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Mohikanerin

Hending [2/20]

Hending [2/20]
Mohikanerin, 12 Okt. 2021
Zion, Veija, sweetvelvetrose und 2 anderen gefällt das.
    • Mohikanerin
      Dressur E zu A | Oktober 2021

      Henade // May Bee Happy // Hending

      Wie im jeden Jahr begann ich bereits nach der Auktion die nächste zu planen. Viele Besucher kamen jährlich zu uns und erkundigten sich regelmäßig, ob wir neue Tiere da hätten. Dennoch versuchten wir unsere Rettungsaktionen kleinzuhalten und vor allem in einem gesunden Maße. Wir sahen uns nicht als die Retter, die kranke Pferde vor der Schlachtung retteten, sondern viel mehr, noch hoffnungsvollen Tieren eine zweite Chance zu geben.
      In der vergangenen Woche kam der Transporter aus Ostdeutschland mit mehr als zwanzig Tieren, die wir für die Auktion am Ende des Jahres vorbereiten wollten. Ich hatte es sogar geschafft einzurichten, dass Bieter über das Internet mitmachen konnten. Mit stolzer Brust lief ich durch den eigens eingerichteten Stalltrakt und betrachtete die teilweise ruhigen Tier in ihren Boxen. Viele von ihren waren in einem schlechten Zustand, so auch Hending. Die zehnjährige Stute hatte vollkommen verfilzte Mähne und rollte bei jedem Schritt. Schuld daran war nicht nur das deutliche Übergewicht, sondern auch die ziemlich kurzen Beine und die fehlende Motivation sich auf der Weide zu bewegen. Doch ehrlich gesagt, würde es auch mir schwerfallen etwas, mit derartig vielem Fettgewebe auf den Rippen, zu tun. Etwas weiter stand Happy, ein Deutsches Sportpferd, dass in meinen Augen keinen Grund hatte beim Schlachter zu sein. Der Hengst hatte weder Auffälligkeiten bei der tierärztlichen Untersuchung noch rein optisch. Ja, am Körper trug er einige Verletzungen, die jedoch auf Tritte von anderen Tieren zurückzuführen sind, aber sonst gab es keine Anzeichen. Über seine Abstammung fand ich heraus, dass er ziemlich vielversprechend beim Springreiten sein könnte, aber auch in der Dressur seinen Weg finden könnten. Und zu guter Letzt konnte man auch Henade, liebevoll Hanni genannt, von meiner neunjährigen Tochter, die schon durch ihre Fellfarbe ein Hingucker im Stall war. Auf ihrem reinweißen Fell thronten braune Tupfer und Flecken, dazu treue Augen und helle Wimpern. Besonders sie wurde zum Liebling auf dem ganzen Hof.
      Femke, meine Tochter, schnappte sich am Morgen direkt Hanni und sattelte sie, während ich mich Happy widmete, der vor Energie strotzte und in der Nacht beinah die Box auseinander nahm. Seine Ohren zuckten aufmerksam, als ich mich langsam nährte und zur Begrüßung meine Hand hinhielt. Neugierig beschnupperte er sie, beobachtete jeden meiner Schritte und hielt nicht viel davon, sich den Strick am Halfter befestigen zu lassen. Sanftmütig sprach ich auf ihn ein, ermutigte Happy dazu, von selbst zu kommen und sich öffnete. Die Zeit verging und Femke verschwand bereits mit der gesattelten Stute Richtung Halle, doch ich stand an der Boxentür und beobachtete den nervösen Hengst. Nervös war der falsche Ausdruck für ihn. Er interessierte sich nur kurz für mich und drehte sich dann mit seinem Kopf in die linke Ecke.
      „Zu dir kommt er also auch nicht?“, lachte Noah, einer unserer Mitarbeiter. Er war hauptsächlich für handwerkliche Arbeiten am Hof zuständig, aber brachte häufig die Pferde am Morgen hinaus auf die Weide.
      „Nein, leider vertraut er niemanden“, sagte ich und hoffte doch noch eine Reaktion von dem Fuchs zu erhaschen, doch seine großen Ohren hingen regungslos zur Seite und er starte zum Holz.
      „Morgen vielleicht noch mal?“, schlug Noah vor.
      Ich nickte.
      Somit nahm ich mit als Nächstes unseren zu klein geratenen Tinker vor, der auf keinen Fall die prächtige Mähne verlieren sollte. Auf einige Zentimeter könnte Hena verzichten, aber mehr wollte ich hier nehmen. Sie kam direkt freundlich vor zur Box und folgte mir am Strick in die Gasse. Zuerst holte ich einen Eimer mit Wasser, um erst mal alles gründlich einzuweichen und elastischer zu machen. Schon nach den ersten Versuchen mit einer Bürste wurden die Knoten kleiner und einige Strähnen schafften es heraus. Zwischen den einwandfreien Dreadlocks fand ich viele kleine vertrocknete Kletten und anderes aus der Natur. Im trocknen Zustand wurden es immer mehr befreite Strähnen.
      „Maaaaaaama“, hörte ich meine Tochter durch die Gasse schreien.
      „Was ist denn los?“, machte ich meinen Hals lang und suchte den Blickkontakt zu Femke.
      „Ich konnte Hanni heute aus dem Schritt angaloppierten“, erzählte sie stolz von der heutigen Dressurstunde.
      „Hervorragend“, murmelte ich und fummelte an der Mähne weiter. Munter plapperte sie weiter über das getupfte Pferd. Ich spürte bereits jetzt, dass es nicht leicht werden würde, wenn jemand die zuverlässige Stute kaufen würde. Femke würde mir noch Wochen danach in den Ohren hängen, dass sie Hanni unbedingt haben wollten würde. Sie besaß aber bereits zwei Pferde, zwei Welsh Partbred Wallache, die aktiv in der Dressur und im Springen liefen. Monatlich gab ich ein Haufen Geld aus, um sie und ihre Ponys vorzubereiten.
      „Kaum zu glauben, dass dieses Pferd wieder ansehnlich ist“, kam Noah durch den Stall und bewunderte die Hendings Mähne. Ich hatte gerade einige Zöpfe gemacht, damit ich mir diese Arbeit kein zweites Mal machen müsste. Für heute ertrugen wir alle genug und ich entschied für den Tag Feierabend zu machen.
      Woche um Woche verging, in denen ich mich immer weiter dem Fuchs Hengst nähren durfte, bis er eines Tages, von selbst, einige Schritte auf mich zu machte und mich mit seiner Oberlippe am Bein berührte. Ich versuchte meine Freude kleinzuhalten, um ihn nicht noch mehr einzuschüchtern. Stattdessen legte ich meine Hand auf seinen Nasenrücken. Happy zuckte zurück, aber schnaubte dann ab. Für einen Augenblick drang ich zu ihm durch, bis er wieder zurückwich und seine Ecke bewunderte. Immerhin einen kleinen Erfolg verzeichneten wir.
      Hena holte ich vom Paddock herunter, auf dem sie mit zwei Welsh Stuten stand und Hanni. Die Palomino Stute kam freundlich zum Zaun gelaufen und zupfte an meinem Shirt herum. Ich führte sie hinunter. Reiten konnte ich den Zwerg nicht mit meinen eins zweiundsiebzig, aber auch seinen Sattel für sie zu finden, gestaltete sich, als schwieriger als wir vermuteten. Deswegen startete heute die erste Einheit an der Hand, nach dem sie vorher nur die Führanlage kennenlernen durfte. In meiner Vorstellung hatte die Fellkugel bereits einige an Pfunde verloren, aber ohne eine Waage war es schwer zu beurteilen.
      Im Schritt longierte ich die Stute viele Minuten und auch im Arbeitstrab. Auch, wenn Trab ziemlich weit gegriffen war. Hena musste für jeden einzelnen Tritt getrieben werden mit einem hohen Maß an Energie. Das Knallen der Peitsche verursachte nicht einmal ein Zucken ihrer Ohren, oder gar einem Augenzwinkern. Stur lief sie gefolgt an der Longe, zerrte daran, um die Biegung zu vergrößern. Mit ihr könnte es noch schwieriger werden.
      Hanni hatte heute Pause, denn die letzten zwei Tage hatte ich das Dressurtraining mit der Freiberger Stute fortgesetzt. Die Durchlässigkeit wurde besser. Ihre Tritte setzten zunehmend mehr unter und sie verstand in der Volte die Hinterbeine auf der Linie zu behalten, ohne zur Seite wegzutreten. Am rechten Schenkel bog sich Hanni besser und bekam die Idee sich zu lösen. Viele Verspannungen saßen in ihrer Schulter und dem Rippenbogen, die demnächst ein Osteopath anschauen möchte. Auch für Happy sollte er kommen, den noch immer kam er keinen Schritt heraus aus der Box. Mittlerweile tat der Hengst mir leid. Seit seiner Ankunft hatte er nur bedingt Tageslicht gesehen, denn auf Druck reagierte er mit Gegenwehr. Er trat gezielt nach dem Menschen.
      Das Pummelchen hatte wirklich Gewicht verloren, ganze fünfzig Kilogramm hatte Hending auf der Strecke gelassen und sogar mehr als eine Runde im Trab durchgezogen auf dem Zirkel. Femke saß bereits auf ihr, auch wenn es viel mehr nach einem Sandsack aussah, denn jegliche Bemühungen eine Hilfe auszuführen, ließ die Stute kalt. Noch immer stur lief sie voraus und zog an der Longe. Das einzige Pferd der drei, das wirklich ersichtliche Fortschritte machte, war Henade. Obwohl die Seitengänge eine fortgeschrittene Lektion darstellten und einen gewissen Grad der Versammlung benötigten, half es der Stute sich mehr zu stellen, Verspannungen zu lösen und mehr Schwung in die Arbeit zu haben. Die Stute war motivierte und mochte es zu gefallen, umso mehr Spaß brachte mit ihr in der Halle zu sein, sofern kein anderes Pferd dort war. Sonst legte sie ihre Ohren, schlug nervös mit dem Schweif und trat auch gern mal nach dem anderen Tier. Zur Vorbereitung arbeiteten wir am Schultervor, um die Koordination zu fördern. Ihre Durchlässigkeit wurde zuverlässiger und auch das Problem, dass sie ihren Kopf durch Genick warf, verbesserte sich. Allerdings fiel Hanni noch auf mehr als vier Schritten über die äußere Schulter heraus oder wurde zu eilig.
      Happy blieb unser Problemkind. Ich hatte eine Bindung zu ihm aufbauen dürfen, somit konnte er für einige Stunden auf die Weide und stand ansonsten auf einem einzelnen Paddock neben den Jungpferden. Seine Beine schlotterten und die Muskeln am ganzen Körper zitterten. Aktuell standen noch Tests aus, ob es Shivering sein könnte, aber bisher hoffte ich das Beste. Über Quellen im Internet fand ich sogar heraus, dass der Hengst schon auf M-Klasse gesprungen wurde, ziemlich erfolgreich, und auch die eine oder andere L-Dressur. Dort wehrte er sich stets gegen seinen Reiter, wirkte sehr unzufrieden. Die Videos auf dem Abreiteplatz eröffneten mir weitere schlimme Bilder. Am Schlaufenzügel wurde Happy eng geführt in der Versammlung im Trab. Erst im nächsten Augenblick wurde mir klar, dass einen sechsjährigen in der M zu springen, nicht so gut für die Gelenke war. Vermutlich erklärte alles das sein Verhalten.
      Hending war nach drei Monaten so weit an der Hand zuverlässig zu arbeiten, natürlich musste man noch immer viel Energie in die einzelnen Lektionen stecken, aber die Durchlässigkeit wurde angenehmer. Schwung hatte sie überhaupt keinen, aber darauf legte ich auch noch kein Wert. Stattdessen versuchte ich die Stute weiterhin in der Losgelassenheit zu fördern und tagtäglich machten wir kleine Fortschritte. Zufrieden blickte ich am Abend vom Schlafzimmer aus über das ganze Gestüt und war stolz darauf wieder so viele wundervolle Pferde für den Herbst vorzubereiten.

      © Mohikanerin // Carola Ampft // 10.132 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Frühling 2020}
      Sosox3 gefällt das.
    • Mohikanerin
      Pflegetag | 21. März 2022

      Hending // May Bee Happy // Henade

      Im Angesichts der kommenden Gäste rückte die Vorbereitung näher. Die Zimmer waren größtenteils einzugsbereit, aber meine Tochter hatte Ferien, wodurch für sie die Reinigung des gesamten Zubehör anstand. Ich hatte am Morgen die Pferde Hending und Henade zur Weide gebracht, nur Happy musste auf seinem Paddock bleiben. Das Training mit ihm lief aktuell wieder rückständig. Hengsti parkte, verweigerte und biss, auch, wenn seine neue Freundin dabei war. Es gab wohl Ärger im Paradies. Mit meiner Tochter konnte ich klären, dass Hanni nicht bleiben konnte. Der eine und andere Abend brachten Diskussionen aus, aber die Situation beruhigte sich. Am Telefon hatte mir Tyrell schon mitgeteilt, wer vorbeikommen würde und wir alle freuten uns bereits auf den Besuch.

      © Mohikanerin // Carola Ampft // 760 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Oktober 2020}
    • Mohikanerin
      Fahren E zu A / Dressurfahren | 12. August 2022

      Osvominae / Just a Bear / HMJ Holy / Schleudergang LDS / Hending / Raleigh

      „Wie groß ist die Halle?“, kam Lars auf einmal an, als ich gerade auf der Couch saß, meinen Kaffee zu einer neuen Serie genoss.
      „Dafür bist du extra hergekommen?“, wunderte ich mich an Stelle seine Frage zu beantworten.
      „Ja und nein“, sprach er in Rätseln.
      „Achtzig mal sechzig oder so“, antwortete ich schließlich.
      „Super, dann komm“, forderte er mich auf. Prüfend sah ich zur Uhr. Eigentlich musste ich erst in einer Stunde im Stall sein, aber mein Kollege war nicht aufzuhalten, also zog ich mir die Stallkleidung an und folgte ihm. In seinem Gesicht erkannt ich, dass er einen fiesen Plan verfolgte. In den Putzbuchten standen bereits Osvo und Bear, beide mit dem Gurt um, aber zusätzlich einem Brustblatt. Skeptisch sah ich zu ihm.
      „Jetzt sag endlich, was das hier soll“, wild fuchtelte ich vor den Pferden, die aufmerksam den Kopf hoben und uns beide beobachteten.
      „Wir fahren heute mal in der Halle“, lachte er und holte die Sulky.
      „Tyrell bringt uns um“, sagte ich trocken.
      „Nein, das ist besprochen.“
      Ich zuckte mit den Schultern und spannte den Rappen an. Lars widmete sich derweil seinem Hengst, der die Stute neben sich anbrummte. Sie kümmerte das nicht, wendete nur den Kopf zu mir.
      Wir liegen hinüber zum großen Eingang auf dem Sand, die Pferde ebenso verwirrt wie ich. Erst sträubte sich der Rappe neben mir, durch das Tor zu laufen, doch als Bear seinem Besitzer treu hinein folgte, kam auch sie mir nach. Ich führte sie zunächst eine Runde, um selbst zu sehen, wie sich der Sulky auf dem Sand verhielt, aber die breiten Räder, die Lars vor Tagen montiert hatte, eigneten sich auch für den Hallensand. Osvo stand ruhig, als ich auf den Sulky stieg und im langsamen Schritt ganze Bahn fuhr. Es fühlte sich seltsam an. Ich war noch nie im Bock hier. Die Perspektive, so dicht am Boden und der Blick nicht einmal über die Bande, wirkte einschüchternd. Selbst die Rappstute fühlte sich nicht ganz wohl in der Situation und winkelte den Schweif an.
      „Nimmt man nicht normalerweise vier Räder?“, fragte ich meinen Kollegen, als ich mich zunehmend sicherer fühlte.
      „Schon, aber haben wir das?“, grinste er. Bear lief in tiefster Entspannung voran. Der Hengste kannte wohl schon die seltsamen Ideen seines Besitzers oder hatte mehr Erfahrung dabei als Osvo.
      „Nicht, dass ich wüsste“, gab ich zu.
      „Siehst du. Außerdem funktioniert es doch auch so“, erklärte er. Mir war es noch schleierhaft, schließlich fehlte das Gelenk am Wagen, wodurch die Beweglichkeit eingeschränkt war. Doch irgendwie schafften wir es sogar einen Zirkel im Trab zu fahren. Immer wieder erklärte mir Lars, worauf ich zu achten hatte, bis wir schließlich nach einer Stunde aufhörten. Beide Pferde waren verschwitzt und genossen ihre Zeit unter dem Rotlicht.

      In den nächsten Tagen und Wochen trafen wir immer häufiger in der Halle zum gemeinsamen Fahren, besonders für Hending, die offenbar schon eingefahren war, stellte es eine gelungene Abwechslung zum bisherigen Ausreiten dar. Sie hatte Spaß am Sulky und zeigte sich stets motiviert, die einfachen Dressurlektionen umzusetzen. Auch Holy, die ich bisher nur an der Doppellonge hatte, kam ich voran, sodass sie in Begleitung des Fohlen auch schon das Gewicht vom Sulky kennenlernte und wir gemeinsam Spazierengehen. Lars hatte zur gleichen Zeit begonnen, Schleudergang einzufahren und an der Doppellonge zu arbeiten, sowie Raleigh, den wir im Beritt hatten. Doch das Kaltblut schüchterte sogar den gestandenen Mann ein, der dies aber ungern zugab. Seine Skepsis spürte ich dennoch, wenn wir am Morgen den Arbeitstag besprachen.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 3573 Zeichen
      zeitliche Einordnung {April 2021}
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugosju | 04. September 2022

      Henade / Hendrikus zu Stalburck / Einheitssprache / Wunderkind / Pleasing / Maxou / Fieberglas / Pay My Netflix / May Bee Happy / Hending

      Lina
      Ich war gerade dabei Rambi abzusatteln als Mateo zielstrebig die Stallgasse hinunterkam.
      “Dein Pony ist da”, verkündete dieser im Vorbeigehen und verließ den Stall sogleich wieder durch das große Rolltor. Davor war das Knirschen des gefrorenen Kieses unter Autoreifen zu hören.
      “Dein Ernst Lina, du hast dir schon wieder ein Pferd gekauft?”, ließ Samu einen kritischen Kommentar verlauten, den prächtigen braunen Warmbluthengst am Strick mit sich führend.
      “Guck nicht so, das ist nicht meins, also nicht in dem Sinne. Hanni ist ein Berittpferd”, erklärte ich meinem besten Freund, der tatsächlich noch keine Kenntnis von der Stute hatte, da er die letzte Woche mit Enya bei seiner Familie verbrachte und dabei wollte ich ihn nicht stören.
      “Ein Berittpferd also, wie kommt es dazu?”, zog er zweifelnd die linke Augenbraue nach oben.
      “Ähm, was soll das denn bitte jetzt heißen?”, empörte ich mich und hängte den Sattel auf den Halter, “Willst du mir etwa sagen, dass du mir das nicht zu taust?”
      “Nein, Linchen, du bist spitze. Ich bin nur verwundert, seit wann du Berittpferde angeboten bekommst”, beschwichtigte er sofort.
      “Seit Mateo und jetzt entschuldige mich, ich muss ein Pferd in Empfang nehmen”, entgegnete ich und lief freunden strahlend in die Richtung in der Mateo soeben verschwand. Natürlich hatte ich mittlerweile Fotos von Henade zu sehen bekommen, doch ich konnte es kaum erwarten sie gleich in Live zu sehen. Draußen wurde ich bereits von Mateo und seiner Schwester erwartet, welche auch sogleich mit einem breiten, grinsen auf mich zugelaufen kam.
      “Bereit Hanni kennenzulernen, Lina?”, fragte sie und zog mich zu Begrüßung in eine herzliche Umarmung. Es erfreute mich, dass Sam die Stute selbst vorbeibrachte. Sie war mir sympathisch und so hatte ich die Gelegenheit mir von ihr noch ein paar Tipps im Umgang mit der Stute zu holen.
      “Mehr als bereit”, entgegnete ich und konnte meine Aufregung nur schwer zurückhalten.
      “Na dann wollen wir sie doch mal ausladen”, grinste Sam, “Gehts du vorne rein?” Ich nickte und lief um den Hänger herum, um durch die kleine Tür an seiner Vorderseite in das innere zu klettern. Im halbdunklen Inneren kam mir unmittelbar ein heller Kopf entgegen.
      “Du bist also Hanni”, sprach ich sanft mit der Stute und strecke ihr vorsichtig meine Hand hin. Statt sie zu beschnuppern, schnappte sie nach meiner Hand. Doch anders als bei Caja kamen dabei keine Zähne zum Einsatz, sondern nur die Lippen, die interessiert meine Hand abtastete. Währenddessen öffnete sich die Klappe hinter der Stute und ließ Licht und kalte Luft einströmen. Aufmerksam drehte Henade die Ohren, hörte auf die Umgebungsgeräusche um sie herum.
      “Alles bereit, da drinnen?”, rief Mateo von hinten, bereit die Stange hinter dem Po der Stute zu entfernen.
      “Warte kurz”, antwortete ich und löste den Knoten, der die Stute an Ort und Stelle hielt.
      “Jetzt darfst du”, erteilte ich im daraufhin die Erlaubnis, der er auch sofort folge, leistete. Langsam, Schritt für Schritt, schicke ich die Stute die Rampe hinunter, bis sie vollständig auf dem Kies stand. Jetzt im Tageslicht konnte ich vollständig die hübsche Scheckung betrachten, die sich über ihr Fell zog. Zwischen den zerfransten weißen Rändern und an der Oberlinie schimmerte ein hübscher Braunton hindurch, wirklich eine außergewöhnliche Färbung.
      “Und was sagst du?”, blickte mich Sam mich forschend an.
      “Mensch Sam, was stellst du denn für Fragen. Das ist ein perfektes Match, hübsch und talentiert”, kam Mateo mir mit einer Antwort zuvor.
      “Jetzt übertreib nicht, Mateo. So gut bin ich nun auch wieder nicht”, sprach ich verlegen. Er wollte mir schon widersprechen, doch Sam fiel ihm ins Wort: “Vielleicht sollten wir meiner Hübschen erst einmal ihr neues zu Hause zeigen.” Bestrebt lief sie voran, was die Stute dazu bewegte ihr unaufgefordert zu folgen. Kaum hatten wir das Tor durchschritten, ließ Henade ein schrilles Wiehern ertönen. Einige Köpfe erhoben sich aus den Boxen und vom Putzplatz ertönte sogar eine Antwort. Eindeutig Rambi, der Stimmfarbe und dem lang gezogen brummen, nach zu urteilen. Hufgeklapper ertönte auf dem Beton, begleitet von dem Geklimper des Metalls, als der Strick dagegen schlug. Natürlich war der potente Freibergerhengst auch Quell dieses Lärms.
      “Uhhh, wer ist denn das Schnuckelchen”, erklang Samanthas entzückter Ausruf, als wir uns dem Putzplatz näherten und der Blick darauf freier wurde. Samu war augenscheinlich noch immer mit Hendrik beschäftigt, doch hatte von ihm abgelassen, um Rambi zu beruhigen.
      “Wer von den Dreien?”, fragte ich lachend, während ich Hanni in die Box führte, die Mateo und ich heute Morgen bereit vorberietet.
      “Alle drei, aber besonders der junge Mann, ist sehr ansprechend. Wer ist das?”, fragte sie wissbegierig und war Samu einen vielsagenden Blick zu.
      “Sammy, mach mal halblang, du bist nicht zum Flirten hier”, verdrehte ihr Bruder sofort die Augen und schüttelte mit dem Kopf.
      “Aber du, oder wie?”, entgegnet sie patzig, bevor sie sich lieber mir zu wand, “Also Lina, sag schon, wer ist das?” In Sams funkelte eine Energie, die der von Vriska glich, als sie Lars das erste Mal erblickte, nur dass sie deutlich indiskreter war.
      “Frag ihn doch selbst”, lachte ich, “Aber ich muss dich warnen, er hat eine Freundin. Rechne also nicht mit viel Erfolg.”
      “Ach, das werden wir schon noch sehen”, sprach sie von sich überzeugt und marschierte geradewegs die Stallgasse hinunter. Ich kannte meinen Freund, Sam würde bei ihm mit Sicherheit auf Granit stoßen. Statt mir den wenig Erfolg verheißenden Annäherungsversuch von Sam zu beobachten, zog ich Hanni das rosa, nicht preiswert erscheinende Halfter vom Kopf. Um den Nasenriemen war ein Schoner gewickelt, mit ihrem Namen darauf und einem Krönchen daneben. Ordentlich hängte ich den Gegenstand vor ihre Box und beobachte, wie sie den Kopf zu den Spänen hinstreckte. Erst als erneuter Hufschlag, nun von der anderen Seite, ertönte, wandte ich mich ab. Vriska kam mit Wunderkind auf dem Wagen daher gelaufen, strich dem verschwitzten, und allem voran verdreckten, Hengst am Hals. Dieser atmete wie ein Maikäfer und wusste seine Anwesenheit ebenfalls mit einem innigen Wiehern anzukündigen. Was nur los mit den Tieren heute?
      “Voll hier”, merkte Vriska beiläufig an und versuchte mit dem Sulky einen Weg zur Putzgasse zu finden, was trotz des außergewöhnlichen breiten Ganges, eine Herausforderung war.
      “Ja, Samantha hat gerade ihre Stute gebracht”, erklärte ich ihr den Grund den Trubel, “Ich kann Rambi gerade wegbringen, wenn er im Weg steht.” Besagter Hengst rumorte wieder und versuchte damit die Aufmerksamkeit, vermutlich vordergründig von der Stute, auf sich zu ziehen.
      “Mateos Schwester, richtig?”, sagte sie und nahm den Helm ab. Wunderkind stand ganz ruhig neben ihr, anders als die anderen Rennpferde am Stall hatte er nur einen kleinen Schaden im Kopf. “Aber nein, sein Halfter hängt ganz hinten.”
      “Ja, genau”, bestätigte der Schweizer selbst, der an die Boxenwand gelehnt sowohl mich als auch seine Schwester im Auge behielt.
      “Oh, hallo”, begrüßte sie ihn freundlich, aber verschwendete nur einen kurzen Blick an den hübschen Mann. Er nickte. “Aber, was für ein Pferd?”
      “Es steht nahezu vor dir”, deute ich auf die Box hinter mir, die allerdings verlassen war. Offenbar hatte Hanni sich genau in dem Augenblick auf den Paddock begeben.
      “Okay, doch nicht”, lachte ich, “Eigentlich sollte da eine hübsche Dame stehen.”
      Kommentarlos warf Vriska die Leinen über den Rücken des Hengstes und öffnete die Boxentür, um hindurchzulaufen und das Pferd im Dreck zu betrachten. Hanni hatte sich in den Matsch geworfen, als hätten die Späne nicht gereicht, nein. Das Gen löste offenbar auch eine Vorliebe für besonders hartnäckigen Dreck aus.
      “Hübsch ist es jetzt nicht mehr”, lachte sie und wich immer wieder den neugierigen Stupsern der Stute aus.
      “Meintest du nicht, sie sei eine Prinzessin, Mateo? Ihr Verhalten scheint bisher nicht sonderlich königlich”, fragte ich amüsiert bei dem jungen Mann nach.
      “Ja, Hanni verschleiert ihre wahre Identität gerne. Du weißt schon wegen der Presse”, scherzte dieser. Amüsiert schmunzelte ich und wand mich wieder Vriska zu: “Also du hast gehört, neben dir steht Prinzessin Henade.”
      “Ah, cool. Freut mich, dann euch allen noch viel Spaß. Ich muss weiter”, dann schaute sie auf ihre Uhr am Handgelenk, die große Ähnlichkeiten mit der Stute aufwies, “noch drei Pferde und ich habe einen Termin.” Kaum lagen die Worte in der Luft, sprang sie flink wie ein Eichhörnchen zum Hengst und kämpfte sich den Weg durch die Gasse. Was ein Termin das wohl sein mochte, der sie zu solcher Motivation trieb? So wie Vriska verschwand, kam Sam zurück, nicht minder fröhlicher als zuvor.
      “Erfolg gehabt?”, fragte ich neugierig, nicht in der Erwartung, dass sie Ja sagen würde.
      “Ja, ich kenne jetzt seinen Namen, was er hier macht und ebenso des hübschen Hengstes”, grinste die junge Frau triumphieren.
      “Klar, Schwesterchen, weil das sicher dein Ziel war”, zog Mateo sie sogleich auf.
      “Entschuldigung, ich habe mal ein wenig Respekt vor deiner Schwester, außerdem geht dich das gar nichts an”, echauffierte sie sich, “Aber anderes Thema. Lina, ich wollte dir noch ein paar Sachen zu Hanni sagen, bevor ich verschwinde.” Ich nickte, doch sogleich ertönte wieder Geklapper, verursacht durch einen gewissen Freiberger.
      “Ähm, entschuldige mich kurz. Ich bringe mal schnell die Krawallschachtel da weg, bevor er noch alles auseinandernimmt”, sprach ich und lief zu dem braunen Tier. Kaum war ich in seinem Blickfeld, endete der Krawall und er stand da wie ein unschuldiges Lämmchen.
      “Perfekt, dann kann ich ja endlich arbeiten”, sprach Samu und verschwand mit Hendrik in die Halle. Dahinter kam Wunderkind zum Vorschein, den Vriska gerade aus dem Lederzeug befreite. Noch immer interessierte es mich, was für ein Termin das wohl sein mochte.
      “Vriska?”, fragte ich neugierig, “Was ist das, wo du so dringend hinwillst?”
      “Äh”, stammelte sie. Aber noch bevor ich eine Antwort bekam, schob sie mit dem Fuß die Schüssel zum Hengst und lief zur Sattelkammer mit dem Equipment. So einfach würde sie mich nicht loswerden, also folgte ich ihr, nahm dabei sogar den Sattel mit, der noch neben meinem Freiberger hing.
      “Komm schon, mir kannst du es sagen. Ich verrate es auch keinem”, versprach ich ihr.
      “Ich fahre nach Malmö”, flüsterte Vriska mit funkelnden Augen, nach dem sie sich prüfend umsah, ob noch mehr Leute uns gefolgt waren.
      „Und was willst du da?“, fragte ich ebenso leise wie sie. Was auch immer ihr vorschwebte, schien wirklich geheimnisvoll zu sein.
      “Mir was anschauen”, sprach sie weiter in Rätseln, ohne dabei die Tür außer Acht zu lassen. Wirklich viel schlauer wurde ich aus dieser Information nicht, schließlich dachte ich mir bereits, dass sie nicht einfach aus Spaß dorthin fuhr.
      „Könntest du bitte ein wenig konkreter werden? Was schaust du dir an?“, hakte ich unentwegt nach. Noch einige weitere Minuten vergingen und Umformulierungen meiner Fragen, bis sie sich endlich zu Wort meldete.
      “Schon gut, ich erzähle es dir”, Vriska rollte mit den Augen, “am Abend ist Rennen und morgen Früh werde ich ein potenzielles Pferd Probereiten.” Bei Stichwort Rennen bekam ich allmählich eine Idee, was oder besser gesagt, wer der Grund für Vriska Motivation sein könnte.
      „Stalkst du mal wieder das arme Pferd?”, grinste ich beinahe sicher, dass ich auf der richtigen Fährte war.
      “Wieso arm? Der ist nun mal schick”, zuckte sie mit den Schultern, als wäre es sonst nichts.
      „Na, vielleicht möchte es nicht gestalkt werden", entgegnete ich, „Aber schick ist es tatsächlich."
      “Sehr witzig”, Vriskas Stimmung kippte plötzlich und sie stürmte beinah frustriert aus der Tür heraus.
      “Tut mir leid, was ich gesagt habe”, rief ihr nach, doch sie schien mich nicht hören zu wollen. Das hast du mal wieder gut hinbekommen, Lina, dachte ich. Natürlich zog ich die Fettnäpfchen mal wieder an, ohne es überhaupt zu bemerken. Seit dem Jahresende gab es immer mal wieder helle Momente, in denen es zwischen uns lief wie früher, doch dazwischen war es schwierig. Mir war bewusst, dass es nicht allein an ihr lag. War Niklas zu Hause, ging sie mir bewusst aus dem Weg, um Konflikte zu vermeiden. Ich verstand dies, denn er wurde ihr gegenüber noch immer außerordentlich unangenehm. War mein Freund nicht, da blieb häufig nur wenig Zeit für Gespräche und Aktivitäten, schließlich warte auf uns beide tagtäglich ein Haufen an Arbeit, der sich nicht von selbst erledigte. Infolgedessen lebten wir ziemlich aneinander vorbei, obwohl wir nahezu Tür an Tür wohnten.
      Als ich zu Rambi zurückkehrte, war Vriska mitsamt des gescheckten Trabers verschwunden. Ich seufzte, ob das jemals wieder normal werden würde zwischen uns?
      Treu rieb der Freiberger seinen Kopf an mir und hinterließ dabei einige helle Haare auf meiner dunklen Jacke.
      “Na, komm Rambi, bringen wir dich ins Bettchen”, sprach ich zu ihm, wuschelte ihm durch die dichte Mähne, bevor ich dir Stricke losmachte. Beim Durchschreiten, der Gasse, ließ es sich der Hengst natürlich nicht nehmen, an der Box der Stute noch einmal den Hengst raushängen zu lassen. Laut brummelte er, stellte Hals und Schweif auf und tippelte Piaffen-ähnlich auf der Stelle. Während Sam angetan von dem Hengst schien, zeigte die Stute in der Box nur recht wenig Interesse. Hanni steckte zwar den Kopf hinaus, schnuppert kurz an dem Hengst, suchte dann lieber in Mateo Taschen nach etwas Essbarem. Bevor der Womanizer an meiner Seite noch energischer sein Interesse bekundete, bemühte ich mich, ihn von der Stute wegzubekommen. Glücklicherweise zeigte das monatelange Training Erfolg, sodass er selbst für mich händelbar blieb.
      “Willst du einen Kaffee, bevor du mir von Hanni erzählst oder musst du direkt wieder los?”, bot ich an, als ich von draußen wiederkehrte. Mateo hatte sich offensichtlich wieder an die Arbeit begeben, denn er war verschwunden.
      “Gibt es den auch mit guter Aussicht”, grinste sie breit und schielte zu Halle hinüber.
      “Hast du mir eigentlich zugehört, als ich sagte, Samu habe eine Freundin?”, lachte ich.
      “Jetzt sei mal nicht so ein Spielverderber, ich will doch nur schauen”, rollte sie mit den, Augen.
      “Mach dir aber nicht zu viele Hoffnungen, Sam, deine Chancen stehen aktuell nicht so gut”, warnte ich sie und schlug den Weg zu dem kleinen Zuschauerraum ein.
      Als ich ihr die Tasse vor die Nase stellte, klebten ihre Augen bereits an Samu, der mit Hendrik über den Sand schwebte. Der Hengst war, aber auch wirklich ein Prachtstück und ich war mir beinahe sicher, dass er nicht nur seines Talentes wegen, als zukünftiger Zuchthengst für das WHC auserkoren worden war.
      “Danke”, sprach sie, als sie die Tasse wahrnahm, aber löste ihre Augen nicht von den Geschehnissen in der Halle. “Ist der hübsche Hengst von eben deiner?”
      “Ja … vielleicht, ich weiß noch nicht”, antworte ich ihr wahrheitsgemäß.
      “Wie kann man denn nicht wissen, ob einem ein Pferd gehört?”, blickte sie mich verwundert mit ihren strahlenden Augen an, bevor diese wieder abwanderten.
      “Das solltest du mal meinen Chef fragen”, kicherte ich. Es gab Momente in den Tyrell tatsächlich vergaß, dass es mehr Pferde auf dem Gestüt gab als die Traber. So war er ein wenig verwundert gewesen, als ich im Dezember vorschlug, Pleasing für etwas Ponygesellschaft zu Maxou zu stellen, denn er hatte vergessen, dass dieses Pony überhaupt existierte. Manchmal war es wirklich verwunderlich, wie lange Tyrell einen Hof hatte führen können, ohne dass etwas dabei gewaltig schiefging.
      “Aber in meinem Fall ist die Antwort relativ einfach. Rambi steht zum Verkauf und ich habe mich noch nicht entschieden”, erklärte ich schließlich.
      “Oha, dein Erst?! Wie kannst du dich noch nicht entschieden haben? Der Hengst ist großartig!” Sam klang empört und starrte mich dabei an, als sei ich von allen guten Geistern verlassen.
      “Ja, Einheitssprache ist wundervoll, aber ich weiß nicht, da sind so viel Sache, die es zu bedenken gilt. Ich habe ja bereits zwei Pferde und demnach ist da einerseits der zeitliche als auch der finanzielle Aspekt, schließlich wächst keins von beidem auf Bäumen”, legte ich dir Gründe für meine Unentschlossenheit dar. Tatsächlich war Rambis Verkaufsanzeige lange Zeit aus meinen Gedanken verdrängt worden. Ich wollte es mir nicht vorstellen, den Hengst eines Tages wieder abgeben zu müssen. Erst im Januar, als Ingrid die Vorbereitungen für ihren Umzug in die Wege leitete, rief sie mir ins Gedächtnis, dass es langsam erst wurde in dieser Sache. Bis Ende März hatte ich noch Zeit mich zu entscheiden, sollte ich ihn nicht nehmen, würde er vermutlich an einen Händler gehen.
      “Warte, das war Einheitssprache? Der Einheitssprache?”, rief die junge Frau aus und plötzlich hatte ich ihre volle Aufmerksamkeit. Ihrer Reaktion nach zu urteilen, schien mehr hinter dem Hengst zustecken, als ich bisher dachte.
      “Ich verstehe nicht, was du meist”, entgegnet ich irritiert.
      “Weißt du denn nicht, was ein wunderbar talentiertes Pferd er ist?”, mittlerweile waren ihre Augen so groß, dass ich befürchte, sie könnten ihr gleich aus dem Kopf herausfallen. Hektisch kramte sie ihr Handy aus ihrer Jackentasche und tippte darauf herum. Als sie es zu mir herumdrehte, war ein Video darauf zu sehen. Nordische Meisterschaften im Fahren 2015, Vaggeryd, CAI2*-H1 lautete der Titel. Sam hatte vorgespult bis zu einer Stelle, wo ein prächtiges fast schwarzes Pferd in die Arena trabte. Die Hinterbeine bis knapp in den Kronenrand in Weiß getaucht, der Kopf geziert von einer schmalen Blesse mit zwei leuchtenden blauen Augen. Unverkennbar, dieses Pferd war Rambi. Mit aktiver Hinterhand trabte der Freiberger in den Fesseln, sanft federnd, durch den Sand.
      “Wow, wenn der sich so mal unter dem Sattel geben würde”, staunte ich und beobachte weiterhin, wie das Pferd auf dem Bildschirm über den Bildschirm schwebte.
      “Ja, siehts du und deswegen versuche ich seit Jahren an Decksprünge von ihm heranzukommen, doch seine Besitzerin ist stur wie ein Esel”, ärgerte sich Sam ein wenig
      “Decksprünge? Heißt, dass er ist auch noch gekört?”, verwundert blickte ich sie an.
      “Sag mal Lina, was weißt du eigentlich über dieses Pferd?”, stellte sie eine Gegenfrage und lachte. Es schockierte mich ein wenig, dass sie so viel mehr zu wissen schien, obwohl ich mittlerweile ein halbes Jahr mit dem Hengst arbeitete. Wie war das möglich?
      “Offenbar weiß ich gar nichts. Aber wenn er so erfolgreich ist, wie du sagst und, und gekört, dann … dann wird er ja noch teurer sein, als ich dachte”, stelle ich resigniert fest. Bereits mit dem bisher geschätzten Preis wäre es kritisch geworden den Kauf zu finanzieren, doch mit seinen Erfolgen und der Körung, erschien er mir nahezu unmöglich.
      “Nicht gleich den Kopf hängen lassen. Erfrage doch erst einmal den Preis”, lächelte Sam und drückte aufmunternd meinen Arm, ”Und wenn du ihn dann wirklich willst, dann findet sich bestimmt eine Lösung.” Sie hatte leicht reden. Aus Mateos Erzählungen konnte ich bisher raushören, dass sie seit je her viel Unterstützung von ihren Eltern bekam. Vermutlich verstand sie es gar nicht, wie es war, wenn man nur wenig Rückhalt hatte. Natürlich hatte ich Freunde, aber die fragte man nicht nach Geld und Niklas …? Er hatte bereits an einem einzigen Tag mehr Geld für mich ausgegeben als gefühlt sonst jemand in meinem ganzen Leben, zumindest wenn man freiwillige Ausgaben betrachtete. Damit tat er bereits mehr als genug. Nein, wenn ich Rambi kaufen würde, dann musste ich das allein auf die Reihe bekommen, auch wenn mir nicht klar war, wie das funktionieren sollte.
      “Schon okay”, winkte ich ab, ”du wolltest mir noch etwas zu Hanni erzählen?”
      “Ja, genau”, leitete Sam ein, während ihre Augen wieder zu Samu abschweiften. Mittlerweile war das Warmblut aufgewärmt und Samu somit zu den komplexeren Lektionen übergangen. Momentan arbeitete er daran, dass Hendrik mehr Last auf die Hinterhand aufnimmt, denn wie viele Dressurpferde heutzutage, tat er dies sehr ungenügend, wodurch er zwar vorwärtsstürmt, aber das wenig mit einem harmonischen Anblick zusammenhängt.
      “Das wichtigste vorneweg, Henade verträgt keinen Mais, also bei der Fütterung bitte darauf achten”, informierte sie. Ich nickte und trug diese Information sogleich in das System ein.
      “Des Weiteren”, fuhr Samantha fort, ”musst du aufpassen, wenn du ins Gelände gehst. Hanni wird dort schnell unsicher und benötigt dann einen bestimmten, aber ruhigen Reiter. Nicht dass ich dir das nicht zutraue, aber mir wäre es lieber, wenn du die ersten Male nicht allein mit ihr ausreitest. Ach, und bitte nicht gebisslos, auch in der Halle nicht, dabei wird sie ebenfalls extrem unsicher.” Erneut nickte ich: “Natürlich, wie du es wünschst.”
      “Sehr gut, allgemein ist sie sehr fein zureiten. Im Umgang wirst du merken, dass Henriette ein wenig speziell ist. Sie will unter anderem nachts in der Box stehen, aber ihre Eigenheiten wirst du schon noch selbst entdecken”, grinste sie mich an. Allerdings hielt ihr Blickkontakt nur kurz, bevor er wieder abschweifte.

      Ein paar Stunden später
      Vriska
      “Welche Farbe passt zu einem Fuchs?”, murmelte ich in den Kragen meiner Jacke. Mit zwei Schabracken in der Hand stand ich in der Sattelkammer und konnte nicht entscheiden, was besser zu dem roten Fell passen würde. Hellgrün oder Otter-Gelb? Immer wieder streckte ich den Stoff in die Luft, in der Hoffnung, dass sich das Problem auflöste von selbst.
      “Nimm die Grüne”, erklang ein zartes Stimmchen hinter mir, die nur zu einer Person gehören konnte. Kurz trat Verwunderung ein, ob mein Bewusstsein gerade zu einem zweiten Ich wurde, dann begriff ich, dass Lina den Raum betrat.
      “Ähm”, drehte ich mich zu ihr, “danke.” Sogleich legte ich die gelbe zurück auf die blaue Schabracke und nahm die passenden Bandagen dazu. Wortlos schritt sie vorbei an das Waschbecken, um die Trense auszuwaschen, die sie in der Hand trug.
      “Ich wollte mich bei dir entschuldigen, für das, was ich vorhin gesagt habe. Ich wollte dich nicht verletzen”, sprach sie schließlich und stellte das Wasser an.
      “Schon vergessen”, versuchte ich darüber hinwegzusehen, “meine Reaktion war schließlich nicht die Beste.”
      “Okay, da bin ich erleichtert, dass du mir nicht böse bist”, sprach sie und ein zurückhaltendes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sich umdrehte, um das lederne Kopfstück an seinen Platz zu hängen.
      “Interessiert dich, dass womöglich neugierigste Wesen auf diesen Himmelsphären, gar nicht, dass Wieso?”, versuchte ich sie noch Augenblick länger hierzubehalten, bevor ich erst einmal verschwinden würde.
      “Also so neugierig bin ich jetzt auch wieder nicht, oder doch?”, entgegnete sie ein wenig verunsichert, “Aber doch, wenn du es schon so anbietest, wieso sucht du eine Schabracke aus?”
      „Na, für das Pferd. Ist das nicht, offensichtlich?“, wunderte ich mich nun. Wie ein hungriges Eichhörnchen durchwühlte sie den Waldboden und anstelle nach dem eigentlich abgelenkten Thema zu buddeln, dass ich sonst mit niemandem teilen konnte, fragte sie nach der blöden Sattelunterlage. Eigentlich sehr ironisch, dass ich das ursprüngliche Set von Lubi jetzt für den Hengst mitnahm, den Tyrell nicht schaffte, selbst anzuschauen.
      “Ähm, bedingt. Ich dachte, du geht’s es nur Probereiten?”, erklärte sie ihre Frage und blickte mich dabei irritiert an, “Aber mir scheint, du wolltest auf etwas anderes hinaus.”
      “Darf das arme Tier beim Probereiten nicht schön aussehen?”, scherzte ich und packte noch die letzten Gegenstände wie Gerte und Helm in die große Reisetasche vor meinen Beinen. Selbst Haargummis und ein nagelneues Päckchen voller Leckerlis lag darin.
      “Grundsätzlich, ja”, beantwortete ich noch ihren Zusatz.
      “Doch, du bist nur der erste Mensch, der mit unterkommt, der seine eigene Schabracke mitbringt oder ein Großteil des anderen Zeugs da”, lächelte sie mit einem prüfenden Blick in die Tasche.
      “Verrätst du mir auch, was du eigentlich ansprechen wolltest oder muss ich jetzt raten?”, hakte sie schließlich nach.
      “Kommt darauf an, wie viel Zeit du damit verbringen möchtest, denn ich müsste jetzt los”, seufzte ich und schielte zur Uhr. Seit zwanzig Minuten wollte ich im Transporter sitzen, in Richtung Malmö.
      “Na, dann möchte ich dich ungern weiter aufhalten, also sprich”, forderte sie mich auf.
      “Dann wirst du bis morgen Abend warten müssen, oder gar Sonntag früh”, grinste ich und hob die Tasche auf. Lina stellte sich mir allerdings in den Weg, als wäre eine riesige Herausforderung.
      “Aber das ist ja gefühlt erst in einer halben Ewigkeit, das kannst du doch nicht machen!”, beanstandete sie und blickte mich anklagend aus ihren großen, blauen Disney-Prinzessinnen-Augen an.
      “Siehst du doch”, geschickt fischte ich mich an ihr vorbei und lief den endlosen Flur entlang, der allerdings nicht mehr als zehn Meter maß.
      “Vriska, warte doch”, rief sie und lief schnellen Schrittes hinter mir her, “gib mir wenigstens einen Hinweis.”
      “Du hast die Wahl, entweder du springst auf den Beifahrersitz, oder du musst warten”, entschloss ich, ohne Lina direkt Fragen zu müssen, ob sie mitmöchte. Damit fühlte es auch für mich so an, als würde sie eine Wahl treffen und nicht mich enttäuschen.
      “Habe ich die richtig verstanden, ich soll mit, jetzt sofort?”, fragte sie mit ungläubigem Gesichtsausdruck.
      “Ja. Aber du kannst auch erst deinen eifersüchtigen Freund fragen, der dann mir die Hölle heiß macht, als würde ich dich an einen Sklavenhalter verkaufen”, zuckte ich mit den Schultern. Wir standen mittlerweile am grauen Transporter, auf dem die Aufschrift des Hofes im Licht der Reithalle reflektierte. Die Tasche lud ich in der Wohnkabine sicher ein und drehte mich, in der Tür stehend, zu ihr um.
      “Ähm, ich habe doch gar keine Klamotten parat”, stammelte sie hektisch, “Kannst du mir fünf Minuten geben?”
      “Wenn du Dog mitbringst, ja”, grinste ich selbstüberzeugt von meinem Erfolg. Dann zischte die Kleine schon ab, wie vom Teufel gejagt. In der Zwischenzeit überlegte ich, welche Worte die klügsten wären, um ihr zu erklären, dass ich auf einen Typ stand, den ich nicht nur kaum kannte, sondern auch nicht traute, anzusprechen. Noch bevor mein Hirn welche fand, kam der junge Hund angesprungen und trat vorsichtig die Stufe hinauf. Er kannte das Fahrzeug nicht, aber ich allein reichte aus, dass der Rüde sich überwand und im nächsten Augenblick das Innere begutachtete. Keuchend wie eine Lok und mit hochrotem Kopf, erschien auch Lina, kurz nach dem Fellbündel im Inneren. Den großen Rucksack, den sie dabeihatte, verstaute sie ordentlich und sog die Tür hinter sich zu.
      “Okay, ich bin bereit”, verkündete sie vollkommen außer Atem und ließ sich auf den Sitz plumpsen. Kaum saß auch ich auf meinem Polster, startete ich den Motor und fuhr mit knirschenden Reifen zur Ausfahrt. Die Stille hielt für weniger einer Minute an, bis Lina begann mich mit Frage zu löchern, die ich unmöglich alle gleichzeitig beantworten konnte. Immer wieder lachte ich und versuchte meine Unsicherheit zu verbergen, die sie, schlau wie Fuchs, bemerkte. Also begann ich zu erzählen. Die ersten Eckdaten von Basti kannte sie schon, doch dass ich kaum noch ein klarer Gedanken fassen konnte und kein Tag verging, an dem ich nicht an ihn dachte, erfuhr sie erst auf der Reise.
      “Und ja, das war alles, was ich weiß”, seufzte ich, “ach so und er fährt nachher.” Mit den Augen weiter auf der Straße, nahm ich eine Hand vom Lenker und suchte in meiner Handtasche nach den Karten. In weiser Voraussicht hatte ich zwei VIP-Lounge Karten gekauft, auch, falls Lars mitkommen würde, der allerdings für Samstag in Visby genannt hatte und somit keine Zeit aufbringen konnte.
      Lina saß verschmitzt grinsend auf ihrem Platz: “Deshalb die Motivation und die Eile, bereits den ganzen Tag über, ich verstehe. Aber du scheinst ein Händchen für die Unnahbaren zu haben.”
      “Kann man so sagen, ja”, ich spürte, wie meine Augen glasig wurden und wischte mir durchs Gesicht, “aber es wird wie die letzten Wochen auch sein, nur auf Abstand und existiere nicht.”
      “Hey, nicht gleich den Mut verlieren, Vriska”, sprach sie einfühlsam, ”Hast du mal probiert, ihn anzusprechen? Sonst kann er schließlich gar nicht wissen, dass du existierst.”
      “Wir haben schon das eine oder andere Mal Floskeln ausgetauscht, aber für mehr fehlt mir der Mut. Zudem hat er nicht auf Tinder geantwortet. Das sagt doch alles”, erklärte ich mit Enttäuschung in der Stimmenlage.
      “Was ist nur aus der Welt geworden, in der das reale Leben über dem Digitalen steht”, schüttelte sie den Kopf, ”Gib nicht so viel auf diese App und was das andere angeht … du hast ja diesmal mich dabei.”
      “Kann nicht jeder wie du urplötzlich den Bilderbuchkerl treffen”, sprach ich sogleich, bis mir wieder einfiel, wie eifersüchtig sich Niklas entwickelte, obwohl sie viel mehr Gründe dafür hätte – die sie nicht kannte. “Außerdem, was willst du machen, außer ihn verschrecken?”
      “Oha, als sei ich so furchtbar unerträglich. Warum nimmst du mich dann überhaupt mit? Und für Ersteres kann ich nichts, der ist mir einfach so zugelaufen”, schmollte sie sogleich.
      „Man, ich meinte mit deiner Neugier. Das könnte mein Verhängnis werden“, lächelte ich, „außerdem geht es eher um den Fuchs als um den Kerl. Der ist nur … hübsches Beiwerk für die Tour.“
      Von der Halbinsel lenkte ich das Gefährt auf die Europastraße und stellte das Tempomat auf das gegebene Tempolimit ein, um meinen Fuß zu entlasten. Entspannt rollten wir auf der rechten Spur hinter einigen LKW in der Kolonne, während der Hund hinten in einer großen Transportkiste schlief.
      „Ja, ja, aber ich werde mir Mühe geben, dein Beiwerk nicht zu vertreiben, versprochen", sprach sie versöhnlich, „Um was für ein Pferd geht es da eigentlich?“
      „Danke. Sehr zuvorkommend. Also Pferd ist ein Fuchs, Traber Mix aber mit deutscher Sportpferd Eintragung. Das Beste: hohe Dressurausbildung könnte damit Potenzial auf mein Turnierpferd haben. Tyrell war sich aber nicht ganz sicher, was wir mit dem sollen, es ist irgendwie ‚Hauptsache weg‘ und ‚macht was daraus‘, Pacht oder so sagte er“, erklärte ich. Ehrlich gesagt, hatte ich auch nicht genauer zugehört, wodurch mir der Name durch die Lappen ging. An dem Standort wusste man über meine Ankunft Bescheid, deswegen hoffte ich, mir wurde das richtige Pferd gegeben.
      „Oh, das klingt … Speziell“, kommentierte Lina das ziemlich kritisch, „Ich hoffe, du machst dir nicht allzu viel Hoffnung, dass es dein neues Turnierpferd wird.“
      „Tatsächlich, nein, bisher stellte sich jedes Pferd als Katastrophe dar. Als du in Urlaub warst, habe ich heimlich einige besichtigt. Du kannst dir nicht vorstellen, was das für traurige Tiere waren, vollkommen verritten und selbst Maxou kann vermutlich mehr als die“, nahm ich ihre Aussage nicht für bare Münze, „aber wie kommst du denn darauf?“
      “Doch, kann ich mir ungefähr vorstellen. Aber zurück zu dem Fuchs: Die Wortwahl der Umschreibung, impliziert, dass etwas an dem Pferd nicht stimmen kann“, erklärte sie ihren Gedanken.
      „Er sei etwas schwierig“, grinste ich, „aber wenn Tyrell überzeugt ist, dass ich das schaffe, dann vertraue ich ihm.“
      Auf Höhe Nättraby fuhren wir von der Autobahn herunter für eine Rast. Den Transporter tankte ich voll und Lina verschwand für einen Augenblick mit ihrem Handy. Ich dachte mir nicht viel dabei, schließlich würde Niklas nicht ohne Weiteres das Fehlen seiner Freundin bemerkten. Der aufgeregten Stimme dumpf zwischen den Fahrzeuggeräuschen, schien mir nahezulegen, dass ich recht hatte. An der Kasse nahm ich noch eine Schachtel mit und parkte den Transporter auf dem Parkplatz. Dog erwachte im Inneren und mit einer Leine liefen wir den Grünstreifen entlang. Ungefähr die halbe Strecke hatten wir geschafft. Ich bekam wieder weiche Knie. War es nicht etwas viel, dass ich mir das Pferd anschauen fuhr? Schließlich bewirtschafteten wir deutlich sicherere Reiter als mich am Gestüt, die der Aufgabe besser gewachsen waren.
      Nach einer knappen halben Stunde kehrte Lina zurück, vollkommen aufgelöst und augenscheinlich den Tränen nah. Sie aufmuntern, gehörte eher weniger zu meinen Stärken.
      „Niklas?“, fragte ich beiläufig und sie nickte. Dann seufzte ich. Lina kletterte auf den Beifahrersitz und nach dem Dog wieder in seiner Kiste saß, folgte ich. Ab da an, schwieg sie, stellte nur das Radio lauter, um das schreckliche Gedudel zu genießen. Mehrfach erleuchte ihr Handy das Innere der Kabine, doch ihrer verhaltenen Reaktion nach, blieb es stumm. Gut eine halbe Stunde hielt es an, bis sie schließlich aufgab.
      “Entschuldige, lass dir von mir nicht deine Stimmung vermiesen”, seufzte sie und packte das Mobilgerät so weg, dass es nicht nur aus ihrem Blick, sondern auch außerhalb einer bequemen Reichweite geriet.
      „Du kannst nichts dafür, dass er so ist. Mir würde es sicher nicht besser gehen als dir“, versuchte ich Lina zu beruhigen. Es lagen nur noch einstellige Kilometer vor uns, dann würden wir endlich ankommen. „Wenn du möchtest, können wir morgen auch noch hinüberfahren, nach Kopenhagen. Oder dir einen hübschen Kerl suchen.“ Bei meiner letzten Idee musste ich lachen.
      “Mir einen Kerl suchen? Aber was soll ich denn damit”, fragte sie, aber in ihren Mundwinkel zuckte ein amüsiertes Lächeln.
      „Dich mal mit jemandem unterhalten, der nicht so verrückt ist“, schlug ich vor, „und dann mal sehen.“
      “Mal mit jemandem unterhalten, der nicht so ist … also willst du damit sagen, alle am Hof seien verrückt oder ich rede mit niemandem?”, hinterfragte sie offenbar zum Scherzen aufgebracht.
      “Pferdeverrückt sind die zumindest alle”, brachte ich mehr Klarheit in die Umstände. Gleichzeitig leuchteten bereits die großen Flutlichter der Bahn uns entgegen.
      “Na gut, da magst du recht haben”, stimmte sie mir zu, “aber ehrlich gesagt kann ich mich nicht erinnern, wann ich zuletzt mit jemandem redete, der das nicht ist. Ich weiß sicher nicht mehr, wie das geht mit der Kommunikation”
      “Da kann ich dir auch nur schwer helfen. In der Heimat, egal, mit wem ich gesprochen habe, nach spätestens fünf Sätzen fiel das Wort Pferd und dann konnte ich nicht mehr aufhören”, gab ich offen zu. Mittlerweile stufte ich mich als unheilbar krank ein.
      “Dann bist du wohl ebenso irreversibel vom Pferdevirus befallen wie ich”, lachte sie.
      Auf riesigen Parkplatz standen wir beinah allein, kaum einer kam auf die Idee Ende Februar an einem Freitagabend sich Rennen anzuschauen. Nur mich trieb es wie ein Insekt zum Licht.
      “So, da sind wir”, sagte ich und drehte den Schlüssel um. Lina warf einen rundum Blick aus dem Fenster, wo nicht viel zu sehen war, als schemenhafte Umrisse anderer Fahrzeuge.
      “Mir scheint es, als gehörten wir zu den wenigen Irren, die sich gerne den Hintern abfrieren”, stellte sie fest, bevor sie sich vom Sitz erhob und als Erstes den Hund aus seiner Kiste ließ.
      “Hintern abfrieren?”, aus dem Fach auf dem Armaturenbrett nahm ich unsere beiden Karten heraus, “wir sitzen drinnen, mit Essen und Getränken.”
      Dog hörte das sehr eindeutige Wort und sprang durch den Spalt zu mir nach vorn. Der Schwanz klopfte gegen das Plastik. Sein Gesicht steckte er in meins. Sanft schob ich ihn zur Seite, um mich zu erheben.
      “Oha, also richtig Premium heute. Warum sagst du das denn nicht gleich?”, sprach Lina sogleich ein wenig motivierter. Lachend zuckte ich mit den Schultern, bevor ich aus der Tasche andere Kleidung suchte. Doch es wurde genauso schwer, eine schöne Hose zu wählen, wie die Farbe der Schabracke. Ach ja, ich hatte nur schwarze Hosen dabei, weshalb es niemanden auffallen würde, für welche ich mich entschied. Lina erblickte die Unschlüssigkeit und zeigte mit dem Finger auf die in der linken Hand.
      “So, ich bin fertig”, kam ich abgeschminkt aus dem kleinen Badezimmer, in dem man sich nur drehen konnte und das war es. Im Spiegel konnte ich kaum etwas erkennen, aber es reichte aus, um die Schlieren im Gesicht loszuwerden.
      “Perfekt”, nuschelte es mehr aus dem Pullover, aus dem kurz darauf auch ein Kopf auftauchte, “ich hab’s auch gleich.” Geschäftig schob sie sich an mir vorbei, warf noch im Türrahmen stehen einen Blick in die spiegelnde Oberfläche und zupfte an einer Strähne, die sich aus ihren Zöpfen gelöst hatte, um sie gleich wieder hinter das Ohr zustecken.
      “Okay, ich glaube, so kann man sich blicken lassen”, verkündete sie schließlich. Ihr Look hatte sich kaum verändert, so tauschte sie lediglich die dunkle Reithose, die sie noch trug, gegen eine Jeans und den vollgesabberten Sweater gegen einen sauberen.
      “Wunderschön, wie immer”, grinste ich, “also wirklich”, schob ich lieber noch nach, damit sie es nicht falsch auffasste. Dog bekam ein buntes Geschirr aus dem Schrank um und zusammen liefen wir über den matschigen Boden, den ich in der schützenden Umgebung des Transporters bereits verdrängt hatte. Auch der gefleckte Rüde schien nicht sonderlich begeistert und watschelte sie eine Ente auf heißen Kohlen. Am Eingang wurde unser Ticket kontrolliert und uns der Weg gewiesen zur Lounge.
      “Hier lang, denke ich”, entschied ich unentschlossen, denn die Worte verschwanden nach weniger als einer Sekunde aus meinen Ohren. Zumindest standen wir vor einem großen Gebäude, das die Tribüne sein sollte. Davor standen Leute und rauchten.
      “Ja, sieht richtig aus”, nickte die Brünette an meiner Seite. Wir schlängelten uns an den Personen vorbei ins Innere, folgten einer langen Treppe nach oben kann an einer großen Glastür. Entgegen meinen Erwartungen war es gut gefüllt und mit unseren Bändchen am Arm, die wir am Eingang bekommen hatten, ließ man uns eintreten. Eine nette Frau führte uns zu einem Tisch abseits der anderen. Dort stand ein kleiner, eher hässlicher, Blumenstrauß, der schon bessere Zeiten hatte. Von der Decke hingen große Lampen, die teilweise gedimmt waren und ein warmes Licht im Raum verteilten. Kaum saßen wir, wurde uns die Speisekarte samt Programmheft gereicht, als würde man direkt entscheiden können, welches Pferd man essen wollte. Absurde Vorstellung.
      „Ich werde ein Bier trinken, und du?“, fragte ich Lina.
      “Mmm, ich nehme auch ein. Das kann ich heute gebrauchen”, beschloss sie kurzerhand.
      Die Dame kam zurück und nahm die Bestellung entgegen. Nun begann die nächste Suche nach etwas Essbaren. Für mich war die Auswahl nicht groß, doch eine Ofenkartoffel mit Ofengemüse klang sehr lecker. Auch mein Gegenüber wurde fündig, Nudeln mit einer Tomatensauce, was auch als Empfehlung des Hauses galt.
      “Da ist er”, sagte ich zu Lina, als wenig später das Essen auf dem Tisch dampfte. Ich zeigte aus dem Fenster heraus, auch wenn man kaum was sah. Auf der anderen Seite des Raumes hing eine riesige Leinwand, auf der man das Geschehen verfolgen konnte.
      Anstatt auf diese zu blicken, folgte ihr Blick meinem Finger: “Der mit dem Braunen da?”
      “Genau. Die Quote ist ziemlich gut”, merkte ich zusätzlich an und versuchte möglichst normal im Raum zu wirken. Einen Tisch weiter diskutierte ein älteres Ehepaar darüber, welchen Hengst sie für eine ihrer Stuten wollte und dabei mischte sich eine weitere Person ein.
      “Gute Quote hießt gute Gewinnchancen, richtig?”, überlegte sie kurz.
      “Ja, genau. Ich … Ich habe auch eine Platzwette auf ihn, also mal sehen”, grinste ich verlegen und wich ihren Blick aus, der sich sofort zu mir bewegte. Mit der Gabel brach ich die Kartoffel weiter auseinander und verteilte die vegane Creme darin. Noch immer dampfte es, aber mir lief das Wasser im Mund zusammen.
      “Dann hast du hoffentlich auf das richtige Pferd gesetzt”, grinste sie und rollte die Nudel auf ihrer Gabel auf.
      Das Rennen begann nach der Parade. Mit dem Körper drehte ich mich zur Leinwand, um das Geschehen genau beobachten zu können. Mir zitterten die Finger. Das Messer legte ich weg, sicher war sicher. In hoher Geschwindigkeit setzte Fiberglas, die braune Stute an Bastis Leinen, voran, als gäbe es kein Morgen mehr. Nach der zweiten Kurve hatte sie bereits drei Pferdelängen vor dem folgenden Pferd und hielt konstant ihre Position. Obwohl es mir die Sprache verschlug, versuchte ich Lina etwas von meiner Freude in mir mitzuteilen, aber alles, was meinen Mund verließ, waren hohle Worte. Der Kloß im Hals wurde größer. Von hinten zischte eine Fuchsstute vor und überholte Fieberglas beinah, aber die Kurzstrecke hatte es in sich. Kurz vor dem Ziel zogen auch die anderen Pferde mächtig an, was den großen Vorsprung wett machte. Unter dem Tisch wackelte mein Bein und als das Kopf-an-Kopf-Rennen an der Zielgeraden erst ausgewertet werden musste, überkam es mich mit einer unbeschreiblichen Leere. Im Raum wurde gejubelt, aber ich konnte nicht mehr.
      Nach der Auswertung stand fest, dass Basti disqualifiziert, wurde durch Behinderung des anderen Fahrers, obwohl er dazwischen feststeckte. Damit durfte er auch nicht an dem Rennen danach teilnehmen mit Netflix.
      “Vriska, kannst du mir erklären, weswegen er genau disqualifiziert wurde?”, fragte Lina, die offenbar begann ein gewisses Interesse für die Rennen zu entwickeln.
      “Wurde doch gerade gesagt”, murmelte ich, aber erklärte es ihr natürlich. Am Handy spielte ich auch das Replay immer und immer wieder ab, bis ich sah, was die Rennleitung offenbar als Regelverstoß ansah. Sie hörte mir gespannt zu, obwohl meine Worte vermutlich auch klangen, wie von einem eingeschnappten Kleinkind.
      “Es so vielversprechend aus und dann so eine blöde Kleinigkeit. Ist ja wirklich ärgerlich”, kommentierte sie, als sie endlich verstand, was beanstandet wurde.
      “Na gut, egal, kann ich auch nicht ändern”, entschloss ich, die schlechten Gedanken zur Seite zu schieben und setzte das Essen fort. Wir wechselten das Thema. Lina berichtete von der neuen Stute, die im Stall stand und eigentlich auf Tätigkeiten hoffte. Zur gleichen Zeit lag Dog unter dem Tisch und schlief.
      “Ich bin schon gespannt, wie Hanni sich unter dem Sattel machen wird. Sie ist wohl ziemlich fein ausgebildet und demnach, was Samantha so erzählte, klang es wahrhaft traumhaft”, schloss sie ihren Bericht über das, was sie bereits über die Stute wusste. Die Freude über das neue Pferd war ihr wahrhaft anzusehen, denn ihre Augen leuchtete mit jedem Wort förmlich noch ein wenig heller, wie es sonst nur geschah, wenn sie von ihrem Hengst schwärmte.
      “Also geht es für dich dann dieses Jahr mit Niklas auf Turniere?”, scherzte ich und hoffte inständig, dass es sie nicht traurig machen würde. Ich sah das Talent, mit ihren Pferden, viel mehr als das, was ich im Sattel tat.
      “Vielleicht, es ist nicht ausgeschlossen”, lächelte sie, ”In Kiel konnte ich feststellen, dass Zuschauer nicht ganz so schrecklich sind, wie ich dachte. Zumindest habe ich nicht gleich einen Herzinfarkt erlitten.”
      “Du hast eine große Zukunft vor dir, das spüre ich”, stimmte ich zu. Im selben Moment kam allerdings noch ein weiteres Gefühl mit. Wenn es mit dem Hengst morgen nicht funktionieren würde, fehlte mir wirklich die Kraft, weitere Pferde anzuschauen. Wie konnte es so schwer sein, ein Turnierpferd zu finden, wenn das Limit ziemlich hoch lag? Seufzend bestellte ich mir noch ein Bier nach, dass mittlerweile das Dritte war.
      “Na, wenn du das als Hexe so sagst, dann muss das wohl stimmen”, akzeptierte sie meine Aussage grinsend, “Und was ist mit dir? Wenn du auf Pferdesuche bist, ist anzunehmen, du willst zu Dressur zurückkehren?”
      “Wollen ja, aber sehen wir es realistisch: Ich bin vermutlich am Boden besser aufgehoben”, seufzte ich unentschlossen.
      Noch bevor Lina eine Antwort gab, holte man unsere Teller ab und brachte eine Dessertkarte. Ich schob diese direkt an den Rand, doch sie blätterte zumindest darin.
      “Ach, quatsch, du hast ein Talent dafür, auch auf dem Pferd”, sprach sie hinter ihrer Karte.
      „Dennoch halte ich es für unmöglich, dieses Jahr eine internationale Prüfung zu reiten“, versuchte ich es möglichst unbekümmert klingen zu lassen, obwohl mich Lubis Verkauf zu teilen noch in der Nacht quälte. Allerdings war es nicht Lubi selbst in meinen Träumen, sondern ein Pferdewesen, dass sowohl Glymur als auch ihr glich. Wenn ich es ritt, stellte es ganz klar die große Warmblutstute dar, doch am Boden war es der Isländer. Seltsame Träume, die mich um spät nachts hochjagten.
      “Nicht so pessimistisch, das Jahr hat doch gerade erst angefangen. Wir finden erst einmal ein Pferd für dich und sehen dann mal, wohin das führt”, schenkte sie mir ein ermutigendes Lächeln.
      “Damit wird er mich wohl kaum mehr mögen.” Entmutigt stützte meinen Kopf auf den aufgestellten Ellenbogen und sah über ihre Schulter hinweg zur Tür. Noch bestand die Hoffnung, dass er engelsgleich durch die Tür schweben würde. Bisher passierte es nicht.
      “Ein Pferdesportspate bestimmt doch nicht allein, ob man von jemandem gemocht wird, viel wichtiger ist die Persönlichkeit, die den Sport ausübt”, redete Lina mir weiterhin gut zu. Vermutlich musste sie es wissen, aber mit vorlaufender Drehung des kleinen Zeigers, wurden die Augen schwerer und meine Laune schlechter. Sie hätte alles sagen können, aber es hätte nichts genutzt.
      Lina entschied sich gegen ein Dessert und als auch Dog begann zu drängeln, bezahlte ich, was außerhalb der Eintrittskarte lag und wir verschwanden die Treppe heraus. Müde und mit schmerzendem Unterleib vom langen Sitzen stolperte ich wie ein Storch die Stufen herunter. Der Hund zog, als gäbe es kein Morgen, was mir jeden Schritt noch schwieriger machte. Langsam öffnete die Brünette die Tür nach draußen und schon kam uns eiskalte Luft entgegen.
      “Ach ja”, fiel mir noch rechtzeitig ein, “wir schlafen im Transporter.” Bis zum letzten Augenblick hatte ich diesen Fakt verschwiegen.
      „Okay, reicht mir vollkommen", entgegnete sie sanftmütig und schlug den Weg zum Parkplatz ein. Weit kamen wir nicht. Ich stoppte wenige Meter nach der Tür und kramte hektisch in meinen Taschen nach einem Feuerzeug, das ich finden konnte. Ich hätte darauf geschworen, dass irgendwo eins sich darin versteckte, sich allerdings in Luft aufgelöst hatte. Mittlerweile bekam auch Lina meinen plötzlichen Stillstand mit und kam die letzten Meter zurück.
      „Man, jetzt geht das auch noch schief“, nuschelte ich ihr zu, mit der Zigarette im Mund, die mehr als unnötig war.
      „In dem Belangen kann ich dir auch leider nicht aushelfen“, zuckte sie entschuldigend mit den Schultern. Wer hätte das nur denken können, innerlich rollte ich mir den Augen, bis meine Rettung von der Seite an mich herantrat.
      „Ich allerdings schon“, sagte die Person, die mir längst von der Stimme und Dialekt bekannt vorkam. Das Licht der kargen Außenbeleuchtung fiel in sein Gesicht und mir stoppte der Atem. Beinah verschluckte ich mich, aber konnte den Reflex noch unterdrücken, zum Leiden meiner Lunge, die im selben Moment einen kräftigen Druck verspürte. Basti hielt mir das Feuerzeug an die Zigarette und wie versteinert stand ich vor ihm. Keine Regung, nur der Druck auf der Lunge, der immer stärker wurde und dabei weitere Schmerzen im Körper auslöste.
      „Danke“, sagte ich hustend.
      „Kinder sollte nun mal nicht rauchen“, grinste er und zog selbst an seiner.
      „Merke ich mir“, kam es teils nervös, teils genervt über meine Lippen. Erwartungsvoll blickte ich ihn, als gäbe es so viel, was er sagen sollte, aber selbst, schwieg ich. Obwohl ich fest entschlossen mich an der Leine klammerte und versuchte möglichst normal zu wirken, starrte ich ihn ununterbrochen an.
      „Ist noch etwas?“, sprach Basti mehr als verwundert.
      „Ähm“, stammelte ich wieder aus der Trance erwachend, „tut mir leid. Gute Nacht.“ So schnell ich konnte, setzte ich mich in Bewegung, reihte mich neben Lina ein, die das Geschehen aus sicherer Entfernung beobachtet hatte. Sie grinste unterhalten und nahm mir die Hundeleine ab.
      „Das ist er also, dein Basti“, stellte sie feixend fest, „Du weiß aber schon, dass es sich besser kennenlernt, wenn man spricht und nicht nur starrt.“
      „Bist du verrückt? Nicht so laut, sonst hört er das noch!“, sagte ich möglichst leise und klatschte mit der Hand gegen ihre Schulter, als würde Dog mit seinem Schwanz an ihr Bein wedeln. „Aber was soll ich schon groß sagen? Man. Das ist doch blöd. Ich bin nie so nervös, wenn ich jemanden gut finde.“ Hektisch zog ich an meiner Zigarette, damit sie nicht an Brennstärke verlor.
      „Ist ja gut“, beschwichtigte sie sogleich und senkte die Stimme, „Ich weiß nicht. Worüber man halt so redet, um ins Gespräch zu kommen, das Wetter zum Beispiel oder das Rennen.“
      „Schätzungsweise möchte er darüber nicht sprechen, nach so einem Reinfall, ist bestimmt schon schwer genug“, seufzte ich etwas erschüttert. Wir waren beinah am Transporter angekommen und noch immer vernahm ich seltsame Gefühl, als würden Blicke mir in den Rücken stechen und mich zurück zu ihm führen. Möglichst unauffällig drehte ich mich zu Basti um. Ich hatte recht, er starrte mir wirklich nach, als wäre ich ein Außerirdischer. Auf seinen Lippen lag ein spitzes Lächeln, doch als er mich bemerkte, drückte er die Zigarette im Aschenbecher aus und lief durch die Tür hinein.
      „Er hat es gehört. Ich sag’s dir!“, wiederholte ich meine Annahme. Lina hatte den Innenraum geöffnet und den ersten Fuß bereits auf der Stufe.
      “Ja und? Dann weiß er jetzt halt, dass du von ihm erzählt hast, ist doch kein Weltuntergang”, entgegnete sie relativ unbekümmert.
      “Aber es ist peinlich”, versuchte ich ihr meine Zweifel zu vermitteln, aber sie lachte nur.

      Am nächsten Tag, 9:50 Uhr
      Trabrennbahnparkplatz in Malmö

      Der Morgen kam viel zu schnell. Während Lina binnen Minuten die Augen schloss und in der Welt der Träume verschwand, plagt mich abermals dieser Alptraum. Mir lief kalt der Schweiß am Rücken herunter. Erst nach einer Hundewäsche und Outfitwechsel fühlte ich mich besser. Lina kam gerade mit zwei Bechern zurück: „Hier, Kaffee. Schwarz, ohne Zucker.“
      „Du bist ein Schatz, danke“, lächelte ich und rief den Hund. Dog kam vom Grünstreifen zurückgelaufen, legte sich in die Kiste und ich schloss sie.
      „Dann können wir los, oder?“, fragte ich Lina, die an ihrem dampfenden Tee nippte.
      “Bereit, wenn du es bist”, nickte sie.
      Kaum saßen wir wieder auf den Plätzen, startete ich den Motor. Laut dem Kartensystem fuhren wir nur fünfzehn Minuten bis zum Hof, der außerhalb der Stadt lag. Vorbei an kargen Bäumen und bunten Häusern folgten wir der Landstraße. Lina hatte ihren Blick aufs Handy gerichtet, lachte zwischendurch und die Finger flogen positiv gestimmt über das Glas. Ich versuchte konzentriert zu bleiben, aber hatte die Peinlichkeit mit Basti und den schlechten Traum noch im Hinterkopf. Unangenehm knurrte auch mein Magen, obwohl ich nie frühstückte. An dem Tag fühlte es sich anders an, auf eine Art unentspannt.
      „Das müsste der Hof sein“, sagte ich zu Lina, als das Navigationsgerät verkündete, dass das Ziel auf der linken Seite lag. Das Gestüt wirkte familiär. Heuballen stapelten sich am Eingang, zwei Hänger standen daneben und mehrere Fahrzeuge. Auf meinen Reitplatz wurde ein braunes Pferd geritten, dass aktiv den Hals wölbte und fleißig voran lief.
      “Oh, das ist hübsch hier ”, entgegnete sie, “Da bin ich mal gespannt, auf das Pferd.”
      „Und ich erst“, staunte ich und sprang in den Kies. Meine Augen hingen an dem großen weiß-roten Eingang, aus dem eine schmale Frau heraustrat.
      „Da sind unsere Gäste“, scherzte sie und kam näher, „freut mich, ich bin Anja.“
      „Vriska und das ist Lina“, stellte ich uns beide vor. Dann kam auch sofort Dog angerannt, der sich in den Dreck warf, um am Bauch gekrault zu werden. Nach der kurzen Begrüßung ging es schon zum Stall. Aus dem Transporter nahm ich meine Tasche mit. Viele Pferdeköpfe erstreckten sich aus dem Gang, durch den wir Anja folgten. Immer wenn wir an einem Fuchs vorbeikamen, dachte ich, wir seien da, doch erst an der letzten Box hielten wir an. Neben uns blickte eine kleine Stute heraus, die gerade so ihre Schnauze auf dem Holz ablegen konnte.
      „Da ist unser Pflegefall“, deutete sie auf einen Fuchs, der uns den Po zugedreht hatte und eine dunkle Stalldecke trug. Seine Ohren tief ins Genick gelegt. Ich nahm wahr, wie Lina erst das kleine haarige Pferd und dann den Warmblüter musterte.
      “Warte, ich kenne die beiden doch, ist das …”, sie klang erstaunt, beendete den Satz allerdings nicht, sondern nahm das Pferd genausten unter die Lupe. Der Hengste drehte sich schlagartig um und schnappte nach hier. Anja zog die kleine noch im richtigen Moment zurück und er traf nur Luft.
      “Das hätte ich sagen sollen”, merkte sie an, aber ich zuckte unbekümmert mit den Schultern. Stattdessen lief ich noch näher heran und reichte meine Hand. Seine Ohren spitzten sich für einen Augenblick, bevor er auch mich anvisierte. Ich schlug mit meinem Handrücken gegen sein Maul. Aufmerksam richtete er sich auf, als hätte er mit Abwehr nicht gerechnet.
      “Alles gut, mein Fehler. Ich hätte daran denken müssen, dass er so darauf ist”, winkte Lina freundlich ab.
      “Warum kennst du das Pferd?”, begriff ich mehr. Dem Pferd kehrte ich den Rücken. Die Augen der anderen wurden groß, aber unbegründet sicher fühlte ich mich in der Position.
      “Aus Kiel, Happy gehörte zu den Auktionspferden, die vom Abdecker freigekauft wurden”, erklärte dir Brünette bereitwillig.
      „Und man gab uns eure Adresse, weil mit ihm nichts läuft. Die ersten Wochen konnten wir in motivieren und jetzt“, Anja unterstrich ihre Aussage mit wedelnden Armen, als wäre das Problem offensichtlich, „also was auch immer ihr macht, nehmt den bitte mit, alles andere klären wir dann.“
      Verwundert sah ich zu Lina, die auch nicht so wirklich verstand, was Sache war.
      „Okay, aber Tyrell meinte, ich soll vorher einmal reiten“, erklärte ich.
      „Du kannst es gern versuchen, ich zeige dir alles.“ Die Dame lief vor und wir folgten. Die Sattelkammer war direkt neben dem der Box, Sattelzeug nahm ich auf den Arm und Lina griff die Putzkiste. Kaum kehrten wir zur Box zurück, stand der Hengst wieder mit drehten Hintern zu uns.
      „Bevor du hereingehst, der tritt, also pass auf“, warnte sie. Zaghaft nickte ich, wühlte aus der Jackentasche ein Leckerli heraus und bewaffnete mich mit dem Halfter. Das Scheppern der Box schreckte Happy auf. Drohend drehte er den Kopf zu mir.
      „So. Wir lassen das jetzt mal. Komm her“, murmelte ich, als würde es etwas ändern. Aber stattdessen giftete er ein weiteres Mal.
      „Willst du eine Gerte? Damit drehen wir ihn immer“, versuchte Anja zu helfen.
      „Nein, besser nicht“, lehnte ich dankend ab. Ein verängstigtes Pferd auch noch zu drohen, würde nicht viel an der Situation ändern. In der geöffneten Boxentür stand ich für geschlagene zwanzig Minuten, bis der Hengst auf der Stelle drehte und vorsichtig den Kopf zu strecken. Er bekam ein Leckerli, dass zunächst verschmäht wurde. Doch nach dem Schnuppern wirkte es wohl interessant und Happy fummelte es von meiner Hand.
      „Gut, jetzt mache ich mir keine Sorgen mehr“, hörte ich Anja zu Lina flüstern.
      “Brauchst du ohnehin nicht, sie weiß, was sie tun … und es scheint, Happy mag sie”, wisperte sie eine Antwort. Innerlich lachte ich, eigentlich wusste ich nichts, aber der Hengst sendete klare Zeichen, wie weit ich herandurfte. In langsamer Bewegung legte ich ihm das Halfter um, strich es vorsichtig über die Ohren und schon folgte er mir. Aus der Box zog er etwas Stroh mit.
      Putzen wurde eine weitere Herausforderung, aber nach knapp einer Stunde der Geduld, meisterten wir auch das. Anja verschwand zeitweise und Lina ebenfalls. Irgendwann kamen sie zurück und ich hatte den Sattel auf dem Riesen sowie meine Schabracke darunter. Leicht angewinkelt trug Happy seine Ohren und folgte mit den Augen genau, was die anderen beiden taten.
      “Vriska, du bist ein Wunderkind”, staunte Lina nicht schlecht, als sie meinen Fortschritt betrachtete. Aus sicherer Entfernung versteht sich.
      “Ihr übertreibt einfach. Der ist nur minimal empfindlich, aber sonst ziemlich umgänglich”, zuckte ich mit den Schultern. Meine Hand strich ihm sanft über die große Blesse, während seine Lippe an der Jacke fummelte.
      “Wenn du meinst”, zuckte sie mit den Schultern, “aber dann kannst du mal zeigen, ob du das minimal empfindliche Pferd auch reiten kannst. Schließlich sind wir dafür überhaupt hier.” Lina gab mir meinen Helm. Das Halfter zog ich herunter und führte ihm am Zügel mit. Doch nach zwei Schritten blieb er wie angewurzelt stehen, wollte keinesfalls mitkommen. Er wendete den Hals, um einen Blick die Gasse zu haben. Hektisch sprang die Plüschstute in ihrer Box.
      „Ach ja, die muss mit“, sagte Anja und holte die Stute. Hending, wie es mir im nächsten Moment vorgestellt wurde, war Happys Freundin und ohne die, bewegte er sich kein Stück. Mit sicherem Abstand folgten sie uns und damit setzte der Hengst auch einen Fuß aus der Gasse heraus. Lina übernahm das Pony, das aussah, wie ein zu kurz geratener Tinker, und ziemlich ungepflegt. In der Halle waren wir allein. Zusammen führten wir die Pferde, bis ein Gefühl für Happy hatte und aufstieg. Dafür hätte besser eine Aufstiegshilfe nehmen sollen, aber als Anja mit dieser ankam, sprang der Fuchs weg.
      Happy setzte mit großen und gleichmäßigen Schritten voran, deutlich weicher im Sitz als Lubi, aber ebenso schwungvoll. Es hatte etwas von einer Schaukel und bereitete mir Schwierigkeiten den Takt zu halten. Durch mein Gewicht versuchte ich ihn zu bremsen, aber Happy dachte nicht einmal daran. Der Zügel hing locker am Hals. Ich sammelte diesen auf und schon drückte er den Kopf an die Brust. Keine Chance gab er mir, überhaupt Kontakt zum Maul aufzubauen.
      „Ruhig“, sprach ich langgezogen. Die Schritte verkürzten sich und ich saß gleichmäßiger im Takt.
      „Guter Junge“, lobte ich und klopfte ihm den Hals. Dann schnaubte er ab.
      „Herzlichen Glückwunsch, du bist weiter, als wir alle zusammengekommen sind“, tönte es aus der Ecke. Ich nickte nur, um den Blick zwischen den braunen Ohren zu halten. Langsam, aber sicher baute ich eine Verbindung zum Pferdemaul auf. Sobald er sich einrollte, löste ich diese wieder auf. Runde um Runde arbeitete ich daran, bis er schließlich meine Hand akzeptierte. Im Zirkel hielt Happy locker die Linie und folgte dabei meiner Schenkelhilfe. Gleichzeitig zupfte ich am inneren Zügel, um ihm die Richtung zu weisen. Erstaunlich gut reagierte er darauf. Auch im Trab reagierte er sanft auf mich. Nur aussitzen konnte ich ihn nicht, dafür bot zu viel Schwung an, was sich wie eine Rüttelplatte anfühlte. Zwischendrin wechselte ich die Hand mit Bahnfiguren und geraden Linien. Auf Schlangenlinie spürte ich, dass ihm die Balance fehlte, aber wenn solange keiner an ihn herankam, wunderte es mich nicht. Nach einer Pause im Schritt am lockeren Zügel galoppierte ich auf der ganzen Bahn, denn in der Wendung trabte er aus, um den Schwerpunkt zu finden.
      “Vriska, ich glaube, aus dem kann richtig was werden. Das sieht richtig gut aus, was du da mit ihm machts”, rief Lina mit zu, die sich mit dem kleinen Fellmonster in der Zirkelmitte platziert hatte. Zum ersten Mal kamen Augen unter der langen Mähne zum Vorschein, denn sie hatte die Zeit genutzt, das ungepflegte Langhaar ein wenig zu bändigen.
      „Denke ich auch, deswegen hole ich mal die Verträge“, verschwand die Besitzerin aus der Halle. Happy holte ich zurück in den Schritt und musste erst einmal Luft holen. Auch er schnaubte ab. Natürlich hatte Lina recht, aber für mich fühlte es sich zu schnell an.
      „Ich weiß nicht. Ist das nicht etwas zu … vorhersehbar? Alle sagen, dass der ganz schrecklich ist und speziell, dann setzte ich mich in den Sattel und alles wunderbar“, seufzte ich unentschlossen. Gut, es ging ohnehin nicht um einen Kauf, sondern nur Training. Mit dem Gedanken ihn zu kaufen, hatte ich mich bereits auseinandergesetzt, aber war es so klug? Damit hätte ich schon zwei und beide davon nicht ganz klar im Kopf.
      “Gerade deshalb solltest du ihn mitnehmen, denk doch mal eine Sekunde nicht an dich, sondern an Happy. Hier ist dem armen Kerl doch nicht geholfen, wenn er sich nicht wohlfühlt und du willst doch sicher nicht, dass dieses talentierte Tier in einer Box versauert, nur, weil niemand an ihn rankommt”, versuchte Lina mich zu überzeugen.
      “Es steht wohl außer Frage, ob wir den mitnehmen. Aber ich denke doch schon wieder viel weiter”, seufzte ich, “weißt du, ich brauche ein Ziel und man. In meinem Kopf ist gerade zu viel.” Happy spürte sofort meine Unsicherheit. Er schlug mit dem Schweif und sprang im nächsten Moment in den Galopp um. Hektisch hob er die Hinterhand in die Luft, aber meine Balance reichte aus, um die Hüpfer auszugleichen. Mit den Knien war ich am Pferd und ermöglichte ihm, sich zu entfalten, außerdem wollte ich ihn nicht im Maul ziehen. Es dauerte lang genug, dass er sich der Verbindung zum Zügel näherte.
      “Tut mir leid, aber daran kannst du dich schon mal gewöhnen”, flüsterte ich, als Happy sich beruhigt hatte. Er schüttelte sich und ich ritt ab.
      “Mach dir nicht selbst so viel Druck. Bevor du verzweifelt nach einem Ziel suchst, solltest du dir erst einmal klar werden, was du überhaupt willst. Wenn du das weißt, findet sich dein Ziel von ganz allein”, sprach sie mit unglaublich viel Optimismus.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 60.724 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende Februar 2021}
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugoåtta | 05. September 2022

      Henade / May Bee Happy / Hending / Maxou / Monet / Northumbria / Pay My Netflix / Götterdämmerung LDS / Fjärilsviol / HMJ Divine

      Lina
      Obwohl der Tag heute regenfrei war, hingen die Wolken grau am Himmel. Kaum ein Sonnenstrahl, drang hindurch, sodass es kaum zu glauben war, dass es bereits Mittag war, als wir am Hof eintrafen. Schneller als erwartet, waren Happy und sein Anhang im Stall untergebracht, eben so eilig verschwand Vriska, murmelte etwas von Duschen und Kaffee.
      Schwer, wie ein Stein lag das Herz in meiner Brust, als ich schließlich vor meiner eigenen Tür stand, in dessen Glas sich der trübe Himmel spiegelte. Nur langsam drückten meine Finger die Tür auf und ich durchschritt das Portal. Stille umfing mich. Die Tür zum Schlafzimmer hin, stand offen, doch dahinter herrschte Dunkelheit bei geschlossenen Vorhängen. Einige von Niklas Sachen lagen nicht an ihrer gewohnten Stelle und auch sonst gab es keine Anzeichen für Leben in dem kleinen Haus. Der Stein in meiner Brust wuchs an, wurde so groß wie ein Felsbrocken und drückte mir auf die Lunge. Es war zu erwarten gewesen, aber ein Teil von mir hatte gehofft, dass er seine Worte nicht wahr machte oder vielleicht doch zurückkehrte, bevor ich es tat. Ohne auch nur das Licht einzuschalten, lief in das dunkle Zimmer, ließ Jacke und Rucksack achtlos auf den Boden fallen. Es war ohnehin egal, wer sonst sollte sich daran stören. Mit einem Seufzer fiel ich auf das Bett. Warum muss alles immer so kompliziert sein? Von der Erschütterung in Bewegung versetzt purzelte etwas von meinem Kissen hinunter direkt in mein Gesicht. Es war das helle Plüschtier, welches ich Mini-Ivy taufte. Was machte er dort, für gewöhnlich saß er doch auf dem kleinen Schrank? Das konnte nur heißen, dass das plüschige Ebenbild meines Hengstes absichtlich dort platziert worden war. Aber zu welchem Zweck das Plüschtier dort saß, leuchtete mir nicht ein. Niedergeschlagen betrachte ich das Tier in meiner Hand, wie es mich unschuldig ansah mit seinen großen Glupschaugen. Wie alle hier drin schrie auch das Plüschtier danach, dass ein wichtiger Mensch fehlte.
      “Du hast recht, kleiner Ivy”, seufzte ich nach einer Weile, ”statt hier den Trauerkloß zu schieben, sollte ich nach deinen großen Freunden sehen.” Wirklich nach arbeiten war mir nicht zumute, aber hier länger die Decke anzustarren, würde wohl auch nicht dazu beitragen, dass Niklas schneller wieder auftauchte. Langsam erhob ich mich. Bevor ich allerdings zurück in den Stall ging, musste ich dringend Duschen.
      Eine halbe Stunde später tapste ich in ein Handtuch gehüllt zu meinem Schrank. Eine große Auswahl an Reitsachen bestand nicht mehr, denn das meiste lag getragen im Wäschekorb. So griff ich nach der schwarzen Hose, die zuoberst auf dem Stapel lag, irgendeinem Shirt aus der Schublade und einer grauen Fleecejacke. Mit gekonnten Bewegungen bändigte ich schließlich noch meine Haare, bevor ich das Haus verließ. Laut hallten meine Schritte über die menschenleere Stallgasse, worauf hin sich einige Köpfe aus den Boxen erhoben. Hanni stellte aufmerksam die Ohren auf und reckte den Hals, als ich mich ihr näherte.
      “Mmm, Süße, du bist auch ganz allein”, sprach ich sanft zu ihr uns strich über die weiche Nase. Bestimmt langweilte sich die Stute in ihrer Box. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie bewegt worden war in meiner Abwesenheit, schließlich hatte ich Mateo lediglich gebeten, nach meinen Pferden zu sehen, nicht sich auch darum zu kümmern.
      Neugierig zupfte die Stute an meiner Jacke, stellte aber schnell fest, dass diese nicht essbar war. So griff ich nach dem Halfter vor ihrer Box, trat und streifte es über die flauschigen Ohren. Wohlerzogen folgte mir die Stute zum Putzplatz und wartete ebenso artig, als ich ihr Putzzeug holte. Es dauert ungefähr eine Dreiviertelstunde, bis ich den meisten Dreck aus dem Fell der Stute geputzt hatte. In der Sattelkammer stand ich schließlich ein wenig unentschlossen vor meiner Sammlung an Unterlagen, entschloss mich schließlich für die blaue Otterschabracke. Normalerweise hätte ich zu den Gamaschen gegriffen oder, wie bei Ivy häufig, sogar nur nach den Hufglocken, doch heute hatte ich das Bedürfnis möglichst viel Zeit im Stall zu verschwenden. Am Ende lief ich beladen mit Bandagen und all dem anderen Zubehör zurück zu Henade. Naja, zumindest fast, denn auf dem Weg verlor ich eine der Fleecerollen. Weitere zwanzig Minuten vergingen, bis die Stute ordentlich bandagiert vor mir stand. Auf ihrem Rücken ein Fellsattel, den Sam für die Stute daließ, da sie bisher keinen Sattler auftreiben konnte, der einen passenden Sattel für sie anzubieten hatte. Und dass, obwohl sie nicht gerade wenig Geld in die Stute investierte, dem ziemlich teuren Gelgebiss nach zu urteilen, welches in ihren Maulwinkeln lag.
      “Komm Hanni, dann wollen wir mal sehen, ob du den Beschreibungen gerecht wirst”, sprach zu ihr und verschloss meinen Helm. Ich glaubte zwar nicht, dass dieser wirklich notwendig sein würde, doch man wusste ja nie, schließlich kannte ich das Pferd nicht.
      Ganz von selbst lief die Stute im Schritt voran, fußte sicher unter ihren Schwerpunkt und benötigte kaum Zügelkontakt, um in eine Anlehnung zu kommen. Ich hatte gerade eine Runde um die gesamte Bahn geschafft, da trat eine kleine Gestalt mit einem weißen Pony, mit niedlichen buschigen Zöpfen geflochten, am Zügel in die Halle. Dieses kündigte sich mit einem lauten und schrillen Wiehern an, dass Hanni sogleich erwiderte.
      „Störe ich?“, fragte sie höflich und zurrte den Gurt fester.
      “Nein, ich denke, hier ist ausreichend Platz für uns beide”, lächelte ich freundlich. Kaum hatten meine Worte den Mund verlassen, stieg sie auf den Hengst und ritt los, um sich neben mich einzureihen.
      “Ich glaube, wir kennen uns nur peripher. Mein Name ist Neele und das ist Monet”, stellte sich die kleine Naturblonde vor. Den Namen kannte ich bereit, aber die Person dazu bekam ich bisher nicht wirklich zu Gesicht, denn sie verbrachte den ersten Teil ihres Praktikums drüben bei den Ponys aus dem Norden.
      “Schön, euch beide kennenzulernen. Ich bin übrigen Lina und die hübsche Dame hier”, sprach ich und strich der Stute über den Hals, “ist Henade.”
      “Cooler Name”, merkte Neele an. Auch sie wuschelte ihrem Pferd durch die Mähne und wendete dann auf den Zirkel ab, als ein kaltes Schweigen in der Halle eintrat. Ungewöhnlich weit setzte ihr helles Pony durch den Sand und hielt sich vollkommen selbst, sogar den Schwerpunkt fand es problemlos.
      “Ist Monet in der Dressur ausgebildet? Er bewegt sich so ungewöhnlich elegant für ein so kleines Pony”, starte ich einen Versuch, die Konversation wieder aufzunehmen, als sie auf ihrem Kreis an mit vorbeikam.
      “Richtig erkannt, wir wollen auch dieses Jahr wieder auf Turniere fahren”, erklärte sie umgehend.
      “Oh cool, auf welchem Niveau nimmst du teil?”, fragte ich interessiert. So wie das Pony sich bewegte, vermutete ich eine hohe Ausbildung, aber Tiere dieser Größenordnung sah man nur selten über L-Niveau oder vielleicht noch M-Niveau.
      “Grand Prix in den Jungen Reitern”, sagte Neele mit stolzer Brust.
      “Wow, dann habe ich ja zwei Profis vor mir“, sprach ich anerkennend. Irgendwie war es seltsam, dass ich egal, wohin ich ging, immer zu auf Leute traf, die viele Erfolge in hohen Klassen vorzuweisen hatten. Mit Ehrfurcht blickte ich zu diesen auf, traute ich mich selbst nach den dreizehn Jahren, die ich mittlerweile auf dem Pferderücken verbrachte, nicht auf ein Turnier.
      “Ach, wir machen das nur zum Spaß, außerdem bin ich der Meinung, die sollen endlich aufhören, sich auf ihren riesigen Viechern auszuruhen. Sieht alles gleich aus auf dem Turnier”, sprach sie mir aus der Seele.
      “Ja, da stimme ich dir vollkommen zu und dann sind auch alle noch braun und schwarz, man könnte mal mehr Farbe bekennen, mehr Formen einbringen, das wäre zum Zuschauen deutlich spannender“, stimmte ich Neele zu.
      “Deswegen habe ich noch immer ihn hier. So lange wollte man mich von meiner Idee abbringen, aber mittlerweile sind wir zweimal gestartet und es war wirklich cool”, dann schweifte ihr Blick zu Henade, “deine ist aber auch wirklich super toll.”
      “Danke, aber Hanni ist leider nicht meine. Sie ist nur zum Beritt hier“, erklärte ich der Ponyreiterin.
      “Ach, das eine schließt das andere doch nicht aus. Aber nun viel Erfolg, mein Junge möchte schneller”, verabschiedete sich Neele und trabte an. Ein seltsamer Zufall, am Freitag hatte ich mit Vriska ein Gespräch mit ähnlicher Thematik. Beinahe als wolle das Schicksal mir einen Wink geben.
      Auf einen leichten Druck mit dem Schenkel trieb ich meine Stute in den Trab. Wie auch im Schritt bereit waren ihre Tritte weich und sie hatte gerade so viel Schwung, dass man es noch bequem aussitzen konnte. Ich fühlte mich vollkommen sicher auf Hanni Rücken, denn sie schien wirklich durchschaubar zu sein. Nur eins schien der Stute nicht zu passen, Neele und ihr Pony. Immer dann, wenn wir an den beiden vorbeikamen, schlug sie missmutig mit dem Schweif, ließ sich allerdings nicht davon aus der Konzentration bringen. Nach einer lockeren Aufwärmphase wagte ich es langsam die Seitengänge anzutesten. Im Schritt legte ich das innere Bein an und fasste selbigen Zügel ein wenig kürzer, den äußeren gab ich gerade so weit nach, dass die Stute frei war, sich in den Rippen zu biegen, aber nicht abwenden würde. Die Gewichtshilfe folgte ebenso der Biegung, was bei Hanni allerdings umgehend zu Verwirrung führte, unsicher taumelte die Stute und verlor Takt wie auch Richtung. Hatte ich etwas falsch Gemachten? Ich brachte Hanni zurück in die Ausgangsposition und ging die Hilfe für das Schulterherein sicherheitshalber durch. Innerer Zügel, inneres Bein, außen verwahren, Gewicht in Stellungsrichtung. Nein, ich hatte alles gemacht, wie ich es lernte. Bei einem erneuten Versuch, die Lektion zu reiten, reagierte die Stute unverändert. Auch als ich andere Lektionen testete, wirkte es als sprachen wir zwar die gleiche Sprache, allerdings mit unterschiedlichen Dialekten, ich sollte mir definitiv Hilfe bei jemandem suchen, der wusste, wie ich die Kommunikation mit Hanni verbessern konnte. Anstatt das Pferd und mich weiter zu verwirren, ritt ich nur ein paar Hufschlagfiguren und einfache Lektionen. In den Schrittpausen, die ich Henade zwischendrin gab, beobachtete ich volle Faszination Neele mit ihrem Pony. Elfen gleich tanzte der kleine Hengst über den Sand und wirkte unheimlich leicht und harmonisch. Ob Divine sich wohl eines Tages auch mit so viel Kraft und Anmut bewegen würde?
      “Du siehst so planlos aus”, kam das helle Wesen zu uns und hielt, “kann ich dir helfen?”
      “Ich weiß nicht so genau. Ich wollte Seitengänge reiten, aber Hanni scheint mich nicht zu verstehen”, erklärte ich ihr das Problem wage.
      “Dann versuche es doch von der Grundlage, aus der Ecke heraus in der Versammlung, um jeden Schritt genau zu fühlen, damit ihr einander versteht“, gab Neele mir einen Anstoß und ritt mit dem Hengst voran. Nickend nahm ich ihren Tipp zur Kenntnis und ritt Henade im Schritt an. Wie die Blonde vorschlug, versammelte ich die Stute, konzentrierte mich und versuchte jeden Schritt nachzuspüren, was durch den Fellsattel deutlich erleichtert wurde. Auf der Geraden fühlte sich ihr Takt noch gleichmäßig an. Das Schultervor bereite noch keine Probleme, erst, als ich dieses zum Schulterherein umstellte kamen wieder die Probleme. Ein erster Verdacht kam mir, wo das Problem liegen könnte, denn die Hilfe der Lektionen unterscheiden sich nur marginal. Aus einer Volte heraus leitete ich erneut in die Lektion über und probiere diesmal bewusst, die Gewichtshilfe wegzulassen, was gar nicht so einfach war, wenn man es jahrelang anders machte. Zögerlich folgte Hanni der Anweisung, trat über den ersten Hufschlag hinaus und bewegte sich schrittweise voran. Zufrieden den Problempunkt gefunden zu haben, lobte ich die Stute nach einigen Schritten passablen Schritten.
      “Na, siehst du, wunderbar!”, lachte Neele, die einige Meter weiter parallel zur Mittellinie trabte.
      “Vielen Dank für deinen Tipp, jetzt weiß ich, wo ich ansetzen muss”, bedanke ich mit einem Lächeln. Neele erschein mir nicht nur talentiert im Umgang mit ihrem Pony, sondern kam mir mit jeder Minute sympathischer vor.
      „Freut mich, dass ich helfen konnte“, sagte sie noch, bis lautes Poltern unser Gespräch beendete. Es klang beinahe, als würde eines der Pferde versuchen, den Stall ein wenig umzudekorieren. Irritiert versuchte ich einen Blick über die hohe Bande in die Stallgasse zu werfen und auch die Stute reckte ihren Kopf in die Höhe, doch darüber sehen gelang mir nicht. Hanni und ich waren zu klein.
      “Ähm, ich denke, ich sollte mal nachsehen, wer da randaliert”, entschuldigte ich mich bei Neele und lenkte den Freiberger zum Hallentor. Kaum bog ich durch die Tribüne nach links, erblickte ich ein kleines Chaos. Eine große Pfütze Wasser schwamm vor Maxou, die mit aufgerissenen Augen und nach oben gerichtetem Kopf zu mir sah. Neben ihr lag der Zaum am Boden und die Zügel um ein Bein gewickelt, den sie vermutlich im Schreck vom Haken gerissen haben muss. Auch dieser lag einige Meter entfernt, während im Holz ein großes Loch prangerte. Zu guter Letzt stand das Pony zwischen dem ganzen Putzzeug, denn auch den Putzkasten trat sie weg. Nur von Vriska war nichts zu sehen, die vermutlich in der Kammer gerade den Sattel holte. Ich ließ mich vom Rücken meiner Stute gleiten und ließ sie einfach an Ort und Stelle stehen. Langsam, um das Tier nicht noch mehr zu verschrecken, näherte ich mich Maxou, streckte ihr die Hand hin.
      “Was machst du denn, kleines Pony”, sprach ich beruhigend zu der hellen Stute, strich über ihren Hals. Mit bebenden Nüstern beschnupperte sie mich, prustete laut. Behutsam befreite ich ihr Bein aus dem Zügel und bemerkte erst, als ich angestupst wurde, dass Henade nicht, wie ich dachte, stehen blieb, sondern mir neugierig nachgelaufen war. Interessiert beschnupperte die gescheckte Stute das Pony, welches ebenso aufgeschlossen schien, doch sogleich warnend aufquietschete. Hanni drehte die Ohren leicht nach hinten, ließ aber nicht wirklich von Maxou ab.
      „Oh, was ist denn hier los?“, kehrte Vriska lachend zurück und tätschelte sogleich den Hals der Freibergerstute, hielt dabei ihr Pad auf dem anderen Arm.
      “Ich glaube, dein Pony wollte den Boden schrubben oder ähnliches”, erklärte ich und deutete auf die kleine Überflutung, in der noch immer noch die Bürsten schwammen.
      “Lieb von ihr”, bemerkte sie, tänzelte zwischen dem Wasser hinweg, um zu ihrem Pferd zu gelangen. Das streckte sich zu ihr und fummelte ein Leckerli aus der Jacke heraus.
      “Ja”, nickte ich zustimmen, “auf jeden Fall solltest du später noch Tyrell Bescheid geben, der Haken ist Maxou auch zu Opfer gefallen.”
      “Ach, der bekommt das nicht auf die Reihe. Den mache ich nach dem Reiten wieder an Ort und Stelle fest.” Vriska betrachtete besagtes Loch etwas näher und murmelte unverständlich.
      “Selbst ist die Frau, nicht?”, lächelte ich sanft. Hanni verlor mittlerweile das Interesse an Vriskas Pony und senkte stattdessen den Kopf zu einer der Gegenstände auf dem Boden, um diese mit den Lippen gründlich zu untersuchen.
      “Genau”, von einem Moment zum anderen zitterte ihre Stimme, dieselbe Unbeholfenheit und Unsicherheit kehrte zurück, als würde mein Freunden jeden Moment kommen, um ihr die Meinung zu geigen.
      “Mach dir keine Gedanken, wir bleiben heute ungestört”, sprach ich, um sie zu beruhigen und bemühtem mich dabei, es möglichst beiläufig klingen zu lassen, denn ich wollte Vriska nicht ihre fröhliche Stimmung nehmen.
      “Tut mir leid”, antwortete sie weiterhin geduckt und legte die rosafarbene Schabracke auf die Stute, sowie ihr Reitpad. Maxou drehte sich langsam zu ihr um, Schwups, ein weiteres Leckerli wechselte von Jackentasche zu Ponymaul.
      “Ist schon okay, das Leben ist kein Disney Film”, sprach ich und zupfte unwillkürlich an der einzigen hellen Strähne in der Mähne des Freibergers.
      “Du bist aber eine, mit deinem Pony”, grinste sie wieder. Maxou trug den gebisslosen Zaum, wie immer, und folgte ihrer Besitzerin treu. “Bis später.”
      “Bis später”, spiegelte ich ihrer Worte mit einem winzigen Schmunzeln auf den Lippen und wand mich schließlich Hanni zu, um sie abzusatteln.

      Stunden später

      Vriska
      Eine kurze Einheit im Sand für gerade einmal zwanzig Minuten in der Halle, überstand ich, mit der Pony-Stute, ohne Probleme. Sie folgte nur mühselig am Schenkel, aber rang sich dazu durch, zum Schluss ihre hohe Ausbildung zu zeigen – Zumindest, was den Takt im Schritt betrifft. Vielmehr wollte ich nicht abverlangen, zu groß das Risiko, dass sie die Arbeit verweigerte. Ebenso stand vor des Fuchses Box, der noch immer die Tür zur Außenwelt seltsam fand.
      “Morgen?”, fragte ich ihn, ohne eine Antwort zu bekommen. Nicht einmal seine Ohren drehten sich zu mir, aber der Schweif pendelte immerhin ruhig.
      So verabschiedete ich mich im gedimmten Licht der Stallbeleuchtung von meinen Schützlingen, um in die Gemeinschaftsküche zu gehen. Lars und Nour waren vom Rennen zurück und wollten auf ihre Erfolge anschließen. Obwohl ich mich nach dem Kurztrip klarer im Kopf fühlte, besonders nach dem schönen Shopping-Tag in Kopenhagen – bei dem ich meinen nicht vorhanden Kleiderschrank um etwas Farbe erweiterte – herrschte zu gleichen Teilen, ein riesiges Chaos.
      „Da bist du endlich“, schmunzelte Lars, der wieder erwarten, mit Tyrell am Tisch saß.
      “Aber wo ist Nour?”, fragte ich verwirrt und setzte mich dazu. Überall lagen verteilt Zettel, bedruckt, mit kleiner Schrift und auf Schwedisch, was es für mich bei so später Stunde schwierig machte, meiner Neugier nachzukommen. Also nahm ich mir ein Bier aus dem Kasten neben mir.
      “Sie wollte noch mit Vision in die Halle”, wurde mir meine Frage beantwortet, bevor sie sich wieder ihrem Gespräch widmeten. Ich zog währenddessen mein Handy hervor. Dass ich in Malmö ein Pferd, genauer gesagt zwei, blieb offenbar nicht unbemerkt, obwohl ich es nirgendwo geteilt hatte.
      “Jetzt erzähle doch endlich”, schrieb Eskil, nach dem ich versuchte, seine Quelle zu finden. Seufzend tippte ich die Geschichte zu dem Fuchs und auch, dass ich mit ihm noch sprechen wollte. Aber warum? Ganz einfach: Mit Happy würde ich nur eine gewisse Zeit weiterkommen und bräuchte später auch seine Hilfe.
      “Gern, aber möchten wir nicht früher anfangen? Noch habe ich Platz für euch”, schlug er vor.
      “Überlege ich mir, okay?”, antwortete ich wahrheitsgemäß.
      „Nour ist an allen vorbeigezogen, als gäbe es kein Morgen“, berichtete Lars und sippte an der Bierflasche. Damit zog er wieder meine Aufmerksamkeit vom Handy weg.
      „Mh“, nickte ich abwesend, fummelte derweil das Etikett von meiner eigenen Flasche ab. „Das war dein gutes Training“, lachte Tyrell, gebeugt über bereits erwähnte Papiere, die er versuchte zu sortieren. Mittlerweile erkannt ich, dass es Ausdrucke von möglichen Hengsten für die Zuchtstuten in diesem Jahr waren. Die Liste war lang und mindestens genauso schwer zu entscheiden, was in Zukunft das Gestüt repräsentieren sollte.
      „Was ist mit dem?“, überlegte er laut, reichte dabei einen Zettel an Lars, der nur wenig Begeisterung dabei empfand. Er drehte die Augen nach oben und lehnte sich aus der bequemen Position vor.
      „Der ist cool, aber sollte mit einer ausgeglichenen Stute kombiniert werden“, sagte dieser. Ich versuchte einen Blick zu erhaschen, doch es wurde mir verwehrt. Stattdessen grinste Lars schief in meine Richtung.
      „Du hast doch gar keine Ahnung“, kommentierte er.
      „Dann bring mir doch etwas bei, anstelle mich immer außen vor zu schieben“, fauchte ich.
      Nun wurde auch Tyrell hellhörig und sah zu mir.
      „Ärger im Paradies?“
      „Also, in meinem ist alles gut“, gab Lars zu verstehen, obwohl ich aus allen möglichen Ecken gehört hatte, dass es dort ziemlich eingeschlafen war. Noch viel mehr: Seit Weihnachten konnte er nur mich ans Land gezogen haben, was angesichts seiner bisherigen Quote einen derben Verlust darstellte.
      „Dann ist gut“, murmelte unser Chef und reichte ihm ein weiteres Pferd, „den habe ich für Humbria überlegt.“
      „Für Humbria? Soll sie nicht mehr Rennen?“, kam es teils traurig, teils aufbrausend hervor. In Angesicht der Angst lief mir es kalt den Rücken herunter.
      „Nun, das hängt davon ab, wie lange du noch fährst und welche Erfolge ihr erzielt. Also sollte das nächste Woche mit euch beiden eine zuversichtliche Kombination sein, würde ich aufs nächste Jahr warten oder erst im August sie besamen lassen“, erklärte Tyrell vollkommen unbeeindruckt von meinen krampfenden Händen an der Tischkante. Das Schicksal schien es nicht gut mit mir zu meinen, wenn mir immer die Pferde abgenommen wurden, die ich am meisten mochte.
      „Wirklich? Der? Das könnte sehr blütig werden und Kraft hat die Hübsche schon genug“, Lars begann in dem Haufen zu suchen, „dieser hier könnte eine vielversprechende Kombination bringen.“
      „Der steht in Kalmar, oder?“, betrachtete Tyrell den zerknitterten Zettel. Endlich ergatterte ich ein Blick auf die ‚Breeder Bibel‘, wie sich diese Zusammenfassung nannte, bestehend aus Abstammung und Gewinnsummen. Oben stand ‚Pay My Netflix‘. Ein Mini-Netflix! Die Vorstellung erweichte mein Herz, dass der schicke Rappe einen Nachfahren bei uns hätten. In der Freude wippte mein Bein unter dem Tisch und grinste von einem zum anderen Ohr.
      „Vriska scheint begeistert“, sagte Lars und mysteriös funkelten seine Augen zu mir.
      „Das letzte halbe Jahr lässt aber zu wünschen übrig“, seufzte Tyrell, „Ich denke eher nicht, denn hier wiederum“, erreichte Lars ein weiteres Pferd.
      Das Ende vom Lied war, dass die beiden Männer sich nicht einig wurden über ein Pferd, aber für mich stand die Diskussion fest: Netflix oder kein Fohlen. Tyrell brachte die Unterlagen weg, stattdessen kam Nour dazu, die offenbar nicht lange den Hengst bewegt hatte.
      „Und wie war er?“, fragte ich, als auch sie ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank genommen hatte und am Tisch Platz nahm.
      „Ziemlich zickig, aber am Ende lief er gut“, berichtete sie, „aber, du, sage mal. Wie lange wolltest du uns den schicken Fuchs verheimlichen?“
      Da wurde ihr Bruder hellhörig, der zuvor auf sein Handy starrte.
      „Ähm, das ist das Berittpferd, dass ich mit Lina angeschaut hatte“, begann ich zu erzählen.
      „Deswegen war Niklas so schnell weg, verstehe“, unterbrach Nour meine Erzählung. Zustimmend nickte ich.
      „Und mit Happy hat es relativ gut gepasst, deswegen ist er jetzt hier.“
      „Dann hast du dein Turnierpferd? Ich freue mich so“, schwärmte sie weiter.
      „Erst mal abwarten, schließlich soll er nicht grundlos in den Beritt. So lange nerve ich euch“, auf meinen Lippen lag ein zartes Schmunzeln, denn ich wusste nicht genau, wie lange meine Laune für die Geschwindigkeit anhalten würde.
      „Oh nein, ich hoffte, dass du endlich wieder verschwindest“, scherzte Lars, „aber willst du uns das Tier nicht einmal zeigen?“
      „Ich weiß nicht, der braucht noch Ruhe, denke ich“, äußerte ich meine Zweifel. In meinem Kopf hing noch das Ereignis mit der Göttin, auch wenn durch das Training mit Osvo das Selbstvertrauen wuchs.
      „Und sonst? Wie sieht dein Plan mit ihm aus?“, drängte sich Nour in den Vordergrund. Tatsächlich hatte ich mir bereits etwas überlegt, was dem Pferd und meine reiterliche Leistung fördert.
      „Gut, dass du fragst“, grinste ich lehnte mich nach hinten, bedrohlich knarrte das Holz, aber sollte mich für gewöhnlich halten, „ich werde wieder mit Eskil trainieren.“
      „Das ist der Bruder von Jonina, oder? Sie hat erzählt, dass er überlegt, seinen Hengst hierher für die Turnierrente zu bringen“, überbrachte sie neue Informationen für mich.
      „Ja, genau. Als Lubi noch da war, hat mein Ex den Unterricht bezahlt und wir kamen gut voran miteinander. Deswegen schätze ich es als sinnvoll ein“, erklärte ich zuversichtlich, obwohl das Chaos in meinem Kopf gegenteiliges aussagte.
      „Wieso fragst du nicht mich?“, mischte sich Lars ein. Beinah synchron drehten Nour und ich uns zu ihm.
      „Seit wann gibst du Dressurstunden?“, kam sie nicht mehr aus dem Staunen heraus. Stattdessen nahm sie ihn weiter auf den Arm, mit unpassenden Sprüchen und Kommentaren, die, selbst ich, teilweise als eine Nummer zu hoch empfand.
      „Also mit Osvo hat er mir einiges beibringen können, aber denkst du, dass du mit einem Grand Prix Dressurpferd, das Menschen nicht mag, mir helfen kannst?“, versuchte ich das Gespräch zu entschärfen.
      „Die Grundlagen müssen sitzen und dann löst sich der Rest von selbst“, zuckte Lars beinah eingeschnappt mit den Schultern, „aber ich möchte verhindern, dass du unnötiges Geld ausgibst.“
      „Er macht guten Unterricht, nichts daran ist unnötig“, gab ich mir Mühe ihn zur Vernunft zu bringen, doch wie ein bockiges Kind stellte, er sich quer.
      „Die Schnösel da sind alle gleich“, behielt Lars seine Meinung.
      „Bist du eifersüchtig?“, kam auch Nour wieder zu Wort.
      „Worauf sollte ich bitte eifersüchtig sein“, zuckte er, „wisst ihr, mir ist das zu kindisch mit euch.“ Lars stand auf und wollte gehen, als ich über den Tisch nach seiner Hand griff. Mit großen grünen Augen blickt er zu mir und ich meine, das Funkeln tief darin erneut erblicken zu können. Damit erhärtete sich Nours Vermutung und triumphierend blitzte sie mich an. Ich schüttelte nur seicht den Kopf, um ihr diesen Zahn zu ziehen. Glücklicherweise kamen im selben Augenblick Lina und Mateo in den Raum.
      “Stören wir?”, scherzte der Schweizer und schob die kleine Brünette vor sich in den Raum. Sie sprühte nicht so vor Leben wie sonst, aber im Gegensatz zu heute Mittag schien ihre Stimmung minimal besser zu sein.
      “Nein, nein. Kommt rein”, lachte Lars. Sofort erhob er sich, um den beiden Platz zu machen und kam dafür ziemlich nah an mich heran. Nour blickte starr in meine Richtung, legte dabei ebenfalls ein strahlendes Lächeln auf. Was war nur los mit den allen heute?
      “Ein schickes Pferd hast du da mitgebracht, Vriska”, sprach auch Mateo den Fuchs an, nahm zwei der braunen Flaschen aus dem Kasten, öffnete diese geschickt und drückte Lina eine davon in die Hand, “und ich hörte, er kann nicht nur hübsch aussehen.”
      “Stimmt, er kann auch wunderbar auf Menschen losgehen”, konnte ich mir diese Gelegenheit nicht verkneifen, denn offenbar konnte ich mit nur einem Handgriff dieses Pferd bändigen. Sehr ironisch, denn er war alles, was ich nie in meiner Nähe haben wollte. “Aber eure Stute ist auch nicht schlecht.”
      “ Mit ihr hat Sam eine ziemlich gute Entdeckung gemacht, nicht wahr, Lina?”, lächelte der Blonde und warf der Kleinen einen sanften Blick zu.
      “Ja, Hanni ist toll”, nickte diese und wendete zurückhalten den Blick auf das Glas in ihren Händen, “aber ich muss noch ein wenig herausfinden, wie sie funktioniert.”
      „Lars gibt neuerdings Dressurstunden“, warf Nour direkt ein, woraufhin Mateo auch mit lachte. Besagter, neben mir, zuckte nervös.
      „Ganz ruhig“, flüsterte ich ihm vertraut zu und legte die Hand auf sein wippendes Bein. Obwohl es frei von jeglicher Bedeutung war, fühlte sich die innige Berührung notwendig an. Auch er hatte das Chaos in meinem Kopf mitbekommen und seinen Arm auf die Lehne hinter mir abgelegt. Für einen kurzen Augenblick schien alles so perfekt, aber da kam die Stimme in meinem Kopf wieder, die versuchte, mir ein schlechtes Gewissen zu geben. Basti wäre enttäuscht, mahnte sie. In meiner Kehle staute es sich, wie ein harter Klumpen aus Spucke hing bedrohlich fest. Je mehr ich versuchte ihn zu lösen, umso stärker wurde das kratzende Engegefühl. Aus dem Reflex musste ich husten.
      “Geht es?”, fragte Lars besorgt nach. Ich nickte. Prüfend blickte Lina mich an, vergewisserte sich ebenso meinem Wohlbefinden. Allerdings wirkte ihr Blick beinahe durchdringend, als erahne sie, was in meinem Inneren vor sich ging.
      “Passt schon, fürs Erste konnte Neele mir weiterhelfen”, ging sie schließlich auf Nours Kommentar ein. Lina war heute ungewöhnlich still, für gewöhnlich hätte sie bereits begonnen, von der Stute zu schwärmen.
      „Schätzchen, was ist denn mit dir? Du hängst da wie ein nasser Sack. Wegen deines Freundes?“, Nours Tonlage veränderte sich sofort, als auch ihr die Stille seltsam vorkam. So gern ich helfen wollte, konnte ich es nicht. Schließlich stellte ich den Grund dar.
      „Können wir ins Bett gehen?“, murmelte ich Lars zu, der sogleich verwundert, aber interessiert zu mir heruntersah. Noch bevor er antworten konnte, zischte seine Schwester: „ihr könnt nachher es noch miteinander treiben.“ Lina schwieg noch und hatte sich derweil einer lockeren Strähne gewidmet, die sie beinah hypnotisiert um den Finger drehte, mir damit das Gefühl gab, als würde mein Magen sich sogleich mit bewegen. Ich hätte besser darüber nachdenken sollen und der Gedanke, dass ich ein schlechter Einfluss für sie, bestärkte sich. Die kühle Ablehnung im Raum, setzte mir immer mehr zu, aber ich versuchte mich zusammenzureißen. Mateo legte behutsam seine Hand auf ihren Arm, was kurzzeitig für einen Stillstand sorgte. Gleichzeitig mit der Geste wiederholte er Nours Anliegen: „Was liegt dir auf der Seele? Du kannst ruhig mit uns reden.“ Zögerlich biss Lina sich auf die Unterlippe und blickte hoch, ließ den Blick Schweifen und schien letztlich alle anwesenden als Vertrauenswürdig genug zu befinden.
      „Ja, ich habe mich am Freitag mit Niklas gestritten und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Ich weiß nicht mal, wo er hin verschwunden ist“, öffnete sie sich. Bei dem Problem konnte ich behilflich sein. Vom Tisch hob ich mein Handy auf, das mit dem Bildschirm aufs Holz gedreht war. Lars schielte auf das Gerät, doch glücklicherweise lag Basti als mein Sperrbildschirm verdeckt von Benachrichtigungen, sonst wäre ihm sicherlich ein blöder Kommentar eingefallen. Stattdessen bewegten sich meine Finger zur Ortungsfunktion, in der Niklas mit bereits in Kanada hinzugefügt hatte und noch immer nicht entfernt.
      „Dein Freund ist Stockholm und bewegt sich durch den Park“, schob ich ihr mein Handy hinüber, „also schätze ich, dass er arbeitet.“ Aus dem Radio hatte ich vorhin die Nachricht aufgeschnappt, dass ein wichtiges Fußballspiel in der Hauptstadt war, und Fußballfans konnten grausame Menschen sein.
      „Danke“, murmelte Lina, wirkte immer noch gedrückt.
      „Lina, mach dir nicht so viele Gedanken, das ist ganz normal, dass man mal seine Differenzen hat. Das wird schon wieder mit deinem Freund“, sprach Mateo und legte ihr aufmunternd den Arm um die Schulter.
      “Letztlich hat er ein Problem und nicht du”, versuchte Nour ihr einen Rat zu geben, “wenn er sich derartig abhängig von dir fühlt, sollte er sein Leben überdenken. Du bist schließlich für ihn hergekommen.”
      Tatsächlich überraschte mich, dass sie davon wusste. Gut, es gehörte vermutlich zum Stallgeflüster, dennoch hatte ich vermutet, dass das Thema bereits Geschichte war. Lars rückte in dem Moment noch näher und bei seiner Schwester hob sich eine Augenbraue.
      „Wisst ihr schon die Neuigkeiten?“, wechselte sie sofort das Thema, ohne die Augen von uns zu lösen.
      “Worum geht's?“, hakte Mateo nach. Mit dem Themenwechsel entspannte Lina ein wenig und hielt ihre Finger endlich mehr oder weniger ruhig.
      „Bei den beiden geht es heiß her. Ich sage es euch, da liegt einiges im Busch“, sprach Nour siegessicher, aber ich musste meine Hand vor den Mund legen, um nicht laut loszulachen. Zugleich spürte ich Hitze in meinem Gesicht aufkommen.
      „Ich weiß nicht, welche Landschaften du besuchst, aber den Busch will ich sehen“, schüttelte Lars augenrollend den Kopf, aber sein Arm lag immer noch hinter mir. Am Nacken spürte ich die Muskeln zucken, als müsste er sich zusammenreißen. Rundum lag eine unangenehme Spannung im Raum, die mir wünschte, lösen zu können. Dafür kam aber infrage, den Fuchs vorzureiten.
      „Das nennst du eine Neuigkeit?“, schmunzelte Lina, „Ich dachte schon du hättest spannendere Informationen für uns.“
      Nun rollte seine Schwester mit den Augen, vermutlich wollte sie endlich Gewissheit haben, denn seit Weihnachten konnte sie nicht herausfinden, was gelaufen war. Viel mehr interessierte Nour auch, das noch. Lars gab sich auch äußerst Mühe, die Möglichkeit für mehr offenzuhalten. Dass meine Frage seine Hoffnung befeuerte, bemerkte ich erst jetzt.
      “Dann könnte dich interessieren, dass Tyrell Viola gekauft hat? Die Schecke Stute, die bei den Einstellern steht?”, warf sie stattdessen ein und auch wurde hellhörig.
      “Das alte Warmblut Ding?”, fragte ich verwundert.
      „Wozu das denn?“, trug Lina ebenso erstaunt eine Frage bei.
      “Er möchte ein Fohlen aus ihr ziehen und das dann teuer verkaufen, weil ihm jemand den Floh ins Ohr gesetzt hat, dass schwedische Warmblüter sehr beliebt im Ausland sind”, erklärte sie. Tatsächlich klang das nach unserem Chef, ebenso, dass das Tier auch in vier Jahren noch auf der Weide schmoren würde.
      „Das klingt ja nicht sehr durchdacht einfach mal so eine Zuchtstute anzuschaffen“, kommentierte Mateo kritisch.
      “Sage ihm das”, sagte Nour, “bestimmt darfst du die Stute erst mal reiten, schließlich muss sie auch noch zur Prüfung. Helga hat Viola nur longiert, mit Ausbindern mal ins Roundpen oder Führanlage.” Sie führte noch mehr aus, was alles mit der interessanten Scheckenstute schiefgelaufen war, aber dass die Abstammung ziemlich gut sei und ihr Vater erfolgreich Turniere lief. Während die drei Bilder von dem Hengst ansahen und schließlich auf dem Fernseher ein Video starteten, wie Viola in jüngeren gelaufen war, hatte ich wieder mein Handy gegriffen. Eskil freute sich bereits den Fuchs kennenzulernen und auch mich zu sehen. Er schickte mir ein Bild, von einem Lusitano, auch Fuchs, den er überlegt zu kaufen.
      “Der ist schick”, antwortete ich und zoomte den Hengst mehrmals heran. Die großen Augen funkelten freundlich und aufgeschlossen, aber als ein Reiter auf dem Rücken saß, lagen die Ohren eng am Genick. Ein mir bekanntes Bild. Offenbar hatten es Füchse nicht mit Menschen.
      “Er muss noch lernen”, schrieb er, “aber ich bin zuversichtlich. In einer Woche soll er aus Spanien herkommen.”

      “Und das springt dein Pony wirklich?”, stellte ich mit Erstaunen fest, als Mateo ein Video eingeschaltet hatte, von sich und Karie von einem Turnier in der Schweiz. Die Qualität war der Hammer, noch nie hatte ich so hübsch verarbeitetes Reitvideo von einer Veranstaltung sehen können, wie es gerade lief. Auch Nour, die ihre Beine nach oben gezogen hatte und auf dem Stuhl kauerte, bekam den Mund nicht mehr zu. Ob es wirklich an dem Video oder gar an dem Motiv lag, konnte ich nicht beurteilen. Sie erzählte nicht viel von ihrem Interesse, aber ich war mir fast sicher, dass sie eher Mateo nehmen würde als jemanden wie ihren Bruder. Dieser war gefangen an seinem Handy und grinste andauernd.
      „Ja, Karie, springt das wirklich. Ich kann es die Tage auch gerne mal live demonstrieren“, grinste der Schweizer selbstbewusst.
      „Oh ja! Das wäre toll. Seit meinem Sturz nehme ich lieber Abstand von dem bunten Holzstangen“, lachte ich. Dann verlange Lars nach mir.
      „Vivi?“, flüsterte in mein Ohr, während die anderen freudig über Mateos Stute sprachen.
      „Was denn so geheimnisvoll?“, funkelte ich interessiert. Es war der Alkohol, die mir den Kopf zu teilen ausschaltete und wieder auf seine dunkle Stimme reagierte, besonders so nah an mein Ohr, wenn der warme Atem die Härchen kitzelte.
      „Steht dein Wille noch?“, versuchte er sich möglichst unauffällig auszudrücken, denn Nours Lauscher waren überall. Kurz ging ich die Gespräche durch, bis mir meine Frage von vor zwei Stunden erschien. Der grundlegende Wille existierte, auch wenn mir jemand anderes an seiner Stelle wünschte.
      „Ähm“, stammelte ich unsicher, welche Antwort die richtige ist, „wieso?“
      „Ich hätte sonst“, seinen Satz sprach er nicht zu Ende, dass jemand nach ihm verlangte, wusste ich sofort.
      „Dann los“, sagte ich also mit einem Lächeln.
      „Du bist ein Schatz“, gab er zurück und sprang auf, „du hast was gut bei mir.“ Erst jetzt wurde seine Schwester aufmerksam.
      „Wo willst du hin? Und ohne Vriska?“, wunderte sie sich.
      „Nour. Ich sage es zum letzten Mal. Dein Bruder liegt außerhalb meines Interesses. Für mich zählt jemand anderes“, rollte ich mit den Augen, denn eigentlich sollte sie das wissen.
      „Ach ja, wirklich?“, hakte sie misstrauisch nach.
      „Unglaublich, puzzeln liegt dir doch gut. Vivi ist nicht grundlos schon am Freitag nach Malmö gefahren“, schüttelte Lars amüsiert den Kopf, als er in der Tür stand, fügte er noch hinzu: „Sein Name beginnt mit S, aber bei B kommst du vielleicht darauf.“
      Mir wurde wieder warm und ich vergrub das Gesicht in meinen schwitzigen Händen.
      „Das hilft nicht“, rief sie ihm nach und schwieg schließlich. Es schien, als könnte man die Zahnräder hören, wie in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit ineinandergriffen.
      „Unglaublich, dass hier immer jeder alles wissen will“, murmelte Lina und schüttelte den Kopf. Solche Worte aus ihrem Mund, dabei war sie sonst doch auch ganz vorn dabei, wenn es Geheimnisse zu erkunden gab. Aber zu Nour war sie kein Vergleich.
      “Sei kein Spielverderber. Wenn Vivi sich so sehr wünschen würde, dass es niemand weiß, wäre der Abstand zu ihrem Geliebten viel größer”, merkte sie an. So falsch lag sie damit nicht einmal, denn ich wollte es teilen, auch wenn ich mir blöd dabei vorkam, offen durch die Welt zu rennen und seinen Namen zu schreien. Das Gefühl hatte ich. Jeder sollte es wissen, mein Glück spüren und sich mitziehen lassen.
      “Leider ist er nicht mein Geliebter und in dem Sinne auch auf Abstand”, vermittelte ich entmutigt.
      „Was nicht ist, kann noch werden“, sprach Lina optimistisch, „Du darfst nur nicht vergessen, wie man spricht in seiner Gegenwart.“
      „Kann das denn wahr sein, du weißt es auch?“, beschwerte sich Nour, „Mateo, bitte, du nicht.“
      Dieser schüttelte den Kopf und erleichtert atmete sie aus. Gehüllt in ihren dunklen Strähnen, lehnte Lars Schwester sich über den Tisch, bemüht, ihre hellen Augen funkeln zu lassen.
      „Sprechen liegt mir nicht“, merkte ich derweil an, Nours Neugier ignorierend. Ihre Finger wanderten langsam zu meinem Handy, das ich noch im richtigen Augenblick vom Holz zog. So einfach sollte sie es nicht haben, wenn sie gerne puzzelt.
      „Von mir erfährst du nichts“, grinste die kleine Brünette, mir gegenüber.
      Mateo lehnte ein Stück näher an sie heran und legte ihr eine Hand auf das Knie.
      „Erfahre ich vielleicht etwas, weil es mir eigentlich egal ist?”, sprach er, ein charmantes Lächeln auf den Lippen, die Augen fest an ihre geheftet.
      „Nein, du auch nicht“, entgegnete sie zuckersüß und lehnte sich auch ein Stück zu ihm hinüber, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Doch dies war nicht so leise, wie sie dachte, bei der Stille im Raum: „Da helfen dir auch deine hübschen Augen nicht weiter.“
      “Immerhin”, tönte Nour zur gleichen Zeit. Ihre Aufmerksamkeit galt im nächsten Moment nicht mehr mir. Keuchend schob sie sich über die Tischplatte zurück auf ihren Platz und faltete die Beine übereinander.
      “Uh, ihr beiden Süßen”, kicherte Nour, “so gefällt mir das. Hoffentlich müsst ihr heute nicht allein sein.”
      “Du kannst nicht jeden verkuppeln, wie es dir passt. Wie wäre es, wenn wir dir mal jemanden suchen?”, versuchte ich sie von den beiden abzubringen, denn etwas mehr Diskretion wäre angebracht. Wie ein Reh im Lichtkegel eines Autoscheinwerfers erstarrte Lina für ein paar Sekunden, bevor sie ebenso hastig Mateos Hand entfernte.
      “Auf keinen Fall! Viel zu anstrengend, mir reichen die Pferde, um glücklich und erfüllt sein”, äußerte sich Lars Schwester sehr zielgerichtet.
      „Interessant, keinen anderen Menschen in deinem Leben? “, fragte Mateo interessiert, der sich im Gegensatz zu Lina nur wenig ertappt zu fühlen schien.
      “Nein, nie. Also klar, Papa ist da und Lars”, zuckte sie mit den Schultern, “Ich sehe doch, wie sehr ihr euch alle quält. Die eine kann nicht reden”, dabei sah sich mit einer schnellen Bewegung zu mir hinüber, “die eine macht sich Schuldgefühle, weil ihr Freund ein Arsch ist”, nun kam Lina an die Reihe, “und der andere verschwindet, um irgendwen die halbe Nacht flachzulegen. Nur, um Morgen vollkommen übermüdet mit den Pferden zu arbeiten und ich muss dem alles hinterherräumen. Aber du”, nun blickte sie zu Mateo, “dich kenne ich nicht gut genug.”
      „Schön, dass du kein vernichtendes Urteil über mein Liebesleben hast. Das soll ruhig so bleiben“, lachte er, „Aber zum eigentlichen Punkt: Da mögen gute Gegenargumente sein, aber hast du auch die Vorteile im Blick?“
      “Vorteile? Mich reizt nichts daran, außerdem habe doch euch und wenn Papa oder Lars entscheiden, wieder den Hof zu wechseln, dann lerne ich neue Leute kennen. Das reicht mir. Nur Walker werde ich mitnehmen, komme, was wolle!”, triumphierend drückte sie die Wangen nach oben und tiefe Falten bildeten sich auf der sonst glatten Stirn in ihrem anschaulichen Gesicht. Nur für einen Augenblick musterte ich sie, denn dann wollte mein Handy Aufmerksamkeit. Unglaublich, wer wollte etwas um die Uhrzeit?
      Euphorisch nahm ich es vom Polster hoch, auf das ich es zum Schutz vor Nour abgelegt hatte. Auf dem vollkommen überfüllten Bildschirm, leuchtete ganz oben eine Nachricht von Niklas, die ich nun wirklich nicht erwartet habe. Erst als das Schloss sich öffnete durch mein Gesicht, kam ein Teil davon zum Vorschein: “Tut mir leid. Ich habe etwas Falsches getan. Bist du noch wach?” Hell erregt begann mein Herz zu schlagen und die Atmung wurde stärker. Wie eine Motte angezogen vom Licht, starrte ich auf das Gerät, selbst, als der Energiesparmodus den Bildschirm erlosch.
      „Was ist los, Vriska, ein Gespenst oder dein Angebeteter?“, fragte Lina und blickte mich forschen an.
      “Eher ein Gespenst”, stammelte ich verunsichert. Ihr, die Wahrheit zu sagen, erschien mir richtig, aber je nachdem, was er Falsches getan hatte, könnte es ihre Grundmauern erschüttern.
      „Okay …“, sprach sie argwöhnisch, „Soll ich fragen, was dich so aus dem Konzept bringt?“
      Vielleicht war es Zeit, mit offenen Karten zu spielen. Im Chat gab es bis auf Floskeln nichts zu lesen, dass Lina weiter verunsichern könnte, deswegen seufzte ich und schob ihr in Zeitlupe das Gerät hinüber. Es benötige gerade einmal zwei Sekunden, bis ihr das Lächeln vollständig entglitt und einem undefinierbaren Ausdruck Platz machte. Mehrfach konnte ich beobachten, wie ihre Augen über den Bildschirm flogen, als bildeten die wenigen Buchstaben fürchterlich komplizierte Worte.
      „Willst du … wollen wir ihm antworten?“, fragte ich vorsichtig und sah dabei mir deutlicher Hilfslosigkeit zu Mateo, der sich aus seiner Position aufrappelte und ebenfalls ein Blick auf mein Handy warf.
      Kaum hatte er gelesen, was dort geschrieben stand, blickt er Lina voller Sorge an und griff nach ihrer Hand. Diesmal hatte seine Geste ihren amourösen Charakter verloren, war nur noch rein freundschaftlich.
      „Du weißt, dass es unschön werden könnte?“, vergewisserte er sich einfühlsam, dass die Kleine vorbereitet war, auf das, was folgen könnte, „Willst du, dass Vriska ihm?“ Einige Sekunden überlegte sie, krallte sich dabei dermaßen an dem ihr geboten Arm fest, dass ihre Fingerknöchel hell unter der Haut hervortraten. Als ich schon beinahe glaubte, die habe aufgehört zu atmen, so blass wie sie wurde, erklang ihr zartes Stimmchen, zitternd vor Furcht: „Ja.“
      Seufzend zog ich mein Handy zurück und fragte nach, was er zu so später Stunde noch für ein Anliegen hatte. Sogleich kam eine Antwort. Entgegen meinen Erwartungen schenkte Nour der ganzen Angelegenheit nicht einen müden Blick, hing stattdessen selbst am Handy.
      „Lars‘ Bekanntschaft ist ziemlich hübsch“, merkte sie beiläufig an, aber wir schwiegen.
      Meine Augen überflogen grob Niklas‘ Nachricht, bevor ich es zu Lina über den Tisch gab. Er schrieb, dass er nie wieder so sein wollte, wie er es aktuell ist. Viele Dinge hatten sich in ihm aufgestaut und dazu zählte auch meine Beziehung zu Erik, die nicht zu plötzlich ein Ende fand, sondern auch schon länger bröckelte, nur wusste ich nichts davon. Niklas hütete ein böses Geheimnis, dass ihn ans Ende seiner Nerven brachte. Mein Leid ertrug er nicht, eben so wenig meine Anwesenheit, weil es ihn, an sein Versagen erinnerte. Er liebte Lina, aber konnte nicht auf dem Gestüt so viel Zeit verbringen. Von mir wünschte er sich einen Tipp, wie er es besprechen könnte, dass sie zusammen auswärts ein Grundstück suchten. Innerlich zitterte alles. Ich traute Lina zu, so einer dümmlichen Idee zuzustimmen, aber meine egoistische Persönlichkeit wollte dies verhindern.
      „Wenn du gehst, esse ich dein Pferd“, kam es vollkommen unreflektiert über meine Lippen.
      „Was!?“, fragte sie erschüttert, starrte mich mit geweiteten Augen an und zerquetsche Mateo, dessen Arm gerade ein wenig Erholung errungen hatte, dies erneut.
      „Hast du gerade gesagt, du willst mein Pferd essen? Du, die Fleisch nicht mal anfasst!“, begann sie zu kichern, nachdem sie über den Wortlaut nachdachte.
      „Grundsätzlich fasse ich es an. Es kommt nur darauf an - welches“, da musste auch Nour schmunzeln, die das Gespräch nun doch heimlich belauscht hatte. „Aber ja, ich werde es essen!“ Demonstrativ nahm ich ein Teller aus dem Regal neben mir, als würde ich mich schon darauf vorbereiten, Ivy blutig zu servieren.
      „Ah ja, ich glaube auch“, japste sie nach Luft und kringelte sich beinahe vor Lachen. Um meine nicht vorhandene Ernsthaftigkeit zu untermalen, suchte ich Vidar aus den Kontakten, tippte auf Message und schrieb in aller Seelenruhe:
      > Skulle du slakta en häst åt mig?
      „Würdest du für mich ein Pferd schlachten?“
      Mein Finger schwebte über dem blauen Pfeil, als Lina, so schnell sie konnte, den Button auf der rechten Seite zu drücken wusste.
      „Untersteh dich! Sonst gehe ich zu Basti petzen“, fauchte sie scherzhaft und versuchte wieder zu normaler Atmung zu gelangen, was angesichts der Situation schwieriger wurde.
      „Warte. Vivi? Sage mir jetzt bitte nicht … Oh Gott! Das ist so niedlich“, kam das neugierige Wesen aus seinem Schneckenhaus in ganzer Blüte heraus. Auch sie lachte herzlich.
      „Du bist gemein!“ Mein Gesicht kochte förmlich vor Scham und ich hatte mir ganz anderes vorgestellt, wie Nour das Puzzle lösen würde. Währenddessen schlug ich meine Stirn auf die Tischplatte und versuchte die Situation zu verdrängen.
      „Das ist nur ein Traum“, murmelte ich ganz oft nacheinander, hoffend, dass es so sein würde. Dass der Kopf pochte wie ein Schweizer Uhrwerk, half dabei weniger.
      „Nein, da muss ich dich enttäuschen. Es ist die Realität“, trug Mateo wenig hilfreich zu der Konversation mit mir selbst bei.
      „Und wenn du Lina drohst, dann können wir das auch“, setzte mich die Schwarzhaarige nun unter Druck. Sie tippte auf ihrem Handy herum, was ich hörte, da ihre Fingernägel immer wieder hektisch den Bildschirm berührten, dabei sprach sie jedes Wort mit: „Hej Basti, ich entschuldige die späte Störung, aber es gibt ein Problem. Meine Kollegin, Vivi, du müsstest dich noch an sie erinnern, die für mich Walker gefahren ist, kann ohne dich nicht leben und …“
      „Stopp“, schrie ich verzweifelt, denn Nour traute ich zu, solch eine teuflische Nachricht abzusenden. Also entsperrte ich sogleich mein Handy und schüttelte es, um die verfasste Nachricht, aus dem Textfeld zu löschen, „so, bitte. Weg.“ Dann schloss ich den Chat.
      „Ivy wird nicht gegessen, das schwöre ich hoch und heilig“, nahm ich noch stärker eine Verteidigungshaltung ein. Die Finger zitterten nervös, so sehr, dass mir mein Handy entglitt und von der Tischplatte auf den Boden fiel. Sofort krabbelte ich unter den Tisch, bemerkte, dass Linas linke Hand nicht mehr ganz da lag, wo sie ursprünglich lag.
      „Aha“, rief ich aus und stieß mir höllisch den Kopf an dem Holz über mir. Ihre Hand zuckte aus seinem Schritt weg, wieder auf den eigenen Oberschenkel.
      „Aha, der Tisch ist noch immer sehr massiv?“, fragte die Kleine mit engelsgleicher Miene.
      „Genau, der Tisch“, betonte ich besonders ihre unschuldige Art, „aber wenn die neuerdings aus Fleisch sind, dann gehe ich nun lieber.“
      Tatsächlich wollte ich ins Bett, um möglichen Fragen ausweichen zu können, aber Nour wedelte fröhlich mit ihrem Handy in der Luft.
      „Wir sind noch nicht fertig“, lachte sie boshaft und brav, wie in der Schule, setzte ich mich ordentlich zurück auf meinen Platz.
      „Oh, was hast du denn vor?“ Lina schien augenblicklich Feuer und Flamme für das, was Nour offenbar wusste. Dass sie es lediglich als Druckmittel für mehr Informationen über ihren Bruder und mich nutze, konnte Lina noch nicht wissen.
      „Wir müssen das mit deinem Freund klären, nicht, dass Vivi eventuell stückweise dir von deinem edlen Ross nimmt“, scherzte Nour und nahm mein Handy, das natürlich versperrt war.
      „Aha, so ist das also“, scherzte sie. Wie in Ekstase hatte sie die Benachrichtigung nach rechts gewischt und bekam damit Sicht auf das furchtbare Handybild, dass ich mehr oder weniger heimlich am Rand des Geläufs geschossen hatte.
      „Jetzt ist es nichts Neues mehr“, rollte ich mit den Augen.
      „So, was schreiben wir ihm?“, Nour blickte zu Lina, die ernsthaft wieder mit ihrer Hand an Mateos Bein zu schaffen hatte.
      „Ähm“, stammelte sie ertappt.
      „Warte“, sagte ich plötzlich, als eine Information im Rechenzentrum ankam, „wie bist du in mein Handy gekommen? Das war gesperrt.“
      Überlegen schenke Nour mir ein schräges Lächeln, bevor sie sich wieder an Lina richtete.
      „Kommt darauf, an was du erzielen möchtest“, verwirrt darüber, was ihr Gegenüber erwartete.
      „Es ist dein Freund? Was sollte ich erzielen wollen“, zuckte Lars‘ Schwester mit ihren Schultern.
      “Weiß ich’s? Du scheinst viel Freude daran zu haben, bei derartigen Angelegenheiten mitzumischen”, zuckte sie mit den Schultern. Von allen Geistern verlassen, drehte Nour sich zu ihr. “Jedenfalls kannst du ihm schreiben, dass es nicht okay ist, einfach zu verschwinden und seiner Freundin nicht mal ein Lebenszeichen zu hinterlassen”, sprach sie, während Nour eifrig auf dem Bildschirm tippte, “aber sein Anliegen betreffend, wären Offenheit und Ehrlichkeit angebracht.”
      „Okay, passt das so?“, zusammen lasen sie es, bevor ich mein Gerät zurückbekam. Ich schloss nur das Fenster und versuchte meine Neugier zu zügeln, welch boshafte Nachricht vermeintlich ich, gesendet hatte.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 49.815 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende Februar 2021}
    • Mohikanerin
      Platzhalter
    • Mohikanerin
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      kapitel trettionio | 01. November 2022

      May Bee Happy / Maxou / Ready for Life / Nachtschwärmer / Glymur / Hending / Shakesbeer LDS / Meltdown / Blávör / Northumbria / Binomialsats / Harlem Shake LDS / Nobelium / Eifellust / Eichkatze / Fire to the Rain LDS / L‘Épirigenys LDS / Satz des Pythagoras / Form Follows Function LDS / Drivblesa / WHC' Humanoid Crashtest
      HMJ Divine / Selva / Verita

      kapitel trettionio
      FREITAG, 14:20 UHR
      LINDÖ DALEN STUTERI

      Vriska
      Schlaflos lag ich die halbe Nacht neben Lars, bis er gegen vier Uhr genervt wollte, dass ich Basti anrufe. Ich haderte mit mir, aber tat es schließlich. Müde meldete er sich auf der anderen Seite. Im nächsten Moment wurde er hellwach, als ich vorschlug, gemeinsam zu frühstücken. Stunden später holte ich ihn in einer Nebenstraße seines Zuhauses ab und wir fuhren nach Växjö. Zeit zog ins Land, wir lachten und vergaßen alles um uns herum. Erst, als ich auf die Uhr sehen wollte, bemerkte ich, dass mein Handy noch immer auf dem Nachttisch lag. In der Vorfreude auf meinen Angebeteten hatte ich es wohl vergessen, aber bereute es auch nicht. Auf dem Heimweg setzte ich ihn am Hoftor ab.
      „Ich melde mich heute Abend“, sagte er beim Aussteigen und ich nickte eifrig.
      Am Auto zogen die Bäume und Häuser vorbei. Im Kopf summte ich die Melodie von Midnight City, obwohl am Himmel noch die Sonne stand, zumindest wenn sie zwischen den Wolken eine freie Stelle fand. In einem warmen Licht gehüllt, glänzten die Dächer und viele der Pflanzen trugen schon ihr grünes Kleid. Kein schlechtes Gefühl lag in mir, nur die Freude vom bisher erhellenden Tag. Wir hatten kleine Zärtlichkeiten ausgetauscht, nicht vergleichbar mit der plötzlichen Nähe im Stall, aber jede noch so winzige Berührung, brachte starke Welle hervor.
      Kaum stand mein Auto wieder auf dem Parkplatz, tippelte ich zielstrebig auf den viel zu hohen Schuhe in den Stall, mein Gang wenig elegant, aber ich wollte mein Pony sehen, das ich am Morgen verpasst hatte. Auch Happy sollte seine ausgiebige Einheit von Nähe bekommen, bevor wir eine Runde in den Wald nehmen würden. Das enge, aber lange Kleid hielt in an den Seiten nach oben, um es vor dem Dreck zu schützen. Beinah kreischend begrüßte mich das aufgedrehte Pony.
      „Alles gut“, rief ich zu und versuchte noch schneller zu ihr zu gelangen. Dann hatte ich es geschafft, stand eher kippelig vor ihr, während sie ihren Kopf durch die Öffnung reckte und sich ausgiebig am Ohr kratzen ließ.
      „Oh, da steht ein Geist auf der Stallgasse“, schallte ein scherzhafter Ausruf durch die Gasse. Im Stalleingang zeichnete sich eine zierliche, kleine Silhouette neben den Umrissen eines Pferdes ab, die unverwechselbar zu einer Person gehören musste. Ich hatte sie zunächst nicht sehen können, wie auch. Meine Brille lag ebenfalls auf dem Nachttisch neben dem Mobilgerät. Lange war ich nicht mehr so überstürzt los wie an dem Tag.
      „Absurd, Lebewesen lösen sich nicht in Luft auf“, schüttelte ich den Kopf belustigt. Mit zusammen gekniffenen Augen beäugte ich Lina, die glücklicherweise von selbst näherkam, so dass ich mich nicht direkt wieder bewegen musste. Gleichgewicht hatte ich grundsätzlich genug, aber diese Melodie in meinen Kopf provozierte beinahe, dass ich mich drehen und wenden sollte.
      “Normale Lebewesen nicht, Hexen wie du offenbar schon”, lachte sie, “Wo hast du denn gesteckt?” Die rabenschwarze Stute, die sie am Strick mit sich führte, streckte interessiert die Nase zu mir hinüber. Freundlich strich ihr über das samtweiche Fell.
      „Unterwegs“, grinste ich über beide Ohren und sprach damit nur das Offensichtliche aus.
      „Darauf wäre ich jetzt aber nicht gekommen”, rollte Lina mit den Augen. Prüfend musterte sie mich, bevor sie weitersprach: “Dem Anschein nach warst du nicht allein unterwegs, sonst hättest du dir wohl kaum die Mühe gemacht, diese Dinger da anzuziehen.” Ihre Augen glitzerten voller Neugierde, als erahnte sie bereits den Grund für meine morgendliche Abwesenheit.
      “Ach, so schwer sind sie nicht anzuziehen, außer man kann keine Schnürsenkel binden”, schaute ich noch einmal die schwarzen Schuhe an meinen Füßen an.
      “Ich zweifle auch weniger deine Fähigkeiten an, dich anzuziehen. Viel mehr vermute ich, dass du jemanden, der nicht dein Pony ist, beeindruckend wolltest”, grinste die Brünette verschmitzt.
      “Maxou würde eine Birne reichen, um beeindruckt zu sein. Aber ja, ganz falsch liegst du damit nicht”, hielt ich mich weiter geheimnisvoll.
      “Warst du bei Basti?”, platze die Frage aus ihr heraus wie eine Flutwelle über einem Damm. Ihre Stute inspizierte derweil den Boden neben ihren Füßen und wirbelte feine Staubwölkchen mit ihrem Atem auf.
      “Mit Basti unterwegs”, korrigierte ich ihre Aussage grinsend.
      “Erzähl, wie war’s?”, quietschte sie freudig, was ihre Stute verwundert, aufhorchen ließ. Auch Maxou spitze die Ohren und erhob den Kopf wieder auf dem Heu. Dann raschelte es in der Box. Das Pony drehte mir den Po zu, denn wirklich etwas aus Taschen konnte ich nicht hervorzaubern.
      Wir setzten uns in Bewegung, denn Redo wollte nicht weiter herumstehen und den beobachten. Ich setzte mich mit übereinander geschlagenen Beinen ihr gegenüber, während Lina den Staub aus dem Fell entfernte. Kaum begann ich zu erzählen, wie es zum Treffen kam, tauchte Nour neben uns auf.
      “Oh, Geschichtsstunde”, stellte sie begeistert fest und setzte sich dazu. Mein Blick wanderte von unten nach oben. Nour konnte man nicht mehr loswerden, also setzte ich das Gespräch fort. Ebenso überrascht, wie auch fasziniert hörten die Mädels meinem Monolog zu, fieberten förmlich in der Freude mit. In beinah jeden Satz musste ich erwähnen, wie schön es war, Zeit mit ihm zu verbringen, auch wenn ich mir dessen bewusst war, dass es nicht viel mehr als Freundschaft darstellte. Zwischendrin seufzte ich, aber bereit für einen Erik Zwei-Punkt-Null fühlte ich mich auch nicht.
      “Das klingt ganz danach, als hättest du einen schönen Vormittag gehabt”, schlussfolgerte Lina grinsend, während sie die Bürste abstreifte. In sanften Bewegungen flirten die kleinen Staubkörner durch die Luft und glitzerten in dem Sonnenstrahl, der zwischen den Wolken her brach, bevor sie zu Boden trudelten.
      “Vriska, darf man fragen, was Basti gestern Abend meinte, als er sagte, er sei auf der Flucht?”, schob sie eine Frage hinterher, die allem Anschein nach bereits eine Weile in ihrem Kopf herumspukte.
      „Vor seiner Freundin“, führte ich an.
      Laut stöhnte Nour neben mir auf und hielt sich die Hand die Stirn.
      „Du kannst dir nicht vorstellen, was sie für ein Drama gemacht hat“, begann sie zu erzählen. Bastis genauen Beweggründe wusste ich nicht, fragte aber auch nicht danach, solang es ihn zu mir führte. „Erst muss sie wirklich jedem unter die Nase binden, dass sie endlich schwanger sei und doch so unabhängig, aber schickt dann Basti von einer Sache zur nächsten. Nicht mal das Pferd schaffte sie allein zu putzen, als hätte sie eine ernsthafte Behinderung.“
      Ich konnte es mir gut vorstellen und rollte mit den Augen.
      “Ui, das hört sich nervtötend an. Verständlich, dass man so jemandem lieber aus dem Weg geht”, verzog die Kleine missbilligend das Gesicht, “Mein Beileid an alle, die das ertragen müssen.”
      “Vor allem”, Nour schlug die Beine zur anderen Seite über, “keiner von uns ist sich wirklich sicher, dass er der Vater ist.”
      Verwundert drückte ich die Brauen zusammen und drehte mich zu meiner Kollegin. Auch Lina putzte nur noch dieselbe an der Sattellage mit der Gummibürste.
      “Muss ich es hinterfragen?”, kam es kleinlaut aus mir heraus, denn eigentlich wollte ich mich solchen Gerüchten nicht hingeben, aber in der Situation war zu verlockend.
      “Nur so viel, Lars ist fest davon überzeugt, dass etwas falsch läuft. Basti und Nelly sind schon länger nicht mehr so fest miteinander, also nicht wie ihr beide. Erst durch dich lief das Fass über oder war zumindest ein Auslöser für ihre krampfhafte Eifersucht.”
      “Ach, das kommt mir doch bekannt vor”, sagte ich lachend zu Lina.
      “Oh ja, du scheinst solche komplexen Situationen magisch anzuziehen”, sprach Lina nachdenklich, als sie ginge sie die Kette der Ereignisse in Gedanken noch einmal analytisch durch.
      „Ein Träumchen“, lachte ich.
      „Jetzt seid doch mal still!“, ärgerte sich Nour, dass ich sie unterbrochen hatte.
      „Und jetzt versucht sie dich loszuwerden”, beendete sie die Erzählung.
      “Ahja, gut. Dann wünsche ich ihr viel Spaß dabei. Für solch einen Kindergarten ist mir allerdings meine Zeit kostbar”, stellte ich nüchtern fest. Die Frau kannte mich nicht und ich sie nicht. Dass ihr plötzlicher Hass nicht von irgendwo kam, konnte ich noch nachvollziehen, aber es gehörten mindestens zwei dazu. Kopfschüttelnd richtete ich mich auf. “Aber wunderbar, dass ihr alle so großes Interesse an meinen Beziehungen hegt.”
      “Ja, das Interesse an den Mitmenschen ist hoch”, grinste Lina unschuldig, “außerdem passiert hier sonst nicht wirklich viel Interessantes.”
      “Harlen schleicht sich seit ein paar Tagen nachts aus seiner Hütte”, funkelten Nours Augen plötzlich auf. Für einen Moment hatte ich verdrängt, dass mein Bruder noch existierte, schließlich bekam ich ihn nur noch selten vors Gesicht.
      “Nun, vielleicht geht er mit dem Hund?”, verzog ich skeptisch das Gesicht.
      “Nein, er fährt mit dem BMW dann los”, grinste sie, “außer er möchte woanders mit dem Hund gehen, aber dann nachts?”
      “Oha, ob dein Bruder versucht eine Liebschaft zu verstecken?”, kicherte die Brünette, deren helle Augen sofort begonnen hatte zu leuchten, als hätte man Lichter hinter dunklen Scheiben eingeschaltet.
      „Bisher hat er es doch mit Jonina getrieben, kaum vorstellbar, dass er woanders hinfährt“, blieb ich unbeeindruckt.
      „Und warum sprechen sie nicht mehr miteinander? Ich denke nicht, dass er zu ihr fährt“, stellte sie fest.
      „Dann frag ihn doch“, zickte ich und drehte mich auf den Hacken um. Wenn er sich nicht für mich interessierte, tat ich ihm gleich. Soll er doch von Bett zu Bett springen, das geht mich nichts an.
      “Ist ja gut, du möchtest darüber nicht sprechen”, beschwichtigte Lina sogleich, “kein Grund gleich unfreundlich zu werden.”
      „Er hasst mich, also was erwartet ihr? Dass ich Luftsprünge mache, weil er glücklich ist?“, jammerte ich mit versagender Stimme und schielte zu Happy, der seinen Kopf aus der Box streckte. Da war es wieder. Ich musste mich bis morgen entscheiden, aber hatte es vollkommen vergessen.
      “Warte, wie kommst du denn darauf, dass es dich hasst?”, hakte sie irritiert nach und versuchte sich einen Zusammenhang zu erschließen.
      „Weil er seit Weihnachten nicht mehr mit mir gesprochen hat und bis heute der Meinung ist, dass ich keine Lust auf die Familie hätte, deswegen mich überall einmische und keine Ahnung habe“, ratterte ich herunter, obwohl ich überzeugt war, sie würde das bereits wissen. Sie seufzte, strich ihrer Stute dabei über das dunkle Fell.
      “Fall es dich beruhig, ich habe seit über drei Jahren nicht mehr richtig mit meinem Bruder geredet“, scherzte sie selbst ironisch, bevor sie zurück zum eigentlichen Thema kam.
      “Ignoranz heißt noch lange nicht, dass Harlen dich hasst. Vermutlich versteht er nur nicht, was in dir vorgeht und was deine Beweggründe sind und wenn ihr nicht sprecht, ist es einfacher sich selbst eine Meinung zu bilden”, sprach sie mit bedacht.
      „Du kannst auch nicht erwarten, dass jeder auf dich zugeht, sondern auch Interesse an ihm zeigen“, belehrte Nour. Sie war weniger bemüht, die Worte durch die Blume hinwegzusagen und wirkte auch nicht sonderlich begeistert von mir.
      Ich nickte nur, wollte mich auf keine Diskussion einlassen. Stattdessen verschwand ich über den Kiesweg, der sich noch immer durch tiefe Furchen der Baufahrzeuge auszeichnete. Wie ein Storch torkelte ich zur Hütte und war froh, endlich die zwanzig Zentimeter unter mir los zu sein. Ich zog mich um und startete währenddessen die Kaffeemaschine. Es bereits auf meinem Plan zu arbeiten, aber eine innerliche Kraft wollte nicht, dass ich zurück zum Stall ging. Für heute musste ich mich dem Gefühl widersetzen. Und ich tat es. Umgezogen, abgeschminkt und mit der Brille auf der Nase lief ich zurück. In der Hand hielt ich die Kaffeetasse, aus der es dampfte. Behutsam trug ich sie bei mir und war überrascht, dass die Mädels noch immer an Ort und Stelle verharrten.
      „Es ist ziemlich absurd, dass du solch Scheußlichkeiten denkst“, hörte eine zu sehr bekannte Stimme sagen. Natürlich mussten sie sich wieder einmischen, aber vielleicht war es auch angebracht. Genervt und verärgert nahm ich mir dennoch vor, zu sein.
      „Du hast mich doch vollkommen aus deinem Leben gestrichen. Was soll ich sonst denken?“, versuchte ich, meine zitternde Stimme zurückzuhalten, aber selbst meine Hände bebten.
      „Lass uns allein sprechen“, schlug Harlen vor und sein Blick wechselte zwischen den beiden Mädels, die beinah enttäuscht waren.
      „Wieso? Ich habe nichts zu verheimlichen“, spielte ich auf Nours Gerüchte an.
      „Nun gut“, seufzte er und setzte sich hin. Ich stellte jedoch nur meinen Kaffee bei ihm ab, um Happy aus der Box zu holen. Irritiert sah mich mein Bruder an, aber ich konnte beides verbinden und tat dies auch. Der Hengst folgte mir beinah seines Namens entsprechend und legte nicht einmal die Ohren an, als wir an Redo vorbeikamen. Ihr mangelndes Interesse war wohl der ausschlaggebende Grund.
      „Ich hasse dich nicht“, stellte Harlen klar.
      „Okay“, nickte ich und bürstete und großen kreisförmigen Bewegungen den Rippenbogen des Fuchses. Dieser döste mit dem Huf angewinkelt.
      „Es ist nur so, dass du dich vollkommen abschottest und ich nicht mehr die Geduld habe, dir nachzulaufen“, erklärte er weiter.
      „Und deswegen ignorierst du mich?“, stoppte ich das Putzen für einen Moment und sah zu ihm.
      „Du kommst nie von selbst“, blieb er in seiner Verteidigung. Verwundert sah ich ihn an.
      Ich war oft im Büro, auch wenn er nur selten dort zu finden war, was mich, angesichts seiner Arbeit, verwunderte.
      „Das stimmt so nicht“, mischte sich Nour ein, „Du bist kaum da. Leider muss deine Schwester in dem Punkt in Schutz nehmen.“
      „Viele Termine finden auswärts statt, das stimmt“, ging er nur halbherzig an ihre Aussage heran, „aber gut. Dann sind wir uns einig, dass wir uns uneinig sind und machen so nicht mehr weiter?“
      „Wenn du meinst“, zuckte ich mit den Schultern.
      „Ich nehme das als ein Ja. Ach, wenn ich schon mal hier bin. Was ist mit dem Fuchs? Willst du ihn oder nicht, die Besitzer haben vorhin schon wieder gefragt“, wechselte Harlen schlagartig das Thema.
      „Erst gestern hat man mich damit konfrontiert. Lina hat über ein halbes Jahr darüber nachgedacht ein Pferd zu kaufen und ich soll mich innerhalb von vierundzwanzig Stunden entscheiden?“, eine Augenbraue zog ich nach oben. In Harlens Gesicht erkannt ich, dass er genauso gut wusste, wie ich, wie schwer mir kluge Entscheidungen fielen und ich besonders bei Pferden vorsichtig war.
      „Die Mädels können dir bestimmt helfen“, lächelte er aufmunternd. „Sonst halte ich sie weiter hin, schließlich hast du auch fast Geburtstag, also gönne dir mal etwas Ruhe.“
      Mit diesen Worten verabschiedete er sich und verschwand zum Tor hinaus. Ich stand mit den beiden in der Gasse, einer schockierter als der andere. Gekonnt hatte ich auch meinen Geburtstag in vier Tagen in den Hintergrund geschoben, denn damit jährte sich auch Jennis Tod.
      “Habe ich das richtig gehört, Happy soll verkauft werden?”, hakte Lina erstaunt nach.
      “Das stand doch schon von Anfang an fest, nur, dass es direkt passieren soll”, ich seufzte und fummelte an seiner Mähne herum, die lockig am Hals herunterhing. “Mir fällt es schwer, ihn ernsthaft, so für immer zu nehmen.”
      “Das kann ich verstehen, solange kennst du ihn ja noch nicht”, nickte sie verständnisvoll.
      „Ich kenne da eventuell, wen“, kam Nour zu Wort. „Alexa sucht ein Pferd zum Trödeln und bisschen Turnier, wenn es sich ergibt. Wenn wir ihr sagen, dass das Pferd noch weiterhin Beritt benötigt, sollte das kein Problem sein. Durch die Kinder hat sie ohnehin nicht so viel Zeit.“
      „Und was möchte sie dann mit einem Pferd?“, wunderte ich mich, auch wenn es nicht meine Angelegenheit war.
      „Zum Ausreiten, Liebhaben. Was nun mal Freizeitreiter mit ihren Tieren tun“, zuckte sie mit den Schultern.
      „Okay, dann schlage ihr ihn doch vor“, sagte ich.
      „Es ist Bastis Schwägerin, falls dich das besser stimmt“, fügte sie hinzu und tippte währenddessen auf dem Handy. Dann hob sie es an. Ich nahm einen großen Schritt zur Seite, um nicht im Bild zu sein. Nour grinste sofort.
      „Sie fragt, wann sie vorbeikommen kann.“
      Mit Fragezeichen in den Augen blickte ich zu Lina, die Redo den Sattel festzurrte und zur Trense griff.
      “Idealweise noch heute”, schlug sie vor, “Je schneller das Problem gelöst ist, desto besser.”
      Ich nickte zustimmend.
      Kaum waren die Worte aufgesprochen, texten die beiden weitere Nachrichten hin und her. Ich putzte gleichzeitig den Fuchs weiter und Lina setzte ihren Helm auf.
      „Sie fragt, ob jetzt geht, also so in dreißig Minuten“, sah sie vom Gerät auf.
      „Ja, ich schätze schon. Ich weiß nicht, was die Besitzer sich vorstellen, aber das sollte in der Zeit herausgefunden werden können“, versuchte ich zu lächeln, aber konnte mich noch nicht mit dem Gedanken anfreunden. Happy war sensibel und an mich gewöhnt. Jemand Neues könnte ihn meilenweit zurückwerfen, aber so gab es zumindest die Chance, es zu kontrollieren. Also stimmte ich zu und machte mich direkt auf den Weg zum Büro. Vorher stoppte ich noch bei Lina.
      „Wo gehst du mit ihr hin?“, fragte ich nach, um mit Happy etwas vorausplanen zu können.
      “Ich wollte in die Halle gehen”, gab sie mir bereitwillig Auskunft.
      „Okay, würde es sich stören, falls sie auch in die Halle möchte? Sonst biete ich ihr nur den Platz an?“, fragte ich nach.
      “Nein, absolut kein Problem, die Halle ist ja groß genug”, lächelte Lina froh gestimmt.
      Ich bedankte mich und huschte hoch ins Büro. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann hatte ich die Besitzerin am anderen Ende. Ihr erläuterte ich die Situation sehr genau, dass ich ihn mochte, aber nicht bereit für ein eigenes Pferd war – von dem Pony wusste schließlich kaum einer – aber bereit wäre, den richtigen Besitzer zu finden. Sie freute sich darüber, erst recht, dass ich bereits jemanden hatte.
      „Aber, was ist mit Hending?“, fragte diese zum Schluss. Ach ja, der Mini Tinker kam in dem Zuge ebenfalls zum Hof. Bisher kümmerte sich Lina um die Kleine.
      „Die können wir ebenfalls vermitteln“, bot ich an. Mir wurden noch die Preise erläutert und ich würde von beiden fünfzehn Prozent des Erlöst bekommen, fand ich mehr als fair und damit beendete ich das Gespräch.
      „So, alles geklärt. Ich soll beide Pferde vermitteln und habe volle Freiheit bekommen“, sagte ich grinsend, auch laut genug, dass Lina es hören konnte.
      “Perfekt, dann muss das nur noch funktionieren, mit Happy. Das Fusselmonster bekommst du sicher leicht vermittelt”, hallte eine Antwort durch das Gebäude.
      Ihre positive Einstellung schlug nur für einen Wimpernschlag auf mich über, denn dann wurde ich nervös. Ich wusste nichts über die Dame und konnte mir nur schwer vorstellen, welche Auswirkungen es auf die Beziehung zwischen Basti und mir bedeuten könnte. Wusste sie davon? Am besten, ich würde all das ignorieren. Das Herz überschlug sich und ich musste mich setzen. Mein Kaffee stand noch immer dort, mittlerweile kalt. Leise seufzte ich, aber sippte am Rand der schwarzen Tasse. Ich kam zur Ruhe. Nour sprang zur gleichen Zeit auf und lief hinaus. Immerhin hatte ich Happy schon vorbereitet, also konnte nichts mehr schiefgehen.
      Eine große blonde Dame lief neben Nour her, lachte freundlich und sah sich im Gebäude um. Ihr folgte Hedda, die freudig auf mich zu gerannt kam.
      “Vriska”, kreischte sie meinen Namen durch den Stall. Der Hengst streckte auf, aber beruhigte sich im nächsten Atemzug. Der Rotschopf stellte keine Bedrohung dar und wollte nicht zu ihm.
      “Es wird nicht im Stall gerannt, weißt du doch”, erinnerte ich sie freundlich, aber bestimmt. Sie nickte und sah sich zu Alexa um. Die schmale, aber kräftig gebaute Frau sah man nicht an, dass sie Zwillinge ausgetragen hatte. Zumindest dieser Umstand schindete Eindruck. Ihre Gesichtszüge waren trotz des freundlichen Lächelns rau und eingefroren, die Haut angegriffen. Die Haare trug sie in einem lockeren Pferdeschwanz und am Körper eine simple dunkle Reithose, einer hellen Jacke und schwarzen Weste darüber.
      “Nett dich nun auch persönlich kennenzulernen”, reichte sie mir die Hand, „Basti hat bereits einiges erzählt.“
      „Ähm, ja, danke, also“, rang ich nach den richtigen Worten und verspürte genau die Hitze in meinen Kopf aufsteigen.
      „Das ist Happy“, übersprang ich den Teil des Gesprächs. Alexa trat langsam an den Fuchs heran, der erstaunlicherweise die Ohren aufstellte und an ihrer Hand schnüffelte.
      „Keine Sorge, bei uns ist euer Geheimnis sicher“, setzte sie unbeirrt fort.
      „Welches Geheimnis?“, wunderte ich mich sofort.
      „Er meinte, er hätte jemanden kennengelernt und es könnte etwas Ernstes daraus werden“, trat nun bei ihrem gleichen Zustand ein. Obwohl mir ihre Worte das Herz erwärmten, konnte ich nicht genau einordnen, worauf das hinauslaufen sollte.
      „Ähm“, stammelte ich wieder heillos überfordert.
      „Die beiden lernen sich doch erst einmal kennen, Alexa. Nicht jede Beziehung läuft bilderbuchmäßig ab, wie mit dir und Henne. Außerdem kennst du doch Basti“, lachte Nour. Zuversichtlich nickte sie mir zu.
      „Du hast recht, aber ich höre doch immer die Kirchenglocken läuten“, scherzte die Blonde.
      „Happy ist sieben Jahre alt, bis zur schweren Dressur ausgebildet, aber läuft unter mir aktuell nur auf mittlerem Niveau“, betete ich stattdessen die Fakten herunter.
      „Vriska, alles gut. Entspanne dich“, beruhigte mich Alexa, „solang er drei Gänge durch den Wald geht, ist mir alles recht.“
      „Ja, tut er“, nickte ich hektisch.
      „Na dann, wo ist dein Pferd?“, hakte sie nach. Offenbar wollte sie dies sogleich austesten. Schwierig, denn bisher war ich nur mit Sulky im Wald oder allein, zusammen mit einem anderen Reiter versuchte ich zuvor noch nie.
      „Wollen wir nicht erst einmal in die Halle, dass du ein Gefühl für ihn bekommst?“, versuchte ich ihr den Gedanken auszutreiben.
      „Was im Wald nicht funktioniert, wird auch in der Halle nicht besser sein“, ließ sie sich nicht von ihrem Plan abbringen. Im Kopf ratterte unter Bestand durch. Es gab nicht viele sichere Pferde für ein solches Unterfangen. Die verrückten Jungpferde wären genau das Gegenteil und die aktuell rossigen Stuten ebenfalls. Damit blieb nur unser Haflinger Fly, auf dem ich noch nie saß, oder Glymur.
      Unentschlossen stiefelte ich los in den Stall gegenüber. Glücklicherweise traf ich Bruce an, dem ich sogleich die Situation erklärte. Er sah hinter sich die Stallgasse hinunter.
      “Ich dachte schon, dass du nie fragen wirst nach ihm. Also klar, nimm ihn dir ruhig”, lächelte er freundlich. Überschüttet mit tausenden Danksagungen lief ich direkt zu seiner Box, in der er, den Kopf in einem Heuhaufen gesteckt, stand. Ich schnalzte, dann kam der Isländer sofort an. Sanft und beinah in Zeitlupe strich ihm über den Nasenrücken. Im gleichmäßigen Tempo bewegten sich seine Nüstern. Ich war wirklich dankbar für diese Möglichkeit.
      Bei uns im Stall putzte ich den Schecken über, holte meinen so gut wie genutzten Sattel und seine Trense, die damals in Kanada schon hatte. Alles für ihn besaß sich noch, würde es nie weitergeben. Wenig später waren wir bereit.
      Ich half Alexa auf den großen Fuchs und stieg schließlich selbst in den Sattel. Kaum zu glauben, dass es Zeiten gab, in denen ich täglich auf einem Isländer saß und dass etwas anderes Gefühl in Viertakt genoss. Aber mir kamen alte Erinnerungen, gut, denn vor genau einem Jahr kam er zu mir und in mir herrschte noch jene Zuneigung wie zuvor. Mit einem breiten Lächeln thronte ich im Sattel, aber behielt das Paar neben mir in den Augen. Tatsächlich wirkten sie sehr harmonisch zusammen. Der Fuchs prüfte mehrmals, ob ich da war und wunderte sich zu gleichen Teilen über das Pony. Aber seine Ohren waren vorn, nur eins kreiste wie Radiomast und peilte Alexas Stimme ab.
      Schritt, Trab, Galopp – alles testeten wir im Wald und recht schnell stand für die Blonde fest, dass Happy genau das Richtige war. Ich zweifelte noch, denn über den Preis verloren wir bisher kein Wort und wusste, dass das Deutsche Sportpferd auch andere Tage hatte. Schließlich war er müde vom Turnier am Vortag.
      „Du, sage mal“, sagte Alexa und wendete ihr meinen Blick zu, „in Manstrop bist du auch am Montag, oder?“
      Die ganze Zeit hatten wir nur über Happy gesprochen, dass es nun wieder auf das Thema zurückkam, wunderte mich wiederholt.
      „Ja, wir bleiben über die Nacht“, erklärte ich wahrheitsgemäß.
      „Ach, das ist toll“, grinste sie beinah verliebt und klopfte den Hals des Pferdes.
      „Bist du auch da oder weshalb fragst du?“, hakte ich unverfroren nach.
      „Ja, Hennes Stute läuft mit und sein Trainingspferd ebenfalls. Das hat seine Qualifikation letztes Mal bekommen und wird nun vorgestellt“, sprach sie freudig erregt, als wäre es ein großes Jubiläum.
      „Das ist schön“, lächelte ich.
      Abschließend verabschiedete sie sich am Hof. Hedda kam hinter Nour hergelaufen und warf sich mir um den Hals, als wäre ich für immer weg. Morgen würde Alexa noch ein weiteres Mal vorbeikommen und den ganzen Haushalt mitbringen, schließlich sollte der Hengst ein weiteres Familienmitglied werden. Am Montag wollte sie mir die Entscheidung mitteilen. Zeitlich schien es mir gut zu passen. Ich plante, heute Abend mit Happy noch einmal in die Halle zu gehen, nur um sicher zu sein, dass morgen alles passen würde. Mittlerweile stand er in seiner Box. Nur Glymur war noch unter dem Rotlicht und trocknete. Während ich also wartete, dass der Isländer fertig wurde, setzte ich mich auf die Bank gegenüber und holte mein Handy heraus. Gelangweilt swipte ich die Instagram-Timeline hindurch, sah mir Niklas neuesten Bilder an und schaute provisorisch in meine Nachrichten. Tatsächlich hatte mir Basti geschrieben, denn seit dem Nelly wieder aktuell war, kontrollierte sie alles, was er sonst tat – nur hier nicht.
      „Danke für den schönen Vormittag. Aber sage mal, Happy kommt weg? Und Nour dreht ihn Alexa an? Schon ziemlich verrückt. Melde dich bitte, wenn du mehr weißt“, las ich und tippte umgehend eine Antwort: „Bitte, ich bin auch sehr dankbar. Ja, offenbar. Die beiden passen gut zusammen. Sie möchte morgen noch ein weiteres Mal testen und dann bleibt abzuwarten, wie sie sich Montag entscheiden.“
      Kaum war sie Nachricht abgeschickt, öffnete er diese bereits. Es dauerte einen Moment, dann kam seine Antwort rein.
      „Es wäre schön, wenn sie auch wieder ein Pferd hat. Sie hat das Reiten in der Schwangerschaft sehr vermisst. Hat sie sonst etwas gesagt?“
      „Ja, einiges. Unter anderem, dass sie bei uns die Hochzeitsglocken hört, aber den Zahn habe ich ihr direkt gezogen, haha“, formulierte ich möglichst galant, nur wenig über meine eigenen Gefühle preisgegeben zu haben. Obwohl die Nacht gelesen wurde, dauerte es, bis eine Antwort kam.
      „Warum?“, leuchtete einzig das Wort auf dem dunklen Bildschirm.
      „Ist es nicht etwas früh, an eine Hochzeit zu denken?“, tastete ich mich langsam heran.
      „Ach so, ja. Du hast recht. Aber, wäre es in deinem Interesse?“, einerseits erfreute mich seine Frage, andererseits hatte ich Angst, dass ich zu schnell, zu viel Emotionen in ein uns steckte.
      „Ja“, schrieb ich bloß.
      „Ok“, antwortete er, dann tauchten die Punkte auf, „ich möchte dich bei mir haben heute Abend. Kommst du mit zu meinen Freunden und danach schlafen wir im Hotel?“
      Irritiert huschten meine Augen immer wieder über seine Aussage und ich noch nicht ganz begreifen, wieso er, seit dem Abstand derart besessen war. Nicht, dass ich ein Problem damit hatte – ganz im Gegenteil – ungewöhnlich, dafür, dass ihm jeder als kalt und gefühllos bezeichnete. Bevor ich ihm zusagen konnte, kam Lina mit Redo und ich steckte das Handy weg. Aufgeregt brummte Glymur über den Besuch eines anderen Pferdes. Die dunkle Stute beschnupperte ihn kurz, doch hegte kein übermäßiges Interesse an dem Hengst. Lina hingegen begrüßte das kleine Pferd erfreut mit einem Leckerli: “Du hast Glymi hergezaubert, wie schön.”
      „Und wie ist es gelaufen? Gefällt ihr Happy?“, erkundigte sie sich sogleich, während sie ihrer Stute die Trense abzog. Kaum berührte das Leder nicht mehr ihren Kopf, regte sie den Kopf zur Seite und schubberte sich am Anbindebalken.
      “Wenn man aus dem Tor geht, dann hundert Meter an den Stuten vorbei, gelangt man zu den Isländern. Es ist kein Hexenwerk, ihn hierherzuführen”, erläuterte ich grinsend, “und ja, ihr gefällt der Fuchs. Morgen kommt sie mit der ganzen Sippe.”
      “Das klingt, als sei er nahezu verkauft”, lächelte sie.
      “Und ich bekomme fünfzehn Prozent vom Verkaufspreis, also werden neue Sets gekauft”, zog ich wieder mein Handy hervor. Natürlich verspürte ich ein hintergründiges Stechen in der Magenregion, aber bei Alexa hatte ich ein gutes Gefühl. Die Mutter von zwei Kindern war die Ruhe in Person, kam dem Pferd entgegen, ohne dabei sauer zu werden.
      “Bald benötigst du ein eigenes Zimmer nur für Pferdezeug”, scherzte Lina, obwohl sie selbst auch eine beachtliche Sammlung vorweisen konnte.
      “Das aus deinem Mund”, schüttelte ich belustigt den Kopf.

      18:04 UHR

      Stunden später saß ich neben Lina auf der Tribüne, die gespannt zur Reitbahn sah. Sam war mit zwei ihrer Stuten zum Training auf den Hof gekommen. Meine Kollegin wusste bisher nichts davon, bis Mateo kurz vor der Ankunft sie darüber in Kenntnis setzte. Seitdem konnte sie weder stillsitzen noch stehen. Was für mich immer mehr die Rennpferde wurden, drehte sich ihre Gedankenwelt einzig allein, um die schweren Warmblüter aus der Schweiz.
      Ich hatte die Isländer Stute im Beritt, bereits gearbeitet, Crash longiert und war mit Maxou für zwanzig Minuten auf dem Platz. Der raue Wind und der leicht einsetzende Nieselregen verderbten uns beiden die Stimmung intensiv zu arbeiten. Also saß ich nun mit dabei, beobachtete, wie leichtfertig die blonde junge Dame mit dem hellen Fuchs durch den Sand setzte. Verita, wie mir das Pferd vorgestellt wurde, stand an den Hilfen und schwebte im Rahmen ihrer Möglichkeiten über dem Boden. Für eine neunjährige Stute kam sie ihrem Ausbildungsstand nah. Keine schwere Dressur, aber die Anlehnung war da und man sah deutlich, dass Sam am Schwung arbeitete. Einen gewissen Charme versprühten die beiden, aber ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, dass ich mich darin verlor wie Lina. Es war niedlich und eine gelungene Abwechslung zu den Teppichklopfern in Kalmar, die dort die Halle gescheucht wurden, in einer so engen Montur, dass selbst mir der freie Wille verloren ging beim Zusehen. Vielleicht sorgte schon diese Tatsache dafür, dass ich mich emotional nicht an Happy binden konnte, dem Gedanken, dass ich mich in einem System aus Tierquälerei und Symptome Behandlungen begeben könnte.
      Ich schüttelte mich, um aus dem absurden Teufelskreis in mir zu fliehen. Aber es war auch mein Handy, das Aufmerksamkeit erwartete. Dumpf vibrierte es in gleichmäßiger Tonart auf dem Holz. Für einen Moment sah ich es an, aber dann zog Mateo mein Interesse auf sich. Er kam auf die Reitbahn mit einem weiteren Fuchs, Selva, dem anderen Pferd von Sam und begann ein Hindernis aufzubauen. Die Stute stellte er in der Mitte ab. Ihr Blick rotierte im Raum, aber wie angewachsen verharrte sie.
      „Vriska, sag mal, bist du taub, oder was?”, äußerte meine Kollegin ihren Unmut über das störende Geräusch.
      „Oh“, entfloh es mir als einziges und betätigte den Sperrknopf, ohne überhaupt auf den Bildschirm zu blicken. Wer auch immer anrief, musste warten, bis mein Erstaunen über den strahlenden Fuchs mit Stern nachließ. Doch so weit kam es nicht, denn es läutete immer wieder, bis instinktiv den grünen Hörer betätigte.
      „Wo bleibst du?“, hörte ich fragen.
      „Äh“, wunderte ich mich im ersten Moment. Zu lange benötigte mein Gehirn, um die Informationen zusammenzufassen. „Jetzt schon?“
      „Ja, ich habe die mehrmals geschrieben, dass wir uns früher treffen und ich dachte, du kommst auch direkt“, sagte Basti hörbar genervt, als wäre es ein Weltuntergang, dass für ein paar Minuten nicht am Handy hing.
      “Hui, was hat dich denn gestochen?”, hakte ich flapsig nach und verschränkte den freien Arm vor meiner Brust.
      “Nelly hat davon erfahren, dass wir uns heute getroffen haben von einer Freundin, die uns gesehen hat”, änderte sich seine Stimmenlage.
      “Mh. Und dann soll ich heute dabei sein?”, fragte ich verdutzt nach und sah mit Hilfe suchenden Augen zu Lina, die jedoch Mateo auf dem edlen Ross folgte. Wenn ich es nicht besser wüsste, stellte sie sich sehr genau vor, was wohl unter dem ganzen Stoff stecken würde.
      “Es klingt blöd und ist vermutlich unüberlegt, aber ja. Ich möchte mich ablenken und du bist die Einzige, die mich versteht”, seufzte er niedergeschlagen. Eigentlich fühlte ich mich wie im falschen Film, eher schlecht verstanden als überhaupt, aber gut. Ich musste bei ihm sein, das wusste ich zumindest.
      “Okay, dann ziehe ich mich um und fahre dann los”, redete ich Basti gut zu. Er legte auf und ich steckte das Handy weg.
      “Wenn ich nicht wüsste, dass dein Ritter gerade mit einem Bino kämpfte, würde ich dir diesen wärmstens empfehlen”, flüsterte ich Lina ins Ohr und sah zu Mateo, der mittlerweile über Stangen trabte.
      “Aber dann weißt du ja, dass kein Bedarf nach einem neuen Ritter besteht”, murmelte sie, als fühle sie sich ertappt.
      “Freut mich, dass es bei euch vorangeht”, lächelte ich, “aber meiner weint, ich muss los.”
      “Dann wünsche ich dir viel Spaß beim Trösten”, grinste sie.
      Im Zimmer wechselte ich meine Kleidung, verschleierte die tiefen Augenringe hinter Schminke und lief schließlich zum Auto. Auf der roten Motorhaube reflektierte der Himmel der untergehenden Sonne. Dahinter standen die Pferde friedlich rasend auf der Weide und freuten sich, dass der Frühling in vollen Zügen über das Land rollte und die Weidesaison einläutete. Allerdings kam mir auch etwas anderes in den Blick. Niklas hatte sein, zum Ausgleich aller Minderwertigkeitskomplexe, Auto abgestellt und sah mich leider auch.
      “Offenbar wird der Tag noch besser, wenn du endlich gehst”, grinste er scharf.
      “Denkst du nicht, dass das Thema langsam durch ist? Niemand nimmt dich noch ernst, also kannst du es auch sein lassen”, sprach ich pikiert und öffnete die Tür meines kleinen Autos.
      „Niemand? Da bin ich mir nicht sicher“, hielt Niklas meine Autotür fest, um mich am Losfahren zu hindern.
      „Anstelle mich weiter aufzuhalten, soll ich dir nicht lieber deinen Willen erfüllen“, rollte ich mit den Augen und zog ein weiteres Mal an der Tür, in der Hoffnung, er würde davon ablassen. Das war nicht der Fall, stattdessen grinste er schief. “Zeitweilige körperliche Bedürfnisse solltest du mit deiner Freundin besprechen, nicht mit mir.”
      “Du weißt am besten, dass das etwas ganz anderes ist”, zog er eine Braue nach oben und schien etwas zu erwarten, was ich nicht bieten konnte.
      “Niklas, ich fühle mich nicht wohl in deiner Nähe”, appellierte ich.
      “Nun gut”, seufzte er, “dann lass ich dich in Ruhe.”
      Endlich nahm er die Hand von meiner Tür, die sofort zu zog und den Schlüssel ins Zündschloss steckte. Kaum war dieser gedreht, schloss sich die Zentralverrieglung und ich fuhr vom Hof. Mein Herz raste, ungewiss, ob es am Grund meiner Fahrt lag oder dem ungünstigen Zusammentreffen mit Niklas. Dass er so sehr der Vergangenheit nachjagte, fiel mir schwer nachzuvollziehen. Bis ich bei Bastis Freund an der Tür klingelte, versuchte ich eine Antwort auf die Aktion zu finden, aber es gab keine. Nichts deutete auf seine Motivation hin, einzig Kontrollwahn. Aber es sollte endlich Schluss sein. Ich atmete tief durch und drückte den Klingelschalter bis zum Anschlag. Als hätte Basti bereits durch den Spion geschaut, öffnete sich Tür sofort. Mit einem breiten und erleichterten Lächeln blickte er mich an, um im nächsten Moment in die Arme zu nehmen und fest an sich zu drücken. Er trug einen anderen Duft als sonst, holziger, aber milder für die Nase.
      Der Abend verlief ähnlich wie der vorherige. Den Großteil der Zeit saß ich neben ihm auf der Couch, die Arme locker vor meiner Brust verschränkt und die Männer am Trinken. Wirklich willkommen fühlte ich mich nicht, denn den Gesprächen zu folgen, fiel mir schwer und die Themen waren ebenso oberflächlich, wie ich es aus der Schulzeit kannte. Natürlich zweifelte ich bis spät in die Nacht hinein und schlief sogar an seiner Schulter ein. Irgendwann wurde ich durch ein Flüstern am Ohr geweckt.
      „Wollen wir ins Bett?“, fragte Basti mit lallendem Unterton.
      „Okay“, murmelte ich verschlafen und richtete mich auf.
      “Wir können bei Jan im Gästezimmer bleiben, dann musst du nicht fahren”, schlug er vor.
      Ich nickte und folgte ihm. Meine Brille hielt ich in der Hand, sah also nur halb, wohin ich folgte. Aber das kleine Zimmer war altmodisch, aber wohnlich eingerichtet. An den Fenstern hingen dünne verzierte Gardinen, daneben Vorhänge in Weiß mit einem dunklen Balken unten. Das Bett, auf der nur eine große Decke lag, war ebenfalls weiß bezogen und alle Möbel aus hellem, naturbelassenem Holz. Etwas verloren stand ich an der Tür, während er den Gürtel seiner Hose öffnete und diese herunterzog.
      „Soll ich das Licht ausmachen?“, fragte Basti mit leichter Verwirrung.
      „Äh, tut mir leid“, entschuldigte ich mich, aber konnte Situation noch immer schwer einschätzen. Er lächelte mich an, als könnte er durch meine Augen hinweg, direkt die Gedanken lesen. Neben mir drückte er den Lichtschalter, torkelte zum Bett und schaltete dort eine der Nachttischlampen an. Im warmen Licht zog meinen Pullover aus und die enge Hose, obwohl mich weiterhin das Gefühl beirrte, hier nicht sein zu dürfen. Gerade, als er sein Shirt über den Kopf ziehen wollte, stoppte er in der Bewegung.
      „Ich kann es anbehalten, wenn du dich unwohl fühlst“, lenkte Basti ein. Die Sache war klar: Er konnte Gedanken lesen. Oder Körpersprache lesen.
      “Wie du möchtest”, versuchte ich ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, obwohl es sich falsch anfühlte.
      “Dann behalte ich es an”, beschloss er und legte sich ins Bett. Vorsichtig krabbelte ich dazu. Wie jedes Mal vor dem Schlaf warf ich noch einen Blick auf mein Handy. Tatsächlich hatte Lina mir geschrieben.
      “Dein Ausbleiben deutet wohl auf einen erfolgreichen Abend hin”, war die erste Nachricht, die sie bereits vor geraumer Zeit gesendet hatte. Das hatte sie offenbar direkt dazu veranlasst, noch eine weitere Nachricht zu verfassen: “Dann wünsche ich dir weiterhin viel Spaß mit deinem Ritter.” Am Ende des Satzes leuchtete ein anrüchig zwinkernder Smiley, welches eher untypisch für ihren üblichen Emoji-Gebrauch schien. Später musste sie mir Frage und Antwort dazu stehen.
      “Na, schreibst du deinem Freund noch gute Nacht?”, drehte er sich zu mir. Zweifelhaft huschten meine Augen zu ihm.
      “Natürlich, der vermisst mich ganz doll”, scherzte ich, dabei huschten meine Finger über den Bildschirm, aber Basti nahm es mir weg. Kurz prüfte er meine Reaktion, die es nicht gab.
      “Der wartet sicher auf dich, sonst ist er doof”, lächelte er und legte es auf seiner Seite des Tisches ab. Deutlicher rutschte ich an ihn heran und selbst er, nahm mich näher an sich heran. Obwohl Kuscheln unsere einzigen Zärtlichkeiten wurden, fühlte es sich nach dem perfekten Tag an.

      SAMSTAG, 9:45 UHR
      LINDÖ DALEN STUTERI

      Nach einem gemeinsamen Frühstück trennten sich die Wege wieder. Ein weiteres Treffen wurde nicht vereinbart, was mir einen kleinen Stich versetzte, aber ich musste der Realität ins Auge sehen. Ich war für unbestimmte Zeit seine Ablenkung und nur ein Spielzeug, Forderungen jeglicher Art musste ich zurückziehen und hinunterschlucken.
      Am Hof stand Duschen auf dem Plan. Doch schon auf dem Weg erinnerte mich eine freundliche Nachricht an einen Termin.
      „Hallo Vriska, wir freuen uns schon. Passt die gegen 12 Uhr? Liebe Grüße, Alexa“, schrieb sie. Auf dem Bildschirm starrend, lief ich zur Hütte.
      „Hallo, ja passt. Bis später“, antwortete ich nur und steckte das Handy weg. Die rote Batterie am Bildschirmrand versuchte mir schon seit einer Weile zu signalisieren, dass es Zeit war, dem Gerät keinerlei Beachtung zu schenken.
      „Guten Morgen“, trällerte Lina mir mit bester Laune entgegen, als ihr Weg sie zufällig, oder wohl eher gezielt, zu mir führte.
      „Du hast am Fenster gewartet oder steckt ein Schäferhund in dir?“, kicherte ich beiläufig, aber hielt bei ihr an. Offenbar bewirkte Niklas Wunder oder es waren die weiteren Freiberger in dem Gastpferdestall, die sie am frühen Morgen in Samu-Laune versetzte. Vermutlich war es von allem etwas, während meine Stimmung eher gedrückt auf meinen Schultern lag, was ich mit Höflichkeit bewusst überspielte.
      „Vielleicht ein wenig von beidem“, grinste sie und probierte, nicht einmal ihre Wissbegier zu verbergen, „Wie war dein Ausflug?“
      “Aufschlussreich, denke ich. Du bist offenbar mein Freund. Ansonsten ziemlich eintönig, aber solange er mich bei sich haben möchte, werde ich da sein”, erklärte ich meine Motivation. Vielmehr gab es nicht zu erzählen, außer es interessierte sie, wie viele Biere er trinken konnte, ohne einen Kater zu haben.
      „Cool, ich wusste gar nicht, dass ich zwei Beziehungen führe“, sprach sie erheitert, „Nicht spektakulär, aber entspanntes beisammen sein hat ja auch etwas Schönes.“
      “Das stimmt natürlich”, verschwieg ich alle weiteren Umstände. Bevor ich wieder in mein Loch aus Selbstmitleid versank, verabschiedeten wir uns für den Moment voneinander, denn ihre Pferde hallten durchs Stallgebäude. Das Wiehern könnte auch von Shaker oder Nobelium stammen, so sicher konnte man sich bei dem Geschrei der Hengste nie sein.
      In der Hütte sprang ich unter die Dusche und schnappte mir frische Kleidung. Wie mittlerweile jeden Tag, zog ich keine Reithose mehr an, nur noch Arbeitshosen, denn die meisten Stunden verbrachte ich auf dem Sulky. Seitdem die ersten Jungpferde drei und vier Jahre alt wurden, war es Zeit, sie für die Rennen oder den Verkauf als Reitpferd vorzubereiten. Selbst Zweijährige mussten schon an den Sulky, obwohl Tyrell all die Jahre zuvor versuchte, das System zu umgehen. Ihm gefielen die zu jungen Tiere im Rennen nicht, zu gestresst, vollkommen verrückt.
      Die meisten Jungtiere präsentieren bereits im Training den nötigen Rennwillen und Leistung. Nur wenige Ausnahmen gab es, doch diese waren bereits in neues Zuhause gezogen. Dennoch war jedes Pferd verkäuflich, wie es sich so gehörte, hatte Lars mir an einem Abend erklärt. Nickend nahm ich Tatsache hin, aber hoffte darauf, dass Tyrell Northumbria nur über meine Leiche abgeben würde. Die Interessenten gab es, aber von ernsthaften Angeboten hörte ich bisher nichts – besser so!
      Mit der Kapuze über den Kopf gezogen und den Händen in der Kängurutasche, lief ich zum Stall hinüber. Neugierig stellte Eifel ihre Ohren auf, als ich an der Box vorbeikam und die braune Stute mit den kleinen Abzeichen am Kopf begutachtete. Sowohl auf der Stirn als auch der Nase zeichnete sich eine beinah gleichmäßige Raute ab. Da sie bei Lars im Training stand, fuhr nur er die hübsche Stute. Einzig in die Führanlage durfte ich sie bisher begleiten.
      „Ach, sieht man unseren Topseller auch mal wieder?“, begrüßte mich besagter Herr.
      „Als hätten wir einander gestern nicht angetroffen“, scherzte ich und strich Eifel liebevoll über die Nase. Ihre Lippe bewegte sich interessiert mit.
      „Dennoch habe ich dich bei mir vermisst“, gab er offen zu, „Aber man munkelt, dass du bei Basti warst.“
      „Möglich“, blieb ich verhalten.
      „Auch, wenn mir der Gedanke noch immer nicht gefällt, freue ich mich für dich“, sprach Lars gutmütig, „worauf ich hinaus möchte: Eichi hat sich von ihrer Ankunft gut erholt. Wärst du bereit, dich um sie zu kümmern und zu fahren?“
      Mit weit aufgerissenen Augen sah ich über das Brillengestell hinweg zu ihm hinauf. Obwohl ich nur unklar seine Gesichtszüge erkannt, entzifferte ich Freude darin, die ich auf das Überraschungsmoment schob. Die zehnjährige Stute hatte ihre Rennkarriere zu großen Teilen hinter sich, würde damit ein gutes Pferd für mich sein, weitere Erfahrungen zu sammeln. Ich musste gar nicht lange darüber nachdenken. Wenn Happy nun wegfallen würde, wäre Platz für ein anderes Pferd.
      „Sehr gern“, nahm ich das Angebot dankend an.
      „Perfekt, du hast alle Freiheiten“, erklärte er. „Wie sieht es aus, hast du noch Zeit für eine lockere Runde durch den Wald?“
      „Eine nur?“, gab ich belustigt zurück.
      „Du weißt genau, was ich meine“, wies er darauf hin, dass er ein Jogg fahren wollte, dem ich mir natürlich bewusst war.
      Ich führte meinen neuen Trainingspartner aus der Box. Erst beäugte mich die Stute, schnupperte an der Jackentasche und folgte dann. Mit Ruhe putzte ich das nervöse Pferd über. Sie zitterte am ganzen Körper und wackelte mit der Unterlippe, alles andere als starke Nerven. Wenn sie einen Schritt nach vorn setzte, schob ich sie zurück. Ihr Erinnerungsvermögen sprach für den Namen, den sie trug – Eichkatze. Es fühlte sich an, wie ein unendliches Spiel, kaum setzte sie den Huf zurück und ich kreiste mit der Bürste weiter das Fell, versuchte sie erneut auf Position zurückzukehren.
      „Wusstest du, dass das Stütchen Zweite wurde im Stutenvorlauf?“, fragte Lars und luckte am Balken vorbei zu mir.
      „Welche? Eifel und Eichi?“, holte ich mir genauere Informationen ein.
      „Der plüschige Fuchs, der mich schief anschielt“, legte Lars besonders viel Wert darauf, dass sie nur noch Augen für ihn hatte.
      „Aber warum nur im Vorlauf? Was wurde aus dem Finale geworden?“, hackte ich mürrisch nach.
      „Beim Start gesprungen, das erste und einzige Mal“, zuckte Lars mit den Schultern, „seitdem ging sie von einem Trainer zum nächsten.“
      „Kann ich nicht nachvollziehen, soll das arme Pferd doch in Sportrente gehen. Gibt bestimmt jemanden, der gut mit ihr klarkommt“, sprach nachdenklich und zurrte den Gurt fest. Als würde sie mir zustimmen, wippte sie mit dem Kopf und gähnte.
      „Zumindest im Training ist sie motiviert“, führte er an, aber in seiner Stimme hörte ich Zustimmung meines Vorschlags heraus.
      Auch im Wald unterhielten wir uns weiter darüber, weshalb die Stute im Sport nichts mehr zu suchen hatte. Natürlich kamen wir dabei auch auf Eifel, die ebenfalls schon älter war und Verschleißerscheinungen, wie es in jedem Sport gang und gäbe war, zeigte. Die Aufwärmphase dauerte beinah doppelt so lange, wie die unserer Jungpferde, auch beim Abfahren zählte jede weitere Minute. Sie schwitzte zu stark, schaumig und im Wetterwechsel lahmte Eifel sogar. Heute, an einem eher kühlen Frühlingstag, schwitzten die Stuten schon nach zwanzig Minuten Schritt. Dabei hatten wir noch nicht einmal die Arbeitsphase begonnen. Gegen Wind und eine Erkältung trugen beide eine Nierendecke. Zumindest sollte diese das Schlimmste verhindern.
      Gedanklich bei Happy, aber konzentriert auf den Fuchs vor mir, fuhr ich durch den Sand. Die Pferde hatten wir in den Trab umgestellt und drehten Runde, um Runde. Zwischendurch blickte ich auf den kleinen Monitor vor mir, der zwar voll mit Matsch war, aber die Werte der Stute noch erkennbar. Was auf den meisten Trainingshöfen monatliches Monitoring war, gehörte bei uns zum Alltag. Jedes Pferd hatte am Gurt einen Pulsmesser installiert, der den Herzschlag und die Geschwindigkeit maß und wir konnten diesen Live sehen. Für ihr Alter schlug sich Eichi gut, entgegen ihrer Trainingspartnerin, die zu schnell in ungesunde Frequenzen kam. Lars bremste sie ab und daraus resultierte, dass wir ihn umrundeten.
      „Ich fahre zurück“, sagte er und bremste in den Schritt ab. An Eifels Augen kam das weiß hervor, auch ihre Nüstern pulsierten.
      „Mach‘ das, wir kommen nach“, erklärte ich nachdenklich und legte einen kurzen Sprint ein. Schnaubend kam der Fuchs Tempo. Ihre Hufe trommelten durch den tiefen Sand. Unter mir rasselte der Sulky und die Umgebung verschwamm im Augenwinkel. Gerade, als wir auf Hochtouren kamen, bremste sie aus heiterem Himmel ab, scheute und ich konnte mich am Gestell festhalten. Mit einem Satz sprang Eichi zur Seite. Mir stockte der Atem, aber wir standen und ich saß noch. Direkt stieg ich ab, um mir selbst mit der gefährlichen Situation klar zu werden. Die Stute atmete aus, wie ein Drachen und suchte nach einem anderen Ungeheuer im Busch. Ich sah nichts, hörte nur lautes Rascheln. Was uns beiden das Leben hätte kosten können, blieb im Verborgenen und auch, als wir im Schritt ganz langsam dem Geläuf folgten, trafen wir es nicht erneut.
      Am Hof angekommen, erzählte ich sofort Lars davon, der mich nur skeptisch anschaute.
      „Eichi ist nicht schreckhaft, so gar nicht“, erklärte er ungläubig und klopfte der Stute den verschwitzten Hals. Wieder zitterte sie.
      „Da habt ihr aber ein hübsches Modell am Wagen“, kam ein mehr oder weniger bekanntes Gesicht angelaufen. Abermals zuckte ich zusammen, noch nicht ganz erholt von dem Schock. Es war Bastis Bruder Henne, der, gefolgt von seiner Frau und Zwillingen, die Stute bewunderte.
      „Ja, aber die steht nicht zum Verkauf“, wandte sich Lars ihm zu und begrüßte ihn mit einem beinah brüderlichen Handschlag.
      „Du weißt so gut wie ich, dass jedes Pferd verkäuflich ist“, scherzte dieser.
      „Deswegen sind wir aber nicht hier“, mahnte Alexa, die mich freundlich anlächelte.
      „Schauen kostet doch nichts“, neckte er. Spielerisch rollte sie mit den Augen.
      Ich führte Eichkatze zum Anbinder, während Lars sich mit unserem Besuch beschäftigte. Erst nahm ich den Sulky ab, dann jedes Teil vom Rücken und der Beine. Gleichzeitig genoss sie die verdiente Portion Futter, bevor es zum Duschen, Inhalieren und Trocknen unter das Rotlicht ging. Das betreute mein Kollege, denn Alexa konnte es gar nicht erwarten, Happy auch in der Halle kennenzulernen. Leider hatte ich es aufgrund der Umstände nicht mehr geschafft, ihn zu reiten.
      Ungewiss darüber, welche Laune der großgewachsene Fuchs hatte, führte seine fast Besitzerin ihn aus der Box. Nur für einen Moment legte er die Ohren an. Beim Putzen und Satteln kam sie gut ohne mich klar, was ihr Mann natürlich nutzte, um mich auszufragen.
      „Wie viel soll der Spaß uns hier kosten?“, fragte er mit gezogener Braue. Die beiden Kinder saßen auf der Bank und spielten mit Autos.
      „Welcher Spaß? Happy?“, Henne nickte, „fünfhundertfünfzig tausend Kronen.“ Es war der Anfangspreis und um hundertfünfzigtausend durfte ich lockern.
      „Nun gut“, sagte er, „sollte passen, wenn er das Niveau laufen kann.“
      Gerade als ich ihm sagen wollte, dass der Fuchs in der Lage dazu ist, aber aktuell nicht trainiert, hielt mich Lars mit bohrenden Blicken auf. Er spürte, was ich zu sagen versuchte. Dem Pferdeverkauf ging ich bisher gekonnt aus dem Weg, so veranstaltete ich den letzten mit Lina zusammen, die gekonnt an die Situation heranging. Manchmal beneidete ich sie wirklich für ihre Neutralität.
      „Mein Bruder erzählte vorhin, dass der Fuchs bereits ein Turnier mit dir lief“, führte Henne an.
      „Das stimmt. Seit geraumer Zeit ist er bei mir im Beritt und entwickelt sich stetig weiter“, fügte ich hinzu.
      „Gut, wärst du bereit, das weiterzumachen? So, ein- bis zweimal die Woche?“, fragte er. Darüber musste ich nicht nachdenken, schließlich war dies auch eine der Voraussetzungen, über die Nour Alexa bereits informierte.
      „Beritt? Natürlich. Die ersten zwei Wochen wären ohnehin im gemeinsamen Austausch, dass Alexa ihn besser kennenlernt und ich im Namen der Besitzerin gewährleisten kann, dass er klar im Kopf bleibt“, erklärte ich ausführlich. Zwischendrin nickte Henne.
      „Vriska? Wir sind so weit“, trällerte Alexa freudig erregt. Ich wandte mich von ihrem Ehemann ab und lief vor, um ihr den Weg zur Reithalle zu zeigen. Der Fuchs trat interessiert hinterher, als wüsste er genau, worum es ging.
      Das Probereiten in der Halle begann schwierig. Happy ließ sie nicht aufsteigen, sodass ich ohne Helm mich in den Sattel setzte und zunächst einige Runden im Schritt und Trab einlegte. Genervt schlug er mit dem Kopf, drückte sich wie so oft in die Zügel, um seinen Willen zu bekommen. Zeit zum Ausdiskutieren war nur begrenzt. Mit vielen Paraden bekam ich ihn an die Hand, um nun die Interessentin reiten lassen zu können. Ich hielt ihm am Gebiss und sie stieg auf. Bereits nach einer Runde herrschte diese gewisse Verbindung zwischen den beiden und ich konnte mich entspannt zurücklehnen.
      „Gehst du mit Noby ausreiten oder soll ich ihn bewegen?“, fragte Nour von der Seite und kam mit Blesa gerade aus dem Training. Die kaltblütige Stute pumpte ebenso wie die anderen Pferde.
      „Kann ich machen, wenn du dafür mit Piri fährst“, verhandelte ich.
      „Du willst doch nur nicht mit Lars auf die Bahn“, grinste sie von sich überzeugt, aber stimmte schließlich zu. Er war weniger der Grund für Unwilligkeit, eher die zickige erdfarbene Stute. Wir verstanden uns nie wirklich. Ihre sensible Ader und meine Ungeduld trafen auf einen scheinbar unlösbaren Konflikt, den ich nur schwer zu lösen wusste. Da die Vierjährige aber täglich gefahren wurde, meistens locker für die Ausdauer, musste jeder mal ran.
      „Ist Noby der Braune, in der zweiten Box?“, fragte Henne aus heiterem Himmel.
      „Ja, wieso?“
      „Der stand doch noch vor einer Weile in Malmö und lief dort Monté mit Caro“, musterte er von der Tribüne das Pferd, dessen Kopf interessiert auf der Box lag. Ich konnte der Unterhaltung nur schwerfällig folgen. Der Grund seiner Fragen erschloss sich nicht aus den Fetzen, außerdem war ich mit einem Auge bei dem Fuchs, der fleißig unter Alexa lief.
      „Das ist richtig, aber da wir nun mehr Trainer haben, können wir das Geld sparen“, erklärte ich.
      „Henne, was habe ich zum Thema Pferdekauf gesagt?“, tadelte sie ihren Mann, der sich wieder gerade hinsetzte und zu ihr sah.
      „Ist doch gut, ich frage doch nur“, rollte er mit den Augen und blieb schließlich am Fuchs kleben. Eine Weile ritt Alexa diesen noch, bis sie schließlich abstieg und in der Stallgasse absattelte. Das Geschehen selbst beobachtete ich aus gewisser Ferne. Schwere lag weiterhin auf meinen Schultern, das Gefühl mich einer Aufgabe anzunehmen, der ich nicht gewachsen war. Woher dieses Empfinden kam, wusste ich nicht und selbst, wenn ich mit jemandem sprechen würde, klang es nach wirren Worten. Ein Teil würde wohl von meinem Vergessen kommen, Dinge, die nur um meinen Geburtstag herum aufkamen.
      „Also, wir reden noch am Renntag“, lächelte Alexa beim Gehen. Ich stimmte freundlich zu, obwohl meine Augenlider immer schwerer wurden und ich nicht genau einschätzen konnte, wie lange ich noch wach bleiben konnte. Die beiden schienen zu wissen, was der Grund dafür war, aber lächelten nur. Aus dem Gebrabbel beim Gehen entnahm ich jedoch, dass die gestrige Begeisterung über Basti und mich umgeschlagen war. Weiteres werde ich wohl noch früher erfahren, als es mir lieb war.
      Lina
      In einem flotten Schritt lief der Hengst über den Sand, der gezeichnet von hellen Sonnenstrahlen, gemustert erschien, wie die schuppige Haut einer Schlange. Die sanften Wellen seiner Mähne, die als letzte Spuren von dem Turnier geblieben waren, wogen sanft im Takt der Bewegung. Rambi hatte mich am Donnerstag wirklich überrascht, hatte ich sein Training im Vorhinein nie mitverfolgen können. So erwartete ich, dass er die Flausen, die er unter dem Sattel zeigte, ebenso vor der Kutsche zeigte, doch es kam ganz anders. Kaum hatte Sam begonnen, das ordentlich geputzt Geschirr auf seinem Rücken zu befestigen, wurde der Freiberger zum reinsten Lämmchen. Artig stand er still, interessierte sich kein Stück mehr für die Stuten, die an ihm vorbeiliefen. Mir war fast so, als habe Sam ein anderes Pferd vor der Kutsche. Ausdrucksstark rollte das Gespann über den Sand und vollführt die geforderten Lektionen in Präzision. Es sah leicht aus, wie ein Kinderspiel. Dennoch konnte ich die Performance nicht genießen. Aufgekratzt von meinem eigenen Auftritt und dem ungewöhnlichen Verhalten meines Hengstes, war ich in ständiger Erwartung, dass der Braune losspringen könnte, zuckte bei jeder unerwarteten Bewegung zusammen und krallte mich panikartig an den Arm meines Freundes. Entgegen den katastrophalen Bildern, die mein Unterbewusstsein heraufzubeschwören suchte, bleib Rambi artig. Mit Leichtigkeit gelang es Sam und dem erfahrenen Hengst, die Konkurrenz in dem mittelschweren Wettbewerb zu schlagen, womit auch er eine blau-gelbe Schleife mit nach Hause trug.
      Abrupt kam der Hengst zu stehen und brachte mich für einige Sekunden aus dem Gleichgewicht, als besagte junge Dame fröhlich grinsend am Zaun auftauchte.
      „Oh, du bist bereits fleißig“, begrüßte sie mich, während Rambi neugierig die Nase nach ihrem Kaffeebecher ausstreckte.
      „Natürlich, hast du mal auf dir Uhr geschaut?“, lachte ich, „Die ersten beiden stehen schon wieder glücklich im Stall.“ Wie es den Anschein machte, hatte Mateo seine Schwester schlafen lassen, sodass sie erst jetzt den Weg in den Stall fand. Logisch, wenn man nur zwei Pferde zu versorgen hatte, konnte der Morgen auch gemütlich starten.
      “Ach ja, ist doch noch früh. Kaffee?”, bot sie mir ihre Tasse an. Ich schüttelte ablehnend den Kopf. Wie konnten alle nur dieses Gebräu mögen? Rambi, der noch immer sehr interessiert an dem Porzellan war, steckte kurzerhand die Zunge hinein.
      “Ey, das ist meiner”, beschwerte sich die Blondine und zog dem Pferd die Tasse weg. Irritiert von dem Geschmack auf seiner Zunge, wippte der Hengst mit dem Kopf, streckte die Zunge wiederholte Male aus und schüttelte sich.
      “Offenbar findet er Kaffee genauso doof wie ich”, schmunzelte.
      “Ich weiß nicht, was dein Problem ist, dieser Kaffee ist ganz wundervoll”, entgegnete sie und nahm einen demonstrativen Schluck. Angewidert verzog ich das Gesicht. Lecker, Gebräu mit Pferdesabberzusatz.
      “Na, dann genieße du mal das da, ich mache dann mal weiter”, sprach ich und drückte Rambi sanft die Waden in die Flanken. Gehorsam setzte sich der Freiberger in Bewegung und ich begann ihn zu arbeiten. Das Pferd strotze heute vor Energie, welche es allerdings lieber dafür einsetzte, den vorbeigehenden Stuten schöne Augen zu machen, anstatt das zu tun, was ich von ihm wollte. Die Einheit gestaltete sich zäh und mühsam, was den Machtkämpfen geschuldet war, die Rambi auszufechten versuchte. So bemüht darum, die Oberhand zu behalten, merkte ich nicht, wie Niklas sich am Zaun dazu gesellte, bemerkte ihn erst, als ich den Hengst dort anhielt.
      „Der fordert dich ja ganz schön heraus, hatte ich gar nicht gedacht“, stellte die Blondine fest, die den Hengst bisher immer nur kurz unter dem Sattel sah.
      „Ja, Rambi kann ein echter Sturkopf sein. Du hattest wohl das Glück, die wohlerzogene Hälfte zu erwerben“, lächelte ich. Das Tier, welches nur wenig erschöpft schien, reichte seinen Hals zu Niklas hinüber und knabberte zart am Saum seines Sweaters. Halbherzig rettete er den Stoff vor den Zähnen und kraulte ihm die helle Stirn.
      „Wer sagt denn, dass das meine Hälfte ist?", lachte sie, „Habe ich eben deinem Freund schon gesagt, ich finde, du schlägst dich wirklich gut. Mache nur weiter so, dann ist er unter dem Sattel bald genauso brav.“ Entspannt hatte der Hengst die Augen halb geschlossen und genoss die Massage, die sich mittlerweile bis auf seine Ohren ausweitete. Kein Wunder, diese Finger konnten wahre Wunder bewirken, wenn sie in kleinen Kreisen über müde Muskeln glitten.
      „Danke“, entgegnete ich bescheiden. Bis heute war sie mir ein Rätsel. Bei ihrem Bruder war mir mehr als deutlich, woher die ständige Freundlichkeit rührte, aber bei Sam … außer der Liebe zu derselben Rasse konnte ich bisher nicht herausfinden, was uns verbinden würde und auch ihre ständige gute Laune, war schon beinahe Samu ähnlich. Die Schweizerin wirkte stetig, als wandle sie bereits seit einem Jahrhundert auf dieser Erde und habe längst alles gesehen und dennoch wusste ich kaum etwas über sie und ihren Bruder. Kaum hörte Niki auf den Hengst zu streicheln, öffnete sich die Augen und er stupste ihn fordernd an, das Wellness Programm fortzusetzen.
      „Sieht aus, als sei dir noch jemand verfallen", lächelnd ich und strich dem Hengst durch die lange Mähne. Wieder stieß das Pferd gegen seinen Arm.
      „Ich bin zweifellos unwiderstehlich”, sprach er von seiner Anziehung überzeugt und präsentierte sich wie ein balzender Pfau.
      “Glaubst auch nur du”, schmunzelte ich und funkelte ihn neckisch an. Freundlicherweise öffnete Samantha das Tor, sodass ich es passieren konnte. Ich glitt aus dem Sattel und schob den Steigbügel hoch. Als ich unter dem Hals des Hengstes hindurchtauchte und dieses dort zu wiederholen, war Niklas bereits zur Stelle und lockerte auch gleich den Gurt.
      “Wenn ich so unattraktiv für dich bin, muss ich mir wohl jemand anderen suchen, der mit mir ausreitet. Samantha, hast du Lust?” funkelte er mich dabei herausfordernd an.
      “Sam hat sicher ganz viel zu tun”, intervenierte ich, bevor sie überhaupt eine Chance hatte zu antworten. Ein leichtes Ziehen in der Magengegend schrie danach und beanspruchte augenblicklich diesen Platz nicht der attraktiven Blondine zu überlassen. Auf den Lippen meines Freundes ließ sich ein zufriedenes Schmunzeln erkennen. Er wusste genau, welche Knöpfe er drücken musste, die gewünschten Antworten zu erhalten. In der Ferne ertönte das Knirschen des Kieses unter Autoreifen, bevor das Motorsurren verstummte.
      “Geh du mal mit deiner Freundin ausreiten”, lehnte Sam ab und schielte unauffällig zum Parkplatz, der allerdings zu verborgen lag, als dass man das wirklich etwas dort hätte beobachten können. Wen sie wohl erwartete?
      “Sieht so aus als müsste ich wohl dich mitnehmen”, flüsterte er mir neckisch ins Ohr. Sein warmer Atem strich über die Wange und brachte meine Haut zum Kribbeln, als würde eine Ameisenstraße darüber kriechen.
      “Du bist ziemlich frech”, schmunzelte ich und blickte zu ihm hoch. Im hellen Sonnenlicht erschienen seine Augen in nahezu markloses Blau. Verschmitzt grinste, er streichelte mit seinem Daumen zärtlich meine Wange. In einer zarten Begegnung trafen unsere Lippen aufeinander und sendete kleine Schauer meinen Rücken hinunter.
      “Ich nehme das Pferd dann mal mit in den Stall”, grinste Samantha und griff nach Rambis Zügeln. Mit einem leichten Zupfen daran setzte sie den braunen in Bewegung. Der dunkle Schweif pendelte locker hin und her und trottete artig neben ihr her.
      “Da sollten wir wohl auch hin”, sprach ich sanft und löste mich beschwerlich von meinem Freund. Niklas gab mir einen letzten Kuss auf die Stirn, bevor wir Sam folgten. Smoothie reckte ihren Kopf aus der Box und blubberte leise, als sie ihren Besitzer erblickte, der sie sogleich freundlich begrüßte.
      “Lass dir Zeit, ich gehe erst Sam mit Rambi helfen”, drückte ich ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor Smooth ihn völlig vereinnahmte. Er nickte und betrat die Box der hibbeligen Stute.
      Am Putzplatz war die Blondine schon fast damit fertig unser gemeinsames Pferd abzusatteln, sodass ich gleich sein Futter holte. In der Plastikschüssel landete eine Schippe Kraftfutter mit einem kleinen Zusatz an Mineralstoffen, da Rambi sich ein wenig mäkelig beim anstehend Fellwechsel zeigte. Gierig steckte der Hengst die Nase in die Schüssel und begann sein Futter zu verschlingen. Während wir dem Hengst zusahen, fragte Samantha mich über Mola aus. Mateo musste ihr erzählt haben, dass ich das junge Rennpferd in Ausbildung hatte, was sie zu verwundern schien, konnte sie keine Berührungspunkte zwischen mir und den Trabrennen entdecken. Der Hengst schob die leere Schüssel vor sich her im Versuch, auch noch die letzten Krümmel zu erlangen. Ich nahm den Strick vom Haken und hängte ihn an. Die Schweizerin begleitete uns ein Stück, bis uns ungefähr auf der Hälfte des Wegs ihr Bruder begegnete, von dem sie etwas zu wollen schien.
      Rambi verschwand schnell in der Herde und brachte diese so gleich in Schwung, als zwei jüngere Tiere ihn nicht schnell genug den Weg räumten. Für den Ausritt holte ich mir Brownie vom Paddock. Ich kannte den Hengst bisher nur flüchtig, doch bereits in der Herde wirkte er freundlich. Kaum hatte ich samt Pferd das Tor zur Stallgasse betreten, ertönte eine melodische Tonfolge aus meiner Tasche. Interessiert beschnupperte Brownie das Gerät, dessen Bildschirm ich verwundert anblickte. Eine mir unbekannte Nummer mit kanadischer Vorwahl leuchte auf dem Display. Welcher Unbekannte kontaktiert mich denn aus Kanada, zumal es dort noch mitten in der Nacht sein dürfte. Erwartungsvoll wischte ich über den Bildschirm und das Gespräch anzunehmen.
      "Liiinaaa, gut, dass du dran geht's", quietschte eine Frauenstimme aufgeregt aus den Lautsprechern. Zweifelsfrei war es eine meiner ehemaligen Kolleginnen.
      “Hey, Quinn”, sprach ich freundlich, während ich mit der freien Hand versuchte, die Anbindestricke an seinem Halfter zu befestigen, “Wie geht es dir?”
      “Wundervoll”, tönte es viel zu fröhlich für die Uhrzeit aus dem Gerät. Danach folgte ein zusammenhangloser Vortrag über die neusten Ereignisse auf dem WHC, wovon ich nahezu nichts verstand. Brownie anzubinden hätte sich als ziemlich erfolglos herausgestellt, hätte Niklas dies nicht kurzerhand übernommen.
      “Sag mal Lina, du wohnst doch noch in Schweden?”, schien meine ehemalige Kollegin zu dem eigentlichen Grund ihres Anrufs zu kommen.
      “Ja”, frage ich ein wenig misstrauisch, während ich begann, dem Hengst das schokoladenbraune Fell zu bürsten. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass Quinn ohne Hintergedanken so seltsam fragen würde.
      „Perfekt, dann kannst du uns sicher ein paar sehenswerte Orte empfehlen“, trällerte sie fröhlich. Warte, wer war denn uns und warum wollte Quinn nach Schweden kommen.
      „Du weißt aber schon, dass Schweden nicht nur ein Dorf ist? Du müsstest schon eine genauere Ortsangabe machen“, wies ich sie hin und überlegte sogleich. Ich selbst könnte nur wenig dazu beitragen. In der gesamten Zeit kam ich nur wenig vom Hof und kannte kaum mehr als das nähere Umland und einige wenige nette Ecken von Kalmar, die mir Niklas zeigte. Allerdings lebten ausreichend Menschen an diesem Ort, die dieses Land deutlich besser kennen sollten.
      „Ähm, ja warte kurz“, entgegnete sie. Im Hintergrund hörte ich sie mit jemandem reden, dem Klang nach eindeutig männlich. Ob sie einen Freund hatte? Weswegen würde sie sonst so früh morgens bereits einen Mann bei sich haben?
      „Kalmar“, verkündete sie froh gesinnt, „Raphael und ich kommen zu dem großen Springturnier. Na ja, und wenn wir schon mal da sind, wollten wir uns ein wenig umsehen.“ Der Name kam mir im Zusammenhang mit Springen seltsam bekannt vor, doch woher? Aus der Zeitung vielleicht?
      „Okay, da sollte sich etwas finden lassen, aber ich muss jetzt Schluss machen. Mein Freund wartet“, lenkte ich das Gespräch zum Ende hin, als Besagter mit dem Sattel begann.
      „Prima und viel Spaß euch zwei. Schreibst du mir dann einfach deine Empfehlungen?“, stellte sie eine Rückfrage. Ich nickte, bis mir erst eine Sekunde später auffiel, dass sie es nicht durch das Telefon sehen konnte.
      “Ja, ich schreibe dir nach der Arbeit”, bestätigte ich Hilfsbereich und beendete damit das Telefonat. Smoothie war schon nahezu fertig gesattelt und kratzte ungeduldig mit den Eisen über den Beton. Mit einem leichten Patscher gegen die Schulter, des Schimmels unterband Niki das Verhalten.
      “Gehe ich wohl mal einen Sattel suchen”, grinste ich voller Vorfreude auf den bevorstehenden Ritt und lief in die Sattelkammer, um in der gigantischen Auswahl an Equipment hoffentlich etwas Passendes für den Trakehner zu finden.

      AM ABEND
      Vriska
      „Der hat mich einfach den Sand gesetzt“, erzählte ich wild gestikulierend von meinem kleinen Ausflug in den Wald mit Nobelium. Vermutlich sah der Hengst dasselbe Gespenst wie Eichi am Tag zuvor. Aufgebracht sprang er zur Seite, nur rechnete ich damit nicht und verlor das Gleichgewicht.
      „Aber es ist doch noch alles an dir dran, jetzt rege dich nicht so auf“, versuchte Lars mir mit guten Worten zuzureden. Immer wieder sah er sich um, als würde jemanden suchen oder gar entkommen.
      „Das Gespenst scheint dich nun heimzusuchen“, scherzte ich, aber verzog verärgert das Gesicht. „Ist doch schon gut. Du musst das nicht an mir auslassen.“
      „Alles gut“, lachte er inzwischen und legte freundschaftlich die Hände auf meinen Schultern ab. Dabei drückte Lars leicht in die Muskulatur, als wolle er mich massieren, was zugegebenermaßen im Gehen ziemlich schwierig erschien. „Bleibst du heute eigentlich zuhause oder verschwindest du zu deinem Schwarm?“
      Ich seufzte.
      „Du wirst mich heute ertragen müssen. Es kam bis jetzt keine Antwort, obwohl er die Nachricht gelesen hat, vor Stunden schon“, erläuterte ich niedergeschlagen.
      „Der meldet sich sicher noch“, blieb er zuversichtlich.
      Vor der Hütte klopften wir die Schuhe ab, zogen sie aus und stellten sie auf der Matte innen drin ab. Zunächst drehte Lars die Heizung etwas höher und ich entledigte mich der dicken Jacke. Obwohl der Frühling Einzug behalt, wehte ein klirrend kalter Wind, den man besonders auf dem Weg von der Reithalle zum Häuschen zu spüren bekam. Immerhin konnte man hier in Socken herumlaufen und Shirt. Nacheinander besuchten wir das Bad und zogen uns um, wie jeden Tag, außer einer hatte Weidedienst. Heute waren Nour und Bruno an der Reihe, also konnten wir den Feierabend genießen.
      Nichtsahnend stand ich in der Küche und schnitt Gemüse für das Abendessen klein. Lars erzählte gerade von Ini, die aktuelle noch auf einem anderen Hof trainiert wurde, als es an der Tür Sturm klingelte. Überrascht sahen wir einander an, da öffnete er diese bereits. Zu einem Hallo kam es nicht, stattdessen kam die junge Dame mit kräftigem Körperbau auf mich zu und blickte mich mit erbostem Gesichtsausdruck an. Obwohl ich sie bisher nur einmal gesehen hatte, wirkte Nelly plötzlich so viel größer. Lockere Strähnen fielen in ihr Gesicht, die sie mit den Fingerspitzen hinters Ohr schob.
      „Was fällt dir eigentlich ein?“, keifte sie mit weinerlicher Stimme. Bevor ich überhaupt antworten durfte, klatschte ihre Handfläche auf meine Wange und ich schluckte. Starr vor Angst blickte ich zu Lars, der unseren Besuch bereits von mir wegschob. Wie eine geweckte Katze zerrte sie und versuchte wieder zu mir zu kommen, doch er hielt sie auf.
      „Nelly, Reiß dich zusammen“, versuchte Lars sie zu beruhigen, aber sie hörte ihm nicht zu.
      „Ich bringe sie um“, zeterte sie. Ich schüttelte mich. Obwohl die Handgreiflichkeiten deutlich einen Schritt zu weit gingen, konnte mein Hirn die Umstände nicht einordnen. Durfte ihr Kerl keine weiblichen Freunde haben, wenn man die Situation im Stall ausklammerte? Den pulsierenden Herzschlag spürte ich bis in den Hals, aber drehte mich unbeeindruckt um und schnitt das Gemüse weiter.
      „Warum sagst du nichts?“, provozierte die junge Dame weiter.
      „Merkst du eigentlich noch was?“, stand auf einmal Niklas in der Tür, der offenbar vom Nachbarhaus davon mitbekam. Schlagartig verstummte sie und Lars ließ sie los.
      „Das Flittchen hat sich an meinen Freund herangemacht und mit ihm geschlafen. Was denkst du denn?“, jammerte sie. Ich verdrehte nur die Augen, wollte nicht weiter böses Blut entfachen.
      „Und sagt nicht mal etwas“, fügte Nelly im selben Ton hinzu.
      „Ich weiß nicht, woher du das hast, aber meines Wissens haben die beiden nur im selben Raum geschlafen“, mischte sich nun Lars ein. Interessant, wie schnell eine solche Kleinigkeit seine Runde machte.
      „Trotzdem steht sie auf ihn“, blieb sie ihrem Punkt treu.
      „Und was gehen dich ihre Gefühle an? Letztlich gehören für mehr, zwei Leute dazu. Du solltest lieber mit deinem Kerl argumentieren und nicht mit ihr. Erst recht nicht so“, appellierte Niklas argwöhnisch.
      Als wäre ich taub, widmete ich mich weiter dem Abendessen, obwohl meine Finger zitterten, wie ein Aal und jeder Atemzug in der Brust bebten. Der Sauerstoffmangel machte sich schnell bemerkbar, aber ich versuchte, die Enge zu verdrängen.
      Als sie endlich verschwand, mit Niklas, legte Lars sofort seine Arme um mich und ich begann wie ein Schlosshund zu heulen. Dennoch entging mich nicht, dass er den beiden bis zum letzten Moment nachsah.
      Es war mir zu viel, dass alles, was um mich herum geschah, passierte zu schnell und überschlug sich. Ich hatte die Kontrolle verloren und war kurz davor, alles hinzuwerfen. Keinen Grund fand ich, dass weiterhin zu ertragen. Nun, wo auch Happy praktisch vermittelt war in ein perfektes Zuhause, fehlte mir ehrlich gesagt eine Aufgabe. Rennen waren großartig, aber zu erreichen gab es nichts. Sie fühlten sich beinah, wie die Islandpferde Turniere an, nur dass es um ziemlich viel Geld ging. Doch von Geld hatte ich grundsätzlich genug, auch wenn ich immer mehr an die Tierheime in Griechenland spendete, um das Zeug loszuwerden.
      Schluchzend löste ich mich von den kräftigen Schultern meines Kollegen und drehte mich zum Schneidebrett um. Noch eine Paprikaschote musste ich schneiden, dann konnte alles in den Ofen. Aber während ich versuchte, die Gesamtsituation zu verdrängen, spürte ich Lars‘ Hände langsam an meiner Silhouette herunterwandern. Sein Becken drückte er sanft an mich heran und legte den Kopf auf der Schulter ab.
      „Was wird denn das, wenn es fertig ist?“, fragte ich grinsend nach, obwohl ich überhaupt nicht in der Stimmung war für seine Spielchen.
      „Ich habe dich vermisst“, sprach er mit federleichten Worten, die ohne Nachhall an mir vorbeizogen. Sosehr er auch versuchte durch zarte Bewegungen und Worte, mich in mehr zu verwickeln, gelang es ihm nicht. Mir stand das Wasser bis zum Hals, der Hunger war vergangenen und am liebsten würde ich den Renntag absagen, aber das konnte ich nicht. Es war beinah so, als würde ich all mein Glück herausfordern wollen, denn ich hoffte weiterhin auf Basti.
      Seufzend setzte ich mich auf die Couch, als das Gemüse im Ofen war. Lars legte seinen Arm um mich und ich lehnte an seiner Schulter. Auf dem Bildschirm des Fernsehers flimmerte ein Film, bei dem ich die Hälfte bereits verpasst hatte. Gefangen in meinen Gedanken, starrte ich zwar zu diesem, aber durchlebte das Klatschen und ihre Worte immer wieder und wieder.
      Auch später im Bett, als Lars mich davon überzeugen konnte, nicht allein mit meinen Gedanken zu sein, drehte ich mich von der einen Seite zur anderen. Ich wusste, dass es auf kurz oder lang schwieriger werden würde, aber schon jetzt in Nellys Fadenkreuz zu sein, schüchterte mich ungemein an.
      „Ich muss ihm schreiben“, murmelte ich unüberlegt und griff zum Handy. Lars, von dem ich dachte, er würde bereits schlafen, fasste meinen Arm.
      „Vivi, egal, was sie getan hat, was er gerade erlebt, ist ebenso dramatisch“, seufzte er und zog mich an sich heran.
      „Dann muss ich erst recht, für ihn da sein“, sprach ich meinen Gedanken aus.
      „Warte ab, wenn er dich braucht, meldet er sich“, rede Lars auf mich ein, dass ich schließlich den Plan ruhen ließ. Nicht, dass die Überlegung weiterhin durch meinen Kopf geisterte, aber diese umzusetzen, zog ich zurück.
      Ich starrte hoch zur Decke. An den Wangen flossen abermals Tränen. Kurz schlief ein, um durch einen realistischen Alptraum aufzuschrecken. Tief zog ich die kühle Luft in meine Lungen. An den Fenstern wehten die Vorhänge und ein zartes Licht vom Stall schien hinein. Die Uhr auf dem Nachttisch zeichnete zwei Uhr vierzig ab.
      „Kannst du nicht schlafen?“, richtete Lars sich auf, mit verschlafener Stimme.
      „Ich hatte einen Alptraum“, erklärte ich. Anstelle mich wieder an ihn zu kuscheln und seine Sicherheit zu spüren, warf ich die Decke zur Seite. Die nackten Füße setzte ich auf den kalten Boden, die mich umgehend noch weiter in die Realität holten.
      „Wo willst du hin?“, fragte er, das Licht dabei erleuchtend.
      „Weiß nicht, den Kopf frei bekommen“, legte ich meine Unentschlossenheit offen. Kaum hatte ich mich ins Wohnzimmer bewegt und mir vom Jackenhalter eine übergeworfen, hörte ich Lars‘ Stimme aus dem Schlafzimmer:
      > Väckte jag dig?
      „Habe ich dich geweckt?“
      Möglichst unauffällig versuchte ich dem Gespräch zu folgen, selbst wenn es nur sehr einseitig an mich herankam.
      > Ja, det kan man säga. Är han med dig?
      „Ja, kann man so sagen. Ist er bei dir?“, fragte Lars in sein Telefon und baute Blickkontakt zu mir auf. Natürlich bemerkt er meine Neugier. Undeutlich wedelte er mit seiner Hand. Entweder ich sollte gehen oder zu ihm kommen.
      > Okej. Det tror jag också.
      „Okay. Das denke ich auch“, nickte er dann.
      > Jag försöker. Natt.
      „Ich versuche es. Nacht“, beendete er das Gespräch und legte das Handy zur Seite.
      Erwartungsvoll blickte ich zu ihm, aber in den leicht glasigen Augen und dem beinah leeren Gesichtsausdruck erkannt ich, dass es keine guten Nachrichten gab. Ohne weitere Fragen zu stellen, drehte ich mich weg, setzte die Kapuze auf und verschwand durch die Balkontür. Noch mehr schien mein Leben bedeutungslos und alles verloren. Von Anfang an war mir klar, dass ich meinem Hirngespinst hinterherrannte und in seinen Taten zu viel legte. Es gab kein uns. Vor mir lag eine dunkle Zukunft, die durch die ebenso finstere Vergangenheit immer mehr aufgesogen wurde. Wie konnte ich mir nur einbilden, dass ich endlich das Richtige oder besser gesagt, den Richtigen gefunden hatte?
      In der eiskalten Nacht stand ich abseits der Hütte, den Kopf leicht ins Genick gelegt und starrte hinauf zum Sternenhimmel. Es war eine klare Nacht. Keine einzige Wolke versperrte den Blick auf die Bilder, die sich zeichnen ließen. Als ich jung war, versuchte meine Mutter mir immer wieder zu erklären, was man dort oben entdecken konnte, aber bis heute sah ich nichts. Die leuchtenden Punkte schenkten mir dennoch einen Hauch von Hoffnung und Vertrauen. Tränen lagen mir weiterhin in den Augen, was ich für den Moment mit mir selbst akzeptierte. Nicht jede Situation konnte man kontrollieren oder gar für sich gewinnen. Diese Schlacht war verloren.
      Ich hatte mich auf einer der Bänke niedergelassen, die ich bis dato als unnötig erachtete, als sich Schritte auf dem gefrorenen Kies ankündigten. Langsam öffnete ich die Augen und sah zur Richtung, aus der sie kamen. Entgegen meinen Erwartungen war es Niklas, den es zu so später Stunde noch nach draußen trieb.
      „Was machst du hier?“, fragte er überrascht und setzte sich zu mir.
      „Dasselbe könnte ich dich auch fragen“, lächelte ich wohlgesonnen.
      „Ich schlafe schlecht“, seufzte er, deutlich verhalten. In den kurzen, aber innigen Blicken spürte ich, dass er darüber sprechen wollte, aber meine Reaktion abwartete. Im Magen drehte es sich, was ich am liebsten auf den Restalkohol darin schieben wollte, aber viel mehr war es Niklas. Seine reine Anwesenheit im Abendlicht unter dem herrlichen Sternenhimmel befeuerte Wünsche und Sehnsüchte.
      Ich schluckte, ohne meine Augen von ihm zu lösen. Schief grinste er mich an.
      „Du hast getrunken, oder?“, neckte er.
      „Ja“, murmelte ich und griff nach seinem Arm, um mich eng daran zu winden. „Aber warum schläfst du schlecht?“
      „Es läuft aktuell nicht. Bino macht keine Fortschritte, Form hat ihre Höhen und Tiefen und für Smoothie fehlt mir im Moment die Geduld. Deshalb gibt es Tage, an denen nur den Hengst bewege und für die anderen beiden keine Kraft mehr habe“, sprach Niklas in sich gekehrt.
      „Drei Pferde auf hohes Niveau sind wirklich eine erstaunliche Leistung“, sagte ich anerkennend.
      „Eben drum. Ich konnte nicht ahnen, dass Smoothie wieder auf Turnieren laufen kann“, vorsichtig huschten seine Augen zu mir. Noch immer hing ich an ihm, als wäre ein gefährliches Tier im Busch versteckt und könnte sich jede Sekunde zeigen. Auf seinen Lippen zeichneten sich ein zartes Lächeln und er strich mir über die Kapuze.
      „Was sagt Lina dazu?“, hakte ich nach, denn ich wusste kaum etwas über seine Umstände. Sie sollte ihm eine größere Hilfe sein können.
      „Sie weiß es nicht und hatte auch nicht vor, mit ihr darüber zu sprechen“, in seiner Stimme klang deutlich Scham mit. Wer hätte das nur denken können – der selbstüberzeugte Niklas Olofsson hat Angst, sich Schwäche einzugestehen. Für einen Atemzug zuckte ein schelmisches Lächeln auf meinen Lippen.
      „Eigentlich möchtest du doch Vielseitigkeit reiten, da wäre doch Form eher nebensächlich“, gab ich ihm einen Anstoß, die Pferde zu überdenken.
      „Das stimmt“, hauchte er kleinlaut.
      „Dann wäre es sinnvoll, wenn du sie nur zum Spaß reitest oder gar jemanden zur Verfügung stellst“, erklärte ich weiter.
      „Ach, möchte da jemand meinen Rappen haben?“, scherzte Niklas und legte seine Hand ganz langsam auf meinem Bein ab. Den Blick fixierte er für einen Augenblick zu lang an mir, sodass in Windeseile das Verlangen nach ihm, aus dem hintersten Kämmerchen meines Hirns, angekrochen kam. Wie ein Parasit hielt sich dieses Gefühl in mir fest.
      „Eigentlich nicht, aber wenn du es mir anbietest“, flüsterte ich verführerisch.
      „Das musst du mir erst einmal beweisen“, schmunzelte er. Bisher schien es mir fast unmöglich, dass die erloschene Magie zwischen uns wieder aufflammte. Die Hand auf meinem Bein wanderte bewusst auf und ab, sodass mir für den Bruchteil einer Sekunde das Atmen schwerfiel. Bedrohlich klopfte es bis in meinen Hals und ich meine, sogar sein Herz synchron zu dem meinen zu spüren.
      „Dass ich reiten kann, weißt du doch“, stammelte ich überfordert, wissend, dass die Stimmung zu kippen drohte.
      „Zeiten ändern sich und aus der Übung bist du auch, sagt man sich“, nahm er kein Blatt vor den Mund.
      Abrupt kam der Flirt zum Ende, als aus der Dunkelheit erneut Schritte ertönten. Ich löste mich von seinem Arm, wodurch er die Hand von mir nahm. Jegliche Magie erlosch wieder, was mich einerseits positiv stimmte, andererseits deprimierte.
      „Hier steckst du“, sprach Lars beim Näherkommen leicht außer Atem. „Ich war wirklich überall.“
      „Offenbar nicht überall“, grinste ich.
      „Was macht ihr beide hier?“, fragte Lars, ohne auf meine Antwort einzugehen.
      „Wir haben über Gott und die Welt gesprochen. Wie es nun mal ist, wenn man nicht schlafen kann“, klärte Niklas auf.
      „Es ist halb vier. Und vor allem du, Vivi, sollst besser wieder versuchen zu schlafen“, appellierte mein Mitbewohner, dem ich widerstandslos in wärmere Gefilde folgte.

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  • Zuchtname: Hending
    Rufname: Hena, Dingsi

    Aus der: Unbekannt
    Mutter: Unbekannt Vater: Unbekannt
    Den: Unbekannt
    Mutter: Unbekannt Vater: Unbekannt
    ____________________________________

    Geschlecht: Stute
    Rasse: (Mini) Tinker
    Geburtsdatum: April 2010
    Farbe: Palominoschecke
    Abzeichen: Scheckungsbedingt (Kopf und Beine)
    Stockmaß: 128 cm

    Charakter:
    unmotiviert, müde, abwesend, trittsicher, ignorant, erzogen, freundlich, höflich
    ____________________________________

    [​IMG]

    Gencode: ee Aa nCr ToTo
    Zuchtzulassung: Nein
    Gesamtnote: -
    Nachkommen: -

    [Schleife]
    Prüfung
    ____________________________________

    Dressur: A / A
    Springen: E / E
    Military: -
    Fahren: A / L
    Rennen: -
    Gangreiten: -
    Western: -
    Distanz: -

    Gänge: 3

    August 2022
    Dressurfahren, Fahren E zu A

    ____________________________________

    Besitzer: Mohikanerin
    Zucht: Unbekannt, Deutschland
    VKR: Mohikanerin
    Ersteller: Mohikanerin
    Punkte: 02
    ____________________________________


    Spind // Hintergrund
    Reiter {Kiel}