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Mohikanerin

Friedensstifter [4]

Zeit: ‎28.01.‎2020 - 03.03.2023 // Grund: Verkauf als Freizeitpferd

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Friedensstifter [4]
Mohikanerin, 3 März 2023
    • Mohikanerin
      Trabertag | 02. April 2020

      Wunderkind | Vintage | Outer Space | Alfred’s Nobelpreis | Lu’lu’a
      Schneesturm | Friedensstifter | Bree | Nachtschatten | Lotti Boulevard


      Seit einigen Tagen bin ich nun auf dem Atomics Valley und habe mich langsam schon eingelebt. Heute bin ich allein für die Versorgung der Traber eingeteilt und stehe deswegen schon ziemlich früh auf. Hedda schläft noch und das ist auch gut so. Leise versuche ich mir einen Kaffee zu machen und ein leichtes Frühstück zu mir zu nehmen. Es gibt Jogurt mit Müsli und einigen Früchten aus dem Tiefkühler.
      Gestärkt beginne ich den Arbeitstag. Anfangen werde ich bei den Hengsten. Wunder, Vini, Alfi, Nobel und Lu’lu’a bekommen als erstes die Decken ab, die sie Nachts noch tragen, weil es ziemlich windig und kalt ist. Die Männer sind aber nicht wirklich so begeistert dann in die Box zu gehen, deswegen haben Tyrell und Vriska entschieden, dass sie eine Decke tragen. Danach sperre ich die Jungs erst mal aus, damit ich in Ruhe ihre 5 Boxen sauber machen kann. Besonders Wunder ist immer sehr interessiert daran, was man mit seinen Fäkalien macht und guckt die ganze Zeit gespannt über die Tür. Die Außentüren der Boxen sind zweigeteilt, damit die Pferde, sollten sie mal in der Box eingesperrt werden müssen, den Kopf nach draußen stecken können. In dem Fall dann natürlich auch rein zu mir, wie ich Arbeite. Für jede Box brauche ich ungefähr 20 Minuten und eine Tour zum Mistwagen. Die Hengste stehen auf Sägespänen vom örtlichen Sägewerk. Somit kann alles wiederverwendet werden. Unser Mist wird von der Industrie abgeholt und zu LPG Gas umgewandelt. Damit bekommen wir unseren Strom und Warmwasser. Also ein kleines Autarkes System wurde hier örtlich aufgebaut. Doch zurück zu den Pferden. Nun lasse ich die Boxen erstmal etwas lüften und fahre mit der Schubkarre die ziemlich matschigen Ausläufe der Hengste ab und die dort gelandeten Häufchen zu entfernen. Dann kann ich auf dem Stutenpaddock weiter machen. Dort fahre ich allerdings zusammen mit Vriska den kleinen Trecker. Ich fahre und sie sammelt die Haufen auf. In kürzester Zeit sind wir fertig. Die großen Paddocks verfügen über einen Gang, in dem wir laufen können, ohne den Paddock zu betreten. Dort sind Stangen, durch die die Pferde ihre Köpfe strecken und an das Heu kommen. Aus hygienischen Gründen ziehen wir zuvor unsere Schuhe aus und steigen in Latschen, die wir uns vorher aus dem Aufenthaltsraum geholt haben. Wir möchten ja auch, dass unser Essen sauber zubereitet wird. Zumal es ziemlich gefährlich ist, wenn Sand im Magen der Pferde landen. Am Ende des Ganges stehen Heuballen, die für den Anfang noch gekauft wurden, später wird selbst angebaut und geerntet. Wir versuchen auf dem Hof so viel selbst zu machen wie möglich, um unsere Vorschriften mit dem Zertifikat zu bekommen. Dafür muss der Hof mindestens ein Jahr auf Bio Richtlinien geführt werden, was auch jetzt am Anfang schon regelmäßig geprüft werden. Natürlich ziehen wir dann andere feste Schuhe an und keine Schlappen, weil das nicht der Arbeitsschutzrichtlinie entspricht. Auch die Stuten haben nun Futter bekommen und die Boxen der Hengste habe ich wieder mit Späne aufgefüllt. Die Portion Heu haben sie zum Frühstück auch bekommen, sowie die Schaufel Kraftfutter, die sie im Moment noch genießen können.
      Um 10:30 Uhr treffen wir uns zum täglichen Frühstück und auch Hedda ist nun aufgestanden und gemütlich essen wir die frischgebackenen Brötchen, die uns der Bäcker aus dem nächsten Ort täglich liefert. Ein angenehmes Leben ist es auf dem Hof, auch wenn noch alles neu für mich ist und alles sehr familiär wirkt. Viel spreche ich mit den Leuten nicht, da es mir noch sehr unangenehm ist, aber das legt sich hoffentlich in nächster Zeit.
      Gut gestärkt beginnt nun die nächste Runde. Einige von den Trabern laufen noch aktiv Rennen und müssen dementsprechend trainiert werden, besonders die Hengste laufen noch gut. Was besonders neu für mich ist, dass diese Traber keine Trabrennen laufen, sondern hauptsächlich Passrennen. Wirklich verbreitet ist das in Amerika, Kanada und Neuseeland. Hier in Schweden gewinnen diese allerdings auch immer mehr an Beliebtheit. Tyrell hat mir erzählt, dass aber einige von den Pferden auch ziemlich hohe Geschwindigkeiten im Trab erreichen, weswegen ich besonders aufmerksam sein muss.
      Als erstes nehme ich Wunderkind an den Sulky. Entspannt hole ich ihn aus seiner Box und putze ihn. Um es mir einfacher zu machen binde ich in beidseitig an um dann auch den Sulky anhängen zu können. Im Vergleich zu den Sportpferden sind die Pferde auf diesem Hof so viel entspannter und auch freundlicher. Hier haben die Pferde viel mehr Auslauf und bringen ihre Leistung nicht durch Zwang, sondern durch gezieltes Training. Was ich bisher weiß ist, dass bis auf Wunderkind auch alle Hengste geritten sind. Nur Lulu ist noch völlig roh, der wurde vor kurzem von der Fohlenweide geholt. Die Arbeit mit ihm wird erst mal Vriska starten, da sie mit dem Hengst erst mal vom Sattel aus trainieren möchte und er erst später an den Sulky soll. Ich finde beachtlich, wie sehr dieser Hof auf das Wohlbefinden der Pferde achtet. Mit Wunderkind fahre ich erst mal zur Trainingsbahn und mache dort ein leichtes Intervalltraining für den Anfang, danach kommt er noch für einige Minuten in den Aquatrainer.
      Als ich mit dem ersten Hengst fertig bin, hole ich Vintage und Alfi. Die beiden kommen in die Führanlage. Dann nehme ich mit Nobel zur Hand, auch mit ihm werde ich ein leichtes Intervalltraining für den Anfang machen. Dafür binde ich ihn wie Wunder doppelseitig an und putze ihn ausgiebig. Dann lege ich ihn den Gurt um und alles andere. Er bekommt kein Overhead um, weil er wohl genug Balance von selbst mitbringt. Das werde ich heute überprüfen. Mit etwas stress fahren wir vom Hof, da Nobel offenbar den Trecker nicht so gut findet mit dem Tyrell gerade die Heuballen rangiert. Nach einigen Metern habe ich den Fuchs wieder unter Kontrolle und fahre im Schritt ebenfalls zur Trainingsbahn. An den kleinen Büschen auf dem Weg sind schon Knospen und überall hört man Vögel. Die Ruhe auf dem Hof genieße ich sehr und freue mich jetzt schon auf die weitere Zusammenarbeit.
      Auf dem Trainingsbahn macht sich Nobel gut und zeigt auch schon im Intervalltraining viel Power. Die nächste Saison kann für ihn kommen. Vriska hat derweil schon Vintage und Alfi aus der Führanlage geholt und zurück gestellt auf die Paddock Box.
      “Und lief er gut?”, erkundigt sich Vriska freundlich. Ich nicke nur und steige vom Sulky.
      “Anfangs hat er ziemlich angezogen und wollte immer schneller als er sollte.”, erzähle ich ihr dann und mache nebenbei den Hengst wieder fertig für die Box.
      Der Tag vergeht schneller als ich dachte und nur noch mit Schnee und der Schwarzen schaffe ich ein Intervalltraining auf der Rennbahn. Vriska hat derweil Lotti und Bree in der Führanlage gehabt. Lu wurde von ihr das erste mal longiert und so geht der Tag zu ende. Gemeinsam setzen wir uns um 20 Uhr noch in den Aufenthaltsraum und reden darüber was heute gemacht wurde und was wir geschafft haben.

      © Mohikanerin // Folke Wallström // 6923 Zeichen
      zeitliche Einordnung {April 2020}
    • Mohikanerin
      Midsommerfest | 17. Februar 2021

      Alfred’s Nobelpreis | Outer Space | Friedensstifter | Vintage | Wunderkind | Rainbeth | Schneesturm | Fly me to the Moon | Lotti Boulevard | Nachtschatten | Lu’lu’a
      Willa | Krít | Middle Ages | Bree | Þögn


      Während Vriska sich ihre Zeit in Kanada vertreibt, geht das Leben am Hof in Schweden natürlich weiter. Da mein Chef aktuell keine genauen Anweisung bezüglich der Pferde gegeben hat, sondern wir anhand des Wetters agieren sollen. Wie jeder Morgen beginnt der Tag um 5:30 Uhr, Hedda schläft noch. Als erstes werden alle Pferde mit Heu versorgt. Bei den Stutenpaddocks schiebe ich einen neuen Ballen in den Gang und verteile es an den Stangen. Neugierige Blicke gucken mich an und beginnen am Futter zu knuspern. Im Hengststall hingegen kommt mir nervöses Gewiehre entgegen. Nobel macht Terror und scheint seinen Kumpel Alfi in die Schranken weist. Als ich dazu gehe, hört er auf.
      “Nochmal glück gehabt”, sage ich zu ihm und streiche über seine Stirn. Dann schiebe ich das Heu die Box und mache mit der Fütterung der anderen Pferde weiter.
      Als die Pferde sind, begebe ich mich zum Mitarbeiterraum und unterhalte mich mit den Anderen, wer was heute machen möchte.
      Ein Name auf der Pferdeliste fällt mir besonders auf - Friedensstifter. Die Gute steht seit fast einem Jahr bei uns und hatte nun genug Zeit sich einzugewöhnen. Sie kennt bereits das Gebiss und war schon etliche Male in der Führanlage, ab und an auch mal mit dem Sattel. Doch damit ist nun schluss. Noch sind 18 Grad Celsius, sodass wir auf den Reitplatz gehen können. Vorher muss ich sie allerdings erst einmal holen. Dafür suche ich in der Sattelkammer nach ihrem Halfter, was jedoch nicht die leichteste Aufgabe ist bei der Unordnung. Ich sollte mal aufräumen, murmle ich vor mich her und werde fündig. Tyrell hatte für den Scherz der Stute ein pinkes Halfter bestellt, dass noch immer aussieht wie neu, natürlich. Gelassen folgt mir die Stute an den Anbinder, der sich nicht weit vom Paddock befindet, dort putze ich sie entspannt und lege ihr den Longiergurt um, zur Hilfe hole ich das Kappzaum sowie die Doppellonge. Das wird heute etwas neues für sie. Als erstes befestige ich einen Teil der Doppellonge am mittleren Ring des Kappzaums und den anderen behalte ich in der Hand, um sie erst mal etwas warm laufen zu lassen. Fried haben wir über meinen alten Arbeitgeber übernommen, der in ihr nicht das Potential als Rennpferd gesehen. Doch wir sehen in der aufmerksamen Stute einen guten Freund, der vermutlich in der Dresser gute Chancen hat. Eigentlich wollte Vriska mit ihr arbeiten, jedoch erscheint das mir schwierig, wenn sie nicht da ist. Bei dem ersten Trab des heutigen Tages, merke ich, dass sie auf der linken Hand deutliche Probleme hat, unter zu treten.
      Nachdem ich durch einige Übungen sie elastischer machen konnte, scheint aber noch immer nicht alles gut zu sein. Das Training mit beiden Teilen der Doppellonge empfand sie am Anfang als komisch, hatte sich jedoch nach einigen Runden an die beiden Schnüre gewöhnt. Am Anbinder untersuche ich vorsichtig ihren Rücken und auch die Rippen, sowie die Muskulatur der Hinterhand. Ich bemerke, dass sie rechts an den Flanken eine Beule hat, die aber nicht neu sein zu scheint. Wenn ich Fried an der Stelle berühre, dreht sie sich hektisch beiseite. Es scheint ihr sogar weh zu tun, da könnte ich mich auch nicht richtig Biegen. Ich entscheide sie morgen nochmal genauer zu untersuchen. Sie bekommt noch etwas Schwarzhafer mit Vitamin E Zusatz.
      Ich gucke auf die Uhr, es ist mittlerweile schon 9 Uhr und langsam wird es wärmer, deswegen entscheide ich mich dazu, mir Hedda zu schnappen und einmal raus zu fahren, um die Zuchtstuten zu kontrollieren, bei der Bree, Willa, Krít und Middle Ages trächtig sind für 2021. Þögn hat leider nicht aufgenommen, dennoch wollte Bruce, dass sie hier bleibt und eventuell von Glymur nochmal gedeckt wird. Neugierig kommen die Stuten zum Zaun getrabt. “Na Mädls”, begrüße ich die Stuten und werfe einige Stückchen Möhren auf die Weide. Gespannt laufen alle zu einem und genießen die kleine Leckerei. Hedda klettern bereits auf die Weide und läuft zu den Ponys. Sie beginnt schon mit der Untersuchung an Willa, während ich mich erstmal mit Bree beschäftige, die Vorn etwas lahm erscheint. An der Sehne ist eine Schwellung, die durch einen Tritt gekommen sein wird. Vorsichtig taste ich ihre Fessel ab, bis auf die kleine Schwellung kann ich nicht sehen. Ich werde das beobachten. Bei den anderen Pferden erscheint alles gut zu sein, auch unsere neue Stute Middle Ages macht sich gut in der Gruppe.
      Den Tag über kann ich nicht viel machen, widme mich also der chaotischen Sattelkammer der Stute. Meine Schwester hilft mir dabei. Als erstes räumen wir alles geordnet vor die Kammer und Hedda putzt das Sattelzeug, während ich die Kammer ausfege und die Schrauben erneuere, die etwas locker in der Wand hängen. Tyrell und kommt zu uns, um etwas Wasser zu bringen.
      Am Abend entscheide ich mich dafür, Vintage in den Aquatrainer zu stellen. Alfi, Nobel und Wunder können sich etwas in der Führanlage auspowern. Die drei Hengste sind im Moment besonders energiegeladen, sodass wir nicht mit ihnen unter dem Sattel arbeiten können. Besonders Alfi, der sonst immer sehr lieb ist, verhält sich garstig, sobald er den Sattel sieht. Während die Hengste beschäftigt sind, Hedda auf Vintage im Aquqtrainer aufpasst, beginne ich die Stuten auf die Weide zu bringen. Ich hole Betti, Schnee und Fried als erstes, um sie auf die Weide zu bringen. Aktuell stehen die Stuten auf der Weide neben der Bugalows, so kann ich aus meinem Küchenfenster gucken und die Pferde beobachten. Nächste Wochen kommen sie auf die Weide daneben, weil an den ersten Stellen schon die Grasnarbe angegriffen ist. Im Trab rennen die Stuten los und scheinen sich ersichtlich zu freuen, dass sie auf der Weide sind. Der letzte Schwung ist Lotti, Nacht und Flyma, die bereits nervös auf und ab laufen am Zaun. Ich legen auch den Dreien ein Halfter um und laufe zur Weide. Immer wieder möchte Nachtschatten antraben und macht es mir nicht unbedingt leicht, alle entspannt raus zu bringen. Immer wieder bleibe ich mit ihr stehen, damit sie gebremst wird. Auf den letzten Metern ist sie gelassen und wie auch die anderen Pferde, traben sie erleichtert auf der Weide. Kurz gucke ich noch, ob es Spannungen gibt, was nicht der Fall ist.
      Also nehme ich die Hengste, die nun noch auf ihre Weiden können. Vintage steht schon auf seiner Weide, weil Hedda ihn dort bereits dort hingebracht hat. So nehme ich mir als nächstes Wunderkind, Nobel und Alfi, die seperat gestellt werden. Nun stehen auch die vier Hengste draußen.

      Fortsetzung folgt ...

      © Mohikanerin // Folke Wallström // 6440 Zeichen
      zeitliche Einordnung {August 2020}
    • Mohikanerin
      a u g u s t 2 0 2 0 | 06. Juli 2021

      Kölski von Atomic // Lundi LDS // CHH‘ Death Sentence // Ruvik // Girlie // Liv efter Detta LDS // Middle Ages // HMJ Holy // Outer Space // Krít // Architekkt // Fly me to the Moon // Nachtschatten // Raleigh // Rainbeth // Lu‘lu‘a // Friedensstifter // Alfred’s Nobelpreis

      Folke
      „Das kann nicht weitergehen, er sein viel zu dünn“, versuchte ich mit meinem gebrochenen Deutsch Tyrell am Telefon zu erklären. Kölski, der kleinste der beiden Zwillinge machte sich nicht gut in der Herde und im Gegensatz zu seiner Schwester entwickelte er sich langsam. Ungeschickt torkelte der langbeinige Hengst herum, begleitet von einem Zittern am ganzen Körper. Das konnte ich mir nicht weiter mit ansehen. Krít kümmerte sich nicht um ihn, deswegen nahm ich ihn in meine Arme und legte Kölski behutsam in den Kofferraum. Einige Decken schützten ihn. Mit seinen 4 Monaten wäre er noch auf seiner Mutter angewiesen, aber der Kleine stand die meiste Zeit abseits der Herde und zupfte nur selten am Gras herum. Auch die anderen Fohlen und nahmen Abstand von ihm. Am Hof lud ich Kölski aus und stellte ihn erst mal in eine Box, bevor ich überlegte, wie es weitergehen würde. Tyrell kam auch dazu.
      „Wir sollten Middy und Lundi ebenfalls hochholen. Ich habe schon einige Male beobachtet, dass sie ihn gesäugt hat“, erzählte er mir, während wir den Kleinen in der Box beobachteten. Regungslos stand er da, seine Ohren legte Kölski leicht an. Sein Kopf senkte sich.
      „Hänger oder führen?“, fragte ich kurz.
      „Führe sie ruhig. Middle könnte dann mit zur Zuchtschau in der nächsten Woche“, erklärte mein Chef und ich lief zur Sattelkammer. Middle Ages Kopf war schmal und zugleich sehr lang. Ein passendes Halfter für sie zu finden, stellte sich als nicht so leicht heraus. Ihr Fohlen Lundi würde ihr folgen, somit benötigte er keins.
      „Vart ska du?“, fragte Hedda, als ich mich auf den Weg machte.
      „Jag får in Middy i stallet”, fasste ich mich kurz. Meine Schwester folgte mir und erzählte davon, was sie bereits mit Holy und Eorann heute tat. Die Drei machten zusammen gute Fortschritte und Hedda hatte sich im Laden schon einen Sattel ausgesucht. Unsere Sattlerin war bereits da zum Maße nehmen und wir warteten auf ihr Kunstwerk. Natürlich konnte Hedda sich auch nicht mit der Standardausführung beglücken, sondern die nähte sollten pink sein. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte meine Schwester auch noch eine Verzierung im Leder gewollt und ihre Initialen. Mein Geldbeutel bot das nicht an. Die farbigen Nähte machte meine Schwester jedoch glücklich genug.
      “Middy. Kom nu!”, rief ich laut über die Weide. Einige Köpfe erhoben sich und im Schritt lief die Rappscheckstute zu uns. Ihr Fohlen folgte.
      “Varför täckte ingen av travare dem?”, fragte Hedda neugierig, als ich der Stute das Halfter umlegte.
      “Så … Alfi har täckt Middy för 2021”, klärte ich sie auf. Der Hengst stand die vergangenen zwei Monate bei einigen Stuten und die bisherigen Untersuchungen zeigten, dass alle aufgenommen hatte. Somit trug nun auch Middy einen kleinen Alfi in sich. Meine Schwester interessierte sich sehr für die Pferdezucht, stellte viele Fragen und ließ sich mit kurzen Antworten nicht beeindrucken, sondern wollte es haargenau erklärt haben. Bei einigen ihrer Fragen strauchelte ich und brauchte Bedenkzeit, denn allwissend war ich auf keinen Fall. Nur froh, dass ich die Prüfung zum Pferdewirt bestand. Damals.
      Hedda öffnete die Boxentür und der kleine Kölski spitze aufmerksam die Ohren als Lundi voran diese betrat. Middy wendete ich, bevor ich das Halfter entfernte. Direkt lief der Hengst an das Euter der Stute. Sie legte kurz die Ohren zurück, denn Kölski drückte kräftig mit seinem Kopf in ihr Gesäuge. Das Problem hatte sich wie durch ein Wunder in Luft aufgelöst. Zusammen mit meiner Schwester lief ich zum Büro von Tyrell, dass sich ebenfalls in unseren Hallenkomplex befand. Der Haufen aus Blättern wurde täglich größer oder chaotischer. Schwer zu sagen, denn überall lagen Papiere herum. Vielleicht von beidem etwas. Zwischen losen weißen Blättern entdeckte ich Pässe der Pferde und den ein oder anderen Ordner, der eigentlich in das Regal hinter ihm hinein gehörte.
      „Vielleicht wir brauchen Hilfe im Büro“, schlug ich vor. Tyrell hob seinen Kopf. Augenränder untermalten seine geröteten Augen. Er kniff sie ein Stück zusammen, bevor eine Antwort seinen Mund verließ: “Damit hast du vollkommen recht. Kennst du jemanden?” Ich kannte viele Leute aber eine Bürokraft? Darüber müsste ich zunächst nachdenken.
      “Muss ich fragen”, stellte ich klar.
      “Aber wieso seid ihr denn hier?” Tyrell lehnte sich in seinem großen Chefsessel zurück.
      „Middy lässt Kölski trinken. Auch Lundi hat kein Problem damit“, erzählte Hedda, die besser Deutsch sprach als ich.
      „Das ist schön zu hören. Sonst noch was?“ Seine Stimme klang genervt. Müde. Die Nacht war wohl ziemlich kurz. Als wir das Büro verließen, rief er uns noch etwas nach.
      „Ach Folke. Warte mal.“ Ich drehte mich um und schaute vom Türrahmen aus zu ihm. „Könntet ihr noch das Zimmer für Lina fertig machen? Außerdem müsstest du noch mit der Dame telefonieren von der Rennbahn. Ihr Englisch ist nicht wirklich gut“, erklärte Tyrell. Ich nickte und Hedda blickte mich erwartungsvoll an.
      “Vilken kvinna från tävlingsbanan menade han?”, erkundigte sie sich.
      “Du behöver inte alltid veta allt, men i morgon kommer din otålighet att vara nöjd.” Ein herzliches Lachen meinerseits ertönte. Hedda konnte sehr ungeduldig sein, vor allem wenn es etwas wie Geheimnisse vor ihr gab.
      “Säg det nu!” Sie protestierte lautstark und verschränkte die Arme. Ich ging auf ihr kindisches Verhalten nicht weiter ein, stattdessen blickte ich zur Uhr. Demnächst wird es dunkel und in ein paar Tagen kommt Vriska zurück mit unserer Neuen. Als das Horse Makeover startete, hatte sie schon mal gesehen, dort wechselten wir nur wenige Worte miteinander. Doch freute mich auf mehr Unterstützung, obwohl die Menge an Pferden am Hof stark abgenommen hat, seitdem die meisten Stuten auf den Zuchtweiden standen.
      „Det är tråkigt. Jag går till fåren”, sagte Hedda und verließ das Zimmer. Noch nicht lange standen die Schafe am Hof, die zur staatlichen Förderung notwendig waren und sich ebenfalls hervorragend machten zur Fellproduktion. Bisher hatte Vriska Wolle bestellt, um Filzpads herstellen zu lassen. Der Blick aus der großen Fensterfront weckte alte Erinnerungen, in den Hedda deutlich jünger war und doch so wissbegierig wie heute. Sie spielte auf einer der Wiesen an der Rennbahn, während ich einen der wirklich bekloppten Traber fuhr. Der Sohn meines Chefs hatte Spaß daran mich leiden zu sehen. So gab er die wirklich schwierigen Fälle an mich weiter, um auf den Rennen glänzen zu können. Seltsamerweise mochte ich Henne dennoch sehr gern, eine Zeit lang vermute ich, ihn zu sehr zu mögen. Der Gedanke verschwand wieder. Einiges kam hoch seit seinem Besuch im letzten Monat.
      „Folke? Är du här?“ Eorann stampfte die Holzstufen hoch und die Dielen der Terrasse knarrten.
      „Jaaaaa“, rief ich aus der Wohnung und schüttelte das Kissen aus. Das Bett war somit bezogen, der Staub gewischt und nur noch Handtücher fehlten, die Lina sich bei der Ankunft selbst aussuchen durfte.
      „Tyrell har en dålig tag till idag, va?”, stupste mich die rothaarige an.
      „Om du säger så.” Mein Eindruck war ein anderer. Natürlich überkam es ihn nicht mit größter Freunde aber lauter wurde er mir gegenüber heute nicht. Generell hatte Tyrell sich in den vergangenen Tagen deutlich besser unter Kontrolle. Seine täglichen Wutausbrüche wurden immer mehr zu einer Seltenheit und er setzte vieles daran, die Teamfähigkeit zu verbessern.
      „Henne ringde och frågade om du kunde gå till stuteri den här veckan”, erklärte sie und drückte mir mein Handy in die Hand. Henne schickte mir vorher einige Nachrichten, dass er dringend mit mir sprechen müsste und es eine Art Problem gäbe. Es schien wirklich wichtig zu sein, denn normalerweise wartete er meine Antworten ab, bevor er mich anrief. Telefonieren war keine seiner Stärken.
      „Tack“, fasste ich mich kurz und formulierte sogleich eine Antwort an ihm. Eorann stand wie angewurzelt vor mir, machte keine Anstalten zu verschwinden.
      „Får jag stanna hos dig idag?”, rückte sie endlich heraus nach einigen Minuten.
      „Javisst”, antwortete ich und lief an ihr vorbei, die Treppe herunter, um die verbleibenden Pferde am Stall auf die Weiden zu bringen. Frost, der sonst das einfachste Pferd im Umgang war, zappelte besonders herum. Noch nicht lange stand er oben Hof, denn der Hengst entwickelte sich langsam. Rassenuntypisch war er rechteckig und wurde immer länger im Rumpf, statt seiner Beine. Nach einer tiefen Durchleuchtung seiner Knochen und vor allem Gelenke zeigte sich, dass Frost ein gesunder junger Hengst war. Frost stand zusammen mit Mask und Walki auf der Weide. Im Stall teilten sich die beiden jüngeren eine Box. Tyrell plante noch, ob Walki dieses Jahr erneut decken durfte die übrigen Stuten. 2019 wurden bereits zwei wunderschöne Nachkommen geboren, die auf den Fohlenschauen gut platziert wurden. Uns alle machte diese Entwicklung der Zucht stolz. Keiner rechnete damit, dass die Fohlen neben den Gebäudenoten auch im Gang noch besser abschnitten. Von den Stuten zeigte sich Mill vielversprechend. Sie sprudelte vor Energie und verbracht enorme Zeit damit, im Pass entlang des Zaunes zu rennen. Die anderen Stuten schauten nur zu ihr und machten keine Anstalten sie einzuholen. Wenn es nach mir gegangen wäre, würde sie bereits am Sulky laufen und im Herbst auf der Rennbahn die Abschlussrennen mitlaufen. Doch Tyrell weigerte sich vehement dagegen, denn junge Pferde in dem frühen Alter schon zu fahren, wäre nicht förderlich. Außerdem überlegte er, sie dieses Jahr erneut zu einem der Hengste zu stellen, da Hell Vetica eine wirklich tolle Stute war. Nur deswegen standen sie beide oben am Hof statt mit den anderen draußen im Wald.
      „Vart ska du?”, nervte Hedda wieder, als ich zum Auto lief. Sie kam von den Schafen wieder und sah keine Notwendigkeit darin, mir einen gewissen Freiraum zu lassen.
      „Du bryr dig inte. Eorann väntar på dig.“ Ihre Widerworte ignorierte ich und stieg in das Fahrzeug. Mit dem Schlüssel in der Getränkehalterung startete ich den schwarzen Geländewagen und fuhr langsam vom Parkplatz auf den Hauptweg, um zur Ausfahrt des Hofes zu gelangen. Am Wegesrand warfen die Bäume unregelmäßige Schatten auf die Straße, irritierten mein Blick. Ich war der einzige auf diesem abgelegenen Weg Richtung Kalmar.
      „Tack för att du kom så fort“, begrüßte mich Henne als ich aus dem Wagen stieg. Nach so vielen Jahren wieder auf dem Schotter zu stehen mit dem Blick zur Trainingsbahn und Weiden in ihr, machte mich nachdenklich. Den größten Teil meines Lebens verbrachte ich hier, entschied mich jedoch dafür Neues kennenzulernen und das Angebot von Tyrell war unschlagbar. Durch eine klassische Anzeige in der Wochenzeitung wurde ich aufmerksam auf das Lindö Dalen Stuteri und deren Konzept zeigte mir bessere Möglichkeiten. Natürlich arbeitete ich dort mehr, aber sie war weniger strapazierend. Ich tat es gern. Auch Hedda bekam die Möglichkeit näher an den Pferden zu sein, ohne ständige Kritik hören zu müssen. Zum Testen verbrachten wir beide meinen Urlaub auf dem Hof. Mit Tyrell hatten wir Schwierigkeiten warm zu wärmen, da seine Ansprüche ziemlich hoch waren, doch die Arbeitet mit seinen Pferden hielten meine Zweifel gering. Besonders die Hengste waren viel umgänglicher und auch die Stuten waren interessiert an dem Umgang mit mir.
      „Varför är jag här?“, fragte ich reserviert und folgte Henne sogleich in den Stall. Wir landeten vor Architekkts Box. Mit dem Hengst bin ich mein erstes Amateurrennen gefahren, als gerade mit meinem Schein begann und einige Jahre später die Pferdewirtausbildung. Der alte Hengst begleitete mich die ganze Karriere über. Als ich Archi, so nannten wir ihn immer, betrachtete, wirkte er sehr untrainiert und außer Form. Der Rücken und die Kruppe waren einfallen. Am ganzen Körper zeichneten sich seine Jahre ab, die er mit sich trug. Dabei lag das Augenmerk auf den Dellen, die die Sulkygeschirre bei ihm hinterließen. Es machte mich traurig ihn so zu sehen. Wir hatten bereits einige Nachkommen von ihm bei uns am Hof. Tyrell ließ Archi mehrfach an der Hand Stuten decken. Maskkenball, der noch immer kein Zuhause fand, entwickelte sich prächtig. Doch auch Yumyulakk, ein Zuchtfohlen aus dem vergangenen Jahr, machte seinem Vater allen Ehren. Dieses Jahr wurde Stokkholm geboren, die eine Vollschwester zu Maskki war. Alle drei zeichneten sich durch ihr besonders gleichmäßige Gebäude aus. Einen klaren Pass liegen sie ebenfalls schon.
      „Far vill att Archi slaktas, men vi ville prata med dig om det först“, begann Henne zu erzählen und strich dem Hengst sanft über den Hals. Schockiert über das Wort Schlachten, wich ich einige Schritte zurück. Ich benötigte einige Sekunden, bis ich begriff worum es sich handelte. Sie boten mir an den Hengst zu übernehmen, doch mir fehlten die Möglichkeiten dafür. Um Holy zu finanzieren, arbeitete ich bereits mehr Stunden und wenn nun noch ein Pferd dazu käme, würde ich vermutlich gar keinen Schlaf mehr finden.
      „Jag måste diskutera det här med min chef först. Hur dags måste jag fatta beslutet?“, überkam es mich diplomatisch. Meinen Stolz über diese Antwort feierte ich innerlich. Ich verzog keine Miene, um die Schwierigkeiten der Finanzierung zu überspielen.
      „Tre dagar, sen blir han upphämtad“, antwortete er locker und holte aus seiner Hosentasche ein Leckerli, das Archi sogleich verschlang.
      „Okej, då ringer jag dig“, gab ich ihm zur Kenntnis und verließ schlagartig wieder den Stall. Der Anblick des Hengstes schmerzte.

      Tyrell
      Jeder, der mich noch vor einigen Jahren mit einem Wort beschreiben hätte müssen, würde Ordnung sagen. Doch wie ich das Büro überblickte, war dieser Raum alles andere als ordentlich. Das wurde mittlerweile zum Standard, was das Zimmer betrifft. Suchen, nach einem Dokument, wurde jedes Mal zu einem noch größeren Chaos. Ich griff das erste Blatt vom Stapel. Dabei handelte es sich um die Rechnung der Tierärztin, die zur Kontrolle von Wunderkinds Beinverletzung ausgestellt wurde. In der Stallsoftware prüfte ich den Scan sowie den Zahlungsausgang. Erledigt. Somit konnte dieses Blatt im Schredder vernichtet werden. Als nächstes Griff einen Notizzettel von der letzten Woche: „Lina anmelden.“ Mist! Ich hätte in meinem Handy eintragen sollen, denn jetzt, am Samstag, war es zu Spät dafür. Am Dienstag würden die beiden landen. Ich verfasste eine Nachricht an Vriska, dass sich die Einreise etwas schwieriger Gestalten würde, doch ich das vor Ort mit den Beamten kläre. Auch erledigt, ab in den Müll mit dem Zettel.
      So verging die Zeit, bis es dunkler wurde. In Skandinavien gab es nicht die typischen Sommernächte, wie in Deutschland. Es war nicht tief schwarz, eher gedimmt. Tatsächlich hatte ich es geschafft, dass die Oberfläche des Tisches an einigen Stellen heraus blitzte. Zufriedenstellte ich das Licht ab und verließ das Zimmer. Es blieb nun noch Zeit mit einem Pferd in die Reithalle zu gehen. Ich versuchte es, in den letzten Tagen einmal am Tag zu reiten, das tat nicht nur meinem Körper ganz gut, sondern auch meinem Geiste. Auf der Liste stand noch Flyma. Ich griff nach ihrem Halfter, dass ordentlich bei ihrem weiteren Zubehör hing und lief zum Stutenpaddock, der sich auf der anderen Seite des Hofes befand. Vriska konnte bereits einige Erfolge mit ihr erzielen, so musste man sich keine Sorgen mehr machen, dass wie angewachsen auf dem Paddock stehen blieb. Flyma folgte seit dem stets dem Menschen und schnupperte neugierig an der Kleidung. Irgendwo könnte sich schließlich ein Leckerchen verstecken, wobei sie heute richtig lag. Nachdem ich das Halter über ihren gezogen hatte und an der Seite verschlossen war, holte ich aus der Hosentasche ein Bananen Leckerli heraus. Gierig kaute sie und schluckte es herunter. Freundlich lobte ich Flyma. Zusammen liefen wir zum Stall.
      Ich stellte sie in der Putzbox ab und begann sie zum Reiten fertig zu machen. Eher schemenhaft vernahm ich, dass ein Auto dem Schotterweg zum Parkplatz fuhr und der Motor abgestellt wurde. Als ich meinen Helm aufsetzte und das Reithalfter schloss, kam ein vollkommen aufgelöster Folke zu mir.
      „Ich habe Problem“, sagte er und fasste sich durchs Haar. Ich drehte mich zu ihm um und führte Flyma ein Stück heraus. Sie begann auf dem Gebiss zu kauen.
      „Was ist denn los?“, fragte ich freundlich.
      „Henne will Archi Schlachten, aber … aber das geht nicht“, noch immer aufgelöst stotterte Folke vor sich hin, schien die richtigen Worte zu suchen. Kurz dachte ich nach, welches Pferd meinte er? Dann kam mir der alte Hengst ins Gedächtnis, der im vorigen Jahr die Schwarze erneut gedeckt hatte und dieses Jahr ein tolles Fohlen zur Welt brachte.
      „Welche Notwendigkeit sollte es dafür geben? Er war doch soweit kerngesund. Da verstehe ich, dass das nicht geht“, stimmte ich ihm zu. Folke überlegte und tippte auf seinem Handy herum, dann las er vor: „Mir fehlt das Geld, aber er hätte bei uns ein besseres Leben.“
      „Wenn du ihn übernimmst, ist das okay. Archi könnte dann mit dem Decken die Standgebühren übernehmen“, schmunzelte ich und tief erfreut warf er sich um meinen Hals. Ich klopfte ihm mit meiner freien Hand auf den Rücken.
      Über das Tor zwischen den Räumen betrat ich die Halle und legte mein Handy in der dafür angelegten Ablage ab. Sogleich erklang die Reitplaylist und ich gurtete in der Bahnmitte erneut nach. Die Steigbügel waren noch in der richtigen Linie. Vom Unterricht am Vormittag standen noch die Pylonen, die ich zu einem späteren Zeitpunkt beim Warmreiten mit Einbinden konnte. Nach ein paar Runden im Schritt am langen Zügel durch die ganze Bahn auf der linken und rechten Hand, nahm ich allmählich mehr Kontakt zum Pferdemaul auf. Mit sinnvollen Übungen im Schritt begannen wir. Jeden Moment bereitete ich mich darauf vor, dass Flyma ihre 5 Minuten bekommen könnte und bockend durch die Halle rannte. Sie schleifte mit ihren Hufen durch den Sand. Er war tief. Mehrfach stolperte Flyma und wirkte unkonzentriert. Ihr Ohrenspiel war auf das nötigste reduziert und immer wieder verlagerte sich das Gewicht auf die Vorderhand. Mit einigen Hilfen animierte ich sie dazu, aktiver vorwärtszulaufen. Flyma hatte Schwierigkeiten dabei, einmalige Hilfen als eine dauerhafte zu verstehen. Vorher würde sie mit Dauerbeschallung geritten und war geübt darin, sich auf ihren Reiter zu verlassen. Wir begrüßten es jedoch ein selbstständiges denkendes Pferd unter dem Sattel zu haben, dass dennoch in der Lage war, auf weitere Anweisungen zu warten. Auf großen gebogenen Linien forderte ich bereits im Schritt erste Biegungen im Genick und stellte sie mit der Schulter. Flyma kannte Seitengänge bisher nur aus dem fortlaufenden Training, deswegen ich diese nach dem Trab erst forderte. Mithilfe der Pylonen verkürzte ich sie allmählich, denn es war noch immer ziemlich warm draußen und sie stand bis dato auf dem Paddock. Ihre Gelenke erwärmten sich schneller und begann im Trab die gebogenen Linien zu verkleinern.
      Das Training in der Halle mit der Buckskin Stute verlief sorgenfrei. Sie wurde aufmerksamer und konnte bereits einige Schritte im Schulterherein traben. Die Anfänge einer Travers zeigten sich ebenfalls. Zufrieden bereitete ich ihr Futter vor und brachte sie im Anschluss auf die Weide. Folke hatte alle anderen schon herausgestellt und somit ging ein erfolgreicher Tag zu Ende.
      In der Wohnung ließ ich mich erschöpft auf die Couch fallen. Aus meinem Fernseher schallte die Nachrichtensendung, es geht um die hohe Anzahl von Alkoholikern in Finnland sowie Bränden in Kalifornien. Als ich so darüber nachdachte, wozu ich überhaupt ein Fernsehgerät besaß, griff ich zu meiner Hosentasche, um festzustellen, dass mein Handy noch in der Halle lag und ich zusätzlich die Reithose trug. Genervt stemmte ich mich von der Couch und zog mir meine Schlappen an. Zum Glück fuhr das Rolltor des Stalles auf Knopfdruck auf und innerhalb weniger Minuten hatte ich mein Handy wieder. Die Musik lief noch, woran ich hätte erkennen müssen, dass ich etwas vergaß. Vriska hatte mir bisher nicht geantwortet, doch ich hatte eine andere Nachricht empfangen: „Tut mir leid, dass ich mich nicht verabschiedete. Eins meiner Pferde zu Hause hatte einen Unfall und ich musste zurück. Ach ja, hier ist Linda, falls du dich nicht erinnerst. Würde mich freuen, dich wieder zusehen!“
      Aufmerksam las ich die Nachricht, bevor das Handy wieder in der Hosentasche verschwand. Eine Antwort verfasste ich nicht. Stattdessen taumelte ich müde in das Badezimmer und ließ mich vom lauwarmen Wasser der Dusche berieseln. Ich dachte darüber nach, wie wir die Auflagen der Freizeitgestaltung noch besser umsetzen konnten. Neben dem geplanten Showreiten mit den Kühen könnte man das Ferienangebot für Gäste noch erweitern mit Kutschfahrten oder Sulkytouren durch den Wald. Doch dafür fehlte es nicht nur an den Ressourcen, sondern vor allem an den Pferden. Wir hatten mittlerweile eine solide Anzahl an Pferden vor Ort, jedoch bildeten die meisten von ihnen einen Teil der Zucht und andere waren noch zu jung, um Gästen zur Verfügung gestellt zu werden. Schweden sollte die Möglichkeit werden meinen Traum eines Rennstalls mit Trabern in Verbindung mit der Reitkunst und Elementen der portugiesischen Reitweise in die Tat umzusetzen. Doch jetzt, mehrere Jahre später, stellte es sich als ein großes Desaster dar. Ich hatte eine große Zucht von potenziellen Rennpferden ins Leben gerufen. Die Fohlen und Jungpferde waren großartige Tiere, die mit viel Liebe aufwuchsen. Umso mehr schmerzte es, sie dem Druck eines Rennens auszusetzen. So kannte Frost gerade einmal das Gebiss mit sechs Jahren und stand bereits in der Führanlage. Hingegen Form, die aus demselben Jahrgang stammte, bereits auf einem hohen Niveau in der Dressur trainiert wurde. Ein Turnier durfte sie aber auch noch nicht betrachten. Vriska, die gerade einmal zwei Wochen nicht da war, wurde am Hof gebraucht. Letzte Woche war ein Turnier und dort hätte sie die Stute vorstellen sollen. Meine Zeit für Veranstaltungen in dem Ausmaß endete bereits in Deutschland. Bruce Ritt im Normal die Pferde auf dem Turnier und verfügte auch für die notwendige Geduld.

      Am nächsten Tag …

      Langsam tropfte der Kaffee aus der Maschine in eine Tasse, als es an der Tür klopfte. Noch vom Duschen nur mit einem Handtuch umwickelt, öffnete ich die Tür meines Hauses.
      „Guten Morgen“, begrüßte ich Folke, der mich verloren und etwas irritiert anblickte.
      „Ich soll Archi jetzt abholen“, stammelte er.
      „Ja gut, dann los. Nimmst du dann auch Waschprogramm mit?“
      „Okay“, antwortete er kurz, drehte sich um und ging. Kritische Blicke warf ich ihm nach. Die Kaffeemaschine verlangte wieder meine Aufmerksamkeit. Penetrant begann sie zu piepen. Genervt drückte ich mehrfach auf dem Knopf und nahm einen kräftigen Schluck aus der Tasse. Umgehend spuckte ich die Flüssigkeit in das Waschbecken. Ich hatte nicht bedacht, wie warm der Kaffee war und verbrannte mir die Zunge. Das hätte ich kommen sehen müssen. Stattdessen stellte ich das Gefäß zornig auf die Arbeitsfläche und verschwand im Schlafzimmer, um mir etwas Anständiges anzukleiden. Wie am jeden Morgen holte ich ein frisches Hemd heraus und griff zur Reithose, die über dem Herrendiener hing. Die Socken waren nur halbhohe. Ich blickte auf meine Uhr, die an meinem linken Handgelenk hing – 8:30 Uhr. In einer halben Stunde begann die Bürozeit und es blieb noch Zeit zum Frühstücken. Aus dem Hängeschrank nahm ich die Haferflocken heraus und im Kühlschrank war noch ein Schluck in der Milchflasche des Bauern einen Hof weiter. Langsam sollte ich neue holen. Ich setzte mir direkt eine Erinnerung am Handy, dann steckte ich es zurück in meine Hosentasche.
      Kurz vor 9 Uhr öffnete ich die Tür des Büros und überblickte den Rest des Chaos. Die Ordner waren bereits einsortiert im Regal und die Pässe ebenfalls. Nun blieben nur noch viele lose Blätter, die vor allem aus Rechnungen und Anträge bestanden. Ich setzte mich an den Schreibtisch und begann umgehend zu sortieren. Erste Seiten verschwanden im Schredder oder im passenden Ordner. Etliche Rechnungen beglich direkt am Computer.
      In der rechten oberen Ecke des Bildschirmes tauchte ein Pop-up auf ‚eingehender FaceTime Audio-Anruf‘ mit einer deutschen Vorwahl. Interessiert nahm ich ab.
      „Lindö Dalen Stuteri. Sprechen mit Tyrell, was kann ich für Sie tun?“, fragte ich.
      „Hallo Herr Earle, gut das Sie erreiche. Hier ist Martina“, sagte eine nette Stimme. Kurz dachte ich darüber nach, wer sie sein könnte.
      “Martina? Die Freundin von Mama?”, hakte ich nach. Sie bestätigte meine Annahme und bevor sie zum Grund des Anrufes kam, sprachen wir über die Familie und wieso ich mit Bruce nun in Schweden bin. Ich freute mich darüber, dass jemand aus dem engen familiären Kreise anrief.
      “Es geht darum, dass Eve für vier Monate nach Schweden geht wegen ihres Studiums und deine Mutti hat beim Kaffee trinken erzählt, dass ihr drüben seid. Du kennst sie ja, Raleigh lässt sie nicht hier. Deswegen wollten wir fragen, ob sie in der Zeit ihn zu euch stellen kann und bei euch wohnt”, erklärte Martina. Ich dachte darüber nach, ob wir überhaupt den Platz für einen Kaltblüter Hengst hatten, aber natürlich. Platz gab es genug.
      “Lässt sich einrichten, aber arbeiten kann sie bei uns leider nicht. Dafür haben wir zu wenig Arbeit und ab nächster Woche sogar noch eine neue Mitarbeiterin”, informierte ich sie weiter. Dann sprachen wir über den weiteren Verlauf. Dabei merkte ich wieder, wie kurzfristig Leute wichtige Dinge klärten. Bereits in der nächsten Woche sollte der Hengst herkommen, da Eve längst in Kalmar ist und ihr Praktika macht. Somit war für die nächste Zeit eins Ferienhäuser vermietet. Heute wollte Eve sogar noch kommen. Martina gab die Nummer weiter, sodass ich den Termin vereinbaren konnte.
      Ich musste Grinsen. Bruce, der nur drei Jahre älter als sie war, fand Eve schon immer toll. In der Grundschulzeit versteckten sie sich immer im Heulager oder Ritten mit den Ponys in den Wald. Ich belächelte die beiden, denn zur gleichen Zeit bestritt ich die ersten Turniere und trat in die Fußabdrücke der Familie. Die folgenden Jahre sahen sie einander nur in den großen Ferien, da Bruce auf das Internat wechselte und ebenfalls die reiterliche Karriere ausbaute. Mit Raven erzielte er viele Siege, bis zu dem Unfall von Mutter und seinem Wallach. Mein Bruder änderte sich. Er verkroch sich in seinem Zimmer bis die Isländer bei einer Reise sein Herz eroberten. Ich vermisste den Kleinen.
      Der Transporter fuhr auf dem Schotterweg zum Eingang des Stalls und hielt. Ich verließ das Büro und half Folke dabei, die Hengste auszuladen. Langsam öffnete ich die Seitentür des Transporters und zwei Pferde blickten freundlich zu mir. Neugierig stupste Waschprogramm mich an, während ich meine Handschuhe anzog. In der Zeit ließ Folke die Rampe ausfahren. Dann holte jeder einen der Hengste aus dem Transporter und wir führten sie in den Stall. Die beiden letzten Boxen hatte Folke vor seiner Abfahrt bereit mit Spänen und Heu. Die Selbsttränken waren ebenfalls gesäubert. Ich entfernte noch die Gamaschen und Glocken, bevor Waschi seinen neuen Schlafplatz begutachten konnte. Gleichzeitig öffnete Folke die Türen zum Paddock, damit sie sich die Beine vertreten konnten. Alfi, der mit Lu einige Boxen weiter stand, blickte interessiert über den hohen Zaun der Boxenpaddocks. Er wieherte einige Male, was Archi erwiderte. Der Hengst sah nicht gut aus und hatte in letzten Monaten offensichtlich sehr abgebaut. Zuletzt sah ich ihn im vorherigen Jahr, als er Nachtschatten und Betti deckte.
      “Am besten füttern wir ihm die Zusatzmischung aus dem roten Eimer”, schlug ich Folke vor, der sogleich zur Futterkammer lief und mit einer Schüssel wieder kam. Er hatte bereits die Mashmischung vorbereitet und Schwefel mit zugemischt. Interessiert trat Architekkt an die Boxenfront und brummte. Gierig verschlug der alte Hengst sein Futter.
      „Ich möchte dich ungern von deinem neuen Pferd trennen, aber da sind einige andere Tiere, die deine Aufmerksamkeit verlangen“, klopfte ich auf seine Schulter und verschwand wieder im Büro zum Sortieren.
      Ich beobachte beim Blick in die Stallgasse, dass Folke Lu fertig machte. Er hatte bereits den Sattel auflegt und locker gegurtet. Sie verschwanden aus dem Tor und ich wendete mich wieder den Blättern zu. Langsam aber sicher hatte ich den Papierkrieg gewonnen. Noch wenige lagen auf dem Tisch herum.

      Folke
      Es wurde Nachmittag und wir alle überstanden die wärmende Mittagssonne. Lu arbeitete Aufmerksam mit, empfand den Sattel jedoch als eine unbekannte Last und streckte immer wieder den Kopf hektisch nach oben. Die Steigbügel entfernte ich. Es war erst das zweite Mal, dass etwas auf seinem Rücken und machte dafür eine gute Figur. Das gewünschte Vorwärts Abwärts, dass er eigentlich bereits beherrschte, schien heute ein Fremdwort gewesen zu sein. Doch die Hoffnung war groß, in der nächsten Woche das erste Mal Vriska auf ihn zu setzen. Seine Mitstreiterin Fried verstand bereits, dass der Sattel keine Bedrohung darstellte und sah neugierig nach, wenn ich ihr etwas auf den Rücken legte und es herunterfiel. Sie sollte lernen zu schauen, statt die Flucht zu ergreifen. Die beiden Sonderfälle waren somit abgearbeitet und holte Nobel aus seiner Box, um eine entspannte Runde am Sulky mit ihm durch den Wald zu fahren. Es standen noch die Weidekontrollen des heutigen Tages auf dem Plan, die ich somit gleich mit abhaken konnte. Gelassen legte sich der Fuchshengst in die Anbinder und genoss die tägliche Massage beim Putzen. Nobel verspannte schnell im Rücken und es half ihm dabei, locker zu bleiben. Während ich das Geschirr anlegte und den Sulky vorbereitete, kam Hedda in den Stall.
      „Jag är tillbaka“, sagte sie Bescheid und ich nickte nur.
      „Du kan se fram emot lite mer“, protestierte meine Schwester direkt und nahm mir willkürlich die Trense aus der Hand.
      „Du är irriterande. Det var tystare än du inte var där!“, beschwerte ich mich und riss die Trense wieder an mich. Nobel erhob seinen Kopf und legte die Ohren. Beruhigend strich ich dem Hengst über den die Stirn.
      „Då har du väl inga problem om jag åker tillbaka till Cersty?“, fragte sie. Ich schüttelte den Kopf und Hedda verschwand.
      “Skriv till mig när du anländer!”, rief ich ihr noch nach. Leise vernahm ich eine Zustimmung und widmete mich wieder dem Pferd. Cersty war ihre beste Freundin, die Kalmar lebte. Mit Pferden hatte diese nicht viel zu tun. Sie liebte es sich auf den Tieren fotografieren zu lassen, doch sobald es sich auch nur einen Millimeter bewegte, schrie sie hysterisch auf. Deswegen bevorzugte es Hedda zu ihr zu fahren. Da aktuell noch die großen Ferien waren, gab es auch kein Problem, wenn sie in der Woche zu ihr fuhr. Meistens wurde sie am Hof abgeholt, da Cersty einen älteren Freund hatte, der bereits ein Auto besaß. Das Lindö Dalen Stuteri war mit dem öffentlichen Verkehrsmitteln eher schwer zu erreichen. Ein Bus fuhr nur zwei Mal ab Tag und umkreiste dabei die ganze Halbinsel. Es dauerte somit eine Ewigkeit, bis man in der Stadt ankam. Sowohl Auto und auch Fahrrad waren unverzichtbare Verkehrsmittel. Oder wie ich es häufig machte – ich nahm mir eins der Pferde und fuhr mit dem Rick oder dem Sulky zum nächsten Geschäft. Man kannte sich in Schweden und die Einwohner freuten sich, unsere Pferde zu sehen.
      Im Schritt fuhr ich aus dem Stall. Wenn wir nicht trainierten, versuchte ich Nobel ohne Scheck zu fahren. An einigen Tagen stellte es sich als eine schlechte Entscheidung heraus, doch heute hatte ich ein gutes Gefühl. Die Vögel sangen im Wald und leise säuselten die Blätter im Wind. Es war ein typischer Frühabend im Schweden und der Himmel tauchte auch in ein wunderschönen rosa Ton. Die wenigen Wolken am Himmel leuchteten förmlich durch die Reflexion der untergehenden Sonne. Sommer war schon immer meine Lieblingsjahreszeit. Die Menschen verhielten sich noch freundlich als sonst und auch das Midsommerfest war wie jedes Jahr ein Vergnügen. Aus der Entscheidung heraus fassten wir den Entschluss im nächsten Jahr ebenfalls eins zu veranstalten. Neben einer kleinen Showeinlage für die Zuschauer sollte es ein Hofturnier geben, zu dem jeder herzlich eingeladen ist. Zumindest besprachen wir das so letzte Woche.
      Im Schritt bogen wir rechts auf den Weg ab, der entlang der Koppel führte. Neugierig kamen die Pferde von beiden Seiten zum Zaun. In Höhe der Wassertröge hielt ich Nobel an. Bei den Stuten waren sie noch ziemlich gefüllt, doch die Junghengste hatten kaum noch etwas. Also stieg ich bin Sulky, nahm den Schlauch in den Trog und öffnete das Ventil des Wasserbehälters. Das Wasser schoss heraus und mehrere Minuten später, war alles gefüllt. Ruvik, mit dem Tyrell eigentlich wieder regelmäßiger Arbeiten wollte, stand seit einigen Monaten bei den Heranwachsenden. Es war nicht leicht ihn in die Gruppe zu integrieren, doch die Weide verfügte über genügend Platz, dass sich die Pferde aus dem Weg gehen konnten. Meistens stand er jedoch mit Death zusammen, einem Vollblut Hengst, den Tyrell irgendwann als Reitpferd ausbilden wollte und zum Veredeln der Standardbreds nutzen würde. Doch es stand noch in den Sternen, was mal auf ihm werden würde. Schließlich war der kleine gerade mal ein Jahr alt. Auf der anderen Seite knüpfte Nobel Kontakte mit den Stuten. Neugierig beschnupperten Liv und Zoi den Hengst. Immer wieder quatschte es und weitere Stuten kamen dazu.
      „Kom nu“, sagte ich Nobel und trieb energischer vorwärts. Widerwillig setzte ich sich in Gang und schritt vorwärts. Bei der nächsten Möglichkeit bogen wir links in den Wald ab und er setzte im langsamen Pass an. Im Genick blieb er locker und ich konnte ihn in einem ruhigen Tempo halten.
      Wir fuhren auf den Hof ein, als ich sah das zwei junge Leute an dem Paddock von Holy und Girlie standen. Eine der Beiden kam auf mich zu, als ich Nobel zum Halten brachte.
      „Ich bin mit Tyrell verabredet“, erklärte sie mir. Ich nickte und ließ die beiden mir zum Stall folgen. Dort zeigte ich auf die Hütte, in der sich das Büro befand. Sie bedankte sich und lief die Treppe nach oben. Dann drehte ich mich wieder zu Nobel, der von der Fahrt vollkommen verschwitzt war. Den Sulky hing ich zuerst ab und entfernte das Geschirr. Er stand frei im Gang aber rührte sich nicht von der Stelle. Erst als ich zur Futterkammer ging, folgte der Fuchs mir wie ein Hund. Neugierig beobachtete er, wie ich die Schüssel fertig machte mit verschiedenen Futtermitteln. Wir mischten zu großen Teilen unser Müsli selbst, um individuell auf die Bedürfnisse der Pferde eingehen zu können. Im Profil konnte jeder Einsehen wie viel das Pferd bekam und musste nur noch abgewogen werden. Mit der Schlüssel in der Hand liefen wir gemeinsam zu seiner Box. Dort stelle ich sie ab und schloss die Tür.
      Genüsslich hörte ich ein Schmatzen, während ich zur Box unseres Sorgenkindes lief. Kölski spielte mit seinem neuen Freund Lundi. Zuvor konnte man nie beobachten, dass der kleine Hengst sich überhaupt bewegte. Zur Kontrolle störte ich sie und tastete vorsichtig seinen Bauch ab. Er war noch aufgebläht aber deutlich weicher. Middy hatte ein noch größeres Euter gebildet, um beide Fohlen versorgen zu können. Glücklich lobte ich auch sie und verließ den Paddock.

      © Mohikanerin // 35.098 Zeichen
      zeitliche Einordnung {August 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel ett | 13. September 2021

      Lu’lu’a // Outer Space // Friedensstifter // Vintage
      HMJ Divine


      Vriska
      Den ganzen Tag durch das Land zu gurken, stand nicht auf meiner Bucket List, doch was tat man nicht alles, um die eigene Familie zu sehen und Lina ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Aufzuzählen, was ihr wohl dieser Tage in Schweden fehlte, würde wohl genauso lange dauern, wie die halbe Nacht nach Stockholm zu fahren, nur um pünktlich Juliett und Harlen ins Auto zu verladen. Ich hatte mir nicht nur einen großen Kaffee bei dem nächsten Bäcker am Flughafen besorgt, sondern direkt zwei. Die anderen beiden hielt auch ihren fest in der Hand, als wir über die Stolperpiste auf den Hof einfuhren. Eigentlich hätte ich noch mein Fahrzeug sauber machen sollen, doch es gab so viel zu tun, dass ich es einfach vergaß. Ich parkte und half beiden ihre Koffer aus dem Kofferraum zu nehmen. Viel mehr hätte gar nicht in meinen kleinen Golf gepasst, der nun bei den anderen vier Autos wieder seinen Platz hatte.
      Der schwedische Spätsommer war nicht vergleichbar mit den Temperaturen, die wir in Kanada hatte. Ich trug eine Jacke, denn am Himmel funkelte die Sonne nur selten hervor und die meisten Pferde waren schon mit dem Wechsel zum Winterkleid fertig. Mein Bruder schlief mit bei mir im Bett und Lina hätte sicher auch kein Problem damit, wenn ihre Schwester bei ihr sei. Somit hatte ich keine der Gästezimmer vorbeireitet. Wenn man dem Arbeitsplan Glauben schenken konnte, war Lina noch bei der Koppelkontrolle der Zuchtstuten mit Fohlen, die wir demnächst voneinander trennen wollten.
      Wir machten es uns zu dritt auf der Terrasse in der Reithalle bequem und warteten auf Lina. Harlen, höflich wie er war, schwieg und tat alles dafür, nicht einzuschlafen. Er war selbst schuld einen Nachtflug aus London nach Stockholm zu nehmen. Doch er würde nie darüber schimpfen oder gar seinen Unmut darüber ausdrücken, stattdessen grinste er. Ich hörte, die sich Schritte endlich in das Stallungsgebäude nährten.

      Lina
      Ich kam gerade von den Koppeln zurück und war noch dabei die letzten Informationen in das System einzutragen als ich in den Stall eintrat. Mein Weg führte mich in den Stall, weil ich mich schon einmal mit Lu’lu’a anfreunden wollte. Mit Folke zusammen sollte ich den Hengst zukünftig weiter einreiten und ich wollte ihn vorher gerne ein wenig kennenlernen. Zielstrebig steuere ich die Box des Hengstes an. Der Rappscheckhengst wohnte zusammen mit Outer Space, einem hübschen Buckskinschimmel in eine der mittleren Boxen.
      “Hallo ihr zwei hübschen”, begrüßte ich die beiden Hengste. Alfi hob kurz den Kopf, bevor er mich als uninteressant identifizierte und weiter sein Heu fraß. Lu hingegen sah mich neugierig aus seinen dunklen Augen an.
      “Na, komm her Lu”, lockte ich den Hengst und holte ein Leckerli aus meiner Tasche. Zögerlich trat er ein paar Schritte vor, um sich das Leckerli aus meiner Hand zu stehlen. Sanft strich ich dem Hengst über den Hals, doch hielt inne als ich auf einmal Stimmen vernahm.
      “Wie lange wird sie wohl brauchen, bis sie es merkt?”, hörte ich eine mir wohlbekannte Stimme, die sofort ein wohliges in Gefühl in mir Auslöste. Die Antwort darauf verstand ich nur kaum. Warte, das konnte doch gar nicht möglich sein? Ich wusste, ja das Jetlags mies waren, aber dass sie Halluzinationen auslösten, war mir neu. Ungläubig ging ich die Stallgasse entlang und meine Augen wurde groß als ich sah, wer dort auf der Trasse saß. Neben Vriska saß meine Schwester, mit einem breiten lächelnd auf dem Gesicht und ein junger Mann. Ich brauchte noch ein paar Sekunden, bis ich realisierte, das Juliett wirklich dasaß und sie nicht nur ein Erzeugnis meiner Müdigkeit war.
      “Juli”, quietschte ich begeistert und stürmte auf sie zu, um sie sogleich feste zu umarmen.
      “Lina Süße, ich würde gerne noch atmen können”, meldete sie sich erstickt zu Wort, worauf hin ich meine Umarmung ein wenig lockerte.
      “Tschuldigung, aber ich freu mich einfach so dich nach so langer Zeit endlich wiederzusehen. Minä kaipasin sinua”, murmelte ich und genoss in diesem Moment einfach nur die Gegenwart meiner Schwester.
      “Kaipasin sinua myös, pikkuinen”, erwiderte sie liebevoll. Nach einer Weile entließ ich meine Schwester wieder aus meiner Umarmung und fragte aufgeregt und ein wenig durcheinander:“ Wie kommst du hier her? Und was machst du hier eigentlich?”
      “Ich habe mich hergezaubert, ist doch klar”, scherzte Juli ausgelassen. “Nein, Spaß beiseite, Vriska war so freundlich mich vom Flughafen mitzunehmen. Und der Grund für mein Kommen ist doch klar, das bist du”, erklärte sie gut gelaunt.
      „Entschuldigung, darf ich kurz stören?“, meldete sich leise der braunhaarige Mann zu Wort und erhob sogar leicht den Finger dabei, als wären wir in der Schule. Er hatte so unauffällig auf seinem Stuhl gesessen, dass ich seine Anwesenheit für einen kurzen Moment vergaß.
      “Ähh, ja”, antworte ich ihm ein wenig irritiert über die plötzliche Unterbrechung.
      “Danke dir, dann würde ich Vriska und mich entschuldigen. Wir müssen für ihre Prüfung lernen”, beschloss er selbstsicher und stand aus dem Stuhl auf.
      “Boah Harlen. Du bist seit zwanzig Minuten hier und fängst schon an zu nerven”, empörte sich Vriska direkt und blieb überzeugt sitzen.
      “Wie sprichst du denn mit mir? Dieses Land tut dir nicht gut”, verdrehte er dir Augen. Dann versuchte er sie erneut zu überzeugen, was ihm nicht gelang.
      “Es tut mir leid, ich habe deinen Namen nicht verstanden. Mein Name ist Harlen Isaac, Vriskas Bruder und der Leiter des Familienunternehmens”, stellte er sich mir vor. Schlagartig änderte sich Vriskas Gesichtsausdruck und hektisch sprang sie aus dem Stuhl.
      “Bitte was? Wann wolltest du mir sagen, dass du jetzt die Firma übernommen hast und vor allem warum?”, löcherte sie direkt ihren Bruder, der versuchte sie zu beruhigen, aber nicht antwortete auf ihre Fragen.
      “Ich bin Lina, Julietts Schwester, freut mich dich kennenzulernen”, antworte ich ihm freundlich.
      “Sieh Vriska. Nimm dir bei deiner Freundin ein Vorbild, sie versteht es wenigstens höflich zu sein”, tadelte Harlen sie.
      “Sie ist nicht meine Freundin”, murmelte Vriska ziemlich leise, rollte die Augen und verschränkte eingeschnappt die Arme. Ein unausgesprochener Wunsch schien in ihren Worten mitzuschwingen, allerdings war ich noch viel zu euphorisch über die Ankunft meiner Schwester, als dass ich die wirkliche Beachtung schenkte. Weil ich gerade erst für meine Manieren gelobt wurde, behielt ich die Frage, ob die beiden sich immer so Verhielten, für mich. Immerhin beobachtete ich es ziemlich interessiert, wie unterschiedlich Vriska und ihr Bruder zu sein schienen.
      “Könnt ihr zwei mir eigentlich erklären wie ihr zueinander gefunden habt? Ich glaube nicht, dass ihr euch zufällig auf dem Flughafen über den Weg gelaufen seid”, wand ich mich an meine Schwester und Vriska, lenkte das Thema wieder auf die Frage, die ich bereits vor der Unterbrechung durch Harlen stellen wollte. Erwartungsvoll blickten sie sich fragend an, bis einer der beiden endlich das Wort ergriff.
      “Sie hat hier am Hof angerufen, um sich nach dir zu Erkundungen kurz nach der Rückkehr, weil du dich offensichtlich nicht gemeldet hast. Weil Tyrell wie immer viel zu beschäftigt war, führte ich das Hof Handy und habe ihr angeboten herzukommen, da ich ohnehin Harlen vom Flughafen musste. Die Strecke zur Hauptstadt ist nicht die kürzeste und jetzt sitzt sie hier”, ratterte Vriska herunter, monoton und ohne Mimik. Stattdessen gestikulierte sie heftig, als erkläre sie einem ein riesiges Projekt bei einer Präsentation. Aus ihr wurde man nicht schlau. Von einem Moment zum anderen schlug ihre Stimmung um und nun saß sie wieder stillschweigend, beinah eingeschnappt, im Stuhl und sah an mir vorbei in die Leere.
      “Oh, äh danke dafür”, danke ich Vriska, bevor ich dazu ansetzte meiner Schwester eine Erklärung zu liefern.
      “Juli es tut mir leid ich hab’s voll vergessen. Ich wollte mich melden, aber dann war so viel los mit den Pferden und der Prüfung vom Team, was dann doch irgendwie zu einem größeren Event wurde und so”, versuchte ich zu erklären.
      “Mit den Pferden also …”, sagte sie mit einem verschmitzten grinsen bei dem mir sofort klar war, worauf sie eigentlich anspielte.
      “Iiiich glaube, dass das mein Stichwort ist zu gehen”, sprang Vriska nun auf und verschwand in Windeseile. Ihr Bruder sah ihr nur noch nach, blieb offenbar aber am Tisch sitzen. Auch Juliett blickte ihr hinterher und fragte irritiert: “Was ist denn mit ihr auf einmal los?” Tatsächlich hatte ich auch keine wirkliche Antwort auf diese Frage, denn mit jedem Tag wurde Vriska mir ein größeres Rätsel.
      “Keine Ahnung, vielleicht was mit ihrem Pferd?”, antworte ich schulterzuckend.
      “Okay, aber wo wir schon beim Thema Pferd sind, wo ist eigentlich dein Wunderpferdchen?”, fragte meine Schwester nun neugierig. Ich entspannte mich ein wenig, dass sie erst einmal nicht weiter nachfragte. Denn ich war mir sicher, wenn ich ihr davon erzählen würde, dass Niklas und ich inzwischen zusammen waren, würde sie eine Menge Fragen stellen. Dieses Gespräch würde ich lieber später führen, wenn wir allein sind.
      “Ivy ist noch in Kanada, das wäre ein wenig zu spontan gewesen ihn auch noch mitzubringen, auch wenn ich jetzt schon vermisse”, erklärte ich sogleich meiner Schwester.

      Vriska
      Wie der Buhmann an diesem Tisch zu sitzen, ertrug ich nicht mehr. Ziellos lief ich auf dem Hof herum und bemerkte einige Jungstuten auf dem Paddock. Neugierig aber sehr vorsichtig trat Hell Vetica an den Zaun. Auch ihre Mutter Millennial kam dazu, um sich ein Leckerli abzuholen.
      „Es gäbe genug zu tun, wenn dir langweilig sein sollte“, sagte Tyrell freundlich und kam zum Zaun.
      „Liebend gern. Welches Pferd soll noch bewegt werden?“, fragte ich. Kurz lachte er und erklärte, dass aktuell kein Pferd mehr Bedarf hätte aber unter anderem der Mist zu den Tanks müsste oder ich die Ballen kontrollieren sollte. Wunderbare Aufgaben vor denen sich jeder drückte. Im Laufe des Gespräches fiel ihm dann doch noch ein Pferd ein, dass ohnehin in meiner Obhut war – Friedensstifter. Ich willigte ein und ging schnurstracks zur Wohnung, um meine Reitsachen anzuziehen. Als ich dem Bildschirm meines Handys betätigte, erschien nur die Uhrzeit mit dem heutigen Datum. Immer noch keine Antwort. Kanada schien, bis auf Linas Anwesenheit bei uns am Gestüt, nur ein sehr langer seltsamer Traum gewesen zu sein. Tag für Tag kam ich wieder in meinem tristen Dasein an, in dem es sich nur um die Arbeit drehte. Wären alle am Hof nicht mehr oder weniger gezwungen sich mit mir zu unterhalten, würde ich nur Selbstgespräche führen, die ich auch so schon mehr hatte als normale Unterhaltungen.
      Das Ding verweilte weiter am Bett und ich lief umgezogen in die Sattelkammer. Frieds pinkes Halfter sprang einen bereits beim Eintreten an. Ich griff nach diesem und holte die Classic Champagne Stute vom Paddock. Interessiert spitze sie die Ohren. Dann nahm sie direkt den Strick ins Maul, dass was eine ihrer schlechten Angewohnheiten, weshalb wir extra nur einen für sie besaßen. Einen Panikhaken hatte dieser nicht mehr. Es war lediglich ein dicker Strick, der am Halfter festgeknotet wurde. Anbinden versetzte sie in Angst, umso ruhiger Stand Fried in der Putzbox. Selbst wenn man Futter holte, folgte das Pferd nicht, kaute nur auf dem Strick.
      Zuerst putzte ich die helle Stute und versuchte bestmöglich den Grasflecken zu entfernen. Zusätzlich entdeckte ich einige ältere Schrammen am Rücken, die nicht weiter uns beeinflussen sollten. Zu guter Letzt stand ich vor den Trensen und überlegte, welcher der aber Millionen Gebisse wohl die beste Wahl sei. Ich entschied mich für ein Schmales mit den großen Ringen, dass zum Schutz Gummischeiben daran hatte. Von den Sätteln nahm ich mein eigenen und das Korrekturpad. Auf der Terrasse lachten sie fröhlich und nahmen meine Anwesenheit nicht wahr. Enttäuscht blickte ich mehrfach zu ihnen. Am Rücken spürte ich einen sanften Schubser der Stute.
      „Ja, wir gehen gleich los“, sagte ich entschlossen. Noch den Helm aufgesetzt und ich stieg um Stall auf. Das große Rolltor auf der hinteren Seite stand offen. Trotzdem duckte ich mich beim Herausreiten und wurde sogleich von Folke aufgehalten, dem der Schock ins Gesicht geschrieben war.
      „Wo wolltest du hin?“, fragte er. Soweit hatte ich tatsächlich noch nicht gedachte. Ich wollte erst im Augenblick nur weg und irgendwo den Kopf freibekommen. Dafür wäre der Wald die beste Lösung.
      “Ausreiten und eine Runde auf der Trainingsbahn drehen”, erklärte ich.
      “Mit einem Pferd, auf dem heute das erste Mal jemand sitzt? Dann warte, ich komme mit.” So war das also. Ich hätte besser vorher schauen sollen, wie weit Fried in ihrer Ausbildung war, doch sie machte einen guten Eindruck. Da Folke noch beschäftigt war, Vintage fertig zu machen, ritt ich zum großen Platz. Dieser befand sich direkt neben der Reithalle und war für ihn sichtbar. Obwohl das Lenken zunehmend komplizierter wurde, schaffte ich es Fried unbeschadet auf den Platz zu bekommen. Gelassen kreisten wir auf dem ganzen Hufschlag am langen Zügel.
      „Was ist denn mit deinem Sitz passiert?“, kam Tyrell und stützte sich auf dem Zaun ab. Ich zuckte mit den Schultern und ritt weiter.
      „Vielleicht sollte man eher fragen, wo du deine positive Haltung gelassen hast“, kommentierte er. Genervt hielt Fried vor ihm an und begann in ihrer wenigen Mähne herumzuspielen.
      „Hast du nichts Besseres zu tun?“, fragte ich und rollte mit den Augen, ohne ihn dabei anzusehen.
      „Fräulein, benimm dich mal wieder, sonst kannst du deine Sachen packen und gehen. Wir brauchen hier niemanden, der die Gäste vergrault.” Aufbrausend drehte Tyrell auf der Stelle um und lief zurück in den Stall. Das hätte ich mir sparen sollen, nun noch meinen Chef zu verärgern, dessen Gemüt wie ein Schnellkochtopf agiert. Prüfend sah ich an mir herunter. Hatte sich mein Sitz so stark verbessert, dass es auffiel?
      „Stinker, komm“, rief mich Folke als er mit Vintage aus dem Stall kam. Vorsichtig drückte ich meine Beine in den Bauch der Stute und ritt zum Ausgang. Zur Sicherheit hakte er noch einen Strick an das Reithalfter, den Fried direkt in Beschlag nahm. Im Schritt setzten wir den Weg in den Wald fort.
      „Und jetzt erzähl was los ist“, forderte Folke. Mit einem leisen ‚ich weiß es nicht‘, versuchte ich ihn zufriedenzustellen - vergeblich. Unbeirrt stellte er die Frage immer und wieder, mal im selben Wortlaut, mal umformuliert. Dazwischen erzählte Folke mal etwas von der Zeit, die ich am Hof verpasste, bevor er wieder nervte. Nach einer kurzen Trabunterbrechung wurde es mir dann zu viel.
      „Ich habe einen Typen kennengelernt, der mich jetzt vollständig ignoriert“, platze es heraus.
      „Ich wusste das! Anstatt direkt zu sagen, was dich bewegt, muss man standhaft bleiben. Er ignoriert dich schon nicht, vermutlich hängt er nur nicht am Handy. Du hast deins auch nicht in der Tasche.“ Folke hatte auf eine Gewisse Weise recht, obwohl ich ihm das nicht ließ. Als Einspruch erheben wollte, sprach er unbeirrt weiter: „Egal was du jetzt sagen willst. Er denkt bestimmt an dich und wird sich melden. Außerdem denk an die Zeitverschiebung.“ Ich hasse es, wenn andere mir gut zu redeten und damit auch noch recht hatten. Wieder fummelte ich an den Strähnen der Stute herum, die vollkommen entspannt vorwärts trottete. Die restliche Strecke über schwiegen wir und konzentrierten uns auf unsere Pferde. Fried zeigte sich im Wald als ein unerschrockenes junges Pferd und äußerst Trittsicher.
      „Mutig, dass ihr direkt ausreiten wart“, sagte Tyrell dann, als ich das Futter für die Pferde zubereitete.
      „Sie hat ihre Sache gut gemacht“, erklärte ich nebenbei. Vom Platz wusste er noch, dass ich nicht für ein Gespräch zu haben war und verschwand zu Folke, um mehr über seine Nachwuchsstute zu erfahren. Ich hörte, wie positiv mein Kollege von ihrer Entwicklung berichtete, aber sie ist eher unbegabt für Rennen. Fried fehlte Temperament und durch ihre Späte Reife würde sich die Integration in den Rennsport auch schwierig gestalten. Die Futterkübel stellte ich vor den beiden ab und lehnte mich an die Wand der Reithalle.
      „Willst du nicht schauen gehen, ob dein Freund geantwortet hat?“, fragte Folke im Beisein unseres Chefs. Wärme stieg in mir auf und beschämt, zog ich die Kapuze der Jacke über meinen Kopf. Diesen senkte ich, um den Blicken von Tyrell auszuweichen.
      „Ach, deswegen bist du so schlecht gelaunt? Weil dein Freund nicht “ antwortet, lachte er. Ich äffte ihn nach.
      „Um eins klarzustellen, Erik ist nicht mein Freund“, schnaubte ich und lief geradewegs in meinen Bruder hinein, als ich die Flucht ergriff.
      „Du hast einen Freund?“, fragte auch dieser direkt.
      „Hört mir hier den keiner zu?“ Genervt schüttelte ich den Kopf. Mein Gesicht vergrub ich in meinen Händen.
      „Vriska, wir wollen alle nur das Beste für dich“, versuchte mein Bruder mir zu versichern. Doch wieso hört dann keiner zu? Statt mir weiter unnötige Phrasen an den Kopf zu werfen, schwiegen sie und wir beobachten, wie die Pferde eine gefühlte endlose Zeit mit ihrem Futter verbrachten. Als Fried ihre Schüssel leerte, schnappte ich sie direkt und brachte die Stute zurück auf den Paddock.
      „Du hast es so leicht, ab und zu Training danach einfach leben“, flüsterte ich Fried zu, während sie wieder den Strick in ihrer Mangel hatte. Zufrieden streifte ich das Halfter ab und schloss das Tor beim Verlassen.

      Lina
      Meine Schwester wollte gerade dazu ansetzten mich weiter mit Fragen zu löchern, als ich sie stoppe: “Genug von mir jetzt. Ich erzähle die später alles.” Harlen saß immer noch unbeirrt am Tisch und ich ließ mich auf einem der Stühle nieder.
      “Du bist also Vriskas Bruder? Sie hat gar nicht erzählt, dass sie Geschwister hat”, versuchte ich den jungen Mann mir gegenüber, in das Gespräch einzubinden. Mir kam es nicht ganz richtig vor die ganze Zeit die Fragen meiner Schwester zu beantworten, während er als stiller Beobachter daneben saß.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 17.838 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende August 2020}
    • Mohikanerin
      Rennen E zu A | 20. Februar 2022

      Astronaut in the Ocean LDS // WHC’ Golden Duskk // Planetenfrost LDS // Moonwalker LDS // Sturmglokke LDS // Friedensstifter

      Vier Wochen, sechs Pferde und neun Rennen – mit roten Kreuzen hatte ich jede einzelne Veranstaltung angekreuzt auf dem großen Kalender im Büro. Dafür stand Astros Qualifikationsrennen ganz oben auf der Liste. Nur Dustin war für zwei hoch dotierte Rennen angesetzt, was seine Trainingsphasen bis dahin von den anderen Tieren unterschied. Seine sechs Jahre sprachen für sich, machten ihn zu einem erfahrenen Pferd, das Rennen und vor allem Einheiten kannte. Die vierjährigen hingegen lernten noch, besonders Astro mit seinen drei Jahren hatte noch einiges zu begreifen. In Zusammenarbeit mit dem Rennstall in Kalmar, kamen junge Fahrer zu uns auf den Hof, um stetig verschiedene Pferde-Typen kennenzulernen. Alle Rennpferde hatte am Vormittag ein leichtes Konditionstraining in der Führanlage genossen. Hoffnung lag besonders in Moonwalker, der eine erstaunliche Zeit bei seinem Qualifikationsrennen hingelegt hatte und am Wochenende genannt war für Amateure. Die anderen liefen mit Handicap, Plano in einer Außenposition, während Sturmi und Fried innen liefen, alle auf kurzer Distanz.
      Jede Woche kam unsere Tierärztin, um die Gesundheitswerte der Tiere zu dokumentieren und Leistungsstände zu kontrollieren. Fried, die noch nicht lange im Training stand, zeigte keine Verbesserung, stattdessen waren ihre Werte schlechter im Vergleich zur vorherigen Woche. Die Kondition sollte bei ihr bis zum Rennen auf dem Plan stehen, drei Tage vor den Rennen ein einziges Tempotraining und am Renntag. Die anderen Tiere behielten ihren Plan bei, zweimal Tempo in der Woche und zwei mal zwei Langstrecken. Es bewahrheitete sich. Bereits nach einer Woche war die helle Stute besser auf dem Laufband.
      “Welche Platzierung wird sie erreichen?”, fragte mich Harlen, der diese Frage mittlerweile aus Gewohnheit stellte. Ihm überkam nicht das Interesse, was seine Schwester zeigte, aber abgeneigt war er zum Rennsport nicht, im Gegenteil, er spielte sogar mit dem Gedanken ein eigenes Tier zu erwerben und es mit unserer Hilfe in den Sport zu bringen.
      “Dritter vielleicht”, schätzte ich und sah mir noch einmal die Starterliste an, “Dritter, mit viel Glück. Der Hengst vom letzten Mal läuft wieder mit, der sogar aus der äußersten Position alle überholte in der zweiten Kurve.” Er kam dazu, beugte sich über meine Schulter hinweg, um den Plan auf dem Schreibtisch überblicken zu können.
      “Was ist mit dem da?”, fragte Harlen interessiert. Er meinte einen Fuchshengst, der oft in Konkurrenz mit Dustin lief, mit einer starken Quote und einer rekordverdächtigen Zeit. Aber das Architekkt(en) Kind machte sich gut, nach dem Eintragungsproblem mit ihm. Der schwedische Trabsport stand dem Vollblutanteil kritisch gegenüber, aber zeigte sich bezüglich der Entwicklung des Pferdes offen gegenüber. Das Exterieur entsprach den geringen Anforderungen, umso erstaunlicher waren seine Trainingswerte, zu denen uns sogar der Präsident des Zuchtverbandes beglückwünschte, damit stand seiner Karriere nichts im Weg.
      „Den wird er schlagen, davon bin ich überzeugt“, sagte sie ich ihm und legte die Pässe zurecht, damit den Rennen nichts weiter im Weg stand.

      © Mohikanerin // Tyrell Earle // 3128 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Oktober 2020}
    • Mohikanerin
      Kein Anschluss unter dieser Nummer | 07. März 2022

      Iridium / Spooky Gun For Mister Einstein / Friedensstifter / Fly me to the Moon / Middle Ages / Kölski von Atomic / Blávör / Hawking von Atomic / Skrúður / Milska / Litfari / Kría von Atomic / Halldór von Atomic / Mondlandung LDS / Nachtzug nach Stokkholm LDS / Rainbeth / Schleudergang LDS

      Ein schlechtes und fast erdrückendes Gefühl thronte in meinem Bauch, als hätte es die Macht übernommen von meinem Körper. Es lähmte mich. Obwohl das Gestüt von meinem Bruder so viel mehr Möglichkeiten bot als das kleine Grundstück bei Stockholm, kam ich nicht voran. Schon vor Wochen wollte sich Ilja zurückmelden, wann er endlich mit seinen beiden Pferden in Schweden ankommen würde, doch er wirkte wie verschollen. Ein Grund mehr, wieso ich stundenlang nachdachte, was mit ihm sein könnte. Gab es Probleme mit der Einreise von Einstein oder Iridium?
      Wie jeden Tag kurz nach Zehn Uhr saß ich in dem Nebenraum zur Sattelkammer, trank meinen Tee und starrte durch das Fenster zum Hof. Von hieraus konnte man die Paddocks der Pferde sehen. Fried und Flyma knabberten gegenseitig an ihren Decken herum, während Middy in aller Seelenruhe danebenstand. Ihr Fohlen war abgesetzt worden. Nur noch Kölski schwirrte ihr um die Beine, der immer größer wurde.
      “Bruce, kommst du mit?”, betrat Jonina den Raum, in der Hand, ein Hufeisen. Sie legte es auf der Kommode ab und verblieb dort.
      “Klar, wieso nicht”, lächelte ich und erhob mich aus dem weichen Stuhl, “wer ist schon wieder Schuhlos?”
      “Blávör. Zumindest fehlte ihr eins”, erklärte sie. Zusammen verschwanden wir in der Sattelkammer.
      “Ich nehme Hawking heute mit. Wer muss denn heute noch?”
      “Du kannst Skrú nehmen, der hat sehr traurig aus der Box herausgeschaut, als ich mit Milska in die Halle gegangen bin”, scherzte Jonina.
      Wie gesagt, holten wir unsere Pferde, sie entschied sich für Litfari. Im Stall entfernten wir den getrockneten Matsch aus dem Fell, insbesondere den Beinen. Für die Tiere war das Wetter perfekt – Etwas feucht, kühl aber nicht kalt. Für meinen Geschmack könnten es fünfzehn Grad mehr sein. Wir sattelten die Pferde und ritten zum Wald. Jonina wollte gern die Jungpferde sehen. Also legte ich die Runde so fest, dass wir zwischen den Weiden hindurchkamen. Von allen Seiten strömten die Heranwachsenden zum Zaun. Kría und Halldór waren noch immer da. Mola, Tyrells Sonderlackierung klammerte sich an der Isländerstute, dicht gefolgt von Stokki. Alle wirkten fit, sie schnaubten, wieherten und spielten. Auch Hawking begrüßte interessiert seine Freunde, bei denen er noch vor zwei Wochen sein Leben verbracht hatte. Doch der Hengst wurde langsam groß und wollte unter den Sattel. Deshalb nahm ich ihn immer wieder als Handpferd mit, während Jonina mit der Bodenarbeit begann. Unsere Aufgabenteilung war klar und immer besser fasten die Zacken der Zahnräder ineinander, um die Abläufe fließender zu haben.
      Zurück am Hof kam mir Lina mit Betty entgegen, wohl auch auf dem Weg zum Wald. Auf dem Platz ritt Tyrell auf Schlendrine, die noch immer ihre Beine nicht sortiert bekam.
      “Was will der eigentlich mit der?”, flüsterte Jonina mir zu und zeigte dabei auf besagt Stute mit den Punkten auf dem Po.
      Ich wusste es nicht.
      “Wer weiß das schon. Ist nicht das einzige Pferd hier, bei dem die Notwendigkeit fraglich ist.”

      © Mohikanerin // Bruce Earle // 2990 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Oktober 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel tretton | 21. März 2022

      Schneesturm // Northumbria // Lubumbashi // Maxou // Satz des Pythagoras // HMJ Holy // Girlie // Millennial LDS // WCH’ Golden Duskk // Moonwalker LDS // Friedensstifter // Form Follows Function LDS // Binomialsats
      Minnie Maus // Ready for Life // HMJ Divine


      Vriska
      “Ich habe ein Anliegen”, sagte Tyrell zu mir, als ich mich aus dem Sattel schwang von der langbeinigen Schimmelstute. Schneesturm liebte das kühle und nasse Wetter, was womöglich ihr auch diesen Namen eingehandelt hatte, ich hingehen fühlte mich ungemein unwohl, die nasse Hose an meinen Oberschenkel zu spüren. Der frostige Wind verstärkte das Gefühl nur noch mehr.
      „Na dann schieß mal los“, antwortete ich freundlich, dabei strich ich der Stute über den verschwitzten Hals und kramte mit der anderen Hand ein Leckerli aus der Hosentasche. Vorsichtig sammelte sie es von meinem Handschuh ab.
      “Die neue Rennstute, die du angeschleppt hast, soll erst mal geritten werden. Auf dem letzten Rennen war sie ziemlich hektisch und unkontrolliert, das gefällt mir nicht. Wenn du nicht möchtest, weil ich sehe, wie viel du plötzlich zu tun hast, frage ich Jonina”, erklärte er. Zusammen liefen wir in den Stall hinein und mein Chef erzählte ausführlicher, wie Humbi sich in letzter Zeit am Sulky benahm. Folke verlor immer häufiger die Kontrolle. Selbst der Scheck und Augenklappen stellten keine Lösung dar, weswegen ein ruhiges Abtraining und vielseitige Arbeit den nötigen Ausgleich bringen könnten. Kurz überlegte ich, aber in meinen Fingern kribbelte es sofort. Die große Stute und ich hatten sofort eine Verbindung und hiermit bekam ich Möglichkeit daran weiterzuarbeiten.
      “Ja klar, gern. Lässt sich einrichten”, schmunzelte ich selbstsicher und mit einem Nicken verabschiedete er sich. Nur in Auszügen konnte ich erahnen, was Humbria derart verunsichern könnte, doch ich war mir sicher, dass ich der Aufgabe gewachsen war.
      Prüfend sah ich zur Uhr beim Wegbringen des Sattelszeugs in der Sattelkammer, der Tierarzt kam erst in einer Stunde, somit könnte ich vorher noch mit meiner neuen Aufgabe anfangen. Entschlossen nahm ich das Lederhalfter mit ihrem Namen vom Haken. Schnee hatte bereits aufgefressen und konnte mit ihrer weinroten Weidedecke zurück auf den Paddock.
      “Hallo”, begrüßte ich mit ruhiger Stimme Humbi, die sofort neugierig die Ohren spitzte und mich mit ihrem Kopf anstupste. Aus der Erfahrung heraus bekam sie umgehend ein Leckerli, dass uns dieses Problem heute nicht im Weg stehen würde. Entschlossen, und auf Zehenspitzen, streifte ich das Halfter über ihre riesigen Ohren, die noch immer nach oben ragte. Irgendwas fokussierte sie gespannt an, den Grund dafür, konnte ich allerdings nicht entdecken. Zur Sicherheit zog ich den Strick wie eine Hengstkette über ihre Nase und durch den seitlichen Ring wieder nach unten.
      “Na komm”, sagte ich und setzte mich in Bewegung. Wie angewurzelt stand sie da, bewegte sich keinen Millimeter von der Stelle, sondern starte weiter zum Horizont. Da entdeckte ich einen kleinen hellen Punkt, der sich dabei langsam veränderte. Nur mit guten Zusprüchen folgte sie schlussendlich. Geduldig nahm ich es hin und im Stall begann ich den Vierbeiner ausreichend Zuwendung zu schenken. Aus der Box an der Seite hörte ich leises Brummen – Lubi versuchte, mit dem Rennpferd Kontakt aufzunehmen. Humbria hingegen ignorierte sie vollkommen, untersuchte lieber den Boden des Stalles, der makellos geputzt war.
      Hufschlag ertönte, während ich den Vorderhuf auf meinem Oberschenkel zu liegen hatte. Mit einem Satz bewegte sie sich nach vorne und trat mir unausweichlich gegen mein Bein. Schmerzerfüllt schrie ich auf, rieb mir die pochende Stelle am Knie.
      Durch das Haupttor führte Erik zusammen mit Trymr die Pony Stute hinein. Sie mussten Ewigkeiten im Wald gewesen sein, denn schon als ich aufstand, war er nicht mehr da.
      “Guten Morgen”, begrüßte ich ihn heiter und humpelte zu ihm. Er grinste breit. Auch Maxou erhob den Kopf, als sie meine Stimme hörte und verlängerte die Schritte. Von ihrem Schweif tropfte das Wasser und auch Erik war nicht verschont worden von dem plötzlichen Regenschauer, der mich beim Ausritt ereilte. Jedoch bereitete er sich darauf vor, trug ein Cap auf dem Kopf, mit einer Kapuze darüber. Ein neckisches Lächeln umspielte seine Lippen, während es sich anfühlte, als würde er mich mit seinen Augen entkleiden. Aber auch in mir regte es sich, jagte ein lustvolles Ziehen durch meinen Unterleib, der mir den Schmerz im Knie vergessen ließ. Wie schaffte er es nur mit der bloßen Anwesenheit und einigen Änderungen seines Standardoutfits mich derartig zu verzaubern? Ich atmete tief durch, versuchte mich darauf zu konzentrieren, dass die dunkle Stute meine vollständige Aufmerksamkeit verlangte.
      Erik kam näher und presste mich fest an seine Hüfte. Wieder stockte mein Atem. Es gab nichts, das uns hinderte. Leidenschaftlich drückte ich meine Lippen auf seine, schloss die Augen und verschwand für viele Sekunden in meinen Gedanken. Es prickelte. An meinem Bauch spürte ich den warmen Druck seiner Lenden, die sich immer näher an mich drückten. Dann stupste mich Maxou über seine Schulter hinweg an. Unsere Lippen löste sich, aber die Sehnsucht blieb, mehr von seiner Haut auf meiner zu spüren. Er lachte und abermals fühlte ich, wie mich eine Hitzewelle durchfuhr.
      “Sie möchte zurück in ihr Bettchen”, nickte ich zum Pony, das hinter seinem Rücken stand und zum wiederholten Male gähnte.
      “Und du musst sicher den Riesen bewegen, der mich verwirrt anblickt”, scherzte Erik. Dabei ließ er mit seinen Händen von mir ab. Das Gefühl, wo sie gerade noch lagen, beglückte weiter meinen Geist.
      “Aber ich wäre lieber mit dir”, sprach ich leise.
      “Verstehe ich, doch auch ich habe noch Aufgaben vor mir”, grinste er und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. Meine Motivation versagte, wünschte sich ihn zur Hütte zu begleiten, aber sogleich ertönte das Kratzen über den Beton hinter mir. In einer einzigen Bewegung setzte ich mich zu der Stute und drückte meine Hand an ihre Brust. Schockiert riss sie die Augen auf, aber hörte auf mit dem Huf zu scharren.
      Es fehlte nur noch das Sattelzeug, dann waren wir Abflug bereit. Neugierig mustere Humbria Sattel von Lubi, den ich frecherweise auf fast jedem Pferd nutze, dass ich am Hof ritt, allem voran aus Bequemlichkeit. Des Weiteren fühlte es sich wie schweben auf den Wolken mit den Sorgen fernab. Darunter legte ich eine Filzdecke, die ich irgendwann online entdeckt hatte und für Glymur nehmen wollte, aber die Möglichkeit wurde mir genommen. Umso mehr freute ich mich, sie nun zu verwenden. Mithilfe des Tritts legte ich alles auf den Rücken der Stute, setzte meinen Helm wieder auf und trenste. Hektisch kaute sie auf dem Gebiss.
      “Alles gut”, beruhigte ich Humbria mit sanften und lang gezogenen Worten. Sie gehorchte. Im Stall stieg ich bereits auf, entschied erst beim Herausreiten, dass ich Lust auf den Reitplatz davor hatte. Die Stute musterte derweil die Umgebung und mir wehte der Wind unsanft einzelne Strähnen ins Gesicht, die ich mühevoll wieder wegstreichen musste.
      Wie es Tyrell mir beschrieb, schritt Humbria hektisch voran, hörte nicht zu und sah nervös die Gegend an. Schon beim Warmreiten versuchte ich die Stute ruhiger zu bekommen, so bremste ich unverhofft in den Stand, lobte bei schneller Reaktion und versuchte, dass sie aus der Hinterhand nach vorn schob. Je öfter ich es wiederholte, umso durchlässiger wurde sie. Immer mehr Kontakt baute die junge Stute zum Zügel auf. Ihre Ohren richteten sich nach und nach immer mehr zu mir, hörten, was ich von ihr wollte und dann begann Humbria sich zu lösen. Sie streckte den Hals weit nach vorn. Der Kopf wippte und knackte schließlich. Zufrieden lobte ich.
      Vertieft in meinen Gedanken und der Überlegung, wie ich die Stute bestmöglich fördern könnte, bemerkte ich den ungebetenen Gast am niedrigen Zaun des Reitplatzes erst spät. Auch Humbria durchfuhr der Schock durch das Auftauchen eines Menschen, dass sie aus dem Trab einen gewaltigen Sprung zu Seite machte. Nur durch den Wolkensattel gelang es mir, nicht im Dreck zu landen und dabei noch das Pferd zurückzuholen. Das Fluchen verkniff ich mir, beruhigte zunächst die Stute, ehe ich prüfend zur Seite warf, wer nur dem Tier einen solchen Schrecken einjagte. Mir stockte der Atem. Niklas stand mit seinem Fuß auf dem Stein gestellt dar, musterte mich von oben bis unten und schüttelte dabei langsam mit dem Kopf.
      „Du kannst doch nicht einfach wortlos dich dahinstellen“, beschwerte ich mich umgehend und mit einem Schnauben stimmte mir Humbria zu. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen, warfen ihm kleine Blitze zu, die ihn zum Teufel schicken sollten.
      „Ich habe was gesagt“, verteidigte er sich und verschränkte die Arme verärgert, „außerdem sollten wir dringend reden.“
      „Nein, sollten wir nicht. Alles, was wir tun sollten, beruht auf einem Arbeitsverhältnis und Distanz“, versuchte ich ihn loszuwerden. Doch es missglückte. Stattdessen breitete sich ein heiteres Lächeln auf seine Lippen, dem ich zu viel Aufmerksamkeit schenkte. Humbria hielt abrupt vor ihm an und ich wippte unsanft auf ihren Hals.
      „Scheint wohl nicht so gut zu funktionieren mit der Distanz“, sprach ich für meinen Geschmack zu überzeugt. Die Arme stützten nun wieder auf seinem Bein.
      „Geh endlich weg“, fauchte ich, „deine Freundin wartet sicher schon, ansonsten könnte dein Pferd auch Aufmerksamkeit gebrauchen.“
      Auch damit verschwand er nicht. Wie angewurzelt stand Niklas an der Stelle, wodurch Humbria ebenfalls keinen weiteren Schritt durch den Sand setzte.
      „Dann können wir doch jetzt reden“, zog er eine Braue nach oben, strich dem Pferd über das Maul. Amüsiert wippte ihre Unterlippe und die Zügel am Gebiss klapperten dabei.
      Ich seufzte.
      „Niklas, ehrlich gesagt, will ich nicht mit dir reden. Wir sind beide nicht dafür gemacht, normal miteinander umzugehen und ich habe so viel zu verlieren“, versuchte ich ihn mit Ehrlichkeit zu überzeugen, denn er schätzte diese Eigenschaft an mir. Endlich sah ich, dass in seinem Kopf etwas passierte. In Bewegung setzte er sich nicht, wieder seufzte ich. Etwas, das ich in den letzten Tagen eindeutig zu häufig tat.
      „Vriska, du bist nicht in der Position, das beurteilen zu können“, protestierte Niklas. Bitte was? Hatte ich mich gerade verhört? Ich riss meine Augen auf, öffnete den Mund, aber meine Worte verflogen im Wind.
      „Du fehlst mir“, seufzte nun er, „also als eine Freundin. Deswegen möchte ich dich bitten, nicht das Training zu beenden mit mir. Es war immer so ein Licht am Ende des Tunnels, dass mir den Tag erhellte und Hoffnung schenkt.“
      Wow, es schmerzte mich ungemein, das zu hören, aber in meinem Kopf versetzte ich mich in Lina. Sie war nicht in Sicht, aber hätte sie das gehört, wäre wieder eine Welt zusammengestürzt, meinetwegen.
      “Auch mir geht es so, aber nein. Es funktioniert nicht, so reif solltest du sein. Ich möchte nicht mit dir trainieren”, suchend bewegte sich der Blick weg von den Pferdeohren nach rechts, als würde dort meine Rettung warten – Fehlanzeige.
      “Dann sag es mir in die Augen, wenn du es wirklich nicht möchtest.”
      Nur zögerlich bewegte sich mein Kopf in seine Richtung, verunsichert, ob es mein Herzenswunsch war oder nicht. Undefiniert drückte es in meiner Brust, als wolle mir der Körper unter allen Umständen mitteilen, dass es sich um keine gewinnbringende Idee handelte und ich so schnell wie möglich das Weite suchen sollte. Der Vierbeiner stand noch immer wie angewurzelt da und ignorierte jedwede Versuche meinerseits wieder einen Huf vor den anderen zu setzen. Ich sah ihm in die Augen und biss mir stark auf die Zunge, um das aufkommende Gefühl zu unterdrücken. Gleichzeitig wiederholte ich Eriks Namen wie ein Mantra in meinem Kopf. Ihn wollte ich, nur ihn.
      “Ich weiß es nicht und kannst du jetzt bitte gehen? Wir reden, wann anders, nicht so zwischen Tür und Angel”, bat ich Niklas eindringlich. Endlich gab er nach und nickte.
      “Okay, dann reden wir Dienstag”, sagte er noch, setzte sich in Bewegung zum Stall und sogleich ertönte das Geklapper von Eisen an der Holzfront einer Box. Erleichtert atmete ich aus.
      Tatsächlich wurde es mir zum Teil auch wieder Humbria im Schritt anzureiten. Sie schnaubte gelassen haben. Meine Konzentration hingegen hatte sich vollständig verabschiedet, obwohl die Pläne mit ihr einfach waren. Einige Meter konnte ich Humbria zurück in ein ruhiges Tempo holen, gleichmäßig durchparieren und in einer Gebrauchshaltung wieder anreiten. Sie hörte aufmerksam und fragte höflich nach, bevor sie Blödsinn versuchte.
      Nach weiteren Runden ritt ich zurück in den Stall, stieg ab und entfernte das Sattelzeug. Wir kamen an Niklas vorbei, der seine Stute putzte. Mir gelang es tatsächlich keinen weiteren Blick zu ihm zu werfen, sondern brachte das Sattelzeug in die Sattelkammer, holte eine neue Weidedecke und stellte das nasse Pferd unter das Rotlicht. Mit hängender Unterlippe genoss sie die Wärme und ich setzte mich ihr gegenüber auf die Bank, Handyzeit.
      Einen Überblick über die ganzen Nachrichten zu bekommen, stellte sich als eine größere Herausforderung dar, als ich mir vorgestellt hatte. Immer mehr Bots, die mich mit hübschen Bildern beglücken wollten, fanden ebenfalls ihren Weg in mein Nachrichtentab. Die Anzahl meiner Follower hatte sich glücklicherweise bei dreitausend eingependelt und ich wusste nicht einmal etwas damit anzufangen. Aber was soll’s, interessiert tippte ich auf Linas Account, um zu gucken, was Leute normalerweise posten und bemerkte, dass sie einige Beiträge gelöscht hatte und gar nicht mehr abwarten konnte, ihren Schimmel wiederzusehen. Auch in mir wuchs die Vorfreude, das Einhorn hier zu haben, doch mir blieb noch ein Moment darüber nachzudenken, als die Bannerbenachrichtigung mich ablenkte. Ein Wirrwarr aus Buchstaben eröffnete sich vor mir und eine Formel. Ich runzelte die Stirn, aber kopierte beides sofort in meine Notizen, um die Nachricht nicht zu verlieren. Vermutlich musste ich den Schlüssel berechnen, um die Verschiebung des Alphabets herauszufinden. Rätsel waren nicht mein Ding, doch der Unbekannte hatte mich darauf vorbereitet, dass es nicht leicht werden würde.
      „Danke“, schrieb ich und dann schielten meine Augen zu Niklas, der mittlerweile sein Pferd aus der Box führte. Auf seinen wohlgeformten runden Lippen lag ein schelmisches Lächeln.
      „Ich habe ein Problem“, tippte ich dann noch an meine Ablenkung. Sofort antwortete er: „Man erzähle mir von dem schändlichen Anliegen.“
      „Den Typen, den mein Freund nicht mag (hatte vorher was mit dem) lässt mich nicht in Ruhe. Er hatte mich darum gebeten, das Training mit jemand anderes zu machen, dem habe ich widerstandslos zugestimmt. Doch jetzt auf einmal will der Typ das mit mir klären und akzeptiert es nicht. In mir kochen die alten Gefühle hoch, weiß nicht damit umzugehen, weil ich mir so sicher mit meinem Freund bin“, fegten meine Finger in Windeseile über den Bildschirm.
      „Und dennoch möchtest du dich mit mir treffen?“, leuchtete es im Chat, aber noch immer pulsierten die drei Punkte. Eine weitere Nachricht tauchte auf: „Spaß beiseite. Wenn du das mit dem nicht willst, dann tue es nicht. Ansonsten kläre es mit deinem Freund erneut, bitte ihn um Unterstützung. Wichtig ist nur, dass du eine Entscheidung treffen musst, insbesondere in einer emotionalen, instabilen Zeit, wie du sie gerade erlebst.“
      “Das schreibt sich so leicht“, antwortete ich. Im Stall wurde es zunehmend voller und ich entschied zwischen den neugierigen Blicken mein Handy wieder wegzustecken; Schluss mit den Spielchen.
      Das rote Licht verglühte und Humbrias müden Augen öffneten sich langsam. Von beiden Seiten am Halfter öffnete ich die Haken und führte sie zurück auf den Paddock, auf dem eine beträchtliche Ruhe herrschte. Die Pferde dösten, bemerkten kaum, dass die Stute wieder zurückkam. Sie hingegen trottete langsam zum Unterstand, steckte den Hals durch die Gitter und begann mit den Lippen Halme zu inhalieren. Das Halfter hängte ich in den Zwischengang und starrte auf die Uhr. In wenigen Minuten würde der Tierarzt eintreffen. Beeindruckend schnell kam ich an der Hütte an, in der Erik sich bereits anzog.
      “Ich muss dich noch etwas fragen”, sagte er sanft auf dem Weg zum Stall. Vorsichtig sah ich an ihm hoch, ohne die Hand loszulassen, die ich fest umschlossen in meiner hatte. Ich nickte.
      “Was hat es mit Kiel auf sich?”
      Natürlich musste diese Frage kommen, aber von Lina konnte er es nicht wissen. Wir hatten beim Essen das Thema totgeschwiegen und auch, dass Niklas zur gleichen Zeit mit einigen Auserwählten nach Stockholm fahren würde. Mir stockte für einen Augenblick der Atem, ehe ich stark ausatmete und darauf gefasst war, ihm mehr zu erzählen.
      “Woher weißt du das?”, drängte sich jedoch als erste Frage aus meinem Mund.
      “Dein Handy hat in der Nacht aufgeleuchtet und den Termin angezeigt. Im Zuge meiner unstillbaren Neugier habe ich die Benachrichtigung geöffnet und versucht mehr zu finden”, gab er wehmütig zu. Wieder blieb mir der Atem weg, doch jetzt stich es unsanft in meiner Lunge. Als wäre es ein Zeichen, hielt er mir eine Schalter Zigaretten hin, aus der ich sogleich eine herauszog und aus der Innentasche der Jacke ein Feuerzeug nahm. Das Stechen ließ nach, aber dafür drückte es nun. Deutlich angenehmer, wie ich es fand. Mir wurde klar, dass er vermutlich noch mehr gesehen haben könnte, wenn er versuchte, mehr Informationen zu finden.
      “Dann weißt du von?”, deutete ich mit stotternden Worten meinen unbekannten Verehrer an. Es musste so weit kommen, wenn auch etwas früh.
      Erik nickte, aber sein Gesicht blieb wenig berührt davon.
      “Aber”, sprach er und zog an dem Glimmstummel, “du hättest darauf kein Geheimnis machen müssen. Ich kann deinen Reiz nachvollziehen und wenn du dich ernsthaft einmal mit ihm treffen möchtest, will ich dieser Erfahrung nicht im Wege stehen.” Auf seinen Lippen bildete sich ein kurzes Lächeln, dass bei dem nächsten Zug wieder weichte.
      “Danke dir, aber ich weiß es noch nicht. Ich bin froh dich zu haben und möchte mit dir Erfahrungen machen”, versuchte ich zuversichtlich zu bleiben. Seine Hand drückte fest meine. Ich wusste aus unerklärlichen Gründen sofort, dass es die richtige Entscheidung mit ihm war. Noch bevor wir im Stall ankamen, erzählte ich ihm von der Auktion in Kiel und dass wir dort eine Art Lehrgang haben würden, um unsere reiterlichen Fähigkeiten zu verschärfen. Interessiert hörte er zu, aber gab kein Kommentar dazu ab.
      Vor dem Gebäude stand bereits der Transporter unseres Tierarztes. Aus der Seitentür kramte er seine Tasche und begrüßte uns freundlich, als er uns bemerkte. Zusammen liefen wir zur Paddock Box, in der Maxou beinah leblos stand. Die Späne lagen fein vor der Kante ins Freie. Nicht mal einen prüfenden Blick schien sie nach draußen gesetzt zu haben. Umso mehr setzten die Zweifel ein. Ich hatte daran setzt ein Pferd haben zu wollen, dass ich mir nicht die Zeit ließ, mir darüber Gedanken zu machen, was ich mit meinem Pferd überhaupt anstellen wollte. Nein, stattdessen ging es nur darum eins zu haben und nun stand dieses arme Tier verängstigt da, wie eine versteinerte Statur. Erst, als Erik sie ansprach, regte sich eins der Ohren. Ihr Kopf erhob sich langsam und ich wusste wieder, zumindest kurz, wieso ich ihr die Chance gab, sich zu beweisen. Ich drückte meinen Freund, dachte ich das gerade wirklich?, ein Halfter in die Hand, dass ich ursprünglich für Glymur gekauft hatte. Es war violett und reflektierte im Licht in schönen Fuchsia Tönen. Getragen hatte er es bisher nur einmal, doch Maxou stand er vorzüglich. Er führte die Stute hinaus und folgte mir in den hinteren Teil des Stalles. Dort waren die Putzbuchten und deutlich besseres Licht. Außerdem konnte man das Pferd problemlos an beiden Seiten befestigen. Das Abnehmen der Decke übernahm ich. Sie sah mich kurz an und beschnupperte meine Hand, aber Erik erschien ihr so viel interessanter, was ich ihr nicht verübeln konnte.
      Doktor Linqvist begann mit seiner Arbeit, hörte die Stute als erstes Ab, betrachtete die Augen mit einer Lampe und sah sich die Zähne an. Dabei bestätigte sich Linas Annahme. Dabei stellte die ungleiche Abnutzung der Zähne, das geringste Problem dar. An einigen Stellen hatte sie Karies, dass er aber noch heute beseitigen würde. Was ihn ebenfalls Zahnschmerzen bereitete, war eine Fraktur an den vorderen Zahnreihe und zwei hinten. Wohl möglich durch Tritt eines anderen Pferdes oder schlimmeres, dass er nicht mehr aufführen wollte. Suchend blickte ich mich im Stall um, hoffte, Lina zu sehen oder zumindest ihren überheblichen Liebhaber. Vergeblich.
      „Möchtest du gehen?“, vergewisserte sich Erik, als der Tierarzt der Stute die erste Sedierung verpasste.
      „Nein, ich hoffe nur darauf, dass Lina mir helfen kann, ob das alles normal ist“, wimmerte ich und blickte mit glasigen Augen zu dem Zwerg. Ihr Kopf wurde schwer, hielt sich dennoch gut in den beiden Stricken.
      „Wir schaffen das zusammen, ich übersetze und du“, er stockte und kratzte sich an dem mit Stoppeln übersäten Kinn, „kennst dich mit Pferden aus.“
      „Ich verstehe genug, aber danke“, rollte ich beleidigt mit den Augen und erhob mich von der Bank. Erik hingegen lehnte sich zurück, beobachtete inständig jeden meiner Schritte.
      Der Kopf der Stute wurde immer schwerer und zur Unterstützung hielt ich ihn fest. Laut schnaubte sie aus, dabei knatterte das Geräusch. Meine Hand fuhr langsam über ihren Hals.
      > Rör henne inte så ofta. Hon har en svampsjukdom i huden.
      „Fass sie nicht so oft an. Sie hat einen Hautpilzkrankheit“, mahnte der Tierarzt und sofort schreckte ich zurück. Mit einem kläglichen Versuch drückte Maxou ihren Kopf ein Zentimeter nach oben, aber genoss wieder, dass ihr Halt gab.
      > Är det smittsamt?
      „Ist der ansteckend?“, fragte ich. Er schüttelte den Kopf, sagte aber, dass genaueres erst vom Labor geklärt werden kann. Dann spannte Doktor Linqvist das Maul des Tieres in ein Gestell, das vermutlich auch als Folterinstrument herhalten konnte. Erik wurde damit beauftragt einen Eimer mit warmem Wasser zu holen, während ich weiter assistierte. Zugegeben, bisher gehörte so was nicht in mein Aufgabenfeld. Unser Tierarzt sah dem nach und erklärte mir alles äußerst genau. Zeigte mir sogar die einzelnen Schritte.
      Interessierte hörte ich zu, hielt den Kopf, bis Maxou endlich fertig war nach fast einer Stunde. Ein Zahn wurde gezogen und weitere behandelt. Ihr Gebiss erstrahlt nun gleichmäßig wieder im Glanze, solle aber in den nächsten Stunden nur in der Box stehen unter Beobachtung. Dafür waren wir ausgerüstet. Also schaltete ich direkt die Kamera ein, die sonst nur nachts aktiv war und konnte nun jederzeit nachsehen, was sie trieb. Sobald Maxou aktiver sei, war führen angesagt, dem Erik sich glücklich opferte.
      Gegen den Hautpilz bekamen wir eine Salbe, die täglich zweimal aufgetragen werden sollte und das Fell musste umgehend verschwinden. Eine Winterdecke mit Halsteil stand dann somit als Nächstes auf der Einkaufsliste.
      So sehr vertieft das schlafende, und aus dem Maul blutende, Pony zu beobachten, bemerkte ich nicht wie sich eine Hand auf meine Schulter ableckte. Mit einem großen Satz sprang ich zur Seite. Erneut wippte der Kopf der Stute kurz nach oben. Lina stand neben mir und grinste.
      „Das kannst du nicht machen“, stammelte ich außer Atem und sorgte damit für reichlich Gelächter bei den anderen. Vermutlich lag ihre Hand schon einige Sekunden auf meiner Schulter, bis mein Körper es für voll nahm.
      “Folke hat gesagt, dass Holy auch untersucht werden soll”, erklärte sie und vermittelte mir indirekt, dass ich den Terrortinker bitte holen solle. Seufzend trennte ich den Blick von meinem Pony, sagte Erik Bescheid und lief über den Vorplatz zum Paddock. Friedlich zupfte sie an den restlichen Heuhaufen in dem Unterstand. Girlie stand neben ihr und auf der anderen Seite Mill, die interessiert zum Tor getrottet kam. Die Stute war stets bereit zu arbeiten, doch befand sich derzeit noch im Mutterschutz. Zwischendurch durfte sie Dampf ablassen, aber wurde ansonsten in Ruhe gelassen. Ihre Tochter inszenierte derzeit die Standfestigkeit des Zauns. Unbeachtet legte ich das Halfter um den plüschigen Kopf der gescheckten Stute und führte sie hinüber. Sie ließ sich Zeit, wollte nicht so recht in das große Gebäude hinein, als wusste sie, dass dort der Tierarzt wartete.
      Niklas' Gesicht sprach Bände und dass er nervös die Stallgasse auf und ab lief, ebenfalls. Lina versuchte ihn aufzumuntern, doch vollständig in den Gedanken verloren, reagierte er nicht auf ihre Annäherungsversuche. Seine Stute schien demnach das Fohlen verloren zu haben.
      “Muss ich fragen?”, flüsterte ich Lina zu.
      Sie schüttelte den Kopf.
      Damit war alles gesagt. In großen Schritten brachte Lina den Schimmel zurück in die Box und ich band stattdessen Holy an. Ihr Baby war wirklich groß, als wäre sie bereits im siebten Monat trächtig und somit bei der Übergabe an den Tierschutz bestiegen worden. Innerlich entbrannte ein Muttergefühl, die Freude ein außergewöhnliches Fohlen hier zu haben. Um, hoffentlich, Papiere zu bekommen, mussten Linas und meine Fähigkeiten herhalten, den Vater des Fohlens zu ermitteln. Sie bekam von den freudigen Nachrichten nicht viel mit, sondern beruhigte ihren Freund mit allen Kräften.

      So schnell wie Niklas erschien, verschwand er auch wieder und Lina blieb wie ein begossener Pudel am Rolltor stehen, sah dem Auto am Horizont hinterher. Ich konnte seinen Schmerz nachvollziehen und auch, dass sie zu gleichen Teilen an sich band. Der kurze Moment der Wehmut wurde durch ein lautes Scheppern unterbrochen, das von der anderen Seite des Stalls kam. Zusammen joggten wir durch die Stallgasse und vor uns eröffnete sich ein riesiger Lkw, beladen mit Absperrungen und dahinter folgte ein Bagger.
      “Was zur Hölle ist hier los?”, fragte ich rhetorisch und auch Lina konnte nur mit Erstaunen die Arbeiter betrachten. Von der Seite kam Tyrell dazu, die Arme breit in der Hüfte gestützt und einem Lächeln auf den Lippen. Zufrieden atmete er aus.
      “Es geht los”, lachte er. Lina und ich sahen uns weiter verwundert an.
      “Was genau?”, versuchte ich mehr Informationen, ans Tageslicht zu bekommen.
      “Oh, dann habe ich es euch vergessen zu sagen”, seufzte er, “somit wisst ihr auch noch nicht, dass bis heute Abend eure Sachen gepackt sein sollen.”
      Schockiert riss ich Augen auf, hielt mich an Lina fest.
      “Was? Nein, wissen wir nicht!”, sprach Lina gleichermaßen verwirrt wie erschüttert, “Wieso sollen wir unsere Sachen packen?”
      “Wir bauen den Hof um und eure Hütten werden abgerissen”, fasste er sich kurz. Ein erschütternder Schmerz fuhr durch den Körper. Die kleine Hütte wurde zu so viel mehr als einem einfachen Haus. Sie war mein Rückzugsort, ein Zuhause mehr als Erik es mir war.
      “Das ist nicht dein Ernst”, schimpfte ich verzweifelt.
      “Und ihr habt jetzt sechs Stunden euren Kram in den Konferenzraum vier zu bringen”, zeigte er in die Halle, “Am Abend erzähle ich euch dann in Ruhe alles.”
      “Aber wir haben doch die Ferienhütten?”, versuchte ich meinen Gedanken zu verdrängen und dem Unausweichlichen zu entgehen.
      “Die sind an die Vorarbeiter vermietet”, zuckte Tyrell mit den Schultern und verließ uns. Sein Abgang wirkte von so viel Missgunst, dass es eine gute Erklärung sein musste, damit ich meine Sachen auch wieder auspacken würde.
      “Das ist nicht sein Ernst, oder?”, fragte mich Lina, die es wohl nicht ganz glauben konnte, was unser Chef uns gerade eröffnete.
      “Offenbar schon”, seufzte ich, “dann sollten wir wohl mal unser Zimmer beziehen.”

      Lina
      “Ja, dann sehen wir uns wohl gleich”, nahm ich diese Tatsache resigniert hin und verschwand bevor Vriska noch etwas hätte sagen können. Schwer lag mir das Herz in der Brust. Falls es so etwas wie einen Gott geben sollte, war dieser heute nicht sonderlich gnädig gestimmt. Unangenehm drang das Geräusch des Kieses an meine Ohren, der bei jedem Schritt unter meinen Sohlen, leise knirschte, bis es abgelöst wurde durch das dumpfe Klopfen, welches meine Füße auf den Stufen erzeugten. Melancholie überkam mich als ich in den Raum eintrat. Willkürlich begann ich Dinge in eine Kiste zu werfen, die sich mir in den Weg gestellt hatte. Es sollte mich nicht so hart treffen, einen Ort, an dem ich gerade einmal knappe eineinhalb Monate wohnte, wieder zu verlassen, aber genau das tat es. Was es so beschwerlich machte, war nicht die Sache an sich. Klar, ich begann gerade erst, mich an mein kleines Reich zu gewöhnen, hatte gestern erst überlegt, wie man es behaglicher gestalten konnte, aber letztlich war es auch nur ein Raum, den ich noch nicht mein Zuhause nannte. Es hätte auch schlimmer kommen könne. Immerhin war Tyrell so gnädig gewesen, uns nicht nur ein Zelt oder Ähnliches hinzustellen oder gar uns ganz auf die Straße zu setzen. Darüber hinaus könnte ich mir schlimmeres vorstellen, als mit Vriska zusammenzuwohnen, wenn es auch bedeute deutliche Einschränkungen in der Privatsphäre zu haben. In vergangenen Zeiten hatte ich mir schon mit Leuten ein Zimmer geteilt, die mir deutlich unsympathischer waren. Nein, es war schlichtweg einfach der falsche Zeitpunkt für eine solche Nachricht. Gedanklich hing ich noch immer bei der schlechten Neuigkeit, die der Tierarzt mit sich brachte. Die Information an sich erweckte bereits großen Kummer in mir, lag doch so viel Hoffnung darin, dass die Trächtigkeit gut verlief, aber diese Hoffnung wurde bitter enttäuscht. Es würde kein Fohlen für Smoothie und Niklas geben.
      Meinen Freund schließlich so bestürzt zu sehen weckte noch mehr Trauer in mir und spürte seinen Schmerz beinahe so deutlich, als sei es mein eigener. Ich hatte für Niklas da sein wollen, ihm Trost spenden, doch er hörte mir nicht zu, distanzierte sich. Selbst meine größten Bemühungen hatten nicht ausgereicht, um vollständig zu ihm durchzudringen. Es erschloss sich mit bisher nicht, was es war, dass er sich dermaßen vor mir verschloss, aber ich hatte dem nichts entgegenzusetzen, konnte nur abwarten, ob ich seine Beweggründe eines Tages besser verstehen würde. Wirklich wohl war mir nicht bei dem Gedanken, dass er in einem solchen emotionalen Zustand fuhr, aber mir blieb nichts anderes übrig, als zu hoffen, dass er in seinem Wahn nichts Dummes anstellte.
      Seufzend stellte ich die Kiste, in der sich mittlerweile ein buntes Sammelsurium an Dingen befand, beiseite und ließ mich auf die nächste Sitzgelegenheit sinken, die leise unter der Belastung knarzte. Langsam ließ ich meinen Blick über den Inhalt des Kartons gleiten. Die Auswahl an Gegenstände war chaotisch und in keinster Weise nachvollziehbar. Neben einem Buch glitzerte mir ein Kugelschreiber entgegen. Daneben hatten drei Paar Socken, eine Tafel Schokolade, Kopfhörer und ein Paar Reithandschuhe ihren Weg in die Kiste gefunden. Das Laptopkabel schlängelte sich wie eine Schlange um alles herum und verband es auf eine befremdliche Weise miteinander. Ganz oben darauf thronte der kleine helle Plüsch-Ivy wie ein Drache, der seinen Schatz hütet. Würde man das innere meines Kopfes visualisieren sähe es sicher ähnlich widersinnig aus. Bilder, Gedanken, Gefühle, … Träume, Erinnerungen und Gegenwärtiges … Wichtiges und Belangloses, alles auf einem großen Haufen.
      Nachdenklich schüttelte ich den Kopf. So würde, dass hier nichts werden, ich musste erst ein wenig Klarheit in meine Gedanken bringen, um das hier mit ein wenig System anzugehen. Ruhelos griffen meine Finger zu dem Handy, welches ich beim Hineinkommen auf den kleinen Tisch niedergelegt hatte. Kühl und schwer lag das Metall in meinen Fingern, einzig das Bild meines Hengstes, welches den Sperrbildschirm zierte, strahlte mir entgegen. Was hatte ich denn auch erwartet? Dass mir das Gerät auf magische Weise zeigte, dass meine Sorgen unbegründet seien? Das war wohl kaum möglich. Selbst für eine Nachricht von Niklas wäre es noch zu früh gewesen, unmöglich könnte er bereits Zuhause sein, hinzu kam noch, dass er selbstverständlich keine Gedanken lesen konnte. Ich seufzte, schüttelte den Kopf erneut. Sicherlich machte ich mir mal wieder zu viele Gedanken. Einen Moment lang betrachtete ich den Bildschirm. Hals und Ohren aufmerksam aufgerichtet blickte Divine mir aus dem Glas entgegen. Seine dunklen Augen leuchten sanftmütig und hoben sich deutlich von dem hellen Fell ab und selbst auf dem Bild ging seine magische Ausstrahlung nicht verloren. Er wirkte so einladend, als wollte er sagen: „Alles wird gut, mach dir nicht so viele Sorgen.“
      Doch so einfach war das nicht. Gedanken lösten sich nicht einfach in Luft auf. So wischte mein Daumen über die glatte Oberfläche, woraufhin sich die Darstellung veränderte, kurz mein Homescreen zeigte, bevor mein Finger wie von selbst auf dem Messenger-Dienst tippte. Erst als sie den Chat geöffnet hatten, der „Niki“, als Überschrift trug, hielten sie inne. Neben dem Wort prangte zwei rosafarbene Herzen, ein großes und ein kleines. Ein eher kläglicher Versuch diesen Kontakt von den anderen abzuheben, denn Herzen in den unterschiedlichsten Variationen kam auch anderen Menschen zu, die mir wichtig waren. Nachdenklich starrte ich auf den Cursor, der in regelmäßigem Rhythmus in dem hellen Schreibfeld aufblinkte. Auf einmal fühlte es sich an, als bewege sich rein gar nichts mehr in meinem Kopf, als wäre dort irgendetwas eingefroren, was mich daran hinderte auch nur ein Wort zu schreiben. Dennoch waren die Sorgen nicht fort, nur die Fähigkeit diesen Ausdruck zu verleihen schien verschwunden. Nach gefühlten Minuten erlosch der Bildschirm, aufgrund von Inaktivität und ich blickte in meine eigenen mit Sorge gefüllten Augen.
      Ich atmete tief durch, lehnte mich zurück und versuchte meine Gedankenströme in eine Richtung zu lenken, die sich mehr auf das hier und jetzt konzentrierten und nicht auf Ereignisse, die nur eingeschränkt in meinem Einwirkungsbereich lagen. Mit jedem Atemzug rückte die Sorge um meinen Freund ein wenig in den Hintergrund und machte Platz für andere Gedanken.
      Meine Augen wanderten durch den Raum, bis sie schließlich wieder an der Kiste hängen blieben, auf der das Plüschtier thronte. Gerade jetzt, wo ich Ivys moralischen Beistand gebrauchen könnte, fehlte er mir umso mehr. Zu wissen, dass mein er allein in einer völlig unbekannten Umgebung bereite mir mindestens genau so viel Kummer.
      Von dem einen auf den anderen Tag musste er sich an eine neue Bezugsperson gewöhnen, weil ich einfach weg war und dann nach Monaten wurde er erneut mit einem dieser riesigen, unheimlichen, lauten Dinger durch die Gegend geflogen. Vermutlich verstand das arme Pferd die Welt nicht mehr, war er mit seinen fünf Jahren doch praktisch noch ein Baby.
      Bald, ziemlich bald würde ich ihn wieder bei mir haben, sein weiches Fell unter meinen Finger spüren und auch sein freundliches gebrummelt würde wieder ertönen, wenn ich morgen den Stall betrat. Dieser Gedanke motivierte mich tatsächlich ein wenig jetzt endlich an die Arbeit zu gehen, denn vom Trübsal blasen, würde die Zeit wohl auch nicht schneller vergehen.
      „Okay Mini-Ivy“, sprach ich entscheiden zu dem plüschigen Einhorn ”der Kerl kann sicher auf sich aufzupassen, schließlich ist er alt genug dafür.” Hoffentlich. Die Worte klangen deutlich optimistischer als ich mit tatsächlich fühlte, aber die Wohnung würde sich wohl nicht von selbst zusammenzupacken. Obgleich der einleuchtenden Erkenntnis fühlte ich mich noch immer ein wenig bedrückt und leicht irre kam ich mir allmählich auch vor. Mit echten Tieren reden war sicher schon nicht ganz normal, aber dies mit Plüschtieren zu tun, grenzte, nein war eindeutig ein Zeichen für den Verlust meiner geistigen Fähigkeiten.
      Mein Blick schweifte durch das Zimmer. Auf den Regalen stapelten sich gleichermaßen Romane und Erzählungen wie Skizzenbücher, überall dazwischen hingen, standen und lagen Erinnerungsstücke an vergangene Zeiten. Wie konnte man eigentlich so viel Zeug sammeln?
      Über mich selbst den Kopf schüttelnd, begann ich nun endlich damit den Inhalt dieses Raumes zusammenzupacken. Diesmal allerdings mit ein wenig mehr System. Als Erstes landetet sämtlicher Kleinkram in den Kisten. Zwischen Fotos, Lichterketten und dem ein oder anderen Plüschtier, landeten auch Souvenirs und andere Erinnerungsstücke darin. Mitunter einige Dinge, die diesen Raum hier eindeutig als Zimmer eines Pferdemenschen kennzeichneten. Einzig glitzern Pokale und seidig schillernde Schleifen würde man in keinem der Kartons finden könne, denn diese gab es nicht. Noch nie betrat ich einen Turnierplatz mit der Absicht mich selbst zu präsentieren. Ich war immer nur stummer Bewunderer derer, die den Mut aufbrachten, sich den kritischen Blicken von Richtern und Zuschauern zu stellen, denn mir selbst war es bereits unbehaglich, wenn mir Leute beim Training zusahen. Besonders dann, wenn ich sie nicht kannte.
      Als ich indessen auch die Bücher einpackte, fiel mir ein Exemplar in die Hand, welches bereits die Spuren jahrelanger Nutzung mit sich trug. Pikku prinssi stand in geschwungenen Buchstaben auf dem weißen Einband. Darunter eine Illustration der Titelfigur auf ihrem kleinen grauen Planeten. Eine Geschichte, die nicht nur weltweite Bekanntheit errang, sondern deren Aussage bis heute gültig ist.
      > Vain sydämellään näkee hyvin. Tärkeimpiä asioita ei näe silmillä.
      „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, kam mir sofort der vermutlich am häufigsten zitiere Satz aus dem Buch in den Sinn. Eine Aussage von der sich die heutige von Schein und Konsum geprägte Welt durchaus etwas abschneiden könnte. Dass, was hinter der Fassade eines Menschen steckt, bleib vielen verborgen, weil sie sich vom äußeren Schein blenden lassen und ihnen lieber einen Stempel aufdrückten, anstatt sich die Zeit zu nehmen, diesen näher kennenzulernen. Behutsam legte ich das alte Buch zu den anderen und setzte mit meiner Tätigkeit fort.
      Das Zimmer war nahezu leer, einzig einige Skizzenbücher und Zeichenmappen lagen noch auf dem Tisch, die noch einen Platz in einem der Kartons suchten. Im Arm die Bücher, in der freien Hand die Mappe, stiefelte ich hinüber zu den Kisten. Die Mappe allerdings war nicht korrekt verschlossen, sodass sich ihr gesamter Inhalt auf den Boden ergoss. Gut gemacht, Lina, dachte ich und legte erst einmal die Bücher aus der Hand. Auf den Blättern zeichnet sich überwiegend Motive ab, die schon vor einigen Jahren entstanden waren, meiner Meinung nach keine wirklichen Meisterwerke, auch wenn Samu steht etwas anderes behauptete. Zwischen all den Bleistiftskizzen stach ein Blatt besonders hervor, weil es das einzige war, welches Farbe trug, ziemlich viel Farbe. Darauf zu sehen war ein leicht deformiertes Pony auf einer ziemlich bunten Blumenwiese. Links oben in der Ecke standen in der krakeligen Schrift eines Kindes „Für Lina“ geschrieben. In mir lebte eine Erinnerung auf, bunt und lebendig trat sie vor mein inneres Auge.
      Es war ein warmer Frühlingsmorgen, angenehm strich mir der Wind über die Haut und trug den Duft von Bratfett und Ketchup hinüber. Leise dudelte ein mir entfernt bekannter Song, sicher aus den Charts stammend, aus den Lautsprechern am Rande des Platzes. Auf dem Sand vor mir tummelten sich überwiegend junge Kinder mit Ponys oder auch kleineren zierlichen Pferden. Einzig ein bereits jugendlich aussehendes Mädchen ritt einen großen, eleganten Dunkelfuchs, der lustlos durch den Sand schlurfte.
      “Liiiiina, Minnie möchte nicht richtig anhalten”, quengelte das kleine blonde Mädchen und lenkt damit meine Aufmerksamkeit auf sich. Die Rappstute mit der schiefen Blesse reckte den weiß bemützten Kopf nach vorn und zog der Kleinen damit die Zügel aus der Hand.
      “Mach dich mal richtig schwer, Ally und versuche es dann noch mal”, rief ich ihr zu. Folgsam führte Alison die Anweisungen aus und das Pony ließ sich widerwillig nach einigen Schritten anhalten, zog dem Kind aber erneut die Zügel aus der Hand, bevor sie die Ohren anlegte und das Pony neben ihr angiftete. Schon seit das dunkle Pony aus dem Hänger gestiegen war, war es ziemlich unleidlich. Minnie Maus hatte nicht stillstehen wollen und unwillig nach mir geschnappt beim Putzen. Sicherheitshalber beschloss ich sie zuerst selbst abzureiten.
      Dieses Vorgehen erwies sich als kluge Entscheidung. Kaum hatten Minnies Hufe den Sand berührt, schoss sie auch schon quietschend los und obwohl ich damit gerechnet hatte, rette mich nur ein beherzter Griff in den Aufsteigriemen, um nicht in dem hellen Sand zu landen. Immer wieder testete die Stute meine Sattelfestigkeit, bis sie schließlich den Großteil der überschüssigen Energie abgebaut hatte.
      Bis auf Klauen der Zügel klappte das Aufwärmen des Ponys und Ally relativ gut. Minnie wählte fast immer direkt die richtige Gangart und unterließ jegliche Versuche ihren Reiter auf den Boden zu befördern, sodass ich darüber nachdachte, die Stute nicht doch auszubinden, um es dem Kind einfacher zu machen. Schließlich war dies hier keine klassische Dressurprüfung, sondern ein Reiterwettbewerb. Nachdenklich warf ich einen Blick auf das Pony-Reiter-Paar, die sich damit abkämpften, jeweils ihren Willen durchzusetzen. Von Mitgefühl erfüllt sammelte ich die Dreieckszügel aus dem Haufen mit der Abschwitzdecke und rief Ally zu mir heran. Dank Minnies Kooperationsbereitschaft waren diese schnell verschnallt und die beiden konnten, ihre Wege fortsetzen. Ally sah bereits nach wenigen Tritten deutlich glücklicher aus, als das Pony ihr nicht mehr im Minutentakt die Zügel aus den Fingern zog und auch die Geschwindigkeit somit kontrollierter wurde.
      Alison, die normalerweise plapperte wie ein Wasserfall, war ziemlich still geworden als ihre Gruppe aufgerufen wurde und wir vor dem Tor auf den Einlass wartetet. Nervös spielte sie mit den Zügelenden in ihren kleinen Fingerchen.
      “Ich kann das nicht”, sprach Ally entmutigt, als sie einen Blick über das Hallentor fallen ließ, wo gerade eine E-Dressur stattfand. Natürlich sahen die beiden Jugendlich deutlich besser auf ihren Pferden aus als die Reiter ihrer Altersklasse. Sanft legte ich dem Mädchen die Hand auf das Bein, woraufhin sie mich mit ihren ängstlichen blauen Augen anblickte.
      “Ally, schau mal da rüber”, ich deutete mit der freien Hand in Richtung der Zuschauertribüne, “dort sitzen schon deine Eltern und warten auf deinen Auftritt. Außerdem denk daran, wir haben das alles schon ganz oft geübt. Es ist genau dasselbe wie Zuhause.” Schüchtern nickte das Kind bei meinen Worten und warf erneut einen Blick in die Halle.
      “Um Minnie brauchst du dir keine Sorge machen, die macht das mit links. Konzentriere dich allein darauf, wie du reitest. Ich warte hier die ganze Zeit auf dich und hab alles im Auge, ja. Und Vergleich dich nicht mit denen da drinnen, die machen diese Sache schon deutlich länger als du.” Kaum hatte ich den Satz beendet, erklang verhaltender Applaus in der Halle, bevor sich das Tor öffnete und die beiden Reiter die Halle verließen. Das war der Moment für Ally und die vier weiteren Reiter unter der Ansage des Kommentators den Sand zu betreten. Gesittet folgte Minnie dem kleinen Palomino in die Halle, nun ganz das brave Pony, welches man von Zuhause kannte.
      An die eigentliche Kür erinnerte ich mich nur noch sehr schwammig, sie war nicht sonderlich spektakulär gewesen, einzig Schritt, Trab, Galopp mit sehr simplen Bahnfiguren.
      Dem entgegengesetzt erinnerte ich mich umso besser an das strahlende Gesicht der Kleinen, als die Richter die silbern glänzende Schleife an Trense von Minnie Maus befestigten. Vordergründig ging es hierbei um den Spaß, dennoch zersprang mein Herz beinahe von Stolz erfüllt. Ally hatte ihre Sache ziemlich gut gemacht und ich hatte es tatsächlich geschafft einen meiner Schützlinge zum Erfolg zu führen, wenn auch nur bei einem Reiterwettbewerb.
      Die Erinnerung verglühte, wie ein Funke, der tanzend in den Nachthimmel emporsteigt, bis er endgültig erlosch, doch das Gefühl von Stolz und Glückseligkeit hingegen hallte noch einen Augenblick in mir nach. Achtsam legte ich die Zeichnungen zurück in die Mappe. Ganz oben auf, legte ich mit einem lächelnd auf den Lippen die Zeichnung von Ally.
      Jetzt hieß es nur noch die Kisten rüberzubringen. Glücklicherweise war es nicht allzu viele, sodass dies wohl möglich schneller vonstattenging als das Packen gedauert hatte.

      Vriska
      Für einen Augenblick sah ich Lina nach, wie sie wirr ums Haar zwischen den Paddocks hindurch eierte und schließlich hinter den Gebäuden verschwand in Richtung der Wohnhäuser. Anstelle ihr nachzulaufen, und ebenfalls meine Habseligkeiten zu verstauen, drehte ich mich auf der Ferse um und lief zurück zu meinem Pony. Erik saß ihr gegenüber auf der Bank, starrte abwesend auf sein Handy und bemerkte mich erst, als ich direkt vor ihm stand. Langsam hob er seinen Kopf. Auf den Lippen lag ein müdes Lächeln, was vermutlich der langen Nacht geschuldet war, in der Fredna kaum Schlaf fand, wie hypnotisiert durch die Hütte lief und immer wieder zwischen uns ins Bett kletterte. Auch Trymr fühlte sich dadurch motiviert, ihr zu folgen und jeden ihrer Schritte genau zu untersuchen. Irgendwann hörte ich auf, die Uhrzeit zu prüfen, wenn ich, durch einen kleinen Arm oder felligen Kopf in meinem Gesicht, wach wurde. Umso stärker dröhnte der Wecker in meinen Ohren um kurz vor acht.
      „Was beschäftigt dich?“, fragte ich zuversichtlich und strich ihm über die Schulter. Sofort änderte sich sein Blick. In seinen hellen Augen lag ein glühendes Funkeln, das mir wie vom Blitz getroffen durch den Körper fuhr und eine Welle aus prickelnden Gefühlen flutete jede noch so kleine leblose Zelle. Unbewusst begann ich zu grinsen.
      „Ich habe euer Gespräch gehört“, seufzte Erik und griff nach meiner Hand. Umgehend löste sich die nächste Flut, die diesmal in meinem Unterbauch drückte. Das Ziehen durchzog sogar meine Oberschenkel, alles kribbelte.
      „Und was sind deine Bedenken?“, versuchte ich meine Bedürfnisse in den Hintergrund zu stellen, schließlich fühlte ich mich ebenfalls nicht ganz wohl bei dem Gedanken für sechs Monate mit Lina das Zimmer zu teilen. Dafür standen zu viele unbeantwortete Fragen im Raum und unausgesprochene Worte, die wir im Alltag bedenkenlos ignorieren konnten.
      „Dass wir einander kaum noch zu Gesicht bekommen“, erneut trafen sich unsere Blicke, „und das wäre furchtbar schade. Schließlich konnten wir …“
      Erik stoppte sofort. Wollte er, dass ich formulierte, warum sich unsere Situation derartig entwickelte? Ich ließ ihm Zeit, aber er schwieg. Immer häufiger wanderten seine Augen über meine Schulter hinweg zum Pony, das langsam, aber sicher wieder aufwachte.
      „Du meinst, ich konnte mich endlich dem öffnen, was uns von Anfang an auf der Seele lag?“, rutschte es mir beinah versehentlich über die Lippen.
      „Uns?“, grinste Erik verlegen und erhob sich von der hölzernen Bank, dabei knackte sie verdächtig laut.
      „Es tut mir leid. Dann halt, was mir auf der Seele lag“, seufzte ich.
      „Engelchen“, lachte er und kam einen Schritt näher an mich heran, „dir muss es doch nicht leidtun. Natürlich, uns. Sonst hätte ich mir wohl kaum den ganzen Kram mit den Pferden angetan. Meine Zeit hätte ich deutlich … sauberer verbringen können.“
      Kurz schnellte meine Puls nach oben, dass Erik die Abende als Zeitverschwendung ansehen würde, doch genauso schnell normalisierte er sich. Zumindest so normal, wie er in seiner Anwesenheit sein konnte. Mittlerweile hoffte ich darauf, dass der ständige Schwall an Hitze in den Hintergrund geraten würde, stattdessen gehörten diese Anfälle mittlerweile zum Alltag, wie das Gefühl noch immer in der Pubertät festzustecken. Verlegen senkte ich meinen Kopf. Mit seiner Hand strich er mir liebevoll eine Strähne aus dem Gesicht, bevor er mein Kinn wieder sanft nach oben drückte, damit ich abermals in seine Augen blickte.
      “Du brauchst dich nicht dafür schämen. Es ist alles in Ordnung”, fügte Erik noch hinzu und drehte sich von mir weg. Als er an mir vorbeilief, berührten sich für einen kurzen Augenblick unsere Hände. Hoffnungsvoll schnappte ich nach Luft und folgte ihm zur Box. Erik lehnte die Unterarme auf dem kalten, schwarzen Metall ab, beobachtete, wie Maxou vorsichtig die Heulage knabberte, die ich vor ihrer Behandlung in der Ecke platzierte.
      “Vielleicht sollten wir sie nun einige Runden führen”, schlug ich vor und griff nach dem Strick, der um einige Gitterstäbe herumhing. Die Stute hob den Kopf. Ihre Ohren bewegten sich verunsichert in alle Richtungen, als gäbe es ein Problem, wenn ich sie führe. Auch in ihren Augen funkelte es misstrauisch. Ich drückte Erik wortlos den Strick in die Hand und drehte mich weg. Wie ein Messer stach mir sein Blick in den Rücken, als ich stumm verschwand zur Sattelkammer. Maxou hatte geschwitzt, sollte sich keinesfalls auch noch erkälten. Es würde noch genügend Kosten entstehen mit der Gurke.
      Leer richteten sich meine Augen zu dem Deckenhalter, der leblos an der Wand hing mit so vielen Decken, dass ich sie nicht zu zählen vermag. Wahllos blätterte ich die einzelnen Stangen durch wie die Seiten eines Buchs, dass man zwar lesen möchte, aber sich nicht bewusst war, dass man dafür die Worte verstehen sollte. Von vorn bis hinten sah ich Decken in allen Farben, Größen und Formen, wusste allerdings nicht genau, was ich suchte oder mir überhaupt dabei dachte. Unentschlossen ließ ich mich auf das Sitzpolster in der Mitte des Raumes fallen, überlegte, wie ich das alles heute verarbeiten sollte. Obwohl es kurz nach Mittag war, prasselte so viel Neues auf mich ein und wurde das Gefühl nicht los, dass ich wieder einmal alles allein auf den Schultern trug. Zugegeben, ich machte mir schon immer das Leben schwerer, als es notwendig war.
      Wie lange ich die Decken anstarrte und mich tief in meiner Gedankenwelt verlor, einem Teufelskreis aus falschen und überstürzten Entscheidungen, konnte ich nicht beurteilen. Jedoch musste die Zeit geflogen sein, wie Gänse auf ihrer Reise in wärmere Gefilde. Schritte nährten sich und auch ein dumpfes Kratzen auf dem Dielenfußboden. Meine Hände zitterten und Kälte durchzog mich wie ein kühles Lüftchen, dass sich unter meine Kleidung verlief. Ich atmete tief ein, drückte mich nach oben aus dem Sessel. Die Geräusche wurden erst lauter, bis sie plötzlich verstummten. Wer auch immer da war, musste angehalten sein und mich vermutlich beobachten, wie ich den Stoff anstarrte.
      “Entscheidungen treffen, lag dir noch nie”, lachte mein Bruder, der den Hund von Bruce im Schlepptau hatte. Elsa wedelte aufgeregt mit dem Schwanz und schnupperte interessiert den Boden ab, sowie die Kisten am Rand. Meine Augen folgten dem Schäferhund.
      “Danke”, rollte ich mit den Augen und drehte mich zurück zu den Decken, die unverändert über die Stangen hingen.
      “Aber bei Pferden scheinst du ziemlich schnell zu sein?”, kam Harlen näher, stützte den Arm auf meiner Schulter ab. Skeptisch zog ich meine Braue nach oben, während meine Augen zu ihm hoch schielten.
      “Sie konnte nicht in dem Drecksloch bleiben”, zuckte ich mit den Schultern, “also haben wir sie mitgenommen und ich schaue, wo es hinführt. Wenn es nicht passt, wird Maxou ein schönes Zuhause finden.”
      “Ich denke nicht, dass du dieses Pferd wieder abgibst”, sprach er ernst zu mir.
      “Wie kommst du auf solche Ideen?”, hackte ich nach. Wirklich die Zeit darüber nachzudenken, hatte ich bisher nicht, aber mein Bruder wusste mehr über mich, als ich es je könnte.
      Ich seufzte.
      „Das Pferd steht auf dein Typen und das sagt doch alles, oder denkst du nicht?“, kicherte Harlen.
      „Eins nach dem anderen“, hob ich demonstrativ meinen Zeigefinger in die Luft, „Maxou braucht eine Decke.“
      „Und dabei brauchst du meine Hilfe?“, wunderte er sich.
      „Nein, aber ja. Irgendwie schon. Hier ist sonst niemand, der mir helfen kann und Erik wartet sicher schon“, stammelte ich. Meine Hände hatten sich wieder zu den Stangen begeben und blätterten abermals durch die riesige Auswahl, als wären wir in einem Reitfachhandel unterwegs. Bis ich entschlossen ein dickeres Stück Stoff herunterzog, beinah erschlagen von den Verschlüssen, duckte ich mich weg und knüllte es in meinen Armen zusammen.
      „Na dann los“, schmunzelte mein Bruder, der noch immer bei den Sitzmöglichkeiten stand und dem Hund hinter den Ohren kraulte. Elsa saß entspannt vor seinen Beinen.
      „Was wolltest du eigentlich in der Sattelkammer?“, musterte ich Harlen, als wir entlang des Flurs liefen, nacheinander erhellte das Licht unseren Weg. Noch bevor eine Antwort kam, stoppte er plötzlich und wie versteinert sah mein Bruder mich an. Deutlich intensiver blickte ich in seine Augen, die sich im nächsten Moment zu Boden senkten, ehe er wieder hochsah.
      „Der Hund ist aus dem Büro gelaufen und dann bin ich ihr nach“, antwortete er klar und deutlich. Langsam nickte ich einmal.
      „Und warum hast du sie nicht gerufen?“, wunderte ich mich.
      „Weil“, kurz überlegte Harlen, „ich ihren Namen vergessen hatte.“
      Erneut erhob ich das Kinn.
      In seinem Gesicht breitete sich eine sanfte Röte aus, die Wangen bis zu den Ohren reichte. Dann kratzte er sich am Kinn, ehe sich die Beine wieder in Bewegung setzten. Entschlossen griff ich nach seinem Arm und lehnte mich zu ihm.
      „Das mit dem Lügen üben wir aber noch mal“, flüsterte ich, bevor Harlen sich aus meinen Fängen befreite und wortlos hinunter die Treppen lief. Elsa folgte ihm treu, als würden die Tiere genau spüren, dass wir nie einen Hund haben durften. Unsere Eltern waren stets davon überzeugt, dass keiner von uns in der Lage war, diese Verantwortung übernehmen zu können. Heute stellt sich mir dabei die Frage, ob das Versagen für diese fehlende Eigenschaft nicht vielmehr an ihnen liegen würde.
      „Was machst du jetzt noch?“, hielt ich meinen Bruder erneut auf, als wir bei Erik ankamen. Er hielt das Pony am Strick. Ihre Augen waren geschlossen und uns beide schien sie nicht einmal bemerkt zu haben.
      „Sachen packen, ich muss schließlich auch raus“, motzte Harlen und verließ uns. Er war anders als gewohnt, umso mehr breitete sich Sorge über seinen Gemütszustand in mir aus. Ideen, was die Ursachen dafür sein könnten, hatte ich viele, aber ohne mehr zu erfahren, würde ich mir unnötigerweise Flausen in den Kopf setzen. Deswegen konzentrierte ich mich auf das vor mir liegende, oder viel mehr stehende.
      Ich legte die Decke auf Maxou und befestigte die Gurte am Bauch sowie an der Brust. Eine Nummer kleiner wäre passender gewesen, denn so hing der Stoff ziemlich weit über ihren Po. Aber der Wind vor dem Stall wirbelte kleine Steine auf, fegte von der einen Seite zur anderen und ich wurde etwas neidisch auf ihren Schutz. Durch den Reißverschluss schlich bei jedem Windzug kalte Luft hinein, was mich schaudern ließ.
      „Ich werde auch die Sachen packen gehen“, sagte ich zu Erik, nachdem wir wieder am Tor der Halle angekommen waren. Die eine Runde drumherum hatte gereicht, dass alles an mir zitterte, denn so schnell trocknete die Kleidung nicht in der Sattelkammer an meinem Körper. Er hatte sich zumindest nach dem Spaziergang umgezogen.
      „Fahre ich dann heute wieder nach Hause?“, fragte Erik, leicht stotternd in der Stimme.
      „Gute Frage“, seufzte ich, „das habe auch schon überlegt. Eigentlich hätte ich euch gern weiter bei mir, aber ich denke, dass Lina damit Schwierigkeiten hat.“
      Zustimmend nickte er und setzte sich wieder mit Maxou in Bewegung, die langsam wach wurde und gezielter die Hufe nacheinander abfußte. Für einen Flügelschlag beobachtete ich die Beiden, wie sie vertraut den Schotterweg entlangliefen, als wären sie seit Jahren ein Team. Innerlich erwärmte es mich, aber die schlottrigen Beine erinnerten zeigten mir, dass es nur eine Vorstellung war. Großen Schrittes hüpfte ich zur kleinen Hütte, die beinah malerisch zwischen den anderen im Kreis stand. Mein Garten war verblüht, kein einziges grüne Blatt hing noch an den Streichern, nur mein winterharter Lavendel schien durch das Braun hervorzustechen. Doch die Pflanzen konnte ich nicht mitnehmen, also würden sie wie die Wohnhäuser den Erdboden gleichgemacht werden.
      Ernüchternden blickte ich noch einmal aus der Tür heraus, bevor ich sie schloss. Sogleich sprang mit Trymr entgegen, der aus dem Schlafzimmer angerannt kam. Laut jaulte er auf und umkreiste meine Beine. Dieser Hund bellte nicht, oder eher ziemlich selten, stattdessen stieß er wimmerndes Heulen aus seiner Kehle heraus, als würde der Rüde minütliches Leid ertragen müssen. Mitleidig sah der Rüde hoch. Ich strich ihm über den Kopf und kniete mich herunter, als er sich auf den Boden warf, um am Bauch gestreichelt zu werden. Der Schwanz wischte über die Holzdielen.
      “Ich muss mich umziehen”, erklärte ich ihm einige Minuten später und lief hinüber zum Badezimmer. Die nasse Kleidung hing ich an der Handtuchheizung auf. Aus dem Kleiderschrank griff ich nach einem komplett sauberen und vor allem trockenen Outfit, dass auch Balsam für meine Seele war. Ich sah mich im Zimmer um, entschied mir erst einmal einen Kaffee zu kochen, bevor ich mir eine Strategie überlegte, wie ich am klügsten vorgehen sollte.
      Dampfend stand das Heißgetränk auf dem Tisch und kühlte ab, also holte ich vom Schrank die leeren Umzugskisten herunter. Seit Jahren lagerten sie dort oben und warteten auf ihren Moment. Eigentlich hoffte ich, dass sie irgendwann an einen neuen Besitzer übergeben werden würde, doch falsch gedacht. Nur mit einem Stuhl war es mir möglich ansatzweise die Pappe greifen zu können und dass Trymr neugierig neben mir stand, breitete noch mehr Sorge aus, dass ich auf ihn fallen könnte. Es blieb bei der Vorstellung daran, auch wenn mir die verbeulten Kartons herunterfielen. Einen nach dem anderen faltete ich auf und begann die Gegenstände einzupacken, die ich in nächste Zeit eher weniger benötigen würde. Dazu zählte vordergründig meine Dekoration, die es zwar wohnlicher machte, aber keinen hohen Stellenwert mitbrachte. Auch vieles vom Geschirr legte ich in Zeitungspapier ein und legte es in den Kartons ab. Handtücher fanden ebenfalls ihren Platz darin. Bindend von Minuten waren die ersten Kisten voll und langsam lichtete sich alles. Natürlich blieb mir auch der Gedanke nicht fern, wohin mit den normalen Möbeln, aber da diese zur festen Einrichtung gehörte, sollte es nicht meine Sorge sein.
      “Ich bin gleich wieder da”, sagte ich zum Hund und griff mir eine Jacke, um mir aus dem Büro den Schlüssel vom Radlader zu holen. Einen Teufel würde ich tun und alles einzeln hinüberzuschleppen! Eine Kiste nach der landete in dem geräumigen Konferenzzimmer, das Tyrell in den vergangenen Tagen unbemerkt zu einem Schlaf- und Wohnraum umgebaut haben muss. Die anderen Zimmer dem Flur entlang waren auch umgestaltet worden, sodass alle Angestellten ihren Platz fanden und auch Lagerraum zur Verfügung stand.
      Als ich aus der Schaufel des Laders die letzte Kiste nahm, saß plötzlich Lina verloren auf dem linken Bett, zuvor hatte dort ein Einhorn-Plüschtier gesessen. Möglichst auffällig versuchte neben ihr den schweren Karton mit den Küchenutensilien an meinem Bett abzustellen. Laut klimperten die Konserven an den Töpfen, aber nicht mal ein Auge zuckte. Aber ich versuchte ihr noch etwas Ruhe zu geben und den Radlader an seinen Platz zurückzubringen. Entlang des Flurs folgte ich der Notausgangbeschilderung, stampfte die Holzstufen herunter und startete das Fahrzeug. Knatternd lief der Motor an. Ungewöhnlich leer traf ich die Wege des Hofes vor, nicht einmal ein Einsteller hatte sein Auto auf Parkplatz. Einsam stand dort nur das Coupé meines Freundes, und er daneben. Warte? Wieso stand Erik bei seinem Auto? Mitleidig saß Trymr bei ihm und sah in meine Richtung, als ich aus dem Sitz des Radladers sprang. Laut knirschte der steinige Weg unter meinen Füßen und verstummte erst, als bei Erik stehen blieb.
      “Wo willst du hin?”, wunderte ich mich. Seine Hand griff nach meiner und führte sie hoch zu seinem Mund, umgehend gab er ihr einen Kuss. Die Verwunderung klang nicht ab, viel mehr wurde sie stärker. Auf meiner Stirn bildeten sich tiefe Furchen, denen es nur an Wasser mangelte und dann könnten sie dem Suezkanal eine ernsthafte Konkurrenz darstellen.
      “Eigentlich wollte ich dich überraschen”, sprach er selbstsicher und löste sich von meiner warmen Hand, die zuvor noch in den dicken Handschuhen steckten, “Chris hatte angerufen und mir gesagt, dass Fredna abgeholt werden will. Also wollte ich das rasch machen und dann mit euch beiden etwas Essen gehen.”
      “Dann muss ich mich entschuldigen, ich möchte nicht”, seufzte ich und zog mir die schwarzen Fäustlinge wieder über. Der Wind tobte eisig über den Parkplatz. Es gab keine Bäume oder andere Widerstände, die ihm Einhalt bieten konnten. Stattdessen zische er ein Windhund an mir vorbei, auch das Trymr unregelmäßig in die Leere schnappte, untermalte diese Metapher. Lächelnd zuckten meine Lippen.
      “Soll ich was von Unterwegs mitbringen?”, schlug Erik als Nächstes vor, was ich ebenfalls verneinte und schließlich beließen wir es dabei, dass er seine Tochter abholte und dann erst einmal unterwegs sei. Ich nahm den Höllenhund zu mir, drehte um und er folgte. Nach einem prüfenden Blick über die Schulter, liefen wir durch das Tor wieder in die Halle, zurück zu Lina. Vor mir fand ich sie noch immer erstarrt auf dem Bett. Entgegen allen menschlichen Sitten rannte Trymr schwanzwedelnd zu ihr und machte vor ihr Yoga. War er damit der nach vorn schauendem Hund? Belustigt von dem Gedanken verließ Luft meine Nase und ich schüttelte mich. Er konnte sie nicht aufhören zum Spielen aufzufordern, schien zu überlegen nach ihrem Kuscheltier zu schnappen, aber entschied sich doch aus einem meiner Kartons einen Pullover. Wie mit einer Trophäe im Maul bot er ihr mein Kleidungsstück an, wobei der Schwanz unaufhörlich wedelte.
      “Oh, wo kommt ihr den auf einmal her?”, fragte Lina irritiert, “Ich habe euch ja gar nicht kommen gehört.” Sie wirkte ein wenig benommen, wie, als sei sie gerade aus einem Traum erwacht und blinzelte einige Male, bevor sie wieder ganz in der Gegenwart angekommen zu sein schien.
      “Aus der Tür”, sagte ich und zeigte dabei auf die mit Milchglas besetzte Holztür, die halb offenstand, “ansonsten war ich vor ungefähr zehn Minuten schon mal da, wollte dich nur nicht stören b-bei … dem, was auch immer du gerade tust.” Erneut drang ein Laut der Verwunderung aus ihrem Mund, bevor sie mit etwas Verzögerung eine Antwort murmelte: “Ähm, du störst nicht … ich war gerade nur in Gedanken.” Beiläufig zupften ihre Finger an den winzigen Flügeln ihres Plüschtiers herum, womit sie auch die Aufmerksamkeit des grauen Monsters bekam, welches ihre Finger genaustens beobachtete. Nicht, dass sie nun doch mit ihm spielen wollte.
      “Hier ist es auch wirklich trist”, sah ich mich weit in dem Zimmer um und sprach viel mehr zu mir als zu ihr. Die Betten waren bestimmt Queensize, aber auf jeden Fall für zwei Personen gedacht. Zumindest würde Trymr ausreichend Platz haben. Gegenüber der Tür hing ein großer Fernseher und darunter eine große Kommode. Hier und da standen kleine Regale sowie ein Tisch mit vier Stühlen, kein Vergleich zu den Zimmern an der Privatschule in London. Lina schwieg. Zustimmend nickte ich noch ziemlich unbewusst und zog meine Schuhe aus. Dann begann ich interessiert, die Schubladen der Kommode zu durchsuchen, als suche ich etwas Bestimmtes. Alle waren leer, nicht anders als erwartet.
      “Vielleicht sollten wir noch einige Pferde bewegen und nicht noch mehr Zeit verschwenden”, sah ich nachdenklich zu ihr hinüber. Ich hatte mich mittlerweile ins Bett gelegt und zuvor einige Kleidungsteile in das Regal einsortiert. Trymr lag neben mir, den Kopf auf meinem Brustkorb abgelegt. Leise schnaubte er.
      “Ja, das ist sicherlich eine gute Idee. Die Arbeit macht sich schließlich nicht von allein”, stimmte Lina mir zu, die, nachdem sie durch das Zimmer gewuselt war, ein wenig lebendiger wirkte. Das Plüschtier, welches beim Betreten noch in ihren Händen gelegen hatte, thronte mittlerweile zwischen ihren Kissen und auch sonst hatte sie einige wenige persönliche Dinge im Raum platziert. Aus der Hosentasche zog ich mein Handy hervor, öffnete die Verwaltungsapp des Hofes und scrollte durch die Liste unserer Pferde. Schnell fand ich den richtigen Kandidaten.
      “Wollen wir zusammen in den Wald?”, fragte ich vorher, bevor ich die endgültige Entscheidung traf.
      “Ja, klingt gut”, entgegnete Lina und unterstütze die Aussage mit einem Nicken.
      “Ich werde mit Dustin fahren. Der ist entspannt. Du bist sicher nicht dafür zu begeistern, oder?”, bestätigte ich in meinem Menü und stand auf. Aus dem obersten Karton leuchtete die dicke graue Reithose mir entgegen. Entschlossen nahm ich sie und wechselte meine Jogginghose ein. Trymr spitze gespannt die Ohren, sprang aus dem Bett heraus und wartete geduldig an der Tür.
      “Da denkst du ganz richtig. Auf die Gefährte kann ich gerne verzichten”, antwortete sie, ohne dass eine Regung auf ihrem Gesicht zu erkennen war.
      “Na gut”, zuckten meine Schultern. Wie ich bereits vermutete, lag Spannung in der Luft. Die nicht ausgesprochen Worte schwebten um uns, wie die Mückenplage im Sommer es nach unserem Blut durstete. War es falsch, dass ich in dem Augenblick Angst bekam vor den kommenden sechs Monaten? Etwas sagte mir, dass es nur der Anfang des Wahnsinns sein würde, der nicht so schnellenden würde. Am Haken neben der Tür wartete der dicke Wintermantel von Erik, als würde nach mir schreien, lief ich zu ihm, klemmte ihn mir unter dem Arm und sah zu Lina, die hektisch in den Kartons wühlte. Bis sie schließlich einen scheußlich rosafarbenen Pullover in die Luft hielt und darüber hinweg zur mir schielte. Peinlich berührt schluckte ich. Warum es mir peinlich war? Jahre, beinah Jahrhunderte konnte man Wetten abschließen, dass ich immer ein solches Oberteil trug in der Kombination zu einer engen schwarzen Leggings und links einem Thermobecher in der Hand. An schlechten Tagen trug ich noch eine Sonnenbrille – also jeden Tag.
      “Komm Prinzesschen, die Sonne steht nicht ewig am Himmel”, fauchte ich ungeduldig.
      “Ist ja gut, ich komm ja schon”, entgegnete sie beschwichtigend, während sie sich den Pulli überwarf, bevor sie sich noch eine blaue Winterjacke von ihrem Bett schnappte.
      Einen klaren Vorteil musste man dem Konferenzzimmer zusprechen. Der Weg war so kurz wie nie zuvor zu den Pferden, denn im riesigen Gebäude war nicht nur die Reithalle zu finden, sondern auch die beiden Häuser mit den Sattelkammern und Zimmern. Aufgeregt ragten einige Pferdeköpfe durch die Öffnungen der Boxen, nur Maxou und Redo schienen nicht sonderlich viel von dem Durchgangsverkehr zu halten. Als hätte es Dusty bereits geahnt, wieherte er fröhlich uns an. Seine Laute schallten bis nach draußen, wo er prompt mehrere Antworten erhielt. Lina hingegen sah sich unsicher um, drehte und wendete sich, als gäbe es kein einziges Pferd auf dem astronomischen Gestüt.
      “Nimm Walker”, drückte ich ihr willkürlich ein Halfter in die Hand, das zufällig auf einer Bank neben uns lag. Sie nickte und lief zu dem schneeweißen Hengst, der in der Box neben Dusty stand. Interessiert beäugte den Zwerg, aber folgte willig aus der Unterbringung. Ich hatte natürlich kein Halfter, was im Bedacht der Umstände jedoch relativ gut sein würde. Entgegen meinen Sinnen legte ich nur meinen Arm um seinen Kopf und er folgte. Dusty war der Tophengst auf unserem Gestüt, und nein, es war kein Wunder, dass ich ihn mir einfach nehmen durfte, wie es mir gefiel. Nicht der nur der Tatsache geschuldet, dass ich hier arbeitete, gab es, bis auf wenige Ausnahmen, kein Pferd, dass nicht jeder bewegen durfte. Natürlich hatte jeder seine Lieblinge, worauf wir Acht nahmen.
      Der Hengst war blütig, voll blütig, zumindest halb. Seine Mutter zählte bereits in jungen Jahren zu den Geheimtipps in den Wettbüros, wie Tyrell gerne erzählte an langen Abenden, und sein Vater war ein geschätzter Traberhengst, der internationale Erfolge erzielte. So führte Dusty die Bilanz seines Papiers fort. Vermutlich vermutete man nun, dass der braune Hengst mit dem hellen Bauch nervös in der Putzgasse trat und dabei ständig den Kopf hochriss, doch dem war nicht so. Bereits in Deutschland hatte sich Tyrell das Pferd zugelegt, damals noch als Jährling und für teures Geld aus Kanada importiert. So lernte er von Anfang an die Ruhe kennen, wie es ein großer Teil unserer Pferde war. Ja, ich gebe zu, die Pferde im Reitverein kennenzulernen war ein Kulturschock. Überall hampelten sie herum, konnten nicht einmal für zwei Minuten ruhig in einer Stallgasse stehen. Genauso hektisch wurden sie auf dem Reitplatz und egal was, hysterisch sprangen sie weg.
      “Kannst du mir kurz helfen?”, fragte ich Lina, die Walker bereits gesattelt hatte und nur noch auf mich wartete. Dusty hatte schon das Geschirr um mit einer einseitigen Scheuklappe und an den Beinen trug er Bandagen, die ich viel mehr zu Übungszwecken gewickelt hatte. Freundlicherweise griff sie da bereits ein, als ich ein reines Chaos mit den Fleece-Bändern verursachte. Natürlich sorgte ich damit für Unterhaltungsstoff und ich würde mich nicht wundern, wenn Lina meine Idiotie auf Bildern festhielt. In dem Augenblick benötigte sie allerdings dafür den Sulky gleichzeitig durch Schlaufen zu ziehen. Dusty konnte dabei unruhig werden, deshalb wollte ich es lieber nicht machen. Von der Seite hatte ich bereits meinen eigenen hervorgeholt, ja, ich hatte einen eigenen Sulky, aus dem sogar mein Name stand, mein ganzer Name. Fragt lieber nicht.
      “Natürlich”, antworte sie hilfsbereit, wenn sie auch den Bruchteil einer Sekunde zögerte, “Was genau soll ich tun?”
      “Du musst das hier”, zeigte ich auf die Schnalle am Gurt, “hier durchziehen, dann klickt es und zum Schluss noch hier befestigen”, demontierte ich weiter. Ein zweites Mal erklärte ich es langsamer, dann begriff sie es. Der Sulky war leicht, sogar noch leichter als die Standardmodelle, denn wie man mittlerweile schon von mir wusste – Mit Standard gab ich mich nie zufrieden. Tyrell rollte damals mit den Augen, als ich ihm den Bestellschein gab und eine horrende Summe am Ende stand. Nacheinander klackten die Verschlüsse ein, dabei zuckte Dusty kurz, aber schenkte mir das nötige Vertrauen, um nicht einen Sprung nach vorn zu machen. Freundlich bedankte ich mich bei Lina, die Walker vorsorglich aus der Gasse führte und vor dem Gebäude wartete. Von dem Stuhl nahm ich mir noch die Decke, die ich mir aus der Sattelkammer mitgenommen hatte und prüfte die Gurte wohlweislich. Lina hatte alles richtig gemacht und auch die restlichen Schnallen warn fest. Also schwang ich einmal die Leinen und Dusty lief fröhlich voraus. Das hole Geräusch der Hufeisen auf dem Beton wandelte sich zu einem kurzen und knirschenden, dabei setzte ich mich auf den Sitz und sortierte erst einmal meine Führung. Erst danach umwickelte ich mich mit der gefütterten Decke. Nur noch ein Kaffee fehlte, dachte ich und ließ den Hengst selbstbestimmt vorlaufen. Eins meiner Beine hatte ich mit auf dem Sitz, während das andere mich stützte. Im selben Tempo ritt Lina neben uns her.
      “Wie kommt es eigentlich dazu, dass ich dich das erste Mal auf dem Ding da sehe, obwohl das offensichtlich dein schickes Gefährt ist?”, fragte sie neugierig nach einer ausgiebigen Betrachtung des Gespanns.
      “Das?”, fragte ich scheinheilig und strich mit einer Hand über das Gestellt. Dann bremste ich Dusty urplötzlich ab. Lina konnte nicht so schnell auf meinen Halt reagierten und drehte den hellen Hengst wieder um.
      “Wir haben Trymr vergessen”, sprach ich entsetzt und pfiff zweimal sehr laut, so wie Erik es mir gezeigt hatte. Da der Hof nur einige Minuten hinter uns lag, sollte das Tier ohne Weiteres meiner Aufforderung nachkommen. Tatsächlich bog er an den Bäumen entlang ab und kam in Windhundmanier angezischt. Seine Zunge schlackerte dabei, amüsiert lachte ich.
      > Bra gjort
      “Gut gemacht”, lobte ich ihn und gab ihm eins der Pferdeleckerlis. Grundsätzlich verschlang das Ungetüm alles, auch die Bananebricks. Dann setzte ich Dusty wieder in Bewegung und setzte das Gespräch mit Lina fort: “Also wo waren wir? Ach ja”, unentschlossen atmete ich aus, “offensichtlich ist das meins, wie du schon festgestellt hast und ich besitze ihn, weil ich noch bis ungefähr Mai, oder es könnte auch Juni gewesen sein, Rennen gefahren bin.”
      Mit einem Kopfnicken nahm Lina dies zur Kenntnis und setzte zu einer weiteren Frage an: “Warum fährst du mittlerweile keine Rennen mehr?” Der helle Hengst unter ihrem Sattel kaute entspannt auf seinem Gebiss und pustete kräftig die Luft aus seinen Nüstern.
      “Ist das nicht offensichtlich?”, schielte ich zu Trymr hinüber, der aufgestellte Schwanz nebenher trabte. Lina zuckte mit den Schultern.
      “Ich kann schlecht auf tausenden Hochzeiten tanzen und als die Einladung nach der Musterung kam, stand für klar fest, dass Reiten mehr Zukunft hat als Rennen fahren”, setzte ich mit melancholischem Unterton fort.
      “Verstehe. Also die Art von Lebensentscheidung, die wohl für jeden früher oder später ansteht”, entgegnete Lina, “Vermisst du es manchmal oder macht es dir nicht aus, nur noch im Sattel zu sitzen?”
      “Du stellst schwierige Fragen”, murmelte ich und schwieg. In meinem Kopf entbrannte ein Feuer. Gefolgt in der Bahn der Nervenstränge schnappte die imaginäre Hand verschiedene Zettel, die aus den Wochen stammten, als ich Tyrell mitteilte, dem Reitverein beizutreten. Ein anderer stellte eine wirre Zeichnung dar, die nicht genauer beschreiben konnte als viele Kreise und Striche, die im ersten Moment keinen Sinn ergaben. Lange schwieg ich noch, bis Dusty es nicht abwarten konnte, die nächsthöhere Gangart einzuschlagen. Locker trabte der Hengst an und auch Lina folgte uns mit Trymr. Einige Schritte bot er im Tölt an, aber streckte den Kopf etwas weiter nach unten und trabte aus. Vor mir lag nur der Sand, während auf beiden Seiten die Bäume vorbeizogen. An meinen Ohren vibrierte kalt der Wind. Gezielt atmete ich ein und wieder aus, zählte im Kopf die Sekunden und versuchte mich nur auf das Pferd zu konzentrieren. Zwischendurch sah ich nach links, um zu schauen, ob Trymr hinterherkam, aber klar. Dem Windhund lag das Laufen im Blut, so wie unseren beiden Pferden. Zur vor der Küste parierten wir wieder durch in den Schritt. Das Meer war rau und wild schlugen die Wellen gegen den Granit tief unten. Dusty drehte die Ohren und wippte mit dem Kopf.
      “Ich denke, es war eine Frage der Aufmerksamkeit”, seufzte ich leise, aber noch hörbar für Lina, “die Rennen waren die reinste Hölle und provozierten förmlich, dass etwas Dramatisches passiert. Aber jetzt, ein entspanntes Training oder generell, das Training machten Spaß. Wenn ich mit der Dressur fertig bin, spricht aber auch nichts dagegen eine Runde zu drehen.”
      Schmunzelnd sah ich zu ihr hinüber. In ihren glasigen Augen funkelte es friedlich, gerichtet auf die wogende See. Es wirkte beinah so, als würde das Wasser in allen Zügen ihren Gemütszustand widerspiegeln. Ich versuchte aber für den einen Tag nicht nachzufragen, sofern sie das Gespräch nicht selbst anbot. Dafür hatte ich selbst genug zu verarbeiten, um mir noch die Last anderer aufzunehmen. Lina antwortete nicht sofort, sodass nichts weiter zu hören war als das Rauschen unter uns und der Wind, der an unserer Kleidung zerrte.
      “Das glaub ich dir, dass das wahnsinnig anstrengend und risikoreich ist”, sprach sie schließlich, die Augen noch immer auf die hellen Schaumkronen geheftet, “das ist die Dressur schon ein wenig berechenbarer.”
      “Und, wie denkst du, wird es für dich weitergehen? Möchtest du dich weiterhin im Hintergrund aufhalten?”, überlegte ich laut, um einige der irrealen Mücken um uns zu verscheuchen.
      “Ich denke, der ganze Turnierkram ist nichts für mich. Aber so wirklich weiß ich nicht, wie es weitergehen soll”, antwortete sie nachdenklich, “Ich habe doch nie etwas anderes gemacht als das hier.” Sanft strich sie Walker bei den letzten Worten über den Hals, der kurz die Ohren zu ihr richte, bevor sie sich wieder in alle möglichen Richtungen drehten.
      “Es zwingt dich auch keiner eine Entscheidung zu treffen, aber wenn das Gestüt nun umgebaut wird, eröffnen sich vielleicht mehr Möglichkeiten für dich”, nickte ich zustimmend, vertraute darauf, sie ihrem Bauchgefühl folgen wird. Für sie und Ivy gab es noch viele Jahre, aber wenn ich ehrlich war, für mich nicht. Irgendetwas in meiner Magenregion drückte unsanft auf die Atmung, ja, die Zeit rannte.
      “Ja, mal sehen, was sich so ergibt”, entgegnet sie und ein sanftmütiges Lächeln huschte über ihre Lippen, “und du bleibst jetzt bei der Dressur oder testest du wohl möglich noch, ob Springen nicht auch was wäre, denn du scheinst ja schon ziemliche viele Sparten des Pferdesports getestet zu haben?”
      “Ziemlich viele”, wiederholte ich lachend. Dann verstummte ich schulterzuckend. Mein Blick schweifte von der See wieder zu Dusty, der weiterhin ruhig im Schritt vorwärtslief. Auch bei dem Hund hatte sich nichts geändert, noch immer trabte er nebenher, zwischendurch senkte sich der Kopf in den Sand. Seine Nase und einige der Haare an der Schnauze hatten den Dreck an sich genommen. Dann antwortete ich Lina weiter: “Viele waren das nicht, außerdem ist Abwechselung wichtig. Meine Tante besitzt einen Isländer, auf dem ich reiten gelernt habe, mit dem ich alles getan habe. Aber ich muss zugeben, der Reiz für Turniere bestand schon lange. Die Gangturniere sind jedoch nicht durch ihre Preisgelder oder Herausforderung bekannt, deswegen taste ich mich langsam an die höheren Dressurlektionen an und ja, das tue ich jetzt wohl. Ich lasse es mir nicht nehmen, weiter so viel wie möglich auszuprobieren.”
      “Ich finde es ziemlich cool, dass du so konkrete Ziele hast, so überzeugt wäre ich selbst auch mal gerne”, sprach Lina anerkennend,” Hast du mit Maxou eigentlich vor in Zukunft Turniere zu gehen?
      Über die Tatsache, dass meinem Leben ein konkretes Ziel sprach, konnte ich nur bestürzt lachen. Seufzend sortierte ich die Leinen in der Hand, die locker über Dusty hingen und dabei schon schaumige Schweißflecke verursachen, vielleicht hätte ich ihm eine Ausreitdecke darunterlegen sollen, überlegte ich mitfühlend.
      Die Küste ließen wir zunehmend hinter uns und kehrten wieder, nach einem Stück auf der Trainingsbahn, auf den Hauptweg in den Wald. Willkürlich knirschte und knarrte es aus dem Unterholz um uns. Aufmerksam untersuchte der Hund den Wald, rannte vor und wartete auf uns. Unruhig begann auch Dusty die Schritte zu verkürzen und schwingenden Kopf sich auf das Gebiss zu legen. Der Genosse neben uns blieb ruhig, obwohl Walker für gewöhnlich ein wildes Durcheinander verursachten. Wieder knackte es laut, doch dieses Mal sehr laut neben uns. Trymr bellte laut auf und ein Knurren erwiderte sich. Entschlossen hielt ich. Die Leinen behielt ich in der Hand, aber stieg vom Sulky, um das Dickicht überblicken zu können. Zwischen dem Moos und einem umgefallenen Baum lag ein verletzter Hund, eingeklemmt unter einem Stein. Vielleicht vier Monate alt, oder jünger, viel hatte er, oder sie, zumindest nicht auf den Rippen. Sein Fell nass und die Pfoten ebenso dreckig. Hilfesuchend starken mich zwei trübe braun-orange Augen, Trymr verstummte und ich hörte das Wimmern des Tieres.
      “L-Lina”, stammelte ich und versuchte mit meinem Blicken zu deuten, dass sie herkommen sollte. Fragend blickte sie mich an, glitt dennoch aus dem Sattel, nachdem sie keine weitere Erklärung bekam. Mit Walker im Schlepptau trat sie neben mich und folgte meinem Blick. Entsetzt weiteten sich ihre Augen, als sie das mitleidig aussehende Tier erblickt und das herzzerreißende Fiepen wurde lauter.
      “Oh, das arme Tierchen. Wir müssen ihm irgendwie helfen”, sprach sie und blickte mich an. Ach, man, das hätte ich gar nicht vermutet, sprach die böse Stimme in meinem Kopf. Kurz zischte ich mich selbst an und versuchte eine Lösung zu finden, was ich mit Dusty machen würde.
      “Ja, hier”, sagte ich und gab ihr die Decke von meinem Sitz im Tauschen gegen Walkers Zügel. Vorsichtig kämpfte sich Lina durch das Dickicht hindurch, bis sie schließlich bei dem Welpen angelangt war, dessen Laute immer lauter wurden.
      “Hallo kleiner Freund”, hörte ich sie ruhig und sanft zu dem Tier reden, während die sich langsam hinhockte und die Hand nach ihm ausstreckte. Eingeschüchtert schnupperte er daran, machte aber keinerlei Anstalten nach Lina zu schnappen.
      “Dann wollen wir mal sehen, wie wir dich hier herausbekommen”, drang ihre Stimme halblaut durch das Dickicht. Von meiner Position aus sah ich nicht genau, was sie tat, aber wenig später stand sie dort, das kleine, nasse Fellbündel, welches in die Decke eingewickelt war, auf dem Arm. Das Wimmer war verstummt, dafür sah ich selbst auf die kurze Distanz wie sehr der kleine Hund zitterte. Ob vor Kälte oder vor Angst, war nicht eindeutig, aber vermutlich war beides der Fall.
      “Am besten nehmen wir jetzt den kürzesten Weg zurück, der Kleine hier sollte ins Warme und hungrig ist er sicher auch”, sagte Lina, als sie wieder neben mir auf dem Weg stand. Trymr stand schwanzwedelnd vor ihr und beschnupperte neugierig das Bündel auf ihrem Arm, aus dem sich ihm eine im Vergleich recht kleine Schnauze entgegenstreckte. Verwirrt trat der Rüde zurück und versteckte sich zwischen meinen Beinen.
      > Dat här är ett barn.
      “Das ist ein Baby”, flüsterte ich ihm zu und strich ihm über den Kopf. Dusty hinter mir scharrte bereits mit dem Huf, aber ich konnte ihn nicht daran hindern.
      “Ich nehme ihn mit auf den Sitz, wird am einfachsten sein”, gab ich Lina ihre Zügel zurück. Dann setzte ich mich richtig hin, weich polsterte der Wagen mein Fliegengewicht ab. Das Knäuel legte sie mir auf den Schoß und durch den Schutz zwischen meinen Beinen, konnte er auch nicht verrutschen. Hell leuchteten mich wieder seine Augen an, die eindeutig ängstlich wirkten. An einem seiner dunklen Ohren fehlte ein Stück, das sich entzündet haben wird. Die Haut wirkte gerötet und leicht verkrustet, aber an sich sah es so aus, als wäre die Wunde schon älter. Zwischen all dem Dreck auf der Nase sah ich kleine schwarzen Flecken, die zur Musterung des Fells gehörten, denn bis hoch zu den Ohren war er weiß. Mittlerweile hatte ich nachgeschaut, welchem Geschlecht er angehörte. Fred, ich denke, dass könnte der richtige Name für ihn sein.
      Nach einem weiteren Stück im Trab kamen wir flott am Hof an. Langsam, aber sicher verabschiedete sich die Sonne am Horizont hinter den Bäumen und auf dem Parkplatz vermehrten sich wieder die Fahrzeuge, nur von Eriks war nichts zu sehen. Teils erleichtert, teils bestürzt, seufzte ich und stieg vor dem Stall aus dem Sitz. Während Fred den Luxus meiner Decke genoss, fror ich trotz des dicken Wintermantels.
      “Da seid ihr ja”, nickte und Tyrell zu, der Fried an ihrem Blumen Halfter führte.
      “Schau mal”, hielt ich ihm glücklich die Decke hin. Sofort sprang auch unser Chef auf das niedliche Tier an, ließ ihn direkt die Hand beschnuppern. Trymr neben mir, empfand die Situation weiterhin als unseriös und trabte an uns vorbei in den Stall, suchte sich vermutlich seine Decke, die immer wieder woanders im Gang lag. Nun kam auch Friedi interessiert mit dem Maul näher. Laut prustete die helle Stute aus, worauf sich Fred tiefer im Stoff verhüllte. Umgehend verlor das Pferd sein Interesse und Tyrell brachte sie weg. Die Hengste wurden erst aufmerksam, als sie einige Meter entfernt lief.
      Im Stall legte ich das Knäuel neben Trymr ab, der sofort die Flucht ergriff und offenbar nichts mit dem kleinen Wesen zu tun haben wollte. Dieses lag zittrig an Ort und Stelle, was mich zumindest beruhigt das Pferd abspannen ließ. Dabei half Lina mir wieder die Stangen zu entfernen.
      “Ich würde Dusty gern als Erstes ins Rotlicht stellen”, sagte ich beim Betrachten seines triefend nassen Fells. Sie nickte nur beiläufig und lief los, um eine Abschwitzdecke zu holen. Ich konnte mich gar nicht auf eine Sache konzentrieren. Dusty leckte immer wieder an dem Holz herum, während Walker versuchte seinen Kollegen zum Spielen aufzufordern. Trymr lief unruhig die Gasse auf und ab, während der Kleine nun doch versuchte aus seiner gebauten Höhle zu fliehen. Und dann war doch Maxou einige Meter entfernt, die unaufhörlich am Gitter herum biss und damit furchtbaren Lärm verursachte. Ach, nicht zu vernachlässigen war Jonina, die zusammen mit vier Reitschülern unseren Platz besetzte. All diese Geräusche lösten einen dröhnenden Kopfschmerz aus und als noch mein Handy in der Hose begann zu vibrieren, wollte ich hier weg. Weg von der Belastung, zurück in meine Hütte, die inzwischen nicht mehr mein war. Genervt hob ich ab.
      “Hallo?”, ächzte ich genervt in den Hörer, aber wurde umgehend freundlicher, als ich Eriks Stimme hörte. In der Brust wurde es wieder leichter und ich konnte tief durchatmen.
      “Freut mich, dass du dich bester Laune erfreust”, scherzte er.
      “Ist gerade viel los”, überblickte ich erneut die Situation und begleitete Dusty zum Solarium.
      “Hast du schon mit Lina gesprochen?”, fragte er direkt.
      “Nein, ergab sich bisher nicht. Wieso?”, stammelte ich unsicher. Ehrlich gesagt, hatte ich daran auch gar nicht mehr gedacht und versuchte den einfachsten Weg, außerdem erschien es mir noch immer unangemessen zu sein, sie danach zu fragen.
      “Okay, ich bin so in”, stoppte er, während mehrfach ein notdürftiges Piepen ertönte, “dreißig Minuten da. Also bis gleich.” Dann verstummte mein Telefon. Welch ein unnötiges Telefonat, stellte die böse Stimme in meinem Kopf fest, die wieder von mir angezischt wurde. Trymr setzte sich zu dem Hengst unter die roten Lampen und genoss ebenfalls die kleine Wellnesseinheit.
      “Was genau ist eigentlich dein Plan mit dem Kleinen? Ich meine, man kann ihn ja schlecht einfach behalten. Vielleicht wird er ja vermisst oder so etwas. Ein Welpe kommt sicher nicht von allein in den Wald”, wand sich Lina an mich, die den schneeweißen Hengst gerade in eine Decke hüllte. So weit wie sie wieder dachte, hatte ich die Situation noch gar nicht überdacht. Außerdem waren auch für mich die Grundlagen des Landes unbekannt.
      “Gute Frage, erst mal bleibt er, denke ich”, dann überlegte ich noch, wie ich es Erik erklären sollte, aber dass wir einem hilflosen Tier halfen, sollte ihn wohl kaum stören, “aber vielleicht kann mein Kerl das besser beurteilen. Schließlich habe ich erst gestern den anderen Pflegefall organisiert”, schielte ich zu Maxou hinüber, die die unbeteiligten Stangen wieder in Ruhe ließ.
      “Wenn das so weitergeht, kannst du bald ein Tierheim eröffnen”, witzelte Lina und schob Walker ein Leckerli zwischen die Lippen, der es sogleich genüsslich verschlang.
      “Du bist gemein”, rollte ich beiläufig mit den Augen, suchte nach einer passenden Ausrede, um dem Gerücht entgegenzuwirken, aber nein. Es gab keine.
      “Entschuldigung, sollte doch nur ein Scherz sein”, nuschelt sie bevor sie sich auf den Weg zu Futterkammer machte, um dem Hengst sein Abendbrot zu holen. Er starrte ihr aufmerksam nach und auch Dusty spitzte die Ohren, als hintergründig der Ton von dem Müsli auf Gummischüssel traf. Ich bremste ihn ab, bevor er einen Schritt nach vorn setzte. Als mir plötzlich ein wichtiger Gedanke durch den Kopf schoss, setzte ich an zum Sprechen, verstummte allerdings wieder, unter dem Vorbehalt, dass Lina noch immer beschäftigt war. Nachträglich setzte ich einen Fuß nach dem anderen, die mich zu Maxou an die Box trugen. Die Stute drehte sich langsam um, legte die Ohren leicht nach hinten und musterte das Wesen, das die Frechheit besaß, sie beim Fressen zu stören. Dennoch blieb sie stehen und starrte mich an. Ihre großen Augen glänzten im indirekten Licht der Boxen, die um diese Uhrzeit noch eingeschaltet waren. Der Schweif pendelte langsam unter der Stalldecke, die ich ihr noch umgelegt hatte vor dem Ausritt. Je länger ich das Pony betrachtete, umso mehr bekam ich das Gefühl, dass mein Bruder recht behalten würde, auch, wenn sich das grundlegende Interesse an ihr in Grenzen hielt. Im Hinterkopf blieb der Gedanke, dass ich wohl möglich nicht mit ihr klarkam bei der Arbeit oder auch keine vollwertige Verbindung aufgebaut werden würde.
      “Da bist du ja”, stürmte ich erleichtert zu Lina, die überrascht vor mir stand, schließlich war sie nur für einen Augenblick verschwunden. Für mich fühlte es sich wie eine Ewigkeit an.
      Mit etwas zwischen Irritation und Belustigung in ihrem Ausdruck blickte sie mich an: “Wieso so ungestüm, ich war nicht mal zwei Minuten weg?”
      “Nein, das waren viel mehr”, hielt ich mich fest an ihren Schultern fest, als würde einer von uns sonst umfallen. In ihrem Gesicht spiegelte sich unverändert ihre Verwirrtheit. “Denkst du”, zog ich die Vokale unnötig lang, “dass Erik bleiben kann?” Ehrlich gesagt, wollte ich das gar nicht von ihr, denn viel wichtiger war es mir, wie sehr es an Absurdität grenzte, dass an dem Tag so viel passiert war. Außerdem fühlte es sich seltsam an mit meinem Pony, ich hätte gedacht, dass man deutlich mehr Glücksgefühle verspürt. Stattdessen war da nichts.
      “Ähhm … mir fällt jetzt nicht an, was dagegenspricht, also ja”, überlegte sie laut, ”Und das war jetzt so wichtig, dass du mich überfallen musstest?” Das Geräusch von Eisen, welches über den Boden kratze, erklang aus der Richtung der beiden Hengste. Lina ging auf den hellen Hengst zu, der ungeduldig scharrte und wies ihn zur recht, bevor sie ihm die Gummischüssel vor die Füße stellte.
      “Sicher?”, hakte ich ordnungshalber nach und stand, wie bestellt und nicht abgeholt in der Gasse herum. Förmlich sichtbar setzte ein Denkprozess bei ihr ein, der allerdings nur von kurzer Dauer war. Verunsichert, setzte sie schließlich zu einer Antwort an: “Ja? Das war doch schließlich keine Anfrage für die nächsten 6 Monate, oder doch?”
      “Sechs Monate am Stück? Nein”, lachte ich und überlegte, wie viele Tage dazwischen als Pause galten, um den Timer zurückzusetzen.
      “Na, dann kann er erst einmal bleiben”, lächelte sie großmütig.
      “Danke”, lächelte ich fröhlich und warf einen Blick auf unseren Jungspund, der mit seinen langen Beinen auf der Decke stand. Langsam begann sein Schwanz zu wedeln, als Trymr sind von der Rotlichtlampe zu ihm bewegte. Kurz schnupperte er an dem Zwerg. Freundlich quietschte er, suchte an der Bauchleiste des Rüden nach Zitzen. Daraufhin tippte ich Lina an, die sich gerade nach der Schale gebückt hatte, um sie dem Hengst wieder hinzuschieben. Sie wand sie zu mir um und als ich mit einer Geste zu den beiden Hunden zeigte, folgte ihr Blick meinem Finger.
      “Sieht danach aus, als hätte unser Findelkind Hunger”, äußerte sie eine Vermutung, die recht logisch erschien.
      “Was braucht es?”, sah ich mich Hilfe suchend im Stall um, “Stutenmilch, oder eher Fleisch?”
      “Ich bin jetzt kein Experte auf dem Gebiet, aber er sieht bereits alt genug aus, als dass er Fleisch fressen könnte”, beantworte sie meine Frage nachdenklich.
      Wieder nickte ich, nahm das getrocknete Rennpferd aus dem Licht und brachte ihn schnellstmöglich in seine Box zurück. Darin legte ich ihm wieder die Stalldecke um und schnappte mir von der Decke den kleinen Racker. Auf meinem Arm legte er sich auf den Rücken und wedelte mit seinem Schwänzchen, als ich den Bauch kraulte. Trymr folgte uns mit Abstand, wollte aber nicht ohne mich im Stall bleiben. Dumpf knarrten die Holzstufen hinauf zur Tribüne, über die man zu den Räumen kam.
      In der Küche standen schon alle wichtigen Gegenstände, darunter auch einige Notfallhundedosen, die ich vor geraumer Zeit gekauft hatte. Aus dem Oberschrank nahm ich einen kleinen Teller und betrachtete die beiden Hunde, die mir verliebt um die Beine strichen. Der Augenblick wirkte so unrealistisch. Ich stand mit einem Welpen und einem Höllenhund in der Küche. Hunden, denen ich für gewöhnlich aus dem Weg ging, berührten mich sehr nah und hatten sich sogar verdoppelt seit August. Dasselbe Phänomen, das mir mit Pferden passierte. Kopfschüttelnd grinste ich und machte dem Tier eine kleine Portion. Aus dem Krankenhaus wusste ich, dass man nach einem langen Hungern am besten klein anfangen sollte, da wir keinerlei über Fred hatten, musste ich davon erst einmal ausgehen. Für Trymr machte ich auch eine Portion, damit er ihn nicht anfallen würde, wer weiß schon, was in dem Kopf des Ungetüms ablief. Er bekam zuerst und wartete friedlich, bis ich ihm erlaubte an den Napf zu gehen. Fred hingegen stürzte sich direkt auf seinen Teller und bindend weniger Sekunden, waren sie fertig. Vertieft in den Zwerg, bemerkte ich die Schritte hinter mir nicht. Dass etwas vor sich ging, verspürte ich erst, als Trymr nicht mehr in Reichweite war. Noch bevor ich mich verzweifelt umdrehen konnte, verspürte ich zwei sehr kalte Hände an meinem Hals. Ich überlegte, ob mein Herz noch schlug, denn meine Atmung stockte. Sanft drückten sich zwei Daumen gegen meine Kehle und unbewusst wurde mir klar, dass von der Person nichts Böses ausging, auch, wenn vermutlich sonst keiner wie ich dachte. Langsam bewegte ich mich aus meiner Hocke nach oben, vernahm die kleinen Pfoten des Tieres an meinem Schienbein durch den dicken Stoff der Reithose. Erst dann drehte ich mich zu meinem Verehrer um, offensichtlich ohne Kind zurückkam. Vertieft in seine leuchtenden Augen schlug mein Herz in hochfrequentierten Intervallen, die aus zweierlei herkamen.
      „Wo hast du dein Mini gelassen?“, fragte ich mit kratzigem Tönen.
      „Die ist bei Lina und dem hellen Pferd, das im Gang stand. Vermisst da etwa jemand Fredna?“, schmunzelte Erik über beide Ohren.
      „Nein, aber dann haben wir einen Augenblick für uns?“, tastete ich mich langsam meinen Händen an seinem Oberkörper entlang und verspürte wieder eine wohlige Wärme im Unterleib, die sich durch einen leichten Druck noch mehr verstärkte. Seine Kleidung hingegen war angenehm kühl, auch wenn er für meinen Geschmack noch zu viel davontrug.
      „Grundsätzlich hätte ich nichts dagegen einzuwenden“, flüsterte er in mein Ohr. Der Atem kitzelte an meinen Ohren, wodurch sich das Gefühl im Unterleib verstärkte.
      „Allerdings“, setzte er fort und unterbrach seinen Satz mit einem Kuss auf meine Wange, „du musst mir noch erklären, was du da angeschleppt hast Niedliches.“ Urplötzlich ließen seine Hände von mir ab und kniete sich zu dem Zwerg hinunter, der tapsig angerannt kam und dabei so stark mit dem Schwanz wedelte, dass der ganze Hintern wackelte. Erleichtert, dass er mir über das kleine Kerlchen keinen Vortrag hielt, atmete ich aus, verlor allerdings auch die Lust auf alles Weitere.
      „Wir haben ihn eingeklemmt im Wald gefunden“, erklärte ich, setzte mich dazu auf den gefliesten Fußboden, der mich mit der integrierten Fußbodenheizung wärmte.
      „Deswegen bist du so dreckig“, tuschelte er quietschend dem Tier zu, das vor Freude wohl gleich platzen würde.
      „Ja und Lina gesagt, dass du bleiben darfst“, versuchte ich wieder die Aufmerksamkeit zu bekommen, doch Erik sah mich nicht einmal an, handelte meine Aussage mit einem kurzen Nicken ab und sagte: „Weiß ich schon.“
      „Zwingt dich keiner, hierzubleiben“, zischte ich eingeschnappt und erhob mich, um den Raum zu verlassen. Er stand ebenfalls auf mit dem Hund auf dem Arm.
      „Du meinst das nicht ernst, dass du eifersüchtig auf einen Welpen bist“, sah er mich eindringlich an. Dabei lächelte ich aufgesetzt kurz auf und setzte meinen Weg fort. Hinter mir hörte ich noch seine Schritte, drehte mich jedoch nicht um. Nacheinander leuchteten die Lampen des Flures auf, bis ich mein Zimmer erreichte und deutlich zu laut die Tür hinter mir schloss. Seinen Mantel warf ich in die Ecke und ließ mich auf das Bett fallen, ohne die Schuhe ausgezogen zu haben. Im Raum war es bis auf das indirekte Licht in den Fußleisten dunkel und von dem riesigen Fernseher strahlte eine kleine rote Lampe an die Decke. In meinem Kopf zirkulierte es, als hätte ich ein Glas Wein zu viel getrunken. In meiner Brust schlug das Herz noch immer wie wild und als sich die Tür öffnete, ich eine männliche Silhouette erkannt, warf ich meine Handschuhe ich seine Richtung.
      „Geh weg, ich will allein sein“, jammerte ich weinerlich und hörte nur ein tieferes Lachen, als ich erwartet. Die Deckenbeleuchtung glimmte und sah, dass Tyrell den Raum betrat.
      „T-Tut mir leid“, stammelte ich beschämt und richtete ich aus dem Bett auf.
      „Schon wieder Stress im Paradies?“, scherzte er.
      Ich schüttelte den Kopf.
      „Na gut, wo ist denn Lina?“, fragte Tyrell ernster und schob sich einen der Stühle vom Tisch weg, um Platz zu nehmen.
      „Die kommt bestimmt gleich, Walker muss nur noch in die Box zurück“, erklärte ich wahrheitsgemäß, sofern meine Informationen noch aktuell waren.
      Während wir auf die warteten, fragte er mich über die Runde im Wald aus. Dass es auch schön war, wieder auf dem Sulky zu sitzen, vergaß ich nicht zu sagen. Als das Schweigen einsetzte, kam auch Lina dazu, mit Fredna an der Hand. Irritiert musste unser Chef das Kind, aber flott erklärte ich, dass es zu Erik gehörte. Er wirkte erleichtert, aber gleichermaßen noch irritiert.
      „Lina, setzt dich bitte“, sagte er zu ihr und zog den Stuhl neben sich zur Seite. Zögerlich trat sie zum Tisch. Stillschweigend und möglichst leise, legte sie ihre Jacke ab. Tyrell begann damit den Fernseher anzuschalten, um uns darauf die Entwürfe von dem neuen Gestüt zu zeigen. Überall musste gebaut werden und sogar ein Teil des Waldes für eine Ferienlandschaft gepfählt werden. Mit den Arbeiten sollte es beginnen. Bei den Isländern an der kleinen Reithalle wird ein riesiges Reitstadion erbaut mit einem noch größeren Reitplatz, als wir ohnehin schon haben. In Zukunft werden dort auch Fahrturniere stattfinden. Außerdem verblieb unser Stall für uns, während rundherum weitere Paddockanlagen und Boxen errichtet werden, sodass noch mehr Platz für Einsteller sei. Es besteht auch die Überlegung, dass die Trainingsbahn umgebaut wird zu einer vollwertigen Rennbahn, da es um das Gelände in Kalmar schlecht steht. Nervös kratzte ich an meinem Bein herum, solange bis es blutete. Ich spürte, wie meine Kehle trockener wurde und nur heiser fragte: “Wenn es um Kalmar schlecht steht, bedeutet das dann, dass der Verein umzieht?”
      Lina drehte sich zu mir um, dabei begannen ihre Augen so hell zu strahlen, dass ich kurz anzweifelte, dass ich recht behalten würde.
      “Richtig”, nickte Tyrell und vor Freude sprang sie vom Stuhl.
      “Das klingt wie Musik in meinen Ohren”, trällerte sie und ein Lächeln, so glückselig wie ich es den ganzen Tag noch nicht zu sehen bekam, erstrahlte auf ihrem Gesicht. Für sie war es vermutlich genau das, was sie hören wollte, um möglichst häufig Niklas zu treffen. Doch für mich stellte es das Gegenteil dar, besonders, wenn ich das morgendliche Gespräch im Kopf behielt.
      Tyrell erzählte weiter, davon, dass ein Bildungszentrum errichtet werden würde, dazu gehörte neben der Planung von verschiedenen Lehrgängen uns Seminaren, so etwas wie eine Privatschule, die allerdings nur am Wochenende und Ferien stattfinden soll, als eine Art intensiv Beschulung. Schon an den Plänen konnte man genau erkennen, welches Klientel damit angesprochen werden würde. Je mehr er uns präsentierte, umso weniger schien ich von der Sache überzeugt, nur die Tatsache, dass das nicht uns betreffe, erleichterte mich zutiefst. Hauptsächlich würden wir seine Pferde machen und die anderen Teile des neuen Gestüts wurden von anderen verwaltet. Außerdem stand die Planung ebenfalls nicht in seiner Hand, nur die Übergabe der Informationen an uns.
      Noch eine geschlagene Stunde verging, in der auch Erik mit dem Welpen wiederkehrte, bis alles uns genau gezeigt wurde. Meine Lider lagen schwer über meinen Augen und ich war vermutlich sogar mehrfach eingeschlafen, aber der kleine Zeiger rückte der Zehn auch immer näher. Lina grinste noch immer.
      “Ich finde, du könntest ein klein wenig mehr Begeisterung zeigen”, sprach sie munter, “Für dich hat es doch auch seine Vorteile, wenn du mit Lubi nicht mehr so viel durch die Gegend gurken musst.”
      “Ebenso, wenn nicht sogar noch mehr, Nachteile”, seufzte ich entmutigt.

      © Mohikanerin // 99.351 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang Oktober 2020}
    • Mohikanerin
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      kapitel tretton | 21. März 2022

      Schneesturm // Northumbria // Lubumbashi // Maxou // Satz des Pythagoras // HMJ Holy // Girlie // Millennial LDS // WCH’ Golden Duskk // Moonwalker LDS // Friedensstifter // Form Follows Function LDS // Binomialsats
      Minnie Maus // Ready for Life // HMJ Divine


      Niklas
      Zittrig schwebte mein Finger über den Kontakt, während ich in meinem Auto saß mit Chris, der bereits allerhand Arbeit darin investierte, dass ich auf keinen Fall auf den Hörer klicken würde. Aber mein Schmerz, die Enttäuschung und alles Schlechte kochte in mir, viel mehr fühlte es sich an, als würde mein Gehirn tausende Stromschläge bekommen und es gab nur diese eine Bewegung, um den Schmerz zu entfliehen. Es half nichts, ich musste dieses Gefühl loswerden. Chris griff nach meiner Hand.
      > Är du säker?
      „Bist du dir sicher?“, sprach er sanft, wie auf Wolken spürten sich seine Worte in meinen Ohren an, als läge ihm alles daran.
      Ich nickte, womit ich die Freiheit bekam.
      Für eine gefühlte Ewigkeit tutete es, bis eine unfreundliche Abhob und umgehend fragte:
      > Har du pengar?
      „Haben Sie das Geld?“
      Natürlich bejahte ich die absurde Frage und konnte auch direkt losfahren. Chris und ich stiegen in den Transporter um, doch ehe ich mich auf den Fahrersitz setzen konnte, nahm er mir die Schlüssel ab und stieg selbst auf der Seite ein. Also öffnete ich die Beifahrertür und nahm neben ihm Platz. Teilnahmslos blickt Chris zur Straße, schweigend. Seine Meinung zu dem Thema kannte ich bereits, äußerst ausführlich sogar.
      Bino war Smoothies erstes Fohlen, eins, das Opa noch gezogen hatte und geboren wurde, als ich mich auf einem anderen Kontinent befand. Von Bildern kannte ich den kleinen Hitzkopf, doch real sah ich ihn nie. Umso aufgeregter war ich, als ihn auf der Starterliste im März fand, allerdings nicht vor Gesicht bekam. Weitere Auftritte wurden mir verwehrt und er geriet meinerseits in Vergessenheit. Wie vom Blitz getroffen, erhellte er einen Traum in der Nacht. Natürlich kannte ich meine Stute gut genug, um bereits das Gefühl verspürt zu haben, dass sie nicht trächtig sei, die Bestätigung durch den Tierarzt brachte die schlechte Nachricht. Bis zum letzten Augenblick schwebte ein kleiner Funken Hoffnung vor dem inneren Auge, versuchte mich im Glauben zu belassen, dass alles gut sei. Dem war nicht so. Smoothie bekam kein weiteres Fohlen, zumindest nicht im nächsten Jahr.
      > Varför måste du ta hästen ifrån henne så brådskande?
      „Warum musst du ihr das Pferd unbedingt wegnehmen?“, fragte Chris. Seiner Tonlage zu Folge stellte er die Frage zum wiederholten Male. Ich überlegte. Es gab viele Antworten dafür, nur keine, die Sinn ergeben würde. Plötzlich wurden meine Hände schwitzig und in dem Fleece Pullover setzte Hitze ein.
      > Jag kan göra det, så jag köper Bino.
      „Ich kann es, also kaufe ich Bino“, antworte ich mit trockener Kehle und zog den Pulli aus.
      Viele hundert Kilometer lagen vor uns, die im Schweigen gehüllt waren. Natürlich erlangten die Zweifel ihre Vormacht in meiner Gedankenwelt. Bisher war es nicht an die Öffentlichkeit geraten, dass meine Erfolgsstute durch Arthrose den Ring verließ, ebenso versuchte ich es so lang wie möglich hinauszuzögern, dass es mit uns beiden vorbei war. Ein Funken bestand noch immer, dass alle Ärzte sich geirrt hatten und Smoothie dasselbe Pferd war, das mich vom ersten Tag an, in seinen Bann gezogen hatte. Natürlich, Form war weder ein hässliches Pferd noch untalentiert. Die Rappstute zeigte sich bemüht und motiviert, an manchen Tagen als zu perfekt. Sie wollte gefallen, strampelte sich einen ab, ohne dabei Widerstand zu leisten. Ich mochte sie, so viel war gesagt, aber Form konnte meinen Ansprüchen von einem Partner nur schwer entsprechen. Man könnte sagen, dass sie mir zu nett war. Mir wurde es zum Teil, die Herausforderung zu suchen und daran jeden Tag zu knuspern, eine Lösung für das Problem zu finden. So sorgte Form dafür, dass es keins gab oder ich viel mehr eins erschaffen musste. Seit einigen Tagen war ich nicht auf dem Hof, hoffte darauf, dass mehr Rennpferd aus ihr herauskommen würde, wenn ich in zwei Tagen wieder zum Training erschien.
      Leider hatte ich auch Gedanken daran verschwendet, Form wieder zu ihrem ursprünglichen Besitzer zurückzugeben, jemand, der Freude an dem eifrigen Tier hatte und es genoss, Lektionen ohne Widerstand abzurufen. Andererseits mochte sie mich, wieherte mir im Stall zu, wenn meine Stimme ertönte und konnte genauso aufgeregt tänzeln wie Smoothie. Ebenso gut zeigte die Stute ihr Talent auf Sand. Die Versammlungen saßen punktgenau, aber in der Verstärkung konnte sie hektisch werden anstelle der gewünschten Rahmenerweiterung. Doch, war es das, was ich mir wünschte? Nein. Der Rappe entpuppte sich schon nach einigen Tagen als sehr untalentiert mit Hindernissen, kam im Gelände schnell ins Rutschen, verweigerte und fühlte sich nicht wohl mit Stangen. Mehrfach versuchte ich ihr die Natursprünge und auch normalen auf dem Platz näherzubringen, aber anders als für die Rasse typisch, scheute sie, zuckte zurück. Die sonst so nervenstarke und mutige Stute verwandelte sich von einer auf die nächste Sekunde in ein schwarzes Biest, das nicht einmal ich kontrollieren konnte. Somit stand die Entscheidung, dass sich Form nicht als Eventingpferd eignen würde.
      Noch lange wägte ich ab, ob ich überhaupt die Zeit hätte für drei Pferde, wovon eins bestens auf dem Lindö Dalen versorgt war. Ich entschied, dass ich es versuchen sollte. So gern ich meinen Beruf als Polizist ausübte, umso wichtiger waren mir meine Tiere und im schlimmsten Szenario würde ich kündigen. Meine Angst wandelte sich zur Vorfreude den jungen Hengst endlich persönlich kennenzulernen, als auf dem kleinen Monitor nur noch ein einstellige Kilometerzahl angezeigt wurde. Chris hatte sich auch mit der Situation abgefunden, wusste, dass er mich ohnehin nicht von meinem Plan abbringen könnte. Kurz warf ich einen Blick auf mein Handy, überlegte, Lina Bescheid zu sagen. Aber ich zögerte. Wortlos verschwand ich, hatte ihr keinerlei Chance gegeben mich zu unterstützen. Ich schämte mich und steckte es wieder zurück in die Hosentasche.
      Im gemäßigten Tempo fuhren wir eine Allee aus jungen Bäumen entlang und die Lichter, die zuvor so fern am Horizont glühten, wurden immer einladender und begrüßten uns förmlich. Es war stockdüster geworden, aber der Hof leuchtete im warmen Licht. Wenige Autos standen auf dem Parkplatz, doch menschenleer war es nicht. Chris hielt.
      > Kommer du?
      „Kommst du mit?“, fragte ich sehnsüchtig, doch stur schüttelte er den Kopf. Mit einem tiefen durchatmen sprang ich vom Beifahrersitz auf den befestigten Gehweg, folgte der Beleuchtung und kam bei einem gepflegten Stallgebäude an. Freundlich blickten mich einige Pferdeköpfe an. Ungefähr in der Mitte stand eine Dame, mit der wohl telefoniert hatte. Ein braunes Pferd mit großen Abzeichen stand hinter ihr, wippte müde mit dem Kopf und die Augen fielen immer wieder langsam zu.
      > Vi ska göra det här kort och gott, eller vill ni sitta på den igen?
      „Wir machen das kurz und schmerzlos, oder wollen Sie sich noch einmal draufsetzen?“, sagte sie. Ihre Tonart verriet mir bereits, dass sie mich so schnell wie möglich wieder loswerden wollte, sogar der Hengst schien nur wenig motiviert für irgendwas zu sein. Er hatte seinen Hinterhuf aufgestellt und der Kopf hing fest in den beidseitig befestigten Stricken.
      > Nej, jag tar honom direkt.
      „Nein, ich nehme ihn direkt mit“, stammelte ich, eher untypisch. Doch auf eine gewisse Weise kam ich mir nicht nur fehl am Platz vor, sondern auch ziemlich kindisch. Sie nickte und löste die Haken dabei. Unsanft kippte Bino nach vorn, fing sich jedoch rechtzeitig auf. Die Ohren drehte er nach hinten. Am unteren Ring befestigte die Dame einen Strick und drückte ihn mir umgehend in die Hand. Sie wollte mich wirklich loswerden.
      Zusammen liefen wir zum Auto. Aus der Sattelkammer hatte sie seinen Sattel und Trense geholt, packte es im Transporter auf die Befestigung, ehe ich aus meiner Hosentasche die dreihundertsechzigtausend Kronen herauszog. Die bunten Scheine waren zerknüllt und teilweise angerissen, wie Geld nun einmal aussah, wenn es Tagein, Tagaus mit der Hose getragen wurde. Schockiert sah sie an mir hoch, aber packte das Bündel in ihre Jacke.
      Bino stand im Transporter und zupfte vergnügt an dem Heunetz, während wir im Inneren den Vertrag fertig machten und ich die Papiere überreicht bekomme. Der Impfstatus erscheint auf den ersten Blick vollständig. Kurz angebunden verabschiedete die Dame sich und verschwand im Dunkeln. Verwirrt blickte ihr nach, konnte nur schwer verstehen, welches Problem sie mit mir hatte.
      Endlich hatte ich Zeit mein, wohlgemerkt drittes, Pferd genauer anzusehen. Obwohl sein Blick nur zum Netz gerichtet war, bemerkte er mich. Die Ohren bewegten sich in meine Richtung und lang spielten sie im Sound des Streu unter den Schuhen. Leise knisterte es. Dazu ertönten in der Stille die kauenden Geräusche des Pferdes und seine Atmung. Für einen kurzen Augenblick fühlte ich mich zurück in den Moment versetzt, in dem mit seiner Mutter zu dem Turnier fuhr, das zwar in der reinsten Katastrophe endete, aber solch positive Gefühlsausbrüche auslöste, die ich kaum in Worte zu verfassen wusste. Wir hatten nicht einmal den M-Parcours beendet, da endete für uns die Reise bereits mit der zweiten Verweigerung bei dem vorletzten Hindernis. Für mich war es keine große Sache. Smoothie kannte vorher Turniere nicht und hatte einen ihrer typischen Anfälle vom Vollblutanteil im Blut. Der Schweif stand dauerhaft in der Luft und sie kam aus dem Gucken nicht heraus, wobei die Menschenmassen auch für mich noch eine ziemliche Belastungsprobe darstellten.
      > Kan vi åka? Jag skulle vilja vara hemma före morgondagen.
      „Können wir los? Ich würde gern vor morgen Zuhause sein“, hetzte Chris. Sanft strich ich dem Hengst über den Hals und schloss die große Klappe, damit wir abfahren konnten. Wie bereits auf der Hinfahrt tauchte sich die Fahrerkabine in einen Schleier aus Schweigen. Mir war jedoch auch nicht danach ein Gespräch zu beginnen. Wir hatten beide einen langen Tag und noch eine kürzere Nacht zum Schlafen vor uns.
      Leise schloss ich die Eingangpforte auf, versuchte möglichst unauffällig in den Keller zu kommen. Es leuchtete kein Licht mehr von der großen Treppe im Eingang, aber stürmte Tova heulend zu mir. Bösartig rief mein Vater den Hund zurück, doch die Hündin interessierte sich kein Stück dafür. Stattdessen wurde das Getobe lauter. Mama stand auf, zog sie am Halsband zurück aber kam noch hinunter. Sie folgte mir bis ins Badzimmer. Müde lehnte sie neben dem Waschbecken, konnte sich nur müßig halten.
      „Warum bist du jetzt erst da?“, fragte sie liebevoll und rieb mit einer Hand sich den Schlaf aus den Augen.
      Erst zuckte ich mit den Schultern, aber sie blieb hartnäckig. Stellte die Frage erneut und immer wieder, bis ich begann zu erzählen von dem Ausflug mit Chris.
      „Ich habe ein Pferd gekauft“, erzählte ich beiläufig bei dem Umziehen. Meine Hose landete im Wäschehaufen, sowie die restliche Kleidung, die ich am Körper hatte. Nur noch bekleidet im Handtuch schaltete ich das Wasser der Dusche an, um der Wärme einen Vorlauf zu geben.
      „Könntest du bitte gehen, ich möchte nicht darüber reden“, wiederholte ich, nach der Mama mehrfach versuchte mehr über Bino zu erfahren. Tatsächlich wollte ich nicht über das Pferd reden, zu beschämt war ich darüber, dass Lina noch nichts wusste. Unter den Strahlen des Duschkopfes flossen einige Zweifel von mir, hinunter des Abflusses.
      Befreit fühlte ich mich nicht nach der langen Dusche, aber auf jeden Fall besser. Im Haus war es still geworden, umso deutlicher drangen die immer lauter werdenden Gedanken in den Vordergrund, vor mein inneres Auge. Unaufhörlich sah ich Linas Gesicht vor mir, die schmerzerfüllt zur mir hochblickte, den Tränen nah, aber nicht darüber sprach. Sie schien es für selbstverständlich zu halten, nicht über das negative Gefühl zu sprechen, das sie tief im Inneren versteckte und versuchte, bloß nicht mir zu zeigen. Oder gar ehrlich zu sein. Es gab keine Grenze, sosehr ich auch danach strebte, eine zu finden. Auf dem Nachttisch leuchtete der Bildschirm meines Handys auf, verglimm, ehe es sich mit einer Vibration erneut meldete. Genervt griff ich es.
      Zwei verschiedene Benachrichtigungen dominierten auf dem Sperrbildschirm: Lina hatte mir bereits vor einer Stunde eine Nachricht gesendet und vor wenigen Sekunden postete Vriska etwas in ihrer Instagram Story. In Millisekunden glühten die Nerven in meinem Gehirn auf, überdachten, welche es mehr Wert war, als Erstes angeschaut zu werden. Gewissenhaft antwortete ich meiner Freundin, entschuldigte mich sogar für mein Schweigen und erklärte, dass ich Zeit brauchte zum Nachdenken über meinen Schimmel. Beim Betrachten der Uhrzeit wusste ich auch, dass eine Antwort wohl erst in mehreren Stunden, beim Aufstehen, zu erwarten war. Doch, der Benachrichtigung zur Folge, war Vriska noch unter den Wachenden. Ich tippte auf die Meldung und das Handy wechselte zu Instagram. Ein kurzer Bumerang erschien. Vom Boden bewegte sich das Video nach rechts, zu ihrem neuen Pferd, dass sie über den Kies führte. In der Wegbeleuchtung tanzten kleine Schneeflocken und je öfter ich mir die sechs Sekunden ansah, umso besser sah ich, dass auch schon eine schmale Schicht den Boden bedeckte. Unerwartet kam noch ein Bild, ein ziemlich schräges Selfie, verwackelt und unscharf. Ihre langen, weißen Haare lagen durch den Wind in ihrem Gesicht und die dunkle Mütze hielt sie nicht an Ort und Stelle. Willkürlich entwickelte sich der Gedanken sie anzurufen, ihr mitzuteilen, dass ich sie vermisste und da sie es nicht verneinte … Sie mich auch? Ich sollte den Gedanken verschieben, direkt so weit weg, dass ich keinen Zugriff mehr darauf haben würde. Vorbeugend legte ich das Handy wieder weg, rollte mich über die riesige Matratze, aber es stand fest: Ich war nicht müde.
      Konnte es eine blöde Idee sein, eine enge Freundin mitten in der Nacht anzurufen, weil man nicht mehr klarkam? Jeder würde diese Frage verneinen, außer es ginge dabei um Vriska, dem Kampfdackel des Lindö Dalen Stuteri. Ich fackelte nicht lang, da drehte ich mich hinüber, machte einen langen Arm und hatte wieder mein mobiles Gerät in der Hand. Mit wenigen Klicks piepte es aus den Lautsprechern. In der Innenkamera betrachte ich die großen Augenringe, die tagtäglich größer wurden und versuchte mit einer Handbewegung meine Frisur zu richten. Dann überraschte mich Vriska im leichten Schneesturm ums Gesicht.
      “Warum zur Hölle rufst du mich”, stoppte sie und fummelte mit einem Finger vor der Kamera herum, “um drei Uhr fünfzehn an?” Ihre Stimme klang dafür ziemlich wach und aufmerksam, um selbst noch auf den Beinen zu sein. Leise klammerten die Steine unter den Hufen ihrer Stute, untermalt von dem tiefen Schaben ihrer Schuhe über den Kiesweg. Der Wind rauschte unruhig über den Lautsprecher, verschleierte dabei einige Töne aus dem Hintergrund, dennoch hörte ich andere Pferde über den gefrorenen Sandboden laufen.
      “Du postest doch fröhlich in deiner Story um die Zeit, also wieso nicht?”, antwortete ich mit einer Gegenfrage.
      “Wenn du alles gesehen hättest, wüsstest du es”, rollte ihre Augen auffällig in die Kamera. Ich zuckte nur mit den Schultern. Dachte sie ernsthaft, dass sie so interessant sei? Unweigerlich erinnerte mich mein Körper daran, dass sie es war.
      “Gut, dann auch noch mal für die ganz Dummen”, sagte sie und wechselte zur Außenkamera. Ihre Ponystute lief matt neben ihr her. Die Ohren hingen beinah leblos zur Seite und der Hals war vollkommen verschwitzt. In dem kleinen Fenster sah ich mein Ebenbild, das unvorteilhaft nah an der Kamera hing und das Tier betrachtete.
      “Also, wie du siehst, es ist fast tot. Ich hatte ein schlechtes Gefühl, habe die Aufnahmen geprüft und da stand Maxou in ihrer Box, trat sich unruhig gegen die Box und legte sich hin. Deswegen führe ich sie jetzt und warte auf den Tierarzt”, erklärte Vriska gewählt. In ihren glasigen Augen erkannt ich den Schreck, den sie erlebt haben musste.
      “Wann wird er da sein?”, versuchte ich neutral zu bleiben. Ich konnte mir kaum vorstellen, was ich tun würde, wenn Bino plötzlich an einer Kolik litt und die Nachtschicht dies nicht mitbekommt. Schwer lag mir ein undefiniertes Gefühl im Magen, drehte sich dabei wie ein Seil um meine Eingeweide, an dem jemand zog.
      “Zehn bis dreißig Minuten, ich weiß es nicht”, wurde der Ton zerrender und ihre Kamera setzt für einen Augenblick aus.
      “Soll ich vorbeikommen?”, sagte ich und stand gleichzeitig aus dem Bett auf, saß nun oberkörperfrei vor ihr. Sie begann automatisch zu grinsen, was ansteckend wirkte. Biss mir dabei auf die Unterlippe, um mir die schelmischen Worte in den Gedanken zu verklemmen.
      “Nein, ich schaffe das allein”, obwohl Vriska wirklich versuchte, die Tränen zu unterdrücken, kullerte eine einzige über ihre Wange.
      “Wirklich? Ich würde direkt los und”, tief holte ich Luft, “und bei Missachtung der Geschwindigkeiten wäre ich in einer Viertelstunde da.”
      “Auf gar keinen Fall, für deinen Tod möchte ich nicht verantwortlich sein. Also deck dich wieder zu, leg das Handy beiseite und schlafe.”
      “Na gut, aber wenn er in zwanzig Minuten nicht da ist, rufst du an, okay?”, vergewisserte ich mich. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie sich dafür bedankt und auflegt. Stattdessen hielt die ihr Handy weiter in der Hand, mit der eingeschalteten Innenkamera und ihre Augen schielten im Wechsel vom Pferd und wieder zurück zu mir.
      “Danke dir, aber warum hast du angerufen?”, setzte Vriska lächelnd fort.
      “Was möchtest du denn hören?”, hoffte ich eigentlich nach der Bombe mit der Stute, das Gespräch sein zu lassen.
      “Die Wahrheit, das wäre der richtige Schritt in die richtige Richtung”, sprach sie. Sanft schnaubte das Pferd neben ihr ab, hustete und schnaubte erneut. Neugierig versuchte ich auf dem Bildschirm mehr zu sehen, ausnahmsweise war Vriska klug genug, meine Bewegung zu deuten und zeigte mir das Maxou. Die Ohren standen wieder am Genick und der Schweif pendelte. Sie hatte noch rechtzeitig reagiert, vermutlich würde der Tierarzt Entwarnung geben. Mindestens genauso interessant war der gefallene Schnee, der im kalten Licht ihres Handys blau leuchtete, fünf Zentimeter müssten mittlerweile liegen.
      “Ich wollte deine Stimme hören”, seufzte ich bestürzt. Direkt wechselte sie wieder die Ansicht, schaute mich verdutzt an und drückte sich fast das Handy gegen die Wange. Ernst blickten ihre Augen in die Kamera. Dann lachte sie.
      “Mach’ dich bitte nicht lächerlich”, sagte Vriska, aber grinste. Ob die Kälte oder Scham ihre Wangen rot färbte, fiel außerhalb meines Geltungsbereichs.
      “Das ist mein Ernst und”, dann holte ich erneut tief Luft, “außerdem, habe ich vermutlich einen riesigen Fehler gemacht.”
      “Einen Fehler? Man erzähle mir mehr”, kam sie aus dem Scherzen nicht mehr heraus.
      “Ich habe ein Pferd gekauft, aber nicht irgendeines, sondern Bino, das erste Fohlen von Smoothie”, dann dachte ich nach, wie ich es am elegantesten formulierte, dass ich ganz offensichtlich mich wie ein herzloser Idiot verhielt und einem jungen Mädchen ihr Turnierpferd abgekauft hatte, das nicht zur Abgabe stand.
      “Aber?”, hakte sie in der Stille nach.
      “Aber, das Pferd stand nicht zum Verkauf, deshalb -”
      “Deshalb hast du mit den Scheinchen gewedelt und urplötzlich stand das Pferd auf dem Hänger”, schüttelte Vriska den Kopf, nach dem sie mir glücklicherweise die Worte aus dem Mund stahl.
      “Im Transporter, aber ja”, korrigierte ich.
      “Ich vergaß, ihr reichen fahrt nur mit Transporter. Bestimmt wurdest du sogar gefahren, anstelle selbst die Arbeit in die Hand zu nehmen”, setzte Vriska ihre Hetze scherzhaft fort. Aber ich wusste wie sie es meinte und ich nichts zu befürchten hatte.
      “Allerdings traue ich mich nicht, es Lina zu sagen”, formulierte ich mit zittriger Stimme.
      “Dann sammele dich erst mal, oder spring über deinen Schatten, schließlich erschien sie mir heute wie der glücklichste Mensch auf dem Planeten.”
      “Ach ja, wie konnte das passieren?”, wunderte ich mich. Also wirklich, wovon sprach der Dackel? Kam Ivy heute, hatte ich es vergessen? Eigentlich nicht, zumindest müsste ich auch zugeben, dass ich den Gesprächen, das eine oder andere Mal aufmerksamer zuhören sollte. Ja, auch wenn ich optisch dem Ideal eines Traumprinzen erschien, kam ich allen anderen Posten dieser Behauptung nicht nach. Die Hintergründe dazu näher zu erläutern, waren nicht nötig, oder?
      “Du weißt es nicht?”, stoppte sie und erschien eine Antwort zu erwarten, die nicht von mir kam, also setzte sie fort, “Der Verein wird zu uns kommen, zumindest, wenn dann das Gebäude ausgebaut ist.”
      Mir steckte ein Kloß im Hals. Jeden Tag auf diesem Hof zu sein, erschien zumindest eine Erlösung zu sein, nicht mehr zwischen so vielen zu pendeln, bedeutete jedoch auch, stets unter Beobachtung zu stehen. Ich brauchte meinen Freiraum, der nicht nur dazu da war, um mir Appetit zu holen, viel mehr bedeutete es, meinen Gedanken freien Lauf lassen zu können. Lang und breit erzählte mir Vriska von den kommenden Veränderungen und eine Sache ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Würde ich bei den Weltreiterspielen mitreiten können?

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 20.949 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang Oktober 2020}
    • Mohikanerin
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      Tierarztbericht | 21. März 2022

      Forbidden Fruit LDS / Friedensstifter

      Am frühen Nachmittag hatte ich einen Termin zum Impfen zweier Stuten. Es handelte sich um Forbidden Fruit LDS und Friedensstifter. Beide Stuten sollten schnellstmöglich zur Stutenleistungsprüfung und mussten vorher noch geimpft werden. Als ich das Gestüt erreichte, hielt ich einen kurzen Plausch mit meinem Auftraggeber, bevor ich die Stuten abhörte. Beide hörten sich völlig normal an, Temperatur war auch in der Norm. Dem Impfen stand nichts im Wege. Zuerst impfte ich Forbidden Fruit LDS, anschließend Friedensstifter. Beide Pferde erhielten die Impfung gegen Influenza und Herpes. Nachdem die Impfungen im Pass eingetragen wurden, war ich auch schon fertig und wünschte viel Erfolg.

      © Stelli // 687 Zeichen
    • Mohikanerin
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      Wintervorbereitung am Huf


      St. Pauli's Amnesia / Forbidden Fruit LDS / Friedensstifter / Moonwalker LDS

      Zwischen all dem Schnee der letzten Tage, kam es kaum eine Möglichkeiten die Höfe zu erreichen. Dieses Jahr traf es uns noch früher als erwartet, aber langsam kehrte Normalität ein. Zuerst machte ich einen Zwischenhalt in Kalmar, ehe ich zur Halbinsel fuhr. Amy, eine Rappscheckstute wartete dort bereits auf neuen Beschlag. Neugierig und interessiert, wie immer, streckte sie mir ihren Kopf entgegen, als ich die alten Hufeisen entfernte und das Horn feilte. Nachdem die Hufe wieder passend für den Beschlag waren, wühlte ich aus dem Wagen neuen Grip, da der alte bereits vollkommen zerfressen und brüchig war. Mit Stiften an der Vorderhand befestigte ich alles am Huf. Damit hatte die erste Kandidatin neue Schuhe und stieg fluchtartig wieder in mein Fahrzeug.
      Auf dem Lindö Dalen Stuteri lag es ruhig. Auf den Weiden tollten die Pferde herum und in der Stallgasse warteten bereits die nächsten drei Pferde. Die beiden Stuten bekam die Eisen ab und Walker sollte Aluminium mit Stiften bekommen. Mit einem Plan im Kopf legte ich los. Nacheinander entfernte ich den alten Beschlag, der besonders bei Fruity schon überfällig war, schnitt und raspelte das Horn, um schließlich nur den Hengst zu beschlagen. Die Stuten wurden zurück auf den Paddock gebracht und als die junge Dame wiederkehrte, war auch Walker fertig. Wir setzten uns noch ein paar Minuten auf einen Kaffee zusammen, bis ich an der Küste entlang zum nächsten Gestüt fuhr.

      © Mohikanerin // 22. März 2022 // 1437 Zeichen
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  • Album:
    gnadenweide.
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    Mohikanerin
    Datum:
    3 März 2023
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    geboren: 2012

    –––––––––––––– a b s t a m m u n g

    Aus: Unbekannt

    MMM: Unbekannt ––––– MM: Unbekannt ––––– MMV: Unbekannt
    MVM: Unbekannt ––––– MV: Unbekannt ––––– MVV: Unbekannt


    Von: Unbekannt
    VMM: Unbekannt ––––– VM: Unbekannt ––––– VMV: Unbekannt
    VVM: Unbekannt ––––– VV: Unbekannt ––––– VVV: Unbekannt


    –––––––––––––– b e s c h r e i b u n g

    Geschlecht: Stute
    Rasse: Standardbred [STB]
    Farbe: Classic Champagne Dun Splash
    [Ee aa Dd nCh nSpl]
    Stockmaß: 157 cm

    Charakter:
    Friedensstifter ist eine sehr freundliche und aufgeschlossene Stute, die sich mit so gut wie jedem Pferd versteht.

    –––––––––––––– z u c h t

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    Gekört durch SK 478 im April 2022.

    Zugelassen für: Standardbred, Speed Racking Horse, Barock-Reitpferd
    DMRT3: AA
    Gänge: 5

    Herkunft: Unbekannt, Canterbury [NZL]

    Lebensrekord: 1:14,3

    Fohlenschau: 0,00
    Materialprüfung: 0,00

    Körung
    Exterieur: 7,46
    Gesamt: 7,06

    Gangpferd: 7,20

    Friedensstifter hat 4 Nachkommen.
    • 2015 Friedenszahlung LDS (von: Pay My Netflix)
    • 2016 Friedenskönigin von Atomic (von: Erlkönig)
    • 2018 Shake that Bubble LDS (von: Harlem Shake LDS)
    • 2019 Friedensnobelpreis LDS (von: Alfred's Nobelpreis)

    –––––––––––––– l e i s t u n g

    Dressur A [L] – Fahren E [E] – Rennen L [M] – Distanz E [A] – Gangreiten E [L]

    März 2020
    1. Platz, 433. Distanzturnier

    April 2020
    1. Platz, 435. Distanzturnier

    August 2021
    3. Platz, 558. Rennen

    Oktober 2021
    2. Platz, 302. Gangturnier
    3. Platz, 639. Dressurtrunier

    November 2021
    2. Platz, 304. Gangturnier
    3. Platz, 306. Gangturnier

    Januar 2022
    1. Platz, 311. Gangturnier
    3. Platz, 526. Fahrturnier

    Februar 2022
    Rennen E zu A

    März 2022
    1. Platz, 531. Fahrturnier
    1. Platz, 532. Fahrturnier
    Dressur E zu A
    3. Platz, 575. Rennen

    Oktober 2022
    Rennen A zu L

    –––––––––––––– s o n s t i g e s

    Ersteller: Mohikanerin
    VKR: Mohikanerin

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    Spind – Hintergrund