normale Trainingseinheit darüber schauen und mögliche Verbesserungen anbieten, damit hatte entspannte dreißig Minuten vor mir.
      Mit den Kopfhörern in meinen Ohren, starrte ich mein Gesicht hat, bemerkte erst jetzt, welche Unordnung Jonina im Küchenschrank ließ, vor dem ich am Tisch saß. Doch, bevor ich anfangen konnte, etwas Ordnung zu machen, kam schon Alec dazu, der freundlich in die Kamera blickt und den paar roten Fusseln zu Folge, bereits auf dem Pferd saß. Anfangs tauschten wir die typischen Floskeln aus, mit dem ich jedes Training begann, um auch die Stimmung meines Schülers besser einschätzen zu können. Alec strotzte vor Energie und Elan. Ich spürte sofort, dass es eine besondere Einheit werden würde, noch bevor das Handy in den Dreifuß gesteckt wurde. Seine Freude war ansteckend, sodass auch ich mich vollkommen entspannt in den Stuhl lehnte und mich unterhalten ließ.
      Morian war aufgewärmt. Am lockeren Zügel streckte der Hengst den Hals nach vorn, trat gleichmäßig mit den Hinterhufen in die Abdrücke der vorderen und mobilisierte sich zunehmend im ganzen Körper. Mit nur minimalen Hilfen trieb Alec das Pferd aktiver, um die Balance zu ermöglichen. Doch als wir anfingen, ihn zurückzuholen, wurde es komplizierter. Unruhig schob Alec durch den Sattel, zupfte am inneren Zügel und brachte das Pferd aus dem Takt.
      “Ruhig sitzen, nur den Zügel und wenn du nicht durchkommst, etwas gegenhalten. Wenn der Kontakt kommt, entspannen. Genauso, halbe ans Genick. Riiiiiiichtig”, erfreute ich mich weiter an dem Zusammenspiel des Paars, die durch meine kurzen, aber klaren Anweisungen immer besser zu den Schwerpunkten kamen. Auf dem Zirkel kam der Hengst besser an den Zirkel heran und konnte noch besser die kleinen Hilfen seines Reiters sehen. Er trat genügend unter, verdiente sich nach der kurzen Einheit eine Pause. Je mehr Alec sich im Sitz festigte, das Pferd nicht aus dem Gleichgewicht bracht, umso stärker strengte sich Morian an. Auch nach der Pause setzten wir an der Stelle fort, ebenso im Galopp. Das Konter-Schulterherein förderte noch mehr die Lastaufnahme der Hinterhand und der lateralen Beweglichkeit.
      Genauso flüssig wie die Übergänge vom Trab zum Galopp waren jene vom Galopp in den Schritt und anderes herum. Dabei sprachen wir wiederholend die Durchlässigkeit an, welche Übungen den beiden halfen, um sie zu fördern. Morian arbeitete fleißig mit, konzentrierte sich genau auf die Hilfen und versuchte sich in dem eigenen Stolz zu stoppen. Zu guter Letzt fragten wir noch zwei schwierige Lektionen ab – die halbe Galopppirouette und Zick-Zack-Traversalen. Die Verschiebungen im Trab trafen sie punktgenau und darauf aufbauend, legten wir die folgenden Anforderungen. In der Ecke galoppierte Alec den Fuchs an, holte ihn im Tempo zurück und legte sanft das äußeren Schenkel nach hinten, um das Pferd zu treiben, während der innere das Pferd bog. Längs zur Bande sprang das Pferd eine Traversale nach der anderen, bis sie die Mittellinie passierten und fünf Meter zur Seite schoben. Beinah unsichtbar wechselte Alec das Bein, um Morian nun um weitere zehn Meter nach rechts zu schieben. In einem hohen Grad der Tragkraft legte der Hengst vor. Auch als sie nach dem geforderten Meter wieder zurück zur Mittellinie kamen, bemerkte man kaum, wie erschöpft die beiden waren. Erst im Nachgespräch erfuhr ich, dass Alec sein Pferd zwar in den einzelnen Lektionen geschult hatte, aber nie zuvor so viele nacheinander ritt. In der Galopppirouette fiel es mir schon auf, dass Morian die Kraft fehlte und im Anschluss folgte das Abreiten.
      “Ich bin wirklich zufrieden mit euch beiden”, lobte ich Alec, dieser lächelte freundlich in Richtung der Kamera und nickte. Mittlerweile war auch eine andere Reiterin auf dem Reitplatz angekommen, die einen schmalen und ziemlich langbeinigen Schimmel ritt, sehr dunkel noch in der Äppfelung. Das Tier muss noch jung sein, wenn man den Prozess der Umfärbung im Hinterkopf behielt, aber ich beobachtete sie nur einige Wimpernschläge auf dem Bildschirm. Zu sehr zog mich Alec in seinem Auftreten auf dem Fuchs an, als dass ich jemand anderes meine Aufmerksamkeit schenken konnte. Wir sprachen noch sehr lange, deutlich über eine herkömmliche Beratung hinaus. Es war immer wieder eine Erfahrung, mit jemanden von der anderen Seite des Teiches zu sprechen, sodass ich mich immer wieder dabei ertappte, eine Reise nach Kanada zu planen. Die schwammigen Waffengesetze in Amerika schüchterten mich an und erfahrungsgemäß würde mich das Nachbarland besser gefallen. Schließlich schlug der Hund an. Gezwungenermaßen verabschiedete ich mich von Alec, klappte das Laptop herunter und tappte erschöpft zur Tür.

      © Mohikanerin // Eskil Mattssson // 16.762 Zeichen
      zeitliche Einordnung {November 2020}
    • Mohikanerin
      Dressur S zu S* | 15. März 2022

      Form Follows Function LDS // Lubumbashi // WHC’ Griechischer Wein // Morian

      Bevor Lubi ihre berichtigte Pause bekam, stand heute eine letzte Einheit auf dem Plan. Dafür hatte ich mich in einem der heiß umkämpften Reithallen-Slots eingetragen, um am Nachmittag die Sachen meines Hengstes in den Transporter räumen zu können und auch die eigenen. Angenehm lag eine Ruhe auf dem Hof, nur vereinzelt huschten Jockeys auf dem Sulky vor dem Tor vorbei. Die Schneeschicht hatte noch immer das Land unter sich begraben, sodass es keine Möglichkeit gab, überhaupt auf einem der Reitplätze zu reiten.
      „Du bist aber schon früh da“, brummte es aus der Reithalle, als ich langsam das Tor öffnete. Er konnte gar nicht wissen, dass ich es bin. Oder erwartete jemanden Bestimmtes? Aus dem Schatten trat ich durch den Flur hervor und setzte den Fuß in den Sand, als Niklas seine Rappstute anhielt.
      „Dasselbe könnte ich auch zu dir sagen“, musterte ich die beiden. Im Vergleich zu gestern, machte Form eine bessere Figur. Mit aufrechtem Kopf blickte mich die Stute an und ihre blauen Augen leuchteten in der Frühe des Tages so wundervoll, dass ich ihren Reiter für einen Augenblick verdrängte. Erst durch eine seichte Berührung von Lubi an meinem Oberarm, kam ich wieder zu besinnen. Ich hätte den morgendlichen Kaffee nicht durch Apfelsaft ersetzen sollen.
      „Erwischt“, grinste Niklas und ritt im Schritt an mir vorbei.
      In der Mitte der Bahn zurrte ich den Gurt ein Loch fester und stieg auf. Mit großen Schritten trat Lubi durch den Sand. Der Kopf wippte harmonisch und zwischendrin schnaubte sie gelassen ab. Im Vordergrund der Einheit standen die Einer-Wechsel und ganze Pirouette. Dafür wärmte ich das Pferd locker auf, immer wieder holte ich sie ans Bein zurück, legte halbe Paraden ein, bis die Übergänge in fließende Bewegungen übergingen. In den Biegungen auf dem Zirkel spürte ich, dass sie mehr Last auf der Hinterhand aufnahm und auch das innere Vorderbein der Körper balancierte. Obwohl sie noch schwerfällig vom Galopp in den Schritt zurückkam, besserte es sich zunehmend.
      „Es scheint, als wärst du von gestern ziemlich geschafft“, reihte sich Niklas neben mir auf und ließ den Blick zu meinen Augen schweifen. Doch wie Stuten nun einmal waren, zickten sich die Tiere an, obwohl Lubi nur an Form schnuppern wollte.
      „Die weiß es nicht zu schätzen“, flüsterte ich der Braunen ins Ohr und strich sanft über ihren Hals.
      „Was heißt geschafft“, zuckte ich, an Niklas gewendet, mit den Schultern, „ich hatte schon kürzere Nächte.“ Ein mattes Lächeln huschte durch mein Gesicht, bevor ich entschlossen die Zügel aufnahm und Schritt für Schritt verkürzte. Lubi wendete sich am Maul, aber entschloss sich schließlich noch mehr Kraft zum Tragen zu nutzen. Unter mir hob sich deutlich ihr Brustkorb, bis sie von selbst entschied in kleinen aber akkuraten Sprüngen in den Galopp zu wechseln. Im Trab legte auch Niklas zu, konnte problemlos neben uns bleiben. Mit einem Handzeichen bat ich ihn, mir den Weg freizumachen, dem er freundlicherweise nachkam. Dann bog ich zur Diagonalen ab und sprang in rhythmischen Wechseln durch die Bahn. Bei dem ersten Mal verzählte ich mich, wie es anders nicht hätte sein können, doch bereits der zweite Versuch saß punktgenau. Sogar den kritischen Blicken des Champions bestanden wird. Ich holte Lubi zurück in den Schritt und als wolle er mir etwas beweisen, galoppierte Niklas die Rappstute an und sprang auf der Diagonalen ebenfalls eine einwandfreie Kombination aus einer-Wechseln. Ein leichtes Klatschen ertönte sogar durch die Halle.
      „Mama?“, wunderte sich Niklas und hielt an der Bande an. Obwohl mich die Situation deutlich mehr interessierte, als es mich anging, trieb ich Lubi an den beiden vorbei und trabte auf dem Zirkel an. In Vorbereitung auf die Pirouette verkleinerte den Kreis immer weiter, bis zu dem Punkt, in dem Lubi immer weiter mit der Hinterhand auf der Stelle verblieb. Daraus erhöhte ich treibende Hilfe und gab ihr den Zügel nach vorn. Deutlich erhöhte die Stute ihren Schwung und trabte dabei mit großen, federnden Tritten voran. Lobend strich ich über den Hals, bevor ich diesmal dieselbe Übung im Galopp umsetzte und eine ganze Pirouette forderte.
      „War Niki bei dir die letzten Nächte?“, fragte die hochgewachsene blonde Dame von der Seite, als ich vorbeiritt. Abrupt hielt ich an und versuchte die Gesichtszüge so entspannt wie möglich zu lassen.
      „Wie bitte?“, versuchte ich einige Sekunden mehr zu bekommen, um eine sinnige Antwort zu finden. Dabei warf Niklas einen Hilfe suchenden Blick zu, wusste nicht, ob ich in die Lüge einsteigen sollte, die er ihr offenbar vorgelegt hatte, oder verneinen. Glücklicherweise bemerkte er meine Hilfslosigkeit und nickte leicht, beinah unauffällig.
      „Ja“, antwortete ich seiner Mutter mit einem möglich höflichen Lächeln, um keine weiteren, eventuell unpassenden Fragen zu bekommen. Es kamen keine weiteren, stattdessen beobachtete sie seine letzten Lektionen, während ich Lubi am langen Zügel auf der ganzen Bahn abritt. Die Stute streckte sich entspannt, bis ich mit meiner Hand ihren Feuchtigkeitsgehalt an der Brust ertastete und in der Bahnmitte Abstieg.
      Gerade als ich alle Sachen weggeräumt hatte, kam Niklas mit der verschwitzten Rappstute zurück, ohne seiner Mutter. In seinem Gesicht strahlte ein Lächeln, dass ich mehr schätzte, als es mir lieb war. Automatisch hauchten auch meine Lippe in eins.
      „Mein Bruder hat ein neues Pferd“, erklärte er. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht einmal, dass Niklas einen Bruder hatte, aber freute mich genauso sehr.
      „Super, was für eins?“, holte ich mir weitere Informationen ein.
      „Etwas Barocks, ziemlich seltsamer Mix, aber wirklich gut ausgebildet. Aktuell wird an den Pirouetten gefeilt und nach Stockholm kommt er wohl mit dem Tier her“, sagte er.
      „Das klingt super. Hast du ein Bild?“
      Niklas nickte und kam die letzten Meter zwischen uns näher. Während er das Handy aus der Hosentasche fischte, begann die Stute sich am Gitter zu scheuern, dass er nicht zu unterbinden wusste. Stattdessen versuchte Niklas mit den Handschuhen an den Fingern den Bildschirm zu bedienen, bis er galant den Stoff zwischen die Zähne klemmte und von der Hand entfernte. Mit dem Handschuh im Mund suchte er weiter.
      „Hier“, nuschelte Niklas und reichte mir das Gerät. Auf dem Bild saß ein junger Mann mit ebenfalls blondierten Haaren auf einem ziemlich Goldleuchtenden Pferd, das musste wohl besagter Bruder. Intensiv musterte ich beide und wischte dabei immer wieder durch, dabei entdeckte ich nicht nur ein Video.
      „Oh ho, so ist das also?“, lachte ich und reichte ihm das Gerät zurück, geöffnet mein Fund.
      „Das ist nicht das, was du denkst“, versuchte Niklas sich herauszureden, während sich die Wangen in ein verschämtes Rot tauchten.
      „Sondern?“, hakte ich unverfroren weiter nach, was ihn nur noch mehr erröten ließ. Sein ganzer Kopf schien zu glühen und auch das hole kratzige Geräusch der Stute am Metall unterband er.
      „Sah halt gut aus“, zuckte er plötzlich unbekümmert mit den Schultern, als wolle er es überspielen, doch durchschaute ihn.
      „Also ich habe keine von dir auf meinem Handy“, stachelte ich nach und holte provokant meins heraus, um es ihn zu beweisen.
      „Das lässt sich ändern“, grinste nun Niklas überlegen, schnappte es mir aus der Hand und öffnete die Kamera. Ich konnte gar nicht so schnell schauen, wie er seinen Pullover ausgezogen hatte. Perplex beobachtete ich das Geschehen, viel mehr darauf bedacht, dass niemand den Stall betrat, aber wer sollte das schon tun so früh am Morgen mitten in der Woche. Meine Galerie scheuen geflutet von Bildern von ihm, die nacheinander aussortieren. Nur eins behielt ich.
      „Bis nachher“, flüsterte ich in sein Ohr und strich sanft über die befreite Brust. Dann verschwand ich hinter ihm aus dem Stall. Flehende Augen blickten mir nach als ein Fuß, nach dem anderen die Schwelle ins weiße Kalt trat und mit den knirschen unter den Schuhe zum Auto lief. Darin begrüßte mich die Unfähigkeit, den Motor zu starten. Der Schlüssel drehte sich, doch das Fahrzeug blieb stumm. Nicht eine Lampe leuchtete auf. Ich bin zwar kein Autoexperte, aber scheint die Batterie zu sein.
      Aus meiner Hosentasche kramte ich nach meinem Handy, auf diesem Bildschirm eine Ansammlung an Nachrichten aufleuchtete. Alec hatte mir geschrieben auf verschiedenster Weise, dass ich bitte zurückrufen soll. Also tat ich das, wenn auch genervt. Ihm traf dabei keine Schuld, nur war es wirklich ein unpassender Moment. Es tute einige Zeit aus den Lautsprechern bis schließlich Alecs liebliche Stimme ertönte.
      „Tut mir leid, dass es so kurzfristig ist. Aber ich habe ein Problem mit Morian und wusste nicht, ob ich mich so kurzfristig bei dir melden kann hier bei uns –”, ich unterbrach ihn in seinem Verteidigungsversuch, den er nicht nötig hatte.
      „Ganz ruhig, sonst hätte ich nicht deine Nummer gewählt“, lachte ich. Meine Hand versuchte immer wieder leben ins Auto zu zaubern, in dem ich unnötigerweise weiter mit dem Schlüssel im Schluss herumfummelte, dabei auf eine Reaktion hoffte, die nicht kam. Stattdessen vernahm ich die Leere, auf die traf. Frustriert ließ ich ab und legte den Arm um meinem Oberkörper, tief in das Polster des Fahrersitzes gelehnt.
      „Nun gut. Das Training hatte uns beiden schon geholfen und als ich daran heute ansetzen wollten, kam eine vollkommene Arbeitsverweigerung. Mit gutem Zureden begann der Hengst mitzuarbeiten, aber zeigte in der Passage Taktfehler und in der Zick-Zack-Traversalen, hatte ich nicht einmal das Gefühl, dass es eine Traversale war“, das Seufzen am Ende spürte ich in Mark und Knochen. Mir kam es bekannt vor, so klang der Fuchshengst wie mein Roter Baron, der auch Phasen hatte, in denen er unbrauchbar schien. Ein Grund mehr, wieso er nicht mehr allzu lange das passende Pferd für den Turniersport war.
      „Das Stichwort hierfür lautet Pause“, erklärte ich neutral, „ansonsten musst du ihn mehr vorbereiten. Er hat noch nicht genügend Kraft in der Hinterhand, um die Last aufnehmen. Viele einfachere Seitengänge, enge Biegungen und Wendungen und zwischendurch auch einfach mal laufen lassen in den Grundgängen, wie er es gern hätte. Er möchte auch, dass du ihm zuhörst und dafür musst du ihm Freiheiten geben.“
      Noch eine Weile unterhielten wir uns über Freiheiten und wie weit er Morian gehen lassen durfte. Schwierige Situation, schließlich sprach ein Pferd nicht, aber nur der Besitzer konnte verstehen, was das Tier zu sagen versuchte. Auch das geklärt, legte ich auf. Ich wählte als Nächstes die Nummer von meiner Schwester, in der Hoffnung, dass sie mich abholen könnte. Mir war jeder Lieb, nur bei der Überlegung, mit Niklas zu sprechen, bekam ich schmerzliches Gefühl in der Magenregion.

      © Mohikanerin // Eskil Mattsson // 10.640 Zeichen
      zeitliche Einordnung {November 2020}
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    kalmar.
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  • Lubi ist 10 Jahre alt.

    Aktueller Standort: Kalmar Stuteri, Kalmar [SWE]
    Unterbringung: großes Stallgebäude; Box [9h], Paddock [15h]


    –––––––––––––– s t a m t a v l a

    Aus: Wennica [Schwedisches Warmblut]
    MMM: Werona ––––– MM: Wahre Liebe ––––– MMV: Warkant
    MVM: Eileen ––––– MV: Longchamp ––––– MVV: Lauries Crusador xx

    Von: Bocelli [Schwedisches Warmblut]
    VMM: Dancing Lady xx ––––– VM: Ballerina (76) ––––– VMV: Bernstein
    VVM: Fiesta ––––– VV: Don Schufro ––––– VVV: Donnerhall


    –––––––––––––– h ä s t u p p g i f t e r

    Zuchtname: Lubumbashi
    Rufname: Lubi
    Farbe: Schwarzbrauner
    [Ee ata]
    Geschlecht: Stute
    Geburtsdatum: April 2010
    Rasse: Schwedisches Warmblut [SWB]
    Stockmaß: 181 cm

    Charakter:
    selbstbewusst, zuverlässig

    Ambitionierte motivierte Stute, die stets Höchstleistungen zeigen möchte. Lubi liebt Menschen.
    Mit diesem Pferd kann man alles erleben – von einem internationalen Ritt zwischen
    tausenden Eindrücken, bis hin zu einem entspannten Ausritt. Lubi passt
    sich der Umgebung an und verlässt sich immer auf ihren Reiter. Unter dem Sattel
    diskutiert sie nur selten. Idiotensicher.

    * hasst Gartenschläuche und alles Ähnliche, i.e. Stangen
    * Schwer in der Versammlung; trägt sich nicht genügend
    * sehr viel Schubkraft
    * Flugzeugträger


    –––––––––––––– t ä v l i n g s r e s u l t a t

    [​IMG]

    Dressur S* [S+] – Springen A [A] – Rennen E [E] – Distanz E [E]

    Juli 2021 Dressur E zu A
    August 2021 Dressur A zu L
    September 2021 Dressur L zu M
    Februar 2022 Dressur M zu S
    März 2022 Dressur S zu S*
    September 2022 Springen E zu A

    Ebene: National

    September 2022
    ZSW 536

    März 2022
    3. Platz, 650. Dressurturnier
    2. Platz, 651. Dressurturnier

    Juli 2022
    3. Platz, 657. Dressurturnier

    August 2022
    1. Platz, 661. Dressurturnier

    September 2022
    1. Platz, 662. Dressurturnier
    1. Platz, 668. Dressurturnier

    Oktober 2022
    3. Platz, 670. Dressurturnier


    –––––––––––––– a v e l

    [​IMG]

    Gekört durch SK 485 im April 2023.

    Zugelassen für: Schwedisches Warmblut
    Bedingung: Dressur mind. S ODER Springen mind. M
    DMRT3: CC [dregänger]
    Leihgebür: 247 J. [Kein Verleih]

    Fohlenschau: 0,00
    Materialprüfung: 0,00

    Körung
    Exterieur: 8,22
    Gesamt: 8,65


    –––––––––––––– a v k o m m e r

    Lubumbashi hat 0 Nachkommen.
    • 20xx Name (von: Name)


    –––––––––––––– h ä l s a

    Gesamteindruck: gesund, im Training, minimal zu schwer
    Krankheiten: keine
    Beschlag: Falzeisen [Stahl], Voll


    –––––––––––––– s o n s t i g e s

    Eigentümer: Familie Westerdahl [50 %] Unbekannt [50 %]
    Pfleger: -
    Trainer: Eskil Mattsson
    Reiter: x Unbekannt
    Züchter: Stall, Ort [SWE], Person
    VKR / Ersteller: Mohikanerin

    Punkte: _gekört

    Abstammung [0] – Trainingsberichte [6] – Schleifen [8] – RS-Schleifen [0] – TA [2] – HS [2] – Zubehör [2]

    SpindHintergrund

    Lubumbashi existiert seit dem 29. Juli 2021.