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Mohikanerin

// Eifellust [2] ...reserviert

a.d. Unbekannt, v. Unbekannt --> geht an Soso

// Eifellust [2] ...reserviert
Mohikanerin, 10 Juni 2022
Veija gefällt das.
    • Mohikanerin
      Rennen E zu A / Jogging | 16. Juni 2022

      Eifellust / Glimsy / Global Vision / Harlem Shake LDS / Fieberglas / Pay My Netflix

      Winter, bald würde der Frühling folgen und ich konnte es kaum erwarten, dass die Pferde wieder ins Volltraining gehen würden. Für wenigen die Rennen, die in der kalten Jahreszeit angeboten wurden, reichten kurze Trainingseinheiten, wie Ausdauerfahren oder einmal Tempo in der Woche. Eifellust kam Anfang des Monats zu uns. Die braune Stute hatte sich nicht nur ohne Zickerei in die Herde eingegliedert, sondern lief ebenso ruhig am Sulky. Während ich aus dem Paddock herausführte, bereitete Nour Vision vor, der dieses Jahr seine letzte Saison fahren würde. Der Hengst hatte seine besten Jahre hinter sich, aber zeigte noch immer Spaß und Elan bei den Rennen. Dennoch ritt meine Schwester ihn immer mehr, um den Übergang zum Reitpferd einzuleiten. Im Stall machte jeder für sich das Pferd sauber und hing den Wagen an.
      „Wo ist Vriska? Wollte sie nicht mitkommen?“, fragte ich Nour, die gerade die Trense einlegte.
      „Die musste geradeheraus zu den Jungpferden, weil eine der Stuten wohl durch den Zaun wollte“, berichtete sie. Ich seufzte, aber nickte schließlich.
      Als die Pferde am Sulky hingen, führten wir sie heraus und sprangen im Schritt auf den Sitz. Meine Schwester erzählte wieder von Moonwalker, mit dem sie letzte Woche in Kalmar das Amateurrennen gewann. Der Hengst war ihr Liebling, was man ihr nicht verübeln konnte. Gleichmäßig und vollkommen gelassen gab er sich auf der Bahn, während er zu Hause selbst vor einem Vogel panisch wegsprang. Eifellust und auch Vision waren die Ruhe in Form eines Pferdes.
      Zwanzig Minuten wärmten wir die Tieren im Schritt auf, dann folgte der erste Trab für sieben Minuten. Eifel schnaubte mehrfach ab und plätscherte lauffreudig durch den Sand. Trotz des Dauerregen der letzten Wochen trocknete den Bodenbelag der alten Trainingsbahn gut ab – was nichts an dem Dreck am Spritzschutz änderte. Als wir zum Hof zurückkehrten, sahen wir alle aus, als hätten wir uns im Matsch gesuhlt, doch jeder wirkte zufrieden. Nour fütterte den Pferden jeweils einen großen Becher und Glimsy vom Paddock. Shaker stand noch mit Bandagen in der Box, denn er hatte am Morgen bereits seinen Heat und sollte zudem für zwanzig Minuten in den Aquatrainer.
      „Machst du den Falben?“, fragte ich meine Schwester, als sie den Kaltbluttraber wegstellte.
      „Ja, kann ich machen“, nickte sie hilfsbereit. Dann legte ich der Stute ihr Equipment um und war eine Weile später auf der Bahn. Mit Glimsy fuhr ich auf Tempo. Auf der Meile legte sie gut zu, aber bevor sie ihre Höchstgeschwindigkeit erreichte, nahm ich die Rappstute an der Leine zurück und legte eine kurze Schrittpause ein. Nach einem Handwechsel nach links trabte ich an. Glimsy war feinfühlig und tänzelte etwas auf der Stelle, als Wassertropfen einer kleinen Pfütze an ihren Bauch kamen.
      Am Abend saßen wir zusammen am Tisch, auch Papa kam dazu, der mit Tyrell einige Hengste angeschaut hatte.
      „Henne überlegt, ob Fieberglas von Walker gedeckt werden soll“, erzählte er.
      „Wieso? Die ist doch gerade im Training?“, hakte ich verwundert nach. Die braune Stute mit seltsamen weißen Punkten im Fell lief am Wochenende das erste Mal in dem Jahr ein Rennen, kämpfte sich sogleich auf den zweiten Platz und brachte damit für Außenseiterwetten ein gutes Sümmchen ein. Ich hielt mich aus dem Geschäft heraus, bevorzugte es, im Wagen zu sitzen.
      „Schon, aber sie ist jetzt bereits 12 Jahre und wohl nicht mehr ganz so fit am Sulky“, erklärte Papa.
      „Dann passt aber Walker ziemlich gut“, schwärmte meine Schwester sofort wieder von ihrem Liebling.
      „Ich habe ihm davon abgeraten“, sagte Tyrell dann und erntete böses Funkeln von ihr, „sie wirkte sehr nervös, da wäre der Hübsche keine gute Wahl. Plano könnte ein schönes Bild herrschen und die Schwächen ausgleichen. Der Vater wäre ebenso der gleiche.“
      „Das stimmt“, merkte ich an, „oder Anti? Der bringt viel Ruhe mit und vielversprechendes Tempo.“
      Die Männer nickten beinah synchron. Letztlich konnten wir nur Empfehlungen aussprechen, Züchter mussten am Ende selbst entscheiden. So kam es auch dazu, dass sich die beiden doch ein Training mit Netflix anschauen. Vriska hatte unseren Chef noch etwas bekehrt und wollte unbedingt, dass die Pilzstute zu dem Rappen kam.
      „Die Kleine hatte ein gutes Gespür. Pay My Netflix zeigte auf dem Sand eine gute Form, dazu sehr balanciert und geduldig“, erzählte Papa.
      „Aber der Hengst ist doch im Umgang etwas bekloppt, zumindest wenn Basti ihn führt“, äußerte ich berechtige Zweifel.
      „Wie kommst du denn darauf?“, nahm er mich wenig für voll, „die beiden sind ein super Team.“
      Wenig überzeugt nickte ich. Vielleicht beeinflusst mich andere Dinge, dass ich wenig von seinem Fahrer hielt, aber es war nicht meine Aufgabe, Hengste zu suchen. Wenn das Training gut lief, versuchte ich zumindest meine Begeisterung zu zeigen, wenn im nächsten Jahr, Nachwuchs auf dem Hof sein würde.

      © Mohikanerin // Lars Alfvén // 4848 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende Februar 2021}
    • Mohikanerin
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      kapitel tjugotvå | 9. Juli 2022

      Maxou / Caja / HMJ Divine / Legolas / Planetenfrost LDS / Lotti Boulevard/ Nachtschatten/ Lu‘lu‘a / Wunderkind / WHC‘ Golden Duskk / Eifellust / Lubumbashi / Fahrenheit LDS / Úlrik / Spök / Narcissa

      Lina
      Sehr unsanft durchdrang der Weckerton meine Träume. Verworrene Träume, die düster durch mein Unterbewusstsein waberten. Nicht gerade der Start, den man sich für den Weihnachtsmorgen wünschte, aber nicht ungewöhnlich. Jegliche Ereignisse, die man für gewöhnlich mit seiner Familie verbrachte, neigen dazu, mir das vor Augen zu führen, wogegen ich verzweifelt ankämpfte.
      Anlässlich des bevorstehenden Festest hatte ich mit nur meine Schwester eingeladen, nein, auch Jyrki erhielt eine Einladung. Sogar an meinen Vater dachte ich einen wahnwitzigen Moment lang, verwarf diese Idee aber schnell wieder. Wer über Jahre hinweg nicht einmal versucht Kontakt zu seinem Kind aufzunehmen, würde wohl kaum zu Weihnachten plötzlich seine Meinung ändern. Zumal nicht mal mein Bruder es für notwendig hielt, mir wenigstens eine Absagte zu schicken. Kaputt war sie, meine Familie. Langsam zerbrochen an der Last des Lebens. Langsam drang die Luft aus meinen Lungen. Eine normale Familie würde wohl für immer ein Traum bleiben.
      Langsam schob ich einen Arm unter der warmen Decke hervor. Die kühle Luft im Zimmer jagte mir augenblicklich ein Schauer über die Haut, unter dem sich die kleinen Härchen darauf aufstellten. Unglaublich, wie kalt so ein Raum werden konnte. Ein wisch über den Bildschirm und das Gerät schwieg endlich. Müde ließ ich den Kopf zurück auf das Kissen sinken. Der gestrige Abend war dann doch noch länger geworden als geplant, angesichts der Tatsache, dass die Vierbeiner natürlich auch heute versorgt werden wollten. Zumindest mit dem nötigsten. Die Stille war nur von kurzer Dauer, denn mit einem leisen Ping, wurde der Erhalt einer Nachricht angekündigt. Erneut griff ich nah dem Handy. Urheber der Störung war Enya, sie wollte in einer Stunde da sein damit wir noch einmal dem keinen Auftritt, üben konnte. Meine Güte, warum war sie denn schon so früh wach? Immerhin hatte sie keine hungrigen Vierbeiner vor der Tür sitzen. Aber ihr Tatendrang sprach zwangsläufig dafür, dass ich jetzt tatsächlich aufstehen musste. Doch vorher musste noch etwas anderes erledigt werden. Zielsicher tippe ich auf den obersten Chat, eine Morgenroutine, die innerhalb der vergangen zwei Monate beinahe in Vergessenheit geriet. Schließlich muss man niemandem schreiben, der unmittelbar neben einem lag. Mit flinken Fingern verfasste ich einen morgendlichen Gruß an meinen Liebsten, natürlich nicht mit dem Erwarten direkt eine Antwort zu erhalten. Niklas war sicherlich nicht an einem freien Tag bereits am frühen Morgen durch die Gegend springen. Dennoch gab es mir den nötigen Motivationsschub, um aus dem Bett zu kommen. Die Kleidungswahl fiel heute schlicht aus, schließlich würde ich schon den ganzen Abend ordentlich herumlaufen. So griff ich zu einer grauen Thermoreithose und stahl mir einen der Sweater, die mein Freund hiergelassen hatte. Wenn er schon nicht da war, mussten halt seine Klamotten herhalten.
      Ein schwaches Klopfen erklang vom Sofa als ich die Tür öffnet. Vollkommen fertig lag der gefleckte Welpe auf dem Sofa, denn er zusammen mit Nivi noch ziemlich lange die Hütte unsicher gemacht. Vriska hingegen saß bereits mit einer Tasse Kaffee am Küchentisch und tippte munter etwas in ihren Laptop.
      “Guten Morgen”, sprach ich freundlich, wollte eigentlich noch etwas hinzufügen, doch hielt inne. Etwas an ihr sah anders aus, und zwar nicht nur die Brille, die mir bereits gestern aufgefallen war. Eindringlich betrachte ich sie. Ihre Haare waren am Ansatz deutlich dunkler und einige der langen Strähnen waren zu Dreadlocks zusammengeklebt.
      “Oh, du bist wach”, bemerkte sie mich offenbar erst jetzt und nahm die Kopfhörer aus den Ohren, “das Wasser müsste noch warm genug sein. Eine Tasse steht auch schon da.”
      “Danke”, entgegnete ich und lief zur Küchenzeile, um besagtes Angebot entgegenzunehmen.
      “Was machst du da, so früh am Morgen?”, fragte ich neugierig, als ich im Vorbeigehen einen flüchtigen Blick auf ihren Bildschirm erhaschen konnte. Für gewöhnlich war sie nicht der Typ Mensch gewesen, der so früh bereits voller Tatendrang war, wenn man sie denn überhaupt so früh zu Gesicht bekam.
      “Ähm. Nichts”, stammelte sie mit zittriger Stimme und klappte das Gerät sofort zu. Eine leichte Röte überkam ihr Gesicht, dabei grinste Vriska schief und unkontrolliert.
      “Okay”, schmunzelte ich. Das Nichts war offenbar geheim, doch für das Erste beschäftigte mich etwas anderes.
      “Sonst alles in Ordnung bei dir? Lars war ja gestern noch ganz schön lange bei dir”, kam ich auf das zu sprechen, was mir seit gestern auf der Seele brannte. Nachdem wie nah, sich die beiden bereits vor ihrem Verschwinden gekommen waren, würde es mich wirklich interessieren, was die beiden dort drinnen gemacht haben.
      „Mehr oder weniger, ja. Er hatte ein paar Fragen und wollte mich dann unbedingt von der Stute überzeugen, aber na ja“, sie seufzte resignierte, „ich weiß noch nicht ganz. Und danach haben wir uns unterhalten über dies und das.“ Ein zartes Lächeln zuckte über ihre Lippen, dass sie sofort hinter ihrer Tasse versteckte. Sie fühlte sich offenbar immer noch ziemlich von ihm angesprochen. Kein Wunder, er war auch wirklich ein Hübscher.
      “Das mit dir und den Pferden bekommen wir schon wieder hin, nur nicht verzagen”, blieb ich positiv. Es war zwar nicht gänzlich vergleichbar, aber ich konnte es nachfühlen, denn auch meine Beziehung zu den Tieren war schon schwer erschüttert worden und ich hatte viel Zeit und Hilfe gebraucht, um zu ihnen zurückzufinden. Umso mehr Anerkennung hatte ich für Vriska, dass sie überhaupt hier war.
      “Wir werden sehen, aber ich muss gleich los”, sagte sie nach einem Blick zur Uhr hinter ihr an der Wand.
      “Wohin los?”, fragte ich ein wenig schwer von Begriff, “Aber solltest du dir dann vor allem nicht noch etwas anziehen.” Bisher saß Vriska nämlich in nicht viel mehr als einer Boxershorts und einem viel zu großen, viel zu teuer erscheinenden Hemd am Tisch.
      “Ach, so kalt ist es gar nicht”, Vriska lachte, “natürlich ziehe ich zum Arbeiten was anderes an. Die Pferde füttern und bewegen sich nicht von allein.” Dafür, dass sie immer wieder die Uhrzeit überprüfte, saß sie ruhig auf dem Stuhl ohne die Tasse aus der Hand zu stellen.
      “Du willst arbeiten? Bist du dir sicher?”, erstaunt blickte ich sie an. Dass sie sich so schnell ihrer Angst stellen wollte, hätte ich nicht mal bei ihr erwartet.
      “Von Wollen kann nicht die Rede sein, aber Lars möchte, dass ich was tue. Außerdem bin ich krankgeschrieben, also”, erklärte sie.
      “Daher weht also der Wind”, grinste ich leicht, “Na, dann hoffe ich, dass er weiß, was er tut.”
      Intensiv musterten mich ihre Augen, als würden tausende Dinge durch ihren Verstand schweben und nicht den Ausgang finden. Vriska wirkte sehr in sich gekehrt, verändert im Vergleich zu ihrer Abfahrt. Das hatte nicht nur mit ihrem äußeren Auftreten zu tun, eher das gesamte Konstrukt ihrer Selbstdarstellung.
      “Gibst es da etwas, was du mir mitteilen willst?”, kam sie zurück aufs Thema. Kurz musste ich überlegen, die richtigen Ausdrücke finden. Ich freute mich für sie, dass sie trotz der ganzen Geschichte Interesse an jemanden zeigte, aber gleichermaßen sorgte ich mich darum, dass sie sich zu schnell in etwas hineinstürzen könnte, was außerhalb ihrer Kontrolle lag. Und das sagte gerade ich, was eine Ironie.
      “Hab deinen Spaß, aber pass auf dich auf, das will ich dir sagen. Wenn du spurlos verschwindest, bekomme ich sicher einen Herzinfarkt”, sprach ich schließlich offen aus, was mir durch den Kopf ging. Verwirrt kippte sie den Kopf zur Seite.
      “Unwahrscheinlich und das liegt nicht nur daran, dass Mama keine Lust mehr auf mich hat”, scherzte sie. Okay, irgendwas hatte sich wirklich dramatisch verändert, schließlich wäre sie sonst verärgert abgehauen.
      Prüfend blickte ich sie an: “Was ist mit dir passiert da drüben? Du bist so … anders.”
      “Wie viel willst du hören?”, allein die Andeutung zeigte mir, dass es nicht offenbar nicht ihre Familie war, die sie in eine andere Richtung lenkten. Doch bevor ich ihr auf die Frage antworten konnte, öffnete sich die Terrassentür. Mit lautem Bellen stürmten die Hunde zu Lars, der sofort in die Knie ging und die Tiere herzlich begrüßte. Dog, wie Harlen Fred neuerdings benannte, sprang auf seinem Schoß und wollte am liebsten in ihn hereinkriechen für eine optimale Begrüßung. Vriska pfiff den Rüden zurück, der erstaunlicherweise auf sie reagierte.
      “Vivi, ziehst du dich dann an?”, hakte Lars noch nach, als er sich einen Augenblick später mit an den Tisch gesetzt hatte und von Vriska einen kleinen Kaffee bekam.
      “Alles?! Ich würde gerne verstehen, wer oder was so viel Einfluss hat, dass du innerhalb von zwei Monaten so eine Entwicklung machst”, kam ich auf ihre Frage zurück. Vielleicht war sie heimlich von Aliens gegen einen Doppelgänger ausgetauscht worden oder es gab eine deutlich realistischere Erklärung für ihren positiven Sinneswandel.
      „Du bist aber heute auch neugierig“, schüttelte sie amüsiert den Kopf und verließ dabei den Raum. Erst nach dem mehrmals sie die Türen ihres Schrankes geöffnet hatte, kam ihre Erklärung.
      „Im Großen und Ganzen habe ich mich alter Gewohnheiten gewidmet, war eigentlich die meiste Zeit feiern, habe mich mit einigen Typen getroffen“, dann verstummte sie. Lars hob eine Augenbraue und lehnte sich dabei tiefer in den Stuhl. Seine Arme lagen verschränkt auf der breiten Brust, die immer wieder zuckte bei ihrer Erzählung. Obwohl, von seinem Sitzplatz aus hatte man die volle Sicht in ihr Zimmer.
      „Und? Das kann doch nicht alles gewesen sein?“, hakte ich weiter nach. Nur ein wenig feiern zu gehen und dabei vielleicht auch einigen anderen Trieben nachzugehen, schien mir keine ausreichende Erklärung.
      „Schon klar, dass du direkt möchtest, dass Lars abhaut“, scherzte sie, wenn auch mit Verwunderung meinerseits. Er neigte leicht seinen Kopf zu mir, aber ich konnte nur mit den Schultern zucken. „Mama hat mich wieder zur Therapie geschliffen und da mussten einige Sachen geradegerückt werden. Deshalb habe ich mich auch wieder alten Hobbys gewidmet.“ Vriska kam mit einem äußerst freizügigen Outfit wieder aus den Zimmern heraus, was angesichts der Temperaturen keine gute Wahl war. Sie zupfte am Shirt herum und kehrte auf der Stelle um. Mit einem dicken, rosafarbenen Pullover stand sie nun vor uns. Lars nippte an seiner Tasse, die kaum an Flüssigkeit verloren hatte. Eilig hatten die beiden es offenbar nicht.
      „Ohhh, jetzt ergibt alles Sinn“, dachte ich laut. Tatsächlich war es ziemlich einleuchtend, denn das erklärte sowohl die Stimmungsschwankungen als auch die impulsive Handlungsweise, die vor ihrer Abreise an den Tag legte. War das dann also auch der Grund für das, was in Kanada geschehen war und für alles, was danach folgte? Oder hatte irgendwas davon auch die echte Vriska zu verantworten? Ihre Antwort warfen in etwa genauso viele Fragen auf, wie sie beantworteten. Es würde sicher Tage dauern, dem allem auf den Grund zu gehen. Unter der Masse der Gedanken begann sich alles in meinem Kopf zu drehen.
      „Tut mir auch leid, dass ich dir nicht geschrieben hatte, aber Mama hat mein Telefon und mein Laptop eine Internetsperre. Ich fühle mich wie zwölf Jahre, ganz ehrlich“, fügte Vriska nach kurzem Schweigen hinzu. „Meine Schwester überreichte mir ihr Handy nur kurz, deshalb musste ich die Zeit nutzen für“, sie seufzte wieder, „um einige Dinge zu klären, die aber auch jetzt nicht mehr relevant sind. Er soll zur Hölle fahren mit seinen Lügen.“ Also hatte sie es rausgefunden, all das, was zwischen Schein und Sein gelegen hatte und vielleicht noch mehr. Wer wusste das schon?
      “Es tut mir wirklich leid, wie das zwischen euch beiden gelaufen ist”, murmelte ich und klammerte mich an meine Tasse. Vriskas Worte hatten den kleinen Teufel erweckt, der sich nicht davon lossagen wollte, dass es hätte anders laufen können, hätte ich mich nicht dermaßen in dieses Trugspiel verwickeln lassen.
      “Ach, was im Nachhinein passiert ist, weißt du noch gar nicht”, zuckte Vriska vollkommen losgelöst von dem Thema, als wäre es schon mehr als ein Jahr später.
      “Im Nachhinein? Was ist denn noch geschehen?”, fragte ich verwirrt, sowohl von ihren Worten als auch ihrer Reaktion.
      “Lars, hör mal kurz weg”, lachte sie und hielt ihm die Ohren zu. Sein Kopf hob sich langsam in ihren Fängen. Sie gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. War sie sich sicher, dass er ihr gut ging? Sie hätte ich auch einfach herausschicken können. Wunderlicher hatte sie sich wohl noch nie verhalten.
      “Die paar Minuten an Madlys Handy nutzte ich, um mit ihm zu telefonieren. Es war schön, keine Frage, aber immer wieder erklärte er, dass er mich noch lieben würde und das alles nur für Fredna tue. Ich glaube ihm das, keine Frage, aber was erhofft er sich bitte? Das ich jetzt warte, bis er wieder Zeit für mich hat? Deswegen denke ich einfach, dass der ganz schlimme Komplexe hat. Ach, und er hatte auch noch ein paar andere Weiber, also nein danke”, überkam es mich in einem Wasserfall an Worten, dann ließ sie wieder von seinen Ohren los. Ein breites Grinsen lag auf seinen Lippe und seine Hand hielt sich an ihrem Bein. Hatte ich was verpasst?
      Auf einen Schlag löste sich das ungute Gefühl in Luft auf, denn gegen diese Fakten schienen nicht mal meine inneren Dämonen anzukommen. Viel mehr bekam ich das Gefühl, dass es sogar besser war, dass es endete, denn offensichtlich war es so nerven schonender für uns alle. Nur eins passte nicht in dieses Bild, die beiden vor mir.
      “Irgendwas verheimlicht ihr zwei doch”, stelle ich nach hinreichender Betrachtung fest. Er grinste schief und zog sie noch näher an sich heran, dass sie ins Stolpern kam und auf seinem Schoß landete. Ihr Gesicht färbte sich abermals rot. Nun hielt er ihr die Ohren zu.
      “Zugegeben, ich finde sie gut und bin froh, dass sie den Kerl auch losgeworden ist. Ich hatte schon so ein Gefühl”, erzählte Lars mit ruhigen Worten und senkte die Hände wieder.
      “Dir ist schon klar, dass ich das gehört habe? Ich bin zwar blond, aber nicht blöd”, fauchte Vriska spielerisch und gab ihm erneut einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. Dass sie gestern nur geredet hätten, schloss ich mittlerweile kategorisch aus. Er erwiderte ihre Liebkose, aber am Hals und hörbar atmete sie aus.
      “Ich glaube, ich gehe dann mal”, lachte ich und erhob mich vom Tisch, “Viel Spaß euch noch.” Ich freute mich für die sie, doch hatte ich noch Besseres zu tun, als den beiden bei ihren Liebelein zuzusehen.
      “Wir kommen auch direkt mit”, kam es von Lars, der Vriska einen kleinen Stoß gab. Sie rannte zur Anrichte, griff ihre Reithandschuhe, die da schon vorbereitet lagen, nahm sich eine dicke Winterjacke. Im Laufen zog sie ihre Schuhe an und stürmte zusammen mit den jungen Hunden heraus, die ihre schnellen Bewegungen, direkt als Spiel ansahen. Wir beide hingegen standen noch immer im Wohnzimmer, erst dann nahm auch ich mir meine Sachen.
      “Was auch immer du ihr versprochen hast, es scheint ziemlich motivierend zu sein”, stellte ich lachend fest und zog den Reißverschluss der Jacke zu. Über Nacht hatte erneut ein kräftiger Schneefall eingesetzt, weswegen ich lieber auch noch nach einem Stirnband griff. Sicherlich war es kalt draußen.
      “Scheint so, dabei war es nur ein Kuss”, grinste er mich an. Er trug ohnehin noch seine Sachen, zog also auch nur den Reißverschluss zu. Wow, dann musste er das wohl ziemlich gut können, wenn ein Versprechen solche Auswirkungen entfalte.
      In einem gemäßigteren Tempo folgten wir, Vriska durch den Schnee. Sie war so zielstrebig unterwegs, dass sie sogar vor den Hunden dort ankam.
      “Kommt ihr endlich? Das Wetter ist so schön und ihr trödelt nur, anstatt euch ein Pferd zu schnappen”, jubelte sie euphorisch. Hatte sie wirklich Angst vor den Tieren? Ihr Verhalten erweckte nicht gerade den Eindruck dafür.
      “Wir kommen doch schon”, rief ich ihr zu, doch neben Vriska fühlten sich auch die beiden Fellknäuel angesprochen, die augenblicklich kehrt, machten und in vollen Tempo auf uns zu rannten. Während Nivi in letzter Sekunde einen Haken schlug und so nur leicht an Lars vorbeischrammte, schoss der Rüde voll in mich hinein. Ich geriet ins Straucheln, fand auf dem rutschigen Schnee nicht den Halt und fiel. Dann entsprach vermutlich nicht Vriskas Vorstellung von schneller. Lars reichte mir seine Hand und klopfte mich ab. Sie hatte das natürlich mitbekommen, lachte herzlich. An neue Vriska musste ich mich noch gewöhnen, denn mir schwebte Böses im Kopf, dass ihr attraktiver Schwarm nett zu mir war.
      „Du bist in die falsche Richtung gerutscht, mehr wie ein Pinguin“, schlug sie vor und machte dabei eine Bewegung, die eher einer bleiernen Ente glich.
      “Und du bist ein Exemplar der selten Gattung Spaßvogel?”, scherzte ich und setzte meinen Weg zu ihr fort.
      “Wer weiß, vielleicht sollte das näher untersucht werden”, hielt sie ihre gute Laune. Wir hatten Vriska schon eingeholt, da sprang sie auf Lars Rücken und ließ sich die letzten Meter tragen.
      “Du wiegst einfach nichts”, merkte er an und drehte sich beinah erwartungsvoll zu ihr um. Sofort gab sie ihm einen zarten Kuss und trieb ihn wie ein Pferd voraus.
      “Du hast dein Pferdchen ja offenbar schon gefunden”, lachte ich und folgte den beiden in den Stall. Ein leises Wiehern erklang und ein heller Ponykopf reckte sich über die Boxentür, zur Abwechslung sogar mal gut gelaunt. Den kompletten Kontrast dazu bildete Caja, meine Berittstute, ein paar Boxen weiter. Kaum hatte sie Lars erblickt, legten sich ihre Ohren komplett flach an ihren Hals, ihre Augen verdrehten sich und sie brachte schnell größtmöglichen Abstand zu Stallgasse auf. Vriska rutschte wieder herunter. Keinen Schritt weiter setzte sie, obwohl sie offenbar einen Deal hatte, den er umgehend ansprach.
      „I-Ich habe es mir anders überlegt“, stammelte sie aus heiterem Himmel im kompletten Verlust ihrer Selbstsicherheit. Vorsorglich setzte sie einige Schritte zurück, während Maxou versuchte durch die große Öffnung zu klettern. Das Pony regte sich immer mehr auf und stieg, bis sich das erste Bein dazwischen verfing und sie in Panik verfiel. Ich konnte gar nicht so schnell reagieren, da sprang Lars bereits zur Stute, drückte ihre Huf zurück und öffnete kurzerhand die Box. Aufgeregt trabte das Tier heraus, aber stoppte bei Vriska, die in Schockstarre verfallen war. Mit lauten Prusten stand Maxou vor ihr, wölbte elegant den Hals und schnupperte an ihrem unordentlichen Dutt. Immer wieder drückte sie ihr Maul in Vriskas Gesicht, bis sie erwachte und sehr vorsichtig ihr Pferd über die Nase strich, als hätte sie noch nie eins berührt. Langsam, um das Pony nicht doch noch in die Flucht zu treiben, näherte ich, mit einem Strick in der Hand, begab mich neben Vriska, die zaghaft über das helle Fell strich.
      “Sehr gut, damit hast du den ersten Schritt schon gemacht”, lächelte ich ermunternd und beobachtete einen Moment, wie ruhig das Pony unter ihren Berührungen wurde. Offenbar hatte nicht nur ich meine Mitbewohnerin vermisst. “Möchtest du dein Pony selbst zurückbringen oder lieber nicht?”
      Freundlich bot ich ihr das Ende des Strickes an, den ich mittlerweile an dem Pony befestigt hatte. Über ihre Wange liefen mehrere Tränen, bis sie sich um den Hals ihrer Stute warf und kaum noch zu trennen war. Sie warf den Kopf nach oben bei der schlagartigen Bewegung, aber beruhigte sich sofort, als sie die Nähe ihrer Besitzerin spürte. Behutsam fummelte die Stute an Vriskas Kapuze als würde sie beginnen mit der Fellpflege.
      “Mein Plan war ein anderer, aber ähnlich”, sagte Lars plötzlich neben mir und grinste zuversichtlich.
      “Maxous eigener Plan hat offenbar auch funktioniert”, lächelte ich erleichtert. Ich hatte erwartet, dass es deutlich schwieriger und vor allem langwieriger werden würde, Vriska überhaupt nur in die Nähe ihres Ponys zu bekommen. Doch wenn ich sah, wie glücklich Besitzerin und Pony auf einmal wirkten, war die Hoffnung groß, dass mit dieser Wiedervereinigung nicht nur Maxous Laune besser wurde, sondern ebenso ihre Lebensgeister zurückkehrten. An der Schulter tippte mich jemand an, Enya war da. Lars verabschiedete sich auch in Vriskas Namen bei uns, dann liefen sie zusammen zur Box, um die Stute zurückzustellen. Sie folgten dem langen Gang zum Hauptausgang und tasteten sich dabei aneinander heran, wollten wohl gern Händchen halten, aber etwas hielt sie davon ab.
      “Passieren hier jeden Tag so niedliche Dinge?”, wollte die Schwedin sogleich neugierig wissen, “Wenn ja, muss ich eindeutig öfter vorbeikommen.”
      “Nein, leider nicht, das ist eher die Ausnahme”, entgegnete ich, “Aber du bist dennoch jederzeit willkommen.” Erst jetzt bemerkte ich, dass neben Lars und Vriska noch etwas fehlte, der Hund. Treudoof wie so ein Welpe war, musste Nivi mit den beiden und Dog verschwunden sein. Darum hätte ich mir im Normalfall auch recht wenig Gedanken gemacht, doch ich schätzte, meine Schwester wäre mit dankbar, wenn ich nicht gleich ihren Hund verlor. Ich pfiff einmal und tatsächlich kam wenig später ein zimtbraunes Hundebaby mit wehenden Ohren angerannt.
      “Oh, wer ist denn die kleine Maus, ist es deine? ”, sprach Enya erfreut und hockte sich zu dem Hund, der aufgeregt mit dem Hinterteil wackelte.
      “Nein, Nivi gehört meiner Schwester”, erklärte ich lächelnd, “zwei Pferde sind fürs Erste genug Haustiere.” Der Welpe war mittlerweile unter ihren Händen umgefallen und bot genüsslich den kleinen rosa Bauch dar.
      „Ja, gut, da magst du wohl recht haben, zumal hier auch ausreichend Hunde umherspringen", nickte sie verständnisvoll. Einen Augenblick lang kraulte sie noch den Hund, bevor wir uns schließlich aufmachten, die beiden Hengste vom Paddock zu holen.
      „Deine Schwester ist also schon da, nehme ich an?", regte die große Blonde interessiert ein Gespräch an, während wir durch den hohen Schnee stiefelten.
      „Genau, gestern angekommen. Hat dein Freund das etwa nicht erzählt?“, fragte ich leicht verwundert nach. Für gewöhnlich kommuniziert Samu recht viel und scheute nur selten davor Informationen nicht für sich zu behalten, sofern man ihn nicht anderweitig instruiert.
      Enya lachte herzlich: „Nein, den müsst ihr ganz schön gefordert haben. Samu kam nach Hause und ist gewissermaßen sofort ins Bett gefallen. Richtig niedlich, wie ein Teenie, der das erste Mal lange aus war.“ Niedlich, es war gestern zwar noch ziemlich spät geworden, aber etwas wirklich Anstrengendes hatten wir nicht gemacht. Dafür war mit bereits gestern früh aufgefallen, dass mein bester Freund ziemlich müder wirkte, aber mit der Sprache rausrücken, wollte, was er des Nächsten getrieben hatte.
      „Ich glaube, nicht, dass der gestrige Abend daran schuld ist", feixte ich und griff nach dem Halfter, die an einem Haken neben dem Tor hingen. Enya schmunzelte nur verschwiegen, ein Zeichen, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. Suchend glitten meine Augen über die Pferdeleiber, die gegen die Kälte zusammen gedrängt zusammenstanden. Legolas entdeckte ich schnell. Entspannt dösen stand er zwischen zwei braunen, doch mein Hengst schien unsichtbar. Nein, Stopp …
      „Na, der sieht wieder großartig aus", seufzte ich, als ich ihn schließlich doch entdeckte. Natürlich war der eigentliche weiße Hengst, mal wieder der dreckigste von allen. Einzig die Stirnseite seines Kopfes war nicht mit Schlamm bedeckt und ließ die eigentliche Farbe erahnen.
      “Wie gut, dass ich Zeit mitgebracht habe”, grinste meine Begleitung, “zusammen bekommen wir den schon wieder sauber.” Ihn sauber zu bekommen stand weniger infrage, immerhin funktionierte der Wasserschlauch auch im Winter, aber Ivy würde bis morgen doch niemals sauber bleiben.
      “Danke, dafür wird Lego sicher schnell gehen mit seiner Decke”, bedankte ich mich für das Hilfsangebot und schlüpfte durch den Zaun in das Gatter. Treudoof kam das Schlammmonster bereits an getrottet und drückte mir freundlich die Schnauze ins Gesicht. Während ich warte, bis auch Enya den Hengst ihres Freundes geholt hatte, versuchte Ivy sich einige Leckerlis zu erschleichen, indem er sämtliche Tricks, die er könnte, unaufgefordert vorführte. Natürlich erreichte er damit nicht sein Ziel. Denn auch wenn er niedlich war, hatte er in den letzten Wochen doch ein wenig Speck angesetzt, weshalb ich ein wenig genauer darauf achtete, wie viel er zu fressen bekam.
      „Du kannst Lego erst einmal in die freie Box stellen, dann muss er nicht die ganze Zeit auf dem Putzplatz warten, bis Ivy sauber ist", sprach ich zu Enya, als wir im Stall ankamen. Sie nickte und entließ den Hengst, der sich unmittelbar seinem Boxennachbarn widmete. Brummeln erklang, ein kurzes Quietschen und dann kehrte wieder Ruhe ein. Meinen Freiberger hingegen stellte ich direkt in die Waschbucht. Mit einer Bürste brauchte ich in seinem Zustand gar nicht erst anzufangen. Jacke und Pulli legte ich in weiser Voraussicht zur Seite und wies auch Enya an, sicherheitshalber etwas Abstand zu bewahren. Divine besaß das meistens eher unerwünschte Talent alles binnen Sekunden zu überfluten und dabei war es egal, ob das Wasser aus einem Eimer oder einem Schlauch stammte.
      Wie immer genehmigte der Hengst sich zuallererst einen ausgiebigen Schluck Wasser aus dem Schlauch, dabei biss er in den Strahl und schüttelte mit dem Kopf, wodurch die Wassertropfen in alle Richtungen flogen. Erst danach durfte ich das Wasser auf sein Fell richten. Schlammige Wassermassen, ähnlich denen in Afrikas Regenzeit, rannen durch das dichte Fell und legten allmählich die darunterliegende Farbe frei.
      “Enya, könntest du mir bitte etwas aus der Sattelkammer holen? Irgendwo im Schrank müsste eine Flasche Schimmelshampoo stehen”, bat ich Enya, die an die Wand gelehnt auf ihrem Handy herumtippte. Ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, würde ich sagen, ihr Freund war mittlerweile erwacht.
      “Na klar, bin gleich zurück”, entgegnete sie und tippte im Gehen weiterhin fleißig in ihr Handy. Es wirkte beinahe so intensiv, wie Vriska, als sie noch mit dem Unbekannten alias Erik schrieb. Was Samu wohl für offenbar hochinteressante Nachrichten senden mochte? Niedliche Morgengrüße oder doch eher Nachrichten der anderen Art?
      Noch bevor ich mir die Inhalte genauer ausmalen konnte, kehrt die große Blondine mit dem Wundermittel zurück.
      “Du hast ja ganz schön teures Zeug für dein Pferd”, stellte sie fest und reichte mir die Flasche. Neugierig schnupperte Ivy an dem Plastik, schnappte in den Deckel, ließ aber relativ schnell, davon ab, als er feststellte, dass es nicht essbar war.
      “Wie auch immer er das anstellte, findet er immer den hartnäckigsten Dreck, da ist das leider notwendig”, erklärte ich und verteilte die lila Flüssigkeit auf Ivys Rücken, “Aber wenn man es genau nimmt ist das auch eigentlich Smoothies.”
      “Ah, verstehe, das ist dann natürlich ziemlich Geldbeutel schonend”, lachte sie und begann hilfsbereit die andere Seite einzureiben. Bereits nach wenigen Minuten schloss der Freiberger genüsslich die Augen und begann zu dösen, das Wellenessprogramm war offenbar zufriedenstellend. Mit ihrer Hilfe war Divine recht schnell komplett eingeseift und auch wieder ausgewaschen.
      „Dann muss er jetzt nur noch trocken, dann können wir loslegen", sagte ich erfreut. Mähne und Schweif fielen seidig und das Fell erstrahlte wieder in schneeweißen Pracht. Während Enya sich nun daran machte Legolas zu putzen, fette ich meine Hengst auch gleich noch die Hufe. Wenn Beauty-Tag: dann richtig!
      Eine halbe Stunde später stand Divine schließlich trocken und frisiert auf dem Hallensand. Damit ich ihn morgen nicht gleich wieder waschen musste, hatte ich Mähne und Schweif eingeflochten und letzteren ausnahmsweise sogar mal bandagiert. So ordentlich hatte der Hengst, glaube ich, noch nie ausgesehen. Legolas gab ein ähnlich elegantes Bild ab, nur dass er in seiner natürlichen Pracht glänzte. Um den Welpen, der während der ganzen Waschprozedur auf Dogs Decke Platz genommen hatte, im Augen behalten zu können, platzierte ich Nivi samt Decke in der vordere Ecke, wo sie hoffentlich auch sitzen bleiben würde. In aller Ruhe wärmten wir die Pferde auf und bekamen sogar ein paar neugierige Zuschauer. Allerdings schickte ich meine Schwester mit sämtlichen anderen Zuschauen hinfort, bevor wir begannen, den eigentlich Auftritt durchzugehen. Es würde schon unerträglich genug werden, wenn sie am morgigen Tage den Vergleich herstellen konnten, wie plump und ungelenk der junge Freiberger neben dem deutlich erfahrenen Warmblut wirkte. Eventuell hätte ich mich doch für Redo entscheiden sollen, aber für einen Pferdewechsel war es nun auch zu spät. Aktiv und aufmerksam folgte Ivy meinen Anweisungen und, bis auf ein paar Verhaspler, die entstanden, weil ich die Reihenfolge durcheinanderbrachte, lief dieses letzte Training gut. Blieb nur zu hoffen, dass mir morgen nicht dasselbe passierte.

      Drei Stunden später

      Vriska
      „Deine Familie ist da, oder?“, fragte Lars, nach dem ich mit dem Traktor einen neuen Heuballen für die Hengste geholt hatte. Obwohl ich nicht viel mehr tat, als obendrauf zu sitzen, schwitzte ich wie ein Leistungssportler und bereute es kurzzeitig, mit dem Rauchen vor Jahren angefangen zu haben.
      „Ja, wieso?“, versuchte den Zweck seiner Frage zu hinterfragen, aber bekam nicht mehr, als ein verschmitztes Lächeln. Meine Vermutung, dass Madly ihn ausgefragt hatte, verstärkte sich. Ich erzählte ihr indirekt von ihm, nannte nur keinen Namen. Allerdings gab es nicht so viele hübsche Herren auf dem Hof, sodass meine Schwester womöglich schnell herausfand, wen ich meinte. Er verschwand, um das Werkzeug zurückzubringen und ich schwang mich aus dem gepolsterten Sitz des Fahrzeugs.
      Wir hatten alle grundlegenden Aufgaben erledigt und für meine Begleitung standen noch drei Pferde auf dem Trainingsplan. Also lief ich ihm nach, weiterhin zerrissen von kleinen Gewissensbissen. Maxou hatte mich vermisst, so sehr, dass sie sich beinah das Bein brach. Dennoch lag schwer mein Versagen im Magen.
      Nur zwei Einsteller traf ich bei der Arbeit, die mich mit ihren eindringenden Blicken komplett aus dem Konzept brachten. Reiten wurde immer mehr meine Leidenschaft. Dass ich aus so hoher Selbstüberschätzung mich wörtlich aufs falsche Pferde setzte und einfaches Training vergeigte, nagte an mir.
      „Vivi, wird wohl Zeit für den nächsten Schritt“, sagte Lars und drückte mir ein Halfter in die Hand. Instinktiv nahm ich es entgegen, bevor ich überhaupt begriff, was er wollte.
      „Was für ein nächster Schritt? Tut mir leid, aber ich möchte dich nicht Heiraten“, schmunzelte ich. „Zudem ist ein Halfter wahrlich kein guter Ring.“
      „Wie es mir scheint, hatte Lina recht. Du bist ein Scherzvogel“, spiegelte er meine Stimmung, aber entschied sich für einen weiteren Schritt. Langsam kam er näher, so nah, dass der markante Geruch seines Parfüms in meiner Nase kitzelte. Es fühlte sich an, als könnte ich den warmen Atem durch meine Kleidung spüren, aber es war viel mehr mein Blut. Kräftig donnerte das Herz in meiner Brust, wie der Bombenschlag im Kriegsgebiet, das sich Emotionen nannte.
      „Und du bist mir ziemlich aufdringlich heute, oder planst du etwas anderes zu reiten?“, stieg in sein kleines Spiel ein, das ihn nur noch mehr befeuert. Ohne mich zu berühren, schob mich Lars immer dichter an die Wand, um schließlich seine Hand nahe an meinem Kopf abzustürzen. Nur schwer konnte ich den Blick von seinen grünen Augen lösen, die mich lüstern anblitzten.
      „Eigentlich wollte ich mit dir fahren, aber Reiten klingt nach einem Plan.“ Von einem auf den anderen Moment unterbrach sich die Spannung zwischen uns beiden, nur sein freches Grinsen lag noch auf den Lippen. Er hatte seine Hand von der Wand genommen und griff nach meiner, die noch immer das Halfter umklammerte.
      „Was denn jetzt los?“, hakte verunsichert nach.
      „Habe ich doch gesagt, wir gehen Fahren“, wiederholte er, aber ich verstand gar nichts mehr. Widerrede war zwecklos. Dennoch folgte ich ihm flink zu den Boxen. Interessiert lugte Maxou heraus. Laut wieherte sie und als ich weiterlief, begann der Aufstand erneut.
      „Kümmere dich um dein Pony, ich musste vor ein paar Tagen bereits ihre Box reparieren“, merkte Lars scharf an, offenbar hatte sie dafür gesorgt, dass keiner mehr ein Auge schließen konnte. Nickend drehte ich mich um und lief zu ihr. Die Ohren wippten aufmerksam nach vorn, als ich die Hand ganz langsam in ihre Richtung hielt. Wie ein Fisch nippten die Lippen an den Fingerspitzen, als gäbe es etwas Interessantes zu entdecken. Aber ich zögerte, traute mich noch immer nicht, aus eigener Motivation zu ihr vorzudringen. Beinah regungslos stand ich vor der Box, versuchte ich mich für eine der inneren Stimmen zu entscheiden, die einen intensiven Diskurs führten, was passieren sollte.
      Dass jemand von der Seite kam, mit einem Pferd, bemerkte ich zunächst an den angelegten Ohren meiner Stute, dann hörte ich Hufschlag. Augenblick, das klang unrein. Verwirrt drehte ich mich zur Seite, von der Lars mit Plano ankam und einem Eisen in der Hand.
      „Hast du wohl noch einmal Glück gehabt“, scherzte er, offenbar sollte ich den Jungen Hengst nehmen, der alles andere als einfach am Sulky war.
      „Und jetzt?“, hakte ich nach.
      „Ich sage Papa Bescheid, der macht das später wieder an den Huf“, erkläre Lars zuversichtlich und ließ mich den Beschlag an eine geeignete Stelle legen. Entschieden wählte ich die Bank vor seiner Box, offensichtlicher konnte es nicht sein.
      „Dann kann zurück ins Zimmer?“ In Zeitlupe setzte ich einen Fuß nach dem anderen Turm Ausgang, aber er schüttelte entschlossen den Kopf.
      „Fräulein, wir haben noch was zu tun.“ Seine Beharrlichkeit schmeichelte mir zu tief. Ich stoppte in meiner Bewegung, um ihm den Sieg zu überlassen.
      „Nun gut“, ich seufzte, „was hat der werte Herr geplant?“
      Fest entschlossen lief er los, offenbar überzeugt, dass ich ihm blind vertrauen würde. Um ihn diesen Zahn zu ziehen, blieb ich unbewegt an meiner Stelle stehen und betrachtete, wie äußerst elegant er sich den Weg zu den Hengsten bahnte. Aufgeregt wieherte Astronaut in seiner Box, die er aktuell für sich allein hatte. Augenscheinlich war von der großen Pracht an Rennpferden nur noch ein Drittel am Stall verblieben, während der Nachwuchs noch auf der Weide verweilte. Selbst Lotti, in der noch so viel Hoffnung lag, wurde von einem zum anderen Tag Zuchtstute. Bei Nachtschatten gab es ohnehin keine Möglichkeiten mehr für die Rennbahn, dafür war ihr letztes Rennen nicht nur zu lange her, sondern auch problematisch verlaufen. Ein junger Fahrer hatte vor der Ziellinie seinen Hengst nicht im Griff und raste in ihren Wagen. Dieser Schock saß tief bei der sechsjährigen.
      „So macht das kein Spaß. Wenn ich andauernd betteln muss, dann geh bitte“, drehte sich Lars zu mir um.
      „Du sagst mir nicht einmal, welches Pferd, also was soll ich dann tun?“, zertrete ich. Er zuckte mit den Schultern und zeigte zu Lu, der schon die ganze Zeit aus der Box blickte.
      „Der steht unter Linas Pflege“, erklärte ich.
      „Ach so, dann“, wieder überlegte er und sah sich suchend im Stall um. So groß war die Auswahl nicht, da konnte ich nachvollziehen, dass nichts für mich dabei war. „Wunderkind. Der passt zu dir.“
      „Jetzt warte doch mal“, zog ich ihn am Arm zurück, er stoppte. „Ich habe Angst.“
      „Wo vor? Wunderkind schläft doch schon beim Putzen ein“, wunderte Lars sich und drückte die Augenbrauen zusammen.
      „Versagen“, murmelte ich bei gesenktem Kopf.
      „Schau doch mal: Ich bin die ganze Zeit bei dir. Wunderkind ist eine Schlafnase und du schon ein großes Kind. Zu Weihnachten wünsche ich mir so sehr, dass wir durch den Wald fahren.“ Lars stand dicht bei mir, strich mir mit seiner warmen für die Wange. Der Anflug eines Lächelns umspielte meine Lippen. Für einen langen Augenblick sah er mich an und flehende Hitze in seinem Blick, ließ mir den Atem stocken. Obwohl er zuvor nicht einen Hauch von Ablehnung vermittelte, zweifelte ich an seinem Interesse, der Grund lag nah. In meinem Kopf geisterte selbstverständlich noch Erik, den ich mit allerlei Bekanntschaften verdrängte aber am Stall, kam natürlich erlebtes wieder hoch.
      Ich schüttelte mich. Vergangenes war Vergangenheit und der kleine Flirt fühlte sich nach einem Neuanfang an. Zart drückte ich meine Lippen auf seine Wange, ehe ich ihm das Halfter aus der Hand klaute, um den Schecken von dem Paddock zu holen.
      Wunderkind stand in der letzten Ecke im Sand und ich hüpfte zwischen den Pfützen hinweg zu ihm, dicht gefolgt von Shaker, der meine Bewegungen äußerst interessant fand. Er schnupperte wieder an meinem wippenden Dutt, aus dem einige der Dreadlocks herausgerutscht waren. Einmal schnappte er sogar nach einer, bekam einen Schubser von mir. Der Schecke kam mir die fehlenden Meter entgegen und ich zog ihm das Halfter über die Ohren. Den Schopf sortierte ich darüber.
      Im Stall putzte Lars bereits Dustin, der hysterisch begann zu wiehern, als Hufschlag auf dem Beton durch die Halle schallte. Zufrieden grinste die Dunkelhaarige, aber verkniff sich weitere Kommentare. Wieder zögerte ich. Er streckte mir einen Striegel entgegen, mit dem ich im nächsten Augenblick die großen Sandflächen aus dem hellen Fell entfernte. Auf dem Boden zeichnete sich die genaue Position von uns ab. Zum Abschluss kratzte ich die Hufe aus. Lars brachte mir sein Geschirr mit, nach dem Dustin bereits fertig gemacht war. Ungeschickt hob ich einen Lederstriemen nach dem anderen in die Luft, um den Anfang zu finden.
      „Jetzt hilf mir bitte“, stöhnte ich, nach dem er sich vor Lachen bereits krümmte. Den Brustgurt hatte ich kurz als Bauchgurt um den Hengst gelegt, der jeden Handgriff mit sich machen ließ.
      „So schwer ist das doch nicht“, scherzte er und griff mir über die Schulter. Unter seinem Arm wollte ich abtauchen, damit er mehr Platz am Pferd hat, aber er hielt mich davon ab.
      „Sieh richtig hin“, wies Lars mich an. Langsam zeigte er mir noch einmal die richtige Reihenfolge zum Gurten, obwohl ich wusste, wo, was hingehört. Kurzzeitig stoppten meine Gehirnzellen.
      „Ich möchte euch ja ungern stören“, räusperte sich jemand hinter uns, „aber hat einer von euch vielleicht meinen Hund gesehen oder alternativ meine Schwester?“ Als ich mich umblickte, entdeckte ich Juli. Ihr Freund, den sie im Schlepptau hatte, blickte ein wenig skeptisch die Tier in den Boxen an und hielt einen sicheren Abstand zu ihnen.
      „Wart ihr schon im Büro nachschauen?“, fragte Lars und zeigte dabei mit gestrecktem Arm zur ersten Hütte an der Hallenbande. Ich schmiegte ich zur gleichen Zeit näher an ihn heran, es forderte mich undefiniert vor anderen ihm näherzukommen. Er hatte offensichtlich kein Problem damit, sondern drückte mich noch näher an seine breite Brust.
      „Nein, aber dann schaue ich da mal. Danke“, bedankte sie sich freundlich und verschwand schmunzelnd in genannte Richtung.
      „Wollte da etwa jemand die Besitzansprüche verdeutlichen?“, grinste er vertieft in meinen Augen. Auch hing an ihm fest. Was war das nur? Ich konnte mich doch umgehend in den nächsten Typen verlieben, aber das Potenzial dafür strahlte bereits. Es schrie in mir, ihn zu küssen, doch hielt mich zurück.
      „Eventuell, aber komm jetzt, bevor ich es mir anders überlege“, sagte ich entschlossen und lief mit ihm zusammen zur Sattelkammer, um Helm und Brille zu holen.
      „Spritzschutz ist am Wagen?“, überlegte ich laut, als mich das Plastik aus dem Regal entgegenlächelte.
      „An deinem nicht, also nimm lieber mit.“ Er schloss seinen Helm und wechselte noch die Hose. Ich für meinen Teil bevorzugte den Ganzkörperanzug und stieg mit meinen Reitsachen hinein.
      Schritte näherten sich und Linas Schwester tauchte erneut auf
      „Im Büro war sie nicht hab ihr sonst noch eine Idee, wo ich suchen kann?“, fragte sie.
      „Dann kann sie nur bei uns in der Hütte sein“, kam es mir als letzte Idee.
      „Danke, dann euch zwei noch viel Spaß“, sagte sie und verschwand. Komisch, Lina konnte doch nicht vom Schnee verschluckt worden sein? Ich zuckte mit den Schultern und verließ ebenfalls mit Lars die Sattelkammer. Es war erstaunlich, wie schnell er das Chaos beseitigte hatte und man in kurzer Zeit alles fand.
      Zusammen hingen wir die Sulky an. Immerhin musste ich nicht gurten, sondern hatte einen Schraubverschluss, der nur zur Sicherheit festgezurrt wurde. Aber der Herr der Schöpfung konnte natürlich alles. Meine Augen folgten seinen Händen, wie sie galant das Leder durch die Riemen zogen und den Verschluss schlossen. Dustin wippte dabei mit dem Kopf, konnte es kaum abwarten, durchzustarten. Wunderkind hingegen schlief beinah ein, wie Lars es prophezeite. Ich hatte mit dem Schecken kaum zu tun, aber unter Tyrell im Sattel kannte ich ihn als unberechenbares Pferd. Manchmal sprang er verschreckt zur Seite oder hängte sich an den Hintern eines anderen Pferdes im Sand, ließ sich fortan nirgendwo anderes lenken.
      Nacheinander führten wir die Traber aus dem Stall, sprangen im Schritt auf den Sitz und positionierten uns parallel. Spielerisch schnappten sie sich. Zwischendurch sprühte der Schnee nach oben, aber der Schutz an meinem Sulky war zu groß, damit bekam ich zur Abwechslung nichts ab.
      Lars konzentrierte sich auf Dustin, setzte sich streckenweise mehrere Pferdelängen voraus, um dann ihm in der Geduld zu schulden. Nur einmal trabte ich mit, aber entschied im Schritt zu bleiben. Bei fehlendem Beschlag rutschte Wunder mehrmals auf dem nass feuchten Untergrund. Um sich zu halten, gab ich ihm die Leinen und der Hengst balancierte sich von selbst. Im Wald selbst war es beinah still. Nur das Meeresrauschen drang gedämpft zu uns vor und vermischte sich mit dem Rascheln der Hufe im halbhohen Schnee und Matsch.
      „Und? Auf einer Skala von null bis Zehn, wie glücklich bist du?“, bremste Lars Dustin ab und positionierte sich neben uns.
      „Jetzt gerade?“, kurz sah ich zu ihm, „ich denke, dass es eine gute sieben ist.“
      „Sieben? Klingt vielversprechend“, schmunzelte er und zupfte dabei an den Leinen, um Dustin in seinem Grundtempo zu stoppen. Gar nicht zufrieden mit der Situation, tippelte der Braune voran und wippte mit dem Kopf.
      „Ich verstehe nicht, was er heute hat. Wir hatten diese Woche so viele Heats, da müsste er ein Lämmchen sein“, schüttelte Lars mit dem Kopf.
      Ich hob nur die Schultern. Wunderkind war glücklicherweise eins. In gleichmäßigen Schritten setzte er durch den Wald, sah sich bei nahen Geräuschen um und streckte den Kopf. Zwischendrin schnaubte er ab, dann lobte ich ihn. Ehrlich gesagt konnte ich mir nur schwer vorstellen, warum Lars so sehr mich am Pferd sehen wollte, aber er hatte gute Arbeit geleistet.
      Im Stall begegneten wir tatsächlich mehreren Einstellern, unter anderem einer Mädchen, die kichernd neben meiner Schwester saß. Obwohl es offenbar Kommunikationsschwierigkeiten gab, waren sie sich einer Sache sicher: Lars ist verdammt heiß. Dem konnte ich nichts entgegensetzen, aber sie, mich komplett ausblendeten, lag mir schwer im Magen. Zumindest Madly sollte dahinter gestiegen sein, aber hing mit jedem Blick an dem jungen Herren neben mir. Es wurde erst ruhiger, als ich mit ihm das Equipment in die Kammer brachte.
      „Das geht seit Wochen so. Egal, wo ich bin, alles tuschelt um mich herum, anstelle mich ansprechen“, sprach er umgehend das Thema an.
      „Mh“, brummte ich nur.
      „Was denn los?“, fragte er verärgert.
      „Du siehst nun mal umwerfend aus und das fällt als Erstes auf. Dass du zudem auch noch ein Lexikon über Pferdewissen hast, können sie nicht wissen, weil du bereits auf dein Aussehen reduziert wurdest“, zuckte ich unbeeindruckt mit den Schultern. Natürlich schloss ich mich dieser Meinung an, kam jedoch schon in den Genuss von mehr. Auch in Anbetracht an den heutigen Arbeitstag.
      „Aha?“, niedlich zuckte ein Lächeln auf seinen Lippen. Möglichst neutral versuchte er meine Aussage anzunehmen, aber das bewusst einen Schritt auf ihn zu machte, brachte ihn aus dem Konzept. Lars setzte zurück, stolperte über einen Eimer und landete auf dem Boden. Zuvor griff er nach meiner Hand, um mich mit sich in den Abgrund zu ziehen. Ungünstig landete ich auf ihm, doch er richtete mich direkt richtig, dass ich auf seinem Unterleib saß. Neben uns polterten mehrere Gurte auf den Boden, die einen höllischen Lärm verursachten. Aber ich wurde umgehend abgelenkt. Seine Händen strichen verführerisch über meine Oberschenkel. Überall in mir zuckte es, zerrend verbreitete sich Wärme vom Bauch aus. Ich schenkte ihm ein verträumtes Lächeln. Hundegebell erklang und just im selben Augenblick tapste ein Hundekind herein. Aufgeregt rotierte die Rute des Tieres durch die Luft und sie schnupperte an uns. Lange dauerte es nicht, bis dem Hund auch noch menschliche Schritte folgten.
      “Alles in Ord …”, setzte Lina bei Betreten der Hütte eine Frage an, brach allerdings ab, als sie uns auf dem Boden entdeckte. Stattdessen begann sie breit zu grinsen: “Ich sehe schon, ich brauche nicht weiter zu fragen.”
      Lars' Hände waren mittlerweile an meine Hüfte gewandert und wir starrten einander nur an. Peinlich berührt durch ihre plötzliche Erscheinung legte sich ein intensives Rot auf meine Haut.
      „Ähm“, stammelte ich unsicher, „das ist aus Versehen passiert.“
      Synchron begannen beide zu lachen.
      „Jetzt tu doch nicht so“, richtete sich Lars etwas auf. Ich spürte seine eindringenden Blicke auf mich, als würde er etwas erwarten. Noch mehr fehlten mir die Worte.
      “Ach, alles gut”, schmunzelte sie noch immer, “macht doch, was ihr wollt. Aber wenn ihr dabei allein bleiben wollt, solltet ihr das nächste Mal vielleicht weniger Lärm machen.”
      „Ich wollte gar nichts!“, versuchte ich mich zu verteidigen, nicht einfach. Endlich ließ er seine Hände von mir und konnte aufstehen. Neben Lina standen bereits die großen Eimer, voll mit drei Maß Hafer und verschiedener Kräuter. Zusätzlich bekam Dustin noch etwas für seine Gelenke.
      “Okay, du bist ein willenloses Wesen, ganz ohne Hintergedanken”, nickte sie, bemüht, das Schmunzeln zurückzudrängen. Der Welpe erkundete mittlerweile die heruntergefallenen Gegenstände, schlüpfte unter den unterschiedlichsten Strängen hindurch, kletterte darüber und begann dabei alles noch ein wenig mehr durcheinanderzubringen.
      “Heißt der Zweite da, dass du auch am Pferd warst oder kann Lars mittlerweile zwei Pferde zugleich trainieren?”, kam Lina nun auf ein anderes Thema zu sprechen.
      „Tatsächlich ist sie gefahren“, ergriff er beherzt das Wort und befreite die Geschirrunterlage vom Welpen, der versuchte an einem der Gurte zu ziehen. Auch ich bückte mich zu den Trensen herunter, die zuvor auf dem Bock lagen.
      “Oh, schön. Das ist ja schon ein großer Schritt in die richtige Richtung”, lächelte sie.
      „Da kommt noch mehr“, munkelte der Herr und reichte mir die andere Trense. Weiterhin versuchte ich mich aus dem Gespräch fernzuhalten. Andere trafen bessere Entscheidungen für mich, langsam sah ich diese Tatsache ein. Nacheinander hängte ich das Leder weg und damit waren wir fertig.
      “Du willst sie doch nicht etwa heute auch direkt auf Pferd setzen?”, hakte sie von Neugierde erfüllt nach. Frech huschte ein Lächeln über seine Lippen.
      „Das vielleicht auch“, feixte er.
      “Ich frage mal lieber nicht weiter”, lächelte sie irritiert, mehr, als sei es eine Übersprunghandlung und holte mit einer Geste Nivi zu sich, die gerade den nächsten Gegenstand als Spielzeug erwählen wollte.
      „Das“, betonte ich seine Anspielung ebenso zweideutig wie er, „bedarf mehr als deine Entscheidung. Ich muss schließlich meine Familie ertragen.“ Zusammen lachten wir und liefen mit den Eimern heraus. Vorsorglich schloss Lars die Tür, um den übermütigen Hund rauszuhalten.
      „Kommst du mit?“, fragte ich im Anschluss Lina, die nicht sonderlich beschäftigt wirkte. Vermutlich die Ruhe vor dem Sturm.
      “Jap, schließlich muss noch ein wenig Zeit Tod geschlagen werden”, nickte sie und folgte uns, während das kleine Fellknäuel mit Vollgas an uns vorbeischoss.
      „Wann fängt es denn bei euch an?“, informierte Lars sich. Aus meiner Hand nahm dem grünen Eimer für Dustin. Gierig drückte er den Kopf voran, um so schnell wie möglich sein Futter zu haben, aber er ließ sich Zeit.
      “Also Samu wollte mit seiner Familie so zwischen sechs und sieben hier auftauchen, aber seine Freundin samt Familie kommen ein wenig später, weil sie noch in die Messe gehen”, gab Lina Auskunft über die Pläne. Dann setzte er direkt fort, nur ich verschwand aus der Situation. Wunderkind hatte seinen vollen Eimer einige Meter entfernt vollständig aufgefressen, durfte damit zurück zu den anderen Jungs. Bei meiner Rückkehr standen die beiden noch immer da, vertieft über Erzählungen über die Feiertag. Kaum hatte ich mich verabschiedet, nahte Bedrohung von vorn. Meine Schwester und Mutter gefolgt mit Harlen kam auf uns zu. In der Hoffnung, dass sie mich nicht bemerkten, versteckte ich mich hinter Lars.
      „Was wird das?“, flüsterte er mir zu.
      „Ich hasse Weihnachten und verstehe nicht, wieso die das so ernst nehmen.“ Doch es war zu spät. Mein Bruder erspähte mich mit seinen Adleraugen, während Madly ihm immer wieder etwas Trällerndes auf dem Handy zeigte.
      „Hier steckst du“, lächelte Mama, „aber wie siehst du denn aus.“
      Auf der Hose waren vom Matsch einige Spritzer, so auch auf den Stiefeln. Meine Hofjacke hatte freilich bessere Zeiten erlebt, aber Arbeitskleidung durfte dreckig werden. Dafür gab es Waschmaschinen.
      „Es tut mir leid. Ich werde mich umziehen gehen“, duckte ich mich weg.
      „Schon gut, aber beim nächsten Mal“, es wird kein nächstes Mal geben, dachte ich insgeheim, „achtest du bitte darauf. Was sollen die Leute denken?“, appellierte sie. Ja, genau. Was sollten die Leute nur denken von der Gestörten am Hof. Ganz kritisch.
      Harlen nahm ihren Arm in den Haken und lief weiter. Auf meinen Lippen formte ich ein Danke, damit blieb nur Madly, die auch sofort zu Lina tigerte.
      „Hey, ich bin Vivis Schwester, aber in cool. Hast du einen Führerschein?“, charmant wie immer. Tatsächlich packte sie das Handy für einen Augenblick zur Seite.
      “Oh cool, Vorstellungsrunde, jeder sagt eine Sache, für die er qualifizierter ist”, sprach sie. Offenbar schien sie Madly nicht wirklich ernst zu nehmen.
      “Ich bin Lina und ja, ich habe einen Führerschein”, wandelte sie die Unhöflichkeit der kleinen Nervensäge in eine pädagogische Übung.
      „Ich bin Lars, und“, er überlegte ziemlich lange, mir fielen direkt mehrere Sachen ein, für die er qualifiziert war, aber er schwieg.
      „Und du bist heiß, ja wissen wir“, rollte Madly mit den Augen. Vorhin schien ihr das noch essenziell, das Leben der jungen Generation war wirklich kurz.
      „Aber gut, Lina. Kannst du mich hier wegbringen? Alle weigern sich, aber ich ertrage das nicht. Es riecht eklig und Internet gibt es auch nicht“, jammerte sie.
      “Könnte ich wohl, aber ehrlich gesagt steht das heute nicht auf meiner Agenda. Was das Internet angeht, das ist Mitarbeiter und Einsteller vorbehalten. Aber ich könnte mir vorstellen, dass deine Geschwister in dem Fall wohl möglich eine Ausnahme machen könnten”, sagte Lina äußerst diplomatisch und unbeeindruckt von ihrem Gezeter. Madly gegenüber schien die Brünette auf einmal eine Selbstsicherheit an den Tag zu legen, die sie sonst nicht aufzubringen vermochte.
      „Findest du nicht auch, dass ich etwas aufgemuntert werden sollte, nach so einer Frechheit?“, flüsterte mir Lars gleichzeitig zu.
      „Vielleicht, aber da kann ich dir vermutlich nicht helfen“, sprach ich genauso leise und schmiegte mich wieder eng an ihm. Obwohl mir jegliche Feiertage ein Dorn im Auge waren, lag etwas Magisches in der Luft, das mich immer wieder zu ihm zog. Er war daran auch nicht ganz unbeteiligt und schien meine Nähe geradezu zu genießen. Seinen Arm legte er an meinen Rücken, um mich noch enger zu halten.
      „Das wäre schon unfair“, merkte ich schließlich an, „ich habe nicht einmal mein Handy wiederbekommen.“
      „Du bist alt. Was willst du auch damit?“, konnte meine Schwester sich offenbar nicht zügeln. „Außerdem solltest du das nachher wieder bekommen, aber ich sage jetzt Mama, dass du frech warst.“ Madly schnaubte noch mal und rannte aus dem Stall. Ihre kleinen Absätze klackerten auffällig auf dem Beton, dann ertönte Stöhnen und Beschwerde über das matschige Wetter – Als wäre London so viel trockener!

      Am Abend …

      Lina
      “Lina, du solltest mal langsam fertig werden, Samu hat schon vor zehn Minuten geschrieben, dass sie gleich da sind”, kam meine Schwester mit meinem Handy in der Hand ins Bad marschiert, “Ach, und dein Freund hat etwas geschrieben.”
      “Jaaaa, ich bin ja gleich fertig”, entgegnete ich und zupfte die letzten Haarsträhnen zurecht, “und ich wäre dir sehr verbunden, wenn du deine neugierigen Augen aus meinen Nachrichten lässt.” Ich kannte meine Schwester, vor ihr war wirklich nichts sicher, so hatte sie mit Sicherheit auch bereits mein Zimmer und die komplette Hütte auf den Kopf gestellt.
      “Schätzchen, ich habe doch schon alles gesehen. Ich glaube kaum, dass man da etwas finden könnte, was mich noch schockiert”, feixte Juli. Noch bevor meine Schwester das Thema vertiefen konnte, hörte ich es an der Tür klopfen. Eilig lief ich zu der Glastür und öffnete diese.
      “Schön, dass ihr da seid, kommt doch rein”, lächelte ich freudig. Nacheinander begrüßte ich erst Samus Eltern, dann seine Brüder und mit Samu bildete seine Schwester das Schlusslicht. Natürlich kam auch ihm eine gebührende Begrüßung zu, die von Eevi allerdings ziemlich schnell unterbrochen wurde.
      “Lina, ich habe dich so lange schon nicht mehr gesehen”, sprach sie höchst erfreut, schob ihren Bruder bei Seite und zog mich in eine Umarmung, die mir beinahe die gesamte Luft aus der Luge, drückte.
      “Schwesterchen, du solltest Lina schon am Leben lassen”, lachte dieser.
      “Sei du mal ruhig, du siehst sie auch ständig. Das verstehst du nicht”, beschwerte sie sich sogleich bei ihrem Bruder, lockerte aber tatsächlich ihren Griff.
      “Klar, ich bin auch nur ein Kerl. Ich kann das gar nicht verstehen”, scherzte er selbstironisch, verschwand aber schließlich, um Juli zu begrüßen.
      “Lina, Schätzchen, lass dich mal ansehen”, richtete Eevi das Wort wieder an mich und drehte mich einmal um dreihundertsechzig Grad, “Du bist ja eine richtig hübsche junge Frau geworden. Ich bin begeistert!” Sicher würde man sich an dieser Stelle fragen, wieso sie sprach wie eine Oma, die ihr Enkelkind mehrere Jahre nicht gesehen hatte. Na ja, weil es nicht ganz so weit von der Wahrheit entfernt war. Meine Oma war sie natürlich nicht, aber letzteres traf zu. Die letzte Begegnung dürfte zu Schulzeit gewesen sein.
      “Danke, aber komm doch erst einmal richtig rein”, lächelte ich und versuchte sie zum Weitergehen zu bewegen, damit ich endlich die Tür wieder schließen konnte.
      “Na, wer ist denn das niedliche Ding?” Eevi hatte Dog entdeckt, der geweckt durch den Trubel von seinem Kissen aufgestanden war und nun durch die Gegend taumelte. Nivi hingegen sprang wie ein Flummi durch die Gegend, dabei war sie den ganzen Tag lang mitgelaufen. Dieser Hund hatte echt einen enormen Energievorrat.
      “Das ist Dog, der Hund meiner Mitbewohnerin”, erklärte ich, bevor ich zu Samu weiterlief, der an der Küchenzeile, schon einmal das Nahrungsangebot begutachtete.
      “So hungrig, füttert deine Freundin dich nicht gut zu Hause”, feixte ich und stieß ihm die Finger spielerisch in die Seite.
      “Doch, das heißt, wenn sie denn zu Hause ist”, lacht Samu, “aber das sieht wirklich vorzüglich aus, was du da vorbereitet hast.” Gierig wollte er schon seine Finger in eine der Schüssel stecken, was ich mit einem Stoß gegen seinen Arm quittierte.
      “Finger weg, aber den Dank musst du an Taavi und Juli richten. Die zwei haben den halben Tag lang gezaubert”, sprach ich und versuchte den Blonden in Richtung des Tisches zu schieben. Natürlich konnte ich nichts gegen seine gut trainierte Körpermasse aussetzen.
      “Du darfst dich darauf stürzen, sobald alle da sind”, probierte ich meiner Aufforderung Nachdruck zu verleihen.
      “Nicht nett, dass du mich verhungern lässt”, schmollte dieser und verschränkte die Arme vor der Brust. Dennoch entging mir das Zucken in seinen Mundwinkeln nicht.
      “Du verhungerst in einer halben Stunde, aber bevor das passiert, hier”, sprach ich und drückte ihm eine Schale mit Plätzchen in die Hand. Samu schaute nicht schlecht, als er liebevoll verzierten Rentiere, Pferdchen und was mir sonst noch so an Ausstechern in die Hände gefallen war, in der Schüssel sah.
      “Lina, du hast dir viel zu viel Mühe gegeben Essen zu verzieren”, stellte er fest, begab sich aber dennoch endlich zum Tisch. Auch ich begab mich zu einem freien Stuhl zwischen seiner Schwester und Anni, seiner Mutter. Kaum hatte ich mich gesetzt, überfiel sie mich mit einer Frage: “Ich hörte gerade, du hast einen Freund, wie ist der so?” Dass diese Frage jetzt erst kam, verwunderte ich schon ein wenig. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sie mit ihren Fragen so lange an sich halten konnte.
      “Niklas ist charmant, unheimlich klug, sieht gut aus …”, lächelte ich zurückhaltend. Nicht dass es mir peinlich war über meinen Freund zu sprechen, doch ich hatte das Gefühl gegenüber Samus Eltern die Worte ein wenig bedacht auswählen zu müssen.
      “Mensch Lina, jetzt untertreib mal nicht, dein Freund ist absolut heiß”, grätschte meine Schwester nun dazwischen. Taavi schien dieser Kommentar weniger zu gefallen, denn er legte ihr unmittelbar die Hand aufs Bein, als stiller Appell, dass sie bereits vergeben war.
      “Juliette”, empörte ich mich, während mir die Röte in die Wagen stieg.
      “Und wo hast du den heißen Niklas versteckt? Wird man den heute noch kennenlernen?”, schmunzelte die Blonde mit funkelnden Augen.
      “Nicht hier, er hat familiäre Verpflichtungen, aber morgen kommt er”, versuchte ich ihre Neugierde zu stillen. Bereits jetzt war sie mir ein wenig zu aufdringlich, zumal seit Julis Einwurf auch Samus Eltern hellhörig geworden waren. Einzig Niila und Joona schien das ganze wenig zu interessieren, denn diese hatten sich mit ihrem Bruder in eine hitzige Diskussion über das letzte Spiel des HIFK vertieft.
      “Wirklich bedauernswert, ich würde zu gerne sehen, wer dich in dieses Land entführt, hat”, entgegnete Eevi schon beinahe vorwurfsvoll, ”Aber dann möchte ich wenigstens Bilder sehen.” Während ich für Eevi ein paar Bilder heraussuchte, stand Juli auf und lief zu der Küchenzeile.
      “Damit du mal ein wenig redseliger wirst”, kicherte sie mir ins Ohr und schenkte mir ein Glas aus der grünen Flasche ein, bevor sie auch den Rest daraus anbot.
      In den folgenden zwanzig Minuten musste ich Eevi zahlreiche Fragen beantworten, wobei sie durch die schalkhaften Kommentierung meiner Schwester auch noch angefeuert wurde. Vorübergehend erlöst wurde erst als Samus Freundin endlich eintraf.
      Bereitwillig lief Samu zur Tür, um den Nachzüglern Einlass zu gewähren. Enya, die ich sonst nur im Alltagslook kannte, hatte eine wahrhafte Verwandlung durchgemacht. Engelsgleich erschein sie in einem schlichten weißen Kleid, welches ihrer außerordentlich schönen Figur schmeichelte und ihr goldblondes Haar fiel in leichten Wellen über ihre Schultern.
      “Warum hast du denn nicht erzählt, dass mein Bruder so eine hübsche Freundin hat”, tuschelte Eevi mir leise zu, während mein bester Freund, ganz der Gentleman, den neuen Gästen die Jacken abnahm.
      “Du hast mich ja kaum zu Wort kommen lassen”, entgegnete ich wahrheitsgemäß. Bevor sie noch etwas entgegnen konnte, kam allerdings ein strahlender Samu mit seiner Schönheit am Arm an den Tisch. Wohlerzogen stellte er Enya zuerst seinen Eltern vor, bevor sich die gesamte Familie Bäcklund auf die verbliebenen Plätze begab.
      “Wo jetzt alle da sind, möchte ich euch noch einmal herzlich willkommen heiße. Danke, dass ihr alle, den weiten Weg nach hier draußen auf euch genommen habt, um heute hier zu sein. Viel länger möchte ich euch auch nicht mehr vollquatschen. Somit God Jul und guten Appetit”, richtete ich meine Worte an die versammelte Menge und gab damit das Buffet frei. Frohsinn lag in der Luft und durchströmte auch mich. Über die Gespräche beim Essen konnte ich eine Menge neuer Informationen über die Geschehnisse in der Heimat erlangen, während Eevi damit beschäftigt war, der Freundin ihres Bruders auf den Zahn zu fühlen. Exponentiell zu den sich leerenden Weinflaschen stieg die Stimmung in dem Raum und die Gespräche wurden ausgelassener. Ich folgte gerade einer interessanten Erzählung von Enya über einen komplizierten, aber unheimlich interessanten Fall von Lahmheit in der Klinik, als das Smartphone in meiner Hosentasche keine Ruhe mehr geben wollte. Zahlreiche Benachrichtigungen ploppten auf dem Bildschirm auf, die ich grob überflog. Ein paar Weihnachtsgrüße von Alec, Quinn, auch Mateo hatte mir geschrieben. Der junge Mann, der seit Kiel zum Team gehörte, verbrachte die Feiertage bei seiner Schwester, die nicht unweit von Högsby einen kleinen Hof hatte.
      „Schöni Weihnacht wünsch ich dir”, schrieb er in dem komischen Dialekt, den er deutsch nannte. Wirklich seltsam waren diese Schweizer. Anbei sendete er noch einige Bilder von den Pferden seiner Schwestern, die einige wunderschöne Freiberger besaß. Ein prächtiger Schimmel trat besonders auffällig zwischen den restlichen Tieren hervor, der von der Statur her sicher ein Hengst sein mochte. Niedlich von Mateo, dass er an meine Passion für diese seltene Rasse dachte.
      Ich scrollte weiter durch meine Nachrichten, stockte, als ich einen Namen las, der schon lange nicht mehr dort aufgetaucht war, genauer gesagt seit über vier Monaten nicht mehr. Mit dem Verlassen des Whitehorse Creek Stud, brachte ich nicht nur eine räumliche Distanz zwischen uns. Zu verwirrend waren meine Gefühle noch gewesen und zu frisch die Erinnerungen an ganz neue Seiten, die dieser Sommer ans Tageslicht gefördert hatte. Doch mir war auch nicht entgangen, dass Jace das nicht so einfach akzeptierte. Jeden einzelnen meiner Social Media Post hatte er gelikte, sogar eines der Bilder mit Niklas. Das kam mir äußerst seltsam vor, immerhin sprachen wir noch immer von dem Kerl, der meinem Freund die Nase brach. Und dass, obwohl Niklas in dem Moment nicht mehr getan hatte als nett zu sein. Wie auch schon Jace Kommentierungen auf Instagram ignorierte ich ebenfalls seine Nachricht. Ich fühlte mich nicht bereit, mich mit ihm auseinanderzusetzen, erst recht nicht an diesem Festtag. Stattdessen sendete ich meinen anderen ehemaligen Kollegen Weihnachtsgrüße zurück.
      „Na wer beschäftigt dich so intensiv?“, fragte Eevi bei der meine Aktivität an dem Gerät nicht unbemerkt geblieben war, “Dein heißer Polizist?” Vom Alkohol aufgeputscht kicherte sie wie eine zwölfjährige. Im Allgemeinen schien die Stimmung erheblich vom Alkohol beeinflusst. Niila und Joona führten mit Enyas Vater einen angetretenen Fachdiskurs über Motoren oder Ähnliches, wohingegen Juliett ihre Finger nicht bei sich behalten konnte und fortwährend ihren Freund betatschte. Samus Mutter hingegen brachte zahlreiche Anekdoten ihrer Kinder zu besten, von denen sich Enya offenbar gut unterhalten fühlte, zumindest, solang ihre Mutter keine Geschichte ihrerseits dazu beisteuerte.
      “Wenn es so wäre?”, stellte ich mit einem verwegenen Grinsen eine Gegenfrage.
      “Dann könntest du ihn ja fragen, ob er nicht vielleicht doch herkommt”, schlug die Blonde schmunzelnd vor.
      “Ach, das schaffst du doch sicher nicht, dass er jetzt noch kommt”, warf meine Schwester plötzlich ein. Klar, dass sie bei diesem Thema augenblicklich hellhörig wurde, auch wenn sie für gewöhnlich weniger angriffslustig war. Vermutlich war es der Alkohol, der mir zu Kopf gestiegen war, der dafür sorgte, dass ich ihr augenblicklich widersprach.
      “Natürlich bekomme ich Niki her. Ist doch ein Kinderspiel mit den richtigen Worten”, entgegnete ich selbstsicher. Es war eindeutig der Wein, der aus mir sprach. In der Regel war es eher das Gegenteil von einfach den viel beschäftigten Mann herzubekommen, wenn er nicht ohnehin schon kommen wollte.
      Jedenfalls ergriffen meine von Überzeugung getriebenen Finger erneut das Mobilgerät und tippten in Lichtgeschwindigkeit auf dem leuchtenden Bildschirm herum. Kaum hatte ich die Buchstaben in das weltweite Netz entsendet, änderte sich der Onlinestatus. Auch fing er sogleich zu schreiben an, sodass wenig später ein einziger Satz erschien: “Ich fahre in zehn Minuten los.”

      Vriska
      „Wo willst du hin?“, fragte Mama irritiert, mit dem Weinglas in der Hand, das drohte rote Flecken auf dem hellen Teppich zu hinterlassen.
      „Das habe ich dir vor Stunden schon gesagt“, vorsichtshalber rutschten meine Augen zur Uhr, „ich möchte noch zu Tyrell und Bruce.“
      „Wir sehen uns doch kaum“, jammerte sie auf einem Mal, obwohl sie dazu beitrug, dass ich den Großteil aller Familienfeste seit Jahren mied. Immer wieder hakte sie auf mir herum mit denselben Sprüchen über mein Aussehen, das gipfelte in dem, dass selbst mein so schweigsamer Bruder für mich Partei ergriff.
      Ich schwieg und zog mir meine Jacke über an der Tür.
      „Was willst du überhaupt bei denen? Wir sind deine Familie“, warf Mama mir plötzlich vor, als hätte ich es jemals laut ausgesprochen, dass sie mir egal war.
      „Familie Earle ist auch meine. Sie haben mir durch so schwere Zeiten geholfen und lebe mit ihren, daran ist nichts verwunderlich“, erklärte ich ruhig, obwohl ich innerlich brodelte.
      „Aha.“
      Hinter mir fiel die Tür zu. Kopfschüttelnd lief ich über den gefrorenen Boden und sah schon aus der Ferne das kleiner Feuer, das entfacht wurde. Obwohl meine Schwester bis zum Schluss versucht hatte, Mama davon zu überzeugen, dass ich keinesfalls mein Handy zurückbekommen sollte, hielt ich es in der Hand. Es grauste mir, es tatsächlich anzuschalten. Vermutlich würde Bildschirm vor Überlastung explodieren. Schweren Herzens steckte ich es in die Jackentasche und versuchte Land zu gewinnen.
      Kaum erreichte ich die kleine Runde am Feuer, wurde ich herzlich begrüßt. Mir gegenübersaß ein älterer Herr, der sich sogleich als Lars Vater Bruno vorstellte. Bei Bruce hatte Nour Platz genommen, die ebenfalls zur Familie Alfvén gehörte.
      „Und du bist dann Vriska?“, lächelte Nour und schielte dabei immer wieder zu ihrem Bruder hinüber, der im Schein der Flamme einen hochroten Kopf hatte. In der Hand hielt er ein Bier, wie alle anderen. Auch mir bot man umgehend eins an, offenbar sah ich so aus, als würde, könne ich es gebrauchen.
      „Ja“, sagte ich freundlich. Noch während ich mich nach einem Platz umsah, zog Lars mich zu sich.
      „Wir haben schon viel gehört“, fügte Nour hinzu.
      „Nur Gutes, hoffe ich“, drückte ich einen Standardspruch heraus, aber bekam diverse Dinge in den Kopf, was genau sie meinten könnte. Das bestehende Gespräch setzte sich fort. Tyrell erzählte, dass noch vor dem neuen Jahr eine Stute aus Deutschland kommen würde zum Training. Ihre Chancen seien gut. In der Heimat fuhr sie bereits in Amateurrennen einige Siege ein, aber es fehlte noch viel zum Derby.
      „Hast du dir schon überlegt, wer sie fahren wird?“, funkelten Nours Augen in Tyrells Richtung, der sich hauptsächlich um die Zucht kümmerte. Das Training übergab er Bruno.
      „Wenn du so fragst, kannst du sie gerne übernehmen“, schlug er vor. Nicht, dass es ihm etwas bedeuten würde, wer welches Pferd trainiert, viel mehr war es die Tatsache, dass er die Damen am Hof glücklich sehen wollte.
      „Vriska, wie sieht das bei dir eigentlich im nächsten Jahr aus?“, fragte Tyrell, nach dem ein Schweigen ausbrach. Natürlich hatte ich darüber viel nachgedacht, aber ich wusste es nicht. Nachdem Lina meine größte Sorge bestätigt hatte, verlief sich der Strom in meinem Kopf in den Sand.
      „Ich lasse es auf mich zukommen“, sprach ich zittrig. Lars legte seinen Arm um mich und mein Kopf senkte sich an seine Brust. Sanft drückte er mir einen Kuss an die Haare.
      „Dressur ist damit wieder Geschichte? Erzähl doch mal“, versuchte Tyrell weitere Informationen zu bekommen. Ehrlich gesagt, wusste er kaum etwas. Seitdem ich Erik hatte und den größten Teil damit verbrachte, ihn zu vermissen, allein in der Hütte, mied ich den Kontakt zu allen Beteiligten. Aber ich vermisste die kleinen Runden, jeden Tag.
      „Lubi soll so gut wie verkauft sein, also fällt die Saison für mich weg. Aber ich drücke mich auch davor, mein Handy anzumachen“, gab ich offen zu.
      „Fahri hat leider einen Sehnenschaden, sonst hättest du den nehmen können. Demnächst kommt noch ein Hengst in den Beritt, der auch auf Turnieren gehen soll“, schlug er vor. Ich zuckte mit den Schultern. Es war mir zu viel, nicht einmal richtig angekommen, fühlte ich mich.
      „Ich hatte ihr Osvo angeboten“, richtete Lars an seinen Vater. Dieser war sich unsicher. Einerseits hielt er die Stute als zu unerfahren und gleichzeitig für zu alt. Glücklicherweise erklärte Tyrell ihm einiges und ein reges Gespräch entstand. Osvo stammt aus einer Linie von erfolgreichen gerittenen Trabern. Seit der Führung von Zuchtbüchern in Amerika, beobachtet man immer häufiger Pferde, die in der Dressur oder Springen erfolgreich Turniere laufen, die auf bestimmte Hengste zurückgehen.
      „Also wenn das so ist“, Bruno nahm zur Stärkung einen weiteren Schluck aus seiner Flasche, „dann solltest du auf jeden Fall Osvo nehmen.“ Mich schockierte es, dass keiner von meinem schlechten Ritt Notiz nahm, oder zumindest Zweifel hegte, dass ich überhaupt reiten konnte. Die Vermutung lag nah, dass sie eben so wenig Ahnung vom Dressursport hatten wie ich.
      „Danke, aber ich saß ewig auf keinem Pferd mehr“, murmelte ich und verkroch mich noch tiefer an Lars Schulter, der immer wieder schief zu mir herunter grinste. Währenddessen war seine Hand immer tiefer gewandert, sodass er zufrieden meinen Po hielt.
      „Das lässt sich doch im Handumdrehen ändern“, grinste Tyrell, „ich halte es auch für wichtig, dass du etwas Abstand von Kalmar nimmst. Die Leute dort scheinen Gift zu sein für deine Motivation.“
      Seine Bedenken waren berechtigt. Ähnliches schwebte mir bereits durch die Gedanken, als ich im Flieger hierher saß. Vor allem wollte Abstand von Niklas nehmen, was angesichts der Umstände, allerdings schwierig werden würde.
      „Mal schauen“, antwortete ich trocken. Mit den Worten öffnete ich die nächste Bierflasche, die neben mir im Kasten stand, an der Tischkante und nahm einen kräftigen Schluck. Für alle anderen war auch die nächste Runde angesagt. Die Stimmung wurde zunehmend gelassener. Bruce erzählte von seinem neuen Hengst aus Island, der ausgezeichnetes Potenzial hatte und eine seltene Zuchtlinie im Papier. Außerdem entwickelte sich Kríts Nachwuchs, Spök, ausgezeichnet. Jahrelang hatte er auf den Tag hin gefiebert, dass seine Ausnahmestute einen vielversprechenden Nachkommen bekommt und offenbar hatte er mit der hübschen dunklen Stute mit heller Mähne und großen Abzeichen, einen gefunden. Ich freute mich für ihn, erst recht, endlich mal wieder was von den Fellmonstern zu hören. Gefangen in meinem Kopf, hatte ich meine eigentliche Leidenschaft vollkommen verdrängt.
      „Du weißt doch, Narcissa kannst du dir jederzeit nehmen“, erinnerte er mich daran, dass er mir die Stute angeboten hatte.
      Die Gespräche setzten fort, auch als Tyrell mit seinem Bruder verschwand, um nach einer der Einstellerstuten in der Box zu schauen, die demnächst abfohlen sollte. So saß ich allein mit Familie Alfvén am Feuer, zumindest für einen Wimpernschlag.
      „Wir werden schon mal in die Hütte gehen“, sagte Nour.
      „Ja, mir ist auch kalt“, fügte ihr Vater hinzu.
      Dann standen beide mit einem breiten Grinsen auf. Lars hatte nicht vor, ihnen zu folgen. Er wollte bei mir bleiben. Noch immer lag sein Arm fest um mich und als seine Familie aus der Sichtweite verschwand, hob er mich auf seinen Schoß. Seine Lust verspürte ich schon eine Weile. Immer wieder funkelten seine grünen Augen, ganz glasig durch den Feuerschein, in meine Richtung. Auch in mir war der Funke übergesprungen. In mehreren Wellen überkam mich ein undefinierbares Zucken, das sich wie tausend Ameisen unter der Haut ausbreitete und sich in der Magenregion sammelte.
      „Du weißt, was dir auch jederzeit nehmen kannst?“, spielte er auf Bruce Angebot an, aber meinte natürlich nicht Narcissa damit. Das hätte Lars wohl gern! Ich gab mich blöd und mich am Kinn. Verführerisch zuckten seine Lippen, ohne etwas zu sagen.
      “Nicht wirklich. Bruce Reitschuli oder was möchtest du mir sagen?”, sprach ich nach reiflicher Abwägung, wie viel Kontrolle ich bereit war, abzugeben. Einen kurzen Halm überließ ich ihn, seine Wunsch zu äußern. Aber er setzte diesen in die Tat um. Ungezügelt fasten seine kalten Hände in meine Hose, um das Shirt heraus zu Friemeln. Gleichzeitig setzten seine Lippen auf meine und die Gehirnzellen schalteten auf Autopilot. Ich war nicht mehr Herr meiner Sinne. Vielmehr überkam es mich mit Glück und Erfüllung und hoffte, dass der stürmische Moment mit ihm gar nicht mehr endete. Aber der frische Wind kletterte wie ein eifriges Äffchen an meinem Unterrücken hinauf, kühlte mich damit in kurzer Zeit herunter.
      “Komm, Drinnen ist wärmer”, flüsterte ich in sein Ohr, stopfte das Shirt zurück und griff seine Hand. Mit großen Schritten zog ich ihn mir nach. Der Weg zur Hütte war kurz und ohne groß darüber nachzudenken, öffnete ich die Haustür. Erschrockene Gesichter blickten uns an. Von einem auf den anderen Augenblick verstummten die Gespräche und eine gähnende Stille legte sich über die Menge. Viele der Anwesenden kannte ich nicht. Langsam schloss ich die Tür hinter mir und begann zu lachen. Sofort setzte auch Linas Schwester ein, die offenbar auch gut dabei war.
      “Tut mir leid für die Störung. Ich bin Vriska, das ist Lars”, erklärte ich kurz.
      “Da lang”, flüsterte ich im nächsten Augenblick dem Kerl neben mir zu, der sich suchend nach dem richtigen Raum umsah. Mit dem Finger deutete ich nach rechts zur geschlossenen Tür, vor der Dog lag und leise mit dem Schwanz aufs Holz klopfte. Lars begrüßte den Hund, aber ich hatte nur die Klinke im Blick. Kaum war sie offen, trabte das gefleckte Wesen hinein und machte sich auf dem Bett breit.
      Geschickt fischten seine Finger nach dem Reißverschluss meiner Jacke, als ich die Tür hinter uns schloss. Er drückte mich an sie und entfernte im Wechsel zu ihm und mir ein Kleidungsstück. Wieder lagen seine wohltuenden Liebkosen auf mir. Das Zittern und Zerren am Körper löste sich wie in Luft auf. Von jemandem begehrt zu werden, fühlte sich befreiend an. Ich spürte das Pochen seines Herzens sehr nah an einem und mit jedem Kleidungsstück, das irgendwo im Zimmer landete, kribbelte es mehr unter der Haut. Schockiert stockte mein Atem, als ich ihn zum ersten Mal in voller Blöße betrachtete. Seine Brust zuckte vergnügt und sein stählerner Bauch, drückte sich immer wieder in den Vordergrund, obwohl als einzige Lichtquelle der kleine Spalt zwischen Tür und Fußboden diente. Ein wohliger und zugleich ängstlicher Schauer durchfuhr mich, aber noch bevor ich mich meiner Angst hingab, legte er seine Hände unter meinen Po und stemmte uns gegen das Holz.
      Der Akt selbst dauerte nur wenige Sekunden, aber war wohl das Beste der letzten Monate, was erleben durfte. Wir verharrten für einen Augenblick, eng umschlugen an der Tür und mir wurde klar, dass wohl auch jeder andere in hörbarer Nähe, davon Notiz genommen hatte.
      “Du warst großartig”, murmelte ich außer Atem, mit meinem Kopf auf seiner kräftigen Schulter abgelegt. Kleine Schweißperlen tropften von seiner Stirn auf meine Brust und als er seinen Mund abermals auf meine presste, schmeckte ich das Salz an einer Zungenspitze.
      “Das höre ich gern.” Lars trug mich vorsichtig auf Bett und beugte sich über mich.
      “Zweite Runde?”, schmunzelte er selbstüberzeugt.
      “Warte, ich habe Durst”, erklärte ich mit trockener Kehle und kletterte zwischen seinen Armen hindurch. Im schlechten Licht suchte ich nach einem Shirt, fand dennoch nur seins, aber dafür eine saubere lange Unterhose. Barfuß huschte ich durch die Tür, versuchte mich möglichst unauffällig an der Maße an Menschen vorbei zu schleichen, was, angesichts der Umstände, unmöglich war. Erst recht aus dem Grund, da Linas Schwester gerade eine neue Weinflasche aus dem Schrank holte.
      “Doch so schlecht, dass du schon wieder da bist?”, gluckste die Brünette, während sie sich an dem Korken zu schaffen machte.
      “Das ist aber lieb”, zog ich spitz die Augenbrauen zusammen und nahm ihr beherzt die Flasche aus der Hand, bevor sie reagieren konnte, setzte ich zu einem beherzten Schluck an. “Aber nein, natürlich nicht.”
      “Hätte mich auch gewundert”, mischte sich plötzlich eine tiefe männliche Stimme ein, die mir, gewiss, bekannt vorkam, “aber was soll man sagen, dumm fickt gut, nicht wahr?”
      Ein tiefes Raunen ging durch die Menge. Glücklicherweise hielt ich die Flasche bereits und setzte sie ein weiteres Mal an.
      „Da kannst du aus Erfahrung sprechen, nicht wahr?“, provozierte ich weiter, obwohl mir im selben Atemzug klar wurde, dass Lina auch noch da war. Flaschi und ich waren jetzt ohnehin schon Freunde, also durfte sie ein weiteres Mal ran. Erst dann drehte ich mich um und Lina lehnte mit hochroten Kopf in ihren Armen auf dem Tisch. Alle anderen Beteiligten lachten, was ich als eher als Übersprungshandlung einschätzte. Ich wäre mir auch unsicher, wie es gemeint war.
      “Wir leiden alle einmal an Geschmacksverirrung und du warst die Größte.” Niklas verschränkte die Arme und lehnte sich weiter in den Stuhl. Das war ein Tiefschlag. Mir blieb der Atem weg und jegliche Begeisterung glitt aus meinen Gesichtszügen. Niemand sagte mehr etwas, sodass die Schritte hinter mir klar ertönten. Eng legte Lars seine Arme über meine Schultern und drückte mich an sich heran.
      “Komm, Kleines. Der hat doch keine Ahnung.” Er gab mir einen seichten Kuss auf die Haare. Der Motor des Lebens kam wieder in Bewegung und ich war froh, dass er mir half. Natürlich nahm er mir meine neue Freundin aus der Hand, um selbst einen Schluck zu nehmen.
      “Der gehört mir”, funkelte ich meine Bekanntschaft an, der ein freches Lächeln auf die Lippen legte. Da ohnehin keiner mehr etwas sagte, liefen wir zurück ins Zimmer, um fortzusetzen, wo wir aufgehört hatten.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 77.570 Zeichen
      zeitliche Einordnung {24. Dezember 2020}
    • Mohikanerin
      Rennen A zu L / Rennvorbereitung | 14. Juli 2022

      Glimsy / Harlem Shake LDS / Eifellust / Global Vision / Fieberglas / Pay My Netflix

      Hätte ich mich nie darauf eingelassen, dachte ich insgeheim, als ich frierend am Hof aus dem Sitz stieg und erst Shaker und dann mir eine Decke umlegte. Vom Kinn tropfte der Dreck aus dem Wald, lief mir langsam am Hals in den Kragen. Ich konnte nicht mehr spüren, ob es Schweiß oder Pfütze war am Körper. Aber immerhin sah Shaker ebenso schmutzig aus.
      Der Sohn meiner Erzfeindin-Stute erledigte seine Arbeit als Rennpferd im Übermaß gut. Natürlich, den Geduldsfaden hatte er von seiner Mutter bekommen, aber ebenso viel geistige Stabilität, wie sein Vater. Vintage wäre von seinem Wesen genau das richtige Pferd für mich gewesen – eifrig, geduldig und Fehler verzeihend. Allerdings lag es außerhalb meiner Macht zu entscheiden, welches Pferd blieb und welches nicht. Deswegen war ich froh, dass ich heute ein weiteres Mal mit Shaker im Training war.
      „Und, wie war seine Zeit?“, hakte Bruno nach und reichte mir Tasse Kaffee, als hätte bereits gerochen, dass ich genau diese dringend benötigte.
      „Der Durchschnitt waren 1:12,5 Heute, also 3 Millisekunden besser als gestern“, erklärte ich. Zuneigend strich ich Shaker über den Hals, der spielerisch mit dem Kopf nickte. Der Strick klapperte am Metall.
      „Dann nehmen wir ihn mit zur Wiederqualifikation. Denkst du nicht auch?“ Seiner Frage bedarf keine Antwort, denn der Hengst zeigte Tag für Tag mehr, was in ihm steckte. Erst gestern, als ich mit den Geschwistern zusammen ein Jogging fuhr, spürte ich deutlich, dass Shaker mehr wollte als neben Glimsy und Vision zu trödeln.
      Wir einigten uns darauf, dass wir am Wochenende ihn mitnahmen. Nour wollte ohnehin heute noch nennen. Nur sie hatte alle Rennen im Umland im Blick, denn ich hatte das Gefühl, wir wären nur noch unterwegs, von einem zum Nächsten.
      „Ach, und noch was“, kam unser Trainer zurück, „du gehst dann nachher noch die Samen holen? Die Tierärztin kommt morgen früh zum Besamen.“ Verdutzt blickte ich ihn an. Ich hörte zum ersten Mal, dass mein Tagesplan offenbar noch eine Autofahrt beinhaltete. Seufzend sah ich in meine Tasse. Das ständige Autofahren ging mir gehörig gegen den Strich.
      „Aber ich wollte noch Eifellust longieren“, sagte ich nachdenklich.
      „Das ist nicht so wichtig. Ich wollte nachher noch eine Runde auf die Bahn mit ihr“, bedachte er.
      „Eine nur?“, grinste ich, bessere Laune in der dunklen Flüssigkeit findend.
      „Nein, eher fünf“, lachte Bruno und klatschte die Hände zusammen. „Siebzehn Uhr dann. Ihr werdet dort erwartet.“
      Prüfend blickte ich auf die Uhr am Handgelenk. Zwei Stunden. Damit hätte kaum Zeit, um mich fertig zu machen und ein weiteres Pferd zu schaffen, also entschied ich mich dagegen, noch Maxou an der Hand zu arbeiten. Je nachdem, wie sie heute unterwegs wäre, könnte es zwanzig oder fünfzig Minuten dauern, bis sie ihre Balance hatte und losgelassen war.

      „Du siehst aber schick aus“, musterte mich Nour, als ich am Auto auf sie wartete. Tatsächlich trug ich meine liebste schwarze Jogginghose und eine offene Bomberjacke, auf der Nase meine Brille, denn schon ganzen Tag über juckten die Kontaktlinsen tierisch.
      „Nur für dich“, scherzte ich.
      Sie nickte belustigt und öffnete das Auto auf Knopfdruck. Die Stöpsel in der Tür schnellten hoch, um die Tür freizugeben. Auch ich stieg ein, schnallte mich an und Nour fuhr los. Es wunderte mich, dass sie das Steuer übernahm, aber ich kommentierte es nicht.
      „Wo müssen wir eigentlich hin?“, hakte ich nach. Die Mission kannte ich, aber den Weg nicht. Ein Grund mehr, weshalb sie fuhr.
      „Rennbahn. Was dachtest du?“, grinste sie. Natürlich. Nour wollte mich nach wieder zu Basti schubsen, wer sonst nichts zu tun hatte, als auf jemanden wie mich zu warten. Im Sitz verschränkte ich die Arme und lehnte mich tiefer in das Polster.
      „Anicura oder Amtstierarzt“, zuckte ich mit den Schultern.
      „Kein blöder Gedanke, aber nein. Man hat uns direkt frisches Sperma abgefüllt und tiefgefrorenes aus Gothenburg geschickt“, erklärte sie.
      „Verstehe. Glimsy soll dann ein Fohlen bekommen, oder?“, hakte ich nach, um das Gespräch am Laufen zu halten.
      „Genau, aber erst mal abwarten. Irgendwas von der Bestellung fehlt noch.“

      Angekommen auf der Bahn stupste mich meine Kollegin von der Seite an. Am Geläuf brannten die Flutlichter und zwei Pferde liefen friedlich ihre Runden. Einen der beiden erkannte ich sofort: Basti und Netflix. Der Rapphengste glänzte erhaben im kalten Licht, erhellte damit den Platz noch stärker. Muskeln zeichneten sich klar am ganzen Körper und man sah ihm den ausgezeichneten Trainingszustand an.
      „Willst du hier Wurzeln schlagen? Einen Moment haben wir noch zum Zusehen“, grinste sie und zog mich am Arm mit. Ich weigerte mich ein wenig, schließlich wollte ich weder seltsam wirken noch ihn stören.
      „Das andere Pferd ist Fieberglas. Seine Erfolgsstute. Sie hatte gerade eine Winterpause aber soll nächste Woche auch wieder Rennen. Du wirst dich noch umgucken. Das Pferd kennt keine Grenzen, die läuft und läuft und läuft“, berichtete sie mir euphorisch. Eine Sache schätzte ich Nour aufrichtig. Es gab keine Konkurrenz, sondern nur Mitstreiter bei den Rennen. Für jeden Sieg freute sie sich, sah in allem etwas Positives. Selbst, als ein Pferd in letzter Sekunde an ihr und Walker vorbeizog, stieg sie grinsend vom Sulky. Sie lobte den Hengst für sein nobles Verhalten und beglückwünschte der jungen Fahrerin für das riskante Manöver.
      Und was Fieberglas betraf: Ich wusste von dem Talent der braunen Stute mit seltsamen weißen Flecken im Fell. Bastis Rennpferde hatte im Blick, ein Vorteil davon, dass Trainingslisten und Starts online einsehbar waren. Mittlerweile sammelte ich einen ziemlich aussagekräftigen Datensatz an. Ich machte mir Notizen zu allem Warnung fand. Nenne mich verrückt, aber ich brauchte es am Abend, um überhaupt ein Auge zuzubekommen. Lars belächelte mich dafür und zweifelte an meinem geistigen Zustand.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 5861 Zeichen
      zeitliche Einordnung {März 2021}
    • Mohikanerin
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      Hufschmied / Falzeisen aus Aluminium | 22. Juli 2022

      Harlem Shake LDS / Eifellust / Astronaut in the Ocean LDS / Steinway HMK

      Bevor es zu den Rennpferden auf die Halbinsel ging, prüfte ich den Beschlag auf einer Veranstaltung für Zuchtpferde. Dabei war auch ein schwedisches Warmblut aus dem Königsstalls. Der braune Hengst hatte während seiner Präsentation sein Eisen verloren. Der eigene Schmied stand nicht zur Verfügung, weshalb ich zähneknirschend die Aufgabe übernahm. Interessiert blickte mich das Pferd an und hielt still, als ich den letzten Nagel herauszog. Das Eisen befestigte ich mit gezielten Schlägen wieder an den Huf, nach dem ich die Wand etwas zurecht geraspelt hatte. Damit war es bereits erledigt und man bedankte sich bei mir.
      Auf dem Weg zum Gestüt der Earles begann es zu regnen, so sehr, dass ich zweifelte, überhaupt anzukommen. Durch die Baustelle vor Ort war der Kiesweg eine einzige Schlammschlacht, bestehend aus tiefen Furchen der Bagger, und bereits in der vergangenen Woche blieb ich stecken, als ich bei den Isländern war. Nur mit dem Traktor konnte man mich aus der Hölle befreien. Glücklicherweise kam ich durch und stellte das Auto vor der Halle ab.
      “Oh, Lars! Was machst du denn den hier?”, fragte ich überrascht, als ich den jungen Mann sah, der mit meinem Sohn befreundet war. Nicht daher kannte ich ihn. Er und sein Vater waren bekannt von den Rennen. Ich selbst betreute auch einige Rennpferde, der Grund, wieso ich überhaupt aus Vaxjö hier heraus fuhr. Zudem stimmte die Bezahlung.
      “Wir sind nun hier angestellt. Zufall, va?”, grinste Lars selbstgefällig und strich der braunen Stute neben sich durch die Mähne. Zutraulich streckte sie ihren Kopf in seine Richtung.
      “Verstehe. Dann werde ich auch anfangen. Drei heute?”, hakte ich nach. Die Tasche stand bereits neben mir im Gang und ich sortierte noch einige Werkzeuge in meine Hose, um schneller arbeiten zu können. Bei der Kälte dauerte es ohnehin etwas länger, bis die Eisen in ihrer Form waren.
      “Eifellust und dann noch die beiden Jungs, Shaker und Astro. Vriska kommt dann gleich, ich muss noch drei Pferde fahren. Also bis später”, verabschiedete sich Lars und verschwand mit einem Halfter. Die Stute war ruhig, so störte es mich nicht, wenn ich einen Augenblick allein war. Interessierte spitzte sie die Ohren, während ich die Hufwand kürzte und den Strahl schnitt. Auch ihre Sohle richtete ich etwas, damit sie mehr Fläche zum Auftreten hatte.
      Vriska kam erst dazu, als ich beinah fertig mit dem Pferd war. Sie holte Shaker und Astro. Sie reinigte die Hufe. Gleichzeitig formte ich die Aluminium Hufeisen und brachte Eifel in ihre Box. Zwei Stunden beendete ich meine Arbeit.

      © Mohikanerin // 2558 Zeichen
    • Mohikanerin
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      Routineuntersuchung | 04. August 2022

      Astronaut in the Ocean LDS / Harlem Shake LDS / Eifellust

      Bei meinen Stammkunden ging es heute mal wieder um das Check Up dreier Pferde. Als ich dort ankam, wartete Nour bereits mit den beiden Hengsten Astronaut in the Ocean LDS und Harlem Shake LDS. Beide untersuchte ich ohne große Probleme und konnte keine Mängel entdecken. Die junge Dame verräumte die beiden Hengste und kehrte mit einer zierlichen braunen Stute zurück. Das Tier war neugierig, aber ein wenig sensibel, weshalb ich mir für ihre Untersuchung und wenig mehr Zeit nahm. Wie bei den Hengsten auch, fand ich bei der Stute nichts, was einer Zuchtschau im Wege stand.

      © Wolfszeit // 574 Zeichen
    • Mohikanerin
      Rennen L zu M | 18. August 2022

      Astronaut in the Ocean LDS / Harlem Shake LDS / Eifellust / Global Vision / Sturmglokke LDS / Fieberglas / Pay My Netflix

      Dick einbandagiert standen Astro und Sturmi in ihrer Box, den Kopf leicht hängend und die Augen schwer. Die beiden Hengste hatten ihren ersten Heat des Tages hinter sich und warteten auf den zweiten. Besonders stolz waren wir auf den Falben, der im Gemüt seinen Mittelpunkt fand. Zuvor lief er unter dem Sattel, denn die Sulky jagten ihm eine höllische Angst ein. Je öfter er das Klappern hörte, sich den Geräten mutig näherte, umso gelassener wurde er. Zwischendurch setzte ich mich in den Rennsattel, um kleine Trainingseinheiten im hohen Tempo zu absolvieren. Er machte seine Sache gut. Die Zeiten sprachen für sich, so war es nicht verwunderlich, dass wir einen Käufer im Ausland fanden, der ihn gerne hier im Training lassen wollte.
      Lars führte Astro aus der Box und ich Sturmi. Synchron nahmen wir die Bandagen ab, legten die Unterlagen zusammen und packten die Gurte auf den Rücken. Die Hengste wurden wacher, wussten genau, dass es ein weiteres Mal auf die Bahn ging. Aufgeregt traten sie auf der Stelle, aber folgten Gehorsam aus dem Stall. Noch immer war es kalt und matschig, weshalb wir einen anderen Weg zur Bahn nahmen, entlang an den jungen Bäumen zu den Pferden auf der Weide und dann über das Sandgeläuf zur Grasbahn im Inneren. Die erste halbe Runde fuhren wir Schritt, bevor wir in den Trab umstellten und ein Intervall nach dem nächsten fuhren.
      Parallel dazu waren Bruno und Nour mit zwei anderen Pferden auf der weiteren Grasbahn, die einige Meter kürzer war. Shaker und Vision wirkten aus der Ferne stark geschwitzt, aber ebenso begeistert von dem Wetter. Die kühle Luft war nahezu erfrischend, denn der Wind hielt sich noch zurück.
      Eine Runde nach der anderen kamen wir der Zielzeit nah, sodass wir rechtzeitig zurückkamen. Die Hengste fertigte ich ab für die Box, denn Lars wollte noch vor dem Sonnenuntergang mit Eifellust raus. Er holte die Stute, legte ihr alles an und war dann auch fast weg.
      Für mich hingegen ging es nach Kalmar. Basti bot mir an, seinen Hengst besser kennenzulernen. Er wartete bereits im Stall auf mich und begrüßte mich freudig. Netflix und Fieber spitzten interessiert die Ohren. Ich half ihm, die Wagen anzuhängen und wir fuhren in den Wald. Die Stimmung war gedrückt, zwischen uns schwebten weiterhin ungeklärte Themen, aber ich dennoch blieb ich dankbar für die Möglichkeit. Netflix zeigte sich geduldig, ebenso überrascht, dass ich ihm Freiraum gab. Neben mir tänzelte Fieberglas her, die das langsame Tempo nicht wollte. Im Wald angekommen, erhöhten wir zum Trab.

      © Mohikanerin // Vriska Isaac // 2523 Zeichen
      zeitliche Einordnung {April 2021}
    • Mohikanerin
      Beritt / Dressur E zu A | 30. Oktober 2022

      Meltdown / Pay My Netflix / Sisko / Eifellust

      An einem frischen Tag, wie er heute war, fiel es einem nur schwer aus dem Bett zu kommen und in der Dunkelheit über 50 Pferde zu versorgen. Im Gegensatz zu vielen anderen Betrieben half ich mit bei der Fütterung als Chef. Ein Trog nach dem anderen füllte ich auf, bis endlich die Tiere gefüttert waren und ich mit den Berittpferden begann. Zu Besuch waren zwei Hengste aus einem anderen Stall, die seit einigen Tagen sich eingewöhnten. Sattelzeug kannten sie bereits und die Anfänge des Einreitens waren ebenfalls bekannt. Somit lag die Konzentration auf Hilfen und den Grundlagen unter dem Sattel. Ebenso hatten auch wir zwei Pferde, Eifel und Sisko. Beide Tiere waren deutlich weiter in der Ausbildung. Auch die fleißigen Mädels am Hof halfen tatkräftig mit. Bereits nach drei Wochen kannten die Berittpferde die Grundlagen und in Zusammenarbeit der Besitzer, setzten wir die Ausbildung mit einer Einheit pro Woche fort.

      © Mohikanerin // Tyrell Earle // 923 Zeichen
    • Mohikanerin
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      kapitel trettionio | 01. November 2022

      May Bee Happy / Maxou / Ready for Life / Nachtschwärmer / Glymur / Hending / Shakesbeer LDS / Meltdown / Blávör / Northumbria / Binomialsats / Harlem Shake LDS / Nobelium / Eifellust / Eichkatze / Fire to the Rain LDS / L‘Épirigenys LDS / Satz des Pythagoras / Form Follows Function LDS / Drivblesa / WHC' Humanoid Crashtest
      HMJ Divine / Selva / Verita

      kapitel trettionio
      FREITAG, 14:20 UHR
      LINDÖ DALEN STUTERI

      Vriska
      Schlaflos lag ich die halbe Nacht neben Lars, bis er gegen vier Uhr genervt wollte, dass ich Basti anrufe. Ich haderte mit mir, aber tat es schließlich. Müde meldete er sich auf der anderen Seite. Im nächsten Moment wurde er hellwach, als ich vorschlug, gemeinsam zu frühstücken. Stunden später holte ich ihn in einer Nebenstraße seines Zuhauses ab und wir fuhren nach Växjö. Zeit zog ins Land, wir lachten und vergaßen alles um uns herum. Erst, als ich auf die Uhr sehen wollte, bemerkte ich, dass mein Handy noch immer auf dem Nachttisch lag. In der Vorfreude auf meinen Angebeteten hatte ich es wohl vergessen, aber bereute es auch nicht. Auf dem Heimweg setzte ich ihn am Hoftor ab.
      „Ich melde mich heute Abend“, sagte er beim Aussteigen und ich nickte eifrig.
      Am Auto zogen die Bäume und Häuser vorbei. Im Kopf summte ich die Melodie von Midnight City, obwohl am Himmel noch die Sonne stand, zumindest wenn sie zwischen den Wolken eine freie Stelle fand. In einem warmen Licht gehüllt, glänzten die Dächer und viele der Pflanzen trugen schon ihr grünes Kleid. Kein schlechtes Gefühl lag in mir, nur die Freude vom bisher erhellenden Tag. Wir hatten kleine Zärtlichkeiten ausgetauscht, nicht vergleichbar mit der plötzlichen Nähe im Stall, aber jede noch so winzige Berührung, brachte starke Welle hervor.
      Kaum stand mein Auto wieder auf dem Parkplatz, tippelte ich zielstrebig auf den viel zu hohen Schuhe in den Stall, mein Gang wenig elegant, aber ich wollte mein Pony sehen, das ich am Morgen verpasst hatte. Auch Happy sollte seine ausgiebige Einheit von Nähe bekommen, bevor wir eine Runde in den Wald nehmen würden. Das enge, aber lange Kleid hielt in an den Seiten nach oben, um es vor dem Dreck zu schützen. Beinah kreischend begrüßte mich das aufgedrehte Pony.
      „Alles gut“, rief ich zu und versuchte noch schneller zu ihr zu gelangen. Dann hatte ich es geschafft, stand eher kippelig vor ihr, während sie ihren Kopf durch die Öffnung reckte und sich ausgiebig am Ohr kratzen ließ.
      „Oh, da steht ein Geist auf der Stallgasse“, schallte ein scherzhafter Ausruf durch die Gasse. Im Stalleingang zeichnete sich eine zierliche, kleine Silhouette neben den Umrissen eines Pferdes ab, die unverwechselbar zu einer Person gehören musste. Ich hatte sie zunächst nicht sehen können, wie auch. Meine Brille lag ebenfalls auf dem Nachttisch neben dem Mobilgerät. Lange war ich nicht mehr so überstürzt los wie an dem Tag.
      „Absurd, Lebewesen lösen sich nicht in Luft auf“, schüttelte ich den Kopf belustigt. Mit zusammen gekniffenen Augen beäugte ich Lina, die glücklicherweise von selbst näherkam, so dass ich mich nicht direkt wieder bewegen musste. Gleichgewicht hatte ich grundsätzlich genug, aber diese Melodie in meinen Kopf provozierte beinahe, dass ich mich drehen und wenden sollte.
      “Normale Lebewesen nicht, Hexen wie du offenbar schon”, lachte sie, “Wo hast du denn gesteckt?” Die rabenschwarze Stute, die sie am Strick mit sich führte, streckte interessiert die Nase zu mir hinüber. Freundlich strich ihr über das samtweiche Fell.
      „Unterwegs“, grinste ich über beide Ohren und sprach damit nur das Offensichtliche aus.
      „Darauf wäre ich jetzt aber nicht gekommen”, rollte Lina mit den Augen. Prüfend musterte sie mich, bevor sie weitersprach: “Dem Anschein nach warst du nicht allein unterwegs, sonst hättest du dir wohl kaum die Mühe gemacht, diese Dinger da anzuziehen.” Ihre Augen glitzerten voller Neugierde, als erahnte sie bereits den Grund für meine morgendliche Abwesenheit.
      “Ach, so schwer sind sie nicht anzuziehen, außer man kann keine Schnürsenkel binden”, schaute ich noch einmal die schwarzen Schuhe an meinen Füßen an.
      “Ich zweifle auch weniger deine Fähigkeiten an, dich anzuziehen. Viel mehr vermute ich, dass du jemanden, der nicht dein Pony ist, beeindruckend wolltest”, grinste die Brünette verschmitzt.
      “Maxou würde eine Birne reichen, um beeindruckt zu sein. Aber ja, ganz falsch liegst du damit nicht”, hielt ich mich weiter geheimnisvoll.
      “Warst du bei Basti?”, platze die Frage aus ihr heraus wie eine Flutwelle über einem Damm. Ihre Stute inspizierte derweil den Boden neben ihren Füßen und wirbelte feine Staubwölkchen mit ihrem Atem auf.
      “Mit Basti unterwegs”, korrigierte ich ihre Aussage grinsend.
      “Erzähl, wie war’s?”, quietschte sie freudig, was ihre Stute verwundert, aufhorchen ließ. Auch Maxou spitze die Ohren und erhob den Kopf wieder auf dem Heu. Dann raschelte es in der Box. Das Pony drehte mir den Po zu, denn wirklich etwas aus Taschen konnte ich nicht hervorzaubern.
      Wir setzten uns in Bewegung, denn Redo wollte nicht weiter herumstehen und den beobachten. Ich setzte mich mit übereinander geschlagenen Beinen ihr gegenüber, während Lina den Staub aus dem Fell entfernte. Kaum begann ich zu erzählen, wie es zum Treffen kam, tauchte Nour neben uns auf.
      “Oh, Geschichtsstunde”, stellte sie begeistert fest und setzte sich dazu. Mein Blick wanderte von unten nach oben. Nour konnte man nicht mehr loswerden, also setzte ich das Gespräch fort. Ebenso überrascht, wie auch fasziniert hörten die Mädels meinem Monolog zu, fieberten förmlich in der Freude mit. In beinah jeden Satz musste ich erwähnen, wie schön es war, Zeit mit ihm zu verbringen, auch wenn ich mir dessen bewusst war, dass es nicht viel mehr als Freundschaft darstellte. Zwischendrin seufzte ich, aber bereit für einen Erik Zwei-Punkt-Null fühlte ich mich auch nicht.
      “Das klingt ganz danach, als hättest du einen schönen Vormittag gehabt”, schlussfolgerte Lina grinsend, während sie die Bürste abstreifte. In sanften Bewegungen flirten die kleinen Staubkörner durch die Luft und glitzerten in dem Sonnenstrahl, der zwischen den Wolken her brach, bevor sie zu Boden trudelten.
      “Vriska, darf man fragen, was Basti gestern Abend meinte, als er sagte, er sei auf der Flucht?”, schob sie eine Frage hinterher, die allem Anschein nach bereits eine Weile in ihrem Kopf herumspukte.
      „Vor seiner Freundin“, führte ich an.
      Laut stöhnte Nour neben mir auf und hielt sich die Hand die Stirn.
      „Du kannst dir nicht vorstellen, was sie für ein Drama gemacht hat“, begann sie zu erzählen. Bastis genauen Beweggründe wusste ich nicht, fragte aber auch nicht danach, solang es ihn zu mir führte. „Erst muss sie wirklich jedem unter die Nase binden, dass sie endlich schwanger sei und doch so unabhängig, aber schickt dann Basti von einer Sache zur nächsten. Nicht mal das Pferd schaffte sie allein zu putzen, als hätte sie eine ernsthafte Behinderung.“
      Ich konnte es mir gut vorstellen und rollte mit den Augen.
      “Ui, das hört sich nervtötend an. Verständlich, dass man so jemandem lieber aus dem Weg geht”, verzog die Kleine missbilligend das Gesicht, “Mein Beileid an alle, die das ertragen müssen.”
      “Vor allem”, Nour schlug die Beine zur anderen Seite über, “keiner von uns ist sich wirklich sicher, dass er der Vater ist.”
      Verwundert drückte ich die Brauen zusammen und drehte mich zu meiner Kollegin. Auch Lina putzte nur noch dieselbe an der Sattellage mit der Gummibürste.
      “Muss ich es hinterfragen?”, kam es kleinlaut aus mir heraus, denn eigentlich wollte ich mich solchen Gerüchten nicht hingeben, aber in der Situation war zu verlockend.
      “Nur so viel, Lars ist fest davon überzeugt, dass etwas falsch läuft. Basti und Nelly sind schon länger nicht mehr so fest miteinander, also nicht wie ihr beide. Erst durch dich lief das Fass über oder war zumindest ein Auslöser für ihre krampfhafte Eifersucht.”
      “Ach, das kommt mir doch bekannt vor”, sagte ich lachend zu Lina.
      “Oh ja, du scheinst solche komplexen Situationen magisch anzuziehen”, sprach Lina nachdenklich, als sie ginge sie die Kette der Ereignisse in Gedanken noch einmal analytisch durch.
      „Ein Träumchen“, lachte ich.
      „Jetzt seid doch mal still!“, ärgerte sich Nour, dass ich sie unterbrochen hatte.
      „Und jetzt versucht sie dich loszuwerden”, beendete sie die Erzählung.
      “Ahja, gut. Dann wünsche ich ihr viel Spaß dabei. Für solch einen Kindergarten ist mir allerdings meine Zeit kostbar”, stellte ich nüchtern fest. Die Frau kannte mich nicht und ich sie nicht. Dass ihr plötzlicher Hass nicht von irgendwo kam, konnte ich noch nachvollziehen, aber es gehörten mindestens zwei dazu. Kopfschüttelnd richtete ich mich auf. “Aber wunderbar, dass ihr alle so großes Interesse an meinen Beziehungen hegt.”
      “Ja, das Interesse an den Mitmenschen ist hoch”, grinste Lina unschuldig, “außerdem passiert hier sonst nicht wirklich viel Interessantes.”
      “Harlen schleicht sich seit ein paar Tagen nachts aus seiner Hütte”, funkelten Nours Augen plötzlich auf. Für einen Moment hatte ich verdrängt, dass mein Bruder noch existierte, schließlich bekam ich ihn nur noch selten vors Gesicht.
      “Nun, vielleicht geht er mit dem Hund?”, verzog ich skeptisch das Gesicht.
      “Nein, er fährt mit dem BMW dann los”, grinste sie, “außer er möchte woanders mit dem Hund gehen, aber dann nachts?”
      “Oha, ob dein Bruder versucht eine Liebschaft zu verstecken?”, kicherte die Brünette, deren helle Augen sofort begonnen hatte zu leuchten, als hätte man Lichter hinter dunklen Scheiben eingeschaltet.
      „Bisher hat er es doch mit Jonina getrieben, kaum vorstellbar, dass er woanders hinfährt“, blieb ich unbeeindruckt.
      „Und warum sprechen sie nicht mehr miteinander? Ich denke nicht, dass er zu ihr fährt“, stellte sie fest.
      „Dann frag ihn doch“, zickte ich und drehte mich auf den Hacken um. Wenn er sich nicht für mich interessierte, tat ich ihm gleich. Soll er doch von Bett zu Bett springen, das geht mich nichts an.
      “Ist ja gut, du möchtest darüber nicht sprechen”, beschwichtigte Lina sogleich, “kein Grund gleich unfreundlich zu werden.”
      „Er hasst mich, also was erwartet ihr? Dass ich Luftsprünge mache, weil er glücklich ist?“, jammerte ich mit versagender Stimme und schielte zu Happy, der seinen Kopf aus der Box streckte. Da war es wieder. Ich musste mich bis morgen entscheiden, aber hatte es vollkommen vergessen.
      “Warte, wie kommst du denn darauf, dass es dich hasst?”, hakte sie irritiert nach und versuchte sich einen Zusammenhang zu erschließen.
      „Weil er seit Weihnachten nicht mehr mit mir gesprochen hat und bis heute der Meinung ist, dass ich keine Lust auf die Familie hätte, deswegen mich überall einmische und keine Ahnung habe“, ratterte ich herunter, obwohl ich überzeugt war, sie würde das bereits wissen. Sie seufzte, strich ihrer Stute dabei über das dunkle Fell.
      “Fall es dich beruhig, ich habe seit über drei Jahren nicht mehr richtig mit meinem Bruder geredet“, scherzte sie selbst ironisch, bevor sie zurück zum eigentlichen Thema kam.
      “Ignoranz heißt noch lange nicht, dass Harlen dich hasst. Vermutlich versteht er nur nicht, was in dir vorgeht und was deine Beweggründe sind und wenn ihr nicht sprecht, ist es einfacher sich selbst eine Meinung zu bilden”, sprach sie mit bedacht.
      „Du kannst auch nicht erwarten, dass jeder auf dich zugeht, sondern auch Interesse an ihm zeigen“, belehrte Nour. Sie war weniger bemüht, die Worte durch die Blume hinwegzusagen und wirkte auch nicht sonderlich begeistert von mir.
      Ich nickte nur, wollte mich auf keine Diskussion einlassen. Stattdessen verschwand ich über den Kiesweg, der sich noch immer durch tiefe Furchen der Baufahrzeuge auszeichnete. Wie ein Storch torkelte ich zur Hütte und war froh, endlich die zwanzig Zentimeter unter mir los zu sein. Ich zog mich um und startete währenddessen die Kaffeemaschine. Es bereits auf meinem Plan zu arbeiten, aber eine innerliche Kraft wollte nicht, dass ich zurück zum Stall ging. Für heute musste ich mich dem Gefühl widersetzen. Und ich tat es. Umgezogen, abgeschminkt und mit der Brille auf der Nase lief ich zurück. In der Hand hielt ich die Kaffeetasse, aus der es dampfte. Behutsam trug ich sie bei mir und war überrascht, dass die Mädels noch immer an Ort und Stelle verharrten.
      „Es ist ziemlich absurd, dass du solch Scheußlichkeiten denkst“, hörte eine zu sehr bekannte Stimme sagen. Natürlich mussten sie sich wieder einmischen, aber vielleicht war es auch angebracht. Genervt und verärgert nahm ich mir dennoch vor, zu sein.
      „Du hast mich doch vollkommen aus deinem Leben gestrichen. Was soll ich sonst denken?“, versuchte ich, meine zitternde Stimme zurückzuhalten, aber selbst meine Hände bebten.
      „Lass uns allein sprechen“, schlug Harlen vor und sein Blick wechselte zwischen den beiden Mädels, die beinah enttäuscht waren.
      „Wieso? Ich habe nichts zu verheimlichen“, spielte ich auf Nours Gerüchte an.
      „Nun gut“, seufzte er und setzte sich hin. Ich stellte jedoch nur meinen Kaffee bei ihm ab, um Happy aus der Box zu holen. Irritiert sah mich mein Bruder an, aber ich konnte beides verbinden und tat dies auch. Der Hengst folgte mir beinah seines Namens entsprechend und legte nicht einmal die Ohren an, als wir an Redo vorbeikamen. Ihr mangelndes Interesse war wohl der ausschlaggebende Grund.
      „Ich hasse dich nicht“, stellte Harlen klar.
      „Okay“, nickte ich und bürstete und großen kreisförmigen Bewegungen den Rippenbogen des Fuchses. Dieser döste mit dem Huf angewinkelt.
      „Es ist nur so, dass du dich vollkommen abschottest und ich nicht mehr die Geduld habe, dir nachzulaufen“, erklärte er weiter.
      „Und deswegen ignorierst du mich?“, stoppte ich das Putzen für einen Moment und sah zu ihm.
      „Du kommst nie von selbst“, blieb er in seiner Verteidigung. Verwundert sah ich ihn an.
      Ich war oft im Büro, auch wenn er nur selten dort zu finden war, was mich, angesichts seiner Arbeit, verwunderte.
      „Das stimmt so nicht“, mischte sich Nour ein, „Du bist kaum da. Leider muss deine Schwester in dem Punkt in Schutz nehmen.“
      „Viele Termine finden auswärts statt, das stimmt“, ging er nur halbherzig an ihre Aussage heran, „aber gut. Dann sind wir uns einig, dass wir uns uneinig sind und machen so nicht mehr weiter?“
      „Wenn du meinst“, zuckte ich mit den Schultern.
      „Ich nehme das als ein Ja. Ach, wenn ich schon mal hier bin. Was ist mit dem Fuchs? Willst du ihn oder nicht, die Besitzer haben vorhin schon wieder gefragt“, wechselte Harlen schlagartig das Thema.
      „Erst gestern hat man mich damit konfrontiert. Lina hat über ein halbes Jahr darüber nachgedacht ein Pferd zu kaufen und ich soll mich innerhalb von vierundzwanzig Stunden entscheiden?“, eine Augenbraue zog ich nach oben. In Harlens Gesicht erkannt ich, dass er genauso gut wusste, wie ich, wie schwer mir kluge Entscheidungen fielen und ich besonders bei Pferden vorsichtig war.
      „Die Mädels können dir bestimmt helfen“, lächelte er aufmunternd. „Sonst halte ich sie weiter hin, schließlich hast du auch fast Geburtstag, also gönne dir mal etwas Ruhe.“
      Mit diesen Worten verabschiedete er sich und verschwand zum Tor hinaus. Ich stand mit den beiden in der Gasse, einer schockierter als der andere. Gekonnt hatte ich auch meinen Geburtstag in vier Tagen in den Hintergrund geschoben, denn damit jährte sich auch Jennis Tod.
      “Habe ich das richtig gehört, Happy soll verkauft werden?”, hakte Lina erstaunt nach.
      “Das stand doch schon von Anfang an fest, nur, dass es direkt passieren soll”, ich seufzte und fummelte an seiner Mähne herum, die lockig am Hals herunterhing. “Mir fällt es schwer, ihn ernsthaft, so für immer zu nehmen.”
      “Das kann ich verstehen, solange kennst du ihn ja noch nicht”, nickte sie verständnisvoll.
      „Ich kenne da eventuell, wen“, kam Nour zu Wort. „Alexa sucht ein Pferd zum Trödeln und bisschen Turnier, wenn es sich ergibt. Wenn wir ihr sagen, dass das Pferd noch weiterhin Beritt benötigt, sollte das kein Problem sein. Durch die Kinder hat sie ohnehin nicht so viel Zeit.“
      „Und was möchte sie dann mit einem Pferd?“, wunderte ich mich, auch wenn es nicht meine Angelegenheit war.
      „Zum Ausreiten, Liebhaben. Was nun mal Freizeitreiter mit ihren Tieren tun“, zuckte sie mit den Schultern.
      „Okay, dann schlage ihr ihn doch vor“, sagte ich.
      „Es ist Bastis Schwägerin, falls dich das besser stimmt“, fügte sie hinzu und tippte währenddessen auf dem Handy. Dann hob sie es an. Ich nahm einen großen Schritt zur Seite, um nicht im Bild zu sein. Nour grinste sofort.
      „Sie fragt, wann sie vorbeikommen kann.“
      Mit Fragezeichen in den Augen blickte ich zu Lina, die Redo den Sattel festzurrte und zur Trense griff.
      “Idealweise noch heute”, schlug sie vor, “Je schneller das Problem gelöst ist, desto besser.”
      Ich nickte zustimmend.
      Kaum waren die Worte aufgesprochen, texten die beiden weitere Nachrichten hin und her. Ich putzte gleichzeitig den Fuchs weiter und Lina setzte ihren Helm auf.
      „Sie fragt, ob jetzt geht, also so in dreißig Minuten“, sah sie vom Gerät auf.
      „Ja, ich schätze schon. Ich weiß nicht, was die Besitzer sich vorstellen, aber das sollte in der Zeit herausgefunden werden können“, versuchte ich zu lächeln, aber konnte mich noch nicht mit dem Gedanken anfreunden. Happy war sensibel und an mich gewöhnt. Jemand Neues könnte ihn meilenweit zurückwerfen, aber so gab es zumindest die Chance, es zu kontrollieren. Also stimmte ich zu und machte mich direkt auf den Weg zum Büro. Vorher stoppte ich noch bei Lina.
      „Wo gehst du mit ihr hin?“, fragte ich nach, um mit Happy etwas vorausplanen zu können.
      “Ich wollte in die Halle gehen”, gab sie mir bereitwillig Auskunft.
      „Okay, würde es sich stören, falls sie auch in die Halle möchte? Sonst biete ich ihr nur den Platz an?“, fragte ich nach.
      “Nein, absolut kein Problem, die Halle ist ja groß genug”, lächelte Lina froh gestimmt.
      Ich bedankte mich und huschte hoch ins Büro. Es dauerte nur ein paar Sekunden, dann hatte ich die Besitzerin am anderen Ende. Ihr erläuterte ich die Situation sehr genau, dass ich ihn mochte, aber nicht bereit für ein eigenes Pferd war – von dem Pony wusste schließlich kaum einer – aber bereit wäre, den richtigen Besitzer zu finden. Sie freute sich darüber, erst recht, dass ich bereits jemanden hatte.
      „Aber, was ist mit Hending?“, fragte diese zum Schluss. Ach ja, der Mini Tinker kam in dem Zuge ebenfalls zum Hof. Bisher kümmerte sich Lina um die Kleine.
      „Die können wir ebenfalls vermitteln“, bot ich an. Mir wurden noch die Preise erläutert und ich würde von beiden fünfzehn Prozent des Erlöst bekommen, fand ich mehr als fair und damit beendete ich das Gespräch.
      „So, alles geklärt. Ich soll beide Pferde vermitteln und habe volle Freiheit bekommen“, sagte ich grinsend, auch laut genug, dass Lina es hören konnte.
      “Perfekt, dann muss das nur noch funktionieren, mit Happy. Das Fusselmonster bekommst du sicher leicht vermittelt”, hallte eine Antwort durch das Gebäude.
      Ihre positive Einstellung schlug nur für einen Wimpernschlag auf mich über, denn dann wurde ich nervös. Ich wusste nichts über die Dame und konnte mir nur schwer vorstellen, welche Auswirkungen es auf die Beziehung zwischen Basti und mir bedeuten könnte. Wusste sie davon? Am besten, ich würde all das ignorieren. Das Herz überschlug sich und ich musste mich setzen. Mein Kaffee stand noch immer dort, mittlerweile kalt. Leise seufzte ich, aber sippte am Rand der schwarzen Tasse. Ich kam zur Ruhe. Nour sprang zur gleichen Zeit auf und lief hinaus. Immerhin hatte ich Happy schon vorbereitet, also konnte nichts mehr schiefgehen.
      Eine große blonde Dame lief neben Nour her, lachte freundlich und sah sich im Gebäude um. Ihr folgte Hedda, die freudig auf mich zu gerannt kam.
      “Vriska”, kreischte sie meinen Namen durch den Stall. Der Hengst streckte auf, aber beruhigte sich im nächsten Atemzug. Der Rotschopf stellte keine Bedrohung dar und wollte nicht zu ihm.
      “Es wird nicht im Stall gerannt, weißt du doch”, erinnerte ich sie freundlich, aber bestimmt. Sie nickte und sah sich zu Alexa um. Die schmale, aber kräftig gebaute Frau sah man nicht an, dass sie Zwillinge ausgetragen hatte. Zumindest dieser Umstand schindete Eindruck. Ihre Gesichtszüge waren trotz des freundlichen Lächelns rau und eingefroren, die Haut angegriffen. Die Haare trug sie in einem lockeren Pferdeschwanz und am Körper eine simple dunkle Reithose, einer hellen Jacke und schwarzen Weste darüber.
      “Nett dich nun auch persönlich kennenzulernen”, reichte sie mir die Hand, „Basti hat bereits einiges erzählt.“
      „Ähm, ja, danke, also“, rang ich nach den richtigen Worten und verspürte genau die Hitze in meinen Kopf aufsteigen.
      „Das ist Happy“, übersprang ich den Teil des Gesprächs. Alexa trat langsam an den Fuchs heran, der erstaunlicherweise die Ohren aufstellte und an ihrer Hand schnüffelte.
      „Keine Sorge, bei uns ist euer Geheimnis sicher“, setzte sie unbeirrt fort.
      „Welches Geheimnis?“, wunderte ich mich sofort.
      „Er meinte, er hätte jemanden kennengelernt und es könnte etwas Ernstes daraus werden“, trat nun bei ihrem gleichen Zustand ein. Obwohl mir ihre Worte das Herz erwärmten, konnte ich nicht genau einordnen, worauf das hinauslaufen sollte.
      „Ähm“, stammelte ich wieder heillos überfordert.
      „Die beiden lernen sich doch erst einmal kennen, Alexa. Nicht jede Beziehung läuft bilderbuchmäßig ab, wie mit dir und Henne. Außerdem kennst du doch Basti“, lachte Nour. Zuversichtlich nickte sie mir zu.
      „Du hast recht, aber ich höre doch immer die Kirchenglocken läuten“, scherzte die Blonde.
      „Happy ist sieben Jahre alt, bis zur schweren Dressur ausgebildet, aber läuft unter mir aktuell nur auf mittlerem Niveau“, betete ich stattdessen die Fakten herunter.
      „Vriska, alles gut. Entspanne dich“, beruhigte mich Alexa, „solang er drei Gänge durch den Wald geht, ist mir alles recht.“
      „Ja, tut er“, nickte ich hektisch.
      „Na dann, wo ist dein Pferd?“, hakte sie nach. Offenbar wollte sie dies sogleich austesten. Schwierig, denn bisher war ich nur mit Sulky im Wald oder allein, zusammen mit einem anderen Reiter versuchte ich zuvor noch nie.
      „Wollen wir nicht erst einmal in die Halle, dass du ein Gefühl für ihn bekommst?“, versuchte ich ihr den Gedanken auszutreiben.
      „Was im Wald nicht funktioniert, wird auch in der Halle nicht besser sein“, ließ sie sich nicht von ihrem Plan abbringen. Im Kopf ratterte unter Bestand durch. Es gab nicht viele sichere Pferde für ein solches Unterfangen. Die verrückten Jungpferde wären genau das Gegenteil und die aktuell rossigen Stuten ebenfalls. Damit blieb nur unser Haflinger Fly, auf dem ich noch nie saß, oder Glymur.
      Unentschlossen stiefelte ich los in den Stall gegenüber. Glücklicherweise traf ich Bruce an, dem ich sogleich die Situation erklärte. Er sah hinter sich die Stallgasse hinunter.
      “Ich dachte schon, dass du nie fragen wirst nach ihm. Also klar, nimm ihn dir ruhig”, lächelte er freundlich. Überschüttet mit tausenden Danksagungen lief ich direkt zu seiner Box, in der er, den Kopf in einem Heuhaufen gesteckt, stand. Ich schnalzte, dann kam der Isländer sofort an. Sanft und beinah in Zeitlupe strich ihm über den Nasenrücken. Im gleichmäßigen Tempo bewegten sich seine Nüstern. Ich war wirklich dankbar für diese Möglichkeit.
      Bei uns im Stall putzte ich den Schecken über, holte meinen so gut wie genutzten Sattel und seine Trense, die damals in Kanada schon hatte. Alles für ihn besaß sich noch, würde es nie weitergeben. Wenig später waren wir bereit.
      Ich half Alexa auf den großen Fuchs und stieg schließlich selbst in den Sattel. Kaum zu glauben, dass es Zeiten gab, in denen ich täglich auf einem Isländer saß und dass etwas anderes Gefühl in Viertakt genoss. Aber mir kamen alte Erinnerungen, gut, denn vor genau einem Jahr kam er zu mir und in mir herrschte noch jene Zuneigung wie zuvor. Mit einem breiten Lächeln thronte ich im Sattel, aber behielt das Paar neben mir in den Augen. Tatsächlich wirkten sie sehr harmonisch zusammen. Der Fuchs prüfte mehrmals, ob ich da war und wunderte sich zu gleichen Teilen über das Pony. Aber seine Ohren waren vorn, nur eins kreiste wie Radiomast und peilte Alexas Stimme ab.
      Schritt, Trab, Galopp – alles testeten wir im Wald und recht schnell stand für die Blonde fest, dass Happy genau das Richtige war. Ich zweifelte noch, denn über den Preis verloren wir bisher kein Wort und wusste, dass das Deutsche Sportpferd auch andere Tage hatte. Schließlich war er müde vom Turnier am Vortag.
      „Du, sage mal“, sagte Alexa und wendete ihr meinen Blick zu, „in Manstrop bist du auch am Montag, oder?“
      Die ganze Zeit hatten wir nur über Happy gesprochen, dass es nun wieder auf das Thema zurückkam, wunderte mich wiederholt.
      „Ja, wir bleiben über die Nacht“, erklärte ich wahrheitsgemäß.
      „Ach, das ist toll“, grinste sie beinah verliebt und klopfte den Hals des Pferdes.
      „Bist du auch da oder weshalb fragst du?“, hakte ich unverfroren nach.
      „Ja, Hennes Stute läuft mit und sein Trainingspferd ebenfalls. Das hat seine Qualifikation letztes Mal bekommen und wird nun vorgestellt“, sprach sie freudig erregt, als wäre es ein großes Jubiläum.
      „Das ist schön“, lächelte ich.
      Abschließend verabschiedete sie sich am Hof. Hedda kam hinter Nour hergelaufen und warf sich mir um den Hals, als wäre ich für immer weg. Morgen würde Alexa noch ein weiteres Mal vorbeikommen und den ganzen Haushalt mitbringen, schließlich sollte der Hengst ein weiteres Familienmitglied werden. Am Montag wollte sie mir die Entscheidung mitteilen. Zeitlich schien es mir gut zu passen. Ich plante, heute Abend mit Happy noch einmal in die Halle zu gehen, nur um sicher zu sein, dass morgen alles passen würde. Mittlerweile stand er in seiner Box. Nur Glymur war noch unter dem Rotlicht und trocknete. Während ich also wartete, dass der Isländer fertig wurde, setzte ich mich auf die Bank gegenüber und holte mein Handy heraus. Gelangweilt swipte ich die Instagram-Timeline hindurch, sah mir Niklas neuesten Bilder an und schaute provisorisch in meine Nachrichten. Tatsächlich hatte mir Basti geschrieben, denn seit dem Nelly wieder aktuell war, kontrollierte sie alles, was er sonst tat – nur hier nicht.
      „Danke für den schönen Vormittag. Aber sage mal, Happy kommt weg? Und Nour dreht ihn Alexa an? Schon ziemlich verrückt. Melde dich bitte, wenn du mehr weißt“, las ich und tippte umgehend eine Antwort: „Bitte, ich bin auch sehr dankbar. Ja, offenbar. Die beiden passen gut zusammen. Sie möchte morgen noch ein weiteres Mal testen und dann bleibt abzuwarten, wie sie sich Montag entscheiden.“
      Kaum war sie Nachricht abgeschickt, öffnete er diese bereits. Es dauerte einen Moment, dann kam seine Antwort rein.
      „Es wäre schön, wenn sie auch wieder ein Pferd hat. Sie hat das Reiten in der Schwangerschaft sehr vermisst. Hat sie sonst etwas gesagt?“
      „Ja, einiges. Unter anderem, dass sie bei uns die Hochzeitsglocken hört, aber den Zahn habe ich ihr direkt gezogen, haha“, formulierte ich möglichst galant, nur wenig über meine eigenen Gefühle preisgegeben zu haben. Obwohl die Nacht gelesen wurde, dauerte es, bis eine Antwort kam.
      „Warum?“, leuchtete einzig das Wort auf dem dunklen Bildschirm.
      „Ist es nicht etwas früh, an eine Hochzeit zu denken?“, tastete ich mich langsam heran.
      „Ach so, ja. Du hast recht. Aber, wäre es in deinem Interesse?“, einerseits erfreute mich seine Frage, andererseits hatte ich Angst, dass ich zu schnell, zu viel Emotionen in ein uns steckte.
      „Ja“, schrieb ich bloß.
      „Ok“, antwortete er, dann tauchten die Punkte auf, „ich möchte dich bei mir haben heute Abend. Kommst du mit zu meinen Freunden und danach schlafen wir im Hotel?“
      Irritiert huschten meine Augen immer wieder über seine Aussage und ich noch nicht ganz begreifen, wieso er, seit dem Abstand derart besessen war. Nicht, dass ich ein Problem damit hatte – ganz im Gegenteil – ungewöhnlich, dafür, dass ihm jeder als kalt und gefühllos bezeichnete. Bevor ich ihm zusagen konnte, kam Lina mit Redo und ich steckte das Handy weg. Aufgeregt brummte Glymur über den Besuch eines anderen Pferdes. Die dunkle Stute beschnupperte ihn kurz, doch hegte kein übermäßiges Interesse an dem Hengst. Lina hingegen begrüßte das kleine Pferd erfreut mit einem Leckerli: “Du hast Glymi hergezaubert, wie schön.”
      „Und wie ist es gelaufen? Gefällt ihr Happy?“, erkundigte sie sich sogleich, während sie ihrer Stute die Trense abzog. Kaum berührte das Leder nicht mehr ihren Kopf, regte sie den Kopf zur Seite und schubberte sich am Anbindebalken.
      “Wenn man aus dem Tor geht, dann hundert Meter an den Stuten vorbei, gelangt man zu den Isländern. Es ist kein Hexenwerk, ihn hierherzuführen”, erläuterte ich grinsend, “und ja, ihr gefällt der Fuchs. Morgen kommt sie mit der ganzen Sippe.”
      “Das klingt, als sei er nahezu verkauft”, lächelte sie.
      “Und ich bekomme fünfzehn Prozent vom Verkaufspreis, also werden neue Sets gekauft”, zog ich wieder mein Handy hervor. Natürlich verspürte ich ein hintergründiges Stechen in der Magenregion, aber bei Alexa hatte ich ein gutes Gefühl. Die Mutter von zwei Kindern war die Ruhe in Person, kam dem Pferd entgegen, ohne dabei sauer zu werden.
      “Bald benötigst du ein eigenes Zimmer nur für Pferdezeug”, scherzte Lina, obwohl sie selbst auch eine beachtliche Sammlung vorweisen konnte.
      “Das aus deinem Mund”, schüttelte ich belustigt den Kopf.

      18:04 UHR

      Stunden später saß ich neben Lina auf der Tribüne, die gespannt zur Reitbahn sah. Sam war mit zwei ihrer Stuten zum Training auf den Hof gekommen. Meine Kollegin wusste bisher nichts davon, bis Mateo kurz vor der Ankunft sie darüber in Kenntnis setzte. Seitdem konnte sie weder stillsitzen noch stehen. Was für mich immer mehr die Rennpferde wurden, drehte sich ihre Gedankenwelt einzig allein, um die schweren Warmblüter aus der Schweiz.
      Ich hatte die Isländer Stute im Beritt, bereits gearbeitet, Crash longiert und war mit Maxou für zwanzig Minuten auf dem Platz. Der raue Wind und der leicht einsetzende Nieselregen verderbten uns beiden die Stimmung intensiv zu arbeiten. Also saß ich nun mit dabei, beobachtete, wie leichtfertig die blonde junge Dame mit dem hellen Fuchs durch den Sand setzte. Verita, wie mir das Pferd vorgestellt wurde, stand an den Hilfen und schwebte im Rahmen ihrer Möglichkeiten über dem Boden. Für eine neunjährige Stute kam sie ihrem Ausbildungsstand nah. Keine schwere Dressur, aber die Anlehnung war da und man sah deutlich, dass Sam am Schwung arbeitete. Einen gewissen Charme versprühten die beiden, aber ich würde mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, dass ich mich darin verlor wie Lina. Es war niedlich und eine gelungene Abwechslung zu den Teppichklopfern in Kalmar, die dort die Halle gescheucht wurden, in einer so engen Montur, dass selbst mir der freie Wille verloren ging beim Zusehen. Vielleicht sorgte schon diese Tatsache dafür, dass ich mich emotional nicht an Happy binden konnte, dem Gedanken, dass ich mich in einem System aus Tierquälerei und Symptome Behandlungen begeben könnte.
      Ich schüttelte mich, um aus dem absurden Teufelskreis in mir zu fliehen. Aber es war auch mein Handy, das Aufmerksamkeit erwartete. Dumpf vibrierte es in gleichmäßiger Tonart auf dem Holz. Für einen Moment sah ich es an, aber dann zog Mateo mein Interesse auf sich. Er kam auf die Reitbahn mit einem weiteren Fuchs, Selva, dem anderen Pferd von Sam und begann ein Hindernis aufzubauen. Die Stute stellte er in der Mitte ab. Ihr Blick rotierte im Raum, aber wie angewachsen verharrte sie.
      „Vriska, sag mal, bist du taub, oder was?”, äußerte meine Kollegin ihren Unmut über das störende Geräusch.
      „Oh“, entfloh es mir als einziges und betätigte den Sperrknopf, ohne überhaupt auf den Bildschirm zu blicken. Wer auch immer anrief, musste warten, bis mein Erstaunen über den strahlenden Fuchs mit Stern nachließ. Doch so weit kam es nicht, denn es läutete immer wieder, bis instinktiv den grünen Hörer betätigte.
      „Wo bleibst du?“, hörte ich fragen.
      „Äh“, wunderte ich mich im ersten Moment. Zu lange benötigte mein Gehirn, um die Informationen zusammenzufassen. „Jetzt schon?“
      „Ja, ich habe die mehrmals geschrieben, dass wir uns früher treffen und ich dachte, du kommst auch direkt“, sagte Basti hörbar genervt, als wäre es ein Weltuntergang, dass für ein paar Minuten nicht am Handy hing.
      “Hui, was hat dich denn gestochen?”, hakte ich flapsig nach und verschränkte den freien Arm vor meiner Brust.
      “Nelly hat davon erfahren, dass wir uns heute getroffen haben von einer Freundin, die uns gesehen hat”, änderte sich seine Stimmenlage.
      “Mh. Und dann soll ich heute dabei sein?”, fragte ich verdutzt nach und sah mit Hilfe suchenden Augen zu Lina, die jedoch Mateo auf dem edlen Ross folgte. Wenn ich es nicht besser wüsste, stellte sie sich sehr genau vor, was wohl unter dem ganzen Stoff stecken würde.
      “Es klingt blöd und ist vermutlich unüberlegt, aber ja. Ich möchte mich ablenken und du bist die Einzige, die mich versteht”, seufzte er niedergeschlagen. Eigentlich fühlte ich mich wie im falschen Film, eher schlecht verstanden als überhaupt, aber gut. Ich musste bei ihm sein, das wusste ich zumindest.
      “Okay, dann ziehe ich mich um und fahre dann los”, redete ich Basti gut zu. Er legte auf und ich steckte das Handy weg.
      “Wenn ich nicht wüsste, dass dein Ritter gerade mit einem Bino kämpfte, würde ich dir diesen wärmstens empfehlen”, flüsterte ich Lina ins Ohr und sah zu Mateo, der mittlerweile über Stangen trabte.
      “Aber dann weißt du ja, dass kein Bedarf nach einem neuen Ritter besteht”, murmelte sie, als fühle sie sich ertappt.
      “Freut mich, dass es bei euch vorangeht”, lächelte ich, “aber meiner weint, ich muss los.”
      “Dann wünsche ich dir viel Spaß beim Trösten”, grinste sie.
      Im Zimmer wechselte ich meine Kleidung, verschleierte die tiefen Augenringe hinter Schminke und lief schließlich zum Auto. Auf der roten Motorhaube reflektierte der Himmel der untergehenden Sonne. Dahinter standen die Pferde friedlich rasend auf der Weide und freuten sich, dass der Frühling in vollen Zügen über das Land rollte und die Weidesaison einläutete. Allerdings kam mir auch etwas anderes in den Blick. Niklas hatte sein, zum Ausgleich aller Minderwertigkeitskomplexe, Auto abgestellt und sah mich leider auch.
      “Offenbar wird der Tag noch besser, wenn du endlich gehst”, grinste er scharf.
      “Denkst du nicht, dass das Thema langsam durch ist? Niemand nimmt dich noch ernst, also kannst du es auch sein lassen”, sprach ich pikiert und öffnete die Tür meines kleinen Autos.
      „Niemand? Da bin ich mir nicht sicher“, hielt Niklas meine Autotür fest, um mich am Losfahren zu hindern.
      „Anstelle mich weiter aufzuhalten, soll ich dir nicht lieber deinen Willen erfüllen“, rollte ich mit den Augen und zog ein weiteres Mal an der Tür, in der Hoffnung, er würde davon ablassen. Das war nicht der Fall, stattdessen grinste er schief. “Zeitweilige körperliche Bedürfnisse solltest du mit deiner Freundin besprechen, nicht mit mir.”
      “Du weißt am besten, dass das etwas ganz anderes ist”, zog er eine Braue nach oben und schien etwas zu erwarten, was ich nicht bieten konnte.
      “Niklas, ich fühle mich nicht wohl in deiner Nähe”, appellierte ich.
      “Nun gut”, seufzte er, “dann lass ich dich in Ruhe.”
      Endlich nahm er die Hand von meiner Tür, die sofort zu zog und den Schlüssel ins Zündschloss steckte. Kaum war dieser gedreht, schloss sich die Zentralverrieglung und ich fuhr vom Hof. Mein Herz raste, ungewiss, ob es am Grund meiner Fahrt lag oder dem ungünstigen Zusammentreffen mit Niklas. Dass er so sehr der Vergangenheit nachjagte, fiel mir schwer nachzuvollziehen. Bis ich bei Bastis Freund an der Tür klingelte, versuchte ich eine Antwort auf die Aktion zu finden, aber es gab keine. Nichts deutete auf seine Motivation hin, einzig Kontrollwahn. Aber es sollte endlich Schluss sein. Ich atmete tief durch und drückte den Klingelschalter bis zum Anschlag. Als hätte Basti bereits durch den Spion geschaut, öffnete sich Tür sofort. Mit einem breiten und erleichterten Lächeln blickte er mich an, um im nächsten Moment in die Arme zu nehmen und fest an sich zu drücken. Er trug einen anderen Duft als sonst, holziger, aber milder für die Nase.
      Der Abend verlief ähnlich wie der vorherige. Den Großteil der Zeit saß ich neben ihm auf der Couch, die Arme locker vor meiner Brust verschränkt und die Männer am Trinken. Wirklich willkommen fühlte ich mich nicht, denn den Gesprächen zu folgen, fiel mir schwer und die Themen waren ebenso oberflächlich, wie ich es aus der Schulzeit kannte. Natürlich zweifelte ich bis spät in die Nacht hinein und schlief sogar an seiner Schulter ein. Irgendwann wurde ich durch ein Flüstern am Ohr geweckt.
      „Wollen wir ins Bett?“, fragte Basti mit lallendem Unterton.
      „Okay“, murmelte ich verschlafen und richtete mich auf.
      “Wir können bei Jan im Gästezimmer bleiben, dann musst du nicht fahren”, schlug er vor.
      Ich nickte und folgte ihm. Meine Brille hielt ich in der Hand, sah also nur halb, wohin ich folgte. Aber das kleine Zimmer war altmodisch, aber wohnlich eingerichtet. An den Fenstern hingen dünne verzierte Gardinen, daneben Vorhänge in Weiß mit einem dunklen Balken unten. Das Bett, auf der nur eine große Decke lag, war ebenfalls weiß bezogen und alle Möbel aus hellem, naturbelassenem Holz. Etwas verloren stand ich an der Tür, während er den Gürtel seiner Hose öffnete und diese herunterzog.
      „Soll ich das Licht ausmachen?“, fragte Basti mit leichter Verwirrung.
      „Äh, tut mir leid“, entschuldigte ich mich, aber konnte Situation noch immer schwer einschätzen. Er lächelte mich an, als könnte er durch meine Augen hinweg, direkt die Gedanken lesen. Neben mir drückte er den Lichtschalter, torkelte zum Bett und schaltete dort eine der Nachttischlampen an. Im warmen Licht zog meinen Pullover aus und die enge Hose, obwohl mich weiterhin das Gefühl beirrte, hier nicht sein zu dürfen. Gerade, als er sein Shirt über den Kopf ziehen wollte, stoppte er in der Bewegung.
      „Ich kann es anbehalten, wenn du dich unwohl fühlst“, lenkte Basti ein. Die Sache war klar: Er konnte Gedanken lesen. Oder Körpersprache lesen.
      “Wie du möchtest”, versuchte ich ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, obwohl es sich falsch anfühlte.
      “Dann behalte ich es an”, beschloss er und legte sich ins Bett. Vorsichtig krabbelte ich dazu. Wie jedes Mal vor dem Schlaf warf ich noch einen Blick auf mein Handy. Tatsächlich hatte Lina mir geschrieben.
      “Dein Ausbleiben deutet wohl auf einen erfolgreichen Abend hin”, war die erste Nachricht, die sie bereits vor geraumer Zeit gesendet hatte. Das hatte sie offenbar direkt dazu veranlasst, noch eine weitere Nachricht zu verfassen: “Dann wünsche ich dir weiterhin viel Spaß mit deinem Ritter.” Am Ende des Satzes leuchtete ein anrüchig zwinkernder Smiley, welches eher untypisch für ihren üblichen Emoji-Gebrauch schien. Später musste sie mir Frage und Antwort dazu stehen.
      “Na, schreibst du deinem Freund noch gute Nacht?”, drehte er sich zu mir. Zweifelhaft huschten meine Augen zu ihm.
      “Natürlich, der vermisst mich ganz doll”, scherzte ich, dabei huschten meine Finger über den Bildschirm, aber Basti nahm es mir weg. Kurz prüfte er meine Reaktion, die es nicht gab.
      “Der wartet sicher auf dich, sonst ist er doof”, lächelte er und legte es auf seiner Seite des Tisches ab. Deutlicher rutschte ich an ihn heran und selbst er, nahm mich näher an sich heran. Obwohl Kuscheln unsere einzigen Zärtlichkeiten wurden, fühlte es sich nach dem perfekten Tag an.

      SAMSTAG, 9:45 UHR
      LINDÖ DALEN STUTERI

      Nach einem gemeinsamen Frühstück trennten sich die Wege wieder. Ein weiteres Treffen wurde nicht vereinbart, was mir einen kleinen Stich versetzte, aber ich musste der Realität ins Auge sehen. Ich war für unbestimmte Zeit seine Ablenkung und nur ein Spielzeug, Forderungen jeglicher Art musste ich zurückziehen und hinunterschlucken.
      Am Hof stand Duschen auf dem Plan. Doch schon auf dem Weg erinnerte mich eine freundliche Nachricht an einen Termin.
      „Hallo Vriska, wir freuen uns schon. Passt die gegen 12 Uhr? Liebe Grüße, Alexa“, schrieb sie. Auf dem Bildschirm starrend, lief ich zur Hütte.
      „Hallo, ja passt. Bis später“, antwortete ich nur und steckte das Handy weg. Die rote Batterie am Bildschirmrand versuchte mir schon seit einer Weile zu signalisieren, dass es Zeit war, dem Gerät keinerlei Beachtung zu schenken.
      „Guten Morgen“, trällerte Lina mir mit bester Laune entgegen, als ihr Weg sie zufällig, oder wohl eher gezielt, zu mir führte.
      „Du hast am Fenster gewartet oder steckt ein Schäferhund in dir?“, kicherte ich beiläufig, aber hielt bei ihr an. Offenbar bewirkte Niklas Wunder oder es waren die weiteren Freiberger in dem Gastpferdestall, die sie am frühen Morgen in Samu-Laune versetzte. Vermutlich war es von allem etwas, während meine Stimmung eher gedrückt auf meinen Schultern lag, was ich mit Höflichkeit bewusst überspielte.
      „Vielleicht ein wenig von beidem“, grinste sie und probierte, nicht einmal ihre Wissbegier zu verbergen, „Wie war dein Ausflug?“
      “Aufschlussreich, denke ich. Du bist offenbar mein Freund. Ansonsten ziemlich eintönig, aber solange er mich bei sich haben möchte, werde ich da sein”, erklärte ich meine Motivation. Vielmehr gab es nicht zu erzählen, außer es interessierte sie, wie viele Biere er trinken konnte, ohne einen Kater zu haben.
      „Cool, ich wusste gar nicht, dass ich zwei Beziehungen führe“, sprach sie erheitert, „Nicht spektakulär, aber entspanntes beisammen sein hat ja auch etwas Schönes.“
      “Das stimmt natürlich”, verschwieg ich alle weiteren Umstände. Bevor ich wieder in mein Loch aus Selbstmitleid versank, verabschiedeten wir uns für den Moment voneinander, denn ihre Pferde hallten durchs Stallgebäude. Das Wiehern könnte auch von Shaker oder Nobelium stammen, so sicher konnte man sich bei dem Geschrei der Hengste nie sein.
      In der Hütte sprang ich unter die Dusche und schnappte mir frische Kleidung. Wie mittlerweile jeden Tag, zog ich keine Reithose mehr an, nur noch Arbeitshosen, denn die meisten Stunden verbrachte ich auf dem Sulky. Seitdem die ersten Jungpferde drei und vier Jahre alt wurden, war es Zeit, sie für die Rennen oder den Verkauf als Reitpferd vorzubereiten. Selbst Zweijährige mussten schon an den Sulky, obwohl Tyrell all die Jahre zuvor versuchte, das System zu umgehen. Ihm gefielen die zu jungen Tiere im Rennen nicht, zu gestresst, vollkommen verrückt.
      Die meisten Jungtiere präsentieren bereits im Training den nötigen Rennwillen und Leistung. Nur wenige Ausnahmen gab es, doch diese waren bereits in neues Zuhause gezogen. Dennoch war jedes Pferd verkäuflich, wie es sich so gehörte, hatte Lars mir an einem Abend erklärt. Nickend nahm ich Tatsache hin, aber hoffte darauf, dass Tyrell Northumbria nur über meine Leiche abgeben würde. Die Interessenten gab es, aber von ernsthaften Angeboten hörte ich bisher nichts – besser so!
      Mit der Kapuze über den Kopf gezogen und den Händen in der Kängurutasche, lief ich zum Stall hinüber. Neugierig stellte Eifel ihre Ohren auf, als ich an der Box vorbeikam und die braune Stute mit den kleinen Abzeichen am Kopf begutachtete. Sowohl auf der Stirn als auch der Nase zeichnete sich eine beinah gleichmäßige Raute ab. Da sie bei Lars im Training stand, fuhr nur er die hübsche Stute. Einzig in die Führanlage durfte ich sie bisher begleiten.
      „Ach, sieht man unseren Topseller auch mal wieder?“, begrüßte mich besagter Herr.
      „Als hätten wir einander gestern nicht angetroffen“, scherzte ich und strich Eifel liebevoll über die Nase. Ihre Lippe bewegte sich interessiert mit.
      „Dennoch habe ich dich bei mir vermisst“, gab er offen zu, „Aber man munkelt, dass du bei Basti warst.“
      „Möglich“, blieb ich verhalten.
      „Auch, wenn mir der Gedanke noch immer nicht gefällt, freue ich mich für dich“, sprach Lars gutmütig, „worauf ich hinaus möchte: Eichi hat sich von ihrer Ankunft gut erholt. Wärst du bereit, dich um sie zu kümmern und zu fahren?“
      Mit weit aufgerissenen Augen sah ich über das Brillengestell hinweg zu ihm hinauf. Obwohl ich nur unklar seine Gesichtszüge erkannt, entzifferte ich Freude darin, die ich auf das Überraschungsmoment schob. Die zehnjährige Stute hatte ihre Rennkarriere zu großen Teilen hinter sich, würde damit ein gutes Pferd für mich sein, weitere Erfahrungen zu sammeln. Ich musste gar nicht lange darüber nachdenken. Wenn Happy nun wegfallen würde, wäre Platz für ein anderes Pferd.
      „Sehr gern“, nahm ich das Angebot dankend an.
      „Perfekt, du hast alle Freiheiten“, erklärte er. „Wie sieht es aus, hast du noch Zeit für eine lockere Runde durch den Wald?“
      „Eine nur?“, gab ich belustigt zurück.
      „Du weißt genau, was ich meine“, wies er darauf hin, dass er ein Jogg fahren wollte, dem ich mir natürlich bewusst war.
      Ich führte meinen neuen Trainingspartner aus der Box. Erst beäugte mich die Stute, schnupperte an der Jackentasche und folgte dann. Mit Ruhe putzte ich das nervöse Pferd über. Sie zitterte am ganzen Körper und wackelte mit der Unterlippe, alles andere als starke Nerven. Wenn sie einen Schritt nach vorn setzte, schob ich sie zurück. Ihr Erinnerungsvermögen sprach für den Namen, den sie trug – Eichkatze. Es fühlte sich an, wie ein unendliches Spiel, kaum setzte sie den Huf zurück und ich kreiste mit der Bürste weiter das Fell, versuchte sie erneut auf Position zurückzukehren.
      „Wusstest du, dass das Stütchen Zweite wurde im Stutenvorlauf?“, fragte Lars und luckte am Balken vorbei zu mir.
      „Welche? Eifel und Eichi?“, holte ich mir genauere Informationen ein.
      „Der plüschige Fuchs, der mich schief anschielt“, legte Lars besonders viel Wert darauf, dass sie nur noch Augen für ihn hatte.
      „Aber warum nur im Vorlauf? Was wurde aus dem Finale geworden?“, hackte ich mürrisch nach.
      „Beim Start gesprungen, das erste und einzige Mal“, zuckte Lars mit den Schultern, „seitdem ging sie von einem Trainer zum nächsten.“
      „Kann ich nicht nachvollziehen, soll das arme Pferd doch in Sportrente gehen. Gibt bestimmt jemanden, der gut mit ihr klarkommt“, sprach nachdenklich und zurrte den Gurt fest. Als würde sie mir zustimmen, wippte sie mit dem Kopf und gähnte.
      „Zumindest im Training ist sie motiviert“, führte er an, aber in seiner Stimme hörte ich Zustimmung meines Vorschlags heraus.
      Auch im Wald unterhielten wir uns weiter darüber, weshalb die Stute im Sport nichts mehr zu suchen hatte. Natürlich kamen wir dabei auch auf Eifel, die ebenfalls schon älter war und Verschleißerscheinungen, wie es in jedem Sport gang und gäbe war, zeigte. Die Aufwärmphase dauerte beinah doppelt so lange, wie die unserer Jungpferde, auch beim Abfahren zählte jede weitere Minute. Sie schwitzte zu stark, schaumig und im Wetterwechsel lahmte Eifel sogar. Heute, an einem eher kühlen Frühlingstag, schwitzten die Stuten schon nach zwanzig Minuten Schritt. Dabei hatten wir noch nicht einmal die Arbeitsphase begonnen. Gegen Wind und eine Erkältung trugen beide eine Nierendecke. Zumindest sollte diese das Schlimmste verhindern.
      Gedanklich bei Happy, aber konzentriert auf den Fuchs vor mir, fuhr ich durch den Sand. Die Pferde hatten wir in den Trab umgestellt und drehten Runde, um Runde. Zwischendurch blickte ich auf den kleinen Monitor vor mir, der zwar voll mit Matsch war, aber die Werte der Stute noch erkennbar. Was auf den meisten Trainingshöfen monatliches Monitoring war, gehörte bei uns zum Alltag. Jedes Pferd hatte am Gurt einen Pulsmesser installiert, der den Herzschlag und die Geschwindigkeit maß und wir konnten diesen Live sehen. Für ihr Alter schlug sich Eichi gut, entgegen ihrer Trainingspartnerin, die zu schnell in ungesunde Frequenzen kam. Lars bremste sie ab und daraus resultierte, dass wir ihn umrundeten.
      „Ich fahre zurück“, sagte er und bremste in den Schritt ab. An Eifels Augen kam das weiß hervor, auch ihre Nüstern pulsierten.
      „Mach‘ das, wir kommen nach“, erklärte ich nachdenklich und legte einen kurzen Sprint ein. Schnaubend kam der Fuchs Tempo. Ihre Hufe trommelten durch den tiefen Sand. Unter mir rasselte der Sulky und die Umgebung verschwamm im Augenwinkel. Gerade, als wir auf Hochtouren kamen, bremste sie aus heiterem Himmel ab, scheute und ich konnte mich am Gestell festhalten. Mit einem Satz sprang Eichi zur Seite. Mir stockte der Atem, aber wir standen und ich saß noch. Direkt stieg ich ab, um mir selbst mit der gefährlichen Situation klar zu werden. Die Stute atmete aus, wie ein Drachen und suchte nach einem anderen Ungeheuer im Busch. Ich sah nichts, hörte nur lautes Rascheln. Was uns beiden das Leben hätte kosten können, blieb im Verborgenen und auch, als wir im Schritt ganz langsam dem Geläuf folgten, trafen wir es nicht erneut.
      Am Hof angekommen, erzählte ich sofort Lars davon, der mich nur skeptisch anschaute.
      „Eichi ist nicht schreckhaft, so gar nicht“, erklärte er ungläubig und klopfte der Stute den verschwitzten Hals. Wieder zitterte sie.
      „Da habt ihr aber ein hübsches Modell am Wagen“, kam ein mehr oder weniger bekanntes Gesicht angelaufen. Abermals zuckte ich zusammen, noch nicht ganz erholt von dem Schock. Es war Bastis Bruder Henne, der, gefolgt von seiner Frau und Zwillingen, die Stute bewunderte.
      „Ja, aber die steht nicht zum Verkauf“, wandte sich Lars ihm zu und begrüßte ihn mit einem beinah brüderlichen Handschlag.
      „Du weißt so gut wie ich, dass jedes Pferd verkäuflich ist“, scherzte dieser.
      „Deswegen sind wir aber nicht hier“, mahnte Alexa, die mich freundlich anlächelte.
      „Schauen kostet doch nichts“, neckte er. Spielerisch rollte sie mit den Augen.
      Ich führte Eichkatze zum Anbinder, während Lars sich mit unserem Besuch beschäftigte. Erst nahm ich den Sulky ab, dann jedes Teil vom Rücken und der Beine. Gleichzeitig genoss sie die verdiente Portion Futter, bevor es zum Duschen, Inhalieren und Trocknen unter das Rotlicht ging. Das betreute mein Kollege, denn Alexa konnte es gar nicht erwarten, Happy auch in der Halle kennenzulernen. Leider hatte ich es aufgrund der Umstände nicht mehr geschafft, ihn zu reiten.
      Ungewiss darüber, welche Laune der großgewachsene Fuchs hatte, führte seine fast Besitzerin ihn aus der Box. Nur für einen Moment legte er die Ohren an. Beim Putzen und Satteln kam sie gut ohne mich klar, was ihr Mann natürlich nutzte, um mich auszufragen.
      „Wie viel soll der Spaß uns hier kosten?“, fragte er mit gezogener Braue. Die beiden Kinder saßen auf der Bank und spielten mit Autos.
      „Welcher Spaß? Happy?“, Henne nickte, „fünfhundertfünfzig tausend Kronen.“ Es war der Anfangspreis und um hundertfünfzigtausend durfte ich lockern.
      „Nun gut“, sagte er, „sollte passen, wenn er das Niveau laufen kann.“
      Gerade als ich ihm sagen wollte, dass der Fuchs in der Lage dazu ist, aber aktuell nicht trainiert, hielt mich Lars mit bohrenden Blicken auf. Er spürte, was ich zu sagen versuchte. Dem Pferdeverkauf ging ich bisher gekonnt aus dem Weg, so veranstaltete ich den letzten mit Lina zusammen, die gekonnt an die Situation heranging. Manchmal beneidete ich sie wirklich für ihre Neutralität.
      „Mein Bruder erzählte vorhin, dass der Fuchs bereits ein Turnier mit dir lief“, führte Henne an.
      „Das stimmt. Seit geraumer Zeit ist er bei mir im Beritt und entwickelt sich stetig weiter“, fügte ich hinzu.
      „Gut, wärst du bereit, das weiterzumachen? So, ein- bis zweimal die Woche?“, fragte er. Darüber musste ich nicht nachdenken, schließlich war dies auch eine der Voraussetzungen, über die Nour Alexa bereits informierte.
      „Beritt? Natürlich. Die ersten zwei Wochen wären ohnehin im gemeinsamen Austausch, dass Alexa ihn besser kennenlernt und ich im Namen der Besitzerin gewährleisten kann, dass er klar im Kopf bleibt“, erklärte ich ausführlich. Zwischendrin nickte Henne.
      „Vriska? Wir sind so weit“, trällerte Alexa freudig erregt. Ich wandte mich von ihrem Ehemann ab und lief vor, um ihr den Weg zur Reithalle zu zeigen. Der Fuchs trat interessiert hinterher, als wüsste er genau, worum es ging.
      Das Probereiten in der Halle begann schwierig. Happy ließ sie nicht aufsteigen, sodass ich ohne Helm mich in den Sattel setzte und zunächst einige Runden im Schritt und Trab einlegte. Genervt schlug er mit dem Kopf, drückte sich wie so oft in die Zügel, um seinen Willen zu bekommen. Zeit zum Ausdiskutieren war nur begrenzt. Mit vielen Paraden bekam ich ihn an die Hand, um nun die Interessentin reiten lassen zu können. Ich hielt ihm am Gebiss und sie stieg auf. Bereits nach einer Runde herrschte diese gewisse Verbindung zwischen den beiden und ich konnte mich entspannt zurücklehnen.
      „Gehst du mit Noby ausreiten oder soll ich ihn bewegen?“, fragte Nour von der Seite und kam mit Blesa gerade aus dem Training. Die kaltblütige Stute pumpte ebenso wie die anderen Pferde.
      „Kann ich machen, wenn du dafür mit Piri fährst“, verhandelte ich.
      „Du willst doch nur nicht mit Lars auf die Bahn“, grinste sie von sich überzeugt, aber stimmte schließlich zu. Er war weniger der Grund für Unwilligkeit, eher die zickige erdfarbene Stute. Wir verstanden uns nie wirklich. Ihre sensible Ader und meine Ungeduld trafen auf einen scheinbar unlösbaren Konflikt, den ich nur schwer zu lösen wusste. Da die Vierjährige aber täglich gefahren wurde, meistens locker für die Ausdauer, musste jeder mal ran.
      „Ist Noby der Braune, in der zweiten Box?“, fragte Henne aus heiterem Himmel.
      „Ja, wieso?“
      „Der stand doch noch vor einer Weile in Malmö und lief dort Monté mit Caro“, musterte er von der Tribüne das Pferd, dessen Kopf interessiert auf der Box lag. Ich konnte der Unterhaltung nur schwerfällig folgen. Der Grund seiner Fragen erschloss sich nicht aus den Fetzen, außerdem war ich mit einem Auge bei dem Fuchs, der fleißig unter Alexa lief.
      „Das ist richtig, aber da wir nun mehr Trainer haben, können wir das Geld sparen“, erklärte ich.
      „Henne, was habe ich zum Thema Pferdekauf gesagt?“, tadelte sie ihren Mann, der sich wieder gerade hinsetzte und zu ihr sah.
      „Ist doch gut, ich frage doch nur“, rollte er mit den Augen und blieb schließlich am Fuchs kleben. Eine Weile ritt Alexa diesen noch, bis sie schließlich abstieg und in der Stallgasse absattelte. Das Geschehen selbst beobachtete ich aus gewisser Ferne. Schwere lag weiterhin auf meinen Schultern, das Gefühl mich einer Aufgabe anzunehmen, der ich nicht gewachsen war. Woher dieses Empfinden kam, wusste ich nicht und selbst, wenn ich mit jemandem sprechen würde, klang es nach wirren Worten. Ein Teil würde wohl von meinem Vergessen kommen, Dinge, die nur um meinen Geburtstag herum aufkamen.
      „Also, wir reden noch am Renntag“, lächelte Alexa beim Gehen. Ich stimmte freundlich zu, obwohl meine Augenlider immer schwerer wurden und ich nicht genau einschätzen konnte, wie lange ich noch wach bleiben konnte. Die beiden schienen zu wissen, was der Grund dafür war, aber lächelten nur. Aus dem Gebrabbel beim Gehen entnahm ich jedoch, dass die gestrige Begeisterung über Basti und mich umgeschlagen war. Weiteres werde ich wohl noch früher erfahren, als es mir lieb war.
      Lina
      In einem flotten Schritt lief der Hengst über den Sand, der gezeichnet von hellen Sonnenstrahlen, gemustert erschien, wie die schuppige Haut einer Schlange. Die sanften Wellen seiner Mähne, die als letzte Spuren von dem Turnier geblieben waren, wogen sanft im Takt der Bewegung. Rambi hatte mich am Donnerstag wirklich überrascht, hatte ich sein Training im Vorhinein nie mitverfolgen können. So erwartete ich, dass er die Flausen, die er unter dem Sattel zeigte, ebenso vor der Kutsche zeigte, doch es kam ganz anders. Kaum hatte Sam begonnen, das ordentlich geputzt Geschirr auf seinem Rücken zu befestigen, wurde der Freiberger zum reinsten Lämmchen. Artig stand er still, interessierte sich kein Stück mehr für die Stuten, die an ihm vorbeiliefen. Mir war fast so, als habe Sam ein anderes Pferd vor der Kutsche. Ausdrucksstark rollte das Gespann über den Sand und vollführt die geforderten Lektionen in Präzision. Es sah leicht aus, wie ein Kinderspiel. Dennoch konnte ich die Performance nicht genießen. Aufgekratzt von meinem eigenen Auftritt und dem ungewöhnlichen Verhalten meines Hengstes, war ich in ständiger Erwartung, dass der Braune losspringen könnte, zuckte bei jeder unerwarteten Bewegung zusammen und krallte mich panikartig an den Arm meines Freundes. Entgegen den katastrophalen Bildern, die mein Unterbewusstsein heraufzubeschwören suchte, bleib Rambi artig. Mit Leichtigkeit gelang es Sam und dem erfahrenen Hengst, die Konkurrenz in dem mittelschweren Wettbewerb zu schlagen, womit auch er eine blau-gelbe Schleife mit nach Hause trug.
      Abrupt kam der Hengst zu stehen und brachte mich für einige Sekunden aus dem Gleichgewicht, als besagte junge Dame fröhlich grinsend am Zaun auftauchte.
      „Oh, du bist bereits fleißig“, begrüßte sie mich, während Rambi neugierig die Nase nach ihrem Kaffeebecher ausstreckte.
      „Natürlich, hast du mal auf dir Uhr geschaut?“, lachte ich, „Die ersten beiden stehen schon wieder glücklich im Stall.“ Wie es den Anschein machte, hatte Mateo seine Schwester schlafen lassen, sodass sie erst jetzt den Weg in den Stall fand. Logisch, wenn man nur zwei Pferde zu versorgen hatte, konnte der Morgen auch gemütlich starten.
      “Ach ja, ist doch noch früh. Kaffee?”, bot sie mir ihre Tasse an. Ich schüttelte ablehnend den Kopf. Wie konnten alle nur dieses Gebräu mögen? Rambi, der noch immer sehr interessiert an dem Porzellan war, steckte kurzerhand die Zunge hinein.
      “Ey, das ist meiner”, beschwerte sich die Blondine und zog dem Pferd die Tasse weg. Irritiert von dem Geschmack auf seiner Zunge, wippte der Hengst mit dem Kopf, streckte die Zunge wiederholte Male aus und schüttelte sich.
      “Offenbar findet er Kaffee genauso doof wie ich”, schmunzelte.
      “Ich weiß nicht, was dein Problem ist, dieser Kaffee ist ganz wundervoll”, entgegnete sie und nahm einen demonstrativen Schluck. Angewidert verzog ich das Gesicht. Lecker, Gebräu mit Pferdesabberzusatz.
      “Na, dann genieße du mal das da, ich mache dann mal weiter”, sprach ich und drückte Rambi sanft die Waden in die Flanken. Gehorsam setzte sich der Freiberger in Bewegung und ich begann ihn zu arbeiten. Das Pferd strotze heute vor Energie, welche es allerdings lieber dafür einsetzte, den vorbeigehenden Stuten schöne Augen zu machen, anstatt das zu tun, was ich von ihm wollte. Die Einheit gestaltete sich zäh und mühsam, was den Machtkämpfen geschuldet war, die Rambi auszufechten versuchte. So bemüht darum, die Oberhand zu behalten, merkte ich nicht, wie Niklas sich am Zaun dazu gesellte, bemerkte ihn erst, als ich den Hengst dort anhielt.
      „Der fordert dich ja ganz schön heraus, hatte ich gar nicht gedacht“, stellte die Blondine fest, die den Hengst bisher immer nur kurz unter dem Sattel sah.
      „Ja, Rambi kann ein echter Sturkopf sein. Du hattest wohl das Glück, die wohlerzogene Hälfte zu erwerben“, lächelte ich. Das Tier, welches nur wenig erschöpft schien, reichte seinen Hals zu Niklas hinüber und knabberte zart am Saum seines Sweaters. Halbherzig rettete er den Stoff vor den Zähnen und kraulte ihm die helle Stirn.
      „Wer sagt denn, dass das meine Hälfte ist?", lachte sie, „Habe ich eben deinem Freund schon gesagt, ich finde, du schlägst dich wirklich gut. Mache nur weiter so, dann ist er unter dem Sattel bald genauso brav.“ Entspannt hatte der Hengst die Augen halb geschlossen und genoss die Massage, die sich mittlerweile bis auf seine Ohren ausweitete. Kein Wunder, diese Finger konnten wahre Wunder bewirken, wenn sie in kleinen Kreisen über müde Muskeln glitten.
      „Danke“, entgegnete ich bescheiden. Bis heute war sie mir ein Rätsel. Bei ihrem Bruder war mir mehr als deutlich, woher die ständige Freundlichkeit rührte, aber bei Sam … außer der Liebe zu derselben Rasse konnte ich bisher nicht herausfinden, was uns verbinden würde und auch ihre ständige gute Laune, war schon beinahe Samu ähnlich. Die Schweizerin wirkte stetig, als wandle sie bereits seit einem Jahrhundert auf dieser Erde und habe längst alles gesehen und dennoch wusste ich kaum etwas über sie und ihren Bruder. Kaum hörte Niki auf den Hengst zu streicheln, öffnete sich die Augen und er stupste ihn fordernd an, das Wellness Programm fortzusetzen.
      „Sieht aus, als sei dir noch jemand verfallen", lächelnd ich und strich dem Hengst durch die lange Mähne. Wieder stieß das Pferd gegen seinen Arm.
      „Ich bin zweifellos unwiderstehlich”, sprach er von seiner Anziehung überzeugt und präsentierte sich wie ein balzender Pfau.
      “Glaubst auch nur du”, schmunzelte ich und funkelte ihn neckisch an. Freundlicherweise öffnete Samantha das Tor, sodass ich es passieren konnte. Ich glitt aus dem Sattel und schob den Steigbügel hoch. Als ich unter dem Hals des Hengstes hindurchtauchte und dieses dort zu wiederholen, war Niklas bereits zur Stelle und lockerte auch gleich den Gurt.
      “Wenn ich so unattraktiv für dich bin, muss ich mir wohl jemand anderen suchen, der mit mir ausreitet. Samantha, hast du Lust?” funkelte er mich dabei herausfordernd an.
      “Sam hat sicher ganz viel zu tun”, intervenierte ich, bevor sie überhaupt eine Chance hatte zu antworten. Ein leichtes Ziehen in der Magengegend schrie danach und beanspruchte augenblicklich diesen Platz nicht der attraktiven Blondine zu überlassen. Auf den Lippen meines Freundes ließ sich ein zufriedenes Schmunzeln erkennen. Er wusste genau, welche Knöpfe er drücken musste, die gewünschten Antworten zu erhalten. In der Ferne ertönte das Knirschen des Kieses unter Autoreifen, bevor das Motorsurren verstummte.
      “Geh du mal mit deiner Freundin ausreiten”, lehnte Sam ab und schielte unauffällig zum Parkplatz, der allerdings zu verborgen lag, als dass man das wirklich etwas dort hätte beobachten können. Wen sie wohl erwartete?
      “Sieht so aus als müsste ich wohl dich mitnehmen”, flüsterte er mir neckisch ins Ohr. Sein warmer Atem strich über die Wange und brachte meine Haut zum Kribbeln, als würde eine Ameisenstraße darüber kriechen.
      “Du bist ziemlich frech”, schmunzelte ich und blickte zu ihm hoch. Im hellen Sonnenlicht erschienen seine Augen in nahezu markloses Blau. Verschmitzt grinste, er streichelte mit seinem Daumen zärtlich meine Wange. In einer zarten Begegnung trafen unsere Lippen aufeinander und sendete kleine Schauer meinen Rücken hinunter.
      “Ich nehme das Pferd dann mal mit in den Stall”, grinste Samantha und griff nach Rambis Zügeln. Mit einem leichten Zupfen daran setzte sie den braunen in Bewegung. Der dunkle Schweif pendelte locker hin und her und trottete artig neben ihr her.
      “Da sollten wir wohl auch hin”, sprach ich sanft und löste mich beschwerlich von meinem Freund. Niklas gab mir einen letzten Kuss auf die Stirn, bevor wir Sam folgten. Smoothie reckte ihren Kopf aus der Box und blubberte leise, als sie ihren Besitzer erblickte, der sie sogleich freundlich begrüßte.
      “Lass dir Zeit, ich gehe erst Sam mit Rambi helfen”, drückte ich ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor Smooth ihn völlig vereinnahmte. Er nickte und betrat die Box der hibbeligen Stute.
      Am Putzplatz war die Blondine schon fast damit fertig unser gemeinsames Pferd abzusatteln, sodass ich gleich sein Futter holte. In der Plastikschüssel landete eine Schippe Kraftfutter mit einem kleinen Zusatz an Mineralstoffen, da Rambi sich ein wenig mäkelig beim anstehend Fellwechsel zeigte. Gierig steckte der Hengst die Nase in die Schüssel und begann sein Futter zu verschlingen. Während wir dem Hengst zusahen, fragte Samantha mich über Mola aus. Mateo musste ihr erzählt haben, dass ich das junge Rennpferd in Ausbildung hatte, was sie zu verwundern schien, konnte sie keine Berührungspunkte zwischen mir und den Trabrennen entdecken. Der Hengst schob die leere Schüssel vor sich her im Versuch, auch noch die letzten Krümmel zu erlangen. Ich nahm den Strick vom Haken und hängte ihn an. Die Schweizerin begleitete uns ein Stück, bis uns ungefähr auf der Hälfte des Wegs ihr Bruder begegnete, von dem sie etwas zu wollen schien.
      Rambi verschwand schnell in der Herde und brachte diese so gleich in Schwung, als zwei jüngere Tiere ihn nicht schnell genug den Weg räumten. Für den Ausritt holte ich mir Brownie vom Paddock. Ich kannte den Hengst bisher nur flüchtig, doch bereits in der Herde wirkte er freundlich. Kaum hatte ich samt Pferd das Tor zur Stallgasse betreten, ertönte eine melodische Tonfolge aus meiner Tasche. Interessiert beschnupperte Brownie das Gerät, dessen Bildschirm ich verwundert anblickte. Eine mir unbekannte Nummer mit kanadischer Vorwahl leuchte auf dem Display. Welcher Unbekannte kontaktiert mich denn aus Kanada, zumal es dort noch mitten in der Nacht sein dürfte. Erwartungsvoll wischte ich über den Bildschirm und das Gespräch anzunehmen.
      "Liiinaaa, gut, dass du dran geht's", quietschte eine Frauenstimme aufgeregt aus den Lautsprechern. Zweifelsfrei war es eine meiner ehemaligen Kolleginnen.
      “Hey, Quinn”, sprach ich freundlich, während ich mit der freien Hand versuchte, die Anbindestricke an seinem Halfter zu befestigen, “Wie geht es dir?”
      “Wundervoll”, tönte es viel zu fröhlich für die Uhrzeit aus dem Gerät. Danach folgte ein zusammenhangloser Vortrag über die neusten Ereignisse auf dem WHC, wovon ich nahezu nichts verstand. Brownie anzubinden hätte sich als ziemlich erfolglos herausgestellt, hätte Niklas dies nicht kurzerhand übernommen.
      “Sag mal Lina, du wohnst doch noch in Schweden?”, schien meine ehemalige Kollegin zu dem eigentlichen Grund ihres Anrufs zu kommen.
      “Ja”, frage ich ein wenig misstrauisch, während ich begann, dem Hengst das schokoladenbraune Fell zu bürsten. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass Quinn ohne Hintergedanken so seltsam fragen würde.
      „Perfekt, dann kannst du uns sicher ein paar sehenswerte Orte empfehlen“, trällerte sie fröhlich. Warte, wer war denn uns und warum wollte Quinn nach Schweden kommen.
      „Du weißt aber schon, dass Schweden nicht nur ein Dorf ist? Du müsstest schon eine genauere Ortsangabe machen“, wies ich sie hin und überlegte sogleich. Ich selbst könnte nur wenig dazu beitragen. In der gesamten Zeit kam ich nur wenig vom Hof und kannte kaum mehr als das nähere Umland und einige wenige nette Ecken von Kalmar, die mir Niklas zeigte. Allerdings lebten ausreichend Menschen an diesem Ort, die dieses Land deutlich besser kennen sollten.
      „Ähm, ja warte kurz“, entgegnete sie. Im Hintergrund hörte ich sie mit jemandem reden, dem Klang nach eindeutig männlich. Ob sie einen Freund hatte? Weswegen würde sie sonst so früh morgens bereits einen Mann bei sich haben?
      „Kalmar“, verkündete sie froh gesinnt, „Raphael und ich kommen zu dem großen Springturnier. Na ja, und wenn wir schon mal da sind, wollten wir uns ein wenig umsehen.“ Der Name kam mir im Zusammenhang mit Springen seltsam bekannt vor, doch woher? Aus der Zeitung vielleicht?
      „Okay, da sollte sich etwas finden lassen, aber ich muss jetzt Schluss machen. Mein Freund wartet“, lenkte ich das Gespräch zum Ende hin, als Besagter mit dem Sattel begann.
      „Prima und viel Spaß euch zwei. Schreibst du mir dann einfach deine Empfehlungen?“, stellte sie eine Rückfrage. Ich nickte, bis mir erst eine Sekunde später auffiel, dass sie es nicht durch das Telefon sehen konnte.
      “Ja, ich schreibe dir nach der Arbeit”, bestätigte ich Hilfsbereich und beendete damit das Telefonat. Smoothie war schon nahezu fertig gesattelt und kratzte ungeduldig mit den Eisen über den Beton. Mit einem leichten Patscher gegen die Schulter, des Schimmels unterband Niki das Verhalten.
      “Gehe ich wohl mal einen Sattel suchen”, grinste ich voller Vorfreude auf den bevorstehenden Ritt und lief in die Sattelkammer, um in der gigantischen Auswahl an Equipment hoffentlich etwas Passendes für den Trakehner zu finden.

      AM ABEND
      Vriska
      „Der hat mich einfach den Sand gesetzt“, erzählte ich wild gestikulierend von meinem kleinen Ausflug in den Wald mit Nobelium. Vermutlich sah der Hengst dasselbe Gespenst wie Eichi am Tag zuvor. Aufgebracht sprang er zur Seite, nur rechnete ich damit nicht und verlor das Gleichgewicht.
      „Aber es ist doch noch alles an dir dran, jetzt rege dich nicht so auf“, versuchte Lars mir mit guten Worten zuzureden. Immer wieder sah er sich um, als würde jemanden suchen oder gar entkommen.
      „Das Gespenst scheint dich nun heimzusuchen“, scherzte ich, aber verzog verärgert das Gesicht. „Ist doch schon gut. Du musst das nicht an mir auslassen.“
      „Alles gut“, lachte er inzwischen und legte freundschaftlich die Hände auf meinen Schultern ab. Dabei drückte Lars leicht in die Muskulatur, als wolle er mich massieren, was zugegebenermaßen im Gehen ziemlich schwierig erschien. „Bleibst du heute eigentlich zuhause oder verschwindest du zu deinem Schwarm?“
      Ich seufzte.
      „Du wirst mich heute ertragen müssen. Es kam bis jetzt keine Antwort, obwohl er die Nachricht gelesen hat, vor Stunden schon“, erläuterte ich niedergeschlagen.
      „Der meldet sich sicher noch“, blieb er zuversichtlich.
      Vor der Hütte klopften wir die Schuhe ab, zogen sie aus und stellten sie auf der Matte innen drin ab. Zunächst drehte Lars die Heizung etwas höher und ich entledigte mich der dicken Jacke. Obwohl der Frühling Einzug behalt, wehte ein klirrend kalter Wind, den man besonders auf dem Weg von der Reithalle zum Häuschen zu spüren bekam. Immerhin konnte man hier in Socken herumlaufen und Shirt. Nacheinander besuchten wir das Bad und zogen uns um, wie jeden Tag, außer einer hatte Weidedienst. Heute waren Nour und Bruno an der Reihe, also konnten wir den Feierabend genießen.
      Nichtsahnend stand ich in der Küche und schnitt Gemüse für das Abendessen klein. Lars erzählte gerade von Ini, die aktuelle noch auf einem anderen Hof trainiert wurde, als es an der Tür Sturm klingelte. Überrascht sahen wir einander an, da öffnete er diese bereits. Zu einem Hallo kam es nicht, stattdessen kam die junge Dame mit kräftigem Körperbau auf mich zu und blickte mich mit erbostem Gesichtsausdruck an. Obwohl ich sie bisher nur einmal gesehen hatte, wirkte Nelly plötzlich so viel größer. Lockere Strähnen fielen in ihr Gesicht, die sie mit den Fingerspitzen hinters Ohr schob.
      „Was fällt dir eigentlich ein?“, keifte sie mit weinerlicher Stimme. Bevor ich überhaupt antworten durfte, klatschte ihre Handfläche auf meine Wange und ich schluckte. Starr vor Angst blickte ich zu Lars, der unseren Besuch bereits von mir wegschob. Wie eine geweckte Katze zerrte sie und versuchte wieder zu mir zu kommen, doch er hielt sie auf.
      „Nelly, Reiß dich zusammen“, versuchte Lars sie zu beruhigen, aber sie hörte ihm nicht zu.
      „Ich bringe sie um“, zeterte sie. Ich schüttelte mich. Obwohl die Handgreiflichkeiten deutlich einen Schritt zu weit gingen, konnte mein Hirn die Umstände nicht einordnen. Durfte ihr Kerl keine weiblichen Freunde haben, wenn man die Situation im Stall ausklammerte? Den pulsierenden Herzschlag spürte ich bis in den Hals, aber drehte mich unbeeindruckt um und schnitt das Gemüse weiter.
      „Warum sagst du nichts?“, provozierte die junge Dame weiter.
      „Merkst du eigentlich noch was?“, stand auf einmal Niklas in der Tür, der offenbar vom Nachbarhaus davon mitbekam. Schlagartig verstummte sie und Lars ließ sie los.
      „Das Flittchen hat sich an meinen Freund herangemacht und mit ihm geschlafen. Was denkst du denn?“, jammerte sie. Ich verdrehte nur die Augen, wollte nicht weiter böses Blut entfachen.
      „Und sagt nicht mal etwas“, fügte Nelly im selben Ton hinzu.
      „Ich weiß nicht, woher du das hast, aber meines Wissens haben die beiden nur im selben Raum geschlafen“, mischte sich nun Lars ein. Interessant, wie schnell eine solche Kleinigkeit seine Runde machte.
      „Trotzdem steht sie auf ihn“, blieb sie ihrem Punkt treu.
      „Und was gehen dich ihre Gefühle an? Letztlich gehören für mehr, zwei Leute dazu. Du solltest lieber mit deinem Kerl argumentieren und nicht mit ihr. Erst recht nicht so“, appellierte Niklas argwöhnisch.
      Als wäre ich taub, widmete ich mich weiter dem Abendessen, obwohl meine Finger zitterten, wie ein Aal und jeder Atemzug in der Brust bebten. Der Sauerstoffmangel machte sich schnell bemerkbar, aber ich versuchte, die Enge zu verdrängen.
      Als sie endlich verschwand, mit Niklas, legte Lars sofort seine Arme um mich und ich begann wie ein Schlosshund zu heulen. Dennoch entging mich nicht, dass er den beiden bis zum letzten Moment nachsah.
      Es war mir zu viel, dass alles, was um mich herum geschah, passierte zu schnell und überschlug sich. Ich hatte die Kontrolle verloren und war kurz davor, alles hinzuwerfen. Keinen Grund fand ich, dass weiterhin zu ertragen. Nun, wo auch Happy praktisch vermittelt war in ein perfektes Zuhause, fehlte mir ehrlich gesagt eine Aufgabe. Rennen waren großartig, aber zu erreichen gab es nichts. Sie fühlten sich beinah, wie die Islandpferde Turniere an, nur dass es um ziemlich viel Geld ging. Doch von Geld hatte ich grundsätzlich genug, auch wenn ich immer mehr an die Tierheime in Griechenland spendete, um das Zeug loszuwerden.
      Schluchzend löste ich mich von den kräftigen Schultern meines Kollegen und drehte mich zum Schneidebrett um. Noch eine Paprikaschote musste ich schneiden, dann konnte alles in den Ofen. Aber während ich versuchte, die Gesamtsituation zu verdrängen, spürte ich Lars‘ Hände langsam an meiner Silhouette herunterwandern. Sein Becken drückte er sanft an mich heran und legte den Kopf auf der Schulter ab.
      „Was wird denn das, wenn es fertig ist?“, fragte ich grinsend nach, obwohl ich überhaupt nicht in der Stimmung war für seine Spielchen.
      „Ich habe dich vermisst“, sprach er mit federleichten Worten, die ohne Nachhall an mir vorbeizogen. Sosehr er auch versuchte durch zarte Bewegungen und Worte, mich in mehr zu verwickeln, gelang es ihm nicht. Mir stand das Wasser bis zum Hals, der Hunger war vergangenen und am liebsten würde ich den Renntag absagen, aber das konnte ich nicht. Es war beinah so, als würde ich all mein Glück herausfordern wollen, denn ich hoffte weiterhin auf Basti.
      Seufzend setzte ich mich auf die Couch, als das Gemüse im Ofen war. Lars legte seinen Arm um mich und ich lehnte an seiner Schulter. Auf dem Bildschirm des Fernsehers flimmerte ein Film, bei dem ich die Hälfte bereits verpasst hatte. Gefangen in meinen Gedanken, starrte ich zwar zu diesem, aber durchlebte das Klatschen und ihre Worte immer wieder und wieder.
      Auch später im Bett, als Lars mich davon überzeugen konnte, nicht allein mit meinen Gedanken zu sein, drehte ich mich von der einen Seite zur anderen. Ich wusste, dass es auf kurz oder lang schwieriger werden würde, aber schon jetzt in Nellys Fadenkreuz zu sein, schüchterte mich ungemein an.
      „Ich muss ihm schreiben“, murmelte ich unüberlegt und griff zum Handy. Lars, von dem ich dachte, er würde bereits schlafen, fasste meinen Arm.
      „Vivi, egal, was sie getan hat, was er gerade erlebt, ist ebenso dramatisch“, seufzte er und zog mich an sich heran.
      „Dann muss ich erst recht, für ihn da sein“, sprach ich meinen Gedanken aus.
      „Warte ab, wenn er dich braucht, meldet er sich“, rede Lars auf mich ein, dass ich schließlich den Plan ruhen ließ. Nicht, dass die Überlegung weiterhin durch meinen Kopf geisterte, aber diese umzusetzen, zog ich zurück.
      Ich starrte hoch zur Decke. An den Wangen flossen abermals Tränen. Kurz schlief ein, um durch einen realistischen Alptraum aufzuschrecken. Tief zog ich die kühle Luft in meine Lungen. An den Fenstern wehten die Vorhänge und ein zartes Licht vom Stall schien hinein. Die Uhr auf dem Nachttisch zeichnete zwei Uhr vierzig ab.
      „Kannst du nicht schlafen?“, richtete Lars sich auf, mit verschlafener Stimme.
      „Ich hatte einen Alptraum“, erklärte ich. Anstelle mich wieder an ihn zu kuscheln und seine Sicherheit zu spüren, warf ich die Decke zur Seite. Die nackten Füße setzte ich auf den kalten Boden, die mich umgehend noch weiter in die Realität holten.
      „Wo willst du hin?“, fragte er, das Licht dabei erleuchtend.
      „Weiß nicht, den Kopf frei bekommen“, legte ich meine Unentschlossenheit offen. Kaum hatte ich mich ins Wohnzimmer bewegt und mir vom Jackenhalter eine übergeworfen, hörte ich Lars‘ Stimme aus dem Schlafzimmer:
      > Väckte jag dig?
      „Habe ich dich geweckt?“
      Möglichst unauffällig versuchte ich dem Gespräch zu folgen, selbst wenn es nur sehr einseitig an mich herankam.
      > Ja, det kan man säga. Är han med dig?
      „Ja, kann man so sagen. Ist er bei dir?“, fragte Lars in sein Telefon und baute Blickkontakt zu mir auf. Natürlich bemerkt er meine Neugier. Undeutlich wedelte er mit seiner Hand. Entweder ich sollte gehen oder zu ihm kommen.
      > Okej. Det tror jag också.
      „Okay. Das denke ich auch“, nickte er dann.
      > Jag försöker. Natt.
      „Ich versuche es. Nacht“, beendete er das Gespräch und legte das Handy zur Seite.
      Erwartungsvoll blickte ich zu ihm, aber in den leicht glasigen Augen und dem beinah leeren Gesichtsausdruck erkannt ich, dass es keine guten Nachrichten gab. Ohne weitere Fragen zu stellen, drehte ich mich weg, setzte die Kapuze auf und verschwand durch die Balkontür. Noch mehr schien mein Leben bedeutungslos und alles verloren. Von Anfang an war mir klar, dass ich meinem Hirngespinst hinterherrannte und in seinen Taten zu viel legte. Es gab kein uns. Vor mir lag eine dunkle Zukunft, die durch die ebenso finstere Vergangenheit immer mehr aufgesogen wurde. Wie konnte ich mir nur einbilden, dass ich endlich das Richtige oder besser gesagt, den Richtigen gefunden hatte?
      In der eiskalten Nacht stand ich abseits der Hütte, den Kopf leicht ins Genick gelegt und starrte hinauf zum Sternenhimmel. Es war eine klare Nacht. Keine einzige Wolke versperrte den Blick auf die Bilder, die sich zeichnen ließen. Als ich jung war, versuchte meine Mutter mir immer wieder zu erklären, was man dort oben entdecken konnte, aber bis heute sah ich nichts. Die leuchtenden Punkte schenkten mir dennoch einen Hauch von Hoffnung und Vertrauen. Tränen lagen mir weiterhin in den Augen, was ich für den Moment mit mir selbst akzeptierte. Nicht jede Situation konnte man kontrollieren oder gar für sich gewinnen. Diese Schlacht war verloren.
      Ich hatte mich auf einer der Bänke niedergelassen, die ich bis dato als unnötig erachtete, als sich Schritte auf dem gefrorenen Kies ankündigten. Langsam öffnete ich die Augen und sah zur Richtung, aus der sie kamen. Entgegen meinen Erwartungen war es Niklas, den es zu so später Stunde noch nach draußen trieb.
      „Was machst du hier?“, fragte er überrascht und setzte sich zu mir.
      „Dasselbe könnte ich dich auch fragen“, lächelte ich wohlgesonnen.
      „Ich schlafe schlecht“, seufzte er, deutlich verhalten. In den kurzen, aber innigen Blicken spürte ich, dass er darüber sprechen wollte, aber meine Reaktion abwartete. Im Magen drehte es sich, was ich am liebsten auf den Restalkohol darin schieben wollte, aber viel mehr war es Niklas. Seine reine Anwesenheit im Abendlicht unter dem herrlichen Sternenhimmel befeuerte Wünsche und Sehnsüchte.
      Ich schluckte, ohne meine Augen von ihm zu lösen. Schief grinste er mich an.
      „Du hast getrunken, oder?“, neckte er.
      „Ja“, murmelte ich und griff nach seinem Arm, um mich eng daran zu winden. „Aber warum schläfst du schlecht?“
      „Es läuft aktuell nicht. Bino macht keine Fortschritte, Form hat ihre Höhen und Tiefen und für Smoothie fehlt mir im Moment die Geduld. Deshalb gibt es Tage, an denen nur den Hengst bewege und für die anderen beiden keine Kraft mehr habe“, sprach Niklas in sich gekehrt.
      „Drei Pferde auf hohes Niveau sind wirklich eine erstaunliche Leistung“, sagte ich anerkennend.
      „Eben drum. Ich konnte nicht ahnen, dass Smoothie wieder auf Turnieren laufen kann“, vorsichtig huschten seine Augen zu mir. Noch immer hing ich an ihm, als wäre ein gefährliches Tier im Busch versteckt und könnte sich jede Sekunde zeigen. Auf seinen Lippen zeichneten sich ein zartes Lächeln und er strich mir über die Kapuze.
      „Was sagt Lina dazu?“, hakte ich nach, denn ich wusste kaum etwas über seine Umstände. Sie sollte ihm eine größere Hilfe sein können.
      „Sie weiß es nicht und hatte auch nicht vor, mit ihr darüber zu sprechen“, in seiner Stimme klang deutlich Scham mit. Wer hätte das nur denken können – der selbstüberzeugte Niklas Olofsson hat Angst, sich Schwäche einzugestehen. Für einen Atemzug zuckte ein schelmisches Lächeln auf meinen Lippen.
      „Eigentlich möchtest du doch Vielseitigkeit reiten, da wäre doch Form eher nebensächlich“, gab ich ihm einen Anstoß, die Pferde zu überdenken.
      „Das stimmt“, hauchte er kleinlaut.
      „Dann wäre es sinnvoll, wenn du sie nur zum Spaß reitest oder gar jemanden zur Verfügung stellst“, erklärte ich weiter.
      „Ach, möchte da jemand meinen Rappen haben?“, scherzte Niklas und legte seine Hand ganz langsam auf meinem Bein ab. Den Blick fixierte er für einen Augenblick zu lang an mir, sodass in Windeseile das Verlangen nach ihm, aus dem hintersten Kämmerchen meines Hirns, angekrochen kam. Wie ein Parasit hielt sich dieses Gefühl in mir fest.
      „Eigentlich nicht, aber wenn du es mir anbietest“, flüsterte ich verführerisch.
      „Das musst du mir erst einmal beweisen“, schmunzelte er. Bisher schien es mir fast unmöglich, dass die erloschene Magie zwischen uns wieder aufflammte. Die Hand auf meinem Bein wanderte bewusst auf und ab, sodass mir für den Bruchteil einer Sekunde das Atmen schwerfiel. Bedrohlich klopfte es bis in meinen Hals und ich meine, sogar sein Herz synchron zu dem meinen zu spüren.
      „Dass ich reiten kann, weißt du doch“, stammelte ich überfordert, wissend, dass die Stimmung zu kippen drohte.
      „Zeiten ändern sich und aus der Übung bist du auch, sagt man sich“, nahm er kein Blatt vor den Mund.
      Abrupt kam der Flirt zum Ende, als aus der Dunkelheit erneut Schritte ertönten. Ich löste mich von seinem Arm, wodurch er die Hand von mir nahm. Jegliche Magie erlosch wieder, was mich einerseits positiv stimmte, andererseits deprimierte.
      „Hier steckst du“, sprach Lars beim Näherkommen leicht außer Atem. „Ich war wirklich überall.“
      „Offenbar nicht überall“, grinste ich.
      „Was macht ihr beide hier?“, fragte Lars, ohne auf meine Antwort einzugehen.
      „Wir haben über Gott und die Welt gesprochen. Wie es nun mal ist, wenn man nicht schlafen kann“, klärte Niklas auf.
      „Es ist halb vier. Und vor allem du, Vivi, sollst besser wieder versuchen zu schlafen“, appellierte mein Mitbewohner, dem ich widerstandslos in wärmere Gefilde folgte.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // 81.448 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Mitte/Ende April 2021}
    • Mohikanerin
      Training / Rennen M zu S | 28. Februar 2023

      Fire to the Rain LDS / Just A Bear / Drivblesa / Eifellust / Sisko

      An einem bewölkten Tag fütterten wir die Pferde in der Früh mit ihrem ersten energiereichen Müsli, als Vorbereitung für den ansprechenden Tag. Gemeinsam fertigten wir die Trainingspferde ab. Sisko, Ini und Eifel standen bereits gegurtet in der Gasse, so fehlte nur noch Lars mit Bear und seine Schwester mit Blessa. Später kamen sie nach.
      Im Wald legten wir nach einer Aufwärmphase an Tempo zu, konzentrierten uns dabei mehr auf Durchlässigkeit und Losgelassenheit. Stress gab es am Renntag genug, so musste dieser nicht im heimischen Training gesteigerten werden. Am Anfang fuhren die Hengste, dahinter folgten die drei Stuten. Nach ungefähr zwölf Kilometern legten wir im Schritt den Rückweg ein.

      © Mohikanerin // 698 Zeichen
    • Mohikanerin
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      kapitel fyratioett | 15. März 2023

      Maxou / Northumbria / Planetenfrost LDS / Astronaut in the Ocean LDS / Outer Space / Moonwalker LDS / Millennial LDS / Eifellust / Harlem Shake LDS / Trotaholic / Pay My Netflix / Meltdown / Fieberglas / Henade / Mockup / May Bee Happy

      Die Fahrt im strömenden Regen hätte nicht schlimmer laufen können. Schon als wir uns zur Fernstraße begaben, eröffnete sich das reinste Chaos auf der Straße – Montage halt. Überall standen LKW und ich musste wirklich in Millimeterarbeit mich einscheren. Hinter uns versuchte Bruno zu bleiben, was ihm nicht immer gelang. Er fuhr allein.
      „Euch jungen Leute möchte ich am Abend nicht stören“, sagte er bei der Abfahrt am Hof. Zudem begründete er seine Entscheidung damit, dass er ungern im Transporter schlief. Verübeln konnte ich es ihm nicht, die Matratzen waren unglaublich unbequem.
      Trotz des Staus kamen wir gut voran. Das integrierte Navigationssystem steuerte uns von der Straße hinunter und wir durchquerten kleinere Dörfer, bis schließlich das Eingangsschild auf der rechten Seite erschien.
      “Können wir bitte endlich was essen?”, quengelte Nour, als alle Pferde in ihren Boxen standen und am Heu zupften. Wir hatten einen eigenen Stallbereich zugeteilt bekommen, den wir mit einem Schloss sichern konnten. Eine Box blieb frei, in der wir das Futter lagerten, Sulky hineinstellten. Gurte und Zubehör hingen im Gang.
      “Ja, bitte, ich verhungere gleich”, übertriebt Lina ein wenig, bei ihrer Zustimmung.
      “Dass ihr immer hunger habt”, scherzte ich leicht genervt, aber nahm ihre Bedürfnisse ernst.
      “Geht ihr beiden doch etwas holen. Wir müssen gleich mit den Heats beginnen”, erläuterte Lars näher und sagte seiner Schwester, was er gern hätte.
      “Damit ihr euch nicht verlauft, komme ich mit”, scherzte Bruno. Mit einem prüfenden Blick sah er zu seinem Sohn, der zuversichtlich nickte. Wir schaffen das zusammen.
      “Soll man dir auch etwas mitbringen?”, fragte Lina mich freundlich.
      “Kaffee, schwarz”, erklärte ich. Beim Aussteigen dachte ich für einen Atemzug über Nahrung nach, doch als ich den weißen Transporter mit blauem Print vor unserem Stallgebäude sah, verging es mir. Nicht nur im Magen lag ein bitteres Gefühl, sondern auch mein Herz trommelte wie Urvolk im Kriegsmodus.
      “Alles klar, wird geliefert”, bestätigte sie, bevor sie mit den anderen beiden verschwand. Als sie außerhalb der Sichtweise waren, lief ich vor den Stall. Lars folgte mir. Bei der Ankunft gehörten wir zu den Ersten, mittlerweile tummelten sich immer mehr Leute auf dem weitläufigen Gelände. Bellend liefen Hunde zwischen den Fahrzeugen und wurden im selben Atemzug von den Besitzern zurückgezogen.
      “Du kannst auch im Raum rauchen”, kam Lars mir nach, als er mein Fehlen bemerkte, “oder wartest du auf etwas?”
      Frech grinste er.
      “Ist doch eklig für euch und nein, ich warte auf rein gar nichts”, versuchte ich mich selbstsicher zu geben. Je öfter ich es mir sagen würde, umso schneller könnte es die Realität werden. Ich warte nicht auf ihn, flüsterte ich mir selbst und zog kräftig an der Zigarette.
      “Na gut, aber ich bleibe besser hier”, lächelte er und begann, mit mir den Tagesplan zu erarbeiten. Genauer gesagt, gingen wir die Rennen durch, schrieben uns genau auf, wann welches Pferd in den Heat sollte und ein Rennen begann. Wichtig hierbei, dass wir nicht davon ausgingen, dass es zum Verzug kam.
      „Lina kann nicht Shaker trocken führen. Das endet in Desaster“, merkte ich an.
      „Wirklich nicht? Aber du magst recht haben, dann mache ich das selbst. Ich habe genügend Zeit, bis Eifel an der Reihe ist“, gab Lars nach und tippte auf seinem Handy die Einigung ein.
      “Was denkst du, Humbria einen Heat oder zwei?”, überlegte ich weiter. Die letzten Trainingseinheiten hatte die Stute mit Bravour absolviert, aber wir kannten diese Bahn noch nicht und gerade in Anbetracht ihres Alters, könnte zwei deutlich angenehmer für sie sein.
      “Zwei, eindeutig. Du kannst im Ersten locker bleiben und im zweiten anziehen, oder noch mal gemütlich außen herum, wenn du das Gefühl hast”, schlug er vor. Damit kam die nächste Planung in den Zeitplan und wir bemerkten, dass wir fertig waren. Im selben Augenblick kam auch das Essen angeflogen. Fröhlich tunkte Bruno Pommes in Mayonnaise und Nour grinste über beide Ohren, mit einer Pizza in den Händen.
      “Einmal Flüssignahrung für dich”, lächelte Lina und drückte mir den Pappbecher in die Hand. In der anderen Hand trug sie eine große Portion Pommes.
      “Tack”, bedankte ich mich und nippte an dem schon abgekühlten Lebenselixier. Ein kräftiger gerösteter Geschmack breitete sich von der Zunge im ganzen Körper aus. Die Wärme brachte eine gelungene Abwechselung.
      “So, aber wir dürfen jetzt nicht Trödeln. Wie weit ist Mill?”, ließ Bruno und nicht einen Augenblick der Ruhe.
      “Eingeflochten, einbandagiert, aber das war es”, erklärte Lars seinem Vater. Gemeinsam stiefelten sie in den Stall und ich verblieb mit den beiden Mädels vor dem Stall.
      “Wir haben sechs Schlafplätze, vier im Transporter und zwei im Hänger. Wo wollt ihr hin?”, brachte ich das nächste wichtige Thema voran, ohne den Blick vom Becher in meiner Hand zu lösen.
      “Transporter”, äußerte Lina sich knapp. Zu beschäftigt war sie damit, die Kartoffelstreifen in sich hineinzustopfen.
      “Planst du etwa etwas, um den Anhänger zu bekommen?”, scherzte Nour und bediente sich bei dem Zwerg. Mit vollem Mund brummte sie eingeschnappt, zog die Pappe aus ihrer Nähe.
      “In einem Hochbett? Klar, immer”, schmunzelte ich.
      “Ich glaube, wenn Vriska Zweisamkeit wünscht, gäbe es schönere Orte”, nuschelte die Kleine.
      “Ach, glaubst du das? In der voll gestellten Box oder den Aufenthaltsraum, der rein optisch seit den Achtzigerjahren nicht mehr renoviert wurde?”, hackte ich weiter nach.
      “Ich denke, die Optik der Räumlichkeit ist im Zweifel irrelevant”, entgegnete sie.
      „Ihr habt wirklich Probleme, hat das euch schon mal jemand mitgeteilt?“, schüttelte Nour belustigt mit dem Kopf, „wir sind wegen anderen Dingen hier. Also Hop.“
      Gerade als sie sich umdrehte und in den Stall laufen wollte, kam Bruno herausgelaufen mit Mill, die eine von den grünen Gesichtsmasken über den Kopf gezogen hatte. Die glänzende schwarze Stute erinnerte an ein Alien, dass den Weg nach Hause nicht mehr fand.
      „Du hättest wenigstens die Schwarze nehmen können“, rief ich ihm nach, aber er reagierte gar nicht darauf, sondern fuhr den Weg zur Bahn hoch.
      “Er beabsichtigt wohl aufzufallen”, lachte Lina.
      “Meine Güte, als würde ein Schecke nicht schon genug Aufmerksamkeit auf sich ziehen”, schüttelte ich den Kopf und folgte schließlich auch in den Stall. Lars saß in dem hässlichen Raum, mit dem Handy in der Hand und grinste.
      “Lina, noch einer, der nach Zweisamkeit sucht”, rief ich durch die Stallgasse und lachte diabolisch. Meine Neugier war heute besonders groß. Ich versuchte ihm das Gerät aus der Hand zu ziehen, aber im selben Augenblick sperrte er es und damit verlor jede Chance auf mehr Informationen.
      “Bist du etwa ansteckend mit deinen Zielen?”, scherzte sie und trat von Neugier getrieben in den Raum ein.
      “Warum denn jetzt ich? Nour hat mir die Worte in den Mund gelegt und du hast dich zuvor bereits nach schöneren Orten umgesehen”, stellte ich empört klar.
      “Habt ihr etwas genommen? Das fängt schon gut an”, packte er sein Handy in die Hosentasche, als würde mich das aufhalten. Spitz grinste Lars und verschränkte die Arme vor der Brust, dass sich der Stoff an den Schultern spannte.
      “Nein, nur der normale Wahnsinn”, sprach die Brünette mit engelsgleichen Grinsen.
      “Also ich weiß, was bei ihm läuft”, kam Nour zur Tür hinein. Natürlich wusste sie es. Nur ihr Bruder entgleisten die Gesichtszüge.
      “Kannst du gar nicht wissen”, verhaspelte er sich beim Sprechen und verlor an Selbstsicherheit.
      “Die junge Dame befindet sich, ich vermute mal ganz stark, in der Nähe und würde dich gern wieder sehen”, wirkte es sehr überlegt, wie sie die Worte wählte. Zur Sicherheit blickte ich zu Lina, ob sie auch bemerkte, wie Lars rot anlief und sein Gesicht versuchte in den Händen zu verstecken.
      “Oha, sag’ nicht, dass du so etwas wie Verliebtheit verspüren kannst”, staunte ich aus vollem Herzen.
      “Dabei bist doch du die mit den Hexenkräften”, scherzte Lina, schien aber ebenso beeindruckt wie ich von Nours Informiertheit.
      “Ihr seid lästig”, beschwerte er sich und sprang beinahe panisch vom Stuhl auf.
      “Wenn du etwas sagst, bist du heute das letzte Mal Walker gefahren”, hörte ich Lars seine Schwester einschüchtern.
      “Zum Glück, darfst du das nicht allein bestimmen”, klärte ich ihn auf, aber er ignorierte uns ab dem Punkt konsequent.
      “Eine Zicke”, schüttelte sie den Kopf und nahm auf dem vorgewärmten Stuhl Platz.
      “Bestimmt die Hormone”, kicherte Lina in sich hinein und wirkte bestens unterhalten.
      Die Geschwister machten ihre Pferde fertig, mit der einfachsten Ausstattung, um möglichst als die Ersten im Heat zu sein. Aus den Gesprächen faste ich auf, dass Lars nicht auf die Bahn wollte, sondern die Trainingsstrecke plante zu nutzen.
      “Wie sieht mein Plan für heute aus, wann soll ich wo sein?”, nutzte Lina die Gelegenheit ihre Aufgaben in Erfahrung zu bringen. Aus meiner Tasche holte ich das Handy heraus und zeigte ihr die sehr lange Notiz. Dabei erläuterte ich möglichst genau, wo sie wann sein sollte. So begleitete sie Bruno und Mill von der Bande aus, sollte er Hilfe benötigen, denn ich musste mit dem mächtigen Falben fahren. Zwischendrin wechselte sie mit Nour ihre Position und bekam die Pferde zum Duschen, so wie in dem Moment. Bruno kam mit dem Alien zurück, das mit weit aufgerissenen Augen und Nüstern zu mir sah.
      Ich zeigte Lina, auch wenn es vermutlich nicht nötig war, wie man die Startnummern löste und den Sulky. Diesen schob Bruno an das Ende des Gangs. Gleichzeitig machte ich die Stute in der Waschbox fest, entfernte auf Zehnspitzen den Gurt und schließlich die Trense. Mit dem Schlauch spülte ich den Schweiß aus dem Fell und übergab Lina das Schweißmesser, um die Abschwitzdecke von Mill zu holen – oder zu suchen.
      “Wir hatten doch Mills Decke eingepackt, oder nicht?”, fragte ich Bruno und wühlte währenddessen in der durchsichtigen Kiste herum.
      “Eigentlich schon, zumindest hatten wir die gestern noch in der Hand”, erklärte der ältere Mann.
      “Hab sie”, hob den Fleece triumphierend in die Luft und legte ihn über das Pferd.
      “Du führst sie jetzt so lange, bis sie normal atmet und abgehustet hat”, drückte ich meiner Kollegin den Strick in die Hand.
      “Okay, bekomme ich hin”, nickte sie und setzte sich mit dem Schecken in Bewegung.
      Es fühlte sich an, wie die Ruhe vor dem Sturm. Auf dem Gelände der Rennbahn begann reges Treiben. Aus den roten Ställen rollte ein Fahrer nach dem anderen und erst, als ich den Rapphengst am blauen Sulky aus dem Trakt nebenan bemerkte, wurde ich mir bewusst, dass der Transporter nicht einfach abgestellt wurde, weil hier genügend Platz war. Wie von einer Tarantel gestochen, sprintete ich zum Tor hinein, um möglichst unbemerkt zu bleiben.
      „Was denn mit dir los?“, wunderte sich Lars, der gerade sein Dress überzog.
      „B-Basti“, brummte ich verwirrt und ließ mich auf der Eckbank fallen.
      Er grinste.
      „Was hast du erwartet? Dass er sich nach der Aktion zurückzieht?“
      Lars hatte recht, aber ich dachte nicht einmal darüber nach, wie es weitergehen würde, sondern verspürte einzig den stechenden Schmerz in der Magenregion.
      „Ich weiß auch nicht“, gab ich zu.
      “Na also, aber bitte entspann dich. Atme tief durch, rauche noch eine und dann machst du Shaker fertig”, schlug er vor, bevor er selbst mit Lina und Bruno zur Bahn lief.
      Das Rennen begann und im Fernseher des Raumes tönte der seltsame Ansager, der diese kleine Veranstaltung deutlich zu ernst nahm. Neben mir zitterte der Fuchsfalbe, den Nour von Anfang an mit Watte ausgestattet hatte. Beruhigend strich ihm über die Brust, aber das Pferd stand vollkommen unter Strom, kaum möglich, den ruhiger zu bekommen. Immer stand er, und tänzelte nicht wie die Stute zuvor von einer Seite zur anderen. Lars kehrte zurück, als ich gerade die Trense anlegte.
      “Vergiss das Capi nicht”, sagte er und reichte mir das Stück Stoff. Bis heute hatte ich den Sinn dieser Dinger nicht verstanden, aber er wusste schon, wieso ich es benutzen sollte. Beim Anspannen des Sulkys half er mir noch, dann schloss ich den Helm und führte das nervöse Pferd hinaus. Mit weit aufgespannten Augen sah sich der Hengst um. Mittlerweile sank die Sonne Richtung Horizont, stand allerdings noch hoch genug, um das Gelände zu erhellen. Kaum saß ich im Sulky, verflog die Aufregung und ich lenkte den Weg zur Bahn ein. Zusammen mit anderen Fahrern bewegte ich ihn im mäßigen Trab über das Geläuf auf der rechten Hand in der äußersten Spur. Einige Gesichter und Pferde kamen mir bekannt vor, aber genaue Namen fielen mir dabei nicht ein. Lina und Bruno waren wohl schon am Stall, zumindest traf ich sie nicht mehr.
      > Parad om tre minuter.
      “Parade in drei Minuten”, hämmerte es durch die Lautsprecher und ich lenkte den mittlerweile ruhigen Fuchs zum Ausgang. Stolz auf ihn klopfte ich seinen Po.
      “Viel Erfolg”, rief ich Lars noch zu, der mir einige Meter entgegenkam.
      Der stressigste Teil folgte nun. Bruno spannte für mich Humbria an, die von allen Pferden am ruhigsten wirkte. Ihre Augen schlossen sich langsam und die Ohren drehten nur bei besonders lauten Geräuschen. Lina nahm mir den Hengst ab, als der Sulky ab war, den ich bei meiner Stute im Gurt einklinkte.
      „Toots“, jammerte ich, dass sie zum wiederholten Mal sich in die Leinen drückte und mir das Leder durch die Finger zog. Lange war nicht mehr derart dankbar, dass ich Handschuhe trug. Eigentlich nahm ich mir vor, erst etwas Schritt zu fahren, aber von meinem Vorhaben hielt sie gar nichts. Wie auf Autopilot geschaltet, trabte sie nach der zweiten Kurve an. Ohne auf jegliche Hilfen zu reagieren, ging es für mehrere Runde voran. Verzweifelt sah ich mich auf dem Geläuf um, aber im Gegenlicht war es schwierig, jemanden zu finden, der mein Pferd stoppen könnte. Humbria raste nicht, ganz im Gegenteil, der Takt war klar und das Tempo entspannt. Dennoch fühlte ich mich hilflos ausgeliefert auf dem Sitz. Zeitgleich zur Ansage des nächsten Rennens konnte ich mich durchsetzen. Als wäre nichts gewesen, lief Humbria die letzten Meter zum Ausgang im Schritt, wartete sogar geduldig, als die Teilnehmer hineinfuhren.
      Mit einem Kopfnicken signalisierte ich Nour, dass sie es schaffen würde. Sie zog sich den Schlauchschal über den Mund und trabte an. Die Parade begann. Kaum verließen das Geläuf, hörte ich meinen Namen hinter mir.
      „Du siehst toll aus im Wangen“, strahlte Alexa und umarmte mich kurz. Zum Glück begegnete ich sie nicht mit Shaker, der hätte weniger gelassen auf jemand Fremdes reagiert.
      „Danke dir, und, was ist mit eurem Pferd?“, fragte ich freundlich, nach dem ich bereits wusste, dass Mads demnächst mit Meltdown starten würde. Ich hatte die beiden auf dem Geläuf bemerkt. Das Tier war ein hübscher Schimmel, viel weiß, mit ein paar dunklen Sprenkeln im Fell.
      „Der war so toll im Heat, aber so sehr ich die beiden Jungs auch liebe – gegen Netflix werden sie keine Chance haben“, lachte sie.
      „Sag‘ das nicht. Wir haben Alfi im Rennen und der ist ein mächtiges Tier“, stachelte ich.
      Ein diabolisches Grinsen lag auf ihren Lippen.
      „Über euren Hengst aus Neuseeland wird tatsächlich viel gesprochen. Denkst du wirklich, dass er den Rappen schlagen kann? Ich meine, seine letzten Formen waren nicht so vielversprechend“, konterte Alexa wissend. Mist, sie hatte sich offenbar mehr mit dem Starten befasst als ich.
      „Wir werden sehen“, lächelte ich und klopfte Humbria den Po. Noch immer stand sie still, musterte nur aufmerksam die Umgebung, als wäre nichts vorgefallen beim Heat.
      „Aber lass die Rennpferde für einen Augenblick ruhen. Ich will Happy!“, platzte es aus ihr heraus.
      „Super, da freue ich mich sehr für euch, aber ich muss in den Stall. Shaker will angespannt werden“, drängelte ich, schließlich begann gleich das dritte Rennen.
      „Ich wollte dich nicht weiter aufhalten. Viel Erfolg! Wir reden später weiter, habe gehört, du hast nachher Geburtstag“, sprach sie freundlich, konnte natürlich nicht ahnen, wie schwer das Thema für mich war.
      „Das stimmt, aber keine große Sache“, winkte ich ab und setzte die Stute schließlich in Bewegung.
      Aus der Kammer hörte ich lautes Schimpfen. Lars saß wieder auf dem Stuhl und schaute zum Fernseher. Das Rennen seiner Schwester begann im selben Moment. Wenn ich richtig erkannt, drängte ein anderer Fahrer sie direkt nach dem Start ab. Moonwalker lief besser, wenn er die erste Position hatte.
      „Sie schafft das“, munterte ich ihn auf, aber er hörte nicht zu. Stattdessen keifte Lars weiter, als würden wichtige Dinge davon abhängen. Lina stand ebenfalls in der Tür, fieberte mit deutlich weniger Elan dem Rennverlauf mit. Genauer gesagt blickte sie auf den Bildschirm, die Arme verschränkt und schwieg.
      „Komm schon“, donnerte es im Raum und nach einem Atemzug der Ruhe, brach Freude aus. Sieg. Lars griff sich seine Jacke und sprang hinaus, lief mich dabei beinah um. Aber ich konnte mich noch an den Halteseilen festhalten.
      Meinen Sulky stellte ich vor dem Gebäude ab, holte den anderen bereits rein. Glücklicherweise dachte Lina mit und duschte Humbria bereits ab, auch wenn ich das selbst machen wollte.
      “Scheint heute gut zu laufen für euch”, lächelte Lina, den Wasserstrahl auf das dunkle Fell der Stute gerichtet.
      „Bisher schon, das stimmt“, nickte ich. Shaker nahm ich die Decke ab und putzte die Gurtlage noch einmal über, bevor ich ihm alles anlegte. Freudestrahlend kam Nour an, in der Hand zwei Schleifen – eine für den Züchter und eine für sie.
      „Herzlichen Glückwunsch“, sagte ich, bevor eine wilde Umordnung der Pferde begann. Wie bei einem Basar tauschten wir einander die Stricke aufs, eins lief raus, während das andere angebunden wurde. Mittlerweile schätzte ich den Luxus im heimischen Stall mit den breiten Gängen und separaten Putzbereichen. Jeden Tag so einem Gewusel ausgesetzt zu sein, würde auch die Tiere stressen.
      „Vivi, du kommst doch mit hoch, oder?“, sprach Nour, als Lars bereits den Fuchs hinausführte und auf den Sulky sprang.
      “Aber es ist so kalt und wir haben hier doch die Übertragung”, jammerte ich.
      “Du klingst, als sei es tiefster Winter, was ist denn mit dir los?”, runzelte Lina die Stirn.
      “Alfi geht gleich in den Heat”, erklärte ich kurz gebunden.
      “Ach, den schaffe ich allein. Der Lars freut sich sicher, wenn du da bist”, mischte sich auch Bruno ein, der im Raum am Tisch saß und vom Apfel abbiss. Seine Tochter stand weiterhin am Ausgang und sah mit stechendem Blick in meine Richtung.
      “Ich fürchte, Nour wächst da fest, wenn du nicht mitkommst”, unterstütze Lina sie nach Kräften. Flüchtend huschten meine Augen durch den Raum. Innerlich zerriss es sich. Sosehr ich Basti sehen wollte, so sehr schmerzte auch der Gedanke, noch weiter in Nellys Radar zu rutschen. Die Gefahr war groß, dass über uns gesprochen wurde, mehr Leute von meinem Interesse an ihm wussten und ich das Gespött der ganzen Bahn darstellte. Zu gleichen Teilen wollte ich den Hengst im Rennen sehen, aber die Angst klammerte an mir.
      „Sie ist betreut die Kinder im Stall“, sprach Nour die richtigen Worte aus, als hätte sie meine Gedanken lesen können. Wie ferngesteuert, bewegte ich mich aus dem Stall, folgte ihr bis zum Geländer. Tatsächlich sah ich niemanden aus dem Stall nebenan, generell schwebte eine gespenstische Leere am Geläuf. Die Fahrer fuhren gerade die Parade und Lars war der nächste. In wenigen Worten wurde unsere Nachzucht vorgestellt.
      “Ganz ruhig, das wird schon“, stupste mich die große Dame an und grinste dabei breit. Hinter uns kamen Schritte näher. Panisch drehte mich um, rechnete mit dem Schlimmsten, aber es war Lina, die wohl nicht allein mit dem älteren Herrn im Stall bleiben wollte.
      “Bin nur ich, kein Grund zur Beunruhigung”, sprach sie freundlich und gesellte sich zu uns.
      Bevor ich auf sie eingehen konnte, erblickte ich ihn. Aus dem Kurvenbogen trabte Basti, ein hübsches, tiefschwarzes Pferd am Wagen. Am Schweif hingen einige weiße Strähnen, die auf einem winzigen Fleck herauskamen. Seine hohen Beinabzeichen waren hinter Beinschutz versteckt. Ole kannte ich bisher nur aus Erzählungen und Bildern. Er trug viel Potenzial im Blut.
      Meine Augen hingen an den beiden und Basti bemerkte es auch. Mit leichtem Zupfen bremste er Ole ab, trabte etwas näher an uns vorbei. Auf seinen Lippen zuckte ein minimalistisches Lächeln, aber ich sah es. Peinlich berührt drehte ich ihm den Rücken zu und senkte den Kopf zu Boden, um Gefühle zu verschleiern.
      “Deshalb so nervös, verstehe”, murmelte die Kleine leise, konnte das Schmunzel auf den Lippen nicht verbergen, obwohl sie noch auszumachen schien, ob diese Begegnung als positiv oder negativ zu kategorisieren war. Die Fahrer wurden durch die Lautsprecher zum Startwagen gebeten und stellten sich der Startnummer entsprechend auf. Für Shaker war die Position vorteilhaft. Kaum fuhr das Fahrzeug vor den Startern davon, setzte unser Fuchs wie eine Rakete voran. Nach einer Runde verlor er seinen aufgebauten Vorsprung binnen Sekunden. Ein Brauner mit auffälliger braun-grüner Ausstattung überholte ihn, dann folgten zwei weitere Pferde, aber noch war die Chance auf Sieg nicht vertan. Die letzte Runde begann und das Renngeschehen wurde interessanter. Nour neben mir schrie wie ein abgestochenes Schwein und andere Leute feuerten ebenfalls ihre Fahrer an. Dann setzte plötzlich Basti an, der bisher die vorletzte Position einnahm. Er wechselte in dritte Spur und flog wie auf Autopilot an allen vorbei, gewann mit Weile. Lars erkämpfte sich den zweiten Platz, auch eine hervorragende Leistung.
      „Das war mal wirklich ein spannendes Rennen“, resümierte Lina ihren Eindruck, die in der Regel eher schwer von dem Geschehen auf dem Geläuf zu begeistern war. Allerdings hatte keiner von uns sie dazu gezwungen hier draußen bei knapp zehn Grad Celsius zu stehen und dem Wind im Gesicht. Alle Fahrer beendeten ihre angefangene Runde, selbst Basti, der eigentlich zum Winners Circle sollte. Tatsächlich fuhr er verdächtig nah in unsere Richtung und stoppte aus nicht ersichtlichen Grund vor uns. Von Panik überkommen, schnappte ich nach Luft und fiel beinah um, als er meinen Namen sagte.
      „Los geh“, tippte mich Nour an. Ich wusste nicht, was er noch formuliert hatte, aber stieg pflichtbewusst über die Bande.
      „Kannst du bitte den Scheck abmachen?“, bat er mich freundlich. Im wahrsten Sinne des Wortes wäre Nour dieser Aufgabe eher gewachsen als ich. Wie ein Äffchen angelte ich mich zum Gurt hinauf, um den Karabiner zu lösen und am äußeren Gebissring zu befestigen.
      „Danke dir, bis gleich“, grinste Basti mir zu, bevor er Ole antrabte und Richtung Tribüne manövrierte. Angewachsen stand ich auf dem Geläuf, blickte ihm verwirrt nach und wusste nicht, wie es weiterging. Die Gefühle überschlugen sich, denn offenbar sollte ich auf ihn warten, aber ich hatte nicht die Zeit, schließlich wollte ich in wenigen Minuten Humbria für den nächsten Heat anspannen. Lars, der sehr zufrieden mit der Leistung wirkte, fuhr vom Geläuf, begleitet von Nour, die ausgiebig den Hengst lobte.
      „Kommst du mit?“, fragte Lina, die ein wenig unschlüssig am Rand herumstand und den anderen beiden hinterher schielte.
      „Basti hat gesagt, dass ich warten soll“, formulierte ich seine Worte etwas um. Skeptisch sah mein Kollege zu mir.
      „Vivi, bitte lass ihn in Ruhe“, appellierte dieser, die Stimme deutlich.
      „Hau ab, du hast keine Ahnung“, zischte ich zunehmend verärgert. In meinen Ohren klang es, als wäre ich diejenige gewesen, die auf ihn zukam, was in der Form falsch war.
      Lars schüttelte den Kopf und setzte Shaker in Bewegung. Dicht gefolgt von seiner Schwester, verlor ich beide aus den Augen, bemerkte nur, dass Lina noch immer bei mir blieb. Sicherheitshalber prüfte ich, ob sich Gesichter aus dem Nachbarstall, aber fand niemanden. Generell waren wir die letzten beiden am Geläuf.
      Vollgepackt kam Basti zurück. Ich nahm ihm die Sachen ab, die er mir gab. Über beide Ohren grinste er und auch mir fiel es schwer, den Blick abzuwenden. Wie an allen anderen Tagen auch raubte er mir den Atem. Sein Gesicht war frisch rasiert und ich konnte einen Rest Geruch von Aftershave wahrnehmen, der mir bei der kurzen körperlichen Nähe entgegenkam.
      „Es tut mir leid“, sagte Basti nach kurzen Schweigen und hielt Ole an, „das hätte in der Form nicht passieren dürfen.“
      „Wovon sprichst du?“, stellte ich mich blöd.
      „Generell“, seufzte er und spielte offenbar auf etwas ganz anderes an.
      „Wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben willst, hättest du mich auch weiter ignorieren können“, schlug ich verärgert vor, im Begriff, ihm seine Sachen wiederzugeben, aber er runzelte die Stirn.
      “Es ist nicht so einfach, wie du dir das vorstellst”, sagte Basti. Ole setzte sich wieder in Bewegung und schnaubte dabei ab. Im Licht der untergehenden Sonne glänzte das verschwitzte Fell in verschiedenen Farben. Sanft tätschelte ich seinen Hals und folgte den beiden bis zum Stall. Den gesagten Worten gegenüber schwieg ich. Alexa stand bereits mit ihrem Mann am Eingang, musterte uns ausgiebig. Ich überreichte ihr die Sachen, versuchte dabei möglichst neutral zu schauen. Mads begleitete sein Bruder ins Innere.
      “Du bist auf sehr dünnen Eis unterwegs”, stellte Alexa gedrückt fest.
      Zustimmend nickte ich. Ohne weiter nachzudenken, drehte ich ihr den Rücken zu, um in den eigenen Stall zu gehen. Lina folgte mir noch immer, ebenso still. Der Tagesplan lüftete sich langsam. Alfi war im Heat mit Bruno, dann folgte das fünfte Rennen, in dem wir keine Pferde hatten und darauf mein Heat mit Humbria. Die Stute hatte ihren Kopf auf der Box abgelegt und ihre Augen drehten verschlafen.
      “Ich denke, ich fahre keinen zweiten Heat”, sagte ich zu Lars, der im Gang stand und seine Schwester beobachtete.
      “Wenn du meinst”, murmelte er desinteressiert.
      “Du machst das sicher richtig”, zeigte wenigstens Lina Interesse an meinen Worten.
      Als wäre die Gesamtsituation nicht weit genug im Keller, stand im nächsten Moment Nelly in der Tür. Freundlich grinste sie und alle an. Selbst mich, die sie am liebsten umgebracht hätte. War das Thema geklärt oder hatte sie auch Stimmungsschwankungen? Etwas in mir, wollte dem auf den Grund gehen, aber dazu kam es nicht.
      „Lars, hast du einen Moment? Mads benötigt deine Hilfe“, fragte sie meinen Kollegen, der sofort reagierte und nickte. Ohne weitere Nachfragen folgte er. Ich sah den beiden interessiert nach, während Humbria aus dem Schlaf erwachte und an einer meiner Dreadlocks zog.
      „Aua“, meckerte ich und drückte das Pferd weg. Die Stute richtete sich auf, blickte mich vollkommen unschuldig an.
      „Ja, ja. Du bist dir auch keiner Schuld bewusst“, merkte ich pikiert an.
      “Das sind sie immer”, lachte Lina und bewegte sich neugierig in Richtung des Stalleingangs, als könne man dort mehr sehen. Aber auch ich konnte nichts erkennen. Vermutlich waren sie schon im Stall verschwunden. Eingeleitet von schrillen Wiehern und Hufen am Holz galoppierte ein nervöser Fuchs aus dem Tor. Wie Ameisen strömten Leute hinaus und versuchten das verängstigte Tier einzufangen. Doch das trieb ihn nur noch mehr in Richtung Bahn und Ausgang.
      “Oh, das ist nicht gut. Da sollten wir helfen”, sprach Lina aufgeregt und zog mich hinaus.
      „Wir wirken nicht so, als könnten wir viel tun“, merkte ich an. Der Fuchs verfing sich mit dem Strick unter seinem Huf, begann noch panischer den Kopf hochzureißen. In seinen Augen lag Schmerz und Todesangst. Von der Seite kamen Menschen dazu, als wüsste er, dass er zurück in die Box musste, sprang er zur Seite und wieder los. Es wirkte nach einem sieglosen Kampf, ihn zu fassen zu bekommen.
      “Sagst gerade du mit deinen magischen Fähigkeiten”, entgegnete sie und beobachte mit sorgenvoll die ungeschickten Versuche der Umstehenden. Viel zu hektisch sprangen sie um das nervöse Tier herum, wodurch es nur noch mehr in Stress geriet.
      „Bestimmt, ich pfeife einmal und dann kommt er her“, lachte ich. Um ihr zu demonstrieren, wie blöd die Idee war, steckte ich mir Daumen und Zeigefinger in den Mund. Ein helles Pfeifen huschte über meine Lippen. Aufmerksam drehte der Hengst die Ohren nach vorn. Er stand wie eine Eins und blickte in unsere Richtung. Im Trab kam er an. Ganz im Ernst, es wirkte vollkommen surreal, als wäre ich die Hauptfigur in einem Kinderfilm. Der abgerissene Strick hing noch am Halfter, diesen griff ich. Fuchsi stammte den Kopf nach oben. Er wich meiner Hand aus, aber er folgte ruhig.
      “Wow, cool”, staunte Lina. Dass es so simpel war, lag wohl nicht in ihrer Erwartung.
      „Damit habe ich nicht gerechnet“, gab ich offen zu und bewegte ihn möglichst ruhig zum Nachbarstall, vor dem bereits das ganze Team stand. Mit halb offenem Mund schaute mich Basti an, als hätte ich ein Wunder bewirkt. Für einen Augenblick standen wir einander gegenüber. Ich wartete darauf, dass er mir das Tier abnahm.
      “Möchtet ihr euer Pferd nicht zurückhaben? Er sieht soweit unverletzt aus”, übermittelte ich ihm mein Urteil.
      “Äh, Danke. Ja”, nahm er ihn am Halfter. Kaum hatte ich losgelassen, legte er wieder die Ohren an und schnappte. Basti machte sich nichts daraus, sondern stellte ihn in der Box ab. Wenn ich schon mal hier war, warf ich einen flüchtigen Blick durch den vollen Stall. Der Aufbau ähnelte dem unseren, aber es gab zwei Zugänge. Das Team hatte deutlich mehr Pferde dabei und trennte dabei die Aufgänge nach Geschlecht. Als ich den Stall verließ, kamen mir Nelly und Lars entgegen, die sich einander etwas zuflüsterten und lachten. Dabei warf sie mir einen Blick von oben nach unten zu. Mein Kollege schob sie ein Stück von mir weg.
      “Das siebte Rennen beginnt jetzt, also kannst du Humbria anspannen”, rief er mir noch zu. Ich prüfte nicht einmal, was er mit der blonden Kuh unternahm, sondern lief direkt in unseren Stall.
      „Du bist ein Wunder“, war Lina noch immer hellauf begeistert und folgte mir wie eine Motte dem Licht, „Wie machst du das nur immer? “
      „Ich denke daran, was ich möchte und gehe auf die Bedürfnisse ein. In seinem Fall gab ihm Raum und Ruhe. Vermutlich war er auf der Suche nach Sicherheit“, erläuterte ich meine Annahme.
      Humbria döste wieder in der Box und ich entschied, darin ihre Sachen anzulegen. An der Brust löste ich die Decke, um die über den Rücken hinweg wegzuziehen. Sie zuckte, als das Metall ihr Bein berührte. Die Brünette murmelte etwas Unverständliches, dann seufzte sie: “Das klingt so einfach.”
      Sie reichte mir den Gurt und Vorzeug, auf dem unser Stallname stand. Noch immer war ich von dem Ding nicht überzeugt, denn grün sah auf ihrem Fell nicht gut aus.
      “Es war nur Glück”, stellte ich nüchtern fest. Im Kopf hatte ich weiterhin den Moment, in dem Nelly Lars zuflüsterte und beide lachten. Worüber sprachen sie und was war so lustig? Der Hengst hatte mächtige Angst vor dem Team, da wollte ich besser nicht wissen, was im Stall passierte. Ich schüttelte mich. Humbria wurde wacher und schaute aufmerksam auf meine Handgriffe, bis ich sie schließlich hinausführte und den Sulky anhing.
      “Dann nimm dein Glück mal mit ins Rennen”, sprach sie und tätschelte der dunklen Stute den Hals.
      “Ich versuche es”, versuchte ich meine fehlende Motivation zu überspielen.
      Kaum saß ich im Sulky, fuhr ich zum Start. Humbria lief gut an, hatte aber in der Parade zuvor Schwierigkeiten im Takt. Sie berührte mit dem Hinterbein das Gestell. Im richtigen Augenblick beruhigte ich sie. Kaum setzte sich das Startauto ab, legte die kanadische Stute einen kurzen Sprint ein, um den ersten Platz zu erobern. Ihre Hufe setzten mit Schmatz-Geräuschen durch den feuchten Sand. Die Schilder vom Gurt rattern, wie auch die Räder unter mir. Fahrer schrien ihre Pferde an, wovon Humbria nur noch mehr an Geschwindigkeit gewann. In der ersten Runde gab ich mehr Paraden, aber als die letzte anstand und wir im letzten Bogen ankamen, durfte sie selbst entscheiden. Bedrohlich nah kam mir im Stutenrennen ein braunes Pferd, das ich vorhin bereits als Konkurrenz ansah. Prüfend sah ich zur Seite, Angst davor, dass mir jemand zu nah kam. Stattdessen erblickte ich etwas anderes. Einen kräftigen Stich spürte ich in der Magenregion – mein Ein und Alles stand bei Lina, lachte herzlich. Plötzlich fühlte es sich an, als wiederholte sich die ganze Geschichte. Wieder würde ich in den Hintergrund rücken, nur, weil sie mehr zu bieten hatte als ich. Gefangen im Karussell realisierte ich nicht, dass der Braune mir bedrohlich nah kam. Auf Humbrias Po schnellten die Leinen, da legte sie noch etwas mehr an Tempo zu und holte damit den Sieg. Jeder würde sich darüber freuen, schließlich war es nicht wenig Geld, aber die blinde Eifersucht vernebelte meine Sicht. Im Winnercircle beantwortete ich geduldig alle Fragen, bekam Lob, dass die Stute vorbildlich stand. Das alles nutzte nicht viel, denn der Tag war versaut.
      Mit grimmigem Blick setzte ich mich zurück in den Sulky, versuchte dennoch, nett zu schauen. Am Tor hatten sich mittlerweile auch Nour und Lars dazu gesellt, nur unsere blonde Freundin fehlte.
      “Einwandfrei”, grinste mein Kollege und lobte Humbria am verschwitzten Hals.
      “Glückwunsch, scheint, als sei das Glück dir heute mehr als wohl gesinnt”, strahlte auch Lina.
      „Ja, passt“, sagte weniger begeistert. Basti ignorierte ich konsequent, aber sagte auch nichts, sondern folgte wie der Rest der Truppe zum Stall.
      Mit einer Erwartungshaltung standen sie in der Tür, beobachten meine Handgriffe, als sei ich ein Außerirdischer. Selbst Humbria war die Situation nicht ganz koscher und legte die Ohren an. Sanft nahm ich die Trense ab, wissend, dass sie an den Ohren sehr empfindlich war. Die Watte zog ich selben Handgriff hinaus. Sie schüttelte sich und schnaubte ab.
      „Was ist denn mit euch?“, fragte ich schließlich, als Basti schon verschwunden war. .
      “Man fragte, ob du Zeit für ein Trainingspferd hättest”, sprach die Kleinste der Dreien undefiniert.
      “Nicht auszuschließen, aber einen Hengst nehme ich nicht mehr”, dachte ich laut nach. Die Arbeit mit Happy war nervenaufreibend und Lars verstärkte mich in der Sicht, dass ich mit Stuten besser klarkam. Natürlich konnte man es nicht pauschalisieren, Charakterzüge auf das Geschlecht beziehen, aber bisher begegneten mir viele launische Stuten, die ich sehr mochte.
      “Da wird Basti aber enttäuscht sein, wenn er das hört, aber wenn du nicht willst”, zuckte sie mit den Schultern.
      “Tja, wenn er lieber mit anderen über mich spricht, muss er damit leben”, zickte ich vollkommen übergeschnappt und begann die Stute abzuspritzen. Lars holte zur gleichen Zeit Eifel heraus, mit der er im vorletzten Rennen antreten würde. Wenn das Pferd geschafft war, endete der Renntag bereits. Bruno hatte schon das Auto genommen und fuhr nach Hause.
      „Ist ja okay, kann ich ja nichts für“, murmelte sie verstimmt und verzog sich in den Aufenthaltsraum.
      Super Vriska, wieder jemanden vergrault, dachte ich. Der Stute legte ich die Decke um und verschwand mit ihr am Strick, um sie zum Abhusten zu animieren. Humbria war nicht mehr die Jüngste. Aus der Vergangenheit spürte man deutlich, dass der Umgang nicht ganz fair war. Manchmal hörte man ein Rasseln der Atmung und sie schnappte nach Luft. Deswegen überließ ich es ihr, wie sie das Tempo im Rennen einlegte. Dass sie umkippt, wollte ich nicht.
      Über den ganzen Platz führte ich Humbria. Viele der Teilnehmer verluden bereits ihre Pferde, während andere nach Hause fuhren. Ich entdeckte einen Stall, in dem getrunken und gefeiert wurde. Die würden wohl auch über Nacht bleiben. Der Transporter davor verriet mir, dass sie aus Göteborg kamen. Hoffentlich wusste Erik nichts davon. Ich schmunzelte in mich hinein, schließlich war der Gedanke absurd, dass es ihn oder mich in einer Weise beeinflussen würde.

      Eifel hatte einen guten vierten Platz eingefahren, nicht besonders schlecht angesichts ihres mittelmäßigen Trainingstandes. Ihre Besitzer hatte Lars am Telefon gesprochen, diese waren zufrieden und freuten sich. Wir saßen mittlerweile im Transporter, hatten den kleinen Ofen eingeschaltet und Getränke gereicht. Wieder einmal jammerte die Truppe über Hunger. Nur ich, die bisher nur von Kaffee und Zigaretten lebte, hatte diesen nicht. Die gähnende Leere in meinem Magen war allgegenwärtig, aber mir mein bester Freund. Ich brauchte die Krämpfe im Bauch, Druck auf dem Unterrücken und einen unangenehmen Geschmack im Mund. Das Grummeln hörte ich schon gar nicht mehr.
      “Wie wäre Pizza?”, fragte Nour, die auf ihrem Handy scrollte und schaute, was in der Nähe war und lieferte.
      “Das essen wir andauernd”, wendete ihr Bruder ein, der kritisch zu mir sah. Ich schwieg schon eine gewisse Zeit, hatte zu keinem Thema etwas zu sagen.
      „Pizza wäre schon cool“, äußerte sich auch Lina dazu.
      „Gut, Vivi es liegt an dir. Was willst du essen?“, versuchte Nour mir eine Antwort zu entlocken, aber ich zuckte mit den Schultern. Mittlerweile hatte ich auch mein Handy in der Hand, scrollte meine Timeline durch, bis ich abrupt anhielt. Wieder wurde mir Erik empfohlen und natürlich tippte ich darauf. Sein neues Bild war von Maxou – auf der seine Freundin saß. In mir kochte es. Meine einzige Bedingung in der gemeinsamen Haltung des Ponys war, dass sie nichts mit ihr zu tun haben dürfe. Nun passierte es doch und ich konnte mich nicht zurückhalten. Ich schrieb ihm. Ohne überhaupt eine angemessene Begrüßung zu formulieren, oder auf all die unbeantworteten Nachrichten zu antworten, hielt ich ihm jene Abmachung vor.
      „Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du lebst damit oder du übernimmst sie komplett“, antwortete Erik knapp auf meine Nachricht. Lina, die meine Wut offenbar riechen konnte, schaute mich mit trübem Blick an, hielt ihrer Neugier allerdings Einhalt. Ich musste mich entscheiden, aber was wäre das richtige? Auf den ersten Blick wirkte Moa sehr sanft im Umgang mit dem Pony, aber das war nur, was man online präsentierte. Auf dem Hof könnte es ganz anders sein.
      „Wie geht es dir?“, schrieb er als Nächstes. Seine Versuche, ein Gespräch zu führen, blockte ich direkt ab und schloss den Messengerdienst.
      „Was willst du essen?“, fragte Nour erneut.
      „Nichts“, zischte ich.
      „Was eine Laune“, murmelte Lars gerade so laut genug, dass ich es hören konnte.
      „Wie bitte?“, hakte ich nach und zog die Augenbrauen zusammen.
      „Du solltest dich wieder auf einen Kerl einlassen, so bist du unerträglich“, spezifizierte er seine Aussage.
      „Lars, das ist unfair“, sprach Lina forsch. Ihre sonst zurückhaltende Art war von ihr gewichen und die Verärgerung war deutlich.
      “Das Leben ist unfair und ich nutze die mir gegebenen Hilfsmittel”, zuckte er wenig getroffen mit den Schultern.
      „Das ist noch lange kein Grund, anderen das Leben schwerer zu machen“, brummte sie.
      “Schwer macht sie es sich nur selbst”, diskutierte Lars weiter.
      “Entschuldigung? Ich bin anwesend”, erinnerte ich ihn, aber das berührte ihn nur wenig.
      „Ah, ja und du kannst das so gut bewerten, weil du so gut über ihr gesamtes Leben Bescheid weißt … “, fragte sie sichtlich genervt von seiner unerheblichen Art. Schreiten die beiden ernsthaft darüber, wer mehr über mich weiß, faszinierend.
      „Mädels, kriegt euch ein“, mischte auch Nour sich ein, berührte ihren Bruder am Arm, „sie ist alt genug, um ihr Leben selbst zu regeln. Wenn sie niemanden an sich heranlässt, ist das ihre Sache.“
      „Danke“, murmelte ich.
      „Zurück zu den wichtigen Sachen, Essen“, warf sie ein und legte das Handy in die Mitte, „Lars wurde überstimmt, also gibt es Pizza.“ Lina sagte nichts weiter, teilte nur ihre Bestellung mit, damit schien das Thema für sie erledigt.
      Skeptisch sah der Kerl neben mir auf den Bildschirm, aber wählte schließlich etwas aus.
      Zwanzig Minuten später klopfte es am Transporter.
      „Sie sollten doch anrufen, wenn sie da sind“, rollte Nour mit den Augen und öffnete die Tür, „oh, hallo.“
      Alexa schaute hinein und grinste mich an.
      „Hast du einen Moment?“, frage sie. Ich nickte und holte meine Jacke. Nachdem wir am Tage bereits zweistellige Temperaturen hatten, waren die Minusgrade in der Nacht, ziemlich eisig. Aus Tasche zog ich meine Schachtel.
      „Wegen Happy“, sagte sie und lief weiter. Wir spazierten über das leergefegte Stallgelände, das nur minimalistisch beleuchtet war. Auf den Paddocks zur Rechten standen einige Pferde mit Winterdecke.
      „Wie ist denn die Stallmiete bei euch?“, fragte Alexa, nach dem wir die Konditionen des Beritts besprochen hatten.
      „Wir bieten verschiedene Pakete an, je nachdem, wie viel man nutzen möchte. Dadurch, dass du eine Chipkarte bekommst, lassen sich darüber die Leistungen buchen“, erklärte ich.
      „Ziemlich cool, aber das ist der Grundpreis?“, hakte sie nach.
      „4800 Kronen für Laufstall und Weidegang“, beantwortete ich, „darin enthalten ist bereits die große Reithalle und alle Reitplätze. Wir füttern auch nach Bedarf.“
      „Und wenn ich ihm lieber im Offenstall hätte?“
      „3500 Kronen, auch mit Weidegang und Reithalle. Fütterung muss separat gebucht werden“, erklärte ich weiter, aber seufzte dann, „Happy eignet sich nur zum aktuellen Zeitpunkt nicht. Wir hatten es versucht, aber in Anwesenheit anderer Pferd frisst er schlecht und steht in der Ecke herum.“
      „Ach so, dann soll er bleiben, wo er ist. Da sah er gut aus“, lächelte sie verstanden. Sie hielt an und zog etwas zur Seite, als würde das Gespräch nun ernster werden. Nervös schluckte ich.
      „Aber jetzt sag‘ mal, wie hast du das gemacht? Mit dem Hengst meine ich“, spielte sie auf Linas Lieblingsthema an.
      „Einfach Glück, mehr nicht“, zuckte ich mit den Schultern.
      „Ich denke nicht. Basti war begeistert, was mir einige Sorgen bereitet“, kaum verließen diese Worte ihren Mund, kamen mir auch welche. Mir blieb die Luft weg, denn ich wusste exakt, was kommen würde – und das passierte auch. Alexa begann mir zu erzählen, wie glücklich er mit seiner Freundin wäre und ich mich zum Frieden aller, etwas zügeln sollte. Sie könnte meinen jugendlichen Leichtsinn nachvollziehen, aber ich sollte den Ernst des Lebens erkennen, dass er Vater werden würde und sie bald heiraten würden. Natürlich brach in dem Moment eine weitere Welt für mich zusammen. All das hatte ich mir im Kopf schon vorgestellt, doch nie, wie ich darauf reagieren würde.
      „Deswegen wäre es schön, wenn du ihn nicht ins Training nimmst, außer du bist wirklich auf das Geld angewiesen“, lächelte sie noch, versuchte wohl freundlich zu sein, obwohl ich heulend vor ihr stand. Es war nicht fair, dass sie darüber mit mir sprach, Basti hätte es mir selbst sagen sollen und nicht seine Schwägerin. Insgesamt fühlte es sich so an, als wüssten alle anderen besser, was gut für den anderen wäre und überließen niemanden selbst eine Entscheidung. Ich bereute, dass sie Happy bekam.
      “Nimm es mir bitte nicht übel, aber er traut sich nicht, mit dir zu sprechen”, fügte Alexa zum Schluss noch hinzu und verabschiedete sich schließlich. Es war eine ziemliche Frechheit, dass sie sich das herausnahm. Aber ich hatte eine Idee. Hastig zog ich mein Handy heraus, tippte Basti eine Nachricht. Sofort las er sie.
      „Training fällt weg, wir geben den ab. Papa möchte das Pferd nicht mehr“, antwortete er.
      „Okay, dann nehme ich den“, schrieb ich ohne große darüber nachzudenken. Es dauerte eine Weile, bis er zurückschrieb. Also tippte, schön es dann wieder zu löschen, bis schließlich „Sicher?“ auf dem Bildschirm leuchtete. Dann folgte noch: „Wir reden gleich persönlich.“
      „Ich sage dir Bescheid, wenn ich Zeit habe. Wie lange bist du noch wach?“, tippte ich in Windeseile, so schnell wie mein Herz in der Brust pochte.
      „Na, ich möchte dir mindestens noch zum Geburtstag gratulieren.“ Mit dieser Mitteilung war es endgültig um mich geschehen. Wie auch immer, ich wollte ihn, egal, wie groß der Preis sein würde.
      Ich klopfte an unserer Tür, bevor ich eintrat. Alle drei saßen am Tisch. Mit entgleisenden Gesichtszügen sahen mich die Geschwister an, vermutlich sah ich so furchtbar aus, wie ich mich fühlte.
      „Lina, Krisengespräch, jetzt“, schrie ich förmlich, meine Stimme nur schwer unter Kontrolle zu halten. Wie ein aufgeschrecktes Reh, sprang sie unmittelbar auf, griff ihre Jacke und schlüpfte in einer flüssigen Bewegung hinein, um sogleich neben mir zu stehen.
      „Was ist passiert?“, fragte sie besorgt. Wie ein Wasserfall betete ich die gesamte Story herunter, bis wir schließlich an dem Punkt ankamen, dass ich den Fuchs haben wollte. Ich atmete tief durch. Der Druck auf meiner Lunge fühlte sich an, als hätte ich vergessen zu atmen.
      „Du bist dir sicher?“, mit ihren großen blauen Augen, sah sie mich an, als wolle sie mich durchleuchten, in mein tiefstes Innerstes vordringen, um die Antwort darin zu finden.
      “Sehe ich so aus”, seufzte ich nasal. Es war nicht klug, aber aus mir unbeschreiblichen Gründen, wollte ich das Pferd. Gleichzeitig holte ich mein Handy heraus und schrieb Basti, dass ich draußen stehe.
      „Nein“, betrachte Lina mich eingehend. Gleichzeitig schien sie meine Worte erneut durchzugehen. Stillschweigend standen wir eine Weile beieinander, während ich wie ein hungriger Tiger meine Kreise lief. Wo blieb der Kerl nur? Alexa war in Richtung Stall gelaufen, doch dort war das Licht aus und das Tor zu.
      „Er hat gesagt, er kommt?", hinterfragte Lina die uns umgebende Dunkelheit, die nicht von einem einzigen Funken durchdrungen wurde.
      „Zumindest gefiel ihm die Nachricht“, sagte ich forsch und prüfte zum wiederholten Mal den Chat. Endlich leuchteten Scheinwerfer auf. Ein Transporter kam angefahren und hielt neben uns an. Am liebsten wollte ich ihn mit all meinen Gefühlen überfallen, aber entschied, dass es nicht der richtige Augenblick war.
      „Kaum zu glauben, dass du den Bock haben willst“, lachte Basti und wuschelte mir durchs Haar.
      „Ey“, rief ich empört. Im selben Atemzug stahl ich ihm sein Cap und setzte es mir auf. Wenn er versuchte, es zurückzubekommen, wich ich ihm aus wie ein Fisch in den Fingern.
      „Na gut, dann behalte es“, gab er es auf, mir nachzujagen. Lina stand an der Seite und beobachtete uns verwundert. Ja, ich hatte damit auch nicht gerechnet, aber mein Gehirn war auf Autopilot.
      „Was soll ich groß sagen? Mockup ist ein Maharaja Sohn und mütterlicherseits aus Sharif di Iesolo, so einem guten Italiener“, erzählte Basti, während er die knarrende Stalltür öffnete und das Licht anschaltete. Müde Pferde blickten uns an, wenig begeistert von dem späten Besuch. An einem Haken hingen diverse Stricke, wovon er einen Griff und zur Box lief.
      „Geh lieber einen Schritt zurück, er könnte wieder rausspringen“, warnte er. Meine Kollegin ergriff sofort die Flucht zur Seite.
      „Ach, quatsch“, schüttelte ich unbekümmert den Kopf, nahm ihm das Seil ab. Verblüfft zog er mich ein Stück zur Seite.
      „Was ist mit dir los?“, fragte Basti skeptisch und schaute mir tief in die Augen. Das Braun, so dunkel wie meine Seele, erhellte meine Stimmung wie nichts Vergleichbares auf dieser Welt.
      „Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, was ich tue und was nicht. Was bilden sich andere ein?“ Hintergründig hörte ich Lina nach Luft schnappen.
      „Ach Mäuschen, die machen sich doch nur Sorgen“, er nutze die Chance, um mir das Cap abzunehmen, doch ich reagierte Blitzschnell. Mockup zuckte zurück.
      „Sie sind doch nicht meine Eltern, wenn es ein Problem gibt, soll man bitte selbst mit mir sprechen“, deutete ich indirekt an. Über bloßen Augenkontakt stellten wir fest, dass jeder wusste, wovon wir sprachen.
      „Veränderung ängstigt Menschen, erst recht, wenn sie nicht alles wissen“, bedachte er.
      „Mag sein, dennoch kein Grund, sich in das Leben fremder einzumischen. Schließlich habe ich besseres zutun.“
      „Und das wäre?“, grinste Basti.
      „Ich möchte ein Pferd kaufen“, klimperte ich mit den Wimpern und öffnete die Box. Der stämmige Fuchs an. Prustend tippelte er mit den Vorderhufen.
      „Sei vorsichtig. Wir übernehmen nicht die Haftung“, sagte Basti und hielt die Tür ein Stück enger. Ich blieb auf Abstand, aber Mockup drehte sich um und schnupperte an mir. Warmer Atem kitzelte an meiner freiliegenden Haut. Den Strick hakte ich am Halfter unten ein und führte das Pferd hinaus.
      „Okay, und was ist so dramatisch an ihm, dass ihr ihn verkaufen wollt?“, fragte ich kritisch nach.
      „Es sind diverse Dinge. Mocki stresst sich selbst, ziemlich schnell, dann wird er panisch und läuft weg, so wie gestern. Auf dem Geläuf springt er manchmal grundlos zur Seite oder erschreckt sich. An guten Tagen zeigt er mordmässiges Potenzial, aber seit dem wir ihn haben, werden es immer weniger dieser Tage“, berichtete er, „im Umgang ist er für gewöhnlich nett.“
      „Und dann sollte er ein B-Trainerrennen laufen? Ist das nicht sehr gewagt?“, wunderte ich mich. Ich selbst hatte auch nur eine B Lizenz, aber darf A Rennen mitfahren, aufgrund der hohen Gewinnsumme der Stute und ich in einem Rennbetrieb arbeitete.
      „Die beiden kamen bisher gut miteinander klar, aber als er ihr gestern zum wiederholten Mal entwischte, hatte sie keine Lust mehr und Papa sah nie einen Wert in ihm“, erklärte er. Der Fuchs folgte mir die Stallgasse auf und ab, was mir sofort auffiel: Die Hinterbeine fußten flach ab, links dabei deutlich nach innen. Basti drückte ich den Strick in die Hand und tastete behutsam seine Kruppe ab.
      „Wann wurde er eingefahren?“, fragte ich nach und spürte die Muskeln zucken, als ich nur ganz sanft ihn berührte.
      „Mit anderthalb“, beantwortete er.
      „Wow. So spät“, zischte ich ironisch. Unglaublich. Das erklärte mir einiges. Mocki war vollkommen verspannt und schief. In streichender Bewegung hing die Enden der Rückenmuskulatur ab, bis es knackte. Der Hengst erschreckte sich selbst davor, aber stand im nächsten Atemzug. Von hinten konnte man deutlich sehen, dass die Hüfte der Waage näher kam.
      „Was war das?“, fragte Basti besorgt und sah über die Schulter hinweg zu mir.
      „Eine Verspannung und ein Wirbel, der jetzt wieder in der korrekten Position ist“, seufzte ich getroffen von den physischen Baustellen des Pferdes. Basti führte ihn mit ein weiteres Mal im Gang auf und ab. Sichtbar wurde, dass er besser abfußte und auch der Takt zunahm.
      „Okay, danke“, sprach ich nachdenklich.
      „Kannst du das richtig?“, sagte er beeindruckt.
      „Physio? Nur ein paar Handgriffe.“
      „Dann könntest du dir auch mal Netflix anschauen?“ Mit einem Funkeln in den Augen sah er zu mir hinunter, ich spürte, dass ihm viel an dem Pferd lag. Dennoch erinnerte ich mich daran, dass der hübsche Rapphengst demnächst nach Frankreich gehen sollte.
      „Natürlich, aber nicht jetzt“, holte ich ihn auf den Boden der Tatsachen zurück und begutachtete weiter den Fuchs. Besonders auffällig an ihm war auch das schmerzverzerrte Gesicht. Muskeln waren angespannt und die Augen aufgerissen, obwohl es keinen Grund dafür gab. Schließlich standen alle nur herum.
      „Okay, dann lade ich dich ein für einen Pferde-Wellness-Tag“, grinste Basti breit und strich dem Fuchs über den Hals.
      „Wir werden sehen, schließlich soll ich mich doch fernhalten“, blickte ich über das Brillengestell zu ihm hinüber.
      „Oh ja, stimmt. Da war was“, lachte er, „aber mir ist es egal. Wir sind doch nur Freunde, verstehe nicht, welches Problem alle damit haben.“
      Mir blieb die Luft weg. In meinem Kopf spielte der Satz wie auf einer kaputten Schallplatte ab, der Versuch Untertöne der Ironie zu finden, aber Basti es mit einer Selbstständigkeit aus. Die Übelkeit kam wieder.
      „Genau“, scherzte ich den Tränen nah und drehte mich kurz weg. Ich atmete tief durch.
      „Also nimmst du ihn nicht?“, wurde er ernster, im Begriff, das Pferd wegzustellen.
      „Stopp, davon war nie die Rede“, revidierte ich seine Intention.
      “Du kaufst ihn also?”, fragte Lina nach dem offensichtlichen und in ihren Augen leuchtete bereits die Freude.
      „Ja, wieso nicht“, zuckte ich mit den Schultern.
      „Verrückt, aber wenn du willst. Ich gehe den Vertrag holen“, sagte er und verschwand. Mittlerweile hielt ich den Strick wieder in der Hand, strich meinem Pferd über die Blesse.
      „Ich bin nicht verrückt“, murmelte ich dem hellhörigen Fuchs zu, der wie erstarrt zur Tür sah.
      “Nicht verrückter als alle anderen”, scherzte Lina ein Grinsen auf den Lippen.
      “Aber er ist auch niedlich”, richtete ich den Blick nach oben und zupfte Strohhalme aus der Mähne. Er wippte mit der Unterlippe, die Augen weiter zur Tür.
      “Ja, einen schönen hast du dir da ausgesucht”, entgegnete sie und nahm den Fuchs genauer in Augenschein. Im Licht des Stalls schimmerte sein Fell in einem schönen Kupferton. Dann kam Basti zurück, in der Hand ein Stapel Papier. Zunächst kommt Mocki in seine Box und wir setzen uns zusammen in den Raum. Dieser war größer als bei uns, aber um alles genauer zu besprechen, reichte es.
      “Preis”, seufzte Basti, als nur noch ein paar Angaben fehlten. Lina sah die Zettel genauer an, als hätte sie zuvor nie einen Kaufvertrag gesehen.
      “Wie viel braucht ihr?”, fragte ich, anstelle den Wert des Pferdes genauer zu beleuchten.
      “Brauchen?”, lachte er, “das wäre einiges.”
      “Nenne mir eine Zahl”, sprach ich, ohne mit der Braue zu zucken. Gleichzeitig holte ich mein Handy heraus. Mit Erstaunen stellte ich fest, dass die Zahl auf meinem Konto signifikant gesunken war. Nervös scrollte ich hinunter. Harlen hatte wirklich viel ausgegeben, von Kleidung bis Auto war tatsächlich alles dabei, selbst Pferdewetten, zwischendrin fand ich meine Spenden für die Tierheime. Eine mittlere sechsteilige Summe in fünf Monaten auszugeben, ohne dass etwas nachkam, schockierte mich.
      “Alles okay?”, hakte Basti skeptisch nach.
      “Ja, nein, aber nichts, was dich betrifft”, seufzte ich. Ich bemerkte, dass Vater vor Ewigkeiten jegliche Zahlungen eingestellt hatte.
      “Problematisch? Kann man dir behilflich sein?”, zog Lina fragend die Augenbrauen zusammen.
      “Du kannst Harlen sagen, er soll zum Mond fliegen”, äußerte ich genervt und legte das Handy weg, “oder im Meer versinken, das ist günstiger.”
      “Sage ich ihm, allerdings fürchte ich, er wird dem nicht Folge leisten”, entgegnete sie und zog rätselnd über den Grund dafür die Stirn in Falten.
      “Zurück zum Thema. 350 000 Kronen?”, bot ich an, auch wenn der Gedanke daran schmerzte.
      “Bist du des Wahnsinnes? Normalerweise würde ich direkt zustimmen, aber ich habe dich zu gern, um dir reines Papier zu berechnen. 220 000 Kronen und du machst Netflix sowie Ole wieder schick”, schlug er vor. Ich atmete tief durch, froh, dass auch Happys Anteil mein Konto wieder füttern würde.
      “Gut, machen wir”, grinste ich und unterschrieb den Zettel, auf dem Basti den Betrag eintrug.
      “Glückwunsch, dann bist du jetzt wohl Besitzer eines Rennpferdes”, grinste meine Kollegin.
      „Bleibt er eins?“, wunderte er sich.
      „Abwarten, aber wäre cool, wenn er mit nach Finnland kommt“, überlegte ich laut, auch wenn es unrealistisch wirkte, ein Pferd in einem furchtbaren physischen Zustand direkt in Rennen zu schicken.
      “Was, wieso Finnland?”, rief die Kleine aus und ihre Stimme überschlug sich vor Überraschung, “Warum weiß ich davon nichts?” Mit ihren aufgerissenen Bambi-Augen starrte sie mich an.
      “Weil du nie in den Kalender schaust?”, lachte ich und stand auf.
      “Mittlerweile fühle ich mich verfolgt von dir”, stupste mir Basti in den Arm, als wir langsam zum Ausgang liefen.
      “Warum sagt mir so was keiner?”, beschwerte sich die kleine Brünette, ungeachtet des dritten Anwesenden, “Schon mal daran gedacht, dass es mich interessieren könnte, wenn ihr in meine Heimat reist?”
      “Es steht doch noch nicht mal zu hundertprozent fest, weil Lars sich nicht für ein Pferd entscheiden kann”, versuchte ich den Spatzen zu besänftigen.
      “Weil wir ja so wenige davon im Stall haben”, rollte sie mit den Augen, “Wenn ihr fahrt, will ich mit.” So spontan wie sie ihre Forderung stellte, hatte sie nicht eine einzige Sekunde darüber nachgedacht, was es eher wie eine Trotzreaktion wirken ließ. Nicht, dass ich sie verurteilen würde, schließlich hatte ich gerade ein Pferd gekauft aus demselben Grund.
      “Ich glaube”, murmelte ich und zog mein Handy hervor. Wild huschten die Finger über den Bildschirm, bis ich bei der Arbeitsplanung ankam.
      “Was ist das?”, schielte Basti mit auf die leuchtende Oberfläche.
      “Unser Stallsystem”, erläuterte ich wenig betroffen und suchte das Datum des Rennens.
      “Wo habt ihr das her?”, hakte er weiter nach.
      Ich hörte auf zu suchen und blickte zu ihm.
      “Wir haben das selbst gemacht, die Vorbereitung hat ewig gedauert und die Entwicklung noch länger, aber es läuft”, lächelte ich freundlich.
      “Sucht ihr noch Mitarbeiter?”, lachte Basti.
      Wieder startete das Kriegsdonnern in meiner Brust und ich musste Schlucken, um nicht anzufangen zu husten.
      “Immer”, sprach ich mit zittriger Stimme und suchte weiter. Dann fand ich endlich die Finlandia.
      “Hier Lina. Tyrell hat ohnehin geplant, dass du uns begleitest”, reichte ich ihr das Telefon als Beweis. Zufrieden blickte sie auf den Bildschirm, überflog die dort notierten Daten.
      “Oh, da in der Nähe habe ich früher gewohnt”, stellte sie nun wieder munterer gestimmt fest.
      “Siehst du, müssen wir nur Mockup hinbekommen”, grinste ich Basti an, der leicht den Kopf schüttelte.
      “Achtzehn Tage. Sehr mutig”, sprach er anerkennend, “wenn du das schaffst, dann komme ich zu euch. Wirklich.”
      Wieder schluckte ich.
      “Teilnehmen oder gewinnen?”, erforschte ich genauere Rahmenbedienungen.
      “Platzierung reicht schon”, spezifizierte er. Ich reichte ihm die Hand, ungeduldig den Blick nach oben gerichtet. Für mehrere Atemzüge überlegte er, aber schlug ein.
      “Da hast du aber was vor”, warf Lina ein, wobei ein Schmunzeln über meine Lippen zuckte.
      “Dann wünsche ich euch viel Erfolg”, prüfend blickte er auf sein Handy, “leider muss ich mich verabschieden, sonst gibt es Ärger. Packt ihr den Großen dann ein?”
      “Ist er hengstig?”
      “Nein, überhaupt nicht. Manchmal zweifle ich sogar, ob er sich seiner Hoden bewusst ist”, lachte Basti, die Autotür öffnend. Zum Abschied lief ich ein paar Schritte näher, wollte ihn umarmen, aber ich wusste nicht genau, ob es angebracht sei. Deshalb bot ich es durch meine reine Präsenz an.
      “Aber eine Bedingung habe ich auch”, flüsterte er kaum hörbar, “du arbeitest mich ein.”
      “Natürlich, das schaffe ich.”
      Mit einem Lächeln auf den Lippen sah ich dem Transporter nach, als er vom Platz fuhr. Die Kälte in den Gliedmaßen war allgegenwärtig und erst jetzt spürte die schlotternden Knie. Leises Rauschen zog durch Baumkronen am Rande der Ställe. Nour kam an die frische Luft.
      “Was habt ihr so lange getrieben?”, musterte sie uns beide.
      “Unter Umständen … ein Pferd gekauft”, antwortete die Kleine, als sei es etwas vollkommen Normales.
      „Bitte, was?“, in hohen Tönen rief Nour die Worte hinaus, dass auch ihr Bruder aufmerksam wurde.
      „Das ist jetzt ein Scherz, oder?“, fragte dieser, ich verzog das Gesicht und zuckte mit der Schulter, „oder?“
      „Nein, ist es nicht“, scherzte ich verhalten.
      „Ihr kommt sofort rein, unglaublich“, schüttelte Lars den Kopf und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Ich rauchte noch auf, dann folgte ich seiner Bitte.
      Im Inneren des Transporters begann die Erzählstunde, nicht komplett, denn den Irrsinn von Alexa verschwieg ich sowie den Inhalt des Deals mit Basti. So schnell wie mein Herz schlug, purzelten die Fakten heraus und im Nachhinein wusste ich nicht, wie viel genau erzählt wurde, aber genug, dass Lars aus allen Wolken fiel.
      „Meine Güte, dich kann man nicht allein lassen“, schüttelte er aufgelöst den Kopf, „du hast doch kaum Ahnung. Wie kommst du nur darauf?“
      Es verletzte mich zutiefst, dass er meine Kompetenz kleinredete. Für meinen Geschmack hielt er viel zu viel von sich selbst, als dass er objektiv beurteilen konnte, wie ich mich verhalten sollte. Seine Anschuldigungen und niederträchtigen Worte belastenden mich so sehr, dass ich erneut begann zu weinen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt, hoffte darauf, dass er mich unterstützen würde.
      „Vivi, beruhige dich. Ist doch schön“, versuchte Nour die Situation zu entschärfen, aber scheiterte auf erster Linie. Wie Schlosshund hing ich in meinen Arm, brachte Töne heraus, die jedem Meerjungfrauengesang Konkurrenz machten.
      „Lass dir von dem nichts einreden“, sprach Lina leise zu mir und legte fürsorglich ihren Arm um mich, „Denke nur daran, was du entgegen aller Erwartungen bereits alles gemeistert hast. Mocki und du schaffen das locker, auch ganz ohne den aufgeblasenen Typen da.“ Vorsichtshalber hatte sie die Sprache gewechselt, falls die Geschwister ihre Worte trotz gesenktem Lautstärke wahrnehmen konnten. Allem Anschein nach wollte sie sich heute kein zweites Mal mit Lars anlegen.
      “Danke”, schluchzte ich. Prüfend warf ich einen Blick zu ihm, aber er schenkte mir nicht einen Hauch von Aufmerksamkeit. All die Freude über Basti und das Pferd löste sich in Luft auf.
      In Windeseile kippte sich Lars zwei Bier hinter. Interessanterweise bot er auch uns eins an, dass ich dankend entgegennahm. Anstelle mich weiter mit Missachtung zu strafen, legte er seinen Arm um mich und zog mich an sich.
      “Weißt du, es ist faszinierend”, brabbelte er.
      “Mh?”, hakte ich verwirrt nach und legte den Kopf an seiner Brust ab. Wie immer war es ziemlich bequem auf ihm, auch, wenn er ziemlich nach Schweiß roch.
      “Du machst einfach, ohne abzuwägen, ob es klug ist, sondern du glaubst an deine Leistungen”, schmeichelte er mir.
      “Okay”, hielt ich mich zurück.
      „Ach, jetzt auf einmal …", murmelte Lina missfallend vor sich hin und rollte mit den Augen.
      “Der hat einfach eine lange Leitung”, redete Nour ihr gut zu. Ich nahm es so hin, wie es war, andere Möglichkeiten gab es nicht. Mittlerweile kannte ich seine Art, wenn er schlechte Laune hatte und meistens wurde es besser, wenn wir uns nah waren – wie jetzt. Seine Zweifel und Unzufriedenheit kam aus dem Inneren, tief versteckt hinter einer stählernen Fassade. Zudem missfiel ihm jeglicher Kontakt mit Basti, was ich bis heute nicht nachvollziehen konnte. Vielleicht war es dem ähnlich, worum Alexa mich gebeten hatte, allerdings schätzte ich seine moralische Verfassung als ähnlich bedenklich wie die meine ein. Aber er war ein lieber Kerl, mit Ecken und Kanten.
      Mein Handy vibrierte. Es war noch nicht Null Uhr, aber die ersten Glückwünsche trudelten ein. Dankend nahm ich sie an, obwohl mir all die flüchtigen Kontakte egal waren. Jedoch entdeckte ich zwischen den ganzen Nachrichten bei Instagram auch Basti. Eilig öffnete ich den Chat, den Lars war in dem Gespräch eingetaucht, mit Nour und Lina. Dabei ging es um das Rennen in Finnland. Sie war noch immer pikiert, dass wir nicht früher etwas gesagt hatten, doch auch mir wurden solche Informationen erst vor wenigen Tagen zugetragen.
      „Es ist ziemlich cool von dir, dass du Mocki übernimmst. Damit hilfst du uns sehr“, schrieb er. Steckten sie etwa in Geldsorgen? Zumindest würde dies einige seiner Aussagen erklären und die Tatsache, dass er, laut Alexa Nelly heiraten wird.
      „Ich freue mich auf die Arbeit mit ihm. Schließlich will ich mich an unsere Abmachung halten ;)“, antwortete ich scherzhaft, zumindest sollte es weniger ernst an ihn herantreten. Mittlerweile konnte ich mir nicht mehr sicher sein, ob er sich meiner Gefühle bewusst war, dennoch musste ich an den Zwischenfall im Stall zurückdenken. Seine zärtliche Berührung brachte so viel Gefühl mit sich, dass er wissen musste, wie sehr ich ihn wollte.
      „Haha, wir werden sehen“, trudelte es als Antwort ein.
      „Tut mir leid, falls ich seltsam war. Mir hat Gespräch sehr zu schaffen gemacht“, entschied ich ihm zu schreiben. Es dauerte ein Moment, bis schließlich eine Nachricht ankam.
      „Verständlich. Ich habe mit ihr ein weiteres Mal gesprochen und ihr erklärt, dass sie sich nicht in meine Angelegenheiten einmischen soll. Es ist nicht okay, Leuten etwas zu unterstellen. Des Weiteren bin ich alt genug, um Dinge selbst zu klären. Ihr tat es leid, aber sie würde es dir auch noch selbst sagen“, las ich den kleinen Roman. Dennoch wusste ich nicht genau, was er mit Unterstellung meinte, schließlich beruhten einige ihrer Aussagen auf der Wahrheit. Aber ich ließ ihn im Glauben, dass es nur Unterstellungen waren, denn so blieb mir die Hoffnung. Hoffnung darauf, ihn zumindest als einen Freund an meiner Seite zu haben.
      „Oh, und alles Gute zum Geburtstag. Wir sehen uns nachher“, schrieb er noch. Ich bedankte mich, dann stimmte Lina auch schon voller Elan ein Geburtstagslied an.

      © Mohikanerin, Wolfszeit // Vriska Isaac // 63.858 Zeichen
      zeitliche Einordnung {Ende April 2021}
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    10 Juni 2022
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  • Eifellust ist 9 Jahre alt.

    Aktueller Standort: Lindö Dalen Stuteri, Vadstenalund [SWE]
    Unterbringung: Stutenpaddock


    –––––––––––––– s t a m t a v l a

    Aus: The Black Eifel (DE) [Traber]
    MMM: Lu Eifel ––––– MM: Eifelfee ––––– MMV: J D's Tryst [US]
    MVM: Cast Off (US) ––––– MV: Grundys Cohnection (US) ––––– MVV: Speedy Crown (US)

    Von: Obsession November (DE) [Traber]
    VMM: Promissory (US) ––––– VM: Florida Dame (US) ––––– VMV: Arnie Almahurst (US)
    VVM: Conch (US) ––––– VV: Viking Kronos (IT) ––––– VVV: American Winner (US)


    –––––––––––––– h ä s t u p p g i f t e r

    Zuchtname: Eifellust
    Rufname: Eifel
    Farbe: Brauner
    [Ee A+a]
    Geschlecht: Stute
    Geburtsdatum: April 2012
    Rasse: Deutscher Traber [TR]
    Stockmaß: 159 cm


    Charakter:
    neugierig; schreckhaft


    * Eifel läuft Trabrennen
    * 3 Gänger


    –––––––––––––– t ä v l i n g s r e s u l t a t

    [​IMG] [​IMG]

    Dressur A [M] – Springen E [E] – Military E [E] – Fahren E [L] – Rennen S ['S] – Distanz E [A]

    Ebene: International

    Juni 2022
    1. Platz, 391. Synchronspringen
    1. Platz, 526. Distanzturnier
    Jogging, Rennen E zu A
    1. Platz, 392. Synchronspringen
    2. Platz, 394. Synchronspringen
    3. Platz, 549. Fahrturnier

    Juli 2022
    3. Platz, 530. Distanzturnier
    2. Platz, 395. Synchronspringen
    2. Platz, 551. Fahrturnier
    Rennvorbereitung, Rennen A zu L
    2. Platz, 396. Synchronspringen
    2. Platz, 532. Distanzturnier
    3. Platz, 397. Synchronspringen

    August 2022
    Rennen L zu M

    Oktober 2022
    Beritt, Dressur E zu A

    Februar 2023
    Training, Rennen M zu S

    März 2023
    Weiterbildung, Dressur E zu A



    –––––––––––––– a v e l

    [​IMG]

    Gekört durch SK 481 im Oktober 2022.

    Zugelassen für: Traber aller Art
    Bedienung: -
    DMRT3: CC
    Lebensrekord: 1:14,2
    Leihmutterschaft: Nicht gekört / Nein [Preis]


    Fohlenschau: 0,00
    Materialprüfung: 7,31


    Körung
    Exterieur: 6,74
    Gesamt: 7,44


    Gangpferd: 0,00


    –––––––––––––– a v k o m m e r

    Eifellust hat 2 Nachkommen.
    • 2016 Financial Secret (von: Pay My Netflix)
    • 2017 Eifelgold (von: WHC' Golden Duskk)


    –––––––––––––– h ä l s a

    Gesamteindruck: gesund, im Training
    Krankheiten: keine
    Beschlag: Falzeisen [Aluminium], Voll


    –––––––––––––– s o n s t i g e s

    Eigentümer: Unbekannt [100%]
    Bezugsperson: Lars
    Züchter: Stall BF, Berlin [DE]
    VKR / Ersteller: Mohikanerin


    Punkte: _gekört
    Abstammung [0] – Trainingsberichte [6] – Schleifen [11] – RS-Schleifen [0] – TA [2] – HS [2] – Zubehör [2]

    Spind – Hintergrund