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Mohikanerin

// Enigma LDS [0]

a.d. Middle Ages, v. Vintage

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// Enigma LDS [0]
Mohikanerin, 30 Aug. 2022
Veija, Sosox3 und Wolfszeit gefällt das.
    • Mohikanerin
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      kapitel två | 25. September 2021

      HMJ Divine // Fly me to the Moon // HMJ Holy // Vintage // Wunderkind // Architekkt // Waschprogramm // Glymur // Enigma LDS // Götterdämmerung LDS // Form Follows Function LDS

      Lina
      Ich wurde wach von einem kalten Luftzug, der mir auf einmal um die Beine strich. Etwas oder besser gesagt jemand hatte mich offensichtlich meiner Decke bestohlen.
      “Juli, du hast deine eigene Decke”, murrte ich müde. Ein leises Schnarchen war die einzige Reaktion, die ich bekam. Müde öffnete ich meine Augen, die einen Moment brauchten, bis sie sich an die Dunkelheit im Zimmer gewöhnt hatten. Drei Uhr zwanzig registrierte ich mit einem kurzen Blick auf den Wecker. Im schwachen Schimmer des Mondlichts, welche durch einen Spalt zwischen den Vorhängen drang, erkannte ich meine Schwester, die sich wie ein Wrap in die Decke eingewickelt hatte. Ihre eigene Decke schien aus dem Bett gefallen zu sein, denn ich konnte einen hellen Haufen auf dem Boden am Fußende ausmachen. Schlaftrunken stieg ich aus dem Bett. Der Boden unter meinen Füßen war unangenehm kühl. Möglichst leise, um Juli nicht zu wecken, versuchte ich zum Fußende zu tapsen.
      “Ahh, fuck! Wer hat denn das blöde Ding dahingestellt”, fluchte ich leise, als mein kleiner Zeh hart mit einer Kante kollidierte. Ein stechender Schmerz zuckte durch meinen Fuß, bevor der Zeh zu pulsieren begann. Blödes Bücherregal, warum musste das denn auch genau da stehen.
      Mit der Bettdecke im Arm humpelte ich zurück zu meiner Betthälfte. Noch immer schmerzte der Zeh. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich behauptet, er sei gebrochen. Wie konnte so ein kleiner Körperteil nur so sehr wehtun? Ungeachtet des schmerzenden Zehs steckte ich meine kalten Füße unter die Bettdecke und versuchte wieder eine gemütliche Schlafposition zu finden. Nach mehrmaligen herumwälzen fand ich diese schließlich auch. Während ich so da lang und darauf wartete vom Schlaf übermannt zu werden, schlichen sich Julis tausend Fragen wieder in mein Gedächtnis. Natürlich hatten viele Fragen Divine gegolten und auch dem, was ich in Kanada so erlebt hatte, doch die meisten ihrer Fragen konzentrierten sich auf die Ursache dafür, dass ich jetzt hier war. Hier in Schweden. Nachdem ich ihr erst einmal möglich detailgetreu erzählen musste, wie ich Niklas das erste Mal begegnete, wie es dazu kam, dass er mir ein Pferd kaufte, dessen Preis ich lieber verschwieg, und was genau Jace mit der Sache zu tun hatte, war es bereits ziemlich spät gewesen. Dass ich inzwischen Mit Niklas zusammen war, hatte ich ihr bis dato noch nicht erzählt, denn so viele Fragen wie sie zu allem möglichen stellte, waren wir gerade einmal bis zum Ende der ersten Woche gekommen, wo ich mit Niklas zusammen unterwegs gewesen war um Humbi zu kaufen.
      Unwillkürlich wanderten meine Gedanken zu dem Tag danach. Eigentlich hatte er ja ganz schön begonnen, wäre da nicht Jace gewesen. Jace der mit seiner Aktion erneut bewiesen hatte, das er nicht das war, was ich mir erhoffte und dass er sich innerhalb der drei Jahre kein Stück gewandelt hatte. Jace, der kurz davor gewesen war das zu zerstören, was Ausnahmsweise mal zu funktionieren schien. Zugegebener maßen war Jace allerdings nicht allein daran schuld gewesen, dass die darauffolgenden Tage zu einer Achterbahn der Gefühle wurden. Irgendwie kam es mir immer noch ziemlich surreal vor, dass ich nun tatsächlich hier in Schweden war. Verrückt wie schnell sich das Leben doch komplett verändern kann. Neben mir raschelte es leise und Juli kuschelte sich, etwas unverständlich vor sich hin murmelt an mich. Sie war es eindeutig gewohnt, das Bett normalerweise mit ihrem Freund zu teilen.
      Meine Schwester so nah bei mir zu haben, erinnerte mich an meine Kindheit. Immer wenn ich nicht schlafen konnte, weil ich Alpträume gehabt hatte, weil es draußen gewitterte oder weil Täti Elsa ihren Bruder wieder vorwürfe machte, warum er sich nicht selbst um uns kümmerte. Diese Gespräche endeten eigentlich immer in einem Streit, woraufhin sich unser Vater noch viel mehr in seine Arbeit stürzte. Juliett war einer der wenigen Menschen, die immer für mich da gewesen waren und wie auch früher schon entspannte ich mich in ihrer Gegenwart. Meine Gedanken an Kanada zerstreuten sich allmählich wieder und die Müdigkeit gewann wieder die Oberhand.
      Das nächste Mal wurde ich von dem Piepen des Weckers wach. Vorsichtig wühlte ich mich aus den Armen meiner Schwester, um das nervige Ding auszuschalten.
      “Ist es schon morgen?”, murmelte meine Schwester und drehte sich von mir weg.
      “Jep, aber schlaf ruhig weiter”, antworte ich meiner Schwester und kletterte aus dem Bett. Ich suchte mir ein paar Klamotten zusammen und tapste ins Bad um dort erst einmal unter die Dusche zu schlüpfen. Warm rann mir das Wasser über die Haut, was mich nach und nach wacher werden ließ.
      Als ich eine halbe Stunde später wieder aus dem Badezimmer heraus trat, war die Atmosphäre gelöst und ein ziemlich guter Duft lag in der Luft. Juli war inzwischen aufgestanden und stand fröhlich summend in der Küche und schnippele Obst.
      “Mmmmm, das riecht aber lecker”, stellte ich fest als ich die Küche betrat und versuchte die Quelle des Duftes auszumachen.
      “Oh, tauchst du auch mal wieder auf”, begrüßte sie mich gut gelaunt und schob mich beiseite um etwas aus dem Schrank zu nehmen. Der Geruch der durch die Küche waberte bekam mir bekannt vor, doch ich konnte es nicht ganz zuordnen, bis ich den Inhalt des Ofens entdeckte. Das, was da im Ofen vor sich in buk, weckte Freude in mir.
      “Machst du da etwa Uunipannukakkuja?”, fragte ich noch unnötigerweise, denn eigentlich kannte ich die Antwort schon. Juli nickte und suchte etwas in einer Schublade.
      “Ich hätte auch noch Korvapuusti gebacken, aber das hätte einerseits zu lange gedauert und dein Kühlschrank hat das auch nicht hergegeben. Hast du hier irgendwo ein Puderzuckersieb?”, fragte sie und zog die nächste Schublade auf. Schulte zuckend antwortete ich ihr: “Keine Ahnung, ich wohne hier noch nicht mal eine Woche.”
      “Na gut dann suche ich mal weiter. Du könntest schon einmal den Tisch decken. Frühstück ist gleich fertig”, sagte sie und drückte mir die Teller in die Hand. Ich begann den Tisch zu decken, während meiner Schwester fröhlich weiter in den Schränken wühlte.
      “So Schwesterchen, du warst gestern noch nicht damit fertig mir davon zu erzählen, warum du jetzt hier bist und nicht in Kanada”, kam Juli nun und stellte das Backblech auf den Tisch und verschwand wieder, um die Schüssel mit dem Obst und ein Glas Schokoaufstich zu holen, um diese ebenso auf den Tisch zu stellen.
      “Müssen wir wirklich jetzt darüber reden?”, fragte ich. Eigentlich war das, was zu Beginn der zweiten Woche so passiert, ist nicht unbedingt das Ideale Frühstücksthema.
      "Ich finde schon, dass du deiner Schwester sagen könntest was dich so beschäftigt hast, dass du dich nicht gemeldet hast", antwortete sie und verteilte das Uunipannukaakkuja auf den Tellern.
      "Okay, Okay dann bekommst du die wichtigste Info und den Rest erzähle ich dir wann anders …", gab ich seufzend nach. Ich würde ihr diese Sache vermutlich ohnehin nicht mehr lange verheimlichen können, immerhin kannte meine Schwester mich vermutlich besser als jeder andere auf diesem Planeten.
      "Und die wichtigste Info wäre …?“ Über den Tisch hinweg sah sie mich fragend an.
      "Der Grund warum ich hier bin, ist … Niklas. Wir sind jetzt zusammen", beantworte ich ihre Frage und stopfte mir einen Bissen in den Mund, spürte aber wie mir die Hitze in die Wangen stieg.
      Auf Julis Gesicht trat ein erstaunter Ausdruck: “Und das sagst du mir erst jetzt?! Aber wow ich freu mich für dich. Wie kommt es dazu?” Natürlich fragte sie genauer nach, was hatte ich auch erwartet.
      “Lange Geschichte, definitiv zu lang fürs Frühstück. Ich bin glücklich mit ihm und das ist das wichtigste, was du erst einmal wissen musst. Du lernst ihn bestimmt noch irgendwann kennen ”, beantworte ich ihre Frage. Nicht das mein Freund kein tolles Thema sei, aber ich wollte erst einmal Frühstücken, bevor ich wieder die Millionen Fragen meiner Schwester beantworte.
      “Weißt du Juli, ich habe ein viel besseres Thema fürs Frühstück. Du erinnerst dich doch sicher noch an Samu …”, begann ich zwischen zwei Bissen zu erzählen.
      Juli schien kurz nachzudenken, bevor sie sich zu erinnern schien: “Der blonde, der mit mir in einem Jahrgang war, den du als deinen besten Freund auserkoren hast?”
      “Ja genau der! Weißt du, was er gebracht hat … der, der sich mein bester Freund nennt hat mir einfach nicht gesagt das er eine Freundin hat, anderthalb Jahre lang”, echauffierte ich mich über Samu. Meiner Schwester kugelte sich fast vor Lachen: “Ist das nicht der junge Mann, den du mehr fach erfolglos versucht, hast zu verkuppeln?”
      “Jap, genau der und eigentlich dachte ich wir kennen uns lang genug als, dass er mir so was erzählt”, sprach ich weiter. “Und weißt du, warum er es mir nicht erzählt hat? Weil seine Freundin hier in Schweden lebt und Samu der Meinung war, ich wäre nicht in der Lage allein zu leben”, beendete ich meine Erzählung. Juli kriegte sich immer noch kaum ein.
      “Ey, hör endlich auf zu lachen. Das hat für viel Spannungen gesorgt, das war eher weniger lustig”, beklagte ich mich und warf sie mit einer Blaubeere ab.
      “Ist ja gut, ich benehme mich schon”, kicherte meine Schwester immer noch versuchte sich zugegebenermaßen zusammenzureißen.

      Vriska
      Im Gegensatz zu meinem Bruder war ich bereits wach. Doch nicht nur einfach wach, sondern ich saß mit meinem Kaffee auf der Terrasse meiner Hütte und betrachtete den letzten Schweif der Sonne, der zum Himmel hinaufstieg. Ich hatte Schweden wirklich vermisst. Besonders fehlte mir die Hengste auf ihren Weiden sehen zu können und dabei in lauen Temperaturen die Natur zu genießen. Generell fiel es mir schwer, in Kanada den Moment zu nutzen. Als ich tief durchatmete und kurz die Augen schloss, störten Schritte durch den Kies die Ruhe. Hedda kam neugierig angerannt.
      „Du bist wieder da! So schön“, umarmte sie mich etwas weinerlich. Schön wäre gewesen, wenn ich länger hätte die Idylle nutzen können auf dem Flachland. Der Hof war umringt von Mischwäldern und die Blätter der Birken säuselten im Wind.
      “Wir haben Stalldienst, kommst du?”, holte sie mich wieder aus den Gedanken.
      “Ja, ich muss nur die Schuhe wechseln”, stöhnte ich und stützte mich aus dem Stuhl hoch. Mit einem kräftigen Schluck schüttete ich den restlichen Kaffee hinein, dann lief ich leise in die Hütte. Mein Bruder lag noch immer im Bett und drehte sich noch einmal, als ich in das Schlafzimmer tippelte, um aus dem Schrank eine andere Jacke zu holen. An der Haustür standen die Reitstiefel, in die ich hineinschlüpfte und dann endlich arbeiten. Obwohl, eigentlich hätte ich gern noch die Natur beobachtet, aber eine Aufgabe zu nehmen, reichte mir. Um mich zu erholen, hatte Tyrell mir so etwas wie Stallverbot erteilt, was mich natürlich nicht davon abhielt mit Flyma auszureiten.
      „Stimmt es, dass Lina jetzt hier am Hof ist?“, fragte Hedda mich aus beim Spannen der Litze.
      „Joa, warum?“, ich war nicht wirklich vom Thema überrascht, denn die kleine Schwester von Folke begeisterte sich für ihre Arbeit. Sie versuchte mit Holy ebenfalls so einige innige Bindung aufzubauen, was jedoch mit zwei solcher Chaoten wirklich nicht einfach war. Das schweißte sie zusammen.
      „Wir hatten Holy schon im Griff, aber seitdem ihr Partner weg ist, geht sie auf dem Paddock wieder durch den Zaun“, erzählte Hedda aufgeregt.
      „Deswegen war Tyrell so genervt. Verstehe. Aber jetzt geh zurück. Ich hole als Erstes die Einsteller rein“, wies ich sie an und sogleich rannte der geölte Blitz zu den Paddocks. Aus der Ferne vernahm ich ihren Pfiff worauf ich mit der Peitsche die Pferde noch einmal motivierte, den Weg nach Drinnen anzutreten. Angeführt trabte Mallita. Die Stute gehörte einer Einstellerin. Sie kam nicht oft zu ihrem Pferd, deswegen hatte Hedda sich ihr bereits angenommen und fand den Spaß am Springen. Ich konnte Mallita nichts abgewinnen. Sie war riesig und ungestüm, dazu noch unsicher.

      “Waren das alle?”, fragte Hedda, als auch unsere Stuten in Kopf durch die Gitter steckten zum Heu.
      “Ja, jetzt müssen wir Lina abholen, in zwanzig Minuten beginnt die Besprechung”, sagte ich trocken und verschwand in der Hütte. Harlen erhob sich aus dem Bett. Noch ziemlich verschlafen streckte er die Arme nach oben, schmatzte und wischte sich durch sein markantes Gesicht.
      „Vivi? Wo warst du so früh?“, fragte mein Bruder überrascht.
      „Arbeiten?“, verzog ich verwundert das Gesicht und goss in der Küche jedem eine Tasse Kaffee ein. Dankend nahm er sie entgegen, während ich mich an den Rand des Bettes setzte.
      „Du bist … anders“, merkte Harlen an. Es war nicht anders erwartet, dass er auf diese Art versucht mir mitzuteilen, ein wichtiges Gespräch führen zu müssen.
      „Ich weiß“, murmelte ich nervös. Kurz kam der Gedanke auf, ihm eine andere Geschichte aufzutischen, die spätestens morgen an Boden verlor.
      „Jetzt sage mir, warum ich kommen sollte. Wird wohl nicht wegen der Abschlussprüfungen sein, schließlich habe gar keine Ahnung von dem, was du hier tust“, ein freundliches Lächeln huschte durch sein Gesicht.
      „Menschen sind verletzt, meinetwegen, und …“ Ich wurde unterbrochen. Obwohl mein Bruder tagtäglich ein sehr löbliches Verhalten an den Tag brachte, konnte das ich meiner Anwesenheit vorkommen, dass er seinen Schleier der britischen Höflichkeit ablegte.
      „Bevor du weiter sprichst: Wer bist du und was hast du mit meiner kleinen unreflektierten Schwester gemacht, die vollkommen besessen davon ist, die Welt zu verbessern und deswegen Kopflos durch jedes Fettnäpfchen läuft?“ Wow. So präzise hatte mich noch nie jemand beschrieben. Umso trauriger war es, dass dieser tolle Kerl unbedingt mit mir verwandt sein musste. Manchmal scheiterte es wirklich daran. Wieso konnte es nicht wie bei Game of Thrones sein, wo es beinah erwünscht war, dass die Liebe in der Familie blieb? Nein, wirklich! Wenn es nicht verschrien wäre und auf die eine oder andere Art wirklich widerlich, dann könnten Harlen und ich die perfekte Familie gründen. Spaß beiseite. Es fehlte mir, ihn in meiner Nähe zu haben. Im Vergleich zum Rest der Sippe verstand er mich und stellte nur so viele Fragen wie nötig, ohne dabei einen Vorwurf zu formulieren.
      „Das meine ich. Seit mehr als einer Woche trage ich einem Gefühl mit mir herum, dass Bauchschmerzen auslöst, mir Sorge bereitet und mich sogar bereits zum … du weißt schon, brachte“, darüber beschämt, senkte ich den Kopf, um seinen fragenden Blicken auszuweichen. Sanft strich Harlen mir über den Rücken und ließ mir meine Zeit, darüber zu reden. Ich war dankbar darüber, gewisse Worte nicht aussprechen zu müssen.
      „Im Internet standen dazu Dinge wie Reue empfinden, aber ich möchte das Geschehene nicht ändern. Es war schön, aber hat andere verletzt. Deswegen bin ich jetzt verletzt und möchte einfach nicht mehr sein. Diese Zweifel und die Ungewissheit, damit umzugehen, bringen mich noch um meinen Verstand.“ Mit glasigen Augen sah ich an die weiße Decke der Hütte. Als ich hier einzog, hatte ich überlegt alles schwarz zu streichen, was Tyrell zum Luft schnappen brachte. Er hatte diese Ader am Hals, die begann anzuschwellen, wenn ihm etwas missfiel, aber nichts sagen wollte. So wie mein Bruder gerade auch, doch er antwortete nun doch.
      „Weißt du, kleines, es ist okay, wenn du es nicht rückgängig machen möchtest. Das zeigt nur, dass du bereit dafür bist, es als einen Teil von dir zu betrachten und nicht als ungebetener Gast, wie viele andere Puzzleteile in deinem Gehirn. Sage dir einfach, dass es nicht erneut passieren wird und vor allem, steh drüber. Dich dauerhaft dafür zum Sündenbock zu machen, quält dich nur. Hast du schon überlegt es wieder gutzumachen?“ Während er mir freundlich das Leben erklärte, blickte ich verzweifelt zur Uhr, die im Flur hing. Da ich noch Lina abholen wollte, musste das Gespräch warten.
      „Ich denke nicht, dass ich es wieder gut machen kann. Schließlich würde sie dann fremdgehen“, sprach ich schlürfte dabei meinen Kaffee aus.
      “Gleiches mit gleichem begleichen, stellt nicht immer die beste Lösung dar. Aber jetzt mal im Ernst, hast du dich an ihren Freund ran gemacht?”, fragte er noch weiter, als ich bereits mich im Abflug befand.
      “Nein, sie waren noch nicht zusammen und vor allem nicht aktuell, als es anfing. Dann fanden sie zueinander, aber ich konnte nicht aufhören …“, ich konnte die weiteren Worte nicht aussprechen. Ein Kloß breitete sich im Hals aus und durch Schlucken verschwand dieser nicht.
      “Weil du glücklich warst?”

      Tyrell
      Noch immer geduldig warteten wir auf die beiden Grazien, die offensichtlich nicht dir Uhr konnten. Die täglichen Besprechungen hatte in den letzten zwei Wochen nicht viel Sinn ergeben, umso mehr freute mich darüber, heute endlich wieder eine zu haben. Einige wichtige Dinge standen schon auf der To-do-Liste und damit jeder sein Pensum einhalten konnte, mussten wir heute teilen. Vriska arbeitete aktuell nur vier bis sechs Stunden am Tag und wenn möglich, bekam sie mögliche Pferde zugeteilt.
      “Entschuldigung”, kam Vriska mit Lina im Schlepptau dann doch noch. Wir hatten bereits mit der Besprechung begonnen, denn zwanzig Minuten Verspätung zeigte sich nicht wirklich gut für den ersten Arbeitstag. Bei Lina sah ich drüber hinweg. Sie konnte nicht wissen, wo der Seminarraum war und ich vergaß ihr alles richtig zu zeigen. Vriska war dafür zuständig, denn sie wollte Lina hier am Hof haben.
      “Ja, ja. Setzt euch einfach”, sagte ich mit einer winkenden Bewegung und sie nahmen in der ersten Reihe Platz. Linas Kopf wurde hochrot, aber ich grinste ich freundlich zu. Es gab keinen Grund deswegen peinlich berührt zu sein.
      “Also wo waren wir … ach ja. Lina? Vriska? Ihr beide müsst als Erstes eine der Boxen vorbereiten. Ein neuer Einstellerhengst wird einziehen und wir wollen die Hengste, die nicht auf Rennen laufen, auf den Paddock stellen. Danach bitte die Bungalows kontrollieren, nächste Woche kommen neue Gäste. Außerdem soll Lina heute noch Unterricht auf Betty bekommen, da unser Rotschopf aktuell andere Dinge im Kopf hat“, erzählte ich unausweichlich von meinen Notizen.
      „Noch habe ich Ferien“, sagte Hedda mit geschwellter Brust. Gerade deswegen hätte sie genug Zeit haben müssen, um Betty zu bewegen, aber wer war ich, das beurteilen zu können. In ihrem Alter habe ich ganz andere Dinge im Kopf gehabt.
      „Wie dem auch sei … Vriska, Bruce kommt die Tage und möchte etwas besprechen mit uns. Also sei bitte so freundlich und komme pünktlich“, fügte ich im Anschluss hinzu. Folke hatte bereits seine Aufgaben bekommen und verschwand ohne etwas zu Essen zu nehmen in den Stall.

      Vriska
      Zusammen mit Lina griffen wir uns die Hengste, die auf der vorgegebenen Liste standen und stellen sie nach einander mit in die Herde. Kritisch beäugte ich jedes einzelne eingegliedertes Pferd, denn ständiges Quietschen erhellte meine Ohren. Ein unbeschreibliches Gefühl lag mir im Bauch, dass die plötzliche Einführung in die Herde eine schlechte Idee war. Ich schüttelte den Kopf, um meinen inneren Monolog zu relativieren. Auch Lina bemerkte das hektische Zucken meines Körpers, aber bis auf skeptische Blicke, sagte sie nichts. Die beiden Paddocks neben der Halle, die ehrlich gesagt bei so wenigen Pferden wie ein Tierparkgehege wirkten, fühlten sich zunehmend. Auf der einen Seite standen unsere Pferde sowie die unseres Miteigentümers Collin und auf der anderen die der Einsteller. Es war für uns einfacher, zu dem konnte man den Fakt nicht außer Acht lassen, dass Tyrell die Einsteller als eine Art Eindringling oder Parasit betrachtete, die mit ihren ‘Gurkenpferden’ nur die Qualität der Turnierpferde minimierten. Oder etwas in der Art. Ich und vermutlich alle anderen konnten seine Gedankengänge nur selten nachvollziehen, doch das infrage stellen dieser, sorgte häufig für Aufregung.
      “Waren das alle?”, trat Linas Frage in meine Ohren. Ihres genervten Untertones zufolge fragte sie nicht das erste Mal. Prüfend schweifte mein Blick erneut über den Paddock. Wunder, Vintage, Waschi, Archi und Lu wechselten von den Boxen hinaus. Ruhe kehrte langsam in die Herde herein, denn Frost konnte erfolgreich seine Position als Herdenchef verteidigen. Unser Wunderkind bekam dabei einige Tritte ab, allerdings wusste er sich zu wehren und biss ihn in die Brust.
      Wir hatten es gerade noch rechtsseitig geschafft, die Boxen zu reinigen und eine von ihnen neu zu bestreuen, als ein Hänger mit Getose die Auffahrt hinauf fuhr. Tyrell stand bereits draußen und begrüßte unseren neuen Gast. Eine junge Dame stieg aus dem Fahrzeug und umarmte ihn freudig. Ungewöhnlich unwohl fühlte ich mich bei dem Anblick. Ich zupfte an den Armbändern, die ich am Morgen angelegt hatte, und meine Zähne konnten sich nicht von meinem Piercing lösen. Stattdessen biss ich so lange darauf herum, bis ein eisenhaltiger Geschmack in meinem Mund auftauchte. Kurz wischte ich mir durchs Gesicht und lief mit Lina dazu. In meinem Kopf schwirrten wieder seine Worte, dass Bruce morgen kommen würde und mir sicher mitteilte, dass Glymur nicht mehr an meiner Seite sein würde. Bestimmt war der Sturz über das Hindernis ein großer Gefahrenpunkt gewesen, denn es hätte für das Pony ganz anderes enden können. Dass diese Zweifel unbegründet waren, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.
      „Oh Eve. Bevor ich es vergesse. Das sind Lina und Vriska. Sie arbeiten hier und helfen dir gerne beim Abladen von Ralle”, stellte Tyrell uns einander vor. Im Hänger hämmerte es laut gegen die Klappe und ich öffnete zusammen mit Eve diese. Ein großer dunkler Kaltblüter tauschte vor meinen Augen hervor. Der Schweif war zusammengeflochten und mit einer Bandage umwickelt. An den Beinen trug er riesige Transportgamaschen. Fasziniert betrachtete ich den imposanten Hengst, der rückwärts heraustrat. Seine Mähne wurde kurz geschnitten und bildeten niedliche Löckchen, die abwechselnd zur linken und rechten Seite kippten.
      “Diese Box haben wir vorbereitet”, zeigte ich auf die Dritte im Gang. Bei der Renovierung dieser riesigen Halle hatte Tyrell ausreichend große Boxen errichten lassen, um die Hengste zu zweit in eine Box stellen zu können, in der sie jederzeit auf einen Paddock gelangen. Seitlich zu den anderen waren sie mit einem doppelten Zaun abgeschirmt und vermutlich war Raleigh der einzige, der seinen Kopf weit genug zur anderen Seite strecken könnte, deswegen stand er nicht direkt zu anderen Pferde.
      Bei einem kalten Eistee, als wäre es nicht schon Kühl genug, saßen wir auf der Terrasse der Reithalle. Mittlerweile waren auch Harlen, Folke und Juli dazu gekommen, die sich mit Eve fabelhaft verstanden. Ich hingegen konnte sie nicht so recht einschätzen. Sie wirkte vertraut, beinah zu vertraut, aber machte gleichzeitig einen boshaften Eindruck, als führe sie etwas im Schilde. Bei meinen Vorahnungen hatte ich mich nie geirrt.
      „Vriska, wann hast du Prüfung?“, fragte Tyrell mich plötzlich. Wenn es etwas gab, worüber ich nicht reden wollte, dann das. Ich hatte auf zwei Jahre verkürzt, denn ‘meine hervorragenden reiterlichen Fähigkeiten’ sprachen für sich. Ziemlich kurzfristig wurde mir Angeboten noch in diesem Jahr die Prüfungen abzulegen. Den Stoff könnte ich schnell aufarbeiten, doch dem war nicht so. Ich hinkte noch immer hinterher, obwohl das Lernen zusammen mit Niklas mir viele Vorteile mitbrachte. Dass er mehr Erfahrung hatte als ich, zahlte sich in vielen Punkten aus.
      “Nächste Woche”, antwortete ich kurz. Während ich in Kanada noch davon überzeugt war, zwei weitere Wochen zum Lernen hatte, enttäuschte mich mein Terminkalender zu Hause. Nicht nur, dass ich mich im Datum geirrt hatte, sondern auch noch im Fach, brachte mich ziemlich in die Bredouille. Tyrell merkte, dass ich nicht drüber sprechen wollte und nickte nur. Dann schloss er sich wieder dem Gespräch von Harlen und Eve an, die sich interessiert über den Börsenkurs von irgendeinem Unternehmen unterhielten. Es war mir ein Rätsel, wie das mein Bruder sein konnte. Ich hatte noch Aufgaben vor mir. Da Lina noch mit ihrer Schwester besprach, stand ich wortlos auf und holte aus der Sattelkammer ein Halfter, ein altes, ziemlich dreckiges und an einigen Stellen war es sogar eingerissen. Warum das überhaupt noch in der übertrieben ordentlichen Sattelkammer zu finden war, brachte mich auf neue Herausforderungen. Ich warf es nicht in den nächsten Mülleimer, sondern lief zum Stutenpaddock. Neugierig erhoben die Stuten ihren Kopf. Mit einem freundlichen Winken begrüßte ich allesamt, doch schnappte mir Enigma. Die braune Stute mit leuchtenden eisblauen Augen zog jeden in ihren Bann. Tatsächlich war sie nicht die Einzige mit blauen Augen. Von allen Seiten sahen welche zu mir, die meisten von ihren Schecken. Ich führte Enigma zum Stall und traf dabei auf Eorann. Sie erkundigte sich nach Folke, ihrem Freund. Ohne große Reden zu schwingen, zeigte ich zur Terrasse.
      „Na komm meine Hübsche, du möchtest doch sicher ein tolles Reitpferd werden“, sagte ich zu ihr. Ich hatte sie bereits ruhig geputzt und die Trense angelegt. Denn, wir wollten in den Wald, eine Runde spazieren gehen und dabei vom Boden aus arbeiten. Sie hatte im letzten Jahr ihr erstes Fohlen und vermutlich für die nächsten auch das einzige. Da wir so viele Jungpferde auf den Weiden hatten, erinnerte ich mich nicht einmal daran, ob es ein Hengst oder eine Stute war. Selbst die Fellfarbe kam nicht in den Sinn, obwohl ich mir sonst alles merkte. Vermutlich hatte ich eine schlechte Phase, denn dann vergaß ich nicht nur sehr viel, sondern verdrängte unnötiges. Es könnte auch verkauft sein. Oder war sie es, die nicht aufgenommen hat?
      Zu gern hätte ich euch davon erzählt, wie lieb und aufmerksam wir durch den Wald spazierten, Enigma meinen Hilfen folgte und in einem gleichmäßigen Viertakt neben mir herlief. Doch dem war nicht so. Jedes knacken im Unterholz schreckte die junge Stute auf, ließ sie stehen bleiben und hektisch umgucken. Vom Schaben der Baumkronen ganz zu schweigen. Ihre Augen wurden größer und die Nüstern auch. Aufgeregt schnaubte sie, stellte den Schweif auf und könnte bei Staatsoper eine gute Ballerina darstellen. Nur mit viel Gefühl bekam sie weiter und zu guter Letzt drehten wir um. Enigma war voller Energie und es fehlte ihr nur ein Fünkchen Selbstvertrauen, dann hätte sie sich losgerissen. Verärgert stellte ich sie ins Roundpen. Ich löste noch rechtzeitig die Zügel, da schoss sie wie ein geölter Pfeil durch den Sand. Vielleicht hätte ich vorher sie ablaufen lassen. Auf beiden Händen rannte Enigma hektisch im Gangsalat.
      „Sie hat viel von dir“, trat eine bekannte Stimme an mich heran.
      „Ach ja? Wie kommst du denn darauf?“, sagte ich zu meinem Bruder. Er legte seine Arme auf dem Tor ab und betrachtete Enigma, die noch immerhin um mich kreiste, wie ein Border Collie um eine Schafsherde.
      „Jung und ungebändigt, aber ein Kind im Herzen“, lachte Harlen.
      „Sehr lustig. Sie ist erst vier, logisch, dass jung und ungebändigt ist“, rollte ich mit den Augen. An Stelle eines weiteren Kommentars lächelte er wieder. Enigma stoppte am Tor und sah mit erhobenem Haupt zu ihm. Sanft strich Harlen ihr über die Schnauze. Vielleicht hatte er gar nicht unrecht. Ich fühlte mich in seiner Umgebung auch sicherer, aber mich mit dem Entwicklungsstand eines vierjährigen Pferdes zu vergleichen, war eine bodenlose Frechheit.
      „Wann fahren wir eigentlich zu deinem Pony?“, sprach Harlen, nach dem sich Enigma wieder von ihm löste und im Schritt dem Hufschlag folgte.
      „Ich schätze nach her, weil ich noch für die Prüfung üben muss“, antwortete ich freundlich.
      „Gut, wann?“, ging die Löcherei direkt weiter.
      „Och Harlen. Nachher irgendwann, erst mal gebe ich noch Unterricht und dazwischen muss ich noch mit weiteren Pferden arbeiten“, erklärte ich nun wieder genervte und wendete mich der Stute zu. Sie zog noch immer ihre Kreise um mich.
      Langsam aber sicher befreundete ich mich nicht nur mit Enigma an, sondern auch der Motivationsrede meines Bruders. Er konnte überzeugend sprechen, vor allem einem Mut geben. Doch das war nur kleiner Teil seiner Stärken. Ich, als das Sandwich Kind, hatte alles abbekommen an negativen Eigenschaften in der Erbanlage, wie keiner der anderen beiden. Das Erwachen, das Harlen wirklich bei mir war, kam langsam aber sicher bei meinem Hirn an. Serotonin schoss durch meine Adern, geradewegs durch mein Gesicht. Mit neuer Energie lächelte ich fröhlich und führte Enigma zurück auf ihren Paddock, als ein Auto die Einfahrt hochfuhr. Tyrell stand nur einige Meter entfernt und holte gerade die Göttin. Oder auch Mörderpferd, wie ich zu sagen pflegte. Unsummen an Geld verschlag dieses Pferd, noch bevor es auf der Welt war. Ihr Vater stammt aus einer hochgezüchteten Rennpferdefamilie und lief selbst jahrelang Galopprennen. Wohingegen ihre Mutter aktiv im Passrennen unterwegs war. Die Mischung aus zwei sehr temperamentvollen Pferden zeigte sich zwar äußerst Ergiebig als Rennpferd im Trab, aber als Reitpferd gänzlich ungeeignet. Schon der Umgang stellte eine Herausforderung dar. Folke beherrschte sie, nur ich mich mochte das Pferd nicht. Als das Auto näher kam, erinnerte ich mich, wieso ich so erschrocken meinen Chef anblickte. Er hatte das, wohl sehr penetrante, Starren auch bemerkt und kam mit der Göttin, die mit vollen Namen eigentlich Götterdämmerung hieß, zu mir.
      „Erwarten wir jemanden?“, fragte ich schließlich und nickte mit Kopf in Richtung des Fahrzeugs.
      „Eigentlich nicht, aber vermutlich jemand, der den Erlebnisreiterhof entdecken möchte?“, lachte er.
      „Ich glaube kaum, dass jemand wegen einigen Schafen mit einem Motorlosen Porsche herkommt“, merkte ich nervös an.
      „Ach Vriska, der ist nicht Motorlos, sondern elektrisch betrieben“, klärte Tyrell auf. Ich nickte nur.
      „Vielleicht sollte ich mir aufschreiben, dass wir noch eine Ladesäule benötigen“, murmelte er sich selbst zu und zog im Laufen das Handy heraus, um sich eine Notiz zu machen. Ich hielt derweil den Zaun auf und schloss es hinter den beiden. Als ich erblickte, wer aus diesem Fahrzeug stieg, verging mir alles. Nicht nur, dass er in Uniform gekommen war, sondern auch die Tatsache, dass ich es schaffe heute nicht stundenlang meine Gedanken an ihn zu verschwenden, ließ mich erstarren. Wie angegossen stand ich mit dem Tor in der Hand vor dem Paddock.
      „Ach schau, den solltest du doch kennen. Bestimmt ist er wegen der Stute hier. Mach‘ du das“, beschloss Tyrell kurzerhand und lief zum Stall. Wie stellt er sich das vor? Ich hatte Form zwar eingeritten, was einige Hürden mit sich brachte, aber ich kannte das Pferd nicht so gut wie er. Beinah jede freie Minute hatte mein Chef in die bisherige Ausbildung der Stute gesteckt. Es nutzte nichts, ich hätte mir noch weiter den Kopf zerbrechen können, aber da musste ich durch. Act natural, erinnerte ich mich selbst und lief mit einem heraus gezwungenen Grinsen in seine Richtung.
      „Was machst du denn hier?“, fragte ich gleisnerisch und blieb einige Meter vor ihm stehen mit meinen Armen in der Hüfte aufgestellt. Super Vriska, sehe natürlich. So reagierst du immer auf ungebetene Gäste, klar.
      „Ich freue mich auch dich zu sehen, mir geht es gut, danke der Nachfrage“, scherzte Niklas und musterte mich genauso wie ich ihn. Es war nicht fair, dass er so gut aussah und ich hier in einer dunklen Hofjacke stand, die mir auch mehr als zwei Nummern zu groß war, und einer Reithose, die an den Knien Löcher aufwies. Harlen hatte vielleicht am Abend doch recht gehabt, dass ich mich ordentlicher Ankleiden soll, man weiß nie, wer zu Besuch kommt.
      „Bitteschön“, antwortete ich wohlüberlegt.
      „Wie dem auch sei. Ich bin hier zum Probereiten von Form und der Hengste für Smooth“, erklärte er dann. Dass Niklas plante seine Stute noch dieses Jahr decken zu lassen, erschien mir zu spät, aber was geht mich das an. Ich zuckte mit den Schultern und lief los. Er begleitete mich in den Stall, bis zur Kammer und sah sich dabei erstaunt um.
      „Und so willst du also reiten?“, versuchte ich ein Gespräch aufzubauen. Die Stille quälte mich ein wenig.
      „Wenn du genauer hingesehen hättest, wäre dir der Besatz aufgefallen“, schmunzelte er.
      „Erwartet der Herr, dass ich ihm in den Schritt blicke? Tut mir leid, aber du hast eine Freundin, also bist du raus“, schnaubte ich abfällig.
      „Ach jetzt auf einmal“, lachte Niklas und drückte ihm demonstrativ ein pinkes Halfter in die Hand mit pinken billigen Teddyfell und Herzchen Muster. Das Ding benutzt wir nie, aber heute würde es seine Aufgabe erfüllen.
      „Das ist jetzt doch nicht dein Ernst“, wedelte er mit dem Halfter vor meinem Gesicht.
      „Doch, schon“, lachte ich und schloss die Tür zur Kammer.
      „Der Hof sieht aus, als hättet ihr eines unserer Konten leer geräumt und du willst mir erzählen, dass ich mit so was ein Pferd holen soll“, beschwerte sich Niklas.
      „Also ich finde, es passt zu deinem kindischen Verhalten fabelhaft. Und jetzt komm mit“, ich konnte mir nicht verkneifen weiter zu lachen und zusammen holten wir Form vom Paddock. Mit einem Pfiff hoben alle Stuten Kopf. Sie warteten Geduld, wer gefragt war. Ich rief ihren Namen und in ruhigen Schritt trat Form schnaubend zu uns. Zur Begrüßung strich er ihr über den Kopf und legte danach das Halfter um. Der Ton leuchtete auf ihrem schwarzen Fell noch stärker und sah wirklich grauenhaft aus. Es war so schrecklich, dass umgehend ein Foto machte. Niklas bekam das mit und machte eine Grimasse. Ich glaube, das war der Beginn einer wirklich seltsamen Freundschaft. Auf dem Rückweg blödelten wir ungewöhnlich vertraut miteinander herum und für eine gewisse Zeit, vergaß ich sogar, was in Kanada alles passierte.
      Während er noch am Putzen war, holte in ihr Zeug aus der Kammer. Beinah jedes Pferd hatte seine eigene Trense, nur die Sättel mussten sich einige teilen. So stand ich vor der Auswahl an Pferdsitzer, Running Gag auf dem Hof, und wusste nicht mehr genau, welcher ihr bisher am besten passte. Schlussendlich schleppte ich den barocken Dressursattel von Tyrell nach unten, den er auf den meisten Pferden verwendete. Schleppen traf es im Übrigen bestens, denn er war wahrlich schwer. Laut dem Katalog im Shop brachte er stolze neun Komma fünf kg auf die Waage. Als mich Niklas ächzen sah, kam er voller Verwunderung helfen.
      „Erst dachte ich, dass du doch nicht so stark bist, wie du immer tust, aber der ist anschaulich schwer“, kommentierte er und nahm ihn mir ab. Ich nickte nur und behielt die Schabracke zunächst in der Hand. Dann legte ich sie auf ihren Rücken und dazu noch ein Lammfellpad. Natürlich hatte ich daran gedacht und eine Pinke, oder eher Himbeerfarbene Unterlage ausgesucht.
      „Sind wir dann so weit?“, fragte ich gespannt, als er mich wieder mit seinen leuchtenden Augen anblitze.
      „Bandagen? Oder zumindest Gamaschen?“, antwortete er mit Gegenfragen. Na gut, wenn er es so wollte. Passend dazu, hätten wir sicher welche, aber in der Kramkiste war es nicht immer leicht etwas Bestimmtes zu finden. Also griff ich nach beliebigen Fesselkopfgamaschen und Glocken. Am Ende hatte ich zwar zwei einheitliche für die Vorderbeine, aber für das hintere Beinpaar nur zwei unterschiedlich Farben. Die Glocken waren vergleichbar schwarz, also irrelevant, welche man fand. Mit dem Farbchaos kam ich zurück, wobei sich Niklas nur lachend an den Kopf fasste.
      „Das wäre der Punkt, an dem ich ein Probereiten abgebrochen hätte, denn das macht keinen guten Eindruck“, scherzte er. Schon so. Ich konnte ihm nur recht geben, aber es traf sehr unverhofft, unvorbereitet.
      “Hätte ich gewusst, dass wir hohen Besuch bekommen, hätte ich mir mehr Mühe gegeben. Wirklich”, lachte ich.

      Lina
      Meine Schwester erzählte ungefähr schon seit einer halben Stunde irgendeine Story von ihrer Arbeit, wovon ich allerdings nicht wirklich viel mitbekam. Während ich ihr mit halbem Ohr zuhörte, hatten meine Augen begonnen meine Umgebung näher in Augenschein zu nehmen. Jeden Tag aufs neue fühlte ich mich ein wenig überwältigt von diesem Hof. Alles war so groß und mit jeder Aufgabe, die ich bekam, hatte ich entweder die Sorge mich zu verlaufen oder fühlte mich auf irgendeine andere Art inkompetent. Doch das was mich viel mehr einschüchterte war die luxuriöse Erscheinung. Das Whitehorse Creek war zwar auch relativ modern gewesen, doch immer noch weitaus einfacher, mitten im kanadisch Nirgendwo war die Optik weniger wichtig, das praktisch stand ganz im Vordergrund. Hier schien das Ganze ein wenig anders zu sein. Der Hof sah zu jeder Zeit aus wie aus dem Katalog. Mit jeder neuen Ecke, die ich hier entdeckte, wurde mir bewusster das der Hof hier in einer ganz anderen Liga spielt, als das was ich bisher kannte. Schon allein die riesige Reithalle, in der ich mich gerade befand, war ziemlich beeindruckend und immer wieder stellte sich mir die Frage wie dieser Hof immer so ordentlich aussehen konnte. Mich faszinierte, dass ich den Hof ganz anders wahrnahm, als ich im April hier gewesen war, um Divine in Empfang zu nehmen. In dieser einen Woche, waren meine Gedanken viel mehr mit dem weißen Häufchen Elend beschäftigt gewesen, als mit der schicken Umgebung.
      “Hast du mir überhaupt zugehört?”, unterbrach die Stimme meiner Schwester meine Gedanken. Irritiert blickte ich sie an, tatsächlich hatte ich sie kurz vergessen.
      “Das ist wohl ein Nein. Du wirst wohl nie aufhören zu träumen”, amüsierte sie sich.
      “Ich träume nicht, ich reflektiere meine Situation. Das ist ein wichtiger Unterschied”, verteidigte ich meine Unaufmerksamkeit.
      “Ja klar, ein wichtiger Unterschied”, pflichtete mir Juli bei, doch der spöttische Unterton blieb mir nicht verborgen. Genervt verdrehte ich die Augen. Meine Schwester liebte es mich mit meinen Eigenarten aufzuziehen, besonders mit denen, die sie nicht nachvollziehen konnte.
      Gelächter begleitet von Hufgeklapper näherten sich, bevor sich das Tor öffnete und zwei Personen mit einem schwarzen Pferd eintraten. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht, was meine Schwester allerdings nicht mitbekam, da sie bereits mit dem Neuankömmling beschäftigt war.
      “Was macht denn ein Polizist bei euch und dann auch noch so ein hübscher?”, fragte sie interessiert und ließ sie ihren Blick prüfend über den Erwähnten wandern. Tatsächlich tat sie das immer, wenn sie einer männlichen Person begegnete, was bei ihren ersten beiden Freunden zu großer Eifersucht geführt hatte, weil sie es auch nicht gerade unauffällig tat.
      “Juliett, hast du nicht einen Freund zu Hause?”, erinnerte ich sie, als sie für meinen Geschmack ein wenig zu intensiv schaute. Juli zuckte nur mit den Schultern und murmelte ein wenig schnippisch: “Man wird doch mal gucken dürfen, mehr tu ich doch gar nicht. Aber du hast mir meiner Frage nicht beantwortet, wer ist das? So wie du fragst, weißt du, wer das ist.” Natürlich wusste ich, wer das war, auch wenn mich sein plötzliches Auftauchen ein wenig überraschte, auf positive Weise. Ich konnte mich zwar nicht daran erinnern, dass er mir mitgeteilt hatte, dass er heute vorbeikommen wollte, aber egal. Mir wäre allerdings auch zuzutrauen, dass ich es einfach verpeilte.
      “Ja, weiß ich. Das ist Niklas”, antworte ich ihr mit engelsgleichem Gesicht.
      “Der Niklas? Dein Freund?”, fragte sie in einer Mischung aus Erstaunen und Begriffsstutzigkeit.
      “Hab ich dir etwa bisher von einem anderen Niklas erzählt?”, amüsierte ich mich über meine Schwester, so leicht war sie normalerweise nicht aus der Fassung zu bringen. Zudem war mir inzwischen die interessante Farbwahl aufgefallen, die an der Rappstute in der Halle zu sehen war. Im starken Kontrast zu der dunklen Fellfarbe der Stute leuchtete eine pinke Schabracke unter ihrem Sattel und ihren Beinen war ein buntes Sammelsurium an Gamaschen angebracht. An den vorderen Beinen trug das Pferd knallrote Gamaschen mit einem aus der Entfernung nicht identifizierbaren Muster. Am linken Hinterbein leuchte eine lila Gamasche, deren Klettverschlüsse ihre besten Tage schon hinter sich hatten, denn sie waren ausgefranst und klebten eher nur zur Hälfte. Das vierte Bein zierte eine wahre Geschmacksverirrung in Orange-, Blau- und Brauntönen. Wenigstens die Hufglocken waren schwarz und trugen so nicht auch noch zu dem Kunstwerk bei. Nik und Vriska blödelten ein wenig zusammen rum, während sie die Stute im Schritt durch die Halle führten. Seit wann verstanden sich die beiden denn wieder so gut? Hatte irgendetwas stattgefunden, was ich nicht mitbekommen hatte…?
      “Du hast ja doch guten Geschmack, bei deinem letzten Freund habe ich da schon stark dran gezweifelt”, sagte Juliett und unterstrich ihre Aussage mit theatralischen Gesten. Die Erwähnung meines Ex Freundes weckte keine guten Erinnerungen. In Kombination mit dem Leistungsdruck von meinem Vater, der einen guten Abschluss erwartete und den Bildern, die mich in meinen Träumen verfolgten war, diese Beziehung absolut toxisch gewesen. Aus Angst vor Zurückweisung hatte ich ihm lange nichts davon erzählt, dass meine Vergangenheit manchmal wie ein Monster aus den Schatten auftaucht und mich nicht mehr loslässt. Nachdem ich es ihm erzählt hatte, ließ er mich fallen, als ich ihn am meisten gebraucht hätte. Ich spürte bereits das Kribbeln in meinen Fingern, die den Drang nach monotonen Kreisbewegung verspürten.
      “Juli, kein gutes Thema grad”, murmelte ich, in der Hoffnung, sie würde den Wink, verstehen und ein Thema wählen, was diese dunkeln Gedanken vertreiben konnte. Glücklicherweise verstand sie sofort: “Ist das, was das Pferdchen da trägt, Kunst oder ein neuer Modetrend?
      Sieht nämlich überaus bescheuert aus.”
      Ich musste ein klein wenig schmunzeln. Recht hatte sie, Form sah überaus bescheuert aus.
      “Weder noch glaube ich … Ich vermute mal, Vriska hat das verbrochen, wobei das außergewöhnlich farbenfroh für sie ist”, beantwortete ich die Frage. Das letzte Nachbeben der verschwinden Gedanken, war ein ganz schwaches Gefühl von Verlassenheit, was sie ganz tief in meinem Herzen hinterließen. Meine Schwester bewies mal wieder, dass sie mich besser kannte als jeder andere, denn statt mich mit Fragen zu malträtieren, nahm sie mich in den Arm und redete mir gut zu: “Hey Lina Süße, ich weiß zwar nicht genau was in deinem Kopf schon wieder vorgeht, aber das ist Vergangenheit, das ist vorbei. Und weißt du, der dich nicht nimmt, wie du bist, ist ein Vollidiot und hat dich auch gar nicht verdient.” Sie hatte recht, aber das war nicht das was mir sorgen, bereitete. Dass Nik verständnisvoll war, stand außer Frage. Es war etwas anderes, was ich nicht genau festlegen konnte.
      “Wenn du darüber reden möchtest, weißt du ja jederzeit”, bot Juli an. Auch wenn ich sie manchmal gerne hassen würde, die Momente wie jetzt waren die, weswegen sie die beste große Schwester ist.
      “Vermutlich ist es nur wieder etwas, worüber ich mit zu viele Gedanken mache. Vielleicht komme ich später noch darauf zurück, aber danke”, lehnte ich ihr Angebot ab. Auch wenn es nicht wirklich um das unbestimmte Problem gegangen war, hatte ihr Worte mich doch ein wenig aufgemuntert.
      „Es tut mir leid eure innige Unterhaltung zu stören“, kam Vriska auf uns zu. Ich nickte.
      „Du müsstest mit mir jetzt rasch Cherry und Frost holen, weil dein Freund gleich wieder zur Arbeit muss“, fügte sie noch hinzu und lief, ohne auf eine Antwort zu warten, bereits weiter zur Sattelkammer. Neugierig fragte Juli, wer die beiden seien und ich erklärte ihr, das kurz bevor ich Vriska folgte.
      “Am besten nimmst du Cherry, das ist der Lusitano da”, erklärte sie und drückte mir ein Halfter in die Hand. Während Vriska den großen Scheckhengst halfterte und die Hengstkette anbaute, holte ich den besagten Falbhengst vom Paddock. Kaum einen Meter vom Auslauf entfernt begann Frost sich aufzuspielen. Seiner Meinung nach ging das alles hier viel zu langsam. Cherry hingegen trottete gelassen neben mir her und schien sich für den Aufstand seines Artgenossen gar nicht zu interessieren.
      “Frost ist ja ein ziemlich wild, ist der immer so drauf?”, versuchte ich ein Gespräch mit Vriska anzufangen, während wir zurück zur Halle liefen.
      „Kann man so sagen, aber er würde einem nie willentlich verletzen wollen. Es ist eher eine Art Vorfreude, Aufregungen über das was kommt“, antwortete sie und hatte Frost verhältnismäßig gut im Griff beim Passieren des Eingangs. Niklas schwebte noch immer über den Sand mit der Rappstute, aber motiviert sah er dabei nicht aus.
      „Vriska, ich schätze, du kannst den wieder wegbringen“, maulte er sie plötzlich an. Nach einem Augenrollen drehte sie wieder um zu den Paddocks. Leicht irritiert sah ich Vriska nach, die mit dem Hengst wieder verschwand, blieb mit Cherry aber stehen, wo ich war. Neugierig beobachte der Hengst neben mir, die dunkle Stute die sich elegant durch den Sand bewegte. Für einen Moment lang überlegte ich, ob ich warten sollte bis er mich bemerkte oder ob ich riskierte genauso freundlich angemault zu werden wie Vriska, denn ganz offenbar hatte der Herr gerade eine bomben Laune. Ich entschied mich für letzteres, besser gesagt der Falbhengst entschied das, indem er ein Wiehern von sich gab, vermutlich dazu gedacht, um die Aufmerksamkeit der Stute auf sich zu lenken.
      „Lässt du dich jetzt auch mal blicken?“, lächelte Niklas ungewöhnlich aufgesetzt. War das auch eine Anschuldigung oder versuchte er mich aufzuziehen?
      “Ich wäre ja auch früher gekommen, hättest du mal Bescheid gesagt, dass du kommst”, versuchte ich mich zu erklären und noch während ich es aussprach, merkte ich, dass es mehr wie eine Anschuldigung klang, als ich beabsichtigt hatte.
      “Sorry, das sollte kein Vorwurf werden”, schob ich etwas sanfter hinterher, um meine Aussage zu revidieren. Eigentlich freute ich mich ihn zu sehen, denn als er die Halle betrat, hatte er mich für einen kurzen Moment vergessen lassen, wie fremd ich mich hier fühlte.
      “Schon gut, dann sattle ihn bitte. In zwanzig Minuten muss ich los”, sagte er vertraut und ritt mit Form im Schritt wieder los. Ich nickte und stellte den Hengst, der geduldig neben mir gewartet hatte, auf den Putzplatz. Der Lusitano war nicht sonderlich dreckig, sodass ich nur einmal über die Sattellage und die Beine drüber putzte. Als ich nach Beinschutz für den Hengst suchte, wurde mir klar, warum Form solch einen bunten Anblick bot. Unter den Deckeln der grünen Metallkisten kam ein buntes Chaos aus Bandagen und Gamaschen jeglicher Art zu Vorschein. Mit ein wenig Mühe fand ich ein paar gleich aussehende Gamaschen für die Vorderbeine und ich beschloss, dass es reichen musste. Um mehr aus diesem Chaos herauszufischen blieb nicht die Zeit.
      Als ich gerade rätselte, welcher der Sättel wohl auf den Rücken des Iberers passen würde, kam zum Glück Vriska zurück und zeigte mir den Sattel. Brav ließ sich der Hengst von mir satteln und kam mir beim Trensen sogar mit dem Kopf entgegen. Knappe 5 Minuten hatte ich gebraucht um den Falben fertig zu machen und stand nun mit ihm wieder vor dem Hallentor.
      “Tür frei, bitte”, rief ich in die Halle, bevor ich mit dem Hengst eintrat und bekam auch sogleich eine Antwort von Niklas, der gerade mit der Rappstute in der Hallenmitte anhielt. Wir tauschten die Pferde und er schwang sich in den Sattel. Sofort senkte Cherry seinen Kopf. Form neben mir scheuerte ihren Kopf an meiner Schulter, Schaum verteilte sich auf meinem blauen Sweater. Verärgert drückte ich sie zur Seite. Ihre Augen weit aufgerissen, die Nüstern aufgebläht und der Boden bebte. Die Lippe zog sie nach oben, als hätte ich einen Löwen auf sie gehetzt. Einen Moment später stand Form wieder still neben mir. Eine solch heftige Reaktion hatte ich nicht gerade erwartet, seltsames Pferd. Währenddessen trabte Niklas bereits auf dem Hengst und ritt einige Seitengänge, etwas früh für meinen Geschmack, aber das ging mich nichts an. Nach dem Galopp stieg er sogleich ab und Vriska war bereits dazu gekommen, um Cherry im Empfang zu nehmen. So schnell Niklas zum Hof kam, verließ er ihn auch wieder. Zum Abschied bekam ich einen Kuss auf meine Stirn.
      “Pass auf dich auf”, verabschiedete ich ihn und sah im nach, wie er aus dem Stall verschwand. Gern hätte ich ihn noch einen Moment länger um mich gehabt, doch was sollte man schon machen, wenn die Arbeit ruft. Die rief mich nun auch wieder. Eigentlich viel mehr Vriska, die mich darauf hinwies, dass das Pferd sich wohl nicht von allein absatteln würde.
      “Na komm Form, dann bringen wird dich mal nach Hause”, sprach ich zu der dunklen Stute, die mich mit ihren blauen Augen beobachtete.
      Als ich gerade dabei war ihr die Trense abzunehmen, tauchte meine Schwester auf einmal von irgendwo auf und fragte neugierig: “Ist er schon wieder weg?”
      “Jap, Nik musste zur Arbeit. Kannst du mir mal diesen kleine-Mädchentraum von Halfter da bitte reichen”, beantworte ich ihr Frage und forderte sich gleichzeitig dazu auf sich nützlich zu machen.
      “Schade, ich hätte ihn mir auch gern mal aus der Nähe angeschaut”, scherzte sie und reichte mir das Plüschteil, bevor sie begann die Gamaschen von den Beinen der Stute abzubauen.
      “Das glaub ich dir, musst du wohl noch etwas hierbleiben, wenn das dein Ziel ist.” Schmunzelnd zog ich Form das Halfter über die Ohren und hakte die Anbinder ein, bevor ich auch den Sattel, der erstaunlich schwer war, von ihrem Rücken nahm.
      “Ich hatte jetzt vor gleich wieder abzureisen, Lina. Immerhin hast du dich knappe zwei Jahre nicht bei mir blicken lassen”, beschwerte sie sich und folgte mir in die Sattelkammer. “Wo kommen diese Teile hin?”, fragte Juli und wedelte mit den Gamaschen durch die Luft.
      “In einer der Kisten des Chaos”, antworte ich ihr und versuchte das Monstrum von Sattel auf seinen Platz zu hieven, was auch mehr oder weniger gut funktionierte.
      “Kisten des Chaos? In diese Sattelkammer? Du willst mich doch auf den Arm nehmen”, hinterfragte sie misstrauisch und sah sich dabei in dem Raum um. Alles in diesem Rau, hing ordentlich an der Wand oder war in einem Regal verräumt, bis auf die drei grünen Militärkisten, die auf dem Boden unter den Trensen standen.
      “Nein, ist mein voller Ernst. Schau einfach selbst in die Kiste”, antworte ich ihr und klappte den Deckel auf, damit sie sich selbst ein Bild davon machen konnte. Etwas ungläubig sah sie in die Kiste bevor sie den Haufen Gamaschen einfach hineinfallen ließ. Die Trense nahm ich ihr aus der Hand und hängte sie, nach dem Auswaschen des Gebisses, ebenfalls an ihren Platz und nachdem ich Forms Wohnort in Erfahrung gebracht hatte konnte ich sie auch wegbringen.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 50.096 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende August 2020}
      Fohlenbericht eins von sieben.
    • Mohikanerin
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      kapitel fem | 25. Oktober 2021

      HMJ Divine // Freana von Hulshóf // Nathalie // Maskotka // El Pancho // Legolas// WHC’ Delicious Donut
      Satz des Pythagoras // Lu’lu’a // Rainbeth // HMJ Holy // Wunderkind // Fly me to the Moon // Sing of the Zodiac LDS // Glymur // Form follows Function LDS// Enigma LDS // Einheitssprache


      Lina
      “Liiiinaaa, matkapuhelimesi soi, sammuta se (Liiiinaaa, dein Handy klingelt, mach es aus dem Ding)”, beschwerte sich Juliett, aus dem Bett heraus. Bis eben hatte sie eigentlich noch geschlafen oder zumindest so getan. Unmöglich konnte sie überhört haben, wie ich mal wieder gegen das Regal gelaufen war, das Teil stand da aber auch blöd. Zu allem Überfluss war auch noch eines der Bücher herausgepurzelt und laut polternd auf meinem Fuß gelandet. Das alles nur, weil ich meine Schwester noch schlafen lassen wollte und somit das Licht ausließ.
      “Tee se itse, tiedät miten tekniikan ihmeet toimivat (Mach es halt selbst aus, du weißt doch wie die Wunder der Technik funktionieren)”, rief ich während ich konzentriert mein Lid strich zu ende zog. Er saß heute ausnahmsweise perfekt, das konnte nur Gutes für den heutigen Tag bedeuten. Anhand der raschelnden Decken hörte ich, dass sie sich nun tatsächlich selbst um das klingelnde Handy kümmerte.
      “Se on Samu, pitäisikö minun vastata puhelimeen? (Es ist Samu, soll ich rangehen?)”, tönte es aus dem Nebenraum. Noch bevor ich die Chance hatte ihr zu antworten, hatte Juliett das Gespräch bereits angenommen: “Hyvää huomenta Samu. Valitettavasti siskoni on edelleen kiireinen, joten sinun on kestettävä minua nyt. Tunnetko vielä minut? (Wunderschönen guten Morgen Samu. Meine Schwester ist leider noch beschäftigt, weshalb du erst einmal mit mir vorliebnehmen musst. Kennst du mich noch?)” Meine Schwester klang erstaunlich wach dafür, dass sie noch keinen Kaffee gehabt hatte. Das war ja mal wieder typisch, die Neugierde siegte sogar über das Bedürfnis nach Kaffee.
      “Hei Juliett, kiva nähdä. Siitä on pitkä aika, kun viimeksi näimme. (Hallo Juliett, schön dich zu sehen. Es ist ganz schön lange her, dass wir uns das letzte Mal begegnet sind.)”, vernahm ich die warme Stimme meines besten Freundes durch den Türspalt.
      “Mitä et sano, mutta kuten näen, et ole juuri muuttunut, silti viehättävä poika tuolta ajalta. (Was du nicht sagst, aber wie ich sehe, hast du dich kaum verändert, immer noch der charmante Junge von damals)”, erklang Julis erfreute Stimme. Warte hatte ich gerade richtig gehört? Wie ich sehe? Ich hielt in der Bewegung inne, legte die Bürste beiseite und steckte irritiert den Kopf durch die Tür. Im Schneidersitz saß Juli auf dem Bett und hielt das Handy am ausgestreckten Arm vor sich. Offenbar führte sie ein Video-Call. Ungewöhnlich, ich hatte bisher noch nie einen Video-Call mit Samu geführt. Aber okay, zugegebenermaßen kam ich bisher auch nicht wirklich in die Not, dies zu tun, schließlich hatte ich jahrelang mit ihm auf demselben Hof gewohnt.
      “Kiitos. Mutta sinäkään et ole muuttunut paljoa. Oletko muuttanut Ruotsiin tai mitä teet sisaresi kanssa? (Danke. Du hast dich aber auch kaum verändert. Bist du jetzt auch nach Schweden ausgewandert oder was machst du bei deiner Schwester?)”, hörte ich Samu Antwort, bevor ich mich wieder dem widmete mich fertig zu machen. Dem weiteren Gespräch lausche ich nur mit halbem Ohr, denn sie tauschten sich lediglich über den Verlauf ihrer Leben seit der Schulzeit aus.
      “Samu, miten saan kunnian kuulla sinusta niin aikaisin? Eikö tämä aika ole varattu tyttöystävällesi? (Samu, wie komme ich in die Ehre schon so früh von dir zu hören? Ist dieser Zeitraum nicht für deine Freundin reserviert?), fragte ich mit einem verschmitzten Grinsen, als ich mich in das Gespräch einbrachte. Ein amüsiertes glucksen war aus dem Handy zu vernehmen. Irgendwie sah Samu überraschend ausgeruht aus dafür, dass es in Kanada jetzt ungefähr halb elf sein dürfte und er den ganzen Tag gearbeitet haben sollte. Irgendetwas kam mir auch an seinem Zimmer anders vor, wobei wirklich viel sah man nicht davon, denn er saß mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt auf seinem Bett.
      “Etkö ole ystävä? (Bist du etwa nicht meine Freundin?)”, fragte Samu, seine Augen funkelten pikaresk, was mich ein wenig zum Schmunzeln brachte.
      “Ei, ei siinä mielessä. Tietääkseni olen vain parisuhteessa (Nein, nicht in dem Sinne. Soweit ich weiß, führe ich nur eine Beziehung.)”, Samu lachte und auch meine Schwester und ich stimmten ein. Es fühlte sich ziemlich seltsam an, ihn so lange nicht gesehen zu haben und auch, dass ich nicht einfach ein Zimmer weitergehen konnte, um mit ihm zu reden. Seit der 7. Klasse hatte ich Samu immer um mich gehabt und nur selten war es vorgekommen, dass wir uns mal länger als ein oder zwei Wochen nicht sahen. Fast drei Wochen waren mittlerweile vergangen, seit ich Kanada verlassen hatte. Langsam gewöhnte ich mich an den Alltag hier auf dem Hof und bekam das Gefühl, als würde ich hier so langsam ankommen.
      “Parisuhteista puheen ollen, miten voit? Koska en ole juuri kuullut sinusta mitään, olet varmaan kunnossa? (Apropos Beziehung, wie läuft es so bei dir? Da ich kaum etwas von dir gehört habe, nehme ich mal an, es geht dir gut?)”, fragte der Finnen nun.
      “Tunnen oloni erinomaiseksi. Minulla on täällä ihania poneja hoidettavana. Esimerkiksi Lu on melko pieni paskiainen, melko siro ja varattu. Olemme pikkuhiljaa alkaneet ystävystyä, valitettavasti Betty ei ole vielä päässyt niin pitkälle. (Mit geht es hervorragend. Ich habe hier ein paar wunderbare Ponys, um die ich mich hier kümmern darf. Lu zum Beispiel ist ein hübscher kleiner Leuchtrappe ziemlich zierlich und zurückhaltend. So langsam beginnen wir uns allerdings Anzufreunden, Betty habe noch leider noch nicht so weit)”, begann ich von den Pferden zu erzählen, mit denen ich hier bisher gearbeitet hatte. Nicht nur von den beiden, sondern auch von Zoi, Flyma, Wunderkind und all den anderen mit denen ich bisher arbeiten durfte.
      “Tiedän nyt myös, kuinka terrorijuomari sai nimensä. Holy voi itse asiassa näyttää erittäin viattomalta, kun hän ei ole kyllästynyt. Hän on itse asiassa aika söpö, vaikka voi todella ajaa sinut hulluksi. Mutta eniten nautin tällä hetkellä smoothien kanssa työskentelystä, vain hevosen unelmasta. Täysin ymmärrettävää, miksi Niki välittää hänestä niin paljon, emotionaalisesta arvosta puhumattakaan. En luopuisi tuollaisesta hevosesta enää koskaan. (Ich weiß jetzt auch wie der Terrortinker zu seinem Namen kam, Holy kann tatsächlich sehr unschuldig aussehen, wenn sie nicht gerade Langeweile hat. Eigentlich ist sie schon ziemlich süß, kann einen aber echt in den Wahnsinn treiben. Aber am meisten Spaß macht mir momentan die Arbeit mit Smoothie, einfach ein Traum von Pferd. Vollkommen nachvollziehbar warum Niki so viel an ihr liegt, mal ganz abgesehen vom emotionalen Wert. So ein Pferd würde ich auch nie wieder hergeben.)”, begann ich Samu vorzuschwärmen.
      “Työskentelet smoothien kanssa, miten se tulee? (Du arbeitest mit Smoothie, wie kommt es dazu?)”, fragte Samu interessiert nach. Meine Schwester war mittlerweile auf der Suche nach ihrem Lebenselixier in der Küche verschwunden.
      “Niklasilla on uusi tamma, koska Smoothie jää eläkkeelle turnauksista Ahtosensa takia, ja hänet pitäisi peittää tänä vuonna, joten hänet on koulutettava. Koska Niklas ei voi hoitaa kahta hevosta, hän antoi Smoothien minulle. Sanoinko jo kuinka hieno tämä hevonen on? Äärettömän tarkkaavainen, halukas suorittamaan ja sitten myös niin huomaavainen. Toivon, että Ivy on jonain päivänä niin herkkä. (Niklas hat eine neue Stute, weil Smoothie wegen ihrer Arthrose in Turnierrente geht, außerdem soll sie noch dieses Jahr gedeckt werden, folglich muss sie abtrainiert werden. Weil Niklas es nicht schafft sich um zwei Pferde zu kümmern, hat er Smooth mir anvertraut. Sagte ich schon wie toll dieses Pferd ist? Unendlich Aufmerksam, Leistungsbereit und dann auch noch so Rücksichtsvoll. Ich wünsche mir, Ivy wird irgendwann auch mal so sensibel sein.)”, schwärmte ich weiter. Ich wusste zwar, dass der Hengst bei Samu gut aufgehoben war, aber mein Pferd fehlte mir. Ob Divine mich auch vermisste? Immerhin hatte sich für ihn nicht viel verändert, außer dass er seine Möhrchen nun von jemand anderem bekam.
      “Miten poni voi? (Wie geht es eigentlich meinem Pony?)”, frage ich Samu sehnlich.
      “Häneltä ei puutu mitään. Koko joukkue pilaa ponisi, erityisesti Aleen. Luulen, että hän saa uuden kampauksen joka päivä. Tänään se oli mielenkiintoinen rakenne vaaleanpunaisista jousista ja kukkien hiusleikkeistä. Luulen, että Ivy kaipaa sinua, hän odottaa aina portilla, kun haluan tuoda hänet sisään, mutta hän ei vihille minulle kuten aina kanssasi. Hän saa minulta vähintään yhtä paljon porkkanaa. (Ihm fehlt es an nichts. Das ganze Team verwöhnt Dein Pony, ganz besonders Aleen. Ich glaube, er bekommt jeden Tag eine neue Frisur. Heute war es ein interessantes Konstrukt aus pinken Schleifchen und Blütenhaarspangen. Ich glaube Ivy vermisst Dich aber, er wartet immer schon am Tor, wenn ich ihn reinholen möchte, aber mir wiehere er nicht entgegen, wie er das bei Dir immer getan hat. Dabei bekommt er mindestens genauso viele Möhrchen von mir.)” Samus Erzählung erwärmte mir das Herz. Das Luchys kleine Tochter Divine verwöhnte wunderte mich nicht. Schon als ich noch da gewesen war, hatte das kleine Mädchen mir gerne beim Putzen des Hengstes geholfen. Aus mir unbekannten Gründen war sie ganz vernarrt in den Freiberger. Sogar mehr, als in die Ponys in ihrer Größen Ordnung. Nicht mal Fraena, die wegen ihres plüschigen Fells immer sehr beliebt bei den Kindern war, hielt sie für interessanter.
      “Kiva kuulla. En malta odottaa, että näen hänet uudelleen. Ovatko muut suojaamani myös hyvin? Kuka niistä nyt huolehtii? Ja tuleeko Hazel ratsastuskoulun kanssa vai onko hän jo heittänyt kaiken kaaokseen? Ja miten muut voivat? (Das freut mich zu hören. Ich kann es jetzt schon kaum erwarten ihn wiederzusehen. Geht es meinen anderen Schützlingen auch gut? Wer kümmert sich jetzt um sie? Und kommt Hazel mit der Reitschule klar oder hat sie schon alles ins Chaos gestürzt? Und wie geht es den anderen?)”, erkundigte ich mich.
      Samu antwortete direkt: “Toisilla menee toistaiseksi hyvin, vaikka heillä kaikilla on nyt hieman enemmän työtä. Paitsi ... Jace, hän näyttää surevan sinua hieman kauemmin. Hazel ei ole vielä heittänyt kaikkea kaaokseen, mutta lapset tulevat takaisin vasta ensi viikolla, sitten nähdään toimiiko se. Myös suojelijasi voivat hyvin.
      Sheena huolehtii nyt Panchista, Fraena ja Nathalie huolehtivat Hazelista ja Jace ottaa Maskotkan haltuunsa. (Den anderen geht es soweit gut, auch wenn alle jetzt ein klein wenig mehr Arbeit haben. Außer … Jace, er scheint dir noch ein wenig nachzutrauern. Noch hat Hazel nicht alles ins Chaos gestürzt, aber die Kinder kommen je erst ab nächster Woche wieder, dann werden wir sehen, ob das klappt.
      Deinen Schützlingen geht es auch gut. Sheena kümmert sich jetzt um Panch, Fraena und Nathalie werden von Hazel umsorgt und Jace übernimmt Maskotka.)” Jace tat mir leid, ich hatte ihn nicht so verletzten wollen, aber ich konnte und wollte es nicht rückgängig machen. Bei Jace sprunghafter Art, würde es besser für mich sein, wenn wir getrennte Wege gehen. Irgendwann, hoffte ich, wird er schon wieder auf die Beine kommen. Um keine weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden, lenkte ich lieber das Thema auf etwas anderes: “Ja entä Legolas? Onko hän edelleen myyntilistalla? (Und was ist mit Legolas? Na ja, steht er immer noch auf der Verkaufsliste?)” Ich befürchte schon, dass der Hengst vielleicht bereits verkauft worden sein an irgend so einen schmierigen Händler oder irgendeine dieser verwöhnten Gören, die ihre Pferde nur als Prestigeobjekt betrachtet.
      Mit einem grinsen begann der Finne zu antworten: “Voin vain sanoa tästä, että minusta on nyt tullut myös hevosenomistaja. Heti kun oli vihdoin selvää, että sen piti mennä, koska munkin piti jäädä, en voinut olla ostamatta sitä ennen kuin siitä tulee jälleen haastekuppi. Se oli minulle erittäin kätevää, tiedätkö, että olen jo pitkään ajatellut osallistumista aktiivisiin turnauksiin. (Dazu kann ich nur sagen, ich bin jetzt auch unter die Pferdebesitzer gegangen. Sobald endgültig feststand, dass er gehen muss, weil Donut bleiben soll, konnte ich nicht anders als ihn zu kaufen, bevor er wieder zum Wanderpokal wird. Es kam mir sehr gelegen, du weißt ja, dass ich schon länger überlege wieder aktiver Turniere zu reiten.)”
      “Se on hienoa, toivoisin jotain sellaista kauniille. (Das ist toll, so etwas habe ich mir für den Hübschen gewünscht.)” Ich freute mich aufrichtig, dass Samu den Hengst gekauft hatte, würde nicht nur bedeuten, dass ihm ein schönes Leben garantiert war, sondern auch, dass ich den Rappen noch einmal wiedersehen würde.
      “Mutta nyt takaisin sinulle. Olet jo kertonut meille paljon uusista suojelijoistasi, mutta miten muuten käy? Tuletko hyvin toimeen uusien kollegoidesi kanssa? Miten menee poikaystäväsi kanssa? (Aber jetzt zurück zu dir. Du hast ja bereits einiges über deine neuen Schützlinge erzählt, aber wie läuft es sonst so? Kommst du gut mit deinen neuen Kollegen klar? Wie läuft es mit deinem Freund?)”, lenkte Samu das Thema zurück, zu dem was sich in meinem Umfeld tat. Auf einmal schaltete sich meine Schwester, die grinsend mit einer Kaffeetasse im Türrahmen stand, wieder in das Gespräch ein: “Minusta näytti viikonloppuna siltä, että hänen poikaystävänsä kanssa sujui aivan loistavasti. Vaikka olen edelleen hieman ymmälläni pikkusiskoni suhteen. En odottanut hänen valitsevan tuollaista miestä. (Also, für mich sah das am Wochenende aus, als würde es ganz wunderbar mit ihrem Freund laufen. Auch, wenn ich immer noch ein wenig verwundert über meine kleine Schwester bin. Dass sie sich so einen Kerl aussucht, hätte ich nicht erwartet.)”
      “Siskosi on täynnä yllätyksiä (Deine Schwester steckt nun mal voller Überraschungen)”, lachte Samu. Offenbar war er mit meiner Schwester einer Meinung.
      “Mitä sen nyt pitäisi tarkoittaa? (Was soll das denn jetzt heißen?)”, empörte ich mich über die beiden. Samu lachte nur weiter und dachte nicht einmal daran mir zu antworten.
      “Luulin, että pidit hyvistä pojista, kulta (Ich dachte eher du stehst auf die braven Jungs, Süße)”, amüsierte sich meine Schwester, bevor sie dem Kissen auswich, welches eine Sekunde später durch die Luft flog. Leider verfehlte das Flugobjekt Juli und landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden.
      “Et myöskään tarvitse vihollisia kanssasi (Mit euch braucht man auch keine Feinde)”, murmelte ich. “Mutta takaisin kysymyksiisi. Kuten juuri kuulitte, Niklasin kanssa asiat sujuvat erittäin hyvin, enkä kadu päätöstäni millään tavalla! Tulen hyvin toimeen kollegojeni kanssa toistaiseksi, vain Vriskan kanssa on ollut vähän outoa toistaiseksi. Mutta olen varma, että tulee. Ohhh ja missä olemme Vriskassa ... vaikka en edes tiedä voinko kertoa sinulle ... (Aber zurück zu deinen Fragen. Wie du gerade schon hörtest, läuft es mit Niklas hervorragend und ich bereue meine Entscheidung in keiner Weise! Mit meinen Kollegen komme ich soweit ganz gut aus, nur mit Vriska ist es bisher ein wenig seltsam. Aber das wird sicher noch. Ohhh und wo wir bei Vriska sind... wobei ich weiß gar nicht, ob ich dir das erzählen darf…)” Am Ende hielt ich inne, weil ich mir nicht ganz sicher war, ob Vriska wollte, dass gleich jeder wusste, dass sie mit Erik zusammen war.
      “Lina, hän ei repäise päätäsi loppujen lopuksi Samu on kuin päiväkirjasi. Voin vain sanoa tästä, että Amorilla oli hauskaa tänä viikonloppuna. (Lina, sie wird Dir schon nicht den Kopf abreißen, Samu ist schließlich so was wie dein Tagebuch. Ich kann dazu nur sagen Amor hatte dieses Wochenende seinen Spaß)”, amüsierte sich meine Schwester.
      “Okei, kerron nyt Vriska ... on nyt virallisesti Erikin kanssa. Olen iloinen molempien puolesta, molemmat näyttivät niin onnellisilta eilen. Todella hieno. (Also okay, dann sag ich es dir jetzt. Vriska...ist jetzt offiziell mit Erik zusammen. Ich freu mich für die beiden, sie sahen gestern beide so glücklich aus. Richtig toll.)”, rückte ich nun endlich mit der Sprache raus. Ich freute mich aufrichtig für die beiden, gerade nachdem mir vor Augen geführt wurde, wie sehr Vriska unter der Ungewissheit, ob sie Erik jemals wiedersehen wird, litt. Dennoch musste ich einräumen, dass ich mich auch ein wenig meiner selbst Willen freute: “Ja no ... se saattaa nyt tuntua hieman itsekkäältä, - mutta olen myös hieman helpottunut. Myönnän kyllä, olin huolissani ... Tiedätkö, mitä tapahtui hänen ja Niklasin välillä ja koska he kaksi tulivat jälleen oudosti hyvin viime aikoina ... No, sillä ei ole väliä, Vriksalla on varmasti hänen Erikinsä nyt. Minulla on Niki, kaikki kuten pitääkin. (Und naja, ... das wirkt jetzt vielleicht ein wenig selbstsüchtig, ... aber ich bin auch ein wenig erleichtert. Zugegebenen Maßen hatte ich mir Gedanken gemacht... Du weißt schon, wegen dem was zwischen ihr und Niklas lief und weil die beiden neulich wieder seltsam gut miteinander konnten... Naja egal, Vriska hat jetzt ganz sicher ihren Erik. Ich habe Niki, alles so wie es ein sollte.) Samu und ich quatschen noch einen Moment, vor allem über meine Beziehung, wobei ich mich echt zusammenreißen musste nicht ins Schwärmen zu geraten. Dieses Wochenende hatte mir Zuversicht und den nötigen Energieschub gegeben um hier in Schweden nun richtig durch zu starten. Meine Schwester stand noch immer mit ihrem Kaffee im Türrahmen, folgte dem Gespräch und grinste vergnügt vor sich hin.
      “Sinä Samu, minun täytyy erota nyt, muutama hevonen odottaa minua tallissa. Toivottavasti nähdään pian taas tosielämässä. Kerro minulle, kun tiedät, että tulet vihdoin tänne. Hyvää yötä nuku hyvin. Anna terveiset muille ja anna ponilleni huomenna ylimääräinen porkkana. (Du Samu, ich muss jetzt mal Schluss machen, da warten ein paar Pferdchen im Stall auf mich. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder so richtig in live. Sag mal Bescheid, wenn du weißt, dass du endlich hierherkommst. Gute Nacht, schlaf gut. Grüß die anderen von mir und gebe meinem Pony morgen ein extra Möhre von mir.)”, beendete ich das Gespräch, nach der Feststellung, dass es nun an der Zeit war an die Arbeit zu gehen.
      “Tottukaa teen. Pidä hauskaa töissä. (Klar, mach ich. Viel Spaß bei der Arbeit.)”, verabschiedete mein bester Freund sich, bevor ich auflegte.
      Gut gestimmt verließ ich die Wohnung und machte mich auf den Weg in den Stall.

      Vriska
      Einen freien Tag haben, hatte wirklich seine Vorteile, auch wenn es bedeutete, sich eine Beschäftigung zu suchen. Etwas zu tun, für das man sonst keine Zeit hatte. In meinem Fall war es Ausschlafen und Bilder bearbeiten, eventuell noch lernen für die praktische Prüfung und mit meinem Bruder endlich das Essen nachzuholen. Aber wo war er? Der kleine Palast, den ich zu gern mein Eigen nennen wollte, war still. Nur die Lüftung des Kühlschranks drang zu mir vor. Erholt stieg ich aus dem Bett, nachdem auch mein Handy keine Nachricht von ihm aufgewiesen hatte. Umso mehr hatte von Erik, aber ich musste erst einmal Harlen finden. Rufend lief ich durch das Häschen, aber auf 50 qm jemanden zu finden, sollte nur in diesem Fall schwierig werden. Erst bei der zweiten Runde laufen, fand ich einen Zettel neben der Kaffeemaschine – natürlich hinterließ er ihn dort.
      „Kleine Schwester, mache dir keine Sorgen. Ich werde in einige Tage zurück sein. Sollte etwas Dringendes sein, melde dich bei mir. Denk an unseren Deal, in Liebe, Harlen“, las ich seinen handgeschriebenen Zettel und atmete erleichtert aus. Selbst, dass ich nicht wusste, wo er genau war, konnte ich mir sicher sein, meinen Bruder bald wiederzusehen. Ich hängte die Erinnerung an den Kühlschrank, startete die Kaffeemaschine und zog mir in der Zeit etwas über. Was sollte ich anziehen? Die Lust Bilder zu bearbeiten verflog in der Winde, der Plan mit Harlen fiel ebenfalls flach, also blieb nur noch lernen übrig. Allerdings müsste ich noch zu Glymur fahren, denn er stand nun beinah eine Woche und wenigstens einen entspannten Ausritt sollten wir machen. Also griff nach reichlicher Überlegung doch nach einer Reithose, ich sollte mal wieder waschen. Es lag nur noch eine im Fach, der Rest türmte sich auf einem Haufen, der mal ein Wäschekorb war. Ich könnte anderenfalls auch mal wieder neue kaufe gehen, dass könnte ein Plan des Tages werden — Ausreiten, Shoppen und dann noch lernen. Während ich mein provisorisches Frühstück genoss, antwortete ich meinem Kerl, es fiel mir noch immer schwer den Gedanken zu fassen, dass er fest an meiner Seite war. Es wirkte mit Erik alles so unglaublich vertraut, obwohl ich wusste, dass sein Bruder durch die mir unbeschreibliche Situation einige meiner tiefsten Geheimnisse kannte. Doch ich konnte mir auf einer Art sicher sein, dass Niklas die Nachrichten an ihn weitergab. Viele der Texte, die ich schrieb, waren voll mit paradoxen Gefühlen, vor allem dem das ich Erik überhaupt nicht kannte. Aber unser erstes Treffen löste so viel in mir aus, für das ich keine Worte fand. Es war ein Gefühl von Freiheit und Entschlossenheit, gemischt mit dem Gedanken, dass es ohnehin nichts werden würde, weil wer war ich schon? Innerhalb kürzester Zeit entwickelte ich mich zu dem typischen Pferdemädchen, wie es im Buche stand. Ich nahm mir Zeit zum Lernen, aber verbrachte die meiste bei den Tieren. Sie halfen mir dabei, die Ereignisse in England hinter mir zu lassen, eine bessere Version von mir selbst zu werden. Dann, eines Tages, traf ich plötzlich diesen Typen, den ich als Charakter nur aus Filmen kannte und genauso lief es auch ab. Das schüchterne Außenseiter-Mädchen verliebt sich Hals über Kopf in den Aufreißer, der auch nur noch Augen für sie hatte. War Erik ein Aufreißer? Nicht einmal das wusste ich! Er hatte von einigen Bekanntschaften erzählt, aber nie welche Wichtigkeit sie für ihn darstellten. Jetzt jedoch war er alles und die Welt für mich, jemand, dem ich alles verzeihen würde. Ich möchte mit ihm alt werden.
      Langsam schielte ich zur Uhr, allmählich wurde es Zeit zum Hof zu fahren, bevor das Training der Kleinen begann und ich eventuell seltsame Begegnungen haben würde. Vom Schlüsselbrett nahm den Schlüssel, schnappte mir meine Tasche, die seit gefühlten Jahren nicht mehr mitnahm, und lief zum Auto. Die Haare trug ich offen, obwohl sie stets mich bei alltäglichen Aufgaben belästigten, aber ich wollte mich ausprobieren. Ausprobieren, wie ich mich wohlfühlen könnte, durch den Einfluss von Elementen meines jüngeren Ichs. Auf dem Hof herrschte ein normaler Montag, keine Gäste, keine Reitschüler oder Einsteller. Nur Folke sah ich mit dem Stapler Heu holen.
      Genau die gleiche Ruhe herrschte auf dem Gelände von Verein, obwohl ich schon auf dem Parkplatz den Porsche von Niklas betrachtete. Sollte er nicht arbeiten sein? Aber was wusste schon, ich war überhaupt nicht in der Stimmung dafür, einen weiteren Gedanken an ihn zu verschwenden, sondern tanze fröhlich an den Paddock vorbei, um aus dem Stall das Halfter meines Hengstes zu holen. Glymur hatte mich schon am Zaun begrüßt und Leckerli eingefordert, bevor ich überhaupt richtig da war. Aber natürlich bekam er eins.
      „Ich muss dir so viel erzählen“, lachte ich fröhlich. Aufmerksam spitze er die Ohren, als konnte er es gar nicht erwarten, was ich zu sagen hatte. Doch zunächst gab es einige aufmunternde Worte beim Putzen, dass ich an dem Tag deutlich ausgiebiger machte als sonst. In meinem Kopf summte noch immer die Melodie eines der Chartlieder aus dem Radio, die ich sonst mied. Dieser Einheitsbrei gefiel mir nicht, es brauchte Inhalt, eine rhythmische Melodie und eine schöne männliche Stimme, dennoch trällerte ich: „Turn up Baby, turn up, when I turn it on. You know how I get too lit when I turn it on.“
      Ich war so vertieft, gute Laune zu haben, dass ich nicht Niklas dazukommen hörte und für meinen Geschmack uns zu interessiert beobachtete. Erst als ich mich zur Putzkiste lehnte, sah ich ihn an einer Boxenwand stehen mit verschränkten Armen und einem breiten schelmischen Lächeln. Dabei stand auch Form, die vollkommen verschwitzt auf dem Gebiss kaute.
      “Weiß Vriska, dass du ihr Pony entführst?”, scherzte er.
      “Und du hast einen Clown gefrühstückt oder gelüstet es dir nach Aufmerksamkeit?”, lachte ich und legte den Sattel auf dem Rücken des Hengstes, der beinah auf der Stelle einschlief. Sanft strich ich mit meiner Hand über seinen Mähnenkamm, als Erinnerung, dass wir noch etwas vor uns hatten.
      “Dann sag mal, stimmen die Gerüchte?”, fragte Niklas nun ernster und reichte mir die Trense, die neben ihm hängte. Sah ich das richtig? Hatte er die schöne lange Mähne der Rappstute abgeschnitten? Ich hatte so viel Kraft in ihre Mähne gesteckt, da Tyrell auch immer die Schere in der Hand hielt. Aber jetzt geschah es, sie war ab und das nicht nur ein Stück. Form hatte nur noch wenige Fetzen am Hals und auch der Schopf musste leiden. Es schmerzte in der Seele, das Pferd so zu sehen, doch ich konnte nichts dagegen tun.
      “Was für Gerüchte? Wenn jetzt schon welche im Umlauf sind, kann es nur noch kreativer bei euch werden”, kam ich wieder auf das Gespräch zurück.
      “Da gibt es sogar direkt zwei. Einerseits, dass du direkt mit dem Neuen geschlafen hast und andererseits, dass das du jetzt mit dem seltsamen Typen aus Kanada zusammen bist, womit wohl nur Erik gemeint sein kann. Ich hoffe für dich, dass nur eins von beiden stimmt”, lächelte er. Seine Worte wirkten glaubhaft, als läge ihm etwas daran, was in meinem Leben ablief. Ich vertraute ihm und er mir.
      „Ja, zweiteres stimmt“, antwortete ich kurz, unsicher darüber, wie viel an die Öffentlichkeit kommen durfte.
      „Das beruhigt mich ein wenig, aber pass auf dich, ja?“ Wieso ihm das so nahe ging, konnte ich nicht nachvollziehen. Zustimmend nickte nur, holte meinen Helm und führte Glymur aus dem Stall. Aber Niklas schien sich nicht abwimmeln zu lassen und folgte mir mit seiner verschwitzten Stute. Als hielte ich einem Spiegel an mir, blieb er stehen, gurtete ebenfalls nach und war im Begriff aufzusteigen, aber Ausreiten wollte ich nicht mit ihm.
      „Es ist ja lieb, dass du mitkommen möchtest, aber ich schaffe das allein. Fahr lieber zu deiner Freundin“, wimmelte ich ihn ab und ritt schnellen Schrittes vom Hof. Er sah mir nur verwirrt nach, während er den Gurt wieder lockerte und zur Linken abbog in den Stall der großen.
      „Ich habe genug Männlichkeit bei mir, nicht wahr?“, flüsterte ich Glymur zu, der aufregt vorwärts trappelte. Ich bremste nicht, denn heute stand alles in seinem Zeichen. Er sollte noch einmal den Tag genießen, bevor morgen ein wichtiger Termin anstand.
      Im Wald schaffte ich es den Kopf freizubekommen, frei von ihm, dem, was alles passierte und redete mir alles von der Seele. Glymur spielte aktiv mit den Ohren, als versuchte er zu verstehen, was ich ihm erzählte. Mich störte es nicht, keine Antwort zu bekommen, so konnte auch niemand kritisieren, was ich tat oder dachte. Die Freiheit genoss ich in jedem Atemzug, mit jedem Wort, das ich sagte und auch jeder Fliege, die mir im Tölt ins Gesicht flog. Dass vermisste ich, die Unbeschwertheit ohne Konsequenz, ohne sich Gedanken zu machen, auszureiten mit dem einen Pferd, dass man vom Herzen liebte. Glymur wirkte genauso glücklich über die gemeinsame Zeit, dass wir erst nach geschlagenen drei Stunden zurückkamen. Mittlerweile wurden es mehr Leute auf dem Hof, sie huschten der einen Seite zur anderen, wie an einem Bahnhof wechselten sie von der Reithalle zu einem der Reitplätze und wieder zurück. Es war ein kleines Schauspiel mit allen Elementen, die es brauchte. Aus undefinierter Richtung rief jemand aufgebracht, von der anderen ertönte aufgeregter Hufschlag, während aus dem Stall um Ruhe gebeten wurde. Deswegen war ich nur selten am frühen Nachmittag bei ihm. Diese ganzen Menschen verunsicherten mich, ließen mich hinterfragen, was ich hier eigentlich zu suchen hatte und die neugierigen Blicke verdunkelten meine Gedankenwelt. Nichts, wie weg, musste ich, wodurch ich Glymur sein Futter in die Schale des Paddocks machte und das Sattelzeug am nächsten Tag putzen würde. Die meisten wichen mir aus, ohne ein Wort zu sagen. Was wollte ich eigentlich? Ich wusste es nicht genau.
      Doch genau im Augenblick des Zweifels tippte mich jemand an.
      „Vriska, richtig?“, sagte sie freundlich. Es war eine der Zwillinge, Tilda, wenn ich mich nicht irrte. Noch versunken in Gedanken nickte ich leicht.
      „Dein Ritt im Regen war der Hammer! Wirklich! Du musst unbedingt dranbleiben, dann wirst du mal richtig gut“, schwärmte sie verträumt und tänzelte auf der Stelle herum.
      „Danke, aber ich glaube, dass ich krank werde. Wurde danach echt kalt“, lächelte ich willkürlich und schon den Reißverschluss meiner Jacke ganz nach oben. Langsam wurde das Kratzen im Hals präsenter, denn restliche Tag sollte ich zu Hause verbringen, damit ich morgen für die Prüfung fit sei. Sie verabschiedete sich freundlich und verschwand mit einem Halfter in der Hand aus dem Aufenthaltsraum.
      Mit aller Ruhe fuhr ich zurück zum Gestüt. Die Straßen waren frei, aber viele Lkw überholte ich, ohne mir weitere Gedanken darüberzumachen. Als Beifahrer rätselte ich gerne, was sie wohl Geladen hätte und welche Abfahrt sie nehmen würden, aber am Steuer sollte es mich nicht ablenken. Zwei Kilometer vor meiner Ausfahrt reihte ich mich mit meiner Klapperkiste zwischen zwei der Kolosse ein und hoffte, dass nichts passieren würde. Ich fuhr nicht gerne Auto, weder Autobahn noch Landstraße, weswegen ich langsam ins Grübeln kam, wo wohl mein Bruder steckte. Seine Ortung hatte er abgeschaltet und wo er bei dem Turnier übernachtete, teilte er mir ebenfalls nicht mit. Hatte er eine nette Dame kennengelernt und verwöhnte sie nun? Wohl kaum, denn da wäre er in großer Freude ausgebrochen und hätte mir davon erzählt, schätze ich. Er wirkte so verschlossen, ich konnte nicht einmal ahnen, was in seinem Leben ablief, doch das würde ich noch früh genug erfahren.
      Erwartungsvoll kam Linas Schwester zu mir gelaufen, drückte mir eine weiße Tasse in die Hand, gefüllt mit schwarzer Flüssigkeit, die nach dem ersten Atemzug mit einem gerösteten Aroma in meiner Nase kitzelte. Wer mich so begrüßte, versuchte wohl einen guten Eindruck bei mir zu hinterlassen. Ich stieg aus meinem Auto, nahm die unnütze Handtasche heraus und folgte ihr zum Zimmer. Sie erzählte nur kurz, sehr ungenau, dass sie meine Hilfe bei etwas bräuchte und das umgehend geklärt werden müsste, da Lina gerade mit einem der Pferde unterwegs war. Folie begleitete sie bei einem Ausritt. Gespannt, wenn auch wortkarg, folgte ich.
      “Wir müssen nachher eine kleine Feier veranstalten”, freute sich Juliett, nach dem die Tür ins Schloss fiel hinter uns. Mit nach oben gezogenen Augenbrauen nickte ich langsam, denn ich verstand noch nicht so recht, wofür das notwendig sei an einem gewöhnlichen Montag zu feiern. Natürlich könnte man darauf trinken, dass eine neue Woche begann und man sich das Wochenende zurückwünschte, aber das konnte ich mir kaum vorstellen, dass Lina dafür der Typ war.
      “Verstehe, aber wieso?”, fragte ich.
      “Ganz einfach. Samu ist seit drei Tagen in Schweden, bei seiner Freundin. Er hat morgen Geburtstag und ich will den beiden eine Freude machen. Lina vermisst ihn so unglaublich und weil er morgen Geburtstag hat –“, ich unterbrach sie direkt. Geburtstage müssen gefeiert werden, da hatte Juliett vollkommen recht.
      “Stopp. Das reicht mir! Ich habe schon eine Idee. Wir werden den großen Konferenzraum vorbereiten, da wird Lina wohl kaum hereingehen heute noch. Tyrell sage ich Bescheid. Sollte sie fragen, was wir da machen, dann bereiten wir einen Lehrgang vor”, lachte ich nach einem kräftigen Schluck aus der warmen Tasse. Die Schmerzen in meinem Hals wurden erträglicher. Eigentlich wünschte ich mich in das kuschelige Bett mit einer Suppe, doch sie brauchte meine Hilfe, also zusammenreißen.
      “Einwandfrei”, tanzte sie vergnügt und sammelte einige Dinge zusammen. Interessiert sah ich mich im Raum um. Viel Dekoration hatte Lina noch nicht eingerichtet, es wirkte sehr provisorisch, als würde sie jeden Moment wieder abreisen wollten. Einige Erinnerungen hingen an der Wand mit den Leuten vom Whitehorse Creek und anderen, die ich nicht kannte. Die Möbel standen noch immer an ihrer ursprünglichen Position, auch die hässlichen gelben Bezüge waren auf dem Bett gespannt, obwohl sie schon lange die besseren hätte nehmen können aus dem Vorbereitungsraum. Ich sah weiter und bemerkte einen ziemlich großen Rahmen mit mehreren Bildern eines braunen kräftigen Pferdes, ohne Abzeichen. Auf dem einen schien sie als Kind dargestellt zu sein und eine Schleife hing ebenfalls dabei. Das musste Vijamis kleiner Altar sein, über den sie mir in Kanada erzählt hatte. Immer weiter vertiefte ich mich in den Rahmen, fühlte den Schmerz, wie zwanzig Messerstiche in den Magen. Kurz krampfte es in mir, als wollte etwas hinaus oder für immer in der Versenkung bleiben.
      “Auch, wenn Ivy wie ihr Seelenverwandter ist, kann er nicht den Schmerz heilen, den sie durch seinen Verlust erlitten hat”, sagte Juliett bedenklich und erwischte mich dabei, wie ich noch immer diese Erinnerung anstarrte, wie eine Schlange, die ihre Beute fing.
      “Kann nachvollziehen”, murmelte ich und wusste nicht, was es noch dazu sagen sollte.
      “Komm schon Trauerkloß, wir müssen den Raum vorbereiten”, tippte sie freundlich auf meine Schulter und zusammen liefen wir los, um alles aufzubauen, umzuräumen und bereitzustellen.
      Tyrell war einverstanden, dass wir den Raum brauchten, sofern wir ihn danach wieder reinigten. Also werkelten wir, was das Zeug hielt, viel Zeit verging und dabei entstanden lustige Gespräche. Sie interessierte sich sehr für die Pferde hier am Hof, war neugierig, wie es mit Fruity und mir weitergehen würde. Tatsächlich wusste ich das nicht einmal, obwohl der Spaß vom letzten Wochenende nicht von der Hand zu weisen war, dabei meinte ich keinesfalls nur Erik. Viel mehr das drumherum begeisterte mich, klar, die Konkurrenz war groß, aber mit den Jungs wirkte es so vertraut, als hätte man eine gemeinsame Reise vor sich und jeder konnte seinen Teil dazu beitragen. Vielleicht sollte ich an der Sache dranbleiben und eine Lösung dafür könnte sein, das Förderprogramm zu wechseln. Selbstverständlich liebte ich die Fellbälle von der Vulkaninsel, doch ich als ich das Gefühl von Anerkennung meiner Leistung durch den epochalen Jubel der Zuschauer, geschah es um mich. Durch das Gespräch darüber, festigte sich das Geschehen, es lag nun mehr als zwölf Stunden zurück und erst jetzt, verstand ich es. Der Traum wäre es, dass ich ihnen bewies, dass ein Isländer ebenfalls solche Leistungen erbringen kann, dafür scheiterte es jedoch am Pferd. Glymur verfügte über sehr viel Tölt und schien dafür nicht geeinigt, aber ihn wieder abzugeben, konnte ich nicht übers Herz bringen.
      Ich wollte mit jemanden sprechen, aber ich wusste nicht, wer mir bei diesem Problem helfen könnte. So blieb mir Ruhe bewahren und alles auf mich zukommen lassen. Tief durchatmen und weiter, aber das ging nicht. Ein Stechen breitete in meiner Lunge aus, das Kratzen im Hals wurde stärker und ununterbrochen begann ich zu husten, so stark, dass mir die Luft wegblieb und ich mich setzen musste. Ich konnte nicht krank werden! Morgen sollte ich auf dem Pferd sitzen, die wichtigste Prüfung meines Lebens reiten, um endlich den Beruf fertig zu haben. Wenn das Keuchen nicht verschwand, würden die Prüfer mich herausziehen und die Nachprüfung in vier Wochen an einem Samstag stand auf dem Plan. Niemals! Einerseits, um Tyrell nicht zu enttäuschen, andererseits, um endlich mehr Gehalt zu bekommen. Gehalt, mit dem ich mir ein Pferd selbst finanzieren, auch wenn ich noch keins hatte. Aber ein eigenes Pferd klang wirklich anders, als eins zur Verfügung zu bekommen.
      “Du solltest dich noch mal hinlegen, bevor das nachher anfängt. Lina werde ich im Schacht halten”, sagte Juliett und reichte mir ein Glas Wasser.

      Lina
      Stetig lief die braune Stute um mich herum. Mit ihrem aktiven Ohrenspiel zeigte sie mir, dass sie fokussiert war. Die Sonne stand bereits im Westen und ließ das Fell der Stute in einem hübschen Braunton schimmern. Ich ließ sie eine weitere Runde um mich herumtraben, bevor ich sie zu mir in die Mitte kommen ließ. Zögerlich folgte sie der Aufforderung und blieb einen knappen Meter vor mir stehen. Aufmerksam sah sie mich aus ihren blauen Augen an. Ich arbeitete heute zum dritten Mal mit der Stute. Die junge Stute war zwar aufmerksam, aber machte es einem nicht einfach zu ihr vorzudringen. Ich wand mich von der Stute ab, ging ein paar Schritte fort. Sie folgte ein Stück, blieb aber wieder ein wenig von mir entfernt. Dennoch entschloss ich mich die Einheit für heute zu beenden, sie war lang genug gewesen. Manchmal musste man wohl mit den kleinen Erfolgen leben, immerhin war die Stute heute schon ein Stückchen näher herangekommen, als das letzte Mal.
      “Ah, hier steckst du also”, ertönte die Stimme meiner Schwester hinter mir. Ich drehte mich zu ihr um. Sie kam gerade vom Stall herübergeschlendert.
      “Was glaubst du denn, ich habe immerhin auch noch anderes zu tun, außer den ganzen Tag zu schlafen”, scherzte ich. Juliett ging nicht näher darauf ein, sondern fragte neugierig: “Wer ist die hübsche Stute da?”
      “Eigentlich solltest du die kenne, mit ihr habe ich am Freitag doch schon gearbeitet. Es ist Enigma”, beantworte ich die Frage. Besagte Stute begann den Sand des Roundpens abzuschnüffeln und nach einer geeigneten Stelle zum Wälzen zu suchen.
      “Ahh, ich erinnere mich. Macht sie denn Fortschritte?”, erkundigte Juli sich nach dem Erfolg.
      “Ich sag nur, mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, aber schließlich kann ja nicht jedes Pferd wie Ivy sein”, lächelte ich. Die braune hatte sich mittlerweile brummelnd fallen lassen und rolle genüsslich im Sand umher. Staub wirbelte auf und hüllte das Pferd in eine Wolke.
      “Wäre ja auch schlimm, wenn du mit jedem Pferd seelenverwandt wärst, du würdest die ja erst recht nie wieder hergeben. Bei dir habe ich ja jetzt schon das Gefühl, dass du die Hälfte der Pferde hier wieder behalten möchtest”, lachte meine Schwester.
      “Sogar ich würde irgendwann einsehen, dass eine gewisse Anzahl an Pferde reicht, ob du es glaubst oder nicht! Außerdem bin ich mir sicher, dass ich mir nicht mal eins von denen Leisten könnte” Meine Schwester übertrieb mal wieder maßlos. Sie hatte zwar recht, ich mochte die Pferde, mit denen ich hier arbeiten, aber es waren nun mal zum Großteil Traber. Die meisten Exemplare waren für meinen Geschmack zu viel Bein und zu wenig Pferd. Das Exemplar dieser Rasse im Round Pen rappelte sich gerade wieder auf und schüttelte sich den Sand aus dem Fell. Ich lief zum Tor, wo ich den Strick an das Tor gehängt hatte, um diesen zu holen. Ich sammelte die Stute ein und begleitet von meiner Schwester brachte ich sie zurück auf die Weide zu den anderen Stuten.
      “Lina, du hast Samu heute Morgen so von der Stute von deinem Freund geschwärmt, ich finde das könntest du jetzt mal zeigen. Am Freitag wart ihr zwei ja leider schon fertig, als ich kam”, schlug meine Schwester auf dem zurück zum Stall vor. Dieser Vorschlag kam mir ganz gelegen, da ich Smoothie ohnehin noch bewegen musste. Somit machten wir uns auf den Weg zu der Schimmelstute, die bereits sehnsüchtig am Zaun wartete. Die Stute wirkte bisweilen leider ein wenig unglücklich über ihren Umzug. Weniger über die Unterbringung an sich als viel mehr über die Tatsache, dass ihr geliebtes Herrchen nicht mehr jeden Tag auftauchte und auch mit der Stückweisen Kürzung ihres Trainingspensum war sie offenbar nicht so ganz einverstanden.
      “Na Süße, wartest du schon”, begrüßte ich die graue Stute. Freundlich senkte sie den Kopf und pustete mich an, bevor sie auch meine Schwester neugierig betrachtete.
      “Sie ist echt wunderschön und diese Augen … Himmlisch”, schwärmte meine Schwester und strich dem Pferd über den grauen Hals. Jedes Mal, wenn sie Smooth auf dem Hof sah, wiederholte sie ungefähr dasselbe. Auch wenn Smoothie natürlich wunderschön war, wunderte es mich nicht, dass meine Schwester so ein Fan von ihr war. Juliett hatte schon immer ein Faible für Pferde mit großen Kopfabzeichen.
      “Ja, da hast du recht, sie ist eine wahre Schönheit”, antworte ich meiner Schwester und zog dem Schimmel das Halfter über die großen Ohren.
      Im Stall begann ich damit das Fell der Stute zu putzen, sonderlich dreckig war sie allerdings nicht. Das Hufeauskratzen überließ ich meiner Schwester, während ich die Gamaschen und Glocken der Stute aus dem Putzkasten holte.
      Fertig gesattelt, schritt ich mit der langbeinigen Stute durch das Hallentor. Verlassen lag sie da und die Abendsonne malte geometrische Muster auf den hellen Sand. Während ich die Stute warm führte, zeigte ich Juliett den ein oder anderen kleinen Trick den Smoothie beherrschte und überließ auch ihr mal die Zügel.
      “So, sie sollte jetzt warm genug sein”, sagte ich meiner Schwester, nahm ihr die Zügel aus der Hand und legte sie der Stute über den Hals. Brav wartete Smoothie bis ich nach gegurtet hatte und aufgestiegen war. Etwas ungestüm, aber in hervorragender Selbsthaltung schritt die Standardbred Stute los. Bevor ich das Tempo erhöhte, ritt ich große gebogene Linien im Schritt. Smoothie war schon fast ein wenig übermotiviert dabei. Smoothie hatte heute einen außerordentlich guten Tag, denn sie lief nach dem Aufwärmen klar und flüssig in allen Gangarten und wurde im Galopp sogar äußeres flott. Hier und da waren auch die Lektionen nicht ganz sauber ausgeführt, weil es mir an Kraft fehlte, den Überschwung an Energie der Stute zu bändigen.
      “Schwebst du mit Divine eigentlich auch so durch die Gegend?”, rief Juliett von der Bande aus und riss mich aus meiner Konzentration. Smooth nutze diese Gelegenheit direkt aus und schoss in einem riesigen Satz nach vorn. Der plötzliche Geschwindigkeitswechsel traf mich so unvorbereitet, dass ich einen Steigbügel verlor. Impulsiv setzte ich mich tiefe in den Sattel und ließ die Stute laufen, nahm sie nur soweit zurück, dass sie durch die Ecken kam und wir nicht gleich zusammen in der Bande landeten. Nach einigen Runden wurde die Stute ruhiger und ließ sich, wenn auch nur ein wenig, wieder willig durch Parieren.
      “Nein, von diesem extraordinären Auftreten ist Ivy noch ziemlich weit entfernt, aber er ist ja jetzt auch gerade mal drei Monate unter dem Sattel. Smooth könnte allerdings gerne was von ihrer Energie an ihn abgeben, die Hälfte würde ihr locker reichen”, antworte ich meiner Schwester, immer noch auf das Pferd unter mir fokussiert. Smooth spontaner Sprint und ihr unruhiges Gemüt hatten dafür gesorgt, dass mir nun ziemlich warm war, sodass ich mein Sweater auszog und über dir Bande warf.
      “Ach was, du bist doch noch auf dem Pferd, wo ist dein Problem”, feixte meine Schwester.
      “Sag die, die seit Jahren nicht mehr auf einem Pferd gesessen hat”, entgegnete ich und lenkte sie Schimmelstute auf die andere Hand.
      “Wenn dein Zauberpony schon alles könnte, wäre es langweilig. Bald seht ihr bestimmt genauso spitze zusammen aus und das mit dem Tempo kommt sicherlich auch noch”, lächelte Juliett wohlgemut.
      “Vermutlich. Aber bis dahin müssen sowohl Ivy als auch ich wohl noch eine ganze Menge dazu lernen”, erwiderte ich und trabte die Stute wieder an, ihr Energielevel war einfach unglaublich. Locker ritt ich noch ein paar einfache Bahnfiguren und Handwechsel, bevor ich sie den Zügel aus der Hand kauen ließ und in den Schritt wechselte. Angestrengt sagte ich zu der Stute: “Du machst mich fertig Smoothie.” Entspannt pendelte der Schweif der Stute hin und her, während sie weiterhin elegant dahinschritt. Endlich war sie zu mindesten ansatzweise in einem Zustand, den man ausgelastet nennen konnte. Erschöpft nahm ich die Füße aus den Steigbügeln, ließ sie ein wenig kreisen. Ich konnte den Muskelkater schon nahezu spüren, der morgen auftauchen würde. Smooth zu reiten war eine ganz andere Nummer, als die Pferde, die ich bisher geritten war. Sie hatte so viel Energie, man hätte glauben können, ich hätte eine dreijährige unter dem Sattel, kein Pferd, welches bereits 10 Jahre alt und in der Dressur erfolgreich war.
      Ermattet ließ ich mich aus dem Sattel gleiten. Gut, dass Smoothie das letzte Pferd für heute war, sie hatte mir meine gesamte restliche Energie geraubt. Im Gegensatz zu mir, wirkte der Schimmel, als könnte sie noch mindestens eine halbe Stunde so weitermachen. Mit nach vorn gestellten Ohren und wachem Blick stand sie neben mir, während ich die Steigbügel hochzog und den Gurt lockerte.
      “Na komm, ich helfe dir beim Absatteln”, bot meine Schwester an und nahm mir die Stute ab. Ich folgte den beiden zum Putzplatz, reichte meiner Schwester das Halfter. Noch bevor ich die Chance dazu hatte, hatte sie auch bereits den Sattel der Stute in der Hand.
      “Das hätte ich jetzt auch grade noch so selbst geschafft”, protestierte ich.
      “Mensch Lina, beschwert dich doch nicht, wenn man dir hilft, außerdem siehst du nicht so aus”, lachte meine Schwester und verschwand in der Sattelkammer. Somit blieb mir nicht übrig, als den verblieben Beinschutz der Stute zu entfernen. Anschließend stellte ich ihr, das Futter hin, welches die Stute zufrieden begann zu verspeisen.
      “Zieh dir was an, sonst wirst du noch krank”, belehrte mich meine Schwester. Eigentlich wollte ich nicht, denn mir war immer noch ziemlich warm vom Reiten, aber sie hatte recht. Auf der Stallgasse war es ein wenig zugig und mit der schwindenden Sonne wurde es auch zunehmend kälter.
      “Dann pass mal auf, dass das Pony da nicht wegläuft”, erwiderte ich und lief zurück in die Reithalle, um meine Sweater zu holen. Wenig später war ich wieder zurück bei Smooth und meiner Schwester. Die Stute hatte nahezu aufgefressen, sammelte nur noch die letzten Krümel vom Boden. Die Futterschüssel sammelte ich auf und brachte sie zurück.
      “Na komm Große, dein Bettchen wartet.” Sanft zupfte ich am Strick, damit das Pferd sich in Bewegung setzte.

      Hedda
      Vor mehr als einer Stunde hatte die Klingel das Ende des Unterrichts eingeleitet, doch ich saß noch mit meiner Truppe neben dem Sportplatz. Die Jungs spielten auf dem Platz, während wir neugierig sie in ihrem Element beobachteten. Obwohl die Schule schon vor mehr als einer Woche begonnen hatte, und ich eigentlich dann zu Hause schlafen sollte, verbrachte ich die meiste Zeit bei Hanna. Folke gab auf mit mir darüber zu diskutieren, aber verlangte, dass ich mich regelmäßig meldete. So auch jetzt. Ich schrieb ihm, dass wir noch am Feld saßen und ich wohl möglich morgen käme. Doch schon wenige Sekunden nach der Nachricht, vibrierte mein Handy.
      “Folke?”, flüsterte Hanna. Ich nickte und lief zur Seite, damit es nicht so laut im Hintergrund war.
      “Hedda, jag menade inget illa, men du kommer hem direkt (Hedda, ich meinte es nicht böse, aber du kommst sofort nach Hause)”, sprach er nachdenklich. Leider rechnete ich damit bereits, deswegen akzeptierte ich es stillschweigen.
      “Jag frågar Hannas mamma om hon vill köra mig, för annars kommer bilen inte att vara här förrän om trettio minuter (Ich frage Hannas Mama, ob sie mich fährt, ansonsten kommt der muss erst in dreißig Minuten)”, antwortete ich und legte auf. Zurück lief ich zu den anderen und mein kurzes Verschwinden, fiel sogar den Jungs auf.
      “Är allt bra? (Ist alles in Ordnung?)”, erkundigte sich meine beste Freundin.
      “Hanna, jag måste gå hem. Skulle din mamma köra mig? (Hanna, ich muss nach Hause. Würde deine Mutter mich fahren?)”, hoffte ich, nicht den blöden Bus nehmen zu müssen, in dem wirklich jeder saß. Sie schüttelte natürlich den Kopf aber tippte Yall am Arm.
      “Kan du inte köra din flickvän? (Kannst du nicht deine Freundin fahren?)”, grinste sie. Nein! Auf keinen Fall sollte jemand erfahren, dass wir zusammen waren! Hanna wusste es als einzige, aber konnte sich nicht zurückhalten, auch den Rest der Truppe darauf hinzuweisen. Jedoch konnten die nicht weiterdenken als sie sahen, konnten deswegen eins und eins nicht zusammenzählen.
      “Javisst, varför inte (Natürlich, warum nicht)”, kam mein Freund näher und legte seinen Arm auf meinen Schultern ab. Die Löckchen der braunen Haare kitzelten mich am Ohr, als er mich fest an sich drückte.
      “Tillräckligt (Das reicht)”, flüsterte ich liebevoll. Dann verabschiedete ich mich innig von allen und verabredete ich mich mit Anna vor der Schule um 7 Uhr. Vor dem Unterricht saßen wir oft noch da, redeten und sahen noch einmal den Kram durch, bevor es klingelte.
      Im Auto schwiegen wir die meiste Zeit, seine Hand lag auf meinem Oberschenkel und ich swippte gelangweilt durch die Timeline. Ich hatte keine Lust wieder nach Hause zu müssen, alles dort nervte mich nur noch. Ständig brauchte jemand, meinte Hilfe oder verlangte etwas. Dass ich nur meine Ruhe wollte, verstand niemand. Erst recht nicht mein Bruder, der mir zumindest in den Ferien endlich ein eigenes Zimmer eingerichtet hatte! Vor der Auffahrt hielten wir an. Aus dem Kofferraum nahm ich meinen Rucksack und wollte so schnell wie möglich weg, bevor uns jemand sah. Aber Yall hielt mich sanft am Arm fest. Bei ihm zu bleiben, hätte mir gefallen, doch meinen Bruder zu enttäuschen, wollte ich mir nicht leisten.
      „Vi ses i morgon! (Bis morgen!)“, sagte ich nur, drückte ihn und rannte zum Hof. Hinter mir hörte ich das Fahrzeug losfahren. Ich hätte ihn nicht so abblitzen sollen, aber es viel mir schwer den Moment mit ihm zu genießen, wenn die Bäume Ohren und Augen hatten.
      Mehr Autos als gewöhnlich standen auf dem Parkplatz und ein reges Treiben herrschte auf dem sonst so leeren Gestüt. So viel konnte sich doch gar nicht geändert haben? Ich war vier Tage nicht da. Freundlich grüßten die Einsteller und versuchten sich mit mir zu unterhalten, aber ich musste schnell weiter, um Folke zu finden. Er saß in der Einliegerwohnung und schaute Nachrichten. In der Innenstadt war einiges los. Offensichtlich nahm die Bandenkriminalität immer mehr zu, Geschäfte wurden in der Nacht ausgeraubt und Scheiben eingeschlagen, dabei gab es einige Verletzte. Traurig.
      “Det är trevligt att du är här igen (Schön, dass du auch mal wieder da bist)”, murmelte er verloren in den Bildern, ohne zu mir zu sehen. Erst als es umschaltete zum Wetter, drehte Folke sich um. Ich verkniff mir meine Worte und zog mich rasch um.

      Mit meinem Finger malte ich undefinierte Formen auf die Oberfläche des Tisches, während Tyrell einige Neuerungen ansagte, die vor allem Vriska und Lina betrafen. Für Folke ging es weiter wie immer, er hatte die Rennpferde in Betreuung und sollte diese weiterhin auf den Rennen vorstellen und trainieren. Immer dasselbe, jeden verdammten Tag. Wie hielt er das aus? Obwohl ich den Kram seit Jahren hautnah miterlebte, verstand ich nicht so genau, was ihn an den Rennen so sehr fesselte. Ständig flog Dreck ins Gesicht, die Pferde benötigten Ganzkörpereinsatz und dauerhaft musste man Angst haben, dass es das letzte Rennen war. Unglaublich, wer wollte sowas? Von der Tierquälerei mal ganz abgesehen.
      “Hedda! Hörst du zu?”, ermahnte mich Tyrell. Langsam hob ich meinen Kopf, sah ihn in die Augen und nickte. Als ob ich zuhörte? Warum auch. Mich ging das alles nichts an, ich wohnte hier nur und half im Sommer dabei, die ganzen Kinder von den Rennpferden fernzuhalten. Folke tippte mich an.
      “Jag vet att du inte bryr dig. Men du gillar åtminstone det här, okej? (Ich weiß, dass es dich nicht interessiert. Aber du wenigstens so, okay?)”, flüsterte er. Wieder nickte ich nur. Manchmal wünschte ich mir wirklich, dass meine Eltern noch da wären, dann würde mein großer Bruder nicht die Mutti vorspielen und mir meine Freiheiten geben. Ganz, ganz, ganz selten, wünschte ich mir auch, dass er mit im Auto gesessen hätte, dann würde ich jetzt in einer coolen Familie sein und nicht auf dem Pferdehof festhängen. Ich mag Pferde, klar. Aber, die meisten hier hatten eine Vollklatsche. Vriska als Beispiel heulte nur, mochte es am liebsten, wenn jeder um sie herum seine Aufmerksamkeit auf sie richtete. Dazu kam, dass sie selten irgendwelche Entscheidungen akzeptierte und wirklich andauernd im Selbstmitleid badete. Tyrell schrie nur, wenn er schlechte Laune. Wenn er jedoch was wollte, konnte er plötzlich nett sein, Heuchler. Mein Bruder machte immer auf Freundlich, sicher darüber was er tat, aber ich wusste, dass er jeden Abend stunden damit verbrachte zu lesen, wie er die Pferde überhaupt trainieren sollte. Als hätte er jemals im Leben etwas anderes getan. Seine Freundin? Auch nicht viel besser. Macht sich unglaublich wichtig, rennt ihm nur nach und tut so, als dürfe sie mich herumschubsen, man! Du wirst nie meine Mutter sein, akzeptiere es. Lina kannte ich noch nicht lange, aber sie war cool. Ich mag ihre Zeichnungen. Plötzlich wurde es still. Hatte ich etwas falsch gemacht?
      “Wo ist eigentlich Vriska?”, fragte ein anderer Typ auf einmal, der, der Stimme zufolge, schon einige Minuten im Raum stand.
      “Nicht da”, antwortete ich und ließ mich gegen die Lehne des Stuhls fallen mit verschränkten Armen. Wenn die nicht da war, warum musste ich hier sitzen?
      „Na dann los“, nickte Tyrell zur Tür. Immerhin musste ich mir das für kurze Zeit nicht weiter antun. Hastig sprang ich auf und lief durch den engen Flur hinaus. Dass wir normalerweise oben in den Raum saßen, fand ich zwar seltsam, aber der kleine reichte für die wenigen Menschen. Ich beeilte mich nicht, so konnte ich entspannt noch einige Kurzvideos schauen auf Instagram und sinnvolle Sachen konsumieren. Leider kam ich schneller an, als es mir lieb war. Unmotiviert klopfte ich an der Glastür der Terrasse. Sie saß jedoch nicht auf der Couch und war sonst auch nicht zu sehen. Also wartete ich, blickte weiter auf mein Handy, bis sie schließlich schlecht gelaunt mit einer Kapuze auf dem Kopf vor mir stand. Super, das konnte ich wirklich nicht gebrauchen.
      „Was ist?“, murmelte Vriska nasal und zog den schwarzen Pullover näher an sich heran.
      “Du sollst zur Besprechung kommen, ist wichtig”, antwortete ich trocken, ohne von dem Bildschirm wegzuschauen. Ihr hörtet ihre Schritte sich entfernen, die aber wenig später wieder kamen. Zusammen liefen wir zurück, still. Ich hatte ihr nichts zu sagen und sie schien auch nicht in der Stimmung zu sein, sich über irgendetwas zu beschweren.
      “So, da Vriska nun da ist, können wir endlich mit dem wichtigen Teil anfangen. Ich bin Bruce, für die, die mich eventuell noch nicht kennen”, lachte der schwarzhaarige Typ mit einem breiten Lächeln und sah zu Lina, die höflich nickte. Dann sprach er direkt weiter.
      “In ungefähr fünf Tagen werde ich mit meinen restlichen Pferden hierherkommen und die Reitschule erweitern. Dazu gehört auch, dass ich Hilfe benötige und eventuell noch ein, zwei weitere Reitlehrer angestellt werden müssen, also wenn ihr wen kennt, wäre super. Ich freue mich auf die kommende Zusammenarbeit”, erzählte er weiter. Dann setzte sich mit an den Tisch und Tyrell fing wieder mit Geschwafel über irgendwelche Umsatzsteigerungen, wie wir den Hof attraktiver machen und so was. Die Formen auf dem Tisch wirkten auf einmal so viel interessanter. Aber auch die anderen schienen nicht mehr so ganz bei der Sache. Vriska tippte auf ihrem Handy herum, beachtete niemand. Folke versuchte vermutlich überhaupt irgendetwas zu verstehen und Lina, ja sie freute sich einfach. Warum auch immer.

      Lina
      Zufrieden mit dem Verlauf des Tages verließ ich den kleinen Raum, in dem die Dienstbesprechung stattgefunden hatte und schlenderte gemütlich zu meiner Wohnung.
      “Luulin, ettet koskaan lopeta (Ich dachte, schon ihr werdet nie fertig)”, empfing mich meine Schwester, als ich eintrat.
      “Tehdäänkö tänään jotain vai miksi odotat minua? (Haben wir noch etwas vor heute vor oder warum erwartete du mich?)”, scherzte ich. Manchmal benahm meine Schwester sich außerordentlich seltsam, aber das zu verstehen hatte ich schon lange aufgegeben, Geschwister waren manchmal einfach schräg.
      “Joo suunnilleen (Ja, so ungefähr)”, antwortete sie, erhob sich vom Sofa und wuselte zielstrebig in das Schlafzimmer. Dort begann sie geschäftig in meinem Schrank zu wühlen.
      “Voitko kertoa minulle, mitä muuta me teemme? (Verrätst du mir auch, was wir noch vorhaben?)”, fragte ich und beobachte sie kritisch bei dem, was sie tat. Statt mir zu antworten, wühlte sie weiter in meinen Klamotten, das hieß wohl nein. Ich fragte mich wirklich was Juli um die Uhrzeit noch vorhatte.
      “Tässä pukeudu (Hier, anziehen)”, befahl Juli und drückte mir eine T-shirtbluse und eine Jeans in die Hand. Erst jetzt fiel mir auf das sei selbst nicht wie für die Uhrzeit üblich in Jogginghose herumlief. Was auch immer sie also geplant hatte, würde schon mal kein gemütlicher Abend vor dem Fernseher sein. Bevor meine Schwester ungeduldig wurde, tauschte ich also meine Reitsachen gegen das, was sie mir gereicht hatte. Währenddessen öffnete sie meine Zöpfe und zupfe an meinen Haaren herum, sodass sie mir nun in leichten Wellen über die Schultern fielen. Zufrieden betrachte sie ihr Werk: ”Hienoa ja tule nyt kanssani. (Hervorragen und jetzt mitkommen.)” Etwas überrumpelt folgte ich. Als wir vor das Haus traten, durchschnitt das Licht von Autoscheinwerfern die Dunkelheit. Ein keiner silberner VW vor. Wer würden sich denn so spät noch hier her verirren? So fröhlich grinsend wie Juli neben mir stand, konnte nur sie etwas damit zu tun haben: “Heinäkuu, onko sillä mitään tekemistä sen kanssa, mitä me teemme? (Juli, hat es mit dem zu tun, was wir noch vorhaben?)”
      “Odota ja katso, sisko (Warte es nur ab, Schwesterchen)”, war ihre einzige Antwort. Ich verstand sofort, was sie meinte, als ich sah, wer aus dem Auto stieg. Euphorie durchfuhr mich und im selben Augenblick stürmte ich auch schon los. Ich konnte nicht anders, als Samu geradewegs in die Arme zu springen. Nach gerade einmal drei Wochen freute ich mich so sehr über seine Ankunft, als hätte ich ihn ein halbes Jahr lang nicht gesehen.
      “Kaipasin sinua (Ich habe dich vermisst)”, murmelte ich in die Umarmung.
      “Aina hidas, nuori nainen (Immer langsam, junge Dame)”, lachte der Finne und stellte mich wieder auf meine Füße.
      “Mistä olet nyt? Ja mikä tärkeintä, kun olet täällä, kuka huolehtii ponistani? (Wo kommst du denn jetzt her? Und vor allem, wenn du hier bist, wer kümmert sich dann um mein Pony?)”, frage ich überwältigt von diesem Überraschungsbesuch.
      “Älä huoli, luovutin Ivyn Quinnille luottavaisin mielin, hän on kunnossa. Ja ensimmäiseen kysymykseenne: toin jonkun mukanani (Keine Sorge, Ivy habe ich vertrauensvoll in Quinns Hände übergeben, dem geht es gut. Und zu deiner ersten Frage: Ich habe da jemanden mitgebracht.)”, beantwortete Samu meine Fragen und blickte mit einem liebevollen Lächeln hinter mich. Erst jetzt bemerkte ich die zweite Person, die inzwischen neben meiner Schwester stand. Wow, ich hatte sicher einen guten ersten Eindruck bei ihr hinterlassen, benahm mich hier wie ein Teenager. Ein wenig peinlich berührt ging ich mit Samu zu den beiden herüber. Juliett freute sich offenkundig darüber, dass ihr diese Überraschung so gut gelungen war. Enya lächelte mir herzlich entgegen, in echt war sie noch viel hübscher als auf den Bildern. Sie hatte verdammt schöne große Augen, die sie auch noch mit einem zarten Lidstrich hervorhob und ihr blonden Haare fielen ihr locker über die Schulten.
      “Dann will ich euch mal bekannt machen. Das hier ist Enya, meine bessere Hälfte”, ergriff Samu das Wort. Freundlich nickte Juli ihr zu und ich tat es ihr gleich.
      “Und das ist Lina, meine beste Freundin und ihre Schwester Juliett”, setzte Samu fort. Während eine kurze Unterhaltung entstand, sah Samu sich neugierig in der Umgebung um, viel sah man zwar im Dunkeln nicht, aber es reichte offenbar aus, um meinen besten Freund ziemlich zu beeindrucken.
      “Hier arbeitest du also? Ziemlich schick hier. Willst du mir nicht mal diese coole Reithalle zeigen, von dem Video?”, fragte Samu nun neugierig. Ich hatte bereits erwartet, dass er irgendwann danach fragte, aber nicht ausgerechnet innerhalb der ersten 10 Minuten.
      “Wenn du das schon schick findest, warte mal bis du den Hof bei Tageslicht siehst”, schmunzelte ich und schlug den Weg zu Reithalle ein. Mit einem Druck auf den Lichtschalter wurde es schlagartig hell in dem Gebäude, ein wenig zu hell wie ich fand. Fasziniert wuselte Samu durch die Stallgasse und sah sich alles ganz genau an, selten hatte ich jemanden mit so viel Interessen für einen Pferdestall erlebt und auch die Sattelkammer wurde mit denselben Hingaben inspiziert.
      “Oha, das könnte glatt von Jace sein”, war Samus Kommentar zu den Gamaschenkisten, in denen wie immer ein heilloses Durcheinander herrschte. Es störte mein Bild von Ordnung in der Kammer schon ziemlich, aber Vriska hatte mir von dem Versuch die Kisten aufräumen abgeraten, da sie unmittelbar danach eh wieder im Chaos versinken würden.
      “Hier gibt es auch einen Freiberger?” Samus fragen ließ mich aufhorchen. Ein Freiberger hier? Davon wusste ich bisher nichts. Verwundert lief ich zu dem blonden Mann, der am Schwarzen Brett stand und sich einen Zettel durchlas.
      “Da schau”, sagte er und deutete auf den Zettel. Darauf war ein von einem recht kräftigen, dunkelbraunen Pferd zu sehen, welches elegant über den Reitplatz schwebte, in Mähne und Schweif jeweils ein kleines Zöpfchen, welches mit einem lila Band verflochten war. Ich versuchte zu entziffern, was auf dem Zettel stand, doch es fiel mir echt schwer, zu lang war es her, dass ich diese Sprache in der Schule hatte, daran sollte ich dringend arbeiten.
      “Lina da wird, jemand gesucht der den Hengst, hier bewegt. Freiberger, 14 Jahre alt und sogar mit Kaufoption ab Ende des Jahres, weil seine Besitzerin nächstes Jahr nach Amerika geht. Das wäre doch was für dich”, fasste Samu den Inhalt des Zettels für mich zusammen Das klang tatsächlich nach etwas, was mich interessierte. Die Freibergerstute auf dem WHC hatte ich schon immer toll gefunden und auch Fanya, das Pferd aus dem ersten HMJ, war mittlerweile ein wahrer Traum von Pferd. Spätestens seitdem ich Ivy kennenlernte, war ich diesen Pferden aus der Schweiz einfach verfallen. Ich sollte mir diesen Zettel morgen definitiv noch einmal genauer ansehen, die Chance ein weiteres Pferd dieser Rasse kennenzulernen, sollte ich mir nicht entgehen lassen.
      “Was genau bewegt dich eigentlich dazu, dass du jetzt doch hier bist? Ich dachte, einen Umzug geht nicht so spontan?”, frage ich neugierig, währen Samu vollkommen begeistert die Klappe in der Bande öffnete, hinter der die Stangen gelagert wurden, zugegeben eine überaus elegante Lösung. Auf dem WHC hatten in der kleinen Halle immer einige Stangen auf der Bande gelegen, um sie griffbereit zu haben.
      “Ich bin auch erst mal nur für zwei Wochen da um mich zum Beispiel schon einmal nach einem Job umzusehen und all sowas”, antworte er und setzte seine Erkundung auf der Tribüne fort, auf der es sich Enya und Juli gemütlich gemacht hatten. Das ergab tatsächlich Sinn, ein Job war immer eine gute Voraussetzung, wenn man in ein neues Land zog.
      “So genug jetzt, den Rest darfst du gerne bei einem weiteren Besuch ansehen. Ich habe da nämlich noch etwas vorbereitet”, beendete meine Schwester die Inspizierung des Snackautomaten. Noch etwas vorbereitet? Als ob eine Überraschung nicht schon genug sei.
      “Na kommt schon”, lachte Juli und zog sich hinter mir her. Samu und seine Freundin folgten uns, die Hände ineinander verschränkt. Samu wirkte so unbeschwert, so viel entspannter als in Kanada. Es musste ihn echt belastet haben, nicht von Enya erzählt zu haben und dann hatte ich auch noch ständig versucht diesen Zustand seiner vermeintlichen Partnerlosigkeit zu ändern. Aber er war selbst schuld, wenn er mich nicht aufklärte.
      “Was wollen wir hier?”, frage ich ein wenig verwirrt, als Juli vor der Tür des großen Konferenzraumes stehen blieb.
      “Na ganz einfach, einer von uns hier hat in knapp 2 ½ Stunden Geburtstag und Geburtstage müssen gefeiert werden”, erklärte Juli und hielt uns allen die Tür auf. Neugierig betrat ich hinter Enya und Samu den Raum.
      “Ist das also deine Definition von einem einfachen Abendessen, Juliett?”, lachte Samu, offenbar hatte er auch nichts davon gewusst. Juli hatte sich alle Mühe gegeben den schlichten Raum ein wenig aufzuhübschen. Irgendwo hatte sie ein paar Lichterketten und Luftballons aufgetrieben, die dem sonst recht schlichten Raum ein wenig feierlich wirken ließen. In einer Ecke stand ein kleines Buffet mit einer Auswahl an Snacks und Getränken und sogar einen Kuchen hatte meine Schwester gebacken.
      “Es ist abends wir haben essen, ist das denn kein Abendessen?”, scherzte Juliett munter.
      “Jetzt muss du mir aber mal verraten wie du das alles hier vorbereiten konntest, ohne dass ich etwas mitbekam? Und woher weißt du auch noch, dass Samu morgen Geburtstag hat?”, fragte ich meine Schwester beeindruckt, während Samu dafür sorgte, dass jeder ein Getränk in der Hand hielt. Wie immer ganz der Gentlemen dabei sollte vielmehr er heute bedient werden, war er doch das Geburtstagskind.
      “Also letzteres, Lina, steht in deinem Kalender und dein Handy gibt seit einer Woche ständig Erinnerungen von sich. Es ist beinahe unmöglich das nicht zu wissen. Und was das andere angeht, das war nicht so schwer, du warst ja den ganzen Tag mit den Pferden beschäftigt. Außerdem habe ich das hier nicht ganz alleine gemacht, Vriska hat mir geholfen”, erklärte sie fröhlich. Wow, wieder einmal hatte Juliett ihr Organisationstalent bewiesen.
      “Wer ist denn Vriska?”, frage die hübsche Blondine lächelnd.
      “Ich arbeite hier zusammen mit Vriska”, wich dem aus, die Beziehung näher zu definieren. Keine Ahnung was Vriska und ich waren. Einfache Arbeitskollegen oder doch... Freunde?
      “Und hab ihr sie nicht eingeladen, wenn sie schon beim Dekorieren geholfen hat?”, wollte Samus Freundin nun wissen.
      “Doch, sie ist eingeladen, aber sie ist ein wenig angeschlagen von dem Turnier am Wochenende, vermutlich nutzt sie den Abend lieber, um sich auszuruhen”, antwortete Juliett. Also setzten nur wir vier und in einen kleinen gemütlichen Kreis beisammen. Ich war außerordentlich erfreut darüber, dass Samu hier war und freute mich auch seine Freundin kennenzulernen, denn zugegebenermaßen war ich verdammt neugierig, wie sie so drauf war. Bisher machte sie einen ziemlich sympathischen Eindruck auf mich. Während meine Schwester der führende Part in der Unterhaltung war, folgte ich den Gesprächen eher passiv, genoss einfach die Gegenwart von zwei der wenigen Menschen, die mir wirklich am Herzen lagen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie die gläserne Tür des Versammlungsraumes sich öffnete. Anders als erwartet, betrat nicht doch noch Vriska den Raum, sondern Niklas. Mit ihm rechnete ich gar nicht an einem Tag wie heute. Er trug ein weißes, weites Shirt, darüber eine Jeansjacke und passende Hose. Sonderlich erschien, dass seine Haare nicht nach oben gegelt waren, sondern locker zur Seite fielen, was ihm aber auch unheimlich gutstand. Unwillkürlich durchströmte mich eine wohlige Wärme und freudig überrascht, entfernte ich mich aus der kleinen Runde, um ihn zu begrüßen.
      “Hey Niki, wo kommst du denn her? Aber schön, dass du da bist”, fragte ich freudestrahlend auf ihn zulaufend. So viele Überraschungen heute, fast wie an Ostern.
      “Jetzt fängst du auch damit an”, lachte er und drückte mir einen kräftigen Kuss auf die Stirn. Ich hatte das von seiner Mutter aufgeschnappt, empfand als sehr passend. Auch Chris sagte es zunehmend öfter, wenn er nicht gerade das Prinzesschen war. Welche Geschichte es dazu gab, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht, konnte mir aber vorstellen, woher es rührte. Niklas konnte sehr eigen sein, sich wichtig nehmen und wollte bewundert werden.
      „Ich komme vom Auto, aber mir wurde gesagt, dass es etwas zu feiern gibt. Dazu kann ich nicht absagen. Aber tut mir leid, dass ich zu spät komme, der Einsatz dauerte länger als erwarte“, fügte er noch glücklich hinzu und nahm dankend das Getränk entgegen, dass Samu ihm reichte, alkoholfrei versteht sich.
      "Wir hatten eine Startzeit? Interessant! Aber egal, du bist ja jetzt da, unversehrt, das ist das wichtigste." Ich hatte heute zwar nur einen kurzen Blick in die News App werfen können, aber die Schlagzeilen sprachen für sich. Niklas' Einheit hatte zwar wenig mit der klassischen Polizeiarbeit zu tun, dennoch wollte ich lieber nicht näher darüber nachdenken, was bei einem Einsatz alles passieren konnte.
      „Zumindest hatte das unser Vampir geschrieben. Scheint aber auch wieder typisch, dass sie nicht gekommen ist oder immer noch schwierig mit euch?“, kam er unwillkürlich auf das Thema zurück, dass vor seiner Ankunft durch den Raum schwebte. Seltsam, wie interessiert alle an ihr waren.
      “Ich glaube, es wird besser, aber ihr nicht erscheinen hat damit wohl nicht zu tun. Juliett meinte sie sei wohl krank, der Ritt im Regen gestern war wohl nicht das klügste und dann hat sie ja morgen auch noch ihre Prüfung, da möchte sie vermutlich lieber ausgeschlafen sein”, beantworte ich die Frage. Vriskas Verhalten würde ich wohl nie vollständig verstehen, war aber gewillt mich um ein friedliches Miteinander zu bemühen, denn eigentlich war sie mir von Beginn an ziemlich sympathisch gewesen.
      “Wundert mich, denn heute Vormittag konnte sie noch Ewigkeiten mit Glymur ausreiten. Wie kommst du mit Smooth klar? Alles gut?”, fragte er.
      “Ja, ist ganz okay. Dieses Pferd hat einfach viel zu viel Energie, wo nimmt sie die nur her? Ich kann sagen, ihre Medikamente funktionieren definitiv, sie hatte heute ein beträchtliches Tempo darauf”, beklagte ich mich ein wenig, denn ich sah es kommen, dass das die Stute in den nächsten Wochen eher noch energetischer wurde.
      “Wenn du nicht klarkommst, ist das in Ordnung. Tyrell oder Vriska würden es sicher auch übernehmen. Ansonsten musst du sie vorher 40 Minuten in die Führanlage stellen, dann sollte es für ein Fliegengewicht, wie du es bist, einfacher sein”, lachte Niklas.
      “So schnell werde ich noch nicht aufgeben! Irgendwie komme ich schon klar”, sagte ich überzeugt. Nach einer Woche bereits das Handtuch zu schmeißen wäre sogar für mich eine schwache Leistung gewesen.
      Freundlich stelle sich mein Freund Enya gegenüber vor, als wir zurück in die kleine Runde traten, bevor das Gespräch wieder aufgenommen wurde. Juli hatte offenbar gefragt, wie Samu denn zum Reiten und zu den Pferden gekommen sei, denn er erzählte wieder einmal eine Anekdote aus seiner Kindheit. Eevi, seine Schwester, hatte damals ein Pferd, einen hübschen Apfelschimmel. Seine beiden älteren Brüder hatten sie früher damit aufgezogen, dass er viel häufiger mit seiner Schwester zu ihrem Pferd fuhr, anstatt mit ihnen “Jungskram” zu machen. Allerdings konnte ich bestätigen, dass die meisten von Samus Interessen doch eher typisch männlich waren. Wie fast jeder männliche Bewohner Finnlands brachte auch mein bester Freund eine gewisse Begeisterung für den Motorsport mit sich und nicht zu vergessen seine Passion, das Eishockey. Für meinen Geschmack war diese Sportart viel zu brutal. Platzwunden und blaue Flecken sind so gut wie bei jedem Spiel vorprogrammiert, ganz zu schweigen von schlimmeren Verletzungen. In der Schulzeit hatte Samu selbst noch aktiv im Verein gespielt, auch gar nicht schlecht. Er hätte das Potenzial für die Profiliga gehabt, aber nach eine ziemlichen heftigen Knieverletzung, setzten seine Eltern alles daran, dass ihr Sohn sich einen wenig gefährlichen Beruf suchte.
      Das schummrige Licht der Kerzen und Lichterketten erzeugte eine behagliche Atmosphäre. Liebevoll hatte Samu seinen Arm um seine Freundin gelegt, während sie sich weiterhin angeregt unterhielten. Ich für meinen Teil hatte es mir auf dem Schoß meines Freundes bequem gemacht. Meine Schwester schien es reichlich wenig zu stören, dass sie nur noch von Pärchen umgeben war, ich an ihrer Stelle hätte mich ziemlich überflüssig gefühlt.
      Die Gesprächsthemen wurden immer tiefgründiger, wo bei auch die ein oder andere seltsame Geschichte aus vergangenen Tagen ausgepackt wurde. Ganz besonders Juliett unterhielt alle mit Geschichten aus unserer Kindheit. Zu meinem Glück waren die meisten davon irgendwo niedlich und mit kindlicher Naivität zu erklären, aber als sie anfing aus den Liebesbriefen zu rezitieren, die ich in der 5 Klasse geschrieben hatte, hätte ich mich am liebsten in Luft aufgelöst. In so einem Detailreichtum wusste bisher nicht einmal Samu von diesen Briefen. Dank Juli wusste jetzt aber nicht nur mein bester Freund davon, sondern ebenso seine Freundin, der ich heute zum ersten Mal begegnete und viel schlimmer noch, auch Niklas. Größtenteils hielt er sich mit seinen sonst so überheblichen Kommentaren zurück, lachte einige Male, aber schwieg sonst. Zwischendurch folgten Anekdoten aus seinem eigenen Leben, die vermutlich jeder hätte erzählen können. Ich spürte, dass er angespannt war, was ich nicht nur durch seine ballende Faust realisierte. Seine Zähne knirschten immer wieder und an dem markanten Kinn kam Muskulatur nach oben. Etwas an den Geschichten aus der Kindheit belastete ihn extrem. Andeutungen machte er bereits in Kanada, aber ich konnte mir nicht wirklich vorstellen, was seinen Blutdruck so hochschnellen ließ wie dieses Thema.
      Mit fortschreitender Stunde überkam mich allmählich die Müdigkeit. Schläfrig ließ ich meinen Kopf gegen Niklas Schulter sinken. Die Gespräche nahm ich nur noch am Rande wahr, viel mehr musste ich mir Mühe geben, dass mir nicht gleich die Augen zuklappten. 11:45 Uhr zeigte die Uhr, sonderlich lange würde es demnach nicht mehr dauern bis für Samu ein neues Lebensjahr anbrach, aber bis dahin musste ich noch irgendwie wach blieben.
      Schmunzelnd stupste Niklas mich an, als mir erneut die Augen zuklappten: “Nicht einschlafen, Engelchen.”
      “Ich bemühe mich nach Kräften”, murmelte ich und blinzelte angestrengt. Im Gegensatz zu mir, schienen die anderen noch putzmunter zu sein. Bei Juli und Samu wunderte mich das wenig, immerhin hatten die beiden Urlaube und vermutlich auch deutlich mehr Schlaf als alle anderen in diesem Raum. Die nächsten Minuten schienen nur so da hinzuschleichen, bis um kurz vor Mitternacht Juliett aktiv wurde und begann durch den Raum zu wuseln. Irgendwoher holte sie auf einmal eine Flasche Sekt, welche sie auf Gläser verteilte und jedem eins in die Hand drückte, die Gegenwehr derer, die noch fahren mussten, war ihr dabei ziemlich egal. Pünktlich um Mitternacht stimmte sie Happy Birthday an, sogar auf Schwedisch. Soweit hätte ich nicht mitgedacht. Nach Ende des Liedes stießen wir gemeinsam auf Samu an. Auf einmal fühlte ich mich wieder wach, freute mich für Samu das er Geburtstag hatte, freute mich für ihn und Enya, erfreute mich einfach an dem Moment. Am liebsten hätte ich ihn sofort geknuddelt, aber ich ließ natürlich seiner Freundin den Vortritt.
      “Kiitos, että sait olla ystäväsi 9 vuoden ajan ja toivon, että siitä tulee vielä vähintään 9 vuotta. Toivotan sinulle kaikkea hyvää uudelle vuodelle, toivon, että löydät onnen yhdessä Enyan kanssa. Hyvää syntymäpäivää, Samu. (Danke, dass ich dich seit 9 Jahren als Freund haben darf und ich hoffe, es werden noch mindestens 9 weitere Jahre werden. Ich wünsche dir alles Beste für dein neues Lebensjahr, wünsche mir, dass du zusammen mit Enya dein Glück findest. Alles Gute zum Geburtstag, Samu)”, gratulierte ich Samu euphorisch und umarmte ihn fest. Ich hätte noch ungefähr eine Milliarde Dinge mehr sagen können, beschränkte mich aber auf das wichtigste. Einiges von dem, was ich hätte sagen wollen, war Inhalt seines Geschenkes und das wollte ich nicht vorwegnehmen. Da ich allerdings nicht damit gerechnet hatte, dass er zu seinem Geburtstag hier sei, würde ich auf die Reaktion wohl leider noch ein wenig warten müssen.
      Selbstverständlich gratulierten auch Niklas und Juliett, logischerweise zurückhaltender als ich es tat, bevor der Kuchen angeschnitten wurde. Juli hatte sich mit dem Kuchen alle Mühe gegeben und bei seinem Anblick wurde mir auch klar, wofür das ganze Zeug im Kühlschrank war. Augenscheinlich backte Juli einen simplen aber wunderschönen Drip Cake. Obenauf waren in Schokolade getauchte Erdbeeren, Kerzen waren aufgrund des Platzmangels allerdings nicht darauf. Die fehlenden Kerzen würden Samu nicht stören, mit Geburtstagstraditionen nahm er nicht ganz so genau. Der Kuchen schmeckte genauso vorzüglich wie er aussah.
      Schon bald nach dem Kuchen brachen Enya und Samu auf. Die beiden hatten wohl nicht den aller kürzesten Heimweg, außerdem hatte für Enya wohl letzte Woche die Uni wieder angefangen und pflichtbewusst wollte sie ihre Vorlesung nicht verpassen, zumindest war das der Grund, den sie vorschoben. So wie die beiden sich ansahen, war mir sicher, es gab auch noch einen anderen Grund.
      Wehmütig musste ich leider auch Niklas nach Hause gehen lassen, ich hätte ihn gerne mehr als ein paar flüchtige Stunden bei mir gehabt. Ich liebte das Gefühl, was er in mir auslöste, bekam immer noch Herzklopfen, wenn er den Raum betrat. Bei ihm fühlte ich mich so unendlich wohl, das ist einfach unbeschreiblich…
      “Hallo, Erde an Lina”, holte mich meine Schwester aus meinen Gedanken. “Mach dich mal nützlich, du kannst auch gleich im Bett noch weiterträumen”, lachte sie. Juli hielt es für nötig jetzt noch aufzuräumen. Ich für meinen Teil hielt das für relativ unnötig, schließlich würde man nach einer Runde schlaf auch noch aufräumen können. Statt unnötige Diskussionen mit meiner Schwester anzufangen, gab ich also nach. Je schneller hier aufgeräumt war, umso eher konnte ich in mein Bett.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 76.956 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang September 2020}
      Fohlenbericht zwei von sieben.
    • Mohikanerin
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      kapitel tio | 29. Dezember 2021

      Lubumbashi // Millennial LDS // HMJ Holy // Sign of the Zodiac LDS // Enigma LDS // Götterdämmerung LDS // Waschprogramm // tc Herkir // Glymur // Forbidden Fruit LDS // Girlie

      Vriska
      Ehrlich gesagt hatte ich mir genauso mein Leben vorgestellt. Mittlerweile fuhr ich zweimal die Woche nach Kalmar zusammen mit Lubi zum Training. Freitagnachmittag stand das Gruppentraining mit Herrn Holm an, dass Herr Norsberg gerne begleitete und mit stolzer Brust erzählte, dass eine der besten sei aus der Akademi und mir diesen Platz redlich verdient hatte. Da die Turniersaison so gut wie beendet war, gab es nicht viel, worauf ich hinarbeiten konnte. Umso wichtiger wurde es, dass die Lektionen sicherer ritt und Lubi erledigte den Rest für mich. Dienstags verabredete ich mich mit Niklas, der großen Gefallen daran hatte, mir weiterhin Befehle zu geben, die ich treu meiner Persönlichkeit befolgte. Das sorgte natürlich dafür, dass wir stets das Gespräch am Hof waren und die Gerüchteküche brodelte. Aber was soll ich sagen? Ich hatte es wirklich geschafft mich emotional von ihm zu lösen und seine Ablenkung verrichtete großartige Arbeit. Er war ein toller Mann mit genauen Vorstellungen vom Leben, und von mir. Schon der bloße Gedanke an ihn sorgte für ein leichtes Kribbeln in meinen Fingern. Mit Erik hingegen wurde es still. Wir hatten uns einige Male getroffen, aber diese magische Verbindung zwischen uns schien wie durchtrennt. Ich vermisste, was wir hatten, aber klammerte mich nicht mehr panisch daran, zumindest versuchte ich mir das einzureden. Wenn ich morgens wach wurde und feststellte, dass es keine Guten Morgen Nachricht gab, wusste ich schon, dass der Kontakt eher spärlich verlaufen würde. Ich vermisste seine Nähe.
      Mein Bruder hatte die Geschäftsführung des Hofes übernommen und blühte tagtäglich darin auf. Die Klage aus England wurde mit einer unnötig hohen Summe an Geld beglichen und es lief, mehr oder weniger. Er repräsentierte weiterhin das Unternehmen, aber entschied, dass jemand anderes das Geschäftliche regeln sollte.
      Es regnete wie aus Eimern, als ich einen Blick aus der Reithalle nach draußen warf, in der ich gerade Millennial abritt. Die junge Stute hatte vor einigen Tagen ihr erstes Rennen und schlug sich wacker zwischen den ganzen Cracks. Einen Sieg gab es für sie nicht, aber die Erfahrung war so viel wichtiger als eine weitere Scherbe in der Sattelkammer. Zum Ausgleich ritt ich sie seit Anfang September ein. Mill hatte Temperament und davon nicht wenig, dennoch bemühte sie sich einen Gang runterzuschalten. Verschwitzt drehten wir unsere Runden auf der ganzen Bahn, denn das Lenken ließ noch zum Wünschen übrig.
      “Denkst du daran, dass wir nachher noch aufs Folkes Geburtstag anstoßen?”, erinnerte ich Lina daran, die gerade mit Zoi den Stall betrat. Ihr Regencape war vollkommen durchnässt und auch die braune Stute wirkte sehr unzufrieden mit der Gesamtsituation.
      “Ja, ich denke daran, also zumindest jetzt”, erwiderte sie und schob sich die nasse Kapuze vom Kopf. Seitdem ihre Schwester nicht mehr da war, fanden wir immer mehr zueinander und mittlerweile würde ich sagen, dass wir Freunde waren. Sie wusste nichts von den ganzen Gerüchten, worüber ich froh war. Schließlich waren es auch nichts mehr Gerüchte, die sie nur wieder verunsichern würden.
      “Wenn du mit Zoi fertig bist, müssen wir uns mal Holy zusammen anschauen. Die wird immer dicker, obwohl sie schon auf Diät ist”, rief ich noch über die Bande. Mill hielt laute Geräusche für weniger lustig und legte die Ohren an. Sanft strich ich ihr über den nassen schwarzen Hals.
      “Okay. Ja, das ist mir auch schon aufgefallen, ziemlich seltsam”, nickte Lina stirnrunzelnd. Ich ritt mit der Stute noch weitere Runden, bevor ich aus dem Sattel rutschte und mit beiden Beinen fest im Sand landete. Millennial schüttelte sich, versuchte ihren Kopf an mir zu reiben und konnte gar nicht schnell genug wieder zurück auf den Paddock. Immer wieder bremste ich sie beim Verlassen der Halle und legte ihr das Halfter um, dass direkt neben dem Tor hing. Zur Kostensenkung hatte mein Bruder eine grandiose Idee, die mich nur zum Kopfschütteln brachte. Am Eingang hing neben dem Halfter auch ein Hufkratzer, mit dem wir den Sand aus den Hufen entfernen sollten und danach alles mit dem Besen zurück fegen. Ein Schicksal des Sandes war es, dass Tyrell alle drei Monate eine Fuhre nachorderte, um die Höhe zu halten. Durch das Auskratzen und Zurückfegen sollte das nun verhindert werden, schauen wir mal. Ich denke nicht, dass das etwas bringen würde.
      Mills Augen fielen immer wieder zu, als sie unter dem Solarium stand und die Wärme genoss. Lina stand daneben mit Zoi und versuchte mit aller Kraft der jungen Stute die Hufe auszukratzen, doch sie stellte sich stur und belastete immer wieder das gewünschte Bein. Amüsiert betrachtete ich die Szenerie, bis mich entschloss, doch zu helfen. Energisch patschte ich mit meinem Handrücken gegen das Bein der Stute, die umgehend das Bein hob.
      “Bei ihr brauchst du nicht höflich sein, sonst verarscht sie dich weiter”, erklärte ich und half noch bei den restlichen Beinen. Lina nickte und versuchte es beim letzten Huf allein. Zoi gab nach. Zusammen liefen wir zur Sattelkammer. Sie griff auch aus der großen ein Kappzaum und durchwühlte den riesigen Deckenhalter nach einer Weidedecke für Mill. Ihre richtige Decke hing noch zum Trocknen im Heizungsraum, also musste eine andere her.
      “Die sollte passen”, sagte ich im Selbstgespräch zu mir, als ich eine dunkelgrüne Decke in der Hand hielt, die genauso groß war wie ich. Zum Tragen knüllte ich sie irgendwie zusammen und lief über die Stufen hinaus. Millennial schlief beinah unter dem roten Licht und funkelte mich mürrisch mit ihren großen blauen Augen an, als ich es ausschaltete. So gut ich konnte, schmiss ich das Ding auf die trockene Stute und bahnte mir dann weg hinaus in den Regen. Obwohl die Wege befestigt waren, rutschten wir einige Male aus, bevor wir am Paddock ankamen. Mit angelegten Ohren sah sich mich an, als wollte sie sagen ‘Muss ich jetzt wirklich hierbleiben’ und gesellte sich zu den anderen Stuten unters Dach. Enigma stupste sie freundlich an, während Götterdämmerung versuchte, ihre Position neben der braunen Stute zu verteidigen, doch Mill wusste sich zu wehren und schnappte nach ihr. Die Diskussion war damit beendet und ich rannte zurück unters Dach, um nicht noch mehr durchweicht zu werden. In der Gasse machte ich etwas Ordnung und schielte immer wieder zu Lina hinüber, die Zoi versuchte für die Arbeit zu motivieren. Doch die Stute dachte gar nicht daran, sie für voll zunehmen und lief Runde um Runde im Kreis, schlief die Füße durch den Sand und schüttelte immer wieder den Kopf. Ich fand nicht die richtigen Worte, um den beiden zu helfen.
      “Hast du nachher Lust noch einen Film zu schauen?”, ertönte es hinter mir, gefolgt von Hufschlag. Tyrell betrat zusammen mit Bruce die Stallgasse. Perplex klammerte ich mich am Besen fest und musterte sie von oben bis unten. Die Beine der Hengste waren bis zu den Knien mit Matsch belegt und vom Schweif tropfte der Regen hinunter.
      “Du kannst es auch nicht lassen, oder?”, lachte Bruce und gab seinem Bruder einen leichten Schlag in den Oberarm mit der Faust. Tyrell funkelte ihn verärgert an, aber sagte nichts.
      “Können wir gern machen”, lächelte ich und stellte den Besen zurück an seinen Platz. Dabei stupste mich Herkir an meiner Hose an, in der sich wie immer Leckerlis versteckte. Ich kramte ihm umgehend nach einem und gab auch Waschi eins. Sanft fummelte er die Belohnung von meiner Handfläche. Ich strich beiden Pferden über den nassen Hals und schaltete das Solarium an, um die Hengste zu trocknen.
      “Kannst du ein Auge auf ihn haben?”, bat Bruce mich und bewegte seinen Kopf in Richtung des Hengstes, “ich muss mal nach Jonina gucken, die mit Cissa in der Reithalle sein sollte.”
      “Natürlich”, antwortete ich und stellte mich demonstrativ zu dem Fuchs. Bruce bedankte sich und zog die Kapuze über seinen Kopf, bevor er zurück in den Regen lief, um die zur anderen Halle zu gelangen. Lina schielte zwischen durch zu uns, aber hatte die junge Stute mittlerweile dafür motivieren können, aktiver vorwärtszulaufen.
      “Wir haben noch Red Sparrow auf der Liste”, kam Tyrell überraschend wieder, nach dem er Waschi auf den Paddock gebracht hatte. Mir entging, dass wir im April eine Liste erstellten mit Filmen und Serien, die wir ansehen wollten. In der Prüfungszeit und Vorbereitung zur Reise nach Kanada wurde meine Zeit immer knapper. Außerdem fühlte ich mich nicht wohl dabei, ihm immer näherzukommen.
      “Klingt gut”, schmunzelte ich, “aber vorher ist erst mal noch Folke an der Reihe.”
      “Wo ist der eigentlich?”, erkundigte er sich.
      “Er ist mit Hedda in Linköping, sollte jedoch demnächst wieder da sein”, erzählte ich mit einem Lächeln auf den Lippen. Dann verlangte Herkir wieder meine Aufmerksamkeit. Sinnloses herumstehen gefiel ihm nur mittelmäßig. Er tänzelte auf der Stelle, versuchte in die seitliche Befestigung zu beißen und wurde nervöser, je länger nicht von der Stelle kam. Sanft strich ihm über den Nasenrücken und hielt ihm am Halfter unten. Allmählich fand er sich mit seiner Situation, konnte sogar noch etwas dösen, bevor ich ihn in seine Box brachte. Er stand zusammen Glymur in unserem Stall und freute sich endlich wieder seinen Mitstreiter zu sehen.
      „Na mein Hübscher“, begrüßte ich den Hengst, für den ich seitdem intensiven Training mit Lubi, Fruity und der Göttin kaum noch Zeit schenken konnte. Auch er entschied meine Hosentasche, als äußerst interessant zu empfinden und fummelte mit seiner Oberlippe daran herum. Herkir spitze ebenfalls die Ohren. Für beide kramte ich eins heraus und übergab sie ihnen. Intensiv strich ihn durch die mittlerweile wieder volle Mähne und das plüschige Fell. Ich hatte extra meine Handschuhe ausgezogen, um seine Wärme spüren zu können. Es tat mir in der Seele weh, ihn so zu vernachlässigen, aber ich wusste, dass ich eine Entscheidung treffen musste und die nun mal, gegen das Gangreiten sprach. Ich träumte davon mit ihm selbige Prüfungen zu reiten wie ich mit Lubi vorbereitete, konnte mir aber schon denken, dass es für reinstes Gelächter sorgen würde. Glymur war trotz seiner fünf Gänge sicher im Trab und Galopp zu reiten und sogar so weit ausgebildet, dass eine L-Klasse locker mit einer Schleife belegen könnte, doch Bruce hatte schon lachend nur mit dem Kopf geschüttelt, als ich von dem Ritt in Kanada erzählte.
      „Würdest du bitte Platz machen? Ich möchte Glymur herausholen“, sagte die neue Trainerin, die Bruce ans Wasser zog für die Reitschule.
      „Ich denke nicht“, brummte ich genervt und wurde unfreundlich zur Seite gedrückt. Sie warf mir einen scharfen Blick zu und legte dem Hengst ein deutlich zu großes Halfter an. Dann verließ sie den Stall mit hocherhobenem Kopf. Tyrell zog mich zur Seite.
      „Vriska, so geht das nicht“, ermahnte er mich.
      Ich rollte übertrieben mit den Augen.
      „Das auch nicht!“, wurde seine Stimme lauter.
      „Aber der gehört mir“, protestierte ich und wusste, dass es nicht der Wahrheit entsprach. Das bekam ich direkt bitter zu spüren.
      „Dir gehört hier rein gar nichts“, tadelte mich Tyrell weiter, „ich teile mir mit meinem Bruder die Eigentumsrechte an dem Pferd. Wir haben dir freundlicherweise Glymur zur Verfügung gestellt und nun hast du dir das teure Dressurpferd angelacht.“ Dabei nickte er mit seinem Kopf zur vorletzten Box, in der Lubi ihren Kopf heraussteckte und albern wippte. Sie streckte die Zunge heraus, nach einem teuren Dressurpferd sah sie dabei nicht aus, eher nach einem Trottel, den man auf dem Jahrmarkt geschenkt bekommen hat.
      “Schon gut”, beendete ich wehleidig die Diskussion und wand mich von ihm ab. Ich spürte, dass er mir sehr auffällig nachsah, doch ich wollte ihn gerade wirklich nicht mehr vor den Augen haben. Stattdessen suchte ich Lina auf, die vermutlich alles davon mitbekam. Sie sammelte die braune Stute gerade ein, als ich am Tor auf sie wartete.
      “Gefällt dir wohl nicht so, dass jemand anders jetzt mit Glymi arbeitete, mh?”, erfasste sie die Situation, als sie mit Zoi im Schlepptau auf mich zukam.
      “Nicht so eingebildete, blöde Kuh”, sprach ich leise, damit Tyrell uns nicht hörte, “wenn ich das Geld hätte, wäre es schon mein Pferd.” Als erhörte jemand meinen Wunsch, vibrierte mein Handy. Ich warf einen kurzen Blick darauf: 1 Message from Niklas. “Also heute Abend ist die kleine Feier?”, schrieb er. Ich antwortete mit einem kurzen ‘Ja’ und steckte es zurück in die Brusttasche meiner Jacke.
      “Kann ich vollkommen nachvollziehen, ich wäre auch so drauf, ginge es um Ivy”, nickte Lina verständnisvoll.
      “Und dann kam der nicht adlige Prinz”, lachte ich aufgesetzt, “während meiner aus dem Frust heraus, sich direkt ‘nh andere sucht.” In dem Moment fiel mir ein, dass ich ihr noch gar nicht davon erzählt hatte und schämte mich für beides. Ich trat einige Schritte zur Seite, um ihr Platz machen am Anbinder. Neugierig zupfte Zoi an meinem Ärmel und bekam einen kleinen Klaps von mir, mehr als unkontrollierte Bewegung, als zur Erziehung. Ich seufzte.
      Lina hielt für einen Moment inne die Riemen des Kappzaums zu lösen und sah mich fragend an: “Soll ich fragen, was Erik angestellt hat oder willst du lieber nicht drüber reden?”
      „Ich weiß es nicht genau“, atmete ich erneut zu laut aus und ballte meine im Ärmel zur Faust, „er hat mir nichts Genaues erzählt, weil ich es nicht wollte. Alles, was ich weiß ist, dass er noch am Tag, als ich zutiefst im emotionalen Chaos versank, mit einer anderen schlief. Und als wir dann vor ein paar Tagen essen waren, meinte er, dass sich da etwas Ernstes entwickelte. Ich freue mich für ihn, aber es tut weh.“
      Zwischendrin schluckte ich immer wieder, fühlte mich schlecht dabei und noch schlechter, dass Trymr auch nicht mehr da war. Stattdessen klammerte ich mich an einem Typen, dessen Namen ich nicht kannte und womöglich die beste Chance im Leben verspielte. Ich war mir meiner Sache zu sicher, er war sich seiner Sache zu sicher und damit verloren wir beide das vermutlich wichtigste in dem Moment.
      “Das tut mir wirklich leid für dich, ich kann mir vorstellen, dass das schmerzt”, erwiderte sie mitfühlend. Lina meinte es gut, aber es war nicht wirklich das, was ich hören wollte. Dennoch lächelte ich und schniefte. Dann sah ich mich im Stall um, damit sonst keiner uns zuhörte.
      “Vielleicht”, murmelte ich, “sollte ich nachher wirklich noch zu Tyrell.”
      “Wenn du denkst, dass es dir guttut, mache es”, lächelte Lina freundlich.
      “Man”, protestierte ich laut stark und trampelte auf der Stelle herum. Zoi schreckte mit dem Kopf hoch, aber begriff im nächsten Wimpernschlag, dass ein Zwerg, wie ich es war, keine Bedrohung darstellte. Schockiert sah auch Lina mich an und setzte fort: “Du bist doch auch keine Hilfe. Weiß ich doch nicht, was mit guttut. Ich könnte vermutlich auch zu Vidar fahren und der würde sich zumindest mehr freuen.” Lachte ich zu sehr, um das es wie ein Scherz klang. Kurz dachte ich darüber nach, aber das war es wirklich nicht wert, knappe vierzig Minuten in die Höhle des Drachens zu fahren.
      “Entschuldigung”, beschwichtigen nahm Lina die Hände nach oben,” aber letzteres halte ich für eine sonderbare Idee. Noch ist nicht gesagt, dass das mit Erik und dir endgültig aus ist.”
      “Aber dann wäre wohl beides nicht ganz klug”, antwortete ich und überlegte kurz, “oder hast du Angst, dass ich deine Schwiegermutter werde?” Ich wusste, dass es nicht nur vollkommen absurd war, sondern auch geschmacklos. Doch irgendwie hatte Spaß daran, das Gespräch mit ihr zu führen, obwohl Lina ziemlich schockiert mich anblickte und nicht wusste damit umzugehen. Wir waren noch immer allein im Stall. Gegen die großen Fenster pladderte noch immer der Regen und der Wind toste an den offenen Toren vorbei. Die Pferde störte der Sturm nicht ansatzweise, doch mich beunruhigte es etwas.
      “Ähm, nein …”, sagte sie und blickte mich noch immer ein wenig verstört an, “und ob das andere unklug wäre, kann ich nicht beurteilen, weil ich keine Ahnung habe, was in deinem Kopf vor sich geht.”
      “Um dir das zu erzählen, bräuchten wir Alkohol, sonst könnte es dich ziemlich überfordern”, grinste ich. Meine Schulter lehnte an einen der Holzpfähle, rutschte ab, aber ich konnte mich noch rechtzeitig fangen. Wieder schlug das junge Pferd seinen Kopf nach oben.
      “Wenn es dich ernsthaft interessiert, kannst du zu mir kommen”, bot ich ihr beim Verlassen der Stallgasse an, “aber jetzt versuche ich erst mal Erik ein schlechtes Gewissen machen.” Dann lief ich weiter, noch rechtzeitig fiel mir noch ein, dass Niklas in wenigen Minuten da sein wollte.
      “Ach ja”, rief ich vom Tor, “dein Kerl ich gleich da.”
      Eine Antwort bekam ich nicht mehr, stattdessen blickte sie mich nur mit ihren großen Augen an. Nicht nur sie dachte gerade, dass ich verrückt sei, auch ich wusste das bereits. Aber normal kann jeder. Ich legte mir die Kapuze auf dem Kopf und rannte über den Kiesweg zu meiner Hütte. Eine Welle aus heißer, stickiger Luft kam mir entgegen, als ich die Schiebetür meiner Terrasse öffnete. Den Regenmantel warf ich in die Dusche und wechselte zunächst meine Kleidung. Da die Pferde bei dem Sturm nicht auf die Weiden sollten, gab es auch nichts weiter zu tun. Frisch umgezogen, ließ ich mich auf die weiche Couch fallen und konnte es eigentlich nicht abwarten, schlafen zu gehen und am nächsten Tag von vorne zu beginnen. Ein Tag sah bei mir seit Wochen sehr ähnlich aus: Ich stand auf, zog mich an, trank einen Kaffee und arbeitete mit drei Pferden, bevor ich mich an die Boxen machte und dann mit zwei Jungpferden fortsetzte. Danach variierte es, welche Pferde meine Aufmerksamkeit verlangten oder ob ich in die Stadt fuhr und Besorgungen machte.
      „Annäherungsversuche beim Chef machen, ja oder nein?“, schrieb meiner unbekannten Gesellschaft, die immer einen guten Rat zu schreiben hatten. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis er meine Nachricht las und am Tippen war.
      „Eigentlich ist das immer eine idiotische Idee und du bist kein Idiot, junge Dame“, antwortete er.
      „Auch nicht, wenn ihm Gefühle vollkommen egal sind?“, formulierte ich frei heraus, denn ich wusste, dass Tyrell diese Sorte Mann war.
      „Erst recht nicht dann“, kam eine weitere Antwort, bevor die nächste bereits folgte, „schließlich hast du mich dafür. Also, was hast du auf dem Herzen?“
      „Der wichtigste Unterschied zwischen ihm und dir ist aber, dass er zur Verfügung steht und du dich hinter verführerischen Nachrichten versteckst, die mit aller Wahrscheinlichkeit immer Fantasie bleiben würden“, fühlte ich mich selbstsicher und kuschelte mich zwischen den Kissen ein. Mein Handy hielt in die Luft über meinen Kopf und grinste schelmisch. Mittlerweile konnte ich gut einschätzen, was ihm auf die Palme brachte und womit sich sein Ego nicht gut fühlte. Dazu zählte ganz klar die Tatsache, dass er ungern hinter anderen Männern gestellt wurde. Ewig pulsierten die drei Punkte, bis eine Antwort auf dem Bildschirm erschien: „Ach, so ist das also? Denkst du ernsthaft, dass ich nicht in der Lage bin, dich genauso glücklich zu machen, wie ich es sage? Das würde mich stark enttäuschen und glaube mir, du möchtest nicht, dass ich enttäuscht bin.”
      Mein Lächeln wurde immer breiter, ihn anzustacheln bereitete mir große Freude. Prüfend sah ich zur Tür. Der Regen wurde immer stärker und Lina noch kommen würde, bezweifelte ich immer mehr. Für mich selbst zuckte ich mit den Schultern und schrieb dann eine Antwort: “Was wäre denn, wenn du enttäuscht bist? Schließlich ist es für mich schwer einzuschätzen, ob du dazu in der Lage bist oder nicht, schließlich wagst du es dich nicht, mich physisch zu berühren.” Als hätte er schon beim Schreiben mitgelesen, leuchteten wieder die Punkte auf.
      “Das werden wir noch sehen”, provozierte er mich.
      “Ich will dich sehen”, nervös biss ich mir auf der Unterlippe herum, hoffte innerlich darauf, dass es ihn so sehr aus der Bahn warf, dass er noch heute herkommen wusste. Doch ich wusste, dass er keinesfalls an einen Ort kommen würde, an dem sich einer von uns beiden auskannte. Wir hatten bereits darübergeschrieben, wie das erste Treffen aussehen könnte und das würde auf jeden Fall in einem Hotel sein, dass für uns beide mehrere Stunden entfernt lag.
      “Sehen würdest du mich nicht, aber spüren würde doch schon reichen”, kam es als Antwort. Mein Herz pochte immer schneller, die Adern kochten und an meinem ganzen Körper breitete sich ein Zittern aus. Vielleicht sollte ich das alles nicht zu ernst nehmen, aber der Gedanke, dass er sich mehr Mühe gab, als der Kerl, von dem ich dachte, er sei der Eine, brachte mich zum Nachdenken. Ich war zu schwach, um ihm mehr zu schreiben, doch das war gar nicht nötig, denn er setzte direkt fort: “Aktuell hätte es niemand anderes mehr verdient als du. Wenn ich ehrlich bin, pulsiert alles auch nur für dich. Mein Herz ist bei dir.”
      Ich schluckte und schloss den Chat. Dann legte ich das Handy neben mich in die Couchritze und beobachtete, wie der Regen weiterhin gegen die großen Scheiben peitschte. Es wirkte hypnotisierend. Durch meinen Kopf liefen verschiedene Szenarien, wie es laufen würde, je nachdem welche Entscheidung ich treffen würde. Vor den Fenstern verdunkelte es sich und meine Augen fielen auch immer schneller zu, bis ich panisch wach wurde und nach meinem Handy in der Ritze wühlte. Neben vier Nachrichten hatte von meinem Unbekannten, hatte auch Erik mir geschrieben.
      “Ich glaube, du musst wieder Trymr zu dir nehmen”, las ich.
      “Warum?”, tippte ich auf den Bildschirm ein. Natürlich würde ich mich sehr darüber freuen, doch am Ende des Tages schien nur dieser Hund uns noch zu verbinden, als gäbe es sonst nichts mehr.
      “Er jault nur noch und frisst kaum”, vibrierte mein Handy umgehend. Ich atmete tief durch, wäre es der richtige Moment ihm zu sagen, dass es auch mir so ging? Immer wieder flogen die Finger über die matte Anzeige, löschten alles, um dann erneut dasselbe zu tippen. Ich hatte dafür gesorgt, dass er sich distanziert und ich die Kontrolle verlor. Es lag alles an mir, nur das sollte ich mir vor Augen führen. Eine Träne tropfte auf den Bildschirm und rief ihn unbemerkt an, was ich erst Minuten später bemerkte. Ich rieb mit meinen Händen durchs Gesicht, schluchzte immer wieder ‘Warum’ und weinte weiter. Dann hörte ich ihn: “Vriska?” Vor Schreck hielt ich den Atem an, verschluckte mich dabei und schnappte panisch nach Luft. Mit meinem Handballen wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und sah in mein Handy. Erik strahlte mich mit seinem übertrieben breiten Lächeln und winkte. Das war auf allen Linien einfach nur peinlich.
      “War ich das?”, fragte ich nasal und schniefte.
      “Ja, eindeutig”, lächelte er weiter, “aber jetzt sag mir, was los ist, sonst fahre ich zu dir.”
      Es gab Gründe, warum ich es in meinem Leben mied FaceTime abzuhalten. Dazu zählte, dass man seinem Gegenüber direkt sah und vor allem das, was im Hintergrund ablief. Trymr hatte mich offensichtlich an der Stimme erkannt und sprang über die äußerst hässliche Couch direkt auf seinen Schoß. Von Eriks Gesicht war nicht mehr viel zu sehen, dafür beobachtete der Hund genau, was auf dem leuchteten Bildschirm passierte und kam mit seiner großen Nase dem Touchscreen bedrohlich nah. Ich hörte auch Fredna quengeln, die vermutlich nicht in Bett wollte, sondern lieber mit den Pferdchen spielte. Obwohl noch immer Tränen über meine Wange liefen, lachte ich.
      „Ich spreche mit dir, was ist los?“, wiederholte Erik versucht seinen Hund vom Schoß loszuwerden, doch dieser rührte sich kein Stück.
      „Ich vermisse dich“, schluchzte ich.
      „Also fahre ich jetzt los“, beschloss er energischer und Trymr sprang überzeugt auf.
      „Nein, ist schon gut. Ich komm klar“, log ich und wischte mir erneut durchs Gesicht mit meinem Handrücken.
      “Jetzt lüge mich nicht an. So wie du aussiehst, kommst du nicht klar”, sagte Erik bedenklich und fuhr sich durch das offene Haar. Ihn nicht im Anzug zu sehen, war ein ungewöhnlicher Anblick, aber keiner, der mich an ihm zweifeln ließ.
      “Na gut”, murmelte ich und setzte mich ordentlicher auf das Sofakissen, “aber du musst nicht herkommen, möchte dich nicht belasten.”
      Erik begann zu Lachen und schüttelte den Kopf.
      “Dafür ist es reichlich spät. Also wie lange willst du noch diskutieren? So oder so mache ich mich gleich auf dem Weg”, erklärte er. Leider handelte es sich nicht mehr um einen Weg von vier Stunden, die er vor sich haben würde, um herzukommen, stattdessen waren es knappe dreißig Minuten, denn er zog vor zwei Wochen in ein Haus mit seiner Schwester am Rand von Kalmar.
      “Wenn es dich glücklich macht”, raunte ich.
      “Ja”, sagte Erik beschlossen, “aber ich ziehe mich erst mal ordentlich an.”
      “Nein”, rief ich sofort. Verwundert blickte er mich an.
      “Ich möchte nicht die Einzige in Jogginghose sein”, fügte ich noch hinzu.
      “Bis du mich in Jogginghose siehst, muss die Welt untergehen”, lachte er und bewegte das Handy nach unten. Erleichtert atmete ich aus, denn er trug eine Hose, eine Anzughose – wer hätte das nur denken können.
      “Dann bleib, wo du bist, ich packe deinen Freund ein und komme vorbei. Aber holst du mich dann mit einem Schirm vom Parkplatz ab?”, fragte er und stand auf. Aus dem Hintergrund ertönte:
      > Vart är du på väg nu? Har du tittat på din klocka?
      ”Wo willst du denn jetzt noch hin? Hast du mal auf die Uhr geschaut?)” Seine Schwester war von Anfang an ziemlich schlecht auf mich zu sprechen. Erik antwortete entschlossen:
      > Jag ska träffa min ängel och kommer inte tillbaka förrän i morgon.
      ”Ich fahre zu meinem Engel und komme erst morgen wieder.” Wieder stoppte mein Atem kurz. Hatte ich das gerade richtig gehört, oder verzog sein Dialekt wieder einmal die Worte.
      > Vriska, jag går nu.
      „Vriska, ich fahre jetzt los”, lächelte er und legte auf. Verkrampft hielt ich noch mein Handy in der Hand, starrte in dieselbe Richtung. Es half wirklich mit Menschen einfach darüber zu sprechen, was man wollte, anstatt es in sich hineinzufressen.
      Nervös tigerte die Wohnung auf und ab, es herrschte hier nicht nur das reinste Chaos, sondern es standen auch überall benutzte Teller und Kaffeetassen herum, die eigentlich in der vergangenen Woche bereits abgewaschen werden hätte sollen. Stattdessen stand alles hier herum.
      Zittrig nahm ich wieder mein Handy und sagte Lina Bescheid, dass ich entweder alles richtig gemacht habe, oder mich in das nächste Chaos katapultierte: “Ähm, Erik kommt gleich. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist.” Dann atmete ich tief ein und wieder aus, steckte mein Handy weg und versuchte in der verbleibenden Zeit zumindest minimale Ordnung hineinzubringen. Nicht zu vergessen, dass wir in circa einer Stunde noch Folkes Geburtstag feiern wollten und ich nicht so genau wusste, wie erwünscht weiterer Besuch war. Es dauerte nicht lange bis eine Antwort von Lina kam: “Wenn er jetzt noch extra herkommt, scheint es als würdest du es brauchen, das wird schon.”
      Meine Finger zitterten, als ich fest umschlossen mich am Handy klammerte und immer wieder die Nachricht mit meinen Augen überflog. ‚Als würdest du es brauchen‘, verbiss sich wie ein wütender Terrier in mir. Vielleicht konnte ich mir einfach nicht eingestehen glücklich zu sein und zu schätzen, was ich hatte. Es war ein Auf und Ab, dass ich stets versuchte zu bändigen.
      „Ich glaube, dass ihn liebe und es mir nicht eingestehen will“, schrieb ich Lina nach reichlicher Überlegung. Eigentlich hatte sie immer einen Rat, oder zumindest unterstützende Worte. So hoffte ich auch diesmal das Richtige von ihr zu hören. Nervös starrte ich auf den Bildschirm, aber sie kam einfach nicht mehr online. Einmal mehr wünschte ich mir, dass Niklas nicht existieren würde oder Jenni noch meiner Seite, denn auch sie wüsste mich nun zu bändigen. Verzweifelt tippte ich eine Nachricht an meinen Unbekannten, auch wenn das vermutlich die Stimmung für immer über den Haufen warf.
      „Du bist ein Mann, ein guter sogar. So ein wenig kennst du die Vorgeschichte und glaube, dass da mehr zwischen ihm und mir ist, zumindest fühle ich etwas, das vorher noch nie so mein Leben steuerte, mich in Bedrängnis brachte und mich nicht mehr klar denken ließ. Würdest du das erfahren wollen oder sollte ich lieber nicht mit ihm sprechen?“, tippte ich und drückte auf den blauen Pfeil zum Absenden der Nachricht. Im selben Moment trudelte auch endlich eine Antwort von Lina ein: “Schon allein, dass du mir diese Nachricht schreibst, sagt mir, dass da definitiv etwas ist. Ich weiß selbst, Gefühle zu akzeptieren ist nicht immer einfach, aber gehe nicht so verkopft an die Sache heranzugehen. Versuche einfach auf körperlicher Ebene zu fühlen, ohne zu bewerten. Lass dich von deinem Herzen leiten und akzeptiere, was du fühlst. Um mir Gefühle einzugestehen, hilft es mir persönlich häufig, wenn ich das Gefühl visualisiere, oder aufzuschreiben wie ich mich fühle, zu ergründen, wo es herkommt und warum ich mich so fühle. Habe keine Angst davor und denke stets daran, jemanden zu lieben ist schön und geliebt zu werden noch viel schöner. Ich weiß, dass du es zulassen kannst, du musst nur noch selbst daran glauben.” Kein Wunder, dass sie bei so einem Roman einen Augenblick länger benötigte zum Antworten. Zwischen den Tränen funkelte auf meinen Lippen ein Lächeln auf, „danke“, hauchte ich nur ins Leere meines Zimmers und stellte die benutzten Tassen in die Spülmaschine. Den Wäschehaufen verstaute ich in dem dazugehörigen Korb. Zumindest sah die Hütte nun weniger chaotisch aus. Da Eriks Auto im Vergleich zu Niklas‘ ziemlich laute Geräusche machte, entging es meinen Ohren nicht, dass er langsam über den Kiesweg zum Parkplatz einfuhr. Ein letzter Blick auf mein Handy verriet mir, dass auch mein Unbekannter eine Antwort parat hatte.
      „Dann solltest du es ihm sagen, es bringt nichts, wenn du dich wochenlang oder Monate damit quälst. Also erzähle mir später davon“, las ich, schnappte mir den Regenschirm und steckte das Handy weg. Bis zum Parkplatz waren es nur einige Meter, die jedoch reichten, um meine Reitschuhe vollkommen zu durchnässen. Mit Wasser in den Sohlen platschte ich weiter und hielt vor seinem Auto an. Lachend schielt Erik zu mir hoch und Trymr steckte seinen Kopf in die vordere Sitzreihe. Dann öffnete er langsam die Tür und nahm den Schirm schützend über sich. Unbeholfen stand ich daneben, wusste nicht genau, wie ich ihn begrüßen sollte. Sonst umarmten wir uns immer, doch heute fühlte es sich seltsam ab. Dann lies Erik zunächst den Hund ins Freie, der direkt zu mir rannte, quietschte und jaulte. An den Pfoten trug er etwas, dass ich als Schuhe bezeichnen würde und über dem ganzen Körper einen gelben, regenabweisende Pyjama. Willkürlich begann ich zu lachen.
      „Er soll doch auch nicht nass werden“, zuckte Erik mit den Schultern und zog mich am Kopf zu sich heran. Der sonst so stechende und ätzende Geruch seines Aftershaves wurde durch etwas Freundliches ausgetauscht, dass deutlich besser zu ihm passte. Auch ich legte dann meine Arme um seinen Oberkörper und drückte mich einfach nur fest.
      „Danke, dass du da bist“, raunte ich. Sanft strich er mir durch mein wüstes Haar.
      „Für dich immer, Engelchen“, lächelte er. Mir wurden die Knie weich, klammerte mich weiter an ihm unter dem Mantel an seinen Oberkörper und spürte, dass seine Muskeln zuckte bei jeder meiner Bewegung.
      “Lass uns drin weitermachen”, zog Erik mein Kinn nach oben, dass ihn ansehen musste, „hier ist eklig.“
      Ich nickte langsam. Aus dem Kofferraum nahm er eine große Ledertasche und zusammen liefen wir zur Hütte, eher rannten wir, denn der Regen wurde immer stärker und der dazugehörige Wind sprühte das Wasser unter den Schirm. An der Tür reichte ich Erik ein Handtuch für sich und den Hund, während ich die Schuhe zur eigentlichen Haustür brachte. Meistens ging es über die Schiebetür der Terrasse ins Innere meines Hauses, anstelle der eigentlichen Haustür neben der Küche.
      “Aber ich muss gleich noch mal weg, weil wir auf Folkes Geburtstag anstoßen, außer du kommst mit”, lächelte ich und schaltete die Lichterketten im Wohnzimmer ein über den Hub an der Wand.
      “Da Niklas offensichtlich da ist, nein”, schüttelte Erik entschlossen den Kopf und kramte neben einer Laptoptasche auch eine große Schüssel aus seiner Tasche, die ich direkt im Kühlschrank verstaute. Trymr hüpfte mir um die Füße und wollte so gernhaben, was ich trug.
      “Senare (später)”, hauchte ich dem Ungetüm zu. Mit großen Augen sah er an mir hoch, wollte nicht so recht akzeptieren auf sein Futter warten zu müssen. Je länger ich zu ihm heruntersah, umso größer schien das Funkeln in seinen Augen zu werden und sein Schwanz wischte energischer den Boden.
      “Erik, dein Hund stirbt gleich vor Hunger”, sagte ich mitfühlend und strich dem armen Tier über dem Kopf. Er drückte sich fest an mich heran, ehe er auf dem Rücken lag und den Bauch gekrault haben wollte.
      “So schnell stirbt es sich nicht”, lachte Erik und sah über die Lehne der Couch hinweg zu uns, “und wenn hier einer stirbt, dann bist du es, wenn du nicht herkommst.” Oh, was? Schnellen Schrittes stürzte ich mich über die Rückenlehne und wurde umgehend getadelt. Verlegen wich ich seinem stechenden Blick aus, starrte im Wechsel zur Decke und meinen Füßen, die ich überkreuzt auf dem Sitzkissen hatte. Wieder legte Erik seine Hand an mein Kinn. Es fühlte sich wieder so vertraut an, ihn bei mir zu haben, als hätte es die ganzen Vorfälle nicht gegeben, die zwischen uns lagen. Dabei wusste ich nicht einmal, wie es ihm damit ging. Immer heulte ich herum, nahm überhaupt keine Rücksicht auf seine Gefühle und hoffte darauf, dass er mit mir darüber sprechen würde, wenn ihm etwas missfiel. Aus dem Augenwinkel heraus musterte ich ihn heimlich und mir gefiel, was ich sah. Erik trug ein einfarbiges weißes Shirt und eine braun karierte Anzughose, die unnötigerweise mit einem Gürtel an seinem Becken saß. Die dunklen Härchen an seinen Armen stellten sich auf, als ich ihn grundlos in die Wange pikste und sagte: “Boop.” Langsam bewegten sich seine Augen meine Richtung und er warf mir ein strahlendes Lächeln zu.
      “Möchte da etwa jemand Aufmerksamkeit?”, grinste Erik und lehnte sich tiefer in die Rückenkissen.
      “Wir werden wohl kaum bis morgen früh auf der Couch sitzen und den Regen beobachten, wie er gegen die Scheiben plätschert”, erkundigte ich mich forsch.
      “Ach nicht? Ich finde es eigentlich ganz schön”, sagte er munter und legte seine Hand auf meinem Oberschenkel ab. Nervös schluckte ich. Mein Herz klopfte wie wild, bei Linas Nachricht im Hinterkopf, dass ich mich darauf einlassen sollte. Ich schielte zur Uhr an der Wand, langsam wurde es Zeit, dass ich zur Halle ging, um mit den anderen auf Folke anzustoßen.
      “Du verwirrst mich”, sprang ich aufgeregt auf, “doch jetzt muss ich kurz rüber.” Im Schlafzimmer warf ich mir ein anderes Oberteil über und suchte nach dem kleinen Paket, das ich für ihn vorbereitet hatte. Als ich vor einigen Wochen mit Niklas noch kurz in der Stadt war, fand ich die richtige Tasse für ihn. Ständig nahm sich jemand aus dem Aufenthaltsraum seine, worüber Folke sich lautstark Unmut machte.
      „Wieso verwirre ich dich?“, tauchte Erik unverhofft neben mir auf, grinste frech und zog sein Oberteil aus. Kopfschüttelnd stand ich wie angewurzelt an der Tür meines deckenhohen Kleiderschranks und musterte ihn wieder einmal von oben bis unten.
      „Weil“, stammelte ich, “deswegen.” Gestikulierte ich wild in der Luft herum und formte dabei imaginär seinen Körper. Er lachte nur, schien das ganze weiterhin für einen ziemlich guten Witz zu halten. Doch in mir zog sich alles zusammen, Hitze stieg mir in den Wangen herauf und langsam konnte ich mich wirklich nicht mehr davor verstecken, was ich noch immer fühlte. Tief atmete ich ein und auch wieder aus. Mit kleinen Schritten nährte ich mich ihm und wusste nicht genau wohin mit meinen Händen, was macht man sonst mit denen? Die hingen so sinnlos an meinem Körper herum, schwitzten wie wild und ballten sich immer wieder zu Faust. Auch meine Knie wurden immer weicher und mein Magen schlug weiterhin Purzelbäume. Mir wurde heiß, kalt und schlecht gleichzeitig. War es schon immer so warm in meiner Hütte, oder musste ich ihm die Schuld dafür zuschieben? Ich schloss die Augen und hoffte darauf, plötzlich im Konferenzraum aufzutauchen und Folke zu seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag zu gratulieren, dabei neben Lina zu stehen und irgendwelche blöden Scherze zu machen. Stattdessen erblickten meine Augen nur Eriks Gesicht, bedrohlich nah an meinem. Offenbar hatte mich, mein Weg wirklich zu ihm geführt und ich spürte seine ebenfalls schwitzige und warme Haut an meinen Händen. Langsam strich ich an seinem seitlichen Bauch entlang, wodurch in mir alles noch stärker kribbelte und gar nicht mehr aufhörte, mir den Verstand zu vernebeln. Ich schluckte wieder.
      “Solltest du nicht endlich Klartext sprechen?”, hob Erik seine Brauen nach oben und lächelte noch immer viel zu selbstsicher, um ihn weiterhin etwas vorzumachen.
      “Ich muss wirklich rüber”, stotterte ich. Es blieben noch mehr als zwanzig Minuten, bis auch der große Zeiger die Zwölf erreichte mit dem kleinen zusammen, aber ich fühlte mich gerade viel mehr als nicht wohl.
      “Man hat mir mein Pony weggenommen”, senkte ich den Kopf. Erik legte seine Hände an meine Schulter und drückte mich minimal von sich weg.
      “Warte”, schüttelte er verwirrt den Kopf, “damit habe ich nicht gerechnet.”
      “Du wolltest wissen, was los ist. Glymur wird jetzt von der Neuen umsorgt, die mich immer mehr von ihm losreißt”, seufzte ich.
      “Ach so, Stimmt. Das hatte ich gefragt”, murmelte er und kratzte sich am Kopf. Kurz sah er auf sein Handy und sagte dann: “Das klingt nach einer schwierigen Situation, wie kann ich dir helfen? Möchtest du, dass ich ihn kaufe oder was stellst du dir vor?”
      “Nein, auf keinen Fall, dann bist du arm und kannst dir nicht mal den Treibstoff deines Autos leisten”, lachte ich und wurde umgehend finster von ihm angeblickt. Noch bevor ich weitersprechen konnte, zischte er: “Wenn ich was will, dann bekomme ich es, schließlich muss man es sich auszahlen lassen vom Vater vernachlässigt zu werden.”
      “Wenn das so einfach wäre, dann könnte ich auch so verschwenderisch mit Geld umgehen”, rollte ich mit den Augen und hatte wirklich die Tatsachen in meinem Kopf verdrängt, dass er auch ziemlich verwöhnt wurde und unnötigerweise mit Geld um sich würft, als gäbe es kein Morgen.
      “Ich denke nicht, dass wir jetzt darüber diskutieren sollten”, verzog er verächtlich seine Mundwinkel, aber löste seinen stechenden Blick nicht von mir.
      “Es tut mir leid”, entschied ich zu antworten, was umgehend seinen Gesichtsausdruck wieder veränderte, “Ich wollte nur mit jemanden über Glymur sprechen, damit ich besser mit der Situation umgehen kann. Mehr erwarte ich nicht von dir, außer dass du für mich da bist.” Wieder schielten meine Augen zur Uhr, noch zwölf Minuten, bis wir auf den Geburtstag anstoßen wollten.
      “Hast du mir auch noch etwas zu sagen?”, erkundigte ich mich, eher erwartungsvoll, dass ich mich nicht öffnen musste.
      “Gerade nicht, nein. Finde es nur nicht in Ordnung, dass ich wegen des Pferdes hergekommen bin”, überlegte er, “das hättest du wirklich am Telefon sagen können, oder mir schreiben.” Das schmerzte tief im Herzen.
      “Aber ich wollte, dass du herkommst”, schämte ich mich, dass er Glymur als ein einfaches Pferd abstempelte und ihn für ersetzbar hielt. Ich musste jedoch einsehen, dass die Verbindung zu einem solch kraftvollen und majestätischen Tier für Außenstehende oft unbegründet wirkte.
      “Damit kommen wir der Sache doch langsam näher”, schmunzelte er schmutzig.
      “Egal was du noch hören willst, ich gehe nun zum Geburtstag, wir sehen uns gleich wieder”, strich ihm über die Brust und gab ihm einen flüchten Kuss auf die Wange.
      “Vivi, warte”, sagte er noch überraschend, als ich an der Tür stand, mit dem Geschenk unter dem Arm und mir die Regenjacke übergeworfen hatte. Abrupt blieb ich stehen und drückte die Tür wieder ins Schloss.
      “Ich komme doch mit, wenn es für dich in Ordnung ist”, schnappte er sich ein Hemd aus seiner Tasche und knöpfte des bis zum Hals zu, richtete den Kragen und folgte mir.
      “Na gut, gern”, lächelte ich glücklich und gab ihm den Schirm. Zusammen kämpften wir uns durch den Sturm und kamen mehr oder weniger trocken im Stall an. Durch die Fenster des Hauses leuchteten bunte Lichter und der Bass vibrierte auf dem Boden. Zusammen liefen wir die Treppen hinauf. Je näher wir der Tür kamen, umso sicherer fühlte ich mich. Meine Jacke streifte ich ab und hängte sie an den Haken im Flur. Der Regen tropfte vom glatten Material auf den Teppich, der komischerweise überall in den Räumen des Versammlungsgebäudes verlegt war. Ich zögerte, als ich meine Hand auf der Klinke hatte.
      “Willst du nicht hereingehen?”, fragte Erik überrascht und legte den Kopf leicht schräg, ohne seinen Blick von mir zu wenden.
      “Ich”, stammelte ich wieder unbeholfen, “ich muss vorher noch etwas klären.” Ehrfürchtig sah ich hoch zu ihm und atmete tief durch.
      “Und was?”, kratzte er sich am Kinn.
      “Du hast gesagt, dass das mit der was Ernstes ist”, vergewisserte ich mich nervös.
      “Ja, aber nein”, gab er zu und atmete selbst tief durch, “Ich wollte dich damit nur provozieren, um endlich ehrlich zu sein.”
      “Du bist ein Arsch”, antwortete ich entsetzt und wollte ihn weiter fertig machen, doch er holte mich durch eine einfache Berührung an meiner Hand zurück. Seine Augen funkelten auf einmal so sehr, dass ich mich fragte, ob er schon immer mich so ansah.
      “Ich habe meine Gefühle für dich die ganze Zeit verdrängt, weil ich Angst habe, dich immer wieder zu verletzten. Aber ich bin vermutlich in dich verliebt und will nichts mehr als dich zurückhaben”, ratterte ich herunter ohne Luft zu holen. Auch jetzt wagte ich nicht einen weiteren Atemzug zu nehmen.
      “Wir reden nachher weiter”, hauchte er in mein Ohr und öffnete die Tür. Na toll, jetzt sprach ich darüber, was ich fühlte und er verschob das Gespräch auf einen späteren Zeitpunkt? Das war unfair, aber im Raum freuten sich die Leute, für meinen Geschmack, viel zu sehr mich zu sehen.
      “Da bist du endlich”, umarmte mich Hedda überschwänglich und musterte meine Begleitung.
      “Wie schleppst du denn schon wieder mit dir herum, ich dachte, dass das zu Ende ist”, flüsterte sie mir zu.
      “Es ist kompliziert, habe ich dir doch schon erklärt”, zischte ich verärgert.
      “Ja, ja. Und gleich erklärst du mir, dass ich zu jung bin, um das zu verstehen”, rollte Hedda mit den Augen und lachte dreckig.
      “Ne, so was sage ich nicht, aber du verstehst es trotzdem nicht, weil ich selbst nicht tue”, antwortete ich kläglich. Endlich verschwand sie wieder zu ihrem Bruder. Erleichterte atmete ich aus und griff entschlossen nach Eriks Hand, um von dem kleinen Buffet an der Wand ein Getränk zu holen. Er blickte auf meinen Annäherungsversuch und sagte: “Ach ja? So ist das also?”
      “Pff”, rollte ich übertrieben mit den Augen und versuchte mich wieder zu lösen, aber er klammerte sich an mir fest, “offensichtlich, ja.” Für Zuschauer könnte das ziemlich übertrieben kitschig wirken, doch ich hatte meinen Spaß daran. Bewaffnet mit einem Getränk starrten wir zur Uhr, die sich in Sekunden schneller der Zwölf nährte und alle plötzlich begannen zu zählen. Nur ich schielte zu Lina und Niklas hinüber, die uns auch schon entdeckt hatten, aber auf ihrer Stelle wie angewurzelt stehen blieben.
      Auf die Sekunde genau stimmten wir das Geburtstagslied an und gratulierten ihm herzlich. Folke stand mit seiner Freundin an der Seite, lief rot an und konnte nicht wirklich mit unserer Freundlichkeit umgehen. Ich ließ Erik an Ort und Stelle stehen, lief zu meinem Arbeitskollegen und übergab ihm das Päckchen. Überrascht riss er das Papier ab und bestaunte die Tasse.
      “Endlich”, lachte er. Das Besondere an dem Geschenk war, dass sie einen Fingerabdrucksensor hatte und nur dadurch verwendbar war. Effektiv nutzen konnte man das Teil bestimmt nicht, aber die Idee war dennoch lustig. Dennoch konnte so niemand das Gefäß benutzen, denn sie war verschlossen, bis der Finger erkannt wurde. Der Verkäufer erklärte mir noch, dass dadurch die Flüssigkeit auch länger warm blieb.
      “Vriska, danke dir”, umarmte er mich glücklich und auch Eorann lachte. Lina gesellte sich nun auch dazu, um herzlich zu gratulieren, bevor sie sich neben mich stellte.
      “Du warst ja ziemlich knapp erst hier. Bist du der Lösung deines Problems nähergekommen?”, raunte sie mir neugierig zu und schielte zu besagtem Mann, der noch immer dort stand, wo ich ihn stehen ließ.
      „Ich weiß es nicht genau“, stammelte ich besorgt, „also ich denke ja, aber seine Antwort war, dass wir später darüber sprechen. Vielleicht sollte ich dazu sagen, dass es mich erst knapp vor fünf Minuten dazu entschloss, es zu sagen. Nachdem er Glymur als ein Pferd wie jedes andere abstempelte.“ Das Glas in meiner Hand zitterte vor Aufregung, erst recht als Niklas dann auch dazu kam und nicht mehr sagte, als mich streng anzublicken. Ja, ich hatte ihm versprochen nichts mehr Alkoholisches zu mir zu nehmen, da meine letzte Ekstase bei einer kleinen Runde am Hof ziemlich ausuferte, wovon aber Lina noch nichts wusste und sonst eigentlich auch niemand.
      “Ein Pferd wie jedes andere? Hat er nicht gesagt”, hinterfragte sie verständnislos, “aber mach dich jetzt nicht verrückt, vermutlich möchte er dir in alle Ruhe antworten und nicht zwischen Tür und Angel.” Aufmunternd legte sie mir eine Hand auf die Schulter.
      “Nein, so genau hat er das natürlich nicht gesagt. Es war viel mehr, dass er hinterfragte, warum er wegen eines Pferdes zu mir kommen sollte”, gab ich zu.
      “Das klingt nach ihm”, runzelte Niklas die Stirn.
      “Sei ruhig”, zischte ich verärgert, “aber ich versuche ruhig zu bleiben, wird schon.”
      Zynisch lächelte ich und konnte kaum glauben, dass die Worte meinen Mund verließen. Auch Lina stimmte mit ein, während ihr Freund einige Schritte zur Seite wich und sie fest an sich zog. Ich wollte mir das nicht weiter ansehen, denn in meinem Magen rumpelte es energisch. Also schluckte ich, drehte mich um und lief zu Erik, der mich schon zu erwarten schien.
      “War es das schon?”, erkundigte er sich. Ich schüttelte den Kopf.
      “Ich muss noch kurz zu meinem Chef, dass ich doch keine Zeit habe”, erklärte ich.
      Er stand zusammen mit seinem Bruder am Buffet und hielt ein Gespräch ab mit der neuen und meinem Bruder. Die vier so vertraut miteinander zu sehen, verursachte weitere Zuckungen meiner Hand und die Stoppeln an meinem Körper stellten sich unangenehm auf. Sie kratzten an dem weichen Stoff meiner Hose.
      “Vivi, lässt du dich auch blicken”, lachte Harlen und musterte mich von oben bis unten. Natürlich, schließlich trug ich als einzige eine Jogginghose und in Kombination mit dem schwarzen Pullover, der eine Aufschrift auf der Brust hatte, wirkte ich nicht sehr festlich.
      “Entschuldige, ich habe auch den ganzen Tag gearbeitet und sogar mein Training abgesagt. Da brauche ich am Abend auch mal eine Ablenkung”, tadelte ich ihn. Erwartungsvoll blickte Tyrell zu mir hinüber.
      “Damit meinst du aber vermutlich nicht unseren Filmabend?”, erkundigte er sich scherzhaft, worauf ich mit einem Kopfschütteln antwortete.
      “Deswegen bin ich hier, wollte mich entschuldigen. Verschieben wir auf einen anderen Tag, okay?”, sagte ich einen Augenblick später.
      “Ach alles gut, mache dir nicht so einen Stress. Die Filme rennen nicht weg, aber wehe, du guckst sie ohne mich”, scherzte Tyrell. Erleichtert atmete ich aus.
      “Hast du dich erholt davon, dass du mit Glymur nicht arbeiten kannst?”, griff mich Jonina aus heiterem Himmel an und bekam direkt eine Ermahnung von Bruce.
      “Ja”, antwortete ich schockiert, aber versuchte mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Darauf kam zum Glück nichts mehr und ich verabschiedete mich, schließlich musste ich morgen um neun auf dem Pferd sitzen, damit ich Fruitys Trainingsplan aufrecht halten konnte.
      “Netflix and Chill?”, funkelte ich Erik an und hielt seine Hand. Wieder schnellte mein Puls nach oben und ich konnte nicht genau einschätzen, ob ein kleines Glas Wein diese Selbstsicherheit auslöste, oder die Überwindung zumindest ansatzweise ihm von meinen Gefühlen berichtet zu haben.
      “Werden wir sehen”, lachte er, “aber Netflix klingt gut.”
      Zusammen liefen wir zur Tür.
      “Vriska, warte kurz”, kam Lina angelaufen, ”was ist jetzt eigentlich mit Holy? Das haben wir vorhin ganz vergessen.”
      „Oh gut, dass du das noch sagst“, antwortete ich ein wenig überrascht und ließ Eriks Hand.
      „Zur Sicherheit holen wir noch einen Schwangerschaftstest aus dem Büro, nur um sicherzugehen“, sagte ich noch und zog mir die Jacke drüber. Irritiert sah er zwischen uns Hin und Her, bevor er überrumpelt fragte: „Soll ich mir Gedanken machen?“
      „Ach alles gut, du kannst nicht noch mal Vater werden“, lachte ich frech.
      „Mich brauchst du auch nicht so ansehen oder sehe ich aus wie ein Pferd“, fügte sie amüsiert hinzu, bevor sie mir lachend folgte durch den Flur. Erik sah uns irritiert nach. Ich konnte ihm nicht immer alles recht machen, schließlich sollte er auch mal etwas über sein Verhalten Gedanken machen. Zusammen standen wir vor der verschlossenen Tür, die nicht nur einfach gesichert war, sondern dreifach. Also gab ich die unterschiedlichen Codes auf dem Panel ein und hoffte, die richtige Reihenfolge getippt zu haben. Im nächsten Augenblick piepte es und die Tür öffnete sich.
      “Manchmal ist das alles sehr paranoid hier”, kommentierte ich und verschwand in dem großen Raum, einen Schreibtisch in Richtung des Reitplatzes ausgerichtet hatte und auf so was wie einem Podest stand. Dahinter türmten sich verschiedene Ordner in meterlangen Regalen, die Tyrell noch immer zur Sicherheit hatte. Vor dem Fenster neben dem Tisch war ein Apothekerschrank. Nach einander durchwühlte ich die Schubfächer, bis ich fand, wonach ich suchte. Triumphierend hielt ich das Päckchen in die Luft und steckte es in die Jackentasche.
      “Brauchst du sonst noch was? Ketamin?”, lachte ich.
      „Na, lass mal. Ich hatte nicht vor heute irgendwen zu entführen“, lehnte sie lachend ab.
      “Aber ich vielleicht”, überlegte ich kurz und sah in den verschlossenen Schrank in der Mitte. Aber stand dann auf, drehte mich um und verschloss das Büro wieder hinter mir. Mit Lina im Schlepptau machten wir uns auf dem Weg zum Paddock. Überraschenderweise stand Erik noch immer vor dem Konferenzraum.
      “Du hättest doch schon mal vorgehen können”, sagte ich im Vorbeigehen, aber er stoppte mich, in dem er an meinem Arm zog.
      “Wie redest du schon wieder mit mir?”, zischte er leise, damit Lina es nicht hörte. Langsam bewegten sich meine Augen nach oben. In mir bebte es, was nicht an dem Bass im Nebenraum lag.
      “Es tut mir leid”, tat ich auf unschuldig und klimperte mit meinen Augen. Ich konnte ihm nun doch noch ein verstohlenes Lächeln entlocken.
      “Entschuldigung akzeptiert”, grinste Erik und drückte seine Lippen auf meine Stirn, “aber beeile dich, ich warte im Zimmer auf dich.” Ich nickte und lief schnellen Schrittes mit Lina, die letzten Stufen herunter. Vor dem Rolltor tobte der Sturm, wirbelte die großen Tropfen durch die Luft und auch Äste flogen an uns vorbei. Dass es so ein Unwetter werden sollte, konnten nicht einmal die Wetterdienste erwarten. Schemenhaft erkannt ich im Kampf gegen das Wetter, die Stuten auf dem Paddock stehen oder viel mehr unter dem großen Unterstand. Keines der Tiere wagte es so verrückt zu sein wie wir, sich bei Orkanböen, die über das flache Eiland wehten, nur einen Zentimeter unter dem wolkenverhangenen Himmel zu bewegen.
      Holy stand schützend neben ihrer bekannten Girlie und kaute genüsslich das verbleibende Heu im Gang. Lina drückte den Lichtschalter am neben den Gittern und klirrend schaltete sich die spärliche Deckenbeleuchtung an.
      “Wenn sie wirklich trächtig sein sollte, denkst du, wie können das bei den Veranstaltern melden?”, sagte ich heiser zu Lina, die ihre Jacke vom Regen freischüttelte.
      “Mhm, das können wir sicher, aber ich weiß nicht, ob das viel bringen wird”, antwortete Lina stirnrunzelnd.
      “Aber irgendwer muss doch das Sorgerecht übernehmen”, musterte ich den runden Bauch der gescheckten Stute, “oder zumindest die Verantwortung.” Das Fohlen würde sicher noch verrückter sein als seine Mutter, die komplette Herde aufmischen und bestimmt uns alle in den emotionalen Ruin bringen.
      “Ja, da hast du schon recht, vor allem, weil dieses Fohlen sicher nicht von der ruhigen braven Sorte sein wird”, stimmte sie nachdenklich zu, “aber vielleicht sollten wir jetzt erst einmal feststellen, was Sache ist, bevor wir überlegen, wie es weitergeht.”
      “Stell dir mal vor, dass Ivy der Papa ist”, lachte ich und überlegte, wie man über so einen Test macht. Also klar, ich wusste, dass man dafür Urin benötigt, aber ich konnte schlecht das Pferd darum bitten, einfach mal in den Becher zu pinkeln. Doch glückliche Fügung kam schneller als ich dachte, denn die Tinker Stute begab sich zur Tränke und schlürfte genüsslich aus dem Wasserspender. Aus meiner Ausbildung erinnerte ich mich, dass sich durch Wasser recht schnell der Magen füllte und sich ein Fohlen dabei umlagerte. Also zog ich meine Handschuhe aus und legte meine Hände in ihr plüschiges Fell, wartete einige Zeit, bis ich plötzlich was spürte. Aufgeregt rief zu Lina: “Komm schnell.” Dabei kreischte ich viel zu sehr, als dass man mir glauben würde, dass ich riesige Abneigung gegen Schwangerschaften hatte. Natürlich war diese nur auf den Menschen bezogen, den tierische Babys konnte man gar nicht blöd finden. Interessierte kletterte Lina durch die Gitter. Ich griff eifrig nach ihren Händen und drückte sie auf die Stelle, an der sich das Fohlen bewegte.
      “Ohhh, dass das Fohlen, oder?”, fragte Lina aufgeregt und ihre Augen begannen begeistert zu leuchten. Natürlich musste es kommen, dass einer der Männer uns nicht einige Minuten allein lassen kann. Von der Seite kam Niklas dazu und ich wand meinen Blick umgehend von ihm ab, sondern strich der Stute zufrieden über den Hals.
      “Seid froh, dass ich mein Handy nicht dabeihabe. Das sieht nicht nur amüsant aus, sondern hört sich genauso an”, scherzte er und stellte sich provokant zu uns.
      “Ach schade, es wäre eigentlich schön gewesen diesen Moment festzuhalten”, grinste ich Lina an, die noch immer fasziniert den Bauch von Holy abtastete.
      “Liebling, weißt du eigentlich schon, wann die Tierärztin kommt, um Smoothie zu untersuchen?”, schien er nicht mal ansatzweise die Aufmerksamkeit auf jemand anderes zu lassen, als sich und dem was sich in seinem Kosmos befand. Ich rollte mit den Augen und blieb treu bei der Kugel stehen.
      “Ja, warte kurz”, entgegnete Lina ihrem Freund und kramte ihr Handy aus der Jacke. Das Gerät leuchtete auf, woraufhin sie zweimal darauf herumtippe.
      “Nächste Woche Dienstag um elf”, vervollständigte sie die Antwort und ließ das Gerät wieder in ihrer Tasche verschwinden.
      “Oh”, überlegte Niklas und auch meine Ohren spitzen sich, “da bin ich eigentlich mit Vriska verabredet zum Training. Aber das können wir doch verschieben auf einen anderen Tag, oder?” Ich sah kurz zu ihm, wusste genau, dass es darauf nur eine Antwort gab.
      “Ja, klar. Kein Problem”, zuckte ich mit den Schultern. Kein Problem, welch Irrsinn. Ich brauchte das Training so viel mehr, als dass er sich fünf Minuten lang Bilder auf einem Bildschirm ansah, die eventuell ein Fötus zeigten oder eben nicht. Mit zusammen gekniffen Augen sah er mich genau an, als suche er, dass ich log, aber fand es offensichtlich nicht.
      “Ich schätze, dass wir uns das hier jetzt sparen können”, sagte ich noch minimal gekränkt zu Lina und drückte ihr den Schwangerschaftstest in die Hand, stieg durch die Gitter und wünschte beiden eine gute Nacht, bevor ich mich zurück in den Sturm stürzte.
      “Ja, das war ziemlich eindeutig”, stimmte Lina zu, ”Lass dich nicht wegwehen auf dem Weg nach drinnen, Gute Nacht.”
      Zustimmend nickte ich noch, was sie wohl kaum noch sehen konnte und zog die Kapuze eng an meinen Kopf. Wild wirbelten Blätter um mich herum und flatternd blies der es in meine zu weiter Jacke. Ich fühlte mich für einen kurzen Moment so frei in der Dunkelheit, bis das Licht der Wegbeleuchtung sich in den Tropfen spiegelte und alles in Meer auf hellen Punkten verwandelte. Regen gehörte vermutlich in Alltag eines guten Briten, ohne sich davor zu ekeln oder undefinierte schlechte Gefühle auszulösen. Stattdessen erinnerte es mich an viele gute Momente, wie den Ritt mit Fruity, bei dem ich es vermutlich das erste Mal schaffte allen Mut aufzuraffen und nicht in der Scham versank. Natürlich gehörte auch Erik in diese Erinnerung, wenn es auch nur kurz die Glückseligkeit widerspiegelte. In einem Sturm wie diesen traf ich mich nach vielen Jahren mit meinem Bruder, den ich in meiner Kindheit nur selten zu Gesicht bekam. Zusammen liefen wir vollkommen geblendet an der Themse entlang und kamen irgendwann so nass in ein Geschäft, dass wir im selben Atemzug wieder den Laden verlassen mussten. Darüber amüsierten wir uns so stark, dass ich einen Laternenmast übersah und mit der Nase vorneweg dagegen lief. Mehr als eine Platzwunde an der Stirn zog ich mir bei dem kleinen Zwischenfall nicht zu, aber bis heute gehörte diese Geschichte zu einer, die mein Bruder zu gerne erzählte. Tatsächlich gab es sogar Bilder davon. Ich konnte mich glücklich schätzen ihn nun bei mir zu haben, auch wenn es zum Leid der anderen, durchaus ungemütlich werden konnte, denn Harlen war nicht gerade der freundlichste Geschäftsführer, wenn es um Kostenminimierung ging.
      “Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr”, lächelte mich Erik von der Couch aus an mit den Beinen auf dem Tisch. Auf seinem Schoß thronte sein Laptop und Trymr rannte vergnügt zur Tür, jaulte mich glücklich an.
      “Es tut mir leid, wir mussten Babybauch bewundern”, zog ich die klebrige Regenjacke vorsichtig aus, um nicht die Holzdielen in der Hütte zu beschädigen. Er klappte sein Gerät zu und legte ihn auf dem Tisch ab. Dann kam er einige Meter auf mich zu.
      “Freut mich zu hören, dein Pferd?”, erkundigte Erik sich und beobachtete, wie ich ein Kleidungsstück nach dem anderen auf der Fußmatte ablegte. Tatsächlich schaffte es der Regen mich bis auf die Unterwäsche zu durchnässen, obwohl es sich bei dem Weg vom Paddock bis zum Haus, um gerade mal fünfzig Meter handelte, wenn man zwischen den Weiden hindurchlief.
      “Ich habe kein Pferd”, erinnerte ich ihn. Er nickte missmutig und ich hob alles auf, um es im Badezimmer in der Dusche aufzuhängen. Mir wurde kalt trotz der paradiesischen Temperaturen hier im Inneren. Auf Schritt und Tritt folgten mir die beiden Kerle, als hätte ich Zucker in den mehr vorhandenen Taschen.
      “Habe ich etwas verpasst, oder darf ich mich nicht einmal mehr umziehen?”, versuchte ich ihn daran zu erinnern, dass ich alt genug war, das allein zu schaffen.
      “Was ist, wenn ich dir sagen, dass du so bleiben sollst?”, zog Erik seine Brauen nach oben und hielt seine Hände verdächtig nah an meinem Körper, um das ich mir keine Hoffnungen machte auf mehr.
      “Dann muss ich dich enttäuschen, denn mir ist super kalt”, folgten meinen Augen sehr genau, was er vorhatte. Zwei weitere Schritte setzte er auf mich zu und drückte mich an der Hüfte fest an sich heran. Gejagt von einer Gefühlsexplosion zur nächsten stieg Hitze in mir hinauf. Seine warmen Hände fühlten sich wie Feuer an, das mich immer weiter verbrennen ließ und mich quälte. Tief atmete ich ein und mindestens doppelt so lange wieder aus, bevor ich den Augenblick fassen konnte.
      “Wir wollten noch weiterreden”, kamen die Worte nur noch in Fetzen aus meinem Mund, obwohl ich mir beachtliche Mühe dabei gab, mich ordentlich zu artikulieren. Spitz grinste Erik mich an und lehnte sich ziemlich weiter nach unten, so weit, dass ich seinem Atmen auf meiner Haut spürte und sich den Haarwurzeln am ganzen Körper zum x-ten Mal aufstellten. Verlegten schluckte ich.
      “Na dann rede”, grinste er bedeutsam und folgte jeder Bewegung meiner Augen, die sich nicht scheuten, das zu begaffen, was vor mir strahlte.
      “Gleich”, verzog ich lüstern mein Gesicht und knöpfte langsam sein Hemd von oben nach unten auf, um sanft über seine Brust zu streichen und seinen Oberkörper an meinem zu spüren. Seine Hände bewegten sich von meiner Hüfte hinauf zu meinen Schultern, bevor er flink den Verschluss meines BHs öffnete und die Träger von mir streift. Ich vernahm die eigentliche Fremdheit ihm gegenüber, die mein Interesse von Anfang an weckte und neben Entdeckungslust auch Angst auslöste, doch im selben Atemzug schwang diese Vertrautheit mit, als würden wir einander auf eine besondere tiefe Art kennen, ohne es in Worte fassen zu könnten.
      “Erik?”, hauchte ich in sein Ohr und versuchte weiterhin mein Stöhnen zu unterdrücken.
      “Ich höre? Aber wie war das mit der Höflichkeit?”, zog er noch immer seine Mundwinkel nach oben und biss sich ungezwungen auf der Unterlippe herum, was sonst mein Ding war. Eigentlich wäre es so viel klüger es auf mich zukommen zu lassen, was nun noch passieren würde, aber ich konnte es nicht unkommentiert lassen.
      “Was wird das hier, wenn es fertig ist”, fragte ich unsicher und legte meine Lippen auf seinem Hals ab. Ein lustvolles rachenlastiges Ausatmen verließ seinen Mund, bevor er wieder am Kinn nach oben drückte und mich tief in seine Seele blicken ließ.
      „Ich habe einen Wunsch“, sagte er ziemlich ernst und starrte mich weiter an.
      „Und der wäre?“, raunte ich, hoffte auf das, was mir durch die Gedanken flog, jeden vereinzelten Tagen.
      “Können wir jetzt endlich einen Film gucken und nicht im Badezimmer herumstehen?”, lachte er und schob mich zur Seite. Das Blut hämmerte durch meine Adern und ich sah ihm nur mit weit geöffneten Mund nach, als er sich auf die Couch setzte und den Fernseher anschaltete. Ungläubig riss ich meine Augen auf, starrte ihn böse an und schloss die Tür hinter mir im Bad.
      “Ist das ein Nein?”, rief Erik.
      “Ganz klar”, schüttelte ich den Kopf und musste erst mal warm duschen gehen, um diese Frechheit zu verarbeiten. Viel musste ich nicht mehr ausziehen, bis mir das warme Wasser an den Haaren herunterlief, aber es nicht schaffte, mich auch der Euphorie zu entreißen, die ich noch verspürte auf meinem ganzen Körper. Es war nicht das erste Mal, dass er sich als Stimmungskiller entpuppte, doch mittlerweile konnte ich mir nicht einmal sicher sein, ob es seine Masche war, mich so an ihn zu binden. Immer wieder fluchte ich, schüttelte den Kopf und versuchte das alles von mir zu waschen. Ich rieb tatsächlich so lange, dass alte Wunden an meinen Beinen wieder aufrissen und das Wasser rot färbten. Noch lauter fluchte ich, als ich es bemerkte und das Wasser abschaltete. Zu meinem Glück waren nur noch weiße Handtücher in fassbarer Nähe, die ich dann in den Müll hauen konnte. Meine nassen Haare wickelte ich in einen dieser ein, und für den restlichen Körper stand ich so lange herum, bis ich trocken war. Da mein Handy noch in meiner Hosentasche steckte, schrieb ich in meiner Verzweiflung Lina in einer kurzen, eher undetaillierten Nachricht, was passiert war und hoffte, dass sie es besser fassen konnte als ich. Genervt blickte ich auf den leuchteten Bildschirm meines Handys, aber konnte die Spannung nicht lange aushalten und wechselte auf Instagram. Als wäre es mein Schicksal, tauchte natürlich Niklas ganz oben auf, eins von seinen tausenden Strandbildern unterstrich meine Lust auf mehr. Willkürlich starrte ich zu lange darauf, likte und wischte dann weiter nach unten. Wichtig dabei war zu sagen, dass ich nie seine Bilder likte, sondern nur kurz drauf sah und dann in der Timeline niedliche Pferdebilder bewunderte.
      “Oha, gemein dein Kerl, aber denke daran, dass er dir noch eine Antwort schuldig ist”, kam nur eine knappe, aber bestimmte Nachricht von Lina zurück.
      „Ich will immer noch mit ihm alt werden, obwohl er das bestimmt bis zu meinem Lebensende tun wird“, hämmerte ich auf dem Glas herum, sodass meine Fingernägel immer wieder laute Geräusche verursachten. Dann sperrte ich das Gerät und lief ins Schlafzimmer, um mir was drüber zu ziehen. Dass Erik mir intensiv nachsah, entging mir nicht, aber ich ignorierte sein rüpelhaftes Verhalten und versuchte mir möglichst provokante Kleidung herauszusuchen. Dabei war ich mir nicht ganz so sicher, ob knapp mit der größten Menge an Haut eine gute Wahl sein würde oder lieber mein geliebter Schlabberlook, den er nur allzu gut kannte. Von einem der Kleiderbügel strahlte mich dann wohl eins der provokantesten Stücke an, die hatte — mein Cheerleading Outfit, aber die Wahl fiel nur auf das Oberteil. Als Hose wählte ich eine schwarze Jogginghose mit einem ‚Fuck Off‘ Schriftzug. Ein letztes Mal rieb ich mit dem nassen Handtuch durch meine Haare, bis ich es wieder ins Badezimmer hängte und zur Couch schlenderte. Auf dem Weg dahin meldete sich mein Handy noch mal mit einer Nachricht von Lina: “Dann genieße mal die Zeit beim alt werden mit ihm :D
      Lachend steckte ich es zurück, ohne ihr noch eine Antwort zu geben, denn wir könnten morgen sicher bei einem Ausritt lange genug sprechen, denn über Niklas gab es sicher auch genau zu erzählen.
      „Na, was ist so lustig?“, musterte mich Erik und legte seine Hand an meinem Arm, als ich um die Couch lief, um Trymr nicht zu wecken, der vorne lag.
      „Dass ich offensichtlich mehr Gefühle für dich habe, als du mich aufbringst“, fauchte ich provokant und blieb hinter ihm stehen. Er legte seinen Kopf auf der Rückenlehne ab, blickte mich mit seinen grauen Augen an, die genauso funkelten im seichten Schein der Lichterketten und Kerzen, die Erik am Tisch angezündet hatte.
      „Und das behauptet wer genau?“, seine Stimme klang besorgt.
      „Ich, sonst würdest du mich nicht jedes Mal aufs Neue so hängen lassen“, blieb ich meinem Standpunkt, aber umfasste sanft sein Gesicht, das so einladend wirkte. Durch das fehlende Gel waren seine Haare so unglaublich weich, dass ich mich dazu zwang, nicht immer wieder darin meine Hände verschwinden zu lassen.
      „Du hast doch nicht mal gefragt, ob ich mit duschen kommen möchte“, schmollte er weiter.
      „Warum sollte ich mit dir duschen wollen?“, überlegte ich starrte hinauf zur Decke, dann fiel mir doch ein Grund ein, „na gut, du hast recht. Schließlich bist du ziemlich schmutzig heute.“
      „Ich glaube, jeder der uns gerade zuhört, wird schlecht bei so viel kitsch“, lachte er schließlich und versuchte mir mit seinen Lippen näher zu kommen, doch diesmal was ich klar im Vorteil und verteidigte meine höhere Stellung, wie ein Soldat im Krieg.
      „Wer sollte uns zuhören“, kniff ich skeptisch die Augen zusammen und ließ den Blick durch den Raum schweifen, als Erik leider nutzte, um mich an den Armen auf die Couch zu ziehen und mich im nächsten Moment dominierte, in dem er sich über mich Stützte. Mein Puls begann wieder zu rasen und seine Lippen kamen mir bedrohlich nah, dich anstatt sie auf meine zu drücken, küsste er sanft meinen Hals. Mit Wollust genoss er die Folter, der er mich aussetzte, mich ebenfalls mit Sinneslust erfüllte, bis zärtliches Stöhnen aus meinem Mund klang.
      „Ich finde das nicht fair“, ächzte ich kläglich und ich versuchte ihn möglichst behutsam von mir zu stoßen.
      „Zum Glück sind wir hier nicht bei Wünsch dir was, sondern im wahren Leben“, löste er sich von meinem Hals und sah mich wieder aus ganzer Seele an, langsam könnte er sich das blöde Grinsen sparen, denn ich wusste schon, dass sein Durchhaltevermögen größer war, als meins.
      „Dann warte ich halt, bis du fertig bist“, schloss ich entschlossen die Augen.
      „Sie“, kam es trocken über seine Lippen.
      „Na gut, dann bis Sie fertig sind“, schüttelte ich kurz den Kopf. Noch fester drückte ich meine Lider aufeinander, damit ich ihn nicht sehen könnte. Tatsächlich hatte es einen positiven Nebeneffekt, denn er ließ von mir ab und sagte: „So macht das keinen Spaß, wenn du nicht leidest.“ Ich lachte und durfte mich endlich richtig hinsetzen.
      „Aber jetzt mal im Ernst“, richtete er seine Frisur und blickte mich freundlich an, „alles, was du bisher sagtest, entsprach der Wahrheit?“ Ich musste kurz überlegen, denn ich hatte heute wirklich viel gesagt, also zumindest seitdem ich wach war, denn die Uhrzeiten schon lange nach null Uhr an und verriet im selben Zuge, dass ich bereits lange schlafen sollte. Vielleicht schlief bereits und das alles hier, war nur ein Traum? Ich kniff ihn in den Oberarm, wodurch er schmerzerfüllt aufschrie.
      „Was sollte das!“, schüttelte er den Kopf.
      „Wollte nur prüfen, ob ich wach bin“, sagte ich entschlossen.
      „Deswegen kneifst du mich?“
      „Ja.“
      Dann überdachte ich weiter meine Worte, zumindest soweit ich mich erinnern konnte.
      „Bei einer Sache entsprach es wohl nicht ganz der Wahrheit“, gab ich zu.
      „Und die wäre?“, fragte Erik neugierig nach und strich mir sanft den Arm.
      „Als Niklas vorhin fragte, ob es in Ordnung wäre, wenn wir den Termin verschieben“, überlegte ich weiter. Auffällig verdrehte er seine Augen und sagte nur: „Und warum genau, sollte mich das jetzt interessieren?“
      „Na, du hast doch gefragt, ob alles der Wahrheit entsprach“, wunderte ich mich, „oder bist du eifersüchtig?“
      „Ich meinte damit, was wir besprochen haben und ja. Mittlerweile stört es mich, wenn ich ehrlich bin, dass du immer noch so viel Zeit mit dem verbringst. Ich will dich bei mir haben und nicht so ein Möchte-gern wie er, soll mir wegnehmen, was mir gehört“, zischte er genervt. Ohne weiter nachzudenken, drückte ich meine Lippen auf seine und es fühlte sich so verdammt gut an, endlich wieder ihn vollständig bei mir zu haben. In einer unmöglich zu definierender Geschwindigkeit raste mein Puls nach oben, vernebelte mir den Verstand. Entschlossen fuhr meine Hand über seine Brust, öffnete das Hemd erneut, aber streifte es diesmal über seine Schultern ab. Er half mir dabei so gut er konnte, ohne dass sich unsere Lippen voneinander lösten. Erst als auch mein Oberteil daran glauben musste, kamen für einen Augenblick voneinander ab, das nutze ich auch dazu, auf seinen Schoß zu klettern und möglichst nah zu spüren, dass es der Wahrheit entsprach, was er sagte. Wieder trafen sich unsere Lippen noch leidenschaftlicher. Als ich in versehentlich anrief, kam noch gar nicht in den Kopf, dass wir Stunden später nur noch spärlich bekleidet auf der Couch sitzen würden und ich eine Gefühlsexplosion nach der anderen erleben würde.
      Langsam schob sich meine Hüfte immer stärker auf seinen Schoß auf ab, bis sich ein Quietschen neben mir in den Vordergrund schob. Im Begriff aufzuhören, spürte ich Eriks verschwitzen Hände in meine lockere Hose und umfassten meinen hinteren Teil und leise stöhnte ich in seinen geöffneten Mund. Doch das starrende Gefühl ließ mich nicht los, ich fühlte mich beobachtet, als stände eine Kamera neben der Pflanze in der Ecke und zeichnete das alles für die Nachwelt auf. Ich öffnete meine Augen und sah neben uns. Trymr wedelte aufgeregt mit dem Schwanz
      „Herr Löfström?“, funkelte ich ihn innig mit meinen Augen an, „mir fällt es schwer, mit dem Gedanken bei ihm zu bleiben, wenn wir beobachtet werden.“
      Er rappelte sich auf der Couch auf, aber hielt mich weiterhin fest. Dann sah er hinunter zu seinem Hund.
      „Ich schätze, dass er nun noch Essen haben wollen würde. Tut mir leid“, gab er mir einen flüchtigen Kuss und ich kletterte von ihm herunter. Erik richtete seine Hose beim Aufstehen, die nicht ganz unbefleckt erschien, als er etwas genervt in die Küche trottete und aus dem Kühlschrank die Schüssel holte. Sein Napf stand bereit auf der Theke und aufgeregt, trampelte der Hund links nach rechts, als er mit seiner Nase eindeutig Futter identifizierte. Verliebt lehnte ich über die Rückwand der Couch und beobachtete, wie liebevoll er mit dem Tier umging, obwohl seine Körpersprache nur Ärger zeigte. Ich lächelte.
      „Engelchen, ich meinte das Ernst“, wiederholte er.
      „Was genau meinst du?“, fragte ich überrascht.
      „Du sollst nur mir gehören und mit einem Großteil deiner Freunde werde ich vermutlich dich teilen können, aber nicht Niklas“, seufzte er und kniete sich zu seinem Hund.
      „Aber er ist mein Trainer und ohne ihn, kann ich nächstes Jahr keine internationalen Turniere reiten“, versuchte ich die Situation zu entschärfen, doch Erik schüttelte nur den Kopf.
      „Ihr habt doch noch mehr gute Leute am Stall. Was ist Eskil?“, hoffte er mich umzustimmen.
      „Der würde das sicher machen, aber wenn nicht“, stammelte ich und wurde unliebsam unterbrochen.
      „Frage ihn bitte, sonst suche ich dir jemanden und gebe meine letzte Öre dafür, um dir die beste Trainerin zu beschaffen, das schwöre ich“, bettelte Erik förmlich. Zustimmend nickte ich. Es hatte etwas, wieder jemanden im Leben zu haben, dem es wichtig war, was ich tat, auch wenn noch nicht ganz einschätzen konnte, wie weit das gehen würde. Vom Tisch griff ich das goldene Gerät und öffnete den Nachrichtendienst, um Niklas umgehend eine Nachricht zu schicken. Ich zögerte und schielte zwischen Bildschirm und Erik hin und her. Entschied, seinem Wunsch nachzukommen und tippte: „Hej! Es tut mir leid mitteilen zu müssen, dass wir ab sofort nicht mehr zusammen trainieren werden. Mir fällt diese Entscheidung nicht leicht, aber danke dir, wirklich! Du hast mich sehr weitergebrachte.“
      „Habe es ihm gesagt“, steckte ich mein Handy wieder weg und sah zu Erik, der erleichtert ausatmete. Die wenigen Meter zwischen uns überwand er im Handumdrehen und legte seine Hände an meinem Kopf.
      „Ich bin dir sehr dankbar, dass du keine Diskussion beginnst“, lächelte er und gab mir einen zärtlichen Kuss auf die Lippen.
      „Wenn es sonst nichts ist“, funkelte ich ihn weiter an, „dann tue ich das sehr gern. Aber leider sollten wir ins Bett, denn ich muss morgen spätestens um acht Uhr aufstehen.“
      „Okay, aber ich muss noch einige Dokumente durchsehen im Bett“, nickte Erik und holte sein Laptop vom Tisch, während schon zum Bett lief und ein Shirt aus dem Schrank wühlte, um es mir überzuwerfen. Dann strich die Hose von mir ab, legte sie ordentlich über den Stuhl und warf mich in das frisch bezogene Bett. Da meine Haare noch immer feucht waren, band ich sie in einem locker geflochtenen Zopf zusammen. Selten wirkte die frisch aufgeschüttelte Decke so verlockend wie heute, um sein Gesicht darin zu verstecken und vor Freude zu schreien, während der Regen weiterhin gegen die Scheiben prasselte.
      “Sollte ich mir Sorgen machen?”, grinste Erik und zog sich ebenfalls aus, doch so langsam, dass meine Augen jede seiner Bewegungen verfolgt, wie locker seine Muskeln zuckten.
      “Ja. Nein, brauchst du nicht”, murmelte ich abwesend, abgelenkt, nicht mehr klar, ob ich so schnell einschlafen könnte, wie ich es mir wünschte. Behutsam legte ich mich auf seiner Brust ab und strich ihm verliebt über den Arm.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 74.356 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende September 2020}
      Fohlenbericht drei von sieben.
    • Mohikanerin
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      kapitel sjutton | 22. Mai 2022

      Enigma LDS / Millennial LDS / Northumbria / Lubumbashi / Maxou / Götterdämmerung LDS
      Ours de Peluche LDS / Spök von Atomic / Nachtzug nach Stokkholm LDS / Kría von Atomic / Yumyulakk LDS / Halldór von Atomic / Vandal LDS / Arktikkfrost LDS / Anthrax Survivor LDS / Liv efter Detta LDS / CHH' Death Sentence / Kempa / tc Herkir / Skrúður / Nachtschatten / Lotti Boulevard / Krít / Magnus von Störtal / Avenue Shopper LDS


      Es könnte acht Uhr gewesen sein, als ich spürte, nicht mehr zu zweit im Bett zu liegen, oder auch nicht. Nur Trymr lag auf dem letzten Stück der Decke am Fußende. Kurz blickte ich das Tier an. Sein Schwanz wippte auf dem Stoff, verstummte jedoch, als ich mich zur anderen Seite drehte.
      Auf jeden Fall fiel irgendwann die Tür ins Schloss und später öffnete sie sich wieder. Hundepfoten auf dem Holzfußboden ertönten, abermals schlief ich ein. Erst, als Erik das Zimmer betrat, um mich zu wecken, entschied ich, dem auch nachzukommen. Obwohl ich so oft wach wurde, fühlte ich mich ungewöhnlich gut ausgeschlafen.
      “Dornröschen ist erwacht und das ganz ohne meine Hilfe”, drückte er sanft seine Lippen auf meine Stirn und strich die kleinen Haarsträhnen aus meiner Sicht.
      „Du bist also mein Prinz?“, zog ich ihm am Hemd näher an mich heran. Intensiv kitzelte der Geruch seines Aftershaves meine Nase, so stark, dass ich nieste und damit, die Hände vom halbdurchsichtigen Stoff löste. Er richtete sich an der Bettkante wieder auf.
      „Komm, Lina wartet schon“, lächelte Erik und zog mir die Decke weg. Kalte Luft huschte über meine Stoppeln an den Beinen, die sich aufstellten und jeden noch so kleine Stelle an meinem Körper übernahmen. Netterweise reicht er mir eine herumliegende Jogginghose. Dann lief er vor und folgte.
      Auf dem Küchentisch standen drei Teller, mit unterschiedlichen Tassen. Sofort vernahm ich den Geruch von frisch gemahlenen Kaffee, das musste wohl meiner sein.
      „Godmorgon“, trällerte ich.
      Lina hatte offenbar auch zu tief ins Glas geschaut. Sie klammerte sich an ihrer Teetasse und sah mit zusammengekniffenen Augen zu mir hoch.
      “Morgen”, murmelte sie und gähnte herzhaft. Ungewöhnlich, in der Regel war sie diejenige, die am Morgen vor Energie und Tatendrang sprühte. Lag es daran, dass Samu heute ebenfalls nicht da sein würde? Ich schmunzelte bei dem Gedanken und setzte mich dann neben sie. Erik stand an der Arbeitsfläche der Küche und rührte einen Teig zusammen. Den Zutaten nach könnten es Waffeln werden, oder Pfannkuchen. Anstelle von Kuhmilch stand eine beige Packung von Oatly neben der Schüssel. Im Hals spürte ich, wie mein Herz pochte und kleine Luftsprünge machte - er hatte wirklich an mich gedacht.
      „Du weißt, welches Thema nun an der Reihe ist?“, kam ich ohne große Umschweife zum Punkt.
      “Echt, weiß ich das?”, stellte sie sich doof und nahm in aller Seelenruhe einen Schluck aus ihrer dampfenden Tasse.
      “Jahaa, natürlich weißt du das!”, blieb ich beharrlich und rückte meinen Stuhl näher an sie heran. Allerdings blieb die Brünette davon vollkommen unbeeindruckt, pflückte stattdessen den Welpen vom Fußboden, der hungrig um ihre Füße strich.
      “Hast du gehört kleiner Mann, Vriska sag, ich konnte Gedankenlesen”, grinste sie das Tier an, welches ihr daraufhin nur freudig durchs Gesicht leckte.
      “Liniiii, jetzt sag schon, was hast du mit Niklas im Keller gemacht?”, drängte ich weiter und rückte ihr noch mehr auf die Pelle. Das Fellbündel auf ihrem Schoß schien das Gruppenkuscheln super zu finden, den sein Schwanz begann, in einem hektischen Rhythmus zu schwingen.
      “Hast du gerade Lini gesagt?”, blickte sie mich stirnrunzelnd von dem Welpen auf. Nicht die gewünschte Reaktion, aber immerhin hatte ich wieder ihre Aufmerksamkeit. Ich nickte bestätigend.
      “Tu das bitte nie wieder, das klingt ja schrecklich”, entgegnete sie mit deutlicher Abscheu.
      “Jetzt lenke nicht vom Thema ab”, hängte ich mich quengelnd auf ihre Schulter.
      “Naaa gut, du willst also den Verlauf meines geistigen Abends wissen?”, fragte sie noch einmal mit einem verschmitzten Grinsen. Ich nickte eifrig.
      “Und wie viel willst du wissen?”, spannte sie mich weiter auf die Folter.
      “Alles!”, kam es wie aus der Pistole geschossen aus meinem Mund.
      “Sorry, mit allen Details kann ich nicht dienen, die Erinnerung ist etwas … Lückenhaft”, entgegnete sie, als wolle, sie mir glich den Wind aus den Segeln nehmen.
      “Egal, erst mal das wichtigste hab ihr?”, grinste ich verschmitzt. Eine intensive Röte trat auf Linas Wangen doch, sie nickte mit einem leuchten in den Augen.
      “Und war's gut?”, versuchte ich weitere Informationen aus ihr herauszuquetschen. Dass sie aber auch immer so wortkarg sein musste, als wäre sie ein Teenager, dem so etwas noch peinlich war. Sie schielte kurz zu Erik, der am Herd in die Zubereitung des Frühstücks vertieft war, bevor sie eine Antwort hervorbrachte: “Ja.”
      “Linaaaa, geht auch mehr als ein Wort? Oder hast du verlernt, wie man spricht?”, probierte ich an, mehr Details zu bekommen. Erneut schielte sie zum Herd und ihr Gesicht nahm eine immer intensivere Färbung an.
      “Okay, ich gebe dir noch zwei weitere Worte”, gab sie nach, “unglaublich intensiv.” Die letzten beiden Worte flüsterte sie mir ziemlich leise ins Ohr. Dafür lehnte sie näher zu mir und diese kleine Berührung am Arm löste ein schmerzhaftes Stechen und Brennen aus, das ich sofort untersuchte. Wie ich bereits am Abend festgestellt hatte, würde es einen blauen Fleck geben, doch dass beinah, der ganze Oberarm aus gelben, roten und blauen Färbungen bestehen würde, übertraf meinen Horizont. Damit Lina davon nicht mitbekam, zog ich den Ärmel des Bademantels wieder höher und schloss den Kragen fest aneinander. Zudem konnte ich mir vorstellen, wovon sie sprach, aber verlangte, es ausgesprochen zu hören. Wenn Lina ihn schon so selten traf, und, bis auf die Pferde, keine Gemeinsamkeiten zu haben schien mit ihm, dann war es etwas anderes, das sie verband.
      „Oh schön, dann hast du dich auch mit neuen Leuten unterhalten? Wahnsinnig toll, wie du dich in die Familie einfindest“, rollte ich ironisch mit den Augen. Das Spielchen konnte ich auch, obwohl ich deutlich lieber mit Menschen sprach, die ebenfalls ihre Gesichter gewillter waren zu teilen wie ich.
      “Ähhm, nicht so wirklich … ”, entgegnete sie kleinlaut als würde ihr erst jetzt die Erkenntnis kommen, auf was für eine Art von Veranstaltung wir gestern gewesen waren.
      “Aber mit wem hast du denn so geredet?”, versuchte sie von sich selbst abzulenken.
      „Von den meisten habe die Namen vergessen, aber auf jeden Fall mit dem Geburtstagskind, Niklas‘ Tante und noch paar Leuten aus deren Firma“, versuchte ich mit den Händen aufzuzählen, wer die Auserwählten waren.
      Erik kam mit warmen Waffeln an und stellte sie auf einem Brett in der Mitte des Tisches ab. Apfelmus und verschiedene Marmeladen standen bereits gedeckt da.
      „Vergiss Joanna nicht“, sagte dieser im Vorbeigehen und biss von einer ziemlich verbrannten Waffel ab, die er offenbar auf der Arbeitsfläche bereits inhalierte. Als der Name fiel, wurden Linas Augen plötzlich groß und sie spuckte ihren Tee beinahe wieder aus.
      “Die Joanna? Niklas' Ex?”, fragte die Brünette, nachdem sie sich wieder gefasst hatte.
      „Ja“, lachte Erik.
      Ich schüttelte mich, deswegen kam mir der Name bekannt vor. Damit hätte ich wohl rechnen müssen, aber nahm diese Tatsache mit deutlich mehr Fassung auf als Lina, die abermals nach der Tasse griff.
      „Offenbar, sie hat sich derartig nicht mir vorgestellt“, zuckte ich mit den Schultern.
      “Und worüber habt ihr so geredet?”, fragte Lina interessiert und lud sich etwas von den Waffeln auf ihren Teller.
      “Das hättest du vielleicht gewusst, wenn du auch da gewesen wärst”, drehte ich den Spieß um, nahm mir allerdings nur eine kleine Ecke vom Gebäck. Nebenbei untersuchte ich die Gläser mit ihren Nährwerten, entschloss mich zum Ende dazu, sie ohne etwas zu Essen.
      “Engelchen”, hauchte es von der Seite in mein Ohr, als die nächste Portion Waffeln bereits auf dem Tisch landete, “Niemand wird dich dafür verurteilen, wenn du mal ein paar Gramm mehr auf den Rippen hast.”
      Ich ignorierte Eriks Aussage, biss zumindest einmal von der Waffel ab. Sie schmeckte fabelhaft, aber durfte ich nicht viel mehr als diese Portion essen.
      “Du bist fies”, schmollte Lina und stopfte sich dafür mit Freude einen großen Bissen Waffel in den Mund.
      “Viel mehr hast du mir ebenfalls nicht berichtet”, spiegelte ich sie mit einem Schmollmund.
      “Aber das ist ja auch was anderes”, protestierte sie.
      “Das ist etwas anderes, ja?”, blieb ich hartnäckig. Nichts wollte ich so sehr, wie wissen, was die beiden getrieben haben. Oder wo? Egal, mich interessierte es. Je länger sie schwieg und ich über das Gespräch nachdachte, überlegte ich, was ich lieber wollte und da fiel es mir tatsächlich ein: wieder einmal ein richtiges Gespräch mit meiner Ablenkung. Er hatte sich dazu entschlossen, mich mehr oder weniger zu ignorieren, solang ich mit dem Treffen noch haderte, obwohl es besprochen war, dass es keine geben würde. Ehrlich gesagt wunderte es mich, denn er hatte es mir angeboten.
      “Ja, was mein Freund und ich miteinander tun, braucht auch nur ihn und mich interessieren”, erklärte sie wenig überzeugend und wand sich unglaublich ungeschickt um den Gebrauch gewisser Worte herum, “Ich frage euch ja auch nicht, was ihr im Schlafzimmer tut.” Kaum hatte sie angefangen zu sprechen, nahmen auch ihre Ohren wieder eine hübsche Rosa Farbe an.
      „Mehr weniger das übliche, hauptsächlich schlafen und mal kriecht ein Hund nach oben und möchte gestreichelt werden“, gab Erik verwundert zu bedenken und schnitt sich ein Stück seiner Waffel ab. Ich hingegen fühlte mich hin- und hergerissen, einerseits verstand ihren Einwand, andererseits ärgerte ich mich aufs Tiefste, dass sie so eigen war. Dass dann mein Freund auch noch den wunden Punkt traf, brachte das Fass zum Überlaufen.
      “Ok”, sagte ich mit derart abfälligem Ton, dass selbst er mich entgeistert anblickte. Nicht einmal die Hälfte hatte ich aufgegessen, da stand ich auf, schob sehr laut den Stuhl übers Holz und verschwand im Zimmer. So schnell ich konnte, zog ich mich um, schnappte mir noch meinen Lieblingspullover und lief zurück. Die Beiden aßen noch. Der Welpe tigerte im Kreis um den Tisch herum, während Trymr gespannt einen Vogel vor dem Fenster beobachtete, der von links nach rechts hüpfte.
      “War schön, dass du da warst”, versuchte ich freundlich zu bleiben, gab Erik einen flüchtigen Kuss auf die Wange und stürmte aus der Hütte heraus.

      Im Stall war es ebenso leer, wie an jedem Vormittag auch. Ich traf zwei Einsteller, die gerade ihre Pferde für einen Ausritt sattelten und Folke legte Enigma das Geschirr für den Sulky um. Mit gehobener Hand grüßte ich sie. Mein Weg führte mich weiter zur Sattelkammer. Vor tausenden Halftern stand ich beinah verloren, wusste nicht, welches der Tiere sich wohl für einen schnellen Ausritt am besten eignen würde. Selbst meine Liste war, schließlich hatten Lina und ich heute frei, also keine Aufgaben zu erledigen. Kurzfristig entschied ich mich für Humbria. Dafür nahm ich das lilafarbene Halfter vom Haken und stampfte eilig wieder die Treppe der Tribüne hinunter, direkt zum Stuten Paddock. Mit freundlich aufgestellten Ohren begrüßte mich das Pferd, folgte mir in den Stall, in dem ich sie sattelte und trenste. Am Tor wurde ich aufgehalten.
      “Vriska, warte, ich wollte dich nicht verärgern”, kam Lina angelaufen, dick eingepackt in gefühlte hundert Kleidungsschichten, sodass sie fast aussah wie ein Michelin Männchen.
      “Dafür ist jetzt auch zu spät, also genieß deinen freien Tag”, grinste ich ironisch und zog den Sattelgurt fest.
      “Was auch immer ich getan habe, es tut mir leid”, ließ sie sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen und platzierte sich vor der Stute.
      “Du solltest dir bewusst sein, dass man sich nur entschuldigen sollte, wenn man weiß, was man getan hat”, zuckte ich mit den Schultern. Ich versuchte Humbria an ihr vorbeizureiten, doch sie stand wie angewachsen am Boden.
      “Ich glaube zu wissen, was das Problem ist.”, entgegnete sie und warf einen umschweifenden Blick durch die Gasse, bevor sie ihre Ansprach mit gesenkter Stimme fortsetzte,” Na ja, wegen dem, was du wissen wolltest. Ich rede da nicht gerne drüber, weil …” Ihre Augen huschten, nervös durch die Gegend, bevor sie sich beschämt zu Boden senkten.
      “Weil ich habe das noch nicht so oft gemacht und dafür schäme ich mich”, druckste sie herum und ihr Fuß versuchte ein Loch in den Beton zu graben. Sie setzte noch zu einem weiteren Satz an, den ich geschickt unterbracht: “Lina, es geht nicht darum, dass du nicht darüber sprechen möchtest, sondern, wie du mir das mitgeteilt hast. Denkst du, ich möchte die bloßstellen vor Erik oder sonst jemanden? Mich nervt nur behandelt zu werden, als wäre ich eine Last für jemanden.”
      “Oh, das war nicht meine Absicht, dass du dich so fühlst. Tut mir leid”, antwortete sie betroffen und schien sich nun aus ganz anderen Gründen in Luft auflösen wollen.
      “Schon okay, ich frag dich auch nicht mehr”, grinste ich nur. Endlich wurde mir der Weg freigegeben und ich ritt im Schritt an ihr vorbei. Aufmerksam kaute die auf dem Gebiss. Entspannt konnte ich endlich abschalten. Es erleichterte mich auf eine gewisse Weise, dass das Thema so schnell geklärt werden konnte, aber umso mehr tat mir Erik leid, mit dem ich gerne noch weitere Stunden verbracht hätte.
      Die Wege waren in der Spur bereits sehr durchmischt vom Sand darunter, nur am Rande lag die Decke beinah unberührt. Es fiel mir schwer, so wie immer, mich der Situation zu übergeben. Aber zumindest kam ich gedanklich so weit, dass ich mich auf die Stute einstellte, an ihren Feinarbeiten übte und irgendwann an den Weiden ankam. Neugierig kamen die Hengste, auf der einen, und die Stuten, auf der anderen Seite, angerannt. Leise brummten die Tiere. Humbria musterte die durchwachsenen Herden. Bei den Stuten standen nicht nur die Anwärter, sondern auch Pferde, die eine Pause verdient hatten, oder die nächste Generation austrugen. Zur anderen Seite präsentierten sich die Hengste. Einige von Bruce Zuchthengsten hatten eine Winterpause, um vor der Saison noch einmal abzuschalten. Dementsprechend bunt wirken die Herden.
      Wann ich am Hof ankam, wusste ich nicht. Offenbar lag mein Handy noch in Eriks Auto, das bei meiner Rückkehr erstaunlicherweise noch immer vor der Hütte ruhte. Ich versuchte durch die Fenster etwas zu erkennen, aber mehr als die Spiegelung, war nicht zu sehen. Im Stall rannte mir Trymr entgegen.
      “Oh, du bist noch da”, freute ich mich und strich ihm über den Kopf, nach dem ich über den Po hinuntergerutscht bin. Er verstand mich nicht, aber der Herr in meiner Jogginghose umso besser.
      “Muss ich mir Sorgen machen? Geht die Welt erneut unter?”, scherzte ich mehr beiläufig. Humbria folgte mir bis zur Putzbucht, die bereits besetzt war. Ein mir bestens bekanntes Pony stand mit angewinkeltem Bein vor mir. Die dunkele Stute, am Zügel, streckte das Maul in die Richtung der anderen, wurde allerdings durch ein böswilliges Schnappen verscheucht.
      “Die ist nun mal so”, erklärte ich nun auch Humbria, nach dem Lubi es schon mehrfach zu spüren bekam.
      “Ich helfe dir”, huschte Lina aus dem Nirgendwo zu mir und hatte so schnell die Zügel in ihrer Hand, dass ich gar nicht eine Antwort finden konnte. Plötzlich stand ich allein mit Erik und Maxou da, immer noch verwirrt. Mein Herz schlug verrückt bis hinauf in den Hals, als würde es dort feststecken. Es kratzte und schnürte mir die Luft ab.
      „Du weißt, dass du mir nicht entkommst“, kam Erik endlich näher an mich heran und grinste mich so überzeugt an, dass ich nicht anders konnte, als es zu erwidert.
      „Scheint so zu sein“, antwortete ich.
      Da Maxou ebenso gekleidet war, wie am vorherigen Tag, wenn auch mit einer rosafarbenen, glitzernden Schabracke, die ich mir nicht genau erklären konnte, verstand ich die Aussage dahinter. Also nahm ich das Halfter ab, das über dem Zaum die Stute an Ort und Stelle verharren ließ, und führte sie zur Reithalle. Der Hund folgte mir.
      „Wo ist eigentlich der Kleine?“, fragte ich, als ich sein Fehlen bemerkte.
      „Der ist hochgelaufen, zu Harlen schätze ich“, gab Erik zu verstehen.
      Um das Pony die Einheit so erträglich wie möglich zu gestalten, begann ich die Arbeit wie immer. Wir liefen mehrere Runden auf der ganz großen Bahn, dann nahm ich die Zügel in Höhe des Widerristes auf, um sie mehr zu versammeln und gleichzeitig jenen zu mobilisieren. Je elastischer sie dort wurde, umso intensiver konnte ich auch an die Schulter heran. Ungewöhnlich schnell fand ich mich in diese Situation ein und erfreute mich an jeden richtigen Schritt, während ich die Fehler ignorierte. Nach guten zehn Minuten liefen wir in die Mitte. Dort zog ich den Gurt drei Löcher fester und stieg auf. Sie warf einmal den Kopf nach oben, aber ein sanftes Klopfen am Hals beruhigte das Tier wieder. Plötzlich erschien es mir, dass der gestrige Ritt ein guter Anfang gewesen war, um die Stute besser kennenzulernen und die Angst zu verlieren, sie zu verletzen.
      Wir kamen besser klar als ich dachte. Im Laufe der Zeit fühlte sich die Reithalle und selbst da blieben Maxou's Ohren stets bei mir. Wenn ihr ein Pferd zu nah kam, schlug sie mehrmals mit dem Schweif, aber reagierte weiterhin auf meine Hilfen im Sattel. Es war, anders als auf Lubi, nicht nur dem Größenverhältnis geschuldet. Mit kleineren Schritten setzte die helle Stute ihre Hufe in den Sand, ebenso zart wie der Riese, aber wirkte dennoch hektischer, auf eine gewisse Weise gestresst. Ich redete ruhig auf sie ein, allerdings so leise, dass es sonst keiner hören würde. So waren mir Gespräche mit dem Tier immer unangenehme Angelegenheit, obwohl selbst Tyrell seiner lebhaften Fuchsstute das ganze Hofgeschehen mitteilte.
      „Alles guuuut“, murmelte ich, als er abermals an uns vorbeitrabte. Maxou fiel aus der Versammlung heraus und streckte dabei ihren Kopf in Richtung Brust, obwohl ich die Zügel nur mit sehr wenig Kontakt in den Händen hielt. Selbst überstreichen änderte nichts daran. Ich wiederholte noch öfter das Vorbeireiten, bis Maxou sich nicht mehr in ihrem Schneckenhaus versteckte und sprang aus dem Sattel. Sie kaute und bekam von mir eine kräftige Streicheleinheit. Aus meiner Jackentasche kramte ich noch ein Leckerli, dass mit ihrer Oberlippe von der Handfläche fummelte.
      “Das sieht gar nicht so schlecht aus, was du da mit dem Pony veranstaltest”, erklang Linas sanfte Stimme, die nach einer Weile am Rand aufgetaucht war, um uns zuzusehen. Kaum hatte ich mich von der Stute weggedreht, legte sie wieder ihren Kopf auf mir ab und stupste mich grob am Ohr an. Erst als ich die Hand langsam zwischen Nüstern massierte, hörte sie auf und verlagerte noch mehr Gewicht auf mir.
      “Danke?”, fragte ich vielmehr, als es dankend anzunehmen. Hatte sie etwas anderes erwartet, oder wieder eine ungeschickte Wortwahl?
      “Ja, das sollte ein Kompliment sein, Vriska. Das sieht wirklich gut aus”, führte sie weiter aus und versuchte damit die schlecht gewählten Worte zu revidieren.
      “Okay, dann danke”, lächelte ich friedfertig. Maxou hing weiter auf meiner Schulter, wollte unter keinen Umständen diesen Platz verlassen. Auch, als ich langsam mit meiner Hand wedelte, um sie vorwärtszutreiben, bewegte sich nichts an ihr.
      “Offensichtlich findet Maxou dich ziemlich bequem”, lächelte Lina, “aber irgendwie ist das niedlich.”
      “Aber ich kann nicht den ganzen Tag hier herumstehen”, merkte ich an und versuchte mich, abermals von dem Pony zu lösen. Doch sie war eingedöst. Eins ihrer Hinterbeine stand angewinkelt im Sand und die Augen waren geschlossen. Es schien unausweislich, hier die nächste Zeit zu stehen. Selbst Tyrell schüttelte nur amüsiert den Kopf, als er neben uns abstieg, wovon es nichts mitbekam. Andere hatten auch die Halle verlassen, wodurch wir allein in diesem riesigen Raum standen. Und kalt wurde es auch.
      “Dann musst du dein Pony wohl wecken”, stellte sie das offensichtliche fest, “Brauchst du Hilfe?”
      Ich nickte. Folgeleisten kam sie die Stufen der Tribüne hinunter und trat durch das Tor auf die Sandfläche.
      “Maxou, aufwachen”, sprach sie das goldglänzende Pony an. Wie nicht anders zu erwarten, gab es keinerlei Reaktion von dem schlummernden Tier. Als sie ganz an uns herangetreten war, stupste sie das Pferd vorsichtig an.
      “Oh, es wird wach”, verkündete Lina erfreut und ich konnte spüren, wie die Last auf meiner Schulter allmählich weniger wurde. Sie erhob sich langsam, kaute und schleckte dabei am Maul entlang. Nach einem Schnaufen stand Maxou schließlich wach neben uns, aber in ihren Augen sah man noch immer die Müdigkeit.
      “Ich bringe sie weg, danke”, sagte ich zur Lina und führte das Pony weg.
      In der Gasse kam dann auch Erik dazu. Zusammen sattelten wir die Stute ab, legten die Decken auf sie und schon durfte sie zurück in die Boxen. Offensichtlich hatte Lina ihr bereits frische Heulage hingelegt und sogar ihre Futtermischung in den Trog gefüllt. Sehr zuvorkommend.

      Ehrlich gesagt wusste ich nicht, was man einem freien Tag so anstellte. Wir saßen wieder in der Hütte. Erik hatte den Fernseher angestellt und ich lag in seinen Armen, während Lina auf dem Sessel neben uns saß und ein Buch las. Tweet Cute stand auf dem Hardcover in zwei Sprechblasen auf türkisen Grund und roten Verzierungen. Es wirkte interessant, ihrem Gesicht zufolge, denn sie schien sich vollkommen darin verloren zu haben. Eine Hand klammerte am Buch, während die andere Strähnen drehte und den Arm abgestützt auf der Lehne, sitzend auf den Füßen. Auf dem Bildschirm dudelte irgendein Film, En runda till auf dänischer Originalverfilmung, was Erik ziemlich wichtig war und schwedischen Untertiteln. Somit verstand ich noch weniger, aber hatte damit immerhin die Möglichkeit, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Trymr lag auf dem Boden und wedelte immer wieder mit dem Schwanz, wenn ich zu ihm hinuntersah, nur Welpi fehlte, denn er wollte lieber bei meinem Bruder im Büro liegen. Dort gab ich ihn immer bei der Arbeit ab.
      Mein Handy vibrierte, das Erik mir von der Rückbank geholt hatte. Eifrig griff ich in meine Hosentasche.
      Niklas.
      Unsicher schielte ich zu meinem Freund, der allerdings nur nach vorn blickte und diesen nicht abwandte, als mich aufrichtete.
      “Ist Lina bei dir?”, erfassten meine Augen.
      “Ja”, tippte ich. Die Punkte schwebten auf. Eine Antwort.
      “Nah?”
      “Nein”, schon, dass dieses Gespräch derartig begann, verhieß nichts Gutes. Trotzdem warte ich weiter vor dem geöffneten Chat. In meinem Herz spürte ich den aufgeregten Herzschlag, drückte mir einen Moment die Luft weg, bis eine weitere Nachricht auftauchte.
      “Ich wollte dich eigentlich gestern fragen, aber, ich musste anderen Aufgaben nachkommen. Davon weißt du bestimmt schon”, ich drehte für einen Moment die Augen nach oben und seufzte, “was war mit Eskil los? Er wirkte vollkommen aufgelöst am Hof und wollte nicht mit mir sprechen.”
      “Dazu kann ich dir auch nicht viel sagen. Er war plötzlich verschwunden”, schrieb ich wahrheitsgemäß und legte dann das Handy weg. Doch im selben Augenblick verlangte es wieder nach mir. Aber es war mir auf eine gewisse Weise egal. Ich hatte anderes erwartet, kein Lächerlichkeit, die er mit jemand anderes klären könnte. Aber es stoppte nicht.
      “Alles in Ordnung?”, wurde Erik nun auch aufmerksam und rutscht etwas höher, um wieder eine bequeme Position zu haben.
      “Ja”, antwortete ich nur.
      “Wer ist denn das?”, fragte er neugierig.
      Ohne kurz zu überlegen, sagte ich: „Der komische Typ, der sich mit mir treffen will.“
      Da sah auch Lina auf. Sie legte das zur Seite auf die Lehne und richtete ebenfalls die Position.
      “Ich denke nicht”, gab Erik zu bedenken.
      “Okay, dann Eskil”, versuchte ich die nächste Person zu finden, die mir einfiel.
      “Du weißt schon, dass sich das nicht einfach spontan ändert?”, versuchte er mir offenbar die Wahrheit zu entlocken. Ihm fiel zu schnell auf, welche Aussagen echt waren. Zumindest machte er seine Arbeit gut.
      “Sind mehrere und einer davon Eskil, deshalb”, verstrickte ich mich immer tiefer, sodass auch Lina skeptisch wurde. Ohne zu fragen, griff er das Handy von der Couch und sah natürlich den Chatverlauf mit Niklas. Zum Glück hatte ich die ganz alten Nachrichten gelöscht und nur die von dem Moment, sollten da sein. Die neusten Benachrichtigungen waren von Instagram. Wieder waren Leute, die auf mein Profil gestoßen waren, der Meinung, alles durchliken zu müssen. Dass ich überhaupt eine Benachrichtigung bekam, wunderte mich deutlich mehr.
      “Sende ihm schöne Grüße von mir”, grinste Erik und gab es mir zurück. Meine Augen huschten über die neusten Nachrichten: “Ich vermisse ihn. Ich weiß nicht, wieso. Irgendwie war es seltsam mit Lina. Hilf mir bitte, wie auch immer. Ach egal.”
      Der Kerl tat mir unglaublich leid. Er wirkte auf einmal so zerbrechlich, als hätte man ihm das Wertvollste im Leben geraubt. Aber ich hatte mich nie als Vermittlerin zur Verfügung gestellt.
      Lina warf mir einen fragwürdigen Blick zu, aber nahm sich wieder ihr Buch, um weiterzulesen.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 24.527 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende Oktober 2020}
      Fohlenbericht vier von sieben.
    • Mohikanerin
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      kapitel nitton | 04. Juni 2022

      Snotra / Lubumbashi / Maxou / Glymur / Moonwalker LDS / Planetenfrost LDS / Wunderkind / Harlem Shake LDS / Waschprogramm / Form Follows Function LDS / Satz des Pythagoras/ Lu’lu’a / HMJ Holy / Sturmglokke LDS / Enigma LDS / Millennial LDS
      Einheitssprache / Caja / HMJ Divine / Legolas / Ready for Life / Benjamin


      Vriska
      “Du wolltest doch nur schnell deine Haare neu machen”, jammerte Lina hinter der geschlossenen Badtür.
      “Jaha, ich bin doch gleich so weit”, rief ich langgezogen, mit dem Blick auf mein Handy gerichtet. Beinah sekündlich aktualisierte ich die Instagram Startseite und beobachtete, die Zahl neben dem kleinen Herz, das aufleuchtete, stieg. Wir hatten Tyrell von dem kleinen nächtlichen Ritt in der Halle erzählt und er wollte sich am gestrigen Tag selbst davon überzeugen, nur hatte ich dieses Mal den Sattel auf die Stute gelegt. Seiner Begeisterung über meine Leistung folgte der Einsatz der Kamera. Die Ergebnisse waren großartig, landeten deshalb nicht nur auf der Seite vom Gestüt, sondern auch auf meiner. Und was soll ich sagen? Niklas war hoch im Rennen, sich positiv darüber auszusprechen. Selbst Lina, die es sonst kritisch sah, dass ihr Freund Sympathie für mich hegte, freute sich daran.
      Deshalb saß ich auf dem geschlossenen Deckel der Toilette und wollte nicht zur Teambesprechung. Wollen, war eventuell der falsche Ausdruck, denn ich fand keine Motivation durch den angetauten Schnee wieder zurückzulaufen. Wir hatten schon einiges geschafft. Lina machte große Fortschritte im Umgang mit Rambi und ich war mit Snotra ausreiten, die einen anderen Sattelgurt benötigte. Dieser wurde zunehmend zu kurz. Lina scherzte bereits, dass Glymur mehr Erfolg hatte, als vermutet, doch ich bezweifelte es. Dafür war die Zeit zu kurz auf der Weide gewesen. Aber was wusste ich schon.
      “Ich schneide sie dir ab, wenn du jetzt nicht kommst”, ermahnte sie mich noch einmal und nun öffnete ich doch die Tür. Sie stürmte sofort hinein.
      Einen Moment später patschten wir durch den Matsch auf den Wegen zur Halle. Am Himmel zogen kleine Wolken vorbei, der ansonsten verdächtig blau leuchtete. Ein vereinzelter Vogel kreiste über den Bäumen. Der Hof lag still, getaucht in einer wässrigen Decke und umschlossen von Ästen. Alles wie immer, es war ein typischer Montag.
      Im warmen Raum der Mitarbeiter saßen wir als Erstes an unseren Plätzen. Folke trafen wir noch mit Dustin in der Stallgasse und mein Bruder verbrachte womöglich mit Jonina, die sich beide außergewöhnlich nahe standen seit dem Geburtstag. Ich beäugte die Beziehung kritisch, aber äußerste mich nicht dazu.
      „Oh, ihr seid da“, sagte Tyrell und klatschte erfreut die Hände zusammen. Dann begann er mit einer ganz simplen Sache: Neue Berittpferde.
      „Lina, bist du bereit, dich einer Herausforderung zu stellen? Caja ist nicht ganz einfach, schrieb man mir im Voraus und schickte anbei einige Videos“, erzählte er eher, als dass es eine Frage darstellte.
      “Wie darf man ‘nicht ganz einfach’ verstehen?”, hinterfrage Lina mit zusammengezogenen Augenbrauen. Ihr schien bereits klar zu sein, dass es bei solch einer Ankündigung nicht nur um eine einfache Lappalie handeln konnte.
      „Fuchs mit großer Blesse?“, fragte ich verwirrt. Das Pferd war nur bedingt unbekannt in der Region, primär in meinem Umfeld.
      „Ja?“, schloss er sich unserer Stimmung an.
      „Ich habe Gerüchte gehört“, grinste ich teuflisch, als hätte ich mir insgeheim bereit gewünscht, dass etwas daran wahr war. „In Spanien soll Mika schwer mit ihr gestürzt sein beim Vortraining und seitdem kommt keiner mehr an sie heran.“
      „Fast. Der Hauptgrund sind wohl Männer, denen sie nicht mehr vertraut und ihr Besitzer möchte ihr nun ein besseres Zuhause schenken“, erläuterte Tyrell weiter. Linas Augen wurden größer.
      „Aber du schaffst das. Wir haben so viel Zeit wie nötig ist, bekommen, also Stress dich nicht“, blieb er zuversichtlich. Cash reihte sich damit in eine lange Liste von schwierigen Pferden ein, die wir am häufigsten am Gestüt hatten. Vermutlich sprach sich herum, dass wir es eine gute Adresse dafür waren.
      “Wenn du das sagst”, entgegnet meine Kollegin, die noch nicht so ganz überzeugt schien, dieser Aufgabe wirklich gewachsen zu sein, aber auch nicht zu widersprechen wagte.
      „Wenn nicht, kann das bestimmt auch Mateo machen“, sprach er weiter, „ach ja, ihr wisst das noch gar nicht. Diesen sammeln wir in Kiel auf. Mit euch wird er dort die Woche verbringen und macht dann im Anschluss bei uns seinen Bereiter und Trainerschein. Vielleicht möchte er auch bleiben, das hat er sich noch nicht überlegt.“
      Oh, jemand Neues im Team? Das klang interessant. Tyrell hatte ein gutes Gespür dafür, wer zu uns passte und wer nicht. Deshalb bereitete die mir Tatsache keine Bedenken.
      „Und eine Praktikantin bekommen wir auch, aber die wird bei Bruce im Stall sein. Mal schauen, es gibt noch weitere Anfragen für alles Mögliche, jedoch sind so gut unsere Zahlen auch nicht, dass wir jeden und alles einstellen können, vor allem, wenn jeder seine Pferde mitbringt“, dabei blickte er uns beide an, aber begann dann zu lachen.
      “Ach, die zwei Ponys fallen doch gar nicht auf, die futtern auch nur ganz wenig”, scherzte Lina, wohl wissend, dass allein Ivy schon das Doppelte an dem verspeiste, was Maxou zu sich nahm.
      „Natürlich, es sind Shetlandponys“, beschwichtigte Tyrell, „aber noch etwas anderes. Ich bitte euch nicht jedes Pferd in Kiel zu kaufen.“ Seine Augen schielten mehr zu mir als zu Lina.
      „Aber eigentlich staune ich ohnehin, dass du jetzt erst eins hast“, fügte er hinzu.
      „Wirklich?“, hakte ich nach.
      „Wenn du könntest, wäre der Stall voll. Zu gleichen Teilen muss das Pferd aber auch für dein Verständnis perfekt sein.“ Ein belustigtes Lächeln umspielte seine Lippen.
      „So groß sind meine Ansprüche nicht, nur wusste ich bisher nicht, in welche Richtung es gehen sollte. Kein Fuchs, kein Kerl und eigentlich Isländer, doch das ist jetzt durch“, zählte ich die kleinen Feinheiten auf.
      „Aber sowohl Glymur als auch Capi zählen doch zur Gattung Kerl?“, traf Tyrell ins Schwarze.
      „Ja, aber die gehören nicht mir. Es geht vielmehr um das drumherum“, versuchte ich nicht vorhandene Gründe der Geschlechterwahl zu finden.
      „Welches Drumherum? Hier ist Hengsthaltung doch gar kein Problem und Wallach werden meistens bevorzugt.“
      „Schon, aber woher soll ich wissen, wie lange ihr mich ertragt und halbe Kerle sind so langweilig. Außerdem will ich die nicht so intim waschen“, lachte ich.
      “Also, dass man Wallache langweilig findet, kann ich noch verstehen, aber Intimpflege, ernsthaft? Eine wirklich seltsame Begründung”, schmunzelte Lina.
      „Das interessiert mich jetzt, aber auch sonst bist du doch recht offen, was männliche Intimzonen betrifft“, musste Tyrell natürlich noch eine Schippe drauflegen. Ich schloss verzweifelt die Augen und versteckte die ansteigende Röte meiner Wangen hinter meinen Händen. Natürlich hatte er mehr von Harlen erfahren, ansonsten – denken wir besser nicht darüber nach.
      „Man kann doch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen! Obendrein finde ich es einfach eklig, okay? Ich möchte nicht mit meinen Händen in dem Bereich an einem Pferd fummeln“, gab ich ihnen meinen Grund dafür mit kratziger Stimme.
      “Ist ja okay”, grinste Lina, “dann hoffe ich mal für dich, dass dir nicht doch mal eines Tages ein Hengst zuläuft.”
      „Das wird nicht passieren“, blieb ich überzeugt, dass nichts im Leben etwas daran ändern könnte. Es gab so viele Pferde, da würde ich eine andere Möglichkeit finden.
      „Spannend“, blieb Tyrell ebenfalls behaglich, „die Größe scheint doch sonst eher in deinem Blick zu sein.“
      Die Röte intensivierte sich.
      „Tyrell! Das sind Pferde“, versuchte ich an seinen verlorenen Verstand zu appellieren.
      “Gibt es, außer diese Sache sonst noch etwas zu besprechen?”, startete Lina, ein feistes Grinsen auf den Lippen, einen Versuch wieder die essenziellen Dinge zu thematisiert und mich damit aus der seltsamen Situation zu befreien. Zum Glück hakte sie nicht weiter nach, vorher seine wirren Behauptungen stammten. Erleichtert atmete ich aus.
      „Tatsächlich, ja“, sagte Tyrell. „Ihr könntet Divine und Legolas heute mal in die Herde packen und dann schauen, wie die beiden sich machen. Irgendwer von den beiden hat die Selbsttränken beschädigt, deswegen steht dort der Eimer.“
      “Okay, cool. Ich hoffe nur, dass mein Spielkind noch nichts überflutet hat”, kommentierte sie.
      “Leider muss ich dich enttäuschen, noch bevor ihr im Stall wart, haben Folke und ich alles getrocknet. Aber alles gut. Kommt vor”, zuckte unser Chef, wenn er das überhaupt noch war, mit Harlen als Geschäftsführer, mit seinen Schultern.
      Sonst stand nichts mehr an und wir bewegten uns nacheinander aus dem Raum heraus. Im Flur kam uns aufgeregt, der junge Hund entgegen, als er unsere Stimmen hörte. Freudestrahlend bewegte sich sein Schwanz, ehe er sich vor unseren Füßen auf den Boden warf. Wir knieten uns hin, um dem Tier einen Augenblick der Aufmerksamkeit zu schenken, doch mussten dann schon weiter. Die Halfter hingen ohnehin an der Box, wodurch wir geradewegs weiterkonnten.
      “Hallo”, begrüßte Lina ihren hellen Hengst spielerisch und war direkt verloren. Noch einige Male versuchte ich eine Antwort auf meine Frage zu bekommen – vergeblich. Damit wir hier keine Ewigkeit verbrachten, legte ich dem Rappen sein blaues Halfter um, das schon bessere Zeiten gesehen hatte.
      “Also, wann kommt Samu endlich wieder?”, nahm ich einen letzten Anlauf, als ich kurz den Paddock standen und die darin befindenden Pferde interessiert ans Gatter kamen. Leise brummten sich die Tiere an, quietschten und verteilten sich wieder vereinzelnd.
      “Mittwoch kommt er definitiv und wenn es zeitlich passt, wollte er vielleicht heute noch kurz hereinschauen”, antworte sie fröhlich.
      “Oh toll, ist da etwas Besonderes?”, fragte ich.
      Lego rieb seinen Kopf an meiner Schulter, bekam einen Klaps, aber ignorierte diesen konsequent. Immer wieder schob ich ihn zur Seite, bis Lina ihm kurz in die Schranken weißte. Der Hengst spitzte die Ohren und gehorchte ihr.
      “Nicht, dass ich wüsste, aber es wäre nicht ausgeschlossen, dass der schon wieder mit irgendwelchen Überraschungen ankommt”, entgegnet sie frohen Mutes, während sie beiläufig die Haarpracht des Freibergers ein wenig ordnete, obwohl dies vermutlich ohnehin gleich wieder durchgewirbelt werden würde.
      “Als hättest du eine Vermutung”, nickte ich verstehend, zumindest versuchte ich es. Die Beiden waren mir ein Rätsel, aber ich finde sie so niedlich zusammen.
      Aber zunächst mussten die Pferde auf dem Paddock. Deswegen öffnete ich am Griff die Litze. Nacheinander führten wir die Hengste hinein, lösten die Stricke und schon bewegten sie sich zu den anderen. Dominant trabte Rambi aus der Gruppe heraus, um ihnen gegenüber dem Mann zu stehen. Er scheuchte die Beiden herum, aber als Benjamin dazu kam, wurde die Gruppe ruhiger.
      “Ja, Intuition”, lächelte sie, “aber ist mir eigentlich auch egal, Hauptsache, er lässt sich gelegentlich hier blicken.”
      “Er ist auch ein Sahnestückchen. Das schaut man gern an”, sprach ich meinen Gedanken aus, ohne die Augen von den Hengsten zu lösen. Lego hatte sich zwischen zwei anderen Warmblütern begeben und zupfte an dem Heu.
      “Na, lass das mal nicht deinen Freund hören”, feixte sie, “aber Unrecht hast du nicht.”
      “Mein Freund will, dass ich mich mit einem Typen treffe, den ich nicht kenne, nur damit ich mit dem Schlafe, anstelle dass er es tut, also bitte”, wurde ich zum Ende leiser. Ein Hauch von Enttäuschung schwang mit, denn eigentlich wollte ich den Satz eher als Scherz klingen lassen, doch alles daran entsprach der Wahrheit. Den Moment nutzte ich, um mein Telefon zu prüfen, stille. Nicht einmal Instagram unterbreitete mir eine erfreuliche Nachricht, einzig die Uhrzeit und das heutige Datum leuchtete mich an. Dennoch lächelte ich. Obwohl ich beschlossen hatte, meinem Sperrbildschirm wieder eine normale Optik zu verpassen, zeichnete sich dort noch immer besagtes erstes Bild, das mir gesendet wurde. Ich mochte es, nicht nur aus emotionaler Sicht, sondern auch aus ästhetischer.
      “Wie oft hast du schon an Samu gedacht, also aus anderen Gründen?”, fragte ich noch nach, als das Handy wieder in der Jackentasche verschwand.
      “Ich fürchte, eine genaue Anzahl ist schwer zu ermitteln”, scherzte sie, “aber oft, gerade in der hochpupertären Phase, wie du dir vielleicht vorstellen kannst.”
      Versichert huschten meine Augen von links nach rechts, während meine Zähne die Unterlippe hindurchzogen. Kein Thema war so schwierig in meinem Leben wie diese, doch sie konnte das nicht wissen.
      “Von meinen Freunden weiß ich das, ja. Ansonsten habe ich davon einiges Übersprungen und verpasst”, gab ich zu. Aus Serien und Büchern wurde mir das Thema Jugendliebe auch schon nähergebracht, grundlegend nichts, worauf ich neidisch war.
      “Oh, entschuldige, ich wusste nicht, dass das so ein sensibles Thema für dich ist. Aber ich kann dir sagen, es ist keine Lebensphase, die ich gerne wiederholen würde”, setzte sie beschwichtigend nach.
      “Kann ich mir vorstellen”, nickte ich, “aber du und Samu? Grandiose Vorstellung.” Ein freches Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. Vermutlich wäre sie auch deutlich glücklicher mit ihm als mit Niklas, aber das hatte ich nicht zu beurteilen.
      “Findest du? Ich weiß ja nicht so recht”, antwortete sie argwöhnend, schien aber dennoch über meine Worte nachzudenken. Ihr Blick blieb bei ihrem Hengst, der noch immer von ihrem anderen Schützling über den Paddock gescheucht wurde. Keine Bisse, keine Tritte, also hielten sich die Rangdiskussionen noch im Rahmen. So färbte sich aber das saubere helle Fell, immer mehr zu einem Leoparden.
      “Willst du jetzt hören, wie schön eure Kinder aussehen könnten?”, begann ich zu lachen.
      “Ach, jetzt sind wir schon bei Kindern”, amüsiert funkelte es in ihren Augen, “Offenbar hast du genauere Vorstellung über mein Leben als ich selbst.”
      “Natürlich. Grund eins: Hast du dich mal richtig angeschaut? Du bist niedlich. Grund zwei: Dein Leben ist so viel interessanter als meins, deswegen mache ich mir Gedanken, um äußerst seltsame Dinge”, baute ich die Diskussion aus. Sie konnte nicht direkt einordnen, was ich meinte, aber nickte einmal sehr lang, als es im Kopf ankam.
      “Ich habe ja bereits vieles gehört, was ich sein soll, aber niedlich war selten dabei, aber danke”, lächelte sie geschmeichelt, “Aber was ist an meinem Leben dann so viel spannender? Es kommt mir nicht so vor als würde bei dir so wenig passieren.” Sie klang wirklich interessiert an meinem Gedankengang, auch wenn sie stets die Tiere im Auge behielt. Immerhin arbeiteten wir, während die nette Unterhaltung geführt wurde. Viel stand heute ohnehin nicht auf dem Plan.
      “Meine Wortwahl war interessanter und nicht weniger. Dennoch ist es ziemlich einfach, weil es bei dir so geregelter wirkte, bisher und die Erzählungen von deinem Umfeld immer so mitreißend ist”, erläuterte ich.
      “Wenn das so interessant ist, sollte ich vielleicht schon einmal an meiner Biografie arbeiten”, scherzte sie, “Aber Danke für das Kompliment?” Irritiert schielte sie kurz zu mir hinüber, bevor die felligen Vierbeiner wieder die Aufmerksamkeit bekamen.
      „Ich war ein Jahr im Literaturkurs, das könnte helfen“, offerierte ich.
      “Nette Angebot, aber ich glaube, das ist ziemlich viel Aufwand dafür, dass es vermutlich nur dich interessiert”, lächelte sie sanft.
      „Ach, Niklas sollte dafür auch sehr zu haben sein und der kann vermutlich die komplette erste Auflage kaufen“, bemerkte ich beiläufig und verfiel wieder darin, dass ihr bester Freund offenbar auch ihre Jugendliebe darstellte. Romantische Vorstellung, wie ich feststellte und meine womöglich erste und einzige Liebe als kribbelndes Gefühl unter der Haut spürte. Natürlich, Erik war großartig und ich wollte auf eine gewisse Art und Weise für immer bei ihm sein, aber er war nicht … Ich gab mir einen kleinen Klaps auf die Wange, um den Blick wieder für die Tiere zu haben und davon abzukommen. Der Schmerz war stets präsent, aber versteckt, wie chronische Kopfschmerzen.
      “Ich glaube, so funktioniert das nicht, wenn man halbwegs erfolgreich sein wollen würde”, sprach sie grüblerisch und gerade die letzten Worte klangen eher als sei es eher ein hypothetisches Gedankenspiel als eine ernsthafte Überlegung.

      Nach einer weiteren verstrichenen halben Stunde setzten wir uns wieder in Bewegung. Lina nahm sich ihrem Schützling Rambi an, während ich in der Sattelkammer saß und klägliche Aufgaben wie Sattelzeugpflege verrichtete. Eine Trense nach dem anderen nahm ich auseinander, fettete sie ein und baute alle Einzelteile wieder zusammen. Bereits nach der Vierten verlor ich die Lust daran, obwohl noch mehr als zwanzig Stück vor mir lagen.
      „Du bist aber fleißig“, sagte Tyrell und legte den Sattel zurück auf seinen Platz. Seine Schritte hatte ich bereits vernommen, aber man hörte andauernd welche. Selbst über mir knarrte es unregelmäßig.
      „Offensichtlich“, murmelte ich nur. Dabei schloss ich das Reithalfter wieder am Genickstück an.
      „Das war vorhin Spaß“, kam er sofort auf das Thema zu sprechen, was immer wieder in meinem Kopf aufblickte, als wäre es der nervige Wecker am Morgen, der alle neun Minuten ans Aufstehen erinnerte.
      „Freut mich, dass es dir Spaß bereitete“, drehte ich mich zu ihm, mit einem aufgesetzten Lächeln. Widmete mich im Anschluss wieder der Trense, die an ihren Platz zurückkam.
      „Eigentlich wollte ich noch etwas anderes ansprechen“, setzte sich Tyrell mit ernstem Blick neben mich. Wachsam spitzte ich meine Ohren. Die Finger fummelten eine weitere Trense auseinander, aber meine Augen sagen gespannt in seine Richtung.
      „Folke und Hedda werden zurückgehen nach Kalmar, auch Holy lassen sie hier und ich überlege, die Traber nach und nach zu verkaufen“, sagte er mit einem Seufzer. An den Tieren lag ihm viel, umso schwerer wirkte die Entscheidung.
      „Und, was soll ich nun tun?“, versuchte ich mehr in Erfahrung zu bringen.
      „Wäre es möglich, dass du wieder fährst?“, kam er zum Punkt.
      Nein, sagte ich in Gedanken, aber meine Lippen blieben geschlossen. Neben dem harten Training mit Lubi und der anderen Pferde nun auch noch, die Traber in Form zu halten, überstieg deutlich meine Leistungen. Außerdem kam ich selbst kaum auf das nötige Gewicht, wodurch die Rennen für mich nichts sein würden.
      „Es ist in Ordnung, wenn du nicht möchtest. Aber ich würde deine Hilfe benötigen bei der Suche nach jemand Neues“, wartete Tyrell nicht einmal auf meine Antwort.
      „Keine Ahnung, wie ich dir dabei eine Hilfe sein soll, aber ja“, stimmte ich nickend zu, „ich kann auch erst mal, zumindest hier, die Pferde fahren, aber rennen werde ich nicht nennen.“
      Er nickte.
      „Was passiert mit Holy und dem Fohlen?“, kam mir umgehend die Plüschkugel in den Kopf.
      „Die werden wir übernehmen, aber später dann schauen, ob wir sie behalten. Für die Reitschule könnte sie schwierig werden“, erklärte Tyrell. Sprach er von der Reitschule, die bisher nur Ausrede für Pferde war, die er kaufte und keine Notwendigkeit hatten? Gerade mal zwei Reitschüler kamen in der Woche, nichts Nennenswertes für einen weiteren Ausbau.
      „Okay“, nickte ich. Tyrell verließ den Raum und ich widmete mich wieder den Trensen. Aktuell schien sich alles zu ändern. Es kamen immer mehr neue Menschen und im selben Zuge verließen uns andere. Dass es innerhalb weniger Monate derartig viele Veränderungen geben würde, hätte ich nicht denken können. Immer mehr verfiel ich wieder in meinen Trott aus schlechten Gedanken, aber versuchte mich mit den Trensen abzulenken.
      „Die Leute lieben dich“, hörte ich hallend im Flur vor der Sattelkammer. Harlen unterstrich seine Freunde mit seinem Handy hoch in Luft gereckt. Er hatte wohl auch von den Bildern mitbekommen und gesellte sich zu mir.
      „Scheint so“, antwortete ich abwesend, ohne das Zaum aus der Hand zu legen. Den Blick behielt ich ebenfalls daran, um wirklich jede noch so kleine Verschmutzung zu entfernen. Nur noch fünf Stück lagen vor mir.
      „Was ist los?“, fragte er ernst.
      „Nichts.“
      „Für ‚nichts‘ bist du ziemlich seltsam und in dich gekehrt“, merkte Harlen an. Womöglich wieder eine seiner brüderlichen Instinkte, die ihn dazu anstifteten, hartnäckig zu bleiben.
      „Alles wie immer“, konnte ich mich nicht auf ein tiefgründiges Gespräch über meine Gefühle einlassen. In seinem Kopf ratterte es. Seine Hand fuhr durch das nach oben gegeltem Haar und richtete er sich auf.
      „Wir haben mitgeteilt bekommen, welche Pferde ihr in Kiel betreut“, wechselte Harlen gekonnt, das Thema.
      „Cool“, blieb ich desinteressiert. Kiel lag emotional noch so weit entfernt, dass ich darüber noch gar nicht nachdenken konnte. Letztlich war es nur arbeiten an einem anderen Ort, mit weniger Freiheiten.
      „Vivi, könntest du bitte mehr Interesse zeigen?“, appellierte er, aber kam damit nicht wirklich bei mir durch. Die nächste Trense baute ich nach dem Einfetten wieder zusammen. Ich stand auf und hängte sie zurück an ihren Platz. Es müsste jene sein, die wir an Götterdämmerungen verwendeten, zumindest nahm ich sie.
      „Okay, Harlen. Wenn du mich dann in Ruhe lässt, rede ich mit dir darüber“, gab ich schließlich nach. Er verhinderte, dass ich mit der nächsten Trense fortsetzen konnte.
      Zustimmend nickte er.
      „Tyrell musste mal wieder alte Wunden aufreißen, du verheimlichst mir Dinge und ich weiß nicht, wofür mein Herz schlägt“, ratterte ich im Akkord herunter.
      „Du hast recht“, seufzte mein Bruder, „ich war nicht ehrlich zu dir und das tut mir leid.“
      „Und welchen Grund sollte es dafür geben?“, seufzte ich.
      „Es ist kompliziert, deshalb wollte ich nicht darüber reden.“ Seine kurze Aussage klang nach weiterem Schweigen darüber, aber er überlegte auch. Ich hatte mir wieder eine Trense geschnappt, als er weitersprach: „Eigentlich wollte ich nicht hierbleiben, nachdem es mit der Firma geklärt war, aber einige Sachen verhinderten dieses Unterfangen. Papa sieht es nicht gern, dass ich von hier ausarbeite und nun auch noch als zweifacher Geschäftsführer agiere. Ich habe entschieden, dass mein Verwalter das Familienunternehmen vertritt und ich hierbleibe.“
      Harlen sprach um den heißen Brei. Nichts davon wirkte kompliziert oder verriet, wieso er die Entscheidung traf.
      „Du wirst wohl kaum geblieben sein, weil Schweden so schön ist. Dafür sitzt zu viel im Büro“, merkte ich an.
      „Aber das Wetter ist etwas besser.“ Er grinste. Gut, Punkt an ihn.
      „Willst du wirklich wie ich hier auf dem Hof verschimmeln?“, fragte ich.
      „Wieso sollten wir hier verschimmeln? Du planst gerade deine Karriere und ich führe ein erfolgreiches Gestüt, das eine große Zukunft vor sich hat, vor allem, wenn die Weltreiterspiele hier stattfinden sollen. Kannst du dir vorstellen, was das bedeutet?“ In Harlens Augen funkelten förmlich die Geldscheine, aber er sah auch nur das große Ganze, nicht die Arbeit mit den Tieren.
      „Ich denke nicht, dass ich es so weit schaffe und die ganze Arbeit!“, jammerte ich.
      „Es geht nun mal nicht von heute auf morgen. Für dich ist es immer so einfach.“

      Tatsächlich hatte ich alle Trensen geschafft, noch vor sechs Uhr am Nachmittag. Damit blieb noch genug Zeit, um mich im Stall umzusehen, wer beschäftigt werden wollte. Von Folke verabschieden, stand ebenfalls noch auf dem Plan. Heute war sein letzter Tag, hatte mir noch Harlen mitgeteilt. Dass es so schnell gehen würde, dachte ich nicht. Veränderungen. Allein diese Tatsache lag mir schwer im Magen, aber ich konnte dagegen nichts tun.
      „Rambi war gut?“, fragte ich Lina in der Stallgasse, die gerade Walker gesattelte hatte und den Kappzaum verschnürte.
      „Ja, super“, antwortete sie kurz. Am Sattel passte sie die Bügellänge ein und verschwand im Schritt durch das große Tor. Ihr Zeitplan schien auch voll zu sein. Indessen stand ich am selben Punkt: Welches Pferd sollte noch geritten werden? Lubi hatte Pause, schließlich stand morgen ein intensives Training mit Eskil an und Maxous Beule wurde wieder größer, wodurch ich zunächst auf den Befund der Biopsie wartete. Unser Tierarzt hatte Zweifel geäußert zwischen den Zeilen, aber ich versuchte optimistisch zu bleiben.
      Also schlich ich durch Aufgang der Hengste, sah wie Plano an der Mähne von Wunderkind knabberte, Shaker an der Selbsttränke spielte und jedes Mal zusammenzuckte, wenn knarrend das Wasser zischte. Von der Seite kam Waschprogramm dazu, das seltsame Barockpferd, dass Tyrell einfach so gekauft hatte. Übersät von Matsch, erkannte man kaum die Punkte in dem Fell.
      „Na komm, dann machen wir mal was“, sagte ich entschlossen und stieg durch die Gitter auf den Paddock. Im Handumdrehen lag das Halfter an seinem Kopf. Treudoof folgte mir das Tier in den Stall.
      Nach einer halben Stunde putzen, verlor ich die Lust noch mehr der riesigen Sandflecken zu entfernen und führte ihn einige Meter weiter zur Indoordusche. Langsam schaltete ich den Wasserhahn an, bis es für mich eine angenehme Temperatur hatte. Waschprogramm jedoch machte seinem Namen keine Ehre. Wie ein kleines Kind hampelte er von links nach rechts, um dem lauwarmen Strahl zu entkommen. Vorsorglich entledigte ich mich der Jacke und Pullover. Im nächsten Augenblick stellte es sich als eine gute Entscheidung heraus. Der Hengst schnappte in den Schlauch und mich überkam ein Schwall aus Wasser.
      “Toll gemacht”, sagte ich zynisch und betrachtete mein tropfendes T-Shirt. Unter mir bildete sich eine kleine Pfütze. Gerade, als ich das Shirt auch noch zur Seite gelegt hatte und das Seitentor geschlossen, ergriff Waschi erneut den Schlauch. Ein bitterlicher Kampf um die Hoheit über die gelb-rote Schlange begann. Kurze Zeit dominierte ich den Besitz, konnte große Teile seines Körpers zumindest anfeuchten, bis er mit gestrecktem Kopf das Gummi in die Luft ragte. Zum Glück war die Dusche großzügig angelegt, dass im Hauptgang alles trocken blieb.
      Eingeseift und wie ein begossener Pudel stand der Hengst vor mir, den Hals gesenkt und die Augen mitleidig nach oben gedreht. Als ob es so ein Problem war, dachte ich insgeheim. Aber kaum floss das Wasser wieder, setzte der Kampf fort. Schritte nährten sich, die ich im Eifer des Gefechts kaum für voll nahm. Besagte Person stoppte. Waschprogramm hatte zu dem Zeitpunkt wieder den Schlauch im Maul und musste umgehend dafür sorgen, dass auch wirklich jeder in seinem Umfeld von seinem Leid etwas zu spüren bekam.
      “Gib zu, das macht er in deinem Auftrag”, ertönte Niklas tiefe Stimme hinter mir. Verlockt, der Tatsache zuzustimmen, drehte ich mich zunächst um. Ich schluckte.
      “Ohne meinen Anwalt sage ich nichts. Ich kenne meine Rechte!”, scherzte ich und griff zu dem Handtuch, das allerdings genauso nass war wie das Umfeld. Ich schmiss es zurück über die Stange. Ungewöhnlich schnell hatte er die durchnässte Jacke in der Hand. Das Shirt darunter wies nur kleine Flecken auf, was Waschi schleunigst zu ändern wusste. Einmal wippte er mit seinem Kopf und schon bekam Niklas die nächste Dusche ab.
      “Es tut mir leid, aber du hättest damit rechnen müssen”, sprach ich schulterzuckend und versuchte den Schlauch zu erobern. Dafür schaltete ich diesen aus, schon hatte ich ihn zurück. Zumindest das Shampoo sollte aus dem Fell heraus, dann wäre er von seinem Leid erlöst.
      “Dann muss ich mich wohl von noch mehr trennen”, lachte Niklas und warf mir sein Shirt entgegen. Ein intensiver Schweißgeruch gemischt mit Deo lag mir in der Nase. So schnell ich konnte, legte ich es wieder weg.
      “Nur das Nötigste”, ermahnte ich ihn, aber konnte auch mein Lachen nicht verdrängen.
      “Oh nein, bringe ich dich etwa in Schwierigkeiten?”
      “Eher du dich selbst. Lina könnte jeden Augenblick wieder kommen”, setzte ich die Grenzen. “Aber, was machst du hier?”
      “Eigentlich wollte ich mein Pferd bewegen, aber jetzt muss ich erst mal neue Sachen aus dem Auto holen”, sprach Niklas.
      Ich drehte mich von ihm weg, um nicht noch bei den auffälligen Blicken auf seine Tattoos eine Anmerkung zu kassieren. Verlegen biss auf meiner Unterlippe, schaltete das Wasser ein und entfernte den restlichen Schaum aus dem Fell des Pferdes. Der Abstand zu ihm verhinderte, dass er in den Schlauch schnappte.

      Lina
      Beinahe wie ein Geist hob, sich die helle Gestalt des Hengstes von dem strahlend blauen Himmel ab, der sich in der Pfütze spiegelte.
      “Großer, da ist nichts zu sehen, außer dir selbst”, sprach ich ruhig zu dem Tier. Seit einigen Minuten stand Walker vor der großen Pfütze, die das leichte Tauwetter auf dem Weg hinterlassen hatte und bewegte sich keinen Zentimeter vorwärts. Immer wieder senkte der Schimmel den Kopf, um mit weit geblähten Nüstern in das Wasser zu starren, ganz so als würde gleich ein Hai daraus emporspringen, um ihm in die Nase zu beißen.
      Mit sanftem Druck in die Flanken, forderte ich Walker erneut auf, sich zu bewegen und tatsächlich setzte der Hengst vorsichtig einen Huf in das Wasser.
      “So ist es brav.” Mit lobenden Worten strich ich über das dichte Fell, welches den Hengst umhüllte wie eine weiche Decke. Der Hengst setzte weiter Hufe in das Nass, auch wenn er die reflektierende Oberfläche nicht aus den Augen ließ. Nach der Durchquerung bekam der Hengst ein Leckerli für den Heldenmut sich dem gefährlichen Miniozean zu stellen.
      Weitere Gefahren begegneten uns auf dem Weg in den Stall nicht, allerdings eröffnete sich ein ziemlich seltsames Bild beim Betreten der Stallgasse. Aus der Waschbucht blickte Waschprogramm, mit hängenden Ohren und ließ sich Schicksalsergeben von Vriska abduschen, die dies aus nicht ersichtlichen Gründen ohne Shirt tat. Sollte ein warmer Wintertag doch nicht gleich ein Grund sein, alle Hüllen von sich zu schmeißen. Als sei das nicht bereits fragwürdig genug, stand mein Freund ebenso unbekleidet da, auch wenn er gerade auf dem Weg nach draußen zu sein schien.
      “Habe ich den Sommeranfang verpasst?”, kam mir, schneller als dass ich es überdenken konnte, ein spitzer Kommentar über die Lippen, bevor ich Walker energisch an den beiden vorbei, zum Putzplatz trieb.
      „Schön wäre es!“, schnaubte Vriska, „Der wollte unbedingt, dass wir auch sauber sind.“ Dabei zeigte sie auf Waschi, der die Augen langsam die Augen nach oben schon und schlussendlich in den Schlauch biss. So schnell konnte man Vriska gar nicht folgen, da ließ der Wasserdruck nach und das Pferd vom Gummi.
      “Ah ja”, argwöhnte ich, denn so wirklich sinnig erschein mir diese Erklärung dennoch nicht, “und weil Waschi meint alle wässern, zieht man sich gleich aus?” Auf die Antwort wartend, ließ ich mich aus dem Sattel des hellen Hengstes gleiten. Seine blauen Augen beharrlich auf mich gerichtet, die Ohren spielend, beobachte er, wie ich um ihn herumtrat, um das Halfter zu ergreifen, welches dort an einem Haken hing.
      „Also ich habe mich vorsorglich ausgezogen“, erklärte sie schließlich. Der Hengst hatte sich geschüttelt und sie nebenbei mit dem Schweißmesser das überschüssige Wasser entfernt. „Dein Freund hat es ungeschickter getroffen, deswegen ist er zum Auto.“
      Unverändert nickte ich. Dann nahm ich den Sattel vom Rücken. Im Flur kam Welpi wie ein Pfeil angeschossen, fußelte um meine Beine herum, noch bevor ich überhaupt in der Sattelkammer ankam. Ungewöhnlich frisch roch es, aber nicht so wie Wäsche duftet, wenn man sie aus der Waschmaschine nahm, sondern eher nach Seife und … Lederfett? In der Kammer bestätigte sich meine Vermutung, die Trensen hingen alle ordentlich geputzt und an der Wand und erstrahlten in fettigen Glanz. Hier musste jemand ziemlich fleißig gewesen sein oder hatte viel Langeweile, wobei mir in letzterem Fall ungefähr hundert andere Dinge einfallen, die mehr Spaß machen würden. Schwungvoll hievte ich den Sattel auf seinen Platz und fiel beinahe über den Hund, der mir noch immer zwischen den Füßen herumlief.
      „Vorsicht Kleiner“, lächelte ich und ging mit ihm auf Augenhöhe. Sofort grub der kleine Rüde seinen Kopf in meinem Schoß, während seine Rute wie ein Propeller durch die Luft flog. Freudige Laute drangen aus dem kleinen Brustkorb, während ich ihn ausgiebig kraulte. Nach einem Moment schob ich ihn von mir, schließlich wartete Walker noch auf sein Futter, bevor er zurück zu den anderen in das Matschwetter durfte. Der Welpe schien nicht der Meinung, dass ihm bereits genug Aufmerksamkeit zukam, denn er setzte sich unmittelbar auf meine Füße. Seinen großen Runden Welpenaugen beobachtet jede Bewegung, während ich das Gebiss auswusch.
      “Fred, so geht das nicht, du bist nicht der Einzige, der heute noch meine Aufmerksamkeit möchte”, versuchte ich den Welpen zu erklären. Natürlich verstand er kein einziges meiner Worte und fühlte sie dadurch, genauso wenig inspiriert sich zu erheben. So schob ich den Hund von meinen Füßen herunter auch, bemüht seinen Kugelaugen zu widerstehen.
      “Ach, wer möchte die denn noch?”, drang eine dunkle Stimme schäkernd an meine Ohren. Ich hatte gar nicht wahrgenommen, dass jemand den Raum betreten hatte. Erschrocken fuhr ich herum: “Gott, schleiche dich doch nicht so an.” Im Türrahmen stand Niklas, ein charmantes Grinsen auf den Lippen und vollständig bekleidet. Zugegebenermaßen müsste ich eigentlich leider sagen, denn ohne den verhüllenden Stoff …
      “Habe ich doch gar nicht. Vielleicht solltest du mehr auf deine Umgebung achten, bei deinen tierischen Gesprächen”, unterbrach mein Freund diesen Gedanken, bevor er weitere Form annehmen konnte. Von dem Neuankömmling begeistert, tapste der Welpe ihm entgegen und hüpfte wie ein Flummi an ihm hoch. Mich beschlich das unbestimmte Gefühl, dass Niklas sich auf meine Kosten amüsierte.
      “Das war kein Gespräch”, verteidigte ich mich, “dafür hätte nämlich eine Antwort erfolgen müssen.” Leicht pikiert wand ich mich von ihm ab, um Walkers Trense ordentlich zwischen den anderen zu platzieren.
      “Nicht immer alles so ernst nehmen, Engelchen. Ich scherze doch nur”, beschwichtigte Niklas direkt und hatte mit wenigen Schritten den Raum durchquert. Unmittelbar hinter mir konnte ich seine Präsenz spüren, die Wärme, die sein Körper ausstrahlte, die starken Hände, die sich auf meiner Taille ablegten.
      “Eigentlich ist das sogar ganz niedlich”, flüsterte er mir sanft ins Ohr. Die glühenden Funken, welche in seiner Nähe stets durch meine Adern tanzten, wurden immer mehr, bis eine Flamme zu lodern begann. Es waren weniger die Worte selbst, die all diese Empfindungen anfachten, als mehr die Offenherzigkeit, die in diesem Moment zu liegen schien. Langsam wand ich mich zu ihm um, blickte in seine strahlenden Augen, in denen die Begierde aufblitze. Worte waren nicht vonnöten, denn wie von selbst fanden unsere Lippen zueinander und die Welt um mich herum verschwamm. Sein Geruch, die kurzen Bartstoppeln, die über meine Haut kratzten, jeder einzelne Muskel, von dem mich nur dünner Stoff trennte – all das wirkte so berauschend. Rau und zart zugleich, war die Haut seiner Finger, die zärtlich den Konturen meiner Lippe folgte, als ich den Kuss für eine Atempause unterbrach. Wohlige Schauer rieselten meine Wirbelsäule hinab. Unglaublich, wie viel so eine winzige Berührung auslösen konnte. Erneut senkte er seine weichen Lippen auf meine, diesmal wenige sanft, irgendwie fordernder. Bereitwillig öffnete ich sie, sodass unsere Zungen sich wie in einem Tanz umspielten. Meine Hände glitten aus seinen Nacken hinab, wanderten an seinem muskulösen Oberkörper hinab, bis er meine Finger stoppte. Ganz langsam lösten sich unsere Münder voneinander, doch unsere Blicke hielten einander fest. Das Herz in meiner Brust schlug wild, drohte beinahe aus meiner Brust zu springen und gleichzeitig regten sich noch ganz andere Dinge in meinem Inneren.
      “Weißt du eigentlich, wie wunderschön du gerade bist?”, flüsterte Nik sacht und strich mir eine der dunklen Haarsträhnen aus der Stirn. Dick eingepackt in mehrere Schichten Kleidung, um dem schwedischen Winter zu trotzen, bedeckt mit Matsch und Pferdehaaren. Nicht einmal meine Haare, die ich jeden Morgen zu bändigen versuchte, verweilten lange in gewünschter Ordnung. Alles in allem eher ein Zustand, den ich mit einer anderen Wortwahl, als wunderschön beschreiben würde. Dennoch versuchte ich den Drang ihm zu widersprechen zu unterdrücken und nicke zustimmend. Noch immer loderten die Flammen in meinem Inneren, erweckten eine Sehnsucht. Sehnsucht nach mehr von dem, was er in mir bewegen konnte, mehr Niklas.
      “Ich finde es so schön, wenn du hier bist”, sprach ich schließlich aus, was immer mal wieder in meinem Kopf herumgeisterte, ”kannst du nicht vielleicht öfter vorbeikommen?” Eigentlich kannte ich die Antwort bereits. Neben seiner Arbeit war das Training ziemlich zeitintensiv und irgendwo dazwischen wollte man selbstverständlich auch noch Zeit für Freunde und Familie haben, oder was auch immer mein Freund in seiner Freizeit anstellten. Da sich an diesen Umständen nichts verändert haben würde, war es ziemlich naiv zu glauben, dass seine Zeit mehr geworden sein sollte.
      “Da wirst du spätestens im Frühling glücklich sein. Dann wechseln wir aus Kalmar her”, grinste Niklas.
      “Na gut, dann hoffe ich, dass der Winter schnell vergeht”, lächelte ich zurückhaltend. Wir hatten gerade einmal Anfang November, was bedeute, dass es noch einige Monate bis zum Frühling hin sein würde. Noch viel länger konnten die nordischen Winter werden, wenn man in einen alltäglichen Trott verfiel. Wenigstens gelegentlich vermochten Niklas Besuche ein wenig Licht in die dunkeln Wintertage zu bringen.
      “Apropos Zeit”, er räusperte sich, “kommst du dann mit nach Stockholm?” Natürlich musste diese Frage über kurz oder lang kommen. Ewigkeiten hatte ich mir den Kopf über diese Entscheidung zerbrochen, denn sowohl für Kiel als auch für Stockholm hatte es gute Argumente gegeben. Letztlich war die Entscheidung jedoch auf Kiel gefallen. Denn auch wenn Stockholm mit einer sagenumwobenen Show lockte, bot die Auktion die einmalige Chance einiges zu lernen und Einblicke in eine Welt zu bekommen, die bisher weit jenseits meiner Vorstellungen lag.
      “Ich wäre so gerne mitgekommen, aber leider sind Vriska und ich da bereits auf einer Art Fortbildung”, entgegnete ich bedauernd. Es war auch einfach nicht fair, dass die Ereignisse in denselben Zeitraum fielen.
      Niklas nickte verständnisvoll. “Immerhin sitzt du nicht traurig hier in der Einöde. Aber ich kann dir sicher einen Code besorgen für die Onlineausstrahlung.” Sofort erhellte ein Lächeln mein Gesicht, denn auch wenn es gestreamt nicht ganz dasselbe Erlebnis sein würde, war es immerhin eine Möglichkeit, die beiden Veranstaltungen zu vereinen. Am allerwichtigsten natürlich war es, dass ich Niklas Auftritt mit seiner neuen Stute nicht verpassen wollte.
      „Traumhaft, ich bin schon gespannt, wie Form sich machen wird. Aber sicherlich wirst du wie immer alle umhauen”, schmunzelte ich. Leider bekam ich nur ziemlich wenig von Nikis Training mit seiner schwarzen Schönheit mit, schließlich wollte ich Vriska nicht ständig auf die Nerven gehen, wenn sie mit Lubi zum Training fuhr. Dabei faszinierte es mich immer wieder, wie leichtfüßig und elegant solch ein gigantisches Warmblut wirken konnte, wenn nur der Richtige im Sattel saß.
      “Anders feilt aktuell noch an der Kür für den Freestyle, aber im Großen und Ganzen bin ich zuversichtlich”, blieb er zuversichtlich, obwohl seine Finger ungeduldig am Shirt fummelten.
      “Alles okay? Wenn ich dich aufhalten sollte, kannst du ruhig zu deinem Pferd gehen”, bot ich entgegenkommend an, denn einen anderen Grund für seine Unruhe konnte ich nicht erkennen.
      “Du hältst mich nicht auf”, das Grinsen auf seinen Lippen wurde größer, “nur wollten meine Kollegen nachher noch in eine Bar.”
      “Und deshalb hibbelst du hier so rum?”, hinterfragte ich kritisch, denn mich beschlich das Gefühl, dass der Kerl noch irgendetwas anders im Sinn hatte.
      “Was willst du denn hören?”, er zuckte mit den Schultern und nahm den innigen Blickkontakt von mir. “Ich habe noch anderes zu tun, als hier herumzustehen, auch wenn es nicht nett klingt.”
      Dass seine Stimmung urplötzlich kippte, konnte nichts Gutes bedeuten. Aus dem Regal nahm er den Putzkasten heraus, sowie die Trense der Schimmelstute.
      “Du bist seltsam heute”, sprach ich offen aus, was mir durch den Kopf ging. Dennoch beschloss ich nicht weiter nachzuhaken, wollte ich nicht noch durch meinen Argwohn das Gefühl in ihm erwecken, dass ich ihm nicht vertrauten würde. Wenn es etwas zu bereden gab, würde er das schon ansprechen.
      “Aber dann werde ich Walker mal sein Futter bringen, viel Spaß mit deinem Pony”, setzte ich nach, verharrte noch kurz, ob es noch eine Antwort geben würde oder das Gespräch nun tatsächlich beendet war.
      “Danke dir auch”, drehte Niklas sich noch einmal um und verschwand.
      Auf der Stallgasse wurde ich bereits von dem Schimmelhengst erwartet, der auch sogleich die Schnauze in der Plastikschüssel versenkte. Im Zuge der Überlegung, welchen Vierbeiner ich mich als Nächstes widmen wollte, zog ich mein Handy aus der Tasche. Unmittelbar unter der Verknüpfung zum Hofsystem leuchtete aufdringlich ein roter Punkt in der Ecke der stilisierten Polaroidkamera, den ich geflissentlich ignorierte. Nach einem kurzen Blick vor einigen Stunden hatte ich bereits wahrgenommen, dass meine DMs unter den zahlreichen Reaktionen auf die Story von heute Morgen beinahe explodierten. So viel Aktivität hatte dort zuletzt geherrscht, als das HMJ noch aktiv am Laufen war und ich konnte mir nicht so recht erklären, was die Leute dazu bewegt hatte. Schließlich waren ein paar Pferde, die im Matsch spielten, nicht gerade außergewöhnlich, auch wenn eines davon ein weißer Freiberger war.
      Aber zurück zum eigentlichen Thema. Mit wenigen Klicks hatte ich auch bereits das Tier im Blick, mit welchem ich mich als Nächstes beschäftigen wollte.
      Binnen weniger Minuten hatte Walker sein Futter eingesaugt und sowohl Schlüssel als auch Boden vollkommen Krümel frei zurückgelassenen. So entließ ich den Schimmel zurück auf seinen Paddock, wo er zielstrebig zum Heu und sich zwischen Lu und Plano drängelte. Von den Hengsten aus lief ich unmittelbar weiter zu Holy. Mit jedem Tag schien die Stute runder zu werden, was nicht allein an dem guten Heu lag, welches sie haufenweise futterte. Nein, auch die Überraschung in ihrem Bauch ließ sich nun nicht mehr verstecken. Geschickt schlüpfte ich durch den Zaun zu den Stuten hinein.
      Die geschenkte Plüschkugel stand gemütlich unter dem Dach und knabberte an ihrem Heunetz.
      "Na, Mausi", begrüßte ich den Tinker, "Lust dich ein wenig zu bewegen?" Neugierig drehte sich der dunkle Kopf in meine Richtung. Zart kitzelte der kleine Schnurrbart, der der Stute an der Oberlippe gewachsen war, über meiner Hand, als Holy zart meine Finger beknabberte. Seltsamerweise hatte die Stute sich dieses Verhalten angewöhnt, seitdem es weniger Leckerlis gab. Routiniert zog ich das Halfter über den breiten Ponyschädel, während selbiges geduldig wartete, was Vriskas Aussagen nach, einiges an Zeit und Nerven gekostet hatte. Ich dachte beinahe, dass sie mir artig in den Stall folgen würde, doch Holy schien es eilig zu haben und drängelte an mir vorbei. Dreimal musste ich sie korrigieren, bevor sie sich fürs Erste fügte.
      Freundlich, wie immer, legte Smoothie die Ohren an, als ich Holy an ihr vorbei auf den freien Putzplatz führte. Bis heute war es mir unerklärlich, warum Niklas Stute mit jedem Tag, den ich mit ihr arbeitete, zickiger wurde, interessanterweise nur mir gegenüber. Alle anderen Menschen wurden ignoriert oder, was sie hauptsächlich bei Ju häufig tat, auf Leckerbissen hin untersucht. Meine Hypothese, lautete, dass Smooth eifersüchtig war, weil ich ihr wertvolle Zeit mit Niki stahl, denn sowohl in Kanada als auch noch so lang wie sie in Kalmar stand, war sie noch nicht so launisch gewesen. Wie auch immer. Bei Smoothie konnte ich tun, was ich wollte, sie blieb immer abweisend, was ich mittlerweile so hinnahm.
      Seufzend betrachte ich Holy. Bis zum Bauch war sie bedeckt mit grauen Matschspritzern, die langen Haare an ihren Beinen klebten aneinander und ließen die eigentliche Farbe darunter nur noch stellenweise erahnen. So schön die Puschel an den Füßen auch waren, für so ein Matschwetter schienen sie nur wenig geeignet. Dennoch entschied ich mich dagegen, der Stute die Füße zu waschen, sie würden ohnehin wieder nass und eklig werden.
      Mit einem mehr oder minder sauberen Pony, ausgestattet mit Kappzaum und Longiergurt, ging es schließlich in die Halle.
      “Tür frei”, rief ich, bevor ich das Hallentor langsam aufschob. Bis auf meinen Freund, der mit seiner Schimmelstute gerade an der gigantischen Fensterfront entlang schritt, war die Halle leer. So führte ich Holy in die Zirkelmitte, um dort erst einmal die Doppellonge einzufädeln. Diese notwendige Vorbereitung dauerte heute allerdings besonders lang. Und zwar nicht, weil Holy sich wieder ungeduldig zeigte, nein, viel mehr, weil Niklas Gegenwart ein wenig ablenkend war. Immer wieder zog es meinen Blick auf den definierten Oberkörper, dessen Muskeln sich deutlich unter dem dünnen Shirt abzeichneten. Verführerisch lockten die tintenschwarzen Linien, die sich kunstvoll über seiner Arme wanden, damit ihren Weg bis unter den dünnen Stoff zu verfolgen und die Gebiete zu erforschen, die darunter verborgen lagen. Willkürlich biss ich mir auf die Unterlippe, um die kleinen Flammen zu zügeln, die sich in meinem Innerem entfachen wollten. Stattdessen versuchte ich, mich auf die Leinen in meinen Händen zu konzentrieren.
      “Ich glaube, dafür muss man sich bewegen”, unterbrach seine Stimme die Stille der Halle. Süffisant grinsend hatte er seine Stute unmittelbar vor mir angehalten. Als wolle er seiner Worte noch unterstreichen, ließ er seine Muskeln spielen. Augenblicklich breitete sich Hitze in mir aus und brachte meine Wangen zum Glühen. Beschwerlich wand ich die Augen von Niklas ab und richtete sie auf meine Finger, in denen ein kleiner Leinensalat gebildet hatte.
      "Das tun wir schon fast", entgegnete ich und versuchte die Longen zu sortieren, die sich bei den hastigen Bewegungen allerdings nur weiter ineinander verheddern. Was war nur los, dass meine Hormone heute dermaßen unbeherrschbar schienen. Sonst brachte mich die Anwesenheit meines Freundes nicht so verheerend schnell aus dem Konzept und das, obwohl er zu jederzeit äußerst anziehend wirkte.
      “Soll das eine neue kreative Art werden, eine Longe zu halten?”, stichelte Niklas, bequem auf seiner Stute thronend, die neugierig die Nase zu dem Tinker hinstreckte.
      “Nein”, fluchte ich leise, “ich versuche diesen verdammten Knoten zu lösen.” Frustriert löste ich die innere Leine wieder vom Kappzaum in der Hoffnung so besser zum Knotenpunkt vorzudringen. Weiter erhitzte sich mein Gesicht, diesmal allerdings vor Schmach.
      Sicher war niemand so unfähig, eine Longe bereits beim Einhängen zu verknoten.
      “Na gib schon her, ich helfe dir.” Schneller als dass ich es hätte ablehnen können, war mein Freund bereits aus dem Sattel geglitten und nahm mir den Wirrwarr aus den Händen. Mit zwei Handgriffen hatte er den Knoten bereits gelöst und fädelte die Longe wieder dort ein, wo sie hingehört.
      “Jetzt kommt das hier, in das kleine Händchen”, sprach Niklas ganz nah an meinem Ohr und griff von hinten um mich herum,” und das in das andere.” Der Protest lag mir schon auf der Zunge, als jeden meiner Finger einzeln um die Stränge legte, als würde er mit einem Anfänger arbeiten, doch mein klopfendes Herz ließ mich verstummen.
      “Und jetzt nicht wieder verknoten, Engelchen”, raunte er an meinem Ohr, ein unverhohlenes Grinsen in der Stimme. Kein Zweifel bestand darin, er sich seiner Wirkung bewusst war. Vermutlich hätte er sein Spiel noch weitergetrieben, wäre da nicht die Pferdeschnauze, die sich ungestüm, zwischen uns drückte. Smoothie hatte entschieden, dass es genug war. So entschwand mein Freund aus meiner unmittelbaren Nähe, ließ nur eine Wolke betörenden Duftes zurück. Mit einem tiefen Atemzug versuchte ich meinen Herzschlag, wieder herunterzubringen und das Gefühl zu durchdringen, welches wie dichter Nebel durch meinen Kopf waberte. Erst als Niklas die Arbeit mit seiner Stute wieder aufnahm, hatte ich so viel Klarheit erlangt, dass ich mich auf den gescheckten Kaltblüter konzentrieren konnte. Unaufmerksam stolperte Holy los und ließ die Hufe unmotiviert durch den Sand schleifen, sie hatte eindeutig keine Lust darauf. Erst nach einiger Schrittarbeit wurde, der Tinker aufmerksamer und begann eine vernünftige Haltung einzunehmen. Aufgrund dessen wie lang es dauerte, bis die junge Stute mir zuhörte, fragte ich im Trab nur kurz eineiige leichte Lektionen ab, bevor ich die Einheit beende. Sichtlich angestrengt gähnte sie, während ich die Longe wieder abbaute und die Anstrengung damit nachließ.
      Ein Blick zu Niklas verriet mir, dass er lange noch nicht fertig war. Smoothie schien jetzt erst richtige wach zu werden und begann mit ihrem typischen rebellischen Verhalten, welches er deutlich besser zu händeln wusste, als ich es tat. Mir tanzte die große Schimmelstute regelmäßig auf der Nase herum und brachte mich damit an manchen Tagen nahe an den Rand der Verzweiflung. Doch auch wenn es sicherlich die bequemere Lösung wäre, die Verantwortung für Smoothie abzugeben, wollte ich nicht schon aufgegeben. Meinen Fähigkeiten vertraute ich dabei zwar nur bedingt, aber dafür vertraute ich auf Niklas Urteil, der mir sein Pferd sicher nicht anvertraut hätte, würde er denke ich würde nicht mit ihr fertig werden. Einen letzten Blick warf ich auf Pferd und Reiter, die, einiger Uneinigkeiten zum Trotz nicht besser zusammenpassen könnten, bevor ich mich widerwillig von dem Anblick löste. Wenn es nach mir ging, könnte ich meinem Freund den ganzen Tag lang zuschauen.
      Mit der müden Plüschkugel im Schlepptau verließ die Halle. Unter dem dicken Winterfell hatte Holy ordentlich zu schwitzen gefangen, sodass ich sie direkt unter dem Solarium parkte. Erschöpft hängte das Tier den Kopf in das Halfter, sobald die beiden Stricken diesen bequem hielten und schloss die Augen. Von der Seite schlich sich Vriska an, die offenbar den Welpen aus dem Büro geholt hatte. Freudig sprang er in unsere Richtung, während sie alles andere als ein Kind der Fröhlichkeit war. Der Uhrzeit zur Folge fehlte das Nachmittagskaffee, deshalb sparte ich mir eine Nachfrage, die ohnehin von nur wenig Erfolg gekrönt sein würde.
      Schweigend stand Vriska neben der Tinkerstute, zupfe aus der Mähne einige lockere Strähnen heraus und ließ sie zu Boden fallen. Ich war zeitgleich mit dem Welpen beschäftigt. Mit dem Schwanz schob er den Dreck von einer Seite zur anderen und sorgte damit, für unschöne dunkle Flecken im weißen Fell.
      „Ich weiß nicht, wie viel du heute aus den Stallgesprächen aufgeschnappt hast, aber“, Vriska nahm einen kräftigen Atemzug, als gäbe es Anlass zur Sorge. „Holy bleibt erst mal, bis das Fohlen da ist, dafür gehen Folke und Hedda zurück nach Kalmar.“
      Sie wich dauerhaft meinem Blickkontakt aus, ohne dabei die Hände von der ohnehin dünnen Mähne zu lassen. Immer mehr Haare landeten auf dem Boden, selbst den Schopf verschonte die Blonde nicht.
      „Oh, das ist schade. Warum gehen die beiden?“, fragte ich nach. Auch wenn zu meinen anderen Kollegen deutlich weniger Austausch bestand als zu Vriska, war das Team dennoch so etwas wie eine kleine Familie, in der jeder seinen festen Platz hatte. Selbst der rebellische Rotschopf, dessen anfänglich Passion für Holy deutlich nachgelassen hatte, hatte seine Platz darin gefunden.
      „Den genauen Grund habe ich schon verdrängt, aber ich schätze, dass er sehr an Kalmar hängt. Schließlich war Folke sein Leben lang bei ihnen auf dem Hof und Hedda hat es weniger weit zur Schule“, sprach sie gezielt, als würde jedes Wort zunächst aus den Untiefen ihr Gedächtnis gezogen werden. Immerhin hatte Vriska vom Langhaar die Finger genommen und massierte die Stirn der Stute. Holy stand mit aufgestelltem Bein, unter dem wärmenden Licht, unter das sich auch der Welpe gelegt hatte.
      „Nachvollziehbar“, nickte ich und begann allmählich zu realisieren, dass diese Nachricht nicht nur einen Verlust, sondern viel mehr einen Wechsel im Team bedeuten würde. Folke war schließlich der Einzige, der sich um das Training der Rennpferde kümmerte und auch wenn Vriska wohl in der Lage dazu wäre, glaubte ich nicht, dass sie den Sattel gegen den Sulky tauschen wollte oder sollte sie doch? Lag darin der Grund für ihr gedämpfte Verhalten?
      „Wie stellt Tyrell sich das mit den Rennpferden kommen? Wird dafür jemand Neues kommen?“, beschloss ich dieser Frage auf den Grund zu gehen.
      “Für dieses Jahr stehen ohnehin nur noch zwei Rennen auf dem Plan, dafür ist Folke genannt und er wird sie fahren, allerdings nur als Jockey. So lang werde ich mich den Tieren widmen müssen, bis jemand gefunden ist. Mein Bruder hatte schon Andeutungen gemacht, dass es über den Verband Kandidaten gibt, allerdings hat Tyrell gesagt, dass es nicht leicht ist, wen zu finden. So, I do not know”, sprach sie weiterhin niedergeschlagen. Ihre Erzählung durchkreuzte tiefe Atemzüge, die geräuschvoll durch ihre Nase kam, die etwas verstopft war. “Immerhin sind es aktuell nur zwei aktive Hengste, denn einige wird Tyrell mit nach Kiel nehmen. Lu und Sturmi laufen zwar noch, aber ist wohl nur von wenig Erfolg gekrönt. Die Stuten Mill und Enigma sind für März oder April geplant auf Rennen, aber mit Jungpferden am Sulky kann ich nicht so gut”, fügte sie noch hinzu. Also doch. Zumindest für eine Weile würde Vriska mit dem Reiten etwas kürzertreten müssen. Dabei schien sie, seit Lubi nicht nur Spaß an der Dressur zu finden, sondern entwickelte regelrecht Ehrgeiz, mit dem sie sicher einige erreichen könnte.
      “Oh, das klingt nicht so gut”, bekundete ich meine Anteilnahme, “Ist sonst alles in Ordnung mit dir?” Es berührte mich, sie so niedergedrückt zu sehen, vor allem weil dieser Zustand schier endlos wiederzukehren schien und ich wirklich ratlos war, wie sie wohl möglich aufzuheitern vermochte.
      “Wenn in Ordnung ‘Es ist immer dasselbe Chaos’ bedeutet, dann ja”, zuckte Vriska mit den Schultern. Aus ihrem Gesichtsausdruck konnte ich unmittelbar ablesen, dass es sie sehr belastete und ich ihre Unsicherheit über die kommende Zeit nachvollziehen konnte. Auch für mich war es noch immer schwer begreiflich, wo ich mich befand, umso komplizierter, musste es für sie sein. Wir hatten jeder für sich diese Entscheidung getroffen, nur aus anderen Beweggründen.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 53.776 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang November 2020}
      Fohlenbericht fünf von sieben.
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugo | 12. Juni 2022

      Sturmglokke LDS / Legolas / Ready for Life / Enigma LDS / Millennial LDS / Outer Space / Maxou / Lubumbashi / Harlem Shake LDS / Götterdämmerung LDS

      Lina
      Dampf stieg von dem hellen Fell des Falben in die kalte Luft empor. Im Vergleich zu den letzten beiden Tagen, war es heute wieder kälter geworden und der kräftige Wind jagte dunkle Wolkenfetzen über Himmel. Dennoch hatte ich mich gegen die Halle entschieden, als die Einsteller erblickte, die sich darin tummelten. Es waren zwar nur drei von ihnen und die Halle eigentlich groß genug, aber eines der Pferde war eine ziemlich zicke Stute. Deren Besitzerin ungefähr ebenso umgänglich war und die Schuld für das ungezogene Verhalte ihres Tieres grundsätzlich auf die anderen schob. So hatte ich mich mit Sturmglokke also nach draußen verkrümelt, wo ich den Platz wegen des eisigen Windes immerhin für mich allein hatte. Sturmi störte sich keineswegs an dem Wetter, blieb selbst in dem Moment ruhig als eine Plastikfolie, die wohl von der Baustelle kam, knisternd und raschelt an uns vorbeigeweht wurde. Mit etwas mehr Training könnte er sicherlich ein gutes Einsteigerpferd für den Turniersport werden.
      Die Dampfwolken wurden weniger und auch die Überprüfung mit meinen Fingern im Fell des Hengstes, bestätigten, dass er nahezu trocken war. Den Rest würde eine Abschwitzdecke erledigen können.
      Was ich erblickte, kaum hatte ich das riesige Tor, erfreute mein Herz. Ein dunkler Kopf mit einer Marken großen Blesse blickte mir vom Putzplatz entgegen. Zu den Füßen des Hengstes stand die silberne Kiste, die sein Putzzeug beinhaltete. Das konnte nur bedeuten, dass …
      “Samu”, rief ich erfreut aus, als der Finne mit dem Sattelt des Hannoveraners aus der verglasten Kammer auftauchte, “Lässt du dich auch endlich mal wieder blicken.” Auch auf seinem Gesicht erstrahlte ein Lächeln, offenbar lag die Freude nicht nur auf meiner Seite.
      “Ja und ich komme mit guten Neuigkeiten”, grinste er und platzierte den Sattel auf Legos Rücken.
      “Neuigkeiten? In der Mehrzahl?”, hinterfragte ich neugierig seinen Wortlaut, während ich begann den Falbhengst abzusatteln.
      “Ja, das hast du schon richtig gehört”, nickte er, machte allerdings keinerlei Anstalten, mit besagten Nachrichten herauszurücken. Stattdessen widmete er sich in aller Seelenruhe dem, die dunkle blaue Schabracke noch einmal zurechtzulegen, dann das dünne Gelpad und schließlich zog er auch den Sattel noch mal ein Stück nach vorn.
      “Und die Neuigkeiten wären?” Noch bevor er um Lego herumtreten konnte, um den Gurt zu befestigen, stelle ich mich in seinen Weg und blickte ihm forschend an. Offenbar hatte Samu heute den Schalk im Nacken, der schenke mit nur ein verschmitztes Lächeln.
      “Man, du bist gemein”, beschwerte ich mich und lief erst einmal in die Futterkammer, um Sturmis Futter zu holen. Gierig steckte der Falbe die Nase in die Schüssel und begann augenblicklich damit, die Krümel zu verschlingen.
      “Hat es was mit Lego zu tun?”, fragte ich eindringlich. Wenn er nicht von selbst redete, musste ich halt ihn halt dazu bringen
      “Ja, auch”, entgegnete Samu und wollte gerade das Halfter vom Kopf des Rappen löse.
      “Halt, stopp! Du läufst jetzt nicht weg”, protestierte ich, denn zu warten bis Samu fertig mit seinem Training war, dauerte mir eindeutig zu lang. Schnell warf ich einen Blick in die grüne Futterschüssel. Leer, sehr gut.
      “Warte kurz, ich mache schnell Redo fertig”, wies ich den Finnen an. In Windes eile, hatte ich den Hengst auf den Paddock gebracht und stand mit dem Halfter vor der Box meiner Rappstute, die mich nur ihren wohlgeformten schwarzen Hintern erblicken ließ. Redo war zwar von Grund auf ein freundliches Tier, aber gehörte zu denen, die auch gut ohne Menschen klarkommen würde, sofern für genug Futter gesorgt war. Unbeirrt schlüpfte ich an der kräftigen Stute vorbei, steckte ihr ein Motivationsleckerli in die Schnauze und schon folgte sie mir bereitwillig zurück zu Samu.
      “Halt mal kurz”, drückte ich Samu die Stute in die Hand, die sogleich neugierig von Legolas inspiziert wurde. Schnell öffnete ich die Schnallen an der Decke, die Redo trug, da sie mir nach dem Ende ihrer Dienstzeit mit sportlichem Kurzhaarschnitt geliefert wurde. Auf direktem Wege ging es weiter in die Sattelkammer. Von der Wand leuchtete mit das pinke Hackamore entgegen, welches sie vermutlich für Lubi angeschafft hatte. Kurzerhand entschied ich mich dafür, denn sicherlich hatte sie nichts dagegen, wenn ich es mir jetzt mal auslieh. Im gleichen Zug beschloss ich, dass Sättel überbewertet wurden und griff einzig nach einer Abschwitzdecke. Außerdem konnte ich mir so das Putzen sparen, um Samu nicht noch länger aufzuhalten.
      “So, wo waren wir?”, fragte ich zurück bei ihm und den beiden Pferden und nahm ihm die Stute wieder ab. Mit Schwung flog der Fleece Stoff auf den Rücken und das Halfter auf die nahe gelegene Bank.
      “Lego”, half mir Samu auf die Sprünge und begann nun tatsächlich selbigen zu trensen.
      “Ach ja … Du willst mit Lego wieder Turniere reiten”, riet ich willkürlich, was mir als Erstes in den Kopf kam. Langsam nickte mein bester Freund: “Das auch, aber das ist nicht, was ich dir erzählen wollte, denn Legos Comeback in der Turnierwelt steht erst für den Frühling auf dem Plan.” Mit dem Ende des Satzes war auch der Nasenriemen des Hengstes verschlossen.
      “Was ist denn mit dir kaputt? Das ist gar nicht blau oder anderweitig in dein übliches Farbkonzept passend?”, mit einem kritischen Blick musterte er plötzlich das Kopfstück mit den pinken Metallbügeln, welches an Redos Kopf saß.
      “Ist auch eigentlich Vriskas, ich habe es mit nur mal kurz ausgeliehen”, klärte ich ihn auf, ” außerdem hast du ein Problem damit, wenn ich mein Farbkonzept verändern würde?” Ich lachte herzlich. Samu noch nie wirklich viel Verständnis dafür gehabt, dass ich eine gewisse farbliche Harmonie an meinen Pferden bevorzugte, anstatt einfach irgendetwas unter den Sattel zu legen.
      “Ich habe gar nichts dagegen, wenn du dein Pferd kleiden willst, wie es eine 10-Jährige tun will, mach’ halt. Ich wollte nur wissen, ob ich mir Sorgen machen muss”, lachte er und führte seinen Hengst in Richtung Halle.
      “Ich bin keine zehn”, jammerte es plötzlich hinter uns am Rolltor, “aber ja, bediene dich einfach wie auf einem Basar.”
      “Nächstes Mal frage ich vorher, versprochen”, war alles, was ich zu meiner Verteidigung hervor zur bringen hatte, “Aber es musste schnell gehen. Der da unterschlägt Neuigkeiten und es besteht Fluchtgefahr.” Redo zupfte derweil an meiner Jackentasche, um sich ein Leckerli zu ergaunern.
      “Vor ein paar Wochen habe ich dir schon mal gesagt, dass du dir nehmen kannst, was du brauchst”, grinste Vriska, offenbar Fehlalarm meiner Einschätzung.
      “Aber Samu, es kann nicht sein. Da wirst du einen langen Abend, wenn du nicht direkt darüber sprechen willst.”
      Erst als sie näher an uns herantrat, bemerkte ich, wie sie von oben bis unten von Matsch übersät, ihr Gesicht leer von jeder Emotion, nach dem das Grinsen binnen Sekunden sich in Luft auflöste. Enigma führte sie direkt am Halfter, was das junge Pferd etwas irritierte von der groben Handhabung war. Ihre blauen Augen weit aufgerissen und den Schweif leicht aufgestellt.
      “Ich habe Zeit”, winkte Samu grinsend ab, “außerdem musst du nur besser raten, Lina. So einfach ist das.” Gelangweilt stützte Lego seinen Kopf auf Samus Schulter. Etwas, was der Hengst meistens tat, wenn man ihn hinter den Ohren oder an der Stirn kratzen sollte.
      “Einfach. Ja, wenn ich Gedanken lesen könnte”, verdrehte ich Augen.
      “Neuigkeiten also, Mhm. Ich hoffe schwer darauf, dass du mit deiner Freundin Schluss gemacht hast, um Lina deine Liebe zu gestehen und ihr endlich die wunderschönen Kinder bekommt, die mir jede Nacht den Schlaf rauben”, feixte sie im Vorbeigehen und wartete nicht einmal auf eine Antwort, die sie ohnehin hören würde bei dem schallenden Gebäude. Irritiert legte Samu die Stirn in Falten, als schien er zu überlegen, wie viele der Worte vielleicht doch ernst gemeint sein mochten.
      “Sie ist bekennender Fan”, lachte ich herzlich, “und ganz ehrlich, mich würde es auch nicht wundern, wenn irgendwo eine kleine süße Geschichte diesbezüglich existiert.” Ich durchschritt mit Redo das Hallentor und stellte fest, dass diese mittlerweile glücklicherweise leer war. Ideale Bedingungen, um an weitere Informationen zu gelangen. Der Blonde stellte seinen Rappen neben mir auf und half mir bereits auf mein Pferd, bevor ich überhaupt danach gefragt hatte. Angenehm, wenn der Gegenüber bereits wusste, was man wollte.
      “Also es hat mit Lego zu tun, aber nicht mit Turnier”, fasste ich die kläglichen Erkenntnisse zusammen, die ich bisher erlagen, konnte. Angenehm drang die Körperwärme meiner Stute durch das dünne Fleece und ich spürte unmittelbar die Rückenmuskulatur, wie sich anspannte unter meinem Körpergewicht.
      “Korrekt”, nickte er, während er den Sattelgurt enger zog und seinen Hengst zu der kleinen ausklappbaren Aufstiegshilfe in der Wand führte. Sanft drückte ich Redo die Beine in die Flanken, damit sie den beiden folgte.
      “Aber du willst ihn doch nicht etwa verkaufen.” Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an. Aus Erzählungen wusste ich, dass der Hannoveraner ziemlich häufig den Besitzer gewechselt haben musste, bevor er auf dem WHC geladen war. Sein Misstrauen gegenüber Schaufeln und die wulstige Narbe an seinem linken Röhrbein zeugten davon, dass ihm dabei nicht nur Gutes widerfuhr. In meinen Augen war es unvorstellbar, wie man ein Lebewesen so schlecht behandeln konnte.
      “Natürlich nicht”, entgegnete Samu kopfschüttelnd, “Wenn Enya so weiter jammert, muss ich viel mehr ein zweites Pferd anschaffen.”
      “Komm dein eines Pferd erst einmal öfter besuchen, bevor du dich erweiterst. Der arme Lego gerät noch ganz außer Form, wenn der immer nur rumsteht und du bestimmt auch.”
      “Du willst mir erzählen, dass ich außer Form gerate?”, hakte er mit einem amüsierten funkeln in den Augen nach, “Wie lange hast du dein Vorsatz, mit dem Joggen, noch mal durchgehalten? Zwei Wochen?”
      “Das waren zwei Monate”, protestierte ich und verzog das Gesicht. Aber ganz Unrecht hatte mein bester Freund damit nicht. Jedes Jahr fasste ich erneut diesen Vorsatz, aber sonderlich von Erfolg gekrönt, war das bisher nicht.
      “Siehst du, aber bevor du mir noch einmal sagst, ich würde fett werden, verrate ich dir lieber, ein Teil von dem, was du wissen willst.” Erwartungsvolle blickte ich ihn an, während Redo gemütlich neben dem größeren Rappen hertrottete.
      “Der hübsche Kerl hier, soll auf eine Zuchtschau gehen”, verkündete Samu knapp und strich dabei über den kräftigen Hals, der vor ihm aufragte. Verwirrt blickte ich durch die Ohren meines Pferdes hindurch nach vorn: “Warum, er ist doch bereits zur Zucht zugelassen?”
      “Es geht nicht um eine Körung, sondern um eine Hengstschau”, erläuterte er weiter, “und du wirst mitkommen.” Das ergab schon mehr Sinn, auch wenn mir nicht klar war, was ein Hannoveraner auf einer Hengstschau in Schweden zu suchen hatte. Oder züchtete man die deutschen Warmblüter etwa auch hier?
      “Oh, das ist schön und wann soll das Ganze stattfinden?”, erkundigte ich mich interessiert. Auf einer Hengstschau war ich bisher noch nie gewesen. Ob das wohl anders ablief als eine Körung? Wo lag da eigentlich der Unterschied?
      “Ende Februar und falls du dich fragst: Wozu das Ganze? Wenn alles läuft wie geplant, wird Lego dann damit für die schwedischen Warmblüter zugelassen”, erklärte Samu auch die letzten notwendigen Details.
      “Geld! Daher weht also der Wind”, scherzte ich, wohl wissend, dass Samu der letzte war, der sich viel daraus machte.
      “Na ja, Lego ist zwar kein schlechtes Pferd, aber ich denke reich wird man damit nicht. Da bleibe ich mal lieber bei meinem Job”, lachte er und trabt seinen Hengst aus dem Nichts heraus an.
      “Entschuldigung? Glaubst du etwa, dass wir schon fertig sind?”, entrüstete ich mich und drückte meiner Stute die Waden gegen den Bauch. Ein wenig holprig, waren die ersten Tritte, bevor Redo wieder einzufallen schien, dass sie kein Trampeltier war. Geschickt kürzte ich durch die Mitte der Halle ab, um den Vorsprung auszugleichen, den Samu mit seinem Hengst hatte. Samu war mir nur leider einen Schritt voraus und wich mir geschickt mittels einer halben Volte aus. Einige Minuten ging die kleine Verfolgungsjagd, bis Redo beschloss, immer langsamer zu werden. Korrekt wäre es natürlich gewesen, sie zu korrigieren, doch mit ernsthaftem Training hatte das hier ohnehin wenig zu tun.
      “Okay, du hast gewonnen”, rief ich ihn zu und ließ die Stute vollständig in den Schritt fallen, “Aber das wird noch eine Revanche geben!” Lautes Prusten erklang, als auch Samu seinen Hengst, mit einem siegreichen Grinsen durch parierte: “In dem Fall ist es wohl gut, dass du mich in Zukunft öfter ertragen musst.”

      Vriska

      „Vivi, warte mal“, rief mir Harlen noch im richtigen Moment zu. In einer Hand hielt ich einen Kopfhörer, während die andere Enigmas Leinen faste. Die junge Stute stand ruhig im Sulky und musterte meinen Bruder, der in seinem Jackett, kombiniert mit einer viel zu großen grauen Jogginghose, die Treppen herunterrutschte und im nächsten Augenblick bei uns stand.
      „Was ist denn?“, sprach ich jämmerlich genervt, noch drei weitere Pferde musste ich heute fahren und ich überzog bereits jetzt meine Arbeitszeit.
      „Du müsstest noch ein weiteres Pferd holen“, stammelte er außer Atem und wich jedem Versuch der Stute aus, an ihm zu knabbern.
      „Aha. Wieso?“ Ich zog meine Augenbrauen zusammen, die unter der Skimaske kaum zusehen sein sollten.
      „Wir haben gerade jemanden da, der bereits nächste Woche anfangen könnte, aber du musst beurteilen, wie der mit Pferden umgeht“, erklärte Harlen.
      „Na gut, ja. Aber sollte er dann nicht das Pferd holen und fertig machen?“, hakte ich scharf nach.
      Harlen schwieg, als würde er meinen Vorschlag genauer überdenken. Schließlich nickte er.
      „Okay, dann schicke ich ihn zu dir, weil so kommst du gewiss nicht ins Büro“, unterstrich er damit meinen komplett matschigen Anzug. Obwohl ich am Sulky einen Spritzschutz befestigt hatte, kam es bei so hohen Geschwindigkeiten doch mal dazu, dass ein Gemisch aus Schnee und Sand gegen mich flog und das Schwarz in grässliche Grau-Brauntöne tupfte.
      Harlen verschwand wieder und ich hängte den Sulky mit wenigen Handgriffen wieder ab. Enigma blickte sich mehrmals verwundert um. Sie dachte vermutlich auch, was der Schwachsinn soll, aber ich konnte es nicht ändern. Zusätzlich nahm ich den Helm ab und meine Maske. Ich konnte nicht einschätzen, was mich erwarten würde, also setzte ich mich an den Rand und versuchte mit der Bürste immerhin das Gröbste an Dreck von der rauen Oberfläche zu entfernen. Als Fahrer müsste besagter Herr jedoch wissen, was es für eine Sauerei werden konnte im Winter. Die Zeit zog ins Land und es dauerte gefühlte Jahrhunderte, bis dumpfe Schritte auf der Treppe zu hören waren. Bevor ich meinen Kopf aufrichtete, tippte ich die Nachricht an Eskil zu Ende und verstaute das Gerät in meiner Innentasche. Unerwartet überkam eine Wucht aus Glücksgefühlen, die mir einen kalten Schauer aus Schweiß über den Rücken jagte. Sofort zitterte meine Finger, wodurch es mir nicht gelang, den Reißverschluss der Jacke zu schließen. Der erste Eindruck ist der wichtigste, hatte meine Mutter damals immer gesagt, wenn ich anstelle einer Jeans zur Jogginghose griff. Ich schämte mich für den dreckigen Anzug, hätte alle Zeit gehabt, um ihn in der Sattelkammer zu wechseln, aber dagegen entscheiden. Mit einem breiten Grinsen trat der junge Mann zu mir.
      „Tut mir leid. Draußen die Bahn ist“, stammelte ich wirres Zeug, was er mit einem kräftigen Händedruck stoppte. Er hatte noch nicht einmal etwas gesagt, da überkam mich ein weiteres Gefühl, dieses Mal im Bauch. Undefiniert zog es und ich versuchte seinen eindringenden Blicken zu entweichen, doch hingen meine Augen an seinen. Es fühlte sich genauso vertraut an, wie das erste Treffen mit Erik, nur deutlich intensiver.
      „Ich bin Lars“, stellte er sich kurz vor, ohne seine Hand von meiner zu lösen. Oder war ich es, die sich an ihm klammerte?
      „Nett dich kennenzulernen. Ich bin Vriska, aber du darfst mich Vivi nennen“, kam endlich meine Stimme wieder und er befreite sich förmlich aus meinen Fängen.
      „Okay, Vivi.“
      Schon allein, wie er meinen Namen aussprach, trieb weiteren Schweiß auf meinen Rücken, der ganz langsam in meine Hände wanderte und dabei auf den Armen eine Gänsehaut auslöste. Unfassbar, wie sehr mich der Herr, kaum älter als ich, derartig aus dem Konzept brauchte. Ich tat alles dafür, um nicht nur professionell zu wirken, sondern auch ihm die Entscheidung zu erleichtern, uns als seinen neuen Arbeitgeber zu wählen. Lars erzählte von seiner Familie, die in Visby lebte, einer Stadt auf der Ostseeinsel Gotland. Auch seine Schwester und Vater trainierten Trabrennpferde, weshalb sie schnell entschlossen hatten, sich bei uns zu melden. Alle drei interessierten sich daran, bei uns anzufangen und auch ihren eigenen kleinen Bestand an Kaltbluttrabern herzubringen, worunter ich mir nichts vorstellen konnte. Bisher waren mir nur unsere langbeinigen Warmblüter bekannt, die durch den Sport schnell einen Verschleiß aufwiesen, egal, wie sehr wir an ihrer Stabilität arbeiteten. Somit liefen unsere nicht jedes Rennen mit.
      Wir waren einander sofort sympathisch, sodass ich jedes seiner Worte genau folgte und zwischendurch nachhakte. Lars hatte nicht nur Ahnung von Rennpferden. Sein eigener Hengst lief schon seit Jahren keine Rennen mehr, stattdessen ritt er ihn auf dem Platz, sprang auch mal und diente die sonstige Zeit als Deckhengst.
      „Eine seiner Töchter hat den großen Preis bei Stockholm gewonnen“, erzählt er fröhlich und zeigte mir sogar Bilder von der Stute. Sie war ein Rappe mit lustigen hellen Plüschohren. Ihre blauen Augen hoben sich magisch vom dunklen Untergrund ab, als würde das Pferd jeden Moment aus dem Bild springen und mit seiner majestätischen Ausstrahlung den Hof in sommerliche Farben hauchen.
      „Und dein Hengst?“, wollte ich unbedingt mehr Bilder sehen. Er sperrte sein Handy und zeigte diesen auf seinem Sperrbildschirm. Ein helles Pferd streckte seine Nase mir entgegen, mit einem blauen Auge und das andere tiefschwarz, einzig einige schwarze Tupfer verzierten die sonst hautfarbenen Lider. Daneben stand er, allerdings nur angeschnitten, aber es reichte, um mir vorstellen, was sich unter dem Rollkragenpullover und dicken Jacke verbarg. Wieder musste ich schlucken, denn in mir lief es langsam aus dem Ruder. Die schlechten Gedanken der letzten Tage, beinah Wochen, lösten sich wie in Luft auf, stattdessen blieb nur das Gefühl von Erlösung und Sehnsucht, das er mit sich brachte, mit jedem Wort, das über seine geschwungenen Lippen huschte.
      „Wunderschön“, sprach ich fasziniert, „also dein Pferd, meine ich.“
      „Ich höre das oft genug, danke.“ Er drückte die Lippen zusammen und mir fiel wieder ein, wieso wir überhaupt am Stutenpaddock standen. Ich zeigte ihm Mill, die mit einer Decke in der Hütte stand und die anderen Stute vom Heu fernhielt. Zielstrebig ging er auf sie zu. Mill, die eigentlich Millennial hieß und eine unserer Nachzuchten war, stellte interessiert die Ohren auf und musterte den hübschen Kerl, der ihr das Halfter umlegte. Vorsichtig tastete sie mit den Lippen seine Hand ab, die im Gegensatz zu seinem mächtigen Körper klein wirkte. Zusammen liefen wir in die Stallgasse.
      „Zugegeben, bisher scheint euer Hof so gigantisch, dass ich Zweifel hege, ob wir hierher passen“, gab Lars zu verstehen. Jeder dachte das am Anfang auf dem Gestüt.
      „Wir sind staatliche gefördert“, erklärte ich, „und ich weiß nicht, wie viel mein Bruder dir erzählt hat –“
      Er unterbrach mich.
      „Warte, Harlen ist dein Bruder?“, fragte Lars beinah schockiert nach.
      „Ja, seitdem ich Lebe“, schmunzelte ich.
      „Tatsächlich hatte ich vermutet, dass er dein Freund ist, so wie er gestrahlt hatte, als er zurückkam.“
      „Nein, und Tyrell auch nicht”, klärte ich auf, versuchte bestmöglich zu verschleiern, dass es Erik gab. Lars fragte allerdings nicht weiter nach, deswegen setzte ich fort.
      „Auf jeden Fall, durch die Förderung wurden nun mal ganz neue Standards gesetzt, auch was Nachhaltigkeit betrifft und du wirst die Baustelle gesehen haben: Wir bauen um, weil die Weltreiterspiele hier stattfinden werden.“
      Nebenbei putzte er Mill über, die durch ihre Decke kaum Schmutz aufwies. Einzig an ihren Beinen und Hals haftete Matsch, teils getrocknet, teils noch feucht. Enigma entspannte in der Box. Zusammen liefen wir zur Sattelkammer der Traber, die sich in der anderen Hütte neben dem Platz befand. Folke hatte ein riesiges Chaos hinterlassen. Überall hingen lose Geschirrteile, Trensen und Leinen, die sonst einen festen Platz hatten. Ich wühlte mich durch die Menge an Leder, bis wir alles für die Stute hatten.
      „Sicher, dass ihr der Herausforderung einer so großen Veranstaltung gewachsen seid?“, scherzte Lars nebenbei. Umgehend übergab ich ihm einen Haufen aus losen Teilen, die mal ein Geschirr werden wollten.
      „Ja“, antwortete ich stumpf, „dein Vorgänger hat das hinterlassen, aber ich traue dir zu, dass du das hier in den Griff bekommst.“
      Ein verschmitztes Lächeln huschte über seine Lippen.
      „Noch ist nicht aller Tage Abend. Aber es freut mich zu hören, dass ich offenbar so herzlich empfangen werde“, lachte Lars und wuschelte mir durch das ohnehin wirre Haar. Aus dem Schrank suchte ich noch einen Anzug heraus, dass seine Kleidung vor den Widrigkeiten geschützt war. Zusammen verließen wir den Raum, nicht ganz unbeobachtet. Harlen stand an der Tür vom Büro, die zur Galerie führte, auf der man einen wunderbaren Überblick zur Halle und Anbinder hatte. Auch er konnte nicht anders als zu Strahlen. Offenbar überzeugte Lars nicht nur mit seinem Äußerlichen, sondern auch seinem Lebenslauf. Provokant riss ich meine Augen auf und gab meinem Bruder ein Handzeichen, dass er uns nicht beobachten sollte. Dieser schüttelte nur amüsiert den Kopf.
      Ich half unserem Kandidaten dabei, die gescheckte Stute einzuspannen und wenig später befanden wir uns auf dem Weg in den Wald. Obwohl ich Mill nur zickig am Sulky kannte, lief sie, mit ihm als Fahrer, wie ausgewechselt. Die Leinen hingen beinah durch und in einem ruhigen, gleichmäßigen Tempo trat sie durch den matschigen Sandboden. Doch auch Enigma ließ sich durch nichts aus der Ruhe bringen, nicht mal das Kaninchen, dass aus dem Unterholz unseren Weg kreuzte, beeindruckte. Stattdessen schnaubte sie immer wieder ab und streckte mit gewölbten Hals ihren Kopf. Gleichzeitig erzählte Lars fröhlich weiter über seine bisherige Arbeit, was für Erfolge aus seiner Hand stammten. Sein vielfältiges und tiefgreifende Wissen über Pferde sowie Trainingsmethoden aller Art imponierte mir zutiefst.
      „Das reicht dann aber auch“, beendete Lars plötzlich seine Erzählung als wir eine Runde im lockeren Trab hinter uns hatten. Ich hatte uns beiden ein Funkgerät befestigt, das er noch nicht die Daten auf Grund der fehlenden Applikationen überprüfen konnte. Es war auch wunderbar für Unterhaltungen. Schon jetzt, als er schwieg, vermisste ich seine Stimmte und wollte so viel mehr über Rennpferde wissen. Meine eigene Einführung in das Thema war ziemlich holprig und oberflächlich, Folke erzählte auch nicht viel. Deshalb überraschte es mich, wie viel Erfahrung wertvolles Training bedarf.
      „Erzähl du jetzt von dir. Es wäre unfair, wenn nur ich die ganze Zeit rede.“
      Ich seufzte und gab Enigma die Hilfe dafür, etwas am Tempo zuzulegen, denn Lars entfernte sich mit Mill immer mehr. Aufgeregte prustete sie, aber legte los. Binnen von Sekunden hatten wir das Gespann nicht nur eingeholt, sondern auch überholt. Das spornte ihn an, auch mit Mill etwas schneller zu werden. Aus dem lockeren Tempo kamen wir immer weiter in Bereiche von Renngeschwindigkeit, wie es mir mein Handy auf dem Bildschirm verriet. Es hing in der dafür vorgesehenen Halterung, aber durch den Matsch konnte ich nicht mehr alles erkennen.
      Nach einer weiteren Runde holten wir die Stuten zurück in den Schritt und damit hatte ich Zeit zu erzählen. Wie von selbst kamen die Worte aus meinem Mund und ich erzählte ihm beinah alles, also von Capi, dem Isländer meiner Tante, dann meiner Ausbildung und wie ich schließlich auf der Ersatzbank vom Nationalteam gelandet bin. Bewusst ließ ich einige Details weg, unter anderem, dass Erik mir die Pony Stute gekauft hatte und welche Rolle Niklas dabei spielte, dass ich nun Dressur ritt.
      „Dann habe ich wohl einen Profi neben mir“, sprach er und ich war mir sicher, dass ich unter seiner Maske ein Grinsen ermitteln konnte.
      „Einen hübschen Profi, der sogar fahren kann“, fügte Lars im nächsten Atemzug hinzu. Am liebsten hätte ich es auf das Training und der Maske geschoben, aber das war nicht Grund, wieso mir das Blut in den Kopf pumpte. Stattdessen fummelte ich immer wieder die Leine zurecht, um sie im nächsten Augenblick zu lockern und neu zu sortieren. Alles nur, um seinen stechenden Blick auszuweichen. Unbemerkt blieb es allerdings nicht.
      „Keine Sorge, ich versuche dich nicht ins Bett zu bekommen“, lachte Lars.
      „Schade eigentlich“, tauchte ich belustigt aus meiner Starre auf, „aber wer nicht will, der hat schon.“ Provokant zuckte ich mit den Schultern und soeben war ich die, die unentwegt zu ihm sah. Unter seiner Schutzbrille erkannt ich, dass sein Kopf hochrot wurde. Das würde ich als Gleichstand werten.
      „Dir kann es nicht schnell genug gehen, oder?“, blieb sein Interesse offenbar bestehen.
      „Das fragst gerade du? Als Trainer von Rennpferden?“
      Wir beide begannen herzlich zu lachen.
      Vor der Halle sprang wir beinah synchron aus dem Sitz und führten die verschwitzten, verdreckten Pferde in den Stall herein, in dem wir offenbar schon sehnsüchtig erwartet wurden. Harlen grinste nur und verschwand zum Büro, während Lina hektisch Samu an der Schulter antippte. Mein strahlendes Lächeln kam erst zum Vorschein, als ich den Helm abnahm und die Skimaske abzog. In mir brodelte alles, seitdem er mir die Hand gegeben hatte, ich konnte aber nicht genau einschätzen, was das sollte. Auch, wenn ich darüber nachdachte, was ich hier tat, tropfte es kurz aus dem Fass, aber die schlechten Gedanken flossen durch den Abfluss heraus, als würde mein Körper von selbst heilen in seiner Gegenwart.
      “War das Training gut?”, erkundigte sich Lina und das breite Grinsen zeugte von unverhohlener Neugierde, die sich allerdings nur bedingt auf das Training zu richten schien.
      “Perfekt”, schwärmte ich, auch Lars nickte zustimmend neben uns. Die beiden Stuten schnaubten gelassen ab und schüttelten sich dabei, dabei klapperten die Lederschnallen aneinander.
      “Enigma möchte mal erfolgreich werden”, fügte ich noch hinzu und tätschelte liebevoll ihren Hals.
      “Das klingt doch super”, lächelte sie, “Ach und ich bin übrigens Lina.” Freundlich reichte sie dem jungen Mann neben mir die Hand. Nur ein paar Floskeln tauschten die beiden aus und setzte die braune Stute wieder in Bewegung. Mit aller Ruhe löste ich einen Gurt nach dem anderen und kippte den Sulky zurück an die Wand des Stalles. Wenig später kam auch Lars nach, der mir gleich tat. Freundlich nahm ich ihm das Geschirr ab und trug beide Ausrüstungen zurück in Sattelkammer. Am Chaos hatte sich nichts geändert, vielmehr lag es noch schlimmer da, seitdem ich nach Einzelteilen gesucht hatte. Zumindest die verwendeten Geschirre hänge ich sortiert an die dafür vorgesehene Vorrichtung, als plötzlich Schritte auf den Holzdielen ertönten. Strahlend drehte ich mich um, bemerkte allerdings, das es nur Lina war, die wie ein Heinzelmännchen angeschlichen kam und sich neugierig auf die Unterlippe biss.
      „Ach, du bist es“, seufzte ich und drehte mich wieder zu den Halterungen um, zur Suche nach einer Abschwitzdecke.
      “Hast du etwa auf, wen anders gehofft?”, giggelte sie und wuselte wieder in mein Blickfeld. Über dramatisch rollte ich in einer Kopfbewegung meine Augen.
      “Selbstverständlich Schätzchen”, lachte ich.
      “Gehe ich richtig in der Annahme, dass deine nette Trainingsbegleitung der Grund für deine gute Laune ist?” Wissbegierig funkelte es in ihren Augen, als sie mich forschend anblickte.
      “Hast du ihn dir mal angesehen?”, stammelte ich beinah hysterisch, als hätte ich meine Lieblingsband auf der Straße getroffen, “Omg. Ich halte es nicht aus. Er ist so perfekt und vermutlich unser Arbeitskollege.”
      “Sicher, dass du über 12 bist? Du klingst gerade nicht danach”, lachte sie, “Aber ja, er ist schon ziemlich hübsch.”
      “Pff, ich bin mir sehr sicher, dass ich schon über zwanzig sogar bin. Aber jetzt mal im Ernst, der hat richtig Ahnung von Pferden, schreckt vor nichts zurück und sein Hengst sieht einfach aus wie Ivy! Er zeigt ihn dir sicher, wenn du ihn fragst”, sprudelte es weiter aus mir heraus wie ein Wasserfall. Innerhalb des einen Heats, hatte ich so viel an Wissen erfahren können, dass ich nicht wusste, mit dieser Macht umzugehen. Kurzzeitig traf mich so gar Gedanke, wieder Rennen zu fahren, auch wenn es bedeutete, dass ich mehr Essen muss. Vom Ständer nahm ich zwei riesige Decken herunter, die Vintage und Alfi als Sieger bekamen und farblich mit den beiden Stuten harmonisieren sollten – Hellblau.
      “Uhh, wie Ivy sagst du? Dann ist Lars, also nicht nur hübsch anzusehen, sondern hat auch noch Geschmack. Sehr sympathisch.”, entgegnete sie enthusiastisch.
      “Bagsy”, rief ich umgehend, um die Situation klarzustellen. Verwirrt blickte sie mich an: “Was hast du jetzt für Schmerzen?”
      „Ich habe ihn mir damit reserviert. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, wer zuerst Bagsy sagt, hat Anspruch auf etwas, je nachdem welcher Kontext. Und Lars gehört jetzt mir“, triumphierte ich und rollte die Decken ein, um sie heraustragen zu können. Allerdings kam ich nicht weit, den natürlich stand besagter in der Tür und unbedacht lief ich in ihn.
      „Dachte schon, dass es etwas passiert sei, so lang wie du gebracht hast. Aber ihr habt wohl einiges zu sprechen“, grinste er verlegen und nahm mir den Haufen Stoff aus den Armen. Stocksteif verharrte ich in der Position und versank innerlich in den Boden. Wie viel hatte er mitbekommen? Sollte ich mir jede Chance verbaut haben?
      Lars verschwand aus der Tür heraus und nur meine Augen folgten seiner Bewegung. Obwohl er einiges an Kleidung über sich trug, erkannt ich ein leichte Erhebung, die für sich sprachen. Auf seinem Handy durfte ich bereits erahnen, wie gut aussehend er war und dass ich davon noch in Genuss kommen würde, ahnte ich in dem Moment noch nichts. Stattdessen versuchte ich das drängende Gefühl in mir loszuwerden, das mich in einen Strudel aus Lust und Begierde lenkte und alle anderen Umstände ausschaltete. Ich wollte nur noch am Stall sein, nicht allein in der Hütte sitzen und darüber nachdenken, wie ich meiner quälenden Leere entkommen konnte. Nach Ewigkeiten kam dieses Ventil, auch wenn das Training mit Lubi einiges an meiner Stimmung ins Positive gerückt hatte.
      “Komm mal zurück in die Gegenwart oder willst du da noch weiter herumstehen?”, holte mich Linas Stimme zurück in die Gegenwart, die mich dabei kichernd anstupste.
      “Ich bin doch schon da”, schüttelte ich mich, “hast du Shaker heute bereits bewegt?” Bindend Sekunden überlegte ich mir, den Hübschen auch auf ein Pferd zu setzen, schließlich würde er auch im Alltag nicht nur im Sulky setzen. Damit hatte ich auch schon eine Begründung, wieso er unseren Nachwuchshengst unter den Sattel bekommen würde. Nur ich wusste noch nicht so recht, mit welchem Pferd ich glänzen sollte. Lubi hatte heute nur die Führanlage gesehen, aber dafür gestern ein anstrengendes Training hinter sich, auch mir schmerzten noch die Oberschenkel von den Serienwechseln. Nur ein Pferd kam mir in den Sinn, dass ich unter normalen Umständen wohl nie bewegt hätte – Götterdämmerung, der Fuchs aus der Hölle. Nicht grundlos betitelte ich sie allen gegenüber nur als Mörderpony, aber heute war der richtige Tag für Blut vergießen, zumindest um wieder meinen Kopf geradezurücken.
      “Nein, habe ich nicht”, entgegnete sie.
      “Gut, dann gehe ich das Mörderpony holen”, sprach ich es laut aus und zischte aus der Tür heraus zur anderen Kammer, in der des Stutes Halfter hing. Vorher entledigte ich mich dem furchtbaren matschigen Anzug und hängte ihn im Waschraum zwei Türen daneben auf. Nun froh ich, aber sobald ich im Sattel sitzen würde, wäre das Gefühl wie weggeblasen. Ich hatte nur eine Sommerhose darunter und einen Hoodie, weder Jacke noch richtige Stiefel zog ich mir an.
      Natürlich bereute ich es bereits einige Meter vor dem Rolltor, so wenig anzuhaben, aber da musste ich durch. Die Fuchsstute mit ihrem großen Abzeichen funkelte diabolisch in meine Richtung und drehte sich umgehend weg, als ich merkte, dass ich zu ihr wollte. Fredna hätte ich gebrauchen können, die beruhigt sie. Allerdings schaffte ich es ohne Hilfe an sie heranzutreten. Göttin versuchte, mit schlagendem Schweif mich loszuwerden, drohte auch mit dem Vorderhuf, aber ich schenkte dem keine Beachtung. Stattdessen ärgerte ich mich, dass meine graue Hosen Matschflecken aufwies.
      “Nur heute, dann lasse ich dich in Ruhe”, gab ich dem Pferd zu verstehen und wie ein Wunder, folgte sie mir entspannt. Sogar als wir im Stall ankamen, schaute Tyrell nicht schlecht, der sich gerade mit Lars unterhielt.
      “Offenbar brauchen wir niemanden Neues”, scherzte dieser, was ich mit hochgezogenen Augenbrauen direkt versuchte, zu unterbinden.
      “Natürlich, ich kann nicht jeden Tag so viel machen”, rief ich ihm zu.
      Lina hatte die beiden Stuten in eine freie Box gepackt, damit sie noch länger trocknen können und putzte zur gleichen Zeit den großen Fuchsfalben, ihr Sohn. Er wusste es nicht besser. Shaker trampelte aufgeregt von einer Seite zur anderen und meine Kollegin verdünnisierte sich rechtzeitig, denn sonst hätte sie einen Huf abbekommen. Der Hengst machte seinem Geschlechte alle Ehre, obwohl Göttin nicht einmal in seine Richtung sah. In einem konstanten Tempo liefen wir weiter und ich hakte auf beiden Seiten die hängenden Stricke ein.
      “Benimm dich, bitte”, bettelte ich das Pferd so leise wie möglich an. Aus dem Augenwinkel sah ich Tyrell Lina zur Hilfe kommen, denn dieser wollte sich nicht mehr beruhigen, zu interessiert schien er an seiner Mutter. Das lasse ich an der Stelle einmal unkommentiert.
      So schnell ich konnte, putze ich den feinen Staub aus dem Fell, kratzte die Hufe aus und verschwand im selben Tempo in der Sattelkammer. Überall hingen Sättel und Trensen, die ich in dem Ausmaß noch nie bemerkt hatte. Es war viel, Ja, aber so viel? Unglaublich, mindestens die Hälfte davon sollte man Spenden können an Menschen, mit weniger Mitteln. Mit meinem Finger lief ich Namensschilder durch, als wüsste ich nicht, wonach suchte. Mindestens dreimal übersah ich „Götterdämmerung“, bis ich schließlich wieder vor dem Schwarzen Sattel stand und ihrer Trense. Eigentlich wollte ich meinen Halsring greifen, aber hing nun doch etwas stärker an meinem Leben. Immerhin meine gelbe Otterschabracke nahm ich noch im Vorgehen mit, ehe ich vollgepackt mit Beinschutz, Helm und Sattelzeug die Treppen herunterlief. Die Füße konnte ich nicht sehen, vertraute aber auf meine Fähigkeit, laufen zu können. Wider Erwarten kam ich unbeschadet am Pferd an, warf ihr in Windeseile alles über und stand fertig bei Lina, die gerade einmal mit Lars Hilfe den Sattel fest zurrte.
      “Mit welchen Zauberworten hast du die Göttin denn so kooperativ bekommen”, staunte sie nicht schlecht. Doch den Junghengst für den kurzen Moment aus den Augen zulassen erwies nicht als klug, denn bei seinem aufgeregten herumgehampel rempelte er sie beinahe um als er nach vorne trat.
      “Du weißt doch, ich darf nicht darüber sprechen, wenn Unbeteiligte im Raum sind”, sprach ich bewusst leiser, damit es geheim klang ihm gegenüber.
      “Ach ja, ich habe deinen Hexencodex vergessen”, lachte sie.
      “Sollte ich Fragen stellen?”, mischte sich auch Lars ein, mit einem schiefen Lächeln auf seinen Lippen. Brennend trat ein Kribbeln unter meiner Haut auf, dass sich sehr langsam von den Fingerspitzen im ganzen Körper verteilte. Auch die Fuchsstute zog einmal den Kopf nach oben, als hätte ich ihr einen Stromschlag verpasst. Es zehrte mich mit jedem Atemzug. Ich wollte seine Hände an mir spüren, die Wärme auf meiner kalten Haut wahrnehmen und es schrie. Meine Gedanken waren so laut, dass ich Angst hätte, jemand könnte sie hören. Genauso sah mein Gesichtsausdruck aus. Ununterbrochen grinste ich, so sehr, dass bereits meine Muskeln bitterlich stachen und in den Hinterkopf einen Schmerz sendeten. Cool bleiben, Vriska, es ist alles gut.
      “Nein, besser nicht, aber Lina hat die Theorie entwickelt, dass ich zaubern kann und heimlich meinen Besen verstecke, um nachts durch die Luft zu fliegen. Zugegeben, dass ich nachts häufig nicht im Zimmer bin, entstärkt ihre Argumente nicht”, klärte ich ihn auf, ohne von seinen grünen Augen abzulassen, die in dem warmen Licht der Deckenbeleuchtung funkelten.
      “Das ist nicht nur eine Theorie. Ich bin überzeugt davon, dass du genau so viel Magie besitzt wie Ivy. Das sieht nur keiner”, scherzte Lina weiter.
      “Wer auch immer Ivy ist, aber ich sehe es. Ich finde Vivi zauberhaft”, zuckte er mit den Schultern. Da war es wieder – weiche Knie, zitternde Finger und Hitze im Gesicht. Im Boden versinken wäre perfekt oder einfach verschwinden, aber ich konnte nicht. Es fühlte sich an, als würde ich im Leben zum ersten Mal in einer unangenehmen Situation bleiben.
      “Jetzt übertreiben wir mal nicht. Ich achte nur auf den Tierschutz”, spielte ich mein Empfinden runter. Lina hingegen wirkte erleichtert, dass jemand anderes mir Komplimente machte, obwohl auch sie öfter hören könnte, wie großartig sie ist.
      “Vielleicht hören wir einfach auf zu quatschen und Lars kann sich sein eigenes Bild davon machen”, brachte sich Erwähnte ein und griff nach der Trense, damit auch Shaker endlich reitfertig sein würde. Noch immer unruhig, riss der Falbe den Kopf nach oben und zeigte nur wenig Kooperationsbereitschaft. Nur mit viel gutem Zureden und Lars Hilfe, gelang es schließlich, dass Shaker den Zaum letztlich am Kopf trug.
      Mit der Göttin lief ich bereits vor, zog den Gurt ein Loch fester und schwang mich in den Sattel. Sie legte die Ohren an, aber gewöhnte sich binnen weniger Runden an mich. Gespannt drang sich ein kleines Publikum auf die Tribüne, bestehend aus dem Team und einigen Einstellern, die von unserem attraktiven Kandidaten Wind bekamen. Damit setzte ich mich selbst auch unter Druck. Die Stute tanzte ungeduldig durch den Sand und reagierte kaum auf meine Gewichtshilfe. Lars hingegen, der Minuten nach mir in die Halle einkehrte, steuerte den zuvor ungeduldigen Hengst, wie ein Profi. Mein Plan ging nicht auf. Je mehr ich versuchte, Göttin für schwierigere Lektionen vorzubereiten, umso schwammiger wurden ihre Schritte. Bereits im Trab schlichen sich Galoppsprünge ein, die ich nicht wollte. Selbst meine Linienführung wirkte wie von einem Anfänger. Der Zirkel war nicht einmal rund, also hielt ich entschlossen an, sprang vom Sattel und lief aus der Halle heraus.
      Ein verwundertes Tuscheln ging durch die Masse. Als ich mich noch einmal umsah, bemerkte ich, dass Lars den Hengst sehr locker vorwärts ritt, die Taktfehler ausglich und genau wusste, was er tut. Enttäuscht seufzte ich und verschwand. Ich hatte vieles in meinem Kopf, aber nicht, dass ich kläglich versagte. Göttin rieb sich die Trense ab, während ich langsam das Sattelzeug abnahm und alles wegbrachte, immer unter den strengen Blicken unserer Einsteller, die praktisch neben mir saßen. Ich schwieg mit gesenktem Kopf, wollte nur so schnell wie möglich weg. Was bildete ich mir ein? Kindisch.
      Tränen drängten sich aus meinen Augen, als ich die Stute zurückbrachte, auf ihren Paddock. Immer wieder stupste sie mich aufmunternd an der Schulter an, aber ich ignorierte sie komplett. Es tat mir leid, dass sie mich ertragen musste, obwohl Göttin ihr Bestes gegeben hatte, um zu verstehen, was ich von ihr wollte. Aber ich konnte es nicht, ich war unfähig. Auch Eskil schrieb ich, dass ich morgen keine Zeit für unser Training hatte und nächste Woche vermutlich auch ausfiel. Er stellte keine Fragen, akzeptierte es nur.
      “Es tut mir leid”, murmelte ich Göttin zu und zog das Halfter über die Ohren. Sie schüttelte sich und lief zum Futter.
      Gefühlte Stunden saß ich, mit meinen Armen eng um die Beine geschlungen, im Unterstand der Stuten auf dem Heuballen und lauschte den Geräuschen der Pferde. Zwischendurch hörte man Reifen durch den Kies fahren, Autotüren und das Gelächter aus der Reithalle. Ich überlegte lange, was genau mich geritten hatte und warum ich nicht normal sein konnte, mehr Lina, weniger Vriska, aber eine Antwort darauf gab es nicht. Lösungsansätze hatte ich im Kopf, doch Veränderungen schmerzten, so auch der Kloß in meinem Hals. Er drückte mir die Luft weg und wurde damit immer größer. Ich schluchzte und Tränen tropften auf mein Handy, dass ich anstarrte. Auf dem dunklen Display konnte ich mein Gesicht erkennen, wenn auch nur schemenhaft, doch was ich sag, enttäuschte mich zutiefst. Allerdings erinnerte ich mich an etwas und öffnete mit wenigen Klicks unseren Chat.
      „Ich brauche dich, jetzt“, tippte ich geschwind ein und wartete. Es dauerte nur einen Wimpernschlag, war er für mich da, so wie ich ihn kannte. Na ja, so gut man jemanden kennt, der unbekannt ist.
      „Was ist los?“, fragte er und ich erklärte ihm in Ausschnitten, was passiert war. Die nächste Antwort kam nicht so schnell. Der Sendestatus änderte sich bereits beim Abschicken, aber offenbar fehlten ihm die Worte.
      „Tut mir leid. Aber ich kann dir nicht helfen, habe Besuch“, schrieb er knapp. Verblüfft las ich die Antwort, immer und immer wieder. Was hatte ich falsch gemacht? Ich fragte ihn, aber er kam nicht mehr online. Grob überschlagen, hinterließ ich zwanzig Nachrichten, die zum Ende hin, ein Monolog wurden.
      „Du nervst, ernsthaft. Aber gut, dann bekommst du einen Rat von mir: Hör auf, dich so wichtig zu nehmen, niemand interessiert sich für dich, nur weil er nett ist. Ich weiß, meine einzige mit dir war es, dich abzulenken, aber langsam stoße ich an meine Grenzen. Außerhalb mein Handys habe ich ein Leben, wie jeder andere Mensch auch und wenn du dich immer wieder von deinen Impulsen steuern lässt, dann solltest du eine Therapie in Erwägung ziehen. Schreib mir nicht mehr.“ Es fühlte sich an, als würde mein Leben an mir vorbeiziehen. Der Schmerz war wie erloschen, nur noch leere verspürte ich in meiner Brust und wusste nicht mehr, was ich denken soll. Monate hatte ich mir so was wie eine besondere Freundschaft aufgebaut, die in Sekundenbruchteilen zerfiel. Er war weg, denn entgegen seiner Nachricht, schrieb ich weiter, jammerte und heulte. Sie wurden nicht zugestellt.

      Lina
      Nur weniger der Einsteller verblieben am Rand der Halle, um Lars Fähigkeiten zu bestaunen, seien die meisten nur zusammen geschwärmt, um sich das Drama anzusehen. Ekelhaft, wie Menschen sich doch verhielten. Dass Vriska keine Weltklassenperformance hinlegen wurde, hatte ich mir bereits gedacht, doch hätte ich geahnt, wie schlecht Vriska mit der Göttin harmonierte hätte, ich sie aufgehalten. Wie verwirrt das Tier über den Sand torkelte, war alles andere als schön anzusehen, und einiges von dem Getuschel, was ich aufschnappte noch viel weniger. Eigentlich hatte ich ihr nach einem kurzen Moment folgen wollen, aber das, was der junge Mann mit Shaker auf dem Sand veranstaltete, löste eine solche Faszination in mir aus, dass ich die Zeit vergaß. Was war das nur, dass jeder hübsche Mann in meinem Umfeld auch noch Pferdeverstand besaß? Erst als Lars bereits dabei war den Hengst abzusatteln, fiel mir auf, dass längst eine Stunde vergangen war. Besorgniserregend, dass Vriska so lang fortblieb, wenn man bedachte, dass sie vorhin nicht genug von Lars bekommen konnte.
      „Ich gehe mal Vriska suchen, sie kann sicher eine Aufmunterung gebrauchen", raunte ich Samu zu und verließ die fröhliche Runde, die noch immer auf der Stallgasse herumlungerte.
      Als Erstes schlug ich den Weg zu unserer Hütte ein. Es erschien mir am naheliegendsten, dass sie sich wie sonst auch in ihr Zimmer zurückgezogen hatte. Licht brannte keines, alle Fenster starrten mir leer und dunkel entgegen als ich dort ankam, doch das musste nichts heißen.
      „Vriska?“, rief ich in die Stille des Hauses, die eisige Klinke noch in der Hand. Nichts, keine Antwort. Nur um sicherzugehen, dass sie tatsächlich nicht hier war, öffnete ich nach einem zaghaften Klopfen auch noch ihre Zimmertür. Aber auch dieser Raum lag still und leer vor, damit hieß es wohl weitersuchen. Hier war sie nicht, im Stall auch nicht, demnach bleiben nur noch zwei Möglichkeiten, wo sie stecken konnte – bei den Pferden oder die hatte sich vom Hof bewegt. Inständig hoffte ich, dass letzteres nicht der Fall sein würde, denn dann könnte sich die Suche als ziemlich schwierig erweisen.
      Dem matschigen Weg folgte ich zu den Paddock und sah bereits aus der Ferne die Dunkelfuchsstute zwischen den anderen stehen. Ein gutes Zeichen, dann würde Vriska vielleicht auch in der Nähe sein.
      Im Unterstand der Stuten fand ich sie tatsächlich. Wie ein Häufchen Elend kauerte sie auf dem Heuballen, die Augen verquollen, die Haut bereits fahl aufgrund der durchdringenden Kälte, was den dramatischen Effekt des verlaufenen Make-ups noch zu verstärken schien.
      “Hey, ich habe dich schon gesucht”, sprach ich sanft, um auf mich aufmerksam zu machen, bevor ich zu ihr auf den Ballen kletterte. Als ich wahrnahm, wie sie zitterte, legte ich ihr sofort meine Jacke um die Schulter, sie benötigte die wärmende Schicht gerade deutlich dringender, bei den wenigen Kleidungsstücke, die sie trug.
      Unverständlich murmelte Vriska, aber dann verstand ich etwas: “Was los?”
      “Du bist seit einer Stunde verschollen, ich wollte sehen, ob es dir gut geht”, brachte ich meine Besorgnis hervor.
      “Okay, danke”, schluchzte sie, wirklich gesprächig schien sie nicht, aber auch meine Jacke brachte keinen Effekt. Es tat mir wirklich in der Seele weh, sie so am Boden zu sehen. Umständlich rutschte ich noch ein Stück näher an sie heran und schloss meine Arme, um ihren zierlichen Körper in der Hoffnung ihr damit wenigstens ein wenig Trost spenden zu können. Hatte der Vorfall vorhin sie wirklich so tief getroffen oder war etwa noch etwas vorgefallen?
      “Möchtest du reden oder soll ich vielleicht irgendwen für dich holen?”, versuchte ich mich behutsam heranzutasten, wie ihr zu helfen sei, denn ehrlich gesagt war ich ein wenig ratlos. Endlich bewegte Vriska sich. Sie ließ die Hände von den Beinen ab und wechselte ihre Position, legte den Kopf auf meinem Schoß ab und nahm die Jacke als Decke.
      “Wen willst du holen? Meinen Bruder, der mir sagt, ich soll zur Therapie gehen oder Mama anrufen?”, lachte sie beinah munter im Vergleich. Mit ihren Stimmungswechseln waren Vriskas Reaktionen für mich so unvorhersehbar wie die der Tiere um uns herum, wenn man ihre Zeichen nicht zu deuten wusste, doch ich bemühte mich davon nicht aus der Fassung bringen zu lassen.
      “Mangels Kenntnis von Kontaktmöglichkeiten, würde nur erstens infrage kommen”, antworte ich auf ihre Frage, “aber offensichtlich ist das nicht erwünscht.”
      Tatsächlich drückte sie mir stumm ihr Handy in die Hand und vor mir leuchtete ein dunkler Chat auf, mit sehr vielen und vor allem kurzen Nachrichten. Irritiert wischte ich mit dem Finger über dem matten Bildschirm, im Hinterkopf, dass jederzeit ein seltsames Bild kommen könnte. Auf einmal kam Vriskas Finger dazu, der mit dem Anfang zeigte. In meinem Magen lag ein flaues Gefühl, ich konnte ihre Situation nachvollziehen, wie schlecht sie sich in der Halle gefühlt haben muss, andererseits war mir ein Fakt mehr bekannt. Sie waren einander die womöglich wichtigste Person und dann zu lesen, dass der Partner Interesse an jemand anderes hegte, verletzte zutiefst. Was er mit seinem Besuch andeuten wollte, konnte ich überhaupt nicht deuten und wüsste Vriska, dass ihr unbekannter Verehrer ihr Freund war, hätte sie vermutlich die Hälfte davon nicht geschrieben. Am Ende angekommen, bemerkte ich natürlich, dass nichts mehr von ihm kam. Sie bekam das Gerät zurück, das sofort wieder aufleuchtete, unglaublich, dass sie noch immer diese Bild als Sperrbildschirm hatte.
      „Das sind ganz schön harte Worte. Tut mir leid, dass er dich so wegstößt“, wählte ich meine Worte mit bedacht. Unsicherheit und ein schlechtes Gewissen überkamen mich darüber, ob es eine gute Idee gewesen war, sie so lange im Ungewissen zu lassen, wer ihr Unbekannter wirklich war. Vom Flirten hatte sie das vielleicht nicht abgehalten, aber sicherlich hätte es beide davor bewahren können, verletzt zu werden. Doch jetzt war es zu spät, es würde sie nur noch tiefer treffen, wenn sie erfuhr, dass Erik dahintersteckte.
      Stillsaßen wir zusammen auf dem Ballen, nicht ein Wort verließ mehr ihren Mund, nur leichtes Schluchzen drängte zwischen Kaugeräuschen der Pferde hindurch. Noch immer war es kühl und ohne meiner Jacke kam auch ich an meine Grenzen. Vriska zitterte wie Espenlaub.
      „Was denkst du, möchtest wenigstens noch Tschüss an Lars sagen? Er wollte gleich los“, versuchte ich sie zum Aufstehen zu bewegen, nach dem Blick auf die Uhr. Außerdem kam mir zunehmend der Hunger, nach einem arbeitsreichen Tag.
      „Eher nicht“, sagte sie ziemlich in sich gekehrt.
      “Dann lass uns wenigstens nach drinnen gehen, sonst erfrierst du mir hier draußen noch”, redete ich sanft weiter auf sie ein. Wenn ich daran dachte, wie taub meine Finger bereits vor Kälte waren, wollte ich mich gar nicht erst vorstellen, wie kalt ihr sein mochte, wenn sie dies überhaupt wahrnahm.
      “Aber nur weil du es bist”, seufzte Vriska und bewegte sich in Zeitlupe von meinen Beinen herunter, die vermutlich am wärmsten waren. Schmerzlich stieß sie ein Laut aus beim Herunterklettern des Ballens, klammerte sich dabei fest an dem dünnen Netz, um nicht zu fallen. Ungeschickt tat ich es ihr gleich und war froh als ich den festen Boden wieder unter den Füßen hatte.
      Wie zwei alte Omas, die bereits von Arthritis gezeichnet waren, bewegten wir uns zu unserer kleinen Hütte. Kaum in unserem kleinen warmen Reich angekommen, ließ Vriska sich auf das Sofa plumpsen, streifte sich die Schuhe von den Füßen und wickelte sich wie ein Wrap in die flauschigen grauen Decke. Mein Weg hingegen führte geradewegs in die Küche. Mit schmerzenden Finger befüllte ich den Wasserkocher, denn bevor ich irgendetwas Weiteres tun konnte, musste etwas Warmes her.
      “Möchtest du auch einen Tee?”, rief ich Vriska zu, während ich bereits für mich eine Tasse aus dem Schrank ergriff.
      „Ich bin zwar britisch, aber bevorzuge Kaffee, egal wann“, schien sie mich erinnerten zu wollen, so gut wie nie Tee zu trinken. Stattdessen war ich so frei, die Kaffeemaschine einzuschalten, denn einen Knopf drücken, lag noch in meinen Fähigkeiten. Die Kälte schien sich regelrecht in den Fasern meiner Kleidung festgesetzt zu haben, denn die Wärme erreichte mich kaum. So nutze ich den Augenblick, indem die Geräte ihre Arbeit taten, um dem entgegenzuwirken. So warf ich, bis auf die Unterwäsche sämtliche Kleidungsschichten von mir und ersetzte diese mit einer gemütlichen Jogginghose und einem viel zu großen Pulli mit dem verwaschen Logo der Eishockey-Mannschaft in der Samu lange Zeit aktiv gewesen war. Ich liebte dieses Kleidungsstück, denn er war einfach perfekt vom Gemütlichkeitsfaktor, weshalb er einst heimlich von seinem in meinen Besitz wechselte. Na ja, genaugenommen war er nicht geklaut, sondern eher so etwas wie eine … Dauerleihgabe auf unbestimmte Zeit. Was zuallerletzt nicht fehlen durfte, waren die wunderbar flauschigen Kuschelsocken mit den niedlichen Ottern drauf.
      Gerade wieder in der Küche angekommen, verkündete der Wasserkocher mit einem leisen Pling, dass er fertig war und auch Vriska Getränkt dampfte bereits in seinem Behältnis und verströmte sein kräftiges Aroma. Laut gluckerte es in meinem Bauch und erinnere an die Leere darin.
      Mit wenigen Handgriffen war auch mein Getränk bereitet und ich balanciert die heißen Tassen hin zu Vriska, wo ich diese auf dem Tisch abstellen, bevor ich mich neben sie quetsche.
      „So, wo ich nicht mehr Gefahr laufe zu erfrieren, wie sieht es mit Essen aus?“, kam ich direkt auf das zweite Bedürfnis zu sprechen, welches gestillt werden wollte. Auf ihre Antwort wartend, nahm ich einen Schluck von der dampfenden Flüssigkeit und verbrannte mir prompt daran die Zunge. Das hatte man davon, wenn man zu gierig war.
      „Hier, such dir was aus“, sprach Vriska müde und drückte mir das Handy in die Hand, geöffnet eine herkömmliche Bestell-App. Es dauerte ein Moment, bis ich mich wieder fähig genug fühlte, die Landessprache zu verstehen. Die Auswahl war groß, beinahe zu groß, so fiel die Wahl mangels Entscheidungsfähigkeit auf eine Pizza. Im selben Moment, wie ich Vriska das Gerät bereits wieder reichen wollte, fiel mir Samu ein, der vermutlich noch da sein musste. Zumindest hatte ich keine anderweitige Information erhalten.
      „Ähm, warte kurz. Ich muss kurz Samu schreiben“, wies ich sie an und suchte hektisch mein Handy. In der Hosentasche war es nicht, auch nicht im Pulli – musste es wohl noch im Zimmer liegen. In Windeseile wuselte ich also zurück. Tatsächlich lag besagtes Gerät, begraben unter dem Klamottenhaufen, auf dem Bett.
      Auf dem Bildschirm leuchteten mir direkt eine Instagram Notifikation entgegen, die ich allerdings ignorierte. Die Prioritäten lagen jetzt eindeutig woanders.
      Mein Finger flogen nur so über die Tastatur und versendeten eine kurze, prägnante Nachricht. Kaum war diese angekommen, leuchtet bereits die blauen Haken auf und ich bekam ein okay zurück.
      Wenige Minuten später klopfte es auch schließlich an der Tür. Motiviert möglichst bald an Nahrung zu gelangen, sprang ich auf, um diese zu öffnen.
      „Oh, du bist auch noch da. Ich dachte, du wolltest schon gegangen sein?“, stellte ich fest, als ich erblickte, dass der Finne nicht allein gekommen war, „aber kommt rein.“
      Kaum hatte Lars angesetzt zu erklären, dass er seine Fähre zur Insel nicht mehr rechtzeitig bekommen hätte, erklang lautes Gerumpel hinter mir. Panisch rollte sich Vriska über die Lehne und hinterließ dabei die Decke als Spur ihrer Flucht. Unmittelbar danach fiel die Zimmertür zu und man vernahm die Zylinder einmal ins Schloss fallen. Ich zuckte nur mit den Schultern vor den irritierten Blicken der Jungs, die langsam in die Hütte eintraten. Umgehend zog Lars seine Schuhe aus, um sie zwischen der riesigen Sammlung meiner Mitbewohnerin zu verstauen. Von mir stammten nur zwei Paar, vollkommen ausreichend bei dem schmuddeligen Wetter und kaum Ausgehmöglichkeiten, nicht, dass ich darauf Lust hatte, aber so generell. Vriska schien hingegen für jede Eventualität vorbereitet.
      Ihr Handy lag noch immer entsperrt auf dem niedrigen Couchtisch, womit sich auch unsere Gäste ihre Nahrung wählten. Samu wusste noch nicht so genau, was er wollte, während es bei Lars ziemlich schnell ging. Neugierig blickte ich in die Bestellliste – Gemüsepizza. Interessant.
      Eine andere Vriska kam aus dem Zimmer heraus. Die Hose gewechselt zu einer sehr engen dunklen Jogginghose und darüber ein bauchfreies Shirt, das eher aussah, als stammte es aus der Kinderabteilung von H&M. Es war der Schnitt und nicht das Motiv, was mich irritierte. Die Schminke war komplett entfernt, wodurch ihre Augenringe deutlich hervorstachen und Augen noch rot verfärbt vom Weinen.
      Nicht nur ich sah mir ihre Verwandlung genau an, sondern auch der junge Mann neben mir, der auf dem Sofa Platz genommen hatte, konnte den Blick gar nicht mehr von ihr lassen. Zur gleichen Zeit kamen bedauerliche Stiche in meiner Magenregion, durchzogen von Grummeln.
      Mit gewissem Abstand setzte sie sich auch zurück auf ihren Platz, prüfte mit kurzen, aber hektischen Blicken, wie groß die Spalte zwischen ihr und Lars war. Doch er wusste geschickt, sie näher bei sich zu haben. Vriska beugte sich vor, um selbst etwas zu wählen, was mich schon ziemlich überraschte. Dabei wechselte er seine Position und saß plötzlich direkt neben ihr, den Arm locker auf der Lehne. Hätte ich die beiden im Schulalltag getroffen, wäre ich ihnen aus dem Weg gegangen. Sein Selbstbewusstsein und ihr gespieltes Mitleid waren das perfekte Beispiel für Schulmobber, die mir den Alltag erschwerten.
      Für einen Augenblick dachte ich darüber nach, sie an ihren Freund zu erinnern, der grundsätzlich noch existierte, auch, wenn er bestimmt ziemlich genervt war, entschied aber gegen schlechte Stimmung. Vriska konnte so impulsiv und aufbrausend sein, dass jeden den Abend versaute.
      Unentschlossen durchforsteten wir Netflix, klickten eine Serie an, um im nächsten Augenblick ein genervtes Stöhnen von Vriska zu hören, weil ihr etwas nicht passte. Das Problem löste sich allerdings nach kurzer Zeit von selbst auf. Immer schläfriger hing sie neben Lars, der sie zwar versuchte wachzuhalten, aber damit keine Erfolge erzielte. Stattdessen lag sie an seiner breiten Brust und schlief ein. Süß waren sie schon, mit einem bitteren Beigeschmack.
      Mit Bedauern stellte ich leere in meiner Tasse fest, dabei waren wir doch erst vor gefühlten zehn Minuten hereingekommen. Das Zeug musste sich in Luft aufgelöst haben. Wenigstens hatte es seinen Zweck erledigt, denn neben dem Gefühl in meinen Fingern, war auch die Wärme zurückgekehrt. Langsam erhob ich mich von der weichen Sitzgelegenheit und bewegte mich erneut in die Küche. Wie ich feststellte, gefolgt von Samu, der an der Theke lehnend meine Handgriffe beobachtete.
      “Du weißt schon, dass Gedankenübertragung nicht funktioniert?”, wie ich freundlich daraufhin, dass er reden sollte, wenn er etwas wollte.
      > Onko Viska kunnossa?
      “Ist mit Vriska alles in Ordnung?”, sprach er mir gesenkter Stimme. Mit zusammengezogenen Augenbrauen blickte er zum Sofa, wo sich nur schemenhaft die Umrisse der beiden im gedimmten Licht abzeichneten.
      > Ei oikeastaan, se, että Erik ei ole ollut mukana pitkään aikaan, häiritsee häntä suuresti.
      “Nicht so wirklich, dass Erik schon länger nicht mehr da war, macht ihr ganz schön zu schaffen”, entgegnete ich seufzend. Schon allein die Erwähnung ihres Freundes ließ das ungute Gefühl wachsen, welches beim Anblick der beiden aufkam.
      > Mutta ovatko he edelleen yhdessä?
      “Aber die beiden sind schon noch zusammen?”, runzelte er die Stirn. Verständlich, dass er das in Anbetracht von ihrem Verhalten infrage stellte.
      > En ole niin varma.
      “Ich bin mir nicht so sicher”, antworte ich zögerlich. Auch wenn sie offiziell mit dem Unbekannten geschrieben hatte, war es immer noch Erik, dem sie offenbarte, dass er nicht der einzige Mann war, an dem sie Interesse zeigte. Die Verletzung, die damit einherging, war aus den Worten deutlich herauszulesen gewesen und vor allem die darauffolgende Funkstille schien eindeutig zu sein.
      > Hän kertoi tuntemattomalle flirttailustaan ja tämä oli... hieman vähemmän innostunut
      “Sie hat dem Unbekannten von ihrem Flirt berichtet und der war … eher weniger begeistert”, deute ich die Geschehnisse an, was Samu auszureichen schien, zumindest stellte er keine weiteren Fragen. Auch er kannte Vriska mittlerweile gut genug, um sich erklären zu können, weshalb sie trotz oder vermutlich gerade wegen der Vorkommnisse nicht von Lars abließ.
      Mit einem tiefen seufzend entwich sämtliche Luft aus meinem Lugen. Ein Zusammenleben mit ihr würde wohl niemals einfach werden.
      > Tiedän, että haluat auttaa häntä, mutta älä unohda itseäsi
      “Ich weiß, du willst ihr helfen, aber vergiss dich dabei bitte nicht”, appellierte Samu, ganz der besorgte Freund, der er schon immer gewesen war. Er las mich wie ein Buch und manchmal glaubte ich er würde mich besser kennen, als ich es selber tat.
      Nickend nahm ich seine Sorge zur Kenntnis, doch ich hatte genug von diesem Thema. Aktuell konnte ich die Situation ohnehin nicht ändern.
      Mit einem frischen Tee ließ ich mich wieder vor dem TV nieder. Angelehnt an die Schulter meines besten Freundes, ließ ich mich von den bewegten Bildern berieseln.
      Je spannender die Ermittlung um einen Amoklauf wurde, umso mehr vergaß ich die Anwesenheit von Vriska und Lars, womit auch das mulmige Gefühl diesbezüglich in den Hintergrund rückte. Das Gluckern und Gurgel in meinem Bauch hingegen tat das Gegenteil. Ungeduldig angelte ich nach Vriskas Handy, das konnte doch nicht so lange dauern. Oder lieferten die, die Pizza direkt aus Italien? Eigentlich wollte ich nur in die Lieferapp, doch unmittelbar auf dem Sperrbildschirm leuchten zahlreiche Push-Benachrichtigungen auf. Eigentlich wollte ich nicht neugierig sein, doch als ich Eriks Namen lass konnte ich nicht anders als darauf zu tippen. Sechs ungelesen Nachrichten erschienen, allesamt eingetroffen ab dem Zeitpunkt, ab dem Lars auf dem Hof war. Bereits nach den ersten beiden Nachrichten konnte ich deutlich herauslesen, dass Erik sich Sorgen machte, da Vriska sich nicht meldete. Da war es wieder, das beklemmende Gefühl in der Brust. Es war nicht richtig, ihre Nachrichten zu lesen, auch wenn sie den Schutz ihrer Privatsphäre nicht allzu wichtig nehmen zu schien. Schnell wischte ich die Nachrichten hinfort und wurde auf dem Homescreen von Maxou begrüßt. Ein niedliches Bild hatte sie ausgewählt, doch mein Begehren lag gerade wo anderes. Intuitiv strich ich von unten nach oben und glücklicherweise tauchte wie gewohnt der Task-Manager auf, in dem ich auch sogleich die Lieferapp entdeckte. Zehn Minuten, lautete die Auskunft. Viel zu lange, bis dahin war ich sicherlich längst verhungert.
      “Lina, du weißt aber schon, dass das nicht schneller geht nur, weil du alles fünf Sekunden nachsiehst?”, amüsierte sich der Kerl zu meiner Rechten, nachdem, ich das Gerät bestimmt zum zwanzigsten Mal entsperrte.
      “Aber ich habe doch so Hunger”, jammerte ich kläglich und stellte fest, dass sich die Anzeige in den letzten acht Minuten kein Stück verändert hatte, “Ich glaube, die blöde App ist kaputt.”
      “Gib mal her”, nahm Lars mir das Gerät aus den Händen. Kurz tippte er darauf herum, dann schüttelte er den Kopf: “Alles normal”
      “Manno”, grummelte ich, doch mir fehlte so langsam auch die Geduld, um stillzusitzen. Wie ein hungriges Raubtier tigerte ich zwischen Couch und Küche hin und her, umrundete den Küchentisch und wieder zurück.
      “Weißt du, dass du ziemlich nervig bist, wenn du hungrig wirst?”, merkte Samu an. Ganz klar eine Aufforderung, mich wieder zusetzten.
      “Aber Samuuuu”, quengelte ich, ließ mich dennoch widerstrebend wieder auf der Sofa kante nieder, breit in Sekundenschnelle an der Tür zu sein. Meine Augen klebten förmlich an der Türklinke, als sei ich ein einsamer Hund, der auf seinen Besitzer wartete.
      Mich von dem Tor der Begierde zu lösen, fiel bereits leichter, als die Ermittlungen in der Serie neue Facetten ans Tageslicht brachten. Samu kommentierte das Ganze mit Nachfragen, einzig allein, damit ich nicht zur Tür sah. Es würde jeden Augenblick klingeln, sagte eine Stimme in meinem Hinterkopf, wodurch sich das rechte Bein kurz anspannte, als würde ich in Rekordzeit losspringen. Dafür hörte ich Vriska neben uns wachwerden, leise murmelte sie vor sich hin. Lars, der sichtlich unzufrieden von ihrer Liegeposition war, atmete erleichtert aus als sie sich geraderichtete. Dann geschah, was passieren musste. Unüberlegt saß sie auf seinem Schoß und drückte einfach ihre Lippen auf seine. Mir stach es in der Magenregion, das passierte nicht wirklich, oder? Noch mehr überraschte mich, dass Lars seine Hände fest ihren Unterrücken hielt und auf sich bewegte. Im selben Moment klingelte es und ich sprang wie ein Terrier vom Korb, um die Klinke aufzureißen. Was ich dann sah, brachte mich in Atemnot.
      Niklas stand mit einer großen Tüte in der Hand vor mir, hielt diese wie eine Trophäe nach oben. Die Hitzewelle, die plötzlich über mich hereinbrach, sorgte für zusätzliche Verwirrung in meinem ohnehin schon überforderten Gehirn, sodass ich meinen Freund für einige Sekunden einfach nur anstarrte. Verdammt, sah er heiß aus, in dieser Uniform.
      „Bin ich hier richtig bei Frau Valo?”, ergriff er vollkommen ernst das Wort, als sein wir uns noch nie im Leben begegnet. Ich konnte nur stumm nicken, denn die Verbindung zum Sprachmodul, hatte meinem Hirn offenbar noch nicht wieder hergestellt. Stattdessen piepte es und eine kleine rote Lampe blickte hektisch.
      „Dann habe ich wohl eine Lieferung für sie", setzte er fort, ein frivoles Grinsen auf den Lippen. Niklas war so nah an mich herangetreten, dass kaum mehr eine Handbreit Luft zwischen uns war. Wunderbar leckerer Duft stieg aus der Tüte empor, vermischte sich mit Niklas eigenem zu einer betörenden Mischung. Zu dem unfassbar heftigen klopfen hinter meinem Brustbein, gesellte sich ein unsägliches ziehen in meinem Bauch, was das Denken nicht minder erschwerte.
      “Niklas … du … hier?”, stolperten Worte über meine Lippen, die eigentlich ein ganzer Satz werden wollten. Die Verbindungen meines Sprachzentrums schienen einen gewaltigen Hitzeschaden erlitten zu haben, durch sein erscheinen.
      “Eure Lieferung landete im Streifenwagen”, grinste er für einen Augenblick, bevor sich seine Miene verfinsterte. “Es ist etwas mit Erik passiert.”

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 64.836 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Anfang November 2020}
      Fohlenbericht sechs von sieben.
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugosechs | 29. August 2022

      Moonwalker LDS / Northumbria / Glimsy / Pay My Netflix / Millennial LDS / Enigma LDS / Schneesturm / Maxou / Henade

      Vriska
      Bereits Ende Januar wurde der Schnee von einem Dauerregen abgelöst, der die Fahrt auf dem Sulky undenkbar ekelig machte. Trotzdem überwand ich mich. Durch den Frost hatten sich tiefe Furchen in den Sand legt und verursachten damit eine reine Schlammschlacht. Walker, der sonst hell den Stall erleuchtete, konnte erst nach einer verdienten körperwarmen Dusche seine gewohnte Fellfarbe hervorbringen.
      Ich lehnte in der Stallgasse an einem Holzbalken und beobachtete, wie Walker genüsslich sein Futter verspeiste unter den roten Lampen. Neben mir stand Nour, vollkommen begeistert von dem Hengst. Sie erzählte womöglich zum vierten Mal an dem Tag, wie sehr sie das Training mit ihm vermisste, aber froh war, dass ich es so lang übernahm. Ihr Arm verursachte noch immer Probleme und die Naht wollte sich nicht schließen. Da Walker seine unberechenbaren Phasen hatte, fuhr sie nur mit einfachen Pferden.
      „Wir sind ein wirklich gutes Team“, sagte sie und boxte mir leicht an den Oberarm.
      „Schon, ja“, murmelte ich.
      „Jetzt lass den Kopf nicht hängen. Das mit Lina renkt sich sicher wieder ein, auch wenn ihr Kerl ziemlich seltsam ist“, mahnte sie. Ich wusste das, aber es änderte nichts, egal, wie oft es mir sagte oder jemand anderes. Auch, was Niklas Problem seit Wochen war, konnte ich nicht genauer herausfinden. Einzig meine Anwesenheit brachte ihn zu unbeschreiblich unfreundlichen Taten. Selbst nach dem Urlaub wechselten wir kaum Worte, aber ich konnte spüren, dass es wieder besser werden würde.
      “Willst du heute selbst Humbria nehmen?”, wechselte Nour sogleich das Thema und stellte sich demonstrativ vor mir. Erst jetzt richtete den Kopf auf, um ihr ins Gesicht zu blicken. Sie war nur etwas größer als ich, wodurch es kein Problem war. “So ein Turnierpferd kauft sich schließlich nicht von selbst und ich will mein Walkerlein auch demnächst wieder haben.”
      “Versteh’ schon, du und dein Schatz”, grinste ich.
      Voller Tatendrang verschwand Nour und kehrte mit meinem rosafarbenen Halfter aus dem Schrank zurück, um es mir in die Hand zu drücken. Etwas verwirrt schaute ich die Dame an, aber zuckte mit den Schultern und lief zum Stutenpaddock, um besagte Stute zu holen. Lina hatte ihr eines Tages den Spitznamen „Pilzi“ gegeben, nach dem Tyrell bei einer Farbuntersuchung feststellte, dass sie das Mushroom Farbgen trug, das bisher nur bei Shetlandponys nachgewiesen werden konnte. Umso mehr freute ich mich, dieses Pferd zu meinem Zählen zu dürfen, wenn auch nur im Rahmen der Betreuung. Glücklicherweise war Niklas klug genug, uns die Stute zu überlassen, denn es hatte sich immer mehr herauskristallisiert, dass sie sensibel war und Ruhe bedarf. Sensibel mag er gehändelt bekommen, aber Ruhe bewies er bisher nie. Ich schätze, sie war froh, mich zu haben. Ihre Ohren stellten sich bereits auf, als ich ihren Namen rief. Beim zweiten Mal kam sie zum Zaun gelaufen und wieherte in hohen Oktaven.
      „Toots, wir haben Großes vor“, strich ihr über die schmale, schräge Blesse und öffnete das Halfter, um es hinter den Ohren zu schließen. Sie mochte es nicht, wenn man es über ihren Kopf zog, aber wir arbeiteten daran. Ihr erstes Leckerli verdrückte sie in Windeseile und folgte wie ein glücklicher Hund.
      „Mit dir habe ewig nichts mehr gemacht. Das tut mir leid“, sprach ich weiter mit dem Tier, das mir ohnehin nicht antworten würde. Aber sie stupste mich an, was ich als Kommunikation verstand.
      Angekommen in der Stallgasse bemerkte ich Walker in seiner Box stehen, interessiert den Kopf nach der Stute recken. Humbria legte die Ohren an.
      „Ich verstehe dich, Männer sind doof“, lachte ich.
      „Ach ja? Alle?“, kam auf einmal Lars hervor. Mir stockte der Atem und die dunkle Stute sprang zur Seite weg, dabei klapperte der Beschlag laut an dem Holz einer Boxenfront.
      „Du willst uns noch umbringen“, schüttelte ich den Kopf. Humbria beruhigte ich mit Klopfen am Hals und sogleich schmiegte sie sich an mich heran. „Aber ja, besonders du.“
      Dann lachte auch Nour, die neben ihm auf der Bank saß und aufstand, um die dunkle Stute zu begrüßen.
      „Leider muss ich ihr zustimmen, du bist der Schlimmste von allen“, fügte seine Schwester amüsiert zu und legte demonstrativ ihren Arm auf meine Schulter.
      „Jetzt verbünden sich meine Lieblingsmädchen auch noch. Das kann eine Saison werden. Gott, steh mir bei“, schüttelte er den Kopf. Lars begleitete uns zum Anbinder und diverse Nachfragen bezüglich der Stute neben mir. Besten Gewissens erzählte ich von meinen Erfahrungen von ihr, aber hatte keine Vorstellung davon, wie sie am Wagen fuhr.
      „Ich kann mitkommen. Glimsy braucht ohnehin noch etwas Auslauf“, beschloss er und lief davon. Als ich ihm so nachsah, wurde mir doch etwas wärmer ums Herz. Sein eleganter Gang übertraf um Längen, was Niklas ausstrahlte. Nur Tattoos würden ihn noch attraktiver machen, um genau mein Typ zu sein.
      „Erde an Vivi“, trat Nour vor meinen Blick, aus dem Lars bereits verschwunden war.
      „Ähm, ja?“, schüttelte ich erwischt den Kopf.
      „Stehst du auf ihn?“, kam sie noch etwas näher, damit es sonst keiner im Stall mitbekam.
      „Nein!“, empörte ich mich und flüsterte zu mir selbst: „Nicht auf ihn.“
      „Jetzt wird es interessant. Aber ihr habt doch miteinander geschlafen, oder stimmen die Gerüchte nicht?“, legte sie wieder mal ihren Arm um meinen Hals. Nour war ziemlich körpernah unterwegs, aber sie strahlte eine hohe Sympathie aus, weshalb es mich nicht störte.
      „Ich werde mich dazu nicht äußern“, schmunzelte ich.
      „Doch, ich werde es schon noch erfahren.“
      Bis auch Lars die Rappstute am Wagen hatte, dauerte es eine Weile. Nour hielt die Beine still und fragte mich nicht weiter über ihren Bruder aus. Stattdessen wollte sie mal wieder mehr über ihren Liebling, Walker, wissen. Also beantwortete ich erneut alle Fragen. Langsam sollte es doch genug sein, dachte ich, insgeheim und ging mit Bedacht vor, also ich Humbria den Gurt umlegte. Sie hampelte unsicher herum, aber sanftes Vorgehen beruhigte sie mehr oder weniger. Das Blutblatt löste in ihr einen weiteren Schock aus, dass ich zunächst durch den Stall führte. Aus ihren aufgeblähten Nüstern prustete Humbria laut Luft, erregte dabei von jedem, der durch den Stall lief, Aufmerksamkeit. In meinem Kopf ging unsere Rennkarriere den Bach herunter.
      “Vielleicht hilft das hier”, schlug Nour vor und drückte mit Watte in die Hand. Verwundert drückte ich die Brauen zusammen.
      “Das wird ihr wohl kaum helfen”, winkte ich ab. Doch sie ignorierte förmlich meine Aussage und stopfte das weiße Zeug in die Plüschohren der Stute, diese schnaubte einmal und wurde ruhiger.
      “Doch”, grinste Nour überzeugt.
      „Ach Mensch, tu einfach, was man dir sagt, dann ist einfacher“, scherzte Lars und trat damit leider in eine schmerzhafte Stelle. Ich hatte es versucht, allen recht zu machen, aber selbst das reichte nicht aus. Kommentarlos zog ich Humbria die Watte wieder aus den Ohren. Ihre Hektik kehrte zurück aber kaum steckte ein Leckerli im Maul, konzentrierte sie sich auf mich.
      „Ich gehe allein“, schnaubte ich. Dann führte ich die Stute wieder in den Anbinder, in dem bereits mein Sulky lehnte. Erst legte ich Trense um, streifte das Halfter wieder über und den Wagen ins System. Die Stute hampelte unter den wachsamen Augen der Beiden, die misstrauisch Blicke austauschten. Letztlich schaffte ich es und Humbria schnaubte sogar ab. Zu meinem Bedauern folgte uns Lars.
      “Du bist noch nicht so weit”, rief er mir nach, was mir nichts ausmachte. Natürlich bekam ich sogleich Herzklopfen, als würde ich auf der Göttin sitzen und mich lächerlich machen, aber es war anders. Humbria und ich kannten einander und hatten eine Bindung. Zumindest glaube ich das. Die ersten Meter auf dem Hof lief die Stute im ruhigen Tempo voran, bis sie den Kopf hochstellte und die Schritte verkürzte. Mit guten Hintergedanken durchwühlte ich alle Informationen in meinem Kopf, nach Trainingsmethoden, wie ich sie einmal in der Berufsschule hatte. Wieder sprach ich auf die nervöse Stute ein und ließ dabei immer wieder Kontakt an der Leine nach, um sie zum Strecken zu animieren. Humbria wirkte verwirrt, was ich von ihr wollte, aber als die gewünschte Aktion folgte, lobte ich die Stute. Dafür lehnte ich mich auch nach vorn, um ihr sanft über den Po zu streichen. Tatsächlich klappte es, auch entgegen meiner Erwartungen.
      „Ziemlich beeindruckend“, merkte Lars an und schloss neben uns auf.
      „Tja, bin halt nicht so ein Anfänger, wie du denkst“, grinste ich mit deutlicher Selbstsicherheit.
      „Du hast den zweiten Platz belegt, nachdem du ewig keine Rennen gefahren bist. So schlecht denke ich nicht über dich“, beschwichtigte er.
      Bis zur Trainingsbahn fuhren wir nebeneinander her, tauschen Erfahrungen über meine Stute aus und besprachen den heutigen Ablauf. Vorbereitend für kommende Rennen hatte Lars die Stute in sein Trainingsprogramm aufgenommen, das Bruno sich zuvor für den Wiedereinstieg überlegt hatte. In diese, beinah geheimen, Informationen wurde ich nicht eingeführt, musste also mit Nacherzählungen vorliebnehmen. Gespannt hing ich an seinen Lippen.
      Auf der Bahn legten wir an Tempo zu, um die Pferde im lockeren mittleren Trab durch den gefrorenen Sand zu joggen. Immer wieder holten wir sie zurück, um eine Schrittphase einzulegen. Die Geschwindigkeit passten wir individuell an. Humbria brauchte mehr Ruhe, die sie durch Glimsys Anwesenheit bekam. Ich sah ein, dass seine Begleitung eine kluge Wahl war. Deswegen legte ich bereits in der dritten von vier Trabphasen an Tempo zu.
      Zufrieden kehrten wir auf den Hof zurück, aber wir alle sichtlich erschöpft.
      “Und, möchtest du dann nächste Woche mitkommen nach Visby mit Humbria?“, fragte Lars aus heiterem Himmel, als ich das Geschirr von der verschmutzten Stute abnahm.
      „Ich weiß nicht. Das ist so weit weg von hier“, merkte ich wenig begeistert an, obwohl mir bekannt war, dass es Lars und seine Familie von dort kam.
      „Nicht viel weiter als Stockholm und der Großteil der Strecke ist auf der Fähre“, zuckte er mit den Schultern. „Außerdem …“ Willkürlich stoppte er, mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen.
      „Außerdem, was?“, hakte ich nach. Nervös wippte mein Bein auf Stelle.
      „Es gibt noch mehr Gerüchte, aber schweige wie ein Grab“, hielt Lars inne und verschwand, um das Equipment seiner Stute zu verräumen. Noch eine Weile stand ich neben Humbria und versuchte aus meinem Gedächtnis zu fischen, worauf er hinauswollte. In der vergangenen Zeit benahm ich mich, wie man es unter Normal verstand, nahm mir lediglich Ruhephasen in den Rennen, an den ich neugierig im Zelt stand und die vorbeifahrenden Pferde musterte. Das eine oder andere Gespräch entstand dabei, aus dem ich Informationen erhaschte. Niklas mied ich, wenn er da war und von Erik hatte auch ewig nichts mehr gehört. Selbst seinen Instagram-Account begutachtete ich nicht mehr jeden Tag vor dem Schlafen gehen, also alles in allem, sehr normal. Was für Gerüchte sollten da aufkommen?

      Lina
      Der europäische Winter lockte nicht gerade mit molligen Temperaturen. Vor wenigen Tagen hatte ich noch bei schätzungsweise achtundzwanzig Grad den australischen Sommer ausgekostet, doch vorbei war es mit dem Urlaub. Niklas begab sich bereits in den frühen Morgenstunden zu Arbeit, so verschlief ich meinen Wecker und erwachte erst, als der Regen gegen das Fenster prasselte. Der Trubel auf dem Hof war schon lange erwacht, als ich mich, eingepackt in mehrere Schichten, wärmender und wasserabweisender Schichten, hinauswagte. Durch den Matsch patschte ich direkt zum Paddock, um Mill zu holen. Die junge Stute konnte ein wenig Beschäftigungen gebrauchen und dazu konnte diese unter einem Dach stattfinden. Der Rappe schien von dem Wetter ebenso wenig zu halten, wie ich, denn alles, was ich von ihr erblicken konnte, war ein wohlgeformtes Hinterteil in der hinteren Ecke des Unterstanden. Geschickt kletterte ich durch den Zaun und lief auf die Stute zu. Neugierig blickte sie mir aus ihren hellen Augen entgegen, doch auch zog ich die Aufmerksamkeit der anderen Stuten auf mich. So auch die der Göttin, die sogleich schlecht gelaunt, wie immer angetrottet kam und mich zu vertreiben suchte. Allerdings erfolglos, denn seitdem ich Caja im Training hatte, konnte mich eine schlecht gelaunte Stute nicht wirklich abschrecken. Unbeirrt halfterte ich das junge Pferd und steckte ihr als Belohnung ein Leckerli zwischen die rosafarbenen Lippen. Damit ich mit dem rangniedrigen Tier passieren konnte, scheuchte ich die dunkle Fuchsstute aus dem Weg, woraufhin Mill mir artig folgte. Als wir in den Regen hinaustraten, begann sie allerdings ein wenig das Rennpferd heraushängen zu lassen. Ungeduldig drängelte sie voran, warf den Kopf in die Höhe und ließ ihr schrilles Wiehern ertönen, als sie sich nicht so recht durchsetzen konnte. Wir schafften es trotz des Theaters auf der Stallgasse anzukommen, wo sie sich schließlich beruhigte.
      “Gut, dass du kommst, Lina”, grinste Mateo mich an, der gerade dabei war, Schnees helles Fell ansatzweise sauber zu bekommen. Die Beine der Traberstute waren mehr schlammig braun und ihr Bauch war nun gesprenkelt. Dieses Wetter war eindeutig nicht für helle Pferde geeignet.
      “Weswegen, habe ich etwas Wichtiges verpasst?”, fragte ich erstaunt über diese Begrüßung. Aufgeschlossen schnuppert Mill an der anderen Stute, während ich die langen Stricke in ihr Halfter hängte.
      “Zuerst sei gesagt, dass dir dein Urlaub wirklich gut zu Gesicht steht, du solltest mehr Zeit in der Sonne verbringen”, sprach der Schweizer zuvorkommend.
      “Wenn das nur so einfach wäre”, lachte ich verlegen und strich der Schimmelstute, die mich interessiert beschnupperte, über die helle Stirn,” Aber das ist sicher nicht, was du mir mitteilen wolltest, also erzähl schon.” Was war es nur, was alle sahen? Wenn ich in den Spiegel blickte, sah ich nicht viel mehr als ein Mädchen, an dem nicht wirklich besonders zu finden war, daran würde auch ein sonnengebräunter Teint nichts ändern.
      “Samantha hat da eine talentierte Stute, die derzeit etwas Langeweile hat und sie überlegt sie hier her in den Betritt zu geben”, erzählte mein Kollege beiläufig und beschäftigte sich weiterhin mit der Reinigung seiner Stute. Deshalb bemerkte er vermutlich nicht, wie ich eilig nach einer Bürste griff, um die Verlegenheit zu überspielen.
      “Das ist schön, aber warum erzählst du mir das und nicht unserem Chef?”, hinterfragte ich irritiert. Mir erschoss es sich nicht ganz, weswegen diese Information für mich relevant sein sollte, schließlich, war nicht ich es die entschied
      “Weil es davon abhängt, was du dazu sagst. Sam hätte gerne, dass du diese besondere Stute reitest und es hat ihr gut gefallen, wie du mit deinen Pferden umgehst. Du musst wissen, Hanni liegt, ihr ziemlich am Herzen, weswegen es ihr wichtig ist, dass sie in guten Händen ist. ”, ergänzte er auf meine Nachfrage hin. Bei dem Wort besonders horchte ich auf: “Ich hoffe, du meist nicht so besonders wie Caja. Ein Pferd, was es darauf anlegt, mich in den Wahnsinn zu treiben, ist für das Erste ausreichend.”
      “Nein, keine Sorge, Hannis Besonderheit bezieht sich auf ihre Optik. Sie trägt das gleiche Gen wie dein Hengst, ist aber nicht ganz so weiß. Charakterlich ist sie eher eine kleine Prinzessin und hat zwar auch ihre Macken, aber alles ziemlich harmlos. Ich glaube, sie könnte dir ziemlich gut gefallen”, umriss Mateo die Stute seiner Schwester, “ach und natürlich ist sie ein Freiberger, aber das dachtest du dir sicher bereits.” Die Umschreibung von Hanni gefiel mir, doch mit den letzten Worten hatte er mich vollends überzeugt. Einem weiteren Tier in dieser seltenen Färbung zu begegnen, hatte ich nicht geglaubt. In ihrem Heimatland galten die bunten Tiere als unerwünscht und werden, sofern es sich um einen Hengst handeln sollte, von der Zucht ausgeschlossen und auch Stutfohlen landeten dadurch häufig beim Schlachter. Eine Schande, denn es war es bereits ohne diese Verschwendung wertvoller Blutlinien kein leichtes, den alten Schlag der Rasse zu erhalten.
      “Das klingt hervorragend, du kannst Sam sagen, ich mache es”, grinste ich zufrieden. Es erfüllte mich ein wenig mit Stolz, von einem Außenstehenden mit einem Pferd betraut zu werden, auch wenn dieser nicht ganz unparteiisch war.
      “Perfekt, dann werde ich sogleich alles in die Wege leiten”, nickte Mateo und zückte augenblicklich sein Handy, vermutlich um seiner Schwester davon zu berichten. Ich hingegen entschwand in die Sattelkammer, um Kappzaum und Longiergurt für Millennial zu holen. Ungeduldig hibbelte die Stute umher, als ich mit den Lederstücken zurückkehrte und diese auf ihr befestigen wollte. Etwas Hilfe wäre jetzt zuträglich. Schnee döste neben uns, doch mein Kollege hatte sich innerhalb der wenigen Minuten in Luft aufgelöst, da musste wohl eine Alternative her. Suchend blickte ich die Stallgasse entlang und entdeckte schließlich Lars Schwester, die nicht sonderlich schwer beschäftigt wirkte, denn sie war ausgiebig damit beschäftigt einem der Hengste den Hals zu kraueln.
      “Nour, könntest du mir hier vielleicht mal kurz helfen?”, bat ich freundlich.
      „Klar“, sagte sie und kam sofort angelaufen. Sie griff in ihre Jackentasche, wühlte ein wenig herum, bis zwei weiße, weiche Bällchen zum Vorschein kamen. Diese steckte Nour beherzt in die Ohren der Stute, ohne wirklich acht auf das ungeduldige hin und her wanken zu geben. Kaum steckte die Watte in den Ohren, wirkte Mill ruhiger. Sie half beim Gurt und den Kappzaum legte ich selbst an.
      “Danke”, lächelte ich und hakte das eine Ende der Longe in den Zaum, um die Scheckstute in die Halle zu führen.
      „Bruno ist sie die letzten Tage schon etwas gefahren, also könnte Mill ziemlich aufbrausend sein“, sagte sie und lief mir stürmisch nach, als gäbe es noch weiteres zu sagen. Mateo, der mittlerweile wieder erschienen war, putzte noch immer, wollte dann nachkommen. „Was ist eigentlich mit deinem neuen Schnuckelchen?“ Im ersten Moment irritierte mich ihre Wortwahl und ich verstand nicht so recht, worauf sie hinauswollte, doch sie konnte eigentlich nur eins meinen.
      “Mateo? Was sollte mit ihm sein?”, fragte ich, um den Grund ihrer Frage zu ergründen.
      “Ach, na ja”, grinste Nour, blickte sich noch mal zu ihm um und wendete ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich, “er hat ziemlich oft nach dir gefragt, als du weg warst und schwärmte auch ziemlich.”
      “Wirklich?”, sprach ich und blickte sie voller Unglauben an. Ihre Worte kamen mir unwirklich vor, doch gleichermaßen fühlte ich mich geschmeichelt.
      “Nein, weißt du, ich möchte dir einen Bären aufbinden”, scherzte sie kopfschüttelnd. “Aber ja, hat er. Sonst würde mich die Neugierde nicht so befeuern!”
      “Was hat er so gesagt?”, lag die Neugierde nun auch auf meiner Seite, auch wenn ich diese zu verbergen suchte, indem ich geschäftig die Leinen an der Stute befestigte.
      „Willst du das ernsthaft wissen, schließlich hast du doch den wohl eifersüchtigsten Freund auf diesem Planeten“, hütete sie die Informationen weiterhin hinter einem Vorhang aus Nebel. Unrecht hatte Nour damit nicht. Niklas war ein ziemlicher Platzhirsch und gab sich auch nur selten die Mühe, dies zu verbergen. Dennoch brannte die Wissbegier in meiner Seele, was der Schweizer über mich zu sagen hatte.
      “Ja … Niklas muss das ja nicht erfahren“, nickte ich unumwunden und senkte dabei unbewusst die Stimme als könne und jemand Unerwünschtes hören.
      „Na gut, aber du weißt das nicht von mir“, Nour zwinkerte und kam an mein Ohr heran. Sie erzählte davon, dass das Angebot der Stute im Beritt weniger dem Geiste Sams entstammte, viel mehr eine Gunst der seine war. Des Weiteren hinterfragte er vieles bei Erzählungen, um mehr Informationen über mich zu bekommen und wie ernst das mit Niklas sei. Einstellern, die zu gern über mich herzogen, stand Mateo mit straffer Brust entgegen und verteidigte mich. Nicht viele Menschen standen unaufgefordert derart für jemanden ein, was mich beeindruckte. Doch auch bei ihren restlichen Worten wurde mir warm ums Herz.
      “Oh wow, das alles ist ziemlich … charmant”, lächelte ich zurückhaltend, vermochte kaum zu glauben, was hinter der Fassade des schweigsamen jungen Mannes steckte.
      “Aber ich möchte mich nicht in dein Liebesleben einmischen, du überstehst das schon”, zuckte noch ein Grinsen über Nour Lippen, bevor eine Einstellerin mit einem braunen Wallach vorbeikam und sie neugierig zu ihr lief. Überstehen? Ich wusste nicht, was sie damit meinte, aber anstatt mir den Kopf darüber zu zerbrechen, widmete ich mich der Rappstute, bevor sie noch anfangen würde, Löcher in den Sand zu graben.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 20.465 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte Februar 2021}
      Fohlenbericht sieben von sieben.
    • Mohikanerin
      Rennen E zu A | 31. August 2022

      Eichkatze / Mockup / Sisko / Nobelium / Millennial LDS / Enigma LDS / Meltdown / Fire to the Rain LDS

      Von Monat für Monat kamen Trainingspferde, nach dem Tyrell erkannt, dass ich dem Fahren wieder offener gegenüberstand. So legte Lars ein gutes Wort bei den Besitzern von Eichi ein und übernahm die lockeren Fahrten. Die Fuchsstute war entspannt, dennoch aufgeregt, wenn ich mit dem klappernden Gurt ankam nach dem Putzen. Sie spitzte aufmerksam die Ohren und begann mit der Unterlippe zu spielen. Typisches Zeichen ihrer Aufregung. Meistens begleitete uns Bruno mit Enigma, Nour mit Ini und Lars mit Mill. Es war entspannte Einheiten, in denen jeder einzelne von uns die Ruhe des Waldes genoss. Die vier Stuten kannten einander, standen auf demselben Paddock.
      Noby, der im Gegensatz zu allen anderen Pferden am Hof, Trabreiten lief, wurde von mir geritten oder von Nour schneller geritten. Ich übernahm größtenteils die lockeren Teile der Rennpferde, nur meine eigenen Trainingspferde fuhr ich schnell. Zwischendrin schrieb ich mit Basti, der nur wenig über seinen Trainingsinhalt erzählte, obwohl es mich wahnsinnig interessierte. Wenn ich ihm doch eine oder die anderen Information entlockte, drehte es sich um einen Fuchs, der enormes Potenzial hatte aber nicht zeigte. Niemand konnte wirklich identifizieren, wieso der Hengst unwillig war. Physische Ursachen gab es nicht, die Gesundheitswerte waren gut und selbst, wenn man die Unterbringen änderte, gab es keine Besserung. Ich schwieg über meine Idee, ihn hier herzubringen, schließlich konnte ich kaum Erfahrungsberichte teilen. Dennoch war das Klima auf der Halbinsel, insbesondere zwischen unseren Pferden, ein ganz anderes.
      Gleichzeitig kümmerte sich Basti auch noch um den Hengst seines Bruders, der im Gegensatz zu Mocki, auf Höchstleistungen lief. Der Schimmel trabte wie ein Champion.
      Zu guter Letzt hatten wir noch Sisko hier, den Tyrell aus Reflex gekaufte und nun langsam antrainiert wurde. Häufig longierte ich ihn und nahm ihn als Handpferd mit. Der Buckskin war geduldig – Obwohl er die Umgebung nicht kannte und jeder Berührung skeptisch gegenüberstand. Nour beschäftigte sich viel mit ihm. Es gelang ihr sogar binnen weniger Wochen ein erstes Schnellfahren zu vollziehen.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 2146 Zeichen
      zeitliche Einordnung {April 2021}
    • Mohikanerin
      Tempofahren / Rennen A zu L | 30. September 2022

      Osvominae / E zu A
      Enigma LDS / A zu L
      Fire to the Rain LDS / A zu L
      Millennial LDS / A zu L
      Sisko / A zu L


      Im normalen Trainingsalltag gehört das Tempofahren nicht mehr in den Trainingsplan, dennoch ist es besonders für die älteren Pferde ein wichtiger Aspekt zur Leistungsüberprüfung. Enigma und Mill, die noch sehr unerfahren sind, benötigen mehr Routine im Rennen, wodurch dir auf der großen Trainingsbahn ein solches zu simulieren. Zunächst wärmte jeder, für sich, das Pferd auf. Im Wechsel trabten wir und parierten durch, in den Schritt und halt. Erst dann legten wir eine Reihenfolge fest. Ganz vorn lief Sisko, dazwischen die Enigma, Ini und Mill. Die Kolonne endete mit Osvo, die einzig zur Begleitung und Abwechslung dabei war. Mit jedem Meter erhöhten wir das Tempo. Nach einer Schrittpause folgte ein weiteres Mal Renngeschwindigkeit, bevor wir zurück zum Hof fuhren.

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    • Mohikanerin
      Dressur E zu A | 30. Oktober 2022

      Millennial LDS / Enigma LDS / Nachtschwärmer / Fjärilsviol / WHC' Shakoy

      Zum Ausgleich wurden Mill und Enigma weiter unter dem Sattel geschult. Während der Rappe Schwierigkeiten auf der Biegung zeigte, balancierte sich die braune Stute, wie ein Champion. Sogar der Galopp funktionierte ohne Taktfehler mit einem guten Durchsprung. Des Weiteren war Fly im Training, genauer gesagt, brachte er einer jungen Schülerin die einfachen Lektionen in der Dressur näher. Der Haflinger lief fleißig und sensibel am Schenkel. Biegungen, Stellung und Linienführung, all das kannte der Hengst im Schlaf, ebenso Viola, die Mateo aktuell weiterbildete. Dressur lag ihr im Blut, obwohl ihr bisheriges Leben ziemlich eintönig verlief. Zum Abschluss des Tages kam noch Samu vorbei, um seinen Fuchshengst zu reiten. In der Vielseitigkeit zählt nicht nur Springvermögen, sondern auch Dressurfähigkeiten, sodass er stetig mit ihm arbeitete.

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  • Album:
    stall.
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    Datum:
    30 Aug. 2022
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  • Enigma ist 5 Jahre alt.

    Aktueller Standort: Lindö Dalen Stuteri, Vadstenalund [SWE]
    Unterbringung: Stutenpaddock


    –––––––––––––– s t a m t a v l a

    Aus: Middle Ages [franz. Traber]
    MMM: Unbekannt ––––– MM: Unbekannt ––––– MMV: Unbekannt
    MVM: Unbekannt ––––– MV: Unbekannt ––––– MVV: Unbekannt


    Von: Vintage [franz. Traber]
    VMM: Unbekannt ––––– VM: Unbekannt ––––– VMV: Unbekannt
    VVM: Unbekannt ––––– VV: Unbekannt ––––– VVV: Unbekannt



    –––––––––––––– h ä s t u p p g i f t e r

    Zuchtname: Enigma LDS
    Rufname: Enigma
    Farbe: Brauner Splash
    [Ee Aa nSpl]
    Geschlecht: Stute
    Geburtsdatum: April 2016
    Rasse: Standardbred [STB]
    Stockmaß: 158 cm

    Charakter:
    verschlossen; fokussiert; ausdauernd

    * erste Qualifikation mit 3 Jahren
    * lange Verletzungspause

    * Enigma läuft Trabrennen
    * 5-Gänger


    –––––––––––––– t ä v l i n g s r e s u l t a t

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    Dressur M [M] – Fahren L [L] – Rennen M [M] – Western E [E] – Distanz A [A] – Gangreiten E [L]

    August 2022 Renntraining, Rennen E zu A
    September 2022 Tempofahren, Rennen A zu L
    Oktober 2022 Gymnastizierung, Dressur E zu A
    November 2022 Training, Dressur A zu L
    Februar 2023 Grundlagen, Fahren E zu A
    März 2023 Internationaler Renntag, Rennen L zu M
    April 2023 Konditionssteigerung, Distanz E zu A
    Mai 2023 Kurze Ziele, Dressur L zu M
    Juni 2023 Herausforderung, Fahren A zu L

    Ebene: National

    Dezember 2022
    1. Platz, 683. Dressurturnier
    3. Platz, 684. Dressurturnier

    März 2023
    2. Platz, 376. Gangturnier
    1. Platz, 377. Gangturnier

    April 2023
    2. Platz, 378. Gangturnier

    Mai 2023
    2. Platz, 695. Dressurturnier


    –––––––––––––– a v e l

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    Gekört durch SK 486 im Oktober 2023.

    Zugelassen für: Traber aller Art; Speed Racking Horse
    Bedingung: keine Inzucht; Rennen mind. S
    DMRT3: AA [Fünfgänger]
    Lebensrekord: 1:13,5
    Leihmutterschaft: 316 J. [Kein Verleih!]

    Fohlenschau: 0,00
    Materialprüfung: 7,46

    Körung
    Exterieur: 7,9
    Gesamt: 7,48

    Gangpferd: 7,77


    –––––––––––––– a v k o m m e r

    [​IMG]

    Enigma LDS hat 0 Nachkommen.
    • 20xx Name (von: Name)


    –––––––––––––– h ä l s a

    Gesamteindruck: gesund, im Training
    Krankheiten: keine; verheilte Narbe (hinten rechts)
    Beschlag: Falzeisen [Aluminium], Voll


    –––––––––––––– s o n s t i g e s

    Eigentümer: Lindö Dalen Stuteri [100%]
    Pfleger: Nour Alfvén
    Trainer: Bruno Alfvén
    Fahrer: Bruno Alfvén
    Züchter: Lindö Dalen Stuteri, Vadstenalund [SWE], Tyrell Earle
    VKR / Ersteller: Sadasha (Fohlen: Mohikanerin)

    Punkte: _gekört

    Abstammung [2] – Trainingsberichte [9] – Schleifen [6] – RS-Schleifen [0] – TA [2] – HS [0] – Zubehör [2]

    Spind – HintergrundVorschauKörungFohlenversion

    Enigma LDS existiert seit dem 01. August 2021.
    Enigma LDS wurde Großgemalt am 30. August 2022.