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Mohikanerin

// Götterdämmerung LDS [3]

a.d. Middle Ages, v. Attila | _zw115

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// Götterdämmerung LDS [3]
Mohikanerin, 6 Juli 2021
    • Mohikanerin
      Dressur E zu A | 21. Juli 2021

      Götterdämmerung LDS // Forbidden Fruit LDS

      Erschöpft sackte ich in die Holzliege, die neben dem Roundpen stand und starrte in die Luft. In Schweden war es beinah kalt im Vergleich zu den beiden Wochen in Kanada, was mir ehrlich gesagt nicht negativ stimmte. Gerade als ich über warmes Bad in der Wanne nachdachte, kam Tyrell.
      „Was liegst du denn so faul darum?“, fragte er belustigt stellte sich so vor die letzten Sonnenstrahlen, die in mein Gesicht schienen.
      „Ich nutze die freie Minute, um mich zu entspannen“, sagte ich.
      „Na, wenn du nichts zu tun hast, kannst du dich mit Fruity für das nächste Turnier vorbereiten“, lachte Tyrell und verschwand Richtung Reithalle. Hatte ich das gerade richtig gehört? Ich soll mit Fruity, seinem aktuellen Liebling auf dem Turnier starten? Die Saison endete in ungefähr vier Wochen und in der Nächsten hatte ich meine Abschlussprüfung. Wie stellte er sich das vor? Hastig rannte ich ihm nach und holte ihn kurz vor dem Büro ein.
      “Wann soll ich denn mit ihr starten? Und vor allem, warum?”, prustete ich aufgeregt.
      “Also wenn ich ehrlich bin, dann hast du in drei Tagen die Prüfung und deiner Trainer haben mir erzählt, dass du hervorragende Leistungen mit Glymur in der Dressur gezeigt hast, da sollte eine A Dressur doch kein Problem darstellen, schließlich kannst du E nicht mehr nennen mit deiner Leistungsklasse”, erzählte er breit grinsend und wir liefen gemeinsam in die Kammer, um das Halfter der Stute zu holen. A Dressur also, ich weiß nicht mal was für Dinge dort abgefragt werden und mir eine Aufgabe zu merken, lag ebenfalls nicht bei meinen Talenten. Dazu kam auch noch, dass ich die Stute vorher noch nie geritten bin. So viele Faktoren beeinflussten also, dass die Teilnahme nur in einem Desaster enden konnte.
      “Die WA2 besteht aus einundzwanzig Aufgabenteilen, die mehr oder minder verständlich für dich sein sollten. Es wird im Arbeitstrab eingeritten, zweihändig. Dann in der Mitte halten, grüßen und im Trab wieder los. Links eine Volte, auf die Viertellinie, Vorderhandwendung und wieder Trab. Bei Foxtrott durch die ganze Bahn und verstärken im Leichttraben. Aussitzen wieder bei Hotel, dann eine Volte mit zehn Meter erneut. Anhalten, warten, rückwärts und im Schritt wieder los. Halbe Bahn wechseln, antraben, Zirkel, Galopp, ganze Bahn und Sprünge verlängern. Trab, durch die halbe Bahn wieder Zirkel und Galopp. Am Ende noch mal Trab, ganze Bahn, rechts um zur linken Hand, auf die Mittellinie und Gruß”, ratterte Tyrell die Aufgabe herunter. Schon nach der Vorderhand war ich heillos überfordert und alles danach klang nur noch wie eine Fremdsprache für mich. Währenddessen trottete die Stute mit ihrem kräftigen geschwungenen Hals vor sich hin. In Fruitys dunkeln Sattel fühlte ich mich, als würde ich schweben. Die Polsterung war nicht nur unglaublich weich, sondern passte sich mir nicht erklärbaren Gründen perfekt an meinen Unterkörper an. Obwohl ich einige dieser Sättel sogar im Laden hatte, saß ich vorher noch nie darin. Sie verkauften sich häufig und waren besonders beliebt bei Barockreitern, natürlich. Dieser Sattel wurde mit historischem Vorbild der Hofreitschule designt.
      “Hast du mir zugehört?”, unterbrach Tyrell meinen inneren Monolog über das Schmuckstück. Bestürzt schüttelte ich mit dem Kopf.
      “Dann noch mal. Wir reiten jetzt die einzelnen Teile durch und am Ende wollen wir die Aufgabe auch einmal durchreiten. Ich darf in der Prüfung dann ansagen, also setze dich nicht unter Druck. Du schaffst das, schließlich ist Fruity bereits bis zur M ausgebildet”, wiederholte er. Okay. Dann beginnen wir. Ich nahm die Zügel etwas mehr auf und baute eine Verbindung zu ihrem Maul auf. Tyrell sagte die erste Aufgabe. Eine zehn Meter Volte bei Echo sollte das sein, erst einmal im Schritt und dann im Trab. Fruity war bereits genügend aufwärmt, denn Tyrell hatte zuvor an der Hand mit ihr gearbeitet, um mir bei der Ausbildung für Fried etwas zu zeigen. Die Standardbred Stute war noch einen großen Schritt davon entfernt so genau wie die Barockstute zu tanzen, doch auch der Weg mit ihr war nicht immer leicht. Schließlich beherrscht auch sie mehr als drei Gänge, was das Sortieren der Füße nicht immer einfach macht. In der Gebrauchshaltung trabte Fruity langsam an und hatte ihre Ohren stets bei mir. Mit sanften Worten redete ich auf sie ein und ritt erneut die Volte.
      “Und jetzt noch mal etwas ordentlicher”, sagte Tyrell. Immer wieder vergrößerte und verkleinerte ich die Volte, bis ich auf dem richtigen Bogen war. Daraufhin wiederholte ich es noch einmal an der nächsten Seite.
      Ich strich Fruity über den verschwitzten Hals und sie kaute mir genüsslich die Zügel aus der Hand. Nun war ich endgültig kaputt. Eigentlich hatte ich mir noch vorgenommen mit Holy auszureiten, da Hedda nicht da war. Das konnte ich in dem Zustand aber abhaken.
      “Sah doch schon ganz in Ordnung aus. Morgen üben wir noch dreimal, dann passt das”, sagte Tyrell und machte sich auf den Weg zum Tor.
      “Wie, dreimal? Das arme Pferd braucht doch mal eine Pause”, sagte ich überrascht und hielt sie vor ihm an.
      “Zwei mal mit ihr und am Mittag setzt du dich mal auf die Göttin”, schlug er vor.
      “Bist du denn des Wahnsinnes? Ich setzte mich doch nicht auf das Ekelpaket! Die bringt mich schon um, wenn ich sie nur angucke”, echauffierte ich mich. Er meinte es wirklich ernst! Mit seinem verschmitzten breiten Lächeln verließ Tyrell die Reithalle und dann entdeckte ich meinen Bruder auf der Tribüne.
      “Wenn du dich nicht aufregen kannst, bist du auch krank, oder?”, lächelte Harlen, als ich im Schritt an ihm vorbeiritt.
      “Götterdämmerung ist nicht nur der Untergang der Welt, sondern auch meiner! Ich habe mehrfach versucht mit ihr Frieden zuschließen, doch nein. Madame muss natürlich hektisch neben mir hampeln und aufgeregt prusten. Dann verliere ich die Kontrolle und weg ist sie”, erklärte ich ihm die Misere. Aus Erzählung wusste ich, dass Tyrell damals unbedingt ein Rennpferd wollte und Middle Ages bereits sein erstes Rennpferd war. Aus Italien importierte er Sperma, womit sie befruchtet wurde. Mehr als ein Jahr später wurde dann das Unheil geboren. Schon mit wenigen Wochen konnte dieses Pferd niemand händeln und beim Einreiten gab es zwischen ihm und seinem Bruder so einen großen Streit, dass sie mehrere Wochen nicht mehr zusammen aßen. Götterdämmerung brachte das Unheil über alle und mit diesem Vieh sollte ich dann morgen reiten, nein danke.
      “So schlimm kann sie gar nicht sein”, lachte Harlen.
      “Ich werde es dir beweisen, wenn ich Fruity auf die Weide bringe, dann versuchen wir der Göttin ein Leckerli zu geben”, erwiderte ich überzeugt. Mit dem barocken Reitpferd unter mir drehte ich noch mehrere lockere Runden durch den Sand, bevor ich in der Mitte der Bahn abstieg und den Sattelgurt lockerte. Zufrieden strich ich ihr noch mal über den Hals.

      Um 7 Uhr klopfte es hektisch an der Tür. Dass Tyrell früh auf den Beinen war, kannte ich bereits und dass wir am Morgen trainieren wollten, war mir klar. Doch dass er mich um die Zeit aus dem Bett jagte, hätte ich mir in den kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Eine halbe Stunde später trafen wir uns im Stall. Fruity war bereits gesattelt und ich musste nur noch meinen Helm holen. Gemeinsam setzten wir dort fort, wo wir gestern aufhörten.
      Vom Boden arbeitete ich Fruity mit Tyrells Hilfe und führte im Schritt die Reihenfolge der Aufgabe. Ich hatte Mühe durch den tiefen Sand zu laufen und gähnte mehrmals. Die ersten Sonnenstrahlen blitzten durch die Fenster und erhellten den aufgewirbelten Sand. Auf dem Boden bildeten sich die großen Deckenbalken ab und warfen Parallele Schatten.
      „Schau nicht so nach unten! Konzentriere dich auf das Pferd“, ermahnte Tyrell. So viel Energie wie er hätte ich auch gern am Morgen. Es half jedoch nicht mich in solchen Wunschvorstellungen zu verlieren, wenn ich in zwei Tagen auf dem Turnier sein musste. Im Sattel angekommen, trabte ich schon an und Ritt einige Kombinationen aus der Aufgabe durch. Obwohl es erst mein zweites Mal auf ihren Rücken war, fühlte ich mich sehr wohl. Die Stute strahlte eine Sicherheit aus, die auf mich überging. Als atmete ich jeden Schritt ihrer Hufe in mir auf, klopfte mein Herz im Takt ihrer Gänge und ein leichtes Lächeln huschte über meine Lippen. Punktgenau verstärkte ich die Trabtritte beim Abwenden von Foxtrott nach Hotel über den Mittelpunkt. Begnügt lobte auch Tyrell uns. Wieder im Aussitzen setzten wir die Aufgabe fort. Mit einem leichten Knick in der Hüfte durch die Gewichtsverlagerung lenkte ich Fruity bei Bravo auf eine zehn Meter Volte, bevor ich bei Alfa hielt. Langsam zählte ich von fünf herunter. Die Stute blieb entspannt und kaute genüsslich auf dem Gebiss. Ich spürte ihre Bewegung in den Händen. Erst als sie im Genick nachgab, richtete ich sie für einige Schritte rückwärts, um aus der Bewegung heraus in den Schritt anzusetzen. Mehrmals fragte die Stute durch leichtes ziehen am Zügel nach mehr. Noch war die Aufgabe nicht vorbei, wodurch die Anfrage ignorierte.
      “Das reicht fürs Erste, um dreizehn Uhr bist du bitte mit der Göttin auf dem Platz an der Halle”, sagte Tyrell und ich stieg ab nach dem Abreiten.
      “Ich darf das Vieh nicht einmal berühren, wie soll ich die auf den Reitplatz bekommen?”, erkundigte ich mich deutlich gestresst. Die Stunde mit der Barockstute gefiel mir sehr. Nur bei dem Gedanken später noch auf dem Teufel persönlich zu sitzen, bekam ich einen Schweißausbruch.
      “Denk dir was aus”, lachte er.
      “Wenn ich die nicht runterbekommen, dann hilfst du mir gefälligst”, fauchte ich. Tyrell lachte noch immer, aber stimmte freundlich zu. Noch bevor ich mich umsah, verschwand er im Büro und ich nahm das Equipment herunter. Ordentlich verstaute ich alles auf seinem Platz. In der Sattelkammer roch es nicht nur nach dem Pferdezeug, sondern aus der Kammer nebenan strömte der Geruch von Kräutern und frischen Obst in die Nase. Hals über Kopf füllte ich noch eine Schüssel für die Stute, die beim Erblicken der schwarzen Gummischale aufgeregt mit dem Huf begann zu scharen. Mit einem leichten Klaps auf der Brust stoppte ich sie. Erst dann durfte Fruity den Kopf hineinstecken.
      Der Vormittag verlief weniger nervenaufreibend, obwohl ich mit Harlen mein Pony besuchte, traf ich niemanden auf der Bahn. Weder von Niklas war etwas zu sehen, noch von Chris oder einen der zickigen Damen. Es betrübte mich ein wenig, dass man einander nur noch selten sah und vermisste tatsächlich das Chaos aus Kanada mehr als ich dachte. Daran konnte ich nun auch nichts ändern, sondern musste nach vorne sehen. Genau wie der Umstände, dass Erik mir keine einzige Nachricht schickte und eine vollkommene Funkstille zwischen uns herrschte. Auch mit Glymur durchritt ich die Dressuraufgabe, um möglichst schnell die Reihenfolge zu verinnerlichen. Dafür hatte ich meinem Bruder die Aufgabe zugeschickt und er las sie mehrere Male vor.
      Zurück auf dem Gestüt angekommen, versuchte ich mit allen Mitteln die hysterische Fuchsstute vom Paddock zu bekommen. Wenn ich ihr das Halfter über die Ohren ziehen wollte, trampelte sie wild mit den Vorderbeinen auf den Boden oder biss in meine Richtung. Vergeblich holte ich mir die große kräftige Hilfe aus dem Büro.
      “Na, möchte dich das Pferd nicht in seiner Nähe haben?”, scherzte er als ich die Tür durchtrat. Angeschlagen nickte ich. Zusammen versuchten wir es erneut und direkt beim ersten Mal hatte Tyrell seine Stute am Halfter. Im Stall funktionierte es relativ gut das verhältnismäßig große Monster zu putzen. Erst beim Satteln benötigte ich erneut seine Hilfe.
      Wie auch schon auf dem Rücken von Fruity, fühlte ich mich auch auf der Göttin außergewöhnlich gut. Sie reagierte genau und vergewisserte sich, ob ich wirklich etwas tat oder nur auf ihrem Rücken hausierte. Doch im nächsten Moment änderte sich ihr Verhalten schlagartig. Panisch rannte sie nach vorn. Es gelang rechtzeitig in die Mähne zugreifen, sonst wäre ich unelegant im Sand gelandet. Nervös prustete die dunkle Fuchsstute und tänzelte mit aufgestelltem Schweif über den Platz. Der kleine Zaun sollte für ein Pferd dieser Größe kein Problem darstellen, aber sie blieb im Sand. Sie kam zum Stehen und sprang direkt aus dem Sattel.
      “Das war lieb gemeint von dir, aber mit der kann ich es nicht”, sagte ich aufgebracht. Der Schweiß lief noch immer an meinem Rücken herunter und der leichte Windzug im Freien kroch durch meine Jacke direkt zur feuchten Stelle.
      “Du hast es immerhin versucht, alles gut. Dann über ich mit ihr, weil sie soll auch in der A mitlaufen. Wenn es mit euch funktioniert hätte, wärst du mit zwei Pferden angetreten”, gab Tyrell ehrlich zu und stieg direkt auf. Die Steigbügel hatte er abgemacht. Am Rand setzte ich mich beobachtete die Arbeit der beiden.

      So häufig wieder auf dem Pferd zu sitzen, war nicht nur körperlich eine Herausforderung, sondern auch mental. Mehrfach am Tag musste ich mich auf ein neues Tier konzentrieren, ohne dabei das Ziel vor den Augen zu verlieren. Gleichzeitig musste ich noch für die Theorie lernen und hätte gut und gern auf das Turnier mit Fruity verzichten können.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 13.011 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende August 2020}
    • Mohikanerin
      Dressur A zu L | August 2021

      Form follows Function LDS // Forbidden Fruit LDS // Götterdämmerung LDS

      Obwohl ich viel um die Ohren hatte, vernachlässigte die drei Schützlinge nicht. Form, Fruity und die Göttin machten Fortschritte, besonders in der Rittigkeit und Selbsthaltung. Die Wendungen wurden zunehmend enger und die Rahmenerweiterung im Schritt und Trab saßen immer besser.
      Als erste des Tages kam Form an die Reihe, denn es gab immer mehr Interessenten für die blauäugige Rappstute und langsam sollte ich mich mit dem Gedanken anfreunden, dass sie eine Zukunft vor sich hatte. Dafür musste sie nun intensiver vorbereitet werden. Nach dem Satteln legte ich heute zum ersten Mal eine Kandare an, irritiert kaute sie auf den beiden Mundstücken herum, aber vertraute mir. Im Stall stieg ich auf und drehte eine kleine Runde im Schritt. Form akzeptierte das Gebiss genau wie jedes anderes und verstand auch schon den Einsatz der verschiedenen Zügel, nur in der drei-zu-eins Haltung brachte sie durcheinander. Eng zog sie den Kopf an den Hals, drückte sich nach oben und tänzelte. Wenn ich die Zügel nachgab, entspannte sich Form wieder, also mussten wir daran weiter arbeiten. Angekommen in der Halle baute ich langsam darauf auf, mehr in der Hand zu haben, im Schritt und im Trab. Die Bahnfiguren setzte ich gezielt als Übung der Rittigkeit ein, genau wie die Verstärkung.
      Fruity am Nachmittag war fleißig wie immer, kannte auch die Kandare bereits. Statt dem gewünschten einfachen Galoppwechsel, übten wir mit einem Cavaletti den fliegenden. In Achten galoppierte ich immer wieder darüber und motivierte sie dazu selbstständig zu wechseln. Anfangs war sie verwirrt, doch je öfter ich hinüberritt, umso gezielter sprang sie um. Den einfachen kannte Fruity bereits, denn ihre Rittigkeit verbesserte sich dadurch enorm. Die Stute lernte so schnell.
      Göttin hingegen hatte heute wieder einen schlechten Tag. In der Halle lief sie der Balance davon, taumelte häufig und widersetzte sich den Hilfen. Doch im Galopp lockerte sie sich und beherrschte sogar den Außengalopp. Somit arbeiteten wir die nächsten Wochen weiter an der Rittigkeit, ihrer Geduld und den dazugehörigen Lektionen. Auch Form machte Fortschritte mit der Kandare und konnte nun wirklich den Hof verlassen. Fruity bekam eine Pause, denn sie forderte immer mehr und konnte nicht mehr abschalten. Sie könnte zunehmend ein zuverlässiges Turnierpferd werden.

      © Mohikanerin // Tyrell Earle // 2322 Zeichen
      zeitliche Einordnung {August 2020}
    • Mohikanerin
      [​IMG]
      kapitel två | 25. September 2021

      HMJ Divine // Fly me to the Moon // HMJ Holy // Vintage // Wunderkind // Architekkt // Waschprogramm // Glymur // Enigma LDS // Götterdämmerung LDS // Form Follows Function LDS

      Lina
      Ich wurde wach von einem kalten Luftzug, der mir auf einmal um die Beine strich. Etwas oder besser gesagt jemand hatte mich offensichtlich meiner Decke bestohlen.
      “Juli, du hast deine eigene Decke”, murrte ich müde. Ein leises Schnarchen war die einzige Reaktion, die ich bekam. Müde öffnete ich meine Augen, die einen Moment brauchten, bis sie sich an die Dunkelheit im Zimmer gewöhnt hatten. Drei Uhr zwanzig registrierte ich mit einem kurzen Blick auf den Wecker. Im schwachen Schimmer des Mondlichts, welche durch einen Spalt zwischen den Vorhängen drang, erkannte ich meine Schwester, die sich wie ein Wrap in die Decke eingewickelt hatte. Ihre eigene Decke schien aus dem Bett gefallen zu sein, denn ich konnte einen hellen Haufen auf dem Boden am Fußende ausmachen. Schlaftrunken stieg ich aus dem Bett. Der Boden unter meinen Füßen war unangenehm kühl. Möglichst leise, um Juli nicht zu wecken, versuchte ich zum Fußende zu tapsen.
      “Ahh, fuck! Wer hat denn das blöde Ding dahingestellt”, fluchte ich leise, als mein kleiner Zeh hart mit einer Kante kollidierte. Ein stechender Schmerz zuckte durch meinen Fuß, bevor der Zeh zu pulsieren begann. Blödes Bücherregal, warum musste das denn auch genau da stehen.
      Mit der Bettdecke im Arm humpelte ich zurück zu meiner Betthälfte. Noch immer schmerzte der Zeh. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich behauptet, er sei gebrochen. Wie konnte so ein kleiner Körperteil nur so sehr wehtun? Ungeachtet des schmerzenden Zehs steckte ich meine kalten Füße unter die Bettdecke und versuchte wieder eine gemütliche Schlafposition zu finden. Nach mehrmaligen herumwälzen fand ich diese schließlich auch. Während ich so da lang und darauf wartete vom Schlaf übermannt zu werden, schlichen sich Julis tausend Fragen wieder in mein Gedächtnis. Natürlich hatten viele Fragen Divine gegolten und auch dem, was ich in Kanada so erlebt hatte, doch die meisten ihrer Fragen konzentrierten sich auf die Ursache dafür, dass ich jetzt hier war. Hier in Schweden. Nachdem ich ihr erst einmal möglich detailgetreu erzählen musste, wie ich Niklas das erste Mal begegnete, wie es dazu kam, dass er mir ein Pferd kaufte, dessen Preis ich lieber verschwieg, und was genau Jace mit der Sache zu tun hatte, war es bereits ziemlich spät gewesen. Dass ich inzwischen Mit Niklas zusammen war, hatte ich ihr bis dato noch nicht erzählt, denn so viele Fragen wie sie zu allem möglichen stellte, waren wir gerade einmal bis zum Ende der ersten Woche gekommen, wo ich mit Niklas zusammen unterwegs gewesen war um Humbi zu kaufen.
      Unwillkürlich wanderten meine Gedanken zu dem Tag danach. Eigentlich hatte er ja ganz schön begonnen, wäre da nicht Jace gewesen. Jace der mit seiner Aktion erneut bewiesen hatte, das er nicht das war, was ich mir erhoffte und dass er sich innerhalb der drei Jahre kein Stück gewandelt hatte. Jace, der kurz davor gewesen war das zu zerstören, was Ausnahmsweise mal zu funktionieren schien. Zugegebener maßen war Jace allerdings nicht allein daran schuld gewesen, dass die darauffolgenden Tage zu einer Achterbahn der Gefühle wurden. Irgendwie kam es mir immer noch ziemlich surreal vor, dass ich nun tatsächlich hier in Schweden war. Verrückt wie schnell sich das Leben doch komplett verändern kann. Neben mir raschelte es leise und Juli kuschelte sich, etwas unverständlich vor sich hin murmelt an mich. Sie war es eindeutig gewohnt, das Bett normalerweise mit ihrem Freund zu teilen.
      Meine Schwester so nah bei mir zu haben, erinnerte mich an meine Kindheit. Immer wenn ich nicht schlafen konnte, weil ich Alpträume gehabt hatte, weil es draußen gewitterte oder weil Täti Elsa ihren Bruder wieder vorwürfe machte, warum er sich nicht selbst um uns kümmerte. Diese Gespräche endeten eigentlich immer in einem Streit, woraufhin sich unser Vater noch viel mehr in seine Arbeit stürzte. Juliett war einer der wenigen Menschen, die immer für mich da gewesen waren und wie auch früher schon entspannte ich mich in ihrer Gegenwart. Meine Gedanken an Kanada zerstreuten sich allmählich wieder und die Müdigkeit gewann wieder die Oberhand.
      Das nächste Mal wurde ich von dem Piepen des Weckers wach. Vorsichtig wühlte ich mich aus den Armen meiner Schwester, um das nervige Ding auszuschalten.
      “Ist es schon morgen?”, murmelte meine Schwester und drehte sich von mir weg.
      “Jep, aber schlaf ruhig weiter”, antworte ich meiner Schwester und kletterte aus dem Bett. Ich suchte mir ein paar Klamotten zusammen und tapste ins Bad um dort erst einmal unter die Dusche zu schlüpfen. Warm rann mir das Wasser über die Haut, was mich nach und nach wacher werden ließ.
      Als ich eine halbe Stunde später wieder aus dem Badezimmer heraus trat, war die Atmosphäre gelöst und ein ziemlich guter Duft lag in der Luft. Juli war inzwischen aufgestanden und stand fröhlich summend in der Küche und schnippele Obst.
      “Mmmmm, das riecht aber lecker”, stellte ich fest als ich die Küche betrat und versuchte die Quelle des Duftes auszumachen.
      “Oh, tauchst du auch mal wieder auf”, begrüßte sie mich gut gelaunt und schob mich beiseite um etwas aus dem Schrank zu nehmen. Der Geruch der durch die Küche waberte bekam mir bekannt vor, doch ich konnte es nicht ganz zuordnen, bis ich den Inhalt des Ofens entdeckte. Das, was da im Ofen vor sich in buk, weckte Freude in mir.
      “Machst du da etwa Uunipannukakkuja?”, fragte ich noch unnötigerweise, denn eigentlich kannte ich die Antwort schon. Juli nickte und suchte etwas in einer Schublade.
      “Ich hätte auch noch Korvapuusti gebacken, aber das hätte einerseits zu lange gedauert und dein Kühlschrank hat das auch nicht hergegeben. Hast du hier irgendwo ein Puderzuckersieb?”, fragte sie und zog die nächste Schublade auf. Schulte zuckend antwortete ich ihr: “Keine Ahnung, ich wohne hier noch nicht mal eine Woche.”
      “Na gut dann suche ich mal weiter. Du könntest schon einmal den Tisch decken. Frühstück ist gleich fertig”, sagte sie und drückte mir die Teller in die Hand. Ich begann den Tisch zu decken, während meiner Schwester fröhlich weiter in den Schränken wühlte.
      “So Schwesterchen, du warst gestern noch nicht damit fertig mir davon zu erzählen, warum du jetzt hier bist und nicht in Kanada”, kam Juli nun und stellte das Backblech auf den Tisch und verschwand wieder, um die Schüssel mit dem Obst und ein Glas Schokoaufstich zu holen, um diese ebenso auf den Tisch zu stellen.
      “Müssen wir wirklich jetzt darüber reden?”, fragte ich. Eigentlich war das, was zu Beginn der zweiten Woche so passiert, ist nicht unbedingt das Ideale Frühstücksthema.
      "Ich finde schon, dass du deiner Schwester sagen könntest was dich so beschäftigt hast, dass du dich nicht gemeldet hast", antwortete sie und verteilte das Uunipannukaakkuja auf den Tellern.
      "Okay, Okay dann bekommst du die wichtigste Info und den Rest erzähle ich dir wann anders …", gab ich seufzend nach. Ich würde ihr diese Sache vermutlich ohnehin nicht mehr lange verheimlichen können, immerhin kannte meine Schwester mich vermutlich besser als jeder andere auf diesem Planeten.
      "Und die wichtigste Info wäre …?“ Über den Tisch hinweg sah sie mich fragend an.
      "Der Grund warum ich hier bin, ist … Niklas. Wir sind jetzt zusammen", beantworte ich ihre Frage und stopfte mir einen Bissen in den Mund, spürte aber wie mir die Hitze in die Wangen stieg.
      Auf Julis Gesicht trat ein erstaunter Ausdruck: “Und das sagst du mir erst jetzt?! Aber wow ich freu mich für dich. Wie kommt es dazu?” Natürlich fragte sie genauer nach, was hatte ich auch erwartet.
      “Lange Geschichte, definitiv zu lang fürs Frühstück. Ich bin glücklich mit ihm und das ist das wichtigste, was du erst einmal wissen musst. Du lernst ihn bestimmt noch irgendwann kennen ”, beantworte ich ihre Frage. Nicht das mein Freund kein tolles Thema sei, aber ich wollte erst einmal Frühstücken, bevor ich wieder die Millionen Fragen meiner Schwester beantworte.
      “Weißt du Juli, ich habe ein viel besseres Thema fürs Frühstück. Du erinnerst dich doch sicher noch an Samu …”, begann ich zwischen zwei Bissen zu erzählen.
      Juli schien kurz nachzudenken, bevor sie sich zu erinnern schien: “Der blonde, der mit mir in einem Jahrgang war, den du als deinen besten Freund auserkoren hast?”
      “Ja genau der! Weißt du, was er gebracht hat … der, der sich mein bester Freund nennt hat mir einfach nicht gesagt das er eine Freundin hat, anderthalb Jahre lang”, echauffierte ich mich über Samu. Meiner Schwester kugelte sich fast vor Lachen: “Ist das nicht der junge Mann, den du mehr fach erfolglos versucht, hast zu verkuppeln?”
      “Jap, genau der und eigentlich dachte ich wir kennen uns lang genug als, dass er mir so was erzählt”, sprach ich weiter. “Und weißt du, warum er es mir nicht erzählt hat? Weil seine Freundin hier in Schweden lebt und Samu der Meinung war, ich wäre nicht in der Lage allein zu leben”, beendete ich meine Erzählung. Juli kriegte sich immer noch kaum ein.
      “Ey, hör endlich auf zu lachen. Das hat für viel Spannungen gesorgt, das war eher weniger lustig”, beklagte ich mich und warf sie mit einer Blaubeere ab.
      “Ist ja gut, ich benehme mich schon”, kicherte meine Schwester immer noch versuchte sich zugegebenermaßen zusammenzureißen.

      Vriska
      Im Gegensatz zu meinem Bruder war ich bereits wach. Doch nicht nur einfach wach, sondern ich saß mit meinem Kaffee auf der Terrasse meiner Hütte und betrachtete den letzten Schweif der Sonne, der zum Himmel hinaufstieg. Ich hatte Schweden wirklich vermisst. Besonders fehlte mir die Hengste auf ihren Weiden sehen zu können und dabei in lauen Temperaturen die Natur zu genießen. Generell fiel es mir schwer, in Kanada den Moment zu nutzen. Als ich tief durchatmete und kurz die Augen schloss, störten Schritte durch den Kies die Ruhe. Hedda kam neugierig angerannt.
      „Du bist wieder da! So schön“, umarmte sie mich etwas weinerlich. Schön wäre gewesen, wenn ich länger hätte die Idylle nutzen können auf dem Flachland. Der Hof war umringt von Mischwäldern und die Blätter der Birken säuselten im Wind.
      “Wir haben Stalldienst, kommst du?”, holte sie mich wieder aus den Gedanken.
      “Ja, ich muss nur die Schuhe wechseln”, stöhnte ich und stützte mich aus dem Stuhl hoch. Mit einem kräftigen Schluck schüttete ich den restlichen Kaffee hinein, dann lief ich leise in die Hütte. Mein Bruder lag noch immer im Bett und drehte sich noch einmal, als ich in das Schlafzimmer tippelte, um aus dem Schrank eine andere Jacke zu holen. An der Haustür standen die Reitstiefel, in die ich hineinschlüpfte und dann endlich arbeiten. Obwohl, eigentlich hätte ich gern noch die Natur beobachtet, aber eine Aufgabe zu nehmen, reichte mir. Um mich zu erholen, hatte Tyrell mir so etwas wie Stallverbot erteilt, was mich natürlich nicht davon abhielt mit Flyma auszureiten.
      „Stimmt es, dass Lina jetzt hier am Hof ist?“, fragte Hedda mich aus beim Spannen der Litze.
      „Joa, warum?“, ich war nicht wirklich vom Thema überrascht, denn die kleine Schwester von Folke begeisterte sich für ihre Arbeit. Sie versuchte mit Holy ebenfalls so einige innige Bindung aufzubauen, was jedoch mit zwei solcher Chaoten wirklich nicht einfach war. Das schweißte sie zusammen.
      „Wir hatten Holy schon im Griff, aber seitdem ihr Partner weg ist, geht sie auf dem Paddock wieder durch den Zaun“, erzählte Hedda aufgeregt.
      „Deswegen war Tyrell so genervt. Verstehe. Aber jetzt geh zurück. Ich hole als Erstes die Einsteller rein“, wies ich sie an und sogleich rannte der geölte Blitz zu den Paddocks. Aus der Ferne vernahm ich ihren Pfiff worauf ich mit der Peitsche die Pferde noch einmal motivierte, den Weg nach Drinnen anzutreten. Angeführt trabte Mallita. Die Stute gehörte einer Einstellerin. Sie kam nicht oft zu ihrem Pferd, deswegen hatte Hedda sich ihr bereits angenommen und fand den Spaß am Springen. Ich konnte Mallita nichts abgewinnen. Sie war riesig und ungestüm, dazu noch unsicher.

      “Waren das alle?”, fragte Hedda, als auch unsere Stuten in Kopf durch die Gitter steckten zum Heu.
      “Ja, jetzt müssen wir Lina abholen, in zwanzig Minuten beginnt die Besprechung”, sagte ich trocken und verschwand in der Hütte. Harlen erhob sich aus dem Bett. Noch ziemlich verschlafen streckte er die Arme nach oben, schmatzte und wischte sich durch sein markantes Gesicht.
      „Vivi? Wo warst du so früh?“, fragte mein Bruder überrascht.
      „Arbeiten?“, verzog ich verwundert das Gesicht und goss in der Küche jedem eine Tasse Kaffee ein. Dankend nahm er sie entgegen, während ich mich an den Rand des Bettes setzte.
      „Du bist … anders“, merkte Harlen an. Es war nicht anders erwartet, dass er auf diese Art versucht mir mitzuteilen, ein wichtiges Gespräch führen zu müssen.
      „Ich weiß“, murmelte ich nervös. Kurz kam der Gedanke auf, ihm eine andere Geschichte aufzutischen, die spätestens morgen an Boden verlor.
      „Jetzt sage mir, warum ich kommen sollte. Wird wohl nicht wegen der Abschlussprüfungen sein, schließlich habe gar keine Ahnung von dem, was du hier tust“, ein freundliches Lächeln huschte durch sein Gesicht.
      „Menschen sind verletzt, meinetwegen, und …“ Ich wurde unterbrochen. Obwohl mein Bruder tagtäglich ein sehr löbliches Verhalten an den Tag brachte, konnte das ich meiner Anwesenheit vorkommen, dass er seinen Schleier der britischen Höflichkeit ablegte.
      „Bevor du weiter sprichst: Wer bist du und was hast du mit meiner kleinen unreflektierten Schwester gemacht, die vollkommen besessen davon ist, die Welt zu verbessern und deswegen Kopflos durch jedes Fettnäpfchen läuft?“ Wow. So präzise hatte mich noch nie jemand beschrieben. Umso trauriger war es, dass dieser tolle Kerl unbedingt mit mir verwandt sein musste. Manchmal scheiterte es wirklich daran. Wieso konnte es nicht wie bei Game of Thrones sein, wo es beinah erwünscht war, dass die Liebe in der Familie blieb? Nein, wirklich! Wenn es nicht verschrien wäre und auf die eine oder andere Art wirklich widerlich, dann könnten Harlen und ich die perfekte Familie gründen. Spaß beiseite. Es fehlte mir, ihn in meiner Nähe zu haben. Im Vergleich zum Rest der Sippe verstand er mich und stellte nur so viele Fragen wie nötig, ohne dabei einen Vorwurf zu formulieren.
      „Das meine ich. Seit mehr als einer Woche trage ich einem Gefühl mit mir herum, dass Bauchschmerzen auslöst, mir Sorge bereitet und mich sogar bereits zum … du weißt schon, brachte“, darüber beschämt, senkte ich den Kopf, um seinen fragenden Blicken auszuweichen. Sanft strich Harlen mir über den Rücken und ließ mir meine Zeit, darüber zu reden. Ich war dankbar darüber, gewisse Worte nicht aussprechen zu müssen.
      „Im Internet standen dazu Dinge wie Reue empfinden, aber ich möchte das Geschehene nicht ändern. Es war schön, aber hat andere verletzt. Deswegen bin ich jetzt verletzt und möchte einfach nicht mehr sein. Diese Zweifel und die Ungewissheit, damit umzugehen, bringen mich noch um meinen Verstand.“ Mit glasigen Augen sah ich an die weiße Decke der Hütte. Als ich hier einzog, hatte ich überlegt alles schwarz zu streichen, was Tyrell zum Luft schnappen brachte. Er hatte diese Ader am Hals, die begann anzuschwellen, wenn ihm etwas missfiel, aber nichts sagen wollte. So wie mein Bruder gerade auch, doch er antwortete nun doch.
      „Weißt du, kleines, es ist okay, wenn du es nicht rückgängig machen möchtest. Das zeigt nur, dass du bereit dafür bist, es als einen Teil von dir zu betrachten und nicht als ungebetener Gast, wie viele andere Puzzleteile in deinem Gehirn. Sage dir einfach, dass es nicht erneut passieren wird und vor allem, steh drüber. Dich dauerhaft dafür zum Sündenbock zu machen, quält dich nur. Hast du schon überlegt es wieder gutzumachen?“ Während er mir freundlich das Leben erklärte, blickte ich verzweifelt zur Uhr, die im Flur hing. Da ich noch Lina abholen wollte, musste das Gespräch warten.
      „Ich denke nicht, dass ich es wieder gut machen kann. Schließlich würde sie dann fremdgehen“, sprach ich schlürfte dabei meinen Kaffee aus.
      “Gleiches mit gleichem begleichen, stellt nicht immer die beste Lösung dar. Aber jetzt mal im Ernst, hast du dich an ihren Freund ran gemacht?”, fragte er noch weiter, als ich bereits mich im Abflug befand.
      “Nein, sie waren noch nicht zusammen und vor allem nicht aktuell, als es anfing. Dann fanden sie zueinander, aber ich konnte nicht aufhören …“, ich konnte die weiteren Worte nicht aussprechen. Ein Kloß breitete sich im Hals aus und durch Schlucken verschwand dieser nicht.
      “Weil du glücklich warst?”

      Tyrell
      Noch immer geduldig warteten wir auf die beiden Grazien, die offensichtlich nicht dir Uhr konnten. Die täglichen Besprechungen hatte in den letzten zwei Wochen nicht viel Sinn ergeben, umso mehr freute mich darüber, heute endlich wieder eine zu haben. Einige wichtige Dinge standen schon auf der To-do-Liste und damit jeder sein Pensum einhalten konnte, mussten wir heute teilen. Vriska arbeitete aktuell nur vier bis sechs Stunden am Tag und wenn möglich, bekam sie mögliche Pferde zugeteilt.
      “Entschuldigung”, kam Vriska mit Lina im Schlepptau dann doch noch. Wir hatten bereits mit der Besprechung begonnen, denn zwanzig Minuten Verspätung zeigte sich nicht wirklich gut für den ersten Arbeitstag. Bei Lina sah ich drüber hinweg. Sie konnte nicht wissen, wo der Seminarraum war und ich vergaß ihr alles richtig zu zeigen. Vriska war dafür zuständig, denn sie wollte Lina hier am Hof haben.
      “Ja, ja. Setzt euch einfach”, sagte ich mit einer winkenden Bewegung und sie nahmen in der ersten Reihe Platz. Linas Kopf wurde hochrot, aber ich grinste ich freundlich zu. Es gab keinen Grund deswegen peinlich berührt zu sein.
      “Also wo waren wir … ach ja. Lina? Vriska? Ihr beide müsst als Erstes eine der Boxen vorbereiten. Ein neuer Einstellerhengst wird einziehen und wir wollen die Hengste, die nicht auf Rennen laufen, auf den Paddock stellen. Danach bitte die Bungalows kontrollieren, nächste Woche kommen neue Gäste. Außerdem soll Lina heute noch Unterricht auf Betty bekommen, da unser Rotschopf aktuell andere Dinge im Kopf hat“, erzählte ich unausweichlich von meinen Notizen.
      „Noch habe ich Ferien“, sagte Hedda mit geschwellter Brust. Gerade deswegen hätte sie genug Zeit haben müssen, um Betty zu bewegen, aber wer war ich, das beurteilen zu können. In ihrem Alter habe ich ganz andere Dinge im Kopf gehabt.
      „Wie dem auch sei … Vriska, Bruce kommt die Tage und möchte etwas besprechen mit uns. Also sei bitte so freundlich und komme pünktlich“, fügte ich im Anschluss hinzu. Folke hatte bereits seine Aufgaben bekommen und verschwand ohne etwas zu Essen zu nehmen in den Stall.

      Vriska
      Zusammen mit Lina griffen wir uns die Hengste, die auf der vorgegebenen Liste standen und stellen sie nach einander mit in die Herde. Kritisch beäugte ich jedes einzelne eingegliedertes Pferd, denn ständiges Quietschen erhellte meine Ohren. Ein unbeschreibliches Gefühl lag mir im Bauch, dass die plötzliche Einführung in die Herde eine schlechte Idee war. Ich schüttelte den Kopf, um meinen inneren Monolog zu relativieren. Auch Lina bemerkte das hektische Zucken meines Körpers, aber bis auf skeptische Blicke, sagte sie nichts. Die beiden Paddocks neben der Halle, die ehrlich gesagt bei so wenigen Pferden wie ein Tierparkgehege wirkten, fühlten sich zunehmend. Auf der einen Seite standen unsere Pferde sowie die unseres Miteigentümers Collin und auf der anderen die der Einsteller. Es war für uns einfacher, zu dem konnte man den Fakt nicht außer Acht lassen, dass Tyrell die Einsteller als eine Art Eindringling oder Parasit betrachtete, die mit ihren ‘Gurkenpferden’ nur die Qualität der Turnierpferde minimierten. Oder etwas in der Art. Ich und vermutlich alle anderen konnten seine Gedankengänge nur selten nachvollziehen, doch das infrage stellen dieser, sorgte häufig für Aufregung.
      “Waren das alle?”, trat Linas Frage in meine Ohren. Ihres genervten Untertones zufolge fragte sie nicht das erste Mal. Prüfend schweifte mein Blick erneut über den Paddock. Wunder, Vintage, Waschi, Archi und Lu wechselten von den Boxen hinaus. Ruhe kehrte langsam in die Herde herein, denn Frost konnte erfolgreich seine Position als Herdenchef verteidigen. Unser Wunderkind bekam dabei einige Tritte ab, allerdings wusste er sich zu wehren und biss ihn in die Brust.
      Wir hatten es gerade noch rechtsseitig geschafft, die Boxen zu reinigen und eine von ihnen neu zu bestreuen, als ein Hänger mit Getose die Auffahrt hinauf fuhr. Tyrell stand bereits draußen und begrüßte unseren neuen Gast. Eine junge Dame stieg aus dem Fahrzeug und umarmte ihn freudig. Ungewöhnlich unwohl fühlte ich mich bei dem Anblick. Ich zupfte an den Armbändern, die ich am Morgen angelegt hatte, und meine Zähne konnten sich nicht von meinem Piercing lösen. Stattdessen biss ich so lange darauf herum, bis ein eisenhaltiger Geschmack in meinem Mund auftauchte. Kurz wischte ich mir durchs Gesicht und lief mit Lina dazu. In meinem Kopf schwirrten wieder seine Worte, dass Bruce morgen kommen würde und mir sicher mitteilte, dass Glymur nicht mehr an meiner Seite sein würde. Bestimmt war der Sturz über das Hindernis ein großer Gefahrenpunkt gewesen, denn es hätte für das Pony ganz anderes enden können. Dass diese Zweifel unbegründet waren, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.
      „Oh Eve. Bevor ich es vergesse. Das sind Lina und Vriska. Sie arbeiten hier und helfen dir gerne beim Abladen von Ralle”, stellte Tyrell uns einander vor. Im Hänger hämmerte es laut gegen die Klappe und ich öffnete zusammen mit Eve diese. Ein großer dunkler Kaltblüter tauschte vor meinen Augen hervor. Der Schweif war zusammengeflochten und mit einer Bandage umwickelt. An den Beinen trug er riesige Transportgamaschen. Fasziniert betrachtete ich den imposanten Hengst, der rückwärts heraustrat. Seine Mähne wurde kurz geschnitten und bildeten niedliche Löckchen, die abwechselnd zur linken und rechten Seite kippten.
      “Diese Box haben wir vorbereitet”, zeigte ich auf die Dritte im Gang. Bei der Renovierung dieser riesigen Halle hatte Tyrell ausreichend große Boxen errichten lassen, um die Hengste zu zweit in eine Box stellen zu können, in der sie jederzeit auf einen Paddock gelangen. Seitlich zu den anderen waren sie mit einem doppelten Zaun abgeschirmt und vermutlich war Raleigh der einzige, der seinen Kopf weit genug zur anderen Seite strecken könnte, deswegen stand er nicht direkt zu anderen Pferde.
      Bei einem kalten Eistee, als wäre es nicht schon Kühl genug, saßen wir auf der Terrasse der Reithalle. Mittlerweile waren auch Harlen, Folke und Juli dazu gekommen, die sich mit Eve fabelhaft verstanden. Ich hingegen konnte sie nicht so recht einschätzen. Sie wirkte vertraut, beinah zu vertraut, aber machte gleichzeitig einen boshaften Eindruck, als führe sie etwas im Schilde. Bei meinen Vorahnungen hatte ich mich nie geirrt.
      „Vriska, wann hast du Prüfung?“, fragte Tyrell mich plötzlich. Wenn es etwas gab, worüber ich nicht reden wollte, dann das. Ich hatte auf zwei Jahre verkürzt, denn ‘meine hervorragenden reiterlichen Fähigkeiten’ sprachen für sich. Ziemlich kurzfristig wurde mir Angeboten noch in diesem Jahr die Prüfungen abzulegen. Den Stoff könnte ich schnell aufarbeiten, doch dem war nicht so. Ich hinkte noch immer hinterher, obwohl das Lernen zusammen mit Niklas mir viele Vorteile mitbrachte. Dass er mehr Erfahrung hatte als ich, zahlte sich in vielen Punkten aus.
      “Nächste Woche”, antwortete ich kurz. Während ich in Kanada noch davon überzeugt war, zwei weitere Wochen zum Lernen hatte, enttäuschte mich mein Terminkalender zu Hause. Nicht nur, dass ich mich im Datum geirrt hatte, sondern auch noch im Fach, brachte mich ziemlich in die Bredouille. Tyrell merkte, dass ich nicht drüber sprechen wollte und nickte nur. Dann schloss er sich wieder dem Gespräch von Harlen und Eve an, die sich interessiert über den Börsenkurs von irgendeinem Unternehmen unterhielten. Es war mir ein Rätsel, wie das mein Bruder sein konnte. Ich hatte noch Aufgaben vor mir. Da Lina noch mit ihrer Schwester besprach, stand ich wortlos auf und holte aus der Sattelkammer ein Halfter, ein altes, ziemlich dreckiges und an einigen Stellen war es sogar eingerissen. Warum das überhaupt noch in der übertrieben ordentlichen Sattelkammer zu finden war, brachte mich auf neue Herausforderungen. Ich warf es nicht in den nächsten Mülleimer, sondern lief zum Stutenpaddock. Neugierig erhoben die Stuten ihren Kopf. Mit einem freundlichen Winken begrüßte ich allesamt, doch schnappte mir Enigma. Die braune Stute mit leuchtenden eisblauen Augen zog jeden in ihren Bann. Tatsächlich war sie nicht die Einzige mit blauen Augen. Von allen Seiten sahen welche zu mir, die meisten von ihren Schecken. Ich führte Enigma zum Stall und traf dabei auf Eorann. Sie erkundigte sich nach Folke, ihrem Freund. Ohne große Reden zu schwingen, zeigte ich zur Terrasse.
      „Na komm meine Hübsche, du möchtest doch sicher ein tolles Reitpferd werden“, sagte ich zu ihr. Ich hatte sie bereits ruhig geputzt und die Trense angelegt. Denn, wir wollten in den Wald, eine Runde spazieren gehen und dabei vom Boden aus arbeiten. Sie hatte im letzten Jahr ihr erstes Fohlen und vermutlich für die nächsten auch das einzige. Da wir so viele Jungpferde auf den Weiden hatten, erinnerte ich mich nicht einmal daran, ob es ein Hengst oder eine Stute war. Selbst die Fellfarbe kam nicht in den Sinn, obwohl ich mir sonst alles merkte. Vermutlich hatte ich eine schlechte Phase, denn dann vergaß ich nicht nur sehr viel, sondern verdrängte unnötiges. Es könnte auch verkauft sein. Oder war sie es, die nicht aufgenommen hat?
      Zu gern hätte ich euch davon erzählt, wie lieb und aufmerksam wir durch den Wald spazierten, Enigma meinen Hilfen folgte und in einem gleichmäßigen Viertakt neben mir herlief. Doch dem war nicht so. Jedes knacken im Unterholz schreckte die junge Stute auf, ließ sie stehen bleiben und hektisch umgucken. Vom Schaben der Baumkronen ganz zu schweigen. Ihre Augen wurden größer und die Nüstern auch. Aufgeregt schnaubte sie, stellte den Schweif auf und könnte bei Staatsoper eine gute Ballerina darstellen. Nur mit viel Gefühl bekam sie weiter und zu guter Letzt drehten wir um. Enigma war voller Energie und es fehlte ihr nur ein Fünkchen Selbstvertrauen, dann hätte sie sich losgerissen. Verärgert stellte ich sie ins Roundpen. Ich löste noch rechtzeitig die Zügel, da schoss sie wie ein geölter Pfeil durch den Sand. Vielleicht hätte ich vorher sie ablaufen lassen. Auf beiden Händen rannte Enigma hektisch im Gangsalat.
      „Sie hat viel von dir“, trat eine bekannte Stimme an mich heran.
      „Ach ja? Wie kommst du denn darauf?“, sagte ich zu meinem Bruder. Er legte seine Arme auf dem Tor ab und betrachtete Enigma, die noch immerhin um mich kreiste, wie ein Border Collie um eine Schafsherde.
      „Jung und ungebändigt, aber ein Kind im Herzen“, lachte Harlen.
      „Sehr lustig. Sie ist erst vier, logisch, dass jung und ungebändigt ist“, rollte ich mit den Augen. An Stelle eines weiteren Kommentars lächelte er wieder. Enigma stoppte am Tor und sah mit erhobenem Haupt zu ihm. Sanft strich Harlen ihr über die Schnauze. Vielleicht hatte er gar nicht unrecht. Ich fühlte mich in seiner Umgebung auch sicherer, aber mich mit dem Entwicklungsstand eines vierjährigen Pferdes zu vergleichen, war eine bodenlose Frechheit.
      „Wann fahren wir eigentlich zu deinem Pony?“, sprach Harlen, nach dem sich Enigma wieder von ihm löste und im Schritt dem Hufschlag folgte.
      „Ich schätze nach her, weil ich noch für die Prüfung üben muss“, antwortete ich freundlich.
      „Gut, wann?“, ging die Löcherei direkt weiter.
      „Och Harlen. Nachher irgendwann, erst mal gebe ich noch Unterricht und dazwischen muss ich noch mit weiteren Pferden arbeiten“, erklärte ich nun wieder genervte und wendete mich der Stute zu. Sie zog noch immer ihre Kreise um mich.
      Langsam aber sicher befreundete ich mich nicht nur mit Enigma an, sondern auch der Motivationsrede meines Bruders. Er konnte überzeugend sprechen, vor allem einem Mut geben. Doch das war nur kleiner Teil seiner Stärken. Ich, als das Sandwich Kind, hatte alles abbekommen an negativen Eigenschaften in der Erbanlage, wie keiner der anderen beiden. Das Erwachen, das Harlen wirklich bei mir war, kam langsam aber sicher bei meinem Hirn an. Serotonin schoss durch meine Adern, geradewegs durch mein Gesicht. Mit neuer Energie lächelte ich fröhlich und führte Enigma zurück auf ihren Paddock, als ein Auto die Einfahrt hochfuhr. Tyrell stand nur einige Meter entfernt und holte gerade die Göttin. Oder auch Mörderpferd, wie ich zu sagen pflegte. Unsummen an Geld verschlag dieses Pferd, noch bevor es auf der Welt war. Ihr Vater stammt aus einer hochgezüchteten Rennpferdefamilie und lief selbst jahrelang Galopprennen. Wohingegen ihre Mutter aktiv im Passrennen unterwegs war. Die Mischung aus zwei sehr temperamentvollen Pferden zeigte sich zwar äußerst Ergiebig als Rennpferd im Trab, aber als Reitpferd gänzlich ungeeignet. Schon der Umgang stellte eine Herausforderung dar. Folke beherrschte sie, nur ich mich mochte das Pferd nicht. Als das Auto näher kam, erinnerte ich mich, wieso ich so erschrocken meinen Chef anblickte. Er hatte das, wohl sehr penetrante, Starren auch bemerkt und kam mit der Göttin, die mit vollen Namen eigentlich Götterdämmerung hieß, zu mir.
      „Erwarten wir jemanden?“, fragte ich schließlich und nickte mit Kopf in Richtung des Fahrzeugs.
      „Eigentlich nicht, aber vermutlich jemand, der den Erlebnisreiterhof entdecken möchte?“, lachte er.
      „Ich glaube kaum, dass jemand wegen einigen Schafen mit einem Motorlosen Porsche herkommt“, merkte ich nervös an.
      „Ach Vriska, der ist nicht Motorlos, sondern elektrisch betrieben“, klärte Tyrell auf. Ich nickte nur.
      „Vielleicht sollte ich mir aufschreiben, dass wir noch eine Ladesäule benötigen“, murmelte er sich selbst zu und zog im Laufen das Handy heraus, um sich eine Notiz zu machen. Ich hielt derweil den Zaun auf und schloss es hinter den beiden. Als ich erblickte, wer aus diesem Fahrzeug stieg, verging mir alles. Nicht nur, dass er in Uniform gekommen war, sondern auch die Tatsache, dass ich es schaffe heute nicht stundenlang meine Gedanken an ihn zu verschwenden, ließ mich erstarren. Wie angegossen stand ich mit dem Tor in der Hand vor dem Paddock.
      „Ach schau, den solltest du doch kennen. Bestimmt ist er wegen der Stute hier. Mach‘ du das“, beschloss Tyrell kurzerhand und lief zum Stall. Wie stellt er sich das vor? Ich hatte Form zwar eingeritten, was einige Hürden mit sich brachte, aber ich kannte das Pferd nicht so gut wie er. Beinah jede freie Minute hatte mein Chef in die bisherige Ausbildung der Stute gesteckt. Es nutzte nichts, ich hätte mir noch weiter den Kopf zerbrechen können, aber da musste ich durch. Act natural, erinnerte ich mich selbst und lief mit einem heraus gezwungenen Grinsen in seine Richtung.
      „Was machst du denn hier?“, fragte ich gleisnerisch und blieb einige Meter vor ihm stehen mit meinen Armen in der Hüfte aufgestellt. Super Vriska, sehe natürlich. So reagierst du immer auf ungebetene Gäste, klar.
      „Ich freue mich auch dich zu sehen, mir geht es gut, danke der Nachfrage“, scherzte Niklas und musterte mich genauso wie ich ihn. Es war nicht fair, dass er so gut aussah und ich hier in einer dunklen Hofjacke stand, die mir auch mehr als zwei Nummern zu groß war, und einer Reithose, die an den Knien Löcher aufwies. Harlen hatte vielleicht am Abend doch recht gehabt, dass ich mich ordentlicher Ankleiden soll, man weiß nie, wer zu Besuch kommt.
      „Bitteschön“, antwortete ich wohlüberlegt.
      „Wie dem auch sei. Ich bin hier zum Probereiten von Form und der Hengste für Smooth“, erklärte er dann. Dass Niklas plante seine Stute noch dieses Jahr decken zu lassen, erschien mir zu spät, aber was geht mich das an. Ich zuckte mit den Schultern und lief los. Er begleitete mich in den Stall, bis zur Kammer und sah sich dabei erstaunt um.
      „Und so willst du also reiten?“, versuchte ich ein Gespräch aufzubauen. Die Stille quälte mich ein wenig.
      „Wenn du genauer hingesehen hättest, wäre dir der Besatz aufgefallen“, schmunzelte er.
      „Erwartet der Herr, dass ich ihm in den Schritt blicke? Tut mir leid, aber du hast eine Freundin, also bist du raus“, schnaubte ich abfällig.
      „Ach jetzt auf einmal“, lachte Niklas und drückte ihm demonstrativ ein pinkes Halfter in die Hand mit pinken billigen Teddyfell und Herzchen Muster. Das Ding benutzt wir nie, aber heute würde es seine Aufgabe erfüllen.
      „Das ist jetzt doch nicht dein Ernst“, wedelte er mit dem Halfter vor meinem Gesicht.
      „Doch, schon“, lachte ich und schloss die Tür zur Kammer.
      „Der Hof sieht aus, als hättet ihr eines unserer Konten leer geräumt und du willst mir erzählen, dass ich mit so was ein Pferd holen soll“, beschwerte sich Niklas.
      „Also ich finde, es passt zu deinem kindischen Verhalten fabelhaft. Und jetzt komm mit“, ich konnte mir nicht verkneifen weiter zu lachen und zusammen holten wir Form vom Paddock. Mit einem Pfiff hoben alle Stuten Kopf. Sie warteten Geduld, wer gefragt war. Ich rief ihren Namen und in ruhigen Schritt trat Form schnaubend zu uns. Zur Begrüßung strich er ihr über den Kopf und legte danach das Halfter um. Der Ton leuchtete auf ihrem schwarzen Fell noch stärker und sah wirklich grauenhaft aus. Es war so schrecklich, dass umgehend ein Foto machte. Niklas bekam das mit und machte eine Grimasse. Ich glaube, das war der Beginn einer wirklich seltsamen Freundschaft. Auf dem Rückweg blödelten wir ungewöhnlich vertraut miteinander herum und für eine gewisse Zeit, vergaß ich sogar, was in Kanada alles passierte.
      Während er noch am Putzen war, holte in ihr Zeug aus der Kammer. Beinah jedes Pferd hatte seine eigene Trense, nur die Sättel mussten sich einige teilen. So stand ich vor der Auswahl an Pferdsitzer, Running Gag auf dem Hof, und wusste nicht mehr genau, welcher ihr bisher am besten passte. Schlussendlich schleppte ich den barocken Dressursattel von Tyrell nach unten, den er auf den meisten Pferden verwendete. Schleppen traf es im Übrigen bestens, denn er war wahrlich schwer. Laut dem Katalog im Shop brachte er stolze neun Komma fünf kg auf die Waage. Als mich Niklas ächzen sah, kam er voller Verwunderung helfen.
      „Erst dachte ich, dass du doch nicht so stark bist, wie du immer tust, aber der ist anschaulich schwer“, kommentierte er und nahm ihn mir ab. Ich nickte nur und behielt die Schabracke zunächst in der Hand. Dann legte ich sie auf ihren Rücken und dazu noch ein Lammfellpad. Natürlich hatte ich daran gedacht und eine Pinke, oder eher Himbeerfarbene Unterlage ausgesucht.
      „Sind wir dann so weit?“, fragte ich gespannt, als er mich wieder mit seinen leuchtenden Augen anblitze.
      „Bandagen? Oder zumindest Gamaschen?“, antwortete er mit Gegenfragen. Na gut, wenn er es so wollte. Passend dazu, hätten wir sicher welche, aber in der Kramkiste war es nicht immer leicht etwas Bestimmtes zu finden. Also griff ich nach beliebigen Fesselkopfgamaschen und Glocken. Am Ende hatte ich zwar zwei einheitliche für die Vorderbeine, aber für das hintere Beinpaar nur zwei unterschiedlich Farben. Die Glocken waren vergleichbar schwarz, also irrelevant, welche man fand. Mit dem Farbchaos kam ich zurück, wobei sich Niklas nur lachend an den Kopf fasste.
      „Das wäre der Punkt, an dem ich ein Probereiten abgebrochen hätte, denn das macht keinen guten Eindruck“, scherzte er. Schon so. Ich konnte ihm nur recht geben, aber es traf sehr unverhofft, unvorbereitet.
      “Hätte ich gewusst, dass wir hohen Besuch bekommen, hätte ich mir mehr Mühe gegeben. Wirklich”, lachte ich.

      Lina
      Meine Schwester erzählte ungefähr schon seit einer halben Stunde irgendeine Story von ihrer Arbeit, wovon ich allerdings nicht wirklich viel mitbekam. Während ich ihr mit halbem Ohr zuhörte, hatten meine Augen begonnen meine Umgebung näher in Augenschein zu nehmen. Jeden Tag aufs neue fühlte ich mich ein wenig überwältigt von diesem Hof. Alles war so groß und mit jeder Aufgabe, die ich bekam, hatte ich entweder die Sorge mich zu verlaufen oder fühlte mich auf irgendeine andere Art inkompetent. Doch das was mich viel mehr einschüchterte war die luxuriöse Erscheinung. Das Whitehorse Creek war zwar auch relativ modern gewesen, doch immer noch weitaus einfacher, mitten im kanadisch Nirgendwo war die Optik weniger wichtig, das praktisch stand ganz im Vordergrund. Hier schien das Ganze ein wenig anders zu sein. Der Hof sah zu jeder Zeit aus wie aus dem Katalog. Mit jeder neuen Ecke, die ich hier entdeckte, wurde mir bewusster das der Hof hier in einer ganz anderen Liga spielt, als das was ich bisher kannte. Schon allein die riesige Reithalle, in der ich mich gerade befand, war ziemlich beeindruckend und immer wieder stellte sich mir die Frage wie dieser Hof immer so ordentlich aussehen konnte. Mich faszinierte, dass ich den Hof ganz anders wahrnahm, als ich im April hier gewesen war, um Divine in Empfang zu nehmen. In dieser einen Woche, waren meine Gedanken viel mehr mit dem weißen Häufchen Elend beschäftigt gewesen, als mit der schicken Umgebung.
      “Hast du mir überhaupt zugehört?”, unterbrach die Stimme meiner Schwester meine Gedanken. Irritiert blickte ich sie an, tatsächlich hatte ich sie kurz vergessen.
      “Das ist wohl ein Nein. Du wirst wohl nie aufhören zu träumen”, amüsierte sie sich.
      “Ich träume nicht, ich reflektiere meine Situation. Das ist ein wichtiger Unterschied”, verteidigte ich meine Unaufmerksamkeit.
      “Ja klar, ein wichtiger Unterschied”, pflichtete mir Juli bei, doch der spöttische Unterton blieb mir nicht verborgen. Genervt verdrehte ich die Augen. Meine Schwester liebte es mich mit meinen Eigenarten aufzuziehen, besonders mit denen, die sie nicht nachvollziehen konnte.
      Gelächter begleitet von Hufgeklapper näherten sich, bevor sich das Tor öffnete und zwei Personen mit einem schwarzen Pferd eintraten. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, was meine Schwester allerdings nicht mitbekam, da sie bereits mit dem Neuankömmling beschäftigt war.
      “Was macht denn ein Polizist bei euch und dann auch noch so ein hübscher?”, fragte sie interessiert und ließ sie ihren Blick prüfend über den Erwähnten wandern. Tatsächlich tat sie das immer, wenn sie einer männlichen Person begegnete, was bei ihren ersten beiden Freunden zu großer Eifersucht geführt hatte, weil sie es auch nicht gerade unauffällig tat.
      “Juliett, hast du nicht einen Freund zu Hause?”, erinnerte ich sie, als sie für meinen Geschmack ein wenig zu intensiv schaute. Juli zuckte nur mit den Schultern und murmelte ein wenig schnippisch: “Man wird doch mal gucken dürfen, mehr tu ich doch gar nicht. Aber du hast mir meiner Frage nicht beantwortet, wer ist das? So wie du fragst, weißt du, wer das ist.” Natürlich wusste ich, wer das war, auch wenn mich sein plötzliches Auftauchen ein wenig überraschte, auf positive Weise. Ich konnte mich zwar nicht daran erinnern, dass er mir mitgeteilt hatte, dass er heute vorbeikommen wollte, aber egal. Mir wäre allerdings auch zuzutrauen, dass ich es einfach verpeilte.
      “Ja, weiß ich. Das ist Niklas”, antworte ich ihr mit engelsgleichem Gesicht.
      “Der Niklas? Dein Freund?”, fragte sie in einer Mischung aus Erstaunen und Begriffsstutzigkeit.
      “Hab ich dir etwa bisher von einem anderen Niklas erzählt?”, amüsierte ich mich über meine Schwester, so leicht war sie normalerweise nicht aus der Fassung zu bringen. Zudem war mir inzwischen die interessante Farbwahl aufgefallen, die an der Rappstute in der Halle zu sehen war. Im starken Kontrast zu der dunklen Fellfarbe der Stute leuchtete eine pinke Schabracke unter ihrem Sattel und ihren Beinen war ein buntes Sammelsurium an Gamaschen angebracht. An den vorderen Beinen trug das Pferd knallrote Gamaschen mit einem aus der Entfernung nicht identifizierbaren Muster. Am linken Hinterbein leuchte eine lila Gamasche, deren Klettverschlüsse ihre besten Tage schon hinter sich hatten, denn sie waren ausgefranst und klebten eher nur zur Hälfte. Das vierte Bein zierte eine wahre Geschmacksverirrung in Orange-, Blau- und Brauntönen. Wenigstens die Hufglocken waren schwarz und trugen so nicht auch noch zu dem Kunstwerk bei. Nik und Vriska blödelten ein wenig zusammen rum, während sie die Stute im Schritt durch die Halle führten. Seit wann verstanden sich die beiden denn wieder so gut? Hatte irgendetwas stattgefunden, was ich nicht mitbekommen hatte…?
      “Du hast ja doch guten Geschmack, bei deinem letzten Freund habe ich da schon stark dran gezweifelt”, sagte Juliett und unterstrich ihre Aussage mit theatralischen Gesten. Die Erwähnung meines Ex Freundes weckte keine guten Erinnerungen. In Kombination mit dem Leistungsdruck von meinem Vater, der einen guten Abschluss erwartete und den Bildern, die mich in meinen Träumen verfolgten war, diese Beziehung absolut toxisch gewesen. Aus Angst vor Zurückweisung hatte ich ihm lange nichts davon erzählt, dass meine Vergangenheit manchmal wie ein Monster aus den Schatten auftaucht und mich nicht mehr loslässt. Nachdem ich es ihm erzählt hatte, ließ er mich fallen, als ich ihn am meisten gebraucht hätte. Ich spürte bereits das Kribbeln in meinen Fingern, die den Drang nach monotonen Kreisbewegung verspürten.
      “Juli, kein gutes Thema grad”, murmelte ich, in der Hoffnung, sie würde den Wink, verstehen und ein Thema wählen, was diese dunkeln Gedanken vertreiben konnte. Glücklicherweise verstand sie sofort: “Ist das, was das Pferdchen da trägt, Kunst oder ein neuer Modetrend?
      Sieht nämlich überaus bescheuert aus.”
      Ich musste ein klein wenig schmunzeln. Recht hatte sie, Form sah überaus bescheuert aus.
      “Weder noch glaube ich … Ich vermute mal, Vriska hat das verbrochen, wobei das außergewöhnlich farbenfroh für sie ist”, beantwortete ich die Frage. Das letzte Nachbeben der verschwinden Gedanken, war ein ganz schwaches Gefühl von Verlassenheit, was sie ganz tief in meinem Herzen hinterließen. Meine Schwester bewies mal wieder, dass sie mich besser kannte als jeder andere, denn statt mich mit Fragen zu malträtieren, nahm sie mich in den Arm und redete mir gut zu: “Hey Lina Süße, ich weiß zwar nicht genau was in deinem Kopf schon wieder vorgeht, aber das ist Vergangenheit, das ist vorbei. Und weißt du, der dich nicht nimmt, wie du bist, ist ein Vollidiot und hat dich auch gar nicht verdient.” Sie hatte recht, aber das war nicht das was mir sorgen, bereitete. Dass Nik verständnisvoll war, stand außer Frage. Es war etwas anderes, was ich nicht genau festlegen konnte.
      “Wenn du darüber reden möchtest, weißt du ja jederzeit”, bot Juli an. Auch wenn ich sie manchmal gerne hassen würde, die Momente wie jetzt waren die, weswegen sie die beste große Schwester ist.
      “Vermutlich ist es nur wieder etwas, worüber ich mit zu viele Gedanken mache. Vielleicht komme ich später noch darauf zurück, aber danke”, lehnte ich ihr Angebot ab. Auch wenn es nicht wirklich um das unbestimmte Problem gegangen war, hatte ihr Worte mich doch ein wenig aufgemuntert.
      „Es tut mir leid eure innige Unterhaltung zu stören“, kam Vriska auf uns zu. Ich nickte.
      „Du müsstest mit mir jetzt rasch Cherry und Frost holen, weil dein Freund gleich wieder zur Arbeit muss“, fügte sie noch hinzu und lief, ohne auf eine Antwort zu warten, bereits weiter zur Sattelkammer. Neugierig fragte Juli, wer die beiden seien und ich erklärte ihr, das kurz bevor ich Vriska folgte.
      “Am besten nimmst du Cherry, das ist der Lusitano da”, erklärte sie und drückte mir ein Halfter in die Hand. Während Vriska den großen Scheckhengst halfterte und die Hengstkette anbaute, holte ich den besagten Falbhengst vom Paddock. Kaum einen Meter vom Auslauf entfernt begann Frost sich aufzuspielen. Seiner Meinung nach ging das alles hier viel zu langsam. Cherry hingegen trottete gelassen neben mir her und schien sich für den Aufstand seines Artgenossen gar nicht zu interessieren.
      “Frost ist ja ein ziemlich wild, ist der immer so drauf?”, versuchte ich ein Gespräch mit Vriska anzufangen, während wir zurück zur Halle liefen.
      „Kann man so sagen, aber er würde einem nie willentlich verletzen wollen. Es ist eher eine Art Vorfreude, Aufregungen über das was kommt“, antwortete sie und hatte Frost verhältnismäßig gut im Griff beim Passieren des Eingangs. Niklas schwebte noch immer über den Sand mit der Rappstute, aber motiviert sah er dabei nicht aus.
      „Vriska, ich schätze, du kannst den wieder wegbringen“, maulte er sie plötzlich an. Nach einem Augenrollen drehte sie wieder um zu den Paddocks. Leicht irritiert sah ich Vriska nach, die mit dem Hengst wieder verschwand, blieb mit Cherry aber stehen, wo ich war. Neugierig beobachte der Hengst neben mir, die dunkle Stute die sich elegant durch den Sand bewegte. Für einen Moment lang überlegte ich, ob ich warten sollte bis er mich bemerkte oder ob ich riskierte genauso freundlich angemault zu werden wie Vriska, denn ganz offenbar hatte der Herr gerade eine bomben Laune. Ich entschied mich für letzteres, besser gesagt der Falbhengst entschied das, indem er ein Wiehern von sich gab, vermutlich dazu gedacht, um die Aufmerksamkeit der Stute auf sich zu lenken.
      „Lässt du dich jetzt auch mal blicken?“, lächelte Niklas ungewöhnlich aufgesetzt. War das auch eine Anschuldigung oder versuchte er mich aufzuziehen?
      “Ich wäre ja auch früher gekommen, hättest du mal Bescheid gesagt, dass du kommst”, versuchte ich mich zu erklären und noch während ich es aussprach, merkte ich, dass es mehr wie eine Anschuldigung klang, als ich beabsichtigt hatte.
      “Sorry, das sollte kein Vorwurf werden”, schob ich etwas sanfter hinterher, um meine Aussage zu revidieren. Eigentlich freute ich mich ihn zu sehen, denn als er die Halle betrat, hatte er mich für einen kurzen Moment vergessen lassen, wie fremd ich mich hier fühlte.
      “Schon gut, dann sattle ihn bitte. In zwanzig Minuten muss ich los”, sagte er vertraut und ritt mit Form im Schritt wieder los. Ich nickte und stellte den Hengst, der geduldig neben mir gewartet hatte, auf den Putzplatz. Der Lusitano war nicht sonderlich dreckig, sodass ich nur einmal über die Sattellage und die Beine drüber putzte. Als ich nach Beinschutz für den Hengst suchte, wurde mir klar, warum Form solch einen bunten Anblick bot. Unter den Deckeln der grünen Metallkisten kam ein buntes Chaos aus Bandagen und Gamaschen jeglicher Art zu Vorschein. Mit ein wenig Mühe fand ich ein paar gleich aussehende Gamaschen für die Vorderbeine und ich beschloss, dass es reichen musste. Um mehr aus diesem Chaos herauszufischen blieb nicht die Zeit.
      Als ich gerade rätselte, welcher der Sättel wohl auf den Rücken des Iberers passen würde, kam zum Glück Vriska zurück und zeigte mir den Sattel. Brav ließ sich der Hengst von mir satteln und kam mir beim Trensen sogar mit dem Kopf entgegen. Knappe 5 Minuten hatte ich gebraucht um den Falben fertig zu machen und stand nun mit ihm wieder vor dem Hallentor.
      “Tür frei, bitte”, rief ich in die Halle, bevor ich mit dem Hengst eintrat und bekam auch sogleich eine Antwort von Niklas, der gerade mit der Rappstute in der Hallenmitte anhielt. Wir tauschten die Pferde und er schwang sich in den Sattel. Sofort senkte Cherry seinen Kopf. Form neben mir scheuerte ihren Kopf an meiner Schulter, Schaum verteilte sich auf meinem blauen Sweater. Verärgert drückte ich sie zur Seite. Ihre Augen weit aufgerissen, die Nüstern aufgebläht und der Boden bebte. Die Lippe zog sie nach oben, als hätte ich einen Löwen auf sie gehetzt. Einen Moment später stand Form wieder still neben mir. Eine solch heftige Reaktion hatte ich nicht gerade erwartet, seltsames Pferd. Währenddessen trabte Niklas bereits auf dem Hengst und ritt einige Seitengänge, etwas früh für meinen Geschmack, aber das ging mich nichts an. Nach dem Galopp stieg er sogleich ab und Vriska war bereits dazu gekommen, um Cherry im Empfang zu nehmen. So schnell Niklas zum Hof kam, verließ er ihn auch wieder. Zum Abschied bekam ich einen Kuss auf meine Stirn.
      “Pass auf dich auf”, verabschiedete ich ihn und sah im nach, wie er aus dem Stall verschwand. Gern hätte ich ihn noch einen Moment länger um mich gehabt, doch was sollte man schon machen, wenn die Arbeit ruft. Die rief mich nun auch wieder. Eigentlich viel mehr Vriska, die mich darauf hinwies, dass das Pferd sich wohl nicht von allein absatteln würde.
      “Na komm Form, dann bringen wird dich mal nach Hause”, sprach ich zu der dunklen Stute, die mich mit ihren blauen Augen beobachtete.
      Als ich gerade dabei war ihr die Trense abzunehmen, tauchte meine Schwester auf einmal von irgendwo auf und fragte neugierig: “Ist er schon wieder weg?”
      “Jap, Nik musste zur Arbeit. Kannst du mir mal diesen kleine-Mädchentraum von Halfter da bitte reichen”, beantworte ich ihr Frage und forderte sich gleichzeitig dazu auf sich nützlich zu machen.
      “Schade, ich hätte ihn mir auch gern mal aus der Nähe angeschaut”, scherzte sie und reichte mir das Plüschteil, bevor sie begann die Gamaschen von den Beinen der Stute abzubauen.
      “Das glaub ich dir, musst du wohl noch etwas hierbleiben, wenn das dein Ziel ist.” Schmunzelnd zog ich Form das Halfter über die Ohren und hakte die Anbinder ein, bevor ich auch den Sattel, der erstaunlich schwer war, von ihrem Rücken nahm.
      “Ich hatte jetzt vor gleich wieder abzureisen, Lina. Immerhin hast du dich knappe zwei Jahre nicht bei mir blicken lassen”, beschwerte sie sich und folgte mir in die Sattelkammer. “Wo kommen diese Teile hin?”, fragte Juli und wedelte mit den Gamaschen durch die Luft.
      “In einer der Kisten des Chaos”, antworte ich ihr und versuchte das Monstrum von Sattel auf seinen Platz zu hieven, was auch mehr oder weniger gut funktionierte.
      “Kisten des Chaos? In diese Sattelkammer? Du willst mich doch auf den Arm nehmen”, hinterfragte sie misstrauisch und sah sich dabei in dem Raum um. Alles in diesem Rau, hing ordentlich an der Wand oder war in einem Regal verräumt, bis auf die drei grünen Militärkisten, die auf dem Boden unter den Trensen standen.
      “Nein, ist mein voller Ernst. Schau einfach selbst in die Kiste”, antworte ich ihr und klappte den Deckel auf, damit sie sich selbst ein Bild davon machen konnte. Etwas ungläubig sah sie in die Kiste bevor sie den Haufen Gamaschen einfach hineinfallen ließ. Die Trense nahm ich ihr aus der Hand und hängte sie, nach dem Auswaschen des Gebisses, ebenfalls an ihren Platz und nachdem ich Forms Wohnort in Erfahrung gebracht hatte konnte ich sie auch wegbringen.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 50.096 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende August 2020}
    • Mohikanerin
      Dressur L zu M | September 2021

      Götterdämmerung LDS

      Vielleicht sollte ich wirklich versuchen mich mit dem Kind anfreunden, dachte ich mir als ich Erik und Fredna am Zaun beobachtetet. Sie streichelte gerade Götterdämmerung, an die sonst niemand herankam, bis auf Tyrell. Vorsichtig strich sie dem Pferd übers Maul, als würde es gleich zusammenfallen, wenn man zu sehr drückt. Ich hatte die Aufgabe bekommen in seiner Abwesenheit das Tier zu bekommen, dass ich schon mit seiner Hilfe kaum vom Paddock hinunterbekam. Aber offensichtlich scheute es nicht den Kontakt zu dem kleinen Menschen zu suchen, der noch immer laut lachend am Zaun stand. Erik hingegen beobachtete das Geschehen mit einem gewissen Abstand zu den Pferden und sah immer wieder zu mir, als sollte ich ihn aus der Situation befreien.
      „Ich gehe ein Halfter holen“, sagte ich lachend und ging in den Stall. Glücklicherweise hatten es Lina und Niklas noch geschafft den Stall vor meinem Betreten zu verlassen. Ich wollte ihn mehr sehen und am liebsten für immer aus meinem Leben verbannen, zu sehr lenkte er mich von dem ab, was mir wichtig war und bereitete mir emotional viele Probleme.
      In der Sattelkammer griff ich nach dem erstbesten Halfter, dass über ihren großen Kopf passen sollte. Zu meiner Zufriedenheit war es keins der furchtbaren rosanenen, die Tyrell aus dem Spaß heraus Anfang des Jahres bestellte und nun munter an den Pferden benutze. Stattdessen war es einfarbig grau und vermittelte keinerlei Intentionen. Hatte ich schon mal gesagt, was es für eine Weltreise darstellt ein Halfter zu holen? Die Sattelkammer befand sich auf der anderen Seite der Halle, glücklicherweise im Erdgeschoss der kleinen Hütte, doch seit dem Lina da war, hing kein Halfter mehr am Eingang der Halle. Für die Ordnung machte dies einiges her, dass sich keine Tausenden Halfter mehr an dem einzigen Haken neben dem Rolltor sammelten und teilweise auf dem Boden lagen, doch für meine Faulheit stellte es ein riesiges Problem dar. Ich sollte eins immer an dem Paddock lassen, dann würde ich den Weg mir ersparen, dachte ich mir, als ich wieder am Zaun ankam. Fredna war noch immer dabei das Mörderpferd zu streicheln und meine Aufmerksamkeit auf sich.
      „Ska vi ta ut ponnyn ur hagen tillsammans? (Wollen wir das Pony zusammen von dem Paddock holen)“, fragte ich sie aufrichtig. Erik musterte mich skeptisch, aber verkniff sich, mich daran zu erinnern, dass die beiden gleich losmussten. Die Kleine lachte und griff eifrig nach meiner Hand, um mir durch die Gitter zu folgen. Umgehend bildete sich eine Traube aus Pferden um uns herum, als wir auf dem Sand ankamen. Alle sahen den kleinen Menschen gespannt an und streckten den Kopf in ihre Richtung, so auch die Göttin. Sie kämpfte sich nach vorn, als würde sie sagen ‘das gehört mir’ und Fredna lachte direkt laut. Kurz drehte die Stute ihre Ohren irritiert nach hinten und ich erinnerte das Kind daran, in der Nähe Pferde etwas ruhiger sein zu sollen. Sie sah mich mit ihren blauen Augen böswillig an, aber nickte zustimmend. Dann nährte ich mich dem Fuchs und schaffte es tatsächlich das Halfter ohne Widerstand über ihren Kopf zu ziehen. Dann liefen wir zu dritt zum Tor, dass uns Erik freundlicherweise öffnete. In seinen Augen kam das Pferd ihm bedrohlich nah und er entschied einige weitere Schritte rückwärtszugehen, um der äußerst gefährlichen Situation zu entkommen – Dafür gab es keinen Grund. Götterdämmerungen hatte nur Augen für das seltsame Wesen, dass neben mir lief und immer wieder das Bein berührte. Gemeinsam setzten wir die Reise zur Halle fort.
      Fredna nahm sich das Putzzeug und strich sanft mit der Bürste über das Fell, zumindest an den Stellen, an denen sie herankam wie die Beine und der Brust. Auch die Gurtlage war äußerst penibel geputzt worden, während ich schon mal das Sattelzeug holte. Etwas unbeholfen betrachtete ich die große Ansammlung von Sätteln und Trensen. Ich hatte die Stute zuvor nie so weit, dass ich entscheiden musste, welches des Equipments wohl ihres sein würde. Langsam folgte ich den Schildern mit meinen Augen, bis ich den schwarzen Sattel sah mit riesigen Pauschen und einer furchtbaren Lacktrense, die daneben hing. Nun gut. Eilig griff ich danach und schnappte mir vorher noch zwei Fesselkopfgamaschen, bevor ich wieder bei der Stute ankam.
      “Wir müssen nun los, Liebling”, verabschiedete Erik sich von mir und gab mir einen kurzen aber leidenschaftlichen Kuss auf den Mund. Sein Abgang missbilligte mich, denn ich wusste, dass er nun für einige Tage nicht mehr da sein würde. Das sorgte nicht nur dafür, dass er aus meiner Nähe verschwand, sondern auch Niklas wieder greifbar erschien. Halt stopp, ich wollte nicht mehr an den Kerl denken! Ich schüttelte den Kopf und widmete mich wieder dem Pferd, dass mich auch etwas verwirrt ansah.
      “Bist du heute nett zu mir?”, fragte ich verunsichert. Sie schüttelte zwar den Kopf, aber ließ mich tatsächlich satteln und trensen. Auch nach dem ich den Helm aufgesetzt hatte und sie zum Eingang des Platzes führte, gab es keinen Widerstand.
      Zur Sicherheit arbeitete ich ziemlich lange vom Boden aus, fragte Kruppe- und Schulterherein ab. Zuverlässig folgte sie der Gerte und realisierte sogar, wenn ich es in der Konterstellung verlangte. Zwischendurch erntete ich noch böswillige Blicke oder sie schnappte nach mir, was ich mit einem Klaps zu unterbinden wusste. Als aus der Ferne Hufschlag ertönte, erinnerte es mich daran, dass ich doch mal aufsteigen sollte. Ich hörte mit, dass das Klima zwischen den beiden sich verdunkelte und kleine Regenwolken aufzogen, bevor sie plötzlich verschwanden und die Sonne wieder herauskam. Meine Ohren spitzten sich, als er offensichtlich jemand anderes suchte zum Essen. Niklas sah zu mir hinüber, willkürlich begann ich zu lächeln. Mehrfach erinnerte ich mich daran, dass das keine gute Idee sei und als er wieder zurück runderte, wusste ich, dass ich mir unnötigerweise überhaupt Hoffnungen machte. Ich war ein ziemlicher Idiot, schon immer gewesen und daran würde sich auch nichts mehr ändern. Beide verschwanden recht schnell aus meinem Sichtfeld und ich konzentrierte mich auf die Göttin, die mich tatsächlich Gewehren ließ, als ich die Aufstiegshilfe in der Mitte platzierte am Sattel. Ihr Schweif schlug, aufregt. Mehrfach bekam ich die peitschenähnliche Hiebe gegen meinen Oberschenkel, der umgehend begann zu schmerzen. Mistvieh, aber ich wusste, worauf ich mich eingelassen hatte.
      Innerlich überlegte ich, was dieses Pferd überhaupt beherrschte und dringend abgerufen werden sollte. Zum Glück hatte Tyrell dafür die Lösung mit der App und mir für seine Abwesenheit einen Trainingsplan erstellt. Als ich die ganzen Lektionen las, wurde ich nervös. Die Seitengänge würde ich noch hinbekommen, aber versammelter und starker Schritt wirkten so weit entfernt von meinem Können, dass auch eine Traversalverschiebung oder halbe Pirouette im Schritt viel mehr nach einem schlechten Witz klangen. Verzweifelt sah ich mich um, aber entdeckte auch niemanden, der mir helfen könnte. Ja, Lina und Niklas krochen noch durch die Gasse, aber ich wollte nicht noch einmal den großen, starken und so allwissenden Typ mich dominieren lassen. Also scrollte ich hektisch durchs Internet und versuchte mir selbst die Hilfen zu erklären, ja, im Netzt danach zu suchen, konnte nichts Gutes bedeuten, aber die Göttin sollte schon wissen, was ich wollte. Tyrell sollte sie äußerst genau ausgebildet haben, sondern wären unsere gerittenen Dressurpferde nicht so gefragt auf dem Markt. Es gab nur wenige von ihnen, aber keins dieser eignete sich wirklich für den großen Sport, den ich nun anstrebte. Das Hauptproblem lag tatsächlich an der Rasse und ihrem Aussehen. Die meisten der Pferde waren äußerst bunt und trugen Gangpferdeblut in sich, dass man auf dem Abreiteplatz öfter mal bemerkte und erniedrigende Blicke abbekam. Deswegen ritt ich höchstens auf einem Gangpferdeturnier mit den Pferden.
      “Vriska?”, hörte ich auf einmal Bruce fragen, nachdem im Galopp die Zügel überstrich auf der Diagonalen der Bahn. Erschrocken parierte ich durch und blieb stehen.
      “Oh, was machst du denn hier?”, freute ich mich.
      “Ich bringe die Ponys und bräuchte Hilfe, weil Tyrell mal wieder vergaß, dass ich die heute bringen würde”, lachte er und zeigte nach draußen. Durch die große Fensterfront erblickte ich den Lkw, in dem wohl die Isländer stehen würden. Mein kleines Herz begann zu rasen, endlich die Tiere wiederzusehen. Ich hatte sie alle ewig nicht mehr zu Gesicht bekommen können, denn die Fahrt nach Stockholm nervte mich.
      “Ah, ich kann leider nicht. Ich muss mit dem Teufel hier eine mittlere Dressur üben, aber Lina kann dir sicher rasch helfen. Die müsste irgendwo herumlaufen mit ihrem Typen”, erklärte und zeigte zur Sattelkammer. Er bedankte sich. Überzeugt rannte Elsa vor.
      Zurück beim Pferd versuchte ich die zuvor abgerufenen Lektion erneut. Besonders Spaß fand darin, die Stute in Serie zu wechseln. Ich hatte es zuvor nur mit Lubi im Training gemacht, ein einziges Mal. Doch Göttin reagierte treu auf die Schulterführung, ohne das ich groß Energie einsetzen musste. Zum Abschluss überprüfte ich noch einige Male die Rittigkeit durch Seitengänge und Kehrwendungen.
      “Es ist erstaunlich, was du alles kannst, wenn du willst”, tauchte nun noch Niklas auf. Man, konnte er mich nicht einfach in meiner kleinen Welt lassen, in der er nicht existierte.
      “Tja, und das alles ohne deine Hilfe”, lachte ich. Super, ganz sinnvolle Antwort.
      “Wo hast du dein Kerl gelassen?”, erkundigte er sich noch und verschränkte die Arme, nach dem er die Gegend musterte.
      “Offensichtlich nicht da”, trübte sich meine Stimmung, “aber er kommt wieder.”
      Eine Augenbraue hob sich skeptisch, als würde er mir nicht glauben. Warum musste er dabei so gut aussehen? Es machte mich verrückt. Ich hasse ihn.
      “Dann glaube ich dir mal, aber wir sehen uns dann morgen”, erinnerte Niklas, dass ich mit Lubi wieder nach Kalmar fahren musste. Das war an sich auch kein Problem, jedoch bedeutete es, dass er auch da sein würde. Vielleicht sollte ich das Training absagen.
      Ich sah Niklas noch nach, als wieder zum Schritt ansetzte und die Stute abritt.


      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 10.102 Zeichen
      zeitliche Einordnung {September 2020}
    • Wolfszeit
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      Check-Up | 18. Oktober 2021

      Götterdämmerung//Rainbeth
      Mal wieder war ich auf das renommierten Traber Gestüt auf der kleinen Halbinsel Revsudden bestellt worden. Für zwei der Stuten stand bald eine Zuchtprüfung an und sie sollten vorher noch einmal durchgecheckt werden. Langsam rollte mein Wagen auf dem Kies aus, bevor ich ihn ordnungsgemäß parkte.
      Ausnahmsweise empfing mich heute der Chef Tyrell Earle persönlich. Für gewöhnlich schickte er einen der beiden Mädels, oder in selten Fällen auch schon mal Folke.
      Mit einem Blick auf meinem Auftragszettel wusste ich auch warum er persönlich heute da war, Götterdämmerung.
      Die dunkle Fuchsstute war alles andere als ein freundlicher Zeitgenosse und außer Tyrell selbst, schienen nur wenige in der Lage zu sein sie zu händeln. Das Pferd stand bereits in seiner Box und streckte drohen den Kopf über die Tür. Der Eigentümer ließ sich in keinster Weise von dem Gehabe beeindrucken. Während der Untersuchung äußerte der Fuchs immer wieder seinen Missmut, indem er wütend aufstampfte und mit dem Schweif umher schlug. Außer der schlechten Laune ließ sich an der Stute nichts beanstanden, sodass ich zu dem nächsten Patienten übergehen konnte.
      Rainbeth war um einiges friedlicher bei der Untersuchung, was gerade das Abtasten deutlich erleichterte. Auch bei der Falbstute gab es keine größeren Befunde außer einer kleinen Schramme am Hintern, die aber ohne Weiteres von allein heilen würde.
      Nach getaner Arbeit verabschiedete ich mich von Herrn Earle und machte mich auf den Weg zum nächsten Auftrag.


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    • Mohikanerin
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      Falzeisen für Götterdämmerung LDS und Rainbeth | 19. Oktober 2021

      Götterdämmerung LDS // Rainbeth

      Im Stall brannte noch hell das Licht, als ich über den Schotterweg zum Hof fuhr, um kurzfristig, wie immer, noch einmal die Hufe nachzuschneiden für zwei Stuten. Tyrell begrüßte mich freundlich. Er hatte die Götterdämmerung und Betty schon in der Gasse zu stehen und für mich einen Kaffee gekocht.
      “Schön, dass man dich auch mal wieder sieht”, lachte ich heiter und nahm das heiße Getränk entgegen. Wir erzählten uns einige Neuigkeiten, während ich langsam mich der Fuchs Stute nährte, die an einigen Tagen sehr eigenartig sein konnte. Heute schlief sie beinah auf meiner Schulter ein, als ich die Eisen entfernte an den Vorderhufen und die Hufwand kürzte.
      “Hast du der Ketamin gegeben, oder was stimmt nicht?”, erkundigte ich mich verwirrt.
      Tyrell lachte.
      “Nein, Vriska kommt in letzter Zeit sehr gut mit ihr klar und reitet sie dementsprechend täglich in der Dressur”, erklärte er dann. Es beruhigte mich, zu wissen, dass das Pferd endlich eine Beschäftigung hatte. Wie besprochen bekam sie auch hinten Hufeisen daran, die im Kaltbeschlag befestigte und nach zwanzig Minuten konnte ich mit Betty fortfahren.
      Auch ihre Eisen konnten noch einmal wiederverwendet werden und nur die Hufwand musste gekürzt werden. Die schüchterne Stute wagte nicht einmal zu zucken, sondern wartete geduldig, bis ich die Hufe wieder abstellte.
      “Die sollte etwas mehr Öl bekommen, die Hufe sind zu weich”, informierte ich den Chef.
      “Wird gemacht”, sagte er entschlossen und tippte auf dem Bildschirm herum, der einige Meter weiter im Gang hing.
      “Ihr mit eurer Technik hier. Ich bin froh, wenn mein Autoradio funktioniert”, scherzte ich.
      Dann ölte ich die Hufe der jungen Stute ein, machte die Rechnung für die Abrechnung und fuhr nach Hause. Heute hatten wieder mehr als zehn Pferde schöne Schuhe bekommen.

      © Mohikanerin // 1797 Zeichen
    • Mohikanerin
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      kapitel åtta | 8. Dezember 2021

      Satz des Pythagoras // Schneesturm // Vintage // Forbidden Fruit LDS // Götterdämmerung LDS // HMJ Holy // Girlie // Einheitssprache // Ready for Life // HMJ Divine

      Niklas
      Spät in der Nacht kam ich zu Hause an. Die sonst ziemlich kurze Fahrt vom Hof verlängerte sich ungemein durch einen Zwischenstopp im Nirgendwo. Eigentlich kannte ich die Gegend wie meine Westentasche, aber plötzlich und unerwartet leitete mich das Navigationssystem von der Fernstraße ab. Folgte der Straße durch kleine verschlafene Dörfer, Felder, Wälder, bis ich auf einem verlassenen Rastplatz landete mit einer Ladesäule neben einem heruntergekommen gelb blauen Tankstellen Gebäude, das mit einem älteren Mann besetzt war. Er stand an dem hinteren Eingang, rauchte und beobachtete mich genau, als ich die Auffahrt hinauf fuhr im Schritttempo. Normalerweise waren die meisten Ladestationen mit einer hohen Leistung ausgestattet mit um die zweihundertfünfundsiebzig Watt, diese jedoch brauchte sie nicht auf. Also stand ich, wartete, deutlich länger als erwartet, um zumindest die verbleibenden vierzig Kilometer nach Hause zu schaffen.
      Obwohl ich den Luxus genoss, ausschlafen zu können, klingelte mich unliebsam mein Handy aus dem Bett. Zu bestimmen, wie viel Stunden ich in meinem Bett verbringen durfte, konnte ich nicht einschätzen. Es war zu kurz, denn nur kläglich fand ich den Weg ins Badezimmer und es dauerte eine Ewigkeit, bis ich aus dem Kleiderschrank ein Outfit wählte.
      > God morgon, min son
      “Guten Morgen, mein Sohn”, begrüßte mich Mama freundlich, als ich mit hängenden Schultern die hölzerne Treppe ins Erdgeschoss hinauflief.
      > God morgon
      “Guten Morgen”, murmelte ich. Aus der Küche roch es verlockend und neugierig warf ich einen Blick auf den Herd. Mama und ich hatten uns abgesprochen, heute gemeinsam zu essen, bevor ich mich auf dem Weg zu meiner Freundin machte.
      > Lyckades du i går?
      “Warst du gestern erfolgreich?”, fragte sie bei dem Decken des Tisches. Im Voraus hatte ich mit ihr gesprochen, wusste, dass ich ihr vertrauen kann und ihre Tipps immer richtungsweisend waren.
      > Nej, inte på ett lyckat sätt. Men vi lyckades lösa det.
      “Erfolgreich, nein. Aber wir konnten das Problem lösen”, erklärte ich verschlossen.
      > Det är ju trots allt så
      “Immerhin”, seufzte Mama,
      > Ska du fortfarande gå till din flickvän?
      “ Triffst du dich dennoch mit deiner Freundin?”
      “Jag”, sagte ich wenig überzeugt, aber freute mich vordergründig meine Stute zu treffen. Lina schickte mir täglich Bilder von ihr, wie sie auf die Weide kam, ihr Futter bekam oder in der Führanlage typisch temperamentvoll den Schweif aufstellte und ihre Runden drehte. Ich vermisste sie viel mehr, als ich dachte. Zeitlich hätte ich es aber nicht geschafft, Form für die nächste Saison vorzubereiten und Smoothie abzutrainieren. Irgendwo dazwischen musste ich schließlich arbeiten, essen und selbst meine Fitness aufrechterhalten, da reichte das Reiten leider nicht aus.
      > Upp med hakan, du kommer över det.
      “Kopf hoch, du kommst schon darüber hinweg”, rief mir Mama noch zu, als ich durch die Garagentür den Wohnraum verließ. Schon beim Einsteigen in mein graues Fahrzeug wurde ich darüber in Kenntnis gesetzt, dass eine Restreichweite von fünfzig Kilometern blieb. Bei dem Blick zur Steckdose bemerkte ich auch wieso. Der Volvo meines Vaters hing noch immer am Kabel und ich vergaß meinen Wagen einzustecken. Also tippte ich Lina eine Nachricht, dass ich etwas später kommen würde, da es einige Schwierigkeiten gab. Ihr zu offenbaren, dass ich im Zuge meiner gestrigen Verwirrtheit einen Fehler machte, fiel mir selbst gegenüber nicht einmal leicht. Sie antworte, dass sie sich bereits freute und es kein Problem sei. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ein kleines Lächeln huschte durch mein Gesicht, also konnte ich noch nach einer passenden Ladesäule suchen, wo ich nicht Stunden verbringen müsste, um endlich weiterzukommen, außerdem fehlte auch die Lust mit Lina unbekannterweise zu warten. Es ging schnell, bis mein Auto mir nach dem Start sagte, dass an einer Ausfahrt mit Tankstelle eine für mich passende stand. Dort fuhr ich ab und steckte den Taycan an. Ich musste nur mit meinem Finger an der Büchse entlangfahren und schon öffnete sich der Deckel wie von Zauberhand.
      Bevor die Fahrt weitergehen konnte, sah ich mir das eintönige Gelände näher an, besonders das Innere der Tankstelle, weckte mein Interesse. Bereits auf der kurzen Strecke spürte ich, dass meine Augen Probleme hatten, den Blick auf der Straße zu halten. Keine gute Voraussetzung, wenn ich das Auto noch eine Weile behalten wollen würde. Also bestellte ich mir einen großen Milchkaffee und fand noch eine Kleinigkeit für Lina, über die sie sicher freuen würde. Es war ein kleines weißes Plüsch Einhorn mit rosafarbenen Flügeln, die mit etwas Fantasie an Ivy erinnerten. Sie vermisste ihn und ich konnte es nachvollziehen. Das Pferd war noch meilenweit davon entfernt ein gutes Reitpferd zu sein, aber konnte einem durch sein ruhiges Gemüt wirklich weich werden lassen. Mir fehlte die Verbindung zu ihm, aber glaubte fest daran, dass es mit den Beiden Schicksal sein musste.
      Zwanzig Minuten später durfte ich meine Fahrtfortsetzung, denn sechzig Prozent Ladung sollten für die heutigen Kilometer ausreichen. Augenrollend spielte ich mit dem Gaspedal und wollte am liebsten ins Lenkrad beißen, nach dem es auf der einspurigen Strecke nur noch mit dreißig Kilometer pro Stunde weiter ging bei einer erlaubten Geschwindigkeit von hundert. Laut atmete ich ein und wieder auf, ganz ruhig Niklas, die Kerle in den Lkw arbeiten nur. Darin lag auch mein Problem, würde ich in der Geschwindigkeit arbeiten, hatte ich eine schöne Zeit im öffentlichen Dienst. Kurz lachte ich. Latte würde mir fehlen, wenn ich sein freundliches Wiehern am Morgen nicht hören würde oder die unpassenden Kommentare meiner Kolleginnen, die es äußerst unterhaltsam fanden, dass ich mit meinem Hengst sprach. Ich unterhielt mich mit ihm über fast alles, sogar Lina durfte er schon kennenlernen, außerdem bat ich ihn, etwas zu tun. Er konnte empfindlich sein, mochte es nicht, wenn es regnete oder windig war. Doch auch Sonne irritierte den Braunen. Eigentlich stand er am liebsten in seiner Box und biss in dem Gummispielzeug, dass eigentlich für große Hunde entwickelt worden war. Die Varianten des Dings für Pferde interessierte ihn nicht. Den größten Unterhaltungsfaktor brachten wir in der Reithalle im freien Training. Ich spielte regelmäßig mit ihm, denn auf dem Paddock stand er allein, so wie ich – der Hahn im Korb.
      > Sväng höger.
      “Rechts abbiegen”, erinnerte mich mein Auto daran, endlich die Fernstraße zu verlassen. Erleichtert drückte ich auf das Gas und fuhr minimal zu schnell die Abfahrt entlang. Erst im Nachhinein prüfte ich, ob Kollegen in Sicht waren oder einer der so beliebten Blitzer, aber nein. Für den Augenblick kam ich noch davon, sonst wäre es teuer geworden. Nur noch wenige Minuten trennten mich davon mein Pferd endlich wiederzusehen und natürlich auch Lina. Meine Augen wanderten zum Beifahrersitz, auf dem Ivy bereits auf sie wartete. Schon aus der Ferne erkannt ich das schwarze Schild mit dem handgezeichneten Logo. Vielleicht sollte Lina es einmal überarbeiten, so wirkte es ziemlich unordentlich, aber was wusste ich schon. Im Schneckentempo fuhr ich die Auffahrt entlang und parkte auf dem Parkplatz neben Eriks Auto, dass der immer noch hier war. Unglaublich. Hatte der nichts Besseres zu tun, als Vriska zu belästigen? Verzweifelt atmete ich aus, griff nach dem Mini Ivy und stieg aus.
      Suchend sah ich mich um, aber sah niemanden. Meine erste Adresse war somit der Stall, dort traf ich bisher immer irgendwen. Auch heute wurde ich nicht enttäuscht, zumindest in der Tatsache, jemanden zu treffen. Ausgerechnet Vriska ritt im Gebäude. Schon an der Stimme erkannt ich, dass sie es sein musste, auch wenn es etwas nasal klang. Ich zögerte, die Schwelle zu übertreten, denn ich wollte ihr nicht unter die Augen treten nach der seltsamen Situation zwischen uns, dem allem voran meine Unsicherheit. Normalerweise fühlte ich mich allen überlegen, wusste, was ich tat, aber jetzt scheiterte es schon daran, eine minimale Kante zu übertreten. Aber ich tat es, nur um zu überprüfen, ob Lina eventuell auch dabei war. Ich warf einen Blick zu meiner Linken und sah Vriska auf einer langbeinigen Schimmelstute mit dunklem Langhaar sitzen. Sie trug ein Martingal und bevor ich einen Gedanken darüber verlor, was der Grund sein könnte, dass sie einem Pferd Hilfszügel befestigte, schwang es energisch den Kopf nach oben, aber wurde durch die Ringe am Zügel daran gehindert. Immer wieder wippte sie und erinnerte mich an einen Wackeldackel, der auf der Ablage eines alten Mercedes stand. Vriska hatte mit dem Pferd zu kämpfen, es in eine Gebrauchshaltung zu bekommen und deutlich den Trab zu beruhigen. Sie bemerkte mich am Rand nicht, zum Glück, oder zumindest konzentrierte sie sich auf den Schimmel und sah nicht zu mir.
      “Du musst ihr mehr Freiheit geben sich fallen lassen zu dürfen und ruhiger sitzen”, dachte ich plötzlich laut, ich Idiot. Jetzt bekam ich doch ihre Aufmerksamkeit. Umgehend bremste Vriska die Stute in den Schritt ab und hielt an der Bande ab. Sie reichte ihr so hoch, dass sie die Arme darauf ablegte und lachte.
      “Ach, da ist ja unser Klugscheißer. Lina rennt heute schon den ganzen Vormittag aufgeregt über den Hof, am besten guckst du mal links bei den Weiden. Sie hatte sich zu Smoothie gesetzt”, half sie mir weiter und zeigte in Richtung eines anderen Ausgangs.
      “Danke”, hielt ich mich kurz und drehte mich weg.
      “Ich habe zu danken”, antwortete sie noch. Ich sah noch einmal neugierig zu ihr und wie ich es sagte, trabte der Schimmel deutlich ruhiger und warf nicht mehr so stark den Kopf nach oben. Stolz lächelte ich in mich hinein.
      Aufgeregt folgte ich dem Weg zur Weide, der tatsächlich mit kleinen handgeschriebenen Wegweisern ausgeschildert war und da saß Lina auf einem Stuhl, den Kopf zum Schoß gesenkt, auf dem ein Block lag. Sie zeichnete vermutlich, denn ich schätzte sie nicht als Schreiberin ein. Langsam näherte ich mich und wollte sie überraschen, aber Smoothie vermasselte mir diese Chance. Aus dem Nichts bockte sie im Stand und quietschte aufgeregt. Dann kam sie zum Zaun getanzt, konnte nicht erwarten, dass ich ihr endlich über Kopf strich. Auch Lina bemerkte das Theater und drehte sich um. Ein strahlendes Lächeln zauberte sich auf ihr zartes Gesicht. Ich hatte fast vergessen, wie sie einem in ihren Bann ziehen konnte. Ja, wenn Vriska nicht in Sichtweite war. Ich schämte mich dafür.
      “Guck mal, ich habe dir einen Mini Ivy mitgebracht”, lachte ich, viel mehr, um mich wieder abzulenken, als um Lina dafür zu begeistern. Sie legte, ihren Block beiseite, nahm das Plüschtier entgegen und betrachte es begeistert.
      “Aww, das ist niedlich, das sieht tatsächlich fast aus wie Ivys wahre Persönlichkeit”, lachte sie entzückt und spielte an den kleinen Flügeln herum, “und dann ist es noch so schön flauschig. Dankeschön, das ist so süß von dir.”
      “Bitteschön”, schmunzelte ich verlegen und schlang meine Arme um sie, roch an ihren Haaren, die vertraut nach Mandelblüte dufteten und in der Nase kitzelte. Ich verharrte einen Moment und strich über ihren Rücken. In meinem Inneren suchte ich nach dem, was man fühlen sollte, aber konnte nicht genau definieren, was gerade vorherrschte. Mein Herz schlug schneller. Ich hoffte, Lina bei mir haben zu können, solang ich es brauchte, bis ich mir klar darüber werden würde, was ich wollte. Aber so funktionierte es natürlich nicht. Also schwieg ich, redete mir ein, dass es das Richtige war – Alles, nur in Millisekunden, weniger als einem Wimpernschlag. Mein Herz raste.
      “Ich weiß nicht genau, ob dein Pony oder ich mich mehr darüber freuen, dass du da bist”, lächelte sie, sah dabei mit ihren strahlenden Augen zu mir hoch. Einzelne Strähnen hatten sich aus den liebevoll geflochtenen Zöpfen verabschiedet und standen chaotisch in die Luft. Der seichte Wind ließ sie wehen. Es wurde still, auch in meinem Kopf, nur die sanften Töne der noch immer aufgeregt tänzelnden Stute lagen hypnotisierend in der Luft.
      „Ich weiß es leider auch nicht, aber Smoothie scheint sich mehr ins Zeug zu legen“, schmunzelte ich.
      „Ist das so?“, raunte Lina leise, bevor sie sich auf die Zehenspitzen stellte und mir einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen drückte. Ohne darüber nachzudenken, legte ich meine Hände an ihre Hüften, zog sie zärtlich an mich. Doch, dann zögerte ich. In mir spülte sich das Verlangen in den Vordergrund, langsam mit meinen Händen zum Rücken zu wandern. Einfach machte es mir Lina nicht. Die dunkelblaue Reitleggings saß eng an ihrer Hinterpartie, verlockte mich danach zu greifen. Aber ich tat es nicht, aus einem ganz einfacheren Grund: Ich hatte Angst, ihr schlechte Gefühle zu bereiten oder ungewünschtes Verhalten auszulösen, als riss ich mich zusammen.
      “Na gut, überzeugt”, stammelte ich, schob meine Brille wieder nach oben und öffnete gedankenverloren die Litze der Weide. Smoothie stupste mich an, erhob den Kopf, um mir meine Frisur zu zerstören. Sie hatte schon immer ein Problem damit, wenn ich mich besonders bemühte, die Pracht unter Kontrolle zu bekommen. Beinah rüpelhaft stieß sie mir gegen den Kopf.
      > Sluta.
      “Hör auf”, fluchte ich und hob drohend die Hand. Einige Schritte tanzte sie zurück, beruhigte sich umgehend. Sie schnaubte und stellte sich mit Abstand zu mir.
      “Soll ich schon vorgehen, oder lässt du deine Kunst hier liegen?”, fragte ich aufrichtig und drehte mich zu Lina um.
      “Ja geh schon mal, ich bring das gerade schnell weg”, antworte sie und sammelte geschäftig ihre Sachen ein. Ich nickte und folgte dem Trampelpfad, der durch die Weiden zum befestigten Kies führte. Wieder begann die Stute ihren Kopf an mir zu reiben, trat mir mit den Vorderhufen in die Schuhe. Entschlossen bremste ich, drehte mich zu ihr.
      > Ta dig nu samman!
      „Jetzt reiß dich zusammen“, tadelte ich. Aus der Ferne vernahm ich das Starten eines älteren Traktors und die Motorgeräusche wurden lauter. Smooth zuckte zusammen und senkte den Kopf, die zuvor weit aufgerissenen Augen schlossen sich in gleichmäßigen Abständen vertraut. Ich erwischte mich bei dem Gedanken, dass Lina die falsche Person im Umgang mit ihr sein könnte, schüttelte mich. Es war absurd. Sie konnte gute mit Pferden umgehen und es fehlte nur die Erfahrung mit meinem Ausnahmetalent.
      Im Stall lief zunächst durch die Gasse, suchte, an welcher Stelle ich das Pferd anbinden könnte. Nachdem ich das x-te Mal über den Beton schritt und mittlerweile schon den Strick in der Hand gehalten hatte, der vorher an der Box meines Pferdes hing, blieb ich an der Bande stehen und versuchte durch meine reine Anwesenheit, Vriskas Aufmerksamkeit zu gelangen. Lina schien nicht nur ihre Zeichensachen wegzuräumen, sondern noch die Wohnung zu putzen oder nach Kanada zu reisen, um ihr Pferd zu holen.
      „Wonach giert es dir?“, lachte Vriska, als sie mich endlich bemerkte nach meinem elendigen Starren.
      „Wo kann ich mein Pferd putzen?“, stotterte ich unsicher. Sie zeigte mit ihrem Finger zu einer breiten boxenähnlichen Struktur direkt neben dem Solarium. Erleichtert nickte ich, bevor sie sich umgehend abwandte und erneut mit der Schimmelstute über das Konstrukt aus Stangen trabte. Innerlich entfachte sich erneut die Empörung darüber, dass sie praktisch von einem auf den anderen Tag kein Interesse mehr an mir hatte. Ihre Zeichen waren deutlich. Sie sah kein einziges Mal zu mir, als ich Smoothie vorbereitete, und hatte sogar mir Vertrauen geschenkt, über ein Inneres zu sprechen. Mit Erik wirkte es inniger, als es mir lieb war. Die Angst, sie auch zu verlieren an der Sache, wie den Großteil meines Umfelds wuchs stündlich. Ich konnte und durfte es nicht zulassen, dass sie ebenfalls in dem Loch landete.
      Lina kam mit einem Schecken am Halfter durch den Gang gelaufen, aber wurde prompt von Vriska gestoppt. Überrascht sahen sie einander an, als hätte keiner damit gerechnet.
      “Vinni wird dir keine Freude machen, hol dir lieber Fruity”, grinste Vriska.
      “Okay, wenn du das sagst”, lächelte Lina, “Danke.”
      Ihre Freude über Vriskas Angebot war unverkennbar, als sie mit dem Schecken wieder kehrt machte. Der Hengst drehte verwundert den Kopf, aber folgte freundlich. Es dauerte nicht lange, bis sie mit der Braunfalbstute wieder kam. Das Pferd hatte schon beim Führen eine erstaunliche Ausstrahlung. Langsam schloss sie die Augen, öffnete sie wieder und das blau leuchtete. Ihr großes Kopfabzeichen setzte sich prägnant vom dunklen Kopf ab.
      “Da möchte mir wohl jemand Konkurrenz machen?”, musterte ich die beiden mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Lina winkte nur lachend ab und hängte die Regendecke über eine Stange, die sie zuvor herausklappte. Sie war rasiert, bis auf die Beine und dem Kopf standen nur noch kleine Stoppeln zur Luft. Wenn ich die Außentemperaturen betrachtete, konnte ich es nicht nachvollziehen. Zudem wusste ich, dass die Stuten Tag und Nacht draußen verbrachten und nicht wie Smoothie in der Nacht in eine der großen, warmen Boxen durften. Ich strich meinem Pferd über das Fell am Hals. Sie war fertig geputzt und weitestgehend sauber, natürlich stellte es schon von jeher eine Herausforderung dar, einen Schimmel wirklich sauber zu bekommen. Das matschige Herbstwetter half mir bei meinem Vorhaben auch nicht so ganz, aber es stand ohnehin keine Veranstaltung mehr an, somit durfte Smoothie das innerliche Schwein ausleben.

      Lina
      Dadurch, dass Fruity eingedeckt war, gab es nicht viel zu putzen. Neugierig nestelte die Stute an alle herum was in die Nähe ihrer Schnauze kam, schien sich regelrecht zu freuen mal jemand anderen als üblich vor sich zu haben. Sanft schob ich ihren Kopf beiseite, um an ihr vorbei zur Sattelkammer zu kommen. Der heutige Tag erfüllte mich mit unfassbar viel Freude. Der Besuch meines Freundes allein wäre schon ein Grund gewesen, sich zu freuen, aber in den Genuss zu kommen, Forbidden Fruit zu reiten steigerte meine Stimmung ins Unermessliche. Die Falbstute war der aktuelle Liebling meines Chefs und wenn man sie nur ein paar Minuten betrachtete, verstand man auch warum. Schon, wenn die Stute einfach ruhig dastand und einen freundlich aus ihren blauen Augen entgegenblickte, zog sie einen in den Bann. Bereits seit ich die Stute das erste Mal erblickte, bewunderte ich sie insgeheim und hätte niemals gedacht sie mal reiten zu dürfen. Glücklich hüpfte ich in die Sattelkammer nur, um festzustellen, dass der Sattel der Stute erstaunlich schwer war. Entspannt blieb Fruity stehen, während ich sie zurechtmachte. Auch mit Smoothie war Niklas schnell fertig, sodass wir recht bald Start bereit waren.
      Für einen Herbsttag war es heute recht warm, die Sonne schien angenehm am beinahe wolkenlosen Himmel. Ein seichter Wind ließ ein paar Blätter durch die Luft schweben und in der Ferne war das Geschnatter eines Gänseschwarm zu vernehmen, welcher sich allmählich auf den Weg in wärmere Gefilde machte. Smoothie schien ein wenig aufgeregt, drehte die Ohren in alle Richtungen, hampelte herum, wie ein kleines Kind, welches es kaum erwarten konnte, endlich loszukommen. Der Schimmel war so ungeduldig, dass sie sogar seitwärts kurzzeitig für eine gute Bewegungsrichtung hielt. Ich musste schmunzeln, selten war mir ein Pferd begegnet, was so Banane im Kopf war wie diese Stute. Entspannt mit gespitzten Ohren schritt Fruity neben der deutlich größeren Stute her, ließ sich von ihren Faxen in keinster Weise stören.
      Begleitet von den gleichmäßigen Geräuschen der Pferdehufe, betraten wir den herbstlichen Wald. Mit dem farbenprächtigen Indian Summer, den ich Kanada erlebte, konnte der Herbst hier, nicht mithalten. Dennoch verliehen die Laubbäume, deren Blätter sich bereits gelb färbten, dem Wald ein mythisches Flair, so wie sie zwischen den dunklen Nadelkronen der Kiefern hervorleuchteten. Für einen Moment verlor ich mich in glücklichen Erinnerungen an Tage, an denen ich mit meiner Schwester die bunten Wälder unserer Heimat durchstreiften auf der Suche nach Magie und Geheimnissen. Im Herbst meinte Juliett stets, sei die Magie in den Wäldern am größten.
      “Ist es nicht schön hier draußen?”, fragte ich Niklas und strich der Falbstute versonnen über das kurze Fell. Als hätte ich sie gefragt, schnaubte Fruity und nickte mit dem Kopf.
      “Mhm”, murmelte er, ohne mit den Wimpern zu zucken. Smoothie kam nicht zur Ruhe, noch immer tänzelte sie in alle möglichen Richtungen und mein Freund wurde langsam aber sicher genervt von ihr. In seinen glasig werdenden Augen funkelte die Verzweiflung, sein Kiefer knirschte unregelmäßig. Obwohl er eine recht lockere dunkle Jacke trug, bemerkte ich, dass auch seine Brustmuskulatur willkürlich zuckte und er langsam die Geduld verlor, oder den Glauben an sein ach so toll ausgebildetes Pferd. Ich war mir nicht ganz sicher. Innerlich schmunzelte ich etwas, denn offenbar gab es auch in seiner Welt Grenzen und Smoothies rüpelhaftes Verhalten war eine davon. Als ich vorschlug einige Meter zu traben, um sie etwas zu entlassen, verschlug es Niklas die Stimme und alles, was hervorkroch, war seine pulsierende Halsschlagader. Wie konnte er solche schlechte Laune bekommen, nur weil sein Pferd einmal nicht funktionierte? Lag es an mir, hatte ich eventuell dafür gesorgt? Diese Gedanken waren irreführend und nicht hilfreich, um die Situation zu entschärfen.
      “Es tut mir leid”, stammelte ich unbeholfen, was er nur mit einem Augenrollen kommentierte und plötzlich antrabte. So schnell konnte ich mit Fruity gar nicht reagieren, wie er mit Smoothie über den feuchten Waldboden donnerte und Dreck in unsere Richtung warf. Die Ohren meiner Stute schnellten aufgeregt nach vorne, sie wartete nur auf das Signal folgen zu dürfen. Ohne weiter darüber nachzudenken, fasste ich die Zügel nach, ließ die Stute unter mir laufen. Die Hufe der barocken Stute schien geradezu über den Waldboden zu fliegen, der Dreck spritze mir bis zu den Ohren, als sie durch eine Pfütze donnerte. Obwohl Fruity sich mächtig Mühe gab, schien der Abstand zu Niklas, der ohnehin schon einen Vorsprung hatte, größer zu werden. Das Vollblut konnte man bei Smooth eindeutig nicht verleumden. Rhythmisch schnaubte Fruity im Takt ihrer Schritte, wollte noch einmal ein wenig anziehen, als der Schimmel um eine Kurve verschwand, doch ich ließ sie nicht. Ungern wollte ich, dass sie noch ausrutschte auf dem feuchten Boden.
      Bereits ein paar Meter hinter der Kurve, entdeckte ich das Niklas allmählich wieder langsamer wurde und schließlich anhielt, um auf mich zu warten. Mit wachem Blick, die riesigen Ohren aufmerksam aufgestellt, sah Smoothie mir entgegen, nun deutlich ruhiger und sogar in der Lage stillzustehen. Ich ließ meine Falbstute langsam auslaufen, bevor sie schnaubend vor der Schimmelstute stehen blieb.
      “Ich hätte das Vieh verkaufen sollen, als ich die Möglichkeit dafür hatte”, fluchte Niklas und richtete einen erbosten Blick zum Mähnenkamm seines Pferdes. Hektisch zog er an den Zügeln, hoffend darauf, eine Reaktion von ihr zu bekommen. Doch sie ignorierte das Zupfen am Gebiss und starrte noch immer in meine Richtung. So schnell verfluchte man also das Pferd, welches man eigentlich liebte. Ich war immer noch ein wenig verschreckt, wie schnell und heftig seine Laune umgeschlagen war, sobald wir losritten.
      “Meinst du wirklich, du wärst dann glücklicher?”, fragte ich beschwichtigend, innerlich bereits darauf vorbereitet angemeckert zu werden. Er hielt inne, biss sich auf der Unterlippe herum und stoppte das unerträgliche Zerren am Zügel. Ein Kieselstein fiel mir vom Herzen, denn allein das Zusehen dabei schmerzte. Gleichzeitig tat mir ein wenig in der Seele weh, meinen sonst so starken Freund so fertig zu sehen.
      „Ich weiß es nicht“, murmelte er plötzlich still, „Es ist gerade einfach sehr viel und es wird meine Schuld sein.“
      Smoothie schnaubte ab, als fühle sie sich genauso erleichtert wie ich für den Augenblick. Ihre zuvor angespannte Halsmuskulatur lockerte sich und entspannt kaute sie ab, bis der Kopf losgelassen nach unten hing. Sanft strich er ihr durch die Mähne und es sah beinah so aus, als huschte ein leichtes Lächeln über sein markantes Gesicht.
      “Du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst, falls es etwas gibt, worüber du reden möchtest. Du musst das nicht allein durchstehen”, lächelte ich aufmunternd, “Wollen wir dann weiter?”
      „Ach, ich weiß einfach nicht so genau, ob ich weiterhin meine Energie in etwas stecken soll, dass am Ende kein mehr Sinn mehr ergibt. Pferd hin oder her, denn mit Form müsste ich noch ewig trainieren, bevor wir ernsthaft eine Grand Prix reiten könnten. Wenn ich Glück habe, könnte eine S bis zum Ende des Jahres sitzen“, erzählte Niklas und setzte währenddessen zum Schritt an. Die Schimmelstute wirkte nun noch ruhiger. Der Schweif pendelte gleichmäßig und noch immer kaute sie aktiv auf dem Gebiss.
      „Ich wollte nächstes Jahr die Qualifikation schaffen für die Weltreiterspiele, aber das könnte ich nun vergessen“, fügte er nach einigen Metern hinzu. Beschäftigte ihn dieses Thema also immer noch. Bereits am Vortag vor der großen Kür in Kanada hatte er so etwas angedeutet. Lebenswünsche sind wie Seifenblasen, schillernd, bunt, lebendig, aber leider ebenso fragil. Zu gut konnte ich nachvollziehen, wie es sich anfühlte, wenn sie zerplatzten. In diesem Moment wünschte ich mir, es gäbe ein Heilmittel für den Spat. Einen Weg Smoothie wieder fit zu machen und Niklas den Wunsch zu ermöglichen mit seinem Herzenspferd beim World Cup teilzunehmen, doch die Chance, dass ein solches Wunder geschehen würde, standen gleichermaßen bei 0. Der einzige realistische Weg wenigstens einen Teil dieses Wunsches zu erfüllen, wäre durchzuhalten und mit Form weiterzumachen.
      “Ich kann mir vorstellen, wie du dich fühlst.”, setze ich verständnisvoll an, „Ob das mit Form den erwünschten Erfolg haben wird, kann ich dir nicht sagen. Aber du stehst jetzt vor zwei Möglichkeiten.” Ich hielt für einen Moment inne, betrachtete ihn, wie er auf seiner Stute thronte. “Du kannst aufzuhören, Energie in ihr Training zu stecken und deinen Traum, und alles, wofür du bisher gearbeitet hast, aufzugeben, aber das wird die Konsequenz mit sich bringen, dass du niemals erfahren wirst, ob du es hättest schaffen können. Wenn du denkst, es ist das Richtige für dich, dann tu es. Oder aber du machst weiter, siehst, wohin es dich führt. Ich für meinen Teil glaube, dass du das mit Form schaffen kannst. Sie hat das Potenzial und du sowieso, aber die Entscheidung musst du selbst treffen.”
      “Wie gesagt, es ist gerade ziemlich viel“, wiederholte Niklas mit starrer Miene nach vorn gerichtet, als hätte ich nichts gesagt. Seine Stille verunsicherte mich, denn eigentlich hatte er immer irgendetwas zu sagen oder war zumindest optimistisch gestimmt. Nur in der Situation sollte wohl ich diejenige sein, die positiv auf die kommende Zeit blickte. Offenbar wollte er nicht reden, also ließ ich Fruity einfach stillschweigend dahin trotten. Das Einzige, was jetzt noch zu hören war, waren die Geräusche der Pferde und das leise Rascheln der Blätter, die sich im Wind bewegten.
      „Tut mir leid, dass es nicht so gelaufen ist, wie du es dir vermutlich vorgestellt hast“, sagte Niklas, als wir eine Stunde später zum Hof zurückkehren und vor dem Gebäude von den verschwitzten Pferden stiegen.
      “Ist schon okay, ich kann nicht von jedem immer gute Laune erwarten”, entgegnete ich friedfertig. Fruity begann neugierig mit ihren Lippen an meiner Jacke herumzuspielen, während ich den Sattelgurt lockerte.
      “Dann glaube ich dir, möchtest du dennoch zur Pizzeria?”, erkundigte er sich und half mir dabei den Sattel vom Rücken zu nehmen.
      “Ich glaube schon”, erwiderte ich, “also, wenn dir das nicht zu viele Umstände bereit.” Ich war neugierig die Umgebung, in der ich nun lebte, näher kennenzulernen, aber meinetwegen sollte Niklas sich nicht zusätzlich stressen.
      “Dann frag ich jemand anderes, ob er mitkommen möchte”, lachte er provokant und schielte dabei zum Sand, auf dem gerade Vriska es tatsächlich mit Götterdämmerung versuchte. Erstaunlich, dass sie das Pferd überhaupt aufgehalftert bekam und nun im Schritt führte. Natürlich hatte der Fuchs die Ohren angelegt, wedelte gestresst mit dem Schweif. Hätte Niklas nicht so intensiv zur ihnen hinüber gestarrt, wäre es mir vermutlich entgangen.
      “Nein, brauchst du nicht, weil ich dich liebend gern begleiten werde”, sagte ich entschlossen, bevor ich mit Fruitys Zeug in die Sattelkammer stiefelte.
      “Dann bin ich nicht nur froh”, schwärmte er, “sondern auch erleichtert.” Er folgte mir mit dem Zeug seiner Stute. Unter großem Energieaufwand versuchte ich den Sattel der Falbstute auf ihren Halter zu hieven, bevor ich ihm antworte, was sich für einen Zwerg wie mich schon als Challenge herausstellte. Ganz besonders für einen Zwerg, der seit Wochen sein Training schliefen, ließ. Niklas kam mir freundlicherweise zu Hilfe, nachdem er Smooth Sattel verträumt hatte.
      “Ich fühle mich geschmeichelt, dass du so viel Wert auf meine Gegenwart legst”, lächelte ich, sah ihm dabei in seine wunderschönen Augen, die, wie ich in dem Moment merkte, rot unterlaufen waren im weiß. Immer häufiger blitzte, als hätte er Schwierigkeiten seine Augen offenzuhalten. Dennoch sah er mir weiter intensiv in meine und begann noch breiter zu lächeln. Plötzlich wurde mir warm, ich spürte das meine Wagen rot anliefen und in mir fühlte ich die Bestätigung, dass sich die Reise nach Schweden gelohnt hatte. Ich erkannte, dass Niklas meine Anwesend so sehr schätzte, wie ich seine und auch, dass ich mir im Augenblick niemand anderes an seiner Stelle wünschte. Selbst die letzten kleinen Zweifel, die tief in mir schlummerten, waren auf einmal wie fort gewischt. Um mich herum verstummte alles, die Geräusche von außerhalb der kleinen Hütte lösten sich in Luft auf und wurden zu nichts anderem als einem untertönigen Hintergrundrauschen. Seine warmen Hände schoben sich sanft unter mein Oberteil und sein Körper drückte mich vorsichtig gegen die bodentiefen Fenster hinter mir. Jeder, der nun seinen Weg durch den Flur wagte, würde uns sehen, aber es kam niemand, hoffte ich. Niklas legte seine Lippen auf meine und ich hielt mich liebevoll an seinem Hals fest, vergrub meine Finger in seinen Haaren. Ich wollte mich ihm nur noch hingeben, seine Wärme unter meinen Fingern spüren.
      Dann wurden wir unterbrochen. Laut aufheulend stand plötzlich ein Hund im Raum, doch als ich die Augen öffnete, stand nicht Trymr vor uns und wedelte mit dem Schwanz. Die Töne, die sie von sich gaben, waren dafür zu freundlich und eher melodisch als tiefgründig. Dieses Tier kannte ich bisher nicht. Erschrocken ließ Niklas von mir ab und drehte sich um. Mittlerweile saß das Tier, starrte uns noch immer an. Ein Pfeifen ertönte quer durch den Flur, bis die Schritte endeten.
      “Ach, hier steckst du”, lachte ein groß gewachsener junger Mann, dessen Gesicht ich vor einigen Tagen schon einmal gesehen hatte. Wie hypnotisiert folgten meine Augen, dem Hund, der zu ihm lief, bevor ich mich aus meiner Starre löste.
      “Ähh, Hallo”, murmelte ich, zupfte verlegen an meinem Sweatshirt. Hoffentlich hatte der unerwartete Besucher nicht allzu viel mitbekommen.
      “Was machts du denn hier?”, fragte ich und versuchte mich dabei möglichst normal zu verhalten.
      “Stör ich?”, lachte er und warf einen musternden Blick auf uns beide. Niklas sah mit geröteten Wangen weg und sagte: “Mein Pferd wartet”, und verschwand aus der Tür.
      “Offenbar”, fügte der junge Herr hinzu, “also eigentlich hatte ich mit Tyrell besprochen, dass heute die Ponys kommen, aber gerade meinte Vriska, dass er gar nicht da ist. Also typisch mal wieder. Ich bräuchte Hilfe beim Wegstellen und sie hatte keine Zeit. Also.” Er stoppte und stellte sich deutlich unbeholfen an die Tür. Sein Oberarm rutschte von der Türklinke und sein Kopf landete geradewegs gegen das Glas. Dann lachte er.
      “Ja klar kann ich helfen. Ich müsste nur vorher noch schnell Fruity wegstellen”, lächelte ich hilfsbereit. So viele Ponys würden es schon nicht sein, als dass es Ewigkeiten dauern würde, hoffte ich zumindest.
      “Danke dir, dann bis gleich”, sagte er und verließ den Raum. Seine Hündin sah noch kurz zu mir, bevor sie ihrem Herrchen folgte. Kurz nach ihnen verließ auch ich den Raum und lief zu meinem Freund, der bei den Pferden wartete. Mit halb geschlossenen Augen stand Fruity da, die Lippe locker hängend, ein Hinterbein angewinkelt döste sie, während Smoothie unter Niklas kraulenden Händen zu Giraffe wurde. Wie lang konnte ihr Hals wohl werden? (ja.)
      “Ich muss da gleich mal kurz helfen, Ponys einsortieren”, teilte ich mit und griff nach der Decke der Falbstute um sie ihr anzuziehen.
      “Dann ich darf mich doch in der Zeit bei dir frisch machen, oder?”, fragte er schließlich, als Smoothie genug hatte.
      “Selbstverständlich kannst du das”, beantwortete ich seine Frage und weckte Fruity, damit, dass ich den Brustverschluss der Decke schloss. Ohne weitere Fragen zu stellen, nahm er seine Stute und trottete aus dem Gebäude heraus. Etwas verschlafen stolperte die barocke Stute hinter mir her als ich ihnen zu den Paddocks folgte. Niklas verschwand direkt in Richtung meiner Wohnung, während ich den Weg zurück zu den Ställen einschlug, wo Bruce mit seinem Hund bereits wartete.
      “So da bin ich, was soll ich tun?”, erkundigte ich mich bei dem jungen Mann.

      Wir sehen uns morgen, die Worte hallten auch noch durch meinen Kopf, als ich die Göttin eindeckte und auf den Paddock zurückstellte. Sie schnappte immer häufiger nach mir, versuchte sogar zu steigen, doch ich war viel zu sehr damit beschäftigt, über ihn nachzudenken, dass ihre Spielchen vollkommen wirkungslos erschienen. Hinter mir hörte ich Lina mit Bruce sprechen, während sie die wenigen Stuten mit zu Girlie und Holy stellten. Mehr Aufmerksamkeit hielten sie aber auch nicht von mir. Das Halfter der Stute schmiss ich lieblos an den Eingang des Paddocks und lief in mein Zimmer, ohne zurückzusehen. Ich konnte nicht mehr. Schon auf dem Weg kullerten die ersten Tränen aus meinen glasigen Augen und als ich zur Tür hineinkam, rutschte ich im Inneren an ihr herunter und schluchzte laut. Immer mehr Tränen überströmten mich und tropften auf die graue Hose.
      “Ich hasse ihn”, schrie ich verzweifelt, als plötzlich schwere Schritte über den Holzboden bebten und lauter wurden. Die gleichmäßigen Tönte konnten nur von dem Ungetüm stammen. Was machte der überhaupt noch hier? Schwanzwedelnd legte er sich vor mir ab und stützte den Kopf auf meinen Schoß. Bestürzt griff ich nach meinem Handy, scrollte die Anrufliste entlang und drückte auf Erik. Tränen liefen weiterhin über meine Wangen, auch mein Schluchzen hatte sich noch nicht eingestellt, als er abhob. Bevor ich ihm irgendwelche Vorwürfe machen konnte, ergriff er das Wort.
      “Was ist los?”, sagte Erik feinfühlig, “wieso weinst du?”
      “Weil du weg bist”, entschloss ich zu sagen, ohne einen Gedanken darüber zu verlieren, wieso er überhaupt wegfuhr. Ich wusste nämlich, dass er noch einige Termine vor sich hatte in Stockholm und deswegen erst nach dem Wochenende wieder Zeit für mich haben würde.
      “Aber das ist doch kein Grund, wir sehen uns doch Sonntagabend wieder”, versuchte er mich aufzumuntern. Seine Worte klangen vertraut und genauso schmerzerfüllt wie meine Gedanken es waren.
      “Nein, du drehst jetzt um und holst deinen Hund, ich will dich nicht mehr hier haben”, schluchzte ich tief betrübt. Was tat ich hier eigentlich? Hatte ich wirklich aus der Verzweiflung heraus Erik zur Hölle geschickt? Ich war wirklich ein Idiot. Vor einer Stunde war noch alles gut und plötzlich entschied sich mein Gewissen, alles Gute über den Haufen zu werfen, mir alles noch schwerer zu machen, als es schon war. Unaufhörlich vibrierte mein Handy auf dem Fußboden und drückte mir auf die Ohren.
      “Was”, krächzte ich in das Mikrofon.
      “Wir reden später, nicht jetzt”, sagte Erik Monoton, “Trymr werde ich nicht abholen. Der wollte vorhin schon nicht mit, wie sollte das jetzt etwas werden. Wenn er dich stört, musst du ihn zu Papa bringen.”
      Es schmerzte mich ihn so verletzt zu hören, aber ich konnte ihn nicht in meinem Leben lassen, wenn in mir noch so viele ungeklärte Faktoren bestanden. Faktoren, die ich weder ändern konnte, noch alle kannte. Ich musste mich erst selbst entdecken, bevor ich mit ihm glücklich sein könnte.
      “Na gut”, zitterte meine Stimmte.
      “Ich überweise dir nach her Geld, dann kannst du Futter für ihn holen”, sagte er und verstummte. Aus dem Lautsprecher ertönte, dass er laut einatmete und auch seine Nase nicht ganz frei war. Laut begann wieder zu schluchzen.
      “Vriska. Versprich mir eins”, flüsterte Erik starken Wortes, “was auch immer gerade los ist, denk daran, dass du immer einen Platz bei mir hast. Ich mag dich, sehr.” Dann legte er auf. Eine Chance ihm das zurückzugeben, bekam ich nicht. Auch ich mochte ihn, allerdings lieber ohne seine Tochter. Gab es uns beide nun noch, oder war das eine Trennung? Konnte man das überhaupt Beziehung nennen, die paar Tage?
      Mein Handy hielt ich noch in meiner Hand und ich traf einen folgenschweren Entschluss. Ungesteuert schwebte mein Daumen über den Touchscreen zu Niklas Chat. Dabei überflogen auch meine Augen den bisherigen Verlauf, der noch davon dominiert waren, was er mir in der Nacht schrieb.
      “Ich habe mit Erik Schluss gemacht. Deinetwegen. Du machst mich fertig. Ich hasse dich”, tippte ich wild und feuerte das Gerät durch den Raum. Es flog gegen den Couchrücken aber landete zum Glück auf dem Teppich. Die Chance, dass es noch voll intakt, stieg somit. Geld, mir ein neues zu kaufen, hatte ich nicht.
      Es vibrierte. Dass Niklas so schnell antworten würde, hätte ich nicht gedacht. Auf Knien krabbelte ich hinüber und Trymr folgte mir unentwegtes. Seine Augen sahen immer wieder tief in meine und mit seinem Kopf stupste er mich an. In bei mir zu haben, besänftige mich langsam.
      “Beruhige dich, bitte. Nie sagte ich, dass du das tun sollst, aber lass uns reden. Ich bin gleich bei dir”, las ich. Nein, nein, nein. Mit niemandem war ich bereit darüber zu sprechen, alles, was ich wollte, war Dampf abzulassen, denn er hatte durch seine bloße Anwesenheit dafür gesorgt, dass mein kleines Leben wie ein Kartenhaus zusammenfiel und ich gerade mit meinem Traummann innerhalb kürzester Zeit beendete, was wir hatten.
      Es klopfte, aber ich ignorierte es, hielt mir die Ohren zu und schloss die Augen. Aber Trymr begann zu bellen und als ich hörte, wie die Terrassentür aufgeschoben wurde, knurrte das Ungetüm sogar. Ich schickte den Hund weg und stand vom Boden auf.
      „Warum ist der noch hier?“, fragte Niklas verwundert und sah leicht verängstigt das graue Tier an. Seine Haare waren noch triefend nass, als sei er geradewegs aus der Dusche gesprungen und hinübergerannt.
      „Schön, dass das deine einzige Sorge ist“, ranzte ich ihn verärgert an und nahm Platz am Tisch. Keinen von uns beiden ließ der Hund aus den Augen, dann fletschte er wieder die Zähne, als der großgewachsene, viel zu gutaussende Kerl näherkam. Nicht schwach werden Vriska, der ist nur hier, weil seine Freundin wenige Meter entfernt ist. Nicht schwach werden!, wiederholte ich mental immer wieder. Meine Beine wippten nervös.
      „Sprich mit mir, oder brüll mich an. Mir egal“, sagte er selbstbewusst und entschied sich ebenfalls an den Tisch zu setzen. Seine Arme legte auf der Platte ab. Ich griff nach seinen Händen. Dann schlossen sich meine Augen. In mir spielten sich gleichzeitig tausend Szenen ab, Dinge die passiert waren, das was ich zu Erik sagte und was ich gerade am liebsten hätte. Für einen Wimpernschlag verstummte es um mich herum, aber die Gedanken schrien. Sie waren so laut, dass meine Ohren schmerzten und auch mein Kopf dröhnte. Dann ließ ich wieder von ihm. Seine warme Haut spürte ich auch noch Minuten später. Er saß noch immer mit mir am Tisch, gab mir die Zeit, die brauchte zum Antworten und schwieg. Immer wieder schielte er zur Uhr, die an der Wand.
      „Du kannst gehen“, versuchte ich ihn wieder loszuwerden. Ehrlich gesagt, wollte ich Niklas nicht in meiner Nähe haben, erst recht nicht allein mit ihm in einem Raum sein. Unaussprechliches könnte passieren, wenn es keine Zeugen gab.
      „Solang du nicht mit mir darüber sprichst, werde ich nirgendwo hingehen“, blieb er felsenfest auf dem Stuhl sitzen und verschränkte die Arme. Tatsächlich entschied ich mich dazu, nichts zu sagen. Ich hatte riesige Angst davor auszusprechen, was in meinem Kopf war. Angst davor, dass er selbiges fühlte und auch, dass er es nicht fühlte. Egal, was er dazu zu sagen hätte, es würde mich verletzten und das wollte ich uns beiden ersparen. Doch Niklas wurde zunehmend ungeduldig.
      „Hätte ich nicht etwas zu tun, würde ich warten, bis du dich öffnest“, übernahm er nun doch das Wort und setzte sich aufrecht hin, „Ich werde das jetzt nur einmal sagen, also höre genau zu. Eigentlich würde ich nun sagen, dass es mir leidtut, was zwischen uns beiden passiert ist und auch, dass es offenbar mit euch beiden nicht funktionierte. Aber ich bin tatsächlich sehr froh, dass du ihn zum Mond geschossen hast. Von Anfang an sagte ich dir, dass das mit ihm nichts Gutes werden würde, aber du hast mir nicht glauben wollen. Und wir beide, ich bereue nichts. Ich bin froh, dass wir uns kennengelernt haben und auch, die Erlebnisse mit dir gehabt zu haben. Aber solche körperliche Nähe, werden wir nicht mehr erleben, denn ich mit jetzt mit Lina zusammen und damit auch äußerst glücklich.“ Dann schluckte er. Ich spürte, dass er log oder zumindest bei dem letzten Wort zunehmend verunsichert war. Niklas wurde nervöser, wippte ebenfalls mit dem Bein und sah sich immer wieder zur Seite um, als hätte er Angst, dass sie es mitbekam. Aber was sollte ihr Problem sein? Wir saßen doch nur am Tisch und sprachen miteinander.
      „Fast. Es ist noch schwer für mich zu beweisen, dass ich es ernst meine, denn körperlich haben wir uns noch immer nicht genährt. Darum geht es jetzt aber nicht. Vriska, bitte vertraue mir, wenn ich sage, dass du ein toller Mensch bist. Du liegst mir sehr am Herzen und es schmerzt mich, dich so zu sehen. Ich möchte, dass du mir noch eine Weile erhalten bleibst, auch wenn es auf rein freundschaftlicher Basis passiert“, setzte er fort. Doch ich unterbrach ihn.
      „Freundschaft? Ich möchte nicht mit dir befreundet sein, das würde mich nur täglich daran erinnern, was ich in meinem Leben nicht haben kann“, seufzte ich, „also geh jetzt bitte.“ Er nickte, stand auf und lief hinaus.
      “Niklas”, stammelte ich unbeholfen. Sofort drehte er sich wieder um, als zoge ich an einem unsichtbaren Band, das sich zwischen uns befand. Erwartungsvoll blickte er mich an, als erhoffte gewisse Worte zu vernehmen.
      “Danke, dass du dir Sorgen machst”, atmete ich erleichtert aus. Zustimmend nickte Niklas, schob die Brille nach oben, aber drehte sich, ohne etwas zu sagen, weg.

      Niklas
      “Willst du immer noch nach Australien?”, unterbrach ich Lina plötzlich, die seit geschlagenen zwanzig Minuten nur über die Isländer sprach, die vorhin am Hof ankamen. Es nervte mich das Thema zu hören, denn die Pferde erinnerte mich an Vriska. An das, was ich vorhin sehen musste. Sie so zu sehen, am Boden zerstört und weinend, löste auch in mir merkwürdige physische Symptome aus. In meiner Magenregion zog es willkürlich, mein Herz schlug ungewöhnlich schnell und mir fehlten sogar die Worte. Ich dachte darüber nach, wie ich ihr aus der schweren Zeit helfen könnte, ob ich Erik ins Krankenhaus bringen sollte oder sie einfach über den Tisch legte und unsere innigen Momente wiederholte. Besonders letzteres juckte mir in den Fingern, aber mein Kopf sagte klar und deutlich: Nein. Auf keinen Fall, niemals. Lina bemerkte nicht einmal, dass ich ihrer Erzählung nicht folgte und drückte in unbestimmten Abständen auf dem Bildschirm vor ihr herum. Dabei wechselte sie nicht nur die Musik andauernd, um mir unbedingt etwas zeigen zu müssen, sondern empfand es auch als ziemlich unterhaltsam darüber auf mein Handy zugreifen zu können. Der Chat mit Vriska existierte nicht mehr, also blieb ich entspannt dabei. Obwohl ich kein Groll gegen Popmusik hegte, genoss ich bei der Autofahrt lieber Kompositionen von Oscar Byström oder Carl Almqvist. Die ruhigen Töne des Pianos lenkten mich nicht zu sehr von der Straße ab oder lenkten meine Gedanken in eine gewisse Richtung. Aber ich schwieg, um Lina nicht ihren Spaß zu nehmen.
      “Ja, mein inneres Kind träumt immer noch davon Koalas zu streicheln, die sehen so weich aus”, antwortete sie beschwingt.
      “Wenn es danach geht, könnten wir auch nach Deutschland”, lachte ich und sah kurz zu ihr hinüber. Sie zupfte sich zaghaft das blaue Kleid hinunter, dass durch ihren entspannten Sitz immer weiter nach oben rutschte. Zusehen gab es nichts, als etwas Haut, die durch die dunkle Strumpfhose funkelte.
      “Aber natürlich, dann werden wir im Winter fahren. Was denkst du?”, fügte ich noch hinzu.
      “Man kann in Deutschland Koalas streicheln?”, fragte sie erstaunt. “Ja, ich denke, Winter klingt hervorragend.”
      “Ja, in Leipzig. Mama hatte davon erzählt. Ich bin ungern in Deutschland”, erklärte ich und nickte. Im Winter gab es ohnehin nicht viel, was man in Schweden machten konnte. Weder war ich Fan, davon in der Kälte zu verharren, noch Aktivitäten dabei zu machen. Lina erschien mir auch ein Mensch zu sein, der beschäftigt werden wollte, somit lag es nah mit dem Charter quer über die Erde zu fliegen.
      “Wow, das ist wirklich cool. Ist es nicht schön oder warum bist du nicht gerne dort?”, erkundigte sie sich neugierig. Dafür, dass sie die Sprache ziemlich fließend sprach mit Vriska, wundert es mich, dass sie nicht wusste, was ich meinte.
      “Die Reitplätze sind okay, fand die in Polen oder Frankreich besser, aber darum geht es nicht. Sie wirken so gestresst, immer unter Strom. Auf keinen Abreiteplatz erlebte ich je solch belastende Blicke und Sprüche wie in Deutschland”, sagte ich überzeugt und bekam direkt wieder dieses mulmige Gefühl im Magen, dass auch im nächsten Jahr dort einige Prüfungen anstanden in der Theorie, die ich mit Form aber unmöglich schaffen würde.
      “Das klingt nicht angenehm, nachvollziehbar, dass man sich dann dort nicht gerne aufhält”, stimme Lina zu. Dann verstummte unser Gespräch wieder. Sie war noch immer äußerst interessiert an den ganzen Touchscreens, drückte vergnügt in den Oberflächen herum, bis plötzlich eine Nachricht von Vriska aufblickte. Für einen Moment sah ich zu ihr hinüber. Verwundert blickte sie auf den Monitor.
      “Was schreibt sie?”, fragte ich neugierig. Eine Antwort bekam ich nicht, stattdessen biss sie sich auf der Unterlippe herum und blickte aus dem Fenster heraus, schweigend. Erst als ich ein weiteres nachfragte, las sie zögerlich vor: “Hej … Du hattest vorhin nichts mehr gesagt, aber ich wollte mich wirklich bedanken, das war aufrichtig von mir. Sollte ich dich in Verlegenheit gebracht haben, tut mir das leid. Es ist gerade so viel, hauptsächlich in der Unsicherheit darüber, was ich will und brauche. Du bist ein toller Mensch und ich akzeptiere auch, dass du jetzt mit Lina zusammen bist. Ich werde mich nicht mehr zwischen euch drängen. Aber Erik hat sich noch immer nicht gemeldet, obwohl er das sagte. Denke nicht das noch etwas kommt. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wäre es möglich, dass du mich morgen mit Lubi abholst, ich habe Angst.” Linas Stimmte zitterte und sie seufzte immer wieder.
      “Schreib ihr, dass ich es tun werde”, gab ich monoton weiter. Nur zögerlich tippte sie auf dem Touchscreen herum, aber schrieb mir netterweise die Nachricht. Sie äußerte sich nicht dazu, blieb ganz still, hefte ihre Augen auf einen unsichtbaren Punkt vor dem Fenster. Einzig ihre Finger, die an dem zarten Armband an ihrem Handgelenk spielten, waren der einzige Hinweis, dass etwas in ihr vorging.
      „Lina, sprich mit mir, wenn was ist“, sagte ich viel ernster, als ich wollte, „wenn du es nur in dich hineinfrisst, kann ich dir nicht helfen.“
      Zögerlich begann sie zu sprechen: “Vriska und du … wie ihr euch manchmal anseht, … wie vertraut ihr miteinander seid”, sie machte einen tiefen Atemzug, “das lässt einfach unwillentlich Alarmglocken in mir schrillen. Es … es tut mir leid, es liegt nicht an dir, ich möchte dir eigentlich vollends vertrauen, aber seit …” Sie stocke, was auch immer sie sagen wollte, es schien ihr ziemlich schwer zu fallen. “Seit meinem Ex ist ein Teil von mir einfach … kaputt.” Mit jedem Wort wurde sie immer leiser, starrte noch immer aus dem Fenster.
      „Jetzt rede doch nicht so einen Stuss“, versuchte ich die Situation zu retten. Ich war froh darüber, dass sie bis jetzt keins der Worte in Waagschale legte und darüber mehr wissen wollte. Sonst hätte ich nie eine logische Erklärung finden können, die sie besänftigt hätte, was ich bei Vriska wollte. Ihre Schwester befand sich mit ‚sie braucht meine Hilfe‘ vollkommen zufrieden, aber bei Lina würde es nichts am inneren Chaos ändern.
      „Bei dir mag einiges nicht so sein, wie bei anderen, aber das heißt nicht, dass du kaputt bist. Jeder von uns muss sein Päckchen tragen, die einen mehr, die anderen weniger und ich habe einen starken Rücken“, munterte ich sie auf und legte meine Hand auf ihr Bein. Wie verängstigt zuckte Lina zusammen, aber umfasste meine Hand direkt, als sie zu mir sah.
      „Wir schaffen das zusammen“, entfachte sich plötzlich ein Feuer in mir, jenes Feuer, dass ich schon einmal bei ihr spürte. Ein kleines Feuer, aber stark genug, um es wahrzunehmen. Ich wollte ihr besseres Leben bieten kann, eins das sie verdient hatte.
      Da sie weiterhin schwieg, sprach ich weiter: „Und wie vertraut sollten den Vriska und ich sein, deiner Meinung nach? Ja, wir hegen Gemeinsamkeiten, aber nichts, das sich zwischen uns stellen würde. Ich habe das im Griff, weiß sie zu bändigen und hinter mir zu lassen. Es gibt genug Leute, die mich so ansieht, wie sie es tut. Sie bewundert mich nur. Das ist alles und ich sehe in ihr nicht mehr, als in allen anderen im Verein. Wir müssen dort an einem Strang ziehen, wenn wir Gruppensiege wollen. Dazu gehört auch, dass Vriska schnell auf das richtige Niveau kommt und dafür muss ich ihr helfen. Ich hätte sie im nächsten Jahr ungern auf der Ersatzbank, dafür reitet sie zu gut.“ Ich verstummte. Es war schon immer mein Problem, dass ich erst sprach und dann über die Worte nachdachte. Sie waren falsch gewählt und das Reiten in dem Satz auf jeden Fall eine andere Bedeutung bekam, versuchte ich im Inneren zu verdrängen.
      „Also Lina“, versuchte ich wieder auf das eigentliche Thema zu kommen, „ich habe alles im Griff. Du bist mein Mädchen und möchte niemanden an meiner Seite so sehr schätzen, wie dich.“ Gut gerettet. Erleichterter atmete ich aus und hoffte, noch die Kurve bekommen zu haben. Ihr Gesichtsausdruck vermittelte mir das. Sie lächelte zaghaft und die Wangen erröteten. Beherzt faste ich stärker nach ihrem Oberschenkel. Vor mir eröffnete sich der leere Parkplatz der Pizzeria und es stand sogar ein Schild auf ihm, dass sie erst in vier Stunden heute öffneten, also hatten wir genug Zweisamkeit.
      “Du findest einfach immer die richtigen Worte. Danke, dass ich dich an meiner Seite haben darf”, sprach sie tief aus dem Herzen und die Unsicherheit verschwand aus ihren Augen. Gab es darauf eine schlüssige Antwort darauf? Ich wusste es nicht, also schwieg ich und stieg als Erstes aus dem Fahrzeug und half ihr dabei.
      Im kleinen Imbiss wählte Lina einen Tisch ziemlich nah an der Küche, um die Zubereitung der Pizza beobachten zu können. Uns servierte der Chef, Remo, die Speisen und tat alles dafür, meine Freundin zufriedenzustellen. Mir schlug das Gespräch mit Vriska noch immer scheußlich auf den Magen. Schon der bloße Gedanke ans Essen verengte mich innerlich und Magensäure stieg mir in der Speiseröhre hinauf. Bestmöglich versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen, hörte aufmerksam jedes ihrer Worte aber schielte auf mein Handy, dass vor mir auf dem Tisch lag. Kein Zeichen von Vriska, keine einzige Nachricht. Es war stumm und genauso still wie ich, nur, dass das Gerät es sollte und ich nicht. Entschlossen griff danach und suchte nach Erik. Ich wollte nicht, dass es die beiden gibt, aber Vriska brauchte ihn, auch wenn sie es nicht eingestehen konnte. Seine Stille konnte ihre Ungeduld zeigen, oder alte Charakterzüge widerspiegeln. Von einem Fenster zum nächsten swipte ich und endete schlussendlich bei Eniro mit der Adresse in der Zwischenablage.
      > Vilken jävel!
      „So ein Bastard“, schrie deutlich lauter als ich wollte. Alle Blicke richteten sich zu mir, dann arbeiteten sie weiter.
      “Alles okay bei dir?”, fragte Lina bedacht, sah mich verwundert an. Stand es überhaupt in meiner Macht ihr zu erzählen von dem, was ich wusste, oder zumindest annahm zu wissen?
      „Bei mir? Ja, aber ich weiß nicht“, räusperte ich mich, „ob ich das so hinnehmen kann, allerdings geht es mich auch nichts an.“ Erst jetzt legte ich mein Handy zur Seite, dachte darüber nach, wie ich damit umgehen sollte und aktivierte nun doch noch die Benachrichtigung, wenn er den Ort wieder verlassen würde. Lina war sichtlich irritiert, schien diese Antwort allerdings so hinzunehmen und fragte nicht weiter nach, wechselte stattdessen das Thema.
      “Ich wollte dir noch was erzählen”, plapperte sie munter los, “und zwar, ich habe gestern ein voll cooles Pferd kennengelernt, also, nicht dass auf dem Hof nicht eine ganze Menge cooler Pferde herumständen, aber es ist ein Freiberger, genauer gesagt ein perfektes Beispiel, wie ein Urfreiberger aussehen sollte. Einheitssprache heißt er.” Sie tippe kurz auf ihrem Handy herum, bevor sie es zu mir herüberschob. Das Display zeigte den Kopf eines schwarzbraunen mit breiter Blesse, der neugierig in die Kamera blickte. Unter einem dichten, langen Schopf kamen blaue Augen zum Vorschein und die leicht ergrauten Stellen in seinem Fell ließen darauf schließen, dass er nicht mehr der Jüngste war. Kurz enttäuschte es mich, dass es immer nur zwei Themen bei uns gab: Den Beweis, dass sie mir wichtiger war als Vriska und Pferde. Aber was erwartete ich schon? Interessiert sah ich das Tier an.
      „Und was willst du mit dem? Kaufen oder was schwebt dir vor?“, brachte ich mich ins Gespräch ein.
      “Kaufen? Also ob meine Finanzen das hergeben würden”, scherzte sie trocken. “Nein, also man könnte sagen, er ist so was wie meine Reitbeteiligung”, fügte sie dann noch erklärend hinzu.
      „Brauchst du was?“, fragte ich überrascht, suchte meine Hose ab, bis ich den Bund fand und zu begann zählen.
      “Nein, stopp, du kannst mir doch nicht ständig Pferde kaufen, das ist doch viel zu teuer!”, protestierte Lina, “Außerdem steht er auch erst ab nächstes Jahr zum Verkauf.” Verwundert sah ich an ihr hoch.
      „Warum sollte ich dir das Pferd kaufen? Ich dachte einfach … so? Damit du etwas normal leben kannst, aber gut dann nicht“, lachte ich und orangen sowie roten Scheine zurück, „das da draußen ist schließlich auch von einem Monat Taschengeld.“
      “Danke, aber ich denke, kann mir mein Geld zum Leben hervorragend selbst verdienen, bin immerhin noch nicht verhungert”, entgegnete sie kurz angebunden bevor sie weitersprach. “Wenn das nur einen Monat Taschengeld ist, hast du eindeutig zu viel Geld”, lachte sie kopfschüttelnd.
      „Will ja keiner“, zuckte ich mit den Schultern. Bevor Lina noch etwas sagen konnte, wurde ihre Pizza gebracht, ganz klassisch belegt mit Mozzarella, Tomaten und ein wenig Rucola. Widerlich das grüne Zeug, aber zum Glück kam auch direkt mein Pizzabrot. Teig, der nur mit Kräuterbutter und Käse in den Ofen kam und nun einen Aioli-Datteldip getunkt wird, dazu einen Tomatensalat.
      „Perfekt, so muss Pizza sein“, teile Lina äußerst zufrieden mit als sie das erste Stück nahm und betrachte wie der Käse lange Fäden zog. Ich nickte bloß lächelnd und betrachtete mein eher karges Mahl, bis sich mein Handy äußerst dafür einsetzte, meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Je länger ich versuchte es zu ignorieren, umso hartnäckiger wurde es, als würde ein kleines Gespenst in ihm sitzen. Wer auch immer sein würde, musste noch eine Weile meinen Entzug erleiden.
      Später verstummte es und fertig gegessen, hatten wir auch. Somit konnte ich ihr endlich etwas zeigen, das mir schon einfiel, als Lina mir den Freiberger präsentierte. Wir hatten auch Stute bei uns, die ihm sogar ziemlich ähnlichsah.
      „Guck mal“, sagte ich, nachdem ich die Millionen Benachrichtigungen durch das X allesamt entfernt hatte, aber noch wahrnahm, dass Erik den Standort verließ. Auf dem Bild saß ich auf der Rappstute im Trab in unserer Reithalle. An den Wänden hingen Luftballons und einer der Kollegen hielt zwei Bengali. Wenn man zur Seite wischte, waren weitere Bilder von Redo von dem Training in Malmö.
      “Wow, dieses Pferdchen muss echt starke Nerven haben, ich kenne Ponys, die bekommen schon bei einem Ballon einen Herzinfarkt”, lachte sie, “aber bei einem Polizeipferd ist das natürlich zu erwarten. Und es läuft so schön unter dir. Wenn ich mich nicht täusche, ist das hübsche Tierchen ein Freiberger, oder?”
      “Ja, das ist unsere Anfängerstute aus der Schweiz und sucht einen neuen Möhrengeber, da ihre Dienstzeit vorbei ist“, erklärte ich, „möchtest du sie kennenlernen?“
      “Ich glaube, du kennst die Antwort schon, zu der Chance ein Freiberger kennenzulernen kann ich einfach nicht Nein sagen”, lächelte Lina, ihre Augen glitzerten vergnügt.
      „Na dann los“, stand ich überzeugt auf, richtete meine Hose und legte, vermutlich viel zu viele, Scheine auf den Tresen. Lina ließ sich noch die letzten Stücke einpacken und folgte zum Auto.

      Lina
      Nach knappen zwanzig Minuten tauchte ein Industriegebiet vor uns auf, wäre ich allein hierhergefahren, hätte ich umgedreht. Wirklich auffällig wirkte das alles nicht, erst als zur linken Seite plötzlich ein Kampfpanzer auftauchte und Niklas freundlich die Hand hob, sah ich mich genauer um. Ringsum standen Hallen aus Metall und am Ende der Straße, ja wirklich, sie endete einfach, erhob sich ein Backsteinhaus. Langsam fuhr Niklas an dem Gebäude entlang und dahinter erstreckten sich weitere Backsteingebäude, ein riesiger Reitplatz und Paddock. Interessiert nahm ich alles in Augenschein. Das hier war das komplette Gegenteil vom LDS, eher funktional und schlicht.
      “Hier arbeitest du also? Ganz schön riesig”, staunte ich, während Niklas parkte.
      „Für gewöhnlich bin ich nur Dekoration“, lachte er, „aber ja, hier verbringe einige Stunden am Tag.“
      “Hübsch aussehen und dann noch dafür bezahlt werden, du hast dir vielleicht einen einfachen Job gesucht”, sagte ich neckisch zu ihm, bevor ich die Tür des Wagens öffnete, um hinauszuhüpfen, neugierig auf die Stute, aber auch den Arbeitsplatz meines Freundes ein wenig kennenzulernen.
      „Ach das hätte noch leichter funktioniert, wenn ich bei Papa in den Vorstand gegangen wäre“, merkte er scherzhaft an, „aber was soll ich mit Stahl.“ Dann liefen wir durch eine ziemlich kleine und enge Tür, die uns den Weg zu den Pferden eröffnete. Schon bei dem Klappern des Schlüssels ertönte ein hektisches Wiehern aus dem Inneren und als Niklas zuerst das Gebäude betrat, musste er direkt einen Fuchs mit Blesse beruhigen, der aufgeregt in der Box hüpfte.
      „Irgendwie sind alle verrückt, wenn sie mich sehen“, lachte Niklas und strich seinem Partner über den Kopf. Der Fuchs schnaubte sanft ab und wir folgen der Gasse, bis zum Ende. Von rechts blickte mich der kräftige Kopf der Rappstute an. Ich streckte ihr meine Hand entgegen, die sie mit weit geblähten Nüstern beschnupperte.
      „Hallo du Hübsche”, raunte ich der Stute zu, strich ihr über den kräftigen, dunklen Hals. Neugierig inspizierte sie mich, offenbar auf der Suche nach etwas Essbarem. Das war eine der Eigenschaften, die alle Fribys gemeinsam zu haben schienen, sie sind alle furchtbar verfressen. Doch in diese Hinsicht musste ich die Stute enttäuschen, ich hatte keinen Leckerbissen dabei.
      „Wie heißt sie eigentlich?“, fragte ich Nik. Lässig lehnte er an der hölzernen Boxenfront und tippte dann auf das schwarze Schild über einer Abschwitzdecke.
      „Ready for Life, oder einfach Redo“, lächelte er.
      „Das scheint mir ein passender Name zu sein, sie sieht aufgeweckt aus“, stellte ich nach kurzer Betrachtung des Pferdes fest. Redo hatte die Futtersuche mittlerweile aufgegeben, mümmelte stattdessen an ihrem Heu.
      Niklas nickte. Wissbegierig wand ich mich wieder zu der Stute, versuchte sie mit sanfter Stimme hervorzulocken, doch es kam keine Reaktion, nicht einmal die Ohren der Stute bewegten sich in meine Richtung. Erst als sie zufällig den Kopf hob und ich wieder in ihrem Blickfeld war, stellte sie ihre Ohren freundlich auf und streckte ihren Kopf erneut heraus, noch ein paar Halme Heu in der Schnauze. Für einen Moment verschwand mein Freund und ließ mich allein mit der gelangweilten Stute. Noch immer lag ihr einziges Augenmerk auf das verbleibende Heu zwischen den Sägespänen.
      “Hier”, drückte Niklas mir einen Helm in die Hand und stellte neben der Box einen Putzkasten ab.
      “Sattelzeug hole ich gleich, muss noch mal zu Latte, bevor der die Box zerstört”, fügte er noch hinzu und drehte sich um, denn der Fuchs stand am Anfang des Ganges und wieherte ziemlich laut. Immer wieder schlug es laut gegen das Holz, bis es endlich verstummte.
      Reiten? Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Abwägen warf ich einen Blick an mir herunter. Das kurze Kleid war nicht unbedingt das beste Outfit um sich auf ein Pferd zu setzten, aber solang die Stute nicht beschloss irgendwelchen Unfug zu machen, würde das schon gehen. Ich griff nach dem Halfter, welches vor der Box hing. An dem braunen Lederhalfter war eine Plakette angebracht, in die das Wort Polisrytteriet graviert war. Als ich die Boxentür aufschob, nahm die Stute keine Notiz von mir, auch nicht als ich sie leise ansprach. Erst als ich ein paar Schritte auf sie zu machte fuhr ihr Kopf hoch und sie starrte mich mit weit geöffneten Augen an. Das Verhalten der Stute kam mir ein wenig seltsam vor, hätte sie mich doch schon lange hören müssen. Beruhigend strich ich Redo über den Hals, bevor ich ihr das Halfter überstreifte und sie auf der Stallgasse anband. Neugierig streckte ihr Boxennachbar den Kopf aus der Box, um zu kontrollieren, ob etwas Spannendes passierte. Kurz schnupperte das Pferd an der Bürste in meiner Hand, bevor es sich wieder in seine Box zurückzog. Mit kreisenden Bewegungen begann ich den Körper der Stute zu striegeln. Sonderlich viel Dreck kam nicht aus ihrem dunklen Fell, dafür jede Menge Haare, ein sicheres Zeichen, dass es bald richtig kalt werden würde. Samu hatte bei seinem Besuch am Montag erzählt, dass es auf dem Whitehorse Creek bereits die ersten Schneeflocken des Jahres gegeben hatte. Allerdings war es noch nicht kalt genug, als dass der Schnee liegen blieb. Es war nur wenig verwunderlich, dass es dort bereits schneite. Soweit oben in den Bergen wie das WHC lag, wurden die Nächte schnell frostig kalt, was auch das Wetter umschlagen ließ. Der Gedanke daran ließ mich ein klein wenig wehmütig werden, gerne würde ich Ivys “ersten” Schnee miterleben und sehen wie er darauf reagiert, wenn plötzlich alles weiß ist. Doch leider würde der Schnee schneller in Kanada einziehen, als mein Zauberpony wieder an meiner Seite sein würde.
      Vorsichtig stupste Redo mich an. In Gedankenversunken hatte ich wohl aufgehört zu putzen und die Stute schien sich zu wundern, warum ich denn noch vor ihr herumstand.
      “Du hast ja recht Süße, ich sollte mich lieber weiter mit dir beschäftigen”, seufzte ich leise, strich ihr über die breite Stirn, bevor ich die Bürste weglegte und gegen den Hufkratzer tauschte.
      „Immer noch nicht fertig?“, scherzte Niklas. Beim Laufen klapperten seine Schuhe, die er offenbar in der Zwischenzeit gewechselt hatte. Sie passten nicht wirklich zu seiner engen schwarzen Hose und der kombinierten Jeansjacke, die am Kragen Lammfell aufwies und dennoch sah er noch unverschämt gut aus.
      “Nein, noch nicht ganz, aber hab’s gleich”, gab ich zu Antwort und hob das Bein der Stute auf. Redo benahm sich ziemlich brav und hielt ihren Huf sogar selbst nach oben, nicht so wie viele Pferde, die ihr Bein einfach hängen ließen oder sich gar auf einen hängten, als würden sie gleich umfallen.
      „Gut“, hielt er sich kurz, verschwand und tauchte mit einem Dressursattel wieder auf, sowie einer dunkelblauen Schabracke, die mit dem Logo der Polizei bestickt war. An ihrer Trense hing eine kleine goldene Krone und alle wichtigen Stellen, wie Genick und Nasenbein waren mit Lammfellschonern umwickelt. Ich übernahm das Satteln und Niklas befestigte an den Beinen Gamaschen und Glocken. Auch hierbei benahm die Stute sich außerordentlich vorbildlich, sodass sie wenig später reitfertig war.
      “Wo lang?”, fragte ich Niklas erwartungsvoll, während ich mir den Helm auf dem Kopf setzte. Das Pferd neben mir kaute entspannt auf dem Gebiss herum, schien nur auf das Kommando loszugehen zu warten. Mit einer Handbewegung vermittelte er uns zu folgen. Der Weg führte uns durch eine große rot gestrichene Holztür, quer über den Hof, auf dem schon die Lampen leuchteten in Richtung eines weiteren Gebäudes, das genauso aussah wie der Stall von außen. Das Tor knarrte sehr laut beim Öffnen und vor mir öffnete sich eine riesige Halle, die wohl keine Turniermaße hatte, aber wie gewohnt gab eine Tribüne und sogar eine gläserne Galerie. Aus der Ferne erkannt ich, dass dort neben Malereien von Pferden, auch Bilder hingen sowie Banderolen. Das Licht benötigte einige Minuten, bevor es seine vollständige Leuchtkraft erreichte und in der Zeit erzählte mir Niklas einiges mehr über die Rappstute. So wurde sie ursprünglich als Polizeipferd in der Schweiz ausgebildet, wer hätte das nur vermuten können. Nach einigen Jahren Dienstzeit in Deutschland und Dänemark kam sie irgendwann nach Schweden, wo sie nun für kleinere Veranstaltungen eingesetzt wurde und vor allem für Anfänger im Reittraining diente. Redo hatte ihre besten Jahre in den Diensten des Staates erreicht und wollte nun eine Karriere als furchtloses Freizeitpferd beginnen. Aus dem Kollegium konnte sie niemand aufnehmen, da die meisten, wie auch Niklas, bereits eigene Pferde besaßen.
      Zugegeben, so wie ich die Stute bisher kennengelernt hatte, war die Versuchung groß, sie einfach direkt einzupacken und mit nach Hause zu nehmen. Man würde vermutlich nicht viele Exemplare der Schweizer Pferderasse in Schweden finden und das ruhige Gemüt der Stute sagte mir durchaus zu. Aber so viel Verstand besaß ich gerade noch, dass ich wusste, dass die Entscheidung sich ein Pferd zuzulegen nicht innerhalb von wenigen Minuten getroffen werden sollte. Gerade dann, wenn es bereits das Zweite innerhalb eines Zeitraumes von knapp einem Monat sein sollte, schließen hing so eine Entscheidung an ein paar mehr Faktoren, als nur an der Sympathie für das Tier.
      Ich führte Redo erst einmal ein paar Runden, so konnte ich mich schon einmal ein wenig auf das Pferd einstellen, bevor ich mich in den Sattel schwang. Die Stute hatte einen ziemlich flotten Schritt, der schon fast ein wenig zockelig wirkte wie bei einem Pony. Ansonsten war der Freiberger weiterhin tiefenentspannt und achtet gut auf mich und meiner Körpersprache.
      Nach gut zehn Minuten beschloss ich, dass ich genug zu Fuß unterwegs gewesen war und parkte Redo neben Niklas in der Hallenmitte, um nach zu gurten und die Steigbügel korrekt einzustellen. Die Stute war ungefähr so groß wie Divine, ich würde also knapp hinaufkommen, aber eher beschwerlich.
      “Magst du mir bitte hinaufhelfen?”, bat ich meinen Freund, der am Kopf der Stute stand.
      “Natürlich mein Schatz”, lachte er. Dann lief er mit wenigen Schritten zur Seite und hielt mir im Bügel gegen.
      “Vielen Dank”, lächelte ich und schwang mich in den Sattel der Stute. Es fühlte sich ein wenig ungewohnt an, denn die Stute war ein wenig schmaler, als zum Beispiel Divine oder auch Holy, aber sie war auch nicht ganz so schmal wie die Traber. Sanft drückte ich meine Schenkel gegen den Bauch der Stute. In einem flotten Tempo tippelte die Stute voran, was sich schon nach wenigen Metern als recht unbequem herausstellte oder zumindest war es ziemlich gewöhnungsbedürftig. Während des Aufwärmens fragte ich ein paar Basics ab, die die Stute alle einwandfrei beherrschte. Entgegen meiner Erwartung war Redos Trab relativ bequem, einzig die rutschige Strumpfhose erschwerte das ganze Etwas, weshalb ich lieber leicht trabte, auch um den Rücken der Stute zu schonen. Die gute Ausbildung war der Schwarze anzumerken, denn sie ließ sich gut stellen und lief in hervorragender Selbsthaltung.
      Das erste Angaloppieren war ein wenig holprig, was aber vermutlich eher an mir lag, der Galopp war schon immer meine Schwachstelle. Meistens dachte ich zu viel, was zum Ergebnis hatte, dass ich mich versteifte. Ich parierte die Stute durch, versuchte mich erst einmal wieder ein wenig zu entspannen, was mir unter Niklas Blick nur mäßig gelang. Es war nicht so wie sonst, dass ich mich zunehmend unwohler fühlte, wenn mich jemand bei der Arbeit mit den Pferden beobachtete. Nein, viel mehr wurde ich ganz kribbelig, wenn ich daran dachte, dass seine Aufmerksamkeit ganz allein mir galt. Dies spiegelte sich nun auch im Verhalten der Stute. Ihre bisher recht ruhigen Schritte wurden kürzer und sie wurde schneller, so konnte das nichts werden. Ich hielt Redo an, konzentrierte mich für einen Moment nur auf meine Atmung, wie die Luft in meine Lunge ein und ausströmte. Mit jedem Atemzug wurde ich ein wenig lockerer und fokussierter.
      Noch bevor ich wieder zu verkopft an die Sache herangehen konnte, galoppierte ich aus dem Stand heraus an. Es war zwar immer noch verbesserungswürdig, aber schon deutlich geschmeidiger als beim vorherigen Versuch. Ich ließ sie an der langen Seite ein wenig zulegen, ihre Galoppsprünge wurden länger und größer, aber es kostete mich einiges an Kraft, dass sie diese auch sauber durchsprang.
      Lächelnd lobte ich die Stute, als ich sie durch parierte, nachdem ich das Können der Stute ausreichend erprobt hatte. Die Stute machte Spaß, auch wenn ihr Schritt, in dem sie nun unter mir hertrotte, immer noch seltsam war.
      “So wie du schaust, schwebst du auf Wolke sieben”, lachte Niklas hatte sich neben uns positioniert. Redo kaute mit gesenktem Kopf zufrieden auf dem Gebiss, die Ohren wippten locker im Takt ihrer Schritte.
      “Ich fühle mich auch, als würde ich schweben”, antwortete ich entzückt, “Redo ist großartig.”
      “Also, gekauft?”, lachte er, als wäre es so einfach ein Pferd zu halten und vor allem zuzahlen. Wenn ich aber an seine Worte vor dem Restaurant zurückdachte, dann konnte Niklas das gar nicht nachempfinden, wie man sich dabei fühlte. Platz wäre sicher auf dem LDS, sofern Tyrell nichts dagegen hatte, aber schon ein Pferd strapazierte mein Konto genug, gerade da Divine derzeit noch teuren Spezialbeschlag und Zusatzfutter benötigte.
      “Wenn es denn nur so einfach wäre”, murmelte ich und senkte gedrückt den Blick zum Mähnenkamm der Stute.
      “Mein Angebot steht noch”, wedelte Niklas schon wieder mit den Scheinen herum, die er aus seiner hinteren Hosentasche. Warum lief er überhaupt mit so viel Geld in der Tasche herum, war er eigentlich komplett irre oder hatte er öfters vor spontane Pferdekäufe zu tätigen? So gern ich sein Angebot auch annehmen wollte, haderte ich damit. Nicht dass ich es mir wünschte, aber was wäre denn, wenn wir uns trennen würden, ich könnte das Pferd doch nur schwer wieder hergeben.
      “Ich weiß dein Angebot wirklich zu schätzen, aber was ist denn, wenn sich unsere Wege irgendwann wieder trennen sollten? Allein könnte ich zwei Pferde doch gar nicht finanzieren”, äußerte ich meine Bedenken.
      “Du weißt schon, dass der Staat die Kosten für Redo für zehn Jahre übernehmen wird und du nur ihre Versicherung und so Sachen wie Equipment zahlen musst? Natürlich auch einem Ablösebetrag, aber sonst wird es von Steuern gezahlt”, erklärte er, “aber wenn du nicht willst, alles gut.”
      “Nein, nein, sie ist wundervoll, gern würde ich ihr ein neues Zuhause geben”, lächelte ich wieder hochgemut, “aber das hättest du ruhig ein wenig früher erwähnen können.”
      “Okay, dann werde ich das klären”, grinste er und schien sehr erleichtert zu sein. Nochmal strich er über ihren Hals, entschuldigte sich für einen Augenblick und verschwand vom Sand. Glücklich lehnte ich mich nach vorn und umschlang ihren kräftigen Hals. Automatisch hob sie den Hals ein Stück, lief aber brav weiter voran.
      “Hörst du Süße, bald darfst du in ein neues Zuhause”, raunte ich ihr zu, “hoffentlich wird Ivy nicht allzu eifersüchtig, bei so hübscher Konkurrenz.” Die Rappstute schnaubte, aber ihre Ohren blieben unbewegt, was mich noch immer ein wenig irritierte. Normalerweise reagierten die Pferde zumindest mit einem leichten drehen der Ohren, nur dieses offensichtlich nicht. Ich richtete mich im Sattel wieder auf, ließ Redo locker am langen Zügel laufen und betrachtete uns in dem großen Spiegel an der kurzen Seite, auf den wir gerade zuritten. Mein eigenes Gesicht strahlte mir aus dem Glas entgegen, eingerahmt von den dunklen Haaren, die mir ausnahmsweise offen über die Schultern fielen. Gleichmäßig folgte mein Körper den Bewegungen, den die dunkle Gestalt des Freiberges vorgab, ihr Kopf gerade so hoch, dass man ihn noch über der Bande auf und ab wippen sah. Die unregelmäßige Blesse schlängelte sich hell schimmernd von ihrer Stirn bis hinunter zu den samtweichen Nüstern. Gerne hätte ich diesen Moment festgehalten, doch mein Handy lag mangels Taschen noch im Auto, also musste wohl meine Erinnerung ausreichen.
      Es fühlte sich so unreell an, vor fast einem Monat schien der Traum meiner Kindheit noch so ungreifbar weit weg, wie die Sterne. Und jetzt? Jetzt war dieser Traum gleich doppelt in Erfüllung gegangen, mit Tieren, die so unterschiedlich waren wie Tag und Nacht. Zumindest optisch, charakterlich würde sich das wohl noch zeigen.
      Redo hatte wohl allmählich genug davon im Kreis herumzulaufen, denn sie wurde zunehmend langsamer und fragte, ob sie aufmarschieren durfte. Ich ließ der Stute ihren Willen und wendete sie ab, wo sie schon ganz von selbst auf der Mittellinie stehen blieb. Lobend strich ich über den samtigen Hals der Stute. Sabber flog durch die Luft, als sie entspannt den Kopf schüttelte und schnaubte.
      „Also, sie wird noch bis Ende des Monats im Dienst sein, aber dann wird sie vorbeigebracht“, kam Niklas ziemlich spät wieder. In der Zeit hatte ich den Sattel bereits in der Stallgasse entfernt und ihr die Decke von der Boxenfront befestigt.
      “Perfekt, ich freu mich schon”, strahlte ich ihn an und führte Redo wieder in ihre Box. Bevor ich die Tür zu zog, strich über die breite Stirn und raunte ihr noch ein paar liebe Worte zu. Auch jetzt wieder war keine wirkliche Reaktion auf meine Stimme zu bemerken.
      “Hört sie nicht so gut oder warum reagiert sie kaum auf Geräusche?”, fragte ich Niklas, denn so langsam dämmerte mir, dass es vermutlich einen physischen Grund für ihr Verhalten gab. Auf jegliche andere Art der Kommunikation reagierte sie nämlich mehr als gut.
      „Vor ungefähr drei Jahren bekam sie bei einer Eskalation nach einem Fußballspiel mehrere Blendgranaten ab, da half leider nicht einmal die Watte in den Ohren. Seitdem“, Niklas überlegte kurz, „seitdem hört sie nicht mehr so gut.“
      “Oh, armes Pony”, kommentierte ich mitfühlend. “Aber sie scheint ja erstaunlich gut damit zurechtzukommen, es wäre mir beinahe nicht aufgefallen”, fügte ich noch schmunzelnd hinzu.
      “Ja, es war auch kein vollständiger Verlust, aber sie ignoriert auch mal”, lachte er noch und drückte mit seinem Finger auf die Oberlippe. Neugierig spitze Redo die Ohren und begann zu flehmen.
      “Aww, niedlich. Ignorant, aber offenbar gelehrig”, grinste ich entzückt. Ich liebe es, wenn Pferde solche Kleinigkeiten konnten und umso mehr Spaß daran hatte ich daran, den Tieren so etwas beizubringen. Nicht, weil diese Tricks irgendwie nützlich sein, nein sie waren einfach nur drollig.
      “Du wirst sehen, da ist noch mehr, womit du deinen Spaß haben kannst”, fügte er hinzu, sah zum x-ten Mal auf seine Uhr an der linken Hand.
      “Wir müssen langsam los”, begann Niklas endlich sein passiv aggressives Erinnern an die Uhrzeit zu begründen, “ich habe noch ein Date. Mit dem Schießstand und einigen Hirschen.”
      “Ein Date also? Dann hoffe ich mal, dass die Hirsche mir nicht allzu große Konkurrenz machen”, scherzte ich, strich der Stute noch ein letztes Mal über die weichen Nüstern und folgte meinem Freund aus dem Stall.
      “Du hast Puls, die demnächst nicht mehr”, zuckte er mit den Schultern. Hinter uns schloss er die massive Tür und öffnete das Auto für mich, dass ich nicht weiter in der Kälte stehen musste. Niklas hatte sich seinen Pullover nicht mehr übergezogen, sondern stand luftig obenrum bekleidet im Wind. Nicht ein Härchen stellte sich bei ihm auf. Wie konnte er nicht frieren bei dieser Kälte?
      “Wie kannst du einfach so dastehen? Mir wird schon nur bei deinem Anblick kalt”, sagte ich kopfschüttelnd. Tatsächlich überkam mich ein Schauer, als ein Windstoß über meine Haut jagte, der durch die geöffnete Tür in das Innere des Wagens drang.
      “Sehr romantisch von dir”, lachte er, “für gewöhnlich bin ich heiß.”
      So viel Selbstvertrauen hätte ich auch gerne, wie Niklas es teilweise an den Tag legte. Tage, an denen ich mich gegenüber Fremden nicht gleich in Luft auflösen wollte, waren für mich schon die guten Tage.
      “Diese These sollte augenblicklich überprüft werden”, neckte ich ihn ein wenig und hüpfte wieder aus dem Auto, drückte mich ganz dicht an ihn ran. Tatsächlich strahlte seine Haut eine unglaubliche Hitze aus, als sein Niklas ein wandelnder Saunaofen. Sanft steig mir sein sinnlicher Geruch in die Nase. Ich ließ meine kühlen Finger über seine Brust wandern, sogar durch den dünnen Stoff seines Shirts spürte ich den deutlichen Temperaturunterschied.
      “Ich würde sagen”, unaufhörlich wandert meine Finger weiter, ”stimmt eindeutig.” Intensiv blicke ich ihn in die Augen. In dem schummrigen Licht schien, das blau darin nahezu gänzlich von dem sanften braun geschluckt zu werden, ganz so wie die Geräusche um uns herum. Warm lagen seine kräftigen Hände an meiner Taille, zogen mich näher an ihn heran.
      Meine Finger fanden von ganz allein ihren Platz an seinem Hals und nur einen Wimpernschlag später, lagen meine Lippen auf seinen. Niklas' Wärme schien auf mich überzugehen, ließ mich von innen heraus erglühen und jagte Wellen von Begierde durch meinen Körper. Wie aus dem Nichts schossen mir plötzlich Szenen aus meiner Vergangenheit durch den Kopf und die Alarmglocken in meinem Kopf begannen zu schrillen. Nein, Stopp! Das würde mir nicht diesen Tag vermiesen, nicht diesem Moment, dafür war er zu wertvoll. Mit all meiner Willenskraft drängte ich diese Dinge wieder zurück in die dunkle Ecke, in der sie jahrelang gelauert hatten. In der festen Überzeugung diesen Dämon nur allein bekämpfen zu können, beschloss ich mir nicht anmerken zu lassen, was sich innerhalb von Sekunden in meinem Kopf abspielte und ließ die Glückshormone wieder die Kontrolle übernehmen.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 78.656 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte September 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel tio | 29. Dezember 2021

      Lubumbashi // Millennial LDS // HMJ Holy // Sign of the Zodiac LDS // Enigma LDS // Götterdämmerung LDS // Waschprogramm // tc Herkir // Glymur // Forbidden Fruit LDS // Girlie

      Vriska
      Ehrlich gesagt hatte ich mir genauso mein Leben vorgestellt. Mittlerweile fuhr ich zweimal die Woche nach Kalmar zusammen mit Lubi zum Training. Freitagnachmittag stand das Gruppentraining mit Herrn Holm an, dass Herr Norsberg gerne begleitete und mit stolzer Brust erzählte, dass eine der besten sei aus der Akademi und mir diesen Platz redlich verdient hatte. Da die Turniersaison so gut wie beendet war, gab es nicht viel, worauf ich hinarbeiten konnte. Umso wichtiger wurde es, dass die Lektionen sicherer ritt und Lubi erledigte den Rest für mich. Dienstags verabredete ich mich mit Niklas, der großen Gefallen daran hatte, mir weiterhin Befehle zu geben, die ich treu meiner Persönlichkeit befolgte. Das sorgte natürlich dafür, dass wir stets das Gespräch am Hof waren und die Gerüchteküche brodelte. Aber was soll ich sagen? Ich hatte es wirklich geschafft mich emotional von ihm zu lösen und seine Ablenkung verrichtete großartige Arbeit. Er war ein toller Mann mit genauen Vorstellungen vom Leben, und von mir. Schon der bloße Gedanke an ihn sorgte für ein leichtes Kribbeln in meinen Fingern. Mit Erik hingegen wurde es still. Wir hatten uns einige Male getroffen, aber diese magische Verbindung zwischen uns schien wie durchtrennt. Ich vermisste, was wir hatten, aber klammerte mich nicht mehr panisch daran, zumindest versuchte ich mir das einzureden. Wenn ich morgens wach wurde und feststellte, dass es keine Guten Morgen Nachricht gab, wusste ich schon, dass der Kontakt eher spärlich verlaufen würde. Ich vermisste seine Nähe.
      Mein Bruder hatte die Geschäftsführung des Hofes übernommen und blühte tagtäglich darin auf. Die Klage aus England wurde mit einer unnötig hohen Summe an Geld beglichen und es lief, mehr oder weniger. Er repräsentierte weiterhin das Unternehmen, aber entschied, dass jemand anderes das Geschäftliche regeln sollte.
      Es regnete wie aus Eimern, als ich einen Blick aus der Reithalle nach draußen warf, in der ich gerade Millennial abritt. Die junge Stute hatte vor einigen Tagen ihr erstes Rennen und schlug sich wacker zwischen den ganzen Cracks. Einen Sieg gab es für sie nicht, aber die Erfahrung war so viel wichtiger als eine weitere Scherbe in der Sattelkammer. Zum Ausgleich ritt ich sie seit Anfang September ein. Mill hatte Temperament und davon nicht wenig, dennoch bemühte sie sich einen Gang runterzuschalten. Verschwitzt drehten wir unsere Runden auf der ganzen Bahn, denn das Lenken ließ noch zum Wünschen übrig.
      “Denkst du daran, dass wir nachher noch aufs Folkes Geburtstag anstoßen?”, erinnerte ich Lina daran, die gerade mit Zoi den Stall betrat. Ihr Regencape war vollkommen durchnässt und auch die braune Stute wirkte sehr unzufrieden mit der Gesamtsituation.
      “Ja, ich denke daran, also zumindest jetzt”, erwiderte sie und schob sich die nasse Kapuze vom Kopf. Seitdem ihre Schwester nicht mehr da war, fanden wir immer mehr zueinander und mittlerweile würde ich sagen, dass wir Freunde waren. Sie wusste nichts von den ganzen Gerüchten, worüber ich froh war. Schließlich waren es auch nichts mehr Gerüchte, die sie nur wieder verunsichern würden.
      “Wenn du mit Zoi fertig bist, müssen wir uns mal Holy zusammen anschauen. Die wird immer dicker, obwohl sie schon auf Diät ist”, rief ich noch über die Bande. Mill hielt laute Geräusche für weniger lustig und legte die Ohren an. Sanft strich ich ihr über den nassen schwarzen Hals.
      “Okay. Ja, das ist mir auch schon aufgefallen, ziemlich seltsam”, nickte Lina stirnrunzelnd. Ich ritt mit der Stute noch weitere Runden, bevor ich aus dem Sattel rutschte und mit beiden Beinen fest im Sand landete. Millennial schüttelte sich, versuchte ihren Kopf an mir zu reiben und konnte gar nicht schnell genug wieder zurück auf den Paddock. Immer wieder bremste ich sie beim Verlassen der Halle und legte ihr das Halfter um, dass direkt neben dem Tor hing. Zur Kostensenkung hatte mein Bruder eine grandiose Idee, die mich nur zum Kopfschütteln brachte. Am Eingang hing neben dem Halfter auch ein Hufkratzer, mit dem wir den Sand aus den Hufen entfernen sollten und danach alles mit dem Besen zurück fegen. Ein Schicksal des Sandes war es, dass Tyrell alle drei Monate eine Fuhre nachorderte, um die Höhe zu halten. Durch das Auskratzen und Zurückfegen sollte das nun verhindert werden, schauen wir mal. Ich denke nicht, dass das etwas bringen würde.
      Mills Augen fielen immer wieder zu, als sie unter dem Solarium stand und die Wärme genoss. Lina stand daneben mit Zoi und versuchte mit aller Kraft der jungen Stute die Hufe auszukratzen, doch sie stellte sich stur und belastete immer wieder das gewünschte Bein. Amüsiert betrachtete ich die Szenerie, bis mich entschloss, doch zu helfen. Energisch patschte ich mit meinem Handrücken gegen das Bein der Stute, die umgehend das Bein hob.
      “Bei ihr brauchst du nicht höflich sein, sonst verarscht sie dich weiter”, erklärte ich und half noch bei den restlichen Beinen. Lina nickte und versuchte es beim letzten Huf allein. Zoi gab nach. Zusammen liefen wir zur Sattelkammer. Sie griff auch aus der großen ein Kappzaum und durchwühlte den riesigen Deckenhalter nach einer Weidedecke für Mill. Ihre richtige Decke hing noch zum Trocknen im Heizungsraum, also musste eine andere her.
      “Die sollte passen”, sagte ich im Selbstgespräch zu mir, als ich eine dunkelgrüne Decke in der Hand hielt, die genauso groß war wie ich. Zum Tragen knüllte ich sie irgendwie zusammen und lief über die Stufen hinaus. Millennial schlief beinah unter dem roten Licht und funkelte mich mürrisch mit ihren großen blauen Augen an, als ich es ausschaltete. So gut ich konnte, schmiss ich das Ding auf die trockene Stute und bahnte mir dann weg hinaus in den Regen. Obwohl die Wege befestigt waren, rutschten wir einige Male aus, bevor wir am Paddock ankamen. Mit angelegten Ohren sah sich mich an, als wollte sie sagen ‘Muss ich jetzt wirklich hierbleiben’ und gesellte sich zu den anderen Stuten unters Dach. Enigma stupste sie freundlich an, während Götterdämmerung versuchte, ihre Position neben der braunen Stute zu verteidigen, doch Mill wusste sich zu wehren und schnappte nach ihr. Die Diskussion war damit beendet und ich rannte zurück unters Dach, um nicht noch mehr durchweicht zu werden. In der Gasse machte ich etwas Ordnung und schielte immer wieder zu Lina hinüber, die Zoi versuchte für die Arbeit zu motivieren. Doch die Stute dachte gar nicht daran, sie für voll zunehmen und lief Runde um Runde im Kreis, schlief die Füße durch den Sand und schüttelte immer wieder den Kopf. Ich fand nicht die richtigen Worte, um den beiden zu helfen.
      “Hast du nachher Lust noch einen Film zu schauen?”, ertönte es hinter mir, gefolgt von Hufschlag. Tyrell betrat zusammen mit Bruce die Stallgasse. Perplex klammerte ich mich am Besen fest und musterte sie von oben bis unten. Die Beine der Hengste waren bis zu den Knien mit Matsch belegt und vom Schweif tropfte der Regen hinunter.
      “Du kannst es auch nicht lassen, oder?”, lachte Bruce und gab seinem Bruder einen leichten Schlag in den Oberarm mit der Faust. Tyrell funkelte ihn verärgert an, aber sagte nichts.
      “Können wir gern machen”, lächelte ich und stellte den Besen zurück an seinen Platz. Dabei stupste mich Herkir an meiner Hose an, in der sich wie immer Leckerlis versteckte. Ich kramte ihm umgehend nach einem und gab auch Waschi eins. Sanft fummelte er die Belohnung von meiner Handfläche. Ich strich beiden Pferden über den nassen Hals und schaltete das Solarium an, um die Hengste zu trocknen.
      “Kannst du ein Auge auf ihn haben?”, bat Bruce mich und bewegte seinen Kopf in Richtung des Hengstes, “ich muss mal nach Jonina gucken, die mit Cissa in der Reithalle sein sollte.”
      “Natürlich”, antwortete ich und stellte mich demonstrativ zu dem Fuchs. Bruce bedankte sich und zog die Kapuze über seinen Kopf, bevor er zurück in den Regen lief, um die zur anderen Halle zu gelangen. Lina schielte zwischen durch zu uns, aber hatte die junge Stute mittlerweile dafür motivieren können, aktiver vorwärtszulaufen.
      “Wir haben noch Red Sparrow auf der Liste”, kam Tyrell überraschend wieder, nach dem er Waschi auf den Paddock gebracht hatte. Mir entging, dass wir im April eine Liste erstellten mit Filmen und Serien, die wir ansehen wollten. In der Prüfungszeit und Vorbereitung zur Reise nach Kanada wurde meine Zeit immer knapper. Außerdem fühlte ich mich nicht wohl dabei, ihm immer näherzukommen.
      “Klingt gut”, schmunzelte ich, “aber vorher ist erst mal noch Folke an der Reihe.”
      “Wo ist der eigentlich?”, erkundigte er sich.
      “Er ist mit Hedda in Linköping, sollte jedoch demnächst wieder da sein”, erzählte ich mit einem Lächeln auf den Lippen. Dann verlangte Herkir wieder meine Aufmerksamkeit. Sinnloses herumstehen gefiel ihm nur mittelmäßig. Er tänzelte auf der Stelle, versuchte in die seitliche Befestigung zu beißen und wurde nervöser, je länger nicht von der Stelle kam. Sanft strich ihm über den Nasenrücken und hielt ihm am Halfter unten. Allmählich fand er sich mit seiner Situation, konnte sogar noch etwas dösen, bevor ich ihn in seine Box brachte. Er stand zusammen Glymur in unserem Stall und freute sich endlich wieder seinen Mitstreiter zu sehen.
      „Na mein Hübscher“, begrüßte ich den Hengst, für den ich seitdem intensiven Training mit Lubi, Fruity und der Göttin kaum noch Zeit schenken konnte. Auch er entschied meine Hosentasche, als äußerst interessant zu empfinden und fummelte mit seiner Oberlippe daran herum. Herkir spitze ebenfalls die Ohren. Für beide kramte ich eins heraus und übergab sie ihnen. Intensiv strich ihn durch die mittlerweile wieder volle Mähne und das plüschige Fell. Ich hatte extra meine Handschuhe ausgezogen, um seine Wärme spüren zu können. Es tat mir in der Seele weh, ihn so zu vernachlässigen, aber ich wusste, dass ich eine Entscheidung treffen musste und die nun mal, gegen das Gangreiten sprach. Ich träumte davon mit ihm selbige Prüfungen zu reiten wie ich mit Lubi vorbereitete, konnte mir aber schon denken, dass es für reinstes Gelächter sorgen würde. Glymur war trotz seiner fünf Gänge sicher im Trab und Galopp zu reiten und sogar so weit ausgebildet, dass eine L-Klasse locker mit einer Schleife belegen könnte, doch Bruce hatte schon lachend nur mit dem Kopf geschüttelt, als ich von dem Ritt in Kanada erzählte.
      „Würdest du bitte Platz machen? Ich möchte Glymur herausholen“, sagte die neue Trainerin, die Bruce ans Wasser zog für die Reitschule.
      „Ich denke nicht“, brummte ich genervt und wurde unfreundlich zur Seite gedrückt. Sie warf mir einen scharfen Blick zu und legte dem Hengst ein deutlich zu großes Halfter an. Dann verließ sie den Stall mit hocherhobenem Kopf. Tyrell zog mich zur Seite.
      „Vriska, so geht das nicht“, ermahnte er mich.
      Ich rollte übertrieben mit den Augen.
      „Das auch nicht!“, wurde seine Stimme lauter.
      „Aber der gehört mir“, protestierte ich und wusste, dass es nicht der Wahrheit entsprach. Das bekam ich direkt bitter zu spüren.
      „Dir gehört hier rein gar nichts“, tadelte mich Tyrell weiter, „ich teile mir mit meinem Bruder die Eigentumsrechte an dem Pferd. Wir haben dir freundlicherweise Glymur zur Verfügung gestellt und nun hast du dir das teure Dressurpferd angelacht.“ Dabei nickte er mit seinem Kopf zur vorletzten Box, in der Lubi ihren Kopf heraussteckte und albern wippte. Sie streckte die Zunge heraus, nach einem teuren Dressurpferd sah sie dabei nicht aus, eher nach einem Trottel, den man auf dem Jahrmarkt geschenkt bekommen hat.
      “Schon gut”, beendete ich wehleidig die Diskussion und wand mich von ihm ab. Ich spürte, dass er mir sehr auffällig nachsah, doch ich wollte ihn gerade wirklich nicht mehr vor den Augen haben. Stattdessen suchte ich Lina auf, die vermutlich alles davon mitbekam. Sie sammelte die braune Stute gerade ein, als ich am Tor auf sie wartete.
      “Gefällt dir wohl nicht so, dass jemand anders jetzt mit Glymi arbeitete, mh?”, erfasste sie die Situation, als sie mit Zoi im Schlepptau auf mich zukam.
      “Nicht so eingebildete, blöde Kuh”, sprach ich leise, damit Tyrell uns nicht hörte, “wenn ich das Geld hätte, wäre es schon mein Pferd.” Als erhörte jemand meinen Wunsch, vibrierte mein Handy. Ich warf einen kurzen Blick darauf: 1 Message from Niklas. “Also heute Abend ist die kleine Feier?”, schrieb er. Ich antwortete mit einem kurzen ‘Ja’ und steckte es zurück in die Brusttasche meiner Jacke.
      “Kann ich vollkommen nachvollziehen, ich wäre auch so drauf, ginge es um Ivy”, nickte Lina verständnisvoll.
      “Und dann kam der nicht adlige Prinz”, lachte ich aufgesetzt, “während meiner aus dem Frust heraus, sich direkt ‘nh andere sucht.” In dem Moment fiel mir ein, dass ich ihr noch gar nicht davon erzählt hatte und schämte mich für beides. Ich trat einige Schritte zur Seite, um ihr Platz machen am Anbinder. Neugierig zupfte Zoi an meinem Ärmel und bekam einen kleinen Klaps von mir, mehr als unkontrollierte Bewegung, als zur Erziehung. Ich seufzte.
      Lina hielt für einen Moment inne die Riemen des Kappzaums zu lösen und sah mich fragend an: “Soll ich fragen, was Erik angestellt hat oder willst du lieber nicht drüber reden?”
      „Ich weiß es nicht genau“, atmete ich erneut zu laut aus und ballte meine im Ärmel zur Faust, „er hat mir nichts Genaues erzählt, weil ich es nicht wollte. Alles, was ich weiß ist, dass er noch am Tag, als ich zutiefst im emotionalen Chaos versank, mit einer anderen schlief. Und als wir dann vor ein paar Tagen essen waren, meinte er, dass sich da etwas Ernstes entwickelte. Ich freue mich für ihn, aber es tut weh.“
      Zwischendrin schluckte ich immer wieder, fühlte mich schlecht dabei und noch schlechter, dass Trymr auch nicht mehr da war. Stattdessen klammerte ich mich an einem Typen, dessen Namen ich nicht kannte und womöglich die beste Chance im Leben verspielte. Ich war mir meiner Sache zu sicher, er war sich seiner Sache zu sicher und damit verloren wir beide das vermutlich wichtigste in dem Moment.
      “Das tut mir wirklich leid für dich, ich kann mir vorstellen, dass das schmerzt”, erwiderte sie mitfühlend. Lina meinte es gut, aber es war nicht wirklich das, was ich hören wollte. Dennoch lächelte ich und schniefte. Dann sah ich mich im Stall um, damit sonst keiner uns zuhörte.
      “Vielleicht”, murmelte ich, “sollte ich nachher wirklich noch zu Tyrell.”
      “Wenn du denkst, dass es dir guttut, mache es”, lächelte Lina freundlich.
      “Man”, protestierte ich laut stark und trampelte auf der Stelle herum. Zoi schreckte mit dem Kopf hoch, aber begriff im nächsten Wimpernschlag, dass ein Zwerg, wie ich es war, keine Bedrohung darstellte. Schockiert sah auch Lina mich an und setzte fort: “Du bist doch auch keine Hilfe. Weiß ich doch nicht, was mit guttut. Ich könnte vermutlich auch zu Vidar fahren und der würde sich zumindest mehr freuen.” Lachte ich zu sehr, um das es wie ein Scherz klang. Kurz dachte ich darüber nach, aber das war es wirklich nicht wert, knappe vierzig Minuten in die Höhle des Drachens zu fahren.
      “Entschuldigung”, beschwichtigen nahm Lina die Hände nach oben,” aber letzteres halte ich für eine sonderbare Idee. Noch ist nicht gesagt, dass das mit Erik und dir endgültig aus ist.”
      “Aber dann wäre wohl beides nicht ganz klug”, antwortete ich und überlegte kurz, “oder hast du Angst, dass ich deine Schwiegermutter werde?” Ich wusste, dass es nicht nur vollkommen absurd war, sondern auch geschmacklos. Doch irgendwie hatte Spaß daran, das Gespräch mit ihr zu führen, obwohl Lina ziemlich schockiert mich anblickte und nicht wusste damit umzugehen. Wir waren noch immer allein im Stall. Gegen die großen Fenster pladderte noch immer der Regen und der Wind toste an den offenen Toren vorbei. Die Pferde störte der Sturm nicht ansatzweise, doch mich beunruhigte es etwas.
      “Ähm, nein …”, sagte sie und blickte mich noch immer ein wenig verstört an, “und ob das andere unklug wäre, kann ich nicht beurteilen, weil ich keine Ahnung habe, was in deinem Kopf vor sich geht.”
      “Um dir das zu erzählen, bräuchten wir Alkohol, sonst könnte es dich ziemlich überfordern”, grinste ich. Meine Schulter lehnte an einen der Holzpfähle, rutschte ab, aber ich konnte mich noch rechtzeitig fangen. Wieder schlug das junge Pferd seinen Kopf nach oben.
      “Wenn es dich ernsthaft interessiert, kannst du zu mir kommen”, bot ich ihr beim Verlassen der Stallgasse an, “aber jetzt versuche ich erst mal Erik ein schlechtes Gewissen machen.” Dann lief ich weiter, noch rechtzeitig fiel mir noch ein, dass Niklas in wenigen Minuten da sein wollte.
      “Ach ja”, rief ich vom Tor, “dein Kerl ich gleich da.”
      Eine Antwort bekam ich nicht mehr, stattdessen blickte sie mich nur mit ihren großen Augen an. Nicht nur sie dachte gerade, dass ich verrückt sei, auch ich wusste das bereits. Aber normal kann jeder. Ich legte mir die Kapuze auf dem Kopf und rannte über den Kiesweg zu meiner Hütte. Eine Welle aus heißer, stickiger Luft kam mir entgegen, als ich die Schiebetür meiner Terrasse öffnete. Den Regenmantel warf ich in die Dusche und wechselte zunächst meine Kleidung. Da die Pferde bei dem Sturm nicht auf die Weiden sollten, gab es auch nichts weiter zu tun. Frisch umgezogen, ließ ich mich auf die weiche Couch fallen und konnte es eigentlich nicht abwarten, schlafen zu gehen und am nächsten Tag von vorne zu beginnen. Ein Tag sah bei mir seit Wochen sehr ähnlich aus: Ich stand auf, zog mich an, trank einen Kaffee und arbeitete mit drei Pferden, bevor ich mich an die Boxen machte und dann mit zwei Jungpferden fortsetzte. Danach variierte es, welche Pferde meine Aufmerksamkeit verlangten oder ob ich in die Stadt fuhr und Besorgungen machte.
      „Annäherungsversuche beim Chef machen, ja oder nein?“, schrieb meiner unbekannten Gesellschaft, die immer einen guten Rat zu schreiben hatten. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er meine Nachricht las und am Tippen war.
      „Eigentlich ist das immer eine idiotische Idee und du bist kein Idiot, junge Dame“, antwortete er.
      „Auch nicht, wenn ihm Gefühle vollkommen egal sind?“, formulierte ich frei heraus, denn ich wusste, dass Tyrell diese Sorte Mann war.
      „Erst recht nicht dann“, kam eine weitere Antwort, bevor die nächste bereits folgte, „schließlich hast du mich dafür. Also, was hast du auf dem Herzen?“
      „Der wichtigste Unterschied zwischen ihm und dir ist aber, dass er zur Verfügung steht und du dich hinter verführerischen Nachrichten versteckst, die mit aller Wahrscheinlichkeit immer Fantasie bleiben würden“, fühlte ich mich selbstsicher und kuschelte mich zwischen den Kissen ein. Mein Handy hielt in die Luft über meinen Kopf und grinste schelmisch. Mittlerweile konnte ich gut einschätzen, was ihm auf die Palme brachte und womit sich sein Ego nicht gut fühlte. Dazu zählte ganz klar die Tatsache, dass er ungern hinter anderen Männern gestellt wurde. Ewig pulsierten die drei Punkte, bis eine Antwort auf dem Bildschirm erschien: „Ach, so ist das also? Denkst du ernsthaft, dass ich nicht in der Lage bin, dich genauso glücklich zu machen, wie ich es sage? Das würde mich stark enttäuschen und glaube mir, du möchtest nicht, dass ich enttäuscht bin.”
      Mein Lächeln wurde immer breiter, ihn anzustacheln bereitete mir große Freude. Prüfend sah ich zur Tür. Der Regen wurde immer stärker und Lina noch kommen würde, bezweifelte ich immer mehr. Für mich selbst zuckte ich mit den Schultern und schrieb dann eine Antwort: “Was wäre denn, wenn du enttäuscht bist? Schließlich ist es für mich schwer einzuschätzen, ob du dazu in der Lage bist oder nicht, schließlich wagst du es dich nicht, mich physisch zu berühren.” Als hätte er schon beim Schreiben mitgelesen, leuchteten wieder die Punkte auf.
      “Das werden wir noch sehen”, provozierte er mich.
      “Ich will dich sehen”, nervös biss ich mir auf der Unterlippe herum, hoffte innerlich darauf, dass es ihn so sehr aus der Bahn warf, dass er noch heute herkommen wusste. Doch ich wusste, dass er keinesfalls an einen Ort kommen würde, an dem sich einer von uns beiden auskannte. Wir hatten bereits darübergeschrieben, wie das erste Treffen aussehen könnte und das würde auf jeden Fall in einem Hotel sein, dass für uns beide mehrere Stunden entfernt lag.
      “Sehen würdest du mich nicht, aber spüren würde doch schon reichen”, kam es als Antwort. Mein Herz pochte immer schneller, die Adern kochten und an meinem ganzen Körper breitete sich ein Zittern aus. Vielleicht sollte ich das alles nicht zu ernst nehmen, aber der Gedanke, dass er sich mehr Mühe gab, als der Kerl, von dem ich dachte, er sei der Eine, brachte mich zum Nachdenken. Ich war zu schwach, um ihm mehr zu schreiben, doch das war gar nicht nötig, denn er setzte direkt fort: “Aktuell hätte es niemand anderes mehr verdient als du. Wenn ich ehrlich bin, pulsiert alles auch nur für dich. Mein Herz ist bei dir.”
      Ich schluckte und schloss den Chat. Dann legte ich das Handy neben mich in die Couchritze und beobachtete, wie der Regen weiterhin gegen die großen Scheiben peitschte. Es wirkte hypnotisierend. Durch meinen Kopf liefen verschiedene Szenarien, wie es laufen würde, je nachdem welche Entscheidung ich treffen würde. Vor den Fenstern verdunkelte es sich und meine Augen fielen auch immer schneller zu, bis ich panisch wach wurde und nach meinem Handy in der Ritze wühlte. Neben vier Nachrichten hatte von meinem Unbekannten, hatte auch Erik mir geschrieben.
      “Ich glaube, du musst wieder Trymr zu dir nehmen”, las ich.
      “Warum?”, tippte ich auf den Bildschirm ein. Natürlich würde ich mich sehr darüber freuen, doch am Ende des Tages schien nur dieser Hund uns noch zu verbinden, als gäbe es sonst nichts mehr.
      “Er jault nur noch und frisst kaum”, vibrierte mein Handy umgehend. Ich atmete tief durch, wäre es der richtige Moment ihm zu sagen, dass es auch mir so ging? Immer wieder flogen die Finger über die matte Anzeige, löschten alles, um dann erneut dasselbe zu tippen. Ich hatte dafür gesorgt, dass er sich distanziert und ich die Kontrolle verlor. Es lag alles an mir, nur das sollte ich mir vor Augen führen. Eine Träne tropfte auf den Bildschirm und rief ihn unbemerkt an, was ich erst Minuten später bemerkte. Ich rieb mit meinen Händen durchs Gesicht, schluchzte immer wieder ‘Warum’ und weinte weiter. Dann hörte ich ihn: “Vriska?” Vor Schreck hielt ich den Atem an, verschluckte mich dabei und schnappte panisch nach Luft. Mit meinem Handballen wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und sah in mein Handy. Erik strahlte mich mit seinem übertrieben breiten Lächeln und winkte. Das war auf allen Linien einfach nur peinlich.
      “War ich das?”, fragte ich nasal und schniefte.
      “Ja, eindeutig”, lächelte er weiter, “aber jetzt sag mir, was los ist, sonst fahre ich zu dir.”
      Es gab Gründe, warum ich es in meinem Leben mied FaceTime abzuhalten. Dazu zählte, dass man seinem Gegenüber direkt sah und vor allem das, was im Hintergrund ablief. Trymr hatte mich offensichtlich an der Stimme erkannt und sprang über die äußerst hässliche Couch direkt auf seinen Schoß. Von Eriks Gesicht war nicht mehr viel zu sehen, dafür beobachtete der Hund genau, was auf dem leuchteten Bildschirm passierte und kam mit seiner großen Nase dem Touchscreen bedrohlich nah. Ich hörte auch Fredna quengeln, die vermutlich nicht in Bett wollte, sondern lieber mit den Pferdchen spielte. Obwohl noch immer Tränen über meine Wange liefen, lachte ich.
      „Ich spreche mit dir, was ist los?“, wiederholte Erik versucht seinen Hund vom Schoß loszuwerden, doch dieser rührte sich kein Stück.
      „Ich vermisse dich“, schluchzte ich.
      „Also fahre ich jetzt los“, beschloss er energischer und Trymr sprang überzeugt auf.
      „Nein, ist schon gut. Ich komm klar“, log ich und wischte mir erneut durchs Gesicht mit meinem Handrücken.
      “Jetzt lüge mich nicht an. So wie du aussiehst, kommst du nicht klar”, sagte Erik bedenklich und fuhr sich durch das offene Haar. Ihn nicht im Anzug zu sehen, war ein ungewöhnlicher Anblick, aber keiner, der mich an ihm zweifeln ließ.
      “Na gut”, murmelte ich und setzte mich ordentlicher auf das Sofakissen, “aber du musst nicht herkommen, möchte dich nicht belasten.”
      Erik begann zu Lachen und schüttelte den Kopf.
      “Dafür ist es reichlich spät. Also wie lange willst du noch diskutieren? So oder so mache ich mich gleich auf dem Weg”, erklärte er. Leider handelte es sich nicht mehr um einen Weg von vier Stunden, die er vor sich haben würde, um herzukommen, stattdessen waren es knappe dreißig Minuten, denn er zog vor zwei Wochen in ein Haus mit seiner Schwester am Rand von Kalmar.
      “Wenn es dich glücklich macht”, raunte ich.
      “Ja”, sagte Erik beschlossen, “aber ich ziehe mich erst mal ordentlich an.”
      “Nein”, rief ich sofort. Verwundert blickte er mich an.
      “Ich möchte nicht die Einzige in Jogginghose sein”, fügte ich noch hinzu.
      “Bis du mich in Jogginghose siehst, muss die Welt untergehen”, lachte er und bewegte das Handy nach unten. Erleichtert atmete ich aus, denn er trug eine Hose, eine Anzughose – wer hätte das nur denken können.
      “Dann bleib, wo du bist, ich packe deinen Freund ein und komme vorbei. Aber holst du mich dann mit einem Schirm vom Parkplatz ab?”, fragte er und stand auf. Aus dem Hintergrund ertönte:
      > Vart är du på väg nu? Har du tittat på din klocka?
      ”Wo willst du denn jetzt noch hin? Hast du mal auf die Uhr geschaut?)” Seine Schwester war von Anfang an ziemlich schlecht auf mich zu sprechen. Erik antwortete entschlossen:
      > Jag ska träffa min ängel och kommer inte tillbaka förrän i morgon.
      ”Ich fahre zu meinem Engel und komme erst morgen wieder.” Wieder stoppte mein Atem kurz. Hatte ich das gerade richtig gehört, oder verzog sein Dialekt wieder einmal die Worte.
      > Vriska, jag går nu.
      „Vriska, ich fahre jetzt los”, lächelte er und legte auf. Verkrampft hielt ich noch mein Handy in der Hand, starrte in dieselbe Richtung. Es half wirklich mit Menschen einfach darüber zu sprechen, was man wollte, anstatt es in sich hineinzufressen.
      Nervös tigerte die Wohnung auf und ab, es herrschte hier nicht nur das reinste Chaos, sondern es standen auch überall benutzte Teller und Kaffeetassen herum, die eigentlich in der vergangenen Woche bereits abgewaschen werden hätte sollen. Stattdessen stand alles hier herum.
      Zittrig nahm ich wieder mein Handy und sagte Lina Bescheid, dass ich entweder alles richtig gemacht habe, oder mich in das nächste Chaos katapultierte: “Ähm, Erik kommt gleich. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist.” Dann atmete ich tief ein und wieder aus, steckte mein Handy weg und versuchte in der verbleibenden Zeit zumindest minimale Ordnung hineinzubringen. Nicht zu vergessen, dass wir in circa einer Stunde noch Folkes Geburtstag feiern wollten und ich nicht so genau wusste, wie erwünscht weiterer Besuch war. Es dauerte nicht lange bis eine Antwort von Lina kam: “Wenn er jetzt noch extra herkommt, scheint es als würdest du es brauchen, das wird schon.”
      Meine Finger zitterten, als ich fest umschlossen mich am Handy klammerte und immer wieder die Nachricht mit meinen Augen überflog. ‚Als würdest du es brauchen‘, verbiss sich wie ein wütender Terrier in mir. Vielleicht konnte ich mir einfach nicht eingestehen glücklich zu sein und zu schätzen, was ich hatte. Es war ein Auf und Ab, dass ich stets versuchte zu bändigen.
      „Ich glaube, dass ihn liebe und es mir nicht eingestehen will“, schrieb ich Lina nach reichlicher Überlegung. Eigentlich hatte sie immer einen Rat, oder zumindest unterstützende Worte. So hoffte ich auch diesmal das Richtige von ihr zu hören. Nervös starrte ich auf den Bildschirm, aber sie kam einfach nicht mehr online. Einmal mehr wünschte ich mir, dass Niklas nicht existieren würde oder Jenni noch meiner Seite, denn auch sie wüsste mich nun zu bändigen. Verzweifelt tippte ich eine Nachricht an meinen Unbekannten, auch wenn das vermutlich die Stimmung für immer über den Haufen warf.
      „Du bist ein Mann, ein guter sogar. So ein wenig kennst du die Vorgeschichte und glaube, dass da mehr zwischen ihm und mir ist, zumindest fühle ich etwas, das vorher noch nie so mein Leben steuerte, mich in Bedrängnis brachte und mich nicht mehr klar denken ließ. Würdest du das erfahren wollen oder sollte ich lieber nicht mit ihm sprechen?“, tippte ich und drückte auf den blauen Pfeil zum Absenden der Nachricht. Im selben Moment trudelte auch endlich eine Antwort von Lina ein: “Schon allein, dass du mir diese Nachricht schreibst, sagt mir, dass da definitiv etwas ist. Ich weiß selbst, Gefühle zu akzeptieren ist nicht immer einfach, aber gehe nicht so verkopft an die Sache heranzugehen. Versuche einfach auf körperlicher Ebene zu fühlen, ohne zu bewerten. Lass dich von deinem Herzen leiten und akzeptiere, was du fühlst. Um mir Gefühle einzugestehen, hilft es mir persönlich häufig, wenn ich das Gefühl visualisiere, oder aufzuschreiben wie ich mich fühle, zu ergründen, wo es herkommt und warum ich mich so fühle. Habe keine Angst davor und denke stets daran, jemanden zu lieben ist schön und geliebt zu werden noch viel schöner. Ich weiß, dass du es zulassen kannst, du musst nur noch selbst daran glauben.” Kein Wunder, dass sie bei so einem Roman einen Augenblick länger benötigte zum Antworten. Zwischen den Tränen funkelte auf meinen Lippen ein Lächeln auf, „danke“, hauchte ich nur ins Leere meines Zimmers und stellte die benutzten Tassen in die Spülmaschine. Den Wäschehaufen verstaute ich in dem dazugehörigen Korb. Zumindest sah die Hütte nun weniger chaotisch aus. Da Eriks Auto im Vergleich zu Niklas‘ ziemlich laute Geräusche machte, entging es meinen Ohren nicht, dass er langsam über den Kiesweg zum Parkplatz einfuhr. Ein letzter Blick auf mein Handy verriet mir, dass auch mein Unbekannter eine Antwort parat hatte.
      „Dann solltest du es ihm sagen, es bringt nichts, wenn du dich wochenlang oder Monate damit quälst. Also erzähle mir später davon“, las ich, schnappte mir den Regenschirm und steckte das Handy weg. Bis zum Parkplatz waren es nur einige Meter, die jedoch reichten, um meine Reitschuhe vollkommen zu durchnässen. Mit Wasser in den Sohlen platschte ich weiter und hielt vor seinem Auto an. Lachend schielt Erik zu mir hoch und Trymr steckte seinen Kopf in die vordere Sitzreihe. Dann öffnete er langsam die Tür und nahm den Schirm schützend über sich. Unbeholfen stand ich daneben, wusste nicht genau, wie ich ihn begrüßen sollte. Sonst umarmten wir uns immer, doch heute fühlte es sich seltsam ab. Dann lies Erik zunächst den Hund ins Freie, der direkt zu mir rannte, quietschte und jaulte. An den Pfoten trug er etwas, dass ich als Schuhe bezeichnen würde und über dem ganzen Körper einen gelben, regenabweisende Pyjama. Willkürlich begann ich zu lachen.
      „Er soll doch auch nicht nass werden“, zuckte Erik mit den Schultern und zog mich am Kopf zu sich heran. Der sonst so stechende und ätzende Geruch seines Aftershaves wurde durch etwas Freundliches ausgetauscht, dass deutlich besser zu ihm passte. Auch ich legte dann meine Arme um seinen Oberkörper und drückte mich einfach nur fest.
      „Danke, dass du da bist“, raunte ich. Sanft strich er mir durch mein wüstes Haar.
      „Für dich immer, Engelchen“, lächelte er. Mir wurden die Knie weich, klammerte mich weiter an ihm unter dem Mantel an seinen Oberkörper und spürte, dass seine Muskeln zuckte bei jeder meiner Bewegung.
      “Lass uns drin weitermachen”, zog Erik mein Kinn nach oben, dass ihn ansehen musste, „hier ist eklig.“
      Ich nickte langsam. Aus dem Kofferraum nahm er eine große Ledertasche und zusammen liefen wir zur Hütte, eher rannten wir, denn der Regen wurde immer stärker und der dazugehörige Wind sprühte das Wasser unter den Schirm. An der Tür reichte ich Erik ein Handtuch für sich und den Hund, während ich die Schuhe zur eigentlichen Haustür brachte. Meistens ging es über die Schiebetür der Terrasse ins Innere meines Hauses, anstelle der eigentlichen Haustür neben der Küche.
      “Aber ich muss gleich noch mal weg, weil wir auf Folkes Geburtstag anstoßen, außer du kommst mit”, lächelte ich und schaltete die Lichterketten im Wohnzimmer ein über den Hub an der Wand.
      “Da Niklas offensichtlich da ist, nein”, schüttelte Erik entschlossen den Kopf und kramte neben einer Laptoptasche auch eine große Schüssel aus seiner Tasche, die ich direkt im Kühlschrank verstaute. Trymr hüpfte mir um die Füße und wollte so gernhaben, was ich trug.
      “Senare (später)”, hauchte ich dem Ungetüm zu. Mit großen Augen sah er an mir hoch, wollte nicht so recht akzeptieren auf sein Futter warten zu müssen. Je länger ich zu ihm heruntersah, umso größer schien das Funkeln in seinen Augen zu werden und sein Schwanz wischte energischer den Boden.
      “Erik, dein Hund stirbt gleich vor Hunger”, sagte ich mitfühlend und strich dem armen Tier über dem Kopf. Er drückte sich fest an mich heran, ehe er auf dem Rücken lag und den Bauch gekrault haben wollte.
      “So schnell stirbt es sich nicht”, lachte Erik und sah über die Lehne der Couch hinweg zu uns, “und wenn hier einer stirbt, dann bist du es, wenn du nicht herkommst.” Oh, was? Schnellen Schrittes stürzte ich mich über die Rückenlehne und wurde umgehend getadelt. Verlegen wich ich seinem stechenden Blick aus, starrte im Wechsel zur Decke und meinen Füßen, die ich überkreuzt auf dem Sitzkissen hatte. Wieder legte Erik seine Hand an mein Kinn. Es fühlte sich wieder so vertraut an, ihn bei mir zu haben, als hätte es die ganzen Vorfälle nicht gegeben, die zwischen uns lagen. Dabei wusste ich nicht einmal, wie es ihm damit ging. Immer heulte ich herum, nahm überhaupt keine Rücksicht auf seine Gefühle und hoffte darauf, dass er mit mir darüber sprechen würde, wenn ihm etwas missfiel. Aus dem Augenwinkel heraus musterte ich ihn heimlich und mir gefiel, was ich sah. Erik trug ein einfarbiges weißes Shirt und eine braun karierte Anzughose, die unnötigerweise mit einem Gürtel an seinem Becken saß. Die dunklen Härchen an seinen Armen stellten sich auf, als ich ihn grundlos in die Wange pikste und sagte: “Boop.” Langsam bewegten sich seine Augen meine Richtung und er warf mir ein strahlendes Lächeln zu.
      “Möchte da etwa jemand Aufmerksamkeit?”, grinste Erik und lehnte sich tiefer in die Rückenkissen.
      “Wir werden wohl kaum bis morgen früh auf der Couch sitzen und den Regen beobachten, wie er gegen die Scheiben plätschert”, erkundigte ich mich forsch.
      “Ach nicht? Ich finde es eigentlich ganz schön”, sagte er munter und legte seine Hand auf meinem Oberschenkel ab. Nervös schluckte ich. Mein Herz klopfte wie wild, bei Linas Nachricht im Hinterkopf, dass ich mich darauf einlassen sollte. Ich schielte zur Uhr an der Wand, langsam wurde es Zeit, dass ich zur Halle ging, um mit den anderen auf Folke anzustoßen.
      “Du verwirrst mich”, sprang ich aufgeregt auf, “doch jetzt muss ich kurz rüber.” Im Schlafzimmer warf ich mir ein anderes Oberteil über und suchte nach dem kleinen Paket, das ich für ihn vorbereitet hatte. Als ich vor einigen Wochen mit Niklas noch kurz in der Stadt war, fand ich die richtige Tasse für ihn. Ständig nahm sich jemand aus dem Aufenthaltsraum seine, worüber Folke sich lautstark Unmut machte.
      „Wieso verwirre ich dich?“, tauchte Erik unverhofft neben mir auf, grinste frech und zog sein Oberteil aus. Kopfschüttelnd stand ich wie angewurzelt an der Tür meines deckenhohen Kleiderschranks und musterte ihn wieder einmal von oben bis unten.
      „Weil“, stammelte ich, “deswegen.” Gestikulierte ich wild in der Luft herum und formte dabei imaginär seinen Körper. Er lachte nur, schien das ganze weiterhin für einen ziemlich guten Witz zu halten. Doch in mir zog sich alles zusammen, Hitze stieg mir in den Wangen herauf und langsam konnte ich mich wirklich nicht mehr davor verstecken, was ich noch immer fühlte. Tief atmete ich ein und auch wieder aus. Mit kleinen Schritten nährte ich mich ihm und wusste nicht genau wohin mit meinen Händen, was macht man sonst mit denen? Die hingen so sinnlos an meinem Körper herum, schwitzten wie wild und ballten sich immer wieder zu Faust. Auch meine Knie wurden immer weicher und mein Magen schlug weiterhin Purzelbäume. Mir wurde heiß, kalt und schlecht gleichzeitig. War es schon immer so warm in meiner Hütte, oder musste ich ihm die Schuld dafür zuschieben? Ich schloss die Augen und hoffte darauf, plötzlich im Konferenzraum aufzutauchen und Folke zu seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag zu gratulieren, dabei neben Lina zu stehen und irgendwelche blöden Scherze zu machen. Stattdessen erblickten meine Augen nur Eriks Gesicht, bedrohlich nah an meinem. Offenbar hatte mich, mein Weg wirklich zu ihm geführt und ich spürte seine ebenfalls schwitzige und warme Haut an meinen Händen. Langsam strich ich an seinem seitlichen Bauch entlang, wodurch in mir alles noch stärker kribbelte und gar nicht mehr aufhörte, mir den Verstand zu vernebeln. Ich schluckte wieder.
      “Solltest du nicht endlich Klartext sprechen?”, hob Erik seine Brauen nach oben und lächelte noch immer viel zu selbstsicher, um ihn weiterhin etwas vorzumachen.
      “Ich muss wirklich rüber”, stotterte ich. Es blieben noch mehr als zwanzig Minuten, bis auch der große Zeiger die Zwölf erreichte mit dem kleinen zusammen, aber ich fühlte mich gerade viel mehr als nicht wohl.
      “Man hat mir mein Pony weggenommen”, senkte ich den Kopf. Erik legte seine Hände an meine Schulter und drückte mich minimal von sich weg.
      “Warte”, schüttelte er verwirrt den Kopf, “damit habe ich nicht gerechnet.”
      “Du wolltest wissen, was los ist. Glymur wird jetzt von der Neuen umsorgt, die mich immer mehr von ihm losreißt”, seufzte ich.
      “Ach so, Stimmt. Das hatte ich gefragt”, murmelte er und kratzte sich am Kopf. Kurz sah er auf sein Handy und sagte dann: “Das klingt nach einer schwierigen Situation, wie kann ich dir helfen? Möchtest du, dass ich ihn kaufe oder was stellst du dir vor?”
      “Nein, auf keinen Fall, dann bist du arm und kannst dir nicht mal den Treibstoff deines Autos leisten”, lachte ich und wurde umgehend finster von ihm angeblickt. Noch bevor ich weitersprechen konnte, zischte er: “Wenn ich was will, dann bekomme ich es, schließlich muss man es sich auszahlen lassen vom Vater vernachlässigt zu werden.”
      “Wenn das so einfach wäre, dann könnte ich auch so verschwenderisch mit Geld umgehen”, rollte ich mit den Augen und hatte wirklich die Tatsachen in meinem Kopf verdrängt, dass er auch ziemlich verwöhnt wurde und unnötigerweise mit Geld um sich würft, als gäbe es kein Morgen.
      “Ich denke nicht, dass wir jetzt darüber diskutieren sollten”, verzog er verächtlich seine Mundwinkel, aber löste seinen stechenden Blick nicht von mir.
      “Es tut mir leid”, entschied ich zu antworten, was umgehend seinen Gesichtsausdruck wieder veränderte, “Ich wollte nur mit jemanden über Glymur sprechen, damit ich besser mit der Situation umgehen kann. Mehr erwarte ich nicht von dir, außer dass du für mich da bist.” Wieder schielten meine Augen zur Uhr, noch zwölf Minuten, bis wir auf den Geburtstag anstoßen wollten.
      “Hast du mir auch noch etwas zu sagen?”, erkundigte ich mich, eher erwartungsvoll, dass ich mich nicht öffnen musste.
      “Gerade nicht, nein. Finde es nur nicht in Ordnung, dass ich wegen des Pferdes hergekommen bin”, überlegte er, “das hättest du wirklich am Telefon sagen können, oder mir schreiben.” Das schmerzte tief im Herzen.
      “Aber ich wollte, dass du herkommst”, schämte ich mich, dass er Glymur als ein einfaches Pferd abstempelte und ihn für ersetzbar hielt. Ich musste jedoch einsehen, dass die Verbindung zu einem solch kraftvollen und majestätischen Tier für Außenstehende oft unbegründet wirkte.
      “Damit kommen wir der Sache doch langsam näher”, schmunzelte er schmutzig.
      “Egal was du noch hören willst, ich gehe nun zum Geburtstag, wir sehen uns gleich wieder”, strich ihm über die Brust und gab ihm einen flüchten Kuss auf die Wange.
      “Vivi, warte”, sagte er noch überraschend, als ich an der Tür stand, mit dem Geschenk unter dem Arm und mir die Regenjacke übergeworfen hatte. Abrupt blieb ich stehen und drückte die Tür wieder ins Schloss.
      “Ich komme doch mit, wenn es für dich in Ordnung ist”, schnappte er sich ein Hemd aus seiner Tasche und knöpfte des bis zum Hals zu, richtete den Kragen und folgte mir.
      “Na gut, gern”, lächelte ich glücklich und gab ihm den Schirm. Zusammen kämpften wir uns durch den Sturm und kamen mehr oder weniger trocken im Stall an. Durch die Fenster des Hauses leuchteten bunte Lichter und der Bass vibrierte auf dem Boden. Zusammen liefen wir die Treppen hinauf. Je näher wir der Tür kamen, umso sicherer fühlte ich mich. Meine Jacke streifte ich ab und hängte sie an den Haken im Flur. Der Regen tropfte vom glatten Material auf den Teppich, der komischerweise überall in den Räumen des Versammlungsgebäudes verlegt war. Ich zögerte, als ich meine Hand auf der Klinke hatte.
      “Willst du nicht hereingehen?”, fragte Erik überrascht und legte den Kopf leicht schräg, ohne seinen Blick von mir zu wenden.
      “Ich”, stammelte ich wieder unbeholfen, “ich muss vorher noch etwas klären.” Ehrfürchtig sah ich hoch zu ihm und atmete tief durch.
      “Und was?”, kratzte er sich am Kinn.
      “Du hast gesagt, dass das mit der was Ernstes ist”, vergewisserte ich mich nervös.
      “Ja, aber nein”, gab er zu und atmete selbst tief durch, “Ich wollte dich damit nur provozieren, um endlich ehrlich zu sein.”
      “Du bist ein Arsch”, antwortete ich entsetzt und wollte ihn weiter fertig machen, doch er holte mich durch eine einfache Berührung an meiner Hand zurück. Seine Augen funkelten auf einmal so sehr, dass ich mich fragte, ob er schon immer mich so ansah.
      “Ich habe meine Gefühle für dich die ganze Zeit verdrängt, weil ich Angst habe, dich immer wieder zu verletzten. Aber ich bin vermutlich in dich verliebt und will nichts mehr als dich zurückhaben”, ratterte ich herunter ohne Luft zu holen. Auch jetzt wagte ich nicht einen weiteren Atemzug zu nehmen.
      “Wir reden nachher weiter”, hauchte er in mein Ohr und öffnete die Tür. Na toll, jetzt sprach ich darüber, was ich fühlte und er verschob das Gespräch auf einen späteren Zeitpunkt? Das war unfair, aber im Raum freuten sich die Leute, für meinen Geschmack, viel zu sehr mich zu sehen.
      “Da bist du endlich”, umarmte mich Hedda überschwänglich und musterte meine Begleitung.
      “Wie schleppst du denn schon wieder mit dir herum, ich dachte, dass das zu Ende ist”, flüsterte sie mir zu.
      “Es ist kompliziert, habe ich dir doch schon erklärt”, zischte ich verärgert.
      “Ja, ja. Und gleich erklärst du mir, dass ich zu jung bin, um das zu verstehen”, rollte Hedda mit den Augen und lachte dreckig.
      “Ne, so was sage ich nicht, aber du verstehst es trotzdem nicht, weil ich selbst nicht tue”, antwortete ich kläglich. Endlich verschwand sie wieder zu ihrem Bruder. Erleichterte atmete ich aus und griff entschlossen nach Eriks Hand, um von dem kleinen Buffet an der Wand ein Getränk zu holen. Er blickte auf meinen Annäherungsversuch und sagte: “Ach ja? So ist das also?”
      “Pff”, rollte ich übertrieben mit den Augen und versuchte mich wieder zu lösen, aber er klammerte sich an mir fest, “offensichtlich, ja.” Für Zuschauer könnte das ziemlich übertrieben kitschig wirken, doch ich hatte meinen Spaß daran. Bewaffnet mit einem Getränk starrten wir zur Uhr, die sich in Sekunden schneller der Zwölf nährte und alle plötzlich begannen zu zählen. Nur ich schielte zu Lina und Niklas hinüber, die uns auch schon entdeckt hatten, aber auf ihrer Stelle wie angewurzelt stehen blieben.
      Auf die Sekunde genau stimmten wir das Geburtstagslied an und gratulierten ihm herzlich. Folke stand mit seiner Freundin an der Seite, lief rot an und konnte nicht wirklich mit unserer Freundlichkeit umgehen. Ich ließ Erik an Ort und Stelle stehen, lief zu meinem Arbeitskollegen und übergab ihm das Päckchen. Überrascht riss er das Papier ab und bestaunte die Tasse.
      “Endlich”, lachte er. Das Besondere an dem Geschenk war, dass sie einen Fingerabdrucksensor hatte und nur dadurch verwendbar war. Effektiv nutzen konnte man das Teil bestimmt nicht, aber die Idee war dennoch lustig. Dennoch konnte so niemand das Gefäß benutzen, denn sie war verschlossen, bis der Finger erkannt wurde. Der Verkäufer erklärte mir noch, dass dadurch die Flüssigkeit auch länger warm blieb.
      “Vriska, danke dir”, umarmte er mich glücklich und auch Eorann lachte. Lina gesellte sich nun auch dazu, um herzlich zu gratulieren, bevor sie sich neben mich stellte.
      “Du warst ja ziemlich knapp erst hier. Bist du der Lösung deines Problems nähergekommen?”, raunte sie mir neugierig zu und schielte zu besagtem Mann, der noch immer dort stand, wo ich ihn stehen ließ.
      „Ich weiß es nicht genau“, stammelte ich besorgt, „also ich denke ja, aber seine Antwort war, dass wir später darüber sprechen. Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass es mich erst knapp vor fünf Minuten dazu entschloss, es zu sagen. Nachdem er Glymur als ein Pferd wie jedes andere abstempelte.“ Das Glas in meiner Hand zitterte vor Aufregung, erst recht als Niklas dann auch dazu kam und nicht mehr sagte, als mich streng anzublicken. Ja, ich hatte ihm versprochen nichts mehr Alkoholisches zu mir zu nehmen, da meine letzte Ekstase bei einer kleinen Runde am Hof ziemlich ausuferte, wovon aber Lina noch nichts wusste und sonst eigentlich auch niemand.
      “Ein Pferd wie jedes andere? Hat er nicht gesagt”, hinterfragte sie verständnislos, “aber mach dich jetzt nicht verrückt, vermutlich möchte er dir in alle Ruhe antworten und nicht zwischen Tür und Angel.” Aufmunternd legte sie mir eine Hand auf die Schulter.
      “Nein, so genau hat er das natürlich nicht gesagt. Es war viel mehr, dass er hinterfragte, warum er wegen eines Pferdes zu mir kommen sollte”, gab ich zu.
      “Das klingt nach ihm”, runzelte Niklas die Stirn.
      “Sei ruhig”, zischte ich verärgert, “aber ich versuche ruhig zu bleiben, wird schon.”
      Zynisch lächelte ich und konnte kaum glauben, dass die Worte meinen Mund verließen. Auch Lina stimmte mit ein, während ihr Freund einige Schritte zur Seite wich und sie fest an sich zog. Ich wollte mir das nicht weiter ansehen, denn in meinem Magen rumpelte es energisch. Also schluckte ich, drehte mich um und lief zu Erik, der mich schon zu erwarten schien.
      “War es das schon?”, erkundigte er sich. Ich schüttelte den Kopf.
      “Ich muss noch kurz zu meinem Chef, dass ich doch keine Zeit habe”, erklärte ich.
      Er stand zusammen mit seinem Bruder am Buffet und hielt ein Gespräch ab mit der neuen und meinem Bruder. Die vier so vertraut miteinander zu sehen, verursachte weitere Zuckungen meiner Hand und die Stoppeln an meinem Körper stellten sich unangenehm auf. Sie kratzten an dem weichen Stoff meiner Hose.
      “Vivi, lässt du dich auch blicken”, lachte Harlen und musterte mich von oben bis unten. Natürlich, schließlich trug ich als einzige eine Jogginghose und in Kombination mit dem schwarzen Pullover, der eine Aufschrift auf der Brust hatte, wirkte ich nicht sehr festlich.
      “Entschuldige, ich habe auch den ganzen Tag gearbeitet und sogar mein Training abgesagt. Da brauche ich am Abend auch mal eine Ablenkung”, tadelte ich ihn. Erwartungsvoll blickte Tyrell zu mir hinüber.
      “Damit meinst du aber vermutlich nicht unseren Filmabend?”, erkundigte er sich scherzhaft, worauf ich mit einem Kopfschütteln antwortete.
      “Deswegen bin ich hier, wollte mich entschuldigen. Verschieben wir auf einen anderen Tag, okay?”, sagte ich einen Augenblick später.
      “Ach alles gut, mache dir nicht so einen Stress. Die Filme rennen nicht weg, aber wehe, du guckst sie ohne mich”, scherzte Tyrell. Erleichtert atmete ich aus.
      “Hast du dich erholt davon, dass du mit Glymur nicht arbeiten kannst?”, griff mich Jonina aus heiterem Himmel an und bekam direkt eine Ermahnung von Bruce.
      “Ja”, antwortete ich schockiert, aber versuchte mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Darauf kam zum Glück nichts mehr und ich verabschiedete mich, schließlich musste ich morgen um neun auf dem Pferd sitzen, damit ich Fruitys Trainingsplan aufrecht halten konnte.
      “Netflix and Chill?”, funkelte ich Erik an und hielt seine Hand. Wieder schnellte mein Puls nach oben und ich konnte nicht genau einschätzen, ob ein kleines Glas Wein diese Selbstsicherheit auslöste, oder die Überwindung zumindest ansatzweise ihm von meinen Gefühlen berichtet zu haben.
      “Werden wir sehen”, lachte er, “aber Netflix klingt gut.”
      Zusammen liefen wir zur Tür.
      “Vriska, warte kurz”, kam Lina angelaufen, ”was ist jetzt eigentlich mit Holy? Das haben wir vorhin ganz vergessen.”
      „Oh gut, dass du das noch sagst“, antwortete ich ein wenig überrascht und ließ Eriks Hand.
      „Zur Sicherheit holen wir noch einen Schwangerschaftstest aus dem Büro, nur um sicherzugehen“, sagte ich noch und zog mir die Jacke drüber. Irritiert sah er zwischen uns Hin und Her, bevor er überrumpelt fragte: „Soll ich mir Gedanken machen?“
      „Ach alles gut, du kannst nicht noch mal Vater werden“, lachte ich frech.
      „Mich brauchst du auch nicht so ansehen oder sehe ich aus wie ein Pferd“, fügte sie amüsiert hinzu, bevor sie mir lachend folgte durch den Flur. Erik sah uns irritiert nach. Ich konnte ihm nicht immer alles recht machen, schließlich sollte er auch mal etwas über sein Verhalten Gedanken machen. Zusammen standen wir vor der verschlossenen Tür, die nicht nur einfach gesichert war, sondern dreifach. Also gab ich die unterschiedlichen Codes auf dem Panel ein und hoffte, die richtige Reihenfolge getippt zu haben. Im nächsten Augenblick piepte es und die Tür öffnete sich.
      “Manchmal ist das alles sehr paranoid hier”, kommentierte ich und verschwand in dem großen Raum, einen Schreibtisch in Richtung des Reitplatzes ausgerichtet hatte und auf so was wie einem Podest stand. Dahinter türmten sich verschiedene Ordner in meterlangen Regalen, die Tyrell noch immer zur Sicherheit hatte. Vor dem Fenster neben dem Tisch war ein Apothekerschrank. Nach einander durchwühlte ich die Schubfächer, bis ich fand, wonach ich suchte. Triumphierend hielt ich das Päckchen in die Luft und steckte es in die Jackentasche.
      “Brauchst du sonst noch was? Ketamin?”, lachte ich.
      „Na, lass mal. Ich hatte nicht vor heute irgendwen zu entführen“, lehnte sie lachend ab.
      “Aber ich vielleicht”, überlegte ich kurz und sah in den verschlossenen Schrank in der Mitte. Aber stand dann auf, drehte mich um und verschloss das Büro wieder hinter mir. Mit Lina im Schlepptau machten wir uns auf dem Weg zum Paddock. Überraschenderweise stand Erik noch immer vor dem Konferenzraum.
      “Du hättest doch schon mal vorgehen können”, sagte ich im Vorbeigehen, aber er stoppte mich, in dem er an meinem Arm zog.
      “Wie redest du schon wieder mit mir?”, zischte er leise, damit Lina es nicht hörte. Langsam bewegten sich meine Augen nach oben. In mir bebte es, was nicht an dem Bass im Nebenraum lag.
      “Es tut mir leid”, tat ich auf unschuldig und klimperte mit meinen Augen. Ich konnte ihm nun doch noch ein verstohlenes Lächeln entlocken.
      “Entschuldigung akzeptiert”, grinste Erik und drückte seine Lippen auf meine Stirn, “aber beeile dich, ich warte im Zimmer auf dich.” Ich nickte und lief schnellen Schrittes mit Lina, die letzten Stufen herunter. Vor dem Rolltor tobte der Sturm, wirbelte die großen Tropfen durch die Luft und auch Äste flogen an uns vorbei. Dass es so ein Unwetter werden sollte, konnten nicht einmal die Wetterdienste erwarten. Schemenhaft erkannt ich im Kampf gegen das Wetter, die Stuten auf dem Paddock stehen oder viel mehr unter dem großen Unterstand. Keines der Tiere wagte es so verrückt zu sein wie wir, sich bei Orkanböen, die über das flache Eiland wehten, nur einen Zentimeter unter dem wolkenverhangenen Himmel zu bewegen.
      Holy stand schützend neben ihrer bekannten Girlie und kaute genüsslich das verbleibende Heu im Gang. Lina drückte den Lichtschalter am neben den Gittern und klirrend schaltete sich die spärliche Deckenbeleuchtung an.
      “Wenn sie wirklich trächtig sein sollte, denkst du, wie können das bei den Veranstaltern melden?”, sagte ich heiser zu Lina, die ihre Jacke vom Regen freischüttelte.
      “Mhm, das können wir sicher, aber ich weiß nicht, ob das viel bringen wird”, antwortete Lina stirnrunzelnd.
      “Aber irgendwer muss doch das Sorgerecht übernehmen”, musterte ich den runden Bauch der gescheckten Stute, “oder zumindest die Verantwortung.” Das Fohlen würde sicher noch verrückter sein als seine Mutter, die komplette Herde aufmischen und bestimmt uns alle in den emotionalen Ruin bringen.
      “Ja, da hast du schon recht, vor allem, weil dieses Fohlen sicher nicht von der ruhigen braven Sorte sein wird”, stimmte sie nachdenklich zu, “aber vielleicht sollten wir jetzt erst einmal feststellen, was Sache ist, bevor wir überlegen, wie es weitergeht.”
      “Stell dir mal vor, dass Ivy der Papa ist”, lachte ich und überlegte, wie man über so einen Test macht. Also klar, ich wusste, dass man dafür Urin benötigt, aber ich konnte schlecht das Pferd darum bitten, einfach mal in den Becher zu pinkeln. Doch glückliche Fügung kam schneller als ich dachte, denn die Tinker Stute begab sich zur Tränke und schlürfte genüsslich aus dem Wasserspender. Aus meiner Ausbildung erinnerte ich mich, dass sich durch Wasser recht schnell der Magen füllte und sich ein Fohlen dabei umlagerte. Also zog ich meine Handschuhe aus und legte meine Hände in ihr plüschiges Fell, wartete einige Zeit, bis ich plötzlich was spürte. Aufgeregt rief zu Lina: “Komm schnell.” Dabei kreischte ich viel zu sehr, als dass man mir glauben würde, dass ich riesige Abneigung gegen Schwangerschaften hatte. Natürlich war diese nur auf den Menschen bezogen, den tierische Babys konnte man gar nicht blöd finden. Interessierte kletterte Lina durch die Gitter. Ich griff eifrig nach ihren Händen und drückte sie auf die Stelle, an der sich das Fohlen bewegte.
      “Ohhh, dass das Fohlen, oder?”, fragte Lina aufgeregt und ihre Augen begannen begeistert zu leuchten. Natürlich musste es kommen, dass einer der Männer uns nicht einige Minuten allein lassen kann. Von der Seite kam Niklas dazu und ich wand meinen Blick umgehend von ihm ab, sondern strich der Stute zufrieden über den Hals.
      “Seid froh, dass ich mein Handy nicht dabeihabe. Das sieht nicht nur amüsant aus, sondern hört sich genauso an”, scherzte er und stellte sich provokant zu uns.
      “Ach schade, es wäre eigentlich schön gewesen diesen Moment festzuhalten”, grinste ich Lina an, die noch immer fasziniert den Bauch von Holy abtastete.
      “Liebling, weißt du eigentlich schon, wann die Tierärztin kommt, um Smoothie zu untersuchen?”, schien er nicht mal ansatzweise die Aufmerksamkeit auf jemand anderes zu lassen, als sich und dem was sich in seinem Kosmos befand. Ich rollte mit den Augen und blieb treu bei der Kugel stehen.
      “Ja, warte kurz”, entgegnete Lina ihrem Freund und kramte ihr Handy aus der Jacke. Das Gerät leuchtete auf, woraufhin sie zweimal darauf herumtippe.
      “Nächste Woche Dienstag um elf”, vervollständigte sie die Antwort und ließ das Gerät wieder in ihrer Tasche verschwinden.
      “Oh”, überlegte Niklas und auch meine Ohren spitzen sich, “da bin ich eigentlich mit Vriska verabredet zum Training. Aber das können wir doch verschieben auf einen anderen Tag, oder?” Ich sah kurz zu ihm, wusste genau, dass es darauf nur eine Antwort gab.
      “Ja, klar. Kein Problem”, zuckte ich mit den Schultern. Kein Problem, welch Irrsinn. Ich brauchte das Training so viel mehr, als dass er sich fünf Minuten lang Bilder auf einem Bildschirm ansah, die eventuell ein Fötus zeigten oder eben nicht. Mit zusammen gekniffen Augen sah er mich genau an, als suche er, dass ich log, aber fand es offensichtlich nicht.
      “Ich schätze, dass wir uns das hier jetzt sparen können”, sagte ich noch minimal gekränkt zu Lina und drückte ihr den Schwangerschaftstest in die Hand, stieg durch die Gitter und wünschte beiden eine gute Nacht, bevor ich mich zurück in den Sturm stürzte.
      “Ja, das war ziemlich eindeutig”, stimmte Lina zu, ”Lass dich nicht wegwehen auf dem Weg nach drinnen, Gute Nacht.”
      Zustimmend nickte ich noch, was sie wohl kaum noch sehen konnte und zog die Kapuze eng an meinen Kopf. Wild wirbelten Blätter um mich herum und flatternd blies der es in meine zu weiter Jacke. Ich fühlte mich für einen kurzen Moment so frei in der Dunkelheit, bis das Licht der Wegbeleuchtung sich in den Tropfen spiegelte und alles in Meer auf hellen Punkten verwandelte. Regen gehörte vermutlich in Alltag eines guten Briten, ohne sich davor zu ekeln oder undefinierte schlechte Gefühle auszulösen. Stattdessen erinnerte es mich an viele gute Momente, wie den Ritt mit Fruity, bei dem ich es vermutlich das erste Mal schaffte allen Mut aufzuraffen und nicht in der Scham versank. Natürlich gehörte auch Erik in diese Erinnerung, wenn es auch nur kurz die Glückseligkeit widerspiegelte. In einem Sturm wie diesen traf ich mich nach vielen Jahren mit meinem Bruder, den ich in meiner Kindheit nur selten zu Gesicht bekam. Zusammen liefen wir vollkommen geblendet an der Themse entlang und kamen irgendwann so nass in ein Geschäft, dass wir im selben Atemzug wieder den Laden verlassen mussten. Darüber amüsierten wir uns so stark, dass ich einen Laternenmast übersah und mit der Nase vorneweg dagegen lief. Mehr als eine Platzwunde an der Stirn zog ich mir bei dem kleinen Zwischenfall nicht zu, aber bis heute gehörte diese Geschichte zu einer, die mein Bruder zu gerne erzählte. Tatsächlich gab es sogar Bilder davon. Ich konnte mich glücklich schätzen ihn nun bei mir zu haben, auch wenn es zum Leid der anderen, durchaus ungemütlich werden konnte, denn Harlen war nicht gerade der freundlichste Geschäftsführer, wenn es um Kostenminimierung ging.
      “Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr”, lächelte mich Erik von der Couch aus an mit den Beinen auf dem Tisch. Auf seinem Schoß thronte sein Laptop und Trymr rannte vergnügt zur Tür, jaulte mich glücklich an.
      “Es tut mir leid, wir mussten Babybauch bewundern”, zog ich die klebrige Regenjacke vorsichtig aus, um nicht die Holzdielen in der Hütte zu beschädigen. Er klappte sein Gerät zu und legte ihn auf dem Tisch ab. Dann kam er einige Meter auf mich zu.
      “Freut mich zu hören, dein Pferd?”, erkundigte Erik sich und beobachtete, wie ich ein Kleidungsstück nach dem anderen auf der Fußmatte ablegte. Tatsächlich schaffte es der Regen mich bis auf die Unterwäsche zu durchnässen, obwohl es sich bei dem Weg vom Paddock bis zum Haus, um gerade mal fünfzig Meter handelte, wenn man zwischen den Weiden hindurchlief.
      “Ich habe kein Pferd”, erinnerte ich ihn. Er nickte missmutig und ich hob alles auf, um es im Badezimmer in der Dusche aufzuhängen. Mir wurde kalt trotz der paradiesischen Temperaturen hier im Inneren. Auf Schritt und Tritt folgten mir die beiden Kerle, als hätte ich Zucker in den mehr vorhandenen Taschen.
      “Habe ich etwas verpasst, oder darf ich mich nicht einmal mehr umziehen?”, versuchte ich ihn daran zu erinnern, dass ich alt genug war, das allein zu schaffen.
      “Was ist, wenn ich dir sagen, dass du so bleiben sollst?”, zog Erik seine Brauen nach oben und hielt seine Hände verdächtig nah an meinem Körper, um das ich mir keine Hoffnungen machte auf mehr.
      “Dann muss ich dich enttäuschen, denn mir ist super kalt”, folgten meinen Augen sehr genau, was er vorhatte. Zwei weitere Schritte setzte er auf mich zu und drückte mich an der Hüfte fest an sich heran. Gejagt von einer Gefühlsexplosion zur nächsten stieg Hitze in mir hinauf. Seine warmen Hände fühlten sich wie Feuer an, das mich immer weiter verbrennen ließ und mich quälte. Tief atmete ich ein und mindestens doppelt so lange wieder aus, bevor ich den Augenblick fassen konnte.
      “Wir wollten noch weiterreden”, kamen die Worte nur noch in Fetzen aus meinem Mund, obwohl ich mir beachtliche Mühe dabei gab, mich ordentlich zu artikulieren. Spitz grinste Erik mich an und lehnte sich ziemlich weiter nach unten, so weit, dass ich seinem Atmen auf meiner Haut spürte und sich den Haarwurzeln am ganzen Körper zum x-ten Mal aufstellten. Verlegten schluckte ich.
      “Na dann rede”, grinste er bedeutsam und folgte jeder Bewegung meiner Augen, die sich nicht scheuten, das zu begaffen, was vor mir strahlte.
      “Gleich”, verzog ich lüstern mein Gesicht und knöpfte langsam sein Hemd von oben nach unten auf, um sanft über seine Brust zu streichen und seinen Oberkörper an meinem zu spüren. Seine Hände bewegten sich von meiner Hüfte hinauf zu meinen Schultern, bevor er flink den Verschluss meines BHs öffnete und die Träger von mir streift. Ich vernahm die eigentliche Fremdheit ihm gegenüber, die mein Interesse von Anfang an weckte und neben Entdeckungslust auch Angst auslöste, doch im selben Atemzug schwang diese Vertrautheit mit, als würden wir einander auf eine besondere tiefe Art kennen, ohne es in Worte fassen zu könnten.
      “Erik?”, hauchte ich in sein Ohr und versuchte weiterhin mein Stöhnen zu unterdrücken.
      “Ich höre? Aber wie war das mit der Höflichkeit?”, zog er noch immer seine Mundwinkel nach oben und biss sich ungezwungen auf der Unterlippe herum, was sonst mein Ding war. Eigentlich wäre es so viel klüger es auf mich zukommen zu lassen, was nun noch passieren würde, aber ich konnte es nicht unkommentiert lassen.
      “Was wird das hier, wenn es fertig ist”, fragte ich unsicher und legte meine Lippen auf seinem Hals ab. Ein lustvolles rachenlastiges Ausatmen verließ seinen Mund, bevor er wieder am Kinn nach oben drückte und mich tief in seine Seele blicken ließ.
      „Ich habe einen Wunsch“, sagte er ziemlich ernst und starrte mich weiter an.
      „Und der wäre?“, raunte ich, hoffte auf das, was mir durch die Gedanken flog, jeden vereinzelten Tagen.
      “Können wir jetzt endlich einen Film gucken und nicht im Badezimmer herumstehen?”, lachte er und schob mich zur Seite. Das Blut hämmerte durch meine Adern und ich sah ihm nur mit weit geöffneten Mund nach, als er sich auf die Couch setzte und den Fernseher anschaltete. Ungläubig riss ich meine Augen auf, starrte ihn böse an und schloss die Tür hinter mir im Bad.
      “Ist das ein Nein?”, rief Erik.
      “Ganz klar”, schüttelte ich den Kopf und musste erst mal warm duschen gehen, um diese Frechheit zu verarbeiten. Viel musste ich nicht mehr ausziehen, bis mir das warme Wasser an den Haaren herunterlief, aber es nicht schaffte, mich auch der Euphorie zu entreißen, die ich noch verspürte auf meinem ganzen Körper. Es war nicht das erste Mal, dass er sich als Stimmungskiller entpuppte, doch mittlerweile konnte ich mir nicht einmal sicher sein, ob es seine Masche war, mich so an ihn zu binden. Immer wieder fluchte ich, schüttelte den Kopf und versuchte das alles von mir zu waschen. Ich rieb tatsächlich so lange, dass alte Wunden an meinen Beinen wieder aufrissen und das Wasser rot färbten. Noch lauter fluchte ich, als ich es bemerkte und das Wasser abschaltete. Zu meinem Glück waren nur noch weiße Handtücher in fassbarer Nähe, die ich dann in den Müll hauen konnte. Meine nassen Haare wickelte ich in einen dieser ein, und für den restlichen Körper stand ich so lange herum, bis ich trocken war. Da mein Handy noch in meiner Hosentasche steckte, schrieb ich in meiner Verzweiflung Lina in einer kurzen, eher undetaillierten Nachricht, was passiert war und hoffte, dass sie es besser fassen konnte als ich. Genervt blickte ich auf den leuchteten Bildschirm meines Handys, aber konnte die Spannung nicht lange aushalten und wechselte auf Instagram. Als wäre es mein Schicksal, tauchte natürlich Niklas ganz oben auf, eins von seinen tausenden Strandbildern unterstrich meine Lust auf mehr. Willkürlich starrte ich zu lange darauf, likte und wischte dann weiter nach unten. Wichtig dabei war zu sagen, dass ich nie seine Bilder likte, sondern nur kurz drauf sah und dann in der Timeline niedliche Pferdebilder bewunderte.
      “Oha, gemein dein Kerl, aber denke daran, dass er dir noch eine Antwort schuldig ist”, kam nur eine knappe, aber bestimmte Nachricht von Lina zurück.
      „Ich will immer noch mit ihm alt werden, obwohl er das bestimmt bis zu meinem Lebensende tun wird“, hämmerte ich auf dem Glas herum, sodass meine Fingernägel immer wieder laute Geräusche verursachten. Dann sperrte ich das Gerät und lief ins Schlafzimmer, um mir was drüber zu ziehen. Dass Erik mir intensiv nachsah, entging mir nicht, aber ich ignorierte sein rüpelhaftes Verhalten und versuchte mir möglichst provokante Kleidung herauszusuchen. Dabei war ich mir nicht ganz so sicher, ob knapp mit der größten Menge an Haut eine gute Wahl sein würde oder lieber mein geliebter Schlabberlook, den er nur allzu gut kannte. Von einem der Kleiderbügel strahlte mich dann wohl eins der provokantesten Stücke an, die hatte — mein Cheerleading Outfit, aber die Wahl fiel nur auf das Oberteil. Als Hose wählte ich eine schwarze Jogginghose mit einem ‚Fuck Off‘ Schriftzug. Ein letztes Mal rieb ich mit dem nassen Handtuch durch meine Haare, bis ich es wieder ins Badezimmer hängte und zur Couch schlenderte. Auf dem Weg dahin meldete sich mein Handy noch mal mit einer Nachricht von Lina: “Dann genieße mal die Zeit beim alt werden mit ihm :D
      Lachend steckte ich es zurück, ohne ihr noch eine Antwort zu geben, denn wir könnten morgen sicher bei einem Ausritt lange genug sprechen, denn über Niklas gab es sicher auch genau zu erzählen.
      „Na, was ist so lustig?“, musterte mich Erik und legte seine Hand an meinem Arm, als ich um die Couch lief, um Trymr nicht zu wecken, der vorne lag.
      „Dass ich offensichtlich mehr Gefühle für dich habe, als du mich aufbringst“, fauchte ich provokant und blieb hinter ihm stehen. Er legte seinen Kopf auf der Rückenlehne ab, blickte mich mit seinen grauen Augen an, die genauso funkelten im seichten Schein der Lichterketten und Kerzen, die Erik am Tisch angezündet hatte.
      „Und das behauptet wer genau?“, seine Stimme klang besorgt.
      „Ich, sonst würdest du mich nicht jedes Mal aufs Neue so hängen lassen“, blieb ich meinem Standpunkt, aber umfasste sanft sein Gesicht, das so einladend wirkte. Durch das fehlende Gel waren seine Haare so unglaublich weich, dass ich mich dazu zwang, nicht immer wieder darin meine Hände verschwinden zu lassen.
      „Du hast doch nicht mal gefragt, ob ich mit duschen kommen möchte“, schmollte er weiter.
      „Warum sollte ich mit dir duschen wollen?“, überlegte ich starrte hinauf zur Decke, dann fiel mir doch ein Grund ein, „na gut, du hast recht. Schließlich bist du ziemlich schmutzig heute.“
      „Ich glaube, jeder der uns gerade zuhört, wird schlecht bei so viel kitsch“, lachte er schließlich und versuchte mir mit seinen Lippen näher zu kommen, doch diesmal was ich klar im Vorteil und verteidigte meine höhere Stellung, wie ein Soldat im Krieg.
      „Wer sollte uns zuhören“, kniff ich skeptisch die Augen zusammen und ließ den Blick durch den Raum schweifen, als Erik leider nutzte, um mich an den Armen auf die Couch zu ziehen und mich im nächsten Moment dominierte, in dem er sich über mich Stützte. Mein Puls begann wieder zu rasen und seine Lippen kamen mir bedrohlich nah, dich anstatt sie auf meine zu drücken, küsste er sanft meinen Hals. Mit Wollust genoss er die Folter, der er mich aussetzte, mich ebenfalls mit Sinneslust erfüllte, bis zärtliches Stöhnen aus meinem Mund klang.
      „Ich finde das nicht fair“, ächzte ich kläglich und ich versuchte ihn möglichst behutsam von mir zu stoßen.
      „Zum Glück sind wir hier nicht bei Wünsch dir was, sondern im wahren Leben“, löste er sich von meinem Hals und sah mich wieder aus ganzer Seele an, langsam könnte er sich das blöde Grinsen sparen, denn ich wusste schon, dass sein Durchhaltevermögen größer war, als meins.
      „Dann warte ich halt, bis du fertig bist“, schloss ich entschlossen die Augen.
      „Sie“, kam es trocken über seine Lippen.
      „Na gut, dann bis Sie fertig sind“, schüttelte ich kurz den Kopf. Noch fester drückte ich meine Lider aufeinander, damit ich ihn nicht sehen könnte. Tatsächlich hatte es einen positiven Nebeneffekt, denn er ließ von mir ab und sagte: „So macht das keinen Spaß, wenn du nicht leidest.“ Ich lachte und durfte mich endlich richtig hinsetzen.
      „Aber jetzt mal im Ernst“, richtete er seine Frisur und blickte mich freundlich an, „alles, was du bisher sagtest, entsprach der Wahrheit?“ Ich musste kurz überlegen, denn ich hatte heute wirklich viel gesagt, also zumindest seitdem ich wach war, denn die Uhrzeiten schon lange nach null Uhr an und verriet im selben Zuge, dass ich bereits lange schlafen sollte. Vielleicht schlief bereits und das alles hier, war nur ein Traum? Ich kniff ihn in den Oberarm, wodurch er schmerzerfüllt aufschrie.
      „Was sollte das!“, schüttelte er den Kopf.
      „Wollte nur prüfen, ob ich wach bin“, sagte ich entschlossen.
      „Deswegen kneifst du mich?“
      „Ja.“
      Dann überdachte ich weiter meine Worte, zumindest soweit ich mich erinnern konnte.
      „Bei einer Sache entsprach es wohl nicht ganz der Wahrheit“, gab ich zu.
      „Und die wäre?“, fragte Erik neugierig nach und strich mir sanft den Arm.
      „Als Niklas vorhin fragte, ob es in Ordnung wäre, wenn wir den Termin verschieben“, überlegte ich weiter. Auffällig verdrehte er seine Augen und sagte nur: „Und warum genau, sollte mich das jetzt interessieren?“
      „Na, du hast doch gefragt, ob alles der Wahrheit entsprach“, wunderte ich mich, „oder bist du eifersüchtig?“
      „Ich meinte damit, was wir besprochen haben und ja. Mittlerweile stört es mich, wenn ich ehrlich bin, dass du immer noch so viel Zeit mit dem verbringst. Ich will dich bei mir haben und nicht so ein Möchte-gern wie er, soll mir wegnehmen, was mir gehört“, zischte er genervt. Ohne weiter nachzudenken, drückte ich meine Lippen auf seine und es fühlte sich so verdammt gut an, endlich wieder ihn vollständig bei mir zu haben. In einer unmöglich zu definierender Geschwindigkeit raste mein Puls nach oben, vernebelte mir den Verstand. Entschlossen fuhr meine Hand über seine Brust, öffnete das Hemd erneut, aber streifte es diesmal über seine Schultern ab. Er half mir dabei so gut er konnte, ohne dass sich unsere Lippen voneinander lösten. Erst als auch mein Oberteil daran glauben musste, kamen für einen Augenblick voneinander ab, das nutze ich auch dazu, auf seinen Schoß zu klettern und möglichst nah zu spüren, dass es der Wahrheit entsprach, was er sagte. Wieder trafen sich unsere Lippen noch leidenschaftlicher. Als ich in versehentlich anrief, kam noch gar nicht in den Kopf, dass wir Stunden später nur noch spärlich bekleidet auf der Couch sitzen würden und ich eine Gefühlsexplosion nach der anderen erleben würde.
      Langsam schob sich meine Hüfte immer stärker auf seinen Schoß auf ab, bis sich ein Quietschen neben mir in den Vordergrund schob. Im Begriff aufzuhören, spürte ich Eriks verschwitzen Hände in meine lockere Hose und umfassten meinen hinteren Teil und leise stöhnte ich in seinen geöffneten Mund. Doch das starrende Gefühl ließ mich nicht los, ich fühlte mich beobachtet, als stände eine Kamera neben der Pflanze in der Ecke und zeichnete das alles für die Nachwelt auf. Ich öffnete meine Augen und sah neben uns. Trymr wedelte aufgeregt mit dem Schwanz
      „Herr Löfström?“, funkelte ich ihn innig mit meinen Augen an, „mir fällt es schwer, mit dem Gedanken bei ihm zu bleiben, wenn wir beobachtet werden.“
      Er rappelte sich auf der Couch auf, aber hielt mich weiterhin fest. Dann sah er hinunter zu seinem Hund.
      „Ich schätze, dass er nun noch Essen haben wollen würde. Tut mir leid“, gab er mir einen flüchtigen Kuss und ich kletterte von ihm herunter. Erik richtete seine Hose beim Aufstehen, die nicht ganz unbefleckt erschien, als er etwas genervt in die Küche trottete und aus dem Kühlschrank die Schüssel holte. Sein Napf stand bereit auf der Theke und aufgeregt, trampelte der Hund links nach rechts, als er mit seiner Nase eindeutig Futter identifizierte. Verliebt lehnte ich über die Rückwand der Couch und beobachtete, wie liebevoll er mit dem Tier umging, obwohl seine Körpersprache nur Ärger zeigte. Ich lächelte.
      „Engelchen, ich meinte das Ernst“, wiederholte er.
      „Was genau meinst du?“, fragte ich überrascht.
      „Du sollst nur mir gehören und mit einem Großteil deiner Freunde werde ich vermutlich dich teilen können, aber nicht Niklas“, seufzte er und kniete sich zu seinem Hund.
      „Aber er ist mein Trainer und ohne ihn, kann ich nächstes Jahr keine internationalen Turniere reiten“, versuchte ich die Situation zu entschärfen, doch Erik schüttelte nur den Kopf.
      „Ihr habt doch noch mehr gute Leute am Stall. Was ist Eskil?“, hoffte er mich umzustimmen.
      „Der würde das sicher machen, aber wenn nicht“, stammelte ich und wurde unliebsam unterbrochen.
      „Frage ihn bitte, sonst suche ich dir jemanden und gebe meine letzte Öre dafür, um dir die beste Trainerin zu beschaffen, das schwöre ich“, bettelte Erik förmlich. Zustimmend nickte ich. Es hatte etwas, wieder jemanden im Leben zu haben, dem es wichtig war, was ich tat, auch wenn noch nicht ganz einschätzen konnte, wie weit das gehen würde. Vom Tisch griff ich das goldene Gerät und öffnete den Nachrichtendienst, um Niklas umgehend eine Nachricht zu schicken. Ich zögerte und schielte zwischen Bildschirm und Erik hin und her. Entschied, seinem Wunsch nachzukommen und tippte: „Hej! Es tut mir leid mitteilen zu müssen, dass wir ab sofort nicht mehr zusammen trainieren werden. Mir fällt diese Entscheidung nicht leicht, aber danke dir, wirklich! Du hast mich sehr weitergebrachte.“
      „Habe es ihm gesagt“, steckte ich mein Handy wieder weg und sah zu Erik, der erleichtert ausatmete. Die wenigen Meter zwischen uns überwand er im Handumdrehen und legte seine Hände an meinem Kopf.
      „Ich bin dir sehr dankbar, dass du keine Diskussion beginnst“, lächelte er und gab mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen.
      „Wenn es sonst nichts ist“, funkelte ich ihn weiter an, „dann tue ich das sehr gern. Aber leider sollten wir ins Bett, denn ich muss morgen spätestens um acht Uhr aufstehen.“
      „Okay, aber ich muss noch einige Dokumente durchsehen im Bett“, nickte Erik und holte sein Laptop vom Tisch, während schon zum Bett lief und ein Shirt aus dem Schrank wühlte, um es mir überzuwerfen. Dann strich die Hose von mir ab, legte sie ordentlich über den Stuhl und warf mich in das frisch bezogene Bett. Da meine Haare noch immer feucht waren, band ich sie in einem locker geflochtenen Zopf zusammen. Selten wirkte die frisch aufgeschüttelte Decke so verlockend wie heute, um sein Gesicht darin zu verstecken und vor Freude zu schreien, während der Regen weiterhin gegen die Scheiben prasselte.
      “Sollte ich mir Sorgen machen?”, grinste Erik und zog sich ebenfalls aus, doch so langsam, dass meine Augen jede seiner Bewegungen verfolgt, wie locker seine Muskeln zuckten.
      “Ja. Nein, brauchst du nicht”, murmelte ich abwesend, abgelenkt, nicht mehr klar, ob ich so schnell einschlafen könnte, wie ich es mir wünschte. Behutsam legte ich mich auf seiner Brust ab und strich ihm verliebt über den Arm.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 74.356 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende September 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel sjutton | 22. Mai 2022

      Enigma LDS / Millennial LDS / Northumbria / Lubumbashi / Maxou / Götterdämmerung LDS
      Ours de Peluche LDS / Spök von Atomic / Nachtzug nach Stokkholm LDS / Kría von Atomic / Yumyulakk LDS / Halldór von Atomic / Vandal LDS / Arktikkfrost LDS / Anthrax Survivor LDS / Liv efter Detta LDS / CHH' Death Sentence / Kempa / tc Herkir / Skrúður / Nachtschatten / Lotti Boulevard / Krít / Magnus von Störtal / Avenue Shopper LDS


      Es könnte acht Uhr gewesen sein, als ich spürte, nicht mehr zu zweit im Bett zu liegen, oder auch nicht. Nur Trymr lag auf dem letzten Stück der Decke am Fußende. Kurz blickte ich das Tier an. Sein Schwanz wippte auf dem Stoff, verstummte jedoch, als ich mich zur anderen Seite drehte.
      Auf jeden Fall fiel irgendwann die Tür ins Schloss und später öffnete sie sich wieder. Hundepfoten auf dem Holzfußboden ertönten, abermals schlief ich ein. Erst, als Erik das Zimmer betrat, um mich zu wecken, entschied ich, dem auch nachzukommen. Obwohl ich so oft wach wurde, fühlte ich mich ungewöhnlich gut ausgeschlafen.
      “Dornröschen ist erwacht und das ganz ohne meine Hilfe”, drückte er sanft seine Lippen auf meine Stirn und strich die kleinen Haarsträhnen aus meiner Sicht.
      „Du bist also mein Prinz?“, zog ich ihm am Hemd näher an mich heran. Intensiv kitzelte der Geruch seines Aftershaves meine Nase, so stark, dass ich nieste und damit, die Hände vom halbdurchsichtigen Stoff löste. Er richtete sich an der Bettkante wieder auf.
      „Komm, Lina wartet schon“, lächelte Erik und zog mir die Decke weg. Kalte Luft huschte über meine Stoppeln an den Beinen, die sich aufstellten und jeden noch so kleine Stelle an meinem Körper übernahmen. Netterweise reicht er mir eine herumliegende Jogginghose. Dann lief er vor und folgte.
      Auf dem Küchentisch standen drei Teller, mit unterschiedlichen Tassen. Sofort vernahm ich den Geruch von frisch gemahlenen Kaffee, das musste wohl meiner sein.
      „Godmorgon“, trällerte ich.
      Lina hatte offenbar auch zu tief ins Glas geschaut. Sie klammerte sich an ihrer Teetasse und sah mit zusammengekniffenen Augen zu mir hoch.
      “Morgen”, murmelte sie und gähnte herzhaft. Ungewöhnlich, in der Regel war sie diejenige, die am Morgen vor Energie und Tatendrang sprühte. Lag es daran, dass Samu heute ebenfalls nicht da sein würde? Ich schmunzelte bei dem Gedanken und setzte mich dann neben sie. Erik stand an der Arbeitsfläche der Küche und rührte einen Teig zusammen. Den Zutaten nach könnten es Waffeln werden, oder Pfannkuchen. Anstelle von Kuhmilch stand eine beige Packung von Oatly neben der Schüssel. Im Hals spürte ich, wie mein Herz pochte und kleine Luftsprünge machte - er hatte wirklich an mich gedacht.
      „Du weißt, welches Thema nun an der Reihe ist?“, kam ich ohne große Umschweife zum Punkt.
      “Echt, weiß ich das?”, stellte sie sich doof und nahm in aller Seelenruhe einen Schluck aus ihrer dampfenden Tasse.
      “Jahaa, natürlich weißt du das!”, blieb ich beharrlich und rückte meinen Stuhl näher an sie heran. Allerdings blieb die Brünette davon vollkommen unbeeindruckt, pflückte stattdessen den Welpen vom Fußboden, der hungrig um ihre Füße strich.
      “Hast du gehört kleiner Mann, Vriska sag, ich konnte Gedankenlesen”, grinste sie das Tier an, welches ihr daraufhin nur freudig durchs Gesicht leckte.
      “Liniiii, jetzt sag schon, was hast du mit Niklas im Keller gemacht?”, drängte ich weiter und rückte ihr noch mehr auf die Pelle. Das Fellbündel auf ihrem Schoß schien das Gruppenkuscheln super zu finden, den sein Schwanz begann, in einem hektischen Rhythmus zu schwingen.
      “Hast du gerade Lini gesagt?”, blickte sie mich stirnrunzelnd von dem Welpen auf. Nicht die gewünschte Reaktion, aber immerhin hatte ich wieder ihre Aufmerksamkeit. Ich nickte bestätigend.
      “Tu das bitte nie wieder, das klingt ja schrecklich”, entgegnete sie mit deutlicher Abscheu.
      “Jetzt lenke nicht vom Thema ab”, hängte ich mich quengelnd auf ihre Schulter.
      “Naaa gut, du willst also den Verlauf meines geistigen Abends wissen?”, fragte sie noch einmal mit einem verschmitzten Grinsen. Ich nickte eifrig.
      “Und wie viel willst du wissen?”, spannte sie mich weiter auf die Folter.
      “Alles!”, kam es wie aus der Pistole geschossen aus meinem Mund.
      “Sorry, mit allen Details kann ich nicht dienen, die Erinnerung ist etwas … Lückenhaft”, entgegnete sie, als wolle, sie mir glich den Wind aus den Segeln nehmen.
      “Egal, erst mal das wichtigste hab ihr?”, grinste ich verschmitzt. Eine intensive Röte trat auf Linas Wangen doch, sie nickte mit einem leuchten in den Augen.
      “Und war's gut?”, versuchte ich weitere Informationen aus ihr herauszuquetschen. Dass sie aber auch immer so wortkarg sein musste, als wäre sie ein Teenager, dem so etwas noch peinlich war. Sie schielte kurz zu Erik, der am Herd in die Zubereitung des Frühstücks vertieft war, bevor sie eine Antwort hervorbrachte: “Ja.”
      “Linaaaa, geht auch mehr als ein Wort? Oder hast du verlernt, wie man spricht?”, probierte ich an, mehr Details zu bekommen. Erneut schielte sie zum Herd und ihr Gesicht nahm eine immer intensivere Färbung an.
      “Okay, ich gebe dir noch zwei weitere Worte”, gab sie nach, “unglaublich intensiv.” Die letzten beiden Worte flüsterte sie mir ziemlich leise ins Ohr. Dafür lehnte sie näher zu mir und diese kleine Berührung am Arm löste ein schmerzhaftes Stechen und Brennen aus, das ich sofort untersuchte. Wie ich bereits am Abend festgestellt hatte, würde es einen blauen Fleck geben, doch dass beinah, der ganze Oberarm aus gelben, roten und blauen Färbungen bestehen würde, übertraf meinen Horizont. Damit Lina davon nicht mitbekam, zog ich den Ärmel des Bademantels wieder höher und schloss den Kragen fest aneinander. Zudem konnte ich mir vorstellen, wovon sie sprach, aber verlangte, es ausgesprochen zu hören. Wenn Lina ihn schon so selten traf, und, bis auf die Pferde, keine Gemeinsamkeiten zu haben schien mit ihm, dann war es etwas anderes, das sie verband.
      „Oh schön, dann hast du dich auch mit neuen Leuten unterhalten? Wahnsinnig toll, wie du dich in die Familie einfindest“, rollte ich ironisch mit den Augen. Das Spielchen konnte ich auch, obwohl ich deutlich lieber mit Menschen sprach, die ebenfalls ihre Gesichter gewillter waren zu teilen wie ich.
      “Ähhm, nicht so wirklich … ”, entgegnete sie kleinlaut als würde ihr erst jetzt die Erkenntnis kommen, auf was für eine Art von Veranstaltung wir gestern gewesen waren.
      “Aber mit wem hast du denn so geredet?”, versuchte sie von sich selbst abzulenken.
      „Von den meisten habe die Namen vergessen, aber auf jeden Fall mit dem Geburtstagskind, Niklas‘ Tante und noch paar Leuten aus deren Firma“, versuchte ich mit den Händen aufzuzählen, wer die Auserwählten waren.
      Erik kam mit warmen Waffeln an und stellte sie auf einem Brett in der Mitte des Tisches ab. Apfelmus und verschiedene Marmeladen standen bereits gedeckt da.
      „Vergiss Joanna nicht“, sagte dieser im Vorbeigehen und biss von einer ziemlich verbrannten Waffel ab, die er offenbar auf der Arbeitsfläche bereits inhalierte. Als der Name fiel, wurden Linas Augen plötzlich groß und sie spuckte ihren Tee beinahe wieder aus.
      “Die Joanna? Niklas' Ex?”, fragte die Brünette, nachdem sie sich wieder gefasst hatte.
      „Ja“, lachte Erik.
      Ich schüttelte mich, deswegen kam mir der Name bekannt vor. Damit hätte ich wohl rechnen müssen, aber nahm diese Tatsache mit deutlich mehr Fassung auf als Lina, die abermals nach der Tasse griff.
      „Offenbar, sie hat sich derartig nicht mir vorgestellt“, zuckte ich mit den Schultern.
      “Und worüber habt ihr so geredet?”, fragte Lina interessiert und lud sich etwas von den Waffeln auf ihren Teller.
      “Das hättest du vielleicht gewusst, wenn du auch da gewesen wärst”, drehte ich den Spieß um, nahm mir allerdings nur eine kleine Ecke vom Gebäck. Nebenbei untersuchte ich die Gläser mit ihren Nährwerten, entschloss mich zum Ende dazu, sie ohne etwas zu Essen.
      “Engelchen”, hauchte es von der Seite in mein Ohr, als die nächste Portion Waffeln bereits auf dem Tisch landete, “Niemand wird dich dafür verurteilen, wenn du mal ein paar Gramm mehr auf den Rippen hast.”
      Ich ignorierte Eriks Aussage, biss zumindest einmal von der Waffel ab. Sie schmeckte fabelhaft, aber durfte ich nicht viel mehr als diese Portion essen.
      “Du bist fies”, schmollte Lina und stopfte sich dafür mit Freude einen großen Bissen Waffel in den Mund.
      “Viel mehr hast du mir ebenfalls nicht berichtet”, spiegelte ich sie mit einem Schmollmund.
      “Aber das ist ja auch was anderes”, protestierte sie.
      “Das ist etwas anderes, ja?”, blieb ich hartnäckig. Nichts wollte ich so sehr, wie wissen, was die beiden getrieben haben. Oder wo? Egal, mich interessierte es. Je länger sie schwieg und ich über das Gespräch nachdachte, überlegte ich, was ich lieber wollte und da fiel es mir tatsächlich ein: wieder einmal ein richtiges Gespräch mit meiner Ablenkung. Er hatte sich dazu entschlossen, mich mehr oder weniger zu ignorieren, solang ich mit dem Treffen noch haderte, obwohl es besprochen war, dass es keine geben würde. Ehrlich gesagt wunderte es mich, denn er hatte es mir angeboten.
      “Ja, was mein Freund und ich miteinander tun, braucht auch nur ihn und mich interessieren”, erklärte sie wenig überzeugend und wand sich unglaublich ungeschickt um den Gebrauch gewisser Worte herum, “Ich frage euch ja auch nicht, was ihr im Schlafzimmer tut.” Kaum hatte sie angefangen zu sprechen, nahmen auch ihre Ohren wieder eine hübsche Rosa Farbe an.
      „Mehr weniger das übliche, hauptsächlich schlafen und mal kriecht ein Hund nach oben und möchte gestreichelt werden“, gab Erik verwundert zu bedenken und schnitt sich ein Stück seiner Waffel ab. Ich hingegen fühlte mich hin- und hergerissen, einerseits verstand ihren Einwand, andererseits ärgerte ich mich aufs Tiefste, dass sie so eigen war. Dass dann mein Freund auch noch den wunden Punkt traf, brachte das Fass zum Überlaufen.
      “Ok”, sagte ich mit derart abfälligem Ton, dass selbst er mich entgeistert anblickte. Nicht einmal die Hälfte hatte ich aufgegessen, da stand ich auf, schob sehr laut den Stuhl übers Holz und verschwand im Zimmer. So schnell ich konnte, zog ich mich um, schnappte mir noch meinen Lieblingspullover und lief zurück. Die Beiden aßen noch. Der Welpe tigerte im Kreis um den Tisch herum, während Trymr gespannt einen Vogel vor dem Fenster beobachtete, der von links nach rechts hüpfte.
      “War schön, dass du da warst”, versuchte ich freundlich zu bleiben, gab Erik einen flüchtigen Kuss auf die Wange und stürmte aus der Hütte heraus.

      Im Stall war es ebenso leer, wie an jedem Vormittag auch. Ich traf zwei Einsteller, die gerade ihre Pferde für einen Ausritt sattelten und Folke legte Enigma das Geschirr für den Sulky um. Mit gehobener Hand grüßte ich sie. Mein Weg führte mich weiter zur Sattelkammer. Vor tausenden Halftern stand ich beinah verloren, wusste nicht, welches der Tiere sich wohl für einen schnellen Ausritt am besten eignen würde. Selbst meine Liste war, schließlich hatten Lina und ich heute frei, also keine Aufgaben zu erledigen. Kurzfristig entschied ich mich für Humbria. Dafür nahm ich das lilafarbene Halfter vom Haken und stampfte eilig wieder die Treppe der Tribüne hinunter, direkt zum Stuten Paddock. Mit freundlich aufgestellten Ohren begrüßte mich das Pferd, folgte mir in den Stall, in dem ich sie sattelte und trenste. Am Tor wurde ich aufgehalten.
      “Vriska, warte, ich wollte dich nicht verärgern”, kam Lina angelaufen, dick eingepackt in gefühlte hundert Kleidungsschichten, sodass sie fast aussah wie ein Michelin Männchen.
      “Dafür ist jetzt auch zu spät, also genieß deinen freien Tag”, grinste ich ironisch und zog den Sattelgurt fest.
      “Was auch immer ich getan habe, es tut mir leid”, ließ sie sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen und platzierte sich vor der Stute.
      “Du solltest dir bewusst sein, dass man sich nur entschuldigen sollte, wenn man weiß, was man getan hat”, zuckte ich mit den Schultern. Ich versuchte Humbria an ihr vorbeizureiten, doch sie stand wie angewachsen am Boden.
      “Ich glaube zu wissen, was das Problem ist.”, entgegnete sie und warf einen umschweifenden Blick durch die Gasse, bevor sie ihre Ansprach mit gesenkter Stimme fortsetzte,” Na ja, wegen dem, was du wissen wolltest. Ich rede da nicht gerne drüber, weil …” Ihre Augen huschten, nervös durch die Gegend, bevor sie sich beschämt zu Boden senkten.
      “Weil ich habe das noch nicht so oft gemacht und dafür schäme ich mich”, druckste sie herum und ihr Fuß versuchte ein Loch in den Beton zu graben. Sie setzte noch zu einem weiteren Satz an, den ich geschickt unterbracht: “Lina, es geht nicht darum, dass du nicht darüber sprechen möchtest, sondern, wie du mir das mitgeteilt hast. Denkst du, ich möchte die bloßstellen vor Erik oder sonst jemanden? Mich nervt nur behandelt zu werden, als wäre ich eine Last für jemanden.”
      “Oh, das war nicht meine Absicht, dass du dich so fühlst. Tut mir leid”, antwortete sie betroffen und schien sich nun aus ganz anderen Gründen in Luft auflösen wollen.
      “Schon okay, ich frag dich auch nicht mehr”, grinste ich nur. Endlich wurde mir der Weg freigegeben und ich ritt im Schritt an ihr vorbei. Aufmerksam kaute die auf dem Gebiss. Entspannt konnte ich endlich abschalten. Es erleichterte mich auf eine gewisse Weise, dass das Thema so schnell geklärt werden konnte, aber umso mehr tat mir Erik leid, mit dem ich gerne noch weitere Stunden verbracht hätte.
      Die Wege waren in der Spur bereits sehr durchmischt vom Sand darunter, nur am Rande lag die Decke beinah unberührt. Es fiel mir schwer, so wie immer, mich der Situation zu übergeben. Aber zumindest kam ich gedanklich so weit, dass ich mich auf die Stute einstellte, an ihren Feinarbeiten übte und irgendwann an den Weiden ankam. Neugierig kamen die Hengste, auf der einen, und die Stuten, auf der anderen Seite, angerannt. Leise brummten die Tiere. Humbria musterte die durchwachsenen Herden. Bei den Stuten standen nicht nur die Anwärter, sondern auch Pferde, die eine Pause verdient hatten, oder die nächste Generation austrugen. Zur anderen Seite präsentierten sich die Hengste. Einige von Bruce Zuchthengsten hatten eine Winterpause, um vor der Saison noch einmal abzuschalten. Dementsprechend bunt wirken die Herden.
      Wann ich am Hof ankam, wusste ich nicht. Offenbar lag mein Handy noch in Eriks Auto, das bei meiner Rückkehr erstaunlicherweise noch immer vor der Hütte ruhte. Ich versuchte durch die Fenster etwas zu erkennen, aber mehr als die Spiegelung, war nicht zu sehen. Im Stall rannte mir Trymr entgegen.
      “Oh, du bist noch da”, freute ich mich und strich ihm über den Kopf, nach dem ich über den Po hinuntergerutscht bin. Er verstand mich nicht, aber der Herr in meiner Jogginghose umso besser.
      “Muss ich mir Sorgen machen? Geht die Welt erneut unter?”, scherzte ich mehr beiläufig. Humbria folgte mir bis zur Putzbucht, die bereits besetzt war. Ein mir bestens bekanntes Pony stand mit angewinkeltem Bein vor mir. Die dunkele Stute, am Zügel, streckte das Maul in die Richtung der anderen, wurde allerdings durch ein böswilliges Schnappen verscheucht.
      “Die ist nun mal so”, erklärte ich nun auch Humbria, nach dem Lubi es schon mehrfach zu spüren bekam.
      “Ich helfe dir”, huschte Lina aus dem Nirgendwo zu mir und hatte so schnell die Zügel in ihrer Hand, dass ich gar nicht eine Antwort finden konnte. Plötzlich stand ich allein mit Erik und Maxou da, immer noch verwirrt. Mein Herz schlug verrückt bis hinauf in den Hals, als würde es dort feststecken. Es kratzte und schnürte mir die Luft ab.
      „Du weißt, dass du mir nicht entkommst“, kam Erik endlich näher an mich heran und grinste mich so überzeugt an, dass ich nicht anders konnte, als es zu erwidert.
      „Scheint so zu sein“, antwortete ich.
      Da Maxou ebenso gekleidet war, wie am vorherigen Tag, wenn auch mit einer rosafarbenen, glitzernden Schabracke, die ich mir nicht genau erklären konnte, verstand ich die Aussage dahinter. Also nahm ich das Halfter ab, das über dem Zaum die Stute an Ort und Stelle verharren ließ, und führte sie zur Reithalle. Der Hund folgte mir.
      „Wo ist eigentlich der Kleine?“, fragte ich, als ich sein Fehlen bemerkte.
      „Der ist hochgelaufen, zu Harlen schätze ich“, gab Erik zu verstehen.
      Um das Pony die Einheit so erträglich wie möglich zu gestalten, begann ich die Arbeit wie immer. Wir liefen mehrere Runden auf der ganz großen Bahn, dann nahm ich die Zügel in Höhe des Widerristes auf, um sie mehr zu versammeln und gleichzeitig jenen zu mobilisieren. Je elastischer sie dort wurde, umso intensiver konnte ich auch an die Schulter heran. Ungewöhnlich schnell fand ich mich in diese Situation ein und erfreute mich an jeden richtigen Schritt, während ich die Fehler ignorierte. Nach guten zehn Minuten liefen wir in die Mitte. Dort zog ich den Gurt drei Löcher fester und stieg auf. Sie warf einmal den Kopf nach oben, aber ein sanftes Klopfen am Hals beruhigte das Tier wieder. Plötzlich erschien es mir, dass der gestrige Ritt ein guter Anfang gewesen war, um die Stute besser kennenzulernen und die Angst zu verlieren, sie zu verletzen.
      Wir kamen besser klar als ich dachte. Im Laufe der Zeit fühlte sich die Reithalle und selbst da blieben Maxou's Ohren stets bei mir. Wenn ihr ein Pferd zu nah kam, schlug sie mehrmals mit dem Schweif, aber reagierte weiterhin auf meine Hilfen im Sattel. Es war, anders als auf Lubi, nicht nur dem Größenverhältnis geschuldet. Mit kleineren Schritten setzte die helle Stute ihre Hufe in den Sand, ebenso zart wie der Riese, aber wirkte dennoch hektischer, auf eine gewisse Weise gestresst. Ich redete ruhig auf sie ein, allerdings so leise, dass es sonst keiner hören würde. So waren mir Gespräche mit dem Tier immer unangenehme Angelegenheit, obwohl selbst Tyrell seiner lebhaften Fuchsstute das ganze Hofgeschehen mitteilte.
      „Alles guuuut“, murmelte ich, als er abermals an uns vorbeitrabte. Maxou fiel aus der Versammlung heraus und streckte dabei ihren Kopf in Richtung Brust, obwohl ich die Zügel nur mit sehr wenig Kontakt in den Händen hielt. Selbst überstreichen änderte nichts daran. Ich wiederholte noch öfter das Vorbeireiten, bis Maxou sich nicht mehr in ihrem Schneckenhaus versteckte und sprang aus dem Sattel. Sie kaute und bekam von mir eine kräftige Streicheleinheit. Aus meiner Jackentasche kramte ich noch ein Leckerli, dass mit ihrer Oberlippe von der Handfläche fummelte.
      “Das sieht gar nicht so schlecht aus, was du da mit dem Pony veranstaltest”, erklang Linas sanfte Stimme, die nach einer Weile am Rand aufgetaucht war, um uns zuzusehen. Kaum hatte ich mich von der Stute weggedreht, legte sie wieder ihren Kopf auf mir ab und stupste mich grob am Ohr an. Erst als ich die Hand langsam zwischen Nüstern massierte, hörte sie auf und verlagerte noch mehr Gewicht auf mir.
      “Danke?”, fragte ich vielmehr, als es dankend anzunehmen. Hatte sie etwas anderes erwartet, oder wieder eine ungeschickte Wortwahl?
      “Ja, das sollte ein Kompliment sein, Vriska. Das sieht wirklich gut aus”, führte sie weiter aus und versuchte damit die schlecht gewählten Worte zu revidieren.
      “Okay, dann danke”, lächelte ich friedfertig. Maxou hing weiter auf meiner Schulter, wollte unter keinen Umständen diesen Platz verlassen. Auch, als ich langsam mit meiner Hand wedelte, um sie vorwärtszutreiben, bewegte sich nichts an ihr.
      “Offensichtlich findet Maxou dich ziemlich bequem”, lächelte Lina, “aber irgendwie ist das niedlich.”
      “Aber ich kann nicht den ganzen Tag hier herumstehen”, merkte ich an und versuchte mich, abermals von dem Pony zu lösen. Doch sie war eingedöst. Eins ihrer Hinterbeine stand angewinkelt im Sand und die Augen waren geschlossen. Es schien unausweislich, hier die nächste Zeit zu stehen. Selbst Tyrell schüttelte nur amüsiert den Kopf, als er neben uns abstieg, wovon es nichts mitbekam. Andere hatten auch die Halle verlassen, wodurch wir allein in diesem riesigen Raum standen. Und kalt wurde es auch.
      “Dann musst du dein Pony wohl wecken”, stellte sie das offensichtliche fest, “Brauchst du Hilfe?”
      Ich nickte. Folgeleisten kam sie die Stufen der Tribüne hinunter und trat durch das Tor auf die Sandfläche.
      “Maxou, aufwachen”, sprach sie das goldglänzende Pony an. Wie nicht anders zu erwarten, gab es keinerlei Reaktion von dem schlummernden Tier. Als sie ganz an uns herangetreten war, stupste sie das Pferd vorsichtig an.
      “Oh, es wird wach”, verkündete Lina erfreut und ich konnte spüren, wie die Last auf meiner Schulter allmählich weniger wurde. Sie erhob sich langsam, kaute und schleckte dabei am Maul entlang. Nach einem Schnaufen stand Maxou schließlich wach neben uns, aber in ihren Augen sah man noch immer die Müdigkeit.
      “Ich bringe sie weg, danke”, sagte ich zur Lina und führte das Pony weg.
      In der Gasse kam dann auch Erik dazu. Zusammen sattelten wir die Stute ab, legten die Decken auf sie und schon durfte sie zurück in die Boxen. Offensichtlich hatte Lina ihr bereits frische Heulage hingelegt und sogar ihre Futtermischung in den Trog gefüllt. Sehr zuvorkommend.

      Ehrlich gesagt wusste ich nicht, was man einem freien Tag so anstellte. Wir saßen wieder in der Hütte. Erik hatte den Fernseher angestellt und ich lag in seinen Armen, während Lina auf dem Sessel neben uns saß und ein Buch las. Tweet Cute stand auf dem Hardcover in zwei Sprechblasen auf türkisen Grund und roten Verzierungen. Es wirkte interessant, ihrem Gesicht zufolge, denn sie schien sich vollkommen darin verloren zu haben. Eine Hand klammerte am Buch, während die andere Strähnen drehte und den Arm abgestützt auf der Lehne, sitzend auf den Füßen. Auf dem Bildschirm dudelte irgendein Film, En runda till auf dänischer Originalverfilmung, was Erik ziemlich wichtig war und schwedischen Untertiteln. Somit verstand ich noch weniger, aber hatte damit immerhin die Möglichkeit, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Trymr lag auf dem Boden und wedelte immer wieder mit dem Schwanz, wenn ich zu ihm hinuntersah, nur Welpi fehlte, denn er wollte lieber bei meinem Bruder im Büro liegen. Dort gab ich ihn immer bei der Arbeit ab.
      Mein Handy vibrierte, das Erik mir von der Rückbank geholt hatte. Eifrig griff ich in meine Hosentasche.
      Niklas.
      Unsicher schielte ich zu meinem Freund, der allerdings nur nach vorn blickte und diesen nicht abwandte, als mich aufrichtete.
      “Ist Lina bei dir?”, erfassten meine Augen.
      “Ja”, tippte ich. Die Punkte schwebten auf. Eine Antwort.
      “Nah?”
      “Nein”, schon, dass dieses Gespräch derartig begann, verhieß nichts Gutes. Trotzdem warte ich weiter vor dem geöffneten Chat. In meinem Herz spürte ich den aufgeregten Herzschlag, drückte mir einen Moment die Luft weg, bis eine weitere Nachricht auftauchte.
      “Ich wollte dich eigentlich gestern fragen, aber, ich musste anderen Aufgaben nachkommen. Davon weißt du bestimmt schon”, ich drehte für einen Moment die Augen nach oben und seufzte, “was war mit Eskil los? Er wirkte vollkommen aufgelöst am Hof und wollte nicht mit mir sprechen.”
      “Dazu kann ich dir auch nicht viel sagen. Er war plötzlich verschwunden”, schrieb ich wahrheitsgemäß und legte dann das Handy weg. Doch im selben Augenblick verlangte es wieder nach mir. Aber es war mir auf eine gewisse Weise egal. Ich hatte anderes erwartet, kein Lächerlichkeit, die er mit jemand anderes klären könnte. Aber es stoppte nicht.
      “Alles in Ordnung?”, wurde Erik nun auch aufmerksam und rutscht etwas höher, um wieder eine bequeme Position zu haben.
      “Ja”, antwortete ich nur.
      “Wer ist denn das?”, fragte er neugierig.
      Ohne kurz zu überlegen, sagte ich: „Der komische Typ, der sich mit mir treffen will.“
      Da sah auch Lina auf. Sie legte das zur Seite auf die Lehne und richtete ebenfalls die Position.
      “Ich denke nicht”, gab Erik zu bedenken.
      “Okay, dann Eskil”, versuchte ich die nächste Person zu finden, die mir einfiel.
      “Du weißt schon, dass sich das nicht einfach spontan ändert?”, versuchte er mir offenbar die Wahrheit zu entlocken. Ihm fiel zu schnell auf, welche Aussagen echt waren. Zumindest machte er seine Arbeit gut.
      “Sind mehrere und einer davon Eskil, deshalb”, verstrickte ich mich immer tiefer, sodass auch Lina skeptisch wurde. Ohne zu fragen, griff er das Handy von der Couch und sah natürlich den Chatverlauf mit Niklas. Zum Glück hatte ich die ganz alten Nachrichten gelöscht und nur die von dem Moment, sollten da sein. Die neusten Benachrichtigungen waren von Instagram. Wieder waren Leute, die auf mein Profil gestoßen waren, der Meinung, alles durchliken zu müssen. Dass ich überhaupt eine Benachrichtigung bekam, wunderte mich deutlich mehr.
      “Sende ihm schöne Grüße von mir”, grinste Erik und gab es mir zurück. Meine Augen huschten über die neusten Nachrichten: “Ich vermisse ihn. Ich weiß nicht, wieso. Irgendwie war es seltsam mit Lina. Hilf mir bitte, wie auch immer. Ach egal.”
      Der Kerl tat mir unglaublich leid. Er wirkte auf einmal so zerbrechlich, als hätte man ihm das Wertvollste im Leben geraubt. Aber ich hatte mich nie als Vermittlerin zur Verfügung gestellt.
      Lina warf mir einen fragwürdigen Blick zu, aber nahm sich wieder ihr Buch, um weiterzulesen.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // Vriska Isaac // 24.527 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende Oktober 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugo | 12. Juni 2022

      Sturmglokke LDS / Legolas / Ready for Life / Enigma LDS / Millennial LDS / Outer Space / Maxou / Lubumbashi / Harlem Shake LDS / Götterdämmerung LDS

      Lina
      Dampf stieg von dem hellen Fell des Falben in die kalte Luft empor. Im Vergleich zu den letzten beiden Tagen, war es heute wieder kälter geworden und der kräftige Wind jagte dunkle Wolkenfetzen über Himmel. Dennoch hatte ich mich gegen die Halle entschieden, als die Einsteller erblickte, die sich darin tummelten. Es waren zwar nur drei von ihnen und die Halle eigentlich groß genug, aber eines der Pferde war eine ziemlich zicke Stute. Deren Besitzerin ungefähr ebenso umgänglich war und die Schuld für das ungezogene Verhalte ihres Tieres grundsätzlich auf die anderen schob. So hatte ich mich mit Sturmglokke also nach draußen verkrümelt, wo ich den Platz wegen des eisigen Windes immerhin für mich allein hatte. Sturmi störte sich keineswegs an dem Wetter, blieb selbst in dem Moment ruhig als eine Plastikfolie, die wohl von der Baustelle kam, knisternd und raschelt an uns vorbeigeweht wurde. Mit etwas mehr Training könnte er sicherlich ein gutes Einsteigerpferd für den Turniersport werden.
      Die Dampfwolken wurden weniger und auch die Überprüfung mit meinen Fingern im Fell des Hengstes, bestätigten, dass er nahezu trocken war. Den Rest würde eine Abschwitzdecke erledigen können.
      Was ich erblickte, kaum hatte ich das riesige Tor, erfreute mein Herz. Ein dunkler Kopf mit einer Marken großen Blesse blickte mir vom Putzplatz entgegen. Zu den Füßen des Hengstes stand die silberne Kiste, die sein Putzzeug beinhaltete. Das konnte nur bedeuten, dass …
      “Samu”, rief ich erfreut aus, als der Finne mit dem Sattelt des Hannoveraners aus der verglasten Kammer auftauchte, “Lässt du dich auch endlich mal wieder blicken.” Auch auf seinem Gesicht erstrahlte ein Lächeln, offenbar lag die Freude nicht nur auf meiner Seite.
      “Ja und ich komme mit guten Neuigkeiten”, grinste er und platzierte den Sattel auf Legos Rücken.
      “Neuigkeiten? In der Mehrzahl?”, hinterfragte ich neugierig seinen Wortlaut, während ich begann den Falbhengst abzusatteln.
      “Ja, das hast du schon richtig gehört”, nickte er, machte allerdings keinerlei Anstalten, mit besagten Nachrichten herauszurücken. Stattdessen widmete er sich in aller Seelenruhe dem, die dunkle blaue Schabracke noch einmal zurechtzulegen, dann das dünne Gelpad und schließlich zog er auch den Sattel noch mal ein Stück nach vorn.
      “Und die Neuigkeiten wären?” Noch bevor er um Lego herumtreten konnte, um den Gurt zu befestigen, stelle ich mich in seinen Weg und blickte ihm forschend an. Offenbar hatte Samu heute den Schalk im Nacken, der schenke mit nur ein verschmitztes Lächeln.
      “Man, du bist gemein”, beschwerte ich mich und lief erst einmal in die Futterkammer, um Sturmis Futter zu holen. Gierig steckte der Falbe die Nase in die Schüssel und begann augenblicklich damit, die Krümel zu verschlingen.
      “Hat es was mit Lego zu tun?”, fragte ich eindringlich. Wenn er nicht von selbst redete, musste ich halt ihn halt dazu bringen
      “Ja, auch”, entgegnete Samu und wollte gerade das Halfter vom Kopf des Rappen löse.
      “Halt, stopp! Du läufst jetzt nicht weg”, protestierte ich, denn zu warten bis Samu fertig mit seinem Training war, dauerte mir eindeutig zu lang. Schnell warf ich einen Blick in die grüne Futterschüssel. Leer, sehr gut.
      “Warte kurz, ich mache schnell Redo fertig”, wies ich den Finnen an. In Windes eile, hatte ich den Hengst auf den Paddock gebracht und stand mit dem Halfter vor der Box meiner Rappstute, die mich nur ihren wohlgeformten schwarzen Hintern erblicken ließ. Redo war zwar von Grund auf ein freundliches Tier, aber gehörte zu denen, die auch gut ohne Menschen klarkommen würde, sofern für genug Futter gesorgt war. Unbeirrt schlüpfte ich an der kräftigen Stute vorbei, steckte ihr ein Motivationsleckerli in die Schnauze und schon folgte sie mir bereitwillig zurück zu Samu.
      “Halt mal kurz”, drückte ich Samu die Stute in die Hand, die sogleich neugierig von Legolas inspiziert wurde. Schnell öffnete ich die Schnallen an der Decke, die Redo trug, da sie mir nach dem Ende ihrer Dienstzeit mit sportlichem Kurzhaarschnitt geliefert wurde. Auf direktem Wege ging es weiter in die Sattelkammer. Von der Wand leuchtete mit das pinke Hackamore entgegen, welches sie vermutlich für Lubi angeschafft hatte. Kurzerhand entschied ich mich dafür, denn sicherlich hatte sie nichts dagegen, wenn ich es mir jetzt mal auslieh. Im gleichen Zug beschloss ich, dass Sättel überbewertet wurden und griff einzig nach einer Abschwitzdecke. Außerdem konnte ich mir so das Putzen sparen, um Samu nicht noch länger aufzuhalten.
      “So, wo waren wir?”, fragte ich zurück bei ihm und den beiden Pferden und nahm ihm die Stute wieder ab. Mit Schwung flog der Fleece Stoff auf den Rücken und das Halfter auf die nahe gelegene Bank.
      “Lego”, half mir Samu auf die Sprünge und begann nun tatsächlich selbigen zu trensen.
      “Ach ja … Du willst mit Lego wieder Turniere reiten”, riet ich willkürlich, was mir als Erstes in den Kopf kam. Langsam nickte mein bester Freund: “Das auch, aber das ist nicht, was ich dir erzählen wollte, denn Legos Comeback in der Turnierwelt steht erst für den Frühling auf dem Plan.” Mit dem Ende des Satzes war auch der Nasenriemen des Hengstes verschlossen.
      “Was ist denn mit dir kaputt? Das ist gar nicht blau oder anderweitig in dein übliches Farbkonzept passend?”, mit einem kritischen Blick musterte er plötzlich das Kopfstück mit den pinken Metallbügeln, welches an Redos Kopf saß.
      “Ist auch eigentlich Vriskas, ich habe es mit nur mal kurz ausgeliehen”, klärte ich ihn auf, ” außerdem hast du ein Problem damit, wenn ich mein Farbkonzept verändern würde?” Ich lachte herzlich. Samu noch nie wirklich viel Verständnis dafür gehabt, dass ich eine gewisse farbliche Harmonie an meinen Pferden bevorzugte, anstatt einfach irgendetwas unter den Sattel zu legen.
      “Ich habe gar nichts dagegen, wenn du dein Pferd kleiden willst, wie es eine 10-Jährige tun will, mach’ halt. Ich wollte nur wissen, ob ich mir Sorgen machen muss”, lachte er und führte seinen Hengst in Richtung Halle.
      “Ich bin keine zehn”, jammerte es plötzlich hinter uns am Rolltor, “aber ja, bediene dich einfach wie auf einem Basar.”
      “Nächstes Mal frage ich vorher, versprochen”, war alles, was ich zu meiner Verteidigung hervor zur bringen hatte, “Aber es musste schnell gehen. Der da unterschlägt Neuigkeiten und es besteht Fluchtgefahr.” Redo zupfte derweil an meiner Jackentasche, um sich ein Leckerli zu ergaunern.
      “Vor ein paar Wochen habe ich dir schon mal gesagt, dass du dir nehmen kannst, was du brauchst”, grinste Vriska, offenbar Fehlalarm meiner Einschätzung.
      “Aber Samu, es kann nicht sein. Da wirst du einen langen Abend, wenn du nicht direkt darüber sprechen willst.”
      Erst als sie näher an uns herantrat, bemerkte ich, wie sie von oben bis unten von Matsch übersät, ihr Gesicht leer von jeder Emotion, nach dem das Grinsen binnen Sekunden sich in Luft auflöste. Enigma führte sie direkt am Halfter, was das junge Pferd etwas irritierte von der groben Handhabung war. Ihre blauen Augen weit aufgerissen und den Schweif leicht aufgestellt.
      “Ich habe Zeit”, winkte Samu grinsend ab, “außerdem musst du nur besser raten, Lina. So einfach ist das.” Gelangweilt stützte Lego seinen Kopf auf Samus Schulter. Etwas, was der Hengst meistens tat, wenn man ihn hinter den Ohren oder an der Stirn kratzen sollte.
      “Einfach. Ja, wenn ich Gedanken lesen könnte”, verdrehte ich Augen.
      “Neuigkeiten also, Mhm. Ich hoffe schwer darauf, dass du mit deiner Freundin Schluss gemacht hast, um Lina deine Liebe zu gestehen und ihr endlich die wunderschönen Kinder bekommt, die mir jede Nacht den Schlaf rauben”, feixte sie im Vorbeigehen und wartete nicht einmal auf eine Antwort, die sie ohnehin hören würde bei dem schallenden Gebäude. Irritiert legte Samu die Stirn in Falten, als schien er zu überlegen, wie viele der Worte vielleicht doch ernst gemeint sein mochten.
      “Sie ist bekennender Fan”, lachte ich herzlich, “und ganz ehrlich, mich würde es auch nicht wundern, wenn irgendwo eine kleine süße Geschichte diesbezüglich existiert.” Ich durchschritt mit Redo das Hallentor und stellte fest, dass diese mittlerweile glücklicherweise leer war. Ideale Bedingungen, um an weitere Informationen zu gelangen. Der Blonde stellte seinen Rappen neben mir auf und half mir bereits auf mein Pferd, bevor ich überhaupt danach gefragt hatte. Angenehm, wenn der Gegenüber bereits wusste, was man wollte.
      “Also es hat mit Lego zu tun, aber nicht mit Turnier”, fasste ich die kläglichen Erkenntnisse zusammen, die ich bisher erlagen, konnte. Angenehm drang die Körperwärme meiner Stute durch das dünne Fleece und ich spürte unmittelbar die Rückenmuskulatur, wie sich anspannte unter meinem Körpergewicht.
      “Korrekt”, nickte er, während er den Sattelgurt enger zog und seinen Hengst zu der kleinen ausklappbaren Aufstiegshilfe in der Wand führte. Sanft drückte ich Redo die Beine in die Flanken, damit sie den beiden folgte.
      “Aber du willst ihn doch nicht etwa verkaufen.” Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an. Aus Erzählungen wusste ich, dass der Hannoveraner ziemlich häufig den Besitzer gewechselt haben musste, bevor er auf dem WHC geladen war. Sein Misstrauen gegenüber Schaufeln und die wulstige Narbe an seinem linken Röhrbein zeugten davon, dass ihm dabei nicht nur Gutes widerfuhr. In meinen Augen war es unvorstellbar, wie man ein Lebewesen so schlecht behandeln konnte.
      “Natürlich nicht”, entgegnete Samu kopfschüttelnd, “Wenn Enya so weiter jammert, muss ich viel mehr ein zweites Pferd anschaffen.”
      “Komm dein eines Pferd erst einmal öfter besuchen, bevor du dich erweiterst. Der arme Lego gerät noch ganz außer Form, wenn der immer nur rumsteht und du bestimmt auch.”
      “Du willst mir erzählen, dass ich außer Form gerate?”, hakte er mit einem amüsierten funkeln in den Augen nach, “Wie lange hast du dein Vorsatz, mit dem Joggen, noch mal durchgehalten? Zwei Wochen?”
      “Das waren zwei Monate”, protestierte ich und verzog das Gesicht. Aber ganz Unrecht hatte mein bester Freund damit nicht. Jedes Jahr fasste ich erneut diesen Vorsatz, aber sonderlich von Erfolg gekrönt, war das bisher nicht.
      “Siehst du, aber bevor du mir noch einmal sagst, ich würde fett werden, verrate ich dir lieber, ein Teil von dem, was du wissen willst.” Erwartungsvolle blickte ich ihn an, während Redo gemütlich neben dem größeren Rappen hertrottete.
      “Der hübsche Kerl hier, soll auf eine Zuchtschau gehen”, verkündete Samu knapp und strich dabei über den kräftigen Hals, der vor ihm aufragte. Verwirrt blickte ich durch die Ohren meines Pferdes hindurch nach vorn: “Warum, er ist doch bereits zur Zucht zugelassen?”
      “Es geht nicht um eine Körung, sondern um eine Hengstschau”, erläuterte er weiter, “und du wirst mitkommen.” Das ergab schon mehr Sinn, auch wenn mir nicht klar war, was ein Hannoveraner auf einer Hengstschau in Schweden zu suchen hatte. Oder züchtete man die deutschen Warmblüter etwa auch hier?
      “Oh, das ist schön und wann soll das Ganze stattfinden?”, erkundigte ich mich interessiert. Auf einer Hengstschau war ich bisher noch nie gewesen. Ob das wohl anders ablief als eine Körung? Wo lag da eigentlich der Unterschied?
      “Ende Februar und falls du dich fragst: Wozu das Ganze? Wenn alles läuft wie geplant, wird Lego dann damit für die schwedischen Warmblüter zugelassen”, erklärte Samu auch die letzten notwendigen Details.
      “Geld! Daher weht also der Wind”, scherzte ich, wohl wissend, dass Samu der letzte war, der sich viel daraus machte.
      “Na ja, Lego ist zwar kein schlechtes Pferd, aber ich denke reich wird man damit nicht. Da bleibe ich mal lieber bei meinem Job”, lachte er und trabt seinen Hengst aus dem Nichts heraus an.
      “Entschuldigung? Glaubst du etwa, dass wir schon fertig sind?”, entrüstete ich mich und drückte meiner Stute die Waden gegen den Bauch. Ein wenig holprig, waren die ersten Tritte, bevor Redo wieder einzufallen schien, dass sie kein Trampeltier war. Geschickt kürzte ich durch die Mitte der Halle ab, um den Vorsprung auszugleichen, den Samu mit seinem Hengst hatte. Samu war mir nur leider einen Schritt voraus und wich mir geschickt mittels einer halben Volte aus. Einige Minuten ging die kleine Verfolgungsjagd, bis Redo beschloss, immer langsamer zu werden. Korrekt wäre es natürlich gewesen, sie zu korrigieren, doch mit ernsthaftem Training hatte das hier ohnehin wenig zu tun.
      “Okay, du hast gewonnen”, rief ich ihn zu und ließ die Stute vollständig in den Schritt fallen, “Aber das wird noch eine Revanche geben!” Lautes Prusten erklang, als auch Samu seinen Hengst, mit einem siegreichen Grinsen durch parierte: “In dem Fall ist es wohl gut, dass du mich in Zukunft öfter ertragen musst.”

      Vriska

      „Vivi, warte mal“, rief mir Harlen noch im richtigen Moment zu. In einer Hand hielt ich einen Kopfhörer, während die andere Enigmas Leinen faste. Die junge Stute stand ruhig im Sulky und musterte meinen Bruder, der in seinem Jackett, kombiniert mit einer viel zu großen grauen Jogginghose, die Treppen herunterrutschte und im nächsten Augenblick bei uns stand.
      „Was ist denn?“, sprach ich jämmerlich genervt, noch drei weitere Pferde musste ich heute fahren und ich überzog bereits jetzt meine Arbeitszeit.
      „Du müsstest noch ein weiteres Pferd holen“, stammelte er außer Atem und wich jedem Versuch der Stute aus, an ihm zu knabbern.
      „Aha. Wieso?“ Ich zog meine Augenbrauen zusammen, die unter der Skimaske kaum zusehen sein sollten.
      „Wir haben gerade jemanden da, der bereits nächste Woche anfangen könnte, aber du musst beurteilen, wie der mit Pferden umgeht“, erklärte Harlen.
      „Na gut, ja. Aber sollte er dann nicht das Pferd holen und fertig machen?“, hakte ich scharf nach.
      Harlen schwieg, als würde er meinen Vorschlag genauer überdenken. Schließlich nickte er.
      „Okay, dann schicke ich ihn zu dir, weil so kommst du gewiss nicht ins Büro“, unterstrich er damit meinen komplett matschigen Anzug. Obwohl ich am Sulky einen Spritzschutz befestigt hatte, kam es bei so hohen Geschwindigkeiten doch mal dazu, dass ein Gemisch aus Schnee und Sand gegen mich flog und das Schwarz in grässliche Grau-Brauntöne tupfte.
      Harlen verschwand wieder und ich hängte den Sulky mit wenigen Handgriffen wieder ab. Enigma blickte sich mehrmals verwundert um. Sie dachte vermutlich auch, was der Schwachsinn soll, aber ich konnte es nicht ändern. Zusätzlich nahm ich den Helm ab und meine Maske. Ich konnte nicht einschätzen, was mich erwarten würde, also setzte ich mich an den Rand und versuchte mit der Bürste immerhin das Gröbste an Dreck von der rauen Oberfläche zu entfernen. Als Fahrer müsste besagter Herr jedoch wissen, was es für eine Sauerei werden konnte im Winter. Die Zeit zog ins Land und es dauerte gefühlte Jahrhunderte, bis dumpfe Schritte auf der Treppe zu hören waren. Bevor ich meinen Kopf aufrichtete, tippte ich die Nachricht an Eskil zu Ende und verstaute das Gerät in meiner Innentasche. Unerwartet überkam eine Wucht aus Glücksgefühlen, die mir einen kalten Schauer aus Schweiß über den Rücken jagte. Sofort zitterte meine Finger, wodurch es mir nicht gelang, den Reißverschluss der Jacke zu schließen. Der erste Eindruck ist der wichtigste, hatte meine Mutter damals immer gesagt, wenn ich anstelle einer Jeans zur Jogginghose griff. Ich schämte mich für den dreckigen Anzug, hätte alle Zeit gehabt, um ihn in der Sattelkammer zu wechseln, aber dagegen entscheiden. Mit einem breiten Grinsen trat der junge Mann zu mir.
      „Tut mir leid. Draußen die Bahn ist“, stammelte ich wirres Zeug, was er mit einem kräftigen Händedruck stoppte. Er hatte noch nicht einmal etwas gesagt, da überkam mich ein weiteres Gefühl, dieses Mal im Bauch. Undefiniert zog es und ich versuchte seinen eindringenden Blicken zu entweichen, doch hingen meine Augen an seinen. Es fühlte sich genauso vertraut an, wie das erste Treffen mit Erik, nur deutlich intensiver.
      „Ich bin Lars“, stellte er sich kurz vor, ohne seine Hand von meiner zu lösen. Oder war ich es, die sich an ihm klammerte?
      „Nett dich kennenzulernen. Ich bin Vriska, aber du darfst mich Vivi nennen“, kam endlich meine Stimme wieder und er befreite sich förmlich aus meinen Fängen.
      „Okay, Vivi.“
      Schon allein, wie er meinen Namen aussprach, trieb weiteren Schweiß auf meinen Rücken, der ganz langsam in meine Hände wanderte und dabei auf den Armen eine Gänsehaut auslöste. Unfassbar, wie sehr mich der Herr, kaum älter als ich, derartig aus dem Konzept brauchte. Ich tat alles dafür, um nicht nur professionell zu wirken, sondern auch ihm die Entscheidung zu erleichtern, uns als seinen neuen Arbeitgeber zu wählen. Lars erzählte von seiner Familie, die in Visby lebte, einer Stadt auf der Ostseeinsel Gotland. Auch seine Schwester und Vater trainierten Trabrennpferde, weshalb sie schnell entschlossen hatten, sich bei uns zu melden. Alle drei interessierten sich daran, bei uns anzufangen und auch ihren eigenen kleinen Bestand an Kaltbluttrabern herzubringen, worunter ich mir nichts vorstellen konnte. Bisher waren mir nur unsere langbeinigen Warmblüter bekannt, die durch den Sport schnell einen Verschleiß aufwiesen, egal, wie sehr wir an ihrer Stabilität arbeiteten. Somit liefen unsere nicht jedes Rennen mit.
      Wir waren einander sofort sympathisch, sodass ich jedes seiner Worte genau folgte und zwischendurch nachhakte. Lars hatte nicht nur Ahnung von Rennpferden. Sein eigener Hengst lief schon seit Jahren keine Rennen mehr, stattdessen ritt er ihn auf dem Platz, sprang auch mal und diente die sonstige Zeit als Deckhengst.
      „Eine seiner Töchter hat den großen Preis bei Stockholm gewonnen“, erzählt er fröhlich und zeigte mir sogar Bilder von der Stute. Sie war ein Rappe mit lustigen hellen Plüschohren. Ihre blauen Augen hoben sich magisch vom dunklen Untergrund ab, als würde das Pferd jeden Moment aus dem Bild springen und mit seiner majestätischen Ausstrahlung den Hof in sommerliche Farben hauchen.
      „Und dein Hengst?“, wollte ich unbedingt mehr Bilder sehen. Er sperrte sein Handy und zeigte diesen auf seinem Sperrbildschirm. Ein helles Pferd streckte seine Nase mir entgegen, mit einem blauen Auge und das andere tiefschwarz, einzig einige schwarze Tupfer verzierten die sonst hautfarbenen Lider. Daneben stand er, allerdings nur angeschnitten, aber es reichte, um mir vorstellen, was sich unter dem Rollkragenpullover und dicken Jacke verbarg. Wieder musste ich schlucken, denn in mir lief es langsam aus dem Ruder. Die schlechten Gedanken der letzten Tage, beinah Wochen, lösten sich wie in Luft auf, stattdessen blieb nur das Gefühl von Erlösung und Sehnsucht, das er mit sich brachte, mit jedem Wort, das über seine geschwungenen Lippen huschte.
      „Wunderschön“, sprach ich fasziniert, „also dein Pferd, meine ich.“
      „Ich höre das oft genug, danke.“ Er drückte die Lippen zusammen und mir fiel wieder ein, wieso wir überhaupt am Stutenpaddock standen. Ich zeigte ihm Mill, die mit einer Decke in der Hütte stand und die anderen Stute vom Heu fernhielt. Zielstrebig ging er auf sie zu. Mill, die eigentlich Millennial hieß und eine unserer Nachzuchten war, stellte interessiert die Ohren auf und musterte den hübschen Kerl, der ihr das Halfter umlegte. Vorsichtig tastete sie mit den Lippen seine Hand ab, die im Gegensatz zu seinem mächtigen Körper klein wirkte. Zusammen liefen wir in die Stallgasse.
      „Zugegeben, bisher scheint euer Hof so gigantisch, dass ich Zweifel hege, ob wir hierher passen“, gab Lars zu verstehen. Jeder dachte das am Anfang auf dem Gestüt.
      „Wir sind staatliche gefördert“, erklärte ich, „und ich weiß nicht, wie viel mein Bruder dir erzählt hat –“
      Er unterbrach mich.
      „Warte, Harlen ist dein Bruder?“, fragte Lars beinah schockiert nach.
      „Ja, seitdem ich Lebe“, schmunzelte ich.
      „Tatsächlich hatte ich vermutet, dass er dein Freund ist, so wie er gestrahlt hatte, als er zurückkam.“
      „Nein, und Tyrell auch nicht”, klärte ich auf, versuchte bestmöglich zu verschleiern, dass es Erik gab. Lars fragte allerdings nicht weiter nach, deswegen setzte ich fort.
      „Auf jeden Fall, durch die Förderung wurden nun mal ganz neue Standards gesetzt, auch was Nachhaltigkeit betrifft und du wirst die Baustelle gesehen haben: Wir bauen um, weil die Weltreiterspiele hier stattfinden werden.“
      Nebenbei putzte er Mill über, die durch ihre Decke kaum Schmutz aufwies. Einzig an ihren Beinen und Hals haftete Matsch, teils getrocknet, teils noch feucht. Enigma entspannte in der Box. Zusammen liefen wir zur Sattelkammer der Traber, die sich in der anderen Hütte neben dem Platz befand. Folke hatte ein riesiges Chaos hinterlassen. Überall hingen lose Geschirrteile, Trensen und Leinen, die sonst einen festen Platz hatten. Ich wühlte mich durch die Menge an Leder, bis wir alles für die Stute hatten.
      „Sicher, dass ihr der Herausforderung einer so großen Veranstaltung gewachsen seid?“, scherzte Lars nebenbei. Umgehend übergab ich ihm einen Haufen aus losen Teilen, die mal ein Geschirr werden wollten.
      „Ja“, antwortete ich stumpf, „dein Vorgänger hat das hinterlassen, aber ich traue dir zu, dass du das hier in den Griff bekommst.“
      Ein verschmitztes Lächeln huschte über seine Lippen.
      „Noch ist nicht aller Tage Abend. Aber es freut mich zu hören, dass ich offenbar so herzlich empfangen werde“, lachte Lars und wuschelte mir durch das ohnehin wirre Haar. Aus dem Schrank suchte ich noch einen Anzug heraus, dass seine Kleidung vor den Widrigkeiten geschützt war. Zusammen verließen wir den Raum, nicht ganz unbeobachtet. Harlen stand an der Tür vom Büro, die zur Galerie führte, auf der man einen wunderbaren Überblick zur Halle und Anbinder hatte. Auch er konnte nicht anders als zu Strahlen. Offenbar überzeugte Lars nicht nur mit seinem Äußerlichen, sondern auch seinem Lebenslauf. Provokant riss ich meine Augen auf und gab meinem Bruder ein Handzeichen, dass er uns nicht beobachten sollte. Dieser schüttelte nur amüsiert den Kopf.
      Ich half unserem Kandidaten dabei, die gescheckte Stute einzuspannen und wenig später befanden wir uns auf dem Weg in den Wald. Obwohl ich Mill nur zickig am Sulky kannte, lief sie, mit ihm als Fahrer, wie ausgewechselt. Die Leinen hingen beinah durch und in einem ruhigen, gleichmäßigen Tempo trat sie durch den matschigen Sandboden. Doch auch Enigma ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen, nicht mal das Kaninchen, dass aus dem Unterholz unseren Weg kreuzte, beeindruckte. Stattdessen schnaubte sie immer wieder ab und streckte mit gewölbten Hals ihren Kopf. Gleichzeitig erzählte Lars fröhlich weiter über seine bisherige Arbeit, was für Erfolge aus seiner Hand stammten. Sein vielfältiges und tiefgreifende Wissen über Pferde sowie Trainingsmethoden aller Art imponierte mir zutiefst.
      „Das reicht dann aber auch“, beendete Lars plötzlich seine Erzählung als wir eine Runde im lockeren Trab hinter uns hatten. Ich hatte uns beiden ein Funkgerät befestigt, das er noch nicht die Daten auf Grund der fehlenden Applikationen überprüfen konnte. Es war auch wunderbar für Unterhaltungen. Schon jetzt, als er schwieg, vermisste ich seine Stimmte und wollte so viel mehr über Rennpferde wissen. Meine eigene Einführung in das Thema war ziemlich holprig und oberflächlich, Folke erzählte auch nicht viel. Deshalb überraschte es mich, wie viel Erfahrung wertvolles Training bedarf.
      „Erzähl du jetzt von dir. Es wäre unfair, wenn nur ich die ganze Zeit rede.“
      Ich seufzte und gab Enigma die Hilfe dafür, etwas am Tempo zuzulegen, denn Lars entfernte sich mit Mill immer mehr. Aufgeregte prustete sie, aber legte los. Binnen von Sekunden hatten wir das Gespann nicht nur eingeholt, sondern auch überholt. Das spornte ihn an, auch mit Mill etwas schneller zu werden. Aus dem lockeren Tempo kamen wir immer weiter in Bereiche von Renngeschwindigkeit, wie es mir mein Handy auf dem Bildschirm verriet. Es hing in der dafür vorgesehenen Halterung, aber durch den Matsch konnte ich nicht mehr alles erkennen.
      Nach einer weiteren Runde holten wir die Stuten zurück in den Schritt und damit hatte ich Zeit zu erzählen. Wie von selbst kamen die Worte aus meinem Mund und ich erzählte ihm beinah alles, also von Capi, dem Isländer meiner Tante, dann meiner Ausbildung und wie ich schließlich auf der Ersatzbank vom Nationalteam gelandet bin. Bewusst ließ ich einige Details weg, unter anderem, dass Erik mir die Pony Stute gekauft hatte und welche Rolle Niklas dabei spielte, dass ich nun Dressur ritt.
      „Dann habe ich wohl einen Profi neben mir“, sprach er und ich war mir sicher, dass ich unter seiner Maske ein Grinsen ermitteln konnte.
      „Einen hübschen Profi, der sogar fahren kann“, fügte Lars im nächsten Atemzug hinzu. Am liebsten hätte ich es auf das Training und der Maske geschoben, aber das war nicht Grund, wieso mir das Blut in den Kopf pumpte. Stattdessen fummelte ich immer wieder die Leine zurecht, um sie im nächsten Augenblick zu lockern und neu zu sortieren. Alles nur, um seinen stechenden Blick auszuweichen. Unbemerkt blieb es allerdings nicht.
      „Keine Sorge, ich versuche dich nicht ins Bett zu bekommen“, lachte Lars.
      „Schade eigentlich“, tauchte ich belustigt aus meiner Starre auf, „aber wer nicht will, der hat schon.“ Provokant zuckte ich mit den Schultern und soeben war ich die, die unentwegt zu ihm sah. Unter seiner Schutzbrille erkannt ich, dass sein Kopf hochrot wurde. Das würde ich als Gleichstand werten.
      „Dir kann es nicht schnell genug gehen, oder?“, blieb sein Interesse offenbar bestehen.
      „Das fragst gerade du? Als Trainer von Rennpferden?“
      Wir beide begannen herzlich zu lachen.
      Vor der Halle sprang wir beinah synchron aus dem Sitz und führten die verschwitzten, verdreckten Pferde in den Stall herein, in dem wir offenbar schon sehnsüchtig erwartet wurden. Harlen grinste nur und verschwand zum Büro, während Lina hektisch Samu an der Schulter antippte. Mein strahlendes Lächeln kam erst zum Vorschein, als ich den Helm abnahm und die Skimaske abzog. In mir brodelte alles, seitdem er mir die Hand gegeben hatte, ich konnte aber nicht genau einschätzen, was das sollte. Auch, wenn ich darüber nachdachte, was ich hier tat, tropfte es kurz aus dem Fass, aber die schlechten Gedanken flossen durch den Abfluss heraus, als würde mein Körper von selbst heilen in seiner Gegenwart.
      “War das Training gut?”, erkundigte sich Lina und das breite Grinsen zeugte von unverhohlener Neugierde, die sich allerdings nur bedingt auf das Training zu richten schien.
      “Perfekt”, schwärmte ich, auch Lars nickte zustimmend neben uns. Die beiden Stuten schnaubten gelassen ab und schüttelten sich dabei, dabei klapperten die Lederschnallen aneinander.
      “Enigma möchte mal erfolgreich werden”, fügte ich noch hinzu und tätschelte liebevoll ihren Hals.
      “Das klingt doch super”, lächelte sie, “Ach und ich bin übrigens Lina.” Freundlich reichte sie dem jungen Mann neben mir die Hand. Nur ein paar Floskeln tauschten die beiden aus und setzte die braune Stute wieder in Bewegung. Mit aller Ruhe löste ich einen Gurt nach dem anderen und kippte den Sulky zurück an die Wand des Stalles. Wenig später kam auch Lars nach, der mir gleich tat. Freundlich nahm ich ihm das Geschirr ab und trug beide Ausrüstungen zurück in Sattelkammer. Am Chaos hatte sich nichts geändert, vielmehr lag es noch schlimmer da, seitdem ich nach Einzelteilen gesucht hatte. Zumindest die verwendeten Geschirre hänge ich sortiert an die dafür vorgesehene Vorrichtung, als plötzlich Schritte auf den Holzdielen ertönten. Strahlend drehte ich mich um, bemerkte allerdings, das es nur Lina war, die wie ein Heinzelmännchen angeschlichen kam und sich neugierig auf die Unterlippe biss.
      „Ach, du bist es“, seufzte ich und drehte mich wieder zu den Halterungen um, zur Suche nach einer Abschwitzdecke.
      “Hast du etwa auf, wen anders gehofft?”, giggelte sie und wuselte wieder in mein Blickfeld. Über dramatisch rollte ich in einer Kopfbewegung meine Augen.
      “Selbstverständlich Schätzchen”, lachte ich.
      “Gehe ich richtig in der Annahme, dass deine nette Trainingsbegleitung der Grund für deine gute Laune ist?” Wissbegierig funkelte es in ihren Augen, als sie mich forschend anblickte.
      “Hast du ihn dir mal angesehen?”, stammelte ich beinah hysterisch, als hätte ich meine Lieblingsband auf der Straße getroffen, “Omg. Ich halte es nicht aus. Er ist so perfekt und vermutlich unser Arbeitskollege.”
      “Sicher, dass du über 12 bist? Du klingst gerade nicht danach”, lachte sie, “Aber ja, er ist schon ziemlich hübsch.”
      “Pff, ich bin mir sehr sicher, dass ich schon über zwanzig sogar bin. Aber jetzt mal im Ernst, der hat richtig Ahnung von Pferden, schreckt vor nichts zurück und sein Hengst sieht einfach aus wie Ivy! Er zeigt ihn dir sicher, wenn du ihn fragst”, sprudelte es weiter aus mir heraus wie ein Wasserfall. Innerhalb des einen Heats, hatte ich so viel an Wissen erfahren können, dass ich nicht wusste, mit dieser Macht umzugehen. Kurzzeitig traf mich so gar Gedanke, wieder Rennen zu fahren, auch wenn es bedeutete, dass ich mehr Essen muss. Vom Ständer nahm ich zwei riesige Decken herunter, die Vintage und Alfi als Sieger bekamen und farblich mit den beiden Stuten harmonisieren sollten – Hellblau.
      “Uhh, wie Ivy sagst du? Dann ist Lars, also nicht nur hübsch anzusehen, sondern hat auch noch Geschmack. Sehr sympathisch.”, entgegnete sie enthusiastisch.
      “Bagsy”, rief ich umgehend, um die Situation klarzustellen. Verwirrt blickte sie mich an: “Was hast du jetzt für Schmerzen?”
      „Ich habe ihn mir damit reserviert. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, wer zuerst Bagsy sagt, hat Anspruch auf etwas, je nachdem welcher Kontext. Und Lars gehört jetzt mir“, triumphierte ich und rollte die Decken ein, um sie heraustragen zu können. Allerdings kam ich nicht weit, den natürlich stand besagter in der Tür und unbedacht lief ich in ihn.
      „Dachte schon, dass es etwas passiert sei, so lang wie du gebracht hast. Aber ihr habt wohl einiges zu sprechen“, grinste er verlegen und nahm mir den Haufen Stoff aus den Armen. Stocksteif verharrte ich in der Position und versank innerlich in den Boden. Wie viel hatte er mitbekommen? Sollte ich mir jede Chance verbaut haben?
      Lars verschwand aus der Tür heraus und nur meine Augen folgten seiner Bewegung. Obwohl er einiges an Kleidung über sich trug, erkannt ich ein leichte Erhebung, die für sich sprachen. Auf seinem Handy durfte ich bereits erahnen, wie gut aussehend er war und dass ich davon noch in Genuss kommen würde, ahnte ich in dem Moment noch nichts. Stattdessen versuchte ich das drängende Gefühl in mir loszuwerden, das mich in einen Strudel aus Lust und Begierde lenkte und alle anderen Umstände ausschaltete. Ich wollte nur noch am Stall sein, nicht allein in der Hütte sitzen und darüber nachdenken, wie ich meiner quälenden Leere entkommen konnte. Nach Ewigkeiten kam dieses Ventil, auch wenn das Training mit Lubi einiges an meiner Stimmung ins Positive gerückt hatte.
      “Komm mal zurück in die Gegenwart oder willst du da noch weiter herumstehen?”, holte mich Linas Stimme zurück in die Gegenwart, die mich dabei kichernd anstupste.
      “Ich bin doch schon da”, schüttelte ich mich, “hast du Shaker heute bereits bewegt?” Bindend Sekunden überlegte ich mir, den Hübschen auch auf ein Pferd zu setzen, schließlich würde er auch im Alltag nicht nur im Sulky setzen. Damit hatte ich auch schon eine Begründung, wieso er unseren Nachwuchshengst unter den Sattel bekommen würde. Nur ich wusste noch nicht so recht, mit welchem Pferd ich glänzen sollte. Lubi hatte heute nur die Führanlage gesehen, aber dafür gestern ein anstrengendes Training hinter sich, auch mir schmerzten noch die Oberschenkel von den Serienwechseln. Nur ein Pferd kam mir in den Sinn, dass ich unter normalen Umständen wohl nie bewegt hätte – Götterdämmerung, der Fuchs aus der Hölle. Nicht grundlos betitelte ich sie allen gegenüber nur als Mörderpony, aber heute war der richtige Tag für Blut vergießen, zumindest um wieder meinen Kopf geradezurücken.
      “Nein, habe ich nicht”, entgegnete sie.
      “Gut, dann gehe ich das Mörderpony holen”, sprach ich es laut aus und zischte aus der Tür heraus zur anderen Kammer, in der des Stutes Halfter hing. Vorher entledigte ich mich dem furchtbaren matschigen Anzug und hängte ihn im Waschraum zwei Türen daneben auf. Nun froh ich, aber sobald ich im Sattel sitzen würde, wäre das Gefühl wie weggeblasen. Ich hatte nur eine Sommerhose darunter und einen Hoodie, weder Jacke noch richtige Stiefel zog ich mir an.
      Natürlich bereute ich es bereits einige Meter vor dem Rolltor, so wenig anzuhaben, aber da musste ich durch. Die Fuchsstute mit ihrem großen Abzeichen funkelte diabolisch in meine Richtung und drehte sich umgehend weg, als ich merkte, dass ich zu ihr wollte. Fredna hätte ich gebrauchen können, die beruhigt sie. Allerdings schaffte ich es ohne Hilfe an sie heranzutreten. Göttin versuchte, mit schlagendem Schweif mich loszuwerden, drohte auch mit dem Vorderhuf, aber ich schenkte dem keine Beachtung. Stattdessen ärgerte ich mich, dass meine graue Hosen Matschflecken aufwies.
      “Nur heute, dann lasse ich dich in Ruhe”, gab ich dem Pferd zu verstehen und wie ein Wunder, folgte sie mir entspannt. Sogar als wir im Stall ankamen, schaute Tyrell nicht schlecht, der sich gerade mit Lars unterhielt.
      “Offenbar brauchen wir niemanden Neues”, scherzte dieser, was ich mit hochgezogenen Augenbrauen direkt versuchte, zu unterbinden.
      “Natürlich, ich kann nicht jeden Tag so viel machen”, rief ich ihm zu.
      Lina hatte die beiden Stuten in eine freie Box gepackt, damit sie noch länger trocknen können und putzte zur gleichen Zeit den großen Fuchsfalben, ihr Sohn. Er wusste es nicht besser. Shaker trampelte aufgeregt von einer Seite zur anderen und meine Kollegin verdünnisierte sich rechtzeitig, denn sonst hätte sie einen Huf abbekommen. Der Hengst machte seinem Geschlechte alle Ehre, obwohl Göttin nicht einmal in seine Richtung sah. In einem konstanten Tempo liefen wir weiter und ich hakte auf beiden Seiten die hängenden Stricke ein.
      “Benimm dich, bitte”, bettelte ich das Pferd so leise wie möglich an. Aus dem Augenwinkel sah ich Tyrell Lina zur Hilfe kommen, denn dieser wollte sich nicht mehr beruhigen, zu interessiert schien er an seiner Mutter. Das lasse ich an der Stelle einmal unkommentiert.
      So schnell ich konnte, putze ich den feinen Staub aus dem Fell, kratzte die Hufe aus und verschwand im selben Tempo in der Sattelkammer. Überall hingen Sättel und Trensen, die ich in dem Ausmaß noch nie bemerkt hatte. Es war viel, Ja, aber so viel? Unglaublich, mindestens die Hälfte davon sollte man Spenden können an Menschen, mit weniger Mitteln. Mit meinem Finger lief ich Namensschilder durch, als wüsste ich nicht, wonach suchte. Mindestens dreimal übersah ich „Götterdämmerung“, bis ich schließlich wieder vor dem Schwarzen Sattel stand und ihrer Trense. Eigentlich wollte ich meinen Halsring greifen, aber hing nun doch etwas stärker an meinem Leben. Immerhin meine gelbe Otterschabracke nahm ich noch im Vorgehen mit, ehe ich vollgepackt mit Beinschutz, Helm und Sattelzeug die Treppen herunterlief. Die Füße konnte ich nicht sehen, vertraute aber auf meine Fähigkeit, laufen zu können. Wider Erwarten kam ich unbeschadet am Pferd an, warf ihr in Windeseile alles über und stand fertig bei Lina, die gerade einmal mit Lars Hilfe den Sattel fest zurrte.
      “Mit welchen Zauberworten hast du die Göttin denn so kooperativ bekommen”, staunte sie nicht schlecht. Doch den Junghengst für den kurzen Moment aus den Augen zulassen erwies nicht als klug, denn bei seinem aufgeregten herumgehampel rempelte er sie beinahe um als er nach vorne trat.
      “Du weißt doch, ich darf nicht darüber sprechen, wenn Unbeteiligte im Raum sind”, sprach ich bewusst leiser, damit es geheim klang ihm gegenüber.
      “Ach ja, ich habe deinen Hexencodex vergessen”, lachte sie.
      “Sollte ich Fragen stellen?”, mischte sich auch Lars ein, mit einem schiefen Lächeln auf seinen Lippen. Brennend trat ein Kribbeln unter meiner Haut auf, dass sich sehr langsam von den Fingerspitzen im ganzen Körper verteilte. Auch die Fuchsstute zog einmal den Kopf nach oben, als hätte ich ihr einen Stromschlag verpasst. Es zehrte mich mit jedem Atemzug. Ich wollte seine Hände an mir spüren, die Wärme auf meiner kalten Haut wahrnehmen und es schrie. Meine Gedanken waren so laut, dass ich Angst hätte, jemand könnte sie hören. Genauso sah mein Gesichtsausdruck aus. Ununterbrochen grinste ich, so sehr, dass bereits meine Muskeln bitterlich stachen und in den Hinterkopf einen Schmerz sendeten. Cool bleiben, Vriska, es ist alles gut.
      “Nein, besser nicht, aber Lina hat die Theorie entwickelt, dass ich zaubern kann und heimlich meinen Besen verstecke, um nachts durch die Luft zu fliegen. Zugegeben, dass ich nachts häufig nicht im Zimmer bin, entstärkt ihre Argumente nicht”, klärte ich ihn auf, ohne von seinen grünen Augen abzulassen, die in dem warmen Licht der Deckenbeleuchtung funkelten.
      “Das ist nicht nur eine Theorie. Ich bin überzeugt davon, dass du genau so viel Magie besitzt wie Ivy. Das sieht nur keiner”, scherzte Lina weiter.
      “Wer auch immer Ivy ist, aber ich sehe es. Ich finde Vivi zauberhaft”, zuckte er mit den Schultern. Da war es wieder – weiche Knie, zitternde Finger und Hitze im Gesicht. Im Boden versinken wäre perfekt oder einfach verschwinden, aber ich konnte nicht. Es fühlte sich an, als würde ich im Leben zum ersten Mal in einer unangenehmen Situation bleiben.
      “Jetzt übertreiben wir mal nicht. Ich achte nur auf den Tierschutz”, spielte ich mein Empfinden runter. Lina hingegen wirkte erleichtert, dass jemand anderes mir Komplimente machte, obwohl auch sie öfter hören könnte, wie großartig sie ist.
      “Vielleicht hören wir einfach auf zu quatschen und Lars kann sich sein eigenes Bild davon machen”, brachte sich Erwähnte ein und griff nach der Trense, damit auch Shaker endlich reitfertig sein würde. Noch immer unruhig, riss der Falbe den Kopf nach oben und zeigte nur wenig Kooperationsbereitschaft. Nur mit viel gutem Zureden und Lars Hilfe, gelang es schließlich, dass Shaker den Zaum letztlich am Kopf trug.
      Mit der Göttin lief ich bereits vor, zog den Gurt ein Loch fester und schwang mich in den Sattel. Sie legte die Ohren an, aber gewöhnte sich binnen weniger Runden an mich. Gespannt drang sich ein kleines Publikum auf die Tribüne, bestehend aus dem Team und einigen Einstellern, die von unserem attraktiven Kandidaten Wind bekamen. Damit setzte ich mich selbst auch unter Druck. Die Stute tanzte ungeduldig durch den Sand und reagierte kaum auf meine Gewichtshilfe. Lars hingegen, der Minuten nach mir in die Halle einkehrte, steuerte den zuvor ungeduldigen Hengst, wie ein Profi. Mein Plan ging nicht auf. Je mehr ich versuchte, Göttin für schwierigere Lektionen vorzubereiten, umso schwammiger wurden ihre Schritte. Bereits im Trab schlichen sich Galoppsprünge ein, die ich nicht wollte. Selbst meine Linienführung wirkte wie von einem Anfänger. Der Zirkel war nicht einmal rund, also hielt ich entschlossen an, sprang vom Sattel und lief aus der Halle heraus.
      Ein verwundertes Tuscheln ging durch die Masse. Als ich mich noch einmal umsah, bemerkte ich, dass Lars den Hengst sehr locker vorwärts ritt, die Taktfehler ausglich und genau wusste, was er tut. Enttäuscht seufzte ich und verschwand. Ich hatte vieles in meinem Kopf, aber nicht, dass ich kläglich versagte. Göttin rieb sich die Trense ab, während ich langsam das Sattelzeug abnahm und alles wegbrachte, immer unter den strengen Blicken unserer Einsteller, die praktisch neben mir saßen. Ich schwieg mit gesenktem Kopf, wollte nur so schnell wie möglich weg. Was bildete ich mir ein? Kindisch.
      Tränen drängten sich aus meinen Augen, als ich die Stute zurückbrachte, auf ihren Paddock. Immer wieder stupste sie mich aufmunternd an der Schulter an, aber ich ignorierte sie komplett. Es tat mir leid, dass sie mich ertragen musste, obwohl Göttin ihr Bestes gegeben hatte, um zu verstehen, was ich von ihr wollte. Aber ich konnte es nicht, ich war unfähig. Auch Eskil schrieb ich, dass ich morgen keine Zeit für unser Training hatte und nächste Woche vermutlich auch ausfiel. Er stellte keine Fragen, akzeptierte es nur.
      “Es tut mir leid”, murmelte ich Göttin zu und zog das Halfter über die Ohren. Sie schüttelte sich und lief zum Futter.
      Gefühlte Stunden saß ich, mit meinen Armen eng um die Beine geschlungen, im Unterstand der Stuten auf dem Heuballen und lauschte den Geräuschen der Pferde. Zwischendurch hörte man Reifen durch den Kies fahren, Autotüren und das Gelächter aus der Reithalle. Ich überlegte lange, was genau mich geritten hatte und warum ich nicht normal sein konnte, mehr Lina, weniger Vriska, aber eine Antwort darauf gab es nicht. Lösungsansätze hatte ich im Kopf, doch Veränderungen schmerzten, so auch der Kloß in meinem Hals. Er drückte mir die Luft weg und wurde damit immer größer. Ich schluchzte und Tränen tropften auf mein Handy, dass ich anstarrte. Auf dem dunklen Display konnte ich mein Gesicht erkennen, wenn auch nur schemenhaft, doch was ich sag, enttäuschte mich zutiefst. Allerdings erinnerte ich mich an etwas und öffnete mit wenigen Klicks unseren Chat.
      „Ich brauche dich, jetzt“, tippte ich geschwind ein und wartete. Es dauerte nur einen Wimpernschlag, war er für mich da, so wie ich ihn kannte. Na ja, so gut man jemanden kennt, der unbekannt ist.
      „Was ist los?“, fragte er und ich erklärte ihm in Ausschnitten, was passiert war. Die nächste Antwort kam nicht so schnell. Der Sendestatus änderte sich bereits beim Abschicken, aber offenbar fehlten ihm die Worte.
      „Tut mir leid. Aber ich kann dir nicht helfen, habe Besuch“, schrieb er knapp. Verblüfft las ich die Antwort, immer und immer wieder. Was hatte ich falsch gemacht? Ich fragte ihn, aber er kam nicht mehr online. Grob überschlagen, hinterließ ich zwanzig Nachrichten, die zum Ende hin, ein Monolog wurden.
      „Du nervst, ernsthaft. Aber gut, dann bekommst du einen Rat von mir: Hör auf, dich so wichtig zu nehmen, niemand interessiert sich für dich, nur weil er nett ist. Ich weiß, meine einzige mit dir war es, dich abzulenken, aber langsam stoße ich an meine Grenzen. Außerhalb mein Handys habe ich ein Leben, wie jeder andere Mensch auch und wenn du dich immer wieder von deinen Impulsen steuern lässt, dann solltest du eine Therapie in Erwägung ziehen. Schreib mir nicht mehr.“ Es fühlte sich an, als würde mein Leben an mir vorbeiziehen. Der Schmerz war wie erloschen, nur noch leere verspürte ich in meiner Brust und wusste nicht mehr, was ich denken soll. Monate hatte ich mir so was wie eine besondere Freundschaft aufgebaut, die in Sekundenbruchteilen zerfiel. Er war weg, denn entgegen seiner Nachricht, schrieb ich weiter, jammerte und heulte. Sie wurden nicht zugestellt.

      Lina
      Nur weniger der Einsteller verblieben am Rand der Halle, um Lars Fähigkeiten zu bestaunen, seien die meisten nur zusammen geschwärmt, um sich das Drama anzusehen. Ekelhaft, wie Menschen sich doch verhielten. Dass Vriska keine Weltklassenperformance hinlegen wurde, hatte ich mir bereits gedacht, doch hätte ich geahnt, wie schlecht Vriska mit der Göttin harmonierte hätte, ich sie aufgehalten. Wie verwirrt das Tier über den Sand torkelte, war alles andere als schön anzusehen, und einiges von dem Getuschel, was ich aufschnappte noch viel weniger. Eigentlich hatte ich ihr nach einem kurzen Moment folgen wollen, aber das, was der junge Mann mit Shaker auf dem Sand veranstaltete, löste eine solche Faszination in mir aus, dass ich die Zeit vergaß. Was war das nur, dass jeder hübsche Mann in meinem Umfeld auch noch Pferdeverstand besaß? Erst als Lars bereits dabei war den Hengst abzusatteln, fiel mir auf, dass längst eine Stunde vergangen war. Besorgniserregend, dass Vriska so lang fortblieb, wenn man bedachte, dass sie vorhin nicht genug von Lars bekommen konnte.
      „Ich gehe mal Vriska suchen, sie kann sicher eine Aufmunterung gebrauchen", raunte ich Samu zu und verließ die fröhliche Runde, die noch immer auf der Stallgasse herumlungerte.
      Als Erstes schlug ich den Weg zu unserer Hütte ein. Es erschien mir am naheliegendsten, dass sie sich wie sonst auch in ihr Zimmer zurückgezogen hatte. Licht brannte keines, alle Fenster starrten mir leer und dunkel entgegen als ich dort ankam, doch das musste nichts heißen.
      „Vriska?“, rief ich in die Stille des Hauses, die eisige Klinke noch in der Hand. Nichts, keine Antwort. Nur um sicherzugehen, dass sie tatsächlich nicht hier war, öffnete ich nach einem zaghaften Klopfen auch noch ihre Zimmertür. Aber auch dieser Raum lag still und leer vor, damit hieß es wohl weitersuchen. Hier war sie nicht, im Stall auch nicht, demnach bleiben nur noch zwei Möglichkeiten, wo sie stecken konnte – bei den Pferden oder die hatte sich vom Hof bewegt. Inständig hoffte ich, dass letzteres nicht der Fall sein würde, denn dann könnte sich die Suche als ziemlich schwierig erweisen.
      Dem matschigen Weg folgte ich zu den Paddock und sah bereits aus der Ferne die Dunkelfuchsstute zwischen den anderen stehen. Ein gutes Zeichen, dann würde Vriska vielleicht auch in der Nähe sein.
      Im Unterstand der Stuten fand ich sie tatsächlich. Wie ein Häufchen Elend kauerte sie auf dem Heuballen, die Augen verquollen, die Haut bereits fahl aufgrund der durchdringenden Kälte, was den dramatischen Effekt des verlaufenen Make-ups noch zu verstärken schien.
      “Hey, ich habe dich schon gesucht”, sprach ich sanft, um auf mich aufmerksam zu machen, bevor ich zu ihr auf den Ballen kletterte. Als ich wahrnahm, wie sie zitterte, legte ich ihr sofort meine Jacke um die Schulter, sie benötigte die wärmende Schicht gerade deutlich dringender, bei den wenigen Kleidungsstücke, die sie trug.
      Unverständlich murmelte Vriska, aber dann verstand ich etwas: “Was los?”
      “Du bist seit einer Stunde verschollen, ich wollte sehen, ob es dir gut geht”, brachte ich meine Besorgnis hervor.
      “Okay, danke”, schluchzte sie, wirklich gesprächig schien sie nicht, aber auch meine Jacke brachte keinen Effekt. Es tat mir wirklich in der Seele weh, sie so am Boden zu sehen. Umständlich rutschte ich noch ein Stück näher an sie heran und schloss meine Arme, um ihren zierlichen Körper in der Hoffnung ihr damit wenigstens ein wenig Trost spenden zu können. Hatte der Vorfall vorhin sie wirklich so tief getroffen oder war etwa noch etwas vorgefallen?
      “Möchtest du reden oder soll ich vielleicht irgendwen für dich holen?”, versuchte ich mich behutsam heranzutasten, wie ihr zu helfen sei, denn ehrlich gesagt war ich ein wenig ratlos. Endlich bewegte Vriska sich. Sie ließ die Hände von den Beinen ab und wechselte ihre Position, legte den Kopf auf meinem Schoß ab und nahm die Jacke als Decke.
      “Wen willst du holen? Meinen Bruder, der mir sagt, ich soll zur Therapie gehen oder Mama anrufen?”, lachte sie beinah munter im Vergleich. Mit ihren Stimmungswechseln waren Vriskas Reaktionen für mich so unvorhersehbar wie die der Tiere um uns herum, wenn man ihre Zeichen nicht zu deuten wusste, doch ich bemühte mich davon nicht aus der Fassung bringen zu lassen.
      “Mangels Kenntnis von Kontaktmöglichkeiten, würde nur erstens infrage kommen”, antworte ich auf ihre Frage, “aber offensichtlich ist das nicht erwünscht.”
      Tatsächlich drückte sie mir stumm ihr Handy in die Hand und vor mir leuchtete ein dunkler Chat auf, mit sehr vielen und vor allem kurzen Nachrichten. Irritiert wischte ich mit dem Finger über dem matten Bildschirm, im Hinterkopf, dass jederzeit ein seltsames Bild kommen könnte. Auf einmal kam Vriskas Finger dazu, der mit dem Anfang zeigte. In meinem Magen lag ein flaues Gefühl, ich konnte ihre Situation nachvollziehen, wie schlecht sie sich in der Halle gefühlt haben muss, andererseits war mir ein Fakt mehr bekannt. Sie waren einander die womöglich wichtigste Person und dann zu lesen, dass der Partner Interesse an jemand anderes hegte, verletzte zutiefst. Was er mit seinem Besuch andeuten wollte, konnte ich überhaupt nicht deuten und wüsste Vriska, dass ihr unbekannter Verehrer ihr Freund war, hätte sie vermutlich die Hälfte davon nicht geschrieben. Am Ende angekommen, bemerkte ich natürlich, dass nichts mehr von ihm kam. Sie bekam das Gerät zurück, das sofort wieder aufleuchtete, unglaublich, dass sie noch immer diese Bild als Sperrbildschirm hatte.
      „Das sind ganz schön harte Worte. Tut mir leid, dass er dich so wegstößt“, wählte ich meine Worte mit bedacht. Unsicherheit und ein schlechtes Gewissen überkamen mich darüber, ob es eine gute Idee gewesen war, sie so lange im Ungewissen zu lassen, wer ihr Unbekannter wirklich war. Vom Flirten hatte sie das vielleicht nicht abgehalten, aber sicherlich hätte es beide davor bewahren können, verletzt zu werden. Doch jetzt war es zu spät, es würde sie nur noch tiefer treffen, wenn sie erfuhr, dass Erik dahintersteckte.
      Stillsaßen wir zusammen auf dem Ballen, nicht ein Wort verließ mehr ihren Mund, nur leichtes Schluchzen drängte zwischen Kaugeräuschen der Pferde hindurch. Noch immer war es kühl und ohne meiner Jacke kam auch ich an meine Grenzen. Vriska zitterte wie Espenlaub.
      „Was denkst du, möchtest wenigstens noch Tschüss an Lars sagen? Er wollte gleich los“, versuchte ich sie zum Aufstehen zu bewegen, nach dem Blick auf die Uhr. Außerdem kam mir zunehmend der Hunger, nach einem arbeitsreichen Tag.
      „Eher nicht“, sagte sie ziemlich in sich gekehrt.
      “Dann lass uns wenigstens nach drinnen gehen, sonst erfrierst du mir hier draußen noch”, redete ich sanft weiter auf sie ein. Wenn ich daran dachte, wie taub meine Finger bereits vor Kälte waren, wollte ich mich gar nicht erst vorstellen, wie kalt ihr sein mochte, wenn sie dies überhaupt wahrnahm.
      “Aber nur weil du es bist”, seufzte Vriska und bewegte sich in Zeitlupe von meinen Beinen herunter, die vermutlich am wärmsten waren. Schmerzlich stieß sie ein Laut aus beim Herunterklettern des Ballens, klammerte sich dabei fest an dem dünnen Netz, um nicht zu fallen. Ungeschickt tat ich es ihr gleich und war froh als ich den festen Boden wieder unter den Füßen hatte.
      Wie zwei alte Omas, die bereits von Arthritis gezeichnet waren, bewegten wir uns zu unserer kleinen Hütte. Kaum in unserem kleinen warmen Reich angekommen, ließ Vriska sich auf das Sofa plumpsen, streifte sich die Schuhe von den Füßen und wickelte sich wie ein Wrap in die flauschigen grauen Decke. Mein Weg hingegen führte geradewegs in die Küche. Mit schmerzenden Finger befüllte ich den Wasserkocher, denn bevor ich irgendetwas Weiteres tun konnte, musste etwas Warmes her.
      “Möchtest du auch einen Tee?”, rief ich Vriska zu, während ich bereits für mich eine Tasse aus dem Schrank ergriff.
      „Ich bin zwar britisch, aber bevorzuge Kaffee, egal wann“, schien sie mich erinnerten zu wollen, so gut wie nie Tee zu trinken. Stattdessen war ich so frei, die Kaffeemaschine einzuschalten, denn einen Knopf drücken, lag noch in meinen Fähigkeiten. Die Kälte schien sich regelrecht in den Fasern meiner Kleidung festgesetzt zu haben, denn die Wärme erreichte mich kaum. So nutze ich den Augenblick, indem die Geräte ihre Arbeit taten, um dem entgegenzuwirken. So warf ich, bis auf die Unterwäsche sämtliche Kleidungsschichten von mir und ersetzte diese mit einer gemütlichen Jogginghose und einem viel zu großen Pulli mit dem verwaschen Logo der Eishockey-Mannschaft in der Samu lange Zeit aktiv gewesen war. Ich liebte dieses Kleidungsstück, denn er war einfach perfekt vom Gemütlichkeitsfaktor, weshalb er einst heimlich von seinem in meinen Besitz wechselte. Na ja, genaugenommen war er nicht geklaut, sondern eher so etwas wie eine … Dauerleihgabe auf unbestimmte Zeit. Was zuallerletzt nicht fehlen durfte, waren die wunderbar flauschigen Kuschelsocken mit den niedlichen Ottern drauf.
      Gerade wieder in der Küche angekommen, verkündete der Wasserkocher mit einem leisen Pling, dass er fertig war und auch Vriska Getränkt dampfte bereits in seinem Behältnis und verströmte sein kräftiges Aroma. Laut gluckerte es in meinem Bauch und erinnere an die Leere darin.
      Mit wenigen Handgriffen war auch mein Getränk bereitet und ich balanciert die heißen Tassen hin zu Vriska, wo ich diese auf dem Tisch abstellen, bevor ich mich neben sie quetsche.
      „So, wo ich nicht mehr Gefahr laufe zu erfrieren, wie sieht es mit Essen aus?“, kam ich direkt auf das zweite Bedürfnis zu sprechen, welches gestillt werden wollte. Auf ihre Antwort wartend, nahm ich einen Schluck von der dampfenden Flüssigkeit und verbrannte mir prompt daran die Zunge. Das hatte man davon, wenn man zu gierig war.
      „Hier, such dir was aus“, sprach Vriska müde und drückte mir das Handy in die Hand, geöffnet eine herkömmliche Bestell-App. Es dauerte ein Moment, bis ich mich wieder fähig genug fühlte, die Landessprache zu verstehen. Die Auswahl war groß, beinahe zu groß, so fiel die Wahl mangels Entscheidungsfähigkeit auf eine Pizza. Im selben Moment, wie ich Vriska das Gerät bereits wieder reichen wollte, fiel mir Samu ein, der vermutlich noch da sein musste. Zumindest hatte ich keine anderweitige Information erhalten.
      „Ähm, warte kurz. Ich muss kurz Samu schreiben“, wies ich sie an und suchte hektisch mein Handy. In der Hosentasche war es nicht, auch nicht im Pulli – musste es wohl noch im Zimmer liegen. In Windeseile wuselte ich also zurück. Tatsächlich lag besagtes Gerät, begraben unter dem Klamottenhaufen, auf dem Bett.
      Auf dem Bildschirm leuchteten mir direkt eine Instagram Notifikation entgegen, die ich allerdings ignorierte. Die Prioritäten lagen jetzt eindeutig woanders.
      Mein Finger flogen nur so über die Tastatur und versendeten eine kurze, prägnante Nachricht. Kaum war diese angekommen, leuchtet bereits die blauen Haken auf und ich bekam ein okay zurück.
      Wenige Minuten später klopfte es auch schließlich an der Tür. Motiviert möglichst bald an Nahrung zu gelangen, sprang ich auf, um diese zu öffnen.
      „Oh, du bist auch noch da. Ich dachte, du wolltest schon gegangen sein?“, stellte ich fest, als ich erblickte, dass der Finne nicht allein gekommen war, „aber kommt rein.“
      Kaum hatte Lars angesetzt zu erklären, dass er seine Fähre zur Insel nicht mehr rechtzeitig bekommen hätte, erklang lautes Gerumpel hinter mir. Panisch rollte sich Vriska über die Lehne und hinterließ dabei die Decke als Spur ihrer Flucht. Unmittelbar danach fiel die Zimmertür zu und man vernahm die Zylinder einmal ins Schloss fallen. Ich zuckte nur mit den Schultern vor den irritierten Blicken der Jungs, die langsam in die Hütte eintraten. Umgehend zog Lars seine Schuhe aus, um sie zwischen der riesigen Sammlung meiner Mitbewohnerin zu verstauen. Von mir stammten nur zwei Paar, vollkommen ausreichend bei dem schmuddeligen Wetter und kaum Ausgehmöglichkeiten, nicht, dass ich darauf Lust hatte, aber so generell. Vriska schien hingegen für jede Eventualität vorbereitet.
      Ihr Handy lag noch immer entsperrt auf dem niedrigen Couchtisch, womit sich auch unsere Gäste ihre Nahrung wählten. Samu wusste noch nicht so genau, was er wollte, während es bei Lars ziemlich schnell ging. Neugierig blickte ich in die Bestellliste – Gemüsepizza. Interessant.
      Eine andere Vriska kam aus dem Zimmer heraus. Die Hose gewechselt zu einer sehr engen dunklen Jogginghose und darüber ein bauchfreies Shirt, das eher aussah, als stammte es aus der Kinderabteilung von H&M. Es war der Schnitt und nicht das Motiv, was mich irritierte. Die Schminke war komplett entfernt, wodurch ihre Augenringe deutlich hervorstachen und Augen noch rot verfärbt vom Weinen.
      Nicht nur ich sah mir ihre Verwandlung genau an, sondern auch der junge Mann neben mir, der auf dem Sofa Platz genommen hatte, konnte den Blick gar nicht mehr von ihr lassen. Zur gleichen Zeit kamen bedauerliche Stiche in meiner Magenregion, durchzogen von Grummeln.
      Mit gewissem Abstand setzte sie sich auch zurück auf ihren Platz, prüfte mit kurzen, aber hektischen Blicken, wie groß die Spalte zwischen ihr und Lars war. Doch er wusste geschickt, sie näher bei sich zu haben. Vriska beugte sich vor, um selbst etwas zu wählen, was mich schon ziemlich überraschte. Dabei wechselte er seine Position und saß plötzlich direkt neben ihr, den Arm locker auf der Lehne. Hätte ich die beiden im Schulalltag getroffen, wäre ich ihnen aus dem Weg gegangen. Sein Selbstbewusstsein und ihr gespieltes Mitleid waren das perfekte Beispiel für Schulmobber, die mir den Alltag erschwerten.
      Für einen Augenblick dachte ich darüber nach, sie an ihren Freund zu erinnern, der grundsätzlich noch existierte, auch, wenn er bestimmt ziemlich genervt war, entschied aber gegen schlechte Stimmung. Vriska konnte so impulsiv und aufbrausend sein, dass jeden den Abend versaute.
      Unentschlossen durchforsteten wir Netflix, klickten eine Serie an, um im nächsten Augenblick ein genervtes Stöhnen von Vriska zu hören, weil ihr etwas nicht passte. Das Problem löste sich allerdings nach kurzer Zeit von selbst auf. Immer schläfriger hing sie neben Lars, der sie zwar versuchte wachzuhalten, aber damit keine Erfolge erzielte. Stattdessen lag sie an seiner breiten Brust und schlief ein. Süß waren sie schon, mit einem bitteren Beigeschmack.
      Mit Bedauern stellte ich leere in meiner Tasse fest, dabei waren wir doch erst vor gefühlten zehn Minuten hereingekommen. Das Zeug musste sich in Luft aufgelöst haben. Wenigstens hatte es seinen Zweck erledigt, denn neben dem Gefühl in meinen Fingern, war auch die Wärme zurückgekehrt. Langsam erhob ich mich von der weichen Sitzgelegenheit und bewegte mich erneut in die Küche. Wie ich feststellte, gefolgt von Samu, der an der Theke lehnend meine Handgriffe beobachtete.
      “Du weißt schon, dass Gedankenübertragung nicht funktioniert?”, wie ich freundlich daraufhin, dass er reden sollte, wenn er etwas wollte.
      > Onko Viska kunnossa?
      “Ist mit Vriska alles in Ordnung?”, sprach er mir gesenkter Stimme. Mit zusammengezogenen Augenbrauen blickte er zum Sofa, wo sich nur schemenhaft die Umrisse der beiden im gedimmten Licht abzeichneten.
      > Ei oikeastaan, se, että Erik ei ole ollut mukana pitkään aikaan, häiritsee häntä suuresti.
      “Nicht so wirklich, dass Erik schon länger nicht mehr da war, macht ihr ganz schön zu schaffen”, entgegnete ich seufzend. Schon allein die Erwähnung ihres Freundes ließ das ungute Gefühl wachsen, welches beim Anblick der beiden aufkam.
      > Mutta ovatko he edelleen yhdessä?
      “Aber die beiden sind schon noch zusammen?”, runzelte er die Stirn. Verständlich, dass er das in Anbetracht von ihrem Verhalten infrage stellte.
      > En ole niin varma.
      “Ich bin mir nicht so sicher”, antworte ich zögerlich. Auch wenn sie offiziell mit dem Unbekannten geschrieben hatte, war es immer noch Erik, dem sie offenbarte, dass er nicht der einzige Mann war, an dem sie Interesse zeigte. Die Verletzung, die damit einherging, war aus den Worten deutlich herauszulesen gewesen und vor allem die darauffolgende Funkstille schien eindeutig zu sein.
      > Hän kertoi tuntemattomalle flirttailustaan ja tämä oli... hieman vähemmän innostunut
      “Sie hat dem Unbekannten von ihrem Flirt berichtet und der war … eher weniger begeistert”, deute ich die Geschehnisse an, was Samu auszureichen schien, zumindest stellte er keine weiteren Fragen. Auch er kannte Vriska mittlerweile gut genug, um sich erklären zu können, weshalb sie trotz oder vermutlich gerade wegen der Vorkommnisse nicht von Lars abließ.
      Mit einem tiefen seufzend entwich sämtliche Luft aus meinem Lugen. Ein Zusammenleben mit ihr würde wohl niemals einfach werden.
      > Tiedän, että haluat auttaa häntä, mutta älä unohda itseäsi
      “Ich weiß, du willst ihr helfen, aber vergiss dich dabei bitte nicht”, appellierte Samu, ganz der besorgte Freund, der er schon immer gewesen war. Er las mich wie ein Buch und manchmal glaubte ich er würde mich besser kennen, als ich es selber tat.
      Nickend nahm ich seine Sorge zur Kenntnis, doch ich hatte genug von diesem Thema. Aktuell konnte ich die Situation ohnehin nicht ändern.
      Mit einem frischen Tee ließ ich mich wieder vor dem TV nieder. Angelehnt an die Schulter meines besten Freundes, ließ ich mich von den bewegten Bildern berieseln.
      Je spannender die Ermittlung um einen Amoklauf wurde, umso mehr vergaß ich die Anwesenheit von Vriska und Lars, womit auch das mulmige Gefühl diesbezüglich in den Hintergrund rückte. Das Gluckern und Gurgel in meinem Bauch hingegen tat das Gegenteil. Ungeduldig angelte ich nach Vriskas Handy, das konnte doch nicht so lange dauern. Oder lieferten die, die Pizza direkt aus Italien? Eigentlich wollte ich nur in die Lieferapp, doch unmittelbar auf dem Sperrbildschirm leuchten zahlreiche Push-Benachrichtigungen auf. Eigentlich wollte ich nicht neugierig sein, doch als ich Eriks Namen lass konnte ich nicht anders als darauf zu tippen. Sechs ungelesen Nachrichten erschienen, allesamt eingetroffen ab dem Zeitpunkt, ab dem Lars auf dem Hof war. Bereits nach den ersten beiden Nachrichten konnte ich deutlich herauslesen, dass Erik sich Sorgen machte, da Vriska sich nicht meldete. Da war es wieder, das beklemmende Gefühl in der Brust. Es war nicht richtig, ihre Nachrichten zu lesen, auch wenn sie den Schutz ihrer Privatsphäre nicht allzu wichtig nehmen zu schien. Schnell wischte ich die Nachrichten hinfort und wurde auf dem Homescreen von Maxou begrüßt. Ein niedliches Bild hatte sie ausgewählt, doch mein Begehren lag gerade wo anderes. Intuitiv strich ich von unten nach oben und glücklicherweise tauchte wie gewohnt der Task-Manager auf, in dem ich auch sogleich die Lieferapp entdeckte. Zehn Minuten, lautete die Auskunft. Viel zu lange, bis dahin war ich sicherlich längst verhungert.
      “Lina, du weißt aber schon, dass das nicht schneller geht nur, weil du alles fünf Sekunden nachsiehst?”, amüsierte sich der Kerl zu meiner Rechten, nachdem, ich das Gerät bestimmt zum zwanzigsten Mal entsperrte.
      “Aber ich habe doch so Hunger”, jammerte ich kläglich und stellte fest, dass sich die Anzeige in den letzten acht Minuten kein Stück verändert hatte, “Ich glaube, die blöde App ist kaputt.”
      “Gib mal her”, nahm Lars mir das Gerät aus den Händen. Kurz tippte er darauf herum, dann schüttelte er den Kopf: “Alles normal”
      “Manno”, grummelte ich, doch mir fehlte so langsam auch die Geduld, um stillzusitzen. Wie ein hungriges Raubtier tigerte ich zwischen Couch und Küche hin und her, umrundete den Küchentisch und wieder zurück.
      “Weißt du, dass du ziemlich nervig bist, wenn du hungrig wirst?”, merkte Samu an. Ganz klar eine Aufforderung, mich wieder zusetzten.
      “Aber Samuuuu”, quengelte ich, ließ mich dennoch widerstrebend wieder auf der Sofa kante nieder, breit in Sekundenschnelle an der Tür zu sein. Meine Augen klebten förmlich an der Türklinke, als sei ich ein einsamer Hund, der auf seinen Besitzer wartete.
      Mich von dem Tor der Begierde zu lösen, fiel bereits leichter, als die Ermittlungen in der Serie neue Facetten ans Tageslicht brachten. Samu kommentierte das Ganze mit Nachfragen, einzig allein, damit ich nicht zur Tür sah. Es würde jeden Augenblick klingeln, sagte eine Stimme in meinem Hinterkopf, wodurch sich das rechte Bein kurz anspannte, als würde ich in Rekordzeit losspringen. Dafür hörte ich Vriska neben uns wachwerden, leise murmelte sie vor sich hin. Lars, der sichtlich unzufrieden von ihrer Liegeposition war, atmete erleichtert aus als sie sich geraderichtete. Dann geschah, was passieren musste. Unüberlegt saß sie auf seinem Schoß und drückte einfach ihre Lippen auf seine. Mir stach es in der Magenregion, das passierte nicht wirklich, oder? Noch mehr überraschte mich, dass Lars seine Hände fest ihren Unterrücken hielt und auf sich bewegte. Im selben Moment klingelte es und ich sprang wie ein Terrier vom Korb, um die Klinke aufzureißen. Was ich dann sah, brachte mich in Atemnot.
      Niklas stand mit einer großen Tüte in der Hand vor mir, hielt diese wie eine Trophäe nach oben. Die Hitzewelle, die plötzlich über mich hereinbrach, sorgte für zusätzliche Verwirrung in meinem ohnehin schon überforderten Gehirn, sodass ich meinen Freund für einige Sekunden einfach nur anstarrte. Verdammt, sah er heiß aus, in dieser Uniform.
      „Bin ich hier richtig bei Frau Valo?”, ergriff er vollkommen ernst das Wort, als sein wir uns noch nie im Leben begegnet. Ich konnte nur stumm nicken, denn die Verbindung zum Sprachmodul, hatte meinem Hirn offenbar noch nicht wieder hergestellt. Stattdessen piepte es und eine kleine rote Lampe blickte hektisch.
      „Dann habe ich wohl eine Lieferung für sie", setzte er fort, ein frivoles Grinsen auf den Lippen. Niklas war so nah an mich herangetreten, dass kaum mehr eine Handbreit Luft zwischen uns war. Wunderbar leckerer Duft stieg aus der Tüte empor, vermischte sich mit Niklas eigenem zu einer betörenden Mischung. Zu dem unfassbar heftigen klopfen hinter meinem Brustbein, gesellte sich ein unsägliches ziehen in meinem Bauch, was das Denken nicht minder erschwerte.
      “Niklas … du … hier?”, stolperten Worte über meine Lippen, die eigentlich ein ganzer Satz werden wollten. Die Verbindungen meines Sprachzentrums schienen einen gewaltigen Hitzeschaden erlitten zu haben, durch sein erscheinen.
      “Eure Lieferung landete im Streifenwagen”, grinste er für einen Augenblick, bevor sich seine Miene verfinsterte. “Es ist etwas mit Erik passiert.”

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 64.836 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang November 2020}
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    6 Juli 2021
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  • Rufname: Göttin
    Alter: 7 Jahre / geboren: Juli 2013

    Aktueller Standort: Lindö Dalen Stuteri, Vadstenalund [SWE]
    Unterbringung: Stutenpaddock

    –––––––––––––– a b s t a m m u n g

    Aus: Middle Ages
    MMM: Unbekannt ––––– MM: Unbekannt ––––– MMV: Unbekannt

    MVM: Unbekannt ––––– MV: Unbekannt ––––– MVV: Unbekannt

    Von: Attila
    VMM: Unbekannt ––––– VM: Unbekannt ––––– VMV: Unbekannt

    VVM: Unbekannt ––––– VV: Unbekannt ––––– VVV: Unbekannt

    –––––––––––––– b e s c h r e i b u n g

    Geschlecht: Stute
    Rasse: Standardbred [STB]
    Farbe: Dunkelfuchs
    Abzeichen: Blesse
    Stockmaß: 160 cm

    Charakter:
    Die Anpaarung zweier erstklassiger Rennpferde bringt nicht nur ein
    feinfühliges aufbrausendes Pferd heraus, sondern auch ein treues Tier.
    Die Göttin braucht einen konsequenten aber sensiblen
    Reiter, der ihre Bedürfnisse im Auge behält.
    Auf der Rennbahn schaltet die Stute ihr Hirn ab. Nichts und
    Niemand kann sie bremsen. Sie versinkt in ihrer eigenen
    Welt und den Blick nach vorne gerichtet. Das macht Göttin
    zu einem zuverlässigen und ausdauernden Rennpferd.

    –––––––––––––– g e s u n d h e i t

    Gesamteindruck: gesund, im Training
    Krankheiten: keine
    Beschlag: Falzeisen [Stahl], Voll

    –––––––––––––– z u c h t
    Stand: 28.01.2022


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    Gencode: ee aa FF
    Herkunft: Atomics Valley, Brandenburg [DE]
    Züchter: Tyrell Earle

    Zuchtzulassung: Ja
    Leihmutterschaft: Ja [400 Joellen]

    Gesamtnote: 7,22
    Breeders Crown: -
    Anzahl der Gänge: 5

    Nachkommen:
    3 / 5

    Harlem Shake LDS [*15] v. Vintage
    Schleudergang LDS [*15] v. Waschprogramm
    Heldentum LDS [*18] v. Wunderkind

    [​IMG]
    SK 476

    –––––––––––––– l e i s t u n g

    [​IMG] [​IMG] [​IMG]

    Military E [M]
    –––––
    Starts 10

    Platzierung 1/1/0

    Gangreiten E [E]
    –––––
    Starts 12

    Platzierung 1/1/2

    Distanz E [L]
    –––––
    Starts 13

    Platzierung 1/2/0

    Dressur M [M] – Fahren E [L] – Springen E [M] – Rennen L [M] – Western [-]

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    November 22
    Schnellfahren, Rennen A zu L

    –––––

    Gewinnsumme: Unbekannt
    Niveau: National

    –––––––––––––– s o n s t i g e s

    Ersteller: Mohikanerin
    VKR: Mohikanerin
    Bezugsperson: Tyrell Earle
    Besitzer: Tyrell Earle
    Letzte Pflege: 29.12.2021


    –––––

    Passwort zur Website lautet: joelle
    Website – Spind – Hintergrund