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Wolfszeit

Henade* [0]

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Henade* [0]
Wolfszeit, 10 Jan. 2022
Zion, Bracelet, Stelli und 2 anderen gefällt das.
    • Wolfszeit
      Dressur E zu A | September 2021

      Henade// May Bee Happy// Hending

      Wie im jeden Jahr begann ich bereits nach der Auktion die nächste zu planen. Viele Besucher kamen jährlich zu uns und erkundigten sich regelmäßig, ob wir neue Tiere da hätten. Dennoch versuchten wir unsere Rettungsaktionen kleinzuhalten und vor allem in einem gesunden Maße. Wir sahen uns nicht als die Retter, die kranke Pferde vor der Schlachtung retteten, sondern viel mehr, noch hoffnungsvollen Tieren eine zweite Chance zu geben.
      In der vergangenen Woche kam der Transporter aus Ostdeutschland mit mehr als zwanzig Tieren, die wir für die Auktion am Ende des Jahres vorbereiten wollten. Ich hatte es sogar geschafft einzurichten, dass Bieter über das Internet mitmachen konnten. Mit stolzer Brust lief ich durch den eigens eingerichteten Stalltrakt und betrachtete die teilweise ruhigen Tier in ihren Boxen. Viele von ihren waren in einem schlechten Zustand, so auch Hending. Die zehnjährige Stute hatte vollkommen verfilzte Mähne und rollte bei jedem Schritt. Schuld daran war nicht nur das deutliche Übergewicht, sondern auch die ziemlich kurzen Beine und die fehlende Motivation sich auf der Weide zu bewegen. Doch ehrlich gesagt, würde es auch mir schwerfallen etwas, mit derartig vielem Fettgewebe auf den Rippen, zu tun. Etwas weiter stand Happy, ein Deutsches Sportpferd, dass in meinen Augen keinen Grund hatte beim Schlachter zu sein. Der Hengst hatte weder Auffälligkeiten bei der tierärztlichen Untersuchung noch rein optisch. Ja, am Körper trug er einige Verletzungen, die jedoch auf Tritte von anderen Tieren zurückzuführen sind, aber sonst gab es keine Anzeichen. Über seine Abstammung fand ich heraus, dass er ziemlich vielversprechend beim Springreiten sein könnte, aber auch in der Dressur seinen Weg finden könnten. Und zu guter Letzt konnte man auch Henade, liebevoll Hanni genannt, von meiner neunjährigen Tochter, die schon durch ihre Fellfarbe ein Hingucker im Stall war. Auf ihrem reinweißen Fell thronten braune Tupfer und Flecken, dazu treue Augen und helle Wimpern. Besonders sie wurde zum Liebling auf dem ganzen Hof.
      Femke, meine Tochter, schnappte sich am Morgen direkt Hanni und sattelte sie, während ich mich Happy widmete, der vor Energie strotzte und in der Nacht beinah die Box auseinander nahm. Seine Ohren zuckten aufmerksam, als ich mich langsam nährte und zur Begrüßung meine Hand hinhielt. Neugierig beschnupperte er sie, beobachtete jeden meiner Schritte und hielt nicht viel davon, sich den Strick am Halfter befestigen zu lassen. Sanftmütig sprach ich auf ihn ein, ermutigte Happy dazu, von selbst zu kommen und sich öffnete. Die Zeit verging und Femke verschwand bereits mit der gesattelten Stute Richtung Halle, doch ich stand an der Boxentür und beobachtete den nervösen Hengst. Nervös war der falsche Ausdruck für ihn. Er interessierte sich nur kurz für mich und drehte sich dann mit seinem Kopf in die linke Ecke.
      „Zu dir kommt er also auch nicht?“, lachte Noah, einer unserer Mitarbeiter. Er war hauptsächlich für handwerkliche Arbeiten am Hof zuständig, aber brachte häufig die Pferde am Morgen hinaus auf die Weide.
      „Nein, leider vertraut er niemanden“, sagte ich und hoffte doch noch eine Reaktion von dem Fuchs zu erhaschen, doch seine großen Ohren hingen regungslos zur Seite und er starte zum Holz.
      „Morgen vielleicht noch mal?“, schlug Noah vor.
      Ich nickte.
      Somit nahm ich mit als Nächstes unseren zu klein geratenen Tinker vor, der auf keinen Fall die prächtige Mähne verlieren sollte. Auf einige Zentimeter könnte Hena verzichten, aber mehr wollte ich hier nehmen. Sie kam direkt freundlich vor zur Box und folgte mir am Strick in die Gasse. Zuerst holte ich einen Eimer mit Wasser, um erst mal alles gründlich einzuweichen und elastischer zu machen. Schon nach den ersten Versuchen mit einer Bürste wurden die Knoten kleiner und einige Strähnen schafften es heraus. Zwischen den einwandfreien Dreadlocks fand ich viele kleine vertrocknete Kletten und anderes aus der Natur. Im trocknen Zustand wurden es immer mehr befreite Strähnen.
      „Maaaaaaama“, hörte ich meine Tochter durch die Gasse schreien.
      „Was ist denn los?“, machte ich meinen Hals lang und suchte den Blickkontakt zu Femke.
      „Ich konnte Hanni heute aus dem Schritt angaloppierten“, erzählte sie stolz von der heutigen Dressurstunde.
      „Hervorragend“, murmelte ich und fummelte an der Mähne weiter. Munter plapperte sie weiter über das getupfte Pferd. Ich spürte bereits jetzt, dass es nicht leicht werden würde, wenn jemand die zuverlässige Stute kaufen würde. Femke würde mir noch Wochen danach in den Ohren hängen, dass sie Hanni unbedingt haben wollten würde. Sie besaß aber bereits zwei Pferde, zwei Welsh Partbred Wallache, die aktiv in der Dressur und im Springen liefen. Monatlich gab ich ein Haufen Geld aus, um sie und ihre Ponys vorzubereiten.
      „Kaum zu glauben, dass dieses Pferd wieder ansehnlich ist“, kam Noah durch den Stall und bewunderte die Hendings Mähne. Ich hatte gerade einige Zöpfe gemacht, damit ich mir diese Arbeit kein zweites Mal machen müsste. Für heute ertrugen wir alle genug und ich entschied für den Tag Feierabend zu machen.
      Woche um Woche verging, in denen ich mich immer weiter dem Fuchs Hengst nähren durfte, bis er eines Tages, von selbst, einige Schritte auf mich zu machte und mich mit seiner Oberlippe am Bein berührte. Ich versuchte meine Freude kleinzuhalten, um ihn nicht noch mehr einzuschüchtern. Stattdessen legte ich meine Hand auf seinen Nasenrücken. Happy zuckte zurück, aber schnaubte dann ab. Für einen Augenblick drang ich zu ihm durch, bis er wieder zurückwich und seine Ecke bewunderte. Immerhin einen kleinen Erfolg verzeichneten wir.
      Hena holte ich vom Paddock herunter, auf dem sie mit zwei Welsh Stuten stand und Hanni. Die Palomino Stute kam freundlich zum Zaun gelaufen und zupfte an meinem Shirt herum. Ich führte sie hinunter. Reiten konnte ich den Zwerg nicht mit meinen eins zweiundsiebzig, aber auch seinen Sattel für sie zu finden, gestaltete sich, als schwieriger als wir vermuteten. Deswegen startete heute die erste Einheit an der Hand, nach dem sie vorher nur die Führanlage kennenlernen durfte. In meiner Vorstellung hatte die Fellkugel bereits einige an Pfunde verloren, aber ohne eine Waage war es schwer zu beurteilen.
      Im Schritt longierte ich die Stute viele Minuten und auch im Arbeitstrab. Auch, wenn Trab ziemlich weit gegriffen war. Hena musste für jeden einzelnen Tritt getrieben werden mit einem hohen Maß an Energie. Das Knallen der Peitsche verursachte nicht einmal ein Zucken ihrer Ohren, oder gar einem Augenzwinkern. Stur lief sie gefolgt an der Longe, zerrte daran, um die Biegung zu vergrößern. Mit ihr könnte es noch schwieriger werden.
      Hanni hatte heute Pause, denn die letzten zwei Tage hatte ich das Dressurtraining mit der Freiberger Stute fortgesetzt. Die Durchlässigkeit wurde besser. Ihre Tritte setzten zunehmend mehr unter und sie verstand in der Volte die Hinterbeine auf der Linie zu behalten, ohne zur Seite wegzutreten. Am rechten Schenkel bog sich Hanni besser und bekam die Idee sich zu lösen. Viele Verspannungen saßen in ihrer Schulter und dem Rippenbogen, die demnächst ein Osteopath anschauen möchte. Auch für Happy sollte er kommen, den noch immer kam er keinen Schritt heraus aus der Box. Mittlerweile tat der Hengst mir leid. Seit seiner Ankunft hatte er nur bedingt Tageslicht gesehen, denn auf Druck reagierte er mit Gegenwehr. Er trat gezielt nach dem Menschen.
      Das Pummelchen hatte wirklich Gewicht verloren, ganze fünfzig Kilogramm hatte Hending auf der Strecke gelassen und sogar mehr als eine Runde im Trab durchgezogen auf dem Zirkel. Femke saß bereits auf ihr, auch wenn es viel mehr nach einem Sandsack aussah, denn jegliche Bemühungen eine Hilfe auszuführen, ließ die Stute kalt. Noch immer stur lief sie voraus und zog an der Longe. Das einzige Pferd der drei, das wirklich ersichtliche Fortschritte machte, war Henade. Obwohl die Seitengänge eine fortgeschrittene Lektion darstellten und einen gewissen Grad der Versammlung benötigten, half es der Stute sich mehr zu stellen, Verspannungen zu lösen und mehr Schwung in die Arbeit zu haben. Die Stute war motivierte und mochte es zu gefallen, umso mehr Spaß brachte mit ihr in der Halle zu sein, sofern kein anderes Pferd dort war. Sonst legte sie ihre Ohren, schlug nervös mit dem Schweif und trat auch gern mal nach dem anderen Tier. Zur Vorbereitung arbeiteten wir am Schultervor, um die Koordination zu fördern. Ihre Durchlässigkeit wurde zuverlässiger und auch das Problem, dass sie ihren Kopf durch Genick warf, verbesserte sich. Allerdings fiel Hanni noch auf mehr als vier Schritten über die äußere Schulter heraus oder wurde zu eilig.
      Happy blieb unser Problemkind. Ich hatte eine Bindung zu ihm aufbauen dürfen, somit konnte er für einige Stunden auf die Weide und stand ansonsten auf einem einzelnen Paddock neben den Jungpferden. Seine Beine schlotterten und die Muskeln am ganzen Körper zitterten. Aktuell standen noch Tests aus, ob es Shivering sein könnte, aber bisher hoffte ich das Beste. Über Quellen im Internet fand ich sogar heraus, dass der Hengst schon auf M-Klasse gesprungen wurde, ziemlich erfolgreich, und auch die eine oder andere L-Dressur. Dort wehrte er sich stets gegen seinen Reiter, wirkte sehr unzufrieden. Die Videos auf dem Abreiteplatz eröffneten mir weitere schlimme Bilder. Am Schlaufenzügel wurde Happy eng geführt in der Versammlung im Trab. Erst im nächsten Augenblick wurde mir klar, dass einen sechsjährigen in der M zu springen, nicht so gut für die Gelenke war. Vermutlich erklärte alles das sein Verhalten.
      Hending war nach drei Monaten so weit an der Hand zuverlässig zu arbeiten, natürlich musste man noch immer viel Energie in die einzelnen Lektionen stecken, aber die Durchlässigkeit wurde angenehmer. Schwung hatte sie überhaupt keinen, aber darauf legte ich auch noch kein Wert. Stattdessen versuchte ich die Stute weiterhin in der Losgelassenheit zu fördern und tagtäglich machten wir kleine Fortschritte. Zufrieden blickte ich am Abend vom Schlafzimmer aus über das ganze Gestüt und war stolz darauf wieder so viele wundervolle Pferde für den Herbst vorzubereiten.

      © Mohikanerin // Carola Ampft // 10.132 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Frühling 2020}
    • Mohikanerin
      Dressur A zu L | 28. Februar 2022

      May Bee Happy // Henade // Tasmania

      Bis zur Auktion würden noch Zeit ins Lad gehen, doch Happy zeigte weiterhin als Wrack. Weit davon entfernt, was seine bisherige Karriere über ihn aussagte. Mit einer starken Narkose sorgten wir dafür, dass der Fuchs niemanden mehr in der Box treten würde und brachten ihn auf den Paddock heraus. Von da an stand er mit einer dicken Decke bei jeder Witterung draußen, auch als es langsam kühler wurde. Ich versuchte alles, um dem Hengst zu zeigen, dass er mir vertrauen konnte. Doch, er es schien, als wollte er es nicht. Unglaublicherweise gab es diesen einen Tag, aber ich beginne am Anfang.
      Femke hatte am Vormittag die erste Einheit auf Hanni, dir mittlerweile immer besser auf den Schenkel reagierte und an den Zügel herantrat. Ihre Tragkraft der schweren Stute war unermesslich, wodurch wir mit dem Schwung begannen. Zu Beginn arbeitete ich meistens mit dem Freiberger an der Hand, bevor sich meine Tochter in den Sattel setzte und mit punktgenauen Übergängen vorsetzte. Je mehr Energie in die Bewegung kam, umso besser setzte das Pferd die Idee vom Schwung um. Parallel arbeiteten wir an der Versammlung, die auch ihren Teil dazu beitrugen, mehr Aktion zu bekommen. Zur selben Zeit kam ein Berittpferd aus Kanada, Tasmania. Die Stute würde nur für weitere Umschulung bei uns sein.
      Noah brachte wie jeden Morgen die Pferde hinaus auf den Paddock, doch schlug einen anderen Weg ein. Normalerweise wurden alle Tiere durch den Haupteingang über den gepflasterten Weg auf ihren Freigang gebracht. Aber im Herbst, besonders so nah an der Küste, gab es Frost. Vor dem Stall hatte nach dem tagelangen Regen eine Pfütze gebildet, die zu einem großen Eisfeld verwandelte — unmöglich für die Pferde. Deswegen öffneten wir den Nebeneingang, der bei Happy entlang führte. Kaum erblickte der große Fuchs Noah, drehte er ihm den Po zu, schlug abgeneigt mit dem Schweif und legte die Ohren ins Genick. Kam ein Pferd ihm zu nah, schnappe dieser. Nur bei einem der Tiere schien Happy wie ausgewechselt. Ich hatte Hending am Halfter, die mit aufmerksamem Blick mir nach trabte und auch der Größe geschuldet, wie ein Hund daher ging. Kaum bemerkte er das Pony, kam er näher an den Zaun, streckte den Hals mit aufgestellten Ohren hinüber. Leise brummte der Hengst, wodurch auch Hending sich zu ihm streckte und Kontakt aufnahm. Es wirkte so als hätten wir das erste Pferd gefunden, dass er nicht umgehend verscheuchte. Ich versuchte verschiedenes aus, so folgte der Hengst dem Zaun so lange, wie das Pony neben ihm war und begriff nicht einmal, dass ich seinen Hals berührte. Darauf bauten wir in den nächsten Wochen auf. Innerhalb kürzester Zeit konnten wir Happy führen, putzen und satteln, sofern Hending bei ihm war. Auch longieren in der Halle funktionierte.
      Parallel zu Henade in der Halle, die meine Tochter noch immer als “das beste Pferd der Welt” deklarierte, schulte ich Tasmania um, die schnell den Weg vom Anfänger-Niveau zur leichten Klasse schaffte. Ihr fehlte es an Selbsthaltung, wie es in der Dressur gefordert war und streckte stattdessen unaufgefordert den Kopf zum Boden. Die halben Paraden verwirrten sie, aber langsam bekamen wir es in den Griff. Zur selben Zeit kam auch in kleinen Schritten der Hengst aus seiner Bubble heraus, sodass ich Noah, der normalerweise nicht auf Pferden saß, durch die Halle führte. Natürlich mit Hending im Schlepptau.

      © Mohikanerin // Carola Ampft // 3360 Zeichen
      zeitliche Einordnung {August 2020}
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    • Mohikanerin
      Pflegetag | 21. März 2022

      Hending // May Bee Happy // Henade

      Im Angesichts der kommenden Gäste rückte die Vorbereitung näher. Die Zimmer waren größtenteils einzugsbereit, aber meine Tochter hatte Ferien, wodurch für sie die Reinigung des gesamten Zubehör anstand. Ich hatte am Morgen die Pferde Hending und Henade zur Weide gebracht, nur Happy musste auf seinem Paddock bleiben. Das Training mit ihm lief aktuell wieder rückständig. Hengsti parkte, verweigerte und biss, auch, wenn seine neue Freundin dabei war. Es gab wohl Ärger im Paradies. Mit meiner Tochter konnte ich klären, dass Hanni nicht bleiben konnte. Der eine und andere Abend brachten Diskussionen aus, aber die Situation beruhigte sich. Am Telefon hatte mir Tyrell schon mitgeteilt, wer vorbeikommen würde und wir alle freuten uns bereits auf den Besuch.

      © Mohikanerin // Carola Ampft // 760 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Oktober 2020}
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    • Mohikanerin
      Dressur L zu M | 14. April 2022

      Henade / May Bee Happy / Delorya / BOS Gracy

      “Der muss wirklich einen Liebhaber finden”, überlegte ich laut vor Happys Box.
      “Oder Deckhengst werden, seine Leistungen waren bisher ziemlich gut und die Abstammung ist auch ziemlich cool”, sagte Michael, mein Mann. Man fand ihn nur noch selten in den Ställen. Meistens war er mit dem Nachwuchs auf Turnieren unterwegs und gab Unterricht in der Reithalle.
      “Er tut mir schon leid.” Ich nahm das Halfter von Haken und sofort drehte sich der Hengst wieder weg. Zuvor hatte er am Heu gezupft, das vor uns lag. “Mir gehen auch langsam die Ideen aus.”
      “Kann ich verstehen”, stimmte er mir zu und legte den Arm um meine Schulter, “aber das kommt vor, schließlich war er nicht grundlos beim Schlachter.”
      “Das stimmt. Schau doch nur Henade an, die ist tadellos”, sagte ich. Unsere Tochter sattelte mal wieder die hübsche Stute, die geduldig in den Stricken hing und beinah einschlief.
      “Ich werde dann Gracy fertig machen”, wechselte Michael das Thema.
      “Ach schön, die hellbraune Berittstute? Die läuft so schön”; schwärmte ich. Er nickte.
      Happy hatte sich wieder dem Heu gewidmet. Nachdem der Fuchshengst das Interesse an der Mini-Tinkerstute nicht mehr so offen bekundet hatte, fanden wir keinen Weg, ihn in die Reithalle zu führen, oder auf den Platz. Im Raum stand noch das Gelände, aber niemand zeigte sich irre genug, um das mit ihm zu bestreiten.
      “Mama, kommst du?”, sagte Femke. Ich nickte und lief vor zum Reitplatz. Nach dem Regen vor Wochen war alles gut abgetrocknet und da mein Mann ohnehin die Halle besetzte, wollte ich dort nicht stören.
      Schwerfällig setzte sich die Freiberger Stute in Bewegung, noch immer Müde von dem gestrigen Training. Ich saß ausnahmsweise mal auf ihr, hatte die fliegenden Galoppwechsel etwas besser ausgebaut, am Schenkel und an den Seitengängen gefeilt. Für ein schweres Warmblut zeigte sich Henade als sehr geschickt im Umgang mit ihren Beinen. Je länger man mit ihr arbeitete, umso mehr Schwung kam und die Hufe setzten leichtfüßig in den Sand. So auch heute. Runde für Runde wurde Hanni wacher, konzentrierte sich auf die Hilfen meiner Tochter. Zwischendurch kämpfte sich die Sonne durch die dicke Wolkenfront und dabei glitzerte das Stirnband so schön. Ich stand am Zaun, korrigierte ihren Sitz und erklärte mehrmals die Hilfen am Bein für die Seitengänge. Femke selbst war noch nicht so weit, aber mit meiner Vorarbeit schaffte sie es, die ersten Abfolgen einer mittleren Dressur zu reiten. Absatteln und auf den Paddock bringen, schaffte meine Tochter allein. Wieder stand ich ratlos vor Happys Box.
      “Der macht dir aber wirklich zu schaffen”, kam Noah dazu, der gerade mit Ray, einem Oldenburger Hengst, aus der Halle kam. Er hatte wohl mit Michael zusammen die Seitengänge trainiert. Die ungestüme Art des Braunen sorgte dafür, dass er nicht immer ganz bei der Sache war, imponierte den Stuten und zickte andere Hengste an.
      “Ja, er ist ein Häufchen Elend”, seufzte ich.
      “Du lässt das viel zu sehr an dich heran. Es ist ein Pferd und kein Kind”, sagte er trocken, womit er recht hatte. Happy löste in mir so etwas wie einen weiteren Kinderwunsch aus. Mit Michael hatte ich es noch einige Male versucht ein Geschwisterchen für Femke zu bekommen, aber die Ärzte waren ratlos. Aus medizinischer Sicht kam es keine Gründe dafür.
      “Dann willst du ihn vielleicht mal in der Halle arbeiten?”, schlug ich vor.
      “Ungern, der mag Männer noch weniger”, erklärte Noah. Auch das hatte ich schon bemerkt.
      “Und was ist, wenn ich das mache?”, kam Femke dazu. Hanni stand wieder auf ihrem Paddock bei Hending.
      “Auf keinen Fall”, erboste ich mich. “Es ist lieb gemeint, aber das ist zu gefährlich.”
      Noch einige Zeit diskutierten wir, was mit dem Hengst geschehen sollte, bis Noah auf die Idee kam, einfach zu warten, bis die Mädels aus Schweden kamen. Eine von ihnen sollte bestimmt in der Lage sein, das Tier zwischen den richtigen Verkaufspferden zu reiten.
      Am Abendtisch kam das Thema erneut auf. Michael berichtete, wie gut die beiden Oldenburger im Training waren. Zuversichtlich wirkte er, dass sie bis zum Ende des Monats die erste schwere M-Dressur laufen konnten, die er ohnehin mit einer anderen Reitschülerin anfahren wollte.
      “Darf ich auch mit?”, fragte Femke mit funkelnden Augen.

      © Mohikanerin // Carola Ampft // 4228 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Oktober 2020}
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    • Wolfszeit
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      Notversorgung| 12. Mai 2022
      Vor einigen Minuten hatte Carola Apmft hatte angerufen. Eines ihrer Pferde hatte sich im Training verletz und lahmte nun stark. Glücklicherweise war ich ohnehin gerade in der Nähe, so konnte ich mir den Fall sofort ansehen.
      Auf der Stallgasse angekommen, sah ich das Übel bereits. Einige Blutstropfen bildeten eine Spur bis zu dem Unglücksraben. Ich kannte das Pferd bereits. Es war Henade, eines der glücklichen Tiere, welches im Rahmen der jährlichen Auktion vor dem Abdecker gerettet wurde.
      “Ah, perfekt, da sind sie ja schon”, wurde ich von Henades Besitzerin empfangen. Ihre Tochter, die die Stute offenbar geritten war, entfernte gerade noch die Bandagen von den hellen Beinen der Stute.
      “Hanni hat sich während des Trainings vorne links das Eisen runter getreten und blutet jetzt”, erläuterte sie. Besagte Verletzung war kaum zu übersehen, der helle Huf des Freiberger war ziemlich blutig.
      “Dann wollen wir uns das mal ansehen”, sagte ich und griff ein paar Latex Handschuhe aus meinem Behandlungskoffer. Typisch Stute, legte Henade erst einmal die Ohren an und zog unwillig die Nüstern hoch. Sanft hob ich das Bein der Stute an, nahm die Wunder näher in Augenschein. Der Cut am Ballen war tief und klaffte weit auseinander. Immerhin war das Ballensaumband nicht verletzt worden, so bestand nicht die Gefahr, dass die Hufkapsel in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das abgetretene Eisen, schien hingegen keinerlei Verletzung hinterlassen zu haben, denn es waren keinerlei Einblutungen in dem hellen Horn zu erkennen.
      “Das müssen wir definitiv nähen”, schloss ich mein Urteil und stellte den Huf zurück auf den Boden, “Aber das sollte dann gut verheilen.”
      Aus meinem Koffer suchte ich ein Lokalanästhetikum und zog es in eine Spritze auf. Da die Stute ruhige Gemütes war, sollte es ausreichend sein, den Huf zu betäuben.
      “Am besten lenken sie jetzt ein wenig ab, es wird kurz piksen”, wies ich Carola und ihre Tochter an. Während Femke ein Leckerli in die Schnauze der Schecking steckte, setzte ich gezielt die Spritze. Als die Wirkung eintrat, reinigte ich die Wunde, desinfizierte sie und rasierte die Haare darum herum weg, damit ich besser sehen konnte, was ich tat. Mit sechs Stichen war die Wunde verschlossen. Zum Schutz vor einer Entzündung versah ich den Huf noch mit einem Verband.
      “Also die Wunde ist jetzt zunächst versorgt und ich denke, dass sie gut heilen wird. Wichtig ist, dass der Huf jetzt erst mal nicht viel belastet wird, damit die Wundränder Zeit haben zusammen zu wachsen. Das heißt, die nächsten zwei Wochen sollte sie nur Schritt gehen und dann sehe ich mir das noch einmal an. Der Verband kann in drei Tagen ab, dann sollte es so weit sein, dass sie sich nicht entzünden kann. Damit Henade die nächsten Tage nicht schief rumläuft, werde ich das andere Eisen gleich auch noch abnehmen, die kann der Schmied nächste Woche dann gerne wieder darauf machen”, fasste ich die Diagnose zusammen.
      “Und was ist mit dem Lahmen?”, fragte Femke. In der Art wie sie mit dem Tier umging, merkte man, wie sehr sie mit der Stute sympathisierte.
      “Da kommt von der Verletzung, weil der Bereich der Ballen ziemlich empfindlich ist. Das sollte in den nächsten Tagen besser werden. Wenn nicht, dann ruft noch einmal an”, beantwortete ich ihre Nachfrage. Für die nächsten zwei Tage händigte ich Carola Schmerzmittel und Antibiotika für die Stute aus, danach sollte es ihr kaum noch schmerzen, sofern es sich nicht entzündete. Im Anschluss packte ich meine Sachen wieder zusammen , denn in der Klinik warteten bereits die nächsten Patienten auf mich.

      © Wolfszeit | Dr. David Vogt | 3.550 Zeichen
      zeitliche Einordnung {November 2020}
    • Wolfszeit
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      Hufbearbeitung| 20. Mai 2022
      Nach dem Henade ihre Prüfung nicht antreten konnte, sollte zumindest für das zweite Mal Beschlag an den Huf. Die Stute stand gelassen in der Stallgasse und bemühte sich, nicht einzuschlafen. Aktuell unbeschlagen, schnitt ich die Hufwand und raspelte unebene Stellen weg. Nach dem die Hufe fertig waren, begann ich mit dem Beschlag. Ein Eisen nach am anderen legte ich an und schlug sie im Fahrzeug zurecht, bis sie an den Huf passten. Im Vorführen lief sie rein und konnte damit zurück.

      © Mohikanerin | 635 Zeichen
      zeitliche Einordnung {November 2020}
    • Wolfszeit
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      kapitel tjugosechs | 29. August 2022

      Moonwalker LDS / Northumbria / Glimsy / Pay My Netflix / Millennial LDS / Schneesturm / Maxou / Henade

      Vriska
      Bereits Ende Januar wurde der Schnee von einem Dauerregen abgelöst, der die Fahrt auf dem Sulky undenkbar ekelig machte. Trotzdem überwand ich mich. Durch den Frost hatten sich tiefe Furchen in den Sand legt und verursachten damit eine reine Schlammschlacht. Walker, der sonst hell den Stall erleuchtete, konnte erst nach einer verdienten körperwarmen Dusche seine gewohnte Fellfarbe hervorbringen.
      Ich lehnte in der Stallgasse an einem Holzbalken und beobachtete, wie Walker genüsslich sein Futter verspeiste unter den roten Lampen. Neben mir stand Nour, vollkommen begeistert von dem Hengst. Sie erzählte womöglich zum vierten Mal an dem Tag, wie sehr sie das Training mit ihm vermisste, aber froh war, dass ich es so lang übernahm. Ihr Arm verursachte noch immer Probleme und die Naht wollte sich nicht schließen. Da Walker seine unberechenbaren Phasen hatte, fuhr sie nur mit einfachen Pferden.
      „Wir sind ein wirklich gutes Team“, sagte sie und boxte mir leicht an den Oberarm.
      „Schon, ja“, murmelte ich.
      „Jetzt lass den Kopf nicht hängen. Das mit Lina renkt sich sicher wieder ein, auch wenn ihr Kerl ziemlich seltsam ist“, mahnte sie. Ich wusste das, aber es änderte nichts, egal, wie oft es mir sagte oder jemand anderes. Auch, was Niklas Problem seit Wochen war, konnte ich nicht genauer herausfinden. Einzig meine Anwesenheit brachte ihn zu unbeschreiblich unfreundlichen Taten. Selbst nach dem Urlaub wechselten wir kaum Worte, aber ich konnte spüren, dass es wieder besser werden würde.
      “Willst du heute selbst Humbria nehmen?”, wechselte Nour sogleich das Thema und stellte sich demonstrativ vor mir. Erst jetzt richtete den Kopf auf, um ihr ins Gesicht zu blicken. Sie war nur etwas größer als ich, wodurch es kein Problem war. “So ein Turnierpferd kauft sich schließlich nicht von selbst und ich will mein Walkerlein auch demnächst wieder haben.”
      “Versteh’ schon, du und dein Schatz”, grinste ich.
      Voller Tatendrang verschwand Nour und kehrte mit meinem rosafarbenen Halfter aus dem Schrank zurück, um es mir in die Hand zu drücken. Etwas verwirrt schaute ich die Dame an, aber zuckte mit den Schultern und lief zum Stutenpaddock, um besagte Stute zu holen. Lina hatte ihr eines Tages den Spitznamen „Pilzi“ gegeben, nach dem Tyrell bei einer Farbuntersuchung feststellte, dass sie das Mushroom Farbgen trug, das bisher nur bei Shetlandponys nachgewiesen werden konnte. Umso mehr freute ich mich, dieses Pferd zu meinem Zählen zu dürfen, wenn auch nur im Rahmen der Betreuung. Glücklicherweise war Niklas klug genug, uns die Stute zu überlassen, denn es hatte sich immer mehr herauskristallisiert, dass sie sensibel war und Ruhe bedarf. Sensibel mag er gehändelt bekommen, aber Ruhe bewies er bisher nie. Ich schätze, sie war froh, mich zu haben. Ihre Ohren stellten sich bereits auf, als ich ihren Namen rief. Beim zweiten Mal kam sie zum Zaun gelaufen und wieherte in hohen Oktaven.
      „Toots, wir haben Großes vor“, strich ihr über die schmale, schräge Blesse und öffnete das Halfter, um es hinter den Ohren zu schließen. Sie mochte es nicht, wenn man es über ihren Kopf zog, aber wir arbeiteten daran. Ihr erstes Leckerli verdrückte sie in Windeseile und folgte wie ein glücklicher Hund.
      „Mit dir habe ewig nichts mehr gemacht. Das tut mir leid“, sprach ich weiter mit dem Tier, das mir ohnehin nicht antworten würde. Aber sie stupste mich an, was ich als Kommunikation verstand.
      Angekommen in der Stallgasse bemerkte ich Walker in seiner Box stehen, interessiert den Kopf nach der Stute recken. Humbria legte die Ohren an.
      „Ich verstehe dich, Männer sind doof“, lachte ich.
      „Ach ja? Alle?“, kam auf einmal Lars hervor. Mir stockte der Atem und die dunkle Stute sprang zur Seite weg, dabei klapperte der Beschlag laut an dem Holz einer Boxenfront.
      „Du willst uns noch umbringen“, schüttelte ich den Kopf. Humbria beruhigte ich mit Klopfen am Hals und sogleich schmiegte sie sich an mich heran. „Aber ja, besonders du.“
      Dann lachte auch Nour, die neben ihm auf der Bank saß und aufstand, um die dunkle Stute zu begrüßen.
      „Leider muss ich ihr zustimmen, du bist der Schlimmste von allen“, fügte seine Schwester amüsiert zu und legte demonstrativ ihren Arm auf meine Schulter.
      „Jetzt verbünden sich meine Lieblingsmädchen auch noch. Das kann eine Saison werden. Gott, steh mir bei“, schüttelte er den Kopf. Lars begleitete uns zum Anbinder und diverse Nachfragen bezüglich der Stute neben mir. Besten Gewissens erzählte ich von meinen Erfahrungen von ihr, aber hatte keine Vorstellung davon, wie sie am Wagen fuhr.
      „Ich kann mitkommen. Glimsy braucht ohnehin noch etwas Auslauf“, beschloss er und lief davon. Als ich ihm so nachsah, wurde mir doch etwas wärmer ums Herz. Sein eleganter Gang übertraf um Längen, was Niklas ausstrahlte. Nur Tattoos würden ihn noch attraktiver machen, um genau mein Typ zu sein.
      „Erde an Vivi“, trat Nour vor meinen Blick, aus dem Lars bereits verschwunden war.
      „Ähm, ja?“, schüttelte ich erwischt den Kopf.
      „Stehst du auf ihn?“, kam sie noch etwas näher, damit es sonst keiner im Stall mitbekam.
      „Nein!“, empörte ich mich und flüsterte zu mir selbst: „Nicht auf ihn.“
      „Jetzt wird es interessant. Aber ihr habt doch miteinander geschlafen, oder stimmen die Gerüchte nicht?“, legte sie wieder mal ihren Arm um meinen Hals. Nour war ziemlich körpernah unterwegs, aber sie strahlte eine hohe Sympathie aus, weshalb es mich nicht störte.
      „Ich werde mich dazu nicht äußern“, schmunzelte ich.
      „Doch, ich werde es schon noch erfahren.“
      Bis auch Lars die Rappstute am Wagen hatte, dauerte es eine Weile. Nour hielt die Beine still und fragte mich nicht weiter über ihren Bruder aus. Stattdessen wollte sie mal wieder mehr über ihren Liebling, Walker, wissen. Also beantwortete ich erneut alle Fragen. Langsam sollte es doch genug sein, dachte ich, insgeheim und ging mit Bedacht vor, also ich Humbria den Gurt umlegte. Sie hampelte unsicher herum, aber sanftes Vorgehen beruhigte sie mehr oder weniger. Das Blutblatt löste in ihr einen weiteren Schock aus, dass ich zunächst durch den Stall führte. Aus ihren aufgeblähten Nüstern prustete Humbria laut Luft, erregte dabei von jedem, der durch den Stall lief, Aufmerksamkeit. In meinem Kopf ging unsere Rennkarriere den Bach herunter.
      “Vielleicht hilft das hier”, schlug Nour vor und drückte mit Watte in die Hand. Verwundert drückte ich die Brauen zusammen.
      “Das wird ihr wohl kaum helfen”, winkte ich ab. Doch sie ignorierte förmlich meine Aussage und stopfte das weiße Zeug in die Plüschohren der Stute, diese schnaubte einmal und wurde ruhiger.
      “Doch”, grinste Nour überzeugt.
      „Ach Mensch, tu einfach, was man dir sagt, dann ist einfacher“, scherzte Lars und trat damit leider in eine schmerzhafte Stelle. Ich hatte es versucht, allen recht zu machen, aber selbst das reichte nicht aus. Kommentarlos zog ich Humbria die Watte wieder aus den Ohren. Ihre Hektik kehrte zurück aber kaum steckte ein Leckerli im Maul, konzentrierte sie sich auf mich.
      „Ich gehe allein“, schnaubte ich. Dann führte ich die Stute wieder in den Anbinder, in dem bereits mein Sulky lehnte. Erst legte ich Trense um, streifte das Halfter wieder über und den Wagen ins System. Die Stute hampelte unter den wachsamen Augen der Beiden, die misstrauisch Blicke austauschten. Letztlich schaffte ich es und Humbria schnaubte sogar ab. Zu meinem Bedauern folgte uns Lars.
      “Du bist noch nicht so weit”, rief er mir nach, was mir nichts ausmachte. Natürlich bekam ich sogleich Herzklopfen, als würde ich auf der Göttin sitzen und mich lächerlich machen, aber es war anders. Humbria und ich kannten einander und hatten eine Bindung. Zumindest glaube ich das. Die ersten Meter auf dem Hof lief die Stute im ruhigen Tempo voran, bis sie den Kopf hochstellte und die Schritte verkürzte. Mit guten Hintergedanken durchwühlte ich alle Informationen in meinem Kopf, nach Trainingsmethoden, wie ich sie einmal in der Berufsschule hatte. Wieder sprach ich auf die nervöse Stute ein und ließ dabei immer wieder Kontakt an der Leine nach, um sie zum Strecken zu animieren. Humbria wirkte verwirrt, was ich von ihr wollte, aber als die gewünschte Aktion folgte, lobte ich die Stute. Dafür lehnte ich mich auch nach vorn, um ihr sanft über den Po zu streichen. Tatsächlich klappte es, auch entgegen meiner Erwartungen.
      „Ziemlich beeindruckend“, merkte Lars an und schloss neben uns auf.
      „Tja, bin halt nicht so ein Anfänger, wie du denkst“, grinste ich mit deutlicher Selbstsicherheit.
      „Du hast den zweiten Platz belegt, nachdem du ewig keine Rennen gefahren bist. So schlecht denke ich nicht über dich“, beschwichtigte er.
      Bis zur Trainingsbahn fuhren wir nebeneinander her, tauschen Erfahrungen über meine Stute aus und besprachen den heutigen Ablauf. Vorbereitend für kommende Rennen hatte Lars die Stute in sein Trainingsprogramm aufgenommen, das Bruno sich zuvor für den Wiedereinstieg überlegt hatte. In diese, beinah geheimen, Informationen wurde ich nicht eingeführt, musste also mit Nacherzählungen vorliebnehmen. Gespannt hing ich an seinen Lippen.
      Auf der Bahn legten wir an Tempo zu, um die Pferde im lockeren mittleren Trab durch den gefrorenen Sand zu joggen. Immer wieder holten wir sie zurück, um eine Schrittphase einzulegen. Die Geschwindigkeit passten wir individuell an. Humbria brauchte mehr Ruhe, die sie durch Glimsys Anwesenheit bekam. Ich sah ein, dass seine Begleitung eine kluge Wahl war. Deswegen legte ich bereits in der dritten von vier Trabphasen an Tempo zu.
      Zufrieden kehrten wir auf den Hof zurück, aber wir alle sichtlich erschöpft.
      “Und, möchtest du dann nächste Woche mitkommen nach Visby mit Humbria?“, fragte Lars aus heiterem Himmel, als ich das Geschirr von der verschmutzten Stute abnahm.
      „Ich weiß nicht. Das ist so weit weg von hier“, merkte ich wenig begeistert an, obwohl mir bekannt war, dass es Lars und seine Familie von dort kam.
      „Nicht viel weiter als Stockholm und der Großteil der Strecke ist auf der Fähre“, zuckte er mit den Schultern. „Außerdem …“ Willkürlich stoppte er, mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen.
      „Außerdem, was?“, hakte ich nach. Nervös wippte mein Bein auf Stelle.
      „Es gibt noch mehr Gerüchte, aber schweige wie ein Grab“, hielt Lars inne und verschwand, um das Equipment seiner Stute zu verräumen. Noch eine Weile stand ich neben Humbria und versuchte aus meinem Gedächtnis zu fischen, worauf er hinauswollte. In der vergangenen Zeit benahm ich mich, wie man es unter Normal verstand, nahm mir lediglich Ruhephasen in den Rennen, an den ich neugierig im Zelt stand und die vorbeifahrenden Pferde musterte. Das eine oder andere Gespräch entstand dabei, aus dem ich Informationen erhaschte. Niklas mied ich, wenn er da war und von Erik hatte auch ewig nichts mehr gehört. Selbst seinen Instagram-Account begutachtete ich nicht mehr jeden Tag vor dem Schlafen gehen, also alles in allem, sehr normal. Was für Gerüchte sollten da aufkommen?

      Lina
      Der europäische Winter lockte nicht gerade mit molligen Temperaturen. Vor wenigen Tagen hatte ich noch bei schätzungsweise achtundzwanzig Grad den australischen Sommer ausgekostet, doch vorbei war es mit dem Urlaub. Niklas begab sich bereits in den frühen Morgenstunden zu Arbeit, so verschlief ich meinen Wecker und erwachte erst, als der Regen gegen das Fenster prasselte. Der Trubel auf dem Hof war schon lange erwacht, als ich mich, eingepackt in mehrere Schichten, wärmender und wasserabweisender Schichten, hinauswagte. Durch den Matsch patschte ich direkt zum Paddock, um Mill zu holen. Die junge Stute konnte ein wenig Beschäftigungen gebrauchen und dazu konnte diese unter einem Dach stattfinden. Der Rappe schien von dem Wetter ebenso wenig zu halten, wie ich, denn alles, was ich von ihr erblicken konnte, war ein wohlgeformtes Hinterteil in der hinteren Ecke des Unterstanden. Geschickt kletterte ich durch den Zaun und lief auf die Stute zu. Neugierig blickte sie mir aus ihren hellen Augen entgegen, doch auch zog ich die Aufmerksamkeit der anderen Stuten auf mich. So auch die der Göttin, die sogleich schlecht gelaunt, wie immer angetrottet kam und mich zu vertreiben suchte. Allerdings erfolglos, denn seitdem ich Caja im Training hatte, konnte mich eine schlecht gelaunte Stute nicht wirklich abschrecken. Unbeirrt halfterte ich das junge Pferd und steckte ihr als Belohnung ein Leckerli zwischen die rosafarbenen Lippen. Damit ich mit dem rangniedrigen Tier passieren konnte, scheuchte ich die dunkle Fuchsstute aus dem Weg, woraufhin Mill mir artig folgte. Als wir in den Regen hinaustraten, begann sie allerdings ein wenig das Rennpferd heraushängen zu lassen. Ungeduldig drängelte sie voran, warf den Kopf in die Höhe und ließ ihr schrilles Wiehern ertönen, als sie sich nicht so recht durchsetzen konnte. Wir schafften es trotz des Theaters auf der Stallgasse anzukommen, wo sie sich schließlich beruhigte.
      “Gut, dass du kommst, Lina”, grinste Mateo mich an, der gerade dabei war, Schnees helles Fell ansatzweise sauber zu bekommen. Die Beine der Traberstute waren mehr schlammig braun und ihr Bauch war nun gesprenkelt. Dieses Wetter war eindeutig nicht für helle Pferde geeignet.
      “Weswegen, habe ich etwas Wichtiges verpasst?”, fragte ich erstaunt über diese Begrüßung. Aufgeschlossen schnuppert Mill an der anderen Stute, während ich die langen Stricke in ihr Halfter hängte.
      “Zuerst sei gesagt, dass dir dein Urlaub wirklich gut zu Gesicht steht, du solltest mehr Zeit in der Sonne verbringen”, sprach der Schweizer zuvorkommend.
      “Wenn das nur so einfach wäre”, lachte ich verlegen und strich der Schimmelstute, die mich interessiert beschnupperte, über die helle Stirn,” Aber das ist sicher nicht, was du mir mitteilen wolltest, also erzähl schon.” Was war es nur, was alle sahen? Wenn ich in den Spiegel blickte, sah ich nicht viel mehr als ein Mädchen, an dem nicht wirklich besonders zu finden war, daran würde auch ein sonnengebräunter Teint nichts ändern.
      “Samantha hat da eine talentierte Stute, die derzeit etwas Langeweile hat und sie überlegt sie hier her in den Betritt zu geben”, erzählte mein Kollege beiläufig und beschäftigte sich weiterhin mit der Reinigung seiner Stute. Deshalb bemerkte er vermutlich nicht, wie ich eilig nach einer Bürste griff, um die Verlegenheit zu überspielen.
      “Das ist schön, aber warum erzählst du mir das und nicht unserem Chef?”, hinterfragte ich irritiert. Mir erschoss es sich nicht ganz, weswegen diese Information für mich relevant sein sollte, schließlich, war nicht ich es die entschied
      “Weil es davon abhängt, was du dazu sagst. Sam hätte gerne, dass du diese besondere Stute reitest und es hat ihr gut gefallen, wie du mit deinen Pferden umgehst. Du musst wissen, Hanni liegt, ihr ziemlich am Herzen, weswegen es ihr wichtig ist, dass sie in guten Händen ist. ”, ergänzte er auf meine Nachfrage hin. Bei dem Wort besonders horchte ich auf: “Ich hoffe, du meist nicht so besonders wie Caja. Ein Pferd, was es darauf anlegt, mich in den Wahnsinn zu treiben, ist für das Erste ausreichend.”
      “Nein, keine Sorge, Hannis Besonderheit bezieht sich auf ihre Optik. Sie trägt das gleiche Gen wie dein Hengst, ist aber nicht ganz so weiß. Charakterlich ist sie eher eine kleine Prinzessin und hat zwar auch ihre Macken, aber alles ziemlich harmlos. Ich glaube, sie könnte dir ziemlich gut gefallen”, umriss Mateo die Stute seiner Schwester, “ach und natürlich ist sie ein Freiberger, aber das dachtest du dir sicher bereits.” Die Umschreibung von Hanni gefiel mir, doch mit den letzten Worten hatte er mich vollends überzeugt. Einem weiteren Tier in dieser seltenen Färbung zu begegnen, hatte ich nicht geglaubt. In ihrem Heimatland galten die bunten Tiere als unerwünscht und werden, sofern es sich um einen Hengst handeln sollte, von der Zucht ausgeschlossen und auch Stutfohlen landeten dadurch häufig beim Schlachter. Eine Schande, denn es war es bereits ohne diese Verschwendung wertvoller Blutlinien kein leichtes, den alten Schlag der Rasse zu erhalten.
      “Das klingt hervorragend, du kannst Sam sagen, ich mache es”, grinste ich zufrieden. Es erfüllte mich ein wenig mit Stolz, von einem Außenstehenden mit einem Pferd betraut zu werden, auch wenn dieser nicht ganz unparteiisch war.
      “Perfekt, dann werde ich sogleich alles in die Wege leiten”, nickte Mateo und zückte augenblicklich sein Handy, vermutlich um seiner Schwester davon zu berichten. Ich hingegen entschwand in die Sattelkammer, um Kappzaum und Longiergurt für Millennial zu holen. Ungeduldig hibbelte die Stute umher, als ich mit den Lederstücken zurückkehrte und diese auf ihr befestigen wollte. Etwas Hilfe wäre jetzt zuträglich. Schnee döste neben uns, doch mein Kollege hatte sich innerhalb der wenigen Minuten in Luft aufgelöst, da musste wohl eine Alternative her. Suchend blickte ich die Stallgasse entlang und entdeckte schließlich Lars Schwester, die nicht sonderlich schwer beschäftigt wirkte, denn sie war ausgiebig damit beschäftigt einem der Hengste den Hals zu kraueln.
      “Nour, könntest du mir hier vielleicht mal kurz helfen?”, bat ich freundlich.
      „Klar“, sagte sie und kam sofort angelaufen. Sie griff in ihre Jackentasche, wühlte ein wenig herum, bis zwei weiße, weiche Bällchen zum Vorschein kamen. Diese steckte Nour beherzt in die Ohren der Stute, ohne wirklich acht auf das ungeduldige hin und her wanken zu geben. Kaum steckte die Watte in den Ohren, wirkte Mill ruhiger. Sie half beim Gurt und den Kappzaum legte ich selbst an.
      “Danke”, lächelte ich und hakte das eine Ende der Longe in den Zaum, um die Scheckstute in die Halle zu führen.
      „Bruno ist sie die letzten Tage schon etwas gefahren, also könnte Mill ziemlich aufbrausend sein“, sagte sie und lief mir stürmisch nach, als gäbe es noch weiteres zu sagen. Mateo, der mittlerweile wieder erschienen war, putzte noch immer, wollte dann nachkommen. „Was ist eigentlich mit deinem neuen Schnuckelchen?“ Im ersten Moment irritierte mich ihre Wortwahl und ich verstand nicht so recht, worauf sie hinauswollte, doch sie konnte eigentlich nur eins meinen.
      “Mateo? Was sollte mit ihm sein?”, fragte ich, um den Grund ihrer Frage zu ergründen.
      “Ach, na ja”, grinste Nour, blickte sich noch mal zu ihm um und wendete ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich, “er hat ziemlich oft nach dir gefragt, als du weg warst und schwärmte auch ziemlich.”
      “Wirklich?”, sprach ich und blickte sie voller Unglauben an. Ihre Worte kamen mir unwirklich vor, doch gleichermaßen fühlte ich mich geschmeichelt.
      “Nein, weißt du, ich möchte dir einen Bären aufbinden”, scherzte sie kopfschüttelnd. “Aber ja, hat er. Sonst würde mich die Neugierde nicht so befeuern!”
      “Was hat er so gesagt?”, lag die Neugierde nun auch auf meiner Seite, auch wenn ich diese zu verbergen suchte, indem ich geschäftig die Leinen an der Stute befestigte.
      „Willst du das ernsthaft wissen, schließlich hast du doch den wohl eifersüchtigsten Freund auf diesem Planeten“, hütete sie die Informationen weiterhin hinter einem Vorhang aus Nebel. Unrecht hatte Nour damit nicht. Niklas war ein ziemlicher Platzhirsch und gab sich auch nur selten die Mühe, dies zu verbergen. Dennoch brannte die Wissbegier in meiner Seele, was der Schweizer über mich zu sagen hatte.
      “Ja … Niklas muss das ja nicht erfahren“, nickte ich unumwunden und senkte dabei unbewusst die Stimme als könne und jemand Unerwünschtes hören.
      „Na gut, aber du weißt das nicht von mir“, Nour zwinkerte und kam an mein Ohr heran. Sie erzählte davon, dass das Angebot der Stute im Beritt weniger dem Geiste Sams entstammte, viel mehr eine Gunst der seine war. Des Weiteren hinterfragte er vieles bei Erzählungen, um mehr Informationen über mich zu bekommen und wie ernst das mit Niklas sei. Einstellern, die zu gern über mich herzogen, stand Mateo mit straffer Brust entgegen und verteidigte mich. Nicht viele Menschen standen unaufgefordert derart für jemanden ein, was mich beeindruckte. Doch auch bei ihren restlichen Worten wurde mir warm ums Herz.
      “Oh wow, das alles ist ziemlich … charmant”, lächelte ich zurückhaltend, vermochte kaum zu glauben, was hinter der Fassade des schweigsamen jungen Mannes steckte.
      “Aber ich möchte mich nicht in dein Liebesleben einmischen, du überstehst das schon”, zuckte noch ein Grinsen über Nour Lippen, bevor eine Einstellerin mit einem braunen Wallach vorbeikam und sie neugierig zu ihr lief. Überstehen? Ich wusste nicht, was sie damit meinte, aber anstatt mir den Kopf darüber zu zerbrechen, widmete ich mich der Rappstute, bevor sie noch anfangen würde, Löcher in den Sand zu graben.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 20.465 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte Februar 2021}
    • Wolfszeit
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      kapitel tjugosju | 04. September 2022

      Henade / Hendrikus zu Stalburck / Einheitssprache / Wunderkind / Pleasing / Maxou / Fieberglas / Pay My Netflix / May Bee Happy / Hending

      Lina
      Ich war gerade dabei Rambi abzusatteln als Mateo zielstrebig die Stallgasse hinunterkam.
      “Dein Pony ist da”, verkündete dieser im Vorbeigehen und verließ den Stall sogleich wieder durch das große Rolltor. Davor war das Knirschen des gefrorenen Kieses unter Autoreifen zu hören.
      “Dein Ernst Lina, du hast dir schon wieder ein Pferd gekauft?”, ließ Samu einen kritischen Kommentar verlauten, den prächtigen braunen Warmbluthengst am Strick mit sich führend.
      “Guck nicht so, das ist nicht meins, also nicht in dem Sinne. Hanni ist ein Berittpferd”, erklärte ich meinem besten Freund, der tatsächlich noch keine Kenntnis von der Stute hatte, da er die letzte Woche mit Enya bei seiner Familie verbrachte und dabei wollte ich ihn nicht stören.
      “Ein Berittpferd also, wie kommt es dazu?”, zog er zweifelnd die linke Augenbraue nach oben.
      “Ähm, was soll das denn bitte jetzt heißen?”, empörte ich mich und hängte den Sattel auf den Halter, “Willst du mir etwa sagen, dass du mir das nicht zu taust?”
      “Nein, Linchen, du bist spitze. Ich bin nur verwundert, seit wann du Berittpferde angeboten bekommst”, beschwichtigte er sofort.
      “Seit Mateo und jetzt entschuldige mich, ich muss ein Pferd in Empfang nehmen”, entgegnete ich und lief freunden strahlend in die Richtung in der Mateo soeben verschwand. Natürlich hatte ich mittlerweile Fotos von Henade zu sehen bekommen, doch ich konnte es kaum erwarten sie gleich in Live zu sehen. Draußen wurde ich bereits von Mateo und seiner Schwester erwartet, welche auch sogleich mit einem breiten, grinsen auf mich zugelaufen kam.
      “Bereit Hanni kennenzulernen, Lina?”, fragte sie und zog mich zu Begrüßung in eine herzliche Umarmung. Es erfreute mich, dass Sam die Stute selbst vorbeibrachte. Sie war mir sympathisch und so hatte ich die Gelegenheit mir von ihr noch ein paar Tipps im Umgang mit der Stute zu holen.
      “Mehr als bereit”, entgegnete ich und konnte meine Aufregung nur schwer zurückhalten.
      “Na dann wollen wir sie doch mal ausladen”, grinste Sam, “Gehts du vorne rein?” Ich nickte und lief um den Hänger herum, um durch die kleine Tür an seiner Vorderseite in das innere zu klettern. Im halbdunklen Inneren kam mir unmittelbar ein heller Kopf entgegen.
      “Du bist also Hanni”, sprach ich sanft mit der Stute und strecke ihr vorsichtig meine Hand hin. Statt sie zu beschnuppern, schnappte sie nach meiner Hand. Doch anders als bei Caja kamen dabei keine Zähne zum Einsatz, sondern nur die Lippen, die interessiert meine Hand abtastete. Währenddessen öffnete sich die Klappe hinter der Stute und ließ Licht und kalte Luft einströmen. Aufmerksam drehte Henade die Ohren, hörte auf die Umgebungsgeräusche um sie herum.
      “Alles bereit, da drinnen?”, rief Mateo von hinten, bereit die Stange hinter dem Po der Stute zu entfernen.
      “Warte kurz”, antwortete ich und löste den Knoten, der die Stute an Ort und Stelle hielt.
      “Jetzt darfst du”, erteilte ich im daraufhin die Erlaubnis, der er auch sofort folge, leistete. Langsam, Schritt für Schritt, schicke ich die Stute die Rampe hinunter, bis sie vollständig auf dem Kies stand. Jetzt im Tageslicht konnte ich vollständig die hübsche Scheckung betrachten, die sich über ihr Fell zog. Zwischen den zerfransten weißen Rändern und an der Oberlinie schimmerte ein hübscher Braunton hindurch, wirklich eine außergewöhnliche Färbung.
      “Und was sagst du?”, blickte mich Sam mich forschend an.
      “Mensch Sam, was stellst du denn für Fragen. Das ist ein perfektes Match, hübsch und talentiert”, kam Mateo mir mit einer Antwort zuvor.
      “Jetzt übertreib nicht, Mateo. So gut bin ich nun auch wieder nicht”, sprach ich verlegen. Er wollte mir schon widersprechen, doch Sam fiel ihm ins Wort: “Vielleicht sollten wir meiner Hübschen erst einmal ihr neues zu Hause zeigen.” Bestrebt lief sie voran, was die Stute dazu bewegte ihr unaufgefordert zu folgen. Kaum hatten wir das Tor durchschritten, ließ Henade ein schrilles Wiehern ertönen. Einige Köpfe erhoben sich aus den Boxen und vom Putzplatz ertönte sogar eine Antwort. Eindeutig Rambi, der Stimmfarbe und dem lang gezogen brummen, nach zu urteilen. Hufgeklapper ertönte auf dem Beton, begleitet von dem Geklimper des Metalls, als der Strick dagegen schlug. Natürlich war der potente Freibergerhengst auch Quell dieses Lärms.
      “Uhhh, wer ist denn das Schnuckelchen”, erklang Samanthas entzückter Ausruf, als wir uns dem Putzplatz näherten und der Blick darauf freier wurde. Samu war augenscheinlich noch immer mit Hendrik beschäftigt, doch hatte von ihm abgelassen, um Rambi zu beruhigen.
      “Wer von den Dreien?”, fragte ich lachend, während ich Hanni in die Box führte, die Mateo und ich heute Morgen bereit vorberietet.
      “Alle drei, aber besonders der junge Mann, ist sehr ansprechend. Wer ist das?”, fragte sie wissbegierig und war Samu einen vielsagenden Blick zu.
      “Sammy, mach mal halblang, du bist nicht zum Flirten hier”, verdrehte ihr Bruder sofort die Augen und schüttelte mit dem Kopf.
      “Aber du, oder wie?”, entgegnet sie patzig, bevor sie sich lieber mir zu wand, “Also Lina, sag schon, wer ist das?” In Sams funkelte eine Energie, die der von Vriska glich, als sie Lars das erste Mal erblickte, nur dass sie deutlich indiskreter war.
      “Frag ihn doch selbst”, lachte ich, “Aber ich muss dich warnen, er hat eine Freundin. Rechne also nicht mit viel Erfolg.”
      “Ach, das werden wir schon noch sehen”, sprach sie von sich überzeugt und marschierte geradewegs die Stallgasse hinunter. Ich kannte meinen Freund, Sam würde bei ihm mit Sicherheit auf Granit stoßen. Statt mir den wenig Erfolg verheißenden Annäherungsversuch von Sam zu beobachten, zog ich Hanni das rosa, nicht preiswert erscheinende Halfter vom Kopf. Um den Nasenriemen war ein Schoner gewickelt, mit ihrem Namen darauf und einem Krönchen daneben. Ordentlich hängte ich den Gegenstand vor ihre Box und beobachte, wie sie den Kopf zu den Spänen hinstreckte. Erst als erneuter Hufschlag, nun von der anderen Seite, ertönte, wandte ich mich ab. Vriska kam mit Wunderkind auf dem Wagen daher gelaufen, strich dem verschwitzten, und allem voran verdreckten, Hengst am Hals. Dieser atmete wie ein Maikäfer und wusste seine Anwesenheit ebenfalls mit einem innigen Wiehern anzukündigen. Was nur los mit den Tieren heute?
      “Voll hier”, merkte Vriska beiläufig an und versuchte mit dem Sulky einen Weg zur Putzgasse zu finden, was trotz des außergewöhnlichen breiten Ganges, eine Herausforderung war.
      “Ja, Samantha hat gerade ihre Stute gebracht”, erklärte ich ihr den Grund den Trubel, “Ich kann Rambi gerade wegbringen, wenn er im Weg steht.” Besagter Hengst rumorte wieder und versuchte damit die Aufmerksamkeit, vermutlich vordergründig von der Stute, auf sich zu ziehen.
      “Mateos Schwester, richtig?”, sagte sie und nahm den Helm ab. Wunderkind stand ganz ruhig neben ihr, anders als die anderen Rennpferde am Stall hatte er nur einen kleinen Schaden im Kopf. “Aber nein, sein Halfter hängt ganz hinten.”
      “Ja, genau”, bestätigte der Schweizer selbst, der an die Boxenwand gelehnt sowohl mich als auch seine Schwester im Auge behielt.
      “Oh, hallo”, begrüßte sie ihn freundlich, aber verschwendete nur einen kurzen Blick an den hübschen Mann. Er nickte. “Aber, was für ein Pferd?”
      “Es steht nahezu vor dir”, deute ich auf die Box hinter mir, die allerdings verlassen war. Offenbar hatte Hanni sich genau in dem Augenblick auf den Paddock begeben.
      “Okay, doch nicht”, lachte ich, “Eigentlich sollte da eine hübsche Dame stehen.”
      Kommentarlos warf Vriska die Leinen über den Rücken des Hengstes und öffnete die Boxentür, um hindurchzulaufen und das Pferd im Dreck zu betrachten. Hanni hatte sich in den Matsch geworfen, als hätten die Späne nicht gereicht, nein. Das Gen löste offenbar auch eine Vorliebe für besonders hartnäckigen Dreck aus.
      “Hübsch ist es jetzt nicht mehr”, lachte sie und wich immer wieder den neugierigen Stupsern der Stute aus.
      “Meintest du nicht, sie sei eine Prinzessin, Mateo? Ihr Verhalten scheint bisher nicht sonderlich königlich”, fragte ich amüsiert bei dem jungen Mann nach.
      “Ja, Hanni verschleiert ihre wahre Identität gerne. Du weißt schon wegen der Presse”, scherzte dieser. Amüsiert schmunzelte ich und wand mich wieder Vriska zu: “Also du hast gehört, neben dir steht Prinzessin Henade.”
      “Ah, cool. Freut mich, dann euch allen noch viel Spaß. Ich muss weiter”, dann schaute sie auf ihre Uhr am Handgelenk, die große Ähnlichkeiten mit der Stute aufwies, “noch drei Pferde und ich habe einen Termin.” Kaum lagen die Worte in der Luft, sprang sie flink wie ein Eichhörnchen zum Hengst und kämpfte sich den Weg durch die Gasse. Was ein Termin das wohl sein mochte, der sie zu solcher Motivation trieb? So wie Vriska verschwand, kam Sam zurück, nicht minder fröhlicher als zuvor.
      “Erfolg gehabt?”, fragte ich neugierig, nicht in der Erwartung, dass sie Ja sagen würde.
      “Ja, ich kenne jetzt seinen Namen, was er hier macht und ebenso des hübschen Hengstes”, grinste die junge Frau triumphieren.
      “Klar, Schwesterchen, weil das sicher dein Ziel war”, zog Mateo sie sogleich auf.
      “Entschuldigung, ich habe mal ein wenig Respekt vor deiner Schwester, außerdem geht dich das gar nichts an”, echauffierte sie sich, “Aber anderes Thema. Lina, ich wollte dir noch ein paar Sachen zu Hanni sagen, bevor ich verschwinde.” Ich nickte, doch sogleich ertönte wieder Geklapper, verursacht durch einen gewissen Freiberger.
      “Ähm, entschuldige mich kurz. Ich bringe mal schnell die Krawallschachtel da weg, bevor er noch alles auseinandernimmt”, sprach ich und lief zu dem braunen Tier. Kaum war ich in seinem Blickfeld, endete der Krawall und er stand da wie ein unschuldiges Lämmchen.
      “Perfekt, dann kann ich ja endlich arbeiten”, sprach Samu und verschwand mit Hendrik in die Halle. Dahinter kam Wunderkind zum Vorschein, den Vriska gerade aus dem Lederzeug befreite. Noch immer interessierte es mich, was für ein Termin das wohl sein mochte.
      “Vriska?”, fragte ich neugierig, “Was ist das, wo du so dringend hinwillst?”
      “Äh”, stammelte sie. Aber noch bevor ich eine Antwort bekam, schob sie mit dem Fuß die Schüssel zum Hengst und lief zur Sattelkammer mit dem Equipment. So einfach würde sie mich nicht loswerden, also folgte ich ihr, nahm dabei sogar den Sattel mit, der noch neben meinem Freiberger hing.
      “Komm schon, mir kannst du es sagen. Ich verrate es auch keinem”, versprach ich ihr.
      “Ich fahre nach Malmö”, flüsterte Vriska mit funkelnden Augen, nach dem sie sich prüfend umsah, ob noch mehr Leute uns gefolgt waren.
      „Und was willst du da?“, fragte ich ebenso leise wie sie. Was auch immer ihr vorschwebte, schien wirklich geheimnisvoll zu sein.
      “Mir was anschauen”, sprach sie weiter in Rätseln, ohne dabei die Tür außer Acht zu lassen. Wirklich viel schlauer wurde ich aus dieser Information nicht, schließlich dachte ich mir bereits, dass sie nicht einfach aus Spaß dorthin fuhr.
      „Könntest du bitte ein wenig konkreter werden? Was schaust du dir an?“, hakte ich unentwegt nach. Noch einige weitere Minuten vergingen und Umformulierungen meiner Fragen, bis sie sich endlich zu Wort meldete.
      “Schon gut, ich erzähle es dir”, Vriska rollte mit den Augen, “am Abend ist Rennen und morgen Früh werde ich ein potenzielles Pferd Probereiten.” Bei Stichwort Rennen bekam ich allmählich eine Idee, was oder besser gesagt, wer der Grund für Vriska Motivation sein könnte.
      „Stalkst du mal wieder das arme Pferd?”, grinste ich beinahe sicher, dass ich auf der richtigen Fährte war.
      “Wieso arm? Der ist nun mal schick”, zuckte sie mit den Schultern, als wäre es sonst nichts.
      „Na, vielleicht möchte es nicht gestalkt werden", entgegnete ich, „Aber schick ist es tatsächlich."
      “Sehr witzig”, Vriskas Stimmung kippte plötzlich und sie stürmte beinah frustriert aus der Tür heraus.
      “Tut mir leid, was ich gesagt habe”, rief ihr nach, doch sie schien mich nicht hören zu wollen. Das hast du mal wieder gut hinbekommen, Lina, dachte ich. Natürlich zog ich die Fettnäpfchen mal wieder an, ohne es überhaupt zu bemerken. Seit dem Jahresende gab es immer mal wieder helle Momente, in denen es zwischen uns lief wie früher, doch dazwischen war es schwierig. Mir war bewusst, dass es nicht allein an ihr lag. War Niklas zu Hause, ging sie mir bewusst aus dem Weg, um Konflikte zu vermeiden. Ich verstand dies, denn er wurde ihr gegenüber noch immer außerordentlich unangenehm. War mein Freund nicht, da blieb häufig nur wenig Zeit für Gespräche und Aktivitäten, schließlich warte auf uns beide tagtäglich ein Haufen an Arbeit, der sich nicht von selbst erledigte. Infolgedessen lebten wir ziemlich aneinander vorbei, obwohl wir nahezu Tür an Tür wohnten.
      Als ich zu Rambi zurückkehrte, war Vriska mitsamt des gescheckten Trabers verschwunden. Ich seufzte, ob das jemals wieder normal werden würde zwischen uns?
      Treu rieb der Freiberger seinen Kopf an mir und hinterließ dabei einige helle Haare auf meiner dunklen Jacke.
      “Na, komm Rambi, bringen wir dich ins Bettchen”, sprach ich zu ihm, wuschelte ihm durch die dichte Mähne, bevor ich dir Stricke losmachte. Beim Durchschreiten, der Gasse, ließ es sich der Hengst natürlich nicht nehmen, an der Box der Stute noch einmal den Hengst raushängen zu lassen. Laut brummelte er, stellte Hals und Schweif auf und tippelte Piaffen-ähnlich auf der Stelle. Während Sam angetan von dem Hengst schien, zeigte die Stute in der Box nur recht wenig Interesse. Hanni steckte zwar den Kopf hinaus, schnuppert kurz an dem Hengst, suchte dann lieber in Mateo Taschen nach etwas Essbarem. Bevor der Womanizer an meiner Seite noch energischer sein Interesse bekundete, bemühte ich mich, ihn von der Stute wegzubekommen. Glücklicherweise zeigte das monatelange Training Erfolg, sodass er selbst für mich händelbar blieb.
      “Willst du einen Kaffee, bevor du mir von Hanni erzählst oder musst du direkt wieder los?”, bot ich an, als ich von draußen wiederkehrte. Mateo hatte sich offensichtlich wieder an die Arbeit begeben, denn er war verschwunden.
      “Gibt es den auch mit guter Aussicht”, grinste sie breit und schielte zu Halle hinüber.
      “Hast du mir eigentlich zugehört, als ich sagte, Samu habe eine Freundin?”, lachte ich.
      “Jetzt sei mal nicht so ein Spielverderber, ich will doch nur schauen”, rollte sie mit den, Augen.
      “Mach dir aber nicht zu viele Hoffnungen, Sam, deine Chancen stehen aktuell nicht so gut”, warnte ich sie und schlug den Weg zu dem kleinen Zuschauerraum ein.
      Als ich ihr die Tasse vor die Nase stellte, klebten ihre Augen bereits an Samu, der mit Hendrik über den Sand schwebte. Der Hengst war, aber auch wirklich ein Prachtstück und ich war mir beinahe sicher, dass er nicht nur seines Talentes wegen, als zukünftiger Zuchthengst für das WHC auserkoren worden war.
      “Danke”, sprach sie, als sie die Tasse wahrnahm, aber löste ihre Augen nicht von den Geschehnissen in der Halle. “Ist der hübsche Hengst von eben deiner?”
      “Ja … vielleicht, ich weiß noch nicht”, antworte ich ihr wahrheitsgemäß.
      “Wie kann man denn nicht wissen, ob einem ein Pferd gehört?”, blickte sie mich verwundert mit ihren strahlenden Augen an, bevor diese wieder abwanderten.
      “Das solltest du mal meinen Chef fragen”, kicherte ich. Es gab Momente in den Tyrell tatsächlich vergaß, dass es mehr Pferde auf dem Gestüt gab als die Traber. So war er ein wenig verwundert gewesen, als ich im Dezember vorschlug, Pleasing für etwas Ponygesellschaft zu Maxou zu stellen, denn er hatte vergessen, dass dieses Pony überhaupt existierte. Manchmal war es wirklich verwunderlich, wie lange Tyrell einen Hof hatte führen können, ohne dass etwas dabei gewaltig schiefging.
      “Aber in meinem Fall ist die Antwort relativ einfach. Rambi steht zum Verkauf und ich habe mich noch nicht entschieden”, erklärte ich schließlich.
      “Oha, dein Erst?! Wie kannst du dich noch nicht entschieden haben? Der Hengst ist großartig!” Sam klang empört und starrte mich dabei an, als sei ich von allen guten Geistern verlassen.
      “Ja, Einheitssprache ist wundervoll, aber ich weiß nicht, da sind so viel Sache, die es zu bedenken gilt. Ich habe ja bereits zwei Pferde und demnach ist da einerseits der zeitliche als auch der finanzielle Aspekt, schließlich wächst keins von beidem auf Bäumen”, legte ich dir Gründe für meine Unentschlossenheit dar. Tatsächlich war Rambis Verkaufsanzeige lange Zeit aus meinen Gedanken verdrängt worden. Ich wollte es mir nicht vorstellen, den Hengst eines Tages wieder abgeben zu müssen. Erst im Januar, als Ingrid die Vorbereitungen für ihren Umzug in die Wege leitete, rief sie mir ins Gedächtnis, dass es langsam erst wurde in dieser Sache. Bis Ende März hatte ich noch Zeit mich zu entscheiden, sollte ich ihn nicht nehmen, würde er vermutlich an einen Händler gehen.
      “Warte, das war Einheitssprache? Der Einheitssprache?”, rief die junge Frau aus und plötzlich hatte ich ihre volle Aufmerksamkeit. Ihrer Reaktion nach zu urteilen, schien mehr hinter dem Hengst zustecken, als ich bisher dachte.
      “Ich verstehe nicht, was du meist”, entgegnet ich irritiert.
      “Weißt du denn nicht, was ein wunderbar talentiertes Pferd er ist?”, mittlerweile waren ihre Augen so groß, dass ich befürchte, sie könnten ihr gleich aus dem Kopf herausfallen. Hektisch kramte sie ihr Handy aus ihrer Jackentasche und tippte darauf herum. Als sie es zu mir herumdrehte, war ein Video darauf zu sehen. Nordische Meisterschaften im Fahren 2015, Vaggeryd, CAI2*-H1 lautete der Titel. Sam hatte vorgespult bis zu einer Stelle, wo ein prächtiges fast schwarzes Pferd in die Arena trabte. Die Hinterbeine bis knapp in den Kronenrand in Weiß getaucht, der Kopf geziert von einer schmalen Blesse mit zwei leuchtenden blauen Augen. Unverkennbar, dieses Pferd war Rambi. Mit aktiver Hinterhand trabte der Freiberger in den Fesseln, sanft federnd, durch den Sand.
      “Wow, wenn der sich so mal unter dem Sattel geben würde”, staunte ich und beobachte weiterhin, wie das Pferd auf dem Bildschirm über den Bildschirm schwebte.
      “Ja, siehts du und deswegen versuche ich seit Jahren an Decksprünge von ihm heranzukommen, doch seine Besitzerin ist stur wie ein Esel”, ärgerte sich Sam ein wenig
      “Decksprünge? Heißt, dass er ist auch noch gekört?”, verwundert blickte ich sie an.
      “Sag mal Lina, was weißt du eigentlich über dieses Pferd?”, stellte sie eine Gegenfrage und lachte. Es schockierte mich ein wenig, dass sie so viel mehr zu wissen schien, obwohl ich mittlerweile ein halbes Jahr mit dem Hengst arbeitete. Wie war das möglich?
      “Offenbar weiß ich gar nichts. Aber wenn er so erfolgreich ist, wie du sagst und, und gekört, dann … dann wird er ja noch teurer sein, als ich dachte”, stelle ich resigniert fest. Bereits mit dem bisher geschätzten Preis wäre es kritisch geworden den Kauf zu finanzieren, doch mit seinen Erfolgen und der Körung, erschien er mir nahezu unmöglich.
      “Nicht gleich den Kopf hängen lassen. Erfrage doch erst einmal den Preis”, lächelte Sam und drückte aufmunternd meinen Arm, ”Und wenn du ihn dann wirklich willst, dann findet sich bestimmt eine Lösung.” Sie hatte leicht reden. Aus Mateos Erzählungen konnte ich bisher raushören, dass sie seit je her viel Unterstützung von ihren Eltern bekam. Vermutlich verstand sie es gar nicht, wie es war, wenn man nur wenig Rückhalt hatte. Natürlich hatte ich Freunde, aber die fragte man nicht nach Geld und Niklas …? Er hatte bereits an einem einzigen Tag mehr Geld für mich ausgegeben als gefühlt sonst jemand in meinem ganzen Leben, zumindest wenn man freiwillige Ausgaben betrachtete. Damit tat er bereits mehr als genug. Nein, wenn ich Rambi kaufen würde, dann musste ich das allein auf die Reihe bekommen, auch wenn mir nicht klar war, wie das funktionieren sollte.
      “Schon okay”, winkte ich ab, ”du wolltest mir noch etwas zu Hanni erzählen?”
      “Ja, genau”, leitete Sam ein, während ihre Augen wieder zu Samu abschweiften. Mittlerweile war das Warmblut aufgewärmt und Samu somit zu den komplexeren Lektionen übergangen. Momentan arbeitete er daran, dass Hendrik mehr Last auf die Hinterhand aufnimmt, denn wie viele Dressurpferde heutzutage, tat er dies sehr ungenügend, wodurch er zwar vorwärtsstürmt, aber das wenig mit einem harmonischen Anblick zusammenhängt.
      “Das wichtigste vorneweg, Henade verträgt keinen Mais, also bei der Fütterung bitte darauf achten”, informierte sie. Ich nickte und trug diese Information sogleich in das System ein.
      “Des Weiteren”, fuhr Samantha fort, ”musst du aufpassen, wenn du ins Gelände gehst. Hanni wird dort schnell unsicher und benötigt dann einen bestimmten, aber ruhigen Reiter. Nicht dass ich dir das nicht zutraue, aber mir wäre es lieber, wenn du die ersten Male nicht allein mit ihr ausreitest. Ach, und bitte nicht gebisslos, auch in der Halle nicht, dabei wird sie ebenfalls extrem unsicher.” Erneut nickte ich: “Natürlich, wie du es wünschst.”
      “Sehr gut, allgemein ist sie sehr fein zureiten. Im Umgang wirst du merken, dass Henriette ein wenig speziell ist. Sie will unter anderem nachts in der Box stehen, aber ihre Eigenheiten wirst du schon noch selbst entdecken”, grinste sie mich an. Allerdings hielt ihr Blickkontakt nur kurz, bevor er wieder abschweifte.

      Ein paar Stunden später
      Vriska
      “Welche Farbe passt zu einem Fuchs?”, murmelte ich in den Kragen meiner Jacke. Mit zwei Schabracken in der Hand stand ich in der Sattelkammer und konnte nicht entscheiden, was besser zu dem roten Fell passen würde. Hellgrün oder Otter-Gelb? Immer wieder streckte ich den Stoff in die Luft, in der Hoffnung, dass sich das Problem auflöste von selbst.
      “Nimm die Grüne”, erklang ein zartes Stimmchen hinter mir, die nur zu einer Person gehören konnte. Kurz trat Verwunderung ein, ob mein Bewusstsein gerade zu einem zweiten Ich wurde, dann begriff ich, dass Lina den Raum betrat.
      “Ähm”, drehte ich mich zu ihr, “danke.” Sogleich legte ich die gelbe zurück auf die blaue Schabracke und nahm die passenden Bandagen dazu. Wortlos schritt sie vorbei an das Waschbecken, um die Trense auszuwaschen, die sie in der Hand trug.
      “Ich wollte mich bei dir entschuldigen, für das, was ich vorhin gesagt habe. Ich wollte dich nicht verletzen”, sprach sie schließlich und stellte das Wasser an.
      “Schon vergessen”, versuchte ich darüber hinwegzusehen, “meine Reaktion war schließlich nicht die Beste.”
      “Okay, da bin ich erleichtert, dass du mir nicht böse bist”, sprach sie und ein zurückhaltendes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sich umdrehte, um das lederne Kopfstück an seinen Platz zu hängen.
      “Interessiert dich, dass womöglich neugierigste Wesen auf diesen Himmelsphären, gar nicht, dass Wieso?”, versuchte ich sie noch Augenblick länger hierzubehalten, bevor ich erst einmal verschwinden würde.
      “Also so neugierig bin ich jetzt auch wieder nicht, oder doch?”, entgegnete sie ein wenig verunsichert, “Aber doch, wenn du es schon so anbietest, wieso sucht du eine Schabracke aus?”
      „Na, für das Pferd. Ist das nicht, offensichtlich?“, wunderte ich mich nun. Wie ein hungriges Eichhörnchen durchwühlte sie den Waldboden und anstelle nach dem eigentlich abgelenkten Thema zu buddeln, dass ich sonst mit niemandem teilen konnte, fragte sie nach der blöden Sattelunterlage. Eigentlich sehr ironisch, dass ich das ursprüngliche Set von Lubi jetzt für den Hengst mitnahm, den Tyrell nicht schaffte, selbst anzuschauen.
      “Ähm, bedingt. Ich dachte, du geht’s es nur Probereiten?”, erklärte sie ihre Frage und blickte mich dabei irritiert an, “Aber mir scheint, du wolltest auf etwas anderes hinaus.”
      “Darf das arme Tier beim Probereiten nicht schön aussehen?”, scherzte ich und packte noch die letzten Gegenstände wie Gerte und Helm in die große Reisetasche vor meinen Beinen. Selbst Haargummis und ein nagelneues Päckchen voller Leckerlis lag darin.
      “Grundsätzlich, ja”, beantwortete ich noch ihren Zusatz.
      “Doch, du bist nur der erste Mensch, der mit unterkommt, der seine eigene Schabracke mitbringt oder ein Großteil des anderen Zeugs da”, lächelte sie mit einem prüfenden Blick in die Tasche.
      “Verrätst du mir auch, was du eigentlich ansprechen wolltest oder muss ich jetzt raten?”, hakte sie schließlich nach.
      “Kommt darauf an, wie viel Zeit du damit verbringen möchtest, denn ich müsste jetzt los”, seufzte ich und schielte zur Uhr. Seit zwanzig Minuten wollte ich im Transporter sitzen, in Richtung Malmö.
      “Na, dann möchte ich dich ungern weiter aufhalten, also sprich”, forderte sie mich auf.
      “Dann wirst du bis morgen Abend warten müssen, oder gar Sonntag früh”, grinste ich und hob die Tasche auf. Lina stellte sich mir allerdings in den Weg, als wäre eine riesige Herausforderung.
      “Aber das ist ja gefühlt erst in einer halben Ewigkeit, das kannst du doch nicht machen!”, beanstandete sie und blickte mich anklagend aus ihren großen, blauen Disney-Prinzessinnen-Augen an.
      “Siehst du doch”, geschickt fischte ich mich an ihr vorbei und lief den endlosen Flur entlang, der allerdings nicht mehr als zehn Meter maß.
      “Vriska, warte doch”, rief sie und lief schnellen Schrittes hinter mir her, “gib mir wenigstens einen Hinweis.”
      “Du hast die Wahl, entweder du springst auf den Beifahrersitz, oder du musst warten”, entschloss ich, ohne Lina direkt Fragen zu müssen, ob sie mitmöchte. Damit fühlte es auch für mich so an, als würde sie eine Wahl treffen und nicht mich enttäuschen.
      “Habe ich die richtig verstanden, ich soll mit, jetzt sofort?”, fragte sie mit ungläubigem Gesichtsausdruck.
      “Ja. Aber du kannst auch erst deinen eifersüchtigen Freund fragen, der dann mir die Hölle heiß macht, als würde ich dich an einen Sklavenhalter verkaufen”, zuckte ich mit den Schultern. Wir standen mittlerweile am grauen Transporter, auf dem die Aufschrift des Hofes im Licht der Reithalle reflektierte. Die Tasche lud ich in der Wohnkabine sicher ein und drehte mich, in der Tür stehend, zu ihr um.
      “Ähm, ich habe doch gar keine Klamotten parat”, stammelte sie hektisch, “Kannst du mir fünf Minuten geben?”
      “Wenn du Dog mitbringst, ja”, grinste ich selbstüberzeugt von meinem Erfolg. Dann zischte die Kleine schon ab, wie vom Teufel gejagt. In der Zwischenzeit überlegte ich, welche Worte die klügsten wären, um ihr zu erklären, dass ich auf einen Typ stand, den ich nicht nur kaum kannte, sondern auch nicht traute, anzusprechen. Noch bevor mein Hirn welche fand, kam der junge Hund angesprungen und trat vorsichtig die Stufe hinauf. Er kannte das Fahrzeug nicht, aber ich allein reichte aus, dass der Rüde sich überwand und im nächsten Augenblick das Innere begutachtete. Keuchend wie eine Lok und mit hochrotem Kopf, erschien auch Lina, kurz nach dem Fellbündel im Inneren. Den großen Rucksack, den sie dabeihatte, verstaute sie ordentlich und sog die Tür hinter sich zu.
      “Okay, ich bin bereit”, verkündete sie vollkommen außer Atem und ließ sich auf den Sitz plumpsen. Kaum saß auch ich auf meinem Polster, startete ich den Motor und fuhr mit knirschenden Reifen zur Ausfahrt. Die Stille hielt für weniger einer Minute an, bis Lina begann mich mit Frage zu löchern, die ich unmöglich alle gleichzeitig beantworten konnte. Immer wieder lachte ich und versuchte meine Unsicherheit zu verbergen, die sie, schlau wie Fuchs, bemerkte. Also begann ich zu erzählen. Die ersten Eckdaten von Basti kannte sie schon, doch dass ich kaum noch ein klarer Gedanken fassen konnte und kein Tag verging, an dem ich nicht an ihn dachte, erfuhr sie erst auf der Reise.
      “Und ja, das war alles, was ich weiß”, seufzte ich, “ach so und er fährt nachher.” Mit den Augen weiter auf der Straße, nahm ich eine Hand vom Lenker und suchte in meiner Handtasche nach den Karten. In weiser Voraussicht hatte ich zwei VIP-Lounge Karten gekauft, auch, falls Lars mitkommen würde, der allerdings für Samstag in Visby genannt hatte und somit keine Zeit aufbringen konnte.
      Lina saß verschmitzt grinsend auf ihrem Platz: “Deshalb die Motivation und die Eile, bereits den ganzen Tag über, ich verstehe. Aber du scheinst ein Händchen für die Unnahbaren zu haben.”
      “Kann man so sagen, ja”, ich spürte, wie meine Augen glasig wurden und wischte mir durchs Gesicht, “aber es wird wie die letzten Wochen auch sein, nur auf Abstand und existiere nicht.”
      “Hey, nicht gleich den Mut verlieren, Vriska”, sprach sie einfühlsam, ”Hast du mal probiert, ihn anzusprechen? Sonst kann er schließlich gar nicht wissen, dass du existierst.”
      “Wir haben schon das eine oder andere Mal Floskeln ausgetauscht, aber für mehr fehlt mir der Mut. Zudem hat er nicht auf Tinder geantwortet. Das sagt doch alles”, erklärte ich mit Enttäuschung in der Stimmenlage.
      “Was ist nur aus der Welt geworden, in der das reale Leben über dem Digitalen steht”, schüttelte sie den Kopf, ”Gib nicht so viel auf diese App und was das andere angeht … du hast ja diesmal mich dabei.”
      “Kann nicht jeder wie du urplötzlich den Bilderbuchkerl treffen”, sprach ich sogleich, bis mir wieder einfiel, wie eifersüchtig sich Niklas entwickelte, obwohl sie viel mehr Gründe dafür hätte – die sie nicht kannte. “Außerdem, was willst du machen, außer ihn verschrecken?”
      “Oha, als sei ich so furchtbar unerträglich. Warum nimmst du mich dann überhaupt mit? Und für Ersteres kann ich nichts, der ist mir einfach so zugelaufen”, schmollte sie sogleich.
      „Man, ich meinte mit deiner Neugier. Das könnte mein Verhängnis werden“, lächelte ich, „außerdem geht es eher um den Fuchs als um den Kerl. Der ist nur … hübsches Beiwerk für die Tour.“
      Von der Halbinsel lenkte ich das Gefährt auf die Europastraße und stellte das Tempomat auf das gegebene Tempolimit ein, um meinen Fuß zu entlasten. Entspannt rollten wir auf der rechten Spur hinter einigen LKW in der Kolonne, während der Hund hinten in einer großen Transportkiste schlief.
      „Ja, ja, aber ich werde mir Mühe geben, dein Beiwerk nicht zu vertreiben, versprochen", sprach sie versöhnlich, „Um was für ein Pferd geht es da eigentlich?“
      „Danke. Sehr zuvorkommend. Also Pferd ist ein Fuchs, Traber Mix aber mit deutscher Sportpferd Eintragung. Das Beste: hohe Dressurausbildung könnte damit Potenzial auf mein Turnierpferd haben. Tyrell war sich aber nicht ganz sicher, was wir mit dem sollen, es ist irgendwie ‚Hauptsache weg‘ und ‚macht was daraus‘, Pacht oder so sagte er“, erklärte ich. Ehrlich gesagt, hatte ich auch nicht genauer zugehört, wodurch mir der Name durch die Lappen ging. An dem Standort wusste man über meine Ankunft Bescheid, deswegen hoffte ich, mir wurde das richtige Pferd gegeben.
      „Oh, das klingt … Speziell“, kommentierte Lina das ziemlich kritisch, „Ich hoffe, du machst dir nicht allzu viel Hoffnung, dass es dein neues Turnierpferd wird.“
      „Tatsächlich, nein, bisher stellte sich jedes Pferd als Katastrophe dar. Als du in Urlaub warst, habe ich heimlich einige besichtigt. Du kannst dir nicht vorstellen, was das für traurige Tiere waren, vollkommen verritten und selbst Maxou kann vermutlich mehr als die“, nahm ich ihre Aussage nicht für bare Münze, „aber wie kommst du denn darauf?“
      “Doch, kann ich mir ungefähr vorstellen. Aber zurück zu dem Fuchs: Die Wortwahl der Umschreibung, impliziert, dass etwas an dem Pferd nicht stimmen kann“, erklärte sie ihren Gedanken.
      „Er sei etwas schwierig“, grinste ich, „aber wenn Tyrell überzeugt ist, dass ich das schaffe, dann vertraue ich ihm.“
      Auf Höhe Nättraby fuhren wir von der Autobahn herunter für eine Rast. Den Transporter tankte ich voll und Lina verschwand für einen Augenblick mit ihrem Handy. Ich dachte mir nicht viel dabei, schließlich würde Niklas nicht ohne Weiteres das Fehlen seiner Freundin bemerkten. Der aufgeregten Stimme dumpf zwischen den Fahrzeuggeräuschen, schien mir nahezulegen, dass ich recht hatte. An der Kasse nahm ich noch eine Schachtel mit und parkte den Transporter auf dem Parkplatz. Dog erwachte im Inneren und mit einer Leine liefen wir den Grünstreifen entlang. Ungefähr die halbe Strecke hatten wir geschafft. Ich bekam wieder weiche Knie. War es nicht etwas viel, dass ich mir das Pferd anschauen fuhr? Schließlich bewirtschafteten wir deutlich sicherere Reiter als mich am Gestüt, die der Aufgabe besser gewachsen waren.
      Nach einer knappen halben Stunde kehrte Lina zurück, vollkommen aufgelöst und augenscheinlich den Tränen nah. Sie aufmuntern, gehörte eher weniger zu meinen Stärken.
      „Niklas?“, fragte ich beiläufig und sie nickte. Dann seufzte ich. Lina kletterte auf den Beifahrersitz und nach dem Dog wieder in seiner Kiste saß, folgte ich. Ab da an, schwieg sie, stellte nur das Radio lauter, um das schreckliche Gedudel zu genießen. Mehrfach erleuchte ihr Handy das Innere der Kabine, doch ihrer verhaltenen Reaktion nach, blieb es stumm. Gut eine halbe Stunde hielt es an, bis sie schließlich aufgab.
      “Entschuldige, lass dir von mir nicht deine Stimmung vermiesen”, seufzte sie und packte das Mobilgerät so weg, dass es nicht nur aus ihrem Blick, sondern auch außerhalb einer bequemen Reichweite geriet.
      „Du kannst nichts dafür, dass er so ist. Mir würde es sicher nicht besser gehen als dir“, versuchte ich Lina zu beruhigen. Es lagen nur noch einstellige Kilometer vor uns, dann würden wir endlich ankommen. „Wenn du möchtest, können wir morgen auch noch hinüberfahren, nach Kopenhagen. Oder dir einen hübschen Kerl suchen.“ Bei meiner letzten Idee musste ich lachen.
      “Mir einen Kerl suchen? Aber was soll ich denn damit”, fragte sie, aber in ihren Mundwinkel zuckte ein amüsiertes Lächeln.
      „Dich mal mit jemandem unterhalten, der nicht so verrückt ist“, schlug ich vor, „und dann mal sehen.“
      “Mal mit jemandem unterhalten, der nicht so ist … also willst du damit sagen, alle am Hof seien verrückt oder ich rede mit niemandem?”, hinterfragte sie offenbar zum Scherzen aufgebracht.
      “Pferdeverrückt sind die zumindest alle”, brachte ich mehr Klarheit in die Umstände. Gleichzeitig leuchteten bereits die großen Flutlichter der Bahn uns entgegen.
      “Na gut, da magst du recht haben”, stimmte sie mir zu, “aber ehrlich gesagt kann ich mich nicht erinnern, wann ich zuletzt mit jemandem redete, der das nicht ist. Ich weiß sicher nicht mehr, wie das geht mit der Kommunikation”
      “Da kann ich dir auch nur schwer helfen. In der Heimat, egal, mit wem ich gesprochen habe, nach spätestens fünf Sätzen fiel das Wort Pferd und dann konnte ich nicht mehr aufhören”, gab ich offen zu. Mittlerweile stufte ich mich als unheilbar krank ein.
      “Dann bist du wohl ebenso irreversibel vom Pferdevirus befallen wie ich”, lachte sie.
      Auf riesigen Parkplatz standen wir beinah allein, kaum einer kam auf die Idee Ende Februar an einem Freitagabend sich Rennen anzuschauen. Nur mich trieb es wie ein Insekt zum Licht.
      “So, da sind wir”, sagte ich und drehte den Schlüssel um. Lina warf einen rundum Blick aus dem Fenster, wo nicht viel zu sehen war, als schemenhafte Umrisse anderer Fahrzeuge.
      “Mir scheint es, als gehörten wir zu den wenigen Irren, die sich gerne den Hintern abfrieren”, stellte sie fest, bevor sie sich vom Sitz erhob und als Erstes den Hund aus seiner Kiste ließ.
      “Hintern abfrieren?”, aus dem Fach auf dem Armaturenbrett nahm ich unsere beiden Karten heraus, “wir sitzen drinnen, mit Essen und Getränken.”
      Dog hörte das sehr eindeutige Wort und sprang durch den Spalt zu mir nach vorn. Der Schwanz klopfte gegen das Plastik. Sein Gesicht steckte er in meins. Sanft schob ich ihn zur Seite, um mich zu erheben.
      “Oha, also richtig Premium heute. Warum sagst du das denn nicht gleich?”, sprach Lina sogleich ein wenig motivierter. Lachend zuckte ich mit den Schultern, bevor ich aus der Tasche andere Kleidung suchte. Doch es wurde genauso schwer, eine schöne Hose zu wählen, wie die Farbe der Schabracke. Ach ja, ich hatte nur schwarze Hosen dabei, weshalb es niemanden auffallen würde, für welche ich mich entschied. Lina erblickte die Unschlüssigkeit und zeigte mit dem Finger auf die in der linken Hand.
      “So, ich bin fertig”, kam ich abgeschminkt aus dem kleinen Badezimmer, in dem man sich nur drehen konnte und das war es. Im Spiegel konnte ich kaum etwas erkennen, aber es reichte aus, um die Schlieren im Gesicht loszuwerden.
      “Perfekt”, nuschelte es mehr aus dem Pullover, aus dem kurz darauf auch ein Kopf auftauchte, “ich hab’s auch gleich.” Geschäftig schob sie sich an mir vorbei, warf noch im Türrahmen stehen einen Blick in die spiegelnde Oberfläche und zupfte an einer Strähne, die sich aus ihren Zöpfen gelöst hatte, um sie gleich wieder hinter das Ohr zustecken.
      “Okay, ich glaube, so kann man sich blicken lassen”, verkündete sie schließlich. Ihr Look hatte sich kaum verändert, so tauschte sie lediglich die dunkle Reithose, die sie noch trug, gegen eine Jeans und den vollgesabberten Sweater gegen einen sauberen.
      “Wunderschön, wie immer”, grinste ich, “also wirklich”, schob ich lieber noch nach, damit sie es nicht falsch auffasste. Dog bekam ein buntes Geschirr aus dem Schrank um und zusammen liefen wir über den matschigen Boden, den ich in der schützenden Umgebung des Transporters bereits verdrängt hatte. Auch der gefleckte Rüde schien nicht sonderlich begeistert und watschelte sie eine Ente auf heißen Kohlen. Am Eingang wurde unser Ticket kontrolliert und uns der Weg gewiesen zur Lounge.
      “Hier lang, denke ich”, entschied ich unentschlossen, denn die Worte verschwanden nach weniger als einer Sekunde aus meinen Ohren. Zumindest standen wir vor einem großen Gebäude, das die Tribüne sein sollte. Davor standen Leute und rauchten.
      “Ja, sieht richtig aus”, nickte die Brünette an meiner Seite. Wir schlängelten uns an den Personen vorbei ins Innere, folgten einer langen Treppe nach oben kann an einer großen Glastür. Entgegen meinen Erwartungen war es gut gefüllt und mit unseren Bändchen am Arm, die wir am Eingang bekommen hatten, ließ man uns eintreten. Eine nette Frau führte uns zu einem Tisch abseits der anderen. Dort stand ein kleiner, eher hässlicher, Blumenstrauß, der schon bessere Zeiten hatte. Von der Decke hingen große Lampen, die teilweise gedimmt waren und ein warmes Licht im Raum verteilten. Kaum saßen wir, wurde uns die Speisekarte samt Programmheft gereicht, als würde man direkt entscheiden können, welches Pferd man essen wollte. Absurde Vorstellung.
      „Ich werde ein Bier trinken, und du?“, fragte ich Lina.
      “Mmm, ich nehme auch ein. Das kann ich heute gebrauchen”, beschloss sie kurzerhand.
      Die Dame kam zurück und nahm die Bestellung entgegen. Nun begann die nächste Suche nach etwas Essbaren. Für mich war die Auswahl nicht groß, doch eine Ofenkartoffel mit Ofengemüse klang sehr lecker. Auch mein Gegenüber wurde fündig, Nudeln mit einer Tomatensauce, was auch als Empfehlung des Hauses galt.
      “Da ist er”, sagte ich zu Lina, als wenig später das Essen auf dem Tisch dampfte. Ich zeigte aus dem Fenster heraus, auch wenn man kaum was sah. Auf der anderen Seite des Raumes hing eine riesige Leinwand, auf der man das Geschehen verfolgen konnte.
      Anstatt auf diese zu blicken, folgte ihr Blick meinem Finger: “Der mit dem Braunen da?”
      “Genau. Die Quote ist ziemlich gut”, merkte ich zusätzlich an und versuchte möglichst normal im Raum zu wirken. Einen Tisch weiter diskutierte ein älteres Ehepaar darüber, welchen Hengst sie für eine ihrer Stuten wollte und dabei mischte sich eine weitere Person ein.
      “Gute Quote hießt gute Gewinnchancen, richtig?”, überlegte sie kurz.
      “Ja, genau. Ich … Ich habe auch eine Platzwette auf ihn, also mal sehen”, grinste ich verlegen und wich ihren Blick aus, der sich sofort zu mir bewegte. Mit der Gabel brach ich die Kartoffel weiter auseinander und verteilte die vegane Creme darin. Noch immer dampfte es, aber mir lief das Wasser im Mund zusammen.
      “Dann hast du hoffentlich auf das richtige Pferd gesetzt”, grinste sie und rollte die Nudel auf ihrer Gabel auf.
      Das Rennen begann nach der Parade. Mit dem Körper drehte ich mich zur Leinwand, um das Geschehen genau beobachten zu können. Mir zitterten die Finger. Das Messer legte ich weg, sicher war sicher. In hoher Geschwindigkeit setzte Fiberglas, die braune Stute an Bastis Leinen, voran, als gäbe es kein Morgen mehr. Nach der zweiten Kurve hatte sie bereits drei Pferdelängen vor dem folgenden Pferd und hielt konstant ihre Position. Obwohl es mir die Sprache verschlug, versuchte ich Lina etwas von meiner Freude in mir mitzuteilen, aber alles, was meinen Mund verließ, waren hohle Worte. Der Kloß im Hals wurde größer. Von hinten zischte eine Fuchsstute vor und überholte Fieberglas beinah, aber die Kurzstrecke hatte es in sich. Kurz vor dem Ziel zogen auch die anderen Pferde mächtig an, was den großen Vorsprung wett machte. Unter dem Tisch wackelte mein Bein und als das Kopf-an-Kopf-Rennen an der Zielgeraden erst ausgewertet werden musste, überkam es mich mit einer unbeschreiblichen Leere. Im Raum wurde gejubelt, aber ich konnte nicht mehr.
      Nach der Auswertung stand fest, dass Basti disqualifiziert, wurde durch Behinderung des anderen Fahrers, obwohl er dazwischen feststeckte. Damit durfte er auch nicht an dem Rennen danach teilnehmen mit Netflix.
      “Vriska, kannst du mir erklären, weswegen er genau disqualifiziert wurde?”, fragte Lina, die offenbar begann ein gewisses Interesse für die Rennen zu entwickeln.
      “Wurde doch gerade gesagt”, murmelte ich, aber erklärte es ihr natürlich. Am Handy spielte ich auch das Replay immer und immer wieder ab, bis ich sah, was die Rennleitung offenbar als Regelverstoß ansah. Sie hörte mir gespannt zu, obwohl meine Worte vermutlich auch klangen, wie von einem eingeschnappten Kleinkind.
      “Es so vielversprechend aus und dann so eine blöde Kleinigkeit. Ist ja wirklich ärgerlich”, kommentierte sie, als sie endlich verstand, was beanstandet wurde.
      “Na gut, egal, kann ich auch nicht ändern”, entschloss ich, die schlechten Gedanken zur Seite zu schieben und setzte das Essen fort. Wir wechselten das Thema. Lina berichtete von der neuen Stute, die im Stall stand und eigentlich auf Tätigkeiten hoffte. Zur gleichen Zeit lag Dog unter dem Tisch und schlief.
      “Ich bin schon gespannt, wie Hanni sich unter dem Sattel machen wird. Sie ist wohl ziemlich fein ausgebildet und demnach, was Samantha so erzählte, klang es wahrhaft traumhaft”, schloss sie ihren Bericht über das, was sie bereits über die Stute wusste. Die Freude über das neue Pferd war ihr wahrhaft anzusehen, denn ihre Augen leuchtete mit jedem Wort förmlich noch ein wenig heller, wie es sonst nur geschah, wenn sie von ihrem Hengst schwärmte.
      “Also geht es für dich dann dieses Jahr mit Niklas auf Turniere?”, scherzte ich und hoffte inständig, dass es sie nicht traurig machen würde. Ich sah das Talent, mit ihren Pferden, viel mehr als das, was ich im Sattel tat.
      “Vielleicht, es ist nicht ausgeschlossen”, lächelte sie, ”In Kiel konnte ich feststellen, dass Zuschauer nicht ganz so schrecklich sind, wie ich dachte. Zumindest habe ich nicht gleich einen Herzinfarkt erlitten.”
      “Du hast eine große Zukunft vor dir, das spüre ich”, stimmte ich zu. Im selben Moment kam allerdings noch ein weiteres Gefühl mit. Wenn es mit dem Hengst morgen nicht funktionieren würde, fehlte mir wirklich die Kraft, weitere Pferde anzuschauen. Wie konnte es so schwer sein, ein Turnierpferd zu finden, wenn das Limit ziemlich hoch lag? Seufzend bestellte ich mir noch ein Bier nach, dass mittlerweile das Dritte war.
      “Na, wenn du das als Hexe so sagst, dann muss das wohl stimmen”, akzeptierte sie meine Aussage grinsend, “Und was ist mit dir? Wenn du auf Pferdesuche bist, ist anzunehmen, du willst zu Dressur zurückkehren?”
      “Wollen ja, aber sehen wir es realistisch: Ich bin vermutlich am Boden besser aufgehoben”, seufzte ich unentschlossen.
      Noch bevor Lina eine Antwort gab, holte man unsere Teller ab und brachte eine Dessertkarte. Ich schob diese direkt an den Rand, doch sie blätterte zumindest darin.
      “Ach, quatsch, du hast ein Talent dafür, auch auf dem Pferd”, sprach sie hinter ihrer Karte.
      „Dennoch halte ich es für unmöglich, dieses Jahr eine internationale Prüfung zu reiten“, versuchte ich es möglichst unbekümmert klingen zu lassen, obwohl mich Lubis Verkauf zu teilen noch in der Nacht quälte. Allerdings war es nicht Lubi selbst in meinen Träumen, sondern ein Pferdewesen, dass sowohl Glymur als auch ihr glich. Wenn ich es ritt, stellte es ganz klar die große Warmblutstute dar, doch am Boden war es der Isländer. Seltsame Träume, die mich um spät nachts hochjagten.
      “Nicht so pessimistisch, das Jahr hat doch gerade erst angefangen. Wir finden erst einmal ein Pferd für dich und sehen dann mal, wohin das führt”, schenkte sie mir ein ermutigendes Lächeln.
      “Damit wird er mich wohl kaum mehr mögen.” Entmutigt stützte meinen Kopf auf den aufgestellten Ellenbogen und sah über ihre Schulter hinweg zur Tür. Noch bestand die Hoffnung, dass er engelsgleich durch die Tür schweben würde. Bisher passierte es nicht.
      “Ein Pferdesportspate bestimmt doch nicht allein, ob man von jemandem gemocht wird, viel wichtiger ist die Persönlichkeit, die den Sport ausübt”, redete Lina mir weiterhin gut zu. Vermutlich musste sie es wissen, aber mit vorlaufender Drehung des kleinen Zeigers, wurden die Augen schwerer und meine Laune schlechter. Sie hätte alles sagen können, aber es hätte nichts genutzt.
      Lina entschied sich gegen ein Dessert und als auch Dog begann zu drängeln, bezahlte ich, was außerhalb der Eintrittskarte lag und wir verschwanden die Treppe heraus. Müde und mit schmerzendem Unterleib vom langen Sitzen stolperte ich wie ein Storch die Stufen herunter. Der Hund zog, als gäbe es kein Morgen, was mir jeden Schritt noch schwieriger machte. Langsam öffnete die Brünette die Tür nach draußen und schon kam uns eiskalte Luft entgegen.
      “Ach ja”, fiel mir noch rechtzeitig ein, “wir schlafen im Transporter.” Bis zum letzten Augenblick hatte ich diesen Fakt verschwiegen.
      „Okay, reicht mir vollkommen", entgegnete sie sanftmütig und schlug den Weg zum Parkplatz ein. Weit kamen wir nicht. Ich stoppte wenige Meter nach der Tür und kramte hektisch in meinen Taschen nach einem Feuerzeug, das ich finden konnte. Ich hätte darauf geschworen, dass irgendwo eins sich darin versteckte, sich allerdings in Luft aufgelöst hatte. Mittlerweile bekam auch Lina meinen plötzlichen Stillstand mit und kam die letzten Meter zurück.
      „Man, jetzt geht das auch noch schief“, nuschelte ich ihr zu, mit der Zigarette im Mund, die mehr als unnötig war.
      „In dem Belangen kann ich dir auch leider nicht aushelfen“, zuckte sie entschuldigend mit den Schultern. Wer hätte das nur denken können, innerlich rollte ich mir den Augen, bis meine Rettung von der Seite an mich herantrat.
      „Ich allerdings schon“, sagte die Person, die mir längst von der Stimme und Dialekt bekannt vorkam. Das Licht der kargen Außenbeleuchtung fiel in sein Gesicht und mir stoppte der Atem. Beinah verschluckte ich mich, aber konnte den Reflex noch unterdrücken, zum Leiden meiner Lunge, die im selben Moment einen kräftigen Druck verspürte. Basti hielt mir das Feuerzeug an die Zigarette und wie versteinert stand ich vor ihm. Keine Regung, nur der Druck auf der Lunge, der immer stärker wurde und dabei weitere Schmerzen im Körper auslöste.
      „Danke“, sagte ich hustend.
      „Kinder sollte nun mal nicht rauchen“, grinste er und zog selbst an seiner.
      „Merke ich mir“, kam es teils nervös, teils genervt über meine Lippen. Erwartungsvoll blickte ich ihn, als gäbe es so viel, was er sagen sollte, aber selbst, schwieg ich. Obwohl ich fest entschlossen mich an der Leine klammerte und versuchte möglichst normal zu wirken, starrte ich ihn ununterbrochen an.
      „Ist noch etwas?“, sprach Basti mehr als verwundert.
      „Ähm“, stammelte ich wieder aus der Trance erwachend, „tut mir leid. Gute Nacht.“ So schnell ich konnte, setzte ich mich in Bewegung, reihte mich neben Lina ein, die das Geschehen aus sicherer Entfernung beobachtet hatte. Sie grinste unterhalten und nahm mir die Hundeleine ab.
      „Das ist er also, dein Basti“, stellte sie feixend fest, „Du weiß aber schon, dass es sich besser kennenlernt, wenn man spricht und nicht nur starrt.“
      „Bist du verrückt? Nicht so laut, sonst hört er das noch!“, sagte ich möglichst leise und klatschte mit der Hand gegen ihre Schulter, als würde Dog mit seinem Schwanz an ihr Bein wedeln. „Aber was soll ich schon groß sagen? Man. Das ist doch blöd. Ich bin nie so nervös, wenn ich jemanden gut finde.“ Hektisch zog ich an meiner Zigarette, damit sie nicht an Brennstärke verlor.
      „Ist ja gut“, beschwichtigte sie sogleich und senkte die Stimme, „Ich weiß nicht. Worüber man halt so redet, um ins Gespräch zu kommen, das Wetter zum Beispiel oder das Rennen.“
      „Schätzungsweise möchte er darüber nicht sprechen, nach so einem Reinfall, ist bestimmt schon schwer genug“, seufzte ich etwas erschüttert. Wir waren beinah am Transporter angekommen und noch immer vernahm ich seltsame Gefühl, als würden Blicke mir in den Rücken stechen und mich zurück zu ihm führen. Möglichst unauffällig drehte ich mich zu Basti um. Ich hatte recht, er starrte mir wirklich nach, als wäre ich ein Außerirdischer. Auf seinen Lippen lag ein spitzes Lächeln, doch als er mich bemerkte, drückte er die Zigarette im Aschenbecher aus und lief durch die Tür hinein.
      „Er hat es gehört. Ich sag’s dir!“, wiederholte ich meine Annahme. Lina hatte den Innenraum geöffnet und den ersten Fuß bereits auf der Stufe.
      “Ja und? Dann weiß er jetzt halt, dass du von ihm erzählt hast, ist doch kein Weltuntergang”, entgegnete sie relativ unbekümmert.
      “Aber es ist peinlich”, versuchte ich ihr meine Zweifel zu vermitteln, aber sie lachte nur.

      Am nächsten Tag, 9:50 Uhr
      Trabrennbahnparkplatz in Malmö

      Der Morgen kam viel zu schnell. Während Lina binnen Minuten die Augen schloss und in der Welt der Träume verschwand, plagt mich abermals dieser Alptraum. Mir lief kalt der Schweiß am Rücken herunter. Erst nach einer Hundewäsche und Outfitwechsel fühlte ich mich besser. Lina kam gerade mit zwei Bechern zurück: „Hier, Kaffee. Schwarz, ohne Zucker.“
      „Du bist ein Schatz, danke“, lächelte ich und rief den Hund. Dog kam vom Grünstreifen zurückgelaufen, legte sich in die Kiste und ich schloss sie.
      „Dann können wir los, oder?“, fragte ich Lina, die an ihrem dampfenden Tee nippte.
      “Bereit, wenn du es bist”, nickte sie.
      Kaum saßen wir wieder auf den Plätzen, startete ich den Motor. Laut dem Kartensystem fuhren wir nur fünfzehn Minuten bis zum Hof, der außerhalb der Stadt lag. Vorbei an kargen Bäumen und bunten Häusern folgten wir der Landstraße. Lina hatte ihren Blick aufs Handy gerichtet, lachte zwischendurch und die Finger flogen positiv gestimmt über das Glas. Ich versuchte konzentriert zu bleiben, aber hatte die Peinlichkeit mit Basti und den schlechten Traum noch im Hinterkopf. Unangenehm knurrte auch mein Magen, obwohl ich nie frühstückte. An dem Tag fühlte es sich anders an, auf eine Art unentspannt.
      „Das müsste der Hof sein“, sagte ich zu Lina, als das Navigationsgerät verkündete, dass das Ziel auf der linken Seite lag. Das Gestüt wirkte familiär. Heuballen stapelten sich am Eingang, zwei Hänger standen daneben und mehrere Fahrzeuge. Auf meinen Reitplatz wurde ein braunes Pferd geritten, dass aktiv den Hals wölbte und fleißig voran lief.
      “Oh, das ist hübsch hier ”, entgegnete sie, “Da bin ich mal gespannt, auf das Pferd.”
      „Und ich erst“, staunte ich und sprang in den Kies. Meine Augen hingen an dem großen weiß-roten Eingang, aus dem eine schmale Frau heraustrat.
      „Da sind unsere Gäste“, scherzte sie und kam näher, „freut mich, ich bin Anja.“
      „Vriska und das ist Lina“, stellte ich uns beide vor. Dann kam auch sofort Dog angerannt, der sich in den Dreck warf, um am Bauch gekrault zu werden. Nach der kurzen Begrüßung ging es schon zum Stall. Aus dem Transporter nahm ich meine Tasche mit. Viele Pferdeköpfe erstreckten sich aus dem Gang, durch den wir Anja folgten. Immer wenn wir an einem Fuchs vorbeikamen, dachte ich, wir seien da, doch erst an der letzten Box hielten wir an. Neben uns blickte eine kleine Stute heraus, die gerade so ihre Schnauze auf dem Holz ablegen konnte.
      „Da ist unser Pflegefall“, deutete sie auf einen Fuchs, der uns den Po zugedreht hatte und eine dunkle Stalldecke trug. Seine Ohren tief ins Genick gelegt. Ich nahm wahr, wie Lina erst das kleine haarige Pferd und dann den Warmblüter musterte.
      “Warte, ich kenne die beiden doch, ist das …”, sie klang erstaunt, beendete den Satz allerdings nicht, sondern nahm das Pferd genausten unter die Lupe. Der Hengste drehte sich schlagartig um und schnappte nach hier. Anja zog die kleine noch im richtigen Moment zurück und er traf nur Luft.
      “Das hätte ich sagen sollen”, merkte sie an, aber ich zuckte unbekümmert mit den Schultern. Stattdessen lief ich noch näher heran und reichte meine Hand. Seine Ohren spitzten sich für einen Augenblick, bevor er auch mich anvisierte. Ich schlug mit meinem Handrücken gegen sein Maul. Aufmerksam richtete er sich auf, als hätte er mit Abwehr nicht gerechnet.
      “Alles gut, mein Fehler. Ich hätte daran denken müssen, dass er so darauf ist”, winkte Lina freundlich ab.
      “Warum kennst du das Pferd?”, begriff ich mehr. Dem Pferd kehrte ich den Rücken. Die Augen der anderen wurden groß, aber unbegründet sicher fühlte ich mich in der Position.
      “Aus Kiel, Happy gehörte zu den Auktionspferden, die vom Abdecker freigekauft wurden”, erklärte dir Brünette bereitwillig.
      „Und man gab uns eure Adresse, weil mit ihm nichts läuft. Die ersten Wochen konnten wir in motivieren und jetzt“, Anja unterstrich ihre Aussage mit wedelnden Armen, als wäre das Problem offensichtlich, „also was auch immer ihr macht, nehmt den bitte mit, alles andere klären wir dann.“
      Verwundert sah ich zu Lina, die auch nicht so wirklich verstand, was Sache war.
      „Okay, aber Tyrell meinte, ich soll vorher einmal reiten“, erklärte ich.
      „Du kannst es gern versuchen, ich zeige dir alles.“ Die Dame lief vor und wir folgten. Die Sattelkammer war direkt neben dem der Box, Sattelzeug nahm ich auf den Arm und Lina griff die Putzkiste. Kaum kehrten wir zur Box zurück, stand der Hengst wieder mit drehten Hintern zu uns.
      „Bevor du hereingehst, der tritt, also pass auf“, warnte sie. Zaghaft nickte ich, wühlte aus der Jackentasche ein Leckerli heraus und bewaffnete mich mit dem Halfter. Das Scheppern der Box schreckte Happy auf. Drohend drehte er den Kopf zu mir.
      „So. Wir lassen das jetzt mal. Komm her“, murmelte ich, als würde es etwas ändern. Aber stattdessen giftete er ein weiteres Mal.
      „Willst du eine Gerte? Damit drehen wir ihn immer“, versuchte Anja zu helfen.
      „Nein, besser nicht“, lehnte ich dankend ab. Ein verängstigtes Pferd auch noch zu drohen, würde nicht viel an der Situation ändern. In der geöffneten Boxentür stand ich für geschlagene zwanzig Minuten, bis der Hengst auf der Stelle drehte und vorsichtig den Kopf zu strecken. Er bekam ein Leckerli, dass zunächst verschmäht wurde. Doch nach dem Schnuppern wirkte es wohl interessant und Happy fummelte es von meiner Hand.
      „Gut, jetzt mache ich mir keine Sorgen mehr“, hörte ich Anja zu Lina flüstern.
      “Brauchst du ohnehin nicht, sie weiß, was sie tun … und es scheint, Happy mag sie”, wisperte sie eine Antwort. Innerlich lachte ich, eigentlich wusste ich nichts, aber der Hengst sendete klare Zeichen, wie weit ich herandurfte. In langsamer Bewegung legte ich ihm das Halfter um, strich es vorsichtig über die Ohren und schon folgte er mir. Aus der Box zog er etwas Stroh mit.
      Putzen wurde eine weitere Herausforderung, aber nach knapp einer Stunde der Geduld, meisterten wir auch das. Anja verschwand zeitweise und Lina ebenfalls. Irgendwann kamen sie zurück und ich hatte den Sattel auf dem Riesen sowie meine Schabracke darunter. Leicht angewinkelt trug Happy seine Ohren und folgte mit den Augen genau, was die anderen beiden taten.
      “Vriska, du bist ein Wunderkind”, staunte Lina nicht schlecht, als sie meinen Fortschritt betrachtete. Aus sicherer Entfernung versteht sich.
      “Ihr übertreibt einfach. Der ist nur minimal empfindlich, aber sonst ziemlich umgänglich”, zuckte ich mit den Schultern. Meine Hand strich ihm sanft über die große Blesse, während seine Lippe an der Jacke fummelte.
      “Wenn du meinst”, zuckte sie mit den Schultern, “aber dann kannst du mal zeigen, ob du das minimal empfindliche Pferd auch reiten kannst. Schließlich sind wir dafür überhaupt hier.” Lina gab mir meinen Helm. Das Halfter zog ich herunter und führte ihm am Zügel mit. Doch nach zwei Schritten blieb er wie angewurzelt stehen, wollte keinesfalls mitkommen. Er wendete den Hals, um einen Blick die Gasse zu haben. Hektisch sprang die Plüschstute in ihrer Box.
      „Ach ja, die muss mit“, sagte Anja und holte die Stute. Hending, wie es mir im nächsten Moment vorgestellt wurde, war Happys Freundin und ohne die, bewegte er sich kein Stück. Mit sicherem Abstand folgten sie uns und damit setzte der Hengst auch einen Fuß aus der Gasse heraus. Lina übernahm das Pony, das aussah, wie ein zu kurz geratener Tinker, und ziemlich ungepflegt. In der Halle waren wir allein. Zusammen führten wir die Pferde, bis ein Gefühl für Happy hatte und aufstieg. Dafür hätte besser eine Aufstiegshilfe nehmen sollen, aber als Anja mit dieser ankam, sprang der Fuchs weg.
      Happy setzte mit großen und gleichmäßigen Schritten voran, deutlich weicher im Sitz als Lubi, aber ebenso schwungvoll. Es hatte etwas von einer Schaukel und bereitete mir Schwierigkeiten den Takt zu halten. Durch mein Gewicht versuchte ich ihn zu bremsen, aber Happy dachte nicht einmal daran. Der Zügel hing locker am Hals. Ich sammelte diesen auf und schon drückte er den Kopf an die Brust. Keine Chance gab er mir, überhaupt Kontakt zum Maul aufzubauen.
      „Ruhig“, sprach ich langgezogen. Die Schritte verkürzten sich und ich saß gleichmäßiger im Takt.
      „Guter Junge“, lobte ich und klopfte ihm den Hals. Dann schnaubte er ab.
      „Herzlichen Glückwunsch, du bist weiter, als wir alle zusammengekommen sind“, tönte es aus der Ecke. Ich nickte nur, um den Blick zwischen den braunen Ohren zu halten. Langsam, aber sicher baute ich eine Verbindung zum Pferdemaul auf. Sobald er sich einrollte, löste ich diese wieder auf. Runde um Runde arbeitete ich daran, bis er schließlich meine Hand akzeptierte. Im Zirkel hielt Happy locker die Linie und folgte dabei meiner Schenkelhilfe. Gleichzeitig zupfte ich am inneren Zügel, um ihm die Richtung zu weisen. Erstaunlich gut reagierte er darauf. Auch im Trab reagierte er sanft auf mich. Nur aussitzen konnte ich ihn nicht, dafür bot zu viel Schwung an, was sich wie eine Rüttelplatte anfühlte. Zwischendrin wechselte ich die Hand mit Bahnfiguren und geraden Linien. Auf Schlangenlinie spürte ich, dass ihm die Balance fehlte, aber wenn solange keiner an ihn herankam, wunderte es mich nicht. Nach einer Pause im Schritt am lockeren Zügel galoppierte ich auf der ganzen Bahn, denn in der Wendung trabte er aus, um den Schwerpunkt zu finden.
      “Vriska, ich glaube, aus dem kann richtig was werden. Das sieht richtig gut aus, was du da mit ihm machts”, rief Lina mit zu, die sich mit dem kleinen Fellmonster in der Zirkelmitte platziert hatte. Zum ersten Mal kamen Augen unter der langen Mähne zum Vorschein, denn sie hatte die Zeit genutzt, das ungepflegte Langhaar ein wenig zu bändigen.
      „Denke ich auch, deswegen hole ich mal die Verträge“, verschwand die Besitzerin aus der Halle. Happy holte ich zurück in den Schritt und musste erst einmal Luft holen. Auch er schnaubte ab. Natürlich hatte Lina recht, aber für mich fühlte es sich zu schnell an.
      „Ich weiß nicht. Ist das nicht etwas zu … vorhersehbar? Alle sagen, dass der ganz schrecklich ist und speziell, dann setzte ich mich in den Sattel und alles wunderbar“, seufzte ich unentschlossen. Gut, es ging ohnehin nicht um einen Kauf, sondern nur Training. Mit dem Gedanken ihn zu kaufen, hatte ich mich bereits auseinandergesetzt, aber war es so klug? Damit hätte ich schon zwei und beide davon nicht ganz klar im Kopf.
      “Gerade deshalb solltest du ihn mitnehmen, denk doch mal eine Sekunde nicht an dich, sondern an Happy. Hier ist dem armen Kerl doch nicht geholfen, wenn er sich nicht wohlfühlt und du willst doch sicher nicht, dass dieses talentierte Tier in einer Box versauert, nur, weil niemand an ihn rankommt”, versuchte Lina mich zu überzeugen.
      “Es steht wohl außer Frage, ob wir den mitnehmen. Aber ich denke doch schon wieder viel weiter”, seufzte ich, “weißt du, ich brauche ein Ziel und man. In meinem Kopf ist gerade zu viel.” Happy spürte sofort meine Unsicherheit. Er schlug mit dem Schweif und sprang im nächsten Moment in den Galopp um. Hektisch hob er die Hinterhand in die Luft, aber meine Balance reichte aus, um die Hüpfer auszugleichen. Mit den Knien war ich am Pferd und ermöglichte ihm, sich zu entfalten, außerdem wollte ich ihn nicht im Maul ziehen. Es dauerte lang genug, dass er sich der Verbindung zum Zügel näherte.
      “Tut mir leid, aber daran kannst du dich schon mal gewöhnen”, flüsterte ich, als Happy sich beruhigt hatte. Er schüttelte sich und ich ritt ab.
      “Mach dir nicht selbst so viel Druck. Bevor du verzweifelt nach einem Ziel suchst, solltest du dir erst einmal klar werden, was du überhaupt willst. Wenn du das weißt, findet sich dein Ziel von ganz allein”, sprach sie mit unglaublich viel Optimismus.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 60.724 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende Februar 2021}
    • Wolfszeit
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      kapitel tjugoåtta | 05. September 2022

      Henade / May Bee Happy / Hending / Maxou / Monet / Northumbria / Pay My Netflix / Götterdämmerung LDS / Fjärilsviol / HMJ Divine

      Lina
      Obwohl der Tag heute regenfrei war, hingen die Wolken grau am Himmel. Kaum ein Sonnenstrahl, drang hindurch, sodass es kaum zu glauben war, dass es bereits Mittag war, als wir am Hof eintrafen. Schneller als erwartet, waren Happy und sein Anhang im Stall untergebracht, eben so eilig verschwand Vriska, murmelte etwas von Duschen und Kaffee.
      Schwer, wie ein Stein lag das Herz in meiner Brust, als ich schließlich vor meiner eigenen Tür stand, in dessen Glas sich der trübe Himmel spiegelte. Nur langsam drückten meine Finger die Tür auf und ich durchschritt das Portal. Stille umfing mich. Die Tür zum Schlafzimmer hin, stand offen, doch dahinter herrschte Dunkelheit bei geschlossenen Vorhängen. Einige von Niklas Sachen lagen nicht an ihrer gewohnten Stelle und auch sonst gab es keine Anzeichen für Leben in dem kleinen Haus. Der Stein in meiner Brust wuchs an, wurde so groß wie ein Felsbrocken und drückte mir auf die Lunge. Es war zu erwarten gewesen, aber ein Teil von mir hatte gehofft, dass er seine Worte nicht wahr machte oder vielleicht doch zurückkehrte, bevor ich es tat. Ohne auch nur das Licht einzuschalten, lief in das dunkle Zimmer, ließ Jacke und Rucksack achtlos auf den Boden fallen. Es war ohnehin egal, wer sonst sollte sich daran stören. Mit einem Seufzer fiel ich auf das Bett. Warum muss alles immer so kompliziert sein? Von der Erschütterung in Bewegung versetzt purzelte etwas von meinem Kissen hinunter direkt in mein Gesicht. Es war das helle Plüschtier, welches ich Mini-Ivy taufte. Was machte er dort, für gewöhnlich saß er doch auf dem kleinen Schrank? Das konnte nur heißen, dass das plüschige Ebenbild meines Hengstes absichtlich dort platziert worden war. Aber zu welchem Zweck das Plüschtier dort saß, leuchtete mir nicht ein. Niedergeschlagen betrachte ich das Tier in meiner Hand, wie es mich unschuldig ansah mit seinen großen Glupschaugen. Wie alle hier drin schrie auch das Plüschtier danach, dass ein wichtiger Mensch fehlte.
      “Du hast recht, kleiner Ivy”, seufzte ich nach einer Weile, ”statt hier den Trauerkloß zu schieben, sollte ich nach deinen großen Freunden sehen.” Wirklich nach arbeiten war mir nicht zumute, aber hier länger die Decke anzustarren, würde wohl auch nicht dazu beitragen, dass Niklas schneller wieder auftauchte. Langsam erhob ich mich. Bevor ich allerdings zurück in den Stall ging, musste ich dringend Duschen.
      Eine halbe Stunde später tapste ich in ein Handtuch gehüllt zu meinem Schrank. Eine große Auswahl an Reitsachen bestand nicht mehr, denn das meiste lag getragen im Wäschekorb. So griff ich nach der schwarzen Hose, die zuoberst auf dem Stapel lag, irgendeinem Shirt aus der Schublade und einer grauen Fleecejacke. Mit gekonnten Bewegungen bändigte ich schließlich noch meine Haare, bevor ich das Haus verließ. Laut hallten meine Schritte über die menschenleere Stallgasse, worauf hin sich einige Köpfe aus den Boxen erhoben. Hanni stellte aufmerksam die Ohren auf und reckte den Hals, als ich mich ihr näherte.
      “Mmm, Süße, du bist auch ganz allein”, sprach ich sanft zu ihr uns strich über die weiche Nase. Bestimmt langweilte sich die Stute in ihrer Box. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie bewegt worden war in meiner Abwesenheit, schließlich hatte ich Mateo lediglich gebeten, nach meinen Pferden zu sehen, nicht sich auch darum zu kümmern.
      Neugierig zupfte die Stute an meiner Jacke, stellte aber schnell fest, dass diese nicht essbar war. So griff ich nach dem Halfter vor ihrer Box, trat und streifte es über die flauschigen Ohren. Wohlerzogen folgte mir die Stute zum Putzplatz und wartete ebenso artig, als ich ihr Putzzeug holte. Es dauert ungefähr eine Dreiviertelstunde, bis ich den meisten Dreck aus dem Fell der Stute geputzt hatte. In der Sattelkammer stand ich schließlich ein wenig unentschlossen vor meiner Sammlung an Unterlagen, entschloss mich schließlich für die blaue Otterschabracke. Normalerweise hätte ich zu den Gamaschen gegriffen oder, wie bei Ivy häufig, sogar nur nach den Hufglocken, doch heute hatte ich das Bedürfnis möglichst viel Zeit im Stall zu verschwenden. Am Ende lief ich beladen mit Bandagen und all dem anderen Zubehör zurück zu Henade. Naja, zumindest fast, denn auf dem Weg verlor ich eine der Fleecerollen. Weitere zwanzig Minuten vergingen, bis die Stute ordentlich bandagiert vor mir stand. Auf ihrem Rücken ein Fellsattel, den Sam für die Stute daließ, da sie bisher keinen Sattler auftreiben konnte, der einen passenden Sattel für sie anzubieten hatte. Und dass, obwohl sie nicht gerade wenig Geld in die Stute investierte, dem ziemlich teuren Gelgebiss nach zu urteilen, welches in ihren Maulwinkeln lag.
      “Komm Hanni, dann wollen wir mal sehen, ob du den Beschreibungen gerecht wirst”, sprach zu ihr und verschloss meinen Helm. Ich glaubte zwar nicht, dass dieser wirklich notwendig sein würde, doch man wusste ja nie, schließlich kannte ich das Pferd nicht.
      Ganz von selbst lief die Stute im Schritt voran, fußte sicher unter ihren Schwerpunkt und benötigte kaum Zügelkontakt, um in eine Anlehnung zu kommen. Ich hatte gerade eine Runde um die gesamte Bahn geschafft, da trat eine kleine Gestalt mit einem weißen Pony, mit niedlichen buschigen Zöpfen geflochten, am Zügel in die Halle. Dieses kündigte sich mit einem lauten und schrillen Wiehern an, dass Hanni sogleich erwiderte.
      „Störe ich?“, fragte sie höflich und zurrte den Gurt fester.
      “Nein, ich denke, hier ist ausreichend Platz für uns beide”, lächelte ich freundlich. Kaum hatten meine Worte den Mund verlassen, stieg sie auf den Hengst und ritt los, um sich neben mich einzureihen.
      “Ich glaube, wir kennen uns nur peripher. Mein Name ist Neele und das ist Monet”, stellte sich die kleine Naturblonde vor. Den Namen kannte ich bereit, aber die Person dazu bekam ich bisher nicht wirklich zu Gesicht, denn sie verbrachte den ersten Teil ihres Praktikums drüben bei den Ponys aus dem Norden.
      “Schön, euch beide kennenzulernen. Ich bin übrigen Lina und die hübsche Dame hier”, sprach ich und strich der Stute über den Hals, “ist Henade.”
      “Cooler Name”, merkte Neele an. Auch sie wuschelte ihrem Pferd durch die Mähne und wendete dann auf den Zirkel ab, als ein kaltes Schweigen in der Halle eintrat. Ungewöhnlich weit setzte ihr helles Pony durch den Sand und hielt sich vollkommen selbst, sogar den Schwerpunkt fand es problemlos.
      “Ist Monet in der Dressur ausgebildet? Er bewegt sich so ungewöhnlich elegant für ein so kleines Pony”, starte ich einen Versuch, die Konversation wieder aufzunehmen, als sie auf ihrem Kreis an mit vorbeikam.
      “Richtig erkannt, wir wollen auch dieses Jahr wieder auf Turniere fahren”, erklärte sie umgehend.
      “Oh cool, auf welchem Niveau nimmst du teil?”, fragte ich interessiert. So wie das Pony sich bewegte, vermutete ich eine hohe Ausbildung, aber Tiere dieser Größenordnung sah man nur selten über L-Niveau oder vielleicht noch M-Niveau.
      “Grand Prix in den Jungen Reitern”, sagte Neele mit stolzer Brust.
      “Wow, dann habe ich ja zwei Profis vor mir“, sprach ich anerkennend. Irgendwie war es seltsam, dass ich egal, wohin ich ging, immer zu auf Leute traf, die viele Erfolge in hohen Klassen vorzuweisen hatten. Mit Ehrfurcht blickte ich zu diesen auf, traute ich mich selbst nach den dreizehn Jahren, die ich mittlerweile auf dem Pferderücken verbrachte, nicht auf ein Turnier.
      “Ach, wir machen das nur zum Spaß, außerdem bin ich der Meinung, die sollen endlich aufhören, sich auf ihren riesigen Viechern auszuruhen. Sieht alles gleich aus auf dem Turnier”, sprach sie mir aus der Seele.
      “Ja, da stimme ich dir vollkommen zu und dann sind auch alle noch braun und schwarz, man könnte mal mehr Farbe bekennen, mehr Formen einbringen, das wäre zum Zuschauen deutlich spannender“, stimmte ich Neele zu.
      “Deswegen habe ich noch immer ihn hier. So lange wollte man mich von meiner Idee abbringen, aber mittlerweile sind wir zweimal gestartet und es war wirklich cool”, dann schweifte ihr Blick zu Henade, “deine ist aber auch wirklich super toll.”
      “Danke, aber Hanni ist leider nicht meine. Sie ist nur zum Beritt hier“, erklärte ich der Ponyreiterin.
      “Ach, das eine schließt das andere doch nicht aus. Aber nun viel Erfolg, mein Junge möchte schneller”, verabschiedete sich Neele und trabte an. Ein seltsamer Zufall, am Freitag hatte ich mit Vriska ein Gespräch mit ähnlicher Thematik. Beinahe als wolle das Schicksal mir einen Wink geben.
      Auf einen leichten Druck mit dem Schenkel trieb ich meine Stute in den Trab. Wie auch im Schritt bereit waren ihre Tritte weich und sie hatte gerade so viel Schwung, dass man es noch bequem aussitzen konnte. Ich fühlte mich vollkommen sicher auf Hanni Rücken, denn sie schien wirklich durchschaubar zu sein. Nur eins schien der Stute nicht zu passen, Neele und ihr Pony. Immer dann, wenn wir an den beiden vorbeikamen, schlug sie missmutig mit dem Schweif, ließ sich allerdings nicht davon aus der Konzentration bringen. Nach einer lockeren Aufwärmphase wagte ich es langsam die Seitengänge anzutesten. Im Schritt legte ich das innere Bein an und fasste selbigen Zügel ein wenig kürzer, den äußeren gab ich gerade so weit nach, dass die Stute frei war, sich in den Rippen zu biegen, aber nicht abwenden würde. Die Gewichtshilfe folgte ebenso der Biegung, was bei Hanni allerdings umgehend zu Verwirrung führte, unsicher taumelte die Stute und verlor Takt wie auch Richtung. Hatte ich etwas falsch Gemachten? Ich brachte Hanni zurück in die Ausgangsposition und ging die Hilfe für das Schulterherein sicherheitshalber durch. Innerer Zügel, inneres Bein, außen verwahren, Gewicht in Stellungsrichtung. Nein, ich hatte alles gemacht, wie ich es lernte. Bei einem erneuten Versuch, die Lektion zu reiten, reagierte die Stute unverändert. Auch als ich andere Lektionen testete, wirkte es als sprachen wir zwar die gleiche Sprache, allerdings mit unterschiedlichen Dialekten, ich sollte mir definitiv Hilfe bei jemandem suchen, der wusste, wie ich die Kommunikation mit Hanni verbessern konnte. Anstatt das Pferd und mich weiter zu verwirren, ritt ich nur ein paar Hufschlagfiguren und einfache Lektionen. In den Schrittpausen, die ich Henade zwischendrin gab, beobachtete ich volle Faszination Neele mit ihrem Pony. Elfen gleich tanzte der kleine Hengst über den Sand und wirkte unheimlich leicht und harmonisch. Ob Divine sich wohl eines Tages auch mit so viel Kraft und Anmut bewegen würde?
      “Du siehst so planlos aus”, kam das helle Wesen zu uns und hielt, “kann ich dir helfen?”
      “Ich weiß nicht so genau. Ich wollte Seitengänge reiten, aber Hanni scheint mich nicht zu verstehen”, erklärte ich ihr das Problem wage.
      “Dann versuche es doch von der Grundlage, aus der Ecke heraus in der Versammlung, um jeden Schritt genau zu fühlen, damit ihr einander versteht“, gab Neele mir einen Anstoß und ritt mit dem Hengst voran. Nickend nahm ich ihren Tipp zur Kenntnis und ritt Henade im Schritt an. Wie die Blonde vorschlug, versammelte ich die Stute, konzentrierte mich und versuchte jeden Schritt nachzuspüren, was durch den Fellsattel deutlich erleichtert wurde. Auf der Geraden fühlte sich ihr Takt noch gleichmäßig an. Das Schultervor bereite noch keine Probleme, erst, als ich dieses zum Schulterherein umstellte kamen wieder die Probleme. Ein erster Verdacht kam mir, wo das Problem liegen könnte, denn die Hilfe der Lektionen unterscheiden sich nur marginal. Aus einer Volte heraus leitete ich erneut in die Lektion über und probiere diesmal bewusst, die Gewichtshilfe wegzulassen, was gar nicht so einfach war, wenn man es jahrelang anders machte. Zögerlich folgte Hanni der Anweisung, trat über den ersten Hufschlag hinaus und bewegte sich schrittweise voran. Zufrieden den Problempunkt gefunden zu haben, lobte ich die Stute nach einigen Schritten passablen Schritten.
      “Na, siehst du, wunderbar!”, lachte Neele, die einige Meter weiter parallel zur Mittellinie trabte.
      “Vielen Dank für deinen Tipp, jetzt weiß ich, wo ich ansetzen muss”, bedanke ich mit einem Lächeln. Neele erschein mir nicht nur talentiert im Umgang mit ihrem Pony, sondern kam mir mit jeder Minute sympathischer vor.
      „Freut mich, dass ich helfen konnte“, sagte sie noch, bis lautes Poltern unser Gespräch beendete. Es klang beinahe, als würde eines der Pferde versuchen, den Stall ein wenig umzudekorieren. Irritiert versuchte ich einen Blick über die hohe Bande in die Stallgasse zu werfen und auch die Stute reckte ihren Kopf in die Höhe, doch darüber sehen gelang mir nicht. Hanni und ich waren zu klein.
      “Ähm, ich denke, ich sollte mal nachsehen, wer da randaliert”, entschuldigte ich mich bei Neele und lenkte den Freiberger zum Hallentor. Kaum bog ich durch die Tribüne nach links, erblickte ich ein kleines Chaos. Eine große Pfütze Wasser schwamm vor Maxou, die mit aufgerissenen Augen und nach oben gerichtetem Kopf zu mir sah. Neben ihr lag der Zaum am Boden und die Zügel um ein Bein gewickelt, den sie vermutlich im Schreck vom Haken gerissen haben muss. Auch dieser lag einige Meter entfernt, während im Holz ein großes Loch prangerte. Zu guter Letzt stand das Pony zwischen dem ganzen Putzzeug, denn auch den Putzkasten trat sie weg. Nur von Vriska war nichts zu sehen, die vermutlich in der Kammer gerade den Sattel holte. Ich ließ mich vom Rücken meiner Stute gleiten und ließ sie einfach an Ort und Stelle stehen. Langsam, um das Tier nicht noch mehr zu verschrecken, näherte ich mich Maxou, streckte ihr die Hand hin.
      “Was machst du denn, kleines Pony”, sprach ich beruhigend zu der hellen Stute, strich über ihren Hals. Mit bebenden Nüstern beschnupperte sie mich, prustete laut. Behutsam befreite ich ihr Bein aus dem Zügel und bemerkte erst, als ich angestupst wurde, dass Henade nicht, wie ich dachte, stehen blieb, sondern mir neugierig nachgelaufen war. Interessiert beschnupperte die gescheckte Stute das Pony, welches ebenso aufgeschlossen schien, doch sogleich warnend aufquietschete. Hanni drehte die Ohren leicht nach hinten, ließ aber nicht wirklich von Maxou ab.
      „Oh, was ist denn hier los?“, kehrte Vriska lachend zurück und tätschelte sogleich den Hals der Freibergerstute, hielt dabei ihr Pad auf dem anderen Arm.
      “Ich glaube, dein Pony wollte den Boden schrubben oder ähnliches”, erklärte ich und deutete auf die kleine Überflutung, in der noch immer noch die Bürsten schwammen.
      “Lieb von ihr”, bemerkte sie, tänzelte zwischen dem Wasser hinweg, um zu ihrem Pferd zu gelangen. Das streckte sich zu ihr und fummelte ein Leckerli aus der Jacke heraus.
      “Ja”, nickte ich zustimmen, “auf jeden Fall solltest du später noch Tyrell Bescheid geben, der Haken ist Maxou auch zu Opfer gefallen.”
      “Ach, der bekommt das nicht auf die Reihe. Den mache ich nach dem Reiten wieder an Ort und Stelle fest.” Vriska betrachtete besagtes Loch etwas näher und murmelte unverständlich.
      “Selbst ist die Frau, nicht?”, lächelte ich sanft. Hanni verlor mittlerweile das Interesse an Vriskas Pony und senkte stattdessen den Kopf zu einer der Gegenstände auf dem Boden, um diese mit den Lippen gründlich zu untersuchen.
      “Genau”, von einem Moment zum anderen zitterte ihre Stimme, dieselbe Unbeholfenheit und Unsicherheit kehrte zurück, als würde mein Freunden jeden Moment kommen, um ihr die Meinung zu geigen.
      “Mach dir keine Gedanken, wir bleiben heute ungestört”, sprach ich, um sie zu beruhigen und bemühtem mich dabei, es möglichst beiläufig klingen zu lassen, denn ich wollte Vriska nicht ihre fröhliche Stimmung nehmen.
      “Tut mir leid”, antwortete sie weiterhin geduckt und legte die rosafarbene Schabracke auf die Stute, sowie ihr Reitpad. Maxou drehte sich langsam zu ihr um, Schwups, ein weiteres Leckerli wechselte von Jackentasche zu Ponymaul.
      “Ist schon okay, das Leben ist kein Disney Film”, sprach ich und zupfte unwillkürlich an der einzigen hellen Strähne in der Mähne des Freibergers.
      “Du bist aber eine, mit deinem Pony”, grinste sie wieder. Maxou trug den gebisslosen Zaum, wie immer, und folgte ihrer Besitzerin treu. “Bis später.”
      “Bis später”, spiegelte ich ihrer Worte mit einem winzigen Schmunzeln auf den Lippen und wand mich schließlich Hanni zu, um sie abzusatteln.

      Stunden später

      Vriska
      Eine kurze Einheit im Sand für gerade einmal zwanzig Minuten in der Halle, überstand ich, mit der Pony-Stute, ohne Probleme. Sie folgte nur mühselig am Schenkel, aber rang sich dazu durch, zum Schluss ihre hohe Ausbildung zu zeigen – Zumindest, was den Takt im Schritt betrifft. Vielmehr wollte ich nicht abverlangen, zu groß das Risiko, dass sie die Arbeit verweigerte. Ebenso stand vor des Fuchses Box, der noch immer die Tür zur Außenwelt seltsam fand.
      “Morgen?”, fragte ich ihn, ohne eine Antwort zu bekommen. Nicht einmal seine Ohren drehten sich zu mir, aber der Schweif pendelte immerhin ruhig.
      So verabschiedete ich mich im gedimmten Licht der Stallbeleuchtung von meinen Schützlingen, um in die Gemeinschaftsküche zu gehen. Lars und Nour waren vom Rennen zurück und wollten auf ihre Erfolge anschließen. Obwohl ich mich nach dem Kurztrip klarer im Kopf fühlte, besonders nach dem schönen Shopping-Tag in Kopenhagen – bei dem ich meinen nicht vorhanden Kleiderschrank um etwas Farbe erweiterte – herrschte zu gleichen Teilen, ein riesiges Chaos.
      „Da bist du endlich“, schmunzelte Lars, der wieder erwarten, mit Tyrell am Tisch saß.
      “Aber wo ist Nour?”, fragte ich verwirrt und setzte mich dazu. Überall lagen verteilt Zettel, bedruckt, mit kleiner Schrift und auf Schwedisch, was es für mich bei so später Stunde schwierig machte, meiner Neugier nachzukommen. Also nahm ich mir ein Bier aus dem Kasten neben mir.
      “Sie wollte noch mit Vision in die Halle”, wurde mir meine Frage beantwortet, bevor sie sich wieder ihrem Gespräch widmeten. Ich zog währenddessen mein Handy hervor. Dass ich in Malmö ein Pferd, genauer gesagt zwei, blieb offenbar nicht unbemerkt, obwohl ich es nirgendwo geteilt hatte.
      “Jetzt erzähle doch endlich”, schrieb Eskil, nach dem ich versuchte, seine Quelle zu finden. Seufzend tippte ich die Geschichte zu dem Fuchs und auch, dass ich mit ihm noch sprechen wollte. Aber warum? Ganz einfach: Mit Happy würde ich nur eine gewisse Zeit weiterkommen und bräuchte später auch seine Hilfe.
      “Gern, aber möchten wir nicht früher anfangen? Noch habe ich Platz für euch”, schlug er vor.
      “Überlege ich mir, okay?”, antwortete ich wahrheitsgemäß.
      „Nour ist an allen vorbeigezogen, als gäbe es kein Morgen“, berichtete Lars und sippte an der Bierflasche. Damit zog er wieder meine Aufmerksamkeit vom Handy weg.
      „Mh“, nickte ich abwesend, fummelte derweil das Etikett von meiner eigenen Flasche ab. „Das war dein gutes Training“, lachte Tyrell, gebeugt über bereits erwähnte Papiere, die er versuchte zu sortieren. Mittlerweile erkannt ich, dass es Ausdrucke von möglichen Hengsten für die Zuchtstuten in diesem Jahr waren. Die Liste war lang und mindestens genauso schwer zu entscheiden, was in Zukunft das Gestüt repräsentieren sollte.
      „Was ist mit dem?“, überlegte er laut, reichte dabei einen Zettel an Lars, der nur wenig Begeisterung dabei empfand. Er drehte die Augen nach oben und lehnte sich aus der bequemen Position vor.
      „Der ist cool, aber sollte mit einer ausgeglichenen Stute kombiniert werden“, sagte dieser. Ich versuchte einen Blick zu erhaschen, doch es wurde mir verwehrt. Stattdessen grinste Lars schief in meine Richtung.
      „Du hast doch gar keine Ahnung“, kommentierte er.
      „Dann bring mir doch etwas bei, anstelle mich immer außen vor zu schieben“, fauchte ich.
      Nun wurde auch Tyrell hellhörig und sah zu mir.
      „Ärger im Paradies?“
      „Also, in meinem ist alles gut“, gab Lars zu verstehen, obwohl ich aus allen möglichen Ecken gehört hatte, dass es dort ziemlich eingeschlafen war. Noch viel mehr: Seit Weihnachten konnte er nur mich ans Land gezogen haben, was angesichts seiner bisherigen Quote einen derben Verlust darstellte.
      „Dann ist gut“, murmelte unser Chef und reichte ihm ein weiteres Pferd, „den habe ich für Humbria überlegt.“
      „Für Humbria? Soll sie nicht mehr Rennen?“, kam es teils traurig, teils aufbrausend hervor. In Angesicht der Angst lief mir es kalt den Rücken herunter.
      „Nun, das hängt davon ab, wie lange du noch fährst und welche Erfolge ihr erzielt. Also sollte das nächste Woche mit euch beiden eine zuversichtliche Kombination sein, würde ich aufs nächste Jahr warten oder erst im August sie besamen lassen“, erklärte Tyrell vollkommen unbeeindruckt von meinen krampfenden Händen an der Tischkante. Das Schicksal schien es nicht gut mit mir zu meinen, wenn mir immer die Pferde abgenommen wurden, die ich am meisten mochte.
      „Wirklich? Der? Das könnte sehr blütig werden und Kraft hat die Hübsche schon genug“, Lars begann in dem Haufen zu suchen, „dieser hier könnte eine vielversprechende Kombination bringen.“
      „Der steht in Kalmar, oder?“, betrachtete Tyrell den zerknitterten Zettel. Endlich ergatterte ich ein Blick auf die ‚Breeder Bibel‘, wie sich diese Zusammenfassung nannte, bestehend aus Abstammung und Gewinnsummen. Oben stand ‚Pay My Netflix‘. Ein Mini-Netflix! Die Vorstellung erweichte mein Herz, dass der schicke Rappe einen Nachfahren bei uns hätten. In der Freude wippte mein Bein unter dem Tisch und grinste von einem zum anderen Ohr.
      „Vriska scheint begeistert“, sagte Lars und mysteriös funkelten seine Augen zu mir.
      „Das letzte halbe Jahr lässt aber zu wünschen übrig“, seufzte Tyrell, „Ich denke eher nicht, denn hier wiederum“, erreichte Lars ein weiteres Pferd.
      Das Ende vom Lied war, dass die beiden Männer sich nicht einig wurden über ein Pferd, aber für mich stand die Diskussion fest: Netflix oder kein Fohlen. Tyrell brachte die Unterlagen weg, stattdessen kam Nour dazu, die offenbar nicht lange den Hengst bewegt hatte.
      „Und wie war er?“, fragte ich, als auch sie ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank genommen hatte und am Tisch Platz nahm.
      „Ziemlich zickig, aber am Ende lief er gut“, berichtete sie, „aber, du, sage mal. Wie lange wolltest du uns den schicken Fuchs verheimlichen?“
      Da wurde ihr Bruder hellhörig, der zuvor auf sein Handy starrte.
      „Ähm, das ist das Berittpferd, dass ich mit Lina angeschaut hatte“, begann ich zu erzählen.
      „Deswegen war Niklas so schnell weg, verstehe“, unterbrach Nour meine Erzählung. Zustimmend nickte ich.
      „Und mit Happy hat es relativ gut gepasst, deswegen ist er jetzt hier.“
      „Dann hast du dein Turnierpferd? Ich freue mich so“, schwärmte sie weiter.
      „Erst mal abwarten, schließlich soll er nicht grundlos in den Beritt. So lange nerve ich euch“, auf meinen Lippen lag ein zartes Schmunzeln, denn ich wusste nicht genau, wie lange meine Laune für die Geschwindigkeit anhalten würde.
      „Oh nein, ich hoffte, dass du endlich wieder verschwindest“, scherzte Lars, „aber willst du uns das Tier nicht einmal zeigen?“
      „Ich weiß nicht, der braucht noch Ruhe, denke ich“, äußerte ich meine Zweifel. In meinem Kopf hing noch das Ereignis mit der Göttin, auch wenn durch das Training mit Osvo das Selbstvertrauen wuchs.
      „Und sonst? Wie sieht dein Plan mit ihm aus?“, drängte sich Nour in den Vordergrund. Tatsächlich hatte ich mir bereits etwas überlegt, was dem Pferd und meine reiterliche Leistung fördert.
      „Gut, dass du fragst“, grinste ich lehnte mich nach hinten, bedrohlich knarrte das Holz, aber sollte mich für gewöhnlich halten, „ich werde wieder mit Eskil trainieren.“
      „Das ist der Bruder von Jonina, oder? Sie hat erzählt, dass er überlegt, seinen Hengst hierher für die Turnierrente zu bringen“, überbrachte sie neue Informationen für mich.
      „Ja, genau. Als Lubi noch da war, hat mein Ex den Unterricht bezahlt und wir kamen gut voran miteinander. Deswegen schätze ich es als sinnvoll ein“, erklärte ich zuversichtlich, obwohl das Chaos in meinem Kopf gegenteiliges aussagte.
      „Wieso fragst du nicht mich?“, mischte sich Lars ein. Beinah synchron drehten Nour und ich uns zu ihm.
      „Seit wann gibst du Dressurstunden?“, kam sie nicht mehr aus dem Staunen heraus. Stattdessen nahm sie ihn weiter auf den Arm, mit unpassenden Sprüchen und Kommentaren, die, selbst ich, teilweise als eine Nummer zu hoch empfand.
      „Also mit Osvo hat er mir einiges beibringen können, aber denkst du, dass du mit einem Grand Prix Dressurpferd, das Menschen nicht mag, mir helfen kannst?“, versuchte ich das Gespräch zu entschärfen.
      „Die Grundlagen müssen sitzen und dann löst sich der Rest von selbst“, zuckte Lars beinah eingeschnappt mit den Schultern, „aber ich möchte verhindern, dass du unnötiges Geld ausgibst.“
      „Er macht guten Unterricht, nichts daran ist unnötig“, gab ich mir Mühe ihn zur Vernunft zu bringen, doch wie ein bockiges Kind stellte, er sich quer.
      „Die Schnösel da sind alle gleich“, behielt Lars seine Meinung.
      „Bist du eifersüchtig?“, kam auch Nour wieder zu Wort.
      „Worauf sollte ich bitte eifersüchtig sein“, zuckte er, „wisst ihr, mir ist das zu kindisch mit euch.“ Lars stand auf und wollte gehen, als ich über den Tisch nach seiner Hand griff. Mit großen grünen Augen blickt er zu mir und ich meine, das Funkeln tief darin erneut erblicken zu können. Damit erhärtete sich Nours Vermutung und triumphierend blitzte sie mich an. Ich schüttelte nur seicht den Kopf, um ihr diesen Zahn zu ziehen. Glücklicherweise kamen im selben Augenblick Lina und Mateo in den Raum.
      “Stören wir?”, scherzte der Schweizer und schob die kleine Brünette vor sich in den Raum. Sie sprühte nicht so vor Leben wie sonst, aber im Gegensatz zu heute Mittag schien ihre Stimmung minimal besser zu sein.
      “Nein, nein. Kommt rein”, lachte Lars. Sofort erhob er sich, um den beiden Platz zu machen und kam dafür ziemlich nah an mich heran. Nour blickte starr in meine Richtung, legte dabei ebenfalls ein strahlendes Lächeln auf. Was war nur los mit den allen heute?
      “Ein schickes Pferd hast du da mitgebracht, Vriska”, sprach auch Mateo den Fuchs an, nahm zwei der braunen Flaschen aus dem Kasten, öffnete diese geschickt und drückte Lina eine davon in die Hand, “und ich hörte, er kann nicht nur hübsch aussehen.”
      “Stimmt, er kann auch wunderbar auf Menschen losgehen”, konnte ich mir diese Gelegenheit nicht verkneifen, denn offenbar konnte ich mit nur einem Handgriff dieses Pferd bändigen. Sehr ironisch, denn er war alles, was ich nie in meiner Nähe haben wollte. “Aber eure Stute ist auch nicht schlecht.”
      “ Mit ihr hat Sam eine ziemlich gute Entdeckung gemacht, nicht wahr, Lina?”, lächelte der Blonde und warf der Kleinen einen sanften Blick zu.
      “Ja, Hanni ist toll”, nickte diese und wendete zurückhalten den Blick auf das Glas in ihren Händen, “aber ich muss noch ein wenig herausfinden, wie sie funktioniert.”
      „Lars gibt neuerdings Dressurstunden“, warf Nour direkt ein, woraufhin Mateo auch mit lachte. Besagter, neben mir, zuckte nervös.
      „Ganz ruhig“, flüsterte ich ihm vertraut zu und legte die Hand auf sein wippendes Bein. Obwohl es frei von jeglicher Bedeutung war, fühlte sich die innige Berührung notwendig an. Auch er hatte das Chaos in meinem Kopf mitbekommen und seinen Arm auf die Lehne hinter mir abgelegt. Für einen kurzen Augenblick schien alles so perfekt, aber da kam die Stimme in meinem Kopf wieder, die versuchte, mir ein schlechtes Gewissen zu geben. Basti wäre enttäuscht, mahnte sie. In meiner Kehle staute es sich, wie ein harter Klumpen aus Spucke hing bedrohlich fest. Je mehr ich versuchte ihn zu lösen, umso stärker wurde das kratzende Engegefühl. Aus dem Reflex musste ich husten.
      “Geht es?”, fragte Lars besorgt nach. Ich nickte. Prüfend blickte Lina mich an, vergewisserte sich ebenso meinem Wohlbefinden. Allerdings wirkte ihr Blick beinahe durchdringend, als erahne sie, was in meinem Inneren vor sich ging.
      “Passt schon, fürs Erste konnte Neele mir weiterhelfen”, ging sie schließlich auf Nours Kommentar ein. Lina war heute ungewöhnlich still, für gewöhnlich hätte sie bereits begonnen, von der Stute zu schwärmen.
      „Schätzchen, was ist denn mit dir? Du hängst da wie ein nasser Sack. Wegen deines Freundes?“, Nours Tonlage veränderte sich sofort, als auch ihr die Stille seltsam vorkam. So gern ich helfen wollte, konnte ich es nicht. Schließlich stellte ich den Grund dar.
      „Können wir ins Bett gehen?“, murmelte ich Lars zu, der sogleich verwundert, aber interessiert zu mir heruntersah. Noch bevor er antworten konnte, zischte seine Schwester: „ihr könnt nachher es noch miteinander treiben.“ Lina schwieg noch und hatte sich derweil einer lockeren Strähne gewidmet, die sie beinah hypnotisiert um den Finger drehte, mir damit das Gefühl gab, als würde mein Magen sich sogleich mit bewegen. Ich hätte besser darüber nachdenken sollen und der Gedanke, dass ich ein schlechter Einfluss für sie, bestärkte sich. Die kühle Ablehnung im Raum, setzte mir immer mehr zu, aber ich versuchte mich zusammenzureißen. Mateo legte behutsam seine Hand auf ihren Arm, was kurzzeitig für einen Stillstand sorgte. Gleichzeitig mit der Geste wiederholte er Nours Anliegen: „Was liegt dir auf der Seele? Du kannst ruhig mit uns reden.“ Zögerlich biss Lina sich auf die Unterlippe und blickte hoch, ließ den Blick Schweifen und schien letztlich alle anwesenden als Vertrauenswürdig genug zu befinden.
      „Ja, ich habe mich am Freitag mit Niklas gestritten und seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört. Ich weiß nicht mal, wo er hin verschwunden ist“, öffnete sie sich. Bei dem Problem konnte ich behilflich sein. Vom Tisch hob ich mein Handy auf, das mit dem Bildschirm aufs Holz gedreht war. Lars schielte auf das Gerät, doch glücklicherweise lag Basti als mein Sperrbildschirm verdeckt von Benachrichtigungen, sonst wäre ihm sicherlich ein blöder Kommentar eingefallen. Stattdessen bewegten sich meine Finger zur Ortungsfunktion, in der Niklas mit bereits in Kanada hinzugefügt hatte und noch immer nicht entfernt.
      „Dein Freund ist Stockholm und bewegt sich durch den Park“, schob ich ihr mein Handy hinüber, „also schätze ich, dass er arbeitet.“ Aus dem Radio hatte ich vorhin die Nachricht aufgeschnappt, dass ein wichtiges Fußballspiel in der Hauptstadt war, und Fußballfans konnten grausame Menschen sein.
      „Danke“, murmelte Lina, wirkte immer noch gedrückt.
      „Lina, mach dir nicht so viele Gedanken, das ist ganz normal, dass man mal seine Differenzen hat. Das wird schon wieder mit deinem Freund“, sprach Mateo und legte ihr aufmunternd den Arm um die Schulter.
      “Letztlich hat er ein Problem und nicht du”, versuchte Nour ihr einen Rat zu geben, “wenn er sich derartig abhängig von dir fühlt, sollte er sein Leben überdenken. Du bist schließlich für ihn hergekommen.”
      Tatsächlich überraschte mich, dass sie davon wusste. Gut, es gehörte vermutlich zum Stallgeflüster, dennoch hatte ich vermutet, dass das Thema bereits Geschichte war. Lars rückte in dem Moment noch näher und bei seiner Schwester hob sich eine Augenbraue.
      „Wisst ihr schon die Neuigkeiten?“, wechselte sie sofort das Thema, ohne die Augen von uns zu lösen.
      “Worum geht's?“, hakte Mateo nach. Mit dem Themenwechsel entspannte Lina ein wenig und hielt ihre Finger endlich mehr oder weniger ruhig.
      „Bei den beiden geht es heiß her. Ich sage es euch, da liegt einiges im Busch“, sprach Nour siegessicher, aber ich musste meine Hand vor den Mund legen, um nicht laut loszulachen. Zugleich spürte ich Hitze in meinem Gesicht aufkommen.
      „Ich weiß nicht, welche Landschaften du besuchst, aber den Busch will ich sehen“, schüttelte Lars augenrollend den Kopf, aber sein Arm lag immer noch hinter mir. Am Nacken spürte ich die Muskeln zucken, als müsste er sich zusammenreißen. Rundum lag eine unangenehme Spannung im Raum, die mir wünschte, lösen zu können. Dafür kam aber infrage, den Fuchs vorzureiten.
      „Das nennst du eine Neuigkeit?“, schmunzelte Lina, „Ich dachte schon du hättest spannendere Informationen für uns.“
      Nun rollte seine Schwester mit den Augen, vermutlich wollte sie endlich Gewissheit haben, denn seit Weihnachten konnte sie nicht herausfinden, was gelaufen war. Viel mehr interessierte Nour auch, das noch. Lars gab sich auch äußerst Mühe, die Möglichkeit für mehr offenzuhalten. Dass meine Frage seine Hoffnung befeuerte, bemerkte ich erst jetzt.
      “Dann könnte dich interessieren, dass Tyrell Viola gekauft hat? Die Schecke Stute, die bei den Einstellern steht?”, warf sie stattdessen ein und auch wurde hellhörig.
      “Das alte Warmblut Ding?”, fragte ich verwundert.
      „Wozu das denn?“, trug Lina ebenso erstaunt eine Frage bei.
      “Er möchte ein Fohlen aus ihr ziehen und das dann teuer verkaufen, weil ihm jemand den Floh ins Ohr gesetzt hat, dass schwedische Warmblüter sehr beliebt im Ausland sind”, erklärte sie. Tatsächlich klang das nach unserem Chef, ebenso, dass das Tier auch in vier Jahren noch auf der Weide schmoren würde.
      „Das klingt ja nicht sehr durchdacht einfach mal so eine Zuchtstute anzuschaffen“, kommentierte Mateo kritisch.
      “Sage ihm das”, sagte Nour, “bestimmt darfst du die Stute erst mal reiten, schließlich muss sie auch noch zur Prüfung. Helga hat Viola nur longiert, mit Ausbindern mal ins Roundpen oder Führanlage.” Sie führte noch mehr aus, was alles mit der interessanten Scheckenstute schiefgelaufen war, aber dass die Abstammung ziemlich gut sei und ihr Vater erfolgreich Turniere lief. Während die drei Bilder von dem Hengst ansahen und schließlich auf dem Fernseher ein Video starteten, wie Viola in jüngeren gelaufen war, hatte ich wieder mein Handy gegriffen. Eskil freute sich bereits den Fuchs kennenzulernen und auch mich zu sehen. Er schickte mir ein Bild, von einem Lusitano, auch Fuchs, den er überlegt zu kaufen.
      “Der ist schick”, antwortete ich und zoomte den Hengst mehrmals heran. Die großen Augen funkelten freundlich und aufgeschlossen, aber als ein Reiter auf dem Rücken saß, lagen die Ohren eng am Genick. Ein mir bekanntes Bild. Offenbar hatten es Füchse nicht mit Menschen.
      “Er muss noch lernen”, schrieb er, “aber ich bin zuversichtlich. In einer Woche soll er aus Spanien herkommen.”

      “Und das springt dein Pony wirklich?”, stellte ich mit Erstaunen fest, als Mateo ein Video eingeschaltet hatte, von sich und Karie von einem Turnier in der Schweiz. Die Qualität war der Hammer, noch nie hatte ich so hübsch verarbeitetes Reitvideo von einer Veranstaltung sehen können, wie es gerade lief. Auch Nour, die ihre Beine nach oben gezogen hatte und auf dem Stuhl kauerte, bekam den Mund nicht mehr zu. Ob es wirklich an dem Video oder gar an dem Motiv lag, konnte ich nicht beurteilen. Sie erzählte nicht viel von ihrem Interesse, aber ich war mir fast sicher, dass sie eher Mateo nehmen würde als jemanden wie ihren Bruder. Dieser war gefangen an seinem Handy und grinste andauernd.
      „Ja, Karie, springt das wirklich. Ich kann es die Tage auch gerne mal live demonstrieren“, grinste der Schweizer selbstbewusst.
      „Oh ja! Das wäre toll. Seit meinem Sturz nehme ich lieber Abstand von dem bunten Holzstangen“, lachte ich. Dann verlange Lars nach mir.
      „Vivi?“, flüsterte in mein Ohr, während die anderen freudig über Mateos Stute sprachen.
      „Was denn so geheimnisvoll?“, funkelte ich interessiert. Es war der Alkohol, die mir den Kopf zu teilen ausschaltete und wieder auf seine dunkle Stimme reagierte, besonders so nah an mein Ohr, wenn der warme Atem die Härchen kitzelte.
      „Steht dein Wille noch?“, versuchte er sich möglichst unauffällig auszudrücken, denn Nours Lauscher waren überall. Kurz ging ich die Gespräche durch, bis mir meine Frage von vor zwei Stunden erschien. Der grundlegende Wille existierte, auch wenn mir jemand anderes an seiner Stelle wünschte.
      „Ähm“, stammelte ich unsicher, welche Antwort die richtige ist, „wieso?“
      „Ich hätte sonst“, seinen Satz sprach er nicht zu Ende, dass jemand nach ihm verlangte, wusste ich sofort.
      „Dann los“, sagte ich also mit einem Lächeln.
      „Du bist ein Schatz“, gab er zurück und sprang auf, „du hast was gut bei mir.“ Erst jetzt wurde seine Schwester aufmerksam.
      „Wo willst du hin? Und ohne Vriska?“, wunderte sie sich.
      „Nour. Ich sage es zum letzten Mal. Dein Bruder liegt außerhalb meines Interesses. Für mich zählt jemand anderes“, rollte ich mit den Augen, denn eigentlich sollte sie das wissen.
      „Ach ja, wirklich?“, hakte sie misstrauisch nach.
      „Unglaublich, puzzeln liegt dir doch gut. Vivi ist nicht grundlos schon am Freitag nach Malmö gefahren“, schüttelte Lars amüsiert den Kopf, als er in der Tür stand, fügte er noch hinzu: „Sein Name beginnt mit S, aber bei B kommst du vielleicht darauf.“
      Mir wurde wieder warm und ich vergrub das Gesicht in meinen schwitzigen Händen.
      „Das hilft nicht“, rief sie ihm nach und schwieg schließlich. Es schien, als könnte man die Zahnräder hören, wie in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit ineinandergriffen.
      „Unglaublich, dass hier immer jeder alles wissen will“, murmelte Lina und schüttelte den Kopf. Solche Worte aus ihrem Mund, dabei war sie sonst doch auch ganz vorn dabei, wenn es Geheimnisse zu erkunden gab. Aber zu Nour war sie kein Vergleich.
      “Sei kein Spielverderber. Wenn Vivi sich so sehr wünschen würde, dass es niemand weiß, wäre der Abstand zu ihrem Geliebten viel größer”, merkte sie an. So falsch lag sie damit nicht einmal, denn ich wollte es teilen, auch wenn ich mir blöd dabei vorkam, offen durch die Welt zu rennen und seinen Namen zu schreien. Das Gefühl hatte ich. Jeder sollte es wissen, mein Glück spüren und sich mitziehen lassen.
      “Leider ist er nicht mein Geliebter und in dem Sinne auch auf Abstand”, vermittelte ich entmutigt.
      „Was nicht ist, kann noch werden“, sprach Lina optimistisch, „Du darfst nur nicht vergessen, wie man spricht in seiner Gegenwart.“
      „Kann das denn wahr sein, du weißt es auch?“, beschwerte sich Nour, „Mateo, bitte, du nicht.“
      Dieser schüttelte den Kopf und erleichtert atmete sie aus. Gehüllt in ihren dunklen Strähnen, lehnte Lars Schwester sich über den Tisch, bemüht, ihre hellen Augen funkeln zu lassen.
      „Sprechen liegt mir nicht“, merkte ich derweil an, Nours Neugier ignorierend. Ihre Finger wanderten langsam zu meinem Handy, das ich noch im richtigen Augenblick vom Holz zog. So einfach sollte sie es nicht haben, wenn sie gerne puzzelt.
      „Von mir erfährst du nichts“, grinste die kleine Brünette, mir gegenüber.
      Mateo lehnte ein Stück näher an sie heran und legte ihr eine Hand auf das Knie.
      „Erfahre ich vielleicht etwas, weil es mir eigentlich egal ist?”, sprach er, ein charmantes Lächeln auf den Lippen, die Augen fest an ihre geheftet.
      „Nein, du auch nicht“, entgegnete sie zuckersüß und lehnte sich auch ein Stück zu ihm hinüber, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Doch dies war nicht so leise, wie sie dachte, bei der Stille im Raum: „Da helfen dir auch deine hübschen Augen nicht weiter.“
      “Immerhin”, tönte Nour zur gleichen Zeit. Ihre Aufmerksamkeit galt im nächsten Moment nicht mehr mir. Keuchend schob sie sich über die Tischplatte zurück auf ihren Platz und faltete die Beine übereinander.
      “Uh, ihr beiden Süßen”, kicherte Nour, “so gefällt mir das. Hoffentlich müsst ihr heute nicht allein sein.”
      “Du kannst nicht jeden verkuppeln, wie es dir passt. Wie wäre es, wenn wir dir mal jemanden suchen?”, versuchte ich sie von den beiden abzubringen, denn etwas mehr Diskretion wäre angebracht. Wie ein Reh im Lichtkegel eines Autoscheinwerfers erstarrte Lina für ein paar Sekunden, bevor sie ebenso hastig Mateos Hand entfernte.
      “Auf keinen Fall! Viel zu anstrengend, mir reichen die Pferde, um glücklich und erfüllt sein”, äußerte sich Lars Schwester sehr zielgerichtet.
      „Interessant, keinen anderen Menschen in deinem Leben? “, fragte Mateo interessiert, der sich im Gegensatz zu Lina nur wenig ertappt zu fühlen schien.
      “Nein, nie. Also klar, Papa ist da und Lars”, zuckte sie mit den Schultern, “Ich sehe doch, wie sehr ihr euch alle quält. Die eine kann nicht reden”, dabei sah sich mit einer schnellen Bewegung zu mir hinüber, “die eine macht sich Schuldgefühle, weil ihr Freund ein Arsch ist”, nun kam Lina an die Reihe, “und der andere verschwindet, um irgendwen die halbe Nacht flachzulegen. Nur, um Morgen vollkommen übermüdet mit den Pferden zu arbeiten und ich muss dem alles hinterherräumen. Aber du”, nun blickte sie zu Mateo, “dich kenne ich nicht gut genug.”
      „Schön, dass du kein vernichtendes Urteil über mein Liebesleben hast. Das soll ruhig so bleiben“, lachte er, „Aber zum eigentlichen Punkt: Da mögen gute Gegenargumente sein, aber hast du auch die Vorteile im Blick?“
      “Vorteile? Mich reizt nichts daran, außerdem habe doch euch und wenn Papa oder Lars entscheiden, wieder den Hof zu wechseln, dann lerne ich neue Leute kennen. Das reicht mir. Nur Walker werde ich mitnehmen, komme, was wolle!”, triumphierend drückte sie die Wangen nach oben und tiefe Falten bildeten sich auf der sonst glatten Stirn in ihrem anschaulichen Gesicht. Nur für einen Augenblick musterte ich sie, denn dann wollte mein Handy Aufmerksamkeit. Unglaublich, wer wollte etwas um die Uhrzeit?
      Euphorisch nahm ich es vom Polster hoch, auf das ich es zum Schutz vor Nour abgelegt hatte. Auf dem vollkommen überfüllten Bildschirm, leuchtete ganz oben eine Nachricht von Niklas, die ich nun wirklich nicht erwartet habe. Erst als das Schloss sich öffnete durch mein Gesicht, kam ein Teil davon zum Vorschein: “Tut mir leid. Ich habe etwas Falsches getan. Bist du noch wach?” Hell erregt begann mein Herz zu schlagen und die Atmung wurde stärker. Wie eine Motte angezogen vom Licht, starrte ich auf das Gerät, selbst, als der Energiesparmodus den Bildschirm erlosch.
      „Was ist los, Vriska, ein Gespenst oder dein Angebeteter?“, fragte Lina und blickte mich forschen an.
      “Eher ein Gespenst”, stammelte ich verunsichert. Ihr, die Wahrheit zu sagen, erschien mir richtig, aber je nachdem, was er Falsches getan hatte, könnte es ihre Grundmauern erschüttern.
      „Okay …“, sprach sie argwöhnisch, „Soll ich fragen, was dich so aus dem Konzept bringt?“
      Vielleicht war es Zeit, mit offenen Karten zu spielen. Im Chat gab es bis auf Floskeln nichts zu lesen, dass Lina weiter verunsichern könnte, deswegen seufzte ich und schob ihr in Zeitlupe das Gerät hinüber. Es benötige gerade einmal zwei Sekunden, bis ihr das Lächeln vollständig entglitt und einem undefinierbaren Ausdruck Platz machte. Mehrfach konnte ich beobachten, wie ihre Augen über den Bildschirm flogen, als bildeten die wenigen Buchstaben fürchterlich komplizierte Worte.
      „Willst du … wollen wir ihm antworten?“, fragte ich vorsichtig und sah dabei mir deutlicher Hilfslosigkeit zu Mateo, der sich aus seiner Position aufrappelte und ebenfalls ein Blick auf mein Handy warf.
      Kaum hatte er gelesen, was dort geschrieben stand, blickt er Lina voller Sorge an und griff nach ihrer Hand. Diesmal hatte seine Geste ihren amourösen Charakter verloren, war nur noch rein freundschaftlich.
      „Du weißt, dass es unschön werden könnte?“, vergewisserte er sich einfühlsam, dass die Kleine vorbereitet war, auf das, was folgen könnte, „Willst du, dass Vriska ihm?“ Einige Sekunden überlegte sie, krallte sich dabei dermaßen an dem ihr geboten Arm fest, dass ihre Fingerknöchel hell unter der Haut hervortraten. Als ich schon beinahe glaubte, die habe aufgehört zu atmen, so blass wie sie wurde, erklang ihr zartes Stimmchen, zitternd vor Furcht: „Ja.“
      Seufzend zog ich mein Handy zurück und fragte nach, was er zu so später Stunde noch für ein Anliegen hatte. Sogleich kam eine Antwort. Entgegen meinen Erwartungen schenkte Nour der ganzen Angelegenheit nicht einen müden Blick, hing stattdessen selbst am Handy.
      „Lars‘ Bekanntschaft ist ziemlich hübsch“, merkte sie beiläufig an, aber wir schwiegen.
      Meine Augen überflogen grob Niklas‘ Nachricht, bevor ich es zu Lina über den Tisch gab. Er schrieb, dass er nie wieder so sein wollte, wie er es aktuell ist. Viele Dinge hatten sich in ihm aufgestaut und dazu zählte auch meine Beziehung zu Erik, die nicht zu plötzlich ein Ende fand, sondern auch schon länger bröckelte, nur wusste ich nichts davon. Niklas hütete ein böses Geheimnis, dass ihn ans Ende seiner Nerven brachte. Mein Leid ertrug er nicht, eben so wenig meine Anwesenheit, weil es ihn, an sein Versagen erinnerte. Er liebte Lina, aber konnte nicht auf dem Gestüt so viel Zeit verbringen. Von mir wünschte er sich einen Tipp, wie er es besprechen könnte, dass sie zusammen auswärts ein Grundstück suchten. Innerlich zitterte alles. Ich traute Lina zu, so einer dümmlichen Idee zuzustimmen, aber meine egoistische Persönlichkeit wollte dies verhindern.
      „Wenn du gehst, esse ich dein Pferd“, kam es vollkommen unreflektiert über meine Lippen.
      „Was!?“, fragte sie erschüttert, starrte mich mit geweiteten Augen an und zerquetsche Mateo, dessen Arm gerade ein wenig Erholung errungen hatte, dies erneut.
      „Hast du gerade gesagt, du willst mein Pferd essen? Du, die Fleisch nicht mal anfasst!“, begann sie zu kichern, nachdem sie über den Wortlaut nachdachte.
      „Grundsätzlich fasse ich es an. Es kommt nur darauf an - welches“, da musste auch Nour schmunzeln, die das Gespräch nun doch heimlich belauscht hatte. „Aber ja, ich werde es essen!“ Demonstrativ nahm ich ein Teller aus dem Regal neben mir, als würde ich mich schon darauf vorbereiten, Ivy blutig zu servieren.
      „Ah ja, ich glaube auch“, japste sie nach Luft und kringelte sich beinahe vor Lachen. Um meine nicht vorhandene Ernsthaftigkeit zu untermalen, suchte ich Vidar aus den Kontakten, tippte auf Message und schrieb in aller Seelenruhe:
      > Skulle du slakta en häst åt mig?
      „Würdest du für mich ein Pferd schlachten?“
      Mein Finger schwebte über dem blauen Pfeil, als Lina, so schnell sie konnte, den Button auf der rechten Seite zu drücken wusste.
      „Untersteh dich! Sonst gehe ich zu Basti petzen“, fauchte sie scherzhaft und versuchte wieder zu normaler Atmung zu gelangen, was angesichts der Situation schwieriger wurde.
      „Warte. Vivi? Sage mir jetzt bitte nicht … Oh Gott! Das ist so niedlich“, kam das neugierige Wesen aus seinem Schneckenhaus in ganzer Blüte heraus. Auch sie lachte herzlich.
      „Du bist gemein!“ Mein Gesicht kochte förmlich vor Scham und ich hatte mir ganz anderes vorgestellt, wie Nour das Puzzle lösen würde. Währenddessen schlug ich meine Stirn auf die Tischplatte und versuchte die Situation zu verdrängen.
      „Das ist nur ein Traum“, murmelte ich ganz oft nacheinander, hoffend, dass es so sein würde. Dass der Kopf pochte wie ein Schweizer Uhrwerk, half dabei weniger.
      „Nein, da muss ich dich enttäuschen. Es ist die Realität“, trug Mateo wenig hilfreich zu der Konversation mit mir selbst bei.
      „Und wenn du Lina drohst, dann können wir das auch“, setzte mich die Schwarzhaarige nun unter Druck. Sie tippte auf ihrem Handy herum, was ich hörte, da ihre Fingernägel immer wieder hektisch den Bildschirm berührten, dabei sprach sie jedes Wort mit: „Hej Basti, ich entschuldige die späte Störung, aber es gibt ein Problem. Meine Kollegin, Vivi, du müsstest dich noch an sie erinnern, die für mich Walker gefahren ist, kann ohne dich nicht leben und …“
      „Stopp“, schrie ich verzweifelt, denn Nour traute ich zu, solch eine teuflische Nachricht abzusenden. Also entsperrte ich sogleich mein Handy und schüttelte es, um die verfasste Nachricht, aus dem Textfeld zu löschen, „so, bitte. Weg.“ Dann schloss ich den Chat.
      „Ivy wird nicht gegessen, das schwöre ich hoch und heilig“, nahm ich noch stärker eine Verteidigungshaltung ein. Die Finger zitterten nervös, so sehr, dass mir mein Handy entglitt und von der Tischplatte auf den Boden fiel. Sofort krabbelte ich unter den Tisch, bemerkte, dass Linas linke Hand nicht mehr ganz da lag, wo sie ursprünglich lag.
      „Aha“, rief ich aus und stieß mir höllisch den Kopf an dem Holz über mir. Ihre Hand zuckte aus seinem Schritt weg, wieder auf den eigenen Oberschenkel.
      „Aha, der Tisch ist noch immer sehr massiv?“, fragte die Kleine mit engelsgleicher Miene.
      „Genau, der Tisch“, betonte ich besonders ihre unschuldige Art, „aber wenn die neuerdings aus Fleisch sind, dann gehe ich nun lieber.“
      Tatsächlich wollte ich ins Bett, um möglichen Fragen ausweichen zu können, aber Nour wedelte fröhlich mit ihrem Handy in der Luft.
      „Wir sind noch nicht fertig“, lachte sie boshaft und brav, wie in der Schule, setzte ich mich ordentlich zurück auf meinen Platz.
      „Oh, was hast du denn vor?“ Lina schien augenblicklich Feuer und Flamme für das, was Nour offenbar wusste. Dass sie es lediglich als Druckmittel für mehr Informationen über ihren Bruder und mich nutze, konnte Lina noch nicht wissen.
      „Wir müssen das mit deinem Freund klären, nicht, dass Vivi eventuell stückweise dir von deinem edlen Ross nimmt“, scherzte Nour und nahm mein Handy, das natürlich versperrt war.
      „Aha, so ist das also“, scherzte sie. Wie in Ekstase hatte sie die Benachrichtigung nach rechts gewischt und bekam damit Sicht auf das furchtbare Handybild, dass ich mehr oder weniger heimlich am Rand des Geläufs geschossen hatte.
      „Jetzt ist es nichts Neues mehr“, rollte ich mit den Augen.
      „So, was schreiben wir ihm?“, Nour blickte zu Lina, die ernsthaft wieder mit ihrer Hand an Mateos Bein zu schaffen hatte.
      „Ähm“, stammelte sie ertappt.
      „Warte“, sagte ich plötzlich, als eine Information im Rechenzentrum ankam, „wie bist du in mein Handy gekommen? Das war gesperrt.“
      Überlegen schenke Nour mir ein schräges Lächeln, bevor sie sich wieder an Lina richtete.
      „Kommt darauf, an was du erzielen möchtest“, verwirrt darüber, was ihr Gegenüber erwartete.
      „Es ist dein Freund? Was sollte ich erzielen wollen“, zuckte Lars‘ Schwester mit ihren Schultern.
      “Weiß ich’s? Du scheinst viel Freude daran zu haben, bei derartigen Angelegenheiten mitzumischen”, zuckte sie mit den Schultern. Von allen Geistern verlassen, drehte Nour sich zu ihr. “Jedenfalls kannst du ihm schreiben, dass es nicht okay ist, einfach zu verschwinden und seiner Freundin nicht mal ein Lebenszeichen zu hinterlassen”, sprach sie, während Nour eifrig auf dem Bildschirm tippte, “aber sein Anliegen betreffend, wären Offenheit und Ehrlichkeit angebracht.”
      „Okay, passt das so?“, zusammen lasen sie es, bevor ich mein Gerät zurückbekam. Ich schloss nur das Fenster und versuchte meine Neugier zu zügeln, welch boshafte Nachricht vermeintlich ich, gesendet hatte.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 49.815 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende Februar 2021}
    • Wolfszeit
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      kapitel trettiofem | 16. Oktober 2022

      Moonwalker LDS / Maxou / Minelli / Global Vision / Henade / Osvominae / I’m a Playboy / Northumbria / Wunderkind

      Donnerstag, 12:21 Uhr
      Lindö Dalen Stuteri
      Vriska
      Müde, aber glücklich kämpfte ich mich von der Couch. Viel zu spät, wie ich bei einem kurzen Blick auf mein Handy feststellte. Unter der Uhrzeit einige Banner mit verschiedenen Nachrichten, wovon besonders eine mich mit ihrem Inhalt noch breiter strahlen ließ: „Noch einmal Danke für den schönen Abend gestern. Ich wünsche dir einen erfolgreichen Tag heute.“
      Ich legte mein Bettzeug zusammen und räumte es wie jeden Tag nach dem Aufstehen auf den Stuhl in das Schlafzimmer, nur eine Sache unterschied sich zum herkömmlichen Ritual – anstelle eines großen Kaffees reichte mir ein kleiner, für den Geschmack. Nach der lieben Nachricht von Basti war ich gestärkt genug und würde ohnehin heute nur wenig zu tun haben. Durch den Renntag Morgen hatten die Pferdepause und ich würde mich den anderen Tieren widmen.
      Im Stall stand Lars bei Walker, beschäftigt an seinen Hufen. Weit konnte Nour nicht sein, wenn ihr Schatzi gerade umsorgt wurde. Ihren Kontrollzwang übte sie bestimmt auch gegenüber ihrem Bruder aus. Je weiter ich in die Gasse hineintrat, umso sicherer wurde ich mir, dass Nour woanders steckte. Stattdessen saß Lina ihm gegenüber auf der Bank und stopfte ein Brötchen in sich hinein.
      „Oh, die Schlafmütze ist da“, scherzte Lars. Die Feile in seiner Hand steckte er gekonnt in den Latz und stützte sich an Walker ab, der ruhig in den Stricken hing.
      „Entschuldigung, ich war uns mal erst um drei Uhr zurück“, rollte ich mit den Augen.
      „Warum so spät erst? Erzähl“, forderte Lina freundlich und ihre Augen begannen neugierig zu funkeln. Womöglich hatte es keiner mitbekommen, dass ich um halb neun noch mit meinem Auto hinüber in die Stadt fuhr.
      „Etwas trinken mit ein paar Leuten“, hielt ich mich kurz.
      „Okay und wer waren diese Leute?“, hakte sie weiter nach. Natürlich war ihr Drang nach Neuigkeiten nicht so einfach zu stillen.
      „Männlich, weiß, Anfang bis Mitte dreißig. Vier an der Zahl“, lachte ich. Aber Lars, der sich wieder den Huf widmete, drehte sich um und kam auch ins Gespräch dazu.
      „Also bist du angetrunken nach Hause gefahren?“, seine Stimme klang verärgert, aber was wollte er tun? Niklas anrufen? Also nickte ich nur zusammen mit einem chaotischen Zucken der Schultern.
      „Gleich vier davon? Du legst aber ganz schön los“, scherzte Lina ungeachtet des Kommentars des Kerls.
      „Reiten war öfter das Thema, so falsch liegst du nicht“, feixte ich ebenfalls. Wieder drehte sich Lars zu mir um.
      „Hoffentlich nicht gleichzeitig“, murmelte er und bekam einen Klaps auf den Po. Kurz lachte er.
      „Klingt, als hättest du einen schönen Abend gehabt. Ich gehe recht in der Annahme, dass einer der Vieren wohl Basti war? “, lächelte die Kleinen fröhlich auf der Bank.
      „Möglich“, über beide Ohren strahlte ich, obwohl ich versuchte mein Glücksgefühl zu überspielen. „Aber ja, ich war mit bei Freunden von ihm, ziemlich spontan.“
      „Freut mich“, erwiderte sie aufrichtig, „dann warst du scheinbar noch in der Lage, mit ihm zu sprechen.“
      „Das eine ganz andere Sache“, seufzte ich, lief hinüber zu Maxou, die trommelnd in der Box stand und nach Aufmerksamkeit buhlte. Lina folgte mir engelsgleich.
      Ich strich der hellen Stute über den stoppeligen Hals. Der Hautpilz war durch die Behandlung mit der Salbe, Cortison-Spritzen und regelmäßigen Waschen wie weg. Nun wuchs langsam das Fell nach. Wenn der Auslauf geschlossen war, benötigte sie keine Decke mehr.
      „Wir saßen, wie zuvor erwähnt, bei seinen Freunden. Als ich ankam, waren zunächst alle überrascht, fragten mich ein paar persönliche Fragen und damit hatte sich das. Man reichte mir ein Bier. Dann ging sie wieder ihrer Beschäftigung nach und spielten FIFA. Ich saß neben Basti, mit dem ich vorher etwas geschrieben hatte. Zwischendurch sah er zu mir hinüber und legte seinen Arm um mich, aber gesprochen so wirklich wurde nicht. Dafür hatte ich zu viel Angst, etwas Falsches zu sagen. Aber ich fühlte mich wohl bei ihm“, erzählte ich vom Abend. Natürlich freute ich mich dennoch da gewesen zu sein.
      “Ich möchte nur ungern stören”, unterbrach Lars abermals unser Gespräch, “aber Ricarda fragte, ob du Minelli reiten könntest. Sie kommt erst nächste Woche wieder.“
      Die Rede war von einer Einstellerin, die ihre Kaltbluttraber Stute öfter bei uns im Beritt haben wollte. Bisher konnte ich mich immer gut aus der Affäre ziehen. Minelli gefiel mir nicht. Sie lief schwerfällig, unbalanciert und unwillig. Grundsätzlich hatte ich Spaß am Beritt, aber dem Pferd fühlte ich mich nicht gewachsen. Zu schnell verzweifelte ich bei Unwilligkeit.
      „Warum macht Nour das nicht?“, hakte ich nach.
      „Sie hat genug zu tun mit den Jungpferden und nachher noch Unterricht“, klärte er auf.
      „Longieren reicht nicht?“, versuchte ich weiter alles, um mich nicht auf das Pferd setzen zu müssen.
      „Vriska“, mahnte Lars mit eindringendem Blick, „hör auf zu diskutieren. Du überlebst es schon.“
      Mit den Worten lief er zurück zu Walker, somit er mein Augenrollen nicht, aber dafür Lina, die mich zuversichtlich angrinste.
      „Ich möchte nicht auf die Tonne“, murmelte ich in den Kragen.
      “Was findest du denn so schlimm an ihr, außer dass du offensichtlich ein pauschales Problem mit kräftigen Pferden hast?”, horchte sie nach. Mit ihren Freibergern lag ihr das natürlich fern.
      „Das pauschale Problem hängt damit zusammen, dass deren Sättel für mich groß sind, ich somit nicht richtig arbeiten und sitzen kann. Der Beritt besteht damit nur aus Selbstkontrolle, als mit dem Tier voranzukommen. Außerdem ist Minelli extrem faul“, legte ich ihr nah. Während ich wild gestikulierte, hatte Maxou ganz andere Ideen und fummelte mit ihren Lippen an meinem Zopf herum. Solange, bis sie schließlich den Haargummi zwischen den Zähnen hatte und herauszog. Kräftig zog sie daran, einige Strähnen verlor ich dabei und meine Löwenmähne fiel in mein Gesicht. Schnell konnte ich nicht darauf reagieren, denn da lief das Pony mit ihrer Trophäe bereits davon.
      “Also dein Sattelproblem kann gelöst werden. Entweder du schaffst dir einen eigenen Sattel an oder du machst es wie mit Happy. Auf dem reitest du schließlich auch nur mit deinem Pad”, entgegnet meine Kollegin ungeachtet dem, was das Pony trieb, “und na ja, wenn sie so faul ist, solltest du die Ursache dafür suchen. In aller Regel gibt es einen Grund, der sich beseitigen lässt.”
      “Ich kaufe doch nicht einen Sattel, der nur auf Kaltblüter passt, weil ich das Vieh einmal bewegen soll”, lachte ich auf. Ich blickte noch meinen Haargummi nach, der jedoch verloren schien. Eine Strähne nach der anderen versuchte ich hinter das Ohr zu streifen, doch die Haare waren zu dick und die Dreads zu schwer.
      “Dann kann dein Problem so groß wohl nicht sein”, zuckte Lina mit ihren Schultern, griff in ihre Jackentasche und zauberte ein Haargummi draus hervor, um es mir anzubieten. Als wäre eine Gabe Gottes nahm ich ihn an und knotete so gut ich konnte die Haare zusammen. Ohne Spiegel würde es nicht werden, aber wer sollte heute schon vorbeikommen und es interessieren.
      “Ich gehe mal den Panzer holen”, sagte ich nach kurzer Stille und verschwand zur Sattelkammer.
      Der riesige Schrank von mir quoll mittlerweile über. Mehr als zehn Halfter teilten sich den kleinen Haken in der Tür, Schabracken türmten sich und genauso viele lose Bandagen und Gamaschen. Ordnung wäre angebracht. Stattdessen nahm ich mir das grüne Nylon-Halfter heraus und drückte die Tür hinter mir wieder zu. Natürlich schloss diese nicht mehr, aber das Chaos versteckte sich zumindest.
      Auf dem Stutenpaddock holte ich die braune Stute, die auf der linken Seite ein blaues Auge hatte. Neugierig stellte sie die Ohren auf. Freundlich gesinnt strich ich über den Hals und streifte schließlich das Halfter über. Zusammen liefen wir zum Stall, dabei kam sie bereits ins Schleichen. Immer wieder trieb ich sie mit dem Strickende, aber Minelli interessierte das nicht die Bohne. Sie bremste noch mehr ab und kam zu stehen. In ihrem Interesse waren die Grashalme am Wegesrand, nach denen sie sich streckte. Auf meine Versuche, sie von dort wegzuziehen, reagierte sie nicht. Es schien, als wäre hinter der dicken Mähne ein Dickkopf versteckt. Das konnte noch was werden, dachte ich, insgeheim und diskutierte weiter mit dem Panzer.
      “Jetzt komm doch endlich”, nörgelte ich. Minelli reagierte nicht, sondern trat noch einen weiteren Schritt zur Seite ins Grün.
      “Mir scheint, als habe das Gras die überzeugenderen Argumente”, stelle Lina grinsend fest, die vom Stall her auftauchte.
      “Ich habe doch gesagt, die ist komisch”, rollte ich mit den Augen und zog ein weiteres Mal am Strick, aber die sechshundert Kilogramm bewegten sich nicht.
      “Ich würde es eher unerzogen und verfressen nennen”, entgegnete sie und stiefelte zu der Stute hin. Auch Lina wurde von dem braunen Koloss ignoriert, nicht mal die Ohren bewegten sich, als sie Minelli anstupste. “Darf ich mal?”, fragte sie prophylaktisch und nahm mir den Strick aus den Händen. Zart zupfte sie am Strick und natürlich bekam sie keine Reaktion. Statt weiter zuzuziehen, wand sie sich der Hinterhand der Stute zu, schickte diese von sich weg. Auch das ignorierte die Stute zeitweise, bis ihr das Ganze wohl doch zu doof wurde.
      “So ist gut”, lobte Lina, das Pferd steckte ihr ein Leckerli in die Schnauze und überreichte mir den Strick.
      “Vielleicht machst du mit ihr was”, schlug ich vor und schielte zu dem kauenden Pferd neben mir.
      “Ich hätte kein Problem damit, aber ich denke, Lars wäre nicht so erfreut, wenn du dich drückst”, lachte sie.
      „Das werden wir mal sehen“, sagte ich verzückt und zog die Stute hinter mir in den Stall. Teils irritiert, teils neugierig folgte mir Lina. Lars stand bei Vision und verpasste ihm neuen Beschlag.
      „Laaaars“, rief ich mit jämmerlichem Unterton.
      „Was willst du?“, drehte er sich um und stellte den Vorderhuf ab. Vision hob den Kopf, brummte leise die unbeeindruckte Stute an.
      „Du magst mich doch, oder?“, setzte ich ein breites Grinsen auf. Langsam lief ich näher an ihn heran, sodass ich seinen Atem in meinem Gesicht spüren konnte.
      „Da bin ich mir gerade unsicher“, scherzte er und strich mir durchs wirre Haar.
      „Man“, jammerte ich weiter.
      „Na sag‘ schon, was möchtest du schon wieder?“ Seine Hand wanderte vom Kopf abseits zum Hals, als würde er sonst etwas erwarten, weiterhin verführerisch grinsend.
      „Kann Lina nicht den Beritt machen? Ich bin doch immer so doof“, schmollend blickte ich hoch zu ihm, während meine Fingerspitzen sanft über seinen Oberkörper spielten. Er schluckte, aber versuchte, die Fassung zu wahren.
      „Ausnahmsweise, aber“, noch bevor er seinen Satz beenden konnte, löste ich mich von ihm und drückte Lina den Strick in die Hand.
      „Danke“, strahlte ich Lars an und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Mit meiner Kollegin lief ich zur nächsten Putzbucht und befestigte die Stricke seitlich am Halfter.
      “Du weißt schon ziemlich genau, wie man bekommt, was man will, nicht?”, kicherte sie.
      “Man muss sich doch alles offenhalten”, flüsterte ich in ihr Ohr, schließlich sollte die Tratschtante nicht alles mitbekommen.
      “Klug”, nickte Lina und begann damit, das dunkle Fell der Stute vom Staub zu befreien. Im warmen Licht der indirekten Beleuchtung der Bucht tanzten die Körner in der Luft, beinah, als würden sie uns ein Zeichen geben wollen. Nur welches, konnte ich in dem Dreck nicht entnehmen. Stark versuchte ich ein Bild zu erkennen. Von außen wirkte ich wie ein Idiot, dem konnte ich mir zumindest sicher sein.
      “Und was mache ich jetzt?”, fragte ich in den Raum hinein, eher an Lina gerichtet, aber Lars wusste sofort eine: “Du könntest stattdessen was anderes reiten, wenn du dich schon vor der Dicken drückst.”
      Ich rollte mit den Augen. Als wäre ich nicht selbst auf die Idee gekommen.
      “Ich würde ja sagen, du kannst da Pferdchen nehmen, welches ich jetzt eigentlich bespaßen wollte, aber Hanni willst du sicherlich auch nicht”, trug meine Kollegin auch noch mit einer Antwort bei.
      “Neeeeeein, auf gar keinen Fall”, trat einen Schritt zurück, “außerdem ist das dein persönliches Berittpferd. Das mache ich nur kaputt.”
      “Mir leuchtet zwar nicht ein, wie du sie beschädigen solltest, aber dachte ich mir schon, dass diese Antwort kommt”, amüsierte sie sich.
      „Ich mache alles kaputt“, zuckte ich mit den Schultern.
      Aus der Jackentasche zog mein Handy hervor. All die Benachrichtigungen auf dem Sperrbildschirm schob ich zur Seite, bevor ich auf die Stallapp zu griff. Unentschlossen scrollte ich durch die Pferde. Einige hatten Pause, andere standen ohnehin auf der Weide und wieder andere waren, seit dem Mateo hier ist, schon bewegt. Meine Abwesenheit heute erschien mir somit nicht ganz schlüssig. Ich überlegte mir einen freien Tag einzutragen, von dem ich noch genügend hatte.
      „Du kannst auch was mit Osvo machen“, schlug Lars dann noch im richtigen Moment vor.
      „Klingt gut“, nickte ich und holte die Rappstute.
      Als ich zurückkehrte, mit ihr, führte Lina bereits das schwerfällige Pferd auf die Reitbahn. Nour gab parallel Unterricht auf dem barocken Quarter Horse, aber es gab genug Platz, um sich aus dem Weg zu gehen. Ich befreite also den Traber vom Matsch am ganzen Körper. Immer mehr Dreck fiel auf den Boden, als Lars unerwartet mir stand. Vom Schrecken erholte ich mich nach einem kräftigen Atemzug. Erwartungsvoll blickte er zu mir hinunter, als hätte ich etwas Falsches gesagt.
      “Ist es nicht unhöflich, wenn du mich nicht ausreden lässt?”, fragte er mit leiser und ruhiger Stimme. Kurz dachte ich nach, dann fiel mir sein ‘aber’ wieder ein.
      “Als wäre es neu, dass ich dir nur halb zuhöre”, grinste ich.
      “So nicht, Madame”, scherzte er. Schelmisch legte sich ein breites Lächeln auf seine Lippen, an den Wangen bildeten sich kleine Falten und an den funkelnden Augen ebenfalls. Ich schaute ihn gern an. Sein Gesichtsausdruck war ehrlich und stets voller Gefühl. Wüsste ich nicht, wie er sich verhielt und worauf all seine Anstrengung abzielte, hätte ich nie Basti ins Auge geworfen. Natürlich gab dies seiner Anziehungskraft keinen Abbruch, aber ich sah meinen Kollegen als einen engen Freund.
      “Sonst?”, hakte ich provokant nach. Entschlossen legte er seine Hände hinter meinen Rücken ineinander, was mich für einen Moment irritierte, aber schließlich in Sicherheit wog.
      “Sonst brauchst du einige Erziehungsmaßnahmen, die wir allerdings in andere Räume verschieben sollten.”
      “Aha, verstehe. So ist das also”, nickte ich, “aber es scheint mir verschwendete Energie.”
      “Ich möchte, dass du heute Abend mal mehr kochst als Reis oder Pasta”, rückte er mit seiner Forderung heraus.
      “Kann gemacht werden, aber ist es dafür nötig, mir so nah zu kommen?”, skeptisch musterte ich seine Gesichtszüge, die weiterhin mit einem strahlenden Lächeln gezeichnet waren.
      “Sonst hörst du mir doch nicht zu. Außerdem hätte ich dich gern wieder bei mir”, rückte Lars mit dem wahren Grund heraus. Manchmal konnte er verklemmt sein, um seine Wünsche zu äußern.
      “Wir werden sehen”, murmelte ich.
      Schritte näherten sich vom großen Tor und im nächsten Moment löste sich mein Mitbewohner von mir, trat sogar einen Schritt zur Seite. Er verstand genauso gut wie ich, dass solche Situation in der Gerüchteküche kochte. Gerade rechtzeitig. Niklas kam in seiner dunklen Uniform den hallenden Gang entlang, am Auge mit einem Veilchen versehen, aber wirkte sonst außergewöhnlich freundlich gesinnt.
      “Hallo”, grüßte ich höflich und bekam sogar eine Antwort.
      “Hast du Lina gesehen?”, lächelte er. Meine Augen bewegten sich von einer Seite zur anderen. Dabei bemerkte ich natürlich, dass Lars eine Hand neben sich zur Faust ballte und die Arme verschränkte. Ich war es auch nicht mehr gewohnt, dass Niklas Dinge wie ein normaler Mensch sagen konnte.
      “Ähm”, stammelte ich deshalb, bis mein Sprachzentrum mit Blut versorgt wurde, “gleich nebenan auf dem Sand.”
      Niklas bedankte sich und lief an der Bande herum, die Tribüne hinauf.
      “Was denn heute mit dem los?”, wunderte sich auch Lars direkt.
      Ich zuckte nur mit den Schultern.
      “Aber ich werde Osvo nun satteln, nicht, dass du noch auf blöde Ideen kommst”, scherzte ich und folgte Niklas.

      Osvo trat mit großen und gleichmäßigen Schritten voran. Die Zügel lagen auf ihrem Hals und ich blickte auf mein Handy. In der Sattelkammer bekam ich das plötzliche Bedürfnis, Basti zu schreiben, der sogar antwortete. Vollkommen verträumt, bemerkte ich nicht, dass Lina im Trab mir entgegenkam, aber im letzten Moment noch auswich.
      “Tut mir leid”, rief ich ihr noch nach, bevor die Finger wieder über dem Display huschten.
      “Kein Handy am Steuer gilt auch in der Reitbahn”, lacht sie nur im Vorbeireiten und setzte mit dem Panzer weiter über den Sand. Gleichmäßig, wenn auch ein wenig langsam trommelten die Hufe und ließen den Boden erzittern. Osvo zuckte zusammen, aber lief dann im unveränderten Tempo weiter. Lobend strich ich ihr über den Hals.
      “Aber ist wichtig”, redete ich undeutlich vor mich hin, ohne den Blick zu heben. Doch nun bremste mein Pony ab, regte den Kopf über die Bande. Niklas tätschelte sie, als würde er Linas Aussage untermalen wollen. Leicht legte ich die Beine an den Bauch des Pferdes, das sich davon nicht beeindrucken ließ. Ich tippte die Nachricht an Basti zu Ende. Gerade, als ich es wegsteckte, meldete sich das Gerät zurück. Kurz warf ich noch einen Blick darauf, als mir der Mund offen stehen blieb. Etwas überfordert blickte ich von links nach rechts. Wieder rollte das Kettenfahrzeug auf uns zu. So gut ich konnte, drückte ich die Ferse an Osvo, aber Niklas hinderte sie daran, sich zu bewegen.
      “Die Jungs hätten dich gern wieder da. Hast du Zeit nachher?”, stand auf dem Bildschirm. Eigentlich hatte ich welche, wenn nicht Lars schon seinen Wunsch geäußert hätte.
      “Welches Gespenst ist auf deinem Bildschirm aufgetaucht?”, fragte Lina leicht irritiert, als sie die Stute gezwungenermaßen abbremste, da die Stute sich verweigerte erneut auszuweichen. Beinahe so als wüsste sie, dass sie einfach alles umwälzen konnte, was ihr in den Weg kam. Der Rappe legte seine Ohren an und schnappte in ihre Richtung wie eine Schlange.
      “Die Gespenster von gestern, wünschen meine Anwesenheit”, erklärte ich wahrheitsgemäß, aber geheimnisvoll genug, um Niklas aus dem Thema herauszuhalten. Ungefragt würde er sonst seine Meinung freigeben. Endlich reagierte Osvo auf meine Hilfe und zusammen ritten wir im Schritt an.
      “Oh, das ist doch schön. Dann hast du wohl einen guten Eindruck gemacht”, lächelte sie.
      “Aber er sagt, dass sie mich dahaben wollen, nicht er mich”, seufzte ich unentschlossen, schließlich wollte ich Lars nicht versetzen, erst recht, nachdem er mir so entgegengekommen war, dass Lina die Stute bewegen durfte. Außerdem meldete ich vor zwei Tagen auch seine Flamme wieder, die ihn von einem auf den anderen Tag versetzt hatte. Ich spürte, dass ihn das verletzt hatte, auch, wenn Lars sich nicht eingestehen wollte. Wieder kamen so viele Dinge aufeinander, die mich mit den Pferden fühlen ließ.
      “Ach Vriska, vielleicht ist das einfach seine Art sich auszudrücken. Manche sind nicht gut darin, offen zu kommunizieren, was sie wollen”, versuchte sie mich aufzumuntern.
      Ich stimmte ihrer Aussage zu. Die Zügel zog ich vorsichtig nach und begann mit Osvo zu arbeiten. An den kurzen Seiten nahm ich sie im Tempo deutlich zurück, setzte mich dabei auf den dritten Hufschlag, um Lina nicht noch mehr zu behindern. Fest in meinem Element drängten sich die Gedanken rund um das Abendprogramm in den Hintergrund. Stattdessen dachte ich an das Hofturnier, das Eskil erwähnt hatte. Bisher stand nur Happy auf dem Plan, aber Osvo könnte in einer Anfänger-Prüfung ein ebenso schönes Bild hergeben. Um mich darin zu bestärken, trabte ich den Rappen an und ritt verschiedene Bahnfiguren. In den Biegungen kam sie schön an den Zügel heran. Ihren Kopf trug Osvo in aktiver Haltung und trat unter den Schwerpunkt.
      So sehr vertieft in die Einheit, bemerkte ich nicht, dass Lina die Bahn verließ. Auch Niklas stand irgendwann nicht mehr am Rand. Zum Schluss galoppierte ich noch am lockeren Zügel mehrere Runden, bevor ich im Schritt draußen abritt.
      Ich zog mein Handy wieder heraus.
      „Es tut mir leid, aber heute Abend ist schlecht“, antwortete ich Basti. Sein Status wechselte sofort.
      „Schade. Bist du Freitag da?“, erkundigte er sich jedoch.
      „Ja“, tippte ich nur.
      „Ok“, kam es als Antwort, dann ging er offline.
      Von mir folgten noch weitere Nachrichten, die jedoch unbeantwortet blieben. War es falsch, das Treffen abzusagen?
      Enttäuscht von mir selbst, steckte ich das Handy zurück und versuchte bei der kleinen Runde um den Hof, wieder auf andere Gedanken zu kommen, aber im Vergleich zu vorher, schwebte nun Schuld und Reue in der Luft. Natürlich dachte man noch intensiver daran, wenn man versuchte, einen bestimmten Gedanken aus dem Kopf zu schieben. Als ich noch sah, dass Lina sich von Niklas am Auto verabschiedete, mit einem innigen und intimen Kuss, wurden meine Augen glasig. Mein Blick senkte ich auf den wippenden Mähnenkamm. Osvo kümmerte das alles nicht. Sie als Pferd kannte die Sorgen nicht, die mich tagtäglich beschäftigten, als diese Belastung auf den Schultern zu haben. Stattdessen musste sie mich tragen, meine Unfähigkeiten als selbstverständlich erachten.

      Eine Weile zog ich die Melancholie mit mir, die Augen immer wieder auf dem Sperrbildschirm. Keine Nachricht, kein Lebenszeichen. Es schien beinah, als hätte es unseren Kontakt zueinander nie gegeben. Osvo stand schon lange wieder auf dem Paddock. Die Sonne nährte sich dem Horizont und demnächst würde der kleine Lebensmittelladen ein Dorf weiter schließen, in dem ich noch einkaufen gehen wollte. Gefüttert hatte ich die Pferde und somit nun Feierabend. Lina lief gerade zur Hütte, als ich sie abfing. Mit wenigen Worten überzeugte ich sie mich zu begleiten.
      “Ich habe Basti abgesagt”, seufzte ich und öffnete ihr die Beifahrertür.
      “Weswegen das denn?”, wollte sie wissen, bevor sie hineinkletterte.
      “Lars hat sich gewünscht, dass ich heute richtig für ihn koche, und es fühlte sich nicht richtig an, ihn für einen Typen zu versetzen”, erklärte ich aufrichtig. Die Tür schloss ich leise hinter ihr und stieg selbst auf der anderen Seite ein. Ich drehte den Schlüssel. Der kleine rote Golf sprang zuverlässig an und setzte sich in Bewegung.
      “Okay, das ist nachvollziehbar”, äußerte sie nachdenklich, “gerade, weil das ja noch recht neu mit dir und Basti ist.”
      “Von Lars weiß ich wenigstens, dass er gut im Bett ist”, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen, auch wenn mir schon bei dem Gedanken etwas warm ums Herz wurde.
      “Das ist auch eine wichtige Eigenschaft, die es nicht zu vernachlässigen gilt”, grinste sie.
      “Er weiß wirklich mit seinem Werkzeug umzugehen“, setzte ich eins obendrauf, „also, wenn er nur … etwas weniger Lars wäre. Ach, ich weiß auch nicht. Kennenlernen ist blöd.“
      “Aber um das Kennenlernen kommt man nun mal nicht herum, aber das wird schon noch mit Basti und dir”, sprach sie optimistisch.
      “Und dann wird es wie mit Erik“, stellte ich die bloße Behauptung auf und seufzte aus tiefen Herzen.
      “Es läuft doch nicht immer so unvorhersehbar schlecht”, versuchte sie mich aufzumuntern.
      Wir kamen im Nachbardorf an, gerade noch rechtzeitig, denn die ältere Dame war bereits am Aufräumen. Schnell huschten wir hinein.
      “Lina, möchtest du mit uns heute essen?”, rief quer durch den kleinen Laden, als ich die verschiedenen Gemüsearten in den Korb packte.
      “Ja, gerne”, erklang sogleich eine Antwort. Ich packte von allem das Doppelte ein und schon nach zehn Minuten waren wir bereit. Im Stoffbeutel befanden sich Obst und Gemüse für einen Salat und warmen Auflauf, nichts Besonderes, aber für uns alle ein guter Kompromiss.
      Zurück am Hof räumten wir unsere Sachen und liefen direkt zu mir. Lars saß auf der Couch, schaute ein Fußballspiel und fluchte unverständlich. Als er uns bemerkte, schaltete er sofort das Gerät aus und setzte sich an den Tisch.
      “Endlich, ich dachte, ich muss sterben vor Hunger”, scherzte Lars, dass wir noch einen Gast hatten, kritisierte er nicht. Stattdessen wirkte er froh, nicht mit mir allein zu sein. Ich räumte den Beutel auf der Platte aus, um die einzelnen Zutaten zu präsentieren.
      „Und Lina, wie hat die Minelli gefallen?“, fragte er schließlich.
      “Eigentlich ziemlich gut, nur an der Motivation lässt sich noch arbeiten”, erzählte sie ihr Fazit.
      “Da kenne ich noch jemanden”, schielte er zu mir.
      “Sei du mal ruhig”, quietschte ich angefressen und begann die Kartoffeln anzuschneiden in Fächerform. Sie bildeten die Grundlage des Auflaufs. Der Ofen heizte bereits vor.
      “So wenig macht sie doch gar nicht”, verteidigte Lina mich.
      “Das sagst du so”, schmunzelte Lars, wie mit sich selbst zufrieden, und hob ein wenig seinen Kopf, nickte, als bestätigte er selbst einen Gedanken. Manchmal konnte er der größte Arsch auf dieser Welt sein.
      „Ich gehe gleich zu Basti, wenn du so weitermachst“, fauchte ich vor Zorn und Verzweiflung. Dabei rutschte mir das Messer von der Kartoffel, geradewegs in den Finger. Leiste fluchte ich und hielt diesen unter kaltem Wasser, das im Becken eine rote Färbung annahm.
      “Brauchst du ein Pflaster oder so?”, fragte Lina fürsorglich und betrachtete die Situation argwöhnisch. Aber bevor ich überhaupt antworten konnte, erhob sich Lars aus dem Stuhl, lief ins Bad und brachte ein Pflaster. Die Wunde tupfte ich mit einem Küchentuch ab, das in greifbarer Nähe lag. In chirurgischer Genauigkeit legte er mir den Schutz auf, stand dafür dicht neben mir, dass sein neues Aftershave in der Nase kitzelte. Bereits im Stall war mir der neue Geruch nicht entgangen, obwohl ich versuchte jedem seiner Reize zu widerstehen. Doch wie ein verletztes Tier suchte, ich mich in Sicherheit, funkelte ihn mit weiten Augen an.
      „Das wird wieder“, sprach er absichtlich leise, um meine Sinne noch mehr zu fordern. Für Sekunden blickte ich tief in das Grün seiner Augen, bevor ich mich schnell abwendete und wieder zu den Kartoffeln lief. Das rege Klopfen in meiner Brust bemerkte ich natürlich.
      Die restlichen Zutaten schnitt ich ohne weitere Unfälle und schließlich war alles so weit vorbereitet, dass es in den Ofen konnte und das Dressing im Kühlschrank sich entfaltete. Lina und Lars hatten ein gemeinsames Thema gefunden – Pferdezucht, genauer gesagt, Farbzucht. Dabei drehte es sich um das Weiß, das ihre Tiere trugen. Meine Kollegin zeigte dabei deutlich mehr Fachwissen als er. So hing er förmlich an ihren Lippen und starrte sie an, als wäre Gott persönlich im Raum. In dem Moment wurde ich mir bewusst, dass unsere Verbindung überhaupt keine war, sondern seine Art im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Etwas enttäuscht ließ ich mich auf den Stuhl neben ihm fallen und holte zum wiederholten Mal das Smartphone heraus, das noch immer keine Nachricht von Basti empfangen hatte. Leer fixierte ich den Chat, als würde sie etwas ändern. Nichts passierte. Ich setzte zu einer Nachricht an, ob ich etwas Falsches geschrieben hätte, aber löschte sie direkt wieder. Es war nicht mein erster Versuch, bei ihm nachzuhaken, weshalb er mich ignorierte.
      „Was bewegt dich schon wieder, Basti?“, fragte die Kleine freundlich nach, bei der meine Stimmung nicht unbemerkt blieb.
      „Lina, ich kann dir sagen, egal was ist – Ihr Leben dreht sich nur noch um den“, antwortete Lars stattdessen mit einem Augenrollen. Er lehnte sich nach hinten in den Stuhl und verschränkte die Arme. „Lade ihn doch ein, bei Martin wird er ohnehin nur herumsitzen.“
      „Woher“, noch bevor ich die Frage beendete, beantwortete sich das von selbst. Mir fiel wieder ein, dass er mit der Truppe befreundet war oder wie auch immer man diese Zusammensetzung bezeichnete. Vermutlich fragte man ihn auch, ob er vorbeikommen wollte. „Nein, morgen ist Renntag.“
      „Ja, und?“, zuckte Lars mit den Schultern.
      „Ich möchte morgen fit sein“, erklärte ich.
      „Warum solltest du nicht? Denkst du etwa, er wird es die ganze Nacht mit dir treiben?“, zwischen den Zeilen hörte ich heraus, dass Lars eifersüchtig war oder etwas Ähnliches. Freundlich gesinnt kam seine Aussage nicht.
      „Nein, aber ich würde gerne schlafen und nicht ganze Nacht an ihn denken“, seufzte ich.
      „Deswegen kommst du auch heute zu mir unter die Decke“, schmunzelte er.
      „Okay“, zuckte ich mit den Schultern.
      „Na, ob das hilft … “, murmelte Lina vor sich hin. In der Art wie ihre Augen zwischen uns Hin und Her huschten, wurde deutlich, dass ihr nicht wirklich behagte dieser Diskussion beizuwohnen. Um ihr den faden Beigeschmack zu nehmen, lächelte ich sie an. So ganz zufrieden war sie jedoch nicht und ich entschied, mit ihr vor die Tür zu gehen. Vom Haken ergriff ich die erstbesten Jacken, die in ihrem Fall ein dicker Packer von Lars war. Damit würde sie wenigstens nicht erfrieren. Dog war bei meinem Bruder, somit bedarf es keiner abendlichen Runde durch die Dunkelheit.
      „Wann ist denn das Essen fertig?“, rief uns der Herr der Schöpfung noch nach. Ich streckte den Kopf durch die halb geöffnete Terrassentür.
      „Zehn Minuten, höchstens zwanzig“, erklärte ich.
      „Dann kann ich noch Duschen gehen?“
      Ich nickte und schloss die Tür.
      Lars‘ Schlappen standen noch auf der Fußmatte und ich schlüpfte in die kalten und feuchten Schuhe. Lina kämpfte währenddessen damit, den Reißverschluss bis zum Kinn zu bekommen. Bevor ich die Zigarette anzündete, half ich ihr kurzerhand.
      „Wir sind nur Freunde“, erklärte ich unbestimmt und klickt das Feuerzeug, die Hand schützend an der Flamme. Mittlerweile konnte selbst ich mir nicht mehr erklären, wieso ich Zeichen unklar sendete. Tage wie diese waren der Grund für mein Buch, mir klar zu werden, wieso ich etwas tat oder eben nicht. Es könnte so viel einfacher sein, wenn ich Lars’ Flirt-Versuche als jene belassen würde, die Schmeichelei ignorierte. Aber ich hatte Spaß dabei und war mit Basti auf keiner Ebene unterwegs, in der man es als Vertrauensbruch ansehen würde. Wieder seufzte ich, schielte durch die große Glasfront in den Wohnraum. Das Deckenlicht brannte, im Ofen kochte der Auflauf vor sich hin. Stillstanden Stühle um den Birkentisch herum und auf der Couch lag mein Laptop zusammengeklappt, auf einer blau karierten Decke. Es könnte schön sein, wenn ich in all der Zeit am Hof nicht ständig den Mitbewohner wechseln müsste. Mit Lars war es nett, aber eben nicht idyllisch.
      “Nur Freunde? Und deswegen wirkt Lars wie ein Löwe, dem man sein Revier streitig macht”, argwöhnte sie, “Ihr zwei seid verwirrend.”
      “Samu war auch nicht begeistert von Niklas”, erinnerte ich Lina.
      “Ich sage ja schon gar nicht mehr”, gab sie klein bei, “du wirst wissen, was du tust.”
      “Wie geht es mit dem jetzt eigentlich weiter? Das Hüttchen wirkt ziemlich einsam”, bemerkte ich beiläufig.
      “Ist es auch. Keine Ahnung, wo genau er aktuell steckt, aber langfristig sucht Niklas etwas in der Stadt”, seufzte sie, den Blick zum Boden gerichtet. Auch wenn ihre Finger in den langen Ärmeln versteckt lagen, war ich mir sicher, dass sie wie so häufig etwas Greifbarem suchten.
      “Eigentlich wünscht er auch, dass ich mitkomme … ”, deute die Zweifel ihrerseits an.
      „Aber? Ein Auto lässt sich doch kaufen, oder Fahrrad“, irritiert runzelte ich die Stirn, „du musst nicht am Hof wohnen, um hier zu arbeiten.“
      “Ja, ich weiß doch. Irgendwas daran … beängstige mich”, versuchte sie zu erklären. “Ach man, das klingt doch jetzt komplett dämlich. Ich wechsle von heute auf morgen das Land, trau mich aber nicht in die Stadt zu ziehen”, schob sie leicht jammenden hinterher.
      “Kalmar? Das ist doch kein Vergleich mit Stockholm”, scherzte ich und nahm den letzten Zug von der Zigarette, die schon am Filter kratzte. Mit einem Schritt stand ich bei dem Aschenbecher und drückte sie aus. In Linas Augen funkelte es bereits, der Gedanke, dass im Inneren nicht nur wärmer war, sondern auch das Essen wartete.
      “Das ist aber schon deutlich mehr als das nirgendwo”, beschwerte sie sich. Augenscheinlich konnte sie sich selbst, nicht mehr ernst nehmen, denn in ihren Mundwinkeln zuckte ein selbstironisches Schmunzeln.
      “Zwingt dich doch keiner zu Hause herumzusitzen”, lachte ich. Die Tür zog ich hinter uns zu und brachte die Jacken parallel zum Haken. Aus dem Bad tönte das Plätschern der Dusche, untermalt mit lieblichen männlichen Klängen, die ich so nicht erwartet hatte. Kurz stoppte ich, aber Linas Blick erinnerte mich an das Abendessen.
      “Sag’ ich doch, ich bin lächerlich”, grinste sie schief und ließ sich auf einen Stuhl nieder.
      “Nein, so ist das nicht. Du fühlst dich nur der Herausforderung nicht gewachsen, mit deinem Partner zusammenzuziehen, weil das bedrohlich endgültig sich anhört und fühlt”, gab ich mir Mühe, die Situation möglichst neutral zu betrachten.
      “Ja, genau das ist es, denke ich”, überlegte sie einige Sekunden und nickte schließlich bestätigend.
      Ich lief hinüber zum Ofen, stellte den Regler auf 0 und holte die heiße Auflaufform heraus. Um die Tischplatte zu schützen, platzierte Lina bereits ein Brettchen darauf. Im selben Moment kam Lars heraus, einzig ein Handtuch um die Hüfte und trocknete sich das Haar ab. Für einen wirklich kurzen Augenblick wurden die Knie weich. Aber als Sauerstoff durch meine Lungenflügel strömte, kam ich wieder zu Verstand.
      “Essen ist gerade fertig geworden”, berichtete ich fröhlich.
      “Perfekt, dann ziehe ich mir etwas über”, drehte er sich um.
      “Musst du nicht”, kam ein unbedachter Kommentar über Linas Lippen. Noch im selben Moment wie sie merkte, was sie da eigentlich sagte und vor allem zu wem, biss sie sich von Pein ergriffen auf die Lippe und ihre Gesichtsfarbe wechselte zu Tomatenrot. Er sah über Schulter hinweg zu mir, denn sie saß außerhalb seiner Sichtweite. Ich zuckte nur mit den Schultern. Augenblicklich drehte er um und kam zurück.
      “Ich dachte tatsächlich, es stört dich. Aber gut, dann kann ich trocknen”, grinste Lars und setzte sich ihr Gegenüber auf den freien Stuhl. Es fehlte nur noch der Salat auf dem Tisch, den ich umgehend dazu stellte. Damit konnten wir Essen.
      “Nein, alles gut”, murmelte sie noch immer peinlich berührt und schaufelte sich etwas von dem Grünzeug auf den Teller.
      Stunden saßen wir noch am Tisch, leerten schließlich nach dem ersten Bier noch eine Flasche Wein, die ich aus den Tiefen des Regals fand. Jahrgang 2017, also ein beinah edler Tropfen. Nicht nur meine Knie wurden weicher, sondern auch die Zunge lockerer. Ebenso konnte ich mein Chaos innerlich nicht mehr zurückhalten und saß mittlerweile auf Lars’ Schoß, eine Arme fest um mich geschlossen und sein Kopf schützte auf meiner Schulter. Währenddessen schaute ich immer wieder auf mein Handy, schließlich konnte man nie wissen, ob nicht doch noch, die ersehnte Nachricht eintrudeln würde. Jedes Mal, wenn ich den Bildschirm zurück auf die Tischplatte, löste sich ein leichtes Seufzten von meinen Lippen.
      “Er wird schon noch merken, was er verpasst”, flüsterte Lars mir ins Ohr und legte einen sanften Kuss auf meinem Hals. Kaum hörbar schlich sich ein Stöhnen nach draußen, das im Atem bebte und eher, wie ein Brummen klang. Natürlich befeuerte es ihn noch mehr, aber als Lina aufmerksam wurde, hörte er auf. Dass es ihm dennoch ernster wurde, spürte ich sofort.
      “Ich kann auch gehen, wenn ihr lieber allein wärt”, bot sie schmunzelnd an.
      Lars wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, aber bekam von mir den Ellenbogen an die Brust.
      “Nein, alles gut. Der Herr kann nur seine Hormone nicht zügeln”, sprach ich leicht zittrig. Mir schwebte der Gedanke vor dem inneren Auge, was passieren könnte, wenn sie nicht da wäre. Ich wollte das nicht, also schon, aber nein.
      “Na dann”, grinste sie und lenkte das Thema schließlich auf ein anderes Thema, “Mit wem fährst du morgen eigentlich?”
      “Zuerst mit Humbria und dann noch mit Wunder auf der Langstrecke”, erklärte ich. Schon wieder fast verdrängt, kam mir die Rennbahn in den Kopf, Basti. Hektisch drehte ich das Handy, keine Nachricht.
      “Oh, mit Pilzi, wie schön. Dann wünsche ich euch viel Erfolg morgen”, freute sich meine Kollegin. Obwohl sie kaum mit der dunklen Stute in Kontakt stand, fand sie diese unheimlich interessant. “Übrigens, ich glaube nicht, dass du eher eine Nachricht erhältst, nur weil du dein Handy regelmäßig anstarrst. Mach’ dich nicht verrückt, du siehst ihn morgen doch sicher”, lächelte sie aufmunternd.
      “Ich weiß nicht genau, schließlich fahren wir morgen nach Halmstad”, informierte ich sie.
      “Ach so ist das”, nahm sie die Information zur Kenntnis, “aber lässt sich das theoretisch nicht herausfinden?”
      “Bisher hatte ich Angst nachzuschauen, aber er fragte, ob ich Freitag da bin. Ich bin bisher von Halmstad ausgegangen, denn Romme und Bollnäs sind ziemlich weit weg, für ein paar Starts”, seufzte ich.
      “Warte, du bist noch tiefer in der Materie, als ich dachte”, sprach Lars fasziniert und strich weiter mit seinen Fingerspitzen über meinen Oberschenkel, “langsam tut es mir leid, dass er es nicht zu schätzen weiß. Selbst Papa würde dich seit Stunden zuquatschen.”
      “Dass er gefragt hat, kann man doch als gutes Zeichen sehen, wenn die anderen Orte so ungünstig gelegen sind, wie du sagst”, sprach Lina zuversichtlich.
      “Kommst du mit?”, fragte ich gähnend.
      “Ja, gerne. Ich muss nur mit Sam noch mal abklären, wann sie kommen wollte, morgen, weil sie meinte irgendwas von spät”, überdachte sie ihren Zeitplan.
      “Wir sollten gegen achtzehn Uhr zurück sein”, erläuterte Lars. Einen kurzen Augenblick tippte sie auf ihrem Handy umher, schien etwas nachzusehen und tippte kurz.
      “Das sollte passen”, sprach sie schließlich als der Bildschirm erlosch.
      „Nun“, wieder gähnte ich, allerdings länger als zu vor und steckte auch Lars damit an, „sofern du uns nicht Gesellschaft in der Nacht leisten möchtest, wäre Bettchenzeit.“
      Ich lehnte mich noch weiter zurück, sodass ich einen ziemlich bequemen Punkt an seiner Schulter fand. Dabei fiel mir die Uhrzeit ins Auge, die mich daran erinnerte, dass ich seit zwei Stunden schlafen wollte. Blöd gelaufen. Um sechs Uhr klingelte der Wecker, doch glücklicherweise war der Transporter, bis auf wenige Sachen, bereits vorbereitet.
      „Nein, danke. Ich gehe lieber in mein eigenes Bettchen“, lehnte sie ab und erhob sich gemächlich, „Also dann, Gute Nacht.“
      “Verstehe ich gar nicht“, grinste mich Lars an. Lina zog sich ihre Jacke an und ich erläuterte ihr nebenbei die Zeitplanung. Obwohl ich ihren Gesichtsausdruck nicht sehen konnte, schwebten förmlich ihre Zweifel zur Zusage in der Luft. Höflich, wie sie war, sprach sie diese nicht aus, sondern nahm schweigend die Tatsachen hin, ich brachte sie noch zur Tür, während Lars zum Bett torkelte. Eine Jacke zog ich mir nicht über, stand also zitternd im Freien, um noch eine zu rauchen und ihre Ankunft in den eigenen Vierwänden genau zu inspizieren. Als ihre Tür zu viel, konnte ich mir sicher sein, dass alles okay war.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 38.662 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte März 2021}
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  • Album:
    LDS - Schweden
    Hochgeladen von:
    Wolfszeit
    Datum:
    10 Jan. 2022
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  • Henade
    philosophische Einheit

    Rufname: Hanni, Henriette
    geboren 24. Januar 2008

    Aktueller Standort: Lindö Dalen Stuteri, Lindö [SWE]
    Unterbringung: Paddockbox


    __________ s t a m t a v l a

    Aus: Halysée della Crespera [Freiberger]
    MMM: Hermine _____ MM: Hazalée _____ MMV: Deli
    MVM: Elodye _____ MV: Halvaro _____ MVV: Hendrix


    Von: Urban [Freiberger]
    VMM: Lara _____ VM: Lucie _____ VMV: Eiger
    VVM: Anchi _____ VV: Calif _____ VVV: Cojack


    __________ h ä s t u p p g i f t e r

    Rasse: Freiberger [FM]
    Urfreiberger | 0,00% FB

    Geschlecht: Stute
    Stockmaß: 149 cm
    Farbe: Bay [White Spotting]
    [Ee Aa]

    Charakter
    Eigen, Schnappi, lässt sich bitten, konzentriert, benötigt sicheren Reiter

    Henade, oder wie sie bei uns genannt wird, Henriette ist ein wenig eigen. Grundsätzlich wird nach allem geschnappt, was in die Reichweite ihrer Schnauze kommt, dabei ist sie allerdings nie böswillig, schließlich könnte es essbar sein. Hanni mag keine Regendecken, empfindet Hufglocken als seltsam und hasst bunte Gummischüsseln, lässt man eine solche in ihrer Nähe kann man sich auf ihre Zerstörung vorbereiten. Henriette ist ein wenig verwöhnt, nachts steht sie lieber in der Box als draußen. Wir haben versucht sie umzugewöhnen, aber die Stute zetert so lange herum, bis irgendwen sie wieder reinließ.
    Wenn es um die Arbeit geht, gleicht die hübsche Stute einer Prinzessin, Henade möchte höflich um etwas gebeten werden, wird man zu grob, verweigert sie die Mitarbeit. Hanni mag es nicht, wenn andere Pferde mit in der Halle oder auf dem Platz stehen, so fern sie nicht zu ihrer Herde gehören. Bei jeder Begegnung werden diese angestänkert und sollten sie ihr zu Nahe kommen wird schon mal geschnappt oder ausgetreten.
    Wenn die Stute arbeitet, ist sie konzentriert und interessiert sich dann nicht einmal in der Rosse für Hengste. Hanni wird fein geritten und ist auch recht talentiert. Dressurlektionen bis Klasse M sollten ihr keine Probleme bereiten und sie springt auch zuverlässig bis zu einem Meter Höhe. Einzig im Gelände zeigt sie ihre Schwäche. Dort wird sie schnell unsicher und benötigt einen Reiter, der ihr Sicherheit gibt.

    Henade hat bereits eine lange Reise hinter sich. Als Jährling wurde sie vom Züchter verkauft und landete schließlich auf einem Hof in den Alpen. Dort wurde die Freibergerstute als Packpferd für Wanderungen und Alpenüberquerungen verwendet. Bei einer dieser Wanderungen verguckte sich eine Familie in Hanni und kaufte sie dem Betrieb ab. So kam die Stute von der Schweiz an die Osteseeküste. Die Tochter erzielte einige Platzierungen mit der Stute in der gefahrenen Dressur, doch mit dem älter werden verlor sie plötzlich das Interesse an dem Pferd. Eigentlich war Henriette schon so gut wie verkauft, doch der Verkauf platzte.
    Weil die Familie keine weitere Energie in den Verkauft stecken wollte, ging sie kurzerhand an den nächsten Abdecker. Henade hatte Glück im Unglück, denn sie war eines von 20 Pferden, welches eine zweite Chance bekommen sollte. Einmal im Jahr kauft ein Hof aus Kiel ca. 20 Pferde beim Schlachter um diese, nach 6 Monaten Erholungszeit, beim Tag der offen Tür zu versteigern. Das Event in mittlerweile so groß, dass es sogar weit über die Grenzen der Region bekannt ist und jährlich hunderte von Pferdefreunden anzieht.


    *Mag Hagebutten
    *verträgt kein Mais
    *mag keine Regendecken und Hufglocken
    *Hasst bunte Gummischüsseln
    *wird nicht gerne nass
    *1- und 2-Spänning gefahren (Dressur)


    __________ t ä v l i n g s r e s u l t a t

    [​IMG]

    Dressur S [M] – Springen E [L] – Military E [L] – Fahren L [S'] – Distanz A [L]

    Niveau: National
    Platzierungen: 2 | 5 | 4

    September 2021
    Training, Dressur E zu A

    November 2021
    2. Platz, 520. Fahrturnier

    Dezember 2021
    2. Platz, 512. Militaryturnier

    Januar 2022
    1. Platz, 514. Militaryturnier

    Februar 2022
    Training, Dressur A zu L
    1. Platz, 648. Springturnier
    3. Platz, 518. Militaryturnier

    März 2022
    2. Platz, 650. Springturnier

    April 2022
    Training, Dressur L zu M
    2. Platz, 654. Springturnier
    3. Platz, 656. Springturnier

    Mai 2022
    2. Platz, 660. Springturnier
    3. Platz, 527. Militaryturnier
    3. Platz, 540. Fahrturnier

    Oktober 2022
    Training, Dressur M zu S

    November 2022
    Training, Distanz E zu A

    Februar 2023
    Training, Fahren E zu A

    März 2023
    Training, Fahren A zu L

    April 2023
    Training, Platzhalter

    Mai 2023
    Training, Platzhalter


    __________ a v e l


    [​IMG]
    Stand: 01.02.2023


    Henade wurde durch SK 479 zur Zucht zugelassen.

    Zugelassen für: FM [SUB I]
    Bedingungen: Keine Inzucht
    Decktaxe: 265 Joellen, [kein Verleih]

    Fohlenschau: 7/ 7/ 8

    Feldtest: 7,63 [Bestande]
    Exterieur: 7,0
    Verhalten Fahren: 8,0
    Verhalten Reiten: 7,8

    Exterieurnote: 7,34
    Gesamtnote: 7,16

    __________ a v k o m m e r


    Henade hat 0 Nachkommen.

    NAME a.d. STUTE *20xx


    __________ h ä l s a


    Gesamteindruck: Gesund; gut in Training [12.05.22]
    Krankheiten: -
    Beschlag: Vorne, Falzeisen [20.05.22]
    * brüchige Hufwand vorne


    __________ ö v r i g


    Pfleger: Lina Valo
    Reiter: Lina Valo
    Eigentümer: Samantha Aubré [100%]
    Züchter: Gipf-Oberfrick [CHE], M. Aschenbacher
    Ersteller: Mohikanerin

    Hanni steht aktuell nicht zu Verkauf.
    _____

    Spind – Exterieur – PNG

    Hanni existiert seit dem 21. September 2021