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Wolfszeit

HMJ Divine*[3] /02.24

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HMJ Divine*[3] /02.24
Wolfszeit, 13 Aug. 2023
Rinnaja, Zion, Veija und 2 anderen gefällt das.
    • Wolfszeit
      Ein neuer Freiberger fürs Whitehorse Creek | 24. April 2020
      Aufregung prickelte durch meine Adern wie Brausepulver, welches knisternd Bläschen auf der Zunge schlug. Luchy, unsere Chefin, hatte eine Teamversammlung einberufen, um eine wichtige Ankündigung zu machen. Das Thema war ein offenes Geheimnis, allen war völlig klar, um was es gehen würde. Bereits seit Wochen war bekannt, dass auch dieses Jahr wieder ein Horse Makeover stattfinden würde. Das Konzept dieser Veranstaltung beinhaltete gerettete Pferde innerhalb einer Trainerchallenge aufzupäppeln, die am Ende zu einem guten Zweck versteigert werden sollen. Ausnahmslos alle rätselten seit der Veröffentlichung der Eckdaten, ob das Whitehorse Creek Stud wieder teilnahm und viel wichtiger dabei – Wer würde den Hof vertreten dürfen?
      Im vergangenen Jahr war meinem Kollegen Alec diese Ehre zugekommen. Mit Fanya, einer zu Beginn schüchternen und missmutigen Freibergerstute, hatte er einen guten dritten Platz belegt.
      Wie so häufig war die männliche Fraktion sehr von sich eingenommen und glaubte, dass einem von Ihnen die Aufgabe übergeben werde. Ganz besonders Jace war dieser Überzeugung, denn, seiner Meinung nach, gäbe es keine akzeptable Alternative zu ihm. Ich für meinen Teil hatte mich bislang aus diesen Diskussionen rausgehalten, aber plädierte eher darauf, dass Anu die Rolle bekam. Mit den Vollblütern hatte sie bisher gute Arbeit geleistet und gerade die beiden traumatisierten Hengste Osgiliath und Darly Gone Mad waren alles andere als unkomplizierte Schaukelpferdchen. Eventuell könnte auch Quinn infrage kommen, die in letzter Zeit ziemlich viele Siege mit ihren Schützlingen nach Hause brachte und bei Carusos Ausbildung riesige Fortschritte machte.
      Mit meinem Blick scannte ich den Raum. Den Gesuchten entdeckte ich nicht, dafür aber jemand anderen, der optisch viele Attribute mit ihm teilte und mir ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Alec kam Arm in Arm mit seinem Freund durch die Tür geschlendert und erfüllte den Raum allein mit seiner Präsenz.
      „Na, wie läuft es hier so? Bei deiner Ponybande alles gut?“, sprach er und drückte mich mit seinen muskulösen Armen herzlich an sich. Ich erwiderte die Umarmung ebenso euphorisch und antwortete: „Das übliche Chaos, aber Rici lernt ziemlich schnell, gestern saß ich bereits zum ersten Mal auf seinem Rücken. Gibt es bei euch interessante Neuigkeiten?“ Ich war schon ziemlich stolz auf den jungen Hengst. Bei meinem ersten Ausbildungspferd hätte ich mehr Komplikationen und Missverständnisse erwartet. Ebenso dass ich mehr Fehler machte, aber meine Chefin, die sich wöchentlich die Fortschritte zeigen ließ, hatte kaum etwas zu beanstanden.
      „Das ist schön zu hören“, lächelte der hübsche Mann und berichtete mir von der neuen Stute, die heute ankam. Eine schüchterne Braune aus Holland. Ihr Trainingsstand war wohl nicht ideal, aber ansonsten war sie wohl vielversprechend, besonders ihre Abstammung, die sogar Schwarzgold beinhaltete. Einzig ihr unaussprechlichem Namen war ein Problem, weshalb sie kurzerhand Gräfin getauft wurde.
      Samu, wie immer bester Laune, gesellte sich nun dazu. Der Finne berichte auf Alec Nachfrage hin, von dem Training mit Saturn, bis unsere Chefin die Aufmerksamkeit forderte.
      „Ihr alle ahnt es vermutlich, weshalb wir uns heute mal wieder in vollständiger Runde versammelt haben", begann sie. Ein Stück hinter uns versuchte Jace sich so unauffällig wie möglich den Raum zu schieben – wie so häufig zu spät. Rücksichtlos quetschte er sich zwischen Alec und mich, raunte ihm gedämpft etwas zu: „Habe ich etwas verpasst?“ Alec schüttelte nur mit dem Kopf, ohne seine Aufmerksamkeit von unserer Chefin abzuwenden.
      „Es geht um das Horse Makeover. Nachdem Alec letztes Jahr, bereits recht erfolgreich war, möchte ich, dass der Hof auch dieses Jahr wieder vertreten wird. Das Event funktioniert dieses Jahr allerdings ein wenig anders“, begann sie. Des Weiten erklärte sie, dass vom HJM Team bereits fünfzehn Pferde ausgewählt wurden, die sich allesamt aus den unterschiedlichsten Gründen im Tierschutz befänden. Das Alter der Tiere schwankte dieses Jahr stark, wie auch der Ausbildungszustand und die gesundheitliche Verfassung. Nach der Veröffentlichung der Tiere am Vortag bewarb sich die Hofleitung bereits auf eines der Tiere.
      Luchy drückte auf die Fernbedienung und der Beamer, der im Raum hing, warf das Bild eines Pferdes an die weiße Wand. Das Tier war so mager, dass die Proportionen unharmonisch und vollkommen verzogen wirkten. Kopf und Beine viel zu groß, wohingegen der dünne Hals wirkte, als würde er dem Gewicht des Schädels nicht standhalten. Das Fell, welches einmal weiß gewesen sein mochte, war struppig. Zwischen dem schmutzigen grau schimmerten entzündete Hautstellen hindurch, an denen die Haare gänzlich fehlten. Was mal eine Mähne gewesen sein möchte, bestand nur noch aus wenigen Fusseln und alles wirkte fahl und grau, als sei das gesamte Leben aus dem Tier gewichen. Das Einzig Hoffnungsvolle an ihm, waren die dunklen Augen, die sanft in die Gegend blickten. Aus mir unergründlichen Gründen zog mich seine Erscheinung unheimlich in den Bann und bewegte etwas in mir. Es war traurig, wie man einem Tier so etwas antun konnte.
      „HMJ Divine, so heißt der Hengst, ist ein Freiberger, mutmaßlich reinrassig, doch genau weiß man es nicht. Das HMJ Team beschreibt ihn wie folgt: Divine hat wahrhaftig etwas Göttliches an sich. Obwohl er viel gelitten hat, strahlt er noch immer eine gewisse Zuversicht aus. Jahrelang versuchte er vergeblich den Kontakt zu Menschen zu finden und ist nun etwas ungeschickt, wenn es darum geht, mit solchen zu kommunizieren. Divine würde gerne fürsorglich sein, ist jedoch eher tollpatschig und etwas ungestüm. Der Freiberger, ist typisch für seine Rasse, extrem trittfest und scheint ein gutes Gespür für Entfernung und den Boden zu haben. Etwas Schnelligkeit und Motivation könnten ihm jedoch nicht schaden“, führte Luchy den Vortrag fort. Ein erstaunlicher Zufall, dass es auch dieses Mal wieder ein Freiberger werden sollte, allerdings vom Charakter her eher gegensätzlich zum ersten Tier. Die Menschenbezogenheit könne seine Vorteile mit sich bringen, gerade wenn ich daran dachte, wie viele Schwierigkeiten Alec hatte einen Zugang zu Fanya finden, doch sicher würde nicht alles nur einfach werden.
      Im Weiteren führte Luchy aus, dass er aus einer Beschlagnahmung stammte. Bei einer Kontrolle durch den Veterinär, wurden zu viele Tiere auf kleinem Raum festgestellt, sodass nach mehrfacher Aufforderung den Bestand zu reduzieren, diese Tiere beschlagnahmt wurden. Aufgrund der Menge und fehlender Papiere, konnte bisher nicht jedes der Tiere eindeutig identifiziert werden, so auch Divine. Infolgedessen war unbekannt, ob der Hengst Mensch kannte und auch das Alter konnte nur geschätzt werden.
      Meine Chefin begründete ihre Auswahl mit der positiven Ausstrahlung des Tieres, die es trotz der aussichtslosen Situation zeigte. Sie unterstützte diese Aussage mit einem weiteren Bild. Eine krage Wiese war dort zu sehen – trocken und bereits lange abgegrast. Viele Pferde waren zu sehen, abgemagert, schlecht bemuskelt und selbst einige dürre Fohlen, standen in der Herde. Surreal wirkte der weiße Hengst, der abseits der Herde an einigen letzten verbliebenen Halmen knabberte und augenscheinlich zufrieden wirke.
      Divine solle, so fuhr Luchy fort, nun erst einmal die Pflege bekommen, die er verdiene. Was mit ihm in Zukunft geschehen solle, sein noch offen, aber die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass er in die Auktion gehen werde, da für einen weiteren Hengst kein Platz auf dem Gestüt war.
      „Jetzt heißt es abwarten, ob wir den Hengst aufnehmen dürfen“, endete meine Chefin mit ihrem Vortag, „Für den Fall, dass wir die Zustimmung der Organisatoren erhalten, möchte ich, dass Lina die Verantwortung für ihn übernimmt. In der Reitschule hat sie bereits bewiesen, dass sie das Training der Kinder vollkommen im Griff hat und auch bei der Ausbildung von Aelfric lässt sich Potenzial erkennen.“
      Wow, hatte ich da gerade richtig gehört, ich soll das Training übernehmen? Ich, die mit Rici das erste Pferd in ihrem Leben einritt, soll den Hof bei einer Trainerchallenge vertreten? Ein wenig überfordert blickte ich zu Samu, der mich sogleich umarmte und beglückwünschte.
      „Sieht so aus, als wäre die Zeit gekommen, in der du allen zeigst, was für Fähigkeiten in dir schlummern, Kleines“, raunte er mir zu, bevor er mich wieder freigab. Überfordert mit all der Aufmerksamkeit, ließ ich auch Alecs überschwängliche Umarmung über mich ergehen. Im Raum herrsche aufgeregtes Getuschel und natürlich fielen die ein oder anderen Blick auf mich, was mir ziemlich unangenehm war. Eigentlich bin ich nicht so der Mensch, der die volle Aufmerksamkeit benötigte. Einige meiner Kollegen kamen noch zu mir, beglückwünschte mich und boten mir ihre Hilfe an, falls ich Unterstützung benötigte. Was mich dabei nicht wirklich erstaunte war, dass Jace auch darunter war. So angeberisch wie er manchmal sein mochte, so hilfsbereit war er auch, zumindest mir gegenüber.
      „Du weißt, ich helfe dir immer gerne bei allem, wofür du mich brauchst“, raunte er mir ins Ohr. Sein Atem strich über mein Ohrläppchen, lies einen Schauder meine Wirbelsäule entlang rieseln. Mit einem verwegenen Grinsen auf den Lippen verschwand er aus dem Raum. Leicht erschrocken riss ich die Augen auf und die Temperatur meiner Ohren und Wangen stieg deutlich an. Nein, stopp, sicher meinte er nicht alles, alles!
      „I-i-i-ich gehe dann mal weiterarbeiten“, versuchte ich mich aus der Situation zu verabschieden, bevor noch jemand die Röte in meinem Gesicht bemerken könnte.
      „Lina … es ist halb sieben, was willst du da noch arbeiten?“, fragend sah mein bester Freund mich an und auch Alec schien überrascht.
      „Mad Eye muss noch inhalieren“, schossen die Worte beinahe übereilige aus meinem Mund.„Sicher, dass du nicht vor Jace flüchtest?", gluckste mein bester Freund im vertrauten Klang unserer Muttersprache.
      „Joo!", entgegnet ich bestimmt. Der kleine Ponyhengst, der erst seit ein paar Tage auf dem Hof war, hatte eine fiese Stauballergie und wegen der Versammlung hatte ich es tatsächlich noch nicht geschafft ihn zu versorgen. An Samus grinsen sah ich genau, dass er mir das nicht abnahm, hielt mich aber nicht weiter auf als ich aus dem Raum schlüpfte.
      © Wolfszeit | Lina Valo | 1.566 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte März 2020}
    • Wolfszeit
      Der erste Kontak mit einem Gott | 20. April 2020
      Ziemlich aufgeregt war ich bereits in den frühen Morgenstunden erwacht und wälzte mich seitdem unruhig hin und her, bis mein Wecker endlich verkündete, dass es Zeit zum Aufstehen sei. Voller Energie sprang ich aus dem Bett und machte mich in Windeseile fertig. Beim Frühstück im Essenssaal des kleinen komfortablen Hotels fand nicht viel mehr als einen Saft und ein wenig Müsli den Weg in meinen Magen, zu hoch war der Adrenalinspiegel in meinem Blut.

      Gegen neun holte uns ein Taxi vor dem modernen Gebäude ab. Fasziniert blickte ich durch das klare Glas. Durch ein Gewerbegebiet führten die Straßen schnell aus der Stadt hinaus. Anstatt gigantischen Gebäuden säumten Bäume den Straßenrand, leuchteten in einem kräftigen Grün im Schein der morgendlichen Sonne und erweckten ein Gefühl von Vertrautheit und Fremde zu gleich in meinem Inneren. Wären nicht die Straßenschilder auf einer anderen Sprache, hätte ich glauben können, ich sei in meiner Heimat. Allmählich wurden die Straßen kleiner und schmaler, führten entlang an Wäldern aus Kiefern und Fichten, durchsetzt, von einzelnen Birken und Grundstücken, die mit niedlichen kleinen Natursteinmauern abgegrenzt wurden. Einige Minuten später blitzte das sanfte Blau des Meeres zwischen den Häusern hindurch. Das Herz in meiner Brust schlug Purzelbäume. Seit Ewigkeiten war ich dem Ozean nicht und noch viel weniger der Ostsee so nahegekommen. Staunend wie ein kleines Kind sah ich aus dem Fenster, als sich nach einer halben Stunde das Gestüt vor meinen Augen eröffnete. Natürlich hatte ich im Vorhinein recherchiert, wohin die Reise gehen würde, doch die Realität übertraf jedwede Erwartung. Das Lindö Dalen Stuterie war augenscheinlich gigantisch, modern und war so sauber, als sei es vor wenigen Minuten erst eröffnet worden. Mit knirschenden Reifen hielt das Fahrzeug auf dem kiesbedeckten Vorplatz und ich kletterte hinaus. Tief sog ich die Luft in meine Lunge. Sie roch nach Meer, Algen und ein wenig nach Frühling. Neugierig blickte ich mich um. Die gigantische Glasfassade vor uns, reflektierte das gleißende Sonnenlicht, sodass es in den Augen brannte. Eilig wand ich den Blick ab und entdeckte einige Offenställe. Während Luchy den Mann bezahlte, begann ich bereits unser Gepäck aus dem Kofferraum zu hieven. Gerade mein Koffer schien hunderte Kilos zu wiegen, dabei befand sich doch nahezu nichts darin. Langsam stampfte ich meiner Chefin hinterher, die sich zielsicher in Richtung des großen Gebäudes bewegte, indem sich nach ihrer Auskunft das Büro befinden sollte. Allerdings kam uns bereits nach einigen Schritten ein junger Mann entgegen. Er stellte sich kurz vor, doch sein Name entfiel mir direkt. Ich war noch nie sonderlich gut darin gewesen, mir solche Dinge zu merken. Er sah auf jeden Fall wichtig aus, denn nach einem Blick auf sein Klemmbrett warf, zauberte er einen Schlüssel hervor und zeigte uns den Weg zu dem kleinen Bungalow, in dem wir die nächsten Tage verbringen würden.
      Ungefähr eine Stunde später, in der ich mich bemühen musste, nicht wie eine Irre durch das Zimmer zu tigern, machten wir uns wieder auf dem Weg zum Kernstück, das Gestüt. Im Vordergrund des riesigen Gebäudes, welches ich aufgrund der angeschlossen Paddocks als Stall identifizierte, war eine kleine Bühne aufgebaut. Davor hatte sich, bereits eine kleine Menschentraube aus einer Menge mir unbekannten Menschen gebildet. Einzig den jungen Mann mit dem Cowboyhut glaube ich schon einmal auf eine gesehen zu haben. War es auf einer Zuchtveranstaltung oder doch eher auf einem der Rodeos, die Hazel jedem aufdrängt gewesen?
      Verloren stand ich neben meiner Chefin, warte darauf, dass die Veranstaltung endlich begann. Abermals ließ ich den Blick über die Menschen huschen, bedacht darauf, niemanden direkt in die Augen zu blicken oder gar anzustarren. Die junge Frau, die etwas abwesend am Rand stand, schien etwa in mein Alter zu sein, der Rest hingegen wirkte, um die zehn bis zwanzig Jahre älter. Mit jeder vergehenden Minute begann ich nervös an den Enden meiner Haare herumnesteln. Für mich waren das zu viele Menschen auf einem Haufen, zu viele, die sich eine Meinung bildeten.

      Es vergingen etwa zehn Minuten, bis ein junger Mann mit einem Rollstuhl vor die kleine Bühne rollte. Unzufrieden blickte er die Stufe an, dann das Rednerpult, bis er resigniert vor der Bühne seinen Platz fand. Eilig brachte man ihm ein Mikrofon, welches er mit einem griesgrämigen Ausdruck entgegennahm, bevor er ein freundliches Lächeln aufsetzte.
      „Sehr geehrte Teilnehmer und Teilnehmerinnen, Danke, dass ihr alle euch auf den, teilweise recht weiten, Weg gemacht habt, um eure Pferde willkommen zu heißen!", sprach er. Während er diverse Danksagungen herunter ratterte, wurde meine Aufmerksamkeit von etwas anderem angezogen. Am Ende des Gebäudes entdeckte ich einen Mann mit einem hellen mageren Pferd am Strick, welches neugierig das Geschehen beobachtete. Aus meine Recherchen über das Event, wusste ich bereits, dass es mehrere weiße Pferde gab, doch ich hegte keinen Zweifel daran, dass es der Freiberger sein musste. Schmächtig war er, die Flanken eingefallen, kaum Muskeln am Körper, die Konturen hart und eckig. Die Beine wirkten ungewöhnlich lang und endeten ist viel zu groß aussehenden Hufen, deren Zustand nicht gerade gut aussah. Es war wirklich verwunderlich, dass das Tier damit überhaupt laufen konnte. Der Schädel wirkte ebenso deplatziert auf dem dünnen Hals. Doch, auch in diesem miserablen Zustand, hatte der Hengst ein Funkeln in den Augen.
      „HMJ Divine", schepperten die Worte des Rollstuhlfahrers durch die Lautsprecher und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder dorthin , „geht mit großer Freude an das White Horse Creek Stud, vertreten durch Lina Valo! Das WHC hat bereits in der letzten Runde große Leistung gezeigt und wir vertrauen darauf, dass ihr euch dieses Jahr genauso gut um euren Schützling kümmern werden!" Mit großen Augen beobachtete ich, wie der Hengst vorgeführt wurde. Wie für ein Event dieser Art üblich, war auch ein Journalist dar, der das ganze Spektakel um das einzigartige Event für die Presse festhielt. Mit einer imposanten Kamera in der Hand schwirrte er um die Bühne und das magere Pferd herum, um alles, was dort geschah abzulichten.
      „Na los, hol dir dein Pferd", forderte meine Chefin mich auf und schob mich vor. Was? Ich, wieso? Gezwungenermaßen drückte ich ein Lächeln in meinem Gesicht und trat dem Rollstuhlfahrer entgegen. Er sah mich freundlich an, als ich ihm die Hand schüttelte, bevor ich den Führstrick von HMJ Divine entgegennahm. Immer mehr Signale feuerten meine Synapsen in die Nervenbahnen, lösten diverse Gefühle in mir aus. Obwohl ich just in diesem Moment vor einer Menge Leute stand, wurde aus dem aufgesetzten Lächeln nun ein wirkliches, welches, wie ich erst im Nachhinein erfuhr, die Titelblätter der lokalen Zeitung schmücken sollte. Hätte ich das geahnt, hätte ich mich niemals dort vor getraut.
      Mit wackeligen Knien führte ich den Hengst langsam von den Menschen weg in eine zurückgezogenere Ecke des Hofes, wo ich schließlich etwas wie einen Putzplatz fand. Luchy kam einen Augenblick später und brachte mir den Putzkasten und das Halfter, welches ich bereits im Vorhinein für meinen Schützling ausgewählt hatte. Sie versicherte sich kurz, dass ich allein mit dem Tier klarkam und verschwand wieder zu dem Ort, des Trubels.
      „Du bist also Divine", sprach ich leise mit ihm in meiner Muttersprache und hielt ihm meine Finger vor die geweiteten Nüstern. Seine langen dünnen Tasthaare kitzelten leicht, als er neugierig seine rauen Lippen über meine Haut bewegte. In aller Ruhe ließ ich zu, dass das Pferd mich inspizierte, beschnupperte und abtastete. Er war vorsichtig dabei, als habe er Sorge, ich könne zerbrechen. Zielsicher fand der Hengst schließlich die Jackentasche, in der die Leckerlis steckten und nahm fordernd den Stoff zwischen die Zähne.
      „So geht das doch nicht“, lachte ich und griff hinein, um dem Begehren des Tieres nachzukommen. Behutsam nahm er das Pellet von meiner Handfläche und verschlang es. An Hunger schien es ihm allem Anschein nach nicht zu mangeln.
      Mit leicht zitternden Fingern strich ich über den schmächtigen Hals. Das helle Fell, das ihn bedeckte, war kraus und drahtig, überall waren abgebrochene Haare und entlang des spärlich bewachsenen Mähnenkamms taten sich gar gänzlich haarlose Stellen auf. Offenbar schien er mit einem Ekzem zu kämpfen zu haben.
      Langsam tastete ich mich zu dem Halfter vor, welches um seinen Kopf schlackerte. Eins möchte es gelb gewesen sein, doch nun war es mit getrocknetem Matsch bedeckt und ausgewaschen. An einem der Ringe hing ein Schild mit seinem Namen, welches den Mitarbeitern des Tierschutzes sicher der Identifizierung der Pferde diente.
      Zaghaft streifte ich das ausgediente Equipment über seine kleinen Ohren. Der Hengst wirkte irritiert über das, was ich tat, doch blieb ruhig stehen, bis ich ihm das neue Halfter angelegt hatte. Glücklicherweise passte es, nachdem ich es zwei Löcher weiter gestellt hatte. Ich hatte nicht erwartet, dass sein Kopf derartig groß sein würde, schließlich hatte ich es extra an Nurja, unserer Freibergerstute getestet.
      Wunderschön hob sich das helle Blau vom Fell des Hengstes ab, als wäre es nur für ihn hergestellt worden. Ich sollte das Halfter aufheben, sollte ich es irgendwann nicht mehr verwenden, überlegte ich. Es wäre sicher eine schöne Erinnerung, wenn man später sah, wie der Hengst sich entwickelte. Bevor ich zu sehr in Gedanken versank, wie man Erinnerungen an den Hengst schaffen könnte, stoppe ich mich selbst. So wie es aussah, würde ich den Hengst in einigen Monaten wieder gehen lassen müssen. Daher würde ich wie bei den anderen Pferden auch aufpassen müssen, mich nicht zu sehr an ihn zu binden.
      Behutsam begann ich das struppige Fell mit einer Bürste zu bearbeiten. Staub und Dreckklumpen lösten sich daraus, rieselten auf den steinernen Untergrund und hinterließen in Windeseile einen braun-grauen Film darauf. Neugierig inspizierte der Weiße seine Umgebung mit seiner Schnauze, knabberte am Strick und folgte mir stets mit seinem Blick. So auch als ich mich hinhockte, um seine Beine von der Schlammkruste zu befreien. Sanft strich mir Divines warmer, feuchter Atem über das Gesicht.
      "Na, siehst du dir das alles richtig an?", fragte ich ihn. Seine Ohren drehten sich aufmerksam zu mir, sonst geschah allerdings nicht viel. Mit seinem Kopf ging er so weit, wie es der Strick zuließ, hinunter, schubste mich an, sodass ich aus dem Gleichgewicht geriet. Irritiert zwinkerte das Tier mich an, als verstünde er nicht, weswegen ich nun auf dem Boden saß. Ich lachte, der junge Hengst war einfach zu niedlich. Divine nahm die Brüste, die neben mir zu Boden gefallen war, an den Borsten hoch und nickte dabei mit dem Kopf, dass sie gegen seine Nase schlug. Ich lachte erneut, was ein Clown.
      Ich rappelte mich wieder auf, klopfte mir den Staub von der Kleidung und versuchte dem Freiberger die Bürste zu entwinden. Nur widerwillig ließ der Hengst die hellen Borsten los.
      Nachdem Divines Fell annähernd von der Schlammkrusten befreit war, widmete ich mich seinen Hufen. Nicht dass sein körperlicher Zustand bereits schlimm war, seine Hufe sahen kein Stück besser aus. Die Hufwand war trocken und waren gezeichnet von ungleichmäßigen Rillen. Alle Hufe waren zu lang, zu steil und in den vorderen Hufen waren große Spalten, die definitiv der Behandlung durch einen Hufschmied benötigten, wenn nicht sogar durch einen Tierarzt.
      Testweise hob ich einen Huf an. Von unten sahen diese keineswegs gesünder aus. Ruhig blieb er stehen, hielt seine Hufe von selbst, doch bereits nach wenigen Sekunden entriss er mir den Fuß. Es wirkte auf mich, als würde ihm die Kraft und das Gleichgewicht fehlen, um länger in dieser Position zu verharren. Nachvollziehbar bei seinem Zustand.
      Ich beschloss, dass ich mir ein ausreichendes Bild von meinem Schützling gemacht hatte. Das einzige, was noch fehlte, waren Bilder für die Dokumention seines Zustandes. Schnell war dieses geschossen. Als ich einen Moment neben ihm stillstand, um zu überprüfen, dass man auch alles erkannte auf den Fotos regte neugierig seine Schnauze in mein Gesicht.
      “Du bist so niedlich, Divine. Ich liebe dich jetzt schon”, lächelte ich und beschloss kurzerhand noch ein Selfie mit dem Weißen zu schießen und es sogleich in meiner Instagram Story zu teilen. Glücklich steckte ich das Handy weg und löste den Strick, um den Hengst zu seiner Koppel zu bringen. Hoffentlich würden wir uns auf dem Weg nicht verlaufen.
      Auf dem Weg, der doch etwas länger wurde als geplant, staunte ich immer wieder, wie gigantisch der Hof war. Hinter dem großen Gebäude, welches ich bereits bei unserer Ankunft bewunderte, schloss sich noch weitere große Paddocks an. Zu der Rechten des Weges, sowie weiter oben, erschlossen sich noch weitere Stallkomplexe. Nachdem ich auf unerklärlicherweise wieder vor der Reithalle gestanden hatte, blickte ich mich ratlos um. Die Koppel der HMJ Pferde zu finden, gestalte sich offenbar schwerer, als ich dachte. Auf dem Weg lief mir ein junger Mann mit einem Mädchen entgegen. Beide sahen aus, als würde sie sich hier auskennen und die Sprache, auf der sie sich unterhielten, bestätigte meinen Verdacht, dass sie von hier sein mussten. Wirklich gerne wollte ich nicht mit ihnen reden, doch noch ein weiteres Mal herumzuirren war wohl wenig zielführend.
      “Ähm, Entschuldigung?”, sprach ich die beiden in gebrochenen Schwedisch an. Mit freundlichem Gesicht bleib der junge Mann stehen: “Kann man dir helfen?” Ich benötigte einen Augenblick, um die korrekten Vokabeln in meinem Kopf zu finden. Es war schon eine Weile her, dass ich diese Sprache hörte oder gar gesprochen hatte.
      “Ja, ich würde ihn hier gerne auf die Koppel bringen, aber … offenbar habe ich mich verlaufen”, erklärte ich etwas peinlich berührt. Ich kam mir wirklich unfähig vor. Sowohl auf praktischer als auch auf sprachlicher Ebene.
      “Ja, das ist mir anfangs auch passiert”, lachte mein Gegenüber freundlich, “Du folgst dem Weg in diese Richtung, dann läufst du direkt auf die Koppeln zu. Die linke ist für die Stuten, die rechte für die Hengste.”
      “Vielen Dank, du bewahrst mich davor wie ein Idiot hier herumzurennen”, bedanke ich mich bei dem jungen Mann und zupfte sanft am Strick des Hengstes.
      “Gerne geschehen”, entgegnete er und folgte schließlich dem Mädchen, welches bereits vorgelaufen war.
      Dank der Wegbeschreibung fand ich endlich die Koppel, auf der bereits ein großes silbergraues Pony stand. Mit Divine betrat ich das Gras und entfernte das Halfter, denn ich war mir sicher den menschenbezogenen Hengst mit Leichtigkeit wieder einzufangen. Statt sich direkt zu entfernen, wie es die meisten Pferde zu Hause taten, blieb der Freiberger bei mir stehen. Er stupste mich an, dass ich erst dachte, er wollte ein weiteres Leckerli, doch nachdem er das Pellet verschlungen hatte, wich er dennoch nicht.
      “Was willst du denn, gestreichelt werden?” Neutral blinzelte das Tier mich an. Langsam strich ich über seinen Hals und begann ihn schließlich an der Brust zu kraulen. Genüsslich bewegte sich seine Oberlippe und er entspannte sich allmählich. Unendlich lange kraulte ich den Hengst, der nicht genug zu bekommen schien. Als ich mich zum Gehen wandte, folgte er mir bis zum Tor und wäre sogar mit hinausgelaufen, hätte ich es nicht vor ihm geschlossen.
      „Möchtest du denn nicht zu deinen Freunden", sagte ich schmunzelnd zu ihm und kraulte ihn noch ein letztes Mal, bevor ich die Koppel endgültig verließ. Der Helle blieb weiter am Zaun stehen uns sah mir nach. Unfassbar, wie schnell der Hengst sich an mich angeschlossen zu haben schien. Der Freiberger hatte mich positiv überrascht. Ich hatte alles anderer erwartet, als ein Pferd, welches derart offen und freundlich war. Er trat mir zwar zweimal unabsichtlich auf die Füße, doch bei seiner liebevollen Art freute ich mich bereits auf das weitere Training mit ihm.
      © Wolfszeit | Lina Valo | 15.903Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte April 2020}
    • Wolfszeit
      Waschtag | 21. April 2020
      Kaum schien die Sonne durch die Vorhänge, zog es mich aus dem Bett. Noch immer war ich unendlich neugierig auf den Hegst und konnte es kaum erwarten wieder zu ihm zu gehen. Ich nahm lächelnd mein Handy vom Nachttisch und betrachtete noch einmal das Selfie, das ich gestern mit Divine machte. Er war einfach so niedlich. Eine Nachricht erschien auf meinem Bildschirm. Zahlreiche meiner Kollegen hatte die Instagram Story gesehen und darauf reagiert.
      “Ist er das?”, las ich Quinn Nachricht, die just im Moment eintrudelte.
      “Ja, das ist Divine. Er ist unheimlich lieb”, schreib ich ihr, “nur leider ist er in ziemlich schlechtem Zustand.” Ich sendete ihr noch eines der anderen Bilder.
      “Der arme kleine Kerl . Aber ich bin mir sicher, du wirst ihn wieder in Form bringen ”, schrieb sie zurück.
      “Erst einmal abwarten, was Tierarzt und Hufschmied sagen, dann werde ich weitersehen, aber ich hab den kleinen Mann definitiv schon ins Herz geschlossen ❤️” Ich schrieb mit Quinn noch eine Weile, bis schließlich mein Handy klingelte.
      “Hey, Samu”, begrüßte ich meinen besten Freund freudig.
      “Na Kleine, wie war der erste Tag in Schweden?”, fragte er neugierig.
      “Wunderbar, Divine ist einfach so wundervoll”, entgegnete ich und begann ihm ausführlich von dem Hengst zu erzählen. “Ist bei euch etwas Interessantes passiert?” Er verneinte meine Frage, erzählte nur, dass er Nathalie, die ich sonst ritt, heute etwas korrigiert hatte. Mir war bewusst, dass er mir durch seine Ausbildung einiges an Erfahrung voraus war, doch er betonte ebenso, dass der Ansatz der neuen Lektionen schon gar nicht so schlecht sei.
      “Aber jetzt, Lina, werde ich schlafen gehen”, leitete er schließlich das Ende ein.
      “Na gut, es ist ja spät bei euch. Gute Nacht Samu”, verabschiedete ich meinem Freund und beendete das Gespräch. Es hatte gut getan, seine vertraute Stimme zu hören und sein Lob gab mir Hoffnung, dass ich der Aufgabe gewachsen sei, Divine in ein neues Leben zu führen.
      Voller Motivation zog ich mich an, schnappte mir das Knotenhalfter aus meinem Koffer und machte mich auf zu meinem Schützling. Auf dem Weg kam ich an einer Koppel vorbei, auf der ein bräunlich-schwarzer Isländer mit großen weißen Flecken stand. Irgendwoher kam er mir bekannt vor … Ja, klar. Es war Glymur. In letzter Zeit wurden mir unheimlich viele Fotos dieses Hengstes gezeigt, denn er war Vater eines der Fohlen, die bei Alec standen. Mehr aus einem Scherz heraus, entstand die Idee, Wamzi mit einem Gangpferd an zu paaren. Entstanden war ein wirklich interessantes Fohlen. Ahvani hatte einen unheimlich hübschen Braunton, gepaart mit den hübschen Punkten ihrer Mutter und einem außergewöhnlichen Kopfabzeichen. Ebenso hatte sie den Tölt von ihrem Vater geerbt, von dem ich gehört hatte, dass dieser wirklich bequem sein sollte. Eines Tages wollte ich diese spezielle Gangart unbedingt einmal ausprobieren.
      An Divines Koppel angekommen nahm ich mir einen Augenblick, die anderen Pferd in Augenschein zu nehmen. Neben meinem Weißen, der relativ nahm, am Zaun stand und auf, mich zu warten schien, graste das graue Pony. Mit viel Fantasie war er eventuell als Isländer identifizierbar. Der arme Kerl hatte kaum noch Mähne und das, was davon noch übrig war, hing verfilzt an seinem Hals herunter.
      Unter einem Baum etwas weiter hinten stand ein Braunschecke. Er war fürchterlich, dürr und dreckig. In diesem Zustand war unmöglich auszumachen, welcher Rasse er angehören mochte. Armer Kerl. In der letzten Ecke stand ein großer Schimmel, der mich aus der Entfernung missmutig anstarrte.
      Ich betrat die Koppel und das Pony hob aufmerksam den Kopf. Langsam bewegte ich mich auf die beiden Pferde zu. Divine kam direkt auf mich zu getrottet, während das Graue wohl beschlossen hatte, alles lieber aus sicherer Entfernung zu beobachten.
      “Hallo Divine” begrüßte ich den Freiberger, “Ich habe dir heute etwas mitgebracht.” Aus der Tasche meines Pullovers holte einen Apfel, den der Hengst direkt beschnupperte. Apfel samt Hand, schleckte der Hengst gründlich sauber, bevor er die Frucht krachend halbierte. Schaum tropfte von den mahlenden Kiefern zu Boden und versickerte im kurzen Gras.
      “Pass doch auf, du kleiner Tollpatsch”, schimpfte ich, als der Hengst mir beinahe auf die Finger biss, so wie er die zweite Hälfte entgegennahm. Unschuldig kaute er weiter auf seinem Apfel herum und sah dabei so niedlich aus, dass ich lächeln musste. Ich streifte ihm das Knotenhalfter über und verschloss es mit einem halben Schlag. Artig folgte Divine mir zum Round Pen, welches leicht unmittelbar vor der Reithalle zu finden war.
      In aller Seelenruhe begann Divine den Boden abzuschnüffeln und sich einen Platz zum Wälzen zu suchen. Schon seltsam. Da stand so ein Pferd den ganzen Tag auf der Koppel, doch wälzen schien man sich dort nicht zu können. Der Freiberger wurde schließlich genau dort fündig, wo sich meine Füße befanden. Hastig hüpfte ich beiseite, denn der Hengst rollte bereits. Staubwolke stoben aus, als das Tier sich schließlich aufrappelte und den gröbsten Sand von sich schüttelte. Das Fell des hellen schimmerte nun gelblich anstatt, des Graus, welches noch gestern den Unterton bestimmte. Mit Freude beobachtete ich den Hengst dabei, wie er einfach nur Pferd war und sein Leben genoss. Divine stöbere durch den Sand, doch wurde letztlich von einem Vogel abgelenkt, der sich auf den Zaun setzte. Das helle Piepsen des Rotkehlchen schallte durch die Luft. Neugierig stellte das Pferd die Ohren auf und trat einige Schritte auf das Flugobjekt zu. Mit geweitet Nüstern regte der göttlich den Kopf, prustete und stand vollkommen unter Spannung. Für einen Augenblick schien es so, als betrachte der Vogel das gigantische Tier vor ihm, dann breitete er die Flügel aus und flog davon. Wie zu Stein erstarrt, blickte Divine ihm hinterher.
      "So, kleiner Mann, jetzt musst du dich aber mal ein wenig bewegen”, sagte ich zu dem Hengst und trieb ihn mittels einer Veränderung meiner Körpersprache an. In gemütlichem Schritt begann er im Kreis um mich herum zu trotten. Sofern ich es sehen konnte, lief er lahm frei, wenn er auch gelegentlich stolperte. Mit etwas mehr Druck probierte ich ihn in einen schnelleren Schritt zu bekommen. Zunächst funktionierte es, doch sobald ich die treibende Hilfe einstellte, wurde der Hengst wieder langsamer. Definitiv ein Punkt, woran gearbeitet werden musste. Nach langer Schrittphase brachte ich den Freiberger in den Trab. Sein Rücken steif, den Kopf emporgerissen, raste er am Zaun entlang. Ob es sein Zustand war oder mangelndes Körpergefühl wusste, ich nicht, aber klar war, dieses Pferd hatte massive Gleichgewichtsprobleme. Neben dieser Sache beobachtete ich, dass Divine einen Taktfehler mitbrachte, der auf den ersten Blick von der Schulter herzurühren schien. Doch sicher war ich mir nicht. Im Galopp zeigte sich diese allerdings als ausgeprägte Lahmheit, weshalb ich die Einheit recht schnell beendete. Ohne die genaue Ursache für die Fehlerhaftigkeit zu kennen, wollte ich keinesfalls mehr von ihm fordern. Kaum ließ ich den Hengst langsamer werden, kam er zu mir in die Mitte getrottet. Mit etwas zu viel Schwung stupste er mich an, als er vor mir bremste. Darauf war ich so wenig vorbereitet, dass ich mein Gleichgewicht verlor und in den Sand plumpste. Lachend blickte ich das Pferd an, welches mir besorgt seinen Atem ins Gesicht pustete.
      “Du bist ziemlich tollpatschig für etwas Göttliches”, sagte ich schmunzelnd und strich ihm spärlichen Schopf aus seinen Augen. Langsam weiteten sich die Nüstern des Tieres und stießen ein leises Geräusch aus. Es war genau dieser Moment, indem ich eine Verbundenheit spürte, die ich nur noch aus verblassenden Erinnerungen kannte. Bedächtig erhob ich mich vom Boden und klopfte den Sand von meiner Kleidung. Der Hengst folgte mir zum Tor, wo ich den Strick vom Zaun nahm und ihn wieder anhängte. Doch es ging nicht zurück zu Koppel, denn bevor ich ihn entließ, wollte ich herausfinden, wie dringend ich einen Tierarzt organisieren musste. Am Putzplatz angekommen, begann ich mit einer gründlichen Inspizierung seines Körpers. Ich hatte ins Maul noch gar nicht hereingeschaut, da war offensichtlich, dass seine Zähne dringend gemacht werden mussten. An den Kauleisten waren die Spitzen und kannten, deutlich zu spüren und der Verdacht bestätigte sich im Inneren weiter. Kein Wunder, dass er so unheimlich langsam kaute, sicher hatte er schmerzen. Das Ekzem, welches mir gestern schon auffiel, sah heute noch schlimmer aus. Unter der abgeschubberten Mähne taten sich frische Krusten und nässende Stellen auf. Es wäre wohl sinnvoll, eine Ekzemerdecke für den Freiberger zu organisieren, bevor er sich noch blutig scheuerte.
      Im Anschluss an die Inspizierung stellte ich dem Hengst ein kleines Frühstück zusammen. Gestern hatte ich noch recherchiert und demnach, sollte Divine mehrmals am Tag kleine Portionen von Mash oder Rübenschnitzel bekommen, damit er langsam an Gewicht zulegen kann. Selbstverständlich würde ich die genaue Ernährung noch mit dem Tierarzt abklären, doch bei der Masse an verwahrlosten Tieren, war er nicht einfach erreichbar. Nicht unweit des Putzplatzes fand ich eine kleine Futterkammer, in der alles bereitstand, was ich benötigte. Die Kombination aus Weizenkleie und Rübenschnitzel goss ich mit warmem Wasser auf und stellte sie zehn Minuten später vor die Schnauze des Pferdes. Gierig begann er, die Pampe aufzusaugen. Während Divine Fraß bemühte ich mich einen Tierarzt zu erreichen. Für heute bekam ich leider keinen Termin mehr, aber morgen früh hatte endlich jemand Zeit für meinen Schützling.
      “Wir müssen dringend einige Dinge besorgen”, kündigte ich meiner Chefin an und berichtete von meinen Befunden, “Ach und morgen kommt ein Tierarzt.” Nachdem sie über den aktuellen Stand informiert war, berichte sie von einigen der anderen Pferden, mit dessen neuen Trainern sie sich unterhalten hatte. So hatte ich recht gehabt, den jungen Cowboy bereits einmal gesehen zu haben. Es war Caleb O’Dell von der Bow River Ranch die nicht unweit von Calgary lag. Glaubte man Hazel, war er in der Szene bekannt wie ein bunter Hund, doch was wusste ich schon übers Westernreiten. Für meinen Geschmack waren viele der Disziplinen martialisch und nicht besonders auf das Tierwohl bedacht. Jedenfalls berichtete Luchy von Saintly, dem abgemagerten braunen Schecken auf Divines Koppel. Wie ich mir bereits beim Anblick des Pferdes dachte, war Saintly nur minder besser dran als Divine. Ich erfuhr noch einiges von den anderen Pferden, so auch, dass nicht jedes der Tiere an Unterernährung litt. Einige von ihnen hatten eher das gegenteilige Problem oder landeten aufgrund schlechter Charaktereigenschaften beim Tierschutz. Im Anschluss an die Mahlzeit begab ich mich in das kleine Hoflädchen in der Hoffnung dort zu bekommen, was ich für den Hengst benötigte. Voller Freude stöberte ich durch die Kollektionen an Schabracken und Decken, wo eine schöner war als die andere. Am liebsten hätte den gesamten Laden leer gekauft, doch das gab mein Budget nicht her. So beschränkte sich der Einkauf zunächst auf die Dinge, die ich wirklich benötigte. Mildes Shampoo, Wundsalbe für Divines Sonnenbrand und eine Ekzemerdecke. Zuletzt konnte ich allerdings nicht widerstehen, eine Abschwitzdecke aus der eigens für das Horsemakeover entworfenen Kollektion, zu wählen.
      Mit der riesigen Tüte holte ich meinen Schützling schließlich ein weiteres Mal von der Koppel. Es war nun einiges geschäftiger auf dem Gestüt geworden, was den Weißen allerdings wenig zu stören schien. Einzig an der knisternden Tüte interessiert folgte er mir vorbei an Pferden, Menschen, Autos und sogar einem laut knatternden Trecker. Alles kein Problem für den Göttlichen. Selbst in die Waschbox ging er widerstandslos, obwohl auf dem Boden bereits eine Pfütze schimmerte. Cool, so entspannt waren nicht einmal alle Pferde Zuhause. In aller Ruhe zeigte ich dem Hengst den Wasserschlauch und ließ ihn diesen beschnuppern, bevor ich das Wasser einschalte. Spielerisch probierte das Pferd immer wieder in den Wasserstrahl zu beißen, was natürlich nicht funktionierte. Unter dem nassen Winterfell kamen dunkle Punkte zum Vorschein, die mir so nach gar nicht auffielen. Dieses Pferd war tatsächlich einzigartig. Noch nie war mir ein Schimmel untergekommen, der aussah wie Divine. Massen an graubraunen Wasser flossen seinen Körper hinab und legten Stück für das strahlende Weiß darunter frei. Auch nach dem Shampoonieren blödelte der Hengst weiter herum und sorgte damit, dass auch ich duschte. Wären wir daheim, wüsste ich genau, wer jetzt auf der Stallgasse herumlungern würde, um sich das Spektakel, oder viel mehr mich in nassem Shirt anzusehen. Bei dem Gedanken an Jace rieselte ein warmer Schauer meine Wirbelsäule entlang. Obwohl er gelegentlich ziemlich überheblich war, gab es doch immer wieder Momente, in denen er diese sanfte Seite zeigte. Doch hier, in der Ferne, gab es niemanden, der mich beobachten und aufziehen konnte. Es war ruhig und friedlich, und ich genoss die Gesellschaft des Schimmels. Ich strich ihm über den Hals und beobachtete, wie er das Shampoo umschubste und sich anschließend schüttelte, um das Wasser loszuwerden.
      “Divine”, schimpfte ich und konnte das Pflegemittel gerade noch davor bewahren, gänzlich auszulaufen. Dann begann ich das Fell des Hengstes mit dem Schweißmesser abzuziehen. Da es heute recht kühl und windig war, beschloss ich den Hengst unter dem Solarium zu trocken. Mit jeder Minute unter dem warmen Licht, konnte man beobachten, wie der Hengst sich entspannte. Sicher war es angenehm auf der verspannten Muskulatur.
      Den Sonnenbrand auf seiner Schnauze cremte ich mit einer Wundsalbe ein und war mir sicher, dass er schnell abheilen würde. So blieb nur darauf zu achten, dass er sich nicht erneut verbrannte. Empört über das kalte Zeug auf seiner Nase, weitete Divine die Nüstern und prustete laut. Selbst wenn er seinen Kopf hochnahm, entkam er mir nicht, schließlich war es zu seinem besten. Trocken deckte ich ihn gerade ein, als Luchy dazustieß.
      “Das sieht aus, als würdet ihr gut zurechtkommen”, lächelte sie.
      “Ja, der kleine Mann ist unheimlich artig und das, obwohl er Hengst ist”, strahlte ich und zog Divine das Halsteil über die Ohren.
      “Schön zu hören”, nickte sie, “Ich habe noch etwas für ihn besorgt.” Meine Chefin holte etwas aus einer Tüte und reichte es mir. Es war eine Fliegenmaske mit Nüsternschutz auf dessen Nasenteil, der Name des Hengstes aufgestickt war. Freudig bedankte ich mich und zog sie Divine direkt an. Nun sollte er wirklich ausreichend vor Fliegen und Sonne geschützt sein. Ich hatte sein Futter bereits angerührt, sodass er fressen konnte, während ich mich mit meiner Chefin ein wenig austausche. Offenbar hatte sie ein wenig das Gestüt erkundet und mit dem Inhaber gesprochen. Das Hauptgeschäft waren wohl Rennpferde, doch die Passion Tyrells war wohl die klassisch-barocke Reitweise, weswegen es auch einige Warmblüter zu diesem Zweck gab. Eine wirklich interessante Kombination. Nachdem Luchy sich wieder verabschiedet hatte, beschloss ich mit dem Freiberger noch einen kleinen Spaziergang zu machen. Wirklich weit kamen wir allerdings nicht. Divine blieb alle paar Meter stehen, um ein paar Grashalme zu rupfen oder bei einem passierenden Menschen um Aufmerksamkeit zu betteln. Gott sei Dank waren aller hier freundlich und schenkten dem Hengst eine kurze Streicheleinheit.
      “Tut mir leid”, entschuldigte ich mich hastig, als der Schimmel einer jungen Frau mit einem Buckskin unvorhergesehen in den Weg trat. Schnellstmöglich manövrierte ich Divine aus ihrer Linie, denn das Pferd regte sich bereits auf. Die Blondine murmelte etwas Unverständliches und zog das tänzelnde Pferd hinter sich her. Seltsame Begegnung. Mit einem großen Schlenker über den Hof lief ich zurück zu der Koppel. Saintly und der standen noch dort und grasten, während ein großer Junge unter einem Baum saß und ihn zu beobachten schien.
      Auch heute hatte ich Schwierigkeiten damit, den Hengst loszuwerden. Ewigkeiten stand ich noch am Zaun und kraulte Divine. Er wirkte heute bereits etwas zufriedener, wobei das gute Futter und die Aufmerksamkeit einen großen Beitrag zu leisten schienen. Seine Zutraulichkeit ließen mich etwas in die Vergangenheit abschweifen. Damals als ich noch bei meiner Tante in Espoo gab es viele Pferde in meinem Leben. Elsa züchtete die Finnpferde vorwiegend für den Gebrauch als Reit- und Kutschpferd. Doch bei der Vielzahl ist mir ein kleiner Wallach besonders im Gedächtnis geblieben. Vom Charakter her wies Divine große Ähnlichkeiten zu ihm auf. Vili hatte sich damals mit Belieben stundenlang putzen und frisieren lassen. Gleichzeitig war er ein absolutes Verlasspferd gewesen. Es gab keinen Moment, wo ich Angst hatte, denn ich wusste, Vilijami würde mich wieder nach Hause bringen. Ich spürte die Tränen aufsteigen. Nie mehr wollte ich an den schrecklichen Tag denken, an dem ich ihn und mein ganzes Leben verlor.
      “Du bist etwas ganz besonders Divine”, flüsterte ich dem Hengst zu, der mir sanft seine warme Luft an die Wangen pustete und sich anschmiegte. Schon jetzt, nach nicht einmal eineinhalb Tagen, fühlte ich eine Verbundenheit mit dem hellen Pferd. Ich musste wirklich aufpassen, mich nicht in diesem Gefühl zu verlieren, denn je tiefer die Bindung, umso unerträglich würde der Gedanke werden, Divine eines Tages gehen lassen zu müssen. Bisher war es nicht ausgeschlossen, dass der Hengst am Ende des Makovers in die Auktion ging und ein Pferd zu ersteigern, würde mein bescheidenes Gehalt nicht hergeben. Selbst mit allen Reserven, die mir blieben. Seufzend steckte ich dem Hengst noch einen Leckerbissen zu, bevor ich vom Zaun rutschte. Jetzt stand erst einmal seine Genesung im Fokus.
      © Wolfszeit | Lina Valo | 17.704 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende April 2020}
    • Wolfszeit
      Ein Tag am Strand | 22. April 2020
      Der Jetlag hatte mich nun so weit eingeholt, dass ich an diesem Morgen recht lange schlief. Acht Stunden Zeitverschiebung waren einfach zu viel für mich. Es kam mir vor, als wäre ich einen gesamten Tag in die Zukunft gereist, der jetzt in meinem Tagesrhythmus fehlte. “Verdammt, es ist ja schon Mittwoch”, murmelte ich bei einem Blick auf mein Handy. Das hieß nicht nur, dass der dritte Tag in Schweden anbrach, sondern ebenso blieben mir nur noch vier Tage bis Divine transportfähig sein musste. Wie wusste man, dass ein Pferd bereit für einen Flug war und würde der Hengst überhaupt ausreichend Kraft für solch eine lange Reise haben? Gedankenverloren machte ich mich für den Tag fertig und begab mich in den Frühstücksaal. Meine Chefin entdeckte ich nirgendwo, so suchte ich mir einen kleinen Tisch in der Ecke, um dort allein zu essen. Ich hatte gerade den Teebeutel in die Tasse getunkt, als mein Handy meine Aufmerksamkeit verlangte.
      “Samu, warum bist du denn noch wach?”, begrüßte ich meinen Freund grinsend, “Ist es bei euch nicht mitten in der Nacht?”
      “Jap, aber ich muss doch wissen, wie meine Kleine sich schlägt so ganz allein”, lächelte er milde. Trotz der späten Uhrzeit wirkte Samu, wundersam frisch. Im Hintergrund erkannte ich die von Nadelwald bedeckten Silhouetten der Rocky Mountains im kühlen Sternenlicht.
      “Ich weiß deine Besorgnis zu schätzen, Samulein, aber ich komme hier zurecht.” Auch wenn es mir an Orientierungssinn mangelte, konnte ich nicht davon sprechen, dass bisher etwas wirklich schiefgelaufen sei. Außerdem hatte ich ja noch meine Chefin beiseite, fall wirklich etwas sein sollte.
      “Gut zu hören”, erwidert der Blonde, “Wie läuft es mit dem Schimmel?”
      “Wunderbar. Divine ist so unglaublich vertrauensvoll, das glaubst du nicht”, schwärmte ich und berichtet von dem gestrigen Tag.
      “Na dann hoffen wir mal, dass du den armen Kerl Ende der Woche mitnehmen darfst”, sprach mein bester Freund zuversichtlich.
      “Wenn nicht, muss ich wohl noch etwas hier bleiben”, schlussfolgerte ich.
      “Schaffst du das denn allein? Du weißt Luchy hat unterschiebbare Termine.” Da war er wieder der allseits besorgte beste Freund. Es war schon immer so gewesen, seit dem Tag, an denen wir uns kennenlernten.
      “Es ist ja nicht so, als würde ich hier ein neues Leben anfangen”, scherzte ich, wobei dennoch etwas Nervosität aufkam. Gänzlich allein war ich noch nie in einem fremden Land gewesen, hatte immer meine Schwester oder meinen besten Freund dabei. Doch darüber wollte ich jetzt gar nicht weiter nachdenken. Ich könnte mir noch genug Sorgen machen, wenn die Zeit gekommen war.
      “Das wärs noch”, lachte Samu, “Klein Lina in Schweden.” Ich stimmte in sein lachen ein. Wobei, so abartig kam mir der Gedanke gar nicht vor. Mir gefiel es hier in Schweden.
      “Pass besser auf, was du sagst, wenn du weiter so frech bist, bleibe ich hier”, drohte ich scherzhaft.
      “Ich glaube, nicht, dass du es lang ohne mich aushältst”, grinste er selbstsicher.
      “Sehen wir noch”, entgegnete ich und nahm grinsend einen Schluck Tee.
      “Wie dem auch sei. Ich wünsche dir viel Erfolg mit dem Schimmel und ich werde mal zu Bett gehen”, lenkte er das Gespräch zum Ende. Mittlerweile war er von seinem Balkon hineingewechselt und schaltete auf seinem Weg die Lichter aus.
      “Danke. Schlaf gut und bleibe das nächste Mal nicht meinetwegen so lang auf. Ich melde mich schon bei Bedarf.”
      “Ja, ja Kleines, Gute Nacht.” Damit war nicht nur das Gespräch beendet, sondern auch das Frühstück. Ordentlich hinterließ ich meinem Platz und macht mich nach einem kurzen Abstecher zurück in die Hütte, auf den Weg zu Divine.
      Bereits aus der Ferne konnte ich erkennen, dass Divine am Zaun stand und sich Freunde gemacht hatte. Das junge Mädchen, dem ich am ersten Tag bereits hatte, kraulte den Hengst mit Enthusiasmus an einer der wenigen Stellen, die nicht von der Decke bedeckt wurden. Völlig entspannt stand der Hengst da, die Ohren entspannt hängend, die Augen halb geschlossen, wahrlich ein schönes Bild. Besonders wenn ich daran zurückdachte, wie vergleichsweise unglücklich er am ersten Tag gewirkt hatte.
      “Guten Morgen”, begrüßte ich die Teenagerin freundlich.
      “Ziemlich niedlich, dein Pferd, auch wenn es aussieht wie ein Gespenst”, platze sie geradeheraus und überging die Floskel. Recht hatte sie. Mit der geschlossenen Decke und der Maske sah er tatsächlich ein wenig aus, als sei er zu Halloween verkleidet worden. Das gute, solang er noch so aussah, hieß es, dass ich keine Fliegenmaske auf der weitläufigen Koppel suchen musste. “Aber mein Holy ist noch ein wenig niedlicher.”
      “Deine Holy?”, fragte ich interessiert nach. Sofern meine Erinnerung mich nicht trügte, war Holy ein Tinker, der ebenso Teil des Events war. Stolz nickte der Rotschopf: “Ja, meine Holy. Na gut, mein Bruder hilft mit beim Training. Ich bin übrigen Hedda.”
      “Schön dich kennen zu lernen, Hedda. Ich bin Lina und … “
      “Weiß ich doch schon”, fiel sie mir ins Wort und grinste, “Wustest du das dein Hengst aus der Schweiz kommt? Er wurde dort beschlagnahmt, hat Nico erzählt.”
      “Oh, interessant”, entgegnete ich. Dass Divine aus einer Beschlagnahmung stammte, hatte Luchy bereit erwähnt, doch sein Herkunftsland war mir neu. Wobei kamen die Freiberger nicht von dort? In dem Fall wäre es eher wenig verwunderlich. Hedda wollte gerade etwas mehr über die Pferde erzählen, da wurde sie gerufen. Es war der kompetent wirkende Mann, den ich am Montag nach dem Weg fragte.
      “Ich muss los, Folke braucht mich”, verabschiedete sie sich, sprang vom Zaun und war schneller weg als ein Wiesel. Flink, diese jungen Leute.
      Ich hielt meinem Hengst einen Apfel hin, von der er abbiss und langsam zu kauen begann. Weißer Schaum bildete sich an seinem Maul, tropfe hinunter und versickerte im weichen Boden. Wie ich die scharfen Konturen betrachtet, die nicht einmal die Decke verschleiern konnte, war ich ziemlich froh, dass der Tierarzt heute endlich kam. Nach dem Termin wusste ich hoffentlich auch endlich, wie viel physisches Training ich ihm zumuten konnte und ob die Fütterung stimmte. Die bisherige Empfehlung hatte ich nämlich aus dem Internet und da war es ungewiss, wie korrekt diese waren. Ich wollte Divine schließlich keinen Schaden zufügen.
      “Ivy”, sprach ich den Hengst mit dem neuen Spitznamen an, auf den Quinn mich gebracht hatte. Neugierig stellten sich die keinen Öhrchen auf, als habe er direkt verstanden, dass er gemeint war. “Was hältst du davon, wenn wir heute die Gegend etwas erkunden, mh?” Ich war neugierig auf die Umgebung des Gestüts, war sie doch meiner Heimat so ähnlich. Zudem hatte ich gehört, dass nicht allzu weit entfernt ein kleiner Stand sein sollte. Man könnte jetzt sagen: Logisch, wenn man sich auf einer Halbinsel befand. Doch aus meiner Heimat wusste ich, dass selbst kleine Inseln, steile steinige Uferkanten haben konnten. Divine stupste mich nur an und verlangte nach einem weiteren Leckerbissen.
      “Nein, das musst du dir erst einmal verdienen”, sprach ich entscheiden zu dem Tier und legte ihm das Knotenhalfter um. Als wir am Putzplatz vorbeikamen, beschloss ich spontan ihm die Decke abzunehmen, denn auch wenn diese sehr dünn war, hatte ich das Gefühl es wäre gut, wenn mal etwas Luft an das Pferd käme. Und so machten wir uns auf den Weg. Vorbei an einer großen Kiesbahn, folgte ich einem Sandweg, der sich bald aufspaltete. Hoffentlich würde ich wieder zurückfinden, denn bekanntermaßen besaß ich nicht den besten Orientierungssinn.
      Am Wegesrand raschelte es in einem Busch und etwas in seinem Inneren, brachte die zarten, grünen Blättern in Bewegung. Divine zeigte sich neugierig und hielt an, um die Pflanze zu begutachten. Es raschelte weiterhin und als der Göttliche schließlich die Nase näher an das Grün heranbrachte, flatter schimpfend eine Amsel daraus hervor. Wie am Vortag blieb Ivy erstarrt an der Stelle stehen und glotzte dem schwarzen Vogel hinterher. Der Hengst drehte, aus der Starre gelöst, seinen Kopf und lauschte in die Richtung, aus der wir kamen. Ein rhythmisches Trommeln war zu hören, ähnlich Pferdehufen, die in gleichmäßigem Galopp auffußten. Kaum hatte ich das Geräusch eingeordnet, donnerte auch schon ein rundliches Pferd an uns vorbei. Kurz hinter dem Tier, Hedda und ihr Bruder. Was war denn hier los? Sollte ich helfen? Fragend sah ich mein Pferd an, welches dem Trio aufmerksam nachblickte. Ein wenig ratlos setzte ich meinen Weg mit Divine fort. Immerhin hatten die beiden hier den Heimvorteil und würde das ausgebüxte Pferd hoffentlich schnell finden. Divine war durch Holys rasante Begegnung noch ein wenig aufgeregt und schnorchelte wie ein Drache mit weit geöffneten Nüstern, lief aber artig neben mir her. Der Wind trug einen leicht salzigen Geruch zu uns herüber. Das Wasser konnte also nicht mehr weit sein. Eine schmale Abzweigung führte schließlich um eine Düne herum an einen kleinen Sandstrand. Gleichmäßig schwappte das Wasser ans Ufer, überspülte gut ein Drittel davon und verzog sich zurück ins Meer. Interessiert senkte der Freiberger den Kopf, beschnupperte den Boden und ließ sich schließlich fallen. Es war ja klar, dass ein Weißes Pferd nicht anderes im Sinn hatte als sich im Dreck zu wälzen. Zufrieden brummte der Hengst, als er sich letztlich zurück auf den Bauch rollte und aufstand.
      Stück für Stück, führte ich Ivy an das Wasser heran, welches er skeptisch beäugte. Eine kleine Welle rollte heran, auf ihrem Rücken ein Büschel Algen, die den Hengst gegen die Hufe schlugen. Erschrocken machte er einen Satz zur Seite, doch ließ sich direkt beruhigen. Mit sanfter Stimme überredete ich ihn, sich den stickenden, grünen Klumpen genauer anzusehen. Schnell stellte das Pferd fest, dass es ungefährlich war. Unter dem feuchten Sand erregte dahingegen etwas anders Ivys Aufmerksamkeit. Aus einem kleinen Loch kam eine Krabbe zum Vorschein. Erst beschnupperte Divine, das seltsame kleine Ding, bevor er versuchte darauf zu treten. Glücklicherweise verfehlte er das Tier.
      “Lass das!”, schimpfte ich und schlug ihm leicht vor die Brust, um den Schimmel von dem Tierchen abzubringen. Anstatt ihn weitere Meereslebewesen töten zu lassen, führte ich in weiter in das Wasser, welches nun nicht nur meine Schuhe, sondern auch meine Hose durchnässte. Unbeeindruckt stand Divine in den Wellen, die ihm bis an den Bauch schlugen. Erst als ein wenig mehr Wind aufkam und die Wellen damit größer wurden, begann der Hengst mit seinen Vorderbeinen das Wasser aufzuwirbeln und darin herum zu prusten. Damit sorgte der Freiberger, nicht nur, dass er, sondern auch ich endgültig komplett nass wurden.
      Besonders lange bleiben wir nicht in dem kühlen Nass, denn ich spürte die Kälte in mein inneres ziehen. Es war nicht besonders klug, bei zehn Grad Celsius mitsamt Kleidung in der Ostsee spazieren zu gehen. Zudem gehörte ich zu den Menschen, die ohnehin schon recht schnell froren. Trotzdem lernte ich nicht, mich ordnungsgemäß zu kleiden. Auf dem Whitehorse Creek führte dies in der Regel dazu, dass einer der Jungs, seinen Pulli für mich opferte. Diesen Luxus würde mir heute allerdings keiner bieten.

      Zurück auf dem Hof spülte ich das Salz aus dem Fell des Hengstes, bevor wir gemeinsam unter dem Solarium trockneten. Unaufhörlich spielte Divine an meinem Pullover, zupfte an meinen Zöpfen und schlabberte mich voll, während ich ihm den Mähnenkamm kraulte. Offenbar war Ivy ziemlich verspielt. Sobald wir beiden trocken waren, holte ich dem Hellen sein Futter. Gierig wollte er seine Nase bereits in die Schüssel stecken, bevor diese überhaupt auf dem Boden stand, was ich ihm nicht gestattete. Ich konnte es nicht sonderlich leiden, wenn die Pferde drängelten, denn bei meiner Körpergröße wäre er nicht das, welches mich einfach über den Haufen rannte. Drei Versuche bedürfte ich, bis ich das Gefäß ohne Nase darin abstellen durfte. Zufrieden schlabberte der Freiberger seiner Mahlzeit und verschmierte sein ganzes Maul, bis hoch zu den Nüstern damit. Nochmal machte ich ihn aber sicherlich nicht sauber, das war wohl das, was man in Kauf nehmen musste, wenn man ein weißes Pferd betreute. Mit gefülltem Bauch brachte ich Divine schließlich zurück zu Koppel und beobachtet ich eine Weile vom Zaun aus. Wie die Vortage, versuchte er sich noch Streicheleinheiten zu erschleichen, bis er zum Heu trottete. Mit sanften Vibrationen meldete sich das Telefon in meiner Tasche, welches ich sogleich hervorholte. Die Benachrichtigung eines bekannten Messengerdienstes erschien.
      “Na, gefällt es dir in Schweden und das neue Pferd?”, las ich Jace Nachricht, bevor ich das Gerät mit einem Swipe entsperrte. Statt mir die Finger wund zu tippen, entschloss ich kurzerhand eine Sprachnachricht zu machen: “Ja, ich liebe es hier. So nah am Meer … fast wie früher und so wenig zu tun. Das fühlt sich an wie Urlaub. Ich kann den armen Ivy schließlich nicht den ganzen Tag nerven. Ich weiß nicht, vielleicht haben Quinn oder Samu das schon erzählt, aber er ist wirklich exakt so wie in der Beschreibung. Diese … Ausstrahlung ist wirklich besonders. Du glaubst es nicht, aber er ist soooo unheimlich menschenbezogen, wirklich außergewöhnlich für ein Pferd, welches womöglich Jahre nur unter Pferden verbracht hat. Ich denke, wenn es ihm besser geht, wird die Arbeit mit ihm richtig Spaß machen.” Lange dauerte es nicht, bis ich eine Antwort bekam und Jace natürlich auch nach einem Bild verlangte. Selbstverständlich kam ich dieser Bitte nach und sendete ihm sogleich eines, wie Ivy an getrottet kam. Anscheinend hatte meine Stimme ihn dazu angeregt, eine weitere Streicheleinheit herauszuschlagen.
      “Der arme Kerl sieht ja ziemlich mitgenommen aus”, kam ziemlich schnell eine Antwort. Ein weiterer Wortwechsel erfolgte mit Jace, bis schließlich Hedda auftauchte.
      “Mit wem schreibst du,”, fragte sie neugierig und steckte Ivy eine Möhre ins Maul, “Mit deinem Freund?” Ihre Frage brachte mich zum Schmunzeln.
      “Nein, Jace ist ein Arbeitskollege. Zu Hause sind alle ganz neugierig auf Divine”, kam ich der Neugierde der Teenagerin etwas entgegen.
      “Aber jemand wie du hat doch sicherlich einen Freund?”
      “Jemand wie ich?”, hakte ich nach. Ich war mir keiner Besonderheit bewusst, die gerade mich dazu auszeichnen sollte, in einer festen Beziehung zu sein.
      “Ja, du bist hübsch und sympathisch”, redete sie frei heraus, “Also hast du nun einen?”
      “Derzeit nicht, nein”, entgegnete ich mit einem Lächeln. Hedda wolle gerade etwas entgegnen, als ihr Bruder mit der Tinkerstute auftauchte.
      “Na gut, ich muss los, man sieht sich”, grinste sie und sprang vom Zaun. Wow, der Rotschopf hatte definitiv einiges an Selbstbewusstsein in die Wiege gelegt bekommen. Ich gab Divine noch einen Leckerbissen, bevor auch ich mich von der Koppel entfernte. Doch was mit der ganzen Zeit anfangen? Die letzten Tage hatte ich, um dem Jetlag entgegenzuwirken, Nachmittag ein ausgiebiges Nickerchen gemacht, doch angesichts des Tierarzttermins, war dies heute keine Option.
      In dem kleinen Bungalow angekommen, holte ich meinen Laptop und begab mich auf die Couch. Ivy hatte mich neugierig gemacht. Ich wollte mehr über die Freiberger erfahren.
      Nach einer intensiven Recherche, bei der ich in dem schier endlosen Rabbithole über die Schweizer Pferde versank, vergaß ich beinahe den Termin. Erst meine Chefin, die plötzlich auftauchte, erinnerte mich daran. Eilig klappte ich den Laptop zusammen, schlüpfte in meine Stallschuhe und lief zu dem Treffpunkt.
      “Sind sie Lina?”, kam mir eine ziemlich freundlich aussehen Tierärztin entgegen.
      “Ja, genau die bin ich”, lächelte ich und reichte ihre die Hand, “Verzeih die Verspätung, ich habe die Zeit etwas aus den Augen verloren.”
      “Kein Problem, ich bin übrigens Dr. Stephanie Lindh.” Während wir gemeinsam den Weg zur Koppel folgten, erzählte ich die Eckdaten von Divine die mir bekannt waren.
      “Ist er das?”, deute Dr. Lindh auf den Schimmel, der bereits am Tor wartete. Freudig spitze er die Ohren, als habe er nur auf mein Erscheinen gewartet.
      „Na, du armer Kerl?“, begrüßte sie Ivy, der sogleich neugierig an ihrem Pullover schnupperte. Selbst dem Tierarzt gegenüber schien der göttlich aufgeschlossen. „Lass uns am besten ein Stück runtergehen.“ Ich halfterte meinen Hengst und wir gingen zurück in Richtung Gestüts.
      „Könnte ich mir zuerst den Pass ansehen?“, fragte die Tierärztin höflich. Ich nickte und händigte ihn ihr aus: “Das ist allerdings nur ein vorläufiger Pass. Der Tierschutz arbeitet wohl noch daran, die Papiere zubekommen.” Die Tierärztin blätterte gezielt in dem Heftchen und runzelte die Stirn.
      “Weißt du, ob er schon Impfungen erhalten hat?”, fragte sie schließlich. Ich schüttelte den Kopf. Leider hatte ich auch nicht mehr Informationen, als in den Papieren standen.
      “Mhm, das ist nicht ideal, aber in dem Zustand können wir auch nicht Impfen, also muss es erst einmal so gehen. Ich empfehle dir, sobald es ihm besser geht, ihn mindestens Grundimmunisieren zu lassen”, sprach sie ihre Empfehlung aus. Ich nickte und notierte es mir sogleich in meinem Handy, sodass unser Heimtierarzt das nachholen konnte.
      “Und wie ist das dann mit der Ausfuhr, benötigt er da nicht die Impfungen?”, fragte ich besorgt. Es wäre ziemlich ungünstig für unser Training, sollte ich Ivy nicht direkt mitnehmen können.
      “Mach dir keine Sorgen”, lächelte die Frau Dr., “dein Schimmel benötigt nur ein Gesundheitsattest, Impfungen sind keine Pflicht.” Erleichtert amtete ich aus und beobachte, wie sie die Untersuchung begann. Mit dem Stethoskop hörte sie Herz und Lunge des Freiberger ab und fragte schließlich, ob er hustete. Verneinend, schüttelte ich den Kopf, in den vergangenen Tagen war mir nicht aufgefallen, dass dies der Fall wäre. “Perfekt, demnach scheint dein Pferd gesund”, lächelte Dr. Lindh und hörte auch noch die andere Seite von Ivys Brustkorb ab.
      “Na wenigstens schleppst du dann nicht noch Krankheiten mit dir herum”, murmelte ich dem Schimmel in aller Gewohnheit ins Ohr und strich ihm über die Stirn.
      “Woher kommen Sie, Lina?”, fragte die Tierärztin, die natürlich merkte, dass ich nicht der landesüblichen Sprache mit dem Pferd redete und trat einen Schritt zurück.
      “Momentan lebe ich in Kanada”, erzählte ich, bevor ich die Frage auf das ausgeweitete, was vermutlich in ihrem Interesse lag, “Ursprünglich stamme ich allerdings aus Espoo.”
      “Das ist Finnland, nicht wahr?”, ich nickte, “Dann hat es sie ja ziemlich weit weg verschlagen.” Konzentriert nahm Dr. Lindh Divine in Augenschein. Den schlechten Ernährungszustand, die trockne, schuppige Haut, die rissigen Hufe. Die aufgeschubberten Stellen entlang seine Oberlinie, nahm die genauer in Augenschein, bevor sie mich informierte, dass sie keine Parasiten feststellen konnte. Genausten erklärte sie mir, dass derartige Veränderungen entweder genetisch bedingt waren oder aber durch extreme Mangelerscheinung auftreten konnten. Während die Tierärztin redete fuhr sie mit den Händen über Ivy Körper, der fast nur noch aus Haut und Knochen bestand.
      “Du sagtest, er läuft nicht sauber. Kannst du mir das bitte einmal zeigen?” Ich nickte und führte den Hengst unter dem überdachten Putzplatz heraus, auf den gepflasterten Weg. Erst im Schritt, anschließend im Trab liefen wir vor der Tierärztin auf und ab. Wie gestern auch, war er im Schritt nahezu taktrein, zeigte lediglich ein leichtes Ticken, doch im Trab wurde die Lahmheit sichtbar.
      “Er scheint sehr festgehalten”, stellte sie fest und tastete Ivys Rücken ab. Unglücklich legte der Hengst die Ohren zurück und drückte den Rücken weg, doch ertrug artig die Prozedur. Dr. Lindh erklärte mir, dass Ivy Probleme vermutlich da herrührten, dass seine Muskulatur nahezu komplett atrophiert war. Das hieß, sein Körper, hatte die Muskulatur Stück für Stück abgebaut und die fehlende Energie irgendwo herzubekommen. Zusätzlich waren die letzten Muskelreste wohl vollkommen verspannt, da sie logischerweise überlastet waren. Die Tierärztin riet davon ab, den Rücken zu sprizen, da dies nur die Symptome verstecken würde. Stattdessen empfahl sie einen Osteopathen und ganz langsames Aufbautraining.
      “Als Erste-Hilfe-Maßnahme, kannst du ihm etwas massieren, das wird ihm helfen sich zu locken”, fügte sie noch hinzu. “Dann sehen wir uns mal seine Zähne an.” Ich trat einen Schritt beiseite, damit Dr. Lindh besser an seinen Kopf kam. So artig wie ein Pferd sein konnte, welches jahrelang nicht gehändelt wurde, ließ Divine sich ins Maul sehen.
      “Sein Alter stimmt. Ansonsten müssen die Zähne dringend gemacht werden, sobald er etwas fitter ist.”, erklärte sie. Der letzte Schritt der Untersuchung lag in einer Blutnahmen. Etwas unruhig wurde Ivy bei Geräusch des Rasierers, mit dem Dr. Lindh eine Stelle an seinem Hals freilegte, doch ich gab mir alle Mühe ihn zu beruhigen.
      „Braver Junge!“, lobte sie Ivy, als sie die Kanüle zog. Der Schimmel hatte nicht ein Mal mit der Wimper gezuckt und alles vorbildlich über sich ergehen ließ. Für seine Haut und vornehmlich den Sonnenbrand bekam ich eine Pflegelotion, womit dieser schnell abheilen sollte.
      "Das war’s. Ich werde ihnen die Blutergebnisse, wie auch der Gesundheitstest zusenden. Sofern dort kein Befund vorliegt, steht einer Ausreise nichts mehr im Wege”, verabschiedete sie sich und verließ uns. Mit einem Grinsen auf den Lippen brachte ich Ivy seine zweite Portion Futter, bevor er schließlich zurück auf die Koppel durfte.
      © Wolfszeit | Lina Valo | 21.215 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende April 2020}
    • Wolfszeit
      Glück gehabt | 25. April 2020
      Das Erste, was ich diesen Morgen entdeckte, als ich an die Koppel kam, war der große braune Warmblüter, der flehmend am Zaun stand. Scared, hieß er glaube ich, aber sicher war ich nicht. Etwas weiter hinten stand Sainly. Der Paint Hengst, der heute schon deutlich aufgeweckter wirkte. Ivy, wie jeden Tag, unheimlich glücklich, wenn man ihm Aufmerksamkeit schenkte, kam vom hinteren Ende der Wiese an getrottet. Doch aus der Entfernung sah ich bereits, dass er seine Fliegenmaske verloren hatte.
      “Na, Süßer, willst du mir verraten, wo dein Mützchen ist?”, fragte ich den Schimmel und steckte ihm eine Möhre zu. Nichts sagen, verschlang er diese und blinzelte mich an. “Na gut, wenn du es mir nicht verraten möchtest, müssen wir wohl suchen.” Systematisch lief ich die Wiese ab. Vorne war das Gras recht kurz, doch je weiter hinten ich auf die Koppel kam, umso höher wurde das trockene Gras. Ganz hinten bei einem Distel vorkommen fand ich die Fliegenmaske schließlich. Mit spitzen Fingern pulte ich die piksigen Knospen vom Stoff in der Hoffnung ihn dabei nicht zu beschädigen. Divine, der mir nachgelaufen war, knusperte genüsslich an einer der lila Pflanzen. Damit wurde mir immerhin klar, wie er die Maske verloren haben musste. Ich kleidete den Hengst wieder ein und brachte ihm zum Putzplatz.
      “So mein Kleiner, heute machen wir mal etwas Neues”, kündigte ich ihm an und holte etwas aus einer Tasche, die ich bereits am Putzplatz deponiert hatte. Interessiert schnupperte Divine an dem runden, weichen Schaumstoff, prustete wie ein Wal und biss schließlich hinein. Sanft gab der Stoff unter seinen Zähnen nach, fast wie bei einem Squishy.
      “Nein, Süßi, das ist nicht zu essen“, lachte ich und nahm es ihm wieder weg, bevor er es noch zerstörte. Schaumstoff war eher nicht die richtige Pferdenahrung. Da der Wind heute ziemlich kühl über die Insel pfiff, legte ich Ivy eine leicht Abschwitzdecke auf, denn ich glaube kaum, dass er ausreichend Körpermasse besaß, um sich selbstständig warmzuhalten.

      Als für das Wohlbefinden des Pferdes gesorgt war, stellte ich langsam einen von seinen Hufen auf das Pad. Zu Anfang, so hatte ich gelesen, wurde empfohlen, dass das Pferd nur wenige Minuten draufstehen zulassen und erlauben, dass es von dem wackeligen Schaumstoff herunterging. Diese Art des Trainings soll idealerweise die Tiefenmuskulatur ansprechen und zusätzlich dafür sorgen, dass das Pferd einige Blockaden selbstständig lösen kann. Ivy wirkte zunächst irritiert und ich glaubte fast, er würde den Huf sofort wieder runternehmen, doch tatsächlich blieb er stehen. Perfekt, dann konnte ich die Zeit nutzen, um sein Futter vorzubereiten. Als ich wenigen Minuten später aus der Futterkammer kam, nahm der Schimmel seinen Huf gerade vom Pad.
      „Prima", lobte ich ihn, erstaunt, dass er gleich so lange darauf blieb. Ich hatte damit gerechnet, dass er weitestgehend sofort wieder abstieg. Aus meiner Jackentasche zauberte ich ein Leckerli. Gestern hatte ich noch kurz in dem kleinen Hofladen gestöbert und getreidefreie Leckerbissen gefunden. Da ich die Präferenzen des Hengstes noch nicht kannte, hatte ich mich für eine gemischte Tüte entschieden, wo verschiedene getrocknete Obst und Gemüsechips drin waren. Mit dem anderen Vorbein wiederholten wird das ganz noch einmal. Hier erledigte er seine Sache ebenso gut und wirkte danach bereits ein wenig entspannter in der Muskulatur. Die vorderen Beine sollten für heute reichen, schließlich war Bewegung auch ohne Muskelkater schon angestrengt genug für den Hengst. Dass die Trainingseinheit somit heute sehr kurz war, holte ich noch den Putzkoffer und begann ihn etwas zu striegeln, während er fraß, denn allein wenn man sein flauschiges Fell nur berührte, hatte man die Hand voll mit weißen Haaren. Ungefähr eine Stunde lang bearbeitete ich Divines Fell, bis er etwas weniger an Haaren verlor. Der Boden, ich und auch das Putzzeug war schließlich anzusehen, mit welchem Pferd Umgang gepflegt wurde. Mit dem abgebürsteten Fell konnte man sicher ein neues Pferd bauen. Auch den Rat der Tierärztin nahm ich mir zu Herzen und massierte Ivy das Genick und den Rücken ein wenig. Zu Beginn waren ihm die Berührungen sichtlich unangenehm, doch er entspannte allmählich, als sich die verklebten Muskeln lockeren. Während der Kopf immer weiter hinab sank, begann Divine zu kauen und zu gähnen. Als der Hengst schließlich entspannt und gepflegt war, räumte ich den Putzplatz auf, wozu selbstverständlich auch die Entfernung der Haarmassen zählte. Sicherlich wollte nicht jeder, der diesen Platz betrat, aussehen wie ich, die nun einen Partnerlook zu ihrem Pferd trug.

      „Ivy, hättes du wohl noch Lust auf einen Spaziergang?“, fragte ich das Pferd, welches mir nichtssagend anstupste. Das deute ich einfach mal als ein Ja. Wie am Vortag schon folgten wir einem der Sandwege von Hof und kamen so recht schnell in den Wald. Still war es hier draußen. Nur das Rauschen der Blätter im Wind und Divines Hufschlag waren zu vernehmen. Während ich meine wunderschöne Umgebung immer wieder in Augenschein nahm, begannen meine Gedanken abzuschweifen. Der Duft, der uns umgebenden Kiefern und Tannen wir mir vertraut, vermischt mit der salzigen Meeresluft erweckte es Heimatgefühle. Das Leben in den Rockies war einfach nicht dasselbe. Die Mentalität der Leute war deutlich konservativer, die Kultur weniger modern und obwohl Kanada als multikulturelles bekannt ist, sind sie gerade auf dem Land Ausländern nicht sehr aufgeschlossen gegenüber. Ich seufzte. Obwohl die negativen Erinnerungen an meine Heimat vorherrschten, vermisste ich es. Nicht gerade mich allein durchs Leben schlagen zu müssen, aber die Lebenseinstellung und das Wasser. Meine Gedanken schweifen weiter ab und bleiben schließlich in der Vergangenheit hängen.
      Eine richtige Familie hatte ich nie gehabt. Meine Mutter verließ unsere Familie angeblich, da konnte ich kaum laufen und meinen Vater bekam ich kaum zu Gesicht. Ständig war er unterwegs, für die Arbeit oder wer weiß schon was, teilweise wochenlang. So kam es, dass meine Geschwister und ich bei meiner Tante aufwuchsen. Mit vier saß ich das erst mal auf dem Pferderücken. Flora, gehörte eigentlich meinem Bruder. Er hatte sie damals als Einstieg in den Reitsport bekommen. Sie war ein herzensgutes kleines Pony gewesen und verzeih nahezu jeden Fehler. Wirklich gelebt habe ich das reiten, aber erst später mit den Zuchtpferden Elsas. Einige der Finnpferde waren temperamentvoll und hatte es faustdick hinter den Ohren, während andere geduldige Lehrmeister waren.
      Erst als Ivy mich anstupsen und mir ins Ohr amtete, bemerkte ich, dass ich stehen blieb. Als habe er den Stimmungswechsel längst wahrgenommen, blickte er mich sanft mir seinen großen dunkeln Augen an und blies mir seinen Atem gegen die Wange, ruhig und tiefenentspannt.
      “Du bist so ein Süßer”, lächelte ich zart und schlang meine Arme um seinen Hals. Ivy hielt ganz still, brummte nur leise und ließ diesen engen Kontakt zu. Man mag mich vielleicht für verrückt halten, doch in diesem Moment fühlte es sich an, als würde das Pferd mich verstehen und das ganz ohne Worte. Dass Divine und ich in Teilen eine ähnliche Lebensgeschichte hatten, wusste ich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht.
      Zurück an der Koppel wollte mir der Hengst gar nicht mehr von der Seite weichen. Nicht dass er da immer tat, doch heute war er noch anhänglicher als zuvor. Nichteinmal von anderen Menschen ließ er sich ablenken. So kraulte ich ihn noch eine Weile, bis es Zeit war, für Mittagessen zu sorgen. Ich war schon beinahe aus der Sichtweite des Schimmels verschwunden, das hörte ich seinen leisen Ruf. Niedlich, dachte ich und musst mich zusammenreißen, nicht anzufangen zu weinen. Ich selbst war erstaunt über die heftige emotionale Reaktion, trotz der vielen Menschen, die herumschwirrten wie Bienen auf der Suche nach Nektar. Zum zweiten Mal an diesem Tag erkannte ich in Ivy Züge, die einst ein anderes Pony ausmachten. Der kleine braune Wallach wuchs mit mir und ich an ihm. Eigentlich viel zu unerfahren für eine neunjährige, erwählte ich Vili zu dem Pferd, dem ich blind vertraute, auch wenn uns dies gelegentlich in brenzlige Situationen brachte. Aber egal, wie schwierig es war, das junge Pferd hatte mich immer wieder nach Hause gebracht. Mit dem hellen Freiberger schien es nun umgekehrt. Es war meine Aufgabe, auf ihn achtzugeben, ihn nach Hause zu bringen und Ivy schien volles Vertrauen in mich zu haben. Ein Pferd, welches den Menschen derart schnell und unkompliziert als Herdenmitglied akzeptiert, musste furchtbar darunter gelitten haben, ohne diese Kontakte auszukommen.

      Nach einer Mahlzeit und einem Jetlag bedingten Powernap, beschloss ich die Zeit zu nutzen mehr über Divine herauszufinden. Über die Freiberger selbst konnte ich bisher herausfinden, dass sie durch die Subventionen, die die Schweiz für jedes Fohlen zahlt, recht zahlreich gezüchtet werden, denn die Foheln verursachen kaum Kosten, wenn sie die Sommer über mit ihren Müttern auf den Almen stehen. Doch rund vierzig Prozent dieser Tiere finden später keine Käufer. Einige wenige Fohlen haben das Glück ins Ausland, überwiegend nach Deutschland exportiert zu werden, doch bedingt durch den relativ hohen Schlachtpreis in der Schweiz endet der Weg für viele der Tiere noch im ersten Lebensjahr. Somit konnte Ivy sich glücklich schätzen zu den 60 % zu gehören, die Leben duften. Mangels seines richtigen Namens oder der Abstammung gelang es mir nicht herauszufinden, ob er jemals in öffentlichen Dokumenten auftrat. So lag meine Vermutung darin, dass er aufgrund der selten Farbe ausgewählt wurde, die zwar nicht erwünscht ist, aber bei einigen Liebhabern dennoch beliebt. Verständlich, ich konnte mir vorstellen, dass Ivy mal ziemlich schick sein würde, wenn er mal wieder etwas auf den Rippen hatte. Als ich schließlich den Laptop schloss, erregte mein Handy Aufmerksamkeit. Quinn hatte vor einigen Stunden eine Story geteilt. Interessiert öffnete ich die App und sah, was meine Kollegin postete. Es zeigte ein Gruppenbild mit ihren Freundinnen und … ich betrachte das unterbelichtete Bild genauer. Jace?
      „Du geht's mit Jace aus? “, reagierte ich augenblicklich und sendete den Chat. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der blonde Quinns Typ war. Andersherum wäre das schon vorstellbar. Jace war nicht gerade dafür bekannt, besonders wählerisch zu sein. Nicht dass meine Kollegin unattraktiv war, nein, eher das Gegenteil. Meiner Meinung war sie sogar ziemlich hübsch.
      "Davon träumt der Nachts “, kam Quinns Antwort nahezu sofort, “Wir haben ihn zufällig in der Bar getroffen und naja, Grace konnte ihre Finger nicht bei sich lassen.” Ich betrachtet das Bild erneut. Quinn hatte recht, die Brünett stand eng an Jace geschmiegt, ihre Hände auf seiner Brust. Er zeigte ebenso, dass es ihm gefiel, indem seine Hände an ihrer Taille ihren Platz fanden. Intimität und Anziehung strahlte aus dem Bild heraus. Ich musste zugeben, dass ich ein wenig eifersüchtig war. Nicht auf die flüchtige Beziehung zwischen Jace und Grace, sondern auf das Gefühl von Nähe und Begehren, das sie ausstrahlten. Ich konnte nicht anders, als darüber nachzudenken, wie es wäre, von jemandem so begehrt zu werden. Wie es wäre, die Intensität der Anziehungskraft zwischen zwei Menschen zu spüren. Es war ein Gefühl, das ich bisher nur sehr einseitig erlebt hatte. Ich seufze, einem Gefühl nachjagen brachte doch auch nicht.
      “Ich sehe schon Hast du auch jemanden kennengelernt?”, fragte ich sie neugierig.
      “Leider nein, aber ich muss nun auch die Pferde füttern. Viel Spaß mit deinem neuen Schützling”, verscheidet sich und verschwand von der Plattform.
      Wo ich schon einmal am Handy war, konnte ich auch gleich einen Post verfassen. Eine ganze Zeit lang hatte ich regelmäßig über meinen Alltag auf dem Whitehorse Creek gepostet und mir so eine kleine Community aufgebaut. Es war erstaunlich, wie viele sich für den Alltag auf einem Gestüt interessierten. Aktuell war dieses ‘Projekt’ allerdings etwas eingeschlafen, zu viel war zu tun, wenn die Zuchtsaison begann. Ivy und das HMJ erschienen mir allerdings als guter Anlass, das ganz wiederzubeleben. Vielleicht hatte ich ja auch noch das Glück, so etwas über den Schimmel zu erfahren. An Bilder mangelte es natürlich nicht, so waren in den vergangenen Tagen bereits einige entstanden. Ich schwankte zwischen einem Porträt und einem weiteren Bild, doch entschloss mich letztlich für ein Ganzkörperbild. Entspannt stand Ivy dort auf der Weide und blickte in die Ferne. Im Hintergrund erblickte man die Küstenlinie mit dem ungehinderten Blick auf die Ostsee. Fehlte nur noch der Text.

      ~ The beginning is always today ✨

      Nach langer Zeit der Stille melde ich mich wieder zurück. Auf dem @whitehorsecreek.stud ist aktuell einiges los. Fohlen, Zuchtschauen, Pferde (Ver-) käufe und der alltägliche Wahnsinn. Heute melde ich mich allerdings nicht aus Kanada, sondern aus Nordeuropa. Der ein oder andere kann sich eventuell bereits denken, worum es geht, aber für den Rest werde ich es erklären.
      Nach langem Warten startet nun das zweite #HorsemakoverJoelle. Die Eröffnung des #HMJ2020 findet in Schweden, genauer etwas außerhalb von Kalmar, statt . Das genannte Event ist eine Trainer-Challenge, in der es darum geht, innerhalb von drei Monaten ein zugeteiltes Pferd aufzupäppeln und dabei Punkte zu sammeln. Ziel ist es, eine möglichst große Entwicklung zu sehen. Dabei ist irrelevant, auf welchem Stand das Pferd jetzt ist. Vergangenes Jahr hat mein Kollege @alec_Light.wood mit Unterstützung von @anufour das WHC vertreten. Mit #HMJ7469, die den Namen Fanya erhielt, erzielten sie einen guten dritten Platz . An diese Leistung gilt es anzuknüpfen.

      Und nun zum interessanten Teil: ICH befinde mich seit Montag auf dem @lindoedalenstuteri, wo ich mein HMJ Pferd empfangen durfte. #HMJDivine ist, so will es der Zufall, ein #Freiberger, diesmal allerdings farblos . Divine ist geschätzte fünf Jahre als und zeigt sich menschenbezogen und freundlich. Wie ihr seht ist er körperlich nicht allzu fit, was dem geschuldet ist, dass er aus einer Beschlagnahmung stammt. Deswegen weiß ich leider auch nicht viel mehr über den süßen Schimmel. Der Tierarzt war gestern bereits da und hat uns einige Diagnosen gestellt‍⚕️. Glücklicherweise nichts, was man nicht wieder hinbekommt . Wenn es euch genauer interessiert, mache ich gerne noch einen detaillierten Post dazu. Morgen kommt dann noch der Hufschmied und versorgt seine Füßchen, dann läuft er hoffentlich auch besser. Bis dahin heißt es hoffen, dass es nicht allzu dramatisch ist

      #rescue #horsesofInstagram #weisserfreiberger

      Nachdem ich den Post veröffentlicht hatte, lud ich noch eine Story hoch, in der Hoffnung damit ein paar mehr Menschen erreichen zu können, die vielleicht mehr über den Schimmel wussten. Beim Abendessen bekam ich einige Eindrücke der anderen Teilnehmer, bei denen das Training sehr unterschiedlich erfolgreich waren. Einige der Pferde waren offenbar ähnlich aufgeschlossen wie Ivy, doch andere waren misstrauisch oder gar aggressiv. Auch der gesundheitliche Zustand war, wie ich es bereits ausmalen konnte, ebenso vielfältig. Im Anschluss an das Abendessen ging ich noch einmal zu Ivy. Die ständigen Erinnerungsmomente an meine Vergangenheit ließen mich ruhelos werden, sodass ich etwas Bewegung benötigte, um den Stress irgendwie umzuwandeln. Somit schnappte ich mir noch einmal den Schimmel und spazieren eine kleine Runde über den Hof. Noch immer konnte ich es kaum fassen, dass ein solch modernes Gestüt einen Haufen an hoffnungslosen Fällen aufnahm. In mir kam die Frage auf, aus welcher Motivation heraus dies geschah. War der Hof wirklich dermaßen tiergerecht oder geschah das nur für eine gute Außenwirkung? Neben dem positiven Image war es auch noch kostenlose Werbung, schließlich waren neben den Teilnehmern auch zahlreiche Besucher erschienen.
      Die Gedankengänge über Ivy und das Horsemakeover lenkten mich ab von den Schatten der Vergangenheit, die durch meinen Geist wanderten. Mit der Ablenkung spürte ich, wie sich meine innere Anspannung löste. Interessanterweise spiegelte Divine diese Veränderung, den er begann zu schnauben und zu schmatzen, noch bevor ich den Effekt verspüren konnte. Etwas gelassener kehrte ich schließlich in die Hütte zurück, wo ich mich samt Laptop ins Bett begab. Vielleicht fand ich doch noch etwas Interessantes über Ivy oder auch die Rasse im Internet.

      Freitag, 24. April 2020

      Irgendwann musste mich die Müdigkeit überkommen haben, denn ich erwachte in meine Kissen gekuschelt. Die Sonne schien durch den Spalt zwischen den Gardinen und das Vogelgezwitscher drang dumpf an meine Ohren. Der Laptop stand noch geöffnet neben mir auf der Bettdecke und hatte allem Anschein nach sogar noch Akku. Verschlafen entsperrte ich den PC und erblickte, was ich zuletzt geöffnet hatte. Elevage spécial Franches-Montagnes stand in großen Lettern am oberen Bildschirmrand. Darunter eine Liste mit Zuchten und Züchtern, die entweder Urfreiberger züchteten oder annähernd bis gänzlich weiße Tiere, ähnlich meinem Schimmel. Grob gezählt waren es ungefähr zwanzig Züchter, von denen nur ein Bruchteil überhaupt einen Internetauftritt hatten. Ernüchternd für meine Recherchen, doch so schnell wollte ich nicht aufgeben. Wie ich Ivys Herkunft herausfinden sollte, war mir zwar noch nicht klar, aber es würde schon werden.
      Mit einem Blick auf die Uhr sprang ich hektisch auf. Mist, es war bereits zehn Uhr. Das Frühstück hatte ich somit verpasst und Ivy wartete bestimmt auch schon auf sein Futter. Eilig zog ich in akrobatischen Verrenkungen die nächstbeste Hose an. Eine schwarze Reiterleggings. Meine Haare knoteten mich mehr als chaotisch auf meinem Kopf zusammen, aber Aussehen war nun nebensächlich. Schon halb im Gehen griff ich mir einen lockeren Pullover aus meinem Koffer und warf ihn mir über. Fürs Erste würde das reichen. Wie ich bereits erwartete, stand der Freiberger längst am Tor und wartete auf mich. Er war augenscheinlich auch der letzte, denn ich konnte keines der anderen Pferde auf der weitläufigen Koppel entdecken. Ein leises brummelte erklang aus den Tiefen seines Brustkorbes als ich ihm zur Begrüßung freundlich über den Hals Strich. Ich schlang dem Hengst das Halfter um den Kopf und schlug den Weg zum Round Pen ein. Hoffentlich war dieses nicht bereits belegt. Dort angekommen, konnte ich erleichtert aufatmen, es war frei und auch sonst wirkte es so, als seine viele außerhalb unterwegs. Ich ließ Divine, die Gangart, in der er sich um mich herum bewegt, selbst wählen, wollte lediglich, dass er sich etwas bewegte. Muskeln kamen schließlich nicht davon, sich den Bauch auf der Koppel vollzuschlagen. Im Vergleich zum Vortag zeigte er sich etwas lockerer, auch wenn noch weit entfernt von einem schönen, harmonischen Gangbild. Sicherlich waren die Verspannungen und die wenigen Muskeln nicht der einzige Faktor, der ihm Schmerzen bereitete. Die rissigen Hufe und untergeschobenen Trachten, waren sicher ebenso unangenehm, schätzte ich. Glücklicherweise hatte ich einen Schmied finden können, der heute etwas Zeit für uns aufopfern konnte. Mit frischen Schuhen würde es sich sicher gleich besser bewegen. Nach einigen Minuten setzte ich mich in die Mitte des Pens und beobachtete Ivys Reaktion. Zunächst blieb er stehen, schnupperte am Boden und wühlte im Sand mit seiner Lippe. Offensichtlich uninteressant. Mit gespitzten Ohren blickte er schließlich auf und trottete zu mir hinüber.
      „So ein Braver“, lobte ich, kaum streckte sich ein paar Nüstern in mein Gesicht. Ein Leckerli folgte. Divine kaute darauf herum und begann die obere Lippe zu heben, als sei eine Stute anwesend. Das scheint zu schmecken, es galt nur herauszufinden, welches Gemüse es genau war. Ein weiteres Stück von dem nahezu weißen Gemüse holte sich der Hengst ab. Optisch wirkte es nicht so, als kannte ich das Gemüse, also taste Test. Aus dem bunten Gemüse aus meiner Jackentasche suchte ein weiteren der weißen Chips und knabberte daran. Ein leicht nussiges Aroma breitete sich auf meiner Zunge aus mit einer Nuance von … Möhre? Gab es weiße Möhren? Den Rest des Gemüses steckte ich Ivy zwischen die Lippen, was er ebenso gierig verschlang.
      “Jetzt wollen wir dir aber mal dein Futter holen, nicht?“, lächelte ich sanft und strich ihm über die weiche Schnauze. Als ich schließlich aufstand, um dem Freiberger sein Futter zu holen, trottete er mir hinterher, wollte mit sogar aus dem Tor hinaus folgen, was ich allerdings nicht zuließ. Ich vertraute dem Hengst, aber in unbekanntem Gelände wollte ich es nicht riskieren, das Pferd durch eine riskante Aktion zu verlieren. Zurück mit dem Mahl zog ich dem Tier erst die Fliegenmaske ab. Es war ausreichend, wenn das Pferd sogleich die Farbe wechselte, da musste nicht noch der Stoff mitleiden. Genießerisch begann er das Mash auf zu schlabbern, wobei er nahezu bis zu den Nüstern in der Schüssel steckte. Als selbst die letzten Krümel aufgesaugt waren, begann er mit dem Plastik zu spielen, kaute auf dem Rand herum und hob es schließlich an. Lustig nickte er mit dem Kopf, sodass das Gefäß wippte und gegen seine Nase schlug.
      “Na du kleiner Clown“, grinste ich, woraufhin besagter mitsamt der Schüssel im Maul zu mir gelaufen kam, ähnlich wie ein Hund, der einen Stock gefunden hatte.
      „Noch hungrig Ivy?“, fragte ich denn Hengst und bot ihm im Austausch für die Schüssel etwas aus der Leckerlitüte an. Zufrieden kauen, ließ er sich seine Maske wieder anziehen. Gerade als ich ihn an den Strick nehmen wollte, meldete sich mein Handy gefühlt zum hundertsten Mal mit einer Benachrichtigung. Einige der Menschen hatten auf den Post geantwortet. Die meisten beglückwünschen mich zu dem Projekt und zu dem süßen Divine. Andere kommentierten zusammenhangloses, doch an eine Nachricht blieb ich hängen.

      fm.byJoel 1d

      Hallo Lina, ich denke, ich habe dein Pferd vor ein paar Jahren schon einmal in Les Breuleux auf eine Zuchtschau gesehen. Leider habe ich vergessen, unter welchem Namen er vorgestellt wurde. Meine Freundin @vivi.fourtuiern, lebt dort. Sie könnte dir möglicherweise Kontakte geben und vielleicht kennt sie den Hengst auch.

      Per Privatnachricht hatte mir die Userin auch noch eine E-Mail-Adresse geschickt. Ivy brachte ich zurück auf die Koppel, räumte seine Sachen ordentlich weg und kehrte in die Hütte zurück. Den Laptop hatte ich zwischenzeitlich an den Strom gehängt, sodass er nun zu neuem Leben erwachte. Obwohl es kühl war, schien die Sonne, so nahm ich eine Decke und begab mich auf die kleine Terrasse der kleinen Hütte. Les Breuleux, gab ich in das Suchfeld ein und bekam wenige Sekunden später die Ergebnisse. Bingo, es war eine kleine Gemeinde im Schweizer Jura. Das passte, dort konnte Ivy wirklich herkommen. Aufgeregt gab ich weitere Suchwörter ein. Weiße Freiberger, Cheval Frances Montages gris, Cheval Frances Montages gris, vergeblich. Selbst meine Fremdsprachenkenntnisse halfen mir bei der Suche nicht weiter. Bei keiner der angezeigten Züchter gab es einen Hinweis auf einen weißen Freiberger oder etwas ähnlich außergewöhnliches. Alle Pferde auf den Bildern waren Freiberger typisch braun und gelegentlich ein paar Füchse. Die Suche nach Ivy Herkunft würde wohl eine intensivere Suche benötigen. So öffnete ich schließlich mein Mailprogramm und schrieb an die mir genannte Adresse.

      Hallo Vivien,

      auf Instagram sagte man mir, du könntest vielleicht etwas über ein Pferd wissen, welches inzwischen in meiner Obhut ist. Divine kam über den Tierschutz zu mir und nun würde ich gerne mehr über seine Vergangenheit erfahren. Der kleinen Schimmel ist nach Schätzung fünf Jahre alt und soll angeblich aus Les Breuleux stammen. Er soll auf einer Alm in der Schweiz beschlagnahmt worden sein, zusammen mit einigen anderen Pferden. Mehr weiß ich leider nicht über ihn. Nichtmal sein Pass ist vorhanden. Ich habe dir ein paar Bilder angehängt. Bedauerlicherweise ist er in keinem guten Zustand, aber vielleicht erkennst du ihn dennoch.
      Falls du ihn kennen solltest, würde ich mich sehr über weitere Informationen freuen.

      Freundliche Grüße
      Lina Valo

      Nach dem Mittagessen holte ich Divine von der Koppel, denn endlich wurde ein Hufpfleger seine Füße in Augenschein nehmen. Stefanie Westside kam mit etwas Verspätung, doch fand mich schließlich doch. Nach einer Begrüßung und einer kurzen Runde Small Talk nahm sie den Hengst in Augenschein.
      „Oh, ich sehe schon, da müssen wir dringend handeln“, sagte die Dame und besah sich einen der Vorderhufe, eine Spalte zog sich weit hinauf in die Zehe. Stefanie besah sich zunächst alle Hufe, während sie mir erklärte, wie es zu derartigen Spalten kam. Durch die Mangelernährung war die Hufsubstanz schlecht, was die Entwicklung von Hufproblemen im Allgemeinen begünstigte. Zudem war das Horn durch die mangelnde Bearbeitung und den Abrieb beim Laufen schief gewachsen, wodurch auf Teile des Hufes zu viel Druck kam, was das Horn aufbrechen ließ. Zusätzlich hatten sich die Trachten in Folge von zu langen Hufen untergeschoben, was zu einer hohen Belastung der Beugesehne führt. Um auszuschließen, dass neben den Spalten tieferliegende Probleme vorlagen, röntgte die Hufbearbeiterin Ivys Hufe. Glücklicherweise war nur einer der Hufe äußerlich etwas angefault, doch im Inneren war alles in Ordnung. Das wichtigste, so erklärte Stephanie, wäre nun den Druck von den geschädigten Stellen zu nehmen und das Gleichgewicht im Huf wieder herzustellen. Artig blieb Divine stehen und inspizierte Stephanie, während sie die Hufe zunächst ab raspelte und Ausschnitt. Allmählich nahmen die hellen Hufe des Freibergers wieder eine normale Form an. Die Hornspalten wurden aufgefräst, bis das gesunde Horn darunter zum Vorschein kam.
      “Zur Entlastung werden wir ein Stegeisen anfertigen”, erklärte Stephanie, “damit nehmen wir den Druck von der geöffneten Stelle, damit das Horn gesund nachwachsen kann. In ein paar Wochen sollte Divine damit lahm frei sein.” Nachdem Ivys Hufe in neuem Glanz erstrahlen, begann sie die Eisen zurecht zu schmieden. Zuerst passte sie das ¾ Eisen, mit den zwei seitlichen Aufzügen, an den Huf an, bevor sie den Steg an der richtigen Stelle anbrachte. Gerade als Stephanie das glühende Eisen aufbrennen wollte, regte Ivy seine Nase heraus und stieß beinahe daran.
      “Das tust du besser nicht, Ivy”, tadelte ich den Hengst und konnte seine Nase gerade noch wegziehen. Solch ein heißes Eisen hätte sicherlich eine ordentliche Brandverletzung gegeben. Mit gezielten Schlägen brachte die Schmiedin das nun abgekühlte Eisen auf. Ordentlich versenkte sie die Nägel im Horn, sodass nicht überstand, woran Ivy sich hätte verletzen können. Die gleiche Prozedur folgte ebenso an den drei anderen Füßen. Die Stellung der Hufe kontrollierte sie erneut mit dem Röntgengerät, bevor sie auch das Gangbild betrachtete. Zunächst wollte Divine gar nicht loslaufen, hatte er nun schließlich die seltsamen schweren Dinger an den Füßen. Doch als er sich endlich bewegte, lief er sauber und lahmte sogleich viel weniger. Die Entlastung der Hornspalten schien also gut zu funktionieren.
      “Die nächsten Tage wird er sicher noch etwas seltsam laufen, da er sich erst an die Eisen gewöhnen muss. Das Hornwachstum und die Festigkeit der Hufe kannst du mit etwas Biotin und Vitamin A fördern. Zusätzlich kannst du zwei- bis dreimal die Woche Loorbeeröl auf dem Kronrand auftragen”, erklärte Stephanie zum Abschluss. In drei bis vier Wochen sollte mein Hufschmied zu Hause den Beschlag erneuern, doch die Prognose war gut. Bei guter Pflege sollten die zwei weniger tiefen Spalten in ungefähr sechs Wochen verschwunden sein, doch auch die Tiefen sollten bis dahin nahezu vollständig belastbarer sein. Bis dahin hieß es allerdings, das Training seinem Zustand anzupassen. Herzlich bedankte ich mich bei ihr für die schnelle professionelle Hilfe und brachte den Freiberger zurück auf seine Koppel. Auch dort war zu merken, dass er besser lief und sich daraufhin auch mehr bewegte. Übermütig galoppierte der Helle über das Gras und machte sogar einen kleinen Hüpfer. Zusehen, dass der Hengst in so wenigen Tagen bereits ein gesteigertes Wohlbefinden hatte, erfüllte mich mit Freude. Hoffentlich würde seine Genesung weiterhin so rasant voranschreiten.
      Den restlichen Nachmittag verbrachte ich damit ungeduldig auf eine Antwort zu warten, immer wieder durch die Kommentare zu sollen und Divine auf seiner Wiese zu beobachten. Im Gegensatz zum Kontakt mit Menschen, schien er sich mit seinen Artgenossen schwer zu tun. Dauerhaft hielt er großen Abstand zu ihnen und schien nicht recht zu wissen, mit ihnen zu kommunizieren. Selbst als der kleine Isländer sich freundlich anzunähern versuchte, nahm Ivy eher Abstand. Ich hoffte für ihn, dass er noch lernen würde, mit seinen Artgenossen umzugehen, denn ich würde nicht ständig Zeit mit ihm verbringen können.

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      zeitliche Einordnung {Ende April 2020}
    • Wolfszeit
      Check-up für HMJ Divine | 26. April 2020
      Ich begann die neue Woche mit einem erneuten Besuch auf Lindö Dalen Stuteri in Schweden. Diesmal war meine Auftraggeberin Lina Valo, die sich mit HMJ Divine, einem Freibergerhengst, beschäftigte. Auf Lindö Dalen Stuteri kannte ich mich bereits gut aus, ich hatte in letzter Zeit einige Aufträge in Schweden. Ich stellte mein Auto auf meinem ‚Stammplatz‘ ab und stieg aus. Wenige Augenblicke später kam mir eine nett ausschauende, junge Frau entgegen. Es war Lina; sie führte mich zu dem Sorgenkind Divine. Wir gingen einen Feldweg entlang zu einer riesigen Koppel. Ich wartete vorne am Koppeleingang, während Lina einen Schimmel brachte, der in keiner guten Verfassung war. Eigentlich ein wunderschöner Kerl, wenn man die deutliche Unterernährung und die schuppige Haut außer Betracht lässt. „Na du armer Kerl?“, begrüßte ich ihn. Neugierig schnupperte er an meinem Pullover. Er schien ein sehr nettes Pferd zu sein! „Lass uns am Besten ein Stück runter gehen.“, meinte ich zu Lina. Wir gingen zurück in Richtung Gestüt, dort konnte ich den Hengst besser behandeln. „Könnte ich mir zuerst den Pass ansehen?“, fragte ich höflich. Lina hatte ihn bereits dabei und ich konnte den Impfstand überprüfen. Leider war das Impfen dringend notwendig, die letzte Impfung war schon mehr als 4 Jahre her, im Fohlenalter. So fand auch keine Grundimmunisierung statt, leider von keiner einzigen Impfstoff. „Wenn er Anfang nächster Woche, Montag, ausreisen soll, MUSS er wenigstens die ersten Impfungen der Grundimmunisierung haben… Ich hoffe, dass sein Gesundheitszustand es zulässt, das wir Impfen können.“, meinte ich besorgt. Lina schien beunruhigt. Eigentlich sollte Divine heute noch Schweden verlassen. Daraufhin machte ich mich direkt ans Abhören. „Hat er mal gehustet, seitdem er hier ist?“, fragte ich, worauf Lina nur den Kopf schüttelte. Sorgfältig hörte ich eine Stelle nach der anderen ab, um den Zustand der Lunge festzustellen. Zu meiner Erleichterung war sie frei von Verschleimungen. Anschließend hörte ich direkt das Herz ab. Auch dieses schlug regelmäßig, kräftig und gesund. „Was ein Glück, wir können ihn nachher impfen.“. Lina atmete erleichtert auf und streichelte Divine über die Stirn. Ich trat ein Schritt zurück und ließ das Pferd nochmal auf mich wirken. Er war in einem schlechten Ernährungszustand, die Haut war trocken und schuppig und die Hufe wiesen zahlreiche Spalten auf. Es war mir immerwieder ein Rätsel, Pferde so verwahrlosen zu lassen. Zum Glück nimmt sich das Gestüt in Schweden dieser Pferde an und peppeln sie gemeinsam wieder auf. Ich sah mir die schuppigen Stellen genauer an. Ich konnte nichts krabbeln sehen, daher konnte ich Parasiten ausschließen. Sicher kommt die schlechte Haut durch Mangelerscheinungen, so wie es bei vielen Pferden der Fall war. Dies lässt sich aber nur über das Blut feststellen, was ich später abnehmen wollte. Ich fuhr über Devines Körper um eventuelle Abnormalitäten zu erkennen. Dabei bekam ich fast nur sein Skelett zu spüren. Lina meinte, ihm würde sein Rücken Probleme machen. „Bitte lauf einmal im Schritt von mir weg und auf mich zu, das gleiche dann nochmal im Trab.“. Lina lief los und ich analysierte genaustens Devines Gangbild. Von den Beinen sah alles sehr gleichmäßig aus, auch auf dem Zirkel, den Lina anschließend auf beiden Seiten vortrabte. Er schien jedoch sehr Festgehalten über die Oberlinie, vom Hals über den kompletten Rücken. Ich tastete den Rücken komplett ab. Seine Muskulatur war stark atrophiert. Die Unterernährung hatte quasi seine gesamte Muskelmasse ‚weggesaugt‘, um zu überleben. Er schien trotzdem an manchen Stellen empfindlich, der noch kaum vorhandene Muskelrest war sichtlich verspannt. Ich schüttelte den Kopf. „Man könnte den Rücken spritzen, jedoch ist das hier in diesem Fall nicht ratsam. Ich würde ihn, wenn er sich vom Ernährungszustand weiter erholt, an der Longe langsam gymnastizieren, sodass er den Rücken aufwölbt und dort neue Muskulatur aufbauen kann und sich die alte Muskulatur lockert. Eventuell Physio oder Chiropraktiker hinzuziehen. Sollte es dann immernoch nicht besser werden, kann man immernoch spritzen.“, sagte ich zu Lina. „Du kannst seinen Rücken aber trotzdem täglich mit einem Massageball massieren, das hilft ihm sicher. Oder du nimmst deinen Ballen der Hand und massierst ihn damit vorsichtig.“, fügte ich hinzu. „Was kann ich gegen den Sonnenbrand auf seiner Nase machen?“, fragte sie mich anschließend. Ich sah ihn mir genauer an. Die Nase war deutlich gerötet, aber nicht allzuschlimm. „Ich würde die Nase mit einer Wund-und Heilsalbe einreiben. Du kannst aber auch die Pflegelotion nehmen, die ich euch später dalasse. Es könnte sein dass sich die Haut schuppt und häutet, das ist aber soweit nicht tragisch. Das kann passieren“. Nun wollte ich Divine noch Blut abnehmen, um zu schauen, wie es innerlich aussieht. Im Auto holte ich ein paar Röhrchen, Kanülen und Tupfer. Ich desinfizierte die Halsvene des Pferdes gründlich und stach die Kanüle in einem Rutsch in die Vene. Sofort floss venöses Blut, welches ich in den Röhrchen sammelte. „So. Ich bin gespannt wie es bei dir aussieht, kleiner Mann!“, meinte ich zu dem Freiberger, der mich freundlich mit schiefem Kopf ansah. Ich lachte und streichelte seinen Hals, bevor ich sein Blut ins Auto brachte. Von dort aus machte ich die Impfungen für den Hengst fertig. Es gab eine Kombi-Impfung aus Tetanus und Influenza, sowie eine Einzelimpfung Herpes. Ich zog die Impfungen in zwei Spritzen auf und ging erneut zu meinem Patienten. Mit einem gezielten Stich saß die Nadel in der linken Brust, wo der Kombiimpfstoff injiziert wurde. In die rechte Brust folgte der Herpesvakzine. „So mein Süßer, das wars!“, lobte ich Devine, der nicht ein Mal mit der Wimper zuckte und alles vorbildlich über sich ergehen ließ. „Braver Junge. Ich melde mich sofort, sobald die Blutergebnisse vorliegen. Einer Ausreise steht nichts mehr im Weg.“, sagte ich zu Lina und lächelte. Ich verabschiedete mich von Pferd und Trainerin und verließ das Gestüt.
      Wenige Tage später lagen auch Divines Ergebnisse vor. Er hatte einen Selen- und starken Zinkmangel sowie veränderte Leberwerte. Alles andere, was eventuell vorlag, hat sich sicherlich durch Linas gute Pflege kompensiert. Divine bekam ein Zink- und Selenpräparat verschieben, sowie eine Wurmkur. Ich packte ebenfalls ein Zusatzmittel von Mangesium und Mangan hinzu, was der Muskulatur helfen wird. Für die Leber gab es eine Leberkur, die er 1x am Tag bekommen sollte. Aufgrund der Leberwerte kann es sein, dass die Muskulatur zusätzlich fest ist. Ich adressierte das Paket an Lina Valo und schickte beste Genesungswünsche mit!
      © Stelli | 6.976 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende April 2020}
    • Wolfszeit
      Glück gehabt II | 26. April 2020
      Geweckt wurde ich von der Vibration meines Handys, das unaufhörlich Aufmerksamkeit wollte. Wer war denn so früh am Morgen derart nervig? Jaces Bild erschien auf dem Bildschirm.
      „Morgen“, murmelte ich, als ich abnahm. Wo ich jetzt wach war, konnte ich auch mit ihm reden.
      „Habe ich dich geweckt? Entschuldige“ lächelte er durch den Bildschirm. Die Haare, die ihm feucht in die Stirn hingen, zeugten davon, dass er gerade erst geduscht hatte.
      „Schon okay, ich muss ohnehin gleich zu Ivy“, murmelte mich und wühlte mich aus meinen Kissen hoch, „Was möchtest du?“
      „Ich habe nur gerade an dich gedacht und wollte dich sehen“, lächelte er. Etwas in seiner Stimme klang anders, als ich es gewohnt war, was meinen Herzschlag direkt in die Höhe trieb.
      „Wirst du aber nicht, ich sehe schrecklich aus“, entgegnete ich und war wirklich froh, die Kamera ausgeschaltet zu haben.
      „Quatsch, du siehst sicherlich so wunderschön aus wie immer“, schmunzelte er verwegen. Sofort errötete ich. „Jaaaace“, quietschte ich überfordert mit seinen Worten.
      „Was denn? Du siehst immer heiß aus“, grinste mein Kollege. Heiß hatte man mich schon lange niemand mehr genannt und es rief unterschiedliche Gefühle in mir hoch. Ich wusste nicht, wie ich auf Jaces Kompliment reagieren sollte. Einerseits fühlte ich mich geschmeichelt, andererseits war ich unsicher, wie ich seine Worte interpretieren sollte. War es nur ein flüchtiger Kommentar oder steckte mehr dahinter? Ich beschloss, das Thema zu wechseln und fragte: „Wie geht es dir eigentlich?“ Jace seufzte. „Geht so, es ist langweilig ohne dich hier.“
      „Na, dann ist es ja gut, dass Ivy als aus flugfähig bestätigt wurde. Morgen machen wir uns auf den Weg“, erzählte ich die neusten Informationen meinerseits. Jace nickte und wir sprachen noch über den Verlauf der Reise. Der Weg war lang und als würden über zwölf Stunden Flug nicht ausreichen, trennten uns noch weitere drei Stunden Fahrt von zu Hause. Doch seine Worte gingen mir dennoch nicht aus dem Kopf. War da wirklich mehr zwischen uns als nur Freundschaft? Ich wusste es nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass sich etwas in unserer Beziehung in den letzten Wochen verändert hatte.
      „Perfekt, denk daran, mir zu schreiben, wann ihr landet, dann hole ich euch drei ab“, lächelte er, „bin schon gespannt Divine kennenzulernen.“
      „Werde ich mache, danke. Ich gehe jetzt aber erst einmal Frühstücken. Bis bald“, verabschiedete ich mich.
      „Bis bald, Lina“, sagte er mit einem Zwinkern, bevor ich auf den roten Hörer drückte. Ich legte das Handy zur Seite und seufzte. Mein Herz pochte immer noch schnell und ich konnte nicht aufhören, über die Möglichkeit nachzudenken, dass zwischen Jace und mir mehr als Freundschaft bestehen könnte. Ich hatte es immer als unwahrscheinlich abgetan, aber seine Worte und seine Stimme hatten mich irgendwie durcheinander gebracht. Vielleicht war es nur die Entfernung und dass seine Stimme etwas Vertrautes bot.

      Eine weitere Vibration meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Es war zwar nicht eine lang erhoffte Mail, doch eine Nachricht meiner Chefin. Offenbar war sie mal wieder vor mir wach. Was trieb sie eigentlich in der ganzen Zeit, wenn ich mich über den Hof bewegte? Die war mir noch nie woanders begegnet als beim Essen.
      Jedenfalls öffnete ich ihre Nachricht, in der sich ein Bild lud. Über Nacht hatte es offenbar geregnet, weswegen sich große Pfützen auf der durchweichten Wiese erstrecken. Dem Weißen war natürlich nichts Besseres eingefallen, als sich in eine der braunen Seen hineinzuwerfen. Pferd, Decke, Maske, alles war mit Schlamm bedeckt. Das hieß wohl, dass heute mal wieder gewaschen wurde. Auf dem Weg zum Frühstückssaal trudelte schließlich auch noch eine Mail von Vivien ein. Doch diese musste warten, denn ich wollte Ivy von seiner Schlammpackung, bevor die Kruste getrocknet war.

      Nach einem hervorragenden Frühstück, mit jeder Menge Müsli und Mini Croissants, holte ich den Freiberger von der Wiese. Fröhlich wartete das schlammbraune Pferd am Zaun und brummelte zur Begrüßung. Aufgehalftert folgten wir dem altbekannten Weg zur Waschbox.
      „Da hat aber jemand Spaß gehabt „, sprach der junge Mann vom ersten Tag, als er Divine erblickte.
      „Ja, leider“, lächelte ich wehleidig, „keine Ahnung, wie ich die Decke wieder sauber kriegen soll.“
      „Ich wasche sie dir in der Sattelkammer, wenn du möchtest. Ich muss ohnehin gleich noch ein paar Schabracken waschen“, lächelte er entgegenkommend.
      „Oh wirklich? Das wäre wundervoll„, könnte ich mein Glück kaum fassen. Ich hatte mich schon von Hand mit einem Eimer Wasser schrubben sehen.
      „Klar, kein Problem. Ich hänge sie im Stall auf die Trockenständer, da kannst du sie dann abholen", nickte er.
      „Vielen Dank“, bedankte ich mich erneut und reichte ihm die verschmutzten Sachen. So verschwand der junge Mann, dessen Namen ich immer noch nicht kannte, in einem der Gebäude. Braune Brühe rann aus dem hellen Fell und hinterließ selbst auf dem Boden einen feinen Sandfilm. Wie bereits beim ersten Waschgang schien Divine Spaß am Wasser zu haben. Immer wieder versucht er den Schlauch zu essen und planschte Boden herum. Nach dem groben Abspritzen seifte ich Ivy gründlich mit dem Spezialshampoo des Tierarztes ein. Auch diesmal war das Wasser nicht gänzlich sauber, welches aus seinem Fell rann, doch nach und nach erstrahlt er wieder in einem gepflegten weiß. Während er schließlich unter dem roten Licht der Wärmelampen trocknet, rieb ich ihn mit der Hautlotion ein und massiert ihm etwas die Muskeln. Gerade im Genick war der Freiberger fest und reagierte mit Schmerzreizen an der Kauleiste. Sobald ich die schmerzhaften Bereiche aussparte, entspannte der Hengst und begann sogar abzukauen. Sicherlich wurden seine Schmerzen mit jedem Tag etwas besser, gerade jetzt, wo er auch wieder schmerzfrei laufen konnte. Ich ließ den Hengst noch etwas unter der künstlichen Sonne dösen und öffnete schließlich die Mail von Vivien.

      Hallo Lina,

      tatsächlich habe ich deinen Hengst bereits einmal gesehen. Traurig, was aus ihm geworden ist. Dein Divine stammt von einem Nachbar, der seine Zucht mittlerweile aufgegeben hat. Dein Hengst gehörte damals einer Freundin, sie hat ihn Prinz gerufen, doch ich denke, das war nicht sein Zuchtname. Meines Wissens war Prinz eine Handaufzucht, weil seine Mutter an den Komplikationen der Geburt verstarb. Auch er hat es nur knapp überlebt. Damals schon war er mit Abstand das menschenbezogenste Fohlen, was ich je gesehen habe. Sicherlich hat er diese Eigenschaft heute noch. Prinz war noch kein ganzes Jahr alt, als die Tochter von Herrn Rüttimatt verunglückte. Daraufhin hat er nahezu alle seine Pferde verkauft. Da einige von ihnen im Ort geblieben sind, kann ich dir allerdings nicht genau sagen, an wen dein Weißer verkauft wurde.
      Ich finde es sehr traurig zu sehen, in welch schlechtem Zustand der Kleine ist, aber bei dir scheint er ja in guten Händen zu sein. Ich freue mich von ihm etwas gehört zu haben und wünsche dir alles Gute und viel Erfolg mit ihm. Wenn er so wird wie seine Mutter, wird er ein ganz tolles Pferd werden. Ich werde mal sehen, ob ich noch Bilder von ihm finde, denn ich war mit seiner Besitzerin früher eng befreundet und wir haben viel Zeit mit dem kleinen Mann verbracht.

      P. S. Prinz ist übrigens kein Schimmel. Er kam bereits weiß zur Welt. Seine Farbe nennt sich Dominant White genauer gesagt White Spotting. Diese Gene besitzen nur wenige Freiberger, weil sie in der Zucht eigentlich nicht erwünscht ist.

      Liebe Grüße
      Vivien

      Armer kleiner Ivy, offenbar hatte er schon einiges durchgemacht in seinem Leben, auch wenn das, was Vivien mir sagen konnte, gerade erst einmal sein erstes Lebensjahr betraf. Immerhin hatte ich nun eine Erklärung für seine fehlende Sozialisation.

      Hallo Vivien,

      vielen Dank für deine ausführliche Antwort. Jemanden zu verlieren ist immer schmerzhaft, mein Beileid.
      Du hast recht, Divine ist ein sehr menschenbezogenes Pferd. Ich bin ehrlich erstaunt, wie freundlich und vertrauensvoll er ist, trotzdem, was er alles ertragen haben musste. Mittlerweile geht es ihm auch schon besser, nachdem Hufschmied und Tierarzt da waren. Leider hat er einige Baustellen, die längerfristige Behandlung benötigen, aber ich werde alles geben ihn aufzupäppeln. Gerne halte ich dich auf dem Laufenden. Die Information über seine Farbe ist sehr interessant, ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt. Ich freue mich schon auf die Bilder, als Baby war er sicher noch niedlicher als jetzt.

      Liebe Grüße

      Lina und Ivy

      Mittlerweile war das Fell des Göttlichen durchgetrocknet. Durch sanftes Anstoßen weckte ich ihn auf. Langsam hob er seinen Kopf und gähnte.
      „Na komm, du kannst auf der Wiese weiterschlafen„, lächelte ich ihn an und strich ihm den Schopf aus der Stirn. Freundlich knabberte er an meinem Pullover. Ich hängte den Strick an und brachte ihn zurück auf die Wiese, ohne Decke, da diese, wenngleich sie bereits gewaschen waren, sicherlich noch nicht getrocknet waren. Ich würde sehen, ob ich bis nach dem Mittagessen einen Hänger zum Training organisieren könnte. Schließlich muss Ivy morgen in einen solchen steigen, wenn er mit nach Hause sollte.
      “Ivy, bitte nicht noch einmal eine Schlammmaske nehmen, ja”, ermahnte ich den Hengst, bevor zum Abschluss ein Leckerli zusteckte. Während des Mittagessens blieb Luchy verschollen, so scrollte ich durch Instagram. Eine bunte Vielfalt an hübschen und talentierten Menschen flutete meinen Feed. Ich seufzte, es fühlte sich nicht an, als würde ich keines von beidem besitzen. Ich fragte mich, ob ich jemals so selbstsicher und strahlend sein würde wie sie.

      Nach dem Mittagessen holte ich mir noch einmal Divine. Glücklicherweise hatte er sich nicht erneut im Schlamm gewälzt, sodass ich ein mehr oder weniger sauber Pferd holte. Einer der Mitarbeiter hatte mir den Transporter des Hofes zur Verfügung gestellt, damit ich üben konnte. Neugierig folgte er mir, selbst als wir uns dem riesigen Fahrzeug näherten. In aller Ruhe ließ ich den Hengst daran schnuppern, der sich interessiert an das Fahrzeug wand. Erst als er voller Neugier in ein anstehendes Teil hinein beißen wollte, hielt ich ihn davon ab.
      „Ivy, es wäre mir lieb, wenn du das ganz lassen würdest“, sprach ich zu ihm und zupfte leicht am Strick. Als erwarte er ein Leckerli für seinen Mut, wandte er den Kopf zu mir und stupste mich leicht an. Ich musste grinsen, „Na gut, für nicht zerstören kann es etwas geben.“ Nachgiebig streckte ich ihm einen Leckerbissen hin, den er sogleich wegknusperte.
      „Bleib da mal stehen“, wies ich ihn an und warf den Strick über seinen Hals. Nun hatte ich die Hände frei, um die Klappe zu öffnen. Dank der eingebauten Hydraulik glitt die obere Klappe sanft nach oben und blieb in einer nahezu waagerechten Position stehen. Ebenso flüssig glitt die Verladerampe hinunter und war auch deutlich leichter als die unseres Transporters Zuhause. Gefällt mir. Wie zuvor ließ ich Divine das Fahrzeug in Ruhe beschnuppern. Dabei setzte er auch bereits einen Fuß auf die gummierte Rampe.
      “Priiima”, lobte ich den Hengst und tätschelte ihm den Hals. Es wirkte, als gestalte sich das Hängertraining einfacher als gedacht. Sanft zupfte ich am Strick und lief vor im Weg in den Transporter. Als habe er noch nie etwas anderes gemacht, folgte er mir. Ausgiebig lobte ich Ivy und gab ihm einige Leckerlis zu Belohnung. Einige Male führte ich ihn hinauf und hinunter, bis ich sogar so weit ging, die Klappe zu schließen. Neugierig blickte der Weiße mit entgegen, als ich diese wieder öffnete. Entweder er kannte transportiert werden bereits oder er war ein echtes Naturtalent. Was von beiden es auch war, es beruhigte meine Nerven ungemein. Mit einem unerfahren Pferd gleich so weit zu reisen, hatte mich nämlich reichlich nervös gemacht. Ich beschloss, noch ein paar weitere Übungen mit Ivy zu machen, um sicherzugehen, dass er wirklich so gut auf den Transporter reagiert, wie es auf den ersten Blick schien. Erneut führte ich ihn hinein und wieder heraus, ließ ihn einige Zeit im Anhänger stehen und lobte ihn jedes Mal ausgiebig. Der Hengst schien das Training zu genießen und zeigte keinerlei Anzeichen von Stress oder Angst.
      Mit einem breiten Grinsen, brachte ich den Transporter wieder in den Zustand, wie ich ihn vorfand und machte mich auf den Weg zurück zu Koppel.
      “Warte”, rief mir jemand hinterher. Ich drehte mich um und erblickte den jungen Mann. “Vergiss deine Decke nicht, sie hängt dort drüben”, lächelte er freundlich und deutete auf eine Halterung, die innerhalb der Stallgasse hing.
      “Danke, ich hatte sie fast vergesse”, entgegnete ich freundlich und bewegte mich in Richtung Stallgasse. “Ach und danke, dass ich euren Transporter nutzen durfte, das hat mir deutlich die Angst genommen”, fügte ich noch hinzu.
      “Kein Problem”, nickte er und führte einen großen gescheckten Hengst aus einer Box. Ich packte Ivy wieder in sein Alien Outfit und brachte ihn schließlich auf seine Koppel. Der heutige Tag war ein voller Erfolg.
      © Wolfszeit | Lina Valo | 12.928 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende April 2020}
    • Wolfszeit
      Coming Home | 27. April 2020
      Ein wenig aufgeregt erwachte ich am nächsten Morgen. Es sollte wieder nach Hause gehen, vorausgesetzt Ivy spielte mit. Auf den Transporter war er gestern gegangen, aber wie war das mit dem Flugzeug? Ich wusste nicht einmal, in welcher Form man ein Pferd in ein Flugzeug lud. Man würde es wohl kaum wie ein Koffer über Rollbänder hineinbefördern. Statt weiter darüber zu rätseln, wie das ganz wohl ablaufen würde, griff ich zu meinem Handy. ‘Pferde im Flugzeug’ gab ich in die Suchleiste ein. Sofort stieß ich auf unterschiedliche Websites, auf denen beschreiben, wurde wie Pferde verschifft wurden. zu zweit oder zu dritt werden die Pferde in kleine Metallcontainer verladen, die etwas großer sind als ein Standard Pferdeanhänger. Samt dieser Kiste werden sie dann in ein Frachtflugzeug verladen, dessen Gepäckraum temperierbar ist. Für die Versorgung bekommen sie natürlich ausreichend Heu und gelegentlich wird ihnen Wasser gereicht. Hoffentlich würde Divine beim Verladen keine Schwierigkeiten machen. Gestern hatte ich bereits nahezu alles zusammengepackt, so ging es heute Morgen schnell. Nachdem frisch machen, stopfte ich die restlichen Dinge in den Koffer und lief zu Frühstücksaal. Luchy saß dort bereits, doch nicht allein.
      “Lina, gut das du kommst”, lächelte meine Chefin, woraufhin der Blonde neben ihr von seinem Kaffee aufblickte. Neben ihm saß ein großer schlaksiger Junge, mit einem Aussehen, welche ich bisher nur den Natives sah. “Ich möchte dir unsere Reisegefährten vorstellen, Caleb und Tschetan”, stellte Luchy die beiden vor.
      “Hallo”, winkte ich freundlich in die Runde, bevor ich mir Frühstück vom Buffet holte. Der Duft von frischen Zimtschnecken zog mich an. Herrlich. Ich denke der beste Part an dieser Reise, war definitiv das Frühstück. Hier in Schweden gab es alles von dem, was ich so liebte, wie Puuro, eine Art Haferbrei, Knäckebrot und meinen geliebten Cranberrysaft und das ganz, ohne dass ich selbst zubereiten musste. Einzig auf den Kaffee konnte ich verzichten.
      “Ihr trainiert Saintly, nicht?”, fragte ich freundlich, als ich mich dazu setzte.
      “Genau”, nickte Caleb freundlich. Wir tauschten uns etwas übe unsere Pferde aus, wobei ich erfuhr, dass Saintly deutlich mehr gesundheitliche Probleme mit sich brachte. Ivy ging es also verhältnismäßig gut. Der Teenager neben ihm schien nicht besonders gesprächig. So schaufelte er nur massenweise Essen in sich hinein und trug nur wenig zu der Unterhaltung bei.
      “Ich muss dann mal zu Ivy, der hat auch noch hunger”, verabschiedete ich mich vorübergehen, “man sieht sich später.” Auf dem Weg zu Koppel prüfte ich meine Mails, doch von Vivien schien es nicht neues zu geben. Na gut, dann musste ich mich wohl etwas in Geduld üben.
      Kam ich in Sichtweite der Koppel, kam Divine angetrabt.
      “Na Süßer, eine angenehme Nacht gehabt”, begrüßte ich den Hengst und stich über seinen Hals. Ivy blubberte leise und knabberte am Ende einer meiner Zöpfe herum. “Das deute ich mal als ja”, grinste ich und legte ihm das Halfter um den Kopf. Unseren altbekannten Weg beschreiten ging es zum Putzplatz, wo ich ihm als Erstes sein Futter vorbereitete. So konnte er fressen, während ich ihn etwas putzte. Währenddessen massierte ich ihn gründlich durch. Ivy sollt die Reise in einem bestmöglichen Zustand antreten. Fröhlich mampfte der Freiberger sein Mash und wirkte rundum zufrieden mit seiner Wellnessbehandlung.
      Eine Stunden später waren Ivys Sachen alle gepackt. Mit meiner Chefin und Caleb wartete ich auf den Transport, der uns zum Flughafen bringen würde. Die beiden Pferde waren je in einer Box zwischen geparkt worden. Saintly hatte leider eine Pilzinfektion, weshalb es galt Abstand zu ihm zu halten, um eine Übertragung zu verhindern. Schließlich wollte ich nicht, dass Ivy ebenso durchlöchert war wie der Paint.
      „Mache Divine doch schon einmal die Gamaschen dran, dann geht das Verladen gleich schneller“, wies meine Chefin an und drückte mir ein paar Gamaschen in die Hand. Inne waren diese mit einem weichen Kissen gefüttert. Fast wie die mit Wolle unterfüttert Bandagen, die meine Tante immer gemacht hatte, wenn ein Pferd Verletzungen auskurieren musste. Kaum hatte ich den Stall betreten, erhob sich ein weißer Kopf über die Gitterstäbe der Box. Allem Anschein nach schien er Boxen nicht zu kennen, denn seit er darin stand, drehte er nervöse Kreise. Oder spürte er womöglich die Nervosität in mir?
      “Na, Süßer”, strich ich über seine Nase und öffnete vorsichtig die Tür. “Geh mal ein Stück zurück”, sprach ich sanft und drückte gegen seine Brust, um ihn rückwärts zu schieben. Millimeterweise, wich der Hengst zurück. Also noch eine Sache an de ich arbeiten sollte. Neugierig beäugte der Freiberger die Gamaschen an seinen Vorderbeinen, die ich zuerst anbrachte. Zunächst beschnupperte er die Gegenstände, bevor er versuchte, an einem der Klettverschlüsse zu ziehen.
      “Nicht Ivy, das muss da dran bleiben!”, rügte ich den Hengst und warf ein Strohhalm nach seiner Schnauze. Tatsächlich interessierte ihn das wenig. Ratsch – Der Klettverschluss war offen. Ich schüttelte den Kopf und schloss den letzten Verschluss am Hinterbein.
      “Und jetzt bitte dran lassen”, sammelte ich den abgefallenen Beinschutz wieder ein, um ihn erneut zu befestigen. Zur Ablenkung von den ungewohnten Geständen an den Beinen steckte ich ihm ein Leckerli in die Schnauze.
      “Na komm”, zupfte ich am Strick. Mit einem riesigen Schritt, als wäre eine gigantische Stufe vor der Box, trat er hinaus. Damit er sich an die Gamaschen gewöhnen konnte, führte ich einige Male die Stallgasse auf und ab. Wie ein Flamingo starkste er mir hinterher, was ziemlich lustig aussah. Zuerst mühte sich Caleb und sein Helferlein ab, Saintly aufzuladen. Der dürre Hengst wehrte sich, auf den LKW zu gehen. Nach zehn Minuten hatten die beiden den Hengst mehr oder weniger hinauf geschoben. Dann war schließlich Ivy dran. Mit durchmischten Gefühlen führte ich ihn die Rampe hinauf. Einerseits sehnte ich mich nach zu Hause und freute mich somit in einigen Stunden dort anzukommen. Anderseits jedoch hatte Schweden viele neue Sehnsüchte erweckt. Sehnsüchte, die ich innerhalb der letzten Jahre verdrängt hatte.
      “Schön brav bleiben. Wir sehen uns später”, flüsterte ich dem Hengst zu, bevor ich die Trennwand schloss und den Laderaum verließ. Der Spediteur kontrollierte noch einmal, ob alles korrekt verstaut war und dann fuhr er die Ladeklappe hoch. Ich wusste nicht wieso, aber aus mir nicht erklärbaren Gründen, hatte Caleb für sich und seine Begleitung einen normalen Passierflug gebucht, weswegen sie selbst erst später zum Flughafen fahren würden. Luchy hingegen, hatte noch bevor wir überhaupt nach Schweden folgen, dafür gesorgt, dass wir ihn begleiten konnten. Fast vier Stunden blieben mir nun Zeit, in denen wir nach Kopenhagen zum Flughafen fuhren. Tatsächlich brachte der Umweg über Dänemark, den Vorteil einer kürzeren Flugzeit, mit weniger Zwischenstopps. Die Zeit auf der Straße nutze ich für meine Social Media Aktivitäten. Vor einigen Tage hatte Ivy angefangen, seine Futterschüssel durch das Round Pen zu tragen, was ich natürlich auf einem Bild festhielt. Ich erwählte es als passend, um meine Abonnenten über unsere Heimreise zu informieren. Dazu stellte ich jedoch noch ein zweites Bild ein von der Hängerkamera, wo man sah, dass Ivy gemütlich an seinem Heu zupfte.
      ~ Take me home where I belong and let my heart sing my favorite song ✨
      Heute ist es so weit. Divine und ich machen uns auf den Weg nach Hause .
      Die erste Hürde hat der Kleine bereits gemeistert. Ich bin so stolz auf #HMJDivine . Wie ein alter Hase ist er auf den LKW spaziert und ist bisher auch ganz brav. Hoffentlich bleibt es derart unkompliziert. Zunächst geht es für Ivy und mich on the Road nach Kopenhagen . Ab dort geht es dann in der Luft weiter, mit einem kurzen Zwischenstopp in Toronto direkt nach Hause ✈️. Ich hoffe, Ivy wird die Reise gut überstehen und sich ebenso gut im neuen Zuhause einleben.
      Ich möchte mich für eure lieben Kommentare bedanken. Mit eurer Hilfe konnte ich tatsächlich etwas mehr über Divine herausfinden . Was genau das ist, erfahrt ihr allerdings erst wieder aus Kanada.
      #Ivy #HMJ2020 #Freiberger #weisserfreiberger #Ivy #rescue #travelwithhorse #horselife

      Die Folgen Stunden verbrachte ich damit zu dösen, bis das Klingeln meines Handys mich aufschreckte. Das Bild meiner Schwester erschien auf dem Bildschirm und ich nahm an.
      “Hey Süße, du verlässt Europa schon wieder”, kam sie, direkt auf den Punkt.
      “Ja, leider ist der Flug so knapp gebucht worden”, entgegnete ich etwas wehleidig. Gerne hätte ich die Gelegenheit genutzt und einen Abstecher bei meiner Schwester gemacht, dich die Woche kam mir so bereits viel zu kurz vor.
      “Schade, ich hätte dich gerne hier gehabt.” Ich konnte das Lächeln in ihrer Stimme deutlich hören.
      “Ich auch Juli. Ich vermisse dich”, murmelte ich das Telefon. Seit über einem Jahr hatte ich sie nicht mehr gesehen. Neben Samu war sie der einzige Mensch, der mir wirklich wichtig war, weswegen die große Distanz zwischen uns ziemlich schmerzte. Doch bisher konnte ich mich nie überwinden, in das Land zurückzukehren, aus dem ich stamme.
      “Ich dich auch”, hörte ich ihre vertraute Stimme. Neugierig, wie sie war, nutzte sie die Gelegenheit des Gespräches auch gleich, um mehr über Divine zu erfahren. Schließlich hatte ich ihr in all der Aufregung nur Bruchstücke von dem erzählt, was ich bisher mit dem Hengst erlebt.
      “Ich freue mich für, dich, dass du endlich wieder eine Leidenschaft gefunden hast”, sagte sie schließlich. Ja, das war Ivy. Eine Passion, vom ersten Moment an, war er es gewesen. Das verspürte ich bereits, als Luchy ihn uns vorstellte.
      “Es ist fast ein wenig wie früher”, sprach ich den Gedanken aus, den der junge Hengst in mir erweckt hatte. Juli gab einen undefinierten Laut von sich, der davon zeugte, dass sie verstand, worauf ich anspielte. Auf einem der Straßenschilder war mittlerweile der Kopenhagen, wie auch der Flughafen ausgeschildert, was nur bedeuten konnte, dass wir uns immer mehr der Grenze näherten. Jenseits der Straßen war nun auch nicht viel mehr als Gebüsch und eine Bahnlinie, die in selbige Richtung führte.
      “Ich muss langsam mal Schluss machen, wir sind gleich in Kopenhagen”, seufzte ich. Stundenlang konnte ich für gewöhnlich mit meiner Schwester reden, doch heute blieb nicht die Zeit dafür.
      “Kommt gut nach Hause”, wünschte sie mir zum Abschied, “und schreib mir, wenn ihr gelandet seid.” Ich bestätigte ihre Worte und verabschiedete mich schließlich.
      Last Exit in Sweden stand auf einem gelben Schild unter der normalen Beschilderung. Am Fenster zogen die letzten Häuser Schwedens vorbei und am Horizont kam der Horizont in Sicht.
      “Wow, das ist eine lange Brücke”, staunte ich, als der Transporter auf die Öresundbrücke zusteuerte. Links und rechts der Straße erstreckte sich nichts anderes als das Meer unter dem strahlend blauen Himmel.
      “Die längste ihrer Art”, lächelte der Spediteur freundlich. Für ihn musste es vermutlich vollkommen irrational sein. Sicher war er diese Strecke schon viele Male gefahren. Nachdem die Straße einige Minuten über das Wasser führte, wechselte diese, nach dem Passieren einer kleinen Insel unter die Oberfläche.
      Kaum hatten wir den Autobahntunnel verlassen, tauche ein Schild auf, welches den Flughafen ausschilderte. Glaubte man diesen, waren wir nahezu dort. Sicherlich zwanzig Minuten lang schlängelten wir uns durch das Straßennetz, bis der Transporter vor einem Gebäudekomplex hielt. Der Fahrer stieg aus und verschwand innerhalb des Gebäudes. Wenige Minuten später kehrte er zurück, mit einigen Papieren in der Hand und einer jungen Dame in einer gelben Weste.
      “Sie dürfen ihre Pferde ausladen und sie bekommen eine Box, damit sie noch einmal etwas trinken könne und sich ein wenig strecken”, erklärte die Dame auf Englisch den Ablauf. Verladen wurde erst in einer halben Stunde, so durfte ich Ivy auch noch ein wenig bewegen. Mit der Hilfe des Spediteurs lud ich Divine aus. Neugierig spitze er sie Ohren und sah sich mit wachem Blick um. Der Lärm den, die die Flugzeuge und all die anderen Gerätschaften verursachten, schien ihn nicht zu stören.
      “Na komm Süßer, ein wenig die Beine vertreten”, sprach ich zu dem Hengst und zupfte sanft an seinem Strick. Schwerfällig setzte er sich in Bewegung, folgte mir aber brav. Wie der Hengst auch war ich froh, die Beine nach der langen Fahrt etwas strecken zu können. Um Saintly kümmerte sich die junge Dame. Das Paint welches in einem noch schlechteren Zustand war, als Divine, war etwas Wackelig auf den Beinen, sodass er direkt in den Stall gebracht wurde. Ob es eine gute Idee gewesen sein, ein so krankes Pferd auf eine derart anstrengende Reise zu schicken?
      Ivy war an einem Grasstreifen stehen geblieben und zupfte etwas an den kurzen trockenen Halmen. Ich war froh zusehen, dass er noch so aufgeweckt war, denn daraus schloss ich, dass es ihm gut ging.
      “Lina, bring ihn jetzt in seine Box, damit er sich ausruhen kann”, kam meine Chefin dazu. Ivy der sie neugierig an schnupperte, strich sie kurz über den Hals. Ich nickte und schlug den Weg ein, den die junge Frau kurz bevor mit dem Schecken gegangen war.
      “Du kannst ihn hier reinstellen”, lächelte die Mitarbeiterin des Flughafens und deutete auf eine leere Box. Diese war frisch eingestreut mit Spähen und ein Eimer Wasser hing in der Ecke. Kaum hatte ich Divine das Halfter abgenommen, stampfte er zu diesem hinüber und steckte seine Schnauze in das kühle Nass. Mit den Lippen spielte er drumherum, sodass das Wasser überschwappte und seine Einstreu völlig durchnässte.
      “Olet ja luultavasti pysyt leikkilapsena”, lachte ich und schob die Box zu.
      “Ihr kommt aus Finnland?”, fragte die Dame freundlich, die Saintly gerade etwas zu seiner Stärkung gebracht hatte.
      “Ich schon, aber den kleinen Mann habe ich aus Schweden abgeholt”, erklärte ich. Als wüsste Ivy, dass ich über ihn sprach, kam er mit seinem Kopf über die Tür und knabberte an meinen Haaren. Mathilde stellte mir noch einige Fragen zu Divine und dem Projekt und schien Feuer und Flamme dafür zu sein. Bereits aufgegebenen Pferden eine neue Chance geben und das noch in einem großen Rahmen, das fand sie ein gelungenes Konzept. Sie selbst hatte einige Hunde aus dem Tierschutz.
      Schon bald ging es ans Verladen der Pferde. Am Ende des Ganges war eine Rampe, an der ein Container stand. Der Metallkasten war ungefähr so groß wie eine Palette und hatte verschiebbare Seitenwände.
      “Divine darf heute vollen Luxus genießen”, lächelte unsere Flugbegleiterin, “Er darf den Container ganz allein genießen.” In aller Ruhe führte ich den Hengst auf die Metallkiste zu. Wo er sonst so entspannt war, begann Divine nun nervös zu tänzeln, riss den Kopf nach oben und schnorchelte laut.
      “Ruhig, Ivy. Das tut dir nichts”, redete ich leise mit ihm und strich über den dürren Hals. Sanft zog ich am Strick, doch Divine bewegte sich keinen Zentimeter. Er wollte nicht in das enge, gruselige Ding.
      “Na komm Süßer”, lockte ich ihn sanft und nahm seine Lieblingsleckerlis zu Hilfe. Mit geweiteten Nüstern reckte der Hengst seinen Kopf voraus und machte schließlich einen Schritt nach vorn.
      “Priiiima”, lobte ich ihn und ließ ihn das Gemüse aus meine Hand fressen. Stück für Stück bekam ich ihn so auf die Rampe und schließlich in den Container. Mathilde passte die Seitenwände an und schloss schließlich die hintere Tür. Vor Ivys Nase befestigte ich ein Heunetz, welches sie mir reichte, bevor ich mich von ihm verabschieden musste. Es war ein seltsames Gefühl, ihn dort zurückzulassen, aber es war schließlich nur, bis er im Flugzeug war. Während Saintly ebenso verladen wurde, brachte man Luchy und mich samt des Handgepäcks zum Flugzeug. Es wurde rangiert, verladen und eine Dreiviertelstunde später war schließlich alles bereit zum Start.

      © Wolfszeit | Lina Valo | 15.785 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende April 2020}
    • Wolfszeit
      Finally Home | 29. April 2020
      “Liebe Fluggäste, wir befinden uns im Anflug auf Edmonton. Das Wetter ist trocken, mir leichter Bewölkung und einer Temperatur von 17 Grad. Die Ortszeit ist neun Uhr zwanzig”, drang die blecherne Stimme des Piloten aus den Lautsprechern. Müde rieb ich mir die Augen und schob die Fensterklappe wieder hoch. Die Sonne, die bei der Zwischenlandung in Toronto noch hoch am Himmel gestanden hatte, hatte viel ihrer Leuchtkraft eingebüßt und versank langsam hinter den Bergketten in der Ferne. Viel Schlaf hatte ich nicht bekommen. Auf dem Flug von Kopenhagen nach Toronto, hatte ich zwar ein Bett bekommen, doch ich war so nervös, dass ich alle ein bis zwei Stunden nach Ivy sah. Mathilda mir versicherte zwar, dass es nicht nötig sei, aber es fiel mir schwer darauf zu vertrauen. Jetzt, beinahe fünf Stunden später, waren wir allerdings so weit, das Flugzeug zu verlassen. Die Motoren heulten auf, als der Pilot das Flugzeug dem Boden entgegensteuern und es verlor schnell an Höhe. Der Asphalt war bereits sichtbar, da setzte das riesige Gefährt auf und bremste die Geschwindigkeit in Windeseile hinunter. Endlich Zuhause. Na ja, fast Zuhause.
      “Ihr könnt euer Handgepäck nehmen und meine Kollegen folgen. Alles andere, inklusive Divine, bringen wir euch vor, sobald wir ausgeladen haben”, erklärte Mathilda, als ihr Kollege die Flugzeugtür öffnete, wo beriet eine Treppe angeschlossen worden war. Müde nickte ich und zog meinen Rucksack aus dem Gepäckfach. Nach weit über neunzehn Stunden, die wir mittlerweile unterwegs waren, konnte ich nicht mehr. In Gedanken bereits bei meinem Bett folgte ich meine Chefin und dem Flugbegleiter in eine große Halle. Er führte uns in eine kleine Lounge, in der wir warten konnten, bis Divine und das Gepäck gebracht wurden.
      “Kann man die einen Kaffee anbieten?”, fragte der Mann, dessen Name mir bereits entfallen war, freundlich. Offensichtlich konnte man mir ansehen, wie ich mich fühlte.
      “Yes please”, nickte ich, obwohl ich die braune Brühe nicht ausstehen konnte. Viel zu bitter war das Zeug, doch ich fürchtete gleich im Stehen einzuschlafen ohne etwas Koffein. Der Flugbegleiter ging zu einer Kaffeemaschine, die auf einer Theke an der anderen Seite des Raumes stand. Während das Gebräu kochte ließ ich mich auf das Sofa sinken. Eigentlich ganz bequem. Bevor ich jedoch einschlafen konnte, riss mich ein unheimlich nervtötender Handyton aus meinem Dämmerzustand. Meine Chefin war es, die an ihr Smartgerät ging. Um den genauen Gesprächsverlauf zu verfolgen war ich zu müde, doch ich hörte heraus, dass es Jace war, der uns abholen sollte. Jace, bei dem Gedanken an ihn setzte ein Kribbeln in meiner Magengrube ein. Das Servicepersonal reichte mir einen Pappbecher mit dem heißen Gesöff.
      “Jace wird gleich da sein. Ich werde schon einmal die Formalien klären, damit wir dann direkt loskönnen”, berichtete Luchy nachdem sie auflegte und verschwand mit dem Mann, der uns hergebracht hatte, in das angeschlossene Büro.

      Es dauerte nicht lange, dass spazierte mein Kollege durch die Eingangstür.
      “Willkommen zurück, Lina”, grinste er breit und kam sogleich zu mir hinüber, “Ist die Reise gut verlaufen?”
      “Ivy wollte zuerst nicht in die Transportkiste, aber ansonsten ist es gut gelaufen”, antworte ich auf seine Frage und erhob mich aus den weichen Kissen. Zu Begrüßung zog Jace mich in eine Umarmung. Ein Duft nach Heu und Pferden stieg mir in die Nase, durchmischt mit dem scharfen Geruch seines Parfüms. Für meinen Geschmack war es etwas zu herb, doch das musste er wissen.
      “War Schweden schön?”, setzte er das Gespräch fort, nachdem wir uns nach einem Moment zu lange voneinander gelöst hatten. Der Blick seine blauen Augen traf unmittelbar auf meinen und löste Unbeschreibliches in mir aus. Ich schluckte schwer und bemühte mich, das zu verbergen, was in meinem Inneren vor sich ging.
      “Der Hof ist einfach unglaublich, sowas hast du noch nicht gesehen”, lächelte ich zurückhaltend und begann etwas von dem Lindö Dalen Stuterie und Divine zu erzählen. Mein Gegenüber nickte gelegentlich, während sein Blick intensiv auf mir lag. Ich spürte die Hitze in mir aufsteigen, doch versuchte mich auf die Erzählung zu konzentrieren. Ob er in meiner Abwesenheit auch an mich gedacht hatte?
      Bevor ich diese Gedanken ausweiten konnte, tauchte Mathilda im Türrahmen auf.
      “Lina, bist du bereit dein Pferd in Empfang zu nehmen?”, fragte sie ein Schmunzeln auf dem Gesicht, als sie meinen Kollegen entdeckte. Plötzlich ging ein Energieschub durch meinen Körper und ich folgte ihr aufgeregt. Die Kisten, in denen sich die Pferde befanden, wurde gerade mit einem kleinen Auto herübergefahren und ein helles Wiehern erklang. Vor einer Rampe, wie sie auch in Kopenhagen gestanden hatte, hielt das Fahrzeug.
      “Dann wollen wir ihn mal auspacken”, lächelte Mathilde und öffnete mir die Tür. Kaum war diese geöffnet, kam auch schon ein Kopf hervor. Die Ohren aufmerksam herumschwirren, warte Ivy geduldig, bis die Türen alle geöffnet waren und er heraus durfte.
      “Ein hübschen hast du da mitgebracht”, kommentierte Jace, als er den Hengst das erstmal gänzlich betrachten konnte.
      “Ja, viel hübscher als du”, entgegnete ich keck und strich dem Pferd den spärlichen Haarwuchs aus der Stirn. Leise lachte mein Kollege und schüttelte den Kopf. Aufgeregt tippelte Divine auf der Stelle und ließ ein Wiehern ertönen, was von den kahlen Wänden wieder schallte. Aus der zweiten Kiste kam eine lang gezogene Antwort.
      “Alles gut, den Freund darf auch gleich raus”, versuchte ich das Pferd zu beruhigen und tätschelte ihm den Hals.
      “Ihr habt noch ein mitgebracht?”, fragte Jace irritiert.
      “Nein, Saintly ist das Pferd von Bow River. Du weißt schon, die Ranch unten in Calgary”, erklärte ich, während wir Divine aus der Halle hinausführten. Eine sanfte Brise wehte uns entgegen und bereitete mir sofort eine Gänsehaut. Jace folgte mir schweigend. Die Stille zwischen uns war ein wenig unangenehm, fast so, als wüssten wir beide nicht, was wir sagen sollten. Ich blickte zu ihm rüber und er erwiderte meinen Blick. Für einen Moment fühlte es sich so an, als würden wir uns beide fragen, ob es zwischen uns mehr geben könnte als nur Freundschaft und kollegiale Verbundenheit. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug und die Anspannung weiter stieg.
      “Willst du ihn direkt aufladen?”, brach er schließlich die Stille. Ich nickte bestätigend, worauf hin Jace sich gleich an die Arbeit machte. Zärtlich knabberte Ivy an meinem Ärmel und beobachte das Geschehen.
      “Vielen Dank”, lächelte ich meinen Kollegen an und führte den Hengst die Rampe hinaus. Neugierig schnupperte er an seiner Umgebung, war aber mittlerweile wieder ziemlich entspannt. Vermutlich war auch der Hengst ziemlich erschöpft von der Reise.
      “Kommt du mit, das Gepäck holen?”, fragte er nach, während er jede meiner Bewegungen mit einem sanften Lächeln beobachtete.
      “Ich würde ganz gerne bei Ivy warten, wenn es okay ist”, entgegnete ich und zurrte das Heunezt fest.
      “Klar, du hast nur deinen Rucksack in der Lounge?” Ich nickte, woraufhin er wieder über den Vorplatz verschwand. Ich nutze die Minuten des Wartes, um meiner Schwester zu schreiben und eine kurze Story zu posten. Nach gefühlt einer Ewigkeit, kehrte Jace mit unserer Chefin zurück und verluden das Gepäck.
      “Ivy, in ein paar Stunden sind wir endgültig zu Hause”, drückte ich dem Pferd noch einen Kuss auf die Nase und schloss die Klappe schließlich.

      Im Auto versuchte Jace erneut ein Gespräch aufzubauen, doch ich war zu müde, seinen Worten zu folgen. Den Kopf gegen die Scheibe gelehnt, hing ich meinen Gedanken nach, während Luchy ihm von der Reise erzählte.
      Vieles war in dieser Woche geschehen. Ich hatte, wenn auch nicht ganz freiwillig, unheimlich viele Menschen kennengelernt. Menschen, die alle etwas gemeinsam hatten, weil jeder von ihnen bereit war, das Schicksal eines Tieres zu verändern. Zu Beginn hatte es mich ziemlich traurig gestimmt, dass so viele der Tiere bemitleidenswert aussahen. Saintly beispielsweise war kaum mehr als Haut und Knochen und hatte gewirkt, als habe er das Leben bereits aufgegeben. Anteilnahmslos hatte er, in seiner Ecke gestand und sich kaum geregt. Caleb und sein junger Begleiter hatten es in der Woche allerdings fertig gebracht, die Lebensgeister des Tieres wiederzuerwecken. Ich fragte mich, was für ein Charakter wohl in diesem kraftlosen Körper stecken mochte. War er ein Heiliger, wie sein Name es vermuten ließ oder steckte ihm doch eher der Teufel in den Knochen? Vielleicht ergab sich eines Tages die Gelegenheit Saintly auf Bow River zu besuchen, sonst würde es wohl für immer ein Rätsel bleiben. Zwei weiter von Divine Mitbewohnern waren mir im Gedächtnis geblieben. Pious, der silbergraue Isländer und Exaltation. Letzterer zählte eher zu den ungemütlichen Zeitgenossen. Immerzu stand er in einer abgelegenen Ecke und sorgte mittel Drohgebärden, dass sowohl Pferd als Menschen ihm fern blieben. Offen gestanden, ich hätte mich vermutlich nicht an diesen Hengst herangetraut.
      Neben diesen komplett vernachlässigten Tieren waren mir doch auch einige begegnet, mit denen man es zu gut gemeint hatte. So war da Grace. Einen Meter siebzig groß und so kugelrund, dass die locker das Gewicht für zwei Pferde auf die Waage brachte. Tatsächlich dachte ich erst, dass sie ein schweres Warmblut sei, doch man klärte mich auf, dass es sich bei dem Rappen um einen Trakehner handelte. Nicht zu übersehen, war dort schließlich noch Holy gewesen. Zäune, Halfter, Futterschüsseln, nichts war vor ihr sicher. Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste war, dass ich Holy, ihre junge Trainerin und auch den beeindruckend gigantischen Hof noch näher kennenlernen würde.

      Von dem dumpfen Laut einer zuschlagenden Autotür schreckte ich hoch und blinzelte angestrengt. Gelblich schimmerten die Lampen am Eingang des Stalls und warfen ihr spärliches Licht auf die Steine. Wir waren zu Hause, endlich. Müde streckte ich die steifen Glieder und kletter hinaus. Kühl war die Nachtluft, doch sie trug die vertrauten Gerüche an mich heran.
      “Wie spät haben wir?”, fragte ich Jace der sich an der Klappe des Transporters zu schaffen machte. Meine Chefin konnte ich nirgends entdecken, offenbar war sie bereits in das Haus verschwunden.
      “Halb eins”, antwortete er und ließ die Klappe fallen. Sofort reckte Divine seinen Kopf aus der Öffnung und sog die frische Luft ein.
      “So spät, uff”, murmelte ich und wollte daraufhin die Rampe hinauf. An der glatten Eisenkante rutschte ich mit dem Fuß ab und dachte schon, ich würde zu Boden stürzen … doch dann war da Jace. Reaktionsschnell hatte er seinen Arm um meine Taille gelegt.
      “Langsam Lina”, sprach er leise direkt an meinem Ohr, was dafür sorgte, dass sich die kleinen Härchen in meinem Nacken aufstellten. Die Hitze stieg in mir hoch und ich musste mich zwingen, ruhig zu bleiben und das Zittern zu verbergen.
      “Danke”, hauchte ich und lächelte ihn unsicher an und löste mich von ihm. Da war es wieder dieses unbestimmte Gefühl, von dem ich nicht sagen konnte, wo es herrührte. Was, wenn es nur die Sehnsucht oder die Aufregung des Tages waren, die mich zu ihm trieb?
      Langsam führte ich Divine aus dem Fahrzeug. Auch er wirkte müde und setzte die Füße so, besonders vorsichtig die Rampe hinunter. Sein weißes Fell reflektierte das silbrige Mondlicht und ließ seinen Körper unheimlich knochig wirken.
      “Wo soll er hin?”, fragte ich Jace, der von dem Tier ausgiebig in Augenschein genommen wurde.
      “Ich habe ihm eine Box im Torstall fertig gemacht”, erklärte er und strich dem Hellen andächtig über das struppige Fell, “Wenn es ihm besser geht, kann er in die Offenstallherde.” Die Hände meines Kollegen folgten den harten Konturen des Pferdes und zeichneten die Rippen nach. Ich nickte und schlug den Weg in das vor uns liegende Gebäude ein. Friedlich war es in seinem Inneren. Die meisten Pferde lagen im Stroh und schliefen, einzig der Fellponyhengst blicke neugierig über die Tür. Ein tiefes Brummeln trat aus seiner Brust und er drückte die Nase zwischen die Gitterstäbe. Freundlich erwiderte Ivy das Verhalten, bis ich ihn sanft weiterzog. Ich spürte den Blick meines Kollegen auf mir liegen, aber ich wusste nicht damit umzugehen.
      “Ich bringe mal die Koffer rein”, verabschiedete sich mein Kollege schließlich und verschwand aus dem Stall. Divine hatte sich, kaum war er in der Box, in die Einstreu geworfen und wälzte sich zufrieden darin. Mit einem Lächeln auf den Lippen beobachte ich, wie er sich schließlich aufrappelte, über und über mit brauner Erde bedeckt. Interessiert trotte Divine auf das Paddock, welches sich an die Box anschloss, doch kam bereits noch einem kurzen Moment wieder herein. Obwohl ich todmüde war, wartete ich, bis ich gesehen hatte, dass der Hengst gefressen und getrunken hatte. Damit wusste ich, dass es ihm gutging.
      “Gute Nacht Ivy”, flüsterte ich dem Hengst zu und drückte ihm einen Kuss auf die Nase, welche er mir entgegenstreckte. Leise wieherte er, als ich mich von ihm weg wand. Die Töne wirkten so vertraut, als würde dort ein anderes Pferd stehen. Die aufsteigende Erinnerung trieb mir die Tränen in die Augen.

      Mit verschwommenem Blick schlich ich durch die Stille des Hauses, die mich kalt empfing. Im Kamin des Gemeinschaftsraums glomm noch eine schwache Glut. Unwohl zog ich den dünnen Pulli enger um meinen Körper und ließ mich auf das Sofa sinken. Das Echo der Vergangenheit hallte in mir wieder und eine unaufhaltsame Lawine an Emotionen aus. Beiden verloren zu haben, schmerzte noch immer wie am ersten Tag.
      “Ich dachte, du wärst schon im Bett”, durchbrach eine Stimme die Stille, die mich zusammenzucken ließ. Mit tränenüberströmten Gesicht blickte ich zu ihm hoch. Sofort wechselte der Ausdruck auf Jace Gesicht zu tiefer Bestürzung.
      “Was ist los?”, fragte er und hatte mit wenigen Schritten den Abstand zwischen uns überwunden. Verloren blickte ich zu Boden, rang mit mir, ob ich beriet, dafür war, mich ihm zu öffnen.
      “Du kannst es mir sagen”, flüsterte er, legte eine Decke um mich und zog mich in seine Arme. “Ist es wegen dem neuen Pferd?” Verzweifelt schluchzte ich und suchte nach den richtigen Worten und nickte schließlich.
      “Lina”, sanft nahm Jace mein Gesicht in seine großen Hände und sah mich liebevoll an, “Egal was es ist, alle wird gut.” Energisch schüttelte ich den Kopf: “Du verstehst nicht.”
      “Dann erkläre es mir.” Sanft lag seine Hand auf meinem Bein und strich beruhigen darüber.
      “Ivy … die Reise”, stammelte ich zusammenhanglos und blickte auf meine Finger.
      “Ganz ruhig Lina, wir haben Zeit”, sprach er sanft. Tief amtete ich durch und versuchte mich zu sammeln.
      “Weißt du, ich bin bei meiner Tante in Espoo aufgewachsen”, begann ich Jace von dem zu erzählen, was mir auf dem Herzen lag. Unstrukturiert sprang ich von einem Thema zum nächsten, doch die Quintessenz schien bei Jace anzukommen. Die letzten Sätze kamen kaum mehr hörbar über meine Lippen: “Selbst nach all den Jahren schmerzt es noch, dass sie nicht mehr da sind.”
      “Ich verstehe, dass das schwer für dich ist”, sagte er einfühlsam und drückte mich fester an sich, “Mein Beileid.” Die ganze Zeit lang hatte Jace mir aufmerksam zugehört, war einfach für mich dagewesen.
      “Danke”, murmelte ich kraftlos und schmiegte mich in seine Arme. Stillhielt er mich, streichelte beruhigen über meinen Rücken, bis meine Tränen versiegten. In dieser Nacht fiel kein weiteres Wort zwischen, selbst als ich mich schließlich ins Bett begab. Selbst in meiner vertrauten Umgebung, hing die Erinnerung schwer über mir und entließ mich erst spät in einen unruhigen Schlaf.

      Obwohl ich wahnsinnig lange schlief, erwachte ich müde und ausgelaugt. So war es oft, wenn mich ich ein derartiges Stimmungstief ereilt hatte. Der Nachhall der Erinnerung haftete an mir wie Harz, klebrig und zäh.
      Im Haus war keiner mehr, als ich nach eine Tasse Tee hinunter tapste. Kein Wunder, er war bereits halb Elf, zu dieser Uhrzeit sollten längst alle im Stall sein. In aller Ruhe bereitete ich mir erst einmal ein Frühstück, denn ich hatte heute ohnehin frei.
      “Ah, du bist auch endlich wach”, kam mein bester Freund mit einem erfreuten Grinsen in den Gemeinschaftsraum.
      “Ja, so etwas in der Art”, murmelte ich und schob einen Löffel Müsli in meinen Mund.
      “Soll ich dir auch einen Kaffee machen?”, scherzte er. Ich schüttelte den Kopf, es reichte bereits, dass ich das Gebräu gestern zu mir nehmen musste. Samu hantierte an der Theke, klapperte mit einer Dose und schließlich erklang das vertraute blubbern der Kaffeemaschine.
      “Ich habe mir gerade dein neues Pferd angeschaut. Sieht ganz schön mitgenommen aus, der arme Kerl”, erzählte er an die Wand gelegt.
      “Ja, aber du hättest die anderen sehen sollen, die waren Teils noch schlechter dran”, entgegnete ich milde. Samu nickte aufmerksam.
      “Jedenfalls habe ich Divine auf das große Paddock gebracht, damit er sich mal etwas bewegen kann”, sprach er, wofür ich mich höflich bedankte. Wir unterhielten uns noch einen Moment über Ivy und die Reise, bevor sich die Wege wieder trennten.
      Mein erster Weg führte mich zu meinem neuen Schützling. Entspannt döste das helle Pferd in der Sonne und ich ließ mich am Rand im warmen Sand nieder.
      Die letzte Nacht kam mir surreal vor und mich in meinen Empfindungen weiter verunsichert. War es echt, was ich bei ihm zu spüren glaube oder handelte es sich viel mehr um eine Projektion meiner selbst? In Gedanken versunken, malte ich Muster in den weichen Boden. Ivys Schnauze, die mir sanft in Gesicht gesteckt wurde, holte mich zurück in die Gegenwart.
      “Na, Süßer, hast du ausgeschlafen?”, schmunzelte ich und strich über die breite Stirn. Interessiert beschnupperte mich das Tier, bis es eines der Enden meines Zopfes fand und zart dran zu knabbern begann. Leise lachte und löste meine Haare sanft aus dem Maul des Hengstes. Langsam rappelte ich mich auf und begann das Genick des Hengstes zu massieren. Obwohl ich nicht allzu vertraut war, mit der Anatomie eins Pferde spürte ich die Verspannungen an Stellen, die eigentlich gelöst waren. Die lange Reise hatte einige der Baustellen sicher wieder aufleben lassen.
      “Ich werde dir die Tage eine Physio organisieren, damit du wieder richtig schön locker sein kannst”, sprach ich sanft zu dem Tier und strich über den festen Rücken. Je länger ich ihn mit meinen Händen bearbeite, umso mehr begann er zu gähnen und schmatzen. Ein sicheres Zeichen, dass es half, was ich tat.
      “So, Ivy”, sprach ich das Tier an, als ich jegliches Körperteil bearbeitet hatte, “Ich lasse dich dann mal in Ruhe weiterschlafen.” Zum Abschied bekam er noch ein Kuss auf die Nase und ein Leckerli, was er gierig verschlang.
      Den restlichen Tag ließ ich entspannt angehen. Bevor ich mir Nathalie für einen Ausritt schnappte, bereitete ich Ivys Futter vor. Die Zeit in der Natur gab mir den Raum, meinen Gedanken zu ordnen und etwas zur Ruhe zu kommen.

      © Wolfszeit | Lina Valo | 18.765 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende April 2020}
    • Wolfszeit
      Weiße Wolken von Gefühlen | 01. Mai 2020
      Vor zehn Minuten hatte mein Wecker bereits geklingelt, doch die Motivation, mich aus dem Bett zu erheben, hielt sich in Grenzen. Der Jetlag saß mir noch tief in den Knochen und dass Jace gestern ziemlich spät und offensichtlich nicht alleine nach Hause kam, hatte meinem Schlaf nicht gerade positiv beigetragen. Pling. Das leise Geräusch durchschnitt die Stille und ließ mich zu meinem Handy greifen. Eine Mail war eingetrudelt… von Vivien! Plötzlich hellwach sprang ich aus dem Bett und öffnete den Laptop.

      Hallo Lina,
      seid ihr gut in Kanada angekommen? Und gute Neuigkeiten, ich habe tatsächlich etwas über Prinz herausfinden können. 2016 verliert sich seine Spur erst einmal, aber ich konnte ihn auf Bildern eines Feldtests aus dem Jahr 2018 ausfindig machen. Dort war er gemeldet unter dem Namen White Cloud und er schloss mit den Noten 9/9/8 ab. Damit hat dein Hengst eine wirklich ausgezeichnet Qualität.
      Der Besitzer wechselte nach der Prüfung. Ich vermute, er ging an den Züchter, wo er beschlagnahmt wurde, aber sicher sagen kann ich dir das nicht. Vielleicht solltest du dich diesbezüglich noch einmal mit dem Tierschutz auseinandersetzen. Wie versprochen, habe ich auch noch Fohlenbilder gefunden und sie dir angehängt.
      Liebe Grüße
      Vivien

      Neugierig öffnete ich die angehängten Bilder. Ein kleines weißes Fohlen war zu sehen, welches gierig an einer Milchflasche saugte. Sofort erkannte ich, dass es Ivy waren. Die kleinen flauschigen Ohren, die hellen Wimpern und natürlich die Punkte, die den Freiberger unverwechselbar machten. Ich betrachtete das Bild von Divine und fühlte, wie mein Herz vor Freude hüpfte. Es war unglaublich, wie sehr ich mich in dieses Pferd bereits verliebt hatte, obwohl ich ihn gerade mal eine Woche kannte. Auch die weiteren Bilder lösten weitere Endorphine aus, die leicht und prickelnd durch meine Adern rannen.

      Vivien,
      vielen lieben Dank für deine Mühen. Ich finde unheimlich interessant, was du über Divine herausfinden konntest und werde definitiv weitere Nachforschungen anstellen.
      Die Bilder von ihm als Baby sind unheimlich niedlich. Ich wünschte, ich wäre dabei gewesen.
      Die Reise war beinahe komplikationslos, einzig vor der Transportkiste hatte er etwas Angst. Jetzt darf er sich erst einmal etwas erholen, bevor wir langsam mit dem Training beginnen. Falls du in näherem Kontakt bleiben möchtest, meine Handynummer findest du in der Signatur.
      Liebe Grüße
      Lina

      Durch Vivien neugierig gemacht öffnete ich schließlich den Browser und begann selbst im Internet zu suchen. Unter dem Namen, den sie mir nannte, fand ich schließlich einige Bilder vom Feldtest, eine Zuchtprüfung in der Schweiz, bei der alle dreijährigen Pferde auf ihre Qualität geprüft werden. Geritten und gefahren schien Divine demnach zu sein, wobei es nicht so aussah, als wäre er besonders weit ausgebildet worden. Er lief zwar balanciert, doch die Haltung ließ noch einiges zu wünschen übrig. Scheren Herzens riss ich mich nach einer dreiviertel Stunde los. Ivy wartete sicher bereits und Frühstücken musste ich auch noch.
      “Du hast aber gute Laune”, lächelte Samu erfreut, als ich schließlich die Treppe zum Aufenthaltsraum hinunter hüpfte.
      “Ja, ich weiß endlich mehr über Ivy”, grinste ich, “und gucke dir das mal an.” Mit Freunde suchte ich die Bilder heraus, die Vivien mir geschickt hatte und zeigte sie meinem besten Freund.
      “Oh, ist Divine der kleine Fratz?”, fragte er interessiert und wischte durch die Fotos. Ich nickte. “Wirklich niedlich. Er wartet übrigens bereits ungeduldig auf sein Futter. Ich hätte es ihm ja gegeben, aber ich weiß nicht, was du ihm fütterst.”
      “Dann gehe ich ihm mal seinen Wunsch erfüllen”, entgegnete ich und lief zum Tor hinaus. Kaum hatte ich den Stall betreten, erklang ein raues Wiehern. Samu hatte recht, der Hengst war tatsächlich unruhig. Immer wieder drehte er sich im Kreis und warf den Kopf wild herum. Eilig lief ich in die Futterkammer, um das Mash zu holen, welches ich gestern bereits vorbereitet hatte. Kaum hatte ich die Box betreten, steckte schon die Schnauze des Pferdes im Trog.
      “Gut, Ivy wir sehen uns später noch mal”, verabschiedete ich mich von dem weißen und lief in den anderen Stall. Für Ivy würde später noch einmal der Hufschmied kommen, denn eines, der Eisen hatte, sich bei der langen Reise gelockert. So widmende ich mich zunächst Peppermint. Wie auch Royal Champion führte der Rappschechke Blut von Cassini’s Girl, die zu ihren Lebzeiten ziemlich erfolgreich im Springsport war. Mit neunzehn Fohlen, die zum Teil über Embryonentransfer ausgetragen wurden, war die ebenso eine Top Vererberin und prägte die Hannoveraner Zucht deutlich. Peppy hatte definitiv die guten Gänge und das Springtalent seiner Großmutter geerbt. Doch heute gab es nur eine kurze Längeneinheit für ihn. Ich stattete Peppermint mit einem Longiergurt aus und führte ihn zum Platz. Dort begann ich mit ein paar lockernden Übungen, bevor ich ihn auf beiden Händen im Trab und Galopp longierte. Der junge Rappschecke zeigte sich motiviert und hatte Freude an der Arbeit. Nach etwa zwanzig Minuten beendete ich das Training und brachte ihn zurück in seine Box.

      Nun hieß es Ivy holen, denn der Schmied würde jeden Moment eintreffen.
      “Das ist er also, der berühmte Divine”, kam Liam auf mich zu. Er war der Lehrling von Mr. McAllister und mittlerweile so selbstständig, dass er für solche kleineren Aufträge allein in den Außendienst gehen durfte.
      “Ja, genau. Seit … ich denke, gestern sind wir hier”, lächelte ich erfreut. Liam begrüßte den Freiberger, bevor er einen Blick auf seine Hufe warf.
      “Sieht ja ganz schön über aus. Wie kann man ein Pferd denn derart verwahrlosen lassen.” Fachmännisch beurteilte der junge Mann den Beschlag, betrachtete ihn von allen Seiten.
      “Ja, ich weiß es auch nicht, aber bisher scheint er sich gut zu erholen”, antwortete ich und strich Divine über die weiche Nase.
      “Wie kommt er bisher zurecht mit den Eisen?”, fragte Liam, der nun einen Hinterhuf in der Hand hielt.
      “Er lahmt deutlich weniger als vorher. Ein leichtes Ticken ist noch da, aber die Tierärztin meinte, das könnte auch von der Muskulatur herkommen”, erläuterte ich den Befund.
      “Gut, dann behalten wir das erst einmal im Auge. Sollte das Lahmen nicht weggehen, müssen wir gegebenenfalls mit Hufpolstern arbeiten. Das Lahmen könnte nämlich daher rühren, dass durch die tiefen Spalten sehr viel Druck auf den Seitenwänden lastet, auch wenn das Eisen schon etwas davon wegnimmt”, erklärte mir Liam verständlich.
      “Okay, ich werde darauf achten”, nickte ich.
      “So und wo liegt unser Problem?”, fragte er indessen und lobte Ivy für das geduldige Stillstehen.
      “Das Eisen vorn links hat sich gelockert. Ich vermute, er ist sich drauf gelatscht.” Er nickte und hob besagtes Bein auf. Kurz betrachtete er die Situation, dann holte er sein Werkzeug und begann damit, die Nieten zu entfernen. Ivy inspizierte mich währenddessen, schnupperte an mir, spielte an meinen Reißverschlüssen und knabberte an meinen Haaren. Etwas nervig, aber wenigstens hielt er so still. Mit wenigen Handgriffen hatte Liam das Eisen abgezogen und nagelte es nun wieder auf.
      “So, fertig”, sagte er und stellte den Huf wieder ab, “vielleicht ziehst du ihm Glocken an, damit er sich die Eisen nicht wieder abtritt.”
      “Werde ich machen, danke”, bestätigte ich und half ihm seine Sache wieder zum Auto zu tragen.
      “Kein Ding, für solch eine charmante Kundin komme ich doch gerne hier raus”, zwinkerte er mir zu, was mich leicht erröten ließ. Zwar kam Liam schon seit zwei Jahren immer mal wieder hier raus, doch ich hatte nicht das Gefühl, dass wir uns gut genug kannten, um solche Aussagen zu treffen.
      “Man sieht sich dann beim nächsten Mal”, verabschiedete ich mich hastig und lief zurück zu meinem Hengst. Viel wollte ich heute nicht mit ihm machen, aber ein kleiner Spaziergang wäre sicherlich gut für ihn. So holte ich ein Knotenhalfter aus meinem Schrank und legte es ihm an. Mit Ivy an meiner Seite schlug ich den Weg zum Geländereitplatz ein, denn ich wollte die Hindernisse und Hügel nutzen, um sein Körpergefühl etwas zu verbessern. Ich schickte ihn mehrfach einen kleinen Hügel hinauf und hinunter. Mal rückwärts, mal seitwärts, mal vorwärts. Bei dieser Übung fiel mir seine Trittsicherheit auf. Bewusst setzte er seine Füße auf den Boden und ließ sich die Zeit, die Verhältnisse in Ruhe zu erspüren. Auf dem Weg zu den Koppeln kam ich am Reitplatzlatz vorbei. Die junge Stute mit der Jace über den Sand fegte, hatte die kraftvollen Bewegungen ihrer Mutter geerbt. Sie harmonierte gut mit ihm. Ich beobachtete Jace und das Pferd auf dem Reitplatz und spürte, wie mein Herz schneller schlug.
      Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen und darüber nachzudenken, was diese Gefühle bedeuten könnten. War ich einfach überwältigt von all den neuen Eindrücken und Veränderungen, die die Reise mit sich gebracht hatte? Oder waren es echte Gefühle, die ich für Jace empfand? Es war ein seltsames Gefühl, aber ich wusste, dass ich Zeit brauchte, um meine Gedanken und Emotionen zu sortieren und herauszufinden, was ich wirklich wollte. Bevor er mich bemerken konnte, löste ich mich vom Rand des Platzes und brachte Ivy auf die Koppel. Doch fertig war ich noch nicht mit ihm, denn er sollte heute den Ersten seiner Mitbewohner kennenlernen.

      So lief ich dieses Mal ohne Divine zurück und holte den Knabstrupper und ebenso eine Gerte, falls ich die beiden Hengste trennen müsste. Neugierig kam Ivy an den Zaun, als er den grauen Hengst erblickte und Pancho reckte ihm neugierig die Nase entgegen. Laut prustend beschnuppern sich die Hengste. Da beide allerdings brav blieben, ließ ich den Knabstrupper zu Ivy auf die Koppel. Ausgiebig beschnuppern sich die Pferde, trabten einige Meter zusammen, bis Pancho schließlich begann, zart an Ivys Mähne zu knabbern.
      “Panchy, lass das, er hat doch kaum Mähne”, rief ich empört zu dem Grauen.
      “Ach, lass ihn doch”, lachte Jace der plötzlich mit Girly hinter mir stand, “Das ist halt eine Männerfreundschaft.”
      “Männerfreundschaft, heißt sich die Haare abzukauen?”, scherzte ich nervös. Ich hatte nicht mit einem so plötzlichen Auftreten seinerseits gerechnet. Er lachte und trat neben mich.
      “Wenn man ein Pferd ist schon”, entgegnete er mit einem breiten Grinsen, “Aber im Ernst, die beiden verstehen sich ja offensichtlich gut.” Ich nickte und beobachtete die beiden Pferde, die nun friedlich nebeneinander grasten.
      “Und wie geht es dir so?”, fragte Jace und legte mir eine Hand auf die Schulter.
      “Noch etwas mitgenommen vom Jetlag, aber es wird langsam besser”, entgegnete ich ausweichen. Ich war mir fast sicher, dass er vielmehr von unserer emotionalen Begegnung von neulich redete. Jace nickte verständnisvoll und wir schwiegen eine Weile, während wir die Pferde beobachteten. Als seine Stute ungeduldig wurde, verschwand er schließlich. Pancho und Ivy schienen friedlich, sodass ich die beiden zusammen ließ und weiter meinem Tagesgeschäft nachging.

      Am Abend, als schließlich alle Tiere versorgt waren, holte ich mein Zeichenzeug und setzte mich auf die Terrasse. Irgendwie musste ich den Kopf freibekommen. Die Sonne stand tief am Himmel und tauchte alles in ein warmes, weiches Abendlicht. Gedankenverloren zeichnete ich vor mich hin, ließ mich einfach von meinem Finger leiten. Die Stille um mich herum tat gut und ich merkte, wie ich allmählich zur Ruhe kam. Ich malte die Umrisse der Berge, die sich in der Ferne abzeichneten und die sanften Wellen des Flusses, der durch das Tal floss. Ich vergaß die Zeit und als ich schließlich aufschaute, war es bereits dunkel geworden. Ich stand auf und betrachtete meine Arbeit. Es war nicht perfekt, aber es hatte mir geholfen, den Kopf freizubekommen.
      Ich ging zurück ins Haus und bereitete mir eine Tasse Tee zu. Während ich darauf wartete, dass das Wasser kochte, dachte ich an Jace und seine plötzliche Erscheinung am Nachmittag. War es nur ein Zufall oder hatte er mich absichtlich gesucht?
      “Hey Süße”, erklang die wohlbekannte Stimme hier. Na toll, konnte er jetzt schon Gedanken lesen? Ich drehte mich um und sah Jace in der Tür stehen.
      “Geht es dir wirklich gut, du bist den ganzen Tag schon so still”, hakte er freundlich nach.
      “Ja, es ist schön wieder Zuhause zu sein”, antwortete ich ihm und lächelte leicht. Jace nickte, schien aber nicht ganz überzeugt zu sein. Er trat näher und sah mich intensiv an. “Und mit … der Sache kommst du klar?”, sagte er schließlich und legte seine Hand an die Taille. Ich spürte, wie sich eine Wärme in mir ausbreitete. Verdammt, diese Gefühle sollte man nicht für einen Arbeitskollegen haben, nein.
      “Alles gut”, zwang ich ein Lächeln auf meine Lippen. Auch wenn mich Divine Vijami in vielerlei Hinsicht ähnelte, besaß Ivy die Fähigkeit mich alles vergessen zu lassen. Er verstand mich, ganz ohne nur ein Wort zu verwenden.
      “Falls du mich benötigst, weißt du ja, wo du mich findest”, lächelte er und blickte mir tief in die Augen. Ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Ich senkte meinen Blick und zwang mich, ruhig zu bleiben. Es war nicht das erste Mal, dass Jace mich mit seinen intensiven Blicken aus der Fassung brachte.
      “Danke”, lächelte ich zart, “Ich gehe noch einmal nach Ivy sehen.” Hastig löste ich mich von ihm. Es war verflucht. Immer wenn ich dachte, ich hätte Zeit, um mir meiner Gefühle klarzuwerden, tauche er wieder auf.
      Im Stall umfing mich der vertraute Geruch nach Pferden und Stroh. Divine stellte die Ohren auf und wieherte leise, als ich den Stall betrat. Divine, der immer aufmerksam war, stellte die Ohren auf und wieherte leise, als er mich erkannte. Seine Begrüßung erfüllte mich mit Freude, und ich streichelte ihm sanft über den Hals.
      “Hallo, hübscher”, flüsterte ich, als ich seine Box öffnete. Leise schloss ich die Tür hinter mir und strich dem Hengst über die breite Stirn, bevor ich mich in das Stroh sinken ließ. Einen Moment lang schloss ich die Augen und lauschte ich einfach auf die Geräusche im Stall. Das leise Rascheln des Strohs, das Kauen der Pferde und zuletzt Divines regelmäßige Atemzüge. Ivy blies mir sanft seinen warmen Atem ins Gesicht, tastete mit seinen Lippen zärtlich darüber, als wollte er sagen: “Alles okay?” Als ich die Augen wieder öffnete, blickten mir zwei dunkelbraune Augen entgegen. Ein Ohr war auf mich gerichtet, während das andere lauschte, was um ihn herum vor sich ging, so stand er verwirrt vor mir.
      “Wenn du nur wüsstest, wie gut du es hast”, seufzte ich und kramte ein Leckerli aus meiner Tasche. Vorsichtig pflückte Ivy es aus meiner Hand. Noch immer war es für mich unbegreiflich, wie es möglich war, dass der Hengst solch eine positive Ausstrahlung haben konnte, obwohl er bereits so viel Leid erfahren musste. Fast, als sei der Hengst magisch.
      “Willst du mal etwas sehen?”, fragte ich das Pferd plötzlich. Keine Antwort, wer hätte da nur erwartet. Dennoch holte ich das Handy aus meiner Hosentasche und öffnet ein Foto.
      “Schau mal, das bist du, Prinz”, sagte ich liebevoll und sprach seinen alten Namen aus. Aufmerksam spitzte der Hengst die Ohren, als ob er sich an den Namen erinnerte, doch dies hielt nur kurz an. Viel lieber beschäftigte der Hengst damit, ob das Gerät nicht vielleicht essbar war.
      “Das kann man nicht essen”, schien er ausdrücken zu wollen, als er mich grob anschubste. Ich lachte leise und reichte ihm ein weiteres Leckerli.
      “Du bist mein kleines Zauberpony”, sagte ich leise zu dem Hengst und beobachtete ihn, wie er kaute. Es war ein friedlicher Moment inmitten des alltäglichen Chaos, aber ich genoss die Gegenwart von Ivy, der mich mit seinem Zauber umgab. Neugierig schnupperte Divine an meinem Pulli und zupfte dabei an einem zerknitterten Blatt Papier.
      “Nein Großer, darüber möchten wir heute nicht nachdenken”, sagte ich mehr zu mir selbst, als zu ihm. Ich stopfte es zurück in meine Tasche und dachte darüber nach, was es zu bedeuten hatte. War es das Schicksal, was mich an diesen Punkt führte?
      Langsam stand ich auf und strich Ivy über die Nüstern.
      "Ich muss jetzt gehen, mein Kleiner", flüsterte ich ihm zu, “gute Nacht.” Der Hengst sah mich mit seinen dunklen Augen an, als ob er meine Worte verstehen würde. Mit diesen Worten verließ ich den Stall. Auf dem Weg in mein Zimmer begegnete ich zum Glück niemanden mehr. Um nicht über meine Gefühle nachdenken zu müssen, ging ich direkt ins Bett.

      © Wolfszeit | Lina Valo | 16.257 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang Mai 2020}
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  • Album:
    LDS - Schweden
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    Wolfszeit
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    13 Aug. 2023
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  • HMJ Divine
    Göttlich

    [​IMG]
    © Wolfszeit

    Rufname: Ivy
    geboren 19. März 2015

    Aktueller Standort: Lindö Dalen Stuteri, Lindö [SWE]
    Unterbringung: Offenstall


    __________ s t a m t a v l a

    Aus: Frisquette [Freiberger]
    MMM: Linette _____ MM: Fanny V _____ MMV: Judoka
    MVM: Lola _____ MV: Caviar _____ MVV: Javart


    Von: Disco [Freiberger]
    VMM: Mascotte _____ VM: Fanny VI _____ VMV: Jean
    VVM: Nadia _____ VV: Damien _____ VVV: Denver


    __________ h ä s t u p p g i f t e r

    Rasse: Freiberger [FM]
    Urfreiberger | 0,00% FB

    Linien Begründer

    Geschlecht: Hengst
    Stockmaß: 159 cm
    Farbe: Dominante White
    [Ee aa nW1]

    Charakter
    Zuversichtlich, menschenbezogen, tollpatschig, fürsorglich, ungestüm, trittfest, genügsam

    Divine hat wahrhaftig etwas Göttliches an sich. Obwohl er viel gelitten hat, strahlt er noch immer eine gewisse Zuversicht aus. Jahrelang suchte er vergeblich den Kontakt zu Menschen und ist nun etwas unsensibel, wenn es darum geht, mit Menschen zu kommunizieren. Er würde gerne fürsorglich sein, ist jedoch eher tollpatschig und etwas zu herb und ungestüm.
    Allerdings ist er extrem trittfest und hat ein gutes Gespür für Entfernung und die Festigkeit des Bodens. Divine ist ein treues Pferd, welches seiner Bezugsperson blind vertraut. Fremden gegenüber ist er aufgeschlossen, aber skeptisch, sollten diese sich auf seinen Rücken wagen.


    Divine stammt aus einer Freibergerzucht, die vorwiegend auf die weißen Pferde ein Augenmerk gelegt und versucht hat, mit diesen besonderen Exemplaren viel Geld zu verdienen. Bei einer Kontrolle wurden allerdings zu viele Pferde auf zu wenig Raum festgestellt, sodass einige der Pferde abgegeben werden mussten. Inzwischen wissen wir, dass er angeritten ist, allerdings nicht sonderlich gut.


    *erforscht alles mit der Schnauze, gibt gerne Küsschen
    *Sabbert viel
    * kaut Stricke u. Ä. an
    *beißt in Wasserstrahlen oder versucht direkt daraus zu trinken
    *hat Schwierigkeiten in der Kommunikation mit anderen Pferden
    *leichter Gurtzwang
    *mag Pastinaken, besonders getrocknet
    *Trösterpony


    __________ t ä v l i n g s r e s u l t a t

    [​IMG]

    Dressur M [S'] – Springen E [M] – Military E [M] – Fahren L ['S] – Distanz E ['S]

    Niveau: National
    Platzierungen: 4 | 6 | 5

    September 2020
    Training, Dressur E zu A

    November 2020
    3. Platz, 480. Fahrturnier

    Dezember 2020
    4. Platz, RP Sommerevent 2020

    März 2021
    Training, Dressur A zu L
    1. Platz, 490. Fahrturnier
    1. Platz, 350. Synchronspringen
    1. Platz, 490. Fahrturnier
    2. Platz, 489. Fahrturnier
    3. Platz, 348. Synchronspringen

    April 2021
    1. Platz, 353. Synchronspringen
    2. Platz, 493. Fahrturnier
    2. Platz, 478. Militaryturnier
    2. Platz, 480. Militaryturnier
    2. Platz, 635. Springturnier
    2. Platz, 454. Synchronspringen
    3. Platz, 472. Distanzturnier
    3. Platz, 623. Springturnier
    3. Platz, 495. Fahrturnier

    Oktober 2022
    Training, Platzhalter

    November 2022
    Training, Dressur L zu M

    Februar 2023
    Training, Platzhalter

    März 2023
    Training, Platzhalter

    April 2023
    Training, Platzhalter

    Mai 2023
    Training, Platzhalter

    Juni 2023
    Training, Fahren A zu L


    __________ a v e l


    [​IMG]
    Stand: 01.02.2023


    HMJ Divine wurde durch HK 510 zur Zucht zugelassen.

    Zugelassen für:
    *FM [HB I]
    *BRP [HB I]
    Bedingungen: Keine Inzucht, FM: bevorzugt 0% FB
    Decktaxe: 344 Joellen, [kein Verleih]

    Fohlenschau: 7/ 7/ 8

    Feldtest: 8,47 [Bestanden]
    Exterieur: 9
    Verhalten Fahren: 9
    Verhalten Reiten: 8

    Körung
    Exterieur: 8,34
    Gesamt: 8,42

    __________ a v k o m m e r

    Ivy hat 2 Nachkommen.

    WHC' Sunna a.d. Nurja [FM] *2021
    WHC' Satyr a.d. Fanya [FM] *2021
    Lumi Valon a.d. Ready For Life [FM] *2022


    __________ h ä l s a

    Gesamteindruck: Gesund; gut in Training [27.04.20, 12.05.20, 11.05.21]
    Krankheiten:
    *Ekzem [Ausgeheilt]
    *Entzündungen auf der Haut [Ausgeheilt]
    *Sonnenbrand [Ausgeheilt]
    Beschlag: Stegeisen mit seitlichen Aufzügen [Vorne], Stahleisen [Hinten] [01.05.20]
    *Umstellung auf Gummibeschlag/ Hufschuhe
    * Hornspalten [In Behandlung]


    __________ ö v r i g

    Pfleger: Lina Valo
    Reiter: Lina Valo
    Trainer: Lina Valo
    Eigentümer: Lina Valo [100%]
    Züchter: Les Breuleux [CHE], J. Rüttimatt
    Ersteller: Canyon

    Divine steht aktuell nicht zu Verkauf.
    _____

    Spind – Exterieur – PNG

    Ivy existiert seit dem 20. April 2020