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Wolfszeit

Jokarie* [0] //

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Jokarie* [0] //
Wolfszeit, 24 Dez. 2021
Friese, Zion, AliciaFarina und 4 anderen gefällt das.
    • Wolfszeit
      Springen S zu S* / Gymnastizieren | 26. November 2022

      E zu A: May Bee Happy
      S zu S*: Jokarie

      „Also keine Dressur mehr?“, kam Tyrell auf das ursprüngliche Thema zurück und zuckte dabei mit der Augenbraue, „schließlich beginnen demnächst die Turniere.“
      „Ehrlich gesagt, bin ich mir sehr unsicher“, gab ich offen zu. Mein Blick fiel zu Lars, der auch keine Antwort dazu hatte. Nur Nour grinste mich verschmitzt an.
      „Ich glaube, dass sie lieber den Berufsfahrerschein anstrebt“, legte sie eine steile These vor, die ich nicht wusste zu verteidigen.
      “Wirklich starke These, aber ich glaube, das wird nicht passieren. Dafür glitzern die Schleifen und Schabracken viel zu schön”, stellte Lina eine Gegenbehauptung auf.
      “Mhm”, summte Nour unschlüssig, “die sind aber auch in der Prüfung nicht zulässig.”
      “Ihr seid beide nicht ganz hell”, lachte ich kopfschüttelnd.
      “Entschuldigung, was soll das den jetzt heißen?”, beschwerte sich die Kleine sofort.
      “Warum kann ich nicht einfach machen? Außerdem kann Humbria auch schön glitzern”, stellte ich fest, “Vielleicht springe ich auch morgen.”
      “Du springst morgen? Oha, das komme ich mir anschauen”, grinste Mateo, “Mit welchem Pferd gedenkst du das zu tun?” Dass meine blöde Idee im nächsten Augenblick bereits Wurzeln setzte, hatte ich nicht bedacht. Selbst unser Chef schaute überrascht zu mir hinüber. Kurz dachte ich darüber nach, wieder zurückzurudern, aber vielleicht war es Zeit, mich meiner Angst zu stellen.
      „Ich kann mal schauen, was Happy bei dem bunten Holz empfindet“, schlug ich entschlossen vor und sah es bereits kommen, dass ich schneller wieder am Boden lag, als es mir lieb war.
      “Mhm … ja, so rein körperlich könnte das was werden mit deinem Fuchs”, überlegte der Schweizer.
      “Vriska, hältst du das wirklich für eine gute Idee?”, äußerte Lina zweifelnd, “Erinnerst du dich nicht, wie es das letzte Mal endete? Und da hattest du keinen launischen Fuchs unter deinem Sattel.”
      “Du übertreibst vollkommen”, schnaubte ich teils belustigt, teils verärgert, “Maxou traue ich es weniger zu als ihm und dass eins der Rennpferde hinüber stolpert, fehlt mir gerade noch.”
      “Viola kann springen”, mischte sich Tyrell mit ein, “und Schneesturm ist auch noch da. Ach, Fly, der Haflinger macht seinem Spitznamen auch allen Ehren.”
      Keines der genannten Pferde interessierte mich sonderlich, nicht, dass die Pferde schlecht waren, viel mehr, waren sie langweilig. Die Warmblutstute lief brav und den Haflinger kannte ich nur vom Sehen. Einzig Schneesturm war ein Spaß, doch Mateo ritt sie bereits vier- bis fünfmal die Woche und hatte somit angemessenen Auslauf. Zudem hatte ich in meiner Recherche herausfinden können, dass Happy für die Körung Freispringen musste, also wusste das Pferd Bescheid, wie man die Beine hebt.
      Während wir philosophierten, welches Pferd ich springen könnte, holte ich zunächst für jeden ein kaltes Bier und Lars entschied, dass nach dem Essen ein Kurzer angebracht war. Nur Lina weigerte sich vehement. Kaum floss es mir die Kehle herunter, brannte es unangenehm im nächsten Augenblick. Dennoch hatte es etwas Befreiendes.
      “Mir egal, ich werde Happy nehmen”, entschied ich entschlossen und glaubte an den Fuchs, der bisher sehr fein unter mir lief.
      “Mach’ halt, aber bei mir brauchst du dich dann nicht beschweren”, blieb die kleine Brünette bei ihrem Standpunkt, dass sie es für keine gute Idee hielt.
      “Pff, so viel zu guter Freundin”, rollte ich mit den Augen und füllte mir das Glas nach. Auch Lars hielt mir seins nach. Dann war es auch schon wieder leer. “Du hast bestimmt auch morgen anderes zu tun, also machen wir das allein.” Meine Stimmte zitterte, aber nach einem kräftigen Atemzug konnte ich mich zusammenreißen.
      Im Stall lief ich zunächst zu dem Fuchs, der mit dem Kopf in der Ecke stand und mich erst bemerkte, als ich seinen Namen sagte. Die Ohren drehten sich in alle Richtungen und schließlich bewegte er sich mit kargen Schritten auf mich zu. Vorsichtig strich ihm über die große Blesse. Aus der Jackentasche kramte ich ein Leckerli hervor, dass er dankbar von der flachen Hand griff. Ihn aus der Box zu holen, war heute wieder eine Herausforderung. Immerhin akzeptierte er direkt sein rosafarbene Halfter, für das jeder am Hof eine Meinung hatte. Die meisten mochten es nicht, aber ich wollte seine Männlichkeit unterstreichen und damit gelang es mir ziemlich gut.
      “Happy, komm schon”, zog ich kräftig am Strick, ihn interessierte das aber nicht im Geringsten. Auch als ihn noch einmal drehte, setzte er keinen Huf aus dem Einstreu. Stattdessen machte er seinem Traberanteil allen Ehren, wurde immer länger und länger. Hoffentlich würde er nicht vor den Sprüngen parken, dass könnte gefährlich werden.
      “Sieht so aus, als wäre dein Pferd nicht so überzeugt von deinem Vorhaben”, stellte Mateo fest, der plötzlich neben mir stand.
      “Kein Wunder, der mag Männer nicht”, gab ich sogleich zurück und als würde Happy zustimmen, schnaubte er ab.
      “Na, dann kommst du wohl gut allein klar”, zuckte der Schweizer mit den Schultern, ”Ihr könnt ja dann kommen, falls ihr es jemals da rausschafft.”
      Offenbar hatte er meinen Scherz in den falschen Hals bekommen, aber er mochte Männer wirklich nicht. Ich lockte den Strick etwas. Dann setzte der Hengst voran, als würde er Mateo folgen wollen. Selbst ohne Hending kamen wir voran.
      In der Putzbucht kam der Hengst zur Ruhe und genoss das ausgiebige Putzen. Da er über einssiebzig war, nur etwas kleiner als Lubi, brauchte ich den Hocker, um an alle Stellen zu gelangen. Das ständige Auf- und Absteigen nervte, aber leider würde ich mit Anfang zwanzig nicht mehr wachsen. Als er schließlich sauber war, setzte ich mich in Gang, um einen Sattel zu finden. Aus der großen Sattelkammer nahm ich mir ein Martingal, das in einer der Metallkisten herumschwirrte, sowie Fesselkopfgamaschen und Glocken aus meinem Schrank. Bei der Schabracke begannen die ersten Zweifel. Obwohl ich mittlerweile eine schöne Sammlung aufgebaut hatte - ja, meine Kaufsucht schlug wieder zu – gab es keine einzige zum Springen. Wozu auch? Dennoch fand ich eine, die zumindest etwas runder geschnitten war und nahm sie mit.
      „Tyrell?“, fragte ich und streckte den Kopf ins Büro.
      „Ja, was ist denn?“, kam es sogleich wenig begeistert. Ich kam für gewöhnlich nur, wenn ich etwas wollte.
      „Wir haben doch sicher einen Springsattel, oder?“, hakte ich nach.
      „Einige, aber der von Schneesturm wird seinen Fuchs nicht passen“, begriff er sofort den Tatbestand, „aber unten in der Kammer müssten einige hängen.“
      Dankend nickte ich und verschwand nach unten. Tatsächlich hingen dort gefühlt tausende. Was ich an Schabracken besaß, sammelte mein Chef an Sättel, der Großteil davon wurde nie genutzt, dementsprechend staubig hingen sie auf den Sattelhaltern.
      „Hmm“, überlegte ich laut und streifte durch den Raum, der im Gegensatz zu dem Rest des Gebäudes, schlecht beleuchtet war. Kurzerhand holte ich eine Schubkarre und legte alle vielversprechenden Modelle mit zum Fuchs. Das Klappern des Metalls weckte ihn auf. Mateo, der sich mit Lars unterhielt, schaute nicht schlecht, als ich ankam.
      „Was hast du denn vor?“, hinterfragte Lars verwundert.
      „Einen passenden Sattel finden, was denkst du denn? Ich laufe doch nicht tausendmal“, erklärte ich.
      „Das sieht aus wie eine Flohmarkt Versteigerung“, merkte er an.
      “Soll man dir bei deinem Ausverkauf da helfen?”, bot Mateo an und fasste bereits die Lederstücke kritisch ins Auge.
      “Gern”, lächelte ich. Dabei hob ich das erste Modell heraus. Das Leder wirkte schon sehr mitgenommen und vor allem ungepflegt, aber die Polster unter dem Baum waren noch weich und ohne Knoten. Der Blonde nahm erst den Sattel und dann Happys Rücken näher unter die Lupe, welches der Fuchs Zähneknirschen und mit angelegten Ohren erduldet.
      “Der hat einen ziemlich schmalen Wirbelkanal, dass wir zu knapp schätze ich”, urteilte er.
      “Dann schaust du am besten durch”, schlug ich vor, beruhigte währenddessen den Hengst, der zu dem Schweizer schielte. Fachkundig beschaute Mateo das Sammelsurium, legte nacheinander zwei Sättel auf den Hengst. Seine Wahl fiel letzten Endes auf ein zweifarbiges Modell, welches aussah, als wäre es noch nie im Einsatz gewesen.
      “Nicht ganz ideal für dich, aber zumindest für dein Pferd sollte der funktionieren”, ergänzte er erklärend. Die Sitzfläche war ziemlich groß, aber für einen Tag kein Problem.
      “Danke für eine Hilfe”, sagte ich und nahm zunächst das Leder wieder vom Rücken, um alle anderen in der Schubkarre zurückzubringen.

      Wenig später saß ich im viel zu großen Sattel, den ich mit einem Lammfellüberzieher etwas bequemer gemacht hatte und ritt den Fuchs warm. Mateos Parcours stand bereits, als von einem zur anderen Sekunde Happy begann zu tänzeln. Im richtigen Augenblick fasste ich die Zügel nach. Seine Ohren drehten sich hektisch, während er versuchte, sich meinen Hilfen am Bein zu entziehen. Laut schepperten seine Eisen an der hölzernen Wand, bis ich den Grund seiner Aufregung bemerkte. Lina kam mit einem breiten Grinsen auf den Lippen durch den Sand stolziert, am Zügel hielt sie Mateos Stute Karie. Dass sie einen Helm auf dem Kopf hatte, konnte nur bedeuten, dass er sein Pferd nicht reiten würde. Happy spielte sich währenddessen weiter auf, als hätte er nur eine Aufgabe im Leben. Ich erinnerte mich daran, wieso ich keinen Hengst wollte.
      “Hör auf”, knurrte ich ihm ins Ohr und wie aus dem Nichts blieb er stehen. Allerdings bewegte sich nun gar nichts mehr, weder vor noch zurück. Sicherer, als plötzlich die Kleine umzureiten.
      “Welch verzückte Überraschung”, rief ich ihr lachend zu und tätschelte den Hals meines Riesen.
      “Ja, finde ich auch”, strahlte sie, “diese Gelegenheit konnte ich mir auch einfach nicht entgehen lassen.” Die kräftige Stute störte sich nur wenig an der Gegenwart des Hengstes, folgte Lina artig in die Zirkelmitte, wo sie den Gurt enger zog. In meinem Kopf leuchtete eine kleine Lampe auf, aus einem Bereich, den ich versuchte, geschlossen zu halten. Doch plötzlich stand die Tür offen und unterbreitete mir ein teuflisches Gefühl von Neid, Angst und Zweifel an mir. Dabei konnte die Kleine nicht einmal etwas dafür, einzig meinem Hengst fehlte es an benehmen. Dabei merkte ich, dass mein Geist noch immer nicht gefasst war, Veränderungen hinzunehmen. Seufzend legte ich die Beine an den Bauch des Pferdes. Er bewegte sich schließlich aus der Starre, aber spielte sich sogleich auf Höhe der Stute auf. Den Kopf streckte Happy in die Luft und entzog sich komplett dem Zügel. Gleichzeitig spürte die wegtretende Hinterhand. Damit verlor ich die Kontrolle über ihn und im Trab legte er zu, bis der Fuchs seine Runden drehte. Ich hätte ihn vermutlich ablongieren sollen, obwohl er gestern eine intensive Einheit hatte. Müde sollte er sein und nicht wie ein abgestochenes Schwein durch den Sand rasen. Der positive Nebeneffekt kam, dass Happy sich abreagierte und schließlich abschnaubte. An dem Punkt parierte ich durch und gurtete nach.
      Lina ritt zur gleichen Zeit die Dunkelfuchsstute warm, weiterhin mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Vermutlich hatte meine eigene Unsicherheit dafür gesorgt, dass sich das sensible Pferd derart extrem verhielt. Im Schritt lobte ich ihn ausgiebig. Die Stute beachtete er gar nicht mehr, nur Mateo war ihm weiterhin ein Dorn im Auge.
      “Dein Pferd mag mich ja wirklich nicht. Kommst du damit zurecht oder müssen wir nach eine Lösung schauen?”, erkundigte sich selbiger rücksichtsvoll.
      “Wir holen eine Schere und berauben ihm seiner Männlichkeit, so einfach”, lächelte ich bewusst. Auf rätselhafter Weise konnte er jedes meiner Worte genau verstehen, denn seine Schritte verlängerten sich und er senkte den Kopf. Dabei schwang der Rücken mit. Tatsächlich verspürte ich endlich seine Ausbildung, das, was Happy auch gestern zeigte.
      „Der hat dich genau verstanden“, lachte der Schweizer. Lina, die derweil im Hintergrund herumzirkelte, wurde nun ebenso aufmerksam und kam locker herangetrabt. Happy zuckte nicht einmal, kaute stattdessen auf seiner Stange aktiv.
      „Worüber amüsiert ihr euch?“, fragte sie interessiert.
      „Offenbar ist Happy seine volle Männlichkeit überaus wichtig“, grinste ich und strich ihm durch die lange Mähne.
      „Dann ist ja gut, dass er seine Halfterfarbe nicht erkennt“, lachte sie.
      „Ja, ja. Schon klar“, rollte ich mit den Augen und trabte ebenfalls an. In gleichmäßigen Tritten federte er durch den Sand und wölbte dabei bilderbuchmäßig seinen eher kurzen Hals. Die Schwebephase auszusitzen war mit den kurzen Bügeln ein noch schwierigeres Unterfangen, sodass ich lieber leicht trabte. Nach einigen Schlangenlinien und Seitengängen legte ich das äußere Bein heran, stellte das Genick leicht nach innen und der Hengst sprang in den Galopp um. Geschwungen setzte er voran und ich entschied in der letzten Sekunde, doch noch über das niedrige Kreuz zu setzen. Den Höhenunterschied spürte ich kaum, so sehr versuchte das Pferd vor weiblicher Anwesenheit sich zu präsentieren. Auch beim zweiten Mal konnte ich nicht genau abschätzen, ob wir das Hindernis absolviert hatten und lenkte letztlich auf das höhere Rick zu. Nun musste ich genau aufpassen und wie ich es die wenigen Male in der Ausbildung hatte, gab ich eine halbe Parade, um schließlich mit mäßig gutem Abstand abzuspringen. Deutlich weiter flog er über die Stange, als würden wir einen Wassergraben springen, zumindest sagte mein Hirn mir, dass er sich verschätzt, hatte in der Weite. Freundlich tätschelte ich den Hals und holte ihn in den Trab zurück, nur der Schritt schien in weiter Ferne. Der potente Hengst strotzte vor Energie und legte mächtig an Tempo zu, ohne aus dem Rahmen zu fallen. Wirklich Hilfen waren dabei nicht nötig, denn Happy entschied selbst, sein Können zu präsentieren. Ich fühlte mich etwas unbeholfen im Sattel, aber konnte ihn schließ doch noch für Schritt begeistern.
      „Der springt ja wirklich“, staunte Lina, „Das sah gar nicht so schlecht aus.“
      „Ich frage besser nicht, wie du meinst“, scherzte ich. Sie meinte es nicht böse, dennoch vernahm einige Zweifel in ihrer Stimme, die ich versuchte zu überhören. Nach einigen Runden über die Stangen am Boden übernahm auch Lina das Ruder und flog über die aufgebauten Hindernisse. Die Stute war ebenso motiviert für das bunte Holz wie mein Hengst. Sie galoppierte deutlich hektischer, aber sprang deutlich gleichmäßiger ab und zog dabei kräftig an. Mir war es bis heute ein Rätsel, wie die etwas dicklich anmutende Stute, so flink unterwegs war. Unauffällig schielte ich zu Mateo, der mit seinen Augen fest an Lina gehaftet war und jeden Absprung anpeilte, als säße er selbst im Sattel.
      Nach einer ausgiebigen Pause galoppierte ich wieder an. In der Zwischenzeit hatte sich die Höhe etwas verändert und lag nun auf achtzig Zentimeter. Vom Rücken des Riesens wirkte es noch immer niedrig, aber meine Vernunft sagte mir, dass ich mich nicht überschätzen sollte. So sprang ich nur einmal hinüber und Ritt schließlich ab. Das Schicksal wollte ich nicht herausfordern, außerdem schwitzte Happy, als hätte ich ihn geduscht. Auch Lina nahm Karie in den Schritt zurück. Tatsächlich benahm sich der Kerl unter dem Sattel und reihte mich neben ihr ein.
      „Und, immer noch der Meinung, dass es nicht sein Bald-Freund ist?“, zwinkerte ich überzeugt zu ihr hinüber, „schließlich überlässt er dir sein Lieblingspony.“

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 15.220 Zeichen
    • Wolfszeit
      Fahren E zu A
    • Wolfszeit
      1. Zuchtschau des GBS | 30. August 2022

      Last but not least, trat Mateo mit seiner Stute, dem letzten Freiberger, im Bunde auf die Präsentationsfläche. Bereits als ich die Starterliste, verwunderte es mich, dass er mit seiner Stute teilnahm. Ich konnte mir vorstellen, dass er Karie einfach aus dem Sport nahm, um ein Fohlen zu ziehen und eine wirkliche Begründung war aus ihm auch nicht heraus zubekommen. Jokarie ließ ein aufgeregtes Wiehern verlauten und lief zügigen Schrittes neben ihrem Besitzer her. Obgleich die Stute Situationen wie diese gewöhnt sein sollte, spielte sie sich unheimlich auf. Wiederholte Male korrigierte Mateo seine Stute, stellte sie korrekt auf, bis die Richter ihre Bewertungen notiert hatten. Auf das Zeichen hin, löste er die Zügel vom Gebiss und Karie schoss mit einem freudigen Bocksprung los. In einem hohen Grundtempo, aber mit sauberen klaren Sprüngen pflügte die Stute durch den Sand. Karie schien die ganze Veranstaltung als ein Spaß anzusehen. Von allein fiel sie nach einigen Runden, in denen zwischendrin ein Handwechsel stattfand, in den Trab. Locker und mit aufmerksamem Blick schwebte das schwere Warmblut über den Sand und störte sich nur wenig an all den Menschen am Rande der Bahn. Nach dem Schritt pfiff Mateo kurz, worauf hin seine Stute fröhlich zu ihm getrabt kam. Unwillkürlich musste ich lächeln. Selbst bei dieser unspektakulären Aufführung spürte man, das Vertrauen, das Pferd und Reiter sich entgegenbrachten. Auch Mateo blieb es nicht erspart, die Stute noch einmal in Schritt und Trab an der Hand vorzuführen. Die Richter wirkten wohl gestimmt als sie ihn schließlich entließ, hoffentlich bedeutete dies gutes für die Ergebnisse.
      © Wolfszeit | Lina Valo | 1.649 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende April 2020}
    • Wolfszeit
      Reitabenteuer / Dressur E zu A | 31. März 2023

      Jokarie / Liliada / Friedenskönigin von Atomic / Tjelvar fra Lyngby / Halldór von Atomic

      Über die Dauer von mehreren Monaten begleite ich als Trainer mit großer Hingabe die Fortschritte meiner Schützlinge auf ihrem Weg vom E-Niveau zum A-Niveau. In Schweden grüße ich jeden Tag mit einer frischen Frühlingsluft und einem Erwachen der Natur, während mir die Freude auf mein Pferd bereitet wird.
      Zu Beginn des Trainingsmonats stehen Tjelvar und Queen im Mittelpunkt. Queen, die majestätische dunkle Stute, ist schon länger locker geritten, doch nun wollen wir ihre Grundlagen vertiefen. Wir tanzen förmlich durch die Reithalle, während wir an der Versammlung und ihrer natürlichen Anmut feilen. Mit jedem Training fühle ich mich mehr mit ihr verbunden, da sie ihre Kraft und Eleganz immer stärker unter mir entfaltet.
      Der dunkle Isländerhengst Tjelvar zeigt uns von Woche zu Woche seine Gangarten in voller Pracht. Seine Trittsicherheit und seine Bereitschaft, auf meine feinen Hilfen zu reagieren, sind bewundernswert. Wir verfeinern seine Seitengänge und arbeiten an seiner Geschmeidigkeit, um ihn zu einem wahren Meister der Dressur zu formen. Die enge Verbindung, die ich zu Tjelvar spüre, lässt uns zu einem eingespielten Team werden.
      Ebenfalls ein Isländer, Halldór, ist frisch eingeritten und noch etwas unerfahren. In seiner aufgeregten Art spüre ich sein Vertrauen in mich als seinen Reiter. Wir nehmen uns die Zeit, um ihm die nötige Sicherheit zu geben und seine ersten Schritte auf dem Weg zum A-Niveau behutsam zu gestalten. Seine Fortschritte erfüllen mich mit Stolz, und ich weiß, dass er mit der richtigen Führung zu einem talentierten Dressurpartner heranwachsen wird.
      Karie, die dunkle Fuchsstute aus der Schweiz, liebt das Springen und ihre Begeisterung für Hindernisse ist ansteckend. In der Trainingszeit verbessern wir ihre Technik und Geschwindigkeit, um sie auf das A-Niveau vorzubereiten. Ich merke, wie sie sich selbstbewusster durch den Sand bewegt und die Herausforderungen mit Bravour meistert. Ihre Begeisterung inspiriert mich.
      Zu guter Letzt ist Lila dran, das englische Vollblut von der Rennbahn. Sie wird erst seit Kurzem richtig geritten und ist eine aufmerksame Schülerin. Woche für Woche arbeiten wir behutsam an ihrer Balance und Rittigkeit, während ich sie in die Dressurausbildung einführe. Ich mag es sehr, wie schnell sie Fortschritte macht. Und ich sehe, dass sie immer besser auf die Hilfen reagiert. Und ich merke, wie gut ihr Pferd beim Reiten hilft.
      Während dieser drei bis vier Monate durchleben wir eine Achterbahn der Emotionen, von Freude und Stolz bis hin zu Herausforderungen und Geduld. Doch die Liebe zu den Pferden und das Privileg, ihre Entwicklung zu begleiten, erfüllen mich mit tiefer Zufriedenheit. Wenn die Sonne langsam untergeht, genieße ich den friedlichen Moment mit meinen Pferden, die alle erschöpft aber glücklich sind. Wir haben gemeinsam an unserer Verbindung und unseren Fähigkeiten gearbeitet und sind als Team zusammengewachsen.
      Die Geschichte dieser besonderen Zeit mit meinen Trainings-Pferden erstreckt sich über Monate, und sie wird von Trainingseinheit zu Trainingseinheit lebendiger. Die Schönheit des schwedischen Frühlings begleitet uns auf dieser magischen Reise, und in dieser ländlichen Idylle finde ich die Ruhe und Inspiration, um jeden Tag das Beste aus den Pferden und mir herauszuholen.

      © Mohikanerin // 3285 Zeichen
    • Wolfszeit
      Kondition / Distanz E zu A | 30. Mai 2023

      Helix/ Jokarie/ Camille/ Ready for Life

      An einem sonnigen Maitag trafen wir uns, um ein intensives Ausdauertraining mit unseren Pferden durchzuführen. Samantha saß stolz auf ihrem majestätischen Schimmel Helix, während ihr Bruder Mateo auf seiner eleganten Fuchsstute Jokarie Platz nahm. Lina war mit ihrer kraftvollen Rappstute Ready for Life dabei, und Timo, des FSJler von Sam unterstützte uns auf der jungen Stute Camille.
      Unser Ziel für das heutige Training war es, die Ausdauer und Kondition unserer Pferde zu verbessern. Wir wollten sicherstellen, dass sie in der Lage waren, längere Strecken zu bewältigen und dabei ihre Leistung aufrechtzuerhalten. Das Ausdauertraining war auch eine Möglichkeit, unsere Bindung zu den Pferden zu stärken und ihr Vertrauen in uns als Reiter zu festigen.
      Wir begannen mit einem sanften Warm-up, bei dem wir unsere Pferde in einem gemütlichen Schritt durch das Gelände führten. Die warme Frühlingsluft umhüllte uns, und die Vögel zwitscherten fröhlich in den Bäumen.
      Es war eine idyllische Atmosphäre, die uns motivierte und uns darauf vorbereitete, unsere Pferde auf die bevorstehende Herausforderung vorzubereiten.
      Nach dem Warm-up steigerten wir das Tempo und begannen mit längeren Galoppstrecken. Wir wechselten uns ab, führten die Pferde in der Gruppe und wechselten die Positionen, um Abwechslung und Spannung zu bieten. Die Pferde spürten unsere Energie und Motivation und liefen mit großer Ausdauer und Freude.
      Während des Ausdauertrainings achteten wir sorgfältig auf die Atmung, den Puls und die Kondition unserer Pferde. Wir gaben ihnen regelmäßige Pausen, um sich auszuruhen und zu erholen, und sorgten dafür, dass sie ausreichend Wasser hatten, um hydratisiert zu bleiben. Die Gesundheit und das Wohlbefinden unserer Pferde hatten für uns oberste Priorität.
      Das Training forderte sowohl von uns als Reitern als auch von unseren Pferden eine hohe Konzentration und Ausdauer. Wir motivierten uns gegenseitig und ermutigten unsere Pferde, ihr Bestes zu geben. Jeder von uns spürte den Rhythmus der Pferde unter uns und die Kraft, die sie in ihren Galoppschritten ausstrahlten. Es war eine harmonische Einheit zwischen Reiter und Pferd, die uns zu immer neuen Höhen anspornte.
      Mit jedem Kilometer, den wir zurücklegten, wurden wir stärker und selbstbewusster. Unsere Pferde zeigten eine bewundernswerte Ausdauer und eine enorme Leistungsbereitschaft. Das Training half ihnen, ihre Grenzen zu erweitern und ihre physische und mentale Stärke weiterzuentwickeln.
      Nach mehreren Stunden intensiven Ausdauertrainings kehrten wir erschöpft, aber mit einem Gefühl des Stolzes und der Zufriedenheit zum Stall zurück. Wir kümmerten uns um unsere Pferde, gaben ihnen eine wohlverdiente Belohnung und sorgten dafür, dass sie sich in ihren Boxen ausruhen konnten.

      © Mohikanerin // 2761 Zeichen
    • Wolfszeit
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      kapitel fyrtiotre | 13. Juni 2023

      Jokarie / St. Pauli’s Amnesia / Ready for Life / Mockup / HMJ Divine / Mondlandung LDS / Binomialsats / Small Lady / Glanni frá glæsileika eyjarinnar / Erlkönig / Ermgravin / Aares / Maxou / Form Follows Function LDS / Satz des Pythagoras / Tjelvar

      SONNTAG, 11:45 Uhr
      LINDÖ DALEN STUTERI

      Lina
      Trotz des herannahenden Frühlings herrschte heute eine unheimliche Kälte, was wohl an dem kräftigen Wind liegen mochte, der heftig an den jungen Trieben zerrte. Ich hatte Redo nach einem kurzen Spaziergang gerade zurück auf ihren Auslauf gebracht und lief die Stufen hoch zur Gemeinschaftsküche, als ich aus dem Fenster heraus das Geschehen in der Halle erblickte. Während Mateo mit seiner Stute im Schlepptau, einen augenscheinlich letzten Oxer aufbaute, drehte Ju mit seiner gescheckten Stute bereits die ersten Runden im Schritt. Mit routinierten Handgriffen bereitete ich mir in der Küche ein Heißgetränk zu, mit dem ich in den Zuschauerbereich der Halle lief. Wenn ich schon kältebedingt eine Pause einlegte, konnte ich dies auch bei guter Unterhaltung tun. Die Hände um einen Becher Kaffee geklammert saß dort, optisch deutlich übernächtigt, Vriska.
      “Morgen”, grüßte ich und ließ mich neben ihr auf der Bank nieder.
      “Na, ist dein Kerl schon wieder abgehauen?”, fragte sie. In der Stimme schwang reges Interesse mit.
      “Niki ist nur gerade zu seinen Ponys gefahren”, informierte ich sie und nahm einen großen Schluck von meinem Tee. Wohlig rann die Flüssigkeit meine Kehle hinab und verbreitete eine angenehme Wärme in meinem Bauch.
      “Ach, das ist schön, aber wieso bist du nicht mit zum Stall?”
      Vriska nahm ebenfalls einen Schluck aus dem Becher. Ihre Haare fielen in der Bewegung nach hinten, dass deutlich schlecht kaschierte Flecken am Hals sichtbar wurden. Kaum bemerkte sie meine Blicke, zog sie den Rollkragen etwas höher und zupfte die Haare zurecht. Die Neugierde brannte in mir, doch als Mateo vor uns anhielt, um Karies Decke auf der Bande abzulegen, hielt ich mich zurück und beantwortete stattdessen ihre Frage: “Weil er mit ein paar Leuten ausreiten gehen wollte, da wäre es etwas sinnfrei ihn zu begleiten.” Für gewöhnlich begleitete ich ihn gerne mit zum Training, doch auch mir war es einleuchtend, dass ich zum Herumsitzen und Warten nicht mitkommen brauchte. Das konnte ich hier schließlich genauso gut.
      “Das klingt natürlich schlüssig”, nickte Vriska. Ungewöhnlich höflich und in sich gekehrt wirkte sie. Seitdem sie am späten Nachmittag zu den anderen Rennpferden gefahren war, hatte ich sie weder gesehen noch gehört, obwohl ziemlich lange noch das Licht in der Hütte brannte. Prüfend blickte ich zur Sandfläche vor uns. Sowohl Mateo als auch Ju befanden sich außer Hörweite auf der anderen Seite der Halle.
      “Was war bei dir gestern eigentlich noch los?”, taste ich mich an das Thema meines Interesses heran.
      “Hach, da kommt der Schäferhund wieder. Lars hatte noch Besuch und es wurde ziemlich spät“, umriss sie die Umstände mit einem trügerischen Grinsen auf den Lippen. Ihre Augen hingen mittlerweile an Ju, der trotz der höllischen Kälte im kurzärmligen Shirt seine Stute trabte.
      “Dass es spät wurde, ist mir nicht entgangen”, lachte ich, “muss wohl Spaß gemacht haben, was ihr da tatet.” Für einen Moment wanderte mein Blick zu Mateo hinüber, der schwungvoll einen Stangenfächer nahm, den seine Freibergerstute mit Leichtigkeit im Trab überwand.
      “Es war gewagt und brachte leider mit sich, dass Lars bereits sehr früh aufstand und mir seitdem aus dem Weg geht”, feixte sie, nicht wirklich getroffen von der Tatsache. Kurzzeitig schwang die Aufmerksamkeit um und sie tippte fröhlich auf dem Handy herum.
      “Gewagt, inwiefern?”, hakte ich weiter nach und versuchte gleichzeitig einen Blick auf ihren Bildschirm zu erhaschen. Mit ihrer diffusen Ausdrucksweise macht sie mich nur noch neugieriger, zumal mein Verdacht größer wurde, dass es mit dem schlecht versteckten Staubsaugerunfall zusammenhing.
      “Nun, ich weiß nicht genau, ob dein Nervenkostüm dafür bereit ist”, misstrauisch zog sie ihre Brauen nach oben und blickte über das Brillengestell hinweg. Dabei konnte ich kurzzeitig sehen, dass sie mit Basti schrieb, der ihr ein Bild von einem Rappen geschickt hatte, den ich nicht genauer identifizieren konnte.
      “Was habt ihr denn bitte getrieben, was derart furios sein soll?”, fragte ich verdutzt.
      „Ich habe dich vorgewarnt“, sagte sie noch und begann zu erzählen, dass Lars zufälligen Besuch von einem alten Bekannten hatte. Mit diesem sei er in Visby zur Schule gegangen, bis sich, durch die Berufswahl, ihre Wege trennten. Besagter Bekannter entschied sich recht früh, Jurist zu werden und war aufgrund einer Verhandlung in der Region. Vriskas Blick huschte durch Halle, aber anhand des Funkelns in ihren Augen, ahnte ich bereits, wie er sich womöglich vorgestellt hatte. Im selben Zuge zeigte sie mir Bilder auf Instagram, der Herr in Lars‘ Alter hätte genauso gut Erik sein können, wenn auch mit einem anderen Haarschnitt und die Gesichtszüge fülliger. Große Unterschiede waren sonst nur schwer zu finden – zumindest, wenn man die Tattoos wegdachte und die breite Silhouette, die eher nach Niklas aussah, ignorierte.
      „Und auf jeden Fall“, Vriska schluckte, „war Lars nur wenig begeistert, dass wir einander gut verstanden.“
      “Das kann ich mir vorstellen”, entgegnete ich und musste unwillkürlich daran denken, wie von sich selbst überzeugt Lars sein konnte. Dennoch brannte ich noch immer darauf, wie der Abend fortfuhr, was ich ihr auch sogleich zu verstehen gab.
      “Gegen einundzwanzig Uhr brachte er die Pferde vom Renntag in den Stall, sodass wir knappe dreißig Minuten für uns hatten”, schelmisch schmunzelte sie und drückte die Lippen zusammen, “ich muss dazu sagen: Mit Basti war es seltsam und er hat mir viele Hoffnungen auf mehr gemacht, die ich betrunken zu dem Zeitpunkt nicht mehr einordnen konnte. Anstelle ihm all mein Verlangen zu eröffnen, war Markus da.”
      “Du hast doch nicht etwa …?”, ich beendete den Satz nicht, starrte sie nur mit großen Augen an, als mir ihre Mimik bereits die Antwort verriet.
      “Ich weiß nicht genau, worauf du hinauswillst, aber wir sind übereinander hergefallen”, immer breiter wurde ihr Lächeln, je weiter die Geschichte ging. Da einer des jungen Herrn bedrohlich nah an der Bande vorbeikam, stoppte sie kurzzeitig. Ein dumpfes Geräusch dröhnte durch die Halle und im Sand landete eine der bunten Stangen, die Amy berührt hatte. Bei einer Höhe von 145 Zentimetern wunderte ich mich bereits, dass noch keine fiel. Mir fehlten komplett die Worte, so starrte ich Vriska nur an, bis Ju an der Bande hielt und auf sich aufmerksam machte.
      “Ich unterbreche euch nur ungern bei eurem Kaffeekränzchen, aber wäre einer von euch Grazien so freundlich, die Stange wieder aufzulegen?”, fragte er freundlich.
      “Ähm, ja”, nickte ich, die Zellen meines Sprachzentrums wieder zur Funktion bringend, da sprang Vriska bereits die Bande hinunter. Zum Glück war Tyrell nicht im Haus, um sie zu ermahnen. Wie ein Hörnchen wuselte sie durch den Sand und wenig später lag die Stange wieder auf dem Gestell. Ju nickte ihr freundlich zu.
      “So, zurück”, sie setzte sich auf die Sitzmöglichkeit, nach dem sie deutlich anmutiger als ich es könnte die Bande hinaufkletterte.
      “Wow, elegant”, kommentierte ich ihren Aufschwung, konnte dennoch nicht erwarten, dass sie endlich weitersprach.
      “Ist Markus also die Ursache dein kleines Andenken”, brachte ich die verschiedenen Informationen in Zusammenhang. Deutlich erkannt ich in ihrem Gesicht, dass sie mit sich haderte. Ihre Hand hielt sie vor den Mund, um das nicht aufhörende Grinsen zu verbergen. Mit geschlossenen Augen sprach sie: “Nein, nicht nur er.” Wie das Affen Emoji versteckte sie ihre Augen, schob dabei leicht die Brille nach oben.
      “Was?”, mit offenem Mund starrte ich sie an. Hieß das etwa … Ich traute mich nicht so recht den Gedanken zu Ende zu bringen, wirkte er zu surreal für mich, als dass es der Wahrheit entsprechen könnte.
      „Lars kam natürlich zurück, als die Pferde im Stall standen und war wenig begeistert von dem, was er sah. Allerdings konnte er auch nicht mehr davon sprechen, klar bei Verstand zu sein. Wie ein zu groß gewachsener Spatz plusterte er sich auf, bekam sogar Tränen in den Augen, als hätte Vorrecht auf irgendwas. Kurz um, ich gab ihm, was er wollte, und Markus schloss sich dem an“, damit war die Geschichte wohl zu Ende, denn Vriska tauchte vollständig in Händen ab und zog die Kapuze über den Kopf. Es zu bereuen, schien sie nicht, zu sehr strahlte sie.
      “Heftig” brachte ich ein einziges Wort hervor und presste meine Hände gegen die Wangen, die allein von ihren Worten ganz heiß geworden waren. Erneut hallte ein dumpfer Schlag durch die Halle. Diesmal war es Karie, die mit dem Hinterhuf eine Stange riss, weil Mateo die Distanz deutlich zu weit wählte.
      “Würdet ihr …”, noch bevor Mateo den Satz beendete, sprang ich in die Halle hinunter und brachte die Stange zurück an Ort und Stelle. Für den Rückweg nahm ich lieber den herkömmlichen Weg, denn Vriskas Geschick lag weit über meinen Fähigkeiten.
      “Vielen Dank”, bedankte sich Mateo, ein keckes Funkeln in den Augen, bevor er seine Stute aus dem Stand angaloppierte. Unverändert kauerte Vriska auf der Sitzfläche und ich hätte schwören können, dass die hinter ihren Finger rot, wie eine Warnlampe leuchtete. Erst jetzt, wo ich mir ihre Worte erneut durch den Kopf gehen ließ, entfaltete ihre Erzählung ihre volle Wirkung und die darauffolgenden Gedanken, brachten meine Wangen erneut zum Glühen.
      “Da hattest du ja wirklich eine wilde Nacht”, sprach ich überwältigt und schüttelte sogleich den Kopf, um die sich immer weiter entwickelnden Bilder zu vertreiben.
      “Wenn es nur das wäre”, seufzte sie laut, dass sogar die Herren auf den Pferden zu uns sahen.
      “Was ist denn noch?”, fragte ich nun eher ein wenig besorgt. Solch ein Stimmungswechsel konnte nichts Gutes bedeuten.
      “Ich glaube, ich will ihn wiedersehen.”
      “Und was ist daran so dramatisch?”, versuchte ich ihren Standpunkt besser nachvollziehen zu können.
      “Basti ist bestimmt sauer, wenn er davon erfährt und ich möchte nicht, dass er sauer wird. Außerdem schien der Schlipsträger mir weniger mitfühlend als Erik”, brabbelte sie in den Kragen hinein.
      “Warum sollte er denn sauer sein, er hat doch selbst gesagt, dass ihr nur Freunde seid?” Irritiert verzog ich die Stirn, letzteres klang schon eher nach einem Argument für mich, auch wenn es mir einen wenig seltsam vorkam. Bisher erweckte es den Anschein, als würde Vriska den optischen Aspekt, bei der Wahl ihrer reinen Sexualpartner weit über den emotionalen stellen.
      “Noch sind wir das”, sprach sie leise, aber ziemlich überzeugt, dass sie einen Plan hatte. Obwohl, wenn ich genauer nachdachte, kam seine Sprachnachricht vom gestrigen Tag wieder in den Vordergrund.
      „Aber ist es theoretisch nicht irrelevant, was geschah, bevor man eine verbindliche Beziehung einigt?“, überlegte ich und korrigierte mich im selben Zug, “Beziehungsweise bevor absehbar war, dass es verbindlich werden könnte.“
      „Das sagst du so leicht aus deiner privilegierten Position heraus, beinah seit einem Jahr in einer Beziehung zu sein“, kippte ihrerseits die Stimmung komplett. Ich seufzte, an ihren Worten war etwas dran, würde ich aus ihrer Position ähnliches denken. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, dass dies nicht der Fall wäre, hätte ich Niklas alles von dem aufgewogen, was davor geschah. Ihr Handy, das auf dem Holz lag, vibrierte. Sofort griff sie danach und begann zu lachen. Ohne die Benachrichtigungen zu öffnen, zeigte sie mir die beiden Mitteilungen. Zum einen war eine Nachricht von Basti mit dem Inhalt: “Herzlichen Glückwunsch, du hast Eindruck bei Timo hinterlassen und er möchte nun Fahren lernen. Zudem wissen, ob du einen Freund hast.” Darunter eine Nachrichtenanfrage, die offenbar von diesem besagten Timo war.
      „Wer ist Timo?“, fragte ich verwirrt von dem Anschein, dass nun noch ein weiterer Mann ins Spiel kam.
      “Das muss auf dich wirken, als würde von einem Bett ins nächste Springen”, leicht schüttelte sie den Kopf, “er ist einer der Pfleger von Basti, der mich gestern viele Minuten unterhielt.”
      „Bei dem musst du aber ziemlichen Eindruck geschundenen haben“, lachte ich. Es wirkte beinahe, als ziehe Vriska die Männer an wie ein Magnet.
      “Schätzungsweise bin ich nicht solch eine Gesichtsgrätsche wie der Rest. Außerdem war er mir zu jung”, feixte sie, verständlich, dass sie nicht jedem offen gegenüberstand.
      „Ein wenig wählerisch darf man ja auch ruhig sein“, lächelte ich, aber selbst, wenn sie es nicht wäre, war es ihre Sache.
      “Nett anzuschauen, ist er dennoch”, Vriska übergab mir erneut das Handy. Dieses Mal war das Profil von Timo geöffnet. Viele Bilder hatte dieser nicht veröffentlicht, doch was ich sah, war zwar hübsch, nur konnte er meinem Freund nicht das Wasser reichen.
      „Ja, ganz niedlich", urteilte ich. Mir fehlte das gewisse Etwas, was den Funken so wirklich überspringen ließ.
      Zustimmend nickte Vriska.
      Eine Weile saßen wir noch auf der Tribüne, hatten mittlerweile das Thema gewechselt zu etwas weniger Pikanten. Erstaunlich agil überwanden beide Pferde immer wieder die Hindernisse, wobei im direkten Vergleich zwar Karies Körperbau herausstach, doch schien sie Amy im Können nichts nachzustehen. Pünktlich mit dem letzten Tropfen in meinem Becher beendeten die beiden Jungs ihr Training. Wir halfen noch, die Hindernisse abzubauen und wegzuräumen, wobei Vriska beinahe wie eine Elfe durch die Gegend schwebte. Fehlten nur noch die Flügel und sie würde tatsächlich abheben. Wir verstauten die letzte Stange in der Bande, dann schlug Vriska etwas vor: „Ich habe überlegt, heute Mocki anzuspannen. Hast du Lust uns zu begleiten mit Divine?“
      Dieser Tag verdiente ein dickes, farbiges Kreuz im Kalender. Sie hatte meine Pferde nach Ewigkeiten nicht als Tonne bezeichnet! Offenbar lösten all die Ergebnisse etwas Unbegreifliches in ihr aus, das bestenfalls so bleiben sollte.
      “Ja, gerne würde ich Mocki in Action sehen”, stimmte ich freudig zu, woraufhin wir zusammen meinen Hengst vom Paddock holten und auf demselben Weg auch Mocki eingesammelten. Interessiert inspizierte der Helle den Fuchs, welches mit gleichem Interesse erwidert wurde. Verspielt zog der Traber an einer der langen Strähnen, woraufhin Ivy nach seinem Halfter schnappte, was mir zum Grinsen brachte. Die beiden waren ziemlich niedlich zusammen. Dennoch griff ich wenig später nach Ivy Halfter, um die Anbindestricke daran zu befestigen. Auf dem Gang huschte Lars an uns vorbei, der es tatsächlich heute ziemlich eilig hatte. Mit wenigen Worten begrüßte er uns – oder viel mehr mich, denn Vriska schaute er nur mit gesenktem Blick an. Sie sah sich nach ihm um, auch er tat ihr gleich. Anders als, sonst hatte Lars sich nicht gewendet, um sie von hinten zu begutachten, sondern sammelte die leeren Eimer vor den Boxen ein.
      „Wow, was hast du denn mit dem gemacht?“, flüsterte ich Vriska zu. Dass er sie infolge des gestrigen Abends mied, hatte sie bereits angekündigt, aber dass die Ereignisse solche Ausmaße hatten, damit rechnete ich nicht.
      “Wenn ich das wüsste”, sprach sie in normaler Lautstärke und zuckte mit den Schultern.
      “Mysteriös” entgegnete ich und widmete mich wieder Divines Fell. Auch Vriska war bereits ganz auf ihren Fuchs konzentriert und reinigte ihn penibel. In Windeseile waren die beiden Pferde vorbereitet und ich half Vriska anspannen. Misstrauisch schaute Mockup das Gefährt an, was auch in mir gemischte Gefühle auslöste. Sie tätschelte ihn friedfertig und ging behutsam beim Einklinken vor. Aus der Sattelkammer holte ich Ivys Trense.
      “Och nein”, jammerte ich, als klimpernd etwas zu Boden fiel, Ivys Schutzengel. Beim Schubbern hatte der Freiberger, den Anhänger deutlich in Mitleidenschaft gezogen. So war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis eintrat, was gerade geschah.
      „Kann man dir helfen?“, fragte Vriska, den Kopf aus der Putzbucht reckend.
      “Nein, ich denke nicht wirklich”, seufzte ich und sammelte vom Boden, was davon übrig war.
      “Mh?”
      Sie trat näher an mich heran. Mockup war zunächst an Reithalfter wieder angebunden, das dafür eigene Ringe hatte.
      „Ivy hat nur seinen Anhänger getötet“, erklärte ich und hielt ihr die einzelnen Perlen hin, die von dem dünnen Draht gerutscht waren, der sie zusammenhalten sollte.
      “Ach, das können wir doch zusammenbasteln. Ich müsste noch”, Vriska lief zu ihrer Putztasche und wühlte hektisch darin, bis sie eine kleine Plastiktüte herausholte.
      “Hier” reichte sie mir das Ding, um alles vorsorglich zu verpacken.
      „Oh, danke, du bist meine Rettung “, lächelte ich und lies die Kleinteile, des bereits verloren geglaubten Schmuckstückes hineinfallen, um das Ganze sicher zu verstauen. Damit trenste ich meinen Hengst nun wirklich, womit wir wenig später den Stall verließen. Mittlerweile hatte der Wind etwas nachgelassen, sodass die schwachen Sonnenstrahlen alles etwas aufwärmten. In einem zügigen Schritt lief der Fuchs den verwachsenen Weg entlang, die Ohren aufmerksam nach vorn gerichtet. Ivy hingegen wurde an jedem grünen Blättchen ein wenig langsamer und ich musste ihn mehrfach ermahnen nicht alles zu fressen, was ihm in die Queere kam. Auf dem äußersten Ring der Rennbahn angelangt, wo der Weg etwas breiter und vor allem Futter frei wurde, schloss ich zu Vriska auf. Wir tauschten uns über die aktuellen Veränderungen am Stall aus. Besonders interessant war dabei, was ich noch gar nicht mitbekommen hatte, der Bau im Wald für einen ganz neuen Stalltrakt. Weitere sollten wohl auch kommen, nur sei dieser von äußerst hoher Priorität. Vriska wusste allerdings so wenig wie ich darüber und wir rätselten eine Weile, für wen diese bestimmt sei.
      „Also unsere Pferde kommen dort nicht hin, dafür hat Tyrell zu viel Eifer in die Planung der Halle gesteckt“, sprach sie nachdenklich und schaute am Wagen vorbei, um den Weg vor uns besser zu sehen.
      “Wer auch immer dort einzieht, muss viel Geld bringen, wenn es derartig priorisiert wird”, überlegt ich eine Alternative. Abgesehen davon, dass mein Interesse an den Bauarbeiten gering war, hatte ich ohnehin den Überblick verloren, was alles errichtet werden sollte.
      “Gut möglich, aber wer will hier mitten ins Nichts ziehen?”, trug sie dazu bei. Mockup schnaubte ab und schüttelte sich, sodass einer der Zugwatten-Bommel aus dem Ohr rutschte. Aufmerksam schossen Ivys Ohren, die bis eben in halb acht Stellung ruhten, nach vorn und betrachte das seltsame Ding, welches am Hals seines Kumpels baumelte.
      “Ich habe absolut keine Ahnung, Naturliebhaber?”, scherzte ich.
      “Hoffentlich keine Wendy-Reiter, die dann täglich herumheulen, dass wir Rennpferde haben”, rollte Vriska mit den Augen. Noch lockerer fasste sie die Leinen, sodass die letzte Schlaufe in ihren Händen lag. Damit lief der Hengst wie ein Trüffelschwein durch den weichen Sand.
      “In dem Fall wüsste ich, welches Gebiet ich großräumig meide”, stimmte ich ihr zu. Diese Art von Menschen war mir schon auf Social Media zu viel. Ständig kritisierten sie alles, ohne zu reflektieren, dass es auch Gründe für bestimmte Gegenstände und Trainingsansätze geben könnte, schließlich funktionierte nicht jedes Tier mit Telepathie.
      “Ob unsere Weiden bleiben oder müssen die Kinder umziehen?”, Vriska überlegte mehr laut, als dass sie eine Antwort erwartete. “Na komm, lass uns etwas zulegen.”
      Wir hatten die erste Hälfte der langen Seite passiert, da klatschten die Lederstrippen auf den Po des Fuchses und mit Dino ähnlichen Geräuschen trabte er an. Sie hatte mit ihm zu kämpfen. Mockup lag in den Leinen, zerrte fürchterlich daran und wurde Meter für Meter mehr Pferd. Die Vorderhand schwang er wie ein Dressurpferd nach vorn, ohne dabei die Balance zu verlieren. Divine hingegen trabte locker unter mir, schnaubte entspannt und zeigte sogar von sich aus eine annehmbare Selbsthaltung. So langsam wurde mein kleiner doch tatsächlich ein Dressurpferd. Wie Mocki an Tempo zulegte, fiel es dem Freiberger zunehmend schwerer den Takt zu halten, sodass er in den Galopp umsprang. Für einen Moment war die Luft einzig durchdrungen von dem Hufschlag und dem rhythmischen Schnauben der Pferde. Zum Ende der geraden hin hatte Vriska Mühe den großen Fuchs abzubremsen, wurde dennoch langsamer, woraufhin ich Ivy ebenso abbremste.
      “Ziemlich schnell dein Fuchsi”, sprach ich zu Vriska, als wir das Schritttempo erreicht hatten und klopfte Ivy lobend den Hals. Noch vor einem halben Jahr hätte er einen solchen Galopp nur ein paar Meter halten können, doch heute konnte er recht gut mit dem Traber mithalten, ohne großartig zurückzufallen.
      “Ach, das war normales Jogging-Tempo”, lachte sie angeheitert, “selbst Eichi zieht mehr an.”
      “Wenn das normal ist, was ist dann schnell?”, fragte ich neugierig. Gemessen an Ivy, war es ein langsames bis mittleres Galopptempo gewesen, was für einen Trab schon recht ordentlich schien.
      “Du warst doch mit bei mehreren Rennen, da solltest du doch die Geschwindigkeiten kennen”, sah sie zur mir.
      „Ja, aber das sieht doch so von außen immer ganz anders aus“, entgegnete ich. Tatsächlich hatte ich nie so genau in Relation gesetzt, wie schnell die Traber waren. Stückweise fehlte es mir auch einfach an Anhaltspunkten für einen Vergleich.
      Eine Antwort wurde mir verwehrt, stattdessen wurde Vriska nachdenklich. Wie hypnotisiert hing, ihr Blick am pendelten Schweif. Minute für Minute verging, als es plötzlich an meiner Brust vibrierte. Die Zügel einfach auf Ivys Hals fallen lassend kramte ich hektisch das Handy hervor, bevor es sein Signal wieder einstellen würde. Eine unbekannte Nummer leuchtet auf, aus Kanada. Wer war denn so irre, um mitten in der Nacht jemanden anzurufen?
      „Seltsam“ murmelte ich mehr zu mir selbst und betätigte den grünen Hörer.
      „Hallo“, meldete ich erwartungsvoll.
      „Ich spreche mit Lina, richtig?“, erklang eine Männerstimme am anderen Ende.
      „Ja“, entgegnete ich irritiert, denn ich konnte die Stimme keiner bekannten Person zuordnen, „und mit wem habe ich das Vergnügen?“ Ivy schnaubte und schüttelte dabei die Mähne, sodass die Zügel in Richtung seines Kopfes rutschen.
      „Oh, entschuldige, ich bin Raphael“, stellte der Anrufer sich vor. Nein, eindeutig unbekannt, stellte ich fest und angelte nach meinen Zügeln.
      „Okay, Raphael, dürfte ich erfahren, was du von mir willst?“, fragte ich mit in Falten gelegter Stirn. Es kam nicht gerade alle Tage vor, dass mich unbekannte Männer anriefen. Schon gar nicht welche, die mich offenbar zu kennen schienen.
      „Ähm, das ist ein wenig kompliziert…“, setze er an, „Hast du gerade Zeit, könnte ein klein wenig länger dauern.“ Ich warf einen kurzen Blick zu Vriska, die jedoch immer noch in ihrer Welt verloren schien.
      „Sieht so aus“, antwortete ich also und warte gespannt auf seine Erklärung. Raphael erzählte, dass er Springreiter sei und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Er war Quinn geheimnisvolle Begleitung. Darin lag auch der entscheidende Punkt, der junge Mann würde sie gerne überraschen, wenn sie hier nach Schweden kämen, benötigte allerdings jemanden, der vor Ort einige Dinge klären und begutachten könnte. Gespannt lauschte ich seiner Idee und stellte einige Nachfragen zu seinen Vorstellungen.
      „Okay, ich denke, das ist umsetzbar“, schloss ich schließlich, „könntest du mir die Eckdaten erneut zu senden, das wäre klasse.“
      „Ja klar, mache ich“, bestätigte Raphael, „vielen Dank für deine Hilfe.“
      „Gerne, ich freue mich, wenn ich helfen kann. Dir einen schönen Tag noch“, verabschiedete ich mich.
      „Danke dir auch“, entgegnete der Kanadier und legte auf.
      „Vriska, wir haben eine Mission!“, verkündete ich, als ich das Gerät wieder verstaute. In meinem Kopf ratterte es und die Informationen begannen sich zu einem Bild zusammenzusetzen. Ich war mir sicher, dass wir etwas für Raphael finden würden.
      „Noch mehr? Langsam kann man den Überblick verlieren“, antwortete sie, ohne sich zu rühren.
      „Wie noch mehr?“, fragte ich verwirrt. Sie konnte doch noch gar nicht wissen, was es beinhaltete.
      “Du hast sicher genauso viel auf deiner Agenda wie ich”, nun sah sie zu mir, ein schiefes Lächeln tragend.
      „Ja, das stimmt wohl“, nickte ich, „Jedenfalls braucht jemand unsere Hilfe, okay, meine Hilfe. Aber ich könnte deine Ideen gebrauchen.“
      “Du trägst ziemlich viel auf, als würde es um viel Geld gehen”, Vriska wirkte misstrauisch, aber zu gleichen Teilen interessiert. Allerdings wurde der Fuchs zunehmend unruhiger, zerrte wieder an den Leinen und verdrehte den Kopf. Durch halbe Paraden versuchte sie ihn in die korrekte Haltung zurückzubekommen, aber er sträubte sich. Seine Oberlippe zuckte nach oben und in Manieren, wie ich sie von Mola kannte, drückte er den Unterhals hervor.
      „Geht es auch gewissermaßen auch“, erklärte ich. Am nötigen Kleingeld schien es keineswegs zu mangeln, der Preisrahmen, welchen der Springreiter nannte, war groß, ziemlich groß sogar. Im Schnelldurchlauf gab ich Vriska das Telefonat wieder. Aufmerksam hörte meine Kollegin zu, auch wenn sie mit ihrem Fuchs beschäftigt war.
      “Wir haben bestimmt was”, antwortete sie entschlossen.
      „Ja, dachte ich auch“, nickte ich mit einem nervösen Lächeln, „du willst mir sicher dann beim Auswählen helfen?“ Auch wenn ich Raphael gerne half, zweifelte ich ein wenig daran, dass ich kompetent genug war, um seinen Ansprüchen gerecht zu werden. Ich meine, wann hatte ich denn schon einmal ernsthaft so etwas ausgewählt.
      „Ich verspreche nichts, aber kann dir bestimmt helfen, auch wenn mir Warmblüter nicht ferner liegen könnten“, witzelte sie. Nur halb war sie bei der Sache, noch immer kämpfte Mockup. „Eigentlich müssten wir jetzt abbiegen zum Hof, aber ich schätze, der Kerl möchte dir einmal hautnah zeigen, was Geschwindigkeit bedeutet.“
      Ohne auf meine Antwort abzuwarten, trabte Vriska an und Mockup legte im Tempo zu. Deutlich schneller als ich, schalte mein Pferd und sprang im Galopp hinterher. Ich dachte zu Beginn nicht, dass Ivy den Traber, der in vollen Renntempo über die Bahn fetzte, einholen konnte, doch erstaunlicherweise verringerte sich der Vorsprung des Traber langsam. In einer atemberaubenden Geschwindigkeit flogen die beiden Pferde über den Sand, dass mir der kalte Wind die Tränen in die Augen trieb. Der Neid auf Vriskas Schutzbrille war groß. Ivy und ich waren gleich auf mit dem Gespann, als sie das Tempo drosselte und Mocki erst in einen langsameren Trab, dann schließlich in den Schritt fiel. Auch ich parierte meinen Hengst, doch er brauchte einige Meter mehr, um aus dem schnellen Galopp in der langsamsten Gangart anzukommen. Wie eine Dampflok prustet er und das Fell an Brust und Hals war dunkel vom Schweiß. Eine so intensive Galoppeinheit hatte er noch nie geleistet. Für diese außerordentliche Leistung steckte ich ihm ein Leckerli zu.
      “Okay, jetzt verstehe ich, was schnell ist”, sprach ich zu Vriska, mit einem Grinsen auf den Lippen.
      “Kam allerdings mehr Tempo, als ich erwartet hatte”, gab sie offen zu. Die Brille schon sie hoch auf den Helm. Ihr Kopf glühte rot.
      “Mocki ist wohl doch nicht so langsam, wie dir gesagt wurde”, entgegnete ich.
      “Als Halbbruder zu Who’s Who, Makethemark oder auch Moni Viking wundert es mich nur wenig, dass Kurzstrecke ihm liegt”, schmunzelte sie zufrieden und klopfte den schäumenden Hengst. Am Himmel lichtete sich die Sonne hervor. Mockup, der ohnehin wie eine Warnweste leuchtete, glänzte warm.
      “Keine Ahnung welche Pferde das sein sollen, aber das wird schon stimmen”, nickte ich zustimmend. Was die Traberwelt anging, war ich schon froh, wenn ich den Durchblick bei unseren eigenen Pferden behielt. So war es bewundernswert, dass sich noch ungefähr Hunderte weitere merken konnte und auch zudem wusste, in welchem Zusammenhang diese standen.
      “Pferde, die bisher schon viel Geld verdient haben”, erklärte sie lachend.
      “Dann hast du wohl gute Chancen, dass Mocki ein wenig einbringt”, sagte ich zuversichtlich.

      15:09 Uhr
      Kalmar Stuteri
      Eskil
      „Meine Güte, nimm den Bock zurück und gib ihm die Sporen“, tönte es lautstark vom Springplatz in den Stall. Irritiert rümpfte ich die Nase und ließ den Gurt durch meine Finger gleiten. Lady schüttelte sich. Beinah kam mir der Sattel entgegen, den ich, ohne nachzudenken griff.
      Seit Wochen, nein eher seit Monaten liefen die Vorbereitungen für das große Springturnier auf dem Hof. Gäste aus aller Welt würden uns überlaufen und sich messen. Ich nahm Abstand von dem Stress, hatte kurzzeitig überlegt Lady oder Gräfin vorstellen oder gar meinen Fuchs, aber wich vom Plan ab. Erlkönig schickte ich in Turnierrente. Jonina, meine Schwester, ritt ihn im Moment, denn Glanni tat sich im Augenblick schwer. Erst hatte der Isländer Mauke, dann eine Verletzung an der Brust und nun lahmte er aus unerklärlichen Gründen. Das Pferd war ihr Ein und Alles, schmerzlich mit anzusehen, wie sie zu Hause saß auf der Couch und das Internet durchforstete nach einer Lösung.
      „Willst du dir noch länger die Beine in den Bauch stehen?“
      Zickig, wie immer kam Phine mit ihrem riesigen Pferd an, das mit müden Augen die Stute anblickte. Motivation sah anderes aus.
      „Ja, bis ich verschrumpelte bin“, erwiderte ich gekonnt und hob den Sattel vom Rücken. Den Gurt ich bereits auf die Sitzfläche gelegt. Phine zog das Tier hinter sich her und band es am Ende der Stallgasse an. Zum Glück.
      Small Lady, die gar nicht so klein war, wie man bei dem Namen vermuten konnte, stellte ich zurück in ihre Box. Ihren Trog fühlte ich mit der täglichen Portion Hafer. Bei einem Blick auf die Uhr zeigte sich, dass es Zeit wurde, nach Hause zu fahren. Demnächst hatte sich meine Schwester Feierabend, die – wie gesagt – durch Glanni Sonderbetreuung benötigte. Weit kam ich allerdings nicht.
      „Kili, willst du etwa gehen?“, grinste mich Niklas an, der am langen Zügel seinen Braunen abritt. Der Hengst hatte eine gelbe Decke über Po gelegt und schäumte.
      „Meine Schwester kommt gleich“, rief ich ihm zu. Noch immer war unser Verhältnis schwierig, nicht, auf der Weise, wie es vorher war. Blöde Kommentare verkniff er sich oder formulierte sie so, dass jeder etwas zum Lachen hatte. Aber der Zwischenfall in der Umkleide, der eine einmalige Sache war, hing zwischen uns wie ein unsichtbarer Vorhang.
      Schließlich lief ich doch noch zum Zaun und legte darauf meine Arme ab. Herr Holm baute währenddessen die Hindernisse auf eine andere Höhe um.
      „Kann ich dir helfen?“, fragte ich höflich, was er mit einem Handzeichen verneinte.
      Niklas bremste vor mir ab. Ich klopfte freundlich den Hals des Hengstes, der mit schielendem Blick mich ansah.
      „Der hat sich entwickelt“, stellte ich fest.
      „Mal mehr, mal weniger“, seufzte er resigniert und fummelte die kurze Mähne zu Recht. Beinah wöchentlich hantierte er mit der Schere daran herum. Viel hatte der sportliche Traber ohnehin nicht, sodass ich manchen Tages Sorge hatte, dass er bald aussehen würde wie Form. Die arme Stute lief mit ein paar Zottel herum, denn scheuern gehörte zum Tagesgeschäft.
      „Lass dich nicht unterkriegen. Wir zählen auf dich“, versuchte ich ihn aufzumuntern und setzte ein Lächeln auf.
      „Mir reicht es, wenn ich durchkomme. Ju ist mit Amy deutlich weiter und die Weiber machen auch kein schlechtes Bild“, schmunzelte Niklas nun auch. „Besonderes Lyra“ – „die Blonde?“ – „genau die. Manchmal muss ich mich wirklich zusammenreißen.“
      „Zusammenreißen?“, hakte ich skeptisch nach. Die Wortwahl klang oberflächlich, beinahe verwerflich, aber ich sparte mir, ihm einen Vortrag zu halten.
      „Du weißt schon“, mied er seinen Gedanken freien Lauf zu lassen.
      „Ehrlich gesagt, nein“, blieb ich unwissend zurück. Niklas setzte Bino in Bewegung. Kopfschüttelnd stand ich weiterhin am Zaun, obwohl ich nach Hause wollte. Ihn allerdings beim Abreiten zu beobachten, gefiel mir aus vielerlei Gründen besser. Bereits bei dem Ausritt am Morgen konnte ich mich nur schwer lösen, ob es daran lag, dass wir einander unregelmäßig sahen oder er verdammt gut ritt, ließ ich offen. In letzter Zeit war es für mich stressig, hauptsächlich Aares, dem seine neue Heimat weniger gefiel als gedacht. Der Fuchs stand ebenso wie Bino unter dauerhaften Strom. Ich gab ihm Zeit und aktuell verbrachte er mehr Zeit auf der Weide als im Stall. Umso glücklicher stimmte mich, dass ich zumindest zwei Berittpferde hatte, womit alle Kosten gedeckt waren und sogar etwas übrigblieb.
      „Du hast offenbar mehr Zeit, als du zugeben willst“, sprach Niklas. Er glitt aus dem Sattel und rollte die Bügel des Springsattels hoch, dann lockerte er den Gurt für ein paar Löcher.
      „Eigentlich nicht“, murmelte ich ertappt und senkte leicht den Kopf. Im stillen Einverständnis folgte ich in den Stall, schrieb nebenbei meiner Schwester, dass ich später zu Hause sein würde.
      „Kein Problem. Bringst du für uns Bowles mit?“, schlug sie vor. Dem stimmte ich zu und steckte das Handy zurück.
      „Ich habe länger Zeit“, teilte ich Niklas mit.
      „Ach, wunderbar. Man sieht sich schließlich kaum noch“, grinste er. Beim Absatteln half ich. Der Hengst verschlang gierig den Inhalt seiner Schüssel, während sein Besitzer die Gamaschen von den Beinen löste. Ich hatte zeitgleich alle anderen Sachen in die Kammer geräumt.
      „Wie läuft es mit der Wohnungssuche?“
      So viel hatte ich noch mitgenommen, wusste bereits, dass er welche zur Auswahl besichtigte. Einzig die Ergebnisse daraus waren mir fremd.
      „Letzte Woche bin ich eingezogen“, berichtete er sogleich.
      „Fabelhaft. Und Lina? Traf sie mittlerweile eine Entscheidung?“ Niklas blickt hoch zu mir und rollte mit den Augen. Dann seufzte er.
      „Schwieriges Thema“, sprach er mit deutlicher Enttäuschung in der Stimme und drehte sich wieder zum Hinterbein. Nervös schlug der Hengst mit dem Schweif, aber trat nicht.
      „Es ist so: Sie möchte ungern in die Stadt und ich ertrage es nicht, jeden Tag zum Hof zu fahren. Der Weg von der Arbeit ist zwar nicht weit, aber die Einöde kann einen erschlagen“, fügte er hinzu. Aufmerksam folgte ich seinen Worten.
      „Verständlich, aber du musst bedenken, sie hat dort ihr Umfeld und wenn du arbeitest, würde sie sich langweilen“, versuchte ich, ihm eine andere Sichtweise nahezulegen. Seiner Reaktion nach hörte er es öfter.
      „Smoothie zieht zum Ersten wieder hierher, damit ich besser trainieren kann. Die ganzen Einsteller und neugierigen Blicke der Angestellten bieten mir kein optimales Erlebnis der Trainingsmöglichkeiten. Ich habe es so lang versucht, aber Smoothie war seit Jahren nicht mehr dermaßen unentspannt“, zweifelte er.
      Bino hatte aufgefressen und bekam eine Weidedecke umgelegt. In der Nacht sanken die Temperaturen noch immer auf Minusgrade. Wieder lief ich ihm nach. Obwohl ich die Situation nur schwer nachvollziehen konnte, hörte ich zu. Ich spürte, dass es ihm guttat. Je mehr aus Niklas heraussprudelte, umso ruhiger wurden die Worte.
      „Hast du Lust, dir die Wohnung anzuschauen?“, fragte er plötzlich auf dem Weg zu den Autos. Nach kurzem Überlegen stimmte ich zu. In meiner Brust klopfte es lauter und stärker, als ich gedacht hatte, ewig war es her, dass ich bei jemandem zu Hause war. Ich versuchte mir vorzustellen, wie wohl seine Einrichtung aussehen würde. Bestimmt hatte Niklas eine Innenarchitektin beauftragt, die in penibler Kleinstarbeit ihm auf den Zahn fühlte, um ihre Aufgabe zu meistern. Bei einer Sache war ich mir sicher: Die Wohnung war ordentlich und sauber, wenig Deko und keine persönlichen Gegenstände. Höchstens ein paar Pokale würden auf einem Regal an der Wand stehen und an der Wand Zertifikate.
      Ausgestiegen, fuhren wir mit einem Fahrstuhl aus der Tiefgarage direkt in seine Wohnung. Ich hatte mit allem recht. Seine Küche sah aus, als hätte er sie nie verwendet, obwohl ein Obstkorb dastand. Auf einer Anrichte stand ein Bild von seiner Schimmelstute, die anderen suchte man vergeblich.
      „Hier ist die Küche und nebenan direkt das Wohnzimmer“, führte mich Niklas durch einen langen Flur und zeigte nach links einen hellen Raum. Gegenüber war ein Badezimmer. Er zögerte kurz, bevor ich die Tür zu einem weiteren Zimmer öffnete, am Ende des Gangs.
      „Das Schlafzimmer“, murmelte er unbeholfen, „ich ziehe mir kurz etwas anderes an.“
      Niklas verschwand kurz und ich betrachtete für einen Moment die karge Dekoration im Flur. Dabei huschten meine Augen nur für einen Wimpernschlag zurück ins Schlafzimmer. Er stand dort, zog sich gerade das Shirt über den Kopf. Ein Geruch von Schweiß und Parfüm schwang in kleinen Wellen zu mir heran. In mir regte sich etwas, das ich für den ersten Moment nicht einzuordnen wusste. Schnell drehte ich mich weg, als er das Starren bemerkte.
      „Es ist okay“, lachte er und kam heraus, ohne sich etwas übergezogen zu haben.
      Auch ich musste schmunzeln. Hatte er anderes erwartet? Niklas zog immer und überall die Blicke auf sich, was natürlich auch belastend sein konnte, keine Frage.
      „Manchmal“, er setzte anzusprechen, aber schwieg. Als wären wir verbunden, hörte ich den Rest seiner Aussage im Kopf und sprach mit: „Musst du noch daran denken?“
      Zustimmend nickte Niklas, den Blick von mir abgewandt. Er wusste, meine Einstellung dazu, an der sich nichts ändern würde.
      „Oft fühle ich mich allein“, sprach er.
      „Jeder fühlt sich mal allein. Vollkommen normal“, versuchte ich ihn aufzumuntern, aber wie ein nasser Sack, ließ er sich auf der Couch fallen. Leise knackte das Holzgestell.
      „Ich wünschte, ich könnte glücklich sein mit dem, was ich habe“, Niklas rieb sich mit den Handflächen die Augen, „aber es funktioniert nicht. Der Reiz von damals fehlt.“
      „Reiz?“, fragte ich nach.
      „Dieses Kribbeln in den Fingern, das sich langsam im ganzen Körper ausbreitet und unnötige Gedanken abschaltet. Mir fehlen der Fokus und ich laufe blindlings in jedes Drama hinein“, erläuterte Niklas näher. Auch wenn mir nicht vorstellen konnte, welches Drama er meinte, legte ich ihm nette Worte ans Herz. Es gab nun mal schwierige Zeiten, die nur überwunden werden konnten, wenn der Stressor wegfällt.
      „Aber jetzt überlege doch mal genau. Bino ist schwer zu händeln, ja, aber du bist mit ihm auf Prüfungsniveau gesprungen. Beim Kauf war das undenkbar. Ich kann mir vorstellen, dass er durch dich so gestresst ist, weil du dich selbst unter immensen Stress setzt“, warf ich ein, nach dem Schweigen eingetroffen war.
      „Nicht ausgeschlossen“, sprach Niklas und legte den Kopf in den Nacken. Langsam fuhr er sich mit den Händen durchs Haar, dabei spannten mehrere Muskelpartien an. Ich wandte Blick hinaus zum Fenster. Das Apartment war höher gelegt, sodass man einen Blick auf die dämmernde Stadt hatte und das Meer sah. Autos fuhren mit grellen Lichtern durch die Straße.
      „Würdest du Form zweimal die Woche bewegen?“, schlug er plötzlich vor und richtete sich auf. Mein Blick drehte zu ihm. Die Hände waren in der Hüfte aufgestellt, als gäbe es einen Anlass für motivierende Worte seinerseits.
      „Kann ich tun, aber hast du Vriska gefragt? Sie kennt das Pferd doch“, wunderte ich mich.
      „Ach, die“, mit einer Handbewegung vermittelte er deutliche Abneigung, „hat anderes zu tun. Jedes Wochenende fährt sie mit dem Pack auf Renntage. Zudem bändelt sie mit Sebastian an.“
      Mir entglitten die Gesichtszüge. Natürlich hatte ich mitbekommen, dass sie häufiger mit zu diesen Trabrennen fuhr, aber alles andere kam wie eine Lawine. Das gesamte Gelände – auch unsere Stallanlage – gehörte den Göransson. Schon öfter gab es Verhandlungen zur Pachtauflösung, denn sie wollten ihre Stallanlagen zurück. Dass sich die Rennen überhaupt rentierten, wunderte mich, schließlich hatten sie vor einigen Jahren eine Insolvenz abwenden können. Zumindest erzählte man es sich so im Stallgeflüster. Obwohl ich die Familie und alle anderen, die dazu gehörte, nur oberflächlich kannte, verspürte man eine gegenseitige Abneigung. Das Prinzip Pferderennen war mir zuwider, so wunderte es mich stark, dass ich Vriska dem annahm. Nun, sie arbeitete auf einem Gestüt, das Traber züchtete, doch aus ihren Erzählungen wurden rennunfähige Tiere, wie jedes andere Pferd auch, ausgebildet und verkauft. Mit dem Gedanken, dass sie sich einen deutlichen älteren Kerl anlachte, der Pferde rein zum Profit über die Bahn hetzte, konnte ich mich ebenfalls nicht anfreunden.
      „Und keiner sagt etwas dazu?“, sprach ich abfällig und schüttelte den Kopf.
      „Keine Ahnung, aber meinetwegen soll sie wieder in das Loch fallen, aus dem sie gerade herausgestiegen war“, äußerte Niklas, „selbst bei Nelly kann ich bis heute nicht verstehen, wieso sie schon so lang mit dem zusammen ist.“
      „Warte, Sebastian hat schon eine Freundin und trotzdem …“, mein Gegenüber ließ mich nicht aussprechen.
      „Genau und das hat Nelly nicht verdient“, seufzte er.
      „Verstehe, aber dann ist es doch einigermaßen gut so wie es sich entwickelt“, dachte laut nach und er stimmte nickend zu.
      „Woher kennst du sie überhaupt?“
      Niklas holte weit aus, erzählte von seiner ersten Beziehung und ließ dabei keine Details aus. So wusste ich binnen Minuten, wie er mit ihr zusammenkam. Dabei schwang ein Hauch von Wehmut mit, ein Gefühl davon, dass es ihn immer noch schmerzte, darüber zu sprechen. Freundschaftlich klopfte ich ihm auf die Schulter, bis zu dem Punkt kamen, dass seine Exfreundin sie damals einander vorstellte. Es ist nie etwas gelaufen, versicherte er und ich glaubte ihm das. In dem Atemzug lernte er auch Sebastian kennen, der wohl wenig gesprächig war, keine Gemeinsamkeiten aufwies außer dem Interesse an Trabern. Nur konnte Niklas nie etwas mit dem Sport anfangen und ritt die meisten Pferde der Familie nebenbei, schließlich war zu dem Zeitpunkt bereits hoch in der Vielseitigkeit und Dressur angesehen.
      Die Abneigung gipfelte wohl darin, dass versucht wurde Gelder zu unterschlagen und Training anders als abgesprochen durchzuführen. Inwieweit diese Aussagen stimmten, konnte natürlich nicht prüfen. Stattdessen hörte ich zu.
      „Ich hoffte, dass ich den loswerde“, erklärte er und seufzte.
      „Es muss ein Schock gewesen sein“, stellte ich fest. Niklas stimmte nickend zu.
      „Erst nimmt er Nelly aus wie eine Weihnachtsgans und versucht er bei Vriska dasselbe“, redete er sich in Rage.
      „Wir wissen nichts, also wäre es falsch, ihm etwas zu unterstellen“, versuchte ihn zu beruhigen aber traf auf Widerstand.
      „Ich würde mich nicht wundern, wenn auch der andere Kerl Ähnliches plant.“ Seine Behauptungen wurden immer wilder, dass mir zunehmend die Worte fehlten. Deutlich spürte ich, dass all der Hass aus der allgemeinen Unzufriedenheit herauskamen und der innerliche Kampf um Kontrolle seinen Beitrag leistete. Niklas brauchte Hilfe, ob ich diese sein würde, unvorstellbar.
      „Möchtest du mit zu mir kommen? Dann können wir mit meiner Schwester etwas essen und du kannst dich ablenken“, schlug ich vor.
      „Warum nicht“, stimmte er zu und zog sich endlich etwas über. Zumindest hielt ich mich mit meinen Worten zurück, denn auch mir herrschte eine Zerrissenheit. Ich war vernünftig genug, die Situation zu überblicken, aber dennoch ein gewisses körperliches Verlangen zu verspüren. Mein Herz rutschte mir in die Hose, nicht unüblich in seiner Nähe.


      © Mohikanerin, Wolfszeit // 42.368 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte April 2021}
    • Wolfszeit
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      kapitel fyrtiotre | 13. Juni 2023

      Jokarie / St. Pauli’s Amnesia / Ready for Life / Mockup / HMJ Divine / Mondlandung LDS / Binomialsats / Small Lady / Glanni frá glæsileika eyjarinnar / Erlkönig / Ermgravin / Aares / Maxou / Form Follows Function LDS / Satz des Pythagoras / Tjelvar

      17:45 Uhr
      Giraffen Kreisel, Kalmar
      Vriska
      “Liiiinaaaa”, jammerte ich wie ein Schlosshund und hielt den Vorhang fest. Nach dem vierten Kleid war mein Durchhaltevermögen am Ende. Obwohl ich das Stückstoff bereits an einer Schaufensterpuppe bewundert hatte, konnte ich es an mir nicht genau einordnen. Immerhin Schuhe hatte bereits gefunden, zwei Paar, um ehrlich zu sein, und weitere Kleidungsstücke wie Pullover und eine Weste. So oft fuhren wir nicht in die Innenstadt.
      “Wo liegt nun das Problem?”, tauchte sie sogleich auf.
      “Das sieht auch bescheuert aus. Wir werden nie was finden und warum will er unbedingt, dass ich im Kleid komme?”, zerrte ich weiter, ohne mich zu präsentieren. Nur mein Kopf schaute heraus.
      “Ich weiß es doch nicht”, entgegnet sie, “aber ich bin mir sicher, dass wir irgendwo in diesem Laden etwas für dich finden.”
      “Aber er holt uns in zwei Stunden am Hof ab. Das schaffen wir nie”, seufzte ich unentschlossen. Vorsichtig huschten die Augen zu den Haken, an dem bereits die Pullover hingen.
      “Wenn du so weitermachst, ja. Was genau gefällt dir denn an den ganzen Kleidern nicht”, bemühte sich problemorientiert an die Situation ranzugehen.
      “Ich sehe so fett aus”, stellte ich bei einem weiteren Blick in den Spiegel fest. Noch immer mied ich, vor ihre Augen zu treten. Sie seufzte und schüttelte kaum merklich den Kopf: “Das kann ich mir kaum vorstellen. Lass mal sehen.”
      In einem Ruck öffnete sie den blauen Vorhang. Wie ein vom Licht geblendetes Damwild starrte ich sie an, um mich im nächsten Atemzug zu schütteln und hektisch am Kleid zu zupfen. Unwohl fühlte ich mich nicht, nur selten zog ich derartig kurze Kleidung an. Der Blick auf meine vernarbte Beine war damit unumgänglich.
      “Sieht doch süß aus”, beurteilte sie nach einer kurzen Betrachtung meiner Erscheinung.
      „Klingt dennoch wenig überzeugt“, stellte ich nüchtern fest. Alles wollte ich sein, nur nicht süß, sonst würde man mich zum wiederholten Mal als minderjährig einordnen.
      “Ist aber auch schwierig mit dir”, seufzte sie, “Wenn es das nicht ist, was möchtest du denn?”
      “Seine Freunde sollen neidisch sein”, murmelte ich und zupfte erneut am Ende des Kleids. Zunehmend gewöhnte ich mich an den Anblick im Spiegel.
      “Nicht mein Spezialgebiet, aber sollten wir schaffen”, überlegte sie, “aber das ist schon ein guter Anfang, was du da anhast. Das muss nur gescheit kombiniert werden.”
      “Schuhe habe ich schon”, zeigte ich ihr, die Buffalo Boots an meinen Füßen, “vielleicht nehme ich es einfach, wer weiß, wie lange wir für dich suchen.”
      “Na, wenigstens eine Sache, bei der du sicher bist”, grinste sie, “Wie du meinst, noch hätten wir ein wenig Zeit zu suchen.” So wie sie sprach, klang sie deutlich zuversichtlich, dass sie schneller etwas finden würde.
      “Bei einer Sache? Das nimmst du zurück!”, lachte ich und schloss den Vorhang, um mich wieder in die Straßenkleidung zu schmeißen. Immerhin konnte ich das Kleid selbstständig ausziehen. Mit all den Sachen über dem Arm, die ich kaufen wollte, folgte ich Lina. Relativ zielstrebig bewegte sie sich zwischen den Kleiderständern hindurch und hatte relativ schnell eine kleine Auswahl an Kleidung zusammengesammelt. So ging es zurück zu den Umkleiden, wo ich ein wenig ungeduldig auf sie wartete.
      “Und was meist du?”, zog sie den Vorhang auf und trat ein Stück heraus, um sich sogleich erneut im Spiegel zu betrachten. Ihre Figur wurde von einem schlichten schwarzen Kleid umschmeichelt, dessen hauchdünne Träger auf dem Rücken zu einem X zusammenliefen. An den Füßen trug sie geschnürte Stiefeletten, die sie um einige Zentimeter größer schummelten.
      „Damit schindest du auf jeden Fall Eindruck“, stellte ich sogleich fest.
      “Will ich das denn?”, überlegte sie und drehte sich dabei weiter vor der reflektierenden Oberfläche hin und her.
      “Das kannst du dir nur selbst beantworten, aber du würdest einiges an Geld für Getränke sparen”, schmunzelte ich. Für einen Moment wich mein Blick zur Seite, als das Handy in meiner Hosentasche vibrierte. Vorsichtig legte ich Kleidungsstücke zur Seite. Auf dem Bildschirm leuchteten mich viele Benachrichtigungen an. Als eine der ersten war eine von Markus: „Super, schon was gefunden? Die Jungs freuen sich bereits.“
      Ein verschmitztes Lächeln huschte über meine Lippen. Ich hatte ihm tatsächlich geschrieben, schon, als ich Lina am Morgen erzählte, dass ich verspürte, ihn erneut zu treffen. Er hatte ein Gefühl tief in mir erregt, dass ich schwer einordnen konnte. Ich fühlte mich schuldig und schwer, aber zu gleichen Teilen geerdet, angekommen. Diese Erfahrung eröffnete mir emotional ganz neue Welten und ich wollte mich mehr testen. Dabei meinte ich nicht einmal die physische Überbelastung, die mich zeitweise an meine Grenzen brachte, sondern die Losgelassenheit und Freiheit. Mit einer Euphorie ließ ich ihm eine Nachricht zu kommen, auf die er tatsächlich reagierte. Später würde er Lina und mich abholen, denn Markus war ursprünglich mit Kollegen verabredet, einen Absacker zu trinken. Zudem schlug er vor, dass ich eine Freundin mitbrachte.
      „Potenzielle Kleidungsstücke trage ich bei mir“, antwortete ich und verließ den Chat wieder. Basti hatte mir ebenfalls geschrieben, bemerkte ich erst jetzt, seit meinem kurzen Video im Sulky und seiner Antwort lagen Stunden, zwischen meiner nun auch.
      „Er macht sich ziemlich schief“, beantwortete ich seine Frage, wie es gewesen sei.
      „Was hattest du für ein Gebiss?“, antwortete er umgehend, als hätte er nur darauf gewartet, dass ich mich endlich melden würde.
      „Baucher“, tippte ich kurz und steckte das Gerät, ungeachtet der Vibration, weg. Wie zuvor erwähnt, Schuldgefühle zerfraßen mich, aber ich musste der Realität ins Auge blicken und anerkennen, dass wir nur Freunde waren. So stellte sich Markus als eine hervorragende Ablenkung heraus.
      „Na gut, ich denke, du hast mich überzeugt“, grinste Lina und verschwand hinter dem Vorhang, um wieder in die Alltagskleidung zu wechseln.
      „Wunderbar, dann wäre das auch abgehakt. Brauchst du sonst noch etwas?“, fragte ich nach.
      “Nein, ich denke nicht”, kam die Antwort hinter dem Vorhang hervor und wenig später auch die kleine Brünette.
      Ich, deutlich mehr bepackt mit Kleidungsstücken, folgte ihr zum Kassenbereich, als ich plötzlich etwas Interessantes im Vorbeigehen sah. Wie eine Motte vom Licht zog es mich an den Ständer und betrachtete den schwarzen Mantel. Am Kragen hing ein Schal, den man offenbar abnehmen konnte. Die Schulterpartie war lässig und auf Überlänge geschnitten, mit großen seitlichen Taschen. Eine Fütterung gab es nicht, was das Tragen in der aktuellen Übergangszeit äußerst geeignet war. Bei dem Preis schluckte ich.
      “Was siehst du dir da an?”, kam Lina neugierig zurück, da sie offenbar nicht direkt bemerkt hatte, dass ich zurückfiel.
      “Ein sehr langer Wollmantel, schau”, zeigte ich mit dem Finger auf den Gegenstand.
      “Hübsch, dich könnte ich mir gut darin vorstellen”, beurteile sie das Objekt.
      “Jeder wird nur Mantel sehen”, lachte ich und zog die XS über. Tatsächlich wirkte kleiner, als ich dachte. Ohne darüber nachzudenken, nahm ich diesen mit.
      “Gut, bald bin ich arm”, stellte ich fest an der Kasse stehend. Vorsichtig begutachtete ich Preisschilder und überschlug den Preis im Kopf – knappe 5600 Kronen. Lina war als Erstes an der Reihe, hatte sich nicht nur deutlich weniger ausgesucht, sondern auch bezahlt. Ich schaute vorsichtshalber weg. Das hintergründige piepen des Scanners, der über die Barcodes huschte, ließ mich nur erahnen, wann die Kassiererin fertig war. Ich hielt die Karte an das Gerät und war nun weniger flüssig unterwegs.
      „Das tat weh“, murmelte ich Lina zu und zog die Papiertüte vom Tresen hinunter.
      “Was ist denn los, solche Preise haben dich doch sonst nicht gestört?”, fragte sie leicht verwundert.
      “Papa zahlt nicht mehr. Habe ich dir das nicht erzählt?”
      “Nein”, entgegnete sie, “wie kommt es dazu, bist du in Ungnade gefallen?”
      “Keine Ahnung. Mit dem Typen habe zuletzt gesprochen, als Harlen zu uns flüchtete”, zuckte ich mit den Schultern. Wir liefen aus dem Bekleidungsgeschäft hinaus. Die Menschenmassen waren weniger geworden und die Atmosphäre wurde angenehmer.
      “Verstehe ich, Väter erscheinen mir nicht so als müsse man mit denen reden”, sprach sie geradeheraus, ein wenig Missmut mitschwingend.
      „Dem kann ich nur zustimmen“, seufzte ich. Ein Gefühl von Leere schwang in dem Moment mit, das ich in der Form nie bewusst wahrnahm. Vielleicht war es der Umstand, dass mein Bruder immer sein Lieblingskind darstellte oder ich selbst für meine Brötchen zahlen musste. Zumindest fiel ich in eine Grube, die jedoch überwunden werden konnte.
      “Alles okay?” fragte Lina sanft. Der Stimmungsumschwung entging ihr offenbar nicht.
      „Natürlich. Mir wurde nur klar, dass die Vaterfigur fehlte bis heute“, schmunzelte ich und schob die Tür zum Parkplatz auf.
      “Offenbar kommt man auch einigermaßen ohne durchs Leben”, war es nun an ihr zu seufzen.
      Ich begann zu lachen.
      „Ohja, sieht man ziemlich gut bei mir mit den stabilen und innigen Beziehungen“, sagte ich und schnappte immer wieder nach Luft.
      “Du bist aber auch der Inbegriff von Selbstironie”, schmunzelte sie und schüttelte den Kopf, “aber dein Beziehungsproblem bekommen wir schon noch auf die Reihe.”
      „Offenbar dreht sich dein Leben nur darum, dass ich langfristige Beziehung finde. Bin wirklich gespannt, wie sehr du mich mit Markus verkuppeln willst“, gab ich unveränderter Stimmung zurück. Den Kofferraum des kleinen Polo öffnete ich und lud die Papiertüten ein.
      “Ich bin ganz unschuldig,” beteuerte sie, hatte allerdings ein vieldeutig interpretierbares Grinsen auf den Lippen, als sie auch ihre Tüte hinzugab.
      „So unschuldig wie ich, versteh‘ schon.“ Mit ernsten Blick schielte ich über die Brille. Dann schloss ich den Kofferraum. Gleichzeitig setzten wir uns in das Fahrzeug.
      “Natürlich”, grinste sie, “außerdem … wenn ich sowas rein hypothetisch vorhätte, wüsste ich schon gerne mehr über den Kerl, außer dass er gut im Bett zu sein scheint.”
      „Nun, du weißt, wie er aussieht und dass er Anwalt ist. Reicht das nicht aus?“, argumentierte ich, denn zugeben. So viel mehr wusste ich auch nicht, obwohl die Gespräche mit ihm mit als sympathisch im Kopf blieben, erinnerte ich mich nur an Bruchstücke. Markus war intelligent und gebildet, hochgestochen in seiner Sprache und sich dessen vollends bewusst. Das machte ihn zu einem guten Redner, auch wenn die Inhalte dabei an Bedeutung verloren.
      „Mhm, das ist zumindest ein guter Anfang“, überlegte sie.
      Wir fuhren durch den Stadtteil am Hafen hinaus, folgten der Hauptstraße, um den deutlich mehr befahrenen Asphalt des Weges nach Hauses unterm den Reifen zu haben. Im Radio dudelte Standartmusik, die Lina zwischendurch lauter drehte und mich in den Wahnsinn trieb. So sehr ich die Arbeit und Leidenschaft der Musiker auch zu schätzen wusste, konnte ich die gleich klingenden Lieder nicht ertragen. Selbst die Inhalte der Text fühlten sich bedeutungslos an, als gäbe es ein internes Bingospiel – je mehr Worte von einer Liste verwendet wurden, umso höher war die Ausschüttung des Gewinns.
      „Lina, ich ertrage das nicht mehr“, säuselte ich und krallte mich in das Lenkrad, „gefällt dir vielleicht etwas anderes genauso?“
      “Ja, ich mag vieles, aber wir müssen auch nicht hören, was mir gefällt”, entgegnete sie kooperativ.
      „Perfekt“, ich lenkte das Auto zur Seite, um die neueste Podcastfolge zu starten. Kaum dudelte das Intro ein, wurde das Thema der Folge vorgestellt: Bandenkriminalität in den Großstädten in Zusammenhang der Flüchtlingsströme Europas. Der Inhalt war eine politische Diskussion und eine Betrachtung anhand von erhobenen Daten. Lina runzelte ein wenig irritiert die Stirn, doch sagte nichts. Auf der Weiterfahrt schien sie nur mit halbem Ohr zuzuhören, blickte stattdessen in die Landschaft, die am Fenster vorbeizog.
      Wie lange ich schließlich im Badezimmer stand, um ausgehfähig auszusehen, konnte ich nicht einordnen. Allerdings klopfte Lars an der Holztür, nicht hektisch, aber bestimmt.
      „Kommst du klar?“, in seiner Stimme schwang ein Hauch von Sorge mit.
      „Ja, alles wie immer“, summte ich und versuchte weiterhin, die passende Frisur zu finden.
      Schließlich fertig, lief ich in den Flur. Mein Kollege stand dort, wollte vermutlich ins Badezimmer.
      „Wo willst du denn hin?“, wunderte er sich, den ausschweifenden Blick von oben bis unten.
      „Lina und ich gehen mit ein paar Leuten etwas trinken“, erzählte ich.
      „Mh?“
      „Mit Markus und seinen Freunden.“
      „So so“, Lars schaute mich skeptisch an und nuschelte schließlich etwas: „war klar“, aber genau verstand ich es nicht. Allerdings wirkte das spitze Grinsen im Gesicht weniger verärgert als vermutet.
      Vor der Hütte stand bereits Lina, eine dicke Jacke über den dünnen Stoff gezogen und die Arme verschränkt. Von einem Bein tänzelte sie auf das andere. Ich hingegen stolzierte, mit beiden Händen tief in den Taschen des neuen Wollmantels, ihr entgegen. Obwohl die schwarzen Boots nur einen kleinen Absatz hatten, fühlte ich mich so viel größer. Meine Haare hatte ich teils in einem Zopf und die anderen locker auf dem Rücken. Nach einer gefühlten Ewigkeit trug ich keine Brille, sondern entschied mich für Kontaktlinsen.
      “Wow, gut siehst du aus”, lächelte meine Kollegin erfreut, als sie einen Blick über meine Erscheinung schweifen ließ.
      “Das sagst ausgerechnet du”, würdigte ich sie. Hintergründig hörte man Reifen über den Kies rollen.
      “Danke”, entgegnete sie charmant. Ein herabwürdigender Kommentar ihrer selbst schien ihr bereits auf der Zunge zu liegen, doch anders als häufig sprach sie diesen nicht aus.
      Langsam lernte sie daraus.
      Wie bereits angekündigt nährten sich abgedunkelte Scheinwerfer und schließlich hielt der dunkle Wagen vor uns an. Vom Fahrersitz stieg Markus heraus in einem dunklen Anzug, der Kragen leicht geöffnet. Meine Augen schielten zu Lina, um ihr eine Reaktion zu entlocken, aber sie schwieg.
      „Fabelhaft siehst du aus“, schmeichelte er mir und drückte sich an mich, „und du auch“, richtete er sich zu Lina. Mit kurzen Worten berichtete er von seiner Person, bevor er uns ins Auto bat, ihr frösteln bemerkend.
      “Schön dich kennenzulernen, ich bin Lina”, stellte sie sich zurückhaltend vor, bevor wir seiner Aufforderung nach kamen und in den Wagen kletterten. Zusammen saßen wir auf der Rückbank, still, als würde die Fahrt im Gefängnis enden und ähnlich fühlte sie sich vermutlich. Menschen waren wenig ihr Lieblingsumfeld, aber sie musste sich auch unangenehmen Situationen stellen.
      “Und du bist die Kanadierin?”, begann Markus ein freundliches Gespräch.
      „Kann man so sagen, ja“, bestätigte sie die Aussage in Teilen. Gesprächsbereitschaft wirkte Lina nicht, was ich mir bereits denken konnte. Aber auch er schien es zu spüren und stellte keine weiteren Nachfragen, richtete sich stattdessen an mich.
      „Wie war dein Tag?“
      Ich überlegte kurz. Dabei entging mir nicht, dass meine Kollegin auf ihr Handy schielte, als würde sie sehnsüchtig auf eine Nachricht warten. An dem starren und eher kühlen Gesichtsausdruck meine ich zu erkennen, dass diese auf sich warten ließ.
      „Erfolgreich, denke ich“, sprach ich schließlich, „mein Rennpferd macht Fortschritte.“
      „Dein Rennpferd?“, hakte er nach, natürlich. Über mich hatten wir bis dato kaum gesprochen.
      „Genau, ich habe vor einiger Zeit mir selbst eins zugelegt. Er wurde als ‘unfähig’ bezeichnet, nur bisher spüre ich nichts davon“, erklärte ich ruhigen Gewissens, ihn nicht mit Thema zu belasten.
      „Also ein Außenseiter?“, zumindest ein paar Fakten kannte er, was mich zunehmend beruhigte.
      „Genau.“
      „So, wir sind da“, sagte Markus, als der Wagen vor einem hell erleuchteten, gläsernen Gebäude hielt. Nach einer Bar sah es nicht aus, ganz im Gegenteil. Ein roter Teppich mit goldenem Zaun thronte davor, Menschen in hochwertiger Kleidung liefen hinein und wurden von zwei schwarz gekleideten kontrolliert.
      „Das hatten wir nicht besprochen“, murmelte ich und verschränkte die Arme, nicht willen, auf ein Getümmel zu treffen. Auch Lina betrachtete den großen Anlauf skeptisch. Markus lehnte sich nach hinten, einen Arm um die Kopflehne des Beifahrersitzes.
      „Schau es dir wenigstens an, wenn du nicht willst, fahre ich euch nach Hause. Versprochen“, versuchte er, einen Kompromiss zu finden.
      “Ein wenig neugierig bin ich ja schon”, tuschelte Lina mir zu als, wolle sie mich vom Hineingehen überzeugen.
      “Sicher?”, fragte ich irritiert nach. Ihre Neugier kannte ich, aber was genau erhoffte sie sich dort? Für mich wirkte es nach reichen, jungen Leuten, die den Bezug zum Leben verloren hatten und das Geld der Eltern verpulverten – eine typische Feier, wie ich sie noch aus der Schulzeit kannte. Dementsprechend konnte ich mir zu gut vorstellen, worin das enden könnte.
      “Ja”, brachte sie hervor, allerdings wirkte sie dabei nicht hundertprozentig von sich selbst überzeugt.
      “Du hast deine Freundin gehört. Sie möchte ein Abenteuer erleben”, grinste unser Fahrer. Kaum hatte er sich zurückgedreht, öffnete erst mir dann Lina die Tür. Kalte Luft zog am Stoff vorbei und unterschwelliges Kribbeln lag auf meiner Haut. Einmalig zuckte ich zusammen, aber folgte meiner Begleitung. Nebeneinander kamen wir zu den zwei Herren, die Markus kurz musterten, um dann den Weg freizugeben. Im Inneren standen viele Menschen, die Musik war leiser als erwartet und spielte nur sanfte Töne. Es wirkte wie eine Gala oder Eröffnung. Interessiert schweifte mein Blick durch den Raum. Auf der rechten Seite war eine Theke an der Leute standen, tranken und sich unterhielten. Zur Linken tanzten einige und auf der Galerie wurde getuschelt.
      “So elegant das alles”, nuschelte Lina leise, die sich ebenso neugierig umblickte, wie ich.
      Friedfertig drückte Markus mich an sich heran, als ein mir unbekannter Mann, deutlich älter als wir es waren, näher kam.
      „Wundervoll, das du doch noch entschieden hast zu kommen und zwei so herzerwärmenden Damen mit dabei“, schmutzig grinste er in seinen Worten.
      „Ich bin nicht deinetwegen da, Vater“, machte Markus ihm klar. Immerhin waren Lina und ich nicht die einzigen mit einem gestörten Verhältnis zum Vater. Zusammen liefen wir zur Terrasse, auf der ebenfalls eine kleine Bar stand.
      „Was wollt ihr trinken?“, fragte er, als wir einen freien Stehtisch gefunden hatten, etwas abseits des Getummels.
      „Äh, ich fange mit einem Rotwein an“, überlegte ich.
      “Für mich bitte auch”, schloss Lina sich meiner Wahl nach einer kurzen Bedenkzeit an.
      Markus kehrte uns den Rücken und sah ihm nach. Für einen Mann lag die Kleidung deutlich zu eng an, als dass es irgendjemand entgehen konnte. Einen Moment sah ich ihm nach und drehte mich rasch zurück.
      “Man muss dir zugestehen, du hast wirklich Geschmack bei der Männerwahl”, schmunzelte die Brünette. So verschmitzt wie dieses war, war ihr mein Blick definitiv nicht entgangen.
      “Sagen wir es so, in dem Umfeld bin ich groß geworden”, seufzte ich und drehte mich ein weiteres Mal um, nach meiner Begleitung zu schauen. Auch er blickte zu uns, an der Bar wartend.
      “Du klingst nicht gerade froh darüber”, stellte sie fest, “ist es denn so schlimm?” Es war wieder ihre Art, in der sie in allem etwas Gutes zu finden erhoffte, von der ich mir nicht sicher war, ob es mangelnde Erfahrung oder Naivität waren, die dies möglich machte.
      “Es sollte doch auffällig sein, wie oberflächlich all das ist. Obwohl man einander nicht kennt, tut jeder so, als wäre man seit Jahren bekannt”, versuchte ich wenigen Worten klarzumachen.
      „So genau habe ich das nie betrachtet“, überdachte sie meine Worte, ließ gleichzeitig den Blick etwas schweifen, als könne sie meine Worte auf diese Weise überprüfen. Leicht war es nicht, den Gesprächen anderer zu folgen, aber tiefsinnig wirkten diese nicht. Stattdessen zog ich für einen Moment mein Handy heraus. Eine weitere Nachricht von Basti, nach dem ich auf die letzte nicht geantwortet hatte. Wirklich überrascht oder aufgeregt fühlte ich mich nicht und tippte nur zögerlich auf den Chatverlauf.
      “Alles in Ordnung? Du bist heute ziemlich still”, stellte er fest.
      “Ja, alles fit, aber ich bin auf einer Veranstaltung, also beschäftigt”, antwortete ich wahrheitsgemäß. Sofort bebten die drei Punkte und eine Nachricht rollte an.
      “Okay. Mit einem Typen?”
      Mir entglitten die Gesichtszüge. Kurz dachte ich nach, aber konnte nicht einordnen, wie ich mich dabei fühlte. Lina reichte ich das Handy.
      „Da ist jemand ja ziemlich interessiert daran, was du tust“, fasste sie zusammen, „ein wenig zu interessiert für einen Freund, wenn du mich fragst.“
      “Das Gefühl werde ich ebenfalls nicht los”, stellte ich fest und tippte die ehrliche Antwort – Zumindest, dass Lina und ich auf dieser Feier waren nach der Einladung einer Bekanntschaft. Er las, aber antwortete nicht. Hinter uns kam Markus dazu, stellte unsere Gläser auf dem Tisch.
      “Und, seid ihr klargekommen?”, fragte dieser.
      Ich nickte.
      „Da wir noch da sind, macht es den Anschein, ja“, scherzte Lina.
      „Welch Glück ich doch habe“, schmunzelte er und stieß an auf einen schönen Abend. Eine ganze Weile standen wir allein am Tisch, unterhielten uns tatsächlich über Rennpferde, denn zumindest für das Wettgeschäft interessierte er sich. Deswegen war die Sache ziemlich klar, wieso er weitere Fragen über mein Pferd stellte und versuchte mir zu entlocken, wann wir starten würden. Ein Datum gab es aktuell nicht, nur vom Finlandia Ajo konnte ich genaueres übermitteln. Nebenbei machte sich Markus Notizen, was mich mit leichter Verwunderung traf. Auf ungewisse Art und Weise kamen mir Zweifel, ob das Gespräch in die richtige Richtung ging. Glücklicherweise kamen Leute dazu, die ich erst auf den zweiten Blick erkannt. Kurz schnappte ich nach Luft und griff nach Linas Arm.
      „Das ist Eriks bester Freund“, flüsterte ich ihr zu, als Antoine mit Majvi ankam, die ich ebenfalls bei der Festlichkeit kennenlernte.
      „Oha, größer hätte der Zufall wohl kaum noch sein können“, wisperte sie zurück, mit großen Augen.
      “Hoffentlich ist er nicht da, sonst weiß ich wirklich nicht, was ich tun soll”, stammelte ich in die Stille.
      “Ach, die Pferdelady”, scherzte Antoine und begrüßte mich wohl damit. Ich setzte ein unzufriedenes Lächeln auf. Seine Begleitung hob nur die Hand. Ein leises Hallo kam heraus, doch viel mehr, sagte sie nicht.
      “Ihr kennt euch? Spannend”, merkte Markus dazu an, meine Reaktion prüfend.
      “Ja, sie hatte was mit Erik, als er sich ausprobieren wollte”, lachte er. Schmerzerfüllt drückte ich Augen zusammen und minimal den Kopf schüttelte. Plötzlich erschien das Angebot, wieder nach Hause zu fahren, sehr erlösend. Lina drückte sanft meinen Arm, als wollte sie damit signalisieren: Alles gut, ich unterstütze dich.
      „Aber wir kennen uns noch nicht, ich bin Lina", brachte sie sich sogleich ein, um das Thema galant abzulenken.
      “Freut mich, Antoine”, reichte er seine Hand, “kommt ihr mit? Wir wollen etwas spielen.”
      “Spielen? Woran dachtet ihr?”, erkundigte sich Markus direkt, aber die Lust brannte förmlich in seinen dunklen Augen. Mir hingegen war gar nicht gut dabei, denn so gut wie ich solche Veranstaltungen in Erinnerung hatte, wusste ich vom übermäßigen Alkoholkonsum.
      „Bier Pong“, sagte Majvi mit ihrer leisen aber piepsigen Stimme.
      „Also ich wäre dabei“, stimmte der Herr neben mir zu und sah uns beide eindringlich an. Ich schüttelte in Zeitlupe den Kopf, doch Lina stimmte bereits voller Elan zu. Gemeinsam liefen den Weg in den Garten entlang, der in der Dunkelheit bis zum Horizont reichte. Kleine Lampen erhellten das Anwesen und aus reichlicher Entfernung sah das verglaste Haus noch imposanter aus. An der aufgebauten Tischtennisplatte standen schon einige Menschen, die sich uns vorstellten, aber die Namen waren mir noch im selben Atemzug erloschen.
      „Ich glaube so nah bin ich dem Spiel nach nie gekommen“, raunte sie mir aufgeregt zu, was mich wirklich erstaunte. Da hatte sie offensichtlich ein Kapitel in ihrer Jugendphase ausgelassen.
      „Dann kann ich Abstand nehmen“, bemerkte ich pflichtbewusst und übergab Markus den Platz. Es spielten zwei gegen zwei, während alle anderen mitfieberten. Die ersten sechseckigen Becher waren binnen Minuten geleert, schließlich wurde zusammengeschoben. Wieder einmal wich die Aufmerksamkeit zum mobilen Gerät. Basti hatte nicht geantwortet, also schrieb ich ihm: „Habe ich etwas falsches gesagt?“
      Anhand der Uhrzeit stellte ich fest, dass er wohl erst am Morgen antworten würde. Fix steckte ich es zurück in den Mantel. Wirklich wohl fühlte ich mich in der Runde nicht, aber Lina hatte ihren Spaß, mit Markus, der ihr zwischendurch ziemlich nah kam. Parallel mit der Anzahl der Becher sank zudem ihre Reserviertheit, was sie dazu treib noch mehr Elan in das Spiel zu bringen.
      „Yes, Volltreffer“, rief sie erfreut an, als sie erstaunlich zielsicher den Ball in einem der gegnerischen Becher versenkte, der daraufhin geleert wurde. Damit waren nur noch jeweils zwei Becher pro Seite übrig.
      „Sicher, dass du nicht auch mal möchtest, Vriska?“, nahm die Kleine sich das zum Anlass, mich doch noch in das Spiel zu integrieren.
      „Nein, alles gut. Offenbar scheine ich später zu fahren“, bemerkte ich nebenbei und schloss den Mantel. Kalte Luft zog an mir vorbei, ebenso legte sie sich über den gesamten Körper. Die Ignoranz schmerzte zutiefst. Ich wollte Basti nicht verärgern und erst recht nicht in Bedrängnis bringen, deshalb schaute ich immer wieder auf den Bildschirm, der unverändert blieb. Enttäuscht seufzte ich.
      „Was guckst du wie ein trauriger Karpfen? ", fragte Lina, die nur kurz den Blick auf mich lenkte, bevor sie Markus verfolgte, wie er drauf und dran war, das Spiel mit einem präzisen Wurf zu beenden.
      „Unwichtig“, versuchte ich meine Stimmung zu überspielen, schließlich war ich hier, um ihn weitestgehend zu verwerfen. Es gab keine Zukunft, oder doch? Erneut bewies er, dass Freunde eine seltsame Bezeichnung für uns beide war. So konnte ich förmlich spüren, wie seine Lippen auf meinem Hals lagen oder meine Finger seinen Arm strichen. Wie würde Basti nur reagieren, wenn er von der Nacht erfuhr?
      Die Freude der beiden am Tisch spürte ich in den Beinen. Laut ließen sie den Erfolg erklingen, hüpften dabei ein wenig.
      „Ich schätze, ich möchte nach Hause“, beschloss ich in Schmerz gehüllt.
      „Okay, wenn du nicht mir hier bleiben möchtest, gehen wir“, nickte Lina entgegenkommend.
      „Das wäre aber traurig“, zog Markus einen Schmollmund. Obwohl er versuchte, mir gegenüber ziemlich unauffällig zu sein, bemerkte ich, dass seine Hand von Linas Rücken langsam hinunterwanderte. So unbedarft wie sie manchmal wurde, schien es sich heute noch in Grenzen zu halten. Zeitgleich, wie sie einen Schritt zu Seite trat, gab das Telefon in ihrer Jackentasche zeitgleich ein leises, kaum merkliches Summen von sich. Kurz darauf erleuchtete der Bildschirm ihr Gesicht, wobei sich ihr Ausdruck veränderte, zu etwas hin was wirkte, als sei die Nachricht bereits sehnsüchtig erwartet worden. Damit konnte ich mir vorstellen, wer sich soeben meldete.
      „Ich denke, Vriska hat nicht unrecht, wir sollten so langsam nach Hause. Es ist schon spät“, widersprach sie Markus.
      „Es ist halb elf und Sonntag. Seid ihr euch sicher?“, gab dieser misstrauisch entgegen, nach einem flüchtigen Blick zur Uhr.
      „Der Abend fängt doch jetzt an“, kam Majvi näher, die offenbar vom Gespräch Wind bekam. Auch sie hatte die Arme vor dem Mantel verschränkt.
      “Unser Leben ist nun mal ein Ponyhof, das ist”, stockte sie mitten im Satz, ihr Blick an allen vorbei in die Menschenmenge im Hintergrund, “zeitintensiv.” Das letzte Wort stolperte über ihren Lippen, als wäre ihr Hirn wieder abgestürzt. Neugierig folgte ich ihrem Blick, konnte allerdings nicht ausmachen, was ihr derartige Aussetzer bescherte.
      „Also gut, dann werden wir wohl gehen“, beschloss ich ihren Gedanken zu beenden. Markus nickte beiläufig und fummelte aus der Tasche Schlüssel heraus.
      “Ähm, bevor wir das tun, müsste ich noch für kleine Mädchen”, wandte Lina ein, wirkte plötzlich nicht, als sei sie es sonderlich eilig nach Hause zugekommen.
      „Muss man das verstehen?“
      Markus war ebenso verwundert wie ich, aber verschwendete keinen weiteren Gedanken daran. Stattdessen packte er den Schlüssel zurück. Gemeinsam liefen wir hinein, denn der kalte Wind auf dem offenen Land wurde zunehmend unerträglicher.
      „Möchtest du noch etwas trinken? Du schaust aus, also könntest du es brauchen“, schmunzelte er. Kaum hatte ich zugestimmt, verschwand er zur Bar. Ich sah mich verloren im Raum um, noch immer standen und saßen überall unbekannte Gesichter, unterhielten sich rege über diverse Themen. Doch als ich genauer eine Person musterte, riss ich die Augen auf. Bevor mein Hirn die Information verarbeitet hatte, kam Lina zurück, dicht gefolgt von Markus.
      “Doch noch nicht Heim?”, fragte sie mich, als sie feststelle, weswegen sich Markus entfernt hatte. Gleichzeitig ließ sie unauffällig ihren Blick schweifen.
      “Du schienst es nicht eilig zu haben”, merkte ich provokant an.
      “Ich … bin doch ganz normal”, lächelte sie unschuldig und konnte ihre Augen dafür von unserer Umgebung lösen.
      “Oh ja, alles wie immer”, bestätigte ich, ohne mich von ihr zu lösen, stattdessen versuchte ich mehr Informationen aus ihr zu entlocken, denn diese plötzlichen Stimmungswechsel kamen bei ihr nur selten vor.
      “Ja”, nickte sie, während ihre Augen wieder abwanderten. Ein verräterisches Lächeln zuckte auf ihren Lippen, als diese zum Stillstand kamen.
      Markus übergab mir das Glas, entgegen meiner Erwartung war es kein Wein. Offenbar sollte es länger werden, denn der Vodka-E stieg mir bereits nach dem ersten Schluck in Kopf. Leichter Nebel legte sich vor meine Gedanken. Eine gewisse Losgelassenheit kehrte zurück und ich lehnte in die dunklen Polster der Couch.
      “Ist eigentlich nur mir so warm?”, fragte die Kleine beiläufig und befreite sich von ihrer Jacke. Ich verstand die Welt nicht mehr.
      „Warte, dir ist warm? Sollte ich besser einen Arzt rufen?“, wurde es zunehmend besorgniserregend. Unverständlich flüsterte mir Markus etwas ins Ohr. Wenn ich genauer darüber nachdachte, verabschiedete er sich kurz, um Freunde zu begrüßen, die dir den Eingang hinein stolzierten. Unbewusst zwickte ich mir ins Bein.
      „Nein, mir geht's prima“, versicherte sie mir und schielte zu mir hinüber.
      „Das besorgt mich noch mehr“, murmelte ich. Langsam folgte ich mit den Augen der Person, die ich an der Tür entdeckt hatte, versuchte mir zu überlegen, welche Reaktion angemessen wäre, sollten wir einander über den Weg laufen. Wie das Donnern der Artillerie am Horizont spürte ich mein Herz in der Brust.
      „Was besorgt dich daran?“, fragte sie irritiert, schien allerdings gleichzeitig mit dem Großteil ihrer Aufmerksamkeit bereits wieder woanders zu sein.
      „Du magst Menschenmengen nicht und dir ist immer kalt, außer“, kurz stoppte mir der Atem und ich versuchte ihn zu finden, nur war von Niklas nichts zu sehen. „Okay, nein, nicht in Sichtweite.“ Wie ein Hund, den man beim Zerlegen eines Möbelstücks ertappt hätte, schielte sie zu mir.
      „Ich, ähm …“, errötete sie leicht, „kann das erklären.“
      „Auf die Erklärung bin ich gespannt.”
      Kurz prüfte ich die Vibration in der Tasche. Auf dem Bildschirm leuchtete eine Nachricht von Lars auf. Mockup hätte im Stall ziemlich randaliert, weshalb er ihn auf die Weide gebracht hat. Ich tippte einen knappen Dank ein. Lina druckste etwas herum, schien allerdings zu spüren, dass sie um eine Antwort nicht herum kommen würde.
      “Sieh mal da geradeaus, der in dem dunklen Hemd da”, flüsterte sie und deute leicht rechts von uns in den Raum hinein. In Zeitlupe setzte ich das Glas an meine Lippen, nahm einen kurzen Schluck, der sich im Mund verteilte. Ihren Männergeschmack konnte man nichts absprechen, ganz im Gegenteil.
      „Gewagt“, sprach ich nach spannungsvoller Stille. Für einen Moment zu lang sah ich hinüber, sodass sein Gesprächspartner auf mich aufmerksam wurde und ihm am Arm anpackte, um auf uns zu zeigen. Sofort wich mein Blick zu Lina.
      “Oh Gott, was hast du getan”, quietschte sie leise, krallte sich an meinen Arm und wendete eilig ihren Blick ab.
      “Was denkst du, was passiert? Dass er uns nun umbringt, weil wir ihn auf einer Feier angeschaut haben”, scherzte ich, wohl wissend, wie sie sich fühlen musste. Allerdings war der Abend noch jung und ihr Alkoholgehalt im Blut auf einer guten Stufe.
      “Weiß ich doch nicht, das ist nicht lustig”, jammerte sie, schielte gleichzeitig wieder hinüber.
      “Wenn du so weiter machst, steht er gleich neben dir.”
      Natürlich kam es, wie es kommen musste. Markus kehrte zurück, mit einer weiteren Runde Getränke. Mein Glas war noch gar nicht leer, da hielt er mir das nächste entgegen. Lina wirkte der Lieferung sehr dankbar gegenüber und nahm einen kräftigen Schluck, als wüsste sie genau, was passieren würde. Immerhin bekam sie im regen Gespräch mit Markus über ein Buch, das ich zuvor noch nie gehört hatte, nicht mit, dass er plötzlich hinter ihr stand. Erst als ich zu ihm hoch grinste und Markus stoppte im Erzählflow, um ihn zu begrüßen, vernahm sie den ungebetenen Besuch. Langsam drehte sie sich um, blickte ihm für den Bruchteil einer Sekunde an. Jedoch wendete sie sich, die Farbe einer Himbeere annehmend, sogleich wieder ab, um einen weiteren großen Schluck aus ihrem Glas zu nehmen.
      “Sehe ich so schauderhaft aus?”, scherzte der Neuankömmling, was Lina noch mehr zum Erröten brachte. Derart in Verlegenheit erlebte man sie selten.
      “Nein, sie empfindet eher das Gegenteil”, übernahm ich die Antwort für sie, da es ihr offenbar die Sprache verschlagen hatte. Der Unbekannte schmunzelte und trat so um uns herum, dass er sich nun vollständig in unser aller Blickfeld befand.
      „Ich bin Tjelvar“, stellte er sich vor und hielt erst mir freundlich die Hand hin, denn sie Kleine neben mir schien noch nach den menschlichen Verhaltensweisen zu suchen.
      “Ach, wie ein Pferd bei uns am Hof”, lachte ich und stellte uns alle der Reihe nach vor.
      „Vriska, was soll das?", murmelte sie und versuchte, sich hinter ihren Haaren zu verstecken. Immerhin hatte sie ihre Sprache zurückerlangt.
      „Wie ein Pferd?“, lachte Tjelvar und schien das ganz eher gelassen aufzunehmen, „Das sagt man mir zum ersten Mal.“
      “Kaum zu glauben, dass wir dir ein erstes Mal bescheren können”, schmunzelte ich. Mittlerweile versank Lina emotional im Holzboden des Hauses, verschluckte einige Worte und versuchte bei Markus eine Reaktion zu fordern. Er hingegen genoss die Situation, schien zumindest so etwas gewohnt zu sein. Leicht beugte er sich zu mir und flüsterte, kaum hörbar in mein Ohr: “Oh ja, dem kann nur zustimmen.” Mir huschte schmeichelnd ein Grinsen über die Lippen, gab mir jedoch Mühe, die Bilder im Kopf zurück in die Kiste zu schieben, in der sie verstaut waren.
      „Ich muss mich für meine Freundin entschuldigen, die ist nicht immer so“, sprach Lina an Tjelvar gewandt.
      „Ist doch okay“, grinste er und blickte ihr dabei bewusst in die Augen. Sie hielt diesem stand, doch ich spürte die Nervosität und Anspannung in ihr.
      “Ihr seid also Pferdemenschen, arbeitet ihr dann in Kalmar auf dem Hof?”, fragte er höflich und versuchte damit ein Gespräch aufzubauen.
      “Nein, wird dort zwar des Öfteren mal, aber auf dem großen Trabergestüt”, antwortete sie langsam, schien die Worte im Kopf noch sortieren zu müssen, um einen sinnigen Satz zu erzeugen, “In Revsudden.”
      “Lindö”, korrigierte ich, “aber ja, Kalmar ist groß und hat mehr als einen Hof.”
      “Ja? Ich blicke da immer nicht ganz durch bei dem, was Silja immer erzählt”, gestand er seine Unwissenheit ein.
      “Mir geht es da meistens genauso. Ich bin immer froh, dass ich mitgenommen werde, sonst würde ich wohl niemals zum richtigen Hof finden”, stimmte Lina ihm zu.
      “Reitest du denn auch oder”, bevor ich den restlichen Teil zu Ende sprechen durfte, drückte Markus seine Finger, um meinen Oberschenkel und begann langsam nach oben zu wandern. Deutlich schluckte ich.
      “Nein, dieses Hobby liegt anderen Familienmitgliedern näher”, entgegnete er, ”Ich bevorzuge es aktiver.”
      “Du gehörst doch nicht etwa zu denjenigen, die behaupten, dass wir nur auf dem Pferd sitzen und nicht tun?”, hakte Lina sogleich nach, “Wenn doch.”
      “Nein, nein, ich sehe schon, dass dem so ist”, fiel er ihr ins Wort und ließ seinen Blick langsam über ihren Körper wandern. Ein Ausdruck des Schmeichelns trat auf ihr Gesicht, zusammen mit einem zarten Rosa. Lina nahm einen Schluck aus ihrem Glas, bevor sie ihn fragte: “Was sind denn deine ‘aktivieren’ Hobbys?”
      “Ich trainiere viel, gehe joggen, das bring einen guten Ausgleich zu meinem Arbeitsalltag.” Ein spitzbübisches schmunzelt, trat auf seine Lippen, was verriet, dass es definitiv noch mehr in der Reihe gab. Zunehmend wurde es spannender, dem Gespräch zu folgen. Samu wäre sicher stolz, dass sie sich mit Fremden in ein solches verwickelt. Alle weiteren Umstände würde ich ausklammern, aber sah ich als bereichernd an.
      “Arbeitsalltag”, wiederholte ich seine Worte leise, dass kaum einer hätte verstehen können, “worin arbeitest du denn?”
      Als würde Tjelvar eine Gefahr für Markus bedeuten, wurde dieser deutlicher mit seiner Handbewegung. Unter dem Kleid kämpfte er zur Unterwäsche voran, um für andere uneinsehbar den Stoff herunterzuziehen und sich den Weg freizumachen. Das ohnehin präsente Kribbeln bildete erste Detonationen im Körper aus. Nur durch konzentrierte Atmung war es mir möglich, unbemerkt der Umstände zu bleiben.
      “Ich mache Marketingmanagement in der Musikbranche. Ziemlich viel Bürokram und so”, beantwortete Tjelvar meine Frage und führte diese ein wenig aus. Lina hing förmlich an seinen Lippen und schien mit jeder verstreichenden Minute entspannter zu werden. Nur für mich setzte sich eine emotionale Achterbahn fort. Zunehmend wurde es schwieriger mir nichts anmerken zu lassen, wie gezielt Markus mit seiner Hand umgehen konnte. Atemzüge wurde schwerer, die Kehle trocken und das Zucken intensiver denn je.
      „Können wir uns eine ruhige Ecke suchen?“, säuselte ich ihm leise ins Ohr, doch er grinste nur frech.
      „Könnten wir, aber ich finde das Gespräch sehr interessant“, sprach er ruhig. Die freie Hand legte Markus an meinen Hals, um den Kopf zu sich zu drehen und mich zu küssen. In sinnesbetäubenden Ekstasen bewegten sich unsere Lippen aufeinander, bis ich Druck nicht mehr standhalten konnte und intensives Zucken durch meinen Körper zog. Seine Abenteuerlust übertrug sich auf mich und ich übergab ihm die vollständige Kontrolle. Für einen Augenblick blieb die Welt für mich stehen. Erst als er sich vollständig von mir löste, und ich die Beine sofort überschlug, wurde ich mir bewusst, dass einige Blicke auf uns gerichtet waren. Allerdings behielt mir den Gedanken vor, dass es nur dem Kuss geschuldet war. Vollkommen entspannt legte ich meinen Kopf auf seiner breiten Schulter ab und verspürte das Bedürfnis, gleich einzuschlafen.
      „Da braucht man wohl nicht fragen, ob der Spaß vorhanden ist“, vernahm ich Lina, die gedämpft zu Tjelvar sprach und in sich hinein kicherte. Die Lippen des jungen Mannes umzuckte nur ein Schmunzeln und ich bekam die Vorstellung davon, was er sich für den weiteren Verlauf des Abends ausmalte als sein Arm, wie zufällig von der Rückenlehne, auf der er bereits eine Weile ruhte, abwanderte und Körperkontakt aufnahm.
      „Ich kann dich hören“, brummte ich erschöpft und versank noch weiter an meiner menschlichen Lehne, die mittlerweile auch den Arm um mich gelegt hatte. Was auch immer das mit Markus war, etwas in mir hoffte, dass es noch weitergehen würde. Allerdings wusste ich, dass weder ich noch er uns die Zeit nehmen konnten, einander zu sehen. Er war nur zum Besuch hier, bis morgen.
      Stunden vergingen und ein Teil Gäste lösten sich in Luft auf. Die verbliebenen hatten sich ebenfalls im Inneren niedergelassen. Mittlerweile war ich mehrfach eingeschlafen, nur aufgewacht, als Markus jemanden verabschiedete und laut begann zu lachen in der Unterhaltung. Lina lag noch immer in Tjelvars Arm, lauschte seinen Worten voller Begeisterung. Ich wurde erst richtig wach, als immer Leute sich zu uns setzten und damit der Geräuschpegel höher. Langsam öffnete ich die Augen, was nur für einen kurzen Augenblick unbemerkt blieb.
      „Oh, Vriska ist wach“, sagte Markus liebevoll und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Ich angelte mich aus der niedrigen Position nach oben, bemerkte erst jetzt, dass mein Slip noch immer auf Kniehöhe hing. Schnell zog ich ihn hoch.
      „Sehr schade“, kommentierte er leise und schielte erst zu meinen Beinen, dann in mein Gesicht.
      „Du hättest mich in der brenzlichen Lage unterstützen können“, darf ich ihm direkt vor, was Markus einzig mit einem Lächeln kommentieren.
      „Möchtest du etwas zum Trinken?“, bot er direkt an, als ich wie jeder andere saß. Ich nickte und er reichte mir ein Glas Wein. Obwohl ich geneigt war, abzulehnen, nahm ich einen kräftigen Schluck, der bitter die Kehle herunterfloss. Seine Hand fuhr langsam über meinen Rücken.
      „Was ist dein Plan?“, fragte ich nach einem weiteren Schluck, wissend, dass Markus durch jene zarte Berührung mehr herauskitzeln wollte. Dafür war mir dieses Verhalten zu bekannt, als dass ich die Zeichen nicht deuten könnte.
      „Lass uns die ruhige Ecke aufsuchen“, schmunzelte er selbstbewusst und stand auf, „ich habe eine Überraschung.“
      Neugierig und willig folgte ich so gleich, informierte nur Lina, dass ich gleich wieder da wäre. Mit deutlicher Abwesenheit nahm sie es in Kenntnis und antwortete Tjelvars Kumpel, der eine Geschichte aus dem Arbeitsalltag erzählte.
      „Überraschung?“, hakte ich voller Spannung nach, ohne mich von seiner Hand zu lösen.
      „Es ist so“, Markus seufzte kurz, „bitte, rege dich nicht auf.“ Er öffnete die Tür zu einem Zimmer, in dem eine sportliche, junge Dame saß, kaum älter als ich und leicht bekleidet. Grundsätzlich sahen wir einander ähnlich, zumindest was Körpergröße betrifft und Stil. Die dunklen Haare lagen offen über ihren Schultern und sie lächelte mich höflich an. Dann stand sie auf, um näherzukommen.
      „Das ist Caroline, meine Freundin.“
      Zum wievielten Mal mir an dem Tag die Gesichtszüge entglitten, hatte ich aufgegeben zu zählen oder zu hinterfragen, ob nur ich von einem Fettnäpfchen ins nächste sprang.
      „Keine Sorge kleines, es ist alles so wie es sein soll“, versucht mich besagte Caroline zu beruhigen, „ich wusste von euch und auch allen anderen, die er hatte.“
      Ich verstand die Welt nicht mehr, hörte jedoch zu, denn meine Beine schienen wie betoniert im Boden.
      „Wir haben etwas vor“, langsam schielte Markus zu seiner Freundin, die den BH öffnete, „wäre das etwas für dich?“
      Hilfesuchend sah ich ihn an, wusste auch nicht genau, was ich davon halten sollte. Stattdessen zog ich das Kleid über meinen Kopf, womit das Thema wohl geklärt war. Caro, wie ich sie nennen durfte, kam näher und strich mir zart mit den Fingern am Schlüsselbein entlang. Ich musterte ihren bebenden Körper, um zu begreifen, wie es weitergehen würde. In meinem Kopf wirkte es so, als hätte ich Stunden auf dem Holz gestanden, doch es handelte sich um wenige Sekunden, bis sich unsere Lippen berührten. Zugegeben, ich hatte oft mit dem Gedanken gespielt und auch mich mit Jenni probiert, ob es etwas für uns wäre, stand dem allerdings verschlossen gegenüber. Mit dem Anstoß durch Markus – und vermutlich Ereignis der letzten Nacht – war das Abenteuer in mir geweckt. Eine ganze Weile sah er dem Treiben nur zu, die Hand an sich selbst angelegt und vollkommen faszinierend von der Situation. Caro übernahm den größten Teil der Verwöhnung, verlangte nur wenig von mir. Allerdings wusste ich so gut wie Markus, wie der weibliche Körper funktionierte und konnte innerhalb kürzester Zeit auch Caro auf andere Gedanken bringen. In dem Moment kam er dazu. Für ihn gab es zunächst nur seine Freundin, die er mit kräftigen Bewegungen belohnte. Im vollkommenen Rausch wusste ich nicht mehr, was noch geschah, spürte allerdings, dass ich Markus lieber in meinem Leben haben wollte, als jemand anderen. Zumindest fühlte ich das eine ganze Weile.
      „Willst du?“, fragte er mit einem Grinsen auf den Lippen und drückte mich hinunter. Bevor ich ernsthaft hätte Einspruch erheben können, schluckte ich. Erleichtert massierte er meinen Kopf, den ich an sein Becken gelehnt hatte. Ich hörte wie das Blut durch seine Adern rauschte. Er legte den Kopf in den Nacken, hatte kräftig ein und aus, um ruhiger zu atmen. Caro lag erschöpft in der Decke eingerollt, schien bereits eingeschlafen zu sein.
      Markus zog mich langsam zu sich hoch.
      „Du bist das Beste, was mir passieren konnte“, flüsterte er mir ins Ohr und half mir, aufzustehen. Als wäre nichts geschehen, wünschte er seiner Freundin eine gute Nacht und wir liefen, wieder bekleidet hinaus.
      „Das sagst du nur so“, seufzte ich. Die kurze Euphorie war vergangen und zu Teilen fühlte ich mich benutzte, aber ebenso losgelassen.
      „Nein, ich meine es so“, wendete er den Blick ab. An der Galerie blieben wir stehen, sahen hinab zu den anderen. Keiner bemerkte uns, zu sehr waren sie auf ihr Spiel konzentriert.
      „Es läuft nicht mehr gut. Caro ist“, wieder atmete er hörbar ein, „schwierig und eigensinnig. Ich tue alles für sie – auch das – aber vermutlich wird sie mir morgen wieder vorhalten, wie undankbar ich sei.“
      „Okay, und was habe ich damit zu tun?“, versuchte ich mich zu distanzieren, was mir angesichts der Situation schwerfiel.
      „Vriska. Ich finde dich erfrischend und überlege, für einige Zeit bei Vater zu bleiben“, in seinen Worten schwang ein Hauch Traurigkeit mit.
      „Ich werde kein Spielzeug für dich sein, das du nehmen kannst, wenn sonst keins gut genug ist“, nahm der Ärger in meiner Stimme zu.
      „Das möchte ich nicht“, zuckte ein Lächeln über seine Lippen, „ich möchte zwar Spaß, aber auch, dir zur Seite stehen, wenn es schwierig ist.“
      Damit überschritt er eine Grenze, dass jene Worte ausgesprochen, die ich vor Stunden noch für unrealistisch hielt.
      „Markus, so funktioniert das nicht. Wir kennen uns nur ein paar Stunden und es fühlt sich plötzlich so an, als würdest du mich heiraten wollen“, begann ich mich zu erklären, aber er bremste mich aus, in dem er mich an sich heranzog, an der Hüfte.
      „Hilfe, alles nur das nicht“, ehrlich lachte Markus, „ich meine, eine fantastische Zeit haben, wie du und deine Freundin.“
      „Aber ich schlafe nicht mit ihr“, sprach ich, die Stirn runzelnd.
      „Was? Nicht? Das wundert mich.“
      „Wie kommst du darauf?“ Mit einem unehrlichen Lachen überspielte ich meine Unsicherheit.
      „Du schaust sie manchmal an, wie mich, deswegen kam mir auch die Idee, aber wenn es so ist“, er schien zu überlegen, aber kam zu keinem Entschluss.
      „Wollen wir zurück?“
      Dem stimmte er zu. Hand in Hand liefen wir zur Truppe zurück, die ein Kartenspiel zusammenspielten. Mein Handy vibrierte, überraschender Weise. Als ich es herauszog, stellte ich allerdings fest, dass es bereits halb fünf war. Basti hatte mir tatsächlich geschrieben.
      „Dich in Sorge versetzen wollte ich nicht. Unabhängig von dir hatte ich Streit mit Nelly, was mir viel Energie kostete und Schmerz. Ich hoffe, du hattest einen schönen Abend. Guten Start in Tag.“
      Mit einem warmen Gefühl ums Herz steckte ich das Gerät zurück und setzte mich auf Markus‘ Schoß. Er legte die Hände übereinander auf meinen Beinen, drückte mich dabei leicht an sich heran. Der warme Atem kitzelte am Nacken.
      „Da seid ihr ja wieder“, nahm Lina Notiz von uns, ein Grinsen auf den Lippen. Für die Tatsache, dass sie in der Regel sehr viel Wert auf ihren Nachtschlaf legte, wirkte sie erstaunlich wach, was ich allerdings mehr auf das ungewohnte Umfeld und die sie umgebenden Menschen schob.
      “Tjelvar, wie ist das eigentlich – hast du noch die kleine Hütte in Drag?”, fragte Markus so gleich nach. Verwundert sah ich zwischen den beiden Herren hin und her. Drag war ein kleiner Vorort von Lindö, wenn man mit dem Auto zum Festland wollte, musste man der einzigen Straße dort entlang. Dass Linas neue Bekanntschaft offenbar dort ein Wochenendgebäude besaß, konnte nur Schicksal sein.
      “Ja, aber der Strom fällt in letzter Zeit dort aus, deswegen waren wir ewig nicht da”, erklärte dieser, kurz schielte er zu mir und fügte dann hinzu: “wollt ihr etwa Pärchenurlaub machen? Dann ist also Caro wieder auf dem Markt?”
      Spitz lächelte er und der Freund neben ihm rieb sich die Finger.
      “Tut mir leid, aber auf deine Freundin war immer scharf”, gab dieser zu verstehen.
      “Ganz ruhig mit den jungen Pferden, noch sind wir zusammen”, bei den Worten begann Markus meinen Hals zu liebkosen. Es wirkte beinah so, als wolle er mir gegenüber sicherstellen, dass alles gut sei und den anderen, dass es sich nur noch um eine kurze Zeit handeln würde. Jedoch wusste ich mittlerweile, dass sie eine offene Beziehung führten. Die zarten Berührungen seiner weichen Lippen versetzte mich erneut in einen Rauschzustand. Meinen Kopf legte ich ins Genick, um mich noch tiefer in seinen Armen wiederzufinden.
      “Du kannst nie genug bekommen, stimmt das?”, raunte er, mit süßen Worten der Verführung, mir ins Ohr, als wäre er bereit für eine weitere Runde.
      “Wie lustig, das ist ja fast bei uns um die Ecke”, sprach Lina ein wenig zusammenhanglos. Offenbar war sie doch nicht mehr so fit, wie sie schien, solange, wies sie für die Einordnung brauchte.
      “Darum geht es”, mischte Markus im Gespräch wieder mit und ermöglichte mir, kräftig durchzuatmen. Obwohl meine Lider schwer hingen, versuchte ich besten Gewissens den Beteiligten zu folgen. Er hielt nur wenig davon, mir meinen Augenblick des Friedens zu lassen. Eine seiner Hände strich sanft über die aufgestellten Härchen meiner Oberschenkel. Das Kribbeln löste erneute Hitzewellen aus.
      “Erzähl mehr, was hast du vor?”, hakte Lina nach. Natürlich hatte er mit solch undefinierten Worten ihre Neugierde getriggert.
      “Ich möchte nicht ewig bei Vater bleiben”, sprach er laut, um deutlich leiser mir zuzuflüstern: “Schließlich verzichte nur ungern auf dich”, und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Aufmerksame Zuhörer sollten es jedoch mitbekommen haben.
      “Und Feiern kann man dort super, denn die Nachbarn sind etwa fast tot oder nie da”, fügte der blonde Herr hinzu.
      “Das verstehe ich gut. Mein Vater wäre für mich absolut keine Option”, lächelte die Kleine schief.
      „Eigentlich wohne ich bei meinen Großeltern, jedoch sind die meisten Klienten hier im Småland, deswegen habe ich länger darüber nachgedacht“, erzählte er und stoppte plötzlich. Seinen Blick richtete Markus hoch zur Galerie. Caro stand dort, lediglich mit einem Hemd bekleidet.
      „Schätzchen, soll ich hochkommen?“, scherzte Sven, der blonde Typ neben Tjelvar, mit lüsternem Blick.
      „Zisch ab“, fauchte sie augenrollend, „ich hätte gern, wen mit ausreichend Ausstattung bei mir.“
      Damit konnte sie nur Markus meinen, der bereits mich bat, aufzustehen. Er richtete sich.
      „Ich denke, es ist schon spät“, sprach er zu den verbliebenen.
      „Plötzlich ist es also zu spät“, provozierte Sven.
      „Jetzt lass es gut sein“, nahm sich Tjelvar dem Problem an und maßregelte ihn.
      „Und wie sollen wir nach Hause kommen?“, hakte ich skeptisch nach, denn noch vor Stunden wollte er uns fahren.
      „Ich rufe unseren Fahrer an, der macht das“, erklärte er. Kurz tippte er auf dem Handy und schon war die Situation in wenigen Worten geklärt.
      „Es tut mir leid“, flüsterte Markus mir noch zu, bevor zu seiner Freundin verschwand. Wie ein Hund an der Straße sah ich ihm nach und senkte deprimiert den Kopf.
      “Ich hoffe man begegnet sich eines Tages noch einmal”, wand Lina die funkelnden blauen Augen ein letztes Mal zu ihrer Bekanntschaft und für eine Sekunde glaubte ich etwas darin zu sehen, was sonst nur Niklas vorbehalten war. Die Worte, die Tjelvar ihr daraufhin zuflüsterte, waren zu undeutlich, um sie zu verstehen, doch als sie sich schließlich aus seinem Arm löste, lag ein zartes Lächeln auf ihren Lippen.
      “Na, komm lass uns nach Hause gehen”, ergriff sie meine Hand und zog mich sanft in Richtung der Haustür, als ich keine Anstalten machte ihr zu folgen.
      In mich gekehrt, entfloh mir ein Seufzen. Kaum standen wir auf dem Gehweg, auf den Fahrer wartend, zündete ich mir eine Zigarette an. Das warme Kratzen beim Ein- und Ausatmen brachte den hektischen Herzschlag in angenehmere Frequenzen.
      “Ich habe mit seiner Freundin rumgemacht”, sprudelte es im nächsten Augenblick heraus, aber ich fühlte es ihr schuldig. Vielleicht war es das, wovon Markus gesprochen hatte.
      “Das habt ihr also so lange gemacht”, schmunzelte sie. Wie eine Katze wurde sie von einer Motte abgelenkt, die im anbrechenden Tageslicht durch die Luft taumelte. Ähnlich wie der Falter verlagerte sie ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen, summte dabei eine leise Melodie.
      “Vriska, darf ich dich etwas … persönliches fragen?”, kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, setzte sie die wunderliche Melodie fort.
      “Klar, warum solltest du das nicht dürfen?”, stellte ich verwundert fest und aschte ab.
      “Wie ist das mit einer Frau zu schlafen, fühlt es sich sehr anders an?”, sprach sie die Worte fast beiläufig, als spräche sie den ganzen Tag über nichts anders.
      “Ach ja, das entnimmst du direkt dieser Information? Verstehe”, sprach ich provokant, aber keineswegs verärgert.
      “Ja, Nein. Ich dachte viel mehr … Du wirkst auf mich, als hättest du schon viel ausprobiert”, erklärte sie das, was ihr durch den Kopf ging, blickte mich dabei nun direkt an.
      “Mag sein, kann ich schlecht beurteilen. Aber für Geld gibt man sich den unterschiedlichen Dingen hin”, seufzte ich und trat die Zigarette aus. Wo blieb nur der Fahrer?
      “Es war eine Erfahrung, sagen wir es so und Ahnung von, dem, was sie tat, hatte sie auf jeden Fall. Jedoch gefiel mehr, dass Markus … sagen wir, seinen Spaß an dem Anblick hatte”, teilte ich mit ihr mein Empfinden.
      “Interessant”, nickte sie nachdenklich, schien den ersten Part meiner Antwort allerdings bewusst zu übergehen.
      “Ich meine, wenn es dich interessiert”, damit sprach wohl der letzte Hauch Alkohol aus mir, “Markus ist davon ausgegangen, dass wir etwas miteinander haben.”
      “Ja, denkt er das?”, schmunzelte sie. Ein abenteuerlustiges Funkeln lag in ihren Augen, als sie diese auf mich heftete.
      “Durchaus. Er sagte, ich schaue dich immer so … keine Ahnung, wie ich sagen soll, an”, zuckte ich mit den Schultern, wenig involviert in dem Gespräch.
      „Da muss er dich aber intensiv beobachtet haben, wenn er das innerhalb einiger Stunden erkennt“, lachte sie leise.
      “Aber mit dem jetzt mal bei Seite. Der heiße Kerl bei dir”, sprach ich ohne eine wirkliche Frage zu stellen oder Satz herauszuarbeiten.
      „Ganz ehrlich? Tjelvar hätte ich gerne in seine einsame Hütte begleitet“, schielte sie leicht zum Haus hinüber,„Naja, du weißt schon, wenn da nicht Niklas wäre.“
      „Weißt du, allein, dass du diesen Willen empfindest, zeigt auf, dass das in dem Rahmen nicht mehr funktioniert“, seufzte ich, wieder nach dem Wagen gucken. Langsam fehlte mir die Geduld. Während ich überlegte, über Niklas Ausrutscher zu erzählen, tippte ich Markus eine Nachricht, der allerdings nicht reagierte. Dabei fiel mein Blick auf Bastis Nachricht. Zumindest war er wach. Sollte ich ihn fragen? Eine Weile hing ich über dem Chat und bemerkte, dass die beiden Männer waren auch noch nicht an uns vorbei. Irgendwer sollte doch in der Lage sein, uns von hier weg zu bringen.
      „Quatsch, das ist doch nur … Luft und Fantasie“, wehrte sie meine Worte ab.
      „Dein Freund denkt anders über Luft und Fantasie“, gab ich kleinlaut zu verstehen. Mein Daumen hing noch immer über der Tastatur am Handy. Ich wollte Basti vergessen, aber Freunde würde man doch an einem Montag nach Hause fahren nach dem Feiern, oder nicht? Mich rief man häufig an und ich war für jeden Spaß zu haben.
      „Was willst du damit sagen?“, hakte sie nun etwas misstrauisch nach.
      „Ich sollte nichts sagen, aber“, mir fiel es nun doch schwerer als ich es in meinem Kopf klang und ich brauchte einige Anläufe, bis mir letztlich der ganze Satz über die Lippen huschte. „Er hatte etwas mit einem Typen. Wie weit es genau ging, weiß ich nicht, aber es wurde intim und so wie mit einigen Damen bei sich am Hof spricht. Keine Ahnung. Das fing mit seinem plötzlichen Drama mir gegenüber an.“ Lina fiel buchstäblich alles aus dem Gesicht und sie starrte mich wie zu Stein erstarrt an. Mit solch einer Offenbarung hatte sie definitiv nicht gerechnet.
      „Ganz ehrlich, ich habe nichts anderes erwartet – gut, dass er sich nun bei Männern umsieht, erscheint mir neu – aber ihm geht es schon eine ganze Weile nicht gut. Ich weiss, mit dir spricht er nicht darüber. Es ist ihm sehr unangenehm“, sprach ich frei heraus. Die aktuelle Situation schätzte ich als die einzige ein, in der ich hätte es ihr erzählen können.
      „Ich schreibe Basti“, sagte ich aus heiterem Himmel und antwortete zunächst auf seine Nachricht, um dann noch hinzufügen: „Sebastian, es ist wichtig.“ Ohne überhaupt mein Anliegen mit anzugeben, aber ich hatte ihn noch nie mit seinem kompletten Namen angesprochen.
      „Mir egal. Ich will nur noch nach Hause“, murmelte sie verschlossen. Damit traf sie deutlich meinen Wundenpunkt. Meine, durch Müdigkeit eingetretene, Teilnahmslosigkeit wandelte sich in tiefe Bosheit.
      „Na, wenn es dir so egal ist, kannst du deinen Musiker fragen“, zischte ich, denn aus dem Eingang kam er zusammen mit Sven heraus, die uns bereits bemerkten.
      In meiner Hand vibrierte es.
      „Okay, Harley, Wann und Wo soll ich dich abholen?“, konnte er auf den Kontext schließen. Gott, intelligente Menschen sind so attraktiv!
      Ich tippte ihm die genaue Adresse und beschrieb die Uhrzeit als, so schnell es geht. Er würde gleich losfahren, antwortete er.
      „Ist das dein Ernst jetzt?“, ihre Stimme klang piepsig und zitterte deutlich.
      „Natürlich, wenn es so egal ist, brauchst du nicht den Luxus genießen, bei ihm mitzufahren. Außerdem ist dein neuer Freund fast hier“, schielte ich über ihre Schulter hinweg zu Tjelvar. Mit einer Hand fuhr er sich durchs Haar und grinste mich schief an. Sven war weniger gut auf den Beinen unterwegs, schwang von einer Seite zur anderen. Ein Zittern ergriff ihren Körper und sie schnappte hysterisch nach Luft. Enttäuschung, Bestürzung, Panik – all das zeichneten sich auf ihrem Gesicht ab, als sie sich von mir und den beiden Männern wegdrehte.
      „Ihr seid ja immer noch da, alles in Ordnung bei euch Mädels?“, fragte Tjelvar freundlich nach.
      „Der Fahrer kommt nicht, aber ich habe einen Fahrdienst organisiert“, erklärte ich, ohne Linas Zustand zu beleuchten. Er nicke, als Zeichen, dass er mich vernommen hatte.
      “Lina?”, sprach er die Kleine an, die noch immer mit dem Rücken zu uns stand und berührte sie sachte an der Schulte. Nur sehr zögerlich wandte sie sich ihm zu, Tränen in den Augen, was sie hinter den langen Haaren zu verbergen suchte.
      “Was ist denn los?”, hakte der junge Mann nach und versuchte den Blickkontakt zu ihr herzustellen.
      “Kümmere dich nicht um mich”, wies sie ihn ab und wich seinem Blick aus.
      “Hat es mit heute Abend zu tun, war jemand … war ich zu aufdringlich?”, blieb er hartnäckig und kramte ein altmodisches Stofftaschentuch aus seinem Mantel und reichte es ihr. Sie schüttelte stumm den Kopf, schniefte in das Tuch hinein.
      “Tjelvar, hör auf”, wisperte sie, als er erneut nachhaken wollte. Ein Scheppern ertönte, als die Mülltonne umfiel, auf der Sven sich abgestützt hatte, der daraufhin bedrohlich schwankte. Kurz blickte Tjelvar zu seinem Kumpel und seufzte: “Ich fürchte, ich sollte ihn nach Hause bringen, bevor er noch weiter randaliert. Kommt ihr zwei alleine klar?” Zärtlich strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht, suchte erneut Linas Blick. Für einen winzigen Moment blickte sie auf, die Tränen rannen noch immer über ihre Wangen, doch sie nickte.
      “Okay”, nickte er ebenfalls und begann etwas in seinen Manteltaschen zu suchen. Hervor zog er einen Stift und einen zerknitterten Kassenbon, wo er etwas hinauf kritzelte.
      “Hier, falls du mich brauchst”, legte Tjelvar ihr den Zettel in die Hand und schloss ihre Finger darum, “Ich bin jederzeit erreichbar.” Lina nuschelte etwas Unverständliches, dann wanden sie sich einander ab.
      “Kommt gut nach Hause, ihr zwei”, lächelte er freundlich zum Abschied auch an mich gewandt, bevor er aufräumte, was sein Kumpel verursachte. Wenn ich diesen nur nicht, also einen geistig weniger betuchten, kennengelernt hätte, wäre er eigentlich ganz niedlich.
      Ein unerträgliches Schweigen trat ein, nur leise vernahm ich das Schluchzen. Mir fehlten die Worte, wusste genau, dass ich es mir auf die Fahne zu schreiben hatte, allerdings wurde es Zeit. Zu lang trug ich die Informationen geschützt. Ihre kleine Schwärmerei für Mateo weckte erste Überlegungen, wie ich es umsetzen werden würde.
      Die Kurve entlang kam ein in die Jahre gekommener weißer VW Bus. An allen möglichen Stellen platzte der Lack ab und brüchiger Rost entblößte sich. Bedrohlich langsam fuhr er an uns heran und hielt. In der Morgendämmerung würde wohl nur einer durch diese Gegend fahren. Basti beugte sich hinüber, um die Beifahrertür zu öffnen. Kräftig zog ich an der Tür.
      “Danke, dass du gekommen bist”, schmunzelte ich und stieg ein. Nur zögerlich folgte Lina in das verrauchte Auto. Von Innen wirkte es noch mehr danach, als würde es jeden Augenblick auseinander fallen.
      “Wie siehst du eigentlich aus?”, musterte Basti. Mit rollenden Augen schüttelte er Kopf, ließ sich jedoch nicht nehmen, einen weiteren ausschweifenden Blick über meinen Körper zu werfen.
      “Ich war auf einer Feier, was denkst du, was man dort trägt?”
      Während ich meine Frage stellte, startete er den stotternden Motor, der im Rhythmus aufdröhnte und grunzte. Ob wir wirklich ankommen würde, wurde zunehmend fragwürdig.
      “Unrecht hast du nicht”, erkannt er an und versuchte Lina ebenfalls in ein Gespräch zu verwickeln, “und du? Freust dich schon auf’s Schlafen?”
      „Ja“, murmelte sie monoton, „dass dieser Tag endlich ein Ende hat.“
      “Ich beeile mich”, beschwichtigen Basti.
      Tatsächlich kamen wir gut durch. Nach einer knappen viertel Stunden fuhr er die Einfahrt entlang und hielt vor den Hütten.
      “Dann ruht euch aus. Du bist dann wohl erst wieder in Kalmar?”, hakte er nach. Lina kletterte bereits aus dem Fahrzeug.
      “Schätzungsweise, ja, aber wir reden später. Mein Kopf ist woanders”, seufzte ich und folgte ihr.
      “Warte”, rief er mir nach. Beinah sehnsüchtig drehte ich mich um, warf die Haare über meine Schulter und blieb stehen. “Wo ist denn dein Kopf?”


      © Mohikanerin, Wolfszeit // 61.815 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte April 2021}
    • Wolfszeit
      Herausforderung / Fahren A zu L | 30. Juni 2023

      Enigma LDS / Divine / Jokarie / Leave Me Alone

      Die Sonne glitzerte über den weiten Reitplatz in Schweden, als ich meine Arbeit für eine Gruppe von Pferden im Beritt begann. In meinen Händen hielt ich den sorgfältig ausgearbeiteten Trainingsplan, der die nächsten 8 Wochen im Detail beschrieb. Mein Ziel war es, diese Pferde weiterzuentwickeln und sie für das anspruchsvolle L-Niveau im Fahren vorzubereiten.
      Als ich den ersten Tag begann, fühlte ich eine Mischung aus Aufregung und Respekt. Die meisten dieser Pferde waren mir noch unbekannt, und ich hatte nur wenig Zeit, um eine Verbindung zu ihnen aufzubauen. Der erste Kandidat war ein kräftiger weißer Hengst namens Ivy. Er hatte bereits eine solide Basis in den Grundlagen des Fahrens, aber ich wollte ihn weiter verfeinern und seine Stärken optimal nutzen.
      ""Wie geht es dir heute?"", fragte ich sanft und strich ihm über den Hals. Er schnaubte zustimmend und schien meine Worte zu verstehen. Die Verbindung schien von Anfang an da zu sein. Wir begannen mit einfachen Übungen, um uns besser kennenzulernen und das Vertrauen zu stärken. Ivy zeigte eine beeindruckende Seitwärtsbewegung, seine Hinterbeine traten schwungvoll unter den Körper, als ob er die Luft mit Energie aufladen würde.
      Im Laufe der nächsten Wochen arbeiteten wir hart an den einzelnen Lektionen und Bahnfiguren. Die Pferde zeigten einen bemerkenswerten Fortschritt, aber es gab auch Momente der Frustration und Herausforderung. Die junge Stute Enigma hatte eine Vorliebe dafür, sich in den Übergängen zu verschätzen und geriet oft ins Stolpern. Ich spürte die Sorge und den Druck, aber ich wusste, dass sie das Potenzial hatte, sich zu verbessern.
      ""Du kannst das"", sprach ich ihr ermutigend zu, als wir wieder einmal an einem schwierigen Trab-Galopp-Übergang arbeiteten. Es war ein hartes Stück Arbeit, aber schließlich begann sie, die Übergänge flüssiger und geschmeidiger auszuführen. Die Freude und der Stolz in meinem Herzen waren kaum zu beschreiben.
      Während der Trainingseinheiten konnte ich die Persönlichkeiten und Eigenheiten jedes einzelnen Pferdes immer besser kennenlernen. Der hektische Fuchs Leave war ein wahrer Streber, der jede Aufgabe mit Leistung und Präzision erledigte. Die temperamentvolle Karie verlangte nach klaren Anweisungen und war bereit, ihr Bestes zu geben, wenn sie wusste, was von ihr erwartet wurde.
      Die letzten Wochen des Trainings waren intensiv, aber auch erfüllend. Die Pferde zeigten eine bemerkenswerte Weiterentwicklung und beherrschten die geforderten Lektionen des L-Niveaus mit Leichtigkeit. Die Prüfungsaufgabe fühlte sich zunehmend vertraut an, und ich konnte spüren, wie sich mein Vertrauen in die Fähigkeiten meiner Schützlinge festigte.
      Als der Tag der Generalprobe für das L-Niveau heranrückte, fühlte ich Stolz und Vorfreude. Die Pferde waren bereit, ihr Können unter Beweis zu stellen, und ich wusste, dass ich alles gegeben hatte, um sie bestmöglich vorzubereiten.
      Der Trainingsplan, den ich sorgfältig entworfen hatte, hatte sich als effektiv erwiesen. Es war ein intensiver, emotionaler und erfüllender Prozess, bei dem ich nicht nur die Pferde weiterentwickelt hatte, sondern auch mich selbst. Die Bande, die während dieser Zeit entstanden waren, würden noch lange über das Ende des Trainings hinaus bestehen bleiben. Und während ich die Pferde in die Arena führte, war ich bereit, mit ihnen Seite an Seite zu stehen und gemeinsam den nächsten Schritt auf ihrer Reise zu gehen.

      © Mohikanerin // 3410 Zeichen
    • Mohikanerin
      Dressur A zu L
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  • Album:
    LDS - Schweden
    Hochgeladen von:
    Wolfszeit
    Datum:
    24 Dez. 2021
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  • Jokarie

    Rufname: Karie
    geboren 18. März 2007

    Aktueller Standort: Nordiska Berghästen, Lindö [SWE]
    Unterbringung: Offenstall


    __________ s t a m t a v l a

    Aus: Janine du Laves [Freiberger]
    MMM: Joyeuse _____ MM: Jessica _____ MMV: Vulcain
    MVM: Falonne _____ MV: Nocturne des Champs _____ MVV: Nagando


    Von: Lyroi [Freiberger]
    VMM: Valdine _____ VM: Lasange _____ VMV: Las Vegas
    VVM: Flora _____ VV: Libero _____ VVV: Lambado Boy


    __________ h ä s t u p p g i f t e r

    Rasse: Freiberger [FM]
    Freiberger | 12,89 % FB

    Geschlecht: Stute
    Stockmaß: 154 cm
    Farbe: Dunkelfuchs
    [ee aa nW]

    Charakter
    Temperamentvoll, arbeitswillig

    Jokarie wurde 3-jährig vom Züchte gekauft und begleitet ihren Besitzer seitdem durchgängig.

    *Springt wider Erwarten bis S***


    __________ t ä v l i n g s r e s u l t a t
    [​IMG]
    Dressur E [L] – Springen S* [S+] – Military E [M] – Fahren E [l] – Distanz E [A]

    Niveau: International

    Februar 2022
    Training, Springen E zu A

    März 2022
    Training, Springen A zu L

    Juni 2022
    Training, Springen L zu M
    2. Platz, 549. Fahrturnier
    2. Platz, 394. Synchronspringen

    Juli 2022
    2. Platz, 395. Synchronspringen
    3. Platz, 551. Fahrturnier
    2. Platz, 396. Synchronspringen
    2. Platz, 675. Springturnier
    2. Platz, 397. Synchronspringen
    3. Platz, 554. Fahrturnier
    1. Platz, 398. Synchronspringen

    August 2022
    3. Platz, 399. Synchronspringen
    3. Platz, 558. Fahrturnier
    1. Platz, 400. Synchronspringen

    Oktober 2022
    Training, Springen M zu S

    November 2022
    Training, Springen S zu S*

    Februar 2023
    Training, Platzhalter


    März 2023
    Training, Platzhalter

    Mai 2023
    Training, Distanz E zu A


    Juni 2023
    Training, Fahren A zu L

    __________ a v e l

    [​IMG]
    Stand: 01.02.2023


    Jokarie wurde im durch SK 482 zur Zucht zugelassen.

    Zugelassen für: FM [SB B]
    Bedingungen: Keine Inzucht
    Decktaxe: 317 Joellen, [Kein Verleih]

    Fohlenschau: 8/ 6/ 7
    Materialprüfung: 7,53 [1. ZR M3]

    Feldtest: 7,63 [Bestanden]
    Exterieur: 7
    Verhalten Fahren: 8
    Verhalten Reiten: 8

    Körung
    Exterieur: 7,39
    Gesamt: 6,49

    __________ a v k o m m e r

    Jokarie hat 0 Nachkommen.

    NAME v. HENGST [FM] *20xx


    __________ h ä l s a

    Gesamteindruck: Gesund; gut in Training
    Krankheiten: -
    Beschlag: Falzeisen mit Stollenlöchern, Voll


    __________ ö v r i g

    Pfleger: Mateo Aubé
    Reiter: Mateo Aubé
    Trainer: Mateo Aubé
    Eigentümer: Mateo Aubé [100%]
    Züchter: Saignelégier [CHE], M. Frésard
    Ersteller: Mohikanerin

    Jokarie steht aktuell nicht zu Verkauf.

    _____

    Spind – Exterieur – virtuelle Anpaarung

    Jokarie existiert seit dem 24. Dezember 2021