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Mohikanerin

// Harlem Shake LDS [3]

a.d. Götterdämmerung LDS, v. Vintage

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// Harlem Shake LDS [3]
Mohikanerin, 22 März 2022
Canyon, Wolfszeit und Sosox3 gefällt das.
    • Mohikanerin
      Dressur E zu A | 06. Mai 2022

      Planetenfrost LDS / Astronaut in the Ocean LDS / WHC‘ Golden Duskk / Harlem Shake LDS / Raleigh / Ruvik / Úlrik

      An einem kühlen Herbsttag hatte ich Plano und Astronaut bereits in der Führanlage, während Raleigh von seiner Besitzerin in der Halle geritten wurde und Bruce Úlrik bewegte. Bevor die Traber an der Reihe waren, stand Ruvik auf der To-do. Mit ihm war bis heute nicht gut Kirschen essen, aber er akzeptierte meine Anwesenheit und an guten Tagen arbeitete er sogar mit. Ich hoffte, dass auch heute so einer war. Allein stand in seiner Paddockbox und zupfte am Heu in der Raufe. Mich hatte er schon früh bemerkt. Die Begrüßung startete mit angelegten Ohren und unfreundlichem Raunen aus den Nüstern, wie weit aufgebläht in meine Richtung prusteten.
      „Alles gut, wir wollen nur in die Halle“, versuchte ihm die Arbeit schmackhaft zu machen, doch der Hengst blieb in seiner Haltung mit gegenüber unverändert. Glücklicherweise wusste ich, worauf ich mich eingelassen habe und verharrte in meiner Position, bis Ruvik entschloss, auf mich zuzulaufen. Sofort bekam er ein Leckerli und akzeptierte das Halfter. Unsere nächste Herausforderung kam erst in der Halle. Ruvik mochte andere Pferde nicht, was er durch lautstarkes Wiehern und Quietschen untermalte. Eve nahm mit Raleigh Abstand und Bruce stieg ohnehin gerade von dem Isländer Hengst ab.
      „Wie war's?“, erkundigte ich mich, ohne dem Schecken neben mir besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Mein Bruder erzählte mir von den Fortschritten des Pferdes. Úlrik hatte er vor längerer Zeit aus Island importiert und bemerkte, dass dieser nicht ansatzweise das zeigte, was versprochen wurde. Daher begann er, mit ihm die Grundlagen zu wiederholen. Damit hatte Bruce den Hengst innerhalb kurzer Zeit auf einem sicheren Anfängerniveau in der Dressur, als Vorbereitung auf die Gangprüfungen.
      „Und du versuchst was genau mit dem?“, dabei zeigte Bruce auf Ruvik, der noch immer neben mir prustete.
      „Mal sehen. Geplant war Doppellonge, damit er hoffentlich dieses Jahr zur Körung kann, aber ich sehe schwarz“, erklärte ich mit abfälligem Blick zu dem Chaoten.
      Als Eve fertig wurde, setzte sich der Hengst endlich in Bewegung. Er schielte noch immer dem Kaltblut nach, aber kam Runde für Runde besser an die Doppellonge heran. Wir übten das Grundsätzliche, angefangen mit klaren Übergängen und Biegungen. Er kannte das alles, aber hatte es viele Jahre als Zwang empfunden, seitdem wir ihn aus einem tschechischen Zirkus übernahmen. Bis heute ist Ruvik Tag tägliche eine Herausforderung, ein Pferd, das sein Dasein bei uns Fristet und meistens nicht gearbeitet wird. Für die Körung jedoch war es notwendig, denn es gab Anfragen ohne Ende.
      Nach zwanzig Minuten beendete ich die Einheit, auch, weil noch die beiden Rennpferde auf dem Plan standen zum Reiten. Auch mit ihnen ritt ich in der Halle, achtete genau auf die Schritte durch den Sand. Besonders feurig war Dustin, der nicht ohne Grund im nächsten Jahr in Frankreich rennen sollte. Plano sollte weiterhin in Schweden bleiben und hier Siege holen. Mit dem ausgeglichenen Training zwischen Dressur und Rennen stand dem auch nichts im Wege. Die Hengste lernten schnell, konnten durch die Gymnastizierung auf allen Ebenen eine bessere Koordination entwickeln und damit Glänzen. Auch Shaker, unser Zuchthengst aus Vintage, setzte sich als Reitpferd immer mehr durch, obwohl seine Zucht-Rennen-Zeit deutlich unter dem Durchschnitt war.

      © Mohikanerin // Tyrell Earle // 3322 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Oktober 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel nitton | 04. Juni 2022

      Snotra / Lubumbashi / Maxou / Glymur / Moonwalker LDS / Planetenfrost LDS / Wunderkind / Harlem Shake LDS / Waschprogramm / Form Follows Function LDS / Satz des Pythagoras/ Lu’lu’a / HMJ Holy / Sturmglokke LDS / Enigma LDS / Millennial LDS
      Einheitssprache / Caja / HMJ Divine / Legolas / Ready for Life / Benjamin


      Vriska
      “Du wolltest doch nur schnell deine Haare neu machen”, jammerte Lina hinter der geschlossenen Badtür.
      “Jaha, ich bin doch gleich so weit”, rief ich langgezogen, mit dem Blick auf mein Handy gerichtet. Beinah sekündlich aktualisierte ich die Instagram Startseite und beobachtete, die Zahl neben dem kleinen Herz, das aufleuchtete, stieg. Wir hatten Tyrell von dem kleinen nächtlichen Ritt in der Halle erzählt und er wollte sich am gestrigen Tag selbst davon überzeugen, nur hatte ich dieses Mal den Sattel auf die Stute gelegt. Seiner Begeisterung über meine Leistung folgte der Einsatz der Kamera. Die Ergebnisse waren großartig, landeten deshalb nicht nur auf der Seite vom Gestüt, sondern auch auf meiner. Und was soll ich sagen? Niklas war hoch im Rennen, sich positiv darüber auszusprechen. Selbst Lina, die es sonst kritisch sah, dass ihr Freund Sympathie für mich hegte, freute sich daran.
      Deshalb saß ich auf dem geschlossenen Deckel der Toilette und wollte nicht zur Teambesprechung. Wollen, war eventuell der falsche Ausdruck, denn ich fand keine Motivation durch den angetauten Schnee wieder zurückzulaufen. Wir hatten schon einiges geschafft. Lina machte große Fortschritte im Umgang mit Rambi und ich war mit Snotra ausreiten, die einen anderen Sattelgurt benötigte. Dieser wurde zunehmend zu kurz. Lina scherzte bereits, dass Glymur mehr Erfolg hatte, als vermutet, doch ich bezweifelte es. Dafür war die Zeit zu kurz auf der Weide gewesen. Aber was wusste ich schon.
      “Ich schneide sie dir ab, wenn du jetzt nicht kommst”, ermahnte sie mich noch einmal und nun öffnete ich doch die Tür. Sie stürmte sofort hinein.
      Einen Moment später patschten wir durch den Matsch auf den Wegen zur Halle. Am Himmel zogen kleine Wolken vorbei, der ansonsten verdächtig blau leuchtete. Ein vereinzelter Vogel kreiste über den Bäumen. Der Hof lag still, getaucht in einer wässrigen Decke und umschlossen von Ästen. Alles wie immer, es war ein typischer Montag.
      Im warmen Raum der Mitarbeiter saßen wir als Erstes an unseren Plätzen. Folke trafen wir noch mit Dustin in der Stallgasse und mein Bruder verbrachte womöglich mit Jonina, die sich beide außergewöhnlich nahe standen seit dem Geburtstag. Ich beäugte die Beziehung kritisch, aber äußerste mich nicht dazu.
      „Oh, ihr seid da“, sagte Tyrell und klatschte erfreut die Hände zusammen. Dann begann er mit einer ganz simplen Sache: Neue Berittpferde.
      „Lina, bist du bereit, dich einer Herausforderung zu stellen? Caja ist nicht ganz einfach, schrieb man mir im Voraus und schickte anbei einige Videos“, erzählte er eher, als dass es eine Frage darstellte.
      “Wie darf man ‘nicht ganz einfach’ verstehen?”, hinterfrage Lina mit zusammengezogenen Augenbrauen. Ihr schien bereits klar zu sein, dass es bei solch einer Ankündigung nicht nur um eine einfache Lappalie handeln konnte.
      „Fuchs mit großer Blesse?“, fragte ich verwirrt. Das Pferd war nur bedingt unbekannt in der Region, primär in meinem Umfeld.
      „Ja?“, schloss er sich unserer Stimmung an.
      „Ich habe Gerüchte gehört“, grinste ich teuflisch, als hätte ich mir insgeheim bereit gewünscht, dass etwas daran wahr war. „In Spanien soll Mika schwer mit ihr gestürzt sein beim Vortraining und seitdem kommt keiner mehr an sie heran.“
      „Fast. Der Hauptgrund sind wohl Männer, denen sie nicht mehr vertraut und ihr Besitzer möchte ihr nun ein besseres Zuhause schenken“, erläuterte Tyrell weiter. Linas Augen wurden größer.
      „Aber du schaffst das. Wir haben so viel Zeit wie nötig ist, bekommen, also Stress dich nicht“, blieb er zuversichtlich. Cash reihte sich damit in eine lange Liste von schwierigen Pferden ein, die wir am häufigsten am Gestüt hatten. Vermutlich sprach sich herum, dass wir es eine gute Adresse dafür waren.
      “Wenn du das sagst”, entgegnet meine Kollegin, die noch nicht so ganz überzeugt schien, dieser Aufgabe wirklich gewachsen zu sein, aber auch nicht zu widersprechen wagte.
      „Wenn nicht, kann das bestimmt auch Mateo machen“, sprach er weiter, „ach ja, ihr wisst das noch gar nicht. Diesen sammeln wir in Kiel auf. Mit euch wird er dort die Woche verbringen und macht dann im Anschluss bei uns seinen Bereiter und Trainerschein. Vielleicht möchte er auch bleiben, das hat er sich noch nicht überlegt.“
      Oh, jemand Neues im Team? Das klang interessant. Tyrell hatte ein gutes Gespür dafür, wer zu uns passte und wer nicht. Deshalb bereitete die mir Tatsache keine Bedenken.
      „Und eine Praktikantin bekommen wir auch, aber die wird bei Bruce im Stall sein. Mal schauen, es gibt noch weitere Anfragen für alles Mögliche, jedoch sind so gut unsere Zahlen auch nicht, dass wir jeden und alles einstellen können, vor allem, wenn jeder seine Pferde mitbringt“, dabei blickte er uns beide an, aber begann dann zu lachen.
      “Ach, die zwei Ponys fallen doch gar nicht auf, die futtern auch nur ganz wenig”, scherzte Lina, wohl wissend, dass allein Ivy schon das Doppelte an dem verspeiste, was Maxou zu sich nahm.
      „Natürlich, es sind Shetlandponys“, beschwichtigte Tyrell, „aber noch etwas anderes. Ich bitte euch nicht jedes Pferd in Kiel zu kaufen.“ Seine Augen schielten mehr zu mir als zu Lina.
      „Aber eigentlich staune ich ohnehin, dass du jetzt erst eins hast“, fügte er hinzu.
      „Wirklich?“, hakte ich nach.
      „Wenn du könntest, wäre der Stall voll. Zu gleichen Teilen muss das Pferd aber auch für dein Verständnis perfekt sein.“ Ein belustigtes Lächeln umspielte seine Lippen.
      „So groß sind meine Ansprüche nicht, nur wusste ich bisher nicht, in welche Richtung es gehen sollte. Kein Fuchs, kein Kerl und eigentlich Isländer, doch das ist jetzt durch“, zählte ich die kleinen Feinheiten auf.
      „Aber sowohl Glymur als auch Capi zählen doch zur Gattung Kerl?“, traf Tyrell ins Schwarze.
      „Ja, aber die gehören nicht mir. Es geht vielmehr um das drumherum“, versuchte ich nicht vorhandene Gründe der Geschlechterwahl zu finden.
      „Welches Drumherum? Hier ist Hengsthaltung doch gar kein Problem und Wallach werden meistens bevorzugt.“
      „Schon, aber woher soll ich wissen, wie lange ihr mich ertragt und halbe Kerle sind so langweilig. Außerdem will ich die nicht so intim waschen“, lachte ich.
      “Also, dass man Wallache langweilig findet, kann ich noch verstehen, aber Intimpflege, ernsthaft? Eine wirklich seltsame Begründung”, schmunzelte Lina.
      „Das interessiert mich jetzt, aber auch sonst bist du doch recht offen, was männliche Intimzonen betrifft“, musste Tyrell natürlich noch eine Schippe drauflegen. Ich schloss verzweifelt die Augen und versteckte die ansteigende Röte meiner Wangen hinter meinen Händen. Natürlich hatte er mehr von Harlen erfahren, ansonsten – denken wir besser nicht darüber nach.
      „Man kann doch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen! Obendrein finde ich es einfach eklig, okay? Ich möchte nicht mit meinen Händen in dem Bereich an einem Pferd fummeln“, gab ich ihnen meinen Grund dafür mit kratziger Stimme.
      “Ist ja okay”, grinste Lina, “dann hoffe ich mal für dich, dass dir nicht doch mal eines Tages ein Hengst zuläuft.”
      „Das wird nicht passieren“, blieb ich überzeugt, dass nichts im Leben etwas daran ändern könnte. Es gab so viele Pferde, da würde ich eine andere Möglichkeit finden.
      „Spannend“, blieb Tyrell ebenfalls behaglich, „die Größe scheint doch sonst eher in deinem Blick zu sein.“
      Die Röte intensivierte sich.
      „Tyrell! Das sind Pferde“, versuchte ich an seinen verlorenen Verstand zu appellieren.
      “Gibt es, außer diese Sache sonst noch etwas zu besprechen?”, startete Lina, ein feistes Grinsen auf den Lippen, einen Versuch wieder die essenziellen Dinge zu thematisiert und mich damit aus der seltsamen Situation zu befreien. Zum Glück hakte sie nicht weiter nach, vorher seine wirren Behauptungen stammten. Erleichtert atmete ich aus.
      „Tatsächlich, ja“, sagte Tyrell. „Ihr könntet Divine und Legolas heute mal in die Herde packen und dann schauen, wie die beiden sich machen. Irgendwer von den beiden hat die Selbsttränken beschädigt, deswegen steht dort der Eimer.“
      “Okay, cool. Ich hoffe nur, dass mein Spielkind noch nichts überflutet hat”, kommentierte sie.
      “Leider muss ich dich enttäuschen, noch bevor ihr im Stall wart, haben Folke und ich alles getrocknet. Aber alles gut. Kommt vor”, zuckte unser Chef, wenn er das überhaupt noch war, mit Harlen als Geschäftsführer, mit seinen Schultern.
      Sonst stand nichts mehr an und wir bewegten uns nacheinander aus dem Raum heraus. Im Flur kam uns aufgeregt, der junge Hund entgegen, als er unsere Stimmen hörte. Freudestrahlend bewegte sich sein Schwanz, ehe er sich vor unseren Füßen auf den Boden warf. Wir knieten uns hin, um dem Tier einen Augenblick der Aufmerksamkeit zu schenken, doch mussten dann schon weiter. Die Halfter hingen ohnehin an der Box, wodurch wir geradewegs weiterkonnten.
      “Hallo”, begrüßte Lina ihren hellen Hengst spielerisch und war direkt verloren. Noch einige Male versuchte ich eine Antwort auf meine Frage zu bekommen – vergeblich. Damit wir hier keine Ewigkeit verbrachten, legte ich dem Rappen sein blaues Halfter um, das schon bessere Zeiten gesehen hatte.
      “Also, wann kommt Samu endlich wieder?”, nahm ich einen letzten Anlauf, als ich kurz den Paddock standen und die darin befindenden Pferde interessiert ans Gatter kamen. Leise brummten sich die Tiere an, quietschten und verteilten sich wieder vereinzelnd.
      “Mittwoch kommt er definitiv und wenn es zeitlich passt, wollte er vielleicht heute noch kurz hereinschauen”, antworte sie fröhlich.
      “Oh toll, ist da etwas Besonderes?”, fragte ich.
      Lego rieb seinen Kopf an meiner Schulter, bekam einen Klaps, aber ignorierte diesen konsequent. Immer wieder schob ich ihn zur Seite, bis Lina ihm kurz in die Schranken weißte. Der Hengst spitzte die Ohren und gehorchte ihr.
      “Nicht, dass ich wüsste, aber es wäre nicht ausgeschlossen, dass der schon wieder mit irgendwelchen Überraschungen ankommt”, entgegnet sie frohen Mutes, während sie beiläufig die Haarpracht des Freibergers ein wenig ordnete, obwohl dies vermutlich ohnehin gleich wieder durchgewirbelt werden würde.
      “Als hättest du eine Vermutung”, nickte ich verstehend, zumindest versuchte ich es. Die Beiden waren mir ein Rätsel, aber ich finde sie so niedlich zusammen.
      Aber zunächst mussten die Pferde auf dem Paddock. Deswegen öffnete ich am Griff die Litze. Nacheinander führten wir die Hengste hinein, lösten die Stricke und schon bewegten sie sich zu den anderen. Dominant trabte Rambi aus der Gruppe heraus, um ihnen gegenüber dem Mann zu stehen. Er scheuchte die Beiden herum, aber als Benjamin dazu kam, wurde die Gruppe ruhiger.
      “Ja, Intuition”, lächelte sie, “aber ist mir eigentlich auch egal, Hauptsache, er lässt sich gelegentlich hier blicken.”
      “Er ist auch ein Sahnestückchen. Das schaut man gern an”, sprach ich meinen Gedanken aus, ohne die Augen von den Hengsten zu lösen. Lego hatte sich zwischen zwei anderen Warmblütern begeben und zupfte an dem Heu.
      “Na, lass das mal nicht deinen Freund hören”, feixte sie, “aber Unrecht hast du nicht.”
      “Mein Freund will, dass ich mich mit einem Typen treffe, den ich nicht kenne, nur damit ich mit dem Schlafe, anstelle dass er es tut, also bitte”, wurde ich zum Ende leiser. Ein Hauch von Enttäuschung schwang mit, denn eigentlich wollte ich den Satz eher als Scherz klingen lassen, doch alles daran entsprach der Wahrheit. Den Moment nutzte ich, um mein Telefon zu prüfen, stille. Nicht einmal Instagram unterbreitete mir eine erfreuliche Nachricht, einzig die Uhrzeit und das heutige Datum leuchtete mich an. Dennoch lächelte ich. Obwohl ich beschlossen hatte, meinem Sperrbildschirm wieder eine normale Optik zu verpassen, zeichnete sich dort noch immer besagtes erstes Bild, das mir gesendet wurde. Ich mochte es, nicht nur aus emotionaler Sicht, sondern auch aus ästhetischer.
      “Wie oft hast du schon an Samu gedacht, also aus anderen Gründen?”, fragte ich noch nach, als das Handy wieder in der Jackentasche verschwand.
      “Ich fürchte, eine genaue Anzahl ist schwer zu ermitteln”, scherzte sie, “aber oft, gerade in der hochpupertären Phase, wie du dir vielleicht vorstellen kannst.”
      Versichert huschten meine Augen von links nach rechts, während meine Zähne die Unterlippe hindurchzogen. Kein Thema war so schwierig in meinem Leben wie diese, doch sie konnte das nicht wissen.
      “Von meinen Freunden weiß ich das, ja. Ansonsten habe ich davon einiges Übersprungen und verpasst”, gab ich zu. Aus Serien und Büchern wurde mir das Thema Jugendliebe auch schon nähergebracht, grundlegend nichts, worauf ich neidisch war.
      “Oh, entschuldige, ich wusste nicht, dass das so ein sensibles Thema für dich ist. Aber ich kann dir sagen, es ist keine Lebensphase, die ich gerne wiederholen würde”, setzte sie beschwichtigend nach.
      “Kann ich mir vorstellen”, nickte ich, “aber du und Samu? Grandiose Vorstellung.” Ein freches Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. Vermutlich wäre sie auch deutlich glücklicher mit ihm als mit Niklas, aber das hatte ich nicht zu beurteilen.
      “Findest du? Ich weiß ja nicht so recht”, antwortete sie argwöhnend, schien aber dennoch über meine Worte nachzudenken. Ihr Blick blieb bei ihrem Hengst, der noch immer von ihrem anderen Schützling über den Paddock gescheucht wurde. Keine Bisse, keine Tritte, also hielten sich die Rangdiskussionen noch im Rahmen. So färbte sich aber das saubere helle Fell, immer mehr zu einem Leoparden.
      “Willst du jetzt hören, wie schön eure Kinder aussehen könnten?”, begann ich zu lachen.
      “Ach, jetzt sind wir schon bei Kindern”, amüsiert funkelte es in ihren Augen, “Offenbar hast du genauere Vorstellung über mein Leben als ich selbst.”
      “Natürlich. Grund eins: Hast du dich mal richtig angeschaut? Du bist niedlich. Grund zwei: Dein Leben ist so viel interessanter als meins, deswegen mache ich mir Gedanken, um äußerst seltsame Dinge”, baute ich die Diskussion aus. Sie konnte nicht direkt einordnen, was ich meinte, aber nickte einmal sehr lang, als es im Kopf ankam.
      “Ich habe ja bereits vieles gehört, was ich sein soll, aber niedlich war selten dabei, aber danke”, lächelte sie geschmeichelt, “Aber was ist an meinem Leben dann so viel spannender? Es kommt mir nicht so vor als würde bei dir so wenig passieren.” Sie klang wirklich interessiert an meinem Gedankengang, auch wenn sie stets die Tiere im Auge behielt. Immerhin arbeiteten wir, während die nette Unterhaltung geführt wurde. Viel stand heute ohnehin nicht auf dem Plan.
      “Meine Wortwahl war interessanter und nicht weniger. Dennoch ist es ziemlich einfach, weil es bei dir so geregelter wirkte, bisher und die Erzählungen von deinem Umfeld immer so mitreißend ist”, erläuterte ich.
      “Wenn das so interessant ist, sollte ich vielleicht schon einmal an meiner Biografie arbeiten”, scherzte sie, “Aber Danke für das Kompliment?” Irritiert schielte sie kurz zu mir hinüber, bevor die felligen Vierbeiner wieder die Aufmerksamkeit bekamen.
      „Ich war ein Jahr im Literaturkurs, das könnte helfen“, offerierte ich.
      “Nette Angebot, aber ich glaube, das ist ziemlich viel Aufwand dafür, dass es vermutlich nur dich interessiert”, lächelte sie sanft.
      „Ach, Niklas sollte dafür auch sehr zu haben sein und der kann vermutlich die komplette erste Auflage kaufen“, bemerkte ich beiläufig und verfiel wieder darin, dass ihr bester Freund offenbar auch ihre Jugendliebe darstellte. Romantische Vorstellung, wie ich feststellte und meine womöglich erste und einzige Liebe als kribbelndes Gefühl unter der Haut spürte. Natürlich, Erik war großartig und ich wollte auf eine gewisse Art und Weise für immer bei ihm sein, aber er war nicht … Ich gab mir einen kleinen Klaps auf die Wange, um den Blick wieder für die Tiere zu haben und davon abzukommen. Der Schmerz war stets präsent, aber versteckt, wie chronische Kopfschmerzen.
      “Ich glaube, so funktioniert das nicht, wenn man halbwegs erfolgreich sein wollen würde”, sprach sie grüblerisch und gerade die letzten Worte klangen eher als sei es eher ein hypothetisches Gedankenspiel als eine ernsthafte Überlegung.

      Nach einer weiteren verstrichenen halben Stunde setzten wir uns wieder in Bewegung. Lina nahm sich ihrem Schützling Rambi an, während ich in der Sattelkammer saß und klägliche Aufgaben wie Sattelzeugpflege verrichtete. Eine Trense nach dem anderen nahm ich auseinander, fettete sie ein und baute alle Einzelteile wieder zusammen. Bereits nach der Vierten verlor ich die Lust daran, obwohl noch mehr als zwanzig Stück vor mir lagen.
      „Du bist aber fleißig“, sagte Tyrell und legte den Sattel zurück auf seinen Platz. Seine Schritte hatte ich bereits vernommen, aber man hörte andauernd welche. Selbst über mir knarrte es unregelmäßig.
      „Offensichtlich“, murmelte ich nur. Dabei schloss ich das Reithalfter wieder am Genickstück an.
      „Das war vorhin Spaß“, kam er sofort auf das Thema zu sprechen, was immer wieder in meinem Kopf aufblickte, als wäre es der nervige Wecker am Morgen, der alle neun Minuten ans Aufstehen erinnerte.
      „Freut mich, dass es dir Spaß bereitete“, drehte ich mich zu ihm, mit einem aufgesetzten Lächeln. Widmete mich im Anschluss wieder der Trense, die an ihren Platz zurückkam.
      „Eigentlich wollte ich noch etwas anderes ansprechen“, setzte sich Tyrell mit ernstem Blick neben mich. Wachsam spitzte ich meine Ohren. Die Finger fummelten eine weitere Trense auseinander, aber meine Augen sagen gespannt in seine Richtung.
      „Folke und Hedda werden zurückgehen nach Kalmar, auch Holy lassen sie hier und ich überlege, die Traber nach und nach zu verkaufen“, sagte er mit einem Seufzer. An den Tieren lag ihm viel, umso schwerer wirkte die Entscheidung.
      „Und, was soll ich nun tun?“, versuchte ich mehr in Erfahrung zu bringen.
      „Wäre es möglich, dass du wieder fährst?“, kam er zum Punkt.
      Nein, sagte ich in Gedanken, aber meine Lippen blieben geschlossen. Neben dem harten Training mit Lubi und der anderen Pferde nun auch noch, die Traber in Form zu halten, überstieg deutlich meine Leistungen. Außerdem kam ich selbst kaum auf das nötige Gewicht, wodurch die Rennen für mich nichts sein würden.
      „Es ist in Ordnung, wenn du nicht möchtest. Aber ich würde deine Hilfe benötigen bei der Suche nach jemand Neues“, wartete Tyrell nicht einmal auf meine Antwort.
      „Keine Ahnung, wie ich dir dabei eine Hilfe sein soll, aber ja“, stimmte ich nickend zu, „ich kann auch erst mal, zumindest hier, die Pferde fahren, aber rennen werde ich nicht nennen.“
      Er nickte.
      „Was passiert mit Holy und dem Fohlen?“, kam mir umgehend die Plüschkugel in den Kopf.
      „Die werden wir übernehmen, aber später dann schauen, ob wir sie behalten. Für die Reitschule könnte sie schwierig werden“, erklärte Tyrell. Sprach er von der Reitschule, die bisher nur Ausrede für Pferde war, die er kaufte und keine Notwendigkeit hatten? Gerade mal zwei Reitschüler kamen in der Woche, nichts Nennenswertes für einen weiteren Ausbau.
      „Okay“, nickte ich. Tyrell verließ den Raum und ich widmete mich wieder den Trensen. Aktuell schien sich alles zu ändern. Es kamen immer mehr neue Menschen und im selben Zuge verließen uns andere. Dass es innerhalb weniger Monate derartig viele Veränderungen geben würde, hätte ich nicht denken können. Immer mehr verfiel ich wieder in meinen Trott aus schlechten Gedanken, aber versuchte mich mit den Trensen abzulenken.
      „Die Leute lieben dich“, hörte ich hallend im Flur vor der Sattelkammer. Harlen unterstrich seine Freunde mit seinem Handy hoch in Luft gereckt. Er hatte wohl auch von den Bildern mitbekommen und gesellte sich zu mir.
      „Scheint so“, antwortete ich abwesend, ohne das Zaum aus der Hand zu legen. Den Blick behielt ich ebenfalls daran, um wirklich jede noch so kleine Verschmutzung zu entfernen. Nur noch fünf Stück lagen vor mir.
      „Was ist los?“, fragte er ernst.
      „Nichts.“
      „Für ‚nichts‘ bist du ziemlich seltsam und in dich gekehrt“, merkte Harlen an. Womöglich wieder eine seiner brüderlichen Instinkte, die ihn dazu anstifteten, hartnäckig zu bleiben.
      „Alles wie immer“, konnte ich mich nicht auf ein tiefgründiges Gespräch über meine Gefühle einlassen. In seinem Kopf ratterte es. Seine Hand fuhr durch das nach oben gegeltem Haar und richtete er sich auf.
      „Wir haben mitgeteilt bekommen, welche Pferde ihr in Kiel betreut“, wechselte Harlen gekonnt, das Thema.
      „Cool“, blieb ich desinteressiert. Kiel lag emotional noch so weit entfernt, dass ich darüber noch gar nicht nachdenken konnte. Letztlich war es nur arbeiten an einem anderen Ort, mit weniger Freiheiten.
      „Vivi, könntest du bitte mehr Interesse zeigen?“, appellierte er, aber kam damit nicht wirklich bei mir durch. Die nächste Trense baute ich nach dem Einfetten wieder zusammen. Ich stand auf und hängte sie zurück an ihren Platz. Es müsste jene sein, die wir an Götterdämmerungen verwendeten, zumindest nahm ich sie.
      „Okay, Harlen. Wenn du mich dann in Ruhe lässt, rede ich mit dir darüber“, gab ich schließlich nach. Er verhinderte, dass ich mit der nächsten Trense fortsetzen konnte.
      Zustimmend nickte er.
      „Tyrell musste mal wieder alte Wunden aufreißen, du verheimlichst mir Dinge und ich weiß nicht, wofür mein Herz schlägt“, ratterte ich im Akkord herunter.
      „Du hast recht“, seufzte mein Bruder, „ich war nicht ehrlich zu dir und das tut mir leid.“
      „Und welchen Grund sollte es dafür geben?“, seufzte ich.
      „Es ist kompliziert, deshalb wollte ich nicht darüber reden.“ Seine kurze Aussage klang nach weiterem Schweigen darüber, aber er überlegte auch. Ich hatte mir wieder eine Trense geschnappt, als er weitersprach: „Eigentlich wollte ich nicht hierbleiben, nachdem es mit der Firma geklärt war, aber einige Sachen verhinderten dieses Unterfangen. Papa sieht es nicht gern, dass ich von hier ausarbeite und nun auch noch als zweifacher Geschäftsführer agiere. Ich habe entschieden, dass mein Verwalter das Familienunternehmen vertritt und ich hierbleibe.“
      Harlen sprach um den heißen Brei. Nichts davon wirkte kompliziert oder verriet, wieso er die Entscheidung traf.
      „Du wirst wohl kaum geblieben sein, weil Schweden so schön ist. Dafür sitzt zu viel im Büro“, merkte ich an.
      „Aber das Wetter ist etwas besser.“ Er grinste. Gut, Punkt an ihn.
      „Willst du wirklich wie ich hier auf dem Hof verschimmeln?“, fragte ich.
      „Wieso sollten wir hier verschimmeln? Du planst gerade deine Karriere und ich führe ein erfolgreiches Gestüt, das eine große Zukunft vor sich hat, vor allem, wenn die Weltreiterspiele hier stattfinden sollen. Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet?“ In Harlens Augen funkelten förmlich die Geldscheine, aber er sah auch nur das große Ganze, nicht die Arbeit mit den Tieren.
      „Ich denke nicht, dass ich es so weit schaffe und die ganze Arbeit!“, jammerte ich.
      „Es geht nun mal nicht von heute auf morgen. Für dich ist es immer so einfach.“

      Tatsächlich hatte ich alle Trensen geschafft, noch vor sechs Uhr am Nachmittag. Damit blieb noch genug Zeit, um mich im Stall umzusehen, wer beschäftigt werden wollte. Von Folke verabschieden, stand ebenfalls noch auf dem Plan. Heute war sein letzter Tag, hatte mir noch Harlen mitgeteilt. Dass es so schnell gehen würde, dachte ich nicht. Veränderungen. Allein diese Tatsache lag mir schwer im Magen, aber ich konnte dagegen nichts tun.
      „Rambi war gut?“, fragte ich Lina in der Stallgasse, die gerade Walker gesattelte hatte und den Kappzaum verschnürte.
      „Ja, super“, antwortete sie kurz. Am Sattel passte sie die Bügellänge ein und verschwand im Schritt durch das große Tor. Ihr Zeitplan schien auch voll zu sein. Indessen stand ich am selben Punkt: Welches Pferd sollte noch geritten werden? Lubi hatte Pause, schließlich stand morgen ein intensives Training mit Eskil an und Maxous Beule wurde wieder größer, wodurch ich zunächst auf den Befund der Biopsie wartete. Unser Tierarzt hatte Zweifel geäußert zwischen den Zeilen, aber ich versuchte optimistisch zu bleiben.
      Also schlich ich durch Aufgang der Hengste, sah wie Plano an der Mähne von Wunderkind knabberte, Shaker an der Selbsttränke spielte und jedes Mal zusammenzuckte, wenn knarrend das Wasser zischte. Von der Seite kam Waschprogramm dazu, das seltsame Barockpferd, dass Tyrell einfach so gekauft hatte. Übersät von Matsch, erkannte man kaum die Punkte in dem Fell.
      „Na komm, dann machen wir mal was“, sagte ich entschlossen und stieg durch die Gitter auf den Paddock. Im Handumdrehen lag das Halfter an seinem Kopf. Treudoof folgte mir das Tier in den Stall.
      Nach einer halben Stunde putzen, verlor ich die Lust noch mehr der riesigen Sandflecken zu entfernen und führte ihn einige Meter weiter zur Indoordusche. Langsam schaltete ich den Wasserhahn an, bis es für mich eine angenehme Temperatur hatte. Waschprogramm jedoch machte seinem Namen keine Ehre. Wie ein kleines Kind hampelte er von links nach rechts, um dem lauwarmen Strahl zu entkommen. Vorsorglich entledigte ich mich der Jacke und Pullover. Im nächsten Augenblick stellte es sich als eine gute Entscheidung heraus. Der Hengst schnappte in den Schlauch und mich überkam ein Schwall aus Wasser.
      “Toll gemacht”, sagte ich zynisch und betrachtete mein tropfendes T-Shirt. Unter mir bildete sich eine kleine Pfütze. Gerade, als ich das Shirt auch noch zur Seite gelegt hatte und das Seitentor geschlossen, ergriff Waschi erneut den Schlauch. Ein bitterlicher Kampf um die Hoheit über die gelb-rote Schlange begann. Kurze Zeit dominierte ich den Besitz, konnte große Teile seines Körpers zumindest anfeuchten, bis er mit gestrecktem Kopf das Gummi in die Luft ragte. Zum Glück war die Dusche großzügig angelegt, dass im Hauptgang alles trocken blieb.
      Eingeseift und wie ein begossener Pudel stand der Hengst vor mir, den Hals gesenkt und die Augen mitleidig nach oben gedreht. Als ob es so ein Problem war, dachte ich insgeheim. Aber kaum floss das Wasser wieder, setzte der Kampf fort. Schritte nährten sich, die ich im Eifer des Gefechts kaum für voll nahm. Besagte Person stoppte. Waschprogramm hatte zu dem Zeitpunkt wieder den Schlauch im Maul und musste umgehend dafür sorgen, dass auch wirklich jeder in seinem Umfeld von seinem Leid etwas zu spüren bekam.
      “Gib zu, das macht er in deinem Auftrag”, ertönte Niklas tiefe Stimme hinter mir. Verlockt, der Tatsache zuzustimmen, drehte ich mich zunächst um. Ich schluckte.
      “Ohne meinen Anwalt sage ich nichts. Ich kenne meine Rechte!”, scherzte ich und griff zu dem Handtuch, das allerdings genauso nass war wie das Umfeld. Ich schmiss es zurück über die Stange. Ungewöhnlich schnell hatte er die durchnässte Jacke in der Hand. Das Shirt darunter wies nur kleine Flecken auf, was Waschi schleunigst zu ändern wusste. Einmal wippte er mit seinem Kopf und schon bekam Niklas die nächste Dusche ab.
      “Es tut mir leid, aber du hättest damit rechnen müssen”, sprach ich schulterzuckend und versuchte den Schlauch zu erobern. Dafür schaltete ich diesen aus, schon hatte ich ihn zurück. Zumindest das Shampoo sollte aus dem Fell heraus, dann wäre er von seinem Leid erlöst.
      “Dann muss ich mich wohl von noch mehr trennen”, lachte Niklas und warf mir sein Shirt entgegen. Ein intensiver Schweißgeruch gemischt mit Deo lag mir in der Nase. So schnell ich konnte, legte ich es wieder weg.
      “Nur das Nötigste”, ermahnte ich ihn, aber konnte auch mein Lachen nicht verdrängen.
      “Oh nein, bringe ich dich etwa in Schwierigkeiten?”
      “Eher du dich selbst. Lina könnte jeden Augenblick wieder kommen”, setzte ich die Grenzen. “Aber, was machst du hier?”
      “Eigentlich wollte ich mein Pferd bewegen, aber jetzt muss ich erst mal neue Sachen aus dem Auto holen”, sprach Niklas.
      Ich drehte mich von ihm weg, um nicht noch bei den auffälligen Blicken auf seine Tattoos eine Anmerkung zu kassieren. Verlegen biss auf meiner Unterlippe, schaltete das Wasser ein und entfernte den restlichen Schaum aus dem Fell des Pferdes. Der Abstand zu ihm verhinderte, dass er in den Schlauch schnappte.

      Lina
      Beinahe wie ein Geist hob, sich die helle Gestalt des Hengstes von dem strahlend blauen Himmel ab, der sich in der Pfütze spiegelte.
      “Großer, da ist nichts zu sehen, außer dir selbst”, sprach ich ruhig zu dem Tier. Seit einigen Minuten stand Walker vor der großen Pfütze, die das leichte Tauwetter auf dem Weg hinterlassen hatte und bewegte sich keinen Zentimeter vorwärts. Immer wieder senkte der Schimmel den Kopf, um mit weit geblähten Nüstern in das Wasser zu starren, ganz so als würde gleich ein Hai daraus emporspringen, um ihm in die Nase zu beißen.
      Mit sanftem Druck in die Flanken, forderte ich Walker erneut auf, sich zu bewegen und tatsächlich setzte der Hengst vorsichtig einen Huf in das Wasser.
      “So ist es brav.” Mit lobenden Worten strich ich über das dichte Fell, welches den Hengst umhüllte wie eine weiche Decke. Der Hengst setzte weiter Hufe in das Nass, auch wenn er die reflektierende Oberfläche nicht aus den Augen ließ. Nach der Durchquerung bekam der Hengst ein Leckerli für den Heldenmut sich dem gefährlichen Miniozean zu stellen.
      Weitere Gefahren begegneten uns auf dem Weg in den Stall nicht, allerdings eröffnete sich ein ziemlich seltsames Bild beim Betreten der Stallgasse. Aus der Waschbucht blickte Waschprogramm, mit hängenden Ohren und ließ sich Schicksalsergeben von Vriska abduschen, die dies aus nicht ersichtlichen Gründen ohne Shirt tat. Sollte ein warmer Wintertag doch nicht gleich ein Grund sein, alle Hüllen von sich zu schmeißen. Als sei das nicht bereits fragwürdig genug, stand mein Freund ebenso unbekleidet da, auch wenn er gerade auf dem Weg nach draußen zu sein schien.
      “Habe ich den Sommeranfang verpasst?”, kam mir, schneller als dass ich es überdenken konnte, ein spitzer Kommentar über die Lippen, bevor ich Walker energisch an den beiden vorbei, zum Putzplatz trieb.
      „Schön wäre es!“, schnaubte Vriska, „Der wollte unbedingt, dass wir auch sauber sind.“ Dabei zeigte sie auf Waschi, der die Augen langsam die Augen nach oben schon und schlussendlich in den Schlauch biss. So schnell konnte man Vriska gar nicht folgen, da ließ der Wasserdruck nach und das Pferd vom Gummi.
      “Ah ja”, argwöhnte ich, denn so wirklich sinnig erschein mir diese Erklärung dennoch nicht, “und weil Waschi meint alle wässern, zieht man sich gleich aus?” Auf die Antwort wartend, ließ ich mich aus dem Sattel des hellen Hengstes gleiten. Seine blauen Augen beharrlich auf mich gerichtet, die Ohren spielend, beobachte er, wie ich um ihn herumtrat, um das Halfter zu ergreifen, welches dort an einem Haken hing.
      „Also ich habe mich vorsorglich ausgezogen“, erklärte sie schließlich. Der Hengst hatte sich geschüttelt und sie nebenbei mit dem Schweißmesser das überschüssige Wasser entfernt. „Dein Freund hat es ungeschickter getroffen, deswegen ist er zum Auto.“
      Unverändert nickte ich. Dann nahm ich den Sattel vom Rücken. Im Flur kam Welpi wie ein Pfeil angeschossen, fußelte um meine Beine herum, noch bevor ich überhaupt in der Sattelkammer ankam. Ungewöhnlich frisch roch es, aber nicht so wie Wäsche duftet, wenn man sie aus der Waschmaschine nahm, sondern eher nach Seife und … Lederfett? In der Kammer bestätigte sich meine Vermutung, die Trensen hingen alle ordentlich geputzt und an der Wand und erstrahlten in fettigen Glanz. Hier musste jemand ziemlich fleißig gewesen sein oder hatte viel Langeweile, wobei mir in letzterem Fall ungefähr hundert andere Dinge einfallen, die mehr Spaß machen würden. Schwungvoll hievte ich den Sattel auf seinen Platz und fiel beinahe über den Hund, der mir noch immer zwischen den Füßen herumlief.
      „Vorsicht Kleiner“, lächelte ich und ging mit ihm auf Augenhöhe. Sofort grub der kleine Rüde seinen Kopf in meinem Schoß, während seine Rute wie ein Propeller durch die Luft flog. Freudige Laute drangen aus dem kleinen Brustkorb, während ich ihn ausgiebig kraulte. Nach einem Moment schob ich ihn von mir, schließlich wartete Walker noch auf sein Futter, bevor er zurück zu den anderen in das Matschwetter durfte. Der Welpe schien nicht der Meinung, dass ihm bereits genug Aufmerksamkeit zukam, denn er setzte sich unmittelbar auf meine Füße. Seinen großen Runden Welpenaugen beobachtet jede Bewegung, während ich das Gebiss auswusch.
      “Fred, so geht das nicht, du bist nicht der Einzige, der heute noch meine Aufmerksamkeit möchte”, versuchte ich den Welpen zu erklären. Natürlich verstand er kein einziges meiner Worte und fühlte sie dadurch, genauso wenig inspiriert sich zu erheben. So schob ich den Hund von meinen Füßen herunter auch, bemüht seinen Kugelaugen zu widerstehen.
      “Ach, wer möchte die denn noch?”, drang eine dunkle Stimme schäkernd an meine Ohren. Ich hatte gar nicht wahrgenommen, dass jemand den Raum betreten hatte. Erschrocken fuhr ich herum: “Gott, schleiche dich doch nicht so an.” Im Türrahmen stand Niklas, ein charmantes Grinsen auf den Lippen und vollständig bekleidet. Zugegebenermaßen müsste ich eigentlich leider sagen, denn ohne den verhüllenden Stoff …
      “Habe ich doch gar nicht. Vielleicht solltest du mehr auf deine Umgebung achten, bei deinen tierischen Gesprächen”, unterbrach mein Freund diesen Gedanken, bevor er weitere Form annehmen konnte. Von dem Neuankömmling begeistert, tapste der Welpe ihm entgegen und hüpfte wie ein Flummi an ihm hoch. Mich beschlich das unbestimmte Gefühl, dass Niklas sich auf meine Kosten amüsierte.
      “Das war kein Gespräch”, verteidigte ich mich, “dafür hätte nämlich eine Antwort erfolgen müssen.” Leicht pikiert wand ich mich von ihm ab, um Walkers Trense ordentlich zwischen den anderen zu platzieren.
      “Nicht immer alles so ernst nehmen, Engelchen. Ich scherze doch nur”, beschwichtigte Niklas direkt und hatte mit wenigen Schritten den Raum durchquert. Unmittelbar hinter mir konnte ich seine Präsenz spüren, die Wärme, die sein Körper ausstrahlte, die starken Hände, die sich auf meiner Taille ablegten.
      “Eigentlich ist das sogar ganz niedlich”, flüsterte er mir sanft ins Ohr. Die glühenden Funken, welche in seiner Nähe stets durch meine Adern tanzten, wurden immer mehr, bis eine Flamme zu lodern begann. Es waren weniger die Worte selbst, die all diese Empfindungen anfachten, als mehr die Offenherzigkeit, die in diesem Moment zu liegen schien. Langsam wand ich mich zu ihm um, blickte in seine strahlenden Augen, in denen die Begierde aufblitze. Worte waren nicht vonnöten, denn wie von selbst fanden unsere Lippen zueinander und die Welt um mich herum verschwamm. Sein Geruch, die kurzen Bartstoppeln, die über meine Haut kratzten, jeder einzelne Muskel, von dem mich nur dünner Stoff trennte – all das wirkte so berauschend. Rau und zart zugleich, war die Haut seiner Finger, die zärtlich den Konturen meiner Lippe folgte, als ich den Kuss für eine Atempause unterbrach. Wohlige Schauer rieselten meine Wirbelsäule hinab. Unglaublich, wie viel so eine winzige Berührung auslösen konnte. Erneut senkte er seine weichen Lippen auf meine, diesmal wenige sanft, irgendwie fordernder. Bereitwillig öffnete ich sie, sodass unsere Zungen sich wie in einem Tanz umspielten. Meine Hände glitten aus seinen Nacken hinab, wanderten an seinem muskulösen Oberkörper hinab, bis er meine Finger stoppte. Ganz langsam lösten sich unsere Münder voneinander, doch unsere Blicke hielten einander fest. Das Herz in meiner Brust schlug wild, drohte beinahe aus meiner Brust zu springen und gleichzeitig regten sich noch ganz andere Dinge in meinem Inneren.
      “Weißt du eigentlich, wie wunderschön du gerade bist?”, flüsterte Nik sacht und strich mir eine der dunklen Haarsträhnen aus der Stirn. Dick eingepackt in mehrere Schichten Kleidung, um dem schwedischen Winter zu trotzen, bedeckt mit Matsch und Pferdehaaren. Nicht einmal meine Haare, die ich jeden Morgen zu bändigen versuchte, verweilten lange in gewünschter Ordnung. Alles in allem eher ein Zustand, den ich mit einer anderen Wortwahl, als wunderschön beschreiben würde. Dennoch versuchte ich den Drang ihm zu widersprechen zu unterdrücken und nicke zustimmend. Noch immer loderten die Flammen in meinem Inneren, erweckten eine Sehnsucht. Sehnsucht nach mehr von dem, was er in mir bewegen konnte, mehr Niklas.
      “Ich finde es so schön, wenn du hier bist”, sprach ich schließlich aus, was immer mal wieder in meinem Kopf herumgeisterte, ”kannst du nicht vielleicht öfter vorbeikommen?” Eigentlich kannte ich die Antwort bereits. Neben seiner Arbeit war das Training ziemlich zeitintensiv und irgendwo dazwischen wollte man selbstverständlich auch noch Zeit für Freunde und Familie haben, oder was auch immer mein Freund in seiner Freizeit anstellten. Da sich an diesen Umständen nichts verändert haben würde, war es ziemlich naiv zu glauben, dass seine Zeit mehr geworden sein sollte.
      “Da wirst du spätestens im Frühling glücklich sein. Dann wechseln wir aus Kalmar her”, grinste Niklas.
      “Na gut, dann hoffe ich, dass der Winter schnell vergeht”, lächelte ich zurückhaltend. Wir hatten gerade einmal Anfang November, was bedeute, dass es noch einige Monate bis zum Frühling hin sein würde. Noch viel länger konnten die nordischen Winter werden, wenn man in einen alltäglichen Trott verfiel. Wenigstens gelegentlich vermochten Niklas Besuche ein wenig Licht in die dunkeln Wintertage zu bringen.
      “Apropos Zeit”, er räusperte sich, “kommst du dann mit nach Stockholm?” Natürlich musste diese Frage über kurz oder lang kommen. Ewigkeiten hatte ich mir den Kopf über diese Entscheidung zerbrochen, denn sowohl für Kiel als auch für Stockholm hatte es gute Argumente gegeben. Letztlich war die Entscheidung jedoch auf Kiel gefallen. Denn auch wenn Stockholm mit einer sagenumwobenen Show lockte, bot die Auktion die einmalige Chance einiges zu lernen und Einblicke in eine Welt zu bekommen, die bisher weit jenseits meiner Vorstellungen lag.
      “Ich wäre so gerne mitgekommen, aber leider sind Vriska und ich da bereits auf einer Art Fortbildung”, entgegnete ich bedauernd. Es war auch einfach nicht fair, dass die Ereignisse in denselben Zeitraum fielen.
      Niklas nickte verständnisvoll. “Immerhin sitzt du nicht traurig hier in der Einöde. Aber ich kann dir sicher einen Code besorgen für die Onlineausstrahlung.” Sofort erhellte ein Lächeln mein Gesicht, denn auch wenn es gestreamt nicht ganz dasselbe Erlebnis sein würde, war es immerhin eine Möglichkeit, die beiden Veranstaltungen zu vereinen. Am allerwichtigsten natürlich war es, dass ich Niklas Auftritt mit seiner neuen Stute nicht verpassen wollte.
      „Traumhaft, ich bin schon gespannt, wie Form sich machen wird. Aber sicherlich wirst du wie immer alle umhauen”, schmunzelte ich. Leider bekam ich nur ziemlich wenig von Nikis Training mit seiner schwarzen Schönheit mit, schließlich wollte ich Vriska nicht ständig auf die Nerven gehen, wenn sie mit Lubi zum Training fuhr. Dabei faszinierte es mich immer wieder, wie leichtfüßig und elegant solch ein gigantisches Warmblut wirken konnte, wenn nur der Richtige im Sattel saß.
      “Anders feilt aktuell noch an der Kür für den Freestyle, aber im Großen und Ganzen bin ich zuversichtlich”, blieb er zuversichtlich, obwohl seine Finger ungeduldig am Shirt fummelten.
      “Alles okay? Wenn ich dich aufhalten sollte, kannst du ruhig zu deinem Pferd gehen”, bot ich entgegenkommend an, denn einen anderen Grund für seine Unruhe konnte ich nicht erkennen.
      “Du hältst mich nicht auf”, das Grinsen auf seinen Lippen wurde größer, “nur wollten meine Kollegen nachher noch in eine Bar.”
      “Und deshalb hibbelst du hier so rum?”, hinterfragte ich kritisch, denn mich beschlich das Gefühl, dass der Kerl noch irgendetwas anders im Sinn hatte.
      “Was willst du denn hören?”, er zuckte mit den Schultern und nahm den innigen Blickkontakt von mir. “Ich habe noch anderes zu tun, als hier herumzustehen, auch wenn es nicht nett klingt.”
      Dass seine Stimmung urplötzlich kippte, konnte nichts Gutes bedeuten. Aus dem Regal nahm er den Putzkasten heraus, sowie die Trense der Schimmelstute.
      “Du bist seltsam heute”, sprach ich offen aus, was mir durch den Kopf ging. Dennoch beschloss ich nicht weiter nachzuhaken, wollte ich nicht noch durch meinen Argwohn das Gefühl in ihm erwecken, dass ich ihm nicht vertrauten würde. Wenn es etwas zu bereden gab, würde er das schon ansprechen.
      “Aber dann werde ich Walker mal sein Futter bringen, viel Spaß mit deinem Pony”, setzte ich nach, verharrte noch kurz, ob es noch eine Antwort geben würde oder das Gespräch nun tatsächlich beendet war.
      “Danke dir auch”, drehte Niklas sich noch einmal um und verschwand.
      Auf der Stallgasse wurde ich bereits von dem Schimmelhengst erwartet, der auch sogleich die Schnauze in der Plastikschüssel versenkte. Im Zuge der Überlegung, welchen Vierbeiner ich mich als Nächstes widmen wollte, zog ich mein Handy aus der Tasche. Unmittelbar unter der Verknüpfung zum Hofsystem leuchtete aufdringlich ein roter Punkt in der Ecke der stilisierten Polaroidkamera, den ich geflissentlich ignorierte. Nach einem kurzen Blick vor einigen Stunden hatte ich bereits wahrgenommen, dass meine DMs unter den zahlreichen Reaktionen auf die Story von heute Morgen beinahe explodierten. So viel Aktivität hatte dort zuletzt geherrscht, als das HMJ noch aktiv am Laufen war und ich konnte mir nicht so recht erklären, was die Leute dazu bewegt hatte. Schließlich waren ein paar Pferde, die im Matsch spielten, nicht gerade außergewöhnlich, auch wenn eines davon ein weißer Freiberger war.
      Aber zurück zum eigentlichen Thema. Mit wenigen Klicks hatte ich auch bereits das Tier im Blick, mit welchem ich mich als Nächstes beschäftigen wollte.
      Binnen weniger Minuten hatte Walker sein Futter eingesaugt und sowohl Schlüssel als auch Boden vollkommen Krümel frei zurückgelassenen. So entließ ich den Schimmel zurück auf seinen Paddock, wo er zielstrebig zum Heu und sich zwischen Lu und Plano drängelte. Von den Hengsten aus lief ich unmittelbar weiter zu Holy. Mit jedem Tag schien die Stute runder zu werden, was nicht allein an dem guten Heu lag, welches sie haufenweise futterte. Nein, auch die Überraschung in ihrem Bauch ließ sich nun nicht mehr verstecken. Geschickt schlüpfte ich durch den Zaun zu den Stuten hinein.
      Die geschenkte Plüschkugel stand gemütlich unter dem Dach und knabberte an ihrem Heunetz.
      "Na, Mausi", begrüßte ich den Tinker, "Lust dich ein wenig zu bewegen?" Neugierig drehte sich der dunkle Kopf in meine Richtung. Zart kitzelte der kleine Schnurrbart, der der Stute an der Oberlippe gewachsen war, über meiner Hand, als Holy zart meine Finger beknabberte. Seltsamerweise hatte die Stute sich dieses Verhalten angewöhnt, seitdem es weniger Leckerlis gab. Routiniert zog ich das Halfter über den breiten Ponyschädel, während selbiges geduldig wartete, was Vriskas Aussagen nach, einiges an Zeit und Nerven gekostet hatte. Ich dachte beinahe, dass sie mir artig in den Stall folgen würde, doch Holy schien es eilig zu haben und drängelte an mir vorbei. Dreimal musste ich sie korrigieren, bevor sie sich fürs Erste fügte.
      Freundlich, wie immer, legte Smoothie die Ohren an, als ich Holy an ihr vorbei auf den freien Putzplatz führte. Bis heute war es mir unerklärlich, warum Niklas Stute mit jedem Tag, den ich mit ihr arbeitete, zickiger wurde, interessanterweise nur mir gegenüber. Alle anderen Menschen wurden ignoriert oder, was sie hauptsächlich bei Ju häufig tat, auf Leckerbissen hin untersucht. Meine Hypothese, lautete, dass Smooth eifersüchtig war, weil ich ihr wertvolle Zeit mit Niki stahl, denn sowohl in Kanada als auch noch so lang wie sie in Kalmar stand, war sie noch nicht so launisch gewesen. Wie auch immer. Bei Smoothie konnte ich tun, was ich wollte, sie blieb immer abweisend, was ich mittlerweile so hinnahm.
      Seufzend betrachte ich Holy. Bis zum Bauch war sie bedeckt mit grauen Matschspritzern, die langen Haare an ihren Beinen klebten aneinander und ließen die eigentliche Farbe darunter nur noch stellenweise erahnen. So schön die Puschel an den Füßen auch waren, für so ein Matschwetter schienen sie nur wenig geeignet. Dennoch entschied ich mich dagegen, der Stute die Füße zu waschen, sie würden ohnehin wieder nass und eklig werden.
      Mit einem mehr oder minder sauberen Pony, ausgestattet mit Kappzaum und Longiergurt, ging es schließlich in die Halle.
      “Tür frei”, rief ich, bevor ich das Hallentor langsam aufschob. Bis auf meinen Freund, der mit seiner Schimmelstute gerade an der gigantischen Fensterfront entlang schritt, war die Halle leer. So führte ich Holy in die Zirkelmitte, um dort erst einmal die Doppellonge einzufädeln. Diese notwendige Vorbereitung dauerte heute allerdings besonders lang. Und zwar nicht, weil Holy sich wieder ungeduldig zeigte, nein, viel mehr, weil Niklas Gegenwart ein wenig ablenkend war. Immer wieder zog es meinen Blick auf den definierten Oberkörper, dessen Muskeln sich deutlich unter dem dünnen Shirt abzeichneten. Verführerisch lockten die tintenschwarzen Linien, die sich kunstvoll über seiner Arme wanden, damit ihren Weg bis unter den dünnen Stoff zu verfolgen und die Gebiete zu erforschen, die darunter verborgen lagen. Willkürlich biss ich mir auf die Unterlippe, um die kleinen Flammen zu zügeln, die sich in meinem Innerem entfachen wollten. Stattdessen versuchte ich, mich auf die Leinen in meinen Händen zu konzentrieren.
      “Ich glaube, dafür muss man sich bewegen”, unterbrach seine Stimme die Stille der Halle. Süffisant grinsend hatte er seine Stute unmittelbar vor mir angehalten. Als wolle er seiner Worte noch unterstreichen, ließ er seine Muskeln spielen. Augenblicklich breitete sich Hitze in mir aus und brachte meine Wangen zum Glühen. Beschwerlich wand ich die Augen von Niklas ab und richtete sie auf meine Finger, in denen ein kleiner Leinensalat gebildet hatte.
      "Das tun wir schon fast", entgegnete ich und versuchte die Longen zu sortieren, die sich bei den hastigen Bewegungen allerdings nur weiter ineinander verheddern. Was war nur los, dass meine Hormone heute dermaßen unbeherrschbar schienen. Sonst brachte mich die Anwesenheit meines Freundes nicht so verheerend schnell aus dem Konzept und das, obwohl er zu jederzeit äußerst anziehend wirkte.
      “Soll das eine neue kreative Art werden, eine Longe zu halten?”, stichelte Niklas, bequem auf seiner Stute thronend, die neugierig die Nase zu dem Tinker hinstreckte.
      “Nein”, fluchte ich leise, “ich versuche diesen verdammten Knoten zu lösen.” Frustriert löste ich die innere Leine wieder vom Kappzaum in der Hoffnung so besser zum Knotenpunkt vorzudringen. Weiter erhitzte sich mein Gesicht, diesmal allerdings vor Schmach.
      Sicher war niemand so unfähig, eine Longe bereits beim Einhängen zu verknoten.
      “Na gib schon her, ich helfe dir.” Schneller als dass ich es hätte ablehnen können, war mein Freund bereits aus dem Sattel geglitten und nahm mir den Wirrwarr aus den Händen. Mit zwei Handgriffen hatte er den Knoten bereits gelöst und fädelte die Longe wieder dort ein, wo sie hingehört.
      “Jetzt kommt das hier, in das kleine Händchen”, sprach Niklas ganz nah an meinem Ohr und griff von hinten um mich herum,” und das in das andere.” Der Protest lag mir schon auf der Zunge, als jeden meiner Finger einzeln um die Stränge legte, als würde er mit einem Anfänger arbeiten, doch mein klopfendes Herz ließ mich verstummen.
      “Und jetzt nicht wieder verknoten, Engelchen”, raunte er an meinem Ohr, ein unverhohlenes Grinsen in der Stimme. Kein Zweifel bestand darin, er sich seiner Wirkung bewusst war. Vermutlich hätte er sein Spiel noch weitergetrieben, wäre da nicht die Pferdeschnauze, die sich ungestüm, zwischen uns drückte. Smoothie hatte entschieden, dass es genug war. So entschwand mein Freund aus meiner unmittelbaren Nähe, ließ nur eine Wolke betörenden Duftes zurück. Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich meinen Herzschlag, wieder herunterzubringen und das Gefühl zu durchdringen, welches wie dichter Nebel durch meinen Kopf waberte. Erst als Niklas die Arbeit mit seiner Stute wieder aufnahm, hatte ich so viel Klarheit erlangt, dass ich mich auf den gescheckten Kaltblüter konzentrieren konnte. Unaufmerksam stolperte Holy los und ließ die Hufe unmotiviert durch den Sand schleifen, sie hatte eindeutig keine Lust darauf. Erst nach einiger Schrittarbeit wurde, der Tinker aufmerksamer und begann eine vernünftige Haltung einzunehmen. Aufgrund dessen wie lang es dauerte, bis die junge Stute mir zuhörte, fragte ich im Trab nur kurz eineiige leichte Lektionen ab, bevor ich die Einheit beende. Sichtlich angestrengt gähnte sie, während ich die Longe wieder abbaute und die Anstrengung damit nachließ.
      Ein Blick zu Niklas verriet mir, dass er lange noch nicht fertig war. Smoothie schien jetzt erst richtige wach zu werden und begann mit ihrem typischen rebellischen Verhalten, welches er deutlich besser zu händeln wusste, als ich es tat. Mir tanzte die große Schimmelstute regelmäßig auf der Nase herum und brachte mich damit an manchen Tagen nahe an den Rand der Verzweiflung. Doch auch wenn es sicherlich die bequemere Lösung wäre, die Verantwortung für Smoothie abzugeben, wollte ich nicht schon aufgegeben. Meinen Fähigkeiten vertraute ich dabei zwar nur bedingt, aber dafür vertraute ich auf Niklas Urteil, der mir sein Pferd sicher nicht anvertraut hätte, würde er denke ich würde nicht mit ihr fertig werden. Einen letzten Blick warf ich auf Pferd und Reiter, die, einiger Uneinigkeiten zum Trotz nicht besser zusammenpassen könnten, bevor ich mich widerwillig von dem Anblick löste. Wenn es nach mir ging, könnte ich meinem Freund den ganzen Tag lang zuschauen.
      Mit der müden Plüschkugel im Schlepptau verließ die Halle. Unter dem dicken Winterfell hatte Holy ordentlich zu schwitzen gefangen, sodass ich sie direkt unter dem Solarium parkte. Erschöpft hängte das Tier den Kopf in das Halfter, sobald die beiden Stricken diesen bequem hielten und schloss die Augen. Von der Seite schlich sich Vriska an, die offenbar den Welpen aus dem Büro geholt hatte. Freudig sprang er in unsere Richtung, während sie alles andere als ein Kind der Fröhlichkeit war. Der Uhrzeit zur Folge fehlte das Nachmittagskaffee, deshalb sparte ich mir eine Nachfrage, die ohnehin von nur wenig Erfolg gekrönt sein würde.
      Schweigend stand Vriska neben der Tinkerstute, zupfe aus der Mähne einige lockere Strähnen heraus und ließ sie zu Boden fallen. Ich war zeitgleich mit dem Welpen beschäftigt. Mit dem Schwanz schob er den Dreck von einer Seite zur anderen und sorgte damit, für unschöne dunkle Flecken im weißen Fell.
      „Ich weiß nicht, wie viel du heute aus den Stallgesprächen aufgeschnappt hast, aber“, Vriska nahm einen kräftigen Atemzug, als gäbe es Anlass zur Sorge. „Holy bleibt erst mal, bis das Fohlen da ist, dafür gehen Folke und Hedda zurück nach Kalmar.“
      Sie wich dauerhaft meinem Blickkontakt aus, ohne dabei die Hände von der ohnehin dünnen Mähne zu lassen. Immer mehr Haare landeten auf dem Boden, selbst den Schopf verschonte die Blonde nicht.
      „Oh, das ist schade. Warum gehen die beiden?“, fragte ich nach. Auch wenn zu meinen anderen Kollegen deutlich weniger Austausch bestand als zu Vriska, war das Team dennoch so etwas wie eine kleine Familie, in der jeder seinen festen Platz hatte. Selbst der rebellische Rotschopf, dessen anfänglich Passion für Holy deutlich nachgelassen hatte, hatte seine Platz darin gefunden.
      „Den genauen Grund habe ich schon verdrängt, aber ich schätze, dass er sehr an Kalmar hängt. Schließlich war Folke sein Leben lang bei ihnen auf dem Hof und Hedda hat es weniger weit zur Schule“, sprach sie gezielt, als würde jedes Wort zunächst aus den Untiefen ihr Gedächtnis gezogen werden. Immerhin hatte Vriska vom Langhaar die Finger genommen und massierte die Stirn der Stute. Holy stand mit aufgestelltem Bein, unter dem wärmenden Licht, unter das sich auch der Welpe gelegt hatte.
      „Nachvollziehbar“, nickte ich und begann allmählich zu realisieren, dass diese Nachricht nicht nur einen Verlust, sondern viel mehr einen Wechsel im Team bedeuten würde. Folke war schließlich der Einzige, der sich um das Training der Rennpferde kümmerte und auch wenn Vriska wohl in der Lage dazu wäre, glaubte ich nicht, dass sie den Sattel gegen den Sulky tauschen wollte oder sollte sie doch? Lag darin der Grund für ihr gedämpfte Verhalten?
      „Wie stellt Tyrell sich das mit den Rennpferden kommen? Wird dafür jemand Neues kommen?“, beschloss ich dieser Frage auf den Grund zu gehen.
      “Für dieses Jahr stehen ohnehin nur noch zwei Rennen auf dem Plan, dafür ist Folke genannt und er wird sie fahren, allerdings nur als Jockey. So lang werde ich mich den Tieren widmen müssen, bis jemand gefunden ist. Mein Bruder hatte schon Andeutungen gemacht, dass es über den Verband Kandidaten gibt, allerdings hat Tyrell gesagt, dass es nicht leicht ist, wen zu finden. So, I do not know”, sprach sie weiterhin niedergeschlagen. Ihre Erzählung durchkreuzte tiefe Atemzüge, die geräuschvoll durch ihre Nase kam, die etwas verstopft war. “Immerhin sind es aktuell nur zwei aktive Hengste, denn einige wird Tyrell mit nach Kiel nehmen. Lu und Sturmi laufen zwar noch, aber ist wohl nur von wenig Erfolg gekrönt. Die Stuten Mill und Enigma sind für März oder April geplant auf Rennen, aber mit Jungpferden am Sulky kann ich nicht so gut”, fügte sie noch hinzu. Also doch. Zumindest für eine Weile würde Vriska mit dem Reiten etwas kürzertreten müssen. Dabei schien sie, seit Lubi nicht nur Spaß an der Dressur zu finden, sondern entwickelte regelrecht Ehrgeiz, mit dem sie sicher einige erreichen könnte.
      “Oh, das klingt nicht so gut”, bekundete ich meine Anteilnahme, “Ist sonst alles in Ordnung mit dir?” Es berührte mich, sie so niedergedrückt zu sehen, vor allem weil dieser Zustand schier endlos wiederzukehren schien und ich wirklich ratlos war, wie sie wohl möglich aufzuheitern vermochte.
      “Wenn in Ordnung ‘Es ist immer dasselbe Chaos’ bedeutet, dann ja”, zuckte Vriska mit den Schultern. Aus ihrem Gesichtsausdruck konnte ich unmittelbar ablesen, dass es sie sehr belastete und ich ihre Unsicherheit über die kommende Zeit nachvollziehen konnte. Auch für mich war es noch immer schwer begreiflich, wo ich mich befand, umso komplizierter, musste es für sie sein. Wir hatten jeder für sich diese Entscheidung getroffen, nur aus anderen Beweggründen.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 53.776 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang November 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugo | 12. Juni 2022

      Sturmglokke LDS / Legolas / Ready for Life / Enigma LDS / Millennial LDS / Outer Space / Maxou / Lubumbashi / Harlem Shake LDS / Götterdämmerung LDS

      Lina
      Dampf stieg von dem hellen Fell des Falben in die kalte Luft empor. Im Vergleich zu den letzten beiden Tagen, war es heute wieder kälter geworden und der kräftige Wind jagte dunkle Wolkenfetzen über Himmel. Dennoch hatte ich mich gegen die Halle entschieden, als die Einsteller erblickte, die sich darin tummelten. Es waren zwar nur drei von ihnen und die Halle eigentlich groß genug, aber eines der Pferde war eine ziemlich zicke Stute. Deren Besitzerin ungefähr ebenso umgänglich war und die Schuld für das ungezogene Verhalte ihres Tieres grundsätzlich auf die anderen schob. So hatte ich mich mit Sturmglokke also nach draußen verkrümelt, wo ich den Platz wegen des eisigen Windes immerhin für mich allein hatte. Sturmi störte sich keineswegs an dem Wetter, blieb selbst in dem Moment ruhig als eine Plastikfolie, die wohl von der Baustelle kam, knisternd und raschelt an uns vorbeigeweht wurde. Mit etwas mehr Training könnte er sicherlich ein gutes Einsteigerpferd für den Turniersport werden.
      Die Dampfwolken wurden weniger und auch die Überprüfung mit meinen Fingern im Fell des Hengstes, bestätigten, dass er nahezu trocken war. Den Rest würde eine Abschwitzdecke erledigen können.
      Was ich erblickte, kaum hatte ich das riesige Tor, erfreute mein Herz. Ein dunkler Kopf mit einer Marken großen Blesse blickte mir vom Putzplatz entgegen. Zu den Füßen des Hengstes stand die silberne Kiste, die sein Putzzeug beinhaltete. Das konnte nur bedeuten, dass …
      “Samu”, rief ich erfreut aus, als der Finne mit dem Sattelt des Hannoveraners aus der verglasten Kammer auftauchte, “Lässt du dich auch endlich mal wieder blicken.” Auch auf seinem Gesicht erstrahlte ein Lächeln, offenbar lag die Freude nicht nur auf meiner Seite.
      “Ja und ich komme mit guten Neuigkeiten”, grinste er und platzierte den Sattel auf Legos Rücken.
      “Neuigkeiten? In der Mehrzahl?”, hinterfragte ich neugierig seinen Wortlaut, während ich begann den Falbhengst abzusatteln.
      “Ja, das hast du schon richtig gehört”, nickte er, machte allerdings keinerlei Anstalten, mit besagten Nachrichten herauszurücken. Stattdessen widmete er sich in aller Seelenruhe dem, die dunkle blaue Schabracke noch einmal zurechtzulegen, dann das dünne Gelpad und schließlich zog er auch den Sattel noch mal ein Stück nach vorn.
      “Und die Neuigkeiten wären?” Noch bevor er um Lego herumtreten konnte, um den Gurt zu befestigen, stelle ich mich in seinen Weg und blickte ihm forschend an. Offenbar hatte Samu heute den Schalk im Nacken, der schenke mit nur ein verschmitztes Lächeln.
      “Man, du bist gemein”, beschwerte ich mich und lief erst einmal in die Futterkammer, um Sturmis Futter zu holen. Gierig steckte der Falbe die Nase in die Schüssel und begann augenblicklich damit, die Krümel zu verschlingen.
      “Hat es was mit Lego zu tun?”, fragte ich eindringlich. Wenn er nicht von selbst redete, musste ich halt ihn halt dazu bringen
      “Ja, auch”, entgegnete Samu und wollte gerade das Halfter vom Kopf des Rappen löse.
      “Halt, stopp! Du läufst jetzt nicht weg”, protestierte ich, denn zu warten bis Samu fertig mit seinem Training war, dauerte mir eindeutig zu lang. Schnell warf ich einen Blick in die grüne Futterschüssel. Leer, sehr gut.
      “Warte kurz, ich mache schnell Redo fertig”, wies ich den Finnen an. In Windes eile, hatte ich den Hengst auf den Paddock gebracht und stand mit dem Halfter vor der Box meiner Rappstute, die mich nur ihren wohlgeformten schwarzen Hintern erblicken ließ. Redo war zwar von Grund auf ein freundliches Tier, aber gehörte zu denen, die auch gut ohne Menschen klarkommen würde, sofern für genug Futter gesorgt war. Unbeirrt schlüpfte ich an der kräftigen Stute vorbei, steckte ihr ein Motivationsleckerli in die Schnauze und schon folgte sie mir bereitwillig zurück zu Samu.
      “Halt mal kurz”, drückte ich Samu die Stute in die Hand, die sogleich neugierig von Legolas inspiziert wurde. Schnell öffnete ich die Schnallen an der Decke, die Redo trug, da sie mir nach dem Ende ihrer Dienstzeit mit sportlichem Kurzhaarschnitt geliefert wurde. Auf direktem Wege ging es weiter in die Sattelkammer. Von der Wand leuchtete mit das pinke Hackamore entgegen, welches sie vermutlich für Lubi angeschafft hatte. Kurzerhand entschied ich mich dafür, denn sicherlich hatte sie nichts dagegen, wenn ich es mir jetzt mal auslieh. Im gleichen Zug beschloss ich, dass Sättel überbewertet wurden und griff einzig nach einer Abschwitzdecke. Außerdem konnte ich mir so das Putzen sparen, um Samu nicht noch länger aufzuhalten.
      “So, wo waren wir?”, fragte ich zurück bei ihm und den beiden Pferden und nahm ihm die Stute wieder ab. Mit Schwung flog der Fleece Stoff auf den Rücken und das Halfter auf die nahe gelegene Bank.
      “Lego”, half mir Samu auf die Sprünge und begann nun tatsächlich selbigen zu trensen.
      “Ach ja … Du willst mit Lego wieder Turniere reiten”, riet ich willkürlich, was mir als Erstes in den Kopf kam. Langsam nickte mein bester Freund: “Das auch, aber das ist nicht, was ich dir erzählen wollte, denn Legos Comeback in der Turnierwelt steht erst für den Frühling auf dem Plan.” Mit dem Ende des Satzes war auch der Nasenriemen des Hengstes verschlossen.
      “Was ist denn mit dir kaputt? Das ist gar nicht blau oder anderweitig in dein übliches Farbkonzept passend?”, mit einem kritischen Blick musterte er plötzlich das Kopfstück mit den pinken Metallbügeln, welches an Redos Kopf saß.
      “Ist auch eigentlich Vriskas, ich habe es mit nur mal kurz ausgeliehen”, klärte ich ihn auf, ” außerdem hast du ein Problem damit, wenn ich mein Farbkonzept verändern würde?” Ich lachte herzlich. Samu noch nie wirklich viel Verständnis dafür gehabt, dass ich eine gewisse farbliche Harmonie an meinen Pferden bevorzugte, anstatt einfach irgendetwas unter den Sattel zu legen.
      “Ich habe gar nichts dagegen, wenn du dein Pferd kleiden willst, wie es eine 10-Jährige tun will, mach’ halt. Ich wollte nur wissen, ob ich mir Sorgen machen muss”, lachte er und führte seinen Hengst in Richtung Halle.
      “Ich bin keine zehn”, jammerte es plötzlich hinter uns am Rolltor, “aber ja, bediene dich einfach wie auf einem Basar.”
      “Nächstes Mal frage ich vorher, versprochen”, war alles, was ich zu meiner Verteidigung hervor zur bringen hatte, “Aber es musste schnell gehen. Der da unterschlägt Neuigkeiten und es besteht Fluchtgefahr.” Redo zupfte derweil an meiner Jackentasche, um sich ein Leckerli zu ergaunern.
      “Vor ein paar Wochen habe ich dir schon mal gesagt, dass du dir nehmen kannst, was du brauchst”, grinste Vriska, offenbar Fehlalarm meiner Einschätzung.
      “Aber Samu, es kann nicht sein. Da wirst du einen langen Abend, wenn du nicht direkt darüber sprechen willst.”
      Erst als sie näher an uns herantrat, bemerkte ich, wie sie von oben bis unten von Matsch übersät, ihr Gesicht leer von jeder Emotion, nach dem das Grinsen binnen Sekunden sich in Luft auflöste. Enigma führte sie direkt am Halfter, was das junge Pferd etwas irritierte von der groben Handhabung war. Ihre blauen Augen weit aufgerissen und den Schweif leicht aufgestellt.
      “Ich habe Zeit”, winkte Samu grinsend ab, “außerdem musst du nur besser raten, Lina. So einfach ist das.” Gelangweilt stützte Lego seinen Kopf auf Samus Schulter. Etwas, was der Hengst meistens tat, wenn man ihn hinter den Ohren oder an der Stirn kratzen sollte.
      “Einfach. Ja, wenn ich Gedanken lesen könnte”, verdrehte ich Augen.
      “Neuigkeiten also, Mhm. Ich hoffe schwer darauf, dass du mit deiner Freundin Schluss gemacht hast, um Lina deine Liebe zu gestehen und ihr endlich die wunderschönen Kinder bekommt, die mir jede Nacht den Schlaf rauben”, feixte sie im Vorbeigehen und wartete nicht einmal auf eine Antwort, die sie ohnehin hören würde bei dem schallenden Gebäude. Irritiert legte Samu die Stirn in Falten, als schien er zu überlegen, wie viele der Worte vielleicht doch ernst gemeint sein mochten.
      “Sie ist bekennender Fan”, lachte ich herzlich, “und ganz ehrlich, mich würde es auch nicht wundern, wenn irgendwo eine kleine süße Geschichte diesbezüglich existiert.” Ich durchschritt mit Redo das Hallentor und stellte fest, dass diese mittlerweile glücklicherweise leer war. Ideale Bedingungen, um an weitere Informationen zu gelangen. Der Blonde stellte seinen Rappen neben mir auf und half mir bereits auf mein Pferd, bevor ich überhaupt danach gefragt hatte. Angenehm, wenn der Gegenüber bereits wusste, was man wollte.
      “Also es hat mit Lego zu tun, aber nicht mit Turnier”, fasste ich die kläglichen Erkenntnisse zusammen, die ich bisher erlagen, konnte. Angenehm drang die Körperwärme meiner Stute durch das dünne Fleece und ich spürte unmittelbar die Rückenmuskulatur, wie sich anspannte unter meinem Körpergewicht.
      “Korrekt”, nickte er, während er den Sattelgurt enger zog und seinen Hengst zu der kleinen ausklappbaren Aufstiegshilfe in der Wand führte. Sanft drückte ich Redo die Beine in die Flanken, damit sie den beiden folgte.
      “Aber du willst ihn doch nicht etwa verkaufen.” Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an. Aus Erzählungen wusste ich, dass der Hannoveraner ziemlich häufig den Besitzer gewechselt haben musste, bevor er auf dem WHC geladen war. Sein Misstrauen gegenüber Schaufeln und die wulstige Narbe an seinem linken Röhrbein zeugten davon, dass ihm dabei nicht nur Gutes widerfuhr. In meinen Augen war es unvorstellbar, wie man ein Lebewesen so schlecht behandeln konnte.
      “Natürlich nicht”, entgegnete Samu kopfschüttelnd, “Wenn Enya so weiter jammert, muss ich viel mehr ein zweites Pferd anschaffen.”
      “Komm dein eines Pferd erst einmal öfter besuchen, bevor du dich erweiterst. Der arme Lego gerät noch ganz außer Form, wenn der immer nur rumsteht und du bestimmt auch.”
      “Du willst mir erzählen, dass ich außer Form gerate?”, hakte er mit einem amüsierten funkeln in den Augen nach, “Wie lange hast du dein Vorsatz, mit dem Joggen, noch mal durchgehalten? Zwei Wochen?”
      “Das waren zwei Monate”, protestierte ich und verzog das Gesicht. Aber ganz Unrecht hatte mein bester Freund damit nicht. Jedes Jahr fasste ich erneut diesen Vorsatz, aber sonderlich von Erfolg gekrönt, war das bisher nicht.
      “Siehst du, aber bevor du mir noch einmal sagst, ich würde fett werden, verrate ich dir lieber, ein Teil von dem, was du wissen willst.” Erwartungsvolle blickte ich ihn an, während Redo gemütlich neben dem größeren Rappen hertrottete.
      “Der hübsche Kerl hier, soll auf eine Zuchtschau gehen”, verkündete Samu knapp und strich dabei über den kräftigen Hals, der vor ihm aufragte. Verwirrt blickte ich durch die Ohren meines Pferdes hindurch nach vorn: “Warum, er ist doch bereits zur Zucht zugelassen?”
      “Es geht nicht um eine Körung, sondern um eine Hengstschau”, erläuterte er weiter, “und du wirst mitkommen.” Das ergab schon mehr Sinn, auch wenn mir nicht klar war, was ein Hannoveraner auf einer Hengstschau in Schweden zu suchen hatte. Oder züchtete man die deutschen Warmblüter etwa auch hier?
      “Oh, das ist schön und wann soll das Ganze stattfinden?”, erkundigte ich mich interessiert. Auf einer Hengstschau war ich bisher noch nie gewesen. Ob das wohl anders ablief als eine Körung? Wo lag da eigentlich der Unterschied?
      “Ende Februar und falls du dich fragst: Wozu das Ganze? Wenn alles läuft wie geplant, wird Lego dann damit für die schwedischen Warmblüter zugelassen”, erklärte Samu auch die letzten notwendigen Details.
      “Geld! Daher weht also der Wind”, scherzte ich, wohl wissend, dass Samu der letzte war, der sich viel daraus machte.
      “Na ja, Lego ist zwar kein schlechtes Pferd, aber ich denke reich wird man damit nicht. Da bleibe ich mal lieber bei meinem Job”, lachte er und trabt seinen Hengst aus dem Nichts heraus an.
      “Entschuldigung? Glaubst du etwa, dass wir schon fertig sind?”, entrüstete ich mich und drückte meiner Stute die Waden gegen den Bauch. Ein wenig holprig, waren die ersten Tritte, bevor Redo wieder einzufallen schien, dass sie kein Trampeltier war. Geschickt kürzte ich durch die Mitte der Halle ab, um den Vorsprung auszugleichen, den Samu mit seinem Hengst hatte. Samu war mir nur leider einen Schritt voraus und wich mir geschickt mittels einer halben Volte aus. Einige Minuten ging die kleine Verfolgungsjagd, bis Redo beschloss, immer langsamer zu werden. Korrekt wäre es natürlich gewesen, sie zu korrigieren, doch mit ernsthaftem Training hatte das hier ohnehin wenig zu tun.
      “Okay, du hast gewonnen”, rief ich ihn zu und ließ die Stute vollständig in den Schritt fallen, “Aber das wird noch eine Revanche geben!” Lautes Prusten erklang, als auch Samu seinen Hengst, mit einem siegreichen Grinsen durch parierte: “In dem Fall ist es wohl gut, dass du mich in Zukunft öfter ertragen musst.”

      Vriska

      „Vivi, warte mal“, rief mir Harlen noch im richtigen Moment zu. In einer Hand hielt ich einen Kopfhörer, während die andere Enigmas Leinen faste. Die junge Stute stand ruhig im Sulky und musterte meinen Bruder, der in seinem Jackett, kombiniert mit einer viel zu großen grauen Jogginghose, die Treppen herunterrutschte und im nächsten Augenblick bei uns stand.
      „Was ist denn?“, sprach ich jämmerlich genervt, noch drei weitere Pferde musste ich heute fahren und ich überzog bereits jetzt meine Arbeitszeit.
      „Du müsstest noch ein weiteres Pferd holen“, stammelte er außer Atem und wich jedem Versuch der Stute aus, an ihm zu knabbern.
      „Aha. Wieso?“ Ich zog meine Augenbrauen zusammen, die unter der Skimaske kaum zusehen sein sollten.
      „Wir haben gerade jemanden da, der bereits nächste Woche anfangen könnte, aber du musst beurteilen, wie der mit Pferden umgeht“, erklärte Harlen.
      „Na gut, ja. Aber sollte er dann nicht das Pferd holen und fertig machen?“, hakte ich scharf nach.
      Harlen schwieg, als würde er meinen Vorschlag genauer überdenken. Schließlich nickte er.
      „Okay, dann schicke ich ihn zu dir, weil so kommst du gewiss nicht ins Büro“, unterstrich er damit meinen komplett matschigen Anzug. Obwohl ich am Sulky einen Spritzschutz befestigt hatte, kam es bei so hohen Geschwindigkeiten doch mal dazu, dass ein Gemisch aus Schnee und Sand gegen mich flog und das Schwarz in grässliche Grau-Brauntöne tupfte.
      Harlen verschwand wieder und ich hängte den Sulky mit wenigen Handgriffen wieder ab. Enigma blickte sich mehrmals verwundert um. Sie dachte vermutlich auch, was der Schwachsinn soll, aber ich konnte es nicht ändern. Zusätzlich nahm ich den Helm ab und meine Maske. Ich konnte nicht einschätzen, was mich erwarten würde, also setzte ich mich an den Rand und versuchte mit der Bürste immerhin das Gröbste an Dreck von der rauen Oberfläche zu entfernen. Als Fahrer müsste besagter Herr jedoch wissen, was es für eine Sauerei werden konnte im Winter. Die Zeit zog ins Land und es dauerte gefühlte Jahrhunderte, bis dumpfe Schritte auf der Treppe zu hören waren. Bevor ich meinen Kopf aufrichtete, tippte ich die Nachricht an Eskil zu Ende und verstaute das Gerät in meiner Innentasche. Unerwartet überkam eine Wucht aus Glücksgefühlen, die mir einen kalten Schauer aus Schweiß über den Rücken jagte. Sofort zitterte meine Finger, wodurch es mir nicht gelang, den Reißverschluss der Jacke zu schließen. Der erste Eindruck ist der wichtigste, hatte meine Mutter damals immer gesagt, wenn ich anstelle einer Jeans zur Jogginghose griff. Ich schämte mich für den dreckigen Anzug, hätte alle Zeit gehabt, um ihn in der Sattelkammer zu wechseln, aber dagegen entscheiden. Mit einem breiten Grinsen trat der junge Mann zu mir.
      „Tut mir leid. Draußen die Bahn ist“, stammelte ich wirres Zeug, was er mit einem kräftigen Händedruck stoppte. Er hatte noch nicht einmal etwas gesagt, da überkam mich ein weiteres Gefühl, dieses Mal im Bauch. Undefiniert zog es und ich versuchte seinen eindringenden Blicken zu entweichen, doch hingen meine Augen an seinen. Es fühlte sich genauso vertraut an, wie das erste Treffen mit Erik, nur deutlich intensiver.
      „Ich bin Lars“, stellte er sich kurz vor, ohne seine Hand von meiner zu lösen. Oder war ich es, die sich an ihm klammerte?
      „Nett dich kennenzulernen. Ich bin Vriska, aber du darfst mich Vivi nennen“, kam endlich meine Stimme wieder und er befreite sich förmlich aus meinen Fängen.
      „Okay, Vivi.“
      Schon allein, wie er meinen Namen aussprach, trieb weiteren Schweiß auf meinen Rücken, der ganz langsam in meine Hände wanderte und dabei auf den Armen eine Gänsehaut auslöste. Unfassbar, wie sehr mich der Herr, kaum älter als ich, derartig aus dem Konzept brauchte. Ich tat alles dafür, um nicht nur professionell zu wirken, sondern auch ihm die Entscheidung zu erleichtern, uns als seinen neuen Arbeitgeber zu wählen. Lars erzählte von seiner Familie, die in Visby lebte, einer Stadt auf der Ostseeinsel Gotland. Auch seine Schwester und Vater trainierten Trabrennpferde, weshalb sie schnell entschlossen hatten, sich bei uns zu melden. Alle drei interessierten sich daran, bei uns anzufangen und auch ihren eigenen kleinen Bestand an Kaltbluttrabern herzubringen, worunter ich mir nichts vorstellen konnte. Bisher waren mir nur unsere langbeinigen Warmblüter bekannt, die durch den Sport schnell einen Verschleiß aufwiesen, egal, wie sehr wir an ihrer Stabilität arbeiteten. Somit liefen unsere nicht jedes Rennen mit.
      Wir waren einander sofort sympathisch, sodass ich jedes seiner Worte genau folgte und zwischendurch nachhakte. Lars hatte nicht nur Ahnung von Rennpferden. Sein eigener Hengst lief schon seit Jahren keine Rennen mehr, stattdessen ritt er ihn auf dem Platz, sprang auch mal und diente die sonstige Zeit als Deckhengst.
      „Eine seiner Töchter hat den großen Preis bei Stockholm gewonnen“, erzählt er fröhlich und zeigte mir sogar Bilder von der Stute. Sie war ein Rappe mit lustigen hellen Plüschohren. Ihre blauen Augen hoben sich magisch vom dunklen Untergrund ab, als würde das Pferd jeden Moment aus dem Bild springen und mit seiner majestätischen Ausstrahlung den Hof in sommerliche Farben hauchen.
      „Und dein Hengst?“, wollte ich unbedingt mehr Bilder sehen. Er sperrte sein Handy und zeigte diesen auf seinem Sperrbildschirm. Ein helles Pferd streckte seine Nase mir entgegen, mit einem blauen Auge und das andere tiefschwarz, einzig einige schwarze Tupfer verzierten die sonst hautfarbenen Lider. Daneben stand er, allerdings nur angeschnitten, aber es reichte, um mir vorstellen, was sich unter dem Rollkragenpullover und dicken Jacke verbarg. Wieder musste ich schlucken, denn in mir lief es langsam aus dem Ruder. Die schlechten Gedanken der letzten Tage, beinah Wochen, lösten sich wie in Luft auf, stattdessen blieb nur das Gefühl von Erlösung und Sehnsucht, das er mit sich brachte, mit jedem Wort, das über seine geschwungenen Lippen huschte.
      „Wunderschön“, sprach ich fasziniert, „also dein Pferd, meine ich.“
      „Ich höre das oft genug, danke.“ Er drückte die Lippen zusammen und mir fiel wieder ein, wieso wir überhaupt am Stutenpaddock standen. Ich zeigte ihm Mill, die mit einer Decke in der Hütte stand und die anderen Stute vom Heu fernhielt. Zielstrebig ging er auf sie zu. Mill, die eigentlich Millennial hieß und eine unserer Nachzuchten war, stellte interessiert die Ohren auf und musterte den hübschen Kerl, der ihr das Halfter umlegte. Vorsichtig tastete sie mit den Lippen seine Hand ab, die im Gegensatz zu seinem mächtigen Körper klein wirkte. Zusammen liefen wir in die Stallgasse.
      „Zugegeben, bisher scheint euer Hof so gigantisch, dass ich Zweifel hege, ob wir hierher passen“, gab Lars zu verstehen. Jeder dachte das am Anfang auf dem Gestüt.
      „Wir sind staatliche gefördert“, erklärte ich, „und ich weiß nicht, wie viel mein Bruder dir erzählt hat –“
      Er unterbrach mich.
      „Warte, Harlen ist dein Bruder?“, fragte Lars beinah schockiert nach.
      „Ja, seitdem ich Lebe“, schmunzelte ich.
      „Tatsächlich hatte ich vermutet, dass er dein Freund ist, so wie er gestrahlt hatte, als er zurückkam.“
      „Nein, und Tyrell auch nicht”, klärte ich auf, versuchte bestmöglich zu verschleiern, dass es Erik gab. Lars fragte allerdings nicht weiter nach, deswegen setzte ich fort.
      „Auf jeden Fall, durch die Förderung wurden nun mal ganz neue Standards gesetzt, auch was Nachhaltigkeit betrifft und du wirst die Baustelle gesehen haben: Wir bauen um, weil die Weltreiterspiele hier stattfinden werden.“
      Nebenbei putzte er Mill über, die durch ihre Decke kaum Schmutz aufwies. Einzig an ihren Beinen und Hals haftete Matsch, teils getrocknet, teils noch feucht. Enigma entspannte in der Box. Zusammen liefen wir zur Sattelkammer der Traber, die sich in der anderen Hütte neben dem Platz befand. Folke hatte ein riesiges Chaos hinterlassen. Überall hingen lose Geschirrteile, Trensen und Leinen, die sonst einen festen Platz hatten. Ich wühlte mich durch die Menge an Leder, bis wir alles für die Stute hatten.
      „Sicher, dass ihr der Herausforderung einer so großen Veranstaltung gewachsen seid?“, scherzte Lars nebenbei. Umgehend übergab ich ihm einen Haufen aus losen Teilen, die mal ein Geschirr werden wollten.
      „Ja“, antwortete ich stumpf, „dein Vorgänger hat das hinterlassen, aber ich traue dir zu, dass du das hier in den Griff bekommst.“
      Ein verschmitztes Lächeln huschte über seine Lippen.
      „Noch ist nicht aller Tage Abend. Aber es freut mich zu hören, dass ich offenbar so herzlich empfangen werde“, lachte Lars und wuschelte mir durch das ohnehin wirre Haar. Aus dem Schrank suchte ich noch einen Anzug heraus, dass seine Kleidung vor den Widrigkeiten geschützt war. Zusammen verließen wir den Raum, nicht ganz unbeobachtet. Harlen stand an der Tür vom Büro, die zur Galerie führte, auf der man einen wunderbaren Überblick zur Halle und Anbinder hatte. Auch er konnte nicht anders als zu Strahlen. Offenbar überzeugte Lars nicht nur mit seinem Äußerlichen, sondern auch seinem Lebenslauf. Provokant riss ich meine Augen auf und gab meinem Bruder ein Handzeichen, dass er uns nicht beobachten sollte. Dieser schüttelte nur amüsiert den Kopf.
      Ich half unserem Kandidaten dabei, die gescheckte Stute einzuspannen und wenig später befanden wir uns auf dem Weg in den Wald. Obwohl ich Mill nur zickig am Sulky kannte, lief sie, mit ihm als Fahrer, wie ausgewechselt. Die Leinen hingen beinah durch und in einem ruhigen, gleichmäßigen Tempo trat sie durch den matschigen Sandboden. Doch auch Enigma ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen, nicht mal das Kaninchen, dass aus dem Unterholz unseren Weg kreuzte, beeindruckte. Stattdessen schnaubte sie immer wieder ab und streckte mit gewölbten Hals ihren Kopf. Gleichzeitig erzählte Lars fröhlich weiter über seine bisherige Arbeit, was für Erfolge aus seiner Hand stammten. Sein vielfältiges und tiefgreifende Wissen über Pferde sowie Trainingsmethoden aller Art imponierte mir zutiefst.
      „Das reicht dann aber auch“, beendete Lars plötzlich seine Erzählung als wir eine Runde im lockeren Trab hinter uns hatten. Ich hatte uns beiden ein Funkgerät befestigt, das er noch nicht die Daten auf Grund der fehlenden Applikationen überprüfen konnte. Es war auch wunderbar für Unterhaltungen. Schon jetzt, als er schwieg, vermisste ich seine Stimmte und wollte so viel mehr über Rennpferde wissen. Meine eigene Einführung in das Thema war ziemlich holprig und oberflächlich, Folke erzählte auch nicht viel. Deshalb überraschte es mich, wie viel Erfahrung wertvolles Training bedarf.
      „Erzähl du jetzt von dir. Es wäre unfair, wenn nur ich die ganze Zeit rede.“
      Ich seufzte und gab Enigma die Hilfe dafür, etwas am Tempo zuzulegen, denn Lars entfernte sich mit Mill immer mehr. Aufgeregte prustete sie, aber legte los. Binnen von Sekunden hatten wir das Gespann nicht nur eingeholt, sondern auch überholt. Das spornte ihn an, auch mit Mill etwas schneller zu werden. Aus dem lockeren Tempo kamen wir immer weiter in Bereiche von Renngeschwindigkeit, wie es mir mein Handy auf dem Bildschirm verriet. Es hing in der dafür vorgesehenen Halterung, aber durch den Matsch konnte ich nicht mehr alles erkennen.
      Nach einer weiteren Runde holten wir die Stuten zurück in den Schritt und damit hatte ich Zeit zu erzählen. Wie von selbst kamen die Worte aus meinem Mund und ich erzählte ihm beinah alles, also von Capi, dem Isländer meiner Tante, dann meiner Ausbildung und wie ich schließlich auf der Ersatzbank vom Nationalteam gelandet bin. Bewusst ließ ich einige Details weg, unter anderem, dass Erik mir die Pony Stute gekauft hatte und welche Rolle Niklas dabei spielte, dass ich nun Dressur ritt.
      „Dann habe ich wohl einen Profi neben mir“, sprach er und ich war mir sicher, dass ich unter seiner Maske ein Grinsen ermitteln konnte.
      „Einen hübschen Profi, der sogar fahren kann“, fügte Lars im nächsten Atemzug hinzu. Am liebsten hätte ich es auf das Training und der Maske geschoben, aber das war nicht Grund, wieso mir das Blut in den Kopf pumpte. Stattdessen fummelte ich immer wieder die Leine zurecht, um sie im nächsten Augenblick zu lockern und neu zu sortieren. Alles nur, um seinen stechenden Blick auszuweichen. Unbemerkt blieb es allerdings nicht.
      „Keine Sorge, ich versuche dich nicht ins Bett zu bekommen“, lachte Lars.
      „Schade eigentlich“, tauchte ich belustigt aus meiner Starre auf, „aber wer nicht will, der hat schon.“ Provokant zuckte ich mit den Schultern und soeben war ich die, die unentwegt zu ihm sah. Unter seiner Schutzbrille erkannt ich, dass sein Kopf hochrot wurde. Das würde ich als Gleichstand werten.
      „Dir kann es nicht schnell genug gehen, oder?“, blieb sein Interesse offenbar bestehen.
      „Das fragst gerade du? Als Trainer von Rennpferden?“
      Wir beide begannen herzlich zu lachen.
      Vor der Halle sprang wir beinah synchron aus dem Sitz und führten die verschwitzten, verdreckten Pferde in den Stall herein, in dem wir offenbar schon sehnsüchtig erwartet wurden. Harlen grinste nur und verschwand zum Büro, während Lina hektisch Samu an der Schulter antippte. Mein strahlendes Lächeln kam erst zum Vorschein, als ich den Helm abnahm und die Skimaske abzog. In mir brodelte alles, seitdem er mir die Hand gegeben hatte, ich konnte aber nicht genau einschätzen, was das sollte. Auch, wenn ich darüber nachdachte, was ich hier tat, tropfte es kurz aus dem Fass, aber die schlechten Gedanken flossen durch den Abfluss heraus, als würde mein Körper von selbst heilen in seiner Gegenwart.
      “War das Training gut?”, erkundigte sich Lina und das breite Grinsen zeugte von unverhohlener Neugierde, die sich allerdings nur bedingt auf das Training zu richten schien.
      “Perfekt”, schwärmte ich, auch Lars nickte zustimmend neben uns. Die beiden Stuten schnaubten gelassen ab und schüttelten sich dabei, dabei klapperten die Lederschnallen aneinander.
      “Enigma möchte mal erfolgreich werden”, fügte ich noch hinzu und tätschelte liebevoll ihren Hals.
      “Das klingt doch super”, lächelte sie, “Ach und ich bin übrigens Lina.” Freundlich reichte sie dem jungen Mann neben mir die Hand. Nur ein paar Floskeln tauschten die beiden aus und setzte die braune Stute wieder in Bewegung. Mit aller Ruhe löste ich einen Gurt nach dem anderen und kippte den Sulky zurück an die Wand des Stalles. Wenig später kam auch Lars nach, der mir gleich tat. Freundlich nahm ich ihm das Geschirr ab und trug beide Ausrüstungen zurück in Sattelkammer. Am Chaos hatte sich nichts geändert, vielmehr lag es noch schlimmer da, seitdem ich nach Einzelteilen gesucht hatte. Zumindest die verwendeten Geschirre hänge ich sortiert an die dafür vorgesehene Vorrichtung, als plötzlich Schritte auf den Holzdielen ertönten. Strahlend drehte ich mich um, bemerkte allerdings, das es nur Lina war, die wie ein Heinzelmännchen angeschlichen kam und sich neugierig auf die Unterlippe biss.
      „Ach, du bist es“, seufzte ich und drehte mich wieder zu den Halterungen um, zur Suche nach einer Abschwitzdecke.
      “Hast du etwa auf, wen anders gehofft?”, giggelte sie und wuselte wieder in mein Blickfeld. Über dramatisch rollte ich in einer Kopfbewegung meine Augen.
      “Selbstverständlich Schätzchen”, lachte ich.
      “Gehe ich richtig in der Annahme, dass deine nette Trainingsbegleitung der Grund für deine gute Laune ist?” Wissbegierig funkelte es in ihren Augen, als sie mich forschend anblickte.
      “Hast du ihn dir mal angesehen?”, stammelte ich beinah hysterisch, als hätte ich meine Lieblingsband auf der Straße getroffen, “Omg. Ich halte es nicht aus. Er ist so perfekt und vermutlich unser Arbeitskollege.”
      “Sicher, dass du über 12 bist? Du klingst gerade nicht danach”, lachte sie, “Aber ja, er ist schon ziemlich hübsch.”
      “Pff, ich bin mir sehr sicher, dass ich schon über zwanzig sogar bin. Aber jetzt mal im Ernst, der hat richtig Ahnung von Pferden, schreckt vor nichts zurück und sein Hengst sieht einfach aus wie Ivy! Er zeigt ihn dir sicher, wenn du ihn fragst”, sprudelte es weiter aus mir heraus wie ein Wasserfall. Innerhalb des einen Heats, hatte ich so viel an Wissen erfahren können, dass ich nicht wusste, mit dieser Macht umzugehen. Kurzzeitig traf mich so gar Gedanke, wieder Rennen zu fahren, auch wenn es bedeutete, dass ich mehr Essen muss. Vom Ständer nahm ich zwei riesige Decken herunter, die Vintage und Alfi als Sieger bekamen und farblich mit den beiden Stuten harmonisieren sollten – Hellblau.
      “Uhh, wie Ivy sagst du? Dann ist Lars, also nicht nur hübsch anzusehen, sondern hat auch noch Geschmack. Sehr sympathisch.”, entgegnete sie enthusiastisch.
      “Bagsy”, rief ich umgehend, um die Situation klarzustellen. Verwirrt blickte sie mich an: “Was hast du jetzt für Schmerzen?”
      „Ich habe ihn mir damit reserviert. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, wer zuerst Bagsy sagt, hat Anspruch auf etwas, je nachdem welcher Kontext. Und Lars gehört jetzt mir“, triumphierte ich und rollte die Decken ein, um sie heraustragen zu können. Allerdings kam ich nicht weit, den natürlich stand besagter in der Tür und unbedacht lief ich in ihn.
      „Dachte schon, dass es etwas passiert sei, so lang wie du gebracht hast. Aber ihr habt wohl einiges zu sprechen“, grinste er verlegen und nahm mir den Haufen Stoff aus den Armen. Stocksteif verharrte ich in der Position und versank innerlich in den Boden. Wie viel hatte er mitbekommen? Sollte ich mir jede Chance verbaut haben?
      Lars verschwand aus der Tür heraus und nur meine Augen folgten seiner Bewegung. Obwohl er einiges an Kleidung über sich trug, erkannt ich ein leichte Erhebung, die für sich sprachen. Auf seinem Handy durfte ich bereits erahnen, wie gut aussehend er war und dass ich davon noch in Genuss kommen würde, ahnte ich in dem Moment noch nichts. Stattdessen versuchte ich das drängende Gefühl in mir loszuwerden, das mich in einen Strudel aus Lust und Begierde lenkte und alle anderen Umstände ausschaltete. Ich wollte nur noch am Stall sein, nicht allein in der Hütte sitzen und darüber nachdenken, wie ich meiner quälenden Leere entkommen konnte. Nach Ewigkeiten kam dieses Ventil, auch wenn das Training mit Lubi einiges an meiner Stimmung ins Positive gerückt hatte.
      “Komm mal zurück in die Gegenwart oder willst du da noch weiter herumstehen?”, holte mich Linas Stimme zurück in die Gegenwart, die mich dabei kichernd anstupste.
      “Ich bin doch schon da”, schüttelte ich mich, “hast du Shaker heute bereits bewegt?” Bindend Sekunden überlegte ich mir, den Hübschen auch auf ein Pferd zu setzen, schließlich würde er auch im Alltag nicht nur im Sulky setzen. Damit hatte ich auch schon eine Begründung, wieso er unseren Nachwuchshengst unter den Sattel bekommen würde. Nur ich wusste noch nicht so recht, mit welchem Pferd ich glänzen sollte. Lubi hatte heute nur die Führanlage gesehen, aber dafür gestern ein anstrengendes Training hinter sich, auch mir schmerzten noch die Oberschenkel von den Serienwechseln. Nur ein Pferd kam mir in den Sinn, dass ich unter normalen Umständen wohl nie bewegt hätte – Götterdämmerung, der Fuchs aus der Hölle. Nicht grundlos betitelte ich sie allen gegenüber nur als Mörderpony, aber heute war der richtige Tag für Blut vergießen, zumindest um wieder meinen Kopf geradezurücken.
      “Nein, habe ich nicht”, entgegnete sie.
      “Gut, dann gehe ich das Mörderpony holen”, sprach ich es laut aus und zischte aus der Tür heraus zur anderen Kammer, in der des Stutes Halfter hing. Vorher entledigte ich mich dem furchtbaren matschigen Anzug und hängte ihn im Waschraum zwei Türen daneben auf. Nun froh ich, aber sobald ich im Sattel sitzen würde, wäre das Gefühl wie weggeblasen. Ich hatte nur eine Sommerhose darunter und einen Hoodie, weder Jacke noch richtige Stiefel zog ich mir an.
      Natürlich bereute ich es bereits einige Meter vor dem Rolltor, so wenig anzuhaben, aber da musste ich durch. Die Fuchsstute mit ihrem großen Abzeichen funkelte diabolisch in meine Richtung und drehte sich umgehend weg, als ich merkte, dass ich zu ihr wollte. Fredna hätte ich gebrauchen können, die beruhigt sie. Allerdings schaffte ich es ohne Hilfe an sie heranzutreten. Göttin versuchte, mit schlagendem Schweif mich loszuwerden, drohte auch mit dem Vorderhuf, aber ich schenkte dem keine Beachtung. Stattdessen ärgerte ich mich, dass meine graue Hosen Matschflecken aufwies.
      “Nur heute, dann lasse ich dich in Ruhe”, gab ich dem Pferd zu verstehen und wie ein Wunder, folgte sie mir entspannt. Sogar als wir im Stall ankamen, schaute Tyrell nicht schlecht, der sich gerade mit Lars unterhielt.
      “Offenbar brauchen wir niemanden Neues”, scherzte dieser, was ich mit hochgezogenen Augenbrauen direkt versuchte, zu unterbinden.
      “Natürlich, ich kann nicht jeden Tag so viel machen”, rief ich ihm zu.
      Lina hatte die beiden Stuten in eine freie Box gepackt, damit sie noch länger trocknen können und putzte zur gleichen Zeit den großen Fuchsfalben, ihr Sohn. Er wusste es nicht besser. Shaker trampelte aufgeregt von einer Seite zur anderen und meine Kollegin verdünnisierte sich rechtzeitig, denn sonst hätte sie einen Huf abbekommen. Der Hengst machte seinem Geschlechte alle Ehre, obwohl Göttin nicht einmal in seine Richtung sah. In einem konstanten Tempo liefen wir weiter und ich hakte auf beiden Seiten die hängenden Stricke ein.
      “Benimm dich, bitte”, bettelte ich das Pferd so leise wie möglich an. Aus dem Augenwinkel sah ich Tyrell Lina zur Hilfe kommen, denn dieser wollte sich nicht mehr beruhigen, zu interessiert schien er an seiner Mutter. Das lasse ich an der Stelle einmal unkommentiert.
      So schnell ich konnte, putze ich den feinen Staub aus dem Fell, kratzte die Hufe aus und verschwand im selben Tempo in der Sattelkammer. Überall hingen Sättel und Trensen, die ich in dem Ausmaß noch nie bemerkt hatte. Es war viel, Ja, aber so viel? Unglaublich, mindestens die Hälfte davon sollte man Spenden können an Menschen, mit weniger Mitteln. Mit meinem Finger lief ich Namensschilder durch, als wüsste ich nicht, wonach suchte. Mindestens dreimal übersah ich „Götterdämmerung“, bis ich schließlich wieder vor dem Schwarzen Sattel stand und ihrer Trense. Eigentlich wollte ich meinen Halsring greifen, aber hing nun doch etwas stärker an meinem Leben. Immerhin meine gelbe Otterschabracke nahm ich noch im Vorgehen mit, ehe ich vollgepackt mit Beinschutz, Helm und Sattelzeug die Treppen herunterlief. Die Füße konnte ich nicht sehen, vertraute aber auf meine Fähigkeit, laufen zu können. Wider Erwarten kam ich unbeschadet am Pferd an, warf ihr in Windeseile alles über und stand fertig bei Lina, die gerade einmal mit Lars Hilfe den Sattel fest zurrte.
      “Mit welchen Zauberworten hast du die Göttin denn so kooperativ bekommen”, staunte sie nicht schlecht. Doch den Junghengst für den kurzen Moment aus den Augen zulassen erwies nicht als klug, denn bei seinem aufgeregten herumgehampel rempelte er sie beinahe um als er nach vorne trat.
      “Du weißt doch, ich darf nicht darüber sprechen, wenn Unbeteiligte im Raum sind”, sprach ich bewusst leiser, damit es geheim klang ihm gegenüber.
      “Ach ja, ich habe deinen Hexencodex vergessen”, lachte sie.
      “Sollte ich Fragen stellen?”, mischte sich auch Lars ein, mit einem schiefen Lächeln auf seinen Lippen. Brennend trat ein Kribbeln unter meiner Haut auf, dass sich sehr langsam von den Fingerspitzen im ganzen Körper verteilte. Auch die Fuchsstute zog einmal den Kopf nach oben, als hätte ich ihr einen Stromschlag verpasst. Es zehrte mich mit jedem Atemzug. Ich wollte seine Hände an mir spüren, die Wärme auf meiner kalten Haut wahrnehmen und es schrie. Meine Gedanken waren so laut, dass ich Angst hätte, jemand könnte sie hören. Genauso sah mein Gesichtsausdruck aus. Ununterbrochen grinste ich, so sehr, dass bereits meine Muskeln bitterlich stachen und in den Hinterkopf einen Schmerz sendeten. Cool bleiben, Vriska, es ist alles gut.
      “Nein, besser nicht, aber Lina hat die Theorie entwickelt, dass ich zaubern kann und heimlich meinen Besen verstecke, um nachts durch die Luft zu fliegen. Zugegeben, dass ich nachts häufig nicht im Zimmer bin, entstärkt ihre Argumente nicht”, klärte ich ihn auf, ohne von seinen grünen Augen abzulassen, die in dem warmen Licht der Deckenbeleuchtung funkelten.
      “Das ist nicht nur eine Theorie. Ich bin überzeugt davon, dass du genau so viel Magie besitzt wie Ivy. Das sieht nur keiner”, scherzte Lina weiter.
      “Wer auch immer Ivy ist, aber ich sehe es. Ich finde Vivi zauberhaft”, zuckte er mit den Schultern. Da war es wieder – weiche Knie, zitternde Finger und Hitze im Gesicht. Im Boden versinken wäre perfekt oder einfach verschwinden, aber ich konnte nicht. Es fühlte sich an, als würde ich im Leben zum ersten Mal in einer unangenehmen Situation bleiben.
      “Jetzt übertreiben wir mal nicht. Ich achte nur auf den Tierschutz”, spielte ich mein Empfinden runter. Lina hingegen wirkte erleichtert, dass jemand anderes mir Komplimente machte, obwohl auch sie öfter hören könnte, wie großartig sie ist.
      “Vielleicht hören wir einfach auf zu quatschen und Lars kann sich sein eigenes Bild davon machen”, brachte sich Erwähnte ein und griff nach der Trense, damit auch Shaker endlich reitfertig sein würde. Noch immer unruhig, riss der Falbe den Kopf nach oben und zeigte nur wenig Kooperationsbereitschaft. Nur mit viel gutem Zureden und Lars Hilfe, gelang es schließlich, dass Shaker den Zaum letztlich am Kopf trug.
      Mit der Göttin lief ich bereits vor, zog den Gurt ein Loch fester und schwang mich in den Sattel. Sie legte die Ohren an, aber gewöhnte sich binnen weniger Runden an mich. Gespannt drang sich ein kleines Publikum auf die Tribüne, bestehend aus dem Team und einigen Einstellern, die von unserem attraktiven Kandidaten Wind bekamen. Damit setzte ich mich selbst auch unter Druck. Die Stute tanzte ungeduldig durch den Sand und reagierte kaum auf meine Gewichtshilfe. Lars hingegen, der Minuten nach mir in die Halle einkehrte, steuerte den zuvor ungeduldigen Hengst, wie ein Profi. Mein Plan ging nicht auf. Je mehr ich versuchte, Göttin für schwierigere Lektionen vorzubereiten, umso schwammiger wurden ihre Schritte. Bereits im Trab schlichen sich Galoppsprünge ein, die ich nicht wollte. Selbst meine Linienführung wirkte wie von einem Anfänger. Der Zirkel war nicht einmal rund, also hielt ich entschlossen an, sprang vom Sattel und lief aus der Halle heraus.
      Ein verwundertes Tuscheln ging durch die Masse. Als ich mich noch einmal umsah, bemerkte ich, dass Lars den Hengst sehr locker vorwärts ritt, die Taktfehler ausglich und genau wusste, was er tut. Enttäuscht seufzte ich und verschwand. Ich hatte vieles in meinem Kopf, aber nicht, dass ich kläglich versagte. Göttin rieb sich die Trense ab, während ich langsam das Sattelzeug abnahm und alles wegbrachte, immer unter den strengen Blicken unserer Einsteller, die praktisch neben mir saßen. Ich schwieg mit gesenktem Kopf, wollte nur so schnell wie möglich weg. Was bildete ich mir ein? Kindisch.
      Tränen drängten sich aus meinen Augen, als ich die Stute zurückbrachte, auf ihren Paddock. Immer wieder stupste sie mich aufmunternd an der Schulter an, aber ich ignorierte sie komplett. Es tat mir leid, dass sie mich ertragen musste, obwohl Göttin ihr Bestes gegeben hatte, um zu verstehen, was ich von ihr wollte. Aber ich konnte es nicht, ich war unfähig. Auch Eskil schrieb ich, dass ich morgen keine Zeit für unser Training hatte und nächste Woche vermutlich auch ausfiel. Er stellte keine Fragen, akzeptierte es nur.
      “Es tut mir leid”, murmelte ich Göttin zu und zog das Halfter über die Ohren. Sie schüttelte sich und lief zum Futter.
      Gefühlte Stunden saß ich, mit meinen Armen eng um die Beine geschlungen, im Unterstand der Stuten auf dem Heuballen und lauschte den Geräuschen der Pferde. Zwischendurch hörte man Reifen durch den Kies fahren, Autotüren und das Gelächter aus der Reithalle. Ich überlegte lange, was genau mich geritten hatte und warum ich nicht normal sein konnte, mehr Lina, weniger Vriska, aber eine Antwort darauf gab es nicht. Lösungsansätze hatte ich im Kopf, doch Veränderungen schmerzten, so auch der Kloß in meinem Hals. Er drückte mir die Luft weg und wurde damit immer größer. Ich schluchzte und Tränen tropften auf mein Handy, dass ich anstarrte. Auf dem dunklen Display konnte ich mein Gesicht erkennen, wenn auch nur schemenhaft, doch was ich sag, enttäuschte mich zutiefst. Allerdings erinnerte ich mich an etwas und öffnete mit wenigen Klicks unseren Chat.
      „Ich brauche dich, jetzt“, tippte ich geschwind ein und wartete. Es dauerte nur einen Wimpernschlag, war er für mich da, so wie ich ihn kannte. Na ja, so gut man jemanden kennt, der unbekannt ist.
      „Was ist los?“, fragte er und ich erklärte ihm in Ausschnitten, was passiert war. Die nächste Antwort kam nicht so schnell. Der Sendestatus änderte sich bereits beim Abschicken, aber offenbar fehlten ihm die Worte.
      „Tut mir leid. Aber ich kann dir nicht helfen, habe Besuch“, schrieb er knapp. Verblüfft las ich die Antwort, immer und immer wieder. Was hatte ich falsch gemacht? Ich fragte ihn, aber er kam nicht mehr online. Grob überschlagen, hinterließ ich zwanzig Nachrichten, die zum Ende hin, ein Monolog wurden.
      „Du nervst, ernsthaft. Aber gut, dann bekommst du einen Rat von mir: Hör auf, dich so wichtig zu nehmen, niemand interessiert sich für dich, nur weil er nett ist. Ich weiß, meine einzige mit dir war es, dich abzulenken, aber langsam stoße ich an meine Grenzen. Außerhalb mein Handys habe ich ein Leben, wie jeder andere Mensch auch und wenn du dich immer wieder von deinen Impulsen steuern lässt, dann solltest du eine Therapie in Erwägung ziehen. Schreib mir nicht mehr.“ Es fühlte sich an, als würde mein Leben an mir vorbeiziehen. Der Schmerz war wie erloschen, nur noch leere verspürte ich in meiner Brust und wusste nicht mehr, was ich denken soll. Monate hatte ich mir so was wie eine besondere Freundschaft aufgebaut, die in Sekundenbruchteilen zerfiel. Er war weg, denn entgegen seiner Nachricht, schrieb ich weiter, jammerte und heulte. Sie wurden nicht zugestellt.

      Lina
      Nur weniger der Einsteller verblieben am Rand der Halle, um Lars Fähigkeiten zu bestaunen, seien die meisten nur zusammen geschwärmt, um sich das Drama anzusehen. Ekelhaft, wie Menschen sich doch verhielten. Dass Vriska keine Weltklassenperformance hinlegen wurde, hatte ich mir bereits gedacht, doch hätte ich geahnt, wie schlecht Vriska mit der Göttin harmonierte hätte, ich sie aufgehalten. Wie verwirrt das Tier über den Sand torkelte, war alles andere als schön anzusehen, und einiges von dem Getuschel, was ich aufschnappte noch viel weniger. Eigentlich hatte ich ihr nach einem kurzen Moment folgen wollen, aber das, was der junge Mann mit Shaker auf dem Sand veranstaltete, löste eine solche Faszination in mir aus, dass ich die Zeit vergaß. Was war das nur, dass jeder hübsche Mann in meinem Umfeld auch noch Pferdeverstand besaß? Erst als Lars bereits dabei war den Hengst abzusatteln, fiel mir auf, dass längst eine Stunde vergangen war. Besorgniserregend, dass Vriska so lang fortblieb, wenn man bedachte, dass sie vorhin nicht genug von Lars bekommen konnte.
      „Ich gehe mal Vriska suchen, sie kann sicher eine Aufmunterung gebrauchen", raunte ich Samu zu und verließ die fröhliche Runde, die noch immer auf der Stallgasse herumlungerte.
      Als Erstes schlug ich den Weg zu unserer Hütte ein. Es erschien mir am naheliegendsten, dass sie sich wie sonst auch in ihr Zimmer zurückgezogen hatte. Licht brannte keines, alle Fenster starrten mir leer und dunkel entgegen als ich dort ankam, doch das musste nichts heißen.
      „Vriska?“, rief ich in die Stille des Hauses, die eisige Klinke noch in der Hand. Nichts, keine Antwort. Nur um sicherzugehen, dass sie tatsächlich nicht hier war, öffnete ich nach einem zaghaften Klopfen auch noch ihre Zimmertür. Aber auch dieser Raum lag still und leer vor, damit hieß es wohl weitersuchen. Hier war sie nicht, im Stall auch nicht, demnach bleiben nur noch zwei Möglichkeiten, wo sie stecken konnte – bei den Pferden oder die hatte sich vom Hof bewegt. Inständig hoffte ich, dass letzteres nicht der Fall sein würde, denn dann könnte sich die Suche als ziemlich schwierig erweisen.
      Dem matschigen Weg folgte ich zu den Paddock und sah bereits aus der Ferne die Dunkelfuchsstute zwischen den anderen stehen. Ein gutes Zeichen, dann würde Vriska vielleicht auch in der Nähe sein.
      Im Unterstand der Stuten fand ich sie tatsächlich. Wie ein Häufchen Elend kauerte sie auf dem Heuballen, die Augen verquollen, die Haut bereits fahl aufgrund der durchdringenden Kälte, was den dramatischen Effekt des verlaufenen Make-ups noch zu verstärken schien.
      “Hey, ich habe dich schon gesucht”, sprach ich sanft, um auf mich aufmerksam zu machen, bevor ich zu ihr auf den Ballen kletterte. Als ich wahrnahm, wie sie zitterte, legte ich ihr sofort meine Jacke um die Schulter, sie benötigte die wärmende Schicht gerade deutlich dringender, bei den wenigen Kleidungsstücke, die sie trug.
      Unverständlich murmelte Vriska, aber dann verstand ich etwas: “Was los?”
      “Du bist seit einer Stunde verschollen, ich wollte sehen, ob es dir gut geht”, brachte ich meine Besorgnis hervor.
      “Okay, danke”, schluchzte sie, wirklich gesprächig schien sie nicht, aber auch meine Jacke brachte keinen Effekt. Es tat mir wirklich in der Seele weh, sie so am Boden zu sehen. Umständlich rutschte ich noch ein Stück näher an sie heran und schloss meine Arme, um ihren zierlichen Körper in der Hoffnung ihr damit wenigstens ein wenig Trost spenden zu können. Hatte der Vorfall vorhin sie wirklich so tief getroffen oder war etwa noch etwas vorgefallen?
      “Möchtest du reden oder soll ich vielleicht irgendwen für dich holen?”, versuchte ich mich behutsam heranzutasten, wie ihr zu helfen sei, denn ehrlich gesagt war ich ein wenig ratlos. Endlich bewegte Vriska sich. Sie ließ die Hände von den Beinen ab und wechselte ihre Position, legte den Kopf auf meinem Schoß ab und nahm die Jacke als Decke.
      “Wen willst du holen? Meinen Bruder, der mir sagt, ich soll zur Therapie gehen oder Mama anrufen?”, lachte sie beinah munter im Vergleich. Mit ihren Stimmungswechseln waren Vriskas Reaktionen für mich so unvorhersehbar wie die der Tiere um uns herum, wenn man ihre Zeichen nicht zu deuten wusste, doch ich bemühte mich davon nicht aus der Fassung bringen zu lassen.
      “Mangels Kenntnis von Kontaktmöglichkeiten, würde nur erstens infrage kommen”, antworte ich auf ihre Frage, “aber offensichtlich ist das nicht erwünscht.”
      Tatsächlich drückte sie mir stumm ihr Handy in die Hand und vor mir leuchtete ein dunkler Chat auf, mit sehr vielen und vor allem kurzen Nachrichten. Irritiert wischte ich mit dem Finger über dem matten Bildschirm, im Hinterkopf, dass jederzeit ein seltsames Bild kommen könnte. Auf einmal kam Vriskas Finger dazu, der mit dem Anfang zeigte. In meinem Magen lag ein flaues Gefühl, ich konnte ihre Situation nachvollziehen, wie schlecht sie sich in der Halle gefühlt haben muss, andererseits war mir ein Fakt mehr bekannt. Sie waren einander die womöglich wichtigste Person und dann zu lesen, dass der Partner Interesse an jemand anderes hegte, verletzte zutiefst. Was er mit seinem Besuch andeuten wollte, konnte ich überhaupt nicht deuten und wüsste Vriska, dass ihr unbekannter Verehrer ihr Freund war, hätte sie vermutlich die Hälfte davon nicht geschrieben. Am Ende angekommen, bemerkte ich natürlich, dass nichts mehr von ihm kam. Sie bekam das Gerät zurück, das sofort wieder aufleuchtete, unglaublich, dass sie noch immer diese Bild als Sperrbildschirm hatte.
      „Das sind ganz schön harte Worte. Tut mir leid, dass er dich so wegstößt“, wählte ich meine Worte mit bedacht. Unsicherheit und ein schlechtes Gewissen überkamen mich darüber, ob es eine gute Idee gewesen war, sie so lange im Ungewissen zu lassen, wer ihr Unbekannter wirklich war. Vom Flirten hatte sie das vielleicht nicht abgehalten, aber sicherlich hätte es beide davor bewahren können, verletzt zu werden. Doch jetzt war es zu spät, es würde sie nur noch tiefer treffen, wenn sie erfuhr, dass Erik dahintersteckte.
      Stillsaßen wir zusammen auf dem Ballen, nicht ein Wort verließ mehr ihren Mund, nur leichtes Schluchzen drängte zwischen Kaugeräuschen der Pferde hindurch. Noch immer war es kühl und ohne meiner Jacke kam auch ich an meine Grenzen. Vriska zitterte wie Espenlaub.
      „Was denkst du, möchtest wenigstens noch Tschüss an Lars sagen? Er wollte gleich los“, versuchte ich sie zum Aufstehen zu bewegen, nach dem Blick auf die Uhr. Außerdem kam mir zunehmend der Hunger, nach einem arbeitsreichen Tag.
      „Eher nicht“, sagte sie ziemlich in sich gekehrt.
      “Dann lass uns wenigstens nach drinnen gehen, sonst erfrierst du mir hier draußen noch”, redete ich sanft weiter auf sie ein. Wenn ich daran dachte, wie taub meine Finger bereits vor Kälte waren, wollte ich mich gar nicht erst vorstellen, wie kalt ihr sein mochte, wenn sie dies überhaupt wahrnahm.
      “Aber nur weil du es bist”, seufzte Vriska und bewegte sich in Zeitlupe von meinen Beinen herunter, die vermutlich am wärmsten waren. Schmerzlich stieß sie ein Laut aus beim Herunterklettern des Ballens, klammerte sich dabei fest an dem dünnen Netz, um nicht zu fallen. Ungeschickt tat ich es ihr gleich und war froh als ich den festen Boden wieder unter den Füßen hatte.
      Wie zwei alte Omas, die bereits von Arthritis gezeichnet waren, bewegten wir uns zu unserer kleinen Hütte. Kaum in unserem kleinen warmen Reich angekommen, ließ Vriska sich auf das Sofa plumpsen, streifte sich die Schuhe von den Füßen und wickelte sich wie ein Wrap in die flauschigen grauen Decke. Mein Weg hingegen führte geradewegs in die Küche. Mit schmerzenden Finger befüllte ich den Wasserkocher, denn bevor ich irgendetwas Weiteres tun konnte, musste etwas Warmes her.
      “Möchtest du auch einen Tee?”, rief ich Vriska zu, während ich bereits für mich eine Tasse aus dem Schrank ergriff.
      „Ich bin zwar britisch, aber bevorzuge Kaffee, egal wann“, schien sie mich erinnerten zu wollen, so gut wie nie Tee zu trinken. Stattdessen war ich so frei, die Kaffeemaschine einzuschalten, denn einen Knopf drücken, lag noch in meinen Fähigkeiten. Die Kälte schien sich regelrecht in den Fasern meiner Kleidung festgesetzt zu haben, denn die Wärme erreichte mich kaum. So nutze ich den Augenblick, indem die Geräte ihre Arbeit taten, um dem entgegenzuwirken. So warf ich, bis auf die Unterwäsche sämtliche Kleidungsschichten von mir und ersetzte diese mit einer gemütlichen Jogginghose und einem viel zu großen Pulli mit dem verwaschen Logo der Eishockey-Mannschaft in der Samu lange Zeit aktiv gewesen war. Ich liebte dieses Kleidungsstück, denn er war einfach perfekt vom Gemütlichkeitsfaktor, weshalb er einst heimlich von seinem in meinen Besitz wechselte. Na ja, genaugenommen war er nicht geklaut, sondern eher so etwas wie eine … Dauerleihgabe auf unbestimmte Zeit. Was zuallerletzt nicht fehlen durfte, waren die wunderbar flauschigen Kuschelsocken mit den niedlichen Ottern drauf.
      Gerade wieder in der Küche angekommen, verkündete der Wasserkocher mit einem leisen Pling, dass er fertig war und auch Vriska Getränkt dampfte bereits in seinem Behältnis und verströmte sein kräftiges Aroma. Laut gluckerte es in meinem Bauch und erinnere an die Leere darin.
      Mit wenigen Handgriffen war auch mein Getränk bereitet und ich balanciert die heißen Tassen hin zu Vriska, wo ich diese auf dem Tisch abstellen, bevor ich mich neben sie quetsche.
      „So, wo ich nicht mehr Gefahr laufe zu erfrieren, wie sieht es mit Essen aus?“, kam ich direkt auf das zweite Bedürfnis zu sprechen, welches gestillt werden wollte. Auf ihre Antwort wartend, nahm ich einen Schluck von der dampfenden Flüssigkeit und verbrannte mir prompt daran die Zunge. Das hatte man davon, wenn man zu gierig war.
      „Hier, such dir was aus“, sprach Vriska müde und drückte mir das Handy in die Hand, geöffnet eine herkömmliche Bestell-App. Es dauerte ein Moment, bis ich mich wieder fähig genug fühlte, die Landessprache zu verstehen. Die Auswahl war groß, beinahe zu groß, so fiel die Wahl mangels Entscheidungsfähigkeit auf eine Pizza. Im selben Moment, wie ich Vriska das Gerät bereits wieder reichen wollte, fiel mir Samu ein, der vermutlich noch da sein musste. Zumindest hatte ich keine anderweitige Information erhalten.
      „Ähm, warte kurz. Ich muss kurz Samu schreiben“, wies ich sie an und suchte hektisch mein Handy. In der Hosentasche war es nicht, auch nicht im Pulli – musste es wohl noch im Zimmer liegen. In Windeseile wuselte ich also zurück. Tatsächlich lag besagtes Gerät, begraben unter dem Klamottenhaufen, auf dem Bett.
      Auf dem Bildschirm leuchteten mir direkt eine Instagram Notifikation entgegen, die ich allerdings ignorierte. Die Prioritäten lagen jetzt eindeutig woanders.
      Mein Finger flogen nur so über die Tastatur und versendeten eine kurze, prägnante Nachricht. Kaum war diese angekommen, leuchtet bereits die blauen Haken auf und ich bekam ein okay zurück.
      Wenige Minuten später klopfte es auch schließlich an der Tür. Motiviert möglichst bald an Nahrung zu gelangen, sprang ich auf, um diese zu öffnen.
      „Oh, du bist auch noch da. Ich dachte, du wolltest schon gegangen sein?“, stellte ich fest, als ich erblickte, dass der Finne nicht allein gekommen war, „aber kommt rein.“
      Kaum hatte Lars angesetzt zu erklären, dass er seine Fähre zur Insel nicht mehr rechtzeitig bekommen hätte, erklang lautes Gerumpel hinter mir. Panisch rollte sich Vriska über die Lehne und hinterließ dabei die Decke als Spur ihrer Flucht. Unmittelbar danach fiel die Zimmertür zu und man vernahm die Zylinder einmal ins Schloss fallen. Ich zuckte nur mit den Schultern vor den irritierten Blicken der Jungs, die langsam in die Hütte eintraten. Umgehend zog Lars seine Schuhe aus, um sie zwischen der riesigen Sammlung meiner Mitbewohnerin zu verstauen. Von mir stammten nur zwei Paar, vollkommen ausreichend bei dem schmuddeligen Wetter und kaum Ausgehmöglichkeiten, nicht, dass ich darauf Lust hatte, aber so generell. Vriska schien hingegen für jede Eventualität vorbereitet.
      Ihr Handy lag noch immer entsperrt auf dem niedrigen Couchtisch, womit sich auch unsere Gäste ihre Nahrung wählten. Samu wusste noch nicht so genau, was er wollte, während es bei Lars ziemlich schnell ging. Neugierig blickte ich in die Bestellliste – Gemüsepizza. Interessant.
      Eine andere Vriska kam aus dem Zimmer heraus. Die Hose gewechselt zu einer sehr engen dunklen Jogginghose und darüber ein bauchfreies Shirt, das eher aussah, als stammte es aus der Kinderabteilung von H&M. Es war der Schnitt und nicht das Motiv, was mich irritierte. Die Schminke war komplett entfernt, wodurch ihre Augenringe deutlich hervorstachen und Augen noch rot verfärbt vom Weinen.
      Nicht nur ich sah mir ihre Verwandlung genau an, sondern auch der junge Mann neben mir, der auf dem Sofa Platz genommen hatte, konnte den Blick gar nicht mehr von ihr lassen. Zur gleichen Zeit kamen bedauerliche Stiche in meiner Magenregion, durchzogen von Grummeln.
      Mit gewissem Abstand setzte sie sich auch zurück auf ihren Platz, prüfte mit kurzen, aber hektischen Blicken, wie groß die Spalte zwischen ihr und Lars war. Doch er wusste geschickt, sie näher bei sich zu haben. Vriska beugte sich vor, um selbst etwas zu wählen, was mich schon ziemlich überraschte. Dabei wechselte er seine Position und saß plötzlich direkt neben ihr, den Arm locker auf der Lehne. Hätte ich die beiden im Schulalltag getroffen, wäre ich ihnen aus dem Weg gegangen. Sein Selbstbewusstsein und ihr gespieltes Mitleid waren das perfekte Beispiel für Schulmobber, die mir den Alltag erschwerten.
      Für einen Augenblick dachte ich darüber nach, sie an ihren Freund zu erinnern, der grundsätzlich noch existierte, auch, wenn er bestimmt ziemlich genervt war, entschied aber gegen schlechte Stimmung. Vriska konnte so impulsiv und aufbrausend sein, dass jeden den Abend versaute.
      Unentschlossen durchforsteten wir Netflix, klickten eine Serie an, um im nächsten Augenblick ein genervtes Stöhnen von Vriska zu hören, weil ihr etwas nicht passte. Das Problem löste sich allerdings nach kurzer Zeit von selbst auf. Immer schläfriger hing sie neben Lars, der sie zwar versuchte wachzuhalten, aber damit keine Erfolge erzielte. Stattdessen lag sie an seiner breiten Brust und schlief ein. Süß waren sie schon, mit einem bitteren Beigeschmack.
      Mit Bedauern stellte ich leere in meiner Tasse fest, dabei waren wir doch erst vor gefühlten zehn Minuten hereingekommen. Das Zeug musste sich in Luft aufgelöst haben. Wenigstens hatte es seinen Zweck erledigt, denn neben dem Gefühl in meinen Fingern, war auch die Wärme zurückgekehrt. Langsam erhob ich mich von der weichen Sitzgelegenheit und bewegte mich erneut in die Küche. Wie ich feststellte, gefolgt von Samu, der an der Theke lehnend meine Handgriffe beobachtete.
      “Du weißt schon, dass Gedankenübertragung nicht funktioniert?”, wie ich freundlich daraufhin, dass er reden sollte, wenn er etwas wollte.
      > Onko Viska kunnossa?
      “Ist mit Vriska alles in Ordnung?”, sprach er mir gesenkter Stimme. Mit zusammengezogenen Augenbrauen blickte er zum Sofa, wo sich nur schemenhaft die Umrisse der beiden im gedimmten Licht abzeichneten.
      > Ei oikeastaan, se, että Erik ei ole ollut mukana pitkään aikaan, häiritsee häntä suuresti.
      “Nicht so wirklich, dass Erik schon länger nicht mehr da war, macht ihr ganz schön zu schaffen”, entgegnete ich seufzend. Schon allein die Erwähnung ihres Freundes ließ das ungute Gefühl wachsen, welches beim Anblick der beiden aufkam.
      > Mutta ovatko he edelleen yhdessä?
      “Aber die beiden sind schon noch zusammen?”, runzelte er die Stirn. Verständlich, dass er das in Anbetracht von ihrem Verhalten infrage stellte.
      > En ole niin varma.
      “Ich bin mir nicht so sicher”, antworte ich zögerlich. Auch wenn sie offiziell mit dem Unbekannten geschrieben hatte, war es immer noch Erik, dem sie offenbarte, dass er nicht der einzige Mann war, an dem sie Interesse zeigte. Die Verletzung, die damit einherging, war aus den Worten deutlich herauszulesen gewesen und vor allem die darauffolgende Funkstille schien eindeutig zu sein.
      > Hän kertoi tuntemattomalle flirttailustaan ja tämä oli... hieman vähemmän innostunut
      “Sie hat dem Unbekannten von ihrem Flirt berichtet und der war … eher weniger begeistert”, deute ich die Geschehnisse an, was Samu auszureichen schien, zumindest stellte er keine weiteren Fragen. Auch er kannte Vriska mittlerweile gut genug, um sich erklären zu können, weshalb sie trotz oder vermutlich gerade wegen der Vorkommnisse nicht von Lars abließ.
      Mit einem tiefen seufzend entwich sämtliche Luft aus meinem Lugen. Ein Zusammenleben mit ihr würde wohl niemals einfach werden.
      > Tiedän, että haluat auttaa häntä, mutta älä unohda itseäsi
      “Ich weiß, du willst ihr helfen, aber vergiss dich dabei bitte nicht”, appellierte Samu, ganz der besorgte Freund, der er schon immer gewesen war. Er las mich wie ein Buch und manchmal glaubte ich er würde mich besser kennen, als ich es selber tat.
      Nickend nahm ich seine Sorge zur Kenntnis, doch ich hatte genug von diesem Thema. Aktuell konnte ich die Situation ohnehin nicht ändern.
      Mit einem frischen Tee ließ ich mich wieder vor dem TV nieder. Angelehnt an die Schulter meines besten Freundes, ließ ich mich von den bewegten Bildern berieseln.
      Je spannender die Ermittlung um einen Amoklauf wurde, umso mehr vergaß ich die Anwesenheit von Vriska und Lars, womit auch das mulmige Gefühl diesbezüglich in den Hintergrund rückte. Das Gluckern und Gurgel in meinem Bauch hingegen tat das Gegenteil. Ungeduldig angelte ich nach Vriskas Handy, das konnte doch nicht so lange dauern. Oder lieferten die, die Pizza direkt aus Italien? Eigentlich wollte ich nur in die Lieferapp, doch unmittelbar auf dem Sperrbildschirm leuchten zahlreiche Push-Benachrichtigungen auf. Eigentlich wollte ich nicht neugierig sein, doch als ich Eriks Namen lass konnte ich nicht anders als darauf zu tippen. Sechs ungelesen Nachrichten erschienen, allesamt eingetroffen ab dem Zeitpunkt, ab dem Lars auf dem Hof war. Bereits nach den ersten beiden Nachrichten konnte ich deutlich herauslesen, dass Erik sich Sorgen machte, da Vriska sich nicht meldete. Da war es wieder, das beklemmende Gefühl in der Brust. Es war nicht richtig, ihre Nachrichten zu lesen, auch wenn sie den Schutz ihrer Privatsphäre nicht allzu wichtig nehmen zu schien. Schnell wischte ich die Nachrichten hinfort und wurde auf dem Homescreen von Maxou begrüßt. Ein niedliches Bild hatte sie ausgewählt, doch mein Begehren lag gerade wo anderes. Intuitiv strich ich von unten nach oben und glücklicherweise tauchte wie gewohnt der Task-Manager auf, in dem ich auch sogleich die Lieferapp entdeckte. Zehn Minuten, lautete die Auskunft. Viel zu lange, bis dahin war ich sicherlich längst verhungert.
      “Lina, du weißt aber schon, dass das nicht schneller geht nur, weil du alles fünf Sekunden nachsiehst?”, amüsierte sich der Kerl zu meiner Rechten, nachdem, ich das Gerät bestimmt zum zwanzigsten Mal entsperrte.
      “Aber ich habe doch so Hunger”, jammerte ich kläglich und stellte fest, dass sich die Anzeige in den letzten acht Minuten kein Stück verändert hatte, “Ich glaube, die blöde App ist kaputt.”
      “Gib mal her”, nahm Lars mir das Gerät aus den Händen. Kurz tippte er darauf herum, dann schüttelte er den Kopf: “Alles normal”
      “Manno”, grummelte ich, doch mir fehlte so langsam auch die Geduld, um stillzusitzen. Wie ein hungriges Raubtier tigerte ich zwischen Couch und Küche hin und her, umrundete den Küchentisch und wieder zurück.
      “Weißt du, dass du ziemlich nervig bist, wenn du hungrig wirst?”, merkte Samu an. Ganz klar eine Aufforderung, mich wieder zusetzten.
      “Aber Samuuuu”, quengelte ich, ließ mich dennoch widerstrebend wieder auf der Sofa kante nieder, breit in Sekundenschnelle an der Tür zu sein. Meine Augen klebten förmlich an der Türklinke, als sei ich ein einsamer Hund, der auf seinen Besitzer wartete.
      Mich von dem Tor der Begierde zu lösen, fiel bereits leichter, als die Ermittlungen in der Serie neue Facetten ans Tageslicht brachten. Samu kommentierte das Ganze mit Nachfragen, einzig allein, damit ich nicht zur Tür sah. Es würde jeden Augenblick klingeln, sagte eine Stimme in meinem Hinterkopf, wodurch sich das rechte Bein kurz anspannte, als würde ich in Rekordzeit losspringen. Dafür hörte ich Vriska neben uns wachwerden, leise murmelte sie vor sich hin. Lars, der sichtlich unzufrieden von ihrer Liegeposition war, atmete erleichtert aus als sie sich geraderichtete. Dann geschah, was passieren musste. Unüberlegt saß sie auf seinem Schoß und drückte einfach ihre Lippen auf seine. Mir stach es in der Magenregion, das passierte nicht wirklich, oder? Noch mehr überraschte mich, dass Lars seine Hände fest ihren Unterrücken hielt und auf sich bewegte. Im selben Moment klingelte es und ich sprang wie ein Terrier vom Korb, um die Klinke aufzureißen. Was ich dann sah, brachte mich in Atemnot.
      Niklas stand mit einer großen Tüte in der Hand vor mir, hielt diese wie eine Trophäe nach oben. Die Hitzewelle, die plötzlich über mich hereinbrach, sorgte für zusätzliche Verwirrung in meinem ohnehin schon überforderten Gehirn, sodass ich meinen Freund für einige Sekunden einfach nur anstarrte. Verdammt, sah er heiß aus, in dieser Uniform.
      „Bin ich hier richtig bei Frau Valo?”, ergriff er vollkommen ernst das Wort, als sein wir uns noch nie im Leben begegnet. Ich konnte nur stumm nicken, denn die Verbindung zum Sprachmodul, hatte meinem Hirn offenbar noch nicht wieder hergestellt. Stattdessen piepte es und eine kleine rote Lampe blickte hektisch.
      „Dann habe ich wohl eine Lieferung für sie", setzte er fort, ein frivoles Grinsen auf den Lippen. Niklas war so nah an mich herangetreten, dass kaum mehr eine Handbreit Luft zwischen uns war. Wunderbar leckerer Duft stieg aus der Tüte empor, vermischte sich mit Niklas eigenem zu einer betörenden Mischung. Zu dem unfassbar heftigen klopfen hinter meinem Brustbein, gesellte sich ein unsägliches ziehen in meinem Bauch, was das Denken nicht minder erschwerte.
      “Niklas … du … hier?”, stolperten Worte über meine Lippen, die eigentlich ein ganzer Satz werden wollten. Die Verbindungen meines Sprachzentrums schienen einen gewaltigen Hitzeschaden erlitten zu haben, durch sein erscheinen.
      “Eure Lieferung landete im Streifenwagen”, grinste er für einen Augenblick, bevor sich seine Miene verfinsterte. “Es ist etwas mit Erik passiert.”

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 64.836 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang November 2020}
    • Mohikanerin
      Rennen E zu A / Jogging | 16. Juni 2022

      Eifellust / Glimsy / Global Vision / Harlem Shake LDS / Fieberglas / Pay My Netflix

      Winter, bald würde der Frühling folgen und ich konnte es kaum erwarten, dass die Pferde wieder ins Volltraining gehen würden. Für wenigen die Rennen, die in der kalten Jahreszeit angeboten wurden, reichten kurze Trainingseinheiten, wie Ausdauerfahren oder einmal Tempo in der Woche. Eifellust kam Anfang des Monats zu uns. Die braune Stute hatte sich nicht nur ohne Zickerei in die Herde eingegliedert, sondern lief ebenso ruhig am Sulky. Während ich aus dem Paddock herausführte, bereitete Nour Vision vor, der dieses Jahr seine letzte Saison fahren würde. Der Hengst hatte seine besten Jahre hinter sich, aber zeigte noch immer Spaß und Elan bei den Rennen. Dennoch ritt meine Schwester ihn immer mehr, um den Übergang zum Reitpferd einzuleiten. Im Stall machte jeder für sich das Pferd sauber und hing den Wagen an.
      „Wo ist Vriska? Wollte sie nicht mitkommen?“, fragte ich Nour, die gerade die Trense einlegte.
      „Die musste geradeheraus zu den Jungpferden, weil eine der Stuten wohl durch den Zaun wollte“, berichtete sie. Ich seufzte, aber nickte schließlich.
      Als die Pferde am Sulky hingen, führten wir sie heraus und sprangen im Schritt auf den Sitz. Meine Schwester erzählte wieder von Moonwalker, mit dem sie letzte Woche in Kalmar das Amateurrennen gewann. Der Hengst war ihr Liebling, was man ihr nicht verübeln konnte. Gleichmäßig und vollkommen gelassen gab er sich auf der Bahn, während er zu Hause selbst vor einem Vogel panisch wegsprang. Eifellust und auch Vision waren die Ruhe in Form eines Pferdes.
      Zwanzig Minuten wärmten wir die Tieren im Schritt auf, dann folgte der erste Trab für sieben Minuten. Eifel schnaubte mehrfach ab und plätscherte lauffreudig durch den Sand. Trotz des Dauerregen der letzten Wochen trocknete den Bodenbelag der alten Trainingsbahn gut ab – was nichts an dem Dreck am Spritzschutz änderte. Als wir zum Hof zurückkehrten, sahen wir alle aus, als hätten wir uns im Matsch gesuhlt, doch jeder wirkte zufrieden. Nour fütterte den Pferden jeweils einen großen Becher und Glimsy vom Paddock. Shaker stand noch mit Bandagen in der Box, denn er hatte am Morgen bereits seinen Heat und sollte zudem für zwanzig Minuten in den Aquatrainer.
      „Machst du den Falben?“, fragte ich meine Schwester, als sie den Kaltbluttraber wegstellte.
      „Ja, kann ich machen“, nickte sie hilfsbereit. Dann legte ich der Stute ihr Equipment um und war eine Weile später auf der Bahn. Mit Glimsy fuhr ich auf Tempo. Auf der Meile legte sie gut zu, aber bevor sie ihre Höchstgeschwindigkeit erreichte, nahm ich die Rappstute an der Leine zurück und legte eine kurze Schrittpause ein. Nach einem Handwechsel nach links trabte ich an. Glimsy war feinfühlig und tänzelte etwas auf der Stelle, als Wassertropfen einer kleinen Pfütze an ihren Bauch kamen.
      Am Abend saßen wir zusammen am Tisch, auch Papa kam dazu, der mit Tyrell einige Hengste angeschaut hatte.
      „Henne überlegt, ob Fieberglas von Walker gedeckt werden soll“, erzählte er.
      „Wieso? Die ist doch gerade im Training?“, hakte ich verwundert nach. Die braune Stute mit seltsamen weißen Punkten im Fell lief am Wochenende das erste Mal in dem Jahr ein Rennen, kämpfte sich sogleich auf den zweiten Platz und brachte damit für Außenseiterwetten ein gutes Sümmchen ein. Ich hielt mich aus dem Geschäft heraus, bevorzugte es, im Wagen zu sitzen.
      „Schon, aber sie ist jetzt bereits 12 Jahre und wohl nicht mehr ganz so fit am Sulky“, erklärte Papa.
      „Dann passt aber Walker ziemlich gut“, schwärmte meine Schwester sofort wieder von ihrem Liebling.
      „Ich habe ihm davon abgeraten“, sagte Tyrell dann und erntete böses Funkeln von ihr, „sie wirkte sehr nervös, da wäre der Hübsche keine gute Wahl. Plano könnte ein schönes Bild herrschen und die Schwächen ausgleichen. Der Vater wäre ebenso der gleiche.“
      „Das stimmt“, merkte ich an, „oder Anti? Der bringt viel Ruhe mit und vielversprechendes Tempo.“
      Die Männer nickten beinah synchron. Letztlich konnten wir nur Empfehlungen aussprechen, Züchter mussten am Ende selbst entscheiden. So kam es auch dazu, dass sich die beiden doch ein Training mit Netflix anschauen. Vriska hatte unseren Chef noch etwas bekehrt und wollte unbedingt, dass die Pilzstute zu dem Rappen kam.
      „Die Kleine hatte ein gutes Gespür. Pay My Netflix zeigte auf dem Sand eine gute Form, dazu sehr balanciert und geduldig“, erzählte Papa.
      „Aber der Hengst ist doch im Umgang etwas bekloppt, zumindest wenn Basti ihn führt“, äußerte ich berechtige Zweifel.
      „Wie kommst du denn darauf?“, nahm er mich wenig für voll, „die beiden sind ein super Team.“
      Wenig überzeugt nickte ich. Vielleicht beeinflusst mich andere Dinge, dass ich wenig von seinem Fahrer hielt, aber es war nicht meine Aufgabe, Hengste zu suchen. Wenn das Training gut lief, versuchte ich zumindest meine Begeisterung zu zeigen, wenn im nächsten Jahr, Nachwuchs auf dem Hof sein würde.

      © Mohikanerin // Lars Alfvén // 4848 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende Februar 2021}
    • Mohikanerin
      Rennen A zu L / Rennvorbereitung | 14. Juli 2022

      Glimsy / Harlem Shake LDS / Eifellust / Global Vision / Fieberglas / Pay My Netflix

      Hätte ich mich nie darauf eingelassen, dachte ich insgeheim, als ich frierend am Hof aus dem Sitz stieg und erst Shaker und dann mir eine Decke umlegte. Vom Kinn tropfte der Dreck aus dem Wald, lief mir langsam am Hals in den Kragen. Ich konnte nicht mehr spüren, ob es Schweiß oder Pfütze war am Körper. Aber immerhin sah Shaker ebenso schmutzig aus.
      Der Sohn meiner Erzfeindin-Stute erledigte seine Arbeit als Rennpferd im Übermaß gut. Natürlich, den Geduldsfaden hatte er von seiner Mutter bekommen, aber ebenso viel geistige Stabilität, wie sein Vater. Vintage wäre von seinem Wesen genau das richtige Pferd für mich gewesen – eifrig, geduldig und Fehler verzeihend. Allerdings lag es außerhalb meiner Macht zu entscheiden, welches Pferd blieb und welches nicht. Deswegen war ich froh, dass ich heute ein weiteres Mal mit Shaker im Training war.
      „Und, wie war seine Zeit?“, hakte Bruno nach und reichte mir Tasse Kaffee, als hätte bereits gerochen, dass ich genau diese dringend benötigte.
      „Der Durchschnitt waren 1:12,5 Heute, also 3 Millisekunden besser als gestern“, erklärte ich. Zuneigend strich ich Shaker über den Hals, der spielerisch mit dem Kopf nickte. Der Strick klapperte am Metall.
      „Dann nehmen wir ihn mit zur Wiederqualifikation. Denkst du nicht auch?“ Seiner Frage bedarf keine Antwort, denn der Hengst zeigte Tag für Tag mehr, was in ihm steckte. Erst gestern, als ich mit den Geschwistern zusammen ein Jogging fuhr, spürte ich deutlich, dass Shaker mehr wollte als neben Glimsy und Vision zu trödeln.
      Wir einigten uns darauf, dass wir am Wochenende ihn mitnahmen. Nour wollte ohnehin heute noch nennen. Nur sie hatte alle Rennen im Umland im Blick, denn ich hatte das Gefühl, wir wären nur noch unterwegs, von einem zum Nächsten.
      „Ach, und noch was“, kam unser Trainer zurück, „du gehst dann nachher noch die Samen holen? Die Tierärztin kommt morgen früh zum Besamen.“ Verdutzt blickte ich ihn an. Ich hörte zum ersten Mal, dass mein Tagesplan offenbar noch eine Autofahrt beinhaltete. Seufzend sah ich in meine Tasse. Das ständige Autofahren ging mir gehörig gegen den Strich.
      „Aber ich wollte noch Eifellust longieren“, sagte ich nachdenklich.
      „Das ist nicht so wichtig. Ich wollte nachher noch eine Runde auf die Bahn mit ihr“, bedachte er.
      „Eine nur?“, grinste ich, bessere Laune in der dunklen Flüssigkeit findend.
      „Nein, eher fünf“, lachte Bruno und klatschte die Hände zusammen. „Siebzehn Uhr dann. Ihr werdet dort erwartet.“
      Prüfend blickte ich auf die Uhr am Handgelenk. Zwei Stunden. Damit hätte kaum Zeit, um mich fertig zu machen und ein weiteres Pferd zu schaffen, also entschied ich mich dagegen, noch Maxou an der Hand zu arbeiten. Je nachdem, wie sie heute unterwegs wäre, könnte es zwanzig oder fünfzig Minuten dauern, bis sie ihre Balance hatte und losgelassen war.

      „Du siehst aber schick aus“, musterte mich Nour, als ich am Auto auf sie wartete. Tatsächlich trug ich meine liebste schwarze Jogginghose und eine offene Bomberjacke, auf der Nase meine Brille, denn schon ganzen Tag über juckten die Kontaktlinsen tierisch.
      „Nur für dich“, scherzte ich.
      Sie nickte belustigt und öffnete das Auto auf Knopfdruck. Die Stöpsel in der Tür schnellten hoch, um die Tür freizugeben. Auch ich stieg ein, schnallte mich an und Nour fuhr los. Es wunderte mich, dass sie das Steuer übernahm, aber ich kommentierte es nicht.
      „Wo müssen wir eigentlich hin?“, hakte ich nach. Die Mission kannte ich, aber den Weg nicht. Ein Grund mehr, weshalb sie fuhr.
      „Rennbahn. Was dachtest du?“, grinste sie. Natürlich. Nour wollte mich nach wieder zu Basti schubsen, wer sonst nichts zu tun hatte, als auf jemanden wie mich zu warten. Im Sitz verschränkte ich die Arme und lehnte mich tiefer in das Polster.
      „Anicura oder Amtstierarzt“, zuckte ich mit den Schultern.
      „Kein blöder Gedanke, aber nein. Man hat uns direkt frisches Sperma abgefüllt und tiefgefrorenes aus Gothenburg geschickt“, erklärte sie.
      „Verstehe. Glimsy soll dann ein Fohlen bekommen, oder?“, hakte ich nach, um das Gespräch am Laufen zu halten.
      „Genau, aber erst mal abwarten. Irgendwas von der Bestellung fehlt noch.“

      Angekommen auf der Bahn stupste mich meine Kollegin von der Seite an. Am Geläuf brannten die Flutlichter und zwei Pferde liefen friedlich ihre Runden. Einen der beiden erkannte ich sofort: Basti und Netflix. Der Rapphengste glänzte erhaben im kalten Licht, erhellte damit den Platz noch stärker. Muskeln zeichneten sich klar am ganzen Körper und man sah ihm den ausgezeichneten Trainingszustand an.
      „Willst du hier Wurzeln schlagen? Einen Moment haben wir noch zum Zusehen“, grinste sie und zog mich am Arm mit. Ich weigerte mich ein wenig, schließlich wollte ich weder seltsam wirken noch ihn stören.
      „Das andere Pferd ist Fieberglas. Seine Erfolgsstute. Sie hatte gerade eine Winterpause aber soll nächste Woche auch wieder Rennen. Du wirst dich noch umgucken. Das Pferd kennt keine Grenzen, die läuft und läuft und läuft“, berichtete sie mir euphorisch. Eine Sache schätzte ich Nour aufrichtig. Es gab keine Konkurrenz, sondern nur Mitstreiter bei den Rennen. Für jeden Sieg freute sie sich, sah in allem etwas Positives. Selbst, als ein Pferd in letzter Sekunde an ihr und Walker vorbeizog, stieg sie grinsend vom Sulky. Sie lobte den Hengst für sein nobles Verhalten und beglückwünschte der jungen Fahrerin für das riskante Manöver.
      Und was Fieberglas betraf: Ich wusste von dem Talent der braunen Stute mit seltsamen weißen Flecken im Fell. Bastis Rennpferde hatte im Blick, ein Vorteil davon, dass Trainingslisten und Starts online einsehbar waren. Mittlerweile sammelte ich einen ziemlich aussagekräftigen Datensatz an. Ich machte mir Notizen zu allem Warnung fand. Nenne mich verrückt, aber ich brauchte es am Abend, um überhaupt ein Auge zuzubekommen. Lars belächelte mich dafür und zweifelte an meinem geistigen Zustand.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 5861 Zeichen
      zeitliche Einordnung {März 2021}
    • Mohikanerin
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      Hufschmied / Falzeisen aus Aluminium | 22. Juli 2022

      Harlem Shake LDS / Eifellust / Astronaut in the Ocean LDS / Steinway HMK

      Bevor es zu den Rennpferden auf die Halbinsel ging, prüfte ich den Beschlag auf einer Veranstaltung für Zuchtpferde. Dabei war auch ein schwedisches Warmblut aus dem Königsstalls. Der braune Hengst hatte während seiner Präsentation sein Eisen verloren. Der eigene Schmied stand nicht zur Verfügung, weshalb ich zähneknirschend die Aufgabe übernahm. Interessiert blickte mich das Pferd an und hielt still, als ich den letzten Nagel herauszog. Das Eisen befestigte ich mit gezielten Schlägen wieder an den Huf, nach dem ich die Wand etwas zurecht geraspelt hatte. Damit war es bereits erledigt und man bedankte sich bei mir.
      Auf dem Weg zum Gestüt der Earles begann es zu regnen, so sehr, dass ich zweifelte, überhaupt anzukommen. Durch die Baustelle vor Ort war der Kiesweg eine einzige Schlammschlacht, bestehend aus tiefen Furchen der Bagger, und bereits in der vergangenen Woche blieb ich stecken, als ich bei den Isländern war. Nur mit dem Traktor konnte man mich aus der Hölle befreien. Glücklicherweise kam ich durch und stellte das Auto vor der Halle ab.
      “Oh, Lars! Was machst du denn den hier?”, fragte ich überrascht, als ich den jungen Mann sah, der mit meinem Sohn befreundet war. Nicht daher kannte ich ihn. Er und sein Vater waren bekannt von den Rennen. Ich selbst betreute auch einige Rennpferde, der Grund, wieso ich überhaupt aus Vaxjö hier heraus fuhr. Zudem stimmte die Bezahlung.
      “Wir sind nun hier angestellt. Zufall, va?”, grinste Lars selbstgefällig und strich der braunen Stute neben sich durch die Mähne. Zutraulich streckte sie ihren Kopf in seine Richtung.
      “Verstehe. Dann werde ich auch anfangen. Drei heute?”, hakte ich nach. Die Tasche stand bereits neben mir im Gang und ich sortierte noch einige Werkzeuge in meine Hose, um schneller arbeiten zu können. Bei der Kälte dauerte es ohnehin etwas länger, bis die Eisen in ihrer Form waren.
      “Eifellust und dann noch die beiden Jungs, Shaker und Astro. Vriska kommt dann gleich, ich muss noch drei Pferde fahren. Also bis später”, verabschiedete sich Lars und verschwand mit einem Halfter. Die Stute war ruhig, so störte es mich nicht, wenn ich einen Augenblick allein war. Interessierte spitzte sie die Ohren, während ich die Hufwand kürzte und den Strahl schnitt. Auch ihre Sohle richtete ich etwas, damit sie mehr Fläche zum Auftreten hatte.
      Vriska kam erst dazu, als ich beinah fertig mit dem Pferd war. Sie holte Shaker und Astro. Sie reinigte die Hufe. Gleichzeitig formte ich die Aluminium Hufeisen und brachte Eifel in ihre Box. Zwei Stunden beendete ich meine Arbeit.

      © Mohikanerin // 2558 Zeichen
    • Mohikanerin
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      Routineuntersuchung | 04. August 2022

      Astronaut in the Ocean LDS / Harlem Shake LDS / Eifellust

      Bei meinen Stammkunden ging es heute mal wieder um das Check Up dreier Pferde. Als ich dort ankam, wartete Nour bereits mit den beiden Hengsten Astronaut in the Ocean LDS und Harlem Shake LDS. Beide untersuchte ich ohne große Probleme und konnte keine Mängel entdecken. Die junge Dame verräumte die beiden Hengste und kehrte mit einer zierlichen braunen Stute zurück. Das Tier war neugierig, aber ein wenig sensibel, weshalb ich mir für ihre Untersuchung und wenig mehr Zeit nahm. Wie bei den Hengsten auch, fand ich bei der Stute nichts, was einer Zuchtschau im Wege stand.

      © Wolfszeit // 574 Zeichen
    • Mohikanerin
      Rennen L zu M | 18. August 2022

      Astronaut in the Ocean LDS / Harlem Shake LDS / Eifellust / Global Vision / Sturmglokke LDS / Fieberglas / Pay My Netflix

      Dick einbandagiert standen Astro und Sturmi in ihrer Box, den Kopf leicht hängend und die Augen schwer. Die beiden Hengste hatten ihren ersten Heat des Tages hinter sich und warteten auf den zweiten. Besonders stolz waren wir auf den Falben, der im Gemüt seinen Mittelpunkt fand. Zuvor lief er unter dem Sattel, denn die Sulky jagten ihm eine höllische Angst ein. Je öfter er das Klappern hörte, sich den Geräten mutig näherte, umso gelassener wurde er. Zwischendurch setzte ich mich in den Rennsattel, um kleine Trainingseinheiten im hohen Tempo zu absolvieren. Er machte seine Sache gut. Die Zeiten sprachen für sich, so war es nicht verwunderlich, dass wir einen Käufer im Ausland fanden, der ihn gerne hier im Training lassen wollte.
      Lars führte Astro aus der Box und ich Sturmi. Synchron nahmen wir die Bandagen ab, legten die Unterlagen zusammen und packten die Gurte auf den Rücken. Die Hengste wurden wacher, wussten genau, dass es ein weiteres Mal auf die Bahn ging. Aufgeregt traten sie auf der Stelle, aber folgten Gehorsam aus dem Stall. Noch immer war es kalt und matschig, weshalb wir einen anderen Weg zur Bahn nahmen, entlang an den jungen Bäumen zu den Pferden auf der Weide und dann über das Sandgeläuf zur Grasbahn im Inneren. Die erste halbe Runde fuhren wir Schritt, bevor wir in den Trab umstellten und ein Intervall nach dem nächsten fuhren.
      Parallel dazu waren Bruno und Nour mit zwei anderen Pferden auf der weiteren Grasbahn, die einige Meter kürzer war. Shaker und Vision wirkten aus der Ferne stark geschwitzt, aber ebenso begeistert von dem Wetter. Die kühle Luft war nahezu erfrischend, denn der Wind hielt sich noch zurück.
      Eine Runde nach der anderen kamen wir der Zielzeit nah, sodass wir rechtzeitig zurückkamen. Die Hengste fertigte ich ab für die Box, denn Lars wollte noch vor dem Sonnenuntergang mit Eifellust raus. Er holte die Stute, legte ihr alles an und war dann auch fast weg.
      Für mich hingegen ging es nach Kalmar. Basti bot mir an, seinen Hengst besser kennenzulernen. Er wartete bereits im Stall auf mich und begrüßte mich freudig. Netflix und Fieber spitzten interessiert die Ohren. Ich half ihm, die Wagen anzuhängen und wir fuhren in den Wald. Die Stimmung war gedrückt, zwischen uns schwebten weiterhin ungeklärte Themen, aber ich dennoch blieb ich dankbar für die Möglichkeit. Netflix zeigte sich geduldig, ebenso überrascht, dass ich ihm Freiraum gab. Neben mir tänzelte Fieberglas her, die das langsame Tempo nicht wollte. Im Wald angekommen, erhöhten wir zum Trab.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 2523 Zeichen
      zeitliche Einordnung {April 2021}
    • Mohikanerin
      Dressur A zu L | 30. Oktober 2022

      Osvominae / HMJ Holy / Ruvik / Harlem Shake LDS / Drivblesa

      Zum Ausgleich wurden einige Pferde heute in der Halle bewegt. Um die Pferde auf den aktuellen Trainingsstand zu kontrollieren, standen wir am Rand. Auf dem Sand bewegten sich Osvo, Blessa und Shaker. Für den Anfang hatte der Fuchshengst Probleme zwischen den Stuten, aber war nach wenigen Minuten kooperativ und lag gut an den Hilfen. Die Lektionen im Anfänger und leichten Niveau bewegten sich im sicheren Bereich, sodass nur Blessa durch ihre Unwilligkeit herausstach. Osvo war ohnehin gut ausgebildet und schon lange unter dem Sattel. Später nahmen wir noch Ruvik und Holy an die Doppellonge, um dieselben Lektionen vom Boden zu erarbeiten. Die Stute zeigte sich unmotiviert, aber mit einem dicken Bauch hätte auch ich keine Lust auf schweißtreibende Arbeit. Der gescheckte Kladruber hingegen arrangierte sich mit der Situation, obwohl er stets dem Menschen skeptisch gegenüber war.

      © Mohikanerin // 886 Zeichen
    • Mohikanerin
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      kapitel trettionio | 01. November 2022

      May Bee Happy / Maxou / Ready for Life / Nachtschwärmer / Glymur / Hending / Shakesbeer LDS / Meltdown / Blávör / Northumbria / Binomialsats / Harlem Shake LDS / Nobelium / Eifellust / Eichkatze / Fire to the Rain LDS / L‘Épirigenys LDS / Satz des Pythagoras / Form Follows Function LDS / Drivblesa / WHC' Humanoid Crashtest
      HMJ Divine / Selva / Verita

      kapitel trettionio
      FREITAG, 14:20 UHR
      LINDÖ DALEN STUTERI

      Vriska
      Schlaflos lag ich die halbe Nacht neben Lars, bis er gegen vier Uhr genervt wollte, dass ich Basti anrufe. Ich haderte mit mir, aber tat es schließlich. Müde meldete er sich auf der anderen Seite. Im nächsten Moment wurde er hellwach, als ich vorschlug, gemeinsam zu frühstücken. Stunden später holte ich ihn in einer Nebenstraße seines Zuhauses ab und wir fuhren nach Växjö. Zeit zog ins Land, wir lachten und vergaßen alles um uns herum. Erst, als ich auf die Uhr sehen wollte, bemerkte ich, dass mein Handy noch immer auf dem Nachttisch lag. In der Vorfreude auf meinen Angebeteten hatte ich es wohl vergessen, aber bereute es auch nicht. Auf dem Heimweg setzte ich ihn am Hoftor ab.
      „Ich melde mich heute Abend“, sagte er beim Aussteigen und ich nickte eifrig.
      Am Auto zogen die Bäume und Häuser vorbei. Im Kopf summte ich die Melodie von Midnight City, obwohl am Himmel noch die Sonne stand, zumindest wenn sie zwischen den Wolken eine freie Stelle fand. In einem warmen Licht gehüllt, glänzten die Dächer und viele der Pflanzen trugen schon ihr grünes Kleid. Kein schlechtes Gefühl lag in mir, nur die Freude vom bisher erhellenden Tag. Wir hatten kleine Zärtlichkeiten ausgetauscht, nicht vergleichbar mit der plötzlichen Nähe im Stall, aber jede noch so winzige Berührung, brachte starke Welle hervor.
      Kaum stand mein Auto wieder auf dem Parkplatz, tippelte ich zielstrebig auf den viel zu hohen Schuhe in den Stall, mein Gang wenig elegant, aber ich wollte mein Pony sehen, das ich am Morgen verpasst hatte. Auch Happy sollte seine ausgiebige Einheit von Nähe bekommen, bevor wir eine Runde in den Wald nehmen würden. Das enge, aber lange Kleid hielt in an den Seiten nach oben, um es vor dem Dreck zu schützen. Beinah kreischend begrüßte mich das aufgedrehte Pony.
      „Alles gut“, rief ich zu und versuchte noch schneller zu ihr zu gelangen. Dann hatte ich es geschafft, stand eher kippelig vor ihr, während sie ihren Kopf durch die Öffnung reckte und sich ausgiebig am Ohr kratzen ließ.
      „Oh, da steht ein Geist auf der Stallgasse“, schallte ein scherzhafter Ausruf durch die Gasse. Im Stalleingang zeichnete sich eine zierliche, kleine Silhouette neben den Umrissen eines Pferdes ab, die unverwechselbar zu einer Person gehören musste. Ich hatte sie zunächst nicht sehen können, wie auch. Meine Brille lag ebenfalls auf dem Nachttisch neben dem Mobilgerät. Lange war ich nicht mehr so überstürzt los wie an dem Tag.
      „Absurd, Lebewesen lösen sich nicht in Luft auf“, schüttelte ich den Kopf belustigt. Mit zusammen gekniffenen Augen beäugte ich Lina, die glücklicherweise von selbst näherkam, so dass ich mich nicht direkt wieder bewegen musste. Gleichgewicht hatte ich grundsätzlich genug, aber diese Melodie in meinen Kopf provozierte beinahe, dass ich mich drehen und wenden sollte.
      “Normale Lebewesen nicht, Hexen wie du offenbar schon”, lachte sie, “Wo hast du denn gesteckt?” Die rabenschwarze Stute, die sie am Strick mit sich führte, streckte interessiert die Nase zu mir hinüber. Freundlich strich ihr über das samtweiche Fell.
      „Unterwegs“, grinste ich über beide Ohren und sprach damit nur das Offensichtliche aus.
      „Darauf wäre ich jetzt aber nicht gekommen”, rollte Lina mit den Augen. Prüfend musterte sie mich, bevor sie weitersprach: “Dem Anschein nach warst du nicht allein unterwegs, sonst hättest du dir wohl kaum die Mühe gemacht, diese Dinger da anzuziehen.” Ihre Augen glitzerten voller Neugierde, als erahnte sie bereits den Grund für meine morgendliche Abwesenheit.
      “Ach, so schwer sind sie nicht anzuziehen, außer man kann keine Schnürsenkel binden”, schaute ich noch einmal die schwarzen Schuhe an meinen Füßen an.
      “Ich zweifle auch weniger deine Fähigkeiten an, dich anzuziehen. Viel mehr vermute ich, dass du jemanden, der nicht dein Pony ist, beeindruckend wolltest”, grinste die Brünette verschmitzt.
      “Maxou würde eine Birne reichen, um beeindruckt zu sein. Aber ja, ganz falsch liegst du damit nicht”, hielt ich mich weiter geheimnisvoll.
      “Warst du bei Basti?”, platze die Frage aus ihr heraus wie eine Flutwelle über einem Damm. Ihre Stute inspizierte derweil den Boden neben ihren Füßen und wirbelte feine Staubwölkchen mit ihrem Atem auf.
      “Mit Basti unterwegs”, korrigierte ich ihre Aussage grinsend.
      “Erzähl, wie war’s?”, quietschte sie freudig, was ihre Stute verwundert, aufhorchen ließ. Auch Maxou spitze die Ohren und erhob den Kopf wieder auf dem Heu. Dann raschelte es in der Box. Das Pony drehte mir den Po zu, denn wirklich etwas aus Taschen konnte ich nicht hervorzaubern.
      Wir setzten uns in Bewegung, denn Redo wollte nicht weiter herumstehen und den beobachten. Ich setzte mich mit übereinander geschlagenen Beinen ihr gegenüber, während Lina den Staub aus dem Fell entfernte. Kaum begann ich zu erzählen, wie es zum Treffen kam, tauchte Nour neben uns auf.
      “Oh, Geschichtsstunde”, stellte sie begeistert fest und setzte sich dazu. Mein Blick wanderte von unten nach oben. Nour konnte man nicht mehr loswerden, also setzte ich das Gespräch fort. Ebenso überrascht, wie auch fasziniert hörten die Mädels meinem Monolog zu, fieberten förmlich in der Freude mit. In beinah jeden Satz musste ich erwähnen, wie schön es war, Zeit mit ihm zu verbringen, auch wenn ich mir dessen bewusst war, dass es nicht viel mehr als Freundschaft darstellte. Zwischendrin seufzte ich, aber bereit für einen Erik Zwei-Punkt-Null fühlte ich mich auch nicht.
      “Das klingt ganz danach, als hättest du einen schönen Vormittag gehabt”, schlussfolgerte Lina grinsend, während sie die Bürste abstreifte. In sanften Bewegungen flirten die kleinen Staubkörner durch die Luft und glitzerten in dem Sonnenstrahl, der zwischen den Wolken her brach, bevor sie zu Boden trudelten.
      “Vriska, darf man fragen, was Basti gestern Abend meinte, als er sagte, er sei auf der Flucht?”, schob sie eine Frage hinterher, die allem Anschein nach bereits eine Weile in ihrem Kopf herumspukte.
      „Vor seiner Freundin“, führte ich an.
      Laut stöhnte Nour neben mir auf und hielt sich die Hand die Stirn.
      „Du kannst dir nicht vorstellen, was sie für ein Drama gemacht hat“, begann sie zu erzählen. Bastis genauen Beweggründe wusste ich nicht, fragte aber auch nicht danach, solang es ihn zu mir führte. „Erst muss sie wirklich jedem unter die Nase binden, dass sie endlich schwanger sei und doch so unabhängig, aber schickt dann Basti von einer Sache zur nächsten. Nicht mal das Pferd schaffte sie allein zu putzen, als hätte sie eine ernsthafte Behinderung.“
      Ich konnte es mir gut vorstellen und rollte mit den Augen.
      “Ui, das hört sich nervtötend an. Verständlich, dass man so jemandem lieber aus dem Weg geht”, verzog die Kleine missbilligend das Gesicht, “Mein Beileid an alle, die das ertragen müssen.”
      “Vor allem”, Nour schlug die Beine zur anderen Seite über, “keiner von uns ist sich wirklich sicher, dass er der Vater ist.”
      Verwundert drückte ich die Brauen zusammen und drehte mich zu meiner Kollegin. Auch Lina putzte nur noch dieselbe an der Sattellage mit der Gummibürste.
      “Muss ich es hinterfragen?”, kam es kleinlaut aus mir heraus, denn eigentlich wollte ich mich solchen Gerüchten nicht hingeben, aber in der Situation war zu verlockend.
      “Nur so viel, Lars ist fest davon überzeugt, dass etwas falsch läuft. Basti und Nelly sind schon länger nicht mehr so fest miteinander, also nicht wie ihr beide. Erst durch dich lief das Fass über oder war zumindest ein Auslöser für ihre krampfhafte Eifersucht.”
      “Ach, das kommt mir doch bekannt vor”, sagte ich lachend zu Lina.
      “Oh ja, du scheinst solche komplexen Situationen magisch anzuziehen”, sprach Lina nachdenklich, als sie ginge sie die Kette der Ereignisse in Gedanken noch einmal analytisch durch.
      „Ein Träumchen“, lachte ich.
      „Jetzt seid doch mal still!“, ärgerte sich Nour, dass ich sie unterbrochen hatte.
      „Und jetzt versucht sie dich loszuwerden”, beendete sie die Erzählung.
      “Ahja, gut. Dann wünsche ich ihr viel Spaß dabei. Für solch einen Kindergarten ist mir allerdings meine Zeit kostbar”, stellte ich nüchtern fest. Die Frau kannte mich nicht und ich sie nicht. Dass ihr plötzlicher Hass nicht von irgendwo kam, konnte ich noch nachvollziehen, aber es gehörten mindestens zwei dazu. Kopfschüttelnd richtete ich mich auf. “Aber wunderbar, dass ihr alle so großes Interesse an meinen Beziehungen hegt.”
      “Ja, das Interesse an den Mitmenschen ist hoch”, grinste Lina unschuldig, “außerdem passiert hier sonst nicht wirklich viel Interessantes.”
      “Harlen schleicht sich seit ein paar Tagen nachts aus seiner Hütte”, funkelten Nours Augen plötzlich auf. Für einen Moment hatte ich verdrängt, dass mein Bruder noch existierte, schließlich bekam ich ihn nur noch selten vors Gesicht.
      “Nun, vielleicht geht er mit dem Hund?”, verzog ich skeptisch das Gesicht.
      “Nein, er fährt mit dem BMW dann los”, grinste sie, “außer er möchte woanders mit dem Hund gehen, aber dann nachts?”
      “Oha, ob dein Bruder versucht eine Liebschaft zu verstecken?”, kicherte die Brünette, deren helle Augen sofort begonnen hatte zu leuchten, als hätte man Lichter hinter dunklen Scheiben eingeschaltet.
      „Bisher hat er es doch mit Jonina getrieben, kaum vorstellbar, dass er woanders hinfährt“, blieb ich unbeeindruckt.
      „Und warum sprechen sie nicht mehr miteinander? Ich denke nicht, dass er zu ihr fährt“, stellte sie fest.
      „Dann frag ihn doch“, zickte ich und drehte mich auf den Hacken um. Wenn er sich nicht für mich interessierte, tat ich ihm gleich. Soll er doch von Bett zu Bett springen, das geht mich nichts an.
      “Ist ja gut, du möchtest darüber nicht sprechen”, beschwichtigte Lina sogleich, “kein Grund gleich unfreundlich zu werden.”
      „Er hasst mich, also was erwartet ihr? Dass ich Luftsprünge mache, weil er glücklich ist?“, jammerte ich mit versagender Stimme und schielte zu Happy, der seinen Kopf aus der Box streckte. Da war es wieder. Ich musste mich bis morgen entscheiden, aber hatte es vollkommen vergessen.
      “Warte, wie kommst du denn darauf, dass es dich hasst?”, hakte sie irritiert nach und versuchte sich einen Zusammenhang zu erschließen.
      „Weil er seit Weihnachten nicht mehr mit mir gesprochen hat und bis heute der Meinung ist, dass ich keine Lust auf die Familie hätte, deswegen mich überall einmische und keine Ahnung habe“, ratterte ich herunter, obwohl ich überzeugt war, sie würde das bereits wissen. Sie seufzte, strich ihrer Stute dabei über das dunkle Fell.
      “Fall es dich beruhig, ich habe seit über drei Jahren nicht mehr richtig mit meinem Bruder geredet“, scherzte sie selbst ironisch, bevor sie zurück zum eigentlichen Thema kam.
      “Ignoranz heißt noch lange nicht, dass Harlen dich hasst. Vermutlich versteht er nur nicht, was in dir vorgeht und was deine Beweggründe sind und wenn ihr nicht sprecht, ist es einfacher sich selbst eine Meinung zu bilden”, sprach sie mit bedacht.
      „Du kannst auch nicht erwarten, dass jeder auf dich zugeht, sondern auch Interesse an ihm zeigen“, belehrte Nour. Sie war weniger bemüht, die Worte durch die Blume hinwegzusagen und wirkte auch nicht sonderlich begeistert von mir.
      Ich nickte nur, wollte mich auf keine Diskussion einlassen. Stattdessen verschwand ich über den Kiesweg, der sich noch immer durch tiefe Furchen der Baufahrzeuge auszeichnete. Wie ein Storch torkelte ich zur Hütte und war froh, endlich die zwanzig Zentimeter unter mir los zu sein. Ich zog mich um und startete währenddessen die Kaffeemaschine. Es bereits auf meinem Plan zu arbeiten, aber eine innerliche Kraft wollte nicht, dass ich zurück zum Stall ging. Für heute musste ich mich dem Gefühl widersetzen. Und ich tat es. Umgezogen, abgeschminkt und mit der Brille auf der Nase lief ich zurück. In der Hand hielt ich die Kaffeetasse, aus der es dampfte. Behutsam trug ich sie bei mir und war überrascht, dass die Mädels noch immer an Ort und Stelle verharrten.
      „Es ist ziemlich absurd, dass du solch Scheußlichkeiten denkst“, hörte eine zu sehr bekannte Stimme sagen. Natürlich mussten sie sich wieder einmischen, aber vielleicht war es auch angebracht. Genervt und verärgert nahm ich mir dennoch vor, zu sein.
      „Du hast mich doch vollkommen aus deinem Leben gestrichen. Was soll ich sonst denken?“, versuchte ich, meine zitternde Stimme zurückzuhalten, aber selbst meine Hände bebten.
      „Lass uns allein sprechen“, schlug Harlen vor und sein Blick wechselte zwischen den beiden Mädels, die beinah enttäuscht waren.
      „Wieso? Ich habe nichts zu verheimlichen“, spielte ich auf Nours Gerüchte an.
      „Nun gut“, seufzte er und setzte sich hin. Ich stellte jedoch nur meinen Kaffee bei ihm ab, um Happy aus der Box zu holen. Irritiert sah mich mein Bruder an, aber ich konnte beides verbinden und tat dies auch. Der Hengst folgte mir beinah seines Namens entsprechend und legte nicht einmal die Ohren an, als wir an Redo vorbeikamen. Ihr mangelndes Interesse war wohl der ausschlaggebende Grund.
      „Ich hasse dich nicht“, stellte Harlen klar.
      „Okay“, nickte ich und bürstete und großen kreisförmigen Bewegungen den Rippenbogen des Fuchses. Dieser döste mit dem Huf angewinkelt.
      „Es ist nur so, dass du dich vollkommen abschottest und ich nicht mehr die Geduld habe, dir nachzulaufen“, erklärte er weiter.
      „Und deswegen ignorierst du mich?“, stoppte ich das Putzen für einen Moment und sah zu ihm.
      „Du kommst nie von selbst“, blieb er in seiner Verteidigung. Verwundert sah ich ihn an.
      Ich war oft im Büro, auch wenn er nur selten dort zu finden war, was mich, angesichts seiner Arbeit, verwunderte.
      „Das stimmt so nicht“, mischte sich Nour ein, „Du bist kaum da. Leider muss deine Schwester in dem Punkt in Schutz nehmen.“
      „Viele Termine finden auswärts statt, das stimmt“, ging er nur halbherzig an ihre Aussage heran, „aber gut. Dann sind wir uns einig, dass wir uns uneinig sind und machen so nicht mehr weiter?“
      „Wenn du meinst“, zuckte ich mit den Schultern.
      „Ich nehme das als ein Ja. Ach, wenn ich schon mal hier bin. Was ist mit dem Fuchs? Willst du ihn oder nicht, die Besitzer haben vorhin schon wieder gefragt“, wechselte Harlen schlagartig das Thema.
      „Erst gestern hat man mich damit konfrontiert. Lina hat über ein halbes Jahr darüber nachgedacht ein Pferd zu kaufen und ich soll mich innerhalb von vierundzwanzig Stunden entscheiden?“, eine Augenbraue zog ich nach oben. In Harlens Gesicht erkannt ich, dass er genauso gut wusste, wie ich, wie schwer mir kluge Entscheidungen fielen und ich besonders bei Pferden vorsichtig war.
      „Die Mädels können dir bestimmt helfen“, lächelte er aufmunternd. „Sonst halte ich sie weiter hin, schließlich hast du auch fast Geburtstag, also gönne dir mal etwas Ruhe.“
      Mit diesen Worten verabschiedete er sich und verschwand zum Tor hinaus. Ich stand mit den beiden in der Gasse, einer schockierter als der andere. Gekonnt hatte ich auch meinen Geburtstag in vier Tagen in den Hintergrund geschoben, denn damit jährte sich auch Jennis Tod.
      “Habe ich das richtig gehört, Happy soll verkauft werden?”, hakte Lina erstaunt nach.
      “Das stand doch schon von Anfang an fest, nur, dass es direkt passieren soll”, ich seufzte und fummelte an seiner Mähne herum, die lockig am Hals herunterhing. “Mir fällt es schwer, ihn ernsthaft, so für immer zu nehmen.”
      “Das kann ich verstehen, solange kennst du ihn ja noch nicht”, nickte sie verständnisvoll.
      „Ich kenne da eventuell, wen“, kam Nour zu Wort. „Alexa sucht ein Pferd zum Trödeln und bisschen Turnier, wenn es sich ergibt. Wenn wir ihr sagen, dass das Pferd noch weiterhin Beritt benötigt, sollte das kein Problem sein. Durch die Kinder hat sie ohnehin nicht so viel Zeit.“
      „Und was möchte sie dann mit einem Pferd?“, wunderte ich mich, auch wenn es nicht meine Angelegenheit war.
      „Zum Ausreiten, Liebhaben. Was nun mal Freizeitreiter mit ihren Tieren tun“, zuckte sie mit den Schultern.
      „Okay, dann schlage ihr ihn doch vor“, sagte ich.
      „Es ist Bastis Schwägerin, falls dich das besser stimmt“, fügte sie hinzu und tippte währenddessen auf dem Handy. Dann hob sie es an. Ich nahm einen großen Schritt zur Seite, um nicht im Bild zu sein. Nour grinste sofort.
      „Sie fragt, wann sie vorbeikommen kann.“
      Mit Fragezeichen in den Augen blickte ich zu Lina, die Redo den Sattel festzurrte und zur Trense griff.
      “Idealweise noch heute”, schlug sie vor, “Je schneller das Problem gelöst ist, desto besser.”
      Ich nickte zustimmend.
      Kaum waren die Worte aufgesprochen, texten die beiden weitere Nachrichten hin und her. Ich putzte gleichzeitig den Fuchs weiter und Lina setzte ihren Helm auf.
      „Sie fragt, ob jetzt geht, also so in dreißig Minuten“, sah sie vom Gerät auf.
      „Ja, ich schätze schon. Ich weiß nicht, was die Besitzer sich vorstellen, aber das sollte in der Zeit herausgefunden werden können“, versuchte ich zu lächeln, aber konnte mich noch nicht mit dem Gedanken anfreunden. Happy war sensibel und an mich gewöhnt. Jemand Neues könnte ihn meilenweit zurückwerfen, aber so gab es zumindest die Chance, es zu kontrollieren. Also stimmte ich zu und machte mich direkt auf den Weg zum Büro. Vorher stoppte ich noch bei Lina.
      „Wo gehst du mit ihr hin?“, fragte ich nach, um mit Happy etwas vorausplanen zu können.
      “Ich wollte in die Halle gehen”, gab sie mir bereitwillig Auskunft.
      „Okay, würde es sich stören, falls sie auch in die Halle möchte? Sonst biete ich ihr nur den Platz an?“, fragte ich nach.
      “Nein, absolut kein Problem, die Halle ist ja groß genug”, lächelte Lina froh gestimmt.
      Ich bedankte mich und huschte hoch ins Büro. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann hatte ich die Besitzerin am anderen Ende. Ihr erläuterte ich die Situation sehr genau, dass ich ihn mochte, aber nicht bereit für ein eigenes Pferd war – von dem Pony wusste schließlich kaum einer – aber bereit wäre, den richtigen Besitzer zu finden. Sie freute sich darüber, erst recht, dass ich bereits jemanden hatte.
      „Aber, was ist mit Hending?“, fragte diese zum Schluss. Ach ja, der Mini Tinker kam in dem Zuge ebenfalls zum Hof. Bisher kümmerte sich Lina um die Kleine.
      „Die können wir ebenfalls vermitteln“, bot ich an. Mir wurden noch die Preise erläutert und ich würde von beiden fünfzehn Prozent des Erlöst bekommen, fand ich mehr als fair und damit beendete ich das Gespräch.
      „So, alles geklärt. Ich soll beide Pferde vermitteln und habe volle Freiheit bekommen“, sagte ich grinsend, auch laut genug, dass Lina es hören konnte.
      “Perfekt, dann muss das nur noch funktionieren, mit Happy. Das Fusselmonster bekommst du sicher leicht vermittelt”, hallte eine Antwort durch das Gebäude.
      Ihre positive Einstellung schlug nur für einen Wimpernschlag auf mich über, denn dann wurde ich nervös. Ich wusste nichts über die Dame und konnte mir nur schwer vorstellen, welche Auswirkungen es auf die Beziehung zwischen Basti und mir bedeuten könnte. Wusste sie davon? Am besten, ich würde all das ignorieren. Das Herz überschlug sich und ich musste mich setzen. Mein Kaffee stand noch immer dort, mittlerweile kalt. Leise seufzte ich, aber sippte am Rand der schwarzen Tasse. Ich kam zur Ruhe. Nour sprang zur gleichen Zeit auf und lief hinaus. Immerhin hatte ich Happy schon vorbereitet, also konnte nichts mehr schiefgehen.
      Eine große blonde Dame lief neben Nour her, lachte freundlich und sah sich im Gebäude um. Ihr folgte Hedda, die freudig auf mich zu gerannt kam.
      “Vriska”, kreischte sie meinen Namen durch den Stall. Der Hengst streckte auf, aber beruhigte sich im nächsten Atemzug. Der Rotschopf stellte keine Bedrohung dar und wollte nicht zu ihm.
      “Es wird nicht im Stall gerannt, weißt du doch”, erinnerte ich sie freundlich, aber bestimmt. Sie nickte und sah sich zu Alexa um. Die schmale, aber kräftig gebaute Frau sah man nicht an, dass sie Zwillinge ausgetragen hatte. Zumindest dieser Umstand schindete Eindruck. Ihre Gesichtszüge waren trotz des freundlichen Lächelns rau und eingefroren, die Haut angegriffen. Die Haare trug sie in einem lockeren Pferdeschwanz und am Körper eine simple dunkle Reithose, einer hellen Jacke und schwarzen Weste darüber.
      “Nett dich nun auch persönlich kennenzulernen”, reichte sie mir die Hand, „Basti hat bereits einiges erzählt.“
      „Ähm, ja, danke, also“, rang ich nach den richtigen Worten und verspürte genau die Hitze in meinen Kopf aufsteigen.
      „Das ist Happy“, übersprang ich den Teil des Gesprächs. Alexa trat langsam an den Fuchs heran, der erstaunlicherweise die Ohren aufstellte und an ihrer Hand schnüffelte.
      „Keine Sorge, bei uns ist euer Geheimnis sicher“, setzte sie unbeirrt fort.
      „Welches Geheimnis?“, wunderte ich mich sofort.
      „Er meinte, er hätte jemanden kennengelernt und es könnte etwas Ernstes daraus werden“, trat nun bei ihrem gleichen Zustand ein. Obwohl mir ihre Worte das Herz erwärmten, konnte ich nicht genau einordnen, worauf das hinauslaufen sollte.
      „Ähm“, stammelte ich wieder heillos überfordert.
      „Die beiden lernen sich doch erst einmal kennen, Alexa. Nicht jede Beziehung läuft bilderbuchmäßig ab, wie mit dir und Henne. Außerdem kennst du doch Basti“, lachte Nour. Zuversichtlich nickte sie mir zu.
      „Du hast recht, aber ich höre doch immer die Kirchenglocken läuten“, scherzte die Blonde.
      „Happy ist sieben Jahre alt, bis zur schweren Dressur ausgebildet, aber läuft unter mir aktuell nur auf mittlerem Niveau“, betete ich stattdessen die Fakten herunter.
      „Vriska, alles gut. Entspanne dich“, beruhigte mich Alexa, „solang er drei Gänge durch den Wald geht, ist mir alles recht.“
      „Ja, tut er“, nickte ich hektisch.
      „Na dann, wo ist dein Pferd?“, hakte sie nach. Offenbar wollte sie dies sogleich austesten. Schwierig, denn bisher war ich nur mit Sulky im Wald oder allein, zusammen mit einem anderen Reiter versuchte ich zuvor noch nie.
      „Wollen wir nicht erst einmal in die Halle, dass du ein Gefühl für ihn bekommst?“, versuchte ich ihr den Gedanken auszutreiben.
      „Was im Wald nicht funktioniert, wird auch in der Halle nicht besser sein“, ließ sie sich nicht von ihrem Plan abbringen. Im Kopf ratterte unter Bestand durch. Es gab nicht viele sichere Pferde für ein solches Unterfangen. Die verrückten Jungpferde wären genau das Gegenteil und die aktuell rossigen Stuten ebenfalls. Damit blieb nur unser Haflinger Fly, auf dem ich noch nie saß, oder Glymur.
      Unentschlossen stiefelte ich los in den Stall gegenüber. Glücklicherweise traf ich Bruce an, dem ich sogleich die Situation erklärte. Er sah hinter sich die Stallgasse hinunter.
      “Ich dachte schon, dass du nie fragen wirst nach ihm. Also klar, nimm ihn dir ruhig”, lächelte er freundlich. Überschüttet mit tausenden Danksagungen lief ich direkt zu seiner Box, in der er, den Kopf in einem Heuhaufen gesteckt, stand. Ich schnalzte, dann kam der Isländer sofort an. Sanft und beinah in Zeitlupe strich ihm über den Nasenrücken. Im gleichmäßigen Tempo bewegten sich seine Nüstern. Ich war wirklich dankbar für diese Möglichkeit.
      Bei uns im Stall putzte ich den Schecken über, holte meinen so gut wie genutzten Sattel und seine Trense, die damals in Kanada schon hatte. Alles für ihn besaß sich noch, würde es nie weitergeben. Wenig später waren wir bereit.
      Ich half Alexa auf den großen Fuchs und stieg schließlich selbst in den Sattel. Kaum zu glauben, dass es Zeiten gab, in denen ich täglich auf einem Isländer saß und dass etwas anderes Gefühl in Viertakt genoss. Aber mir kamen alte Erinnerungen, gut, denn vor genau einem Jahr kam er zu mir und in mir herrschte noch jene Zuneigung wie zuvor. Mit einem breiten Lächeln thronte ich im Sattel, aber behielt das Paar neben mir in den Augen. Tatsächlich wirkten sie sehr harmonisch zusammen. Der Fuchs prüfte mehrmals, ob ich da war und wunderte sich zu gleichen Teilen über das Pony. Aber seine Ohren waren vorn, nur eins kreiste wie Radiomast und peilte Alexas Stimme ab.
      Schritt, Trab, Galopp – alles testeten wir im Wald und recht schnell stand für die Blonde fest, dass Happy genau das Richtige war. Ich zweifelte noch, denn über den Preis verloren wir bisher kein Wort und wusste, dass das Deutsche Sportpferd auch andere Tage hatte. Schließlich war er müde vom Turnier am Vortag.
      „Du, sage mal“, sagte Alexa und wendete ihr meinen Blick zu, „in Manstrop bist du auch am Montag, oder?“
      Die ganze Zeit hatten wir nur über Happy gesprochen, dass es nun wieder auf das Thema zurückkam, wunderte mich wiederholt.
      „Ja, wir bleiben über die Nacht“, erklärte ich wahrheitsgemäß.
      „Ach, das ist toll“, grinste sie beinah verliebt und klopfte den Hals des Pferdes.
      „Bist du auch da oder weshalb fragst du?“, hakte ich unverfroren nach.
      „Ja, Hennes Stute läuft mit und sein Trainingspferd ebenfalls. Das hat seine Qualifikation letztes Mal bekommen und wird nun vorgestellt“, sprach sie freudig erregt, als wäre es ein großes Jubiläum.
      „Das ist schön“, lächelte ich.
      Abschließend verabschiedete sie sich am Hof. Hedda kam hinter Nour hergelaufen und warf sich mir um den Hals, als wäre ich für immer weg. Morgen würde Alexa noch ein weiteres Mal vorbeikommen und den ganzen Haushalt mitbringen, schließlich sollte der Hengst ein weiteres Familienmitglied werden. Am Montag wollte sie mir die Entscheidung mitteilen. Zeitlich schien es mir gut zu passen. Ich plante, heute Abend mit Happy noch einmal in die Halle zu gehen, nur um sicher zu sein, dass morgen alles passen würde. Mittlerweile stand er in seiner Box. Nur Glymur war noch unter dem Rotlicht und trocknete. Während ich also wartete, dass der Isländer fertig wurde, setzte ich mich auf die Bank gegenüber und holte mein Handy heraus. Gelangweilt swipte ich die Instagram-Timeline hindurch, sah mir Niklas neuesten Bilder an und schaute provisorisch in meine Nachrichten. Tatsächlich hatte mir Basti geschrieben, denn seit dem Nelly wieder aktuell war, kontrollierte sie alles, was er sonst tat – nur hier nicht.
      „Danke für den schönen Vormittag. Aber sage mal, Happy kommt weg? Und Nour dreht ihn Alexa an? Schon ziemlich verrückt. Melde dich bitte, wenn du mehr weißt“, las ich und tippte umgehend eine Antwort: „Bitte, ich bin auch sehr dankbar. Ja, offenbar. Die beiden passen gut zusammen. Sie möchte morgen noch ein weiteres Mal testen und dann bleibt abzuwarten, wie sie sich Montag entscheiden.“
      Kaum war sie Nachricht abgeschickt, öffnete er diese bereits. Es dauerte einen Moment, dann kam seine Antwort rein.
      „Es wäre schön, wenn sie auch wieder ein Pferd hat. Sie hat das Reiten in der Schwangerschaft sehr vermisst. Hat sie sonst etwas gesagt?“
      „Ja, einiges. Unter anderem, dass sie bei uns die Hochzeitsglocken hört, aber den Zahn habe ich ihr direkt gezogen, haha“, formulierte ich möglichst galant, nur wenig über meine eigenen Gefühle preisgegeben zu haben. Obwohl die Nacht gelesen wurde, dauerte es, bis eine Antwort kam.
      „Warum?“, leuchtete einzig das Wort auf dem dunklen Bildschirm.
      „Ist es nicht etwas früh, an eine Hochzeit zu denken?“, tastete ich mich langsam heran.
      „Ach so, ja. Du hast recht. Aber, wäre es in deinem Interesse?“, einerseits erfreute mich seine Frage, andererseits hatte ich Angst, dass ich zu schnell, zu viel Emotionen in ein uns steckte.
      „Ja“, schrieb ich bloß.
      „Ok“, antwortete er, dann tauchten die Punkte auf, „ich möchte dich bei mir haben heute Abend. Kommst du mit zu meinen Freunden und danach schlafen wir im Hotel?“
      Irritiert huschten meine Augen immer wieder über seine Aussage und ich noch nicht ganz begreifen, wieso er, seit dem Abstand derart besessen war. Nicht, dass ich ein Problem damit hatte – ganz im Gegenteil – ungewöhnlich, dafür, dass ihm jeder als kalt und gefühllos bezeichnete. Bevor ich ihm zusagen konnte, kam Lina mit Redo und ich steckte das Handy weg. Aufgeregt brummte Glymur über den Besuch eines anderen Pferdes. Die dunkle Stute beschnupperte ihn kurz, doch hegte kein übermäßiges Interesse an dem Hengst. Lina hingegen begrüßte das kleine Pferd erfreut mit einem Leckerli: “Du hast Glymi hergezaubert, wie schön.”
      „Und wie ist es gelaufen? Gefällt ihr Happy?“, erkundigte sie sich sogleich, während sie ihrer Stute die Trense abzog. Kaum berührte das Leder nicht mehr ihren Kopf, regte sie den Kopf zur Seite und schubberte sich am Anbindebalken.
      “Wenn man aus dem Tor geht, dann hundert Meter an den Stuten vorbei, gelangt man zu den Isländern. Es ist kein Hexenwerk, ihn hierherzuführen”, erläuterte ich grinsend, “und ja, ihr gefällt der Fuchs. Morgen kommt sie mit der ganzen Sippe.”
      “Das klingt, als sei er nahezu verkauft”, lächelte sie.
      “Und ich bekomme fünfzehn Prozent vom Verkaufspreis, also werden neue Sets gekauft”, zog ich wieder mein Handy hervor. Natürlich verspürte ich ein hintergründiges Stechen in der Magenregion, aber bei Alexa hatte ich ein gutes Gefühl. Die Mutter von zwei Kindern war die Ruhe in Person, kam dem Pferd entgegen, ohne dabei sauer zu werden.
      “Bald benötigst du ein eigenes Zimmer nur für Pferdezeug”, scherzte Lina, obwohl sie selbst auch eine beachtliche Sammlung vorweisen konnte.
      “Das aus deinem Mund”, schüttelte ich belustigt den Kopf.

      18:04 UHR

      Stunden später saß ich neben Lina auf der Tribüne, die gespannt zur Reitbahn sah. Sam war mit zwei ihrer Stuten zum Training auf den Hof gekommen. Meine Kollegin wusste bisher nichts davon, bis Mateo kurz vor der Ankunft sie darüber in Kenntnis setzte. Seitdem konnte sie weder stillsitzen noch stehen. Was für mich immer mehr die Rennpferde wurden, drehte sich ihre Gedankenwelt einzig allein, um die schweren Warmblüter aus der Schweiz.
      Ich hatte die Isländer Stute im Beritt, bereits gearbeitet, Crash longiert und war mit Maxou für zwanzig Minuten auf dem Platz. Der raue Wind und der leicht einsetzende Nieselregen verderbten uns beiden die Stimmung intensiv zu arbeiten. Also saß ich nun mit dabei, beobachtete, wie leichtfertig die blonde junge Dame mit dem hellen Fuchs durch den Sand setzte. Verita, wie mir das Pferd vorgestellt wurde, stand an den Hilfen und schwebte im Rahmen ihrer Möglichkeiten über dem Boden. Für eine neunjährige Stute kam sie ihrem Ausbildungsstand nah. Keine schwere Dressur, aber die Anlehnung war da und man sah deutlich, dass Sam am Schwung arbeitete. Einen gewissen Charme versprühten die beiden, aber ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, dass ich mich darin verlor wie Lina. Es war niedlich und eine gelungene Abwechslung zu den Teppichklopfern in Kalmar, die dort die Halle gescheucht wurden, in einer so engen Montur, dass selbst mir der freie Wille verloren ging beim Zusehen. Vielleicht sorgte schon diese Tatsache dafür, dass ich mich emotional nicht an Happy binden konnte, dem Gedanken, dass ich mich in einem System aus Tierquälerei und Symptome Behandlungen begeben könnte.
      Ich schüttelte mich, um aus dem absurden Teufelskreis in mir zu fliehen. Aber es war auch mein Handy, das Aufmerksamkeit erwartete. Dumpf vibrierte es in gleichmäßiger Tonart auf dem Holz. Für einen Moment sah ich es an, aber dann zog Mateo mein Interesse auf sich. Er kam auf die Reitbahn mit einem weiteren Fuchs, Selva, dem anderen Pferd von Sam und begann ein Hindernis aufzubauen. Die Stute stellte er in der Mitte ab. Ihr Blick rotierte im Raum, aber wie angewachsen verharrte sie.
      „Vriska, sag mal, bist du taub, oder was?”, äußerte meine Kollegin ihren Unmut über das störende Geräusch.
      „Oh“, entfloh es mir als einziges und betätigte den Sperrknopf, ohne überhaupt auf den Bildschirm zu blicken. Wer auch immer anrief, musste warten, bis mein Erstaunen über den strahlenden Fuchs mit Stern nachließ. Doch so weit kam es nicht, denn es läutete immer wieder, bis instinktiv den grünen Hörer betätigte.
      „Wo bleibst du?“, hörte ich fragen.
      „Äh“, wunderte ich mich im ersten Moment. Zu lange benötigte mein Gehirn, um die Informationen zusammenzufassen. „Jetzt schon?“
      „Ja, ich habe die mehrmals geschrieben, dass wir uns früher treffen und ich dachte, du kommst auch direkt“, sagte Basti hörbar genervt, als wäre es ein Weltuntergang, dass für ein paar Minuten nicht am Handy hing.
      “Hui, was hat dich denn gestochen?”, hakte ich flapsig nach und verschränkte den freien Arm vor meiner Brust.
      “Nelly hat davon erfahren, dass wir uns heute getroffen haben von einer Freundin, die uns gesehen hat”, änderte sich seine Stimmenlage.
      “Mh. Und dann soll ich heute dabei sein?”, fragte ich verdutzt nach und sah mit Hilfe suchenden Augen zu Lina, die jedoch Mateo auf dem edlen Ross folgte. Wenn ich es nicht besser wüsste, stellte sie sich sehr genau vor, was wohl unter dem ganzen Stoff stecken würde.
      “Es klingt blöd und ist vermutlich unüberlegt, aber ja. Ich möchte mich ablenken und du bist die Einzige, die mich versteht”, seufzte er niedergeschlagen. Eigentlich fühlte ich mich wie im falschen Film, eher schlecht verstanden als überhaupt, aber gut. Ich musste bei ihm sein, das wusste ich zumindest.
      “Okay, dann ziehe ich mich um und fahre dann los”, redete ich Basti gut zu. Er legte auf und ich steckte das Handy weg.
      “Wenn ich nicht wüsste, dass dein Ritter gerade mit einem Bino kämpfte, würde ich dir diesen wärmstens empfehlen”, flüsterte ich Lina ins Ohr und sah zu Mateo, der mittlerweile über Stangen trabte.
      “Aber dann weißt du ja, dass kein Bedarf nach einem neuen Ritter besteht”, murmelte sie, als fühle sie sich ertappt.
      “Freut mich, dass es bei euch vorangeht”, lächelte ich, “aber meiner weint, ich muss los.”
      “Dann wünsche ich dir viel Spaß beim Trösten”, grinste sie.
      Im Zimmer wechselte ich meine Kleidung, verschleierte die tiefen Augenringe hinter Schminke und lief schließlich zum Auto. Auf der roten Motorhaube reflektierte der Himmel der untergehenden Sonne. Dahinter standen die Pferde friedlich rasend auf der Weide und freuten sich, dass der Frühling in vollen Zügen über das Land rollte und die Weidesaison einläutete. Allerdings kam mir auch etwas anderes in den Blick. Niklas hatte sein, zum Ausgleich aller Minderwertigkeitskomplexe, Auto abgestellt und sah mich leider auch.
      “Offenbar wird der Tag noch besser, wenn du endlich gehst”, grinste er scharf.
      “Denkst du nicht, dass das Thema langsam durch ist? Niemand nimmt dich noch ernst, also kannst du es auch sein lassen”, sprach ich pikiert und öffnete die Tür meines kleinen Autos.
      „Niemand? Da bin ich mir nicht sicher“, hielt Niklas meine Autotür fest, um mich am Losfahren zu hindern.
      „Anstelle mich weiter aufzuhalten, soll ich dir nicht lieber deinen Willen erfüllen“, rollte ich mit den Augen und zog ein weiteres Mal an der Tür, in der Hoffnung, er würde davon ablassen. Das war nicht der Fall, stattdessen grinste er schief. “Zeitweilige körperliche Bedürfnisse solltest du mit deiner Freundin besprechen, nicht mit mir.”
      “Du weißt am besten, dass das etwas ganz anderes ist”, zog er eine Braue nach oben und schien etwas zu erwarten, was ich nicht bieten konnte.
      “Niklas, ich fühle mich nicht wohl in deiner Nähe”, appellierte ich.
      “Nun gut”, seufzte er, “dann lass ich dich in Ruhe.”
      Endlich nahm er die Hand von meiner Tür, die sofort zu zog und den Schlüssel ins Zündschloss steckte. Kaum war dieser gedreht, schloss sich die Zentralverrieglung und ich fuhr vom Hof. Mein Herz raste, ungewiss, ob es am Grund meiner Fahrt lag oder dem ungünstigen Zusammentreffen mit Niklas. Dass er so sehr der Vergangenheit nachjagte, fiel mir schwer nachzuvollziehen. Bis ich bei Bastis Freund an der Tür klingelte, versuchte ich eine Antwort auf die Aktion zu finden, aber es gab keine. Nichts deutete auf seine Motivation hin, einzig Kontrollwahn. Aber es sollte endlich Schluss sein. Ich atmete tief durch und drückte den Klingelschalter bis zum Anschlag. Als hätte Basti bereits durch den Spion geschaut, öffnete sich Tür sofort. Mit einem breiten und erleichterten Lächeln blickte er mich an, um im nächsten Moment in die Arme zu nehmen und fest an sich zu drücken. Er trug einen anderen Duft als sonst, holziger, aber milder für die Nase.
      Der Abend verlief ähnlich wie der vorherige. Den Großteil der Zeit saß ich neben ihm auf der Couch, die Arme locker vor meiner Brust verschränkt und die Männer am Trinken. Wirklich willkommen fühlte ich mich nicht, denn den Gesprächen zu folgen, fiel mir schwer und die Themen waren ebenso oberflächlich, wie ich es aus der Schulzeit kannte. Natürlich zweifelte ich bis spät in die Nacht hinein und schlief sogar an seiner Schulter ein. Irgendwann wurde ich durch ein Flüstern am Ohr geweckt.
      „Wollen wir ins Bett?“, fragte Basti mit lallendem Unterton.
      „Okay“, murmelte ich verschlafen und richtete mich auf.
      “Wir können bei Jan im Gästezimmer bleiben, dann musst du nicht fahren”, schlug er vor.
      Ich nickte und folgte ihm. Meine Brille hielt ich in der Hand, sah also nur halb, wohin ich folgte. Aber das kleine Zimmer war altmodisch, aber wohnlich eingerichtet. An den Fenstern hingen dünne verzierte Gardinen, daneben Vorhänge in Weiß mit einem dunklen Balken unten. Das Bett, auf der nur eine große Decke lag, war ebenfalls weiß bezogen und alle Möbel aus hellem, naturbelassenem Holz. Etwas verloren stand ich an der Tür, während er den Gürtel seiner Hose öffnete und diese herunterzog.
      „Soll ich das Licht ausmachen?“, fragte Basti mit leichter Verwirrung.
      „Äh, tut mir leid“, entschuldigte ich mich, aber konnte Situation noch immer schwer einschätzen. Er lächelte mich an, als könnte er durch meine Augen hinweg, direkt die Gedanken lesen. Neben mir drückte er den Lichtschalter, torkelte zum Bett und schaltete dort eine der Nachttischlampen an. Im warmen Licht zog meinen Pullover aus und die enge Hose, obwohl mich weiterhin das Gefühl beirrte, hier nicht sein zu dürfen. Gerade, als er sein Shirt über den Kopf ziehen wollte, stoppte er in der Bewegung.
      „Ich kann es anbehalten, wenn du dich unwohl fühlst“, lenkte Basti ein. Die Sache war klar: Er konnte Gedanken lesen. Oder Körpersprache lesen.
      “Wie du möchtest”, versuchte ich ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, obwohl es sich falsch anfühlte.
      “Dann behalte ich es an”, beschloss er und legte sich ins Bett. Vorsichtig krabbelte ich dazu. Wie jedes Mal vor dem Schlaf warf ich noch einen Blick auf mein Handy. Tatsächlich hatte Lina mir geschrieben.
      “Dein Ausbleiben deutet wohl auf einen erfolgreichen Abend hin”, war die erste Nachricht, die sie bereits vor geraumer Zeit gesendet hatte. Das hatte sie offenbar direkt dazu veranlasst, noch eine weitere Nachricht zu verfassen: “Dann wünsche ich dir weiterhin viel Spaß mit deinem Ritter.” Am Ende des Satzes leuchtete ein anrüchig zwinkernder Smiley, welches eher untypisch für ihren üblichen Emoji-Gebrauch schien. Später musste sie mir Frage und Antwort dazu stehen.
      “Na, schreibst du deinem Freund noch gute Nacht?”, drehte er sich zu mir. Zweifelhaft huschten meine Augen zu ihm.
      “Natürlich, der vermisst mich ganz doll”, scherzte ich, dabei huschten meine Finger über den Bildschirm, aber Basti nahm es mir weg. Kurz prüfte er meine Reaktion, die es nicht gab.
      “Der wartet sicher auf dich, sonst ist er doof”, lächelte er und legte es auf seiner Seite des Tisches ab. Deutlicher rutschte ich an ihn heran und selbst er, nahm mich näher an sich heran. Obwohl Kuscheln unsere einzigen Zärtlichkeiten wurden, fühlte es sich nach dem perfekten Tag an.

      SAMSTAG, 9:45 UHR
      LINDÖ DALEN STUTERI

      Nach einem gemeinsamen Frühstück trennten sich die Wege wieder. Ein weiteres Treffen wurde nicht vereinbart, was mir einen kleinen Stich versetzte, aber ich musste der Realität ins Auge sehen. Ich war für unbestimmte Zeit seine Ablenkung und nur ein Spielzeug, Forderungen jeglicher Art musste ich zurückziehen und hinunterschlucken.
      Am Hof stand Duschen auf dem Plan. Doch schon auf dem Weg erinnerte mich eine freundliche Nachricht an einen Termin.
      „Hallo Vriska, wir freuen uns schon. Passt die gegen 12 Uhr? Liebe Grüße, Alexa“, schrieb sie. Auf dem Bildschirm starrend, lief ich zur Hütte.
      „Hallo, ja passt. Bis später“, antwortete ich nur und steckte das Handy weg. Die rote Batterie am Bildschirmrand versuchte mir schon seit einer Weile zu signalisieren, dass es Zeit war, dem Gerät keinerlei Beachtung zu schenken.
      „Guten Morgen“, trällerte Lina mir mit bester Laune entgegen, als ihr Weg sie zufällig, oder wohl eher gezielt, zu mir führte.
      „Du hast am Fenster gewartet oder steckt ein Schäferhund in dir?“, kicherte ich beiläufig, aber hielt bei ihr an. Offenbar bewirkte Niklas Wunder oder es waren die weiteren Freiberger in dem Gastpferdestall, die sie am frühen Morgen in Samu-Laune versetzte. Vermutlich war es von allem etwas, während meine Stimmung eher gedrückt auf meinen Schultern lag, was ich mit Höflichkeit bewusst überspielte.
      „Vielleicht ein wenig von beidem“, grinste sie und probierte, nicht einmal ihre Wissbegier zu verbergen, „Wie war dein Ausflug?“
      “Aufschlussreich, denke ich. Du bist offenbar mein Freund. Ansonsten ziemlich eintönig, aber solange er mich bei sich haben möchte, werde ich da sein”, erklärte ich meine Motivation. Vielmehr gab es nicht zu erzählen, außer es interessierte sie, wie viele Biere er trinken konnte, ohne einen Kater zu haben.
      „Cool, ich wusste gar nicht, dass ich zwei Beziehungen führe“, sprach sie erheitert, „Nicht spektakulär, aber entspanntes beisammen sein hat ja auch etwas Schönes.“
      “Das stimmt natürlich”, verschwieg ich alle weiteren Umstände. Bevor ich wieder in mein Loch aus Selbstmitleid versank, verabschiedeten wir uns für den Moment voneinander, denn ihre Pferde hallten durchs Stallgebäude. Das Wiehern könnte auch von Shaker oder Nobelium stammen, so sicher konnte man sich bei dem Geschrei der Hengste nie sein.
      In der Hütte sprang ich unter die Dusche und schnappte mir frische Kleidung. Wie mittlerweile jeden Tag, zog ich keine Reithose mehr an, nur noch Arbeitshosen, denn die meisten Stunden verbrachte ich auf dem Sulky. Seitdem die ersten Jungpferde drei und vier Jahre alt wurden, war es Zeit, sie für die Rennen oder den Verkauf als Reitpferd vorzubereiten. Selbst Zweijährige mussten schon an den Sulky, obwohl Tyrell all die Jahre zuvor versuchte, das System zu umgehen. Ihm gefielen die zu jungen Tiere im Rennen nicht, zu gestresst, vollkommen verrückt.
      Die meisten Jungtiere präsentieren bereits im Training den nötigen Rennwillen und Leistung. Nur wenige Ausnahmen gab es, doch diese waren bereits in neues Zuhause gezogen. Dennoch war jedes Pferd verkäuflich, wie es sich so gehörte, hatte Lars mir an einem Abend erklärt. Nickend nahm ich Tatsache hin, aber hoffte darauf, dass Tyrell Northumbria nur über meine Leiche abgeben würde. Die Interessenten gab es, aber von ernsthaften Angeboten hörte ich bisher nichts – besser so!
      Mit der Kapuze über den Kopf gezogen und den Händen in der Kängurutasche, lief ich zum Stall hinüber. Neugierig stellte Eifel ihre Ohren auf, als ich an der Box vorbeikam und die braune Stute mit den kleinen Abzeichen am Kopf begutachtete. Sowohl auf der Stirn als auch der Nase zeichnete sich eine beinah gleichmäßige Raute ab. Da sie bei Lars im Training stand, fuhr nur er die hübsche Stute. Einzig in die Führanlage durfte ich sie bisher begleiten.
      „Ach, sieht man unseren Topseller auch mal wieder?“, begrüßte mich besagter Herr.
      „Als hätten wir einander gestern nicht angetroffen“, scherzte ich und strich Eifel liebevoll über die Nase. Ihre Lippe bewegte sich interessiert mit.
      „Dennoch habe ich dich bei mir vermisst“, gab er offen zu, „Aber man munkelt, dass du bei Basti warst.“
      „Möglich“, blieb ich verhalten.
      „Auch, wenn mir der Gedanke noch immer nicht gefällt, freue ich mich für dich“, sprach Lars gutmütig, „worauf ich hinaus möchte: Eichi hat sich von ihrer Ankunft gut erholt. Wärst du bereit, dich um sie zu kümmern und zu fahren?“
      Mit weit aufgerissenen Augen sah ich über das Brillengestell hinweg zu ihm hinauf. Obwohl ich nur unklar seine Gesichtszüge erkannt, entzifferte ich Freude darin, die ich auf das Überraschungsmoment schob. Die zehnjährige Stute hatte ihre Rennkarriere zu großen Teilen hinter sich, würde damit ein gutes Pferd für mich sein, weitere Erfahrungen zu sammeln. Ich musste gar nicht lange darüber nachdenken. Wenn Happy nun wegfallen würde, wäre Platz für ein anderes Pferd.
      „Sehr gern“, nahm ich das Angebot dankend an.
      „Perfekt, du hast alle Freiheiten“, erklärte er. „Wie sieht es aus, hast du noch Zeit für eine lockere Runde durch den Wald?“
      „Eine nur?“, gab ich belustigt zurück.
      „Du weißt genau, was ich meine“, wies er darauf hin, dass er ein Jogg fahren wollte, dem ich mir natürlich bewusst war.
      Ich führte meinen neuen Trainingspartner aus der Box. Erst beäugte mich die Stute, schnupperte an der Jackentasche und folgte dann. Mit Ruhe putzte ich das nervöse Pferd über. Sie zitterte am ganzen Körper und wackelte mit der Unterlippe, alles andere als starke Nerven. Wenn sie einen Schritt nach vorn setzte, schob ich sie zurück. Ihr Erinnerungsvermögen sprach für den Namen, den sie trug – Eichkatze. Es fühlte sich an, wie ein unendliches Spiel, kaum setzte sie den Huf zurück und ich kreiste mit der Bürste weiter das Fell, versuchte sie erneut auf Position zurückzukehren.
      „Wusstest du, dass das Stütchen Zweite wurde im Stutenvorlauf?“, fragte Lars und luckte am Balken vorbei zu mir.
      „Welche? Eifel und Eichi?“, holte ich mir genauere Informationen ein.
      „Der plüschige Fuchs, der mich schief anschielt“, legte Lars besonders viel Wert darauf, dass sie nur noch Augen für ihn hatte.
      „Aber warum nur im Vorlauf? Was wurde aus dem Finale geworden?“, hackte ich mürrisch nach.
      „Beim Start gesprungen, das erste und einzige Mal“, zuckte Lars mit den Schultern, „seitdem ging sie von einem Trainer zum nächsten.“
      „Kann ich nicht nachvollziehen, soll das arme Pferd doch in Sportrente gehen. Gibt bestimmt jemanden, der gut mit ihr klarkommt“, sprach nachdenklich und zurrte den Gurt fest. Als würde sie mir zustimmen, wippte sie mit dem Kopf und gähnte.
      „Zumindest im Training ist sie motiviert“, führte er an, aber in seiner Stimme hörte ich Zustimmung meines Vorschlags heraus.
      Auch im Wald unterhielten wir uns weiter darüber, weshalb die Stute im Sport nichts mehr zu suchen hatte. Natürlich kamen wir dabei auch auf Eifel, die ebenfalls schon älter war und Verschleißerscheinungen, wie es in jedem Sport gang und gäbe war, zeigte. Die Aufwärmphase dauerte beinah doppelt so lange, wie die unserer Jungpferde, auch beim Abfahren zählte jede weitere Minute. Sie schwitzte zu stark, schaumig und im Wetterwechsel lahmte Eifel sogar. Heute, an einem eher kühlen Frühlingstag, schwitzten die Stuten schon nach zwanzig Minuten Schritt. Dabei hatten wir noch nicht einmal die Arbeitsphase begonnen. Gegen Wind und eine Erkältung trugen beide eine Nierendecke. Zumindest sollte diese das Schlimmste verhindern.
      Gedanklich bei Happy, aber konzentriert auf den Fuchs vor mir, fuhr ich durch den Sand. Die Pferde hatten wir in den Trab umgestellt und drehten Runde, um Runde. Zwischendurch blickte ich auf den kleinen Monitor vor mir, der zwar voll mit Matsch war, aber die Werte der Stute noch erkennbar. Was auf den meisten Trainingshöfen monatliches Monitoring war, gehörte bei uns zum Alltag. Jedes Pferd hatte am Gurt einen Pulsmesser installiert, der den Herzschlag und die Geschwindigkeit maß und wir konnten diesen Live sehen. Für ihr Alter schlug sich Eichi gut, entgegen ihrer Trainingspartnerin, die zu schnell in ungesunde Frequenzen kam. Lars bremste sie ab und daraus resultierte, dass wir ihn umrundeten.
      „Ich fahre zurück“, sagte er und bremste in den Schritt ab. An Eifels Augen kam das weiß hervor, auch ihre Nüstern pulsierten.
      „Mach‘ das, wir kommen nach“, erklärte ich nachdenklich und legte einen kurzen Sprint ein. Schnaubend kam der Fuchs Tempo. Ihre Hufe trommelten durch den tiefen Sand. Unter mir rasselte der Sulky und die Umgebung verschwamm im Augenwinkel. Gerade, als wir auf Hochtouren kamen, bremste sie aus heiterem Himmel ab, scheute und ich konnte mich am Gestell festhalten. Mit einem Satz sprang Eichi zur Seite. Mir stockte der Atem, aber wir standen und ich saß noch. Direkt stieg ich ab, um mir selbst mit der gefährlichen Situation klar zu werden. Die Stute atmete aus, wie ein Drachen und suchte nach einem anderen Ungeheuer im Busch. Ich sah nichts, hörte nur lautes Rascheln. Was uns beiden das Leben hätte kosten können, blieb im Verborgenen und auch, als wir im Schritt ganz langsam dem Geläuf folgten, trafen wir es nicht erneut.
      Am Hof angekommen, erzählte ich sofort Lars davon, der mich nur skeptisch anschaute.
      „Eichi ist nicht schreckhaft, so gar nicht“, erklärte er ungläubig und klopfte der Stute den verschwitzten Hals. Wieder zitterte sie.
      „Da habt ihr aber ein hübsches Modell am Wagen“, kam ein mehr oder weniger bekanntes Gesicht angelaufen. Abermals zuckte ich zusammen, noch nicht ganz erholt von dem Schock. Es war Bastis Bruder Henne, der, gefolgt von seiner Frau und Zwillingen, die Stute bewunderte.
      „Ja, aber die steht nicht zum Verkauf“, wandte sich Lars ihm zu und begrüßte ihn mit einem beinah brüderlichen Handschlag.
      „Du weißt so gut wie ich, dass jedes Pferd verkäuflich ist“, scherzte dieser.
      „Deswegen sind wir aber nicht hier“, mahnte Alexa, die mich freundlich anlächelte.
      „Schauen kostet doch nichts“, neckte er. Spielerisch rollte sie mit den Augen.
      Ich führte Eichkatze zum Anbinder, während Lars sich mit unserem Besuch beschäftigte. Erst nahm ich den Sulky ab, dann jedes Teil vom Rücken und der Beine. Gleichzeitig genoss sie die verdiente Portion Futter, bevor es zum Duschen, Inhalieren und Trocknen unter das Rotlicht ging. Das betreute mein Kollege, denn Alexa konnte es gar nicht erwarten, Happy auch in der Halle kennenzulernen. Leider hatte ich es aufgrund der Umstände nicht mehr geschafft, ihn zu reiten.
      Ungewiss darüber, welche Laune der großgewachsene Fuchs hatte, führte seine fast Besitzerin ihn aus der Box. Nur für einen Moment legte er die Ohren an. Beim Putzen und Satteln kam sie gut ohne mich klar, was ihr Mann natürlich nutzte, um mich auszufragen.
      „Wie viel soll der Spaß uns hier kosten?“, fragte er mit gezogener Braue. Die beiden Kinder saßen auf der Bank und spielten mit Autos.
      „Welcher Spaß? Happy?“, Henne nickte, „fünfhundertfünfzig tausend Kronen.“ Es war der Anfangspreis und um hundertfünfzigtausend durfte ich lockern.
      „Nun gut“, sagte er, „sollte passen, wenn er das Niveau laufen kann.“
      Gerade als ich ihm sagen wollte, dass der Fuchs in der Lage dazu ist, aber aktuell nicht trainiert, hielt mich Lars mit bohrenden Blicken auf. Er spürte, was ich zu sagen versuchte. Dem Pferdeverkauf ging ich bisher gekonnt aus dem Weg, so veranstaltete ich den letzten mit Lina zusammen, die gekonnt an die Situation heranging. Manchmal beneidete ich sie wirklich für ihre Neutralität.
      „Mein Bruder erzählte vorhin, dass der Fuchs bereits ein Turnier mit dir lief“, führte Henne an.
      „Das stimmt. Seit geraumer Zeit ist er bei mir im Beritt und entwickelt sich stetig weiter“, fügte ich hinzu.
      „Gut, wärst du bereit, das weiterzumachen? So, ein- bis zweimal die Woche?“, fragte er. Darüber musste ich nicht nachdenken, schließlich war dies auch eine der Voraussetzungen, über die Nour Alexa bereits informierte.
      „Beritt? Natürlich. Die ersten zwei Wochen wären ohnehin im gemeinsamen Austausch, dass Alexa ihn besser kennenlernt und ich im Namen der Besitzerin gewährleisten kann, dass er klar im Kopf bleibt“, erklärte ich ausführlich. Zwischendrin nickte Henne.
      „Vriska? Wir sind so weit“, trällerte Alexa freudig erregt. Ich wandte mich von ihrem Ehemann ab und lief vor, um ihr den Weg zur Reithalle zu zeigen. Der Fuchs trat interessiert hinterher, als wüsste er genau, worum es ging.
      Das Probereiten in der Halle begann schwierig. Happy ließ sie nicht aufsteigen, sodass ich ohne Helm mich in den Sattel setzte und zunächst einige Runden im Schritt und Trab einlegte. Genervt schlug er mit dem Kopf, drückte sich wie so oft in die Zügel, um seinen Willen zu bekommen. Zeit zum Ausdiskutieren war nur begrenzt. Mit vielen Paraden bekam ich ihn an die Hand, um nun die Interessentin reiten lassen zu können. Ich hielt ihm am Gebiss und sie stieg auf. Bereits nach einer Runde herrschte diese gewisse Verbindung zwischen den beiden und ich konnte mich entspannt zurücklehnen.
      „Gehst du mit Noby ausreiten oder soll ich ihn bewegen?“, fragte Nour von der Seite und kam mit Blesa gerade aus dem Training. Die kaltblütige Stute pumpte ebenso wie die anderen Pferde.
      „Kann ich machen, wenn du dafür mit Piri fährst“, verhandelte ich.
      „Du willst doch nur nicht mit Lars auf die Bahn“, grinste sie von sich überzeugt, aber stimmte schließlich zu. Er war weniger der Grund für Unwilligkeit, eher die zickige erdfarbene Stute. Wir verstanden uns nie wirklich. Ihre sensible Ader und meine Ungeduld trafen auf einen scheinbar unlösbaren Konflikt, den ich nur schwer zu lösen wusste. Da die Vierjährige aber täglich gefahren wurde, meistens locker für die Ausdauer, musste jeder mal ran.
      „Ist Noby der Braune, in der zweiten Box?“, fragte Henne aus heiterem Himmel.
      „Ja, wieso?“
      „Der stand doch noch vor einer Weile in Malmö und lief dort Monté mit Caro“, musterte er von der Tribüne das Pferd, dessen Kopf interessiert auf der Box lag. Ich konnte der Unterhaltung nur schwerfällig folgen. Der Grund seiner Fragen erschloss sich nicht aus den Fetzen, außerdem war ich mit einem Auge bei dem Fuchs, der fleißig unter Alexa lief.
      „Das ist richtig, aber da wir nun mehr Trainer haben, können wir das Geld sparen“, erklärte ich.
      „Henne, was habe ich zum Thema Pferdekauf gesagt?“, tadelte sie ihren Mann, der sich wieder gerade hinsetzte und zu ihr sah.
      „Ist doch gut, ich frage doch nur“, rollte er mit den Augen und blieb schließlich am Fuchs kleben. Eine Weile ritt Alexa diesen noch, bis sie schließlich abstieg und in der Stallgasse absattelte. Das Geschehen selbst beobachtete ich aus gewisser Ferne. Schwere lag weiterhin auf meinen Schultern, das Gefühl mich einer Aufgabe anzunehmen, der ich nicht gewachsen war. Woher dieses Empfinden kam, wusste ich nicht und selbst, wenn ich mit jemandem sprechen würde, klang es nach wirren Worten. Ein Teil würde wohl von meinem Vergessen kommen, Dinge, die nur um meinen Geburtstag herum aufkamen.
      „Also, wir reden noch am Renntag“, lächelte Alexa beim Gehen. Ich stimmte freundlich zu, obwohl meine Augenlider immer schwerer wurden und ich nicht genau einschätzen konnte, wie lange ich noch wach bleiben konnte. Die beiden schienen zu wissen, was der Grund dafür war, aber lächelten nur. Aus dem Gebrabbel beim Gehen entnahm ich jedoch, dass die gestrige Begeisterung über Basti und mich umgeschlagen war. Weiteres werde ich wohl noch früher erfahren, als es mir lieb war.
      Lina
      In einem flotten Schritt lief der Hengst über den Sand, der gezeichnet von hellen Sonnenstrahlen, gemustert erschien, wie die schuppige Haut einer Schlange. Die sanften Wellen seiner Mähne, die als letzte Spuren von dem Turnier geblieben waren, wogen sanft im Takt der Bewegung. Rambi hatte mich am Donnerstag wirklich überrascht, hatte ich sein Training im Vorhinein nie mitverfolgen können. So erwartete ich, dass er die Flausen, die er unter dem Sattel zeigte, ebenso vor der Kutsche zeigte, doch es kam ganz anders. Kaum hatte Sam begonnen, das ordentlich geputzt Geschirr auf seinem Rücken zu befestigen, wurde der Freiberger zum reinsten Lämmchen. Artig stand er still, interessierte sich kein Stück mehr für die Stuten, die an ihm vorbeiliefen. Mir war fast so, als habe Sam ein anderes Pferd vor der Kutsche. Ausdrucksstark rollte das Gespann über den Sand und vollführt die geforderten Lektionen in Präzision. Es sah leicht aus, wie ein Kinderspiel. Dennoch konnte ich die Performance nicht genießen. Aufgekratzt von meinem eigenen Auftritt und dem ungewöhnlichen Verhalten meines Hengstes, war ich in ständiger Erwartung, dass der Braune losspringen könnte, zuckte bei jeder unerwarteten Bewegung zusammen und krallte mich panikartig an den Arm meines Freundes. Entgegen den katastrophalen Bildern, die mein Unterbewusstsein heraufzubeschwören suchte, bleib Rambi artig. Mit Leichtigkeit gelang es Sam und dem erfahrenen Hengst, die Konkurrenz in dem mittelschweren Wettbewerb zu schlagen, womit auch er eine blau-gelbe Schleife mit nach Hause trug.
      Abrupt kam der Hengst zu stehen und brachte mich für einige Sekunden aus dem Gleichgewicht, als besagte junge Dame fröhlich grinsend am Zaun auftauchte.
      „Oh, du bist bereits fleißig“, begrüßte sie mich, während Rambi neugierig die Nase nach ihrem Kaffeebecher ausstreckte.
      „Natürlich, hast du mal auf dir Uhr geschaut?“, lachte ich, „Die ersten beiden stehen schon wieder glücklich im Stall.“ Wie es den Anschein machte, hatte Mateo seine Schwester schlafen lassen, sodass sie erst jetzt den Weg in den Stall fand. Logisch, wenn man nur zwei Pferde zu versorgen hatte, konnte der Morgen auch gemütlich starten.
      “Ach ja, ist doch noch früh. Kaffee?”, bot sie mir ihre Tasse an. Ich schüttelte ablehnend den Kopf. Wie konnten alle nur dieses Gebräu mögen? Rambi, der noch immer sehr interessiert an dem Porzellan war, steckte kurzerhand die Zunge hinein.
      “Ey, das ist meiner”, beschwerte sich die Blondine und zog dem Pferd die Tasse weg. Irritiert von dem Geschmack auf seiner Zunge, wippte der Hengst mit dem Kopf, streckte die Zunge wiederholte Male aus und schüttelte sich.
      “Offenbar findet er Kaffee genauso doof wie ich”, schmunzelte.
      “Ich weiß nicht, was dein Problem ist, dieser Kaffee ist ganz wundervoll”, entgegnete sie und nahm einen demonstrativen Schluck. Angewidert verzog ich das Gesicht. Lecker, Gebräu mit Pferdesabberzusatz.
      “Na, dann genieße du mal das da, ich mache dann mal weiter”, sprach ich und drückte Rambi sanft die Waden in die Flanken. Gehorsam setzte sich der Freiberger in Bewegung und ich begann ihn zu arbeiten. Das Pferd strotze heute vor Energie, welche es allerdings lieber dafür einsetzte, den vorbeigehenden Stuten schöne Augen zu machen, anstatt das zu tun, was ich von ihm wollte. Die Einheit gestaltete sich zäh und mühsam, was den Machtkämpfen geschuldet war, die Rambi auszufechten versuchte. So bemüht darum, die Oberhand zu behalten, merkte ich nicht, wie Niklas sich am Zaun dazu gesellte, bemerkte ihn erst, als ich den Hengst dort anhielt.
      „Der fordert dich ja ganz schön heraus, hatte ich gar nicht gedacht“, stellte die Blondine fest, die den Hengst bisher immer nur kurz unter dem Sattel sah.
      „Ja, Rambi kann ein echter Sturkopf sein. Du hattest wohl das Glück, die wohlerzogene Hälfte zu erwerben“, lächelte ich. Das Tier, welches nur wenig erschöpft schien, reichte seinen Hals zu Niklas hinüber und knabberte zart am Saum seines Sweaters. Halbherzig rettete er den Stoff vor den Zähnen und kraulte ihm die helle Stirn.
      „Wer sagt denn, dass das meine Hälfte ist?", lachte sie, „Habe ich eben deinem Freund schon gesagt, ich finde, du schlägst dich wirklich gut. Mache nur weiter so, dann ist er unter dem Sattel bald genauso brav.“ Entspannt hatte der Hengst die Augen halb geschlossen und genoss die Massage, die sich mittlerweile bis auf seine Ohren ausweitete. Kein Wunder, diese Finger konnten wahre Wunder bewirken, wenn sie in kleinen Kreisen über müde Muskeln glitten.
      „Danke“, entgegnete ich bescheiden. Bis heute war sie mir ein Rätsel. Bei ihrem Bruder war mir mehr als deutlich, woher die ständige Freundlichkeit rührte, aber bei Sam … außer der Liebe zu derselben Rasse konnte ich bisher nicht herausfinden, was uns verbinden würde und auch ihre ständige gute Laune, war schon beinahe Samu ähnlich. Die Schweizerin wirkte stetig, als wandle sie bereits seit einem Jahrhundert auf dieser Erde und habe längst alles gesehen und dennoch wusste ich kaum etwas über sie und ihren Bruder. Kaum hörte Niki auf den Hengst zu streicheln, öffnete sich die Augen und er stupste ihn fordernd an, das Wellness Programm fortzusetzen.
      „Sieht aus, als sei dir noch jemand verfallen", lächelnd ich und strich dem Hengst durch die lange Mähne. Wieder stieß das Pferd gegen seinen Arm.
      „Ich bin zweifellos unwiderstehlich”, sprach er von seiner Anziehung überzeugt und präsentierte sich wie ein balzender Pfau.
      “Glaubst auch nur du”, schmunzelte ich und funkelte ihn neckisch an. Freundlicherweise öffnete Samantha das Tor, sodass ich es passieren konnte. Ich glitt aus dem Sattel und schob den Steigbügel hoch. Als ich unter dem Hals des Hengstes hindurchtauchte und dieses dort zu wiederholen, war Niklas bereits zur Stelle und lockerte auch gleich den Gurt.
      “Wenn ich so unattraktiv für dich bin, muss ich mir wohl jemand anderen suchen, der mit mir ausreitet. Samantha, hast du Lust?” funkelte er mich dabei herausfordernd an.
      “Sam hat sicher ganz viel zu tun”, intervenierte ich, bevor sie überhaupt eine Chance hatte zu antworten. Ein leichtes Ziehen in der Magengegend schrie danach und beanspruchte augenblicklich diesen Platz nicht der attraktiven Blondine zu überlassen. Auf den Lippen meines Freundes ließ sich ein zufriedenes Schmunzeln erkennen. Er wusste genau, welche Knöpfe er drücken musste, die gewünschten Antworten zu erhalten. In der Ferne ertönte das Knirschen des Kieses unter Autoreifen, bevor das Motorsurren verstummte.
      “Geh du mal mit deiner Freundin ausreiten”, lehnte Sam ab und schielte unauffällig zum Parkplatz, der allerdings zu verborgen lag, als dass man das wirklich etwas dort hätte beobachten können. Wen sie wohl erwartete?
      “Sieht so aus als müsste ich wohl dich mitnehmen”, flüsterte er mir neckisch ins Ohr. Sein warmer Atem strich über die Wange und brachte meine Haut zum Kribbeln, als würde eine Ameisenstraße darüber kriechen.
      “Du bist ziemlich frech”, schmunzelte ich und blickte zu ihm hoch. Im hellen Sonnenlicht erschienen seine Augen in nahezu markloses Blau. Verschmitzt grinste, er streichelte mit seinem Daumen zärtlich meine Wange. In einer zarten Begegnung trafen unsere Lippen aufeinander und sendete kleine Schauer meinen Rücken hinunter.
      “Ich nehme das Pferd dann mal mit in den Stall”, grinste Samantha und griff nach Rambis Zügeln. Mit einem leichten Zupfen daran setzte sie den braunen in Bewegung. Der dunkle Schweif pendelte locker hin und her und trottete artig neben ihr her.
      “Da sollten wir wohl auch hin”, sprach ich sanft und löste mich beschwerlich von meinem Freund. Niklas gab mir einen letzten Kuss auf die Stirn, bevor wir Sam folgten. Smoothie reckte ihren Kopf aus der Box und blubberte leise, als sie ihren Besitzer erblickte, der sie sogleich freundlich begrüßte.
      “Lass dir Zeit, ich gehe erst Sam mit Rambi helfen”, drückte ich ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor Smooth ihn völlig vereinnahmte. Er nickte und betrat die Box der hibbeligen Stute.
      Am Putzplatz war die Blondine schon fast damit fertig unser gemeinsames Pferd abzusatteln, sodass ich gleich sein Futter holte. In der Plastikschüssel landete eine Schippe Kraftfutter mit einem kleinen Zusatz an Mineralstoffen, da Rambi sich ein wenig mäkelig beim anstehend Fellwechsel zeigte. Gierig steckte der Hengst die Nase in die Schüssel und begann sein Futter zu verschlingen. Während wir dem Hengst zusahen, fragte Samantha mich über Mola aus. Mateo musste ihr erzählt haben, dass ich das junge Rennpferd in Ausbildung hatte, was sie zu verwundern schien, konnte sie keine Berührungspunkte zwischen mir und den Trabrennen entdecken. Der Hengst schob die leere Schüssel vor sich her im Versuch, auch noch die letzten Krümmel zu erlangen. Ich nahm den Strick vom Haken und hängte ihn an. Die Schweizerin begleitete uns ein Stück, bis uns ungefähr auf der Hälfte des Wegs ihr Bruder begegnete, von dem sie etwas zu wollen schien.
      Rambi verschwand schnell in der Herde und brachte diese so gleich in Schwung, als zwei jüngere Tiere ihn nicht schnell genug den Weg räumten. Für den Ausritt holte ich mir Brownie vom Paddock. Ich kannte den Hengst bisher nur flüchtig, doch bereits in der Herde wirkte er freundlich. Kaum hatte ich samt Pferd das Tor zur Stallgasse betreten, ertönte eine melodische Tonfolge aus meiner Tasche. Interessiert beschnupperte Brownie das Gerät, dessen Bildschirm ich verwundert anblickte. Eine mir unbekannte Nummer mit kanadischer Vorwahl leuchte auf dem Display. Welcher Unbekannte kontaktiert mich denn aus Kanada, zumal es dort noch mitten in der Nacht sein dürfte. Erwartungsvoll wischte ich über den Bildschirm und das Gespräch anzunehmen.
      "Liiinaaa, gut, dass du dran geht's", quietschte eine Frauenstimme aufgeregt aus den Lautsprechern. Zweifelsfrei war es eine meiner ehemaligen Kolleginnen.
      “Hey, Quinn”, sprach ich freundlich, während ich mit der freien Hand versuchte, die Anbindestricke an seinem Halfter zu befestigen, “Wie geht es dir?”
      “Wundervoll”, tönte es viel zu fröhlich für die Uhrzeit aus dem Gerät. Danach folgte ein zusammenhangloser Vortrag über die neusten Ereignisse auf dem WHC, wovon ich nahezu nichts verstand. Brownie anzubinden hätte sich als ziemlich erfolglos herausgestellt, hätte Niklas dies nicht kurzerhand übernommen.
      “Sag mal Lina, du wohnst doch noch in Schweden?”, schien meine ehemalige Kollegin zu dem eigentlichen Grund ihres Anrufs zu kommen.
      “Ja”, frage ich ein wenig misstrauisch, während ich begann, dem Hengst das schokoladenbraune Fell zu bürsten. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass Quinn ohne Hintergedanken so seltsam fragen würde.
      „Perfekt, dann kannst du uns sicher ein paar sehenswerte Orte empfehlen“, trällerte sie fröhlich. Warte, wer war denn uns und warum wollte Quinn nach Schweden kommen.
      „Du weißt aber schon, dass Schweden nicht nur ein Dorf ist? Du müsstest schon eine genauere Ortsangabe machen“, wies ich sie hin und überlegte sogleich. Ich selbst könnte nur wenig dazu beitragen. In der gesamten Zeit kam ich nur wenig vom Hof und kannte kaum mehr als das nähere Umland und einige wenige nette Ecken von Kalmar, die mir Niklas zeigte. Allerdings lebten ausreichend Menschen an diesem Ort, die dieses Land deutlich besser kennen sollten.
      „Ähm, ja warte kurz“, entgegnete sie. Im Hintergrund hörte ich sie mit jemandem reden, dem Klang nach eindeutig männlich. Ob sie einen Freund hatte? Weswegen würde sie sonst so früh morgens bereits einen Mann bei sich haben?
      „Kalmar“, verkündete sie froh gesinnt, „Raphael und ich kommen zu dem großen Springturnier. Na ja, und wenn wir schon mal da sind, wollten wir uns ein wenig umsehen.“ Der Name kam mir im Zusammenhang mit Springen seltsam bekannt vor, doch woher? Aus der Zeitung vielleicht?
      „Okay, da sollte sich etwas finden lassen, aber ich muss jetzt Schluss machen. Mein Freund wartet“, lenkte ich das Gespräch zum Ende hin, als Besagter mit dem Sattel begann.
      „Prima und viel Spaß euch zwei. Schreibst du mir dann einfach deine Empfehlungen?“, stellte sie eine Rückfrage. Ich nickte, bis mir erst eine Sekunde später auffiel, dass sie es nicht durch das Telefon sehen konnte.
      “Ja, ich schreibe dir nach der Arbeit”, bestätigte ich Hilfsbereich und beendete damit das Telefonat. Smoothie war schon nahezu fertig gesattelt und kratzte ungeduldig mit den Eisen über den Beton. Mit einem leichten Patscher gegen die Schulter, des Schimmels unterband Niki das Verhalten.
      “Gehe ich wohl mal einen Sattel suchen”, grinste ich voller Vorfreude auf den bevorstehenden Ritt und lief in die Sattelkammer, um in der gigantischen Auswahl an Equipment hoffentlich etwas Passendes für den Trakehner zu finden.

      AM ABEND
      Vriska
      „Der hat mich einfach den Sand gesetzt“, erzählte ich wild gestikulierend von meinem kleinen Ausflug in den Wald mit Nobelium. Vermutlich sah der Hengst dasselbe Gespenst wie Eichi am Tag zuvor. Aufgebracht sprang er zur Seite, nur rechnete ich damit nicht und verlor das Gleichgewicht.
      „Aber es ist doch noch alles an dir dran, jetzt rege dich nicht so auf“, versuchte Lars mir mit guten Worten zuzureden. Immer wieder sah er sich um, als würde jemanden suchen oder gar entkommen.
      „Das Gespenst scheint dich nun heimzusuchen“, scherzte ich, aber verzog verärgert das Gesicht. „Ist doch schon gut. Du musst das nicht an mir auslassen.“
      „Alles gut“, lachte er inzwischen und legte freundschaftlich die Hände auf meinen Schultern ab. Dabei drückte Lars leicht in die Muskulatur, als wolle er mich massieren, was zugegebenermaßen im Gehen ziemlich schwierig erschien. „Bleibst du heute eigentlich zuhause oder verschwindest du zu deinem Schwarm?“
      Ich seufzte.
      „Du wirst mich heute ertragen müssen. Es kam bis jetzt keine Antwort, obwohl er die Nachricht gelesen hat, vor Stunden schon“, erläuterte ich niedergeschlagen.
      „Der meldet sich sicher noch“, blieb er zuversichtlich.
      Vor der Hütte klopften wir die Schuhe ab, zogen sie aus und stellten sie auf der Matte innen drin ab. Zunächst drehte Lars die Heizung etwas höher und ich entledigte mich der dicken Jacke. Obwohl der Frühling Einzug behalt, wehte ein klirrend kalter Wind, den man besonders auf dem Weg von der Reithalle zum Häuschen zu spüren bekam. Immerhin konnte man hier in Socken herumlaufen und Shirt. Nacheinander besuchten wir das Bad und zogen uns um, wie jeden Tag, außer einer hatte Weidedienst. Heute waren Nour und Bruno an der Reihe, also konnten wir den Feierabend genießen.
      Nichtsahnend stand ich in der Küche und schnitt Gemüse für das Abendessen klein. Lars erzählte gerade von Ini, die aktuelle noch auf einem anderen Hof trainiert wurde, als es an der Tür Sturm klingelte. Überrascht sahen wir einander an, da öffnete er diese bereits. Zu einem Hallo kam es nicht, stattdessen kam die junge Dame mit kräftigem Körperbau auf mich zu und blickte mich mit erbostem Gesichtsausdruck an. Obwohl ich sie bisher nur einmal gesehen hatte, wirkte Nelly plötzlich so viel größer. Lockere Strähnen fielen in ihr Gesicht, die sie mit den Fingerspitzen hinters Ohr schob.
      „Was fällt dir eigentlich ein?“, keifte sie mit weinerlicher Stimme. Bevor ich überhaupt antworten durfte, klatschte ihre Handfläche auf meine Wange und ich schluckte. Starr vor Angst blickte ich zu Lars, der unseren Besuch bereits von mir wegschob. Wie eine geweckte Katze zerrte sie und versuchte wieder zu mir zu kommen, doch er hielt sie auf.
      „Nelly, Reiß dich zusammen“, versuchte Lars sie zu beruhigen, aber sie hörte ihm nicht zu.
      „Ich bringe sie um“, zeterte sie. Ich schüttelte mich. Obwohl die Handgreiflichkeiten deutlich einen Schritt zu weit gingen, konnte mein Hirn die Umstände nicht einordnen. Durfte ihr Kerl keine weiblichen Freunde haben, wenn man die Situation im Stall ausklammerte? Den pulsierenden Herzschlag spürte ich bis in den Hals, aber drehte mich unbeeindruckt um und schnitt das Gemüse weiter.
      „Warum sagst du nichts?“, provozierte die junge Dame weiter.
      „Merkst du eigentlich noch was?“, stand auf einmal Niklas in der Tür, der offenbar vom Nachbarhaus davon mitbekam. Schlagartig verstummte sie und Lars ließ sie los.
      „Das Flittchen hat sich an meinen Freund herangemacht und mit ihm geschlafen. Was denkst du denn?“, jammerte sie. Ich verdrehte nur die Augen, wollte nicht weiter böses Blut entfachen.
      „Und sagt nicht mal etwas“, fügte Nelly im selben Ton hinzu.
      „Ich weiß nicht, woher du das hast, aber meines Wissens haben die beiden nur im selben Raum geschlafen“, mischte sich nun Lars ein. Interessant, wie schnell eine solche Kleinigkeit seine Runde machte.
      „Trotzdem steht sie auf ihn“, blieb sie ihrem Punkt treu.
      „Und was gehen dich ihre Gefühle an? Letztlich gehören für mehr, zwei Leute dazu. Du solltest lieber mit deinem Kerl argumentieren und nicht mit ihr. Erst recht nicht so“, appellierte Niklas argwöhnisch.
      Als wäre ich taub, widmete ich mich weiter dem Abendessen, obwohl meine Finger zitterten, wie ein Aal und jeder Atemzug in der Brust bebten. Der Sauerstoffmangel machte sich schnell bemerkbar, aber ich versuchte, die Enge zu verdrängen.
      Als sie endlich verschwand, mit Niklas, legte Lars sofort seine Arme um mich und ich begann wie ein Schlosshund zu heulen. Dennoch entging mich nicht, dass er den beiden bis zum letzten Moment nachsah.
      Es war mir zu viel, dass alles, was um mich herum geschah, passierte zu schnell und überschlug sich. Ich hatte die Kontrolle verloren und war kurz davor, alles hinzuwerfen. Keinen Grund fand ich, dass weiterhin zu ertragen. Nun, wo auch Happy praktisch vermittelt war in ein perfektes Zuhause, fehlte mir ehrlich gesagt eine Aufgabe. Rennen waren großartig, aber zu erreichen gab es nichts. Sie fühlten sich beinah, wie die Islandpferde Turniere an, nur dass es um ziemlich viel Geld ging. Doch von Geld hatte ich grundsätzlich genug, auch wenn ich immer mehr an die Tierheime in Griechenland spendete, um das Zeug loszuwerden.
      Schluchzend löste ich mich von den kräftigen Schultern meines Kollegen und drehte mich zum Schneidebrett um. Noch eine Paprikaschote musste ich schneiden, dann konnte alles in den Ofen. Aber während ich versuchte, die Gesamtsituation zu verdrängen, spürte ich Lars‘ Hände langsam an meiner Silhouette herunterwandern. Sein Becken drückte er sanft an mich heran und legte den Kopf auf der Schulter ab.
      „Was wird denn das, wenn es fertig ist?“, fragte ich grinsend nach, obwohl ich überhaupt nicht in der Stimmung war für seine Spielchen.
      „Ich habe dich vermisst“, sprach er mit federleichten Worten, die ohne Nachhall an mir vorbeizogen. Sosehr er auch versuchte durch zarte Bewegungen und Worte, mich in mehr zu verwickeln, gelang es ihm nicht. Mir stand das Wasser bis zum Hals, der Hunger war vergangenen und am liebsten würde ich den Renntag absagen, aber das konnte ich nicht. Es war beinah so, als würde ich all mein Glück herausfordern wollen, denn ich hoffte weiterhin auf Basti.
      Seufzend setzte ich mich auf die Couch, als das Gemüse im Ofen war. Lars legte seinen Arm um mich und ich lehnte an seiner Schulter. Auf dem Bildschirm des Fernsehers flimmerte ein Film, bei dem ich die Hälfte bereits verpasst hatte. Gefangen in meinen Gedanken, starrte ich zwar zu diesem, aber durchlebte das Klatschen und ihre Worte immer wieder und wieder.
      Auch später im Bett, als Lars mich davon überzeugen konnte, nicht allein mit meinen Gedanken zu sein, drehte ich mich von der einen Seite zur anderen. Ich wusste, dass es auf kurz oder lang schwieriger werden würde, aber schon jetzt in Nellys Fadenkreuz zu sein, schüchterte mich ungemein an.
      „Ich muss ihm schreiben“, murmelte ich unüberlegt und griff zum Handy. Lars, von dem ich dachte, er würde bereits schlafen, fasste meinen Arm.
      „Vivi, egal, was sie getan hat, was er gerade erlebt, ist ebenso dramatisch“, seufzte er und zog mich an sich heran.
      „Dann muss ich erst recht, für ihn da sein“, sprach ich meinen Gedanken aus.
      „Warte ab, wenn er dich braucht, meldet er sich“, rede Lars auf mich ein, dass ich schließlich den Plan ruhen ließ. Nicht, dass die Überlegung weiterhin durch meinen Kopf geisterte, aber diese umzusetzen, zog ich zurück.
      Ich starrte hoch zur Decke. An den Wangen flossen abermals Tränen. Kurz schlief ein, um durch einen realistischen Alptraum aufzuschrecken. Tief zog ich die kühle Luft in meine Lungen. An den Fenstern wehten die Vorhänge und ein zartes Licht vom Stall schien hinein. Die Uhr auf dem Nachttisch zeichnete zwei Uhr vierzig ab.
      „Kannst du nicht schlafen?“, richtete Lars sich auf, mit verschlafener Stimme.
      „Ich hatte einen Alptraum“, erklärte ich. Anstelle mich wieder an ihn zu kuscheln und seine Sicherheit zu spüren, warf ich die Decke zur Seite. Die nackten Füße setzte ich auf den kalten Boden, die mich umgehend noch weiter in die Realität holten.
      „Wo willst du hin?“, fragte er, das Licht dabei erleuchtend.
      „Weiß nicht, den Kopf frei bekommen“, legte ich meine Unentschlossenheit offen. Kaum hatte ich mich ins Wohnzimmer bewegt und mir vom Jackenhalter eine übergeworfen, hörte ich Lars‘ Stimme aus dem Schlafzimmer:
      > Väckte jag dig?
      „Habe ich dich geweckt?“
      Möglichst unauffällig versuchte ich dem Gespräch zu folgen, selbst wenn es nur sehr einseitig an mich herankam.
      > Ja, det kan man säga. Är han med dig?
      „Ja, kann man so sagen. Ist er bei dir?“, fragte Lars in sein Telefon und baute Blickkontakt zu mir auf. Natürlich bemerkt er meine Neugier. Undeutlich wedelte er mit seiner Hand. Entweder ich sollte gehen oder zu ihm kommen.
      > Okej. Det tror jag också.
      „Okay. Das denke ich auch“, nickte er dann.
      > Jag försöker. Natt.
      „Ich versuche es. Nacht“, beendete er das Gespräch und legte das Handy zur Seite.
      Erwartungsvoll blickte ich zu ihm, aber in den leicht glasigen Augen und dem beinah leeren Gesichtsausdruck erkannt ich, dass es keine guten Nachrichten gab. Ohne weitere Fragen zu stellen, drehte ich mich weg, setzte die Kapuze auf und verschwand durch die Balkontür. Noch mehr schien mein Leben bedeutungslos und alles verloren. Von Anfang an war mir klar, dass ich meinem Hirngespinst hinterherrannte und in seinen Taten zu viel legte. Es gab kein uns. Vor mir lag eine dunkle Zukunft, die durch die ebenso finstere Vergangenheit immer mehr aufgesogen wurde. Wie konnte ich mir nur einbilden, dass ich endlich das Richtige oder besser gesagt, den Richtigen gefunden hatte?
      In der eiskalten Nacht stand ich abseits der Hütte, den Kopf leicht ins Genick gelegt und starrte hinauf zum Sternenhimmel. Es war eine klare Nacht. Keine einzige Wolke versperrte den Blick auf die Bilder, die sich zeichnen ließen. Als ich jung war, versuchte meine Mutter mir immer wieder zu erklären, was man dort oben entdecken konnte, aber bis heute sah ich nichts. Die leuchtenden Punkte schenkten mir dennoch einen Hauch von Hoffnung und Vertrauen. Tränen lagen mir weiterhin in den Augen, was ich für den Moment mit mir selbst akzeptierte. Nicht jede Situation konnte man kontrollieren oder gar für sich gewinnen. Diese Schlacht war verloren.
      Ich hatte mich auf einer der Bänke niedergelassen, die ich bis dato als unnötig erachtete, als sich Schritte auf dem gefrorenen Kies ankündigten. Langsam öffnete ich die Augen und sah zur Richtung, aus der sie kamen. Entgegen meinen Erwartungen war es Niklas, den es zu so später Stunde noch nach draußen trieb.
      „Was machst du hier?“, fragte er überrascht und setzte sich zu mir.
      „Dasselbe könnte ich dich auch fragen“, lächelte ich wohlgesonnen.
      „Ich schlafe schlecht“, seufzte er, deutlich verhalten. In den kurzen, aber innigen Blicken spürte ich, dass er darüber sprechen wollte, aber meine Reaktion abwartete. Im Magen drehte es sich, was ich am liebsten auf den Restalkohol darin schieben wollte, aber viel mehr war es Niklas. Seine reine Anwesenheit im Abendlicht unter dem herrlichen Sternenhimmel befeuerte Wünsche und Sehnsüchte.
      Ich schluckte, ohne meine Augen von ihm zu lösen. Schief grinste er mich an.
      „Du hast getrunken, oder?“, neckte er.
      „Ja“, murmelte ich und griff nach seinem Arm, um mich eng daran zu winden. „Aber warum schläfst du schlecht?“
      „Es läuft aktuell nicht. Bino macht keine Fortschritte, Form hat ihre Höhen und Tiefen und für Smoothie fehlt mir im Moment die Geduld. Deshalb gibt es Tage, an denen nur den Hengst bewege und für die anderen beiden keine Kraft mehr habe“, sprach Niklas in sich gekehrt.
      „Drei Pferde auf hohes Niveau sind wirklich eine erstaunliche Leistung“, sagte ich anerkennend.
      „Eben drum. Ich konnte nicht ahnen, dass Smoothie wieder auf Turnieren laufen kann“, vorsichtig huschten seine Augen zu mir. Noch immer hing ich an ihm, als wäre ein gefährliches Tier im Busch versteckt und könnte sich jede Sekunde zeigen. Auf seinen Lippen zeichneten sich ein zartes Lächeln und er strich mir über die Kapuze.
      „Was sagt Lina dazu?“, hakte ich nach, denn ich wusste kaum etwas über seine Umstände. Sie sollte ihm eine größere Hilfe sein können.
      „Sie weiß es nicht und hatte auch nicht vor, mit ihr darüber zu sprechen“, in seiner Stimme klang deutlich Scham mit. Wer hätte das nur denken können – der selbstüberzeugte Niklas Olofsson hat Angst, sich Schwäche einzugestehen. Für einen Atemzug zuckte ein schelmisches Lächeln auf meinen Lippen.
      „Eigentlich möchtest du doch Vielseitigkeit reiten, da wäre doch Form eher nebensächlich“, gab ich ihm einen Anstoß, die Pferde zu überdenken.
      „Das stimmt“, hauchte er kleinlaut.
      „Dann wäre es sinnvoll, wenn du sie nur zum Spaß reitest oder gar jemanden zur Verfügung stellst“, erklärte ich weiter.
      „Ach, möchte da jemand meinen Rappen haben?“, scherzte Niklas und legte seine Hand ganz langsam auf meinem Bein ab. Den Blick fixierte er für einen Augenblick zu lang an mir, sodass in Windeseile das Verlangen nach ihm, aus dem hintersten Kämmerchen meines Hirns, angekrochen kam. Wie ein Parasit hielt sich dieses Gefühl in mir fest.
      „Eigentlich nicht, aber wenn du es mir anbietest“, flüsterte ich verführerisch.
      „Das musst du mir erst einmal beweisen“, schmunzelte er. Bisher schien es mir fast unmöglich, dass die erloschene Magie zwischen uns wieder aufflammte. Die Hand auf meinem Bein wanderte bewusst auf und ab, sodass mir für den Bruchteil einer Sekunde das Atmen schwerfiel. Bedrohlich klopfte es bis in meinen Hals und ich meine, sogar sein Herz synchron zu dem meinen zu spüren.
      „Dass ich reiten kann, weißt du doch“, stammelte ich überfordert, wissend, dass die Stimmung zu kippen drohte.
      „Zeiten ändern sich und aus der Übung bist du auch, sagt man sich“, nahm er kein Blatt vor den Mund.
      Abrupt kam der Flirt zum Ende, als aus der Dunkelheit erneut Schritte ertönten. Ich löste mich von seinem Arm, wodurch er die Hand von mir nahm. Jegliche Magie erlosch wieder, was mich einerseits positiv stimmte, andererseits deprimierte.
      „Hier steckst du“, sprach Lars beim Näherkommen leicht außer Atem. „Ich war wirklich überall.“
      „Offenbar nicht überall“, grinste ich.
      „Was macht ihr beide hier?“, fragte Lars, ohne auf meine Antwort einzugehen.
      „Wir haben über Gott und die Welt gesprochen. Wie es nun mal ist, wenn man nicht schlafen kann“, klärte Niklas auf.
      „Es ist halb vier. Und vor allem du, Vivi, sollst besser wieder versuchen zu schlafen“, appellierte mein Mitbewohner, dem ich widerstandslos in wärmere Gefilde folgte.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 81.448 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte/Ende April 2021}
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  • Album:
    stall.
    Hochgeladen von:
    Mohikanerin
    Datum:
    22 März 2022
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  • Shaker ist 4 Jahre alt.

    Aktueller Standort: Lindö Dalen Stuteri, Lindö [SWE]
    Unterbringung: Hengstpaddock


    –––––––––––––– s t a m t a v l a

    Aus: Götterdämmerung LDS (DE) [Standardbred]
    MMM: Unbekannt ––––– MM: Middle Ages (FR) [Traber]––––– MMV: Unbekannt
    MVM: Unbekannt ––––– MV: Attila [Gidran] ––––– MVV: Unbekannt


    Von: Vintage (FR) [Traber]
    VMM: Unbekannt ––––– VM: Unbekannt ––––– VMV: Unbekannt
    VVM: Unbekannt ––––– VV: Unbekannt ––––– VVV: Unbekannt



    –––––––––––––– h ä s t u p p g i f t e r

    Zuchtname: Harlem Shaker LDS
    Rufname: Shaker
    Farbe: Fuchsfalbe Splash
    [ee Aa Dnd2 FF nSpl]
    Geschlecht: Hengst
    Geburtsdatum: April 2016
    Rasse: Standardbred [STB]
    25 % Vollblut-Anteil
    Stockmaß: 162 cm

    Charakter:
    sensibel, leidenschaftlich, willig, hitzig im Umgang

    * Shaker läuft Trabrennen
    * 5-Gänger


    –––––––––––––– t ä v l i n g s r e s u l t a t

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    Dressur M [M] – Springen E [A] – Military E [A] – Fahren E [A] – Rennen M [M] – Distanz E [L] – Gangreiten E [L]

    Februar 2023 Langzeitberitt, Dressur L zu M

    Ebene: International

    Mai 2022
    Dressur E zu A
    2. Platz, 523. Distanzturnier

    Juni 2022
    3. Platz, 390. Synchronspringen
    (erste Auslosung)
    2. Platz, 390. Synchronspringen
    (zweite Auslosung)
    Jogging, Rennen E zu A
    3. Platz, 579. Rennen

    Juli 2022
    3. Platz, 336. Gangturnier
    Rennvorbereitung, Rennen A zu L
    2. Platz, 338. Gangturnier

    August 2022
    Rennen L zu M

    Oktober 2022
    Training, Dressur A zu L


    –––––––––––––– a v e l

    [​IMG]

    Gekört durch HK 515 im September 2022.

    Zugelassen für: Traber aller Art; Barock-Reitpferd
    Bedingung: Keine Inzucht
    DMRT3: AA [Fünfgänger]
    Lebensrekord: 1:14,5
    Decktaxe: Nicht gekört / Preis [Verleih auf Anfrage]

    Fohlenschau: 0,00
    Materialprüfung: 7,49

    Körung
    Exterieur: 7,55
    Gesamt: 7,97

    Gangpferd: 7,65


    –––––––––––––– a v k o m m e r

    Harlem Shake LDS hat 3 Nachkommen.
    • 2018 Shakesbeer LDS (aus: Satz des Pythagoras)
    • 2018 Shake that Bubble LDS (aus: Friedensstifter)
    • 2020 Want to Believe LDS (aus: Spaceshuttle)


    –––––––––––––– h ä l s a

    Gesamteindruck: gesund, im Training
    Krankheiten: keine
    Beschlag: Falzeisen [Aluminium], Voll


    –––––––––––––– s o n s t i g e s

    Eigentümer: Lindö Dalen Stuteri [100%]
    Pfleger: Lars Alfvén
    Trainer: Bruno Alfvén
    Fahrer: Lars Alfvén
    Züchter: Lindö Dalen Stuteri, Lindö [SWE], Tyrell Earle
    VKR / Ersteller: Mohikanerin

    Punkte: _gekört


    SpindHintergrundVorschauKörung

    Harlem Shaker LDS existiert seit dem 22. März 2022.