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Veija

♀ Moonshine LDS, 2

♀ Moonshine LDS, 2
Veija, 21 Dez. 2021
Stelli gefällt das.
    • Veija
      påslag (Zuschlag)
      Dezember 2021, by Mohikanerin
      WHC’ Griechischer Wein // Fahrenheit LDS // Blávör // Bree // Nachtschatten // Lotti Boulevard // Nachtzug nach Stokkholm LDS // Moonshine LDS // Liv efter Detta LDS // Willa // Krít // Þögn // Saints Row // CHH' Death Sentence // Yumyulakk LDS // Anthrax Survivor LDS // Heldentum LDS // Snotra // Ruvik // Moonwalker LDS // Planetenfrost LDS // Spök von Atomic // Skrúður // Krít // Hawking von Atomic // Voodoozirkus // Glanni frá glæsileika eyjarinnar // Kempa // Snúra

      Tyrell
      Mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrat ich das Büro, in dem Harlen innerhalb kürzester Zeit nicht nur alles digitalisierte, sondern auch sortierte und an den richtigen Platz stellte. Froh darüber, nun mich auch wieder mehr den Pferden widmen zu können, standen zuvor noch andere Dinge auf dem Plan. Dafür schaltete ich den Mac an und setzte mich vor den hell leuchtenden Bildschirm, der mir vor Augen führte, mal wieder die Brille putzen zu müssen. Aber auch die glänzende Oberfläche des Monitors verlangte nach einem Tuch. Seufzend erhob ich mich aus dem Stuhl, dabei knarrte das Holz unter den Rollen. In der obersten Schublade des Apothekerschranks befand sich neben den Brillenputztüchern auch ein Mikrofasertuch, mit dem ich kürzester Zeit die Fettflecken entfernen konnte.
      Nach dem Durchgehen des diesjährigen Zuchtplans, den Anmeldungen für Fohlenprüfung und Kontrolle der nächtlichen Videoaufnahmen, öffnete ich mein Mailfach. Direkt als erste Nachricht funkelte mich der Betreff ‘Winnie ist soweit’ an. Freudig klickte ich einmal zu oft auf die Überschrift, wodurch sie umgehend das nächste Fenster anbahnte, um eine Antwort zu verfassen. “Nein, Computer”, flüsterte ich meinen Rollkragen herein, schob die Maus von links nach rechts, um den Text zu lesen.
      Fast zwei Jahre stand mein Hengst im Beritt auf einem renommierten Sporthof in Deutschland, wurde dort deutlich besser behandelt als Fahri, um erfolgreich in der Dressur vorgestellt zu werden. Leider blieben die Starts aus, denn die ständigen Probleme mit seinen kanadischen Papieren, hing uns allen aus dem Hals heraus. Die Abreise aus Deutschland war eingerichtet worden, somit blieb mir nur noch die Anmeldung am Flughafen in Stockholm. Unkonzentriert schweifte mein Blick in unregelmäßigen Abständen nach links, hinaus aus dem Fenster. Vriska ritt am langen Zügel auf dem ersten Hufschlag auf Blávör. Das Pony trat aufmerksam durch den Sand, bemühte sich den Kräften der Natur entgegenzustemmen. Links den Schenkel mehr ran, dachte ich im Stillen, wusste aber, dass mich die Mail mehr brauchten als sie mich. Ich seufzte und klickte weiter.
      Auch von Fahri gab es ein Update. Noch immer war mein Freund daran, das Pferd von den Niederlanden nach Schweden zu bekommen, aber im Bereich des rechtlichen gab es noch Schwierigkeiten, die vorher gelöst werden mussten. So verhalte Fahrenheit weiterhin auf seinem kleinen Hof nahe der Hauptstadt. An Gewicht hatte er zugenommen, sah schon zufriedener aus, in der Mähne jedoch hing noch immer ein großer Klumpen aus Kletten und Dreck. Das konnte ich nicht. Schnell klickte ich die Bilder weg und formulierte eine rasche Antwort.
      Knarrend öffnete sich die Tür.
      “Hast du es schon gesehen?”, fragte Harlen freundlich und lehnte sich mit der Schulter gegen den Türrahmen. Ich musterte sein Gesicht, überlegte, was er meinte, ehe ich mit dem Kopf schüttelte.
      “Was meinst du genau?”, drückte ich verwundert die Augenbrauen zusammen, ließ mich gemütlich in die Rückenlehne des Stuhles sinken und verschränkte die Arme. Harlen lachte. Dann setzte er sich in Bewegung, stützte sich auf der Tischplatte ab.
      “Dann schau doch mal in den Ordner Wichtig”, wedelte er mit dem Finger vor dem Monitor herum. Ich richtete mich wieder auf und klickte auf das blaue Symbol auf der linken Seite. Da stand es. In großen Buchstaben im Betreff bekamen wir den Zuschlag für die Weltreiterspiele, anbei sogar die Baugenehmigung und erste Entwürfe für den Ausbau. Eine vollkommen neue Welt eröffnete sich in meinen Gedanken, noch bevor ich mir überhaupt die PDF ansah. Ich konnte sehen, wie Menschenmassen über das Gelände liefen, hocherfreut die Pferde betrachteten und überall kleine Foodtrucks standen, an denen sie sich reihten. Währenddessen duellierte sich die Reiterelite auf dem Platz, zeigten, wofür sie so lange geübt hatten. In den Stallungen würde gelacht und geweint. Abenteuerlust lag in der Luft und in meinen Augen strahlten die Kronen, die wir mit den ganzen neuen Einstellern verdienen würden.
      “Klick doch endlich an”, sagte Harlen aufgeregt. Mit der Maus führte ich den Zeiger auf den Anhang. Noch prachtvoller strahlten die Entwürfe auf dem Bildschirm. Das Lindö Dalen bekam eine ganz neue Wirkung, auch, weil Vieles umgebaut werden müsste. Die Wohnungen wurden dem Erdboden gleichgemacht, um Platz zu schaffen, für das Hauptstation mit einem riesigen Reitplatz, auf dem alle Disziplinen ausgetragen werden könnten. Darum entstanden ein Café und Restaurant, ein großer Vorplatz mit verschiedenen Ständen und alles wirkte so festlich. Ich erkannte unseren Hof gar nicht mehr wieder. Der kleine Reitplatz an der Reithalle wurde vergrößert und mit einem Weg ausgestattet, der direkt ins Innere der Arena führte. Die Tribünen lagen höher, sodass der Hauptplatz wie ein Gladiatorschauplatz anmutete. Mir gefiel die Idee, auch, dass der Zaun um das Gestüt durch eine Mauer ersetzt werden würde, mit einem automatischen Tor. Zur rechten gab es ein Camping Areal, dass auch außerhalb von Turnieren seinen Sinn haben würde. Anlegt an einem Schwimmteich, würden kleine Hütten gebaut werden, die vom Design noch in einer Ausschreibungsphase waren. Jeder bekam die Chance seine Ideen miteinfließen zu lassen, um eine möglichst kreative Vielfalt zu haben. Ich konnte nicht weitersehen, zu sehr zitterte meine Hand vor Freude.
      “Kaum zu glauben, dass das die Wirklichkeit werden würde”, freute ich mich und sah mit glasigen Augen zu Harlen.
      “Ich habe doch gesagt, wir schaffen das”, grinste dieser und sah selbst durch. Vom Stuhl erhob ich mich, um frische Luft zu schnappen.
      “Willst du nicht mit kommen zu den Pferden? Wird Zeit, dass du dich auch mal in den Sattel schwingst”, versuchte ich ihn zu überzeugen.
      “Nein, wie die letzten Tage auch schon”, lachte er mit einer abwinkenden Bewegung.
      “Dann nicht”, gluckste ich, “im Drucker liegt noch eine zweifache Ausführung eines Arbeitsvertrags. Muss nur noch unterschrieben werden, um 15 Uhr kommt die Dame.”
      Harlen nickte und ich schloss hinter mir die Tür.
      Folke traf sich mit seiner Freundin, somit war für mich die tägliche Weidekontrolle auf dem Tagesplan. Aus dem Flur zog ich mir die olivgrüne Fleecejacke und eine schwarze Weste, mit dem Logo des Stalls drauf, an. Schon in der Halle wehte ein kühler Wind hindurch, der mich erahnen ließ, wie kalt es wohl draußen sein würde. Die letzten Zentimeter am Kragen schloss ich ebenfalls noch und startete den kleinen Wagen, der einzig allein dafür gekauft wurde, um die Strecke zu weit draußen liegenden Weiden nicht laufen zu müssen.
      Die Stuten mit ihren Fohlen grasten friedlich. Brees Tochter hatte als Erstes einen Liebhaber gefunden aus Kanada und Breia würde in ungefähr einem Monat ihre Reise antreten, doch davon wussten beide Pferde noch nichts. Das Fohlen der Schwarzen, Stokki, fand man immer häufiger im Kontakt mit den anderen Jungpferden. Am liebsten stand sie bei Moonshine, die bis heute jeden Tag versuchte eine Schwachstelle im Zaun zu entdecken, und Liv. Lotti sowie die drei Isländerstuten und Saint von meinem Bruder erstrahlten in bester Gesundheit mit ihren Nachkommen.
      Unter meinen Gummistiefeln knirschte der feuchte Boden als ich zurück zum Tor lief. Ich senkte meinen Blick zur Seite, um den Wasserstand des Trogs zu prüfen. Für den Tag würde die Menge ausreichen, besonders bei den niedrigen Temperaturen reichte die Fechte des Grass. Mit wenigen Schritten saß ich wieder auf den Fahrersitz und fuhr den Weg an der Stutenweide entlang, um an das andere Ende zu gelangen, an dem die Hengste standen. Schon aus der Ferne sah ich Death mit Yu spielen. Je näher ich kam, umso mehr spürte ich die Vibration des Bodens, der unter den Hufen der Pferde bebte. Als sie mich auch entdeckten, stellten sich die Ohren neugierig auf und in einem taktklaren Tölt kamen die Junghengste zum Zaun. Nacheinander streckten sie mir ihren Kopf entgegen, nur Heldentum stand fernab der Gruppe, sah dennoch interessiert zu mir. In einer fließenden Bewegung drückte ich mich durch den Zaun und lief langsam auf ihm zu. Die anderen Hengste folgten mir vertraut, sorgten jedoch dafür, dass er wieder zur Flucht ansetzte mit leicht nach hinten gedrehten Ohren. Mit wedelnden Armen scheuchte ich die Herde hinter meinem Rücken, die sich sofort auf der Grünfläche verteilten und mir meinen Freiraum ließen.
      Schnalzend knallte meine Zunge am Zahnfleisch, wodurch wippte Held mit den Ohren und in seinen Augen funkelte die Neugier. Ein Schritt kam er näher, doch trat zwei weitere wieder zurück. Alle Versuche ihn zu mir zu locken, scheitern. So legte ich den Rückweg ein, kam dabei an Vriska vorbei, die mit Snotra eine Runde durch den Wald und in dem Augenblick auf ihrer Lieblingsstrecke töltete. Kurz dachte ich darüber nach, dass dort in spätestens einem Jahr ein großes Vereinshaus wäre, dass mit zur neuen Rennbahn gehören würde. Ehe ich mich in dem Gedanken verlor, sah ich Ruvik wie gewohnt an seinem Zaun stehen, die Ohren angelegt und mit seinem Vorderhuf scharrte er verärgert den Boden auf. Ein Pfiff und der Hengste streckte den Hals nach oben, sein Mähnenkamm wackelte, vermittelte mir umgehend, dass er dringend eine Beschäftigung benötigte, die ihm jedoch niemand geben konnte. Bis auf mir, griff das Tier jeden an, der versuchte einen Strick an sein Halfter zu hängen. Deswegen stand er nur auf der Weide, die mittlerweile wie ein Paddock daherkam.
      Nach einem Blick auf die Uhr wusste ich, dass noch genug Zeit sein würde, um mit Walkers Ausbildung fortzufahren. Den kleinen Wagen stellte ich auf seinem Platz in der Halle ab und lief die donnernd die Holzstufen hinauf zur Tribüne, um von dort in die Hütte mit der Sattelkammer zu gelangen. Vom Haken nahm ich ein Halfter ab, dass um den großen Kopf passen sollte. Schon auf dem Paddock strahlten die verbleibenden, hellen Stellen hervor, zwischen all den dunklen Pferden. Durch das Gitter stieg ich hinein. Der Sand war fest, noch von dem nächtlichen Frost. An der Sohle drückte sich die ungleichmäßige Struktur des Bodens an meinen Fuß, sogar für Stücke schmerzhaft. Während sich Plano umgehend an meine Fersen heftete, beäugte mich Walker eher kritisch. Er erhob seinen Hals und drückte den Kopf ein Stück zurück, aber ich schweifte das Halfter über die gespitzten Ohren. Entspannt prustete er die Luft durch seine Nüstern, folgte mir widerstandslos vom Paddock in die Halle. Dort ritt Bruce auf dem Platz mit Skrú, seinen Rappschecken.
      “Läuft gut mit ihm?”, fragte ich beim Putzen, als er ihn zurück in den Schritt holte.
      “Ja, sehr gut, aber ich werde ihn verkaufen”, seufzte mein Bruder, klang jedoch entschlossen.
      “Warum?”, hackte ich nach.
      “Mittlerweile habe ich so viele Hengste und für ihn bleiben die Anfragen aus zum Decken, deswegen hat sich eine Interessentin aus Polen bei mir gemeldet, die ihn übernehmen würde”, erzählte er ununterbrochen. Verständlich, dass Bruce nicht wieder in die Sammelleidenschaft unserer Familie eintreten wollte.
      “Außerdem habe ich Spök, die nur darauf wartet angeritten zu werden. Ich habe gestern das erste Mal mit ihr gearbeitet. Ein tolles Pferd, so freundlich und wie ihre Mutter, einfach ein Goldstück”, schwärmte er über eins der Skrú Nachkommen.
      “Verstehe, die hast du aus Krít gezogen, oder irre ich mich?”
      “Genau, der Schimmelstute. Deswegen sind meine Hoffnung groß, dass ich nächstes Jahr schon eine Futurity reiten könnte”, grinste er breit. Dann klingelte das Handy, womit unser Gespräch endete. Sofort nahm mein Bruder ab, während ich Walker mehr oder weniger geputzt hatte. Aus der Sattelkammer nahm ich den hellbraunen Bliss Sattel, ein Lammfellpad und die grüne Schabracke, als Zaum würde er heute das erste Mal in den Genuss kommen mit vier Zügel geführt zu werden. Dafür suchte ich das am besten passenden Kappzaum heraus mit einem Baucher Gebiss, ehe ich ihm alles umlegte mit einer Trainingsdecke über dem Po. So führte ich den Hengst zu Führanlage, damit er die ersten zehn Minuten sich aufwärmen könnte. Interessiert betrachtete ich ihn, überlegte jedoch, wie ich die Zeit sinnvoll nutzen könnte, bis er warm war. Dafür lief ich zum Stutenpaddock und prüfte den Zustand der Mutterstute, die viel zu früh ihr erstes Fohlen bekam. Mill floh in einer stürmischen Nacht von der Weide und am nächsten Tag fand ich sie eng umschlungen mit Vintage auf der Zuchtweide. Damit war das Schicksal besiegelt. Der Tierarzt riet davon ab, das Fohlen durch Hormone zu entfernen, denn damit war das Risiko sehr hoch, dass sie die nächsten Jahre nicht aufnehmen würde. “In der Natur kommt das auch vor”, sagte er damals. Jetzt tobt das feuerrote Fuchsfohlen glücklich über den Paddock und beide Tiere sind wohlauf.
      Aus dem Hintergrund ertönte das leise Piepen der Führanlage. Mit einem streichen über die Nüstern der gescheckten Rappstute lief zurück und führte Walker aus der Anlage heraus. Seine Nüstern waren weit aufgebläht. Schon als sein Huf den hellen Sand vor der Halle, bäumte sich der Hengst auf, in ihm weckte sich neue Energie, die sich über das Fell noch verstärkte. Nach dem Festziehen des Gurtes, schwang ich mich in den Sattel, um weitere Runden im Schritt zu drehen. Für den Anfang übernahm ich die Zügelführung am Kappzaum, damit er sich an diese neue Art des Reitens gewöhnen konnte. Er kannte natürlich den Zaum schon von der Bodenarbeit der letzten Wochen, senkte seinen Kopf bei Kontakt am Nasenrücken und kaute ab. Auch in seinem Genick löste sich etwas.
      Doch nach einigen Runden filterte sich heraus, dass Walker übermäßig sein Gewicht auf die äußere Schulter legte und damit versuchte, seine Gleichgewichtsprobleme auszurangieren. Mit einem sanften Bügeltritt auf der Innenseite verlängerte die Stützphase minimal, je öfter ich es wiederholte, umso sicherer kam der junge Hengst aus der Überbelastung heraus und richtete sich mehr zur Körpermitte. Lobend strich ich ihm über den Hals und setzt auch auf der anderen Hand an das Problem an, so gelang es uns auch im Trab besser, die Balance zu finden. Walker spitze die Ohren, hörte bei jeder kleinen Hilfe genau zu und gab sein Bestes, diese auch umzusetzen. Ich hingegen achtete darauf, die Linienführung sauber zu reiten, damit ich mögliche Schwachpunkte an ihm und mit entdeckte. Im Schritt zeigten sich die einfachsten Bahnfiguren als eine Leichtigkeit, doch sobald ich in den Leichttrab wechselte, kam in Biegungen der Pass durch. Den Moment nutzte ich mit einem Bügeltritt das Gewicht zu verlagern und ihm den richtigen Weg zu weisen. Nachdem er zum wiederholten Male beim Abwenden keinen Pass zeigte, holte ich ihn zurück in den Schritt und ritt ihn ab. Zumindest einige Runden, denn dann kam Walker wieder in die Führanlage für zwanzig Minuten und ich holte mir aus der Hütte einen frisch gebrühten Kaffee.

      Jonina
      Mit einem festen Stoß in die Seite, kam ich ins Wanken, zog den Strick erschrocken hoch und Hawking richtete sich erhobenen Hauptes rückwärts. Dem jungen Hengst fehlte es an vielen – vorrangig Respekt. Immer wieder versuchte er in meinen Raum einzudringen oder sich ungeniert an mir vorbeizutrampeln. Hawking lernte schnell, wollte aber nicht sein Wissen einsetzen, lieber mit dem Kopf durch die Wand, dabei befanden wir uns nur auf dem Weg von der Weide zum Stall. Menschen, die nicht einmal grüßten, kamen mir entgegen auf ihren Pferden und auch Fußgänger mit Hund. Im Wechsel durfte ich für einige Meter verschnaufen, ehe der Hengst sich wieder gegen den Strick lehnte und versuchte der Unterordnungsübung zu entringen. Auf mich hatten diese Spielchen keine Wirkung, nein, stattdessen setzte ich mich durch und bot ihm das nötige Durchhaltevermögen. Kurz vor der Ankunft auf dem Paddock strich dem jungen Hengst über den Hals. An meinem Handschuh klebten sofort viele helle Haare, die ich nur an meiner Hose abwischte. Hawking schnaubte zufrieden ab und durfte seine neuen Genossen kennenlernen.
      Voodoo stürzte sich direkt auf das junge Pferde, in dem er seinen Po gegen seinen drückte und mit einem lauten Quietschen, die Rangordnung klarstellte. Doch der Junge wusste sich zu wehren und trat ebenfalls kräftig zu. Für eine Weile beobachtete ich die ausgefallene Streiterei, die sich schnell legte. In wenigen Minuten würde die Festanstellung auf mich warten, damit verbunden, dass Glanni endlich umziehen konnte. Ich würde ihn besser in den Arbeitsalltag einbauen können, wenn er direkt auf dem Lindö Dalen Stuteri stand, aber auch müsste ich die ganzen eingeschnappten Zicken nicht mehr sehen. Wie die kleine Milena, die mit ihrer Stute Kempa und Snúra nichts besseres Zutun hatte, als sehr dicht an meinem Hengst vorbeizureiten und sich dann zu beschweren, dass er leise brummte. Vor Augen sah ich schon, die ich den Wald eroberte mit dem Fuchs, neue Wege entdeckte und auf der Trainingsbahn Gas geben könnte. Außerdem erwog Bruce zwei seiner Stuten im nächsten Jahr von ihm deckenzulassen, was mir zusätzlich ein kleines Taschengeld einhandeln würde. Ja, der Hof war geradezu perfekt für uns beide und die gemeinsame Entwicklung, fehlte nur noch der Vertrag.
      Ich hatte mich so sehr in meinem Konstrukt aus Gedanken verloren, dass ich fast den Termin im Büro vergessen hatte. Aus Erzählungen wusste ich schon, dass Tyrell sehr streng sein kann, wenn man zu spät. Also joggte ich so schnell es mir möglich war durch den Kies. Kleine Steine flogen zur linken und rechten Seite, kamen einem Knirschen wieder auf dem Boden auf. Dann stand ich vor den hölzernen Treppen, wohl möglich eins der ersten Male wirklich nervös. Schweiß lief mir am Rücken herunter und auch an der Stirn. Mit dem Ärmel meines Fleece Pullover wischte ich mir durchs Gesicht und lief den stillen und wirklich grauen erweckenden Flur entlang, stoppte vor der milchigen Glastür. Mein Herz schlug so stark, dass ich das Gefühl bekam, es würde jedem Moment aufhören zu schlagen. Die Haut zog kräftig an meiner Brust, versuchte mit allen Mitteln den Muskel an seiner Stelle zu behalten. Langsam hob ich die Hand und atmete noch einmal tief durch.
      “Herein”, sprach eine mir sehr wohlbekannte Stimme. Erschrocken drückte ich so sehr die Klinke herunter, dass ich nur so hineinstolperte und die Tür gegen die Wand schepperte. Das Glas blieb glücklicherweise intakt.
      “Mit dir habe ich nicht gerechnet”, versuchte ich meine Nervosität zu überspielen, in dem ich meine Hände in der Hosentasche versteckte.
      “Ich ehrlich gesagt auch nicht”, zuckte Harlen mit den Schultern und holte aus dem Drucker zwei mehrseitige Bögen heraus, legte sie auf die Ecke des Tisches zusammen mit einem Kugelschreiber. Leicht berührten sich unsere Hände. Ich schrak zurück und schnappte nach Luft. Er zog seine Braue nach oben. Durch das Fenster sah ich eine blonde Dame, die ziemlich große Ähnlichkeiten mit dem Herrn neben mir hatte.
      “Das ist dann wohl deine Schwester?”, fragte ich zynisch und überlegte noch, ob ich wirklich meine Unterschrift auf den Zettel setzten würde. Meine Hoffnung, auf den nahezu perfekten Arbeitsplatz verflog im Winde, als ich seine Stimme erhörte und sofort wusste, was Sache war.
      “Ja, hast du ein Problem damit?”, blieb er höflich und zeigte erneut mit seinem Finger auf die Linie, auf der ich mein Autogramm setzen sollte. Doch warf den Stift auf den Tisch. Meine Arme verschränkten sich und mit meinem Po lehnte ich mich an der Kante an.
      “Allerdings. Was ich von der weiß, reicht mir, um zu wissen, dass es keine gute Idee ist. Zudem”, ich stoppte, ringe verzweifelt nach Luft. Seine Finger kamen mir bedrohlich nah, steckten eine lose Strähne hinter mein Ohr. Auf seinen Lippen lag das Lächeln so weich, dass ich am liebsten die Zeit zurückdrehen wollte.
      “Harlen”, stammelte ich, “das kann so nicht weitergehen. Es belastet mich schon, vor meinem Bruder Stillschweigen zu bewahren, aber jetzt auch noch bei der Arbeit? Wie stellst du dir das bitte vor?”
      “Jo, ich zwinge dich zu gar nichts, du kannst es frei entscheiden. Mir ist es nicht unangenehm, meiner Schwester gegenüber, außerdem”, ehe er den Satz beenden konnte, unterbrach ich ihn.
      “Die hängt echt viel mit meinem Bruder herum, also nein, auf gar keinen Fall”, wehrte ich mich weiter. Ja, ich wollte keine Gefühle für ihn haben, schon allein, weil Eskil äußerst interessiert an Harlen war. Er selbst hatte auf den Kneipentouren ebenfalls entdeckt, dass Männer ziemlich anziehende Wirkungen hatten, dennoch fanden wir einander in einer schicksalsvollen Nacht in meinem Bett wieder. Seitdem verspürte ich mehr. Es war für mich eher ein Hobby geworden, jemanden kennenzulernen und nur wenige Wochen später jemand anderen zu haben. Dabei bezog es sich lediglich auf das kennenlernen, doch mit ihm kam es schon in der ersten Nacht einen Schritt weiter. Der Alkohol wird seine Wirkung entfacht haben und die tollen Gespräche bei uns im Garten wohl auch.
      “Mir ist es egal, aber nimm’ den Job an, mehr kann dir nicht empfehle”, sagte Harlen gutmütig, gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und setzte sich zurück an den Schreibtisch. Wie hypnotisiert blickte ich hinab auf das Blatt, er hatte recht. Eine bessere Chance gab es nicht.
    • Veija
      Dells Rookie Ranch
      Februar 2022, by Ravenna & Veija
      Zeitliche Einordnung: April 2021
      Ylvi
      "Ich habe vorhin mit der Adoptionsbehörde telefoniert. Wir haben einen Termin für den Montag in knapp einer Woche bekommen. Um 18 Uhr. Dann sollten die gröbsten Arbeiten auf der Ranch erledigt sein."
      2 Tage hatten wir wie gelähmt damit verbracht auf de Brief zu antworten. Hatten uns die Verantwortlichkeit hin und her geschoben. Heute in der Bürozeit fand ich endlich den Schneid den Hörer in die Hand zu nehmen. Am Telefon hatten sie mir leider keine Auskunft über den Grund der Vorladung geben wollen. Einerseits zitterte ich. Hatte das Ganze mit der ungewöhnlichen Situation zwischen Caleb und mir zu tun? Oder war es ganz anders...hatte sich tatsächlich noch Verwandtschaft finden lassen die Betsy zu sich nehmen wollte? Wie sollten wir das den beiden Mädchen nur beibringen. Caleb sah von seinen Unterlagen auf. "Das erscheint mir gerade wie eine Ewigkeit. Wie sollen wir die Zeit nur überbrücken?" Da es mir ganz ähnlich ging, zuckte ich nur mit den Schultern. Schließlich deutete ich aber auf das was Caleb da so eifrig in den Händen hielt. "Wir könnten quasi damit starten, die Verkaufspferde zu fotografieren. Das Wetter da draußen ist quasi perfekt. Leicht Bewölkt, die Blätter färben sich bunt. Die Pässe der Pferde scheinst du ja bereits sortiert zu haben? Meine Kamera wäre ebenfalls startklar."
      Caleb
      Gesagt, getan. In Windeseile fanden wir uns auf dem Reitplatz wieder. Die beiden Pferde, die für heute Morgen angedacht waren, waren Alan und Homy. Von Homy (General’s Coming Home) behielten wir das letztjährige Stutfohlen BR Homecoming Queen, weshalb ich mich dazu entschlossen hatte, den Hengst nun zu verkaufen. Mit Queen, deren Mutter Face Down ja bei der Geburt verstorben war, hatten wir so einen Glückgriff gemacht, dass wir die Vaterlinie nun in einem anderen Stall zur Verfügung stellen wollten.
      Ähnlich war es mit Alan’s Psychedelic Breakfast. Von ihm blieb sein letztjähriges Hengstfohlen BR Alans Smart Dream sowie zwei seiner Stutfohlen, BR Sheza Topnotch Babe und BR Black Pamina. Sein Verkauf würde mir etwas schwerer fallen, doch ich war mir sicher, dass er ein gutes Zuhause finden würde. Seine Nachkommen würden sein Erbe hier auf Bow River weiter vertreten.
      Wir konnten leider nicht alle Pferde behalten. Der letzte und auch diese Fohlenjahrgang war so unglaublich stark, so dass wir uns von ein paar alten Pferden trennen müssen.
      Wir starteten mit ein paar Portraits und Ganzkörper Bildern der Pferde, zunächst ohne Ausrüstung, dann mit.
      Schließlich folgten Reitfotos und Videos. Die beiden Pferde merkten genau, dass ich mit den Gedanken nicht bei der Sache war. Vor allem Homy nutzte dies schamlos aus. Ich wank Ylvi ab. Sie sollte aufhören Fotos zu machen, ich müsste den Hengst zunächst nochmal schön weich bekommen, bevor sie weiter draufhalten konnte.
      Schließlich klappte es dann doch.
      Später schauten wir uns am PC gemeinsam die Fotos an, suchten die passenden heraus und Ylvi fing mit der Bearbeitung an, während ich einen kurzen Text zu den Tieren verfasste und auch den Preis festlegte. Ganz billig waren sie nicht, aber sie waren beide erfolgreich im Sport, waren gekört und hatten gute Nachzuchten, was man außer Acht lassen durfte. Alan setzte ich mit 1300 Joellen und Homy mit 1100 Joellen an.
      Dann drehte ich mich zu Ylvi um. Sie nickte mir zu, sandte mir die Fotos rüber auf meinen PC und ich konnte sie der Verkaufsanzeige hinzufügen.
      “Uff”, seufzte ich, nachdem ich auf ‘absenden’ gedrückt hatte. “Verkaufen ist immer schwer, besonders bei Pferden, die man schon länger hat.”
      Ylvi nickte, lächelte kurz und wendete sich dann wieder ihrem Bildschirm zu. Schließlich sagte sie: “Wir bräuchten auch nochmal neue Fotos der Fohlen und Jährlinge, schau mal, wann wir sie das letzte Mal abgelichtet haben.” Ich stand auf und ging rüber zu ihrem Bildschirm, auf dem ich McDreamy erblickte, wie er auf wackeligen Beinen stand und mit seinem viel zu langen Hals versuchte, etwas Gras zu fressen.
      “Der sieht jetzt ganz anders aus, wie ein richtiges Pferd schon!”, lachte ich und Ylvi nickte erneut.
      “Deshalb müssten wir neue Bilder machen… direkt?”
      “Okay.”
      Ylvi
      “Lass uns fix zwei der Pferde trensen und dort hinauf reiten. Ich denke ein bisschen Beine und Seele baumeln lassen tut uns beiden sicherlich gut." Den Vorschlag musste Caleb tatsächlich kein bisschen überdenken. "Dann lass und gleich 2 aus dem Trainingsstall nehmen, die haben immer etwas Bewegung nötig."
      "Wen auch immer du mir zuweisen möchtest."
      Caleb rieb sich über das Kinn. Auf dem ich jetzt erst so richtig bemerkte das er sich in den letzten Monaten hatte einen Bart stehen lassen. Oder in den letzten Wochen? Warum fiel mir das erst jetzt auf. Als Caleb merkte das ich ihn anstarrte, schlug ich verschämt meinen Blick nieder. "Ich denke Plankton und Nic sind keine verkehrte Wahl. Nic hatte ich dabei für dich im Sinn."
      Im Stall bemühten wir uns tatsächlich nicht mal damit den Ponys ihre Trensen zu verpassen. Mit einfachen Knotenhalftern half mir Caleb auf den Rücken von Nic. Schwang sich in einem eleganten Sprung auf Plankton, während wir Richtung Osten die Ranch verließen um an den Hängen vor der Ferienranch, mein Hirn hatte sich an den neuen Namen noch immer nicht gewöhnt, nach der Herde den Jungpferde ausschau zu halten. Im Grunde war das allerdings beinahe nicht nötig - die gesamte Herde schien dermaßen neugierig auf Artgenossen. Sie stromarten bereits aus den Teilen des Waldes die Hänge hinunter in die Ebene, in Richtung des Zaunes. Ungewollt hielt ich Nic an. Sah den Pferden dabei zu, wie sie sich ihren Weg uns entgegen suchten. Ein schweres Gefühl schien sich plötzlich von meinen Schultern zu lösen. Ein Seufzen kam über meine Lippen. Schließlich, bevor ich es noch ganz begriffen hatte, schluchzte ich auf. Tränen liefen mir die Wangen hinunter. Ich wusste nicht mal wieso. Aktuell schien ich mit allem überfordert. Der Kuss mit Caleb hing mir im Gedächtnis. Die Tatsache, dass Tschetan uns gesehen haben musste. Ich noch keinen Mut gefunden hatte Louis davon zu erzählen. Dells Tod. Die Tatsache, dass Kaya nun tatsächlich begonnen hatte zu sprechen. Die Angst, dass Betsy all das hier vor uns, vielleicht nicht mehr lang haben würde. Diese Angst war fast genauso groß wie jene gewesen diese Ranch für immer zu verlassen. Plötzlich zog mich jemand von meinem Pony. Calebs Arme schlangen sich wortlos um meinen Körper, während ich von Schluchzern überwältigt wurde.
      Caleb
      So standen wir eine ganze Weile im feuchten Gras. Unsere beiden Pferde hatten die Köpfe gesenkt und fraßen seelenruhig vor sich hin. Ich vernahm ein leises Schnauben, dann herrschte wieder Stille- bis auf das Schluchzen Ylvis.
      An Dells Beerdigung hatte es mich überkommen, ich hatte mich der Trauer hingegeben, geweint. Nun allerdings, jetzt hier bei Ylvi, versuchte ich stark zu bleiben. Ihr ein Fels in der Brandung zu sein.
      “Das ist einfach nicht fair”, murmelte Ylvi und drückte sich enger an mich.
      “Was im Leben ist schon fair”, antwortete ich zwischen zusammengebissenen Zähnen und fuhr ihr mit einer Hand über die Haare. War es fair, dass die Frau, die ich geliebt hatte tot war? War es fair, dass die Frau, der ich mich geöffnet hatte, mit einem anderen verheiratet war? War es fair, dass sie jetzt hier in meinen Armen lag und weinte, anstatt sich ihrem Ehemann zu öffnen? Nichts davon war fair. Weder das Leben, noch der Tod. Wir konnten uns nur damit abfinden und nach vorne schauen. Ein Schritt nach dem Anderen. Auf einen Tag folgt ein Anderer.
      “Wir werden das schon hinbekommen, Ylvi. Es wird alles wieder gut.” Da war es wieder. Das Verlangen, was mich in der letzten Zeit immer wieder überkommen hatte. Wieder entfacht durch den Kuss Ylvis vor ein paar Tagen im Auto. “Es wird alles wieder gut...,”, murmelte ich erneut, hob ihren Kopf mit meinem Zeigefinger an und legte meine Lippen auf die Ihren. Ich küsste sie und es fühlte sich an wie damals. Vertraut, nach Zuhause. Obwohl mich ein schlechtes Gewissen überkam, ließ ich nicht ab von ihr, legte ihr meine Hand in den Nacken und zog sie so ein wenig enger an mich heran. Nach einem kurzen Zögern erwiderte sie den Kuss, wurde fordernder.
      Schließlich lösten wir uns voneinander, sahen uns an. Niemand sagte ein Wort, ehe wir uns in einem erneuten Kuss wiederfanden.
      Tschetan
      Mir perlte der Schweiß von der Stirn. Ich stand inmitten einer Box, meine Gummistiefel in der nassen Plörre, die der Hengst hinterlassen hatte. Ehrlich gesagt war mir gar nicht bewusst in wessen Box ich gerade stand.
      Aber das dämliche Vieh hatte seinen Arsch so lang an der Tränke geschubbert, bis selbige abgebrochen war. Und die gesamte Wasserleitung hatte munter fröhlich die Box,sowie den Gang gewässert. Heute morgen hatte mich also eine Masse aus Scheiße, Wasser und Stroh in der Stallgasse erwartet. Das noch vor Schulbeginn!
      In Windeseile hatte ich zumindest mal das Wasser abgestellt. Nun stand ich also in der Sauerei. Die Ablenkung kam mir allerdings gerade Recht. Zu viel das mir durch den Kopf ging. Simples Schaufeln brachte mich fort davon.
      “Tschetan!”
      “WAH!” schrie ich, zuckte sogar richtig zusammen. Sah mich um nach dem Ursprung der Stimme.
      “Bist du verrückt? Hast du mal auf die Uhr geschaut? Du musst zur Schule. Mach hin! Ich hab nicht wieder Lust auf euch zu warten” zeterte Octavia mich an. Noch im Schreck klammerte ich mich an die Mistgabel. “Hee!” sie winkte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht umher “Schau nicht wie ein Schellfisch.” Ich stellte die Gabel vor der Box ab. Tauschte meine Gummistiefel. Während O mir dabei zu sah. So richtig wusste ich ihren Blick nicht zu deuten. “Hattest du schon Frühstück?” fragte O in ihrem üblichen Ton. “Bisher nicht.” kam mir die knappe Antwort über die Lippen. “Dann schlag ich vor, du bewegst dich unter die Dusche. Du stinkst.” flüsterte sie in einer zuckersüßen Stimme. Fast augenblicklich fingen meine Ohren zu glühen an. Hervorragender Morgen.
      Aimee
      Ich hatte gerade das letzte Pausenbrot geschmiert da kam Tschetan in die Küche gestolpert. Seine langen Haare zu nassen Zöpfen geflochten sprang er quasi über den Tisch auf die Rückbank, schmierte sich in einer Schnelligkeit, die mich nur staunen ließ, ein Brot und stopfte es sich gefühlt komplett in die Backen. “Mal wieder zu spät dran”, lachte ich und reichte auch ihm eine der Tüten, in die ich das Essen gepackt hatte.
      “Na einer von uns muss doch hier auf dem Hof was helfen, Caleb rastet aus wenn wir hier nicht mit anpacken”, schmatzte er mir entgegen.
      “Mach den Mund beim Kauen zu- oder besser, mach den Mund leer, bevor du etwas sagst.”
      “Jaja…”
      Octavia platzte in die Küche, schaute uns Schulkinder einen nach dem Anderen mit einem Todesblick an und sagte: “Ab ins Auto!”
      Tschetan, Kaya, Betsy und ich flüchteten geradewegs aus dem Haus und nachdem ich das ‘Ich sitz vorn’- Spiel gegen Tschetan verloren hatte, nahm ich hinter O Platz. “Ääääätsch”, hörte ich vom Beifahrersitz, gefolgt von einem “Aua, sag mal spinnst du?!”. Ich hatte Tschetan gegen die Schulter geboxt.
      Eineinhalb Stunden später waren wir in Calgary angekommen. “Ich komm euch später abholen”, sagte O, ermahnte uns, die Türen des Wagens fest zu zu machen und fuhr dann zu ihrem Termin- was auch immer sie hier in Calgary zu erledigen hatte.
      “Sehen wir uns in der Pause?”, fragte ich in die Runde und ging nach einem allgemeinen Nicken meiner Wege.
      Tschetan
      In dem Versuch mich etwas bequemer hinzusetzen, erhob ich mich leicht auf dem Stuhl. Meine langen Beine passten kaum unter den Tisch. Ich musste, wenn ich sie lang streckte aufpassen sie nicht zwischen die Beine meines Vordermannes zu schieben. Anschließend starrte ich aus dem Fenster. Dieser Tage fiel es schwer mich zu konzentrieren. In meinen Noten spiegelte sich das ein wenig wieder. Aber auf der Ranch konnte ich vieles davon aufholen. Der Schulstoff fiel mir nie schwer. Manchmal war ich sogar fast ein wenig unterfordert damit. Mein Starren aus dem Fenster blieb jedoch nicht unbemerkt. Plötzlich versperrte mir eine Gestalt den Ausblick. Mein Blick wanderte vom Rüschen und Blumen verzierten Rock, hinauf zum rosa Strick Pulli. Um schließlich in die blauen Augen von Mrs. Schuyler zu schauen.
      Irgendwo, ganz tief unter ihrem sehr verwirrenden Kleidungsstil war sie sicherlich hübsch. In den meisten Fällen wirkte sie allerdings nur lächerlich und das nicht nur wegen ihrer Größe von nur 1,50 m. Sie schien auch nicht sonderlich viel von den First Nations zu halten. Das hatte ich bereits einige Male deutlich zu spüren bekommen. Ihre Hände hatte sie in die Hüften gestützt. “Ich gehe stark davon aus, dass du meinem Unterricht nicht gefolgt bist?” sprach sie mahnend. Da mein Hirn einen Moment brauchte um ihre Worte zu verarbeiten, schaute ich sie wenige Augenblicke verklärt an. Das ganze schien sie irgendwie zu irritieren. Sie leckte sich nervös über die Lippen. Dann legte ich den Kopf schief, grinste leicht und sprach in meiner süßesten Stimme “Nein, tut mir Leid Mrs. Schuyler.” Tat ich ihr etwa plötzlich Leid? Das Lehrerkollegium wusste sicherlich um den Todesfall auf der Ranch. In der letzten Zeit verhielten sich so einige Frauen in meiner Umgebung äußerst seltsam. “Ich sammle mich einen Moment und arbeite wieder mit. Versprochen.” Mrs. Schuyler schien darauf keine weiteren Einwände zu haben, tapperte auf kurzen Beinen wieder vor zum Smartboard...um ihren Unterricht in Sozialkunde fortzusetzen. Vielleicht fiel mir jetzt wieder ein, wieso ich dem Unterricht nicht hatte folgen wollen.
      Nicht das ich die weibliche Anatomie langweilig fand, aber sie erinnerte mich zu sehr an das was mein Kopf seit einigen Tagen auseinander nahm. Zu sehr an Ylvi...und an Caleb. Und ihren Kuss. Oder vielmehr Küsse. Ich hatte gedacht der im Auto sei eine einmalige Sache gewesen. Doch vorgestern hatte ich sie auf einem Ritt mit Dakota erneut gesehen. Ich konnte mit diesem Wissen nicht umgehen. Noch hatte ich niemandem davon erzählt. Allein mit mir ausgetragen. Einerseits...meinte ich zu verstehen was sie zueinander zog. Andererseits kannte ich mich damit nicht aus. Weder mit Frauen, noch mit Beziehungen. Mich verwirrte sogar die Anziehung die ich gegenüber Octavia empfand. Seither stürzte ich mich in die Arbeit auf der Ranch. Sie war geradlinig. Folgte ihren eigenen Regeln, während alles andere meinen Verstand zu sehr durcheinander brachte. Mein Verständnis von Liebe war...gelinde gesagt wohl als durchwachsen anzusehen. Mit dem Umzug zur Ranch hatte ich zumindest ein Verständnis für Familie entwickelt. Nur erschütterte Ylvi dieses gerade in meinen Grundfesten.
      Aimee
      „Aimee wie lange bist du jetzt hier in der Klasse?“, fragte mich meine Sitznachbarin, was mich erst zum Grübeln und dann zum Lachen brachte.
      „Ich glaube... drei, vier Monate? Letzten Dezember sind mein Vater Brian und ich auf die Bow River Ranch umgezogen. Caleb hatte neues Personal gesucht, mein Vater unterstützt ihn beim Training der Pferde”, antwortete ich während ich mit meinem Stift immer wieder die grauen Linien nachfuhr, die die Mähne meines gemalten Pferdes darstellen sollte. Ich hatte schon immer gezeichnet, mal mehr, mal weniger. In letzter Zeit und mit dem neuen Leben auf der Ranch war das etwas hinten runtergefallen, doch hier im Unterricht, in der Selbstlernzeit, fand ich wieder Motivation dazu.
      “Psst, der Lehrer kommt”, flüsterte mir jemand von rechts zu. Sofort blätterte ich in meinem Block eine Seite weiter. Gerade rechtzeitig. Fast.
      “Aimee ich weiß, dass du noch relativ neu hier bist und auch, dass privat bei euch allen viel los ist aber ich bitte dich, konzentriere dich und mach die Aufgaben. Malen kannst du im Kunstunterricht.” Mit diesen Worten nahm er mir mein gemaltes Bild weg. Ich wollte protestieren, stand schon halb auf. Doch Louis, der links von mir saß, zog mich an der Schulter wieder auf meinen Platz zurück, schüttelte den Kopf. “Leg dich nicht mit dem an”, flüsterte er mir zu und zuckte kurz mit den Schultern.
      In der Pause erzählte ich Tschetan davon. Natürlich hatte ich mein Bild nicht zurückbekommen, sondern es war im Müll gelandet. Mein Gegenüber reagierte aufbrausend, doch auch ihm gab Louis zu verstehen, dass wir uns nicht mit diesem Lehrer anlegen sollten. Es wurde geredet. Dass die Kinder von der Bow River Ranch Sonderbehandlungen bekamen, dass sie zeitens viele Fehltage aufwiesen. Jetzt einen Aufstand wegen eines Blatt Papiers zu schieben, wäre nicht förderlich.
      In der zweiten Pause stellte ich mich zu Kaya und Betsy. Die beiden waren in der selben Klasse. Tschetan ein paar darüber, ich eine über ihm. Die beiden Mädchen waren nicht wirklich für ein Gespräch zu gewinnen, weshalb ich mich umschaute. Tschetan sah ich gerade nicht, aber die anderen Jungs und Mädchen, die in Gruppen umher standen, schauten immer mal wieder zu uns rüber und tuschelten. Bildete ich mir das nur ein, weil Louis heute davon gesprochen hatte? Oder wurde wirklich so viel über uns geredet?
      Ich entschied, der Sache auf den Grund zu gehen und Tschetan zu suchen. Während ich umherging, schnappte ich immer wieder Gesprächsfetzen auf. Es wurde über die Schule gesprochen, das Wetter, die Lehrer. Kein einziges Mal bekam ich etwas über uns mit. Einige Grüppchen verstummten allerdings auch, als ich an ihnen vorbeikam.
      Wo trieb sich Tschetan eigentlich schon wieder herum? Nahe des Footballfeldes fand ich ihn schließlich. Dort stand er mit ein paar anderen indianischen Kindern und unterhielt sich mit ihnen auf einer Sprache, die ich nicht verstand. Ich blieb mit einigem Abstand stehen, winkte ihn zu mir herüber und lächelte den Anderen im Kreis freundlich zu. Diese drehten sich jedoch einfach weg. Verwirrt wandte ich mich meinem Freund zu. “Hab ich denen was getan?”, platzte es aus mir heraus. Das war doch eigentlich überhaupt nicht das, weshalb ich ihn mir hergerufen hatte.
      “Nein.” Mehr Antwort bekam ich nicht. Okay… dann musste ich mich wohl damit zufrieden geben.
      Ich räusperte mich. “Ich ähm… ist dir etwas aufgefallen, dass die Anderen über uns reden?”, fragte ich ihn dann. “Es war mir gar nicht bewusst… aber eben als Louis das erzählt hat, und mein Mathelehrer eben im Unterricht. Und wie er mit mir gesprochen hat: ‘Aimee ich weiß, dass du noch relativ neu hier bist und auch, dass privat bei euch allen viel los ist aber ich bitte dich, konzentriere dich und mach die Aufgaben.’”, äffte ich meinen Mathelehrer nach. “Hast du davon was bemerkt?”
      Tschetan
      Gossip also. Ich seufzte schwer. "Aimee, Aimee...du gibst einfach zu viel darauf was andere über dich denken könnten." Dabei legte ich einen Arm um ihre Schulter. "Ich achte nicht darauf. Aber was dein Lehrer da gesagt hat, klingt schon ein wenig seltsam. Dabei muss man zugeben.Wir Ranch-Kids werden schon manchmal anders behandelt." Dabei dachte ich nicht nur allein an die Bow River. In der Fahrgemeinschaft, sowie der damaligen Versammlung um Heim-Unterricht. Da waren es mehr Eltern gewesen, die einen Bus-Shuttle gewünscht hatten. Im letzten Semester der Schule hatte der auch noch funktioniert, doch über den Schneereichen Winter war das wieder abgebrochen. So hatten wir uns alle in Fahrgemeinschaften organisieren müssen. So wechselten aktuell alle mit einem Auto auf der Ranch, sowie der umliegenden Ranches ab. Aimee legte den Kopf schief "mhm, du magst vielleicht Recht haben.Ich find es einfach nur auffällig." sprach sie konsterniert. "Nur Mrs. Schuyler ist in letzter Zeit so seltsam. Du kennst sie? Die junge Lehrerin mit Hang zu Rüschen und rosa Strick-Sachen?"
      "Die Sozialkunde-Lehrerin?" "mhm, genau die."
      "Tut mir Leid...ich kenn die zwar flüchtig. Aber im Unterricht habe ich sie nicht. Inwieweit ist sie denn seltsam? Ich liebe ja ihr lockiges Haar." schwärmte Aimee. "Haar hin oder her. Meine Freunde hatten, aufgrund ihrer Herkunft aus dem Reservat schon so einige Probleme mit ihr. Auch an mir ist das nicht ganz vorbei. Letztens musste ich mal wieder Nachsitzen bei ihr. Ich bin vielleicht ein wenig unaufmerksam im Unterricht." ich kratzte mir am Kopf dabei. Sollte ich Aimee von Ylvi und Caleb erzählen? Sie war noch nicht lang da. Aber in den wenigen Monaten eine wirklich gute Freundin geworden.
      Aimee
      “Hm, ist denn alles ok?”, fragte ich den jungen Mann und schälte mich aus seinem mich umfassenden Arm, um ihm wieder gegenüber zu stehen und ihn ansehen zu können. Dieser winkte nur ab und schaute in Richtung der Schulglocken, die uns mit ihrem Klingeln zu verstehen geben, dass wir uns für die letzten zwei Stunden wieder zurück ins Schulgebäude begeben sollten. “Bis später”, verabschiedete ich mich von Tschetan, für den mir einfach kein geeigneter Spitzname einfallen wollte, um wieder in mein Klassenzimmer zurück zu gehen. Beim Hineingehen langte ich flink in den Papiermüll und zog mein Bild wieder heraus.
      An meinem Platz angekommen glättete ich es sorgfältig mit meinem Ärmel, ehe ich es in meinen Block steckte- sicher verwahrt vor weiteren Lehrern, die es mir wegnehmen könnten.
      Die letzten beiden Stunden vergingen wie im Flug. Draußen traf ich Kaya und Betsy wieder, mit denen ich schon einmal zum Auto ging. O holte uns wieder ab. Da Tschetan nicht da war, krallte ich mir den Beifahrerplatz und streckte ihm die Zunge raus, als er sich auch endlich bequemte, zu uns rüber zu kommen. Kaya und Betsy unterhielten sich auf der Rückfahrt munter. Tschetan und ich schienen beide eigenen Gedanken nachzuhängen, denn niemand von uns sagte ein Wort.
      Auf der Ranch angekommen ging es zum gemeinsamen Mittagessen, danach an die Hausaufgaben. Ich blieb am Küchentisch im Haupthaus sitzen, eine der wenigen Gelegenheiten, den Trubel hier hautnah mitzubekommen. Caleb stiefelte ein und aus und beachtete mich nicht weiter. Ylvi ging ein und aus, immer darauf bedacht, an der Küche vorbei zu huschen und immer genau gegenteilig zu Caleb. Ging er raus, kam sie rein. Ging er rein, kam sie kurz danach raus. Die Beiden waren mir ein Rätsel.
      “Na Aimee, brauchst du noch lange?”, fragte mich Laurence, der auf einmal in der Tür zum Flur stand.
      Ich sah auf, schlug mein Heft zu und sah ihn strahlend an. “Gerade fertig geworden!”
      “Gut, kannst du mir mal bei der neuen Tränke helfen? Ich bekomm die Schrauben nicht gut rein. Wird wohl doch Zeit, dass ich mir eine Brille hole”, grummelte der alte Mann und ich folgte ihm schweigend.
      Tschetan hatte so etwas heute Morgen erzählt, dass einer der Hengste in einer Box die Wassertränke zerstört hatte. Wir brauchten nicht lange, da konnte ich wieder meiner Wege gehen. Ich steuerte auf den Bungalow meines Vaters und mir zu, in dem ich in mein Zimmer ging und mich umzog. Als ich den Bungalow wieder verlassen wollte, stand Tschetan vor der Tür. “Ich äh.. hast du Lust auf einen Ausritt? Caleb sagte wir dürften Chou und Jade mitnehmen.”
      Tschetan
      Nach den Hausaufgaben, sowie dem Beritt zweier Trainingspferde von Caleb, hatte ich mich mit der Bitte auf einen Ausritt aus seinem Dunstkreis retten können. Wie ich mit ihm umgehen wollte, oder besser sollte mit dem Wissen das ich hatte wusste ich nicht. Normalerweise fiel es mir nicht schwer mit ihm solche Sachen zu besprechen. Manchmal hatte ich ihm mehr anvertrauen können als meinem Onkel. Mit dem Bruch in meinem Vertrauen hatte ich nun wirklich ein Problem erreicht das ich nicht wirklich zu klären wusste.
      Aimee erschien mir daher wie die naheliegendste Wahl. Zu einem Ausritt musste sie selten überredet werden. In der Stallgasse quatschten wir über belanglose Dinge. Ließen uns Zeit damit die Pferde fertig zu machen, schließlich blieb es immer länger hell. Die Sonne schien sogar manchmal schon so sehr vom Himmel, dass sie einem die Haut wärmte. Ich hielt Chou vorn am Zügel fest, während Aimee sich in den Sattel schwang. Ehe ich es mir auf dem Rücken von Jade bequem machte. Ihr entging mein Zeichen mit den Lippen den Weg zu weisen. Also wiederholte ich die Geste mit der Hand. "Manchmal vergesse ich, dass du nicht wie ich aufgewachsen bist." Aimee drehte sich halb zu mir um, Verwirrung in ihrem Blick. "Wir geben oft mit vorgeschobener Lippe eine Richtung an, oder deuten auf andere Personen. So " damit wiederholte ich die kleine Geste. "Das ist mir so geläufig. Selbst Ylvi kannte das. Aber in der Schule oder mit dir. Vielen entgeht das einfach."
      "Warum macht ihr das auch?"
      "Mit dem Finger oder der Hand auf andere zu weisen ist schrecklich unhöflich." Aimee grinste breit "Bei uns auch, aber ich glaube niemand kam auf die Idee einfach die Geste zu verändern."
      "Du kannst eben noch eine ganze Menge von mir lernen." ich drückte meinen Rücken durch, schob die Brust heraus und schaute 'weise' wie möglich drein. "Musst du kacken?" fragte Aimee spöttisch, trabte Chou an und verschwand einen Moment aus meinem Blickwinkel. Ohne nachzudenken gab ich Jade die Zügel vor. Schrie "Yihaaw" und preschte im Galopp an ihr vorbei. Chou hatte keine Schwierigkeiten damit mir und Jade zu folgen. Nachdem der Pfad in den Wald allerdings verwurzelter wurde parierte ich das Pony durch. "Mach das nicht nochmal!" schimpfte Aimee mit mir. Doch das Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. Natürlich wusste ich, dass Aimee ein bisschen aus der Übung war mit dem Reiten. Sie war zwar auf einem Pferderücken aufgewachsen, hatte die letzten 6 Jahre aber in der Stadt gelebt und keine Pferde gesehen. Ich war mir sicher, hätte sie mich erreicht, dann hätte sie mir wütend auf die Schulter geschlagen. Das war eine ihrer seltsamen Angewohnheiten. Trotzdem entschuldigte ich mich nicht, es war schließlich nichts passiert. "Sieh dir lieber diesen Ausblick an!" stichelte ich, deutete in Richtung des Bow River der sich unter uns erstreckte. Der Galopp hatte den leichten Anstieg in den Wald genommen. “Erinnert ein wenig an den auf der Ferienranch.” sprach Aimee zögerlich. Ihr war es unangenehm über Dell’s Tod zu sprechen. Sie hatte den Mann schließlich kaum gekannt. “Tatsächlich, das ist mir so direkt noch nie aufgefallen. Allerdings ist es der falsche Hang.” Ich gab Jade das Zeichen weiter voran zu laufen.
      “Tschetan...sag mal, normalerweise bist du ein wenig gesprächiger mit mir. Bedrückt dich irgendwas? Ich hatte auf dem Schulhof schon das Gefühl du möchtest etwas loswerden.” Ich zuckte mit den Schultern. “Schon ja, aber irgendwie finde ich die richtigen Worte nicht.”
      “Sprech sie einfach aus.Richtige Worte lassen sich schwer finden.”
      “Ich hab...vor ein paar Tagen gesehen wie sich Caleb und Ylvi im Auto vor der Schule geküsst haben. ...und dann am Sonntag, also gestern. Hab ich auf meinem Trainingsritt mit Dakota gesehen wie sie auf der Ebene standen. Erst hat er sie nur umarmt. Und plötzlich haben sie sich innig geküsst. Sie waren ein Paar, weißt du. Bevor Louis sie geheiratet hat. Ich weiß das war..naja mehr aus Zweckmäßigkeit. Sie hätte sonst die Ranch verlassen müssen. Aber ich sehe auch wie sie zu uns ist...mit Louis umgeht. Ich verstehe nicht viel von Liebe...aber die Art wie sie Louis anschaut. Das bilde ich mir doch nicht ein? “ bei meiner Unsicherheit blieb Jade plötzlich stehen, sodass Chou beinahe in sein Vorderpferd hinein lief.
      Aimee
      “Oh shit”, bekam ich gerade noch über die Lippen, da hing ich am Hals meines Pferdes. Die Zügel hatte ich aus Reflex fallen gelassen, um mich selbst am Tier festzuhalten. Zum Glück hatte Chou nur aus dem Schritt einen Satz zur Seite gemacht, so dass es mich nicht komplett vom Rücken gefegt hatte.
      “Mein Gott, Aimee”, bekam ich von Tschetan zu hören, der lachend die Augen verdrehte und mich wieder aufs Pferd schob. Auch langte er nach meinen Zügeln, um sie mir wieder in die Hand zu drücken.
      Ich schaute ihn schmollend an. “Jaja, du darfst jetzt gerne wieder aufhören zu lachen.” Wir ritten weiter. Ich war ihm noch immer eine Antwort schuldig.Es war wirklich schwer für mich, Caleb, Louis und Ylvi einzuschätzen. Genau das antwortete ich Tschetan schließlich auch. “Ich habe immer mal wieder ein paar Bruchstücke mitbekommen, von den Dreien. Dass Ylvi zuerst mit Caleb zusammen gewesen ist, dann mit Louis. Anscheinend gibt es öfter Streit, was die betrifft?” Tschetan nickte. “Hmpf…”, murmelte ich und lenkte Chou durch die tiefhängenden Äste, bis wir ganz oben auf dem Hügel angekommen waren, von dem aus man das gesamte Tal überblicken konnte. Ich atmete einmal tief ein. Oh wie hatte ich das vermisst, diese Landluft und die großen Weiten von… nichts. Okay nichts war es nicht wirklich, aber keine Straßen und Autos oder Hochhäuser oder… “Aimee, hallo, komm wieder hierher zurück”, lachte Tschetan und legte seine Hand kurz auf mein Bein.
      “Ist ja gut”, grummelte ich, drehte Chou so, dass seine Hand von meinem Bein rutschte und sah zur Bow River Ranch rüber. “Ich verstehe Caleb und Ylvi aber auch nicht… meine Eltern haben sich getrennt und kämen nie auf die Idee, nochmal etwas miteinander anzufangen und…”
      “Ich glaube Caleb und Ylvi haben sich nie richtig getrennt.”
      “Hm?”
      “Na… Louis hat sie geheiratet, damit sie bleiben konnte. Auf der Ranch. Ich glaube, sie haben nie richtig Schluss gemacht.”
      “Oh”, war meine knappe, verwunderte Antwort. “Aber das ist doch trotzdem kein Grund.. ich mein.. ach was weiß ich denn schon.” Ich zuckte die Schultern. Tschetan sah mich ebenso ratlos an. “Komm, lass uns zurückreiten.”
      Wir wählten dieses Mal einen leichteren Weg, so dass wir viel auf der Geraden traben und galoppieren konnten.
      Auf dem Hof angekommen kam uns Laurence entgegen, der nicht sehr erfreut aussah. Ich wechselte einen kurzen, hilfesuchenden Blick mit Tschetan, ehe das Donnerwetter losging. “Wenn ihr nochmal so vom Hof prescht wie die Bekloppten… dann wars für ein paar Wochen das letzte Mal, dass hier einer von euch ein Pferd reitet!”
      “ ‘tschuldigung, Laurence”, murmelten Tschetan und ich synchron. “Kommt nicht wieder vor.” Laurence nickte und tigerte um uns herum. “Die werden jetzt hoffentlich gewaschen und ins Solarium gestellt. Was habt ihr mit denen gemacht?”
      Tschetan ergriff das Wort, erklärte sich und versicherte ihm, dass wir die Pferde waschen und anschließend unter das wärmende Solarium stellen würden. Noch war es zu kalt, um sie an der Luft trocknen zu lassen.
      Tschetan
      Ich pulte an dem getrockneten Schweiß in Jades Fell herum. Wir standen gemeinsam unter dem Licht des Solariums. Chou war etwas ungeduldig, sodass Aimee das Pferd immer wieder korrigierte. “Aimee. Ignoriere das Scharren einfach. Du weißt doch...Aufmerksamkeit ist Aufmerksamkeit, auch wenn das Pferd scharrt.” Der Blick den ich über Chous Rücken zugeschickt bekam, hätte mich wohl getötet, wenn Blicke solcherlei Dinge vermochten. Ich konnte nicht anders als ihn mit einem breiten Grinsen zu erwidern. Aimee seufzte “Du bist fast so schlimm wie Caleb.” dabei rollte sie die Augen. Ich zuckte die Schultern “Das hat gar nichts mit Caleb zu tun. So hab ich es gelernt. Lakota strafen ihre Kinder nicht. Sie müssen ihre Erfahrungen selbst machen. Stattdessen wurden uns lehrreiche Geschichten erzählt. Kein Elternteil bei Verstand würde gegen seine Kinder die Hand erheben.” Zumindest war es in alten Zeiten so gewesen...Louis hatte uns so erzogen. Auch meine Großmutter. Mein Vater jedoch, wenn er zu viel Alkohol getrunken hatte. Ich schaute hinab zu meiner Hand die noch immer mit der verschwitzten Stelle spielte. Das war ein Thema an das ich nicht gern dachte. Genauso wie den Tod meiner Mutter. Aimee sprach mich nicht an, es herrschte eine ganze Weile einfach nur Schweigen. Dafür war ich ihr Dankbar. Sie wusste manchmal ganz genau, wenn es sich nicht lohnte weiter nach zu bohren.
      “Ich denke wir können die zwei wieder auf die Paddocks bringen.” murmelte Aimee irgendwann zu mir. “Ich will nur noch schnell die Schweißkruste aus dem Fell bürsten.”
      “Das ist keine schlechte Idee.” erwiderte Aimee. Seite an Seite bürsteten wir beiden Pferden die Rückenpartie. Trotzdem sie beinahe trocken waren, beobachteten wir beide Pferde noch dabei wie sie sich ausgiebig im Dreck wälzten. “Tschetan?” ich drehte mich suchend nach der Stimme um, die meinen Namen gerufen hatte, es war Ylvi gewesen. “Hast du deine Schwester in der letzten Stunde zufällig gesehen?”
      “Tut mir Leid, ich war auf einem Ausritt.”
      “Diese zwei Kids machen mich wahnsinnig. Also, wenn du Kaya oder Betsy irgendwo siehst - schick sie zum Bungalow. Es wird Zeit für das Abendessen. Bist du heute dabei? Oder isst du drüben mit den anderen?” Ich schenkte Aimee einen Seitenblick. Ihre Lippen formten das Wort ‘Drüben’.
      Dabei fiel mir etwas ein. “Hast du drüben im Haupthaus mal nach den beiden gesucht? Schließlich wird Betsy über kurz oder lang dort ihr Zimmer beziehen. Ich denke vor dem Kamin in der Bibliothek werden sie es sich bequem gemacht haben.” Nicht das sie sich sonderlich für die Bücher dort interessiert hätten. Vielmehr den riesigen Bildschirm den Laurence dort vor einigen Wochen aufgehängt hatte.
      Laurence
      Gähnend schaute ich nach oben, als eine Gestalt in die Bibliothek gepoltert kam. Es war Ylvi, die sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht strich. “Hier habt ihr euch verkrochen!” Damit meinte sie vermutlich eher Kaya und Betsy als mich. “Was schaut ihr euch da eigentlich an?”, setzte sie nach, schnappte sich die Fernbedienung und knipste die Kiste aus. “Es gibt Essen, kommt. Du auch Laurence.”
      Im Esszimmer angekommen fiel mir sofort auf, dass Ylvi den Weg zur Haustür eingeschlagen und rausgegangen war. Aß sie nicht mit uns? Ich überflog den gedeckten Tisch mit einem kurzen Blick. Zwei Teller zu wenig. Ylvi und Louis.
      Kurzerhand nahm ich Platz und schaute zur Tür, als Tschetan und Aimee den Raum betraten. Ich sah sie fragend an und bekam schließlich von Tschetan Antwort: “Jade und Chou sind wieder auf ihren Paddocks.” Kurz nickte ich, ehe ich zu Caleb sah, der sich mit Betsy unterhielt. Seit neustem haben wir die Sitzordnung am Tisch etwas geändert, so dass die Kleine neben Caleb saß. Dieser Platz war ehemals Ylvi zugeteilt gewesen.
      Dolly hatte sich wieder die größte Mühe gegeben. Lasagne gab es am heutigen Abend und alle schlugen sich die Bäuche voll. Was Louis und Ylvi drüben wohl aßen?
      Ich war froh, dass wir morgens und abends gemeinsam hier am Tisch sitzen und essen konnten. Die Haushaltshilfe Dolores, liebevoll von uns allen Dolly genannt, war eine unglaubliche Bereicherung- und das schon über einen geraumen Zeitraum hinweg! “Dolly, setz dich doch und iss auch etwas mit uns”, bot ich ihr an und rückte auf der Bank ein Stück zur Seite. Sie nickte lächelnd und setzte sich mit einem Teller und Besteck neben mich.
      Die Mitarbeiter unterhielten sich munter, es herrschte eine lockere Stimmung. Schließlich war es Zeit, den Tisch abzuräumen. Wir hatten uns angewöhnt, dass jeder seinen Teller nach dem Essen in die Spülmaschine stellte. Dolly nahm uns zwar viel Arbeit ab, aber das bekam jeder auch gut selbst auf die Reihe und entlastete sie so ein wenig. “Bis morgen früh, Dolly”, verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg in den Stall. Heute war ich mit der Abendrunde dran.
      Tschetan
      “Wo hast du Kaya gelassen?” kam eine Stimme aus der Dunkelheit. Ich zuckte doch tatsächlich zusammen als Aimees Stimme plötzlich auftauchte. “Übernachtungsparty drüben bei Betsy. Bedeutet...endlich mal wieder in meinem Bett schlafen!” Aimee zog verwirrt das Gesicht kraus.
      “Betsy hat in den letzten Wochen so oft bei uns geschlafen. Da war die Couch mein Bett”
      “Stimmt, die Bungalows sind alle gleich geschnitten. Du hast kein eigenes Zimmer.”
      “Richtig. Es war mal in der Sprache das ich rüber in das Haupthaus ziehe...aber irgendwie kam das Thema nie wieder auf.”
      “Und du findest das okay dir mit deiner 12 jährigen Schwester und ihrer Freundin das Zimmer zu teilen?”
      “Das ist schon...naja in Ordnung. Im Reservat haben wir oft zu 5 in einem Raum geschlafen. Ich kenn es tatsächlich gar nicht anders.”
      “Ouh...tut mir Leid, ich vergess das immer wieder.”
      “Schon gut.” winkte ich ab. “Gut...dann mal gute Nacht.” ich winkte ihr zu, öffnete die Tür und verschwand im inneren. “Wo ist Kaya?” ich musste ein wenig Grinsen. Innerhalb weniger Minuten dieselbe Frage gestellt zu bekommen. “Sie schläft drüben bei Betsy.”
      Ylvi seufzte “Vielleicht sollten wir mit ihr sprechen...es ist ja schön das sie so erwachsen wird. Aber sollte sie uns nicht um Erlaubnis fragen?” fragend sah sie sich zu Louis um. Der machte eine Geste die sie nicht verstand. “Sie hat ihrem Bruder bescheid gegeben. Sie ist nicht weit fort.”
      “Ja also dann.”
      “Ich wünsche euch beiden eine gute Nacht.” damit ging ich zur Couch. Umarmte Louis...und gab Ylvi einen Kuss auf die Wange. Nur weil ich gesehen hatte was zwischen ihr und Caleb vorgefallen war, wollte ich vorerst nicht anders mit ihr umgehen. Noch wusste ich nicht was ich mit meiner Information anstellen würde. Aber es hatte gut getan Aimee heute davon zu erzählen.
      Caleb
      Sonntagabend. Die Woche war wie im Flug vergangen. 11 Tage war Dell nun schon begraben. Oben auf dem Hügel auf dem nun die neue Ferienranch trohnte. Dells Rookie Ranch. Den Sommer über würden wir an den Gebäuden arbeiten, so dass sie zum Winter hin einzugsbereit war. Ich saß in meinem großen Sessel im unteren Wohnzimmer vor dem imposanten Kamin und schauten den Flammen zu, die sich immer wieder ihren Weg nach oben suchten, züngelten wie eine Schlange, um im nächsten Moment wieder in sich zusammen zu fallen. Ich nahm einen Schluck des Bieres, welches sich in meiner rechten Hand befand. In meiner Linken drehte ich Vultures Anhänger, das kleine Gewehr, immer wieder hin und her. Ich war mir sicher gewesen, ich hätte es wieder am Halfter meines Hengstes befestigt. Wie also konnte ich es dann in der Tasche meines Hemdes finden?
      Meine Gedanken schweiften, ich war aufgeregt, unruhig. Morgen Abend war der Termin auf dem Jugendamt wegen Betsy. Am Telefon wurde uns nicht verraten, um was es ging. Wieder nippte ich an der Flasche, steckte den Anhänger zurück in meine Tasche und beobachtete weiter die Flammen. Schließlich schloss ich meine Augen und lehnte meinen Kopf seufzend zurück gegen die Kopfstütze des Sessels. *klong* “Prost, Caleb”, trällerte Octavia, die gerade mit ihrer Flasche an meiner angestoßen hatte, ehe sie sich aufs Sofa setzte. Ihr folgten Cayce, Murphy und Bellamy, die sich ebenfalls im Raum verteilten und munter miteinander anstießen. Ich grummelte etwas unverständliches, drehte den Sessel und wohnte ihrer Unterhaltung bei. Octavia unterhielt sich über Bellamy hinweg mit Murphy, dass sie mit den Fortschritten von Soul absolut begeistert wäre. Bellamy derweil warf immer wieder ein, dass sich seine Dakota gemacht hätte, seit wieder Zeit da war, um sie regelmäßig zu arbeiten.
      “He Cayce, was macht Shorty?”, fragte ich den braunhaarigen Mann der mir am nächsten saß. Shorty war beim letzten Zusammentreiben der Kühe in den Stacheldraht gekommen, als er einer ziemlich übel gelaunten Mutterkuh ausweichen musste.
      “Halb so wild”, murmelte er und nahm einen Schluck aus der Flasche. “Es heilt gut. Ich denke, ihn nehm ihn morgen wieder mit.”
      “Wenn du ihm dennoch etwas mehr Ruhe gönnen möchtest, nimm ruhig weiterhin Gangster oder Devil. Es sei denn… du suchst die Herausforderung. Dann schnapp dir Crystal. Eigentlich bräuchte sie mehr Routine…”
      “Routine?”, lachte Cayce. “Um Routine zu entwickeln, müsste die erstmal eine ordentliche Grundausbildung am Rind haben und… verdammt.”
      Alle lachten, auch die, die unserem Gespräch bisher nicht wirklich gefolgt waren. “Du hast deine Aufgabe für die nächsten Wochen gerade selbst festgelegt.”
      “Noch irgendwelche Jobs, die du mir aufdrücken willst?”, murrte er und rollte dabei theatralisch mit den Augen.
      “Nein, nein. Erstmal nicht.”
      Mir war gar nicht aufgefallen, dass Ylvi den Raum betreten und sich auf den zweiten Sessel, mir gegenüber gesetzt hatte. Ich nickte ihr zu, hob mein Bier und wir beide tranken einen Schluck.
      Nach und nach leerte sich der Raum, bis es nur noch wir beide waren, die sich darin befanden. Einzig und allein das Knacken des Feuers bewahrte uns davor, uns in peinlicher Stille gegenüber zu sitzen.
      Ylvi
      Ich hatte versucht ihm aus dem Weg zu gehen. Aber zwischen den Schlucken von Wein und Bier hatte ich den Moment verpasst das Zimmer frühzeitig zu verlassen. Das Knacken des Feuers...und mein gelegentliches blättern war zu hören.
      Ab einem Punkt zwischen den Gesprächen hatte ich mich dem Buchregal zugewandt. “Das hast du lang nicht getan.” durchbrach Calebs Stimme plötzlich die Stille.
      “Mhm?” fragte ich verwundert.
      “Ich hab dich eine ganze Weile nicht mehr lesen sehen.”
      “Reine Ablenkung.”
      “Solltest du die Ablenkung nicht drüben bei deinem Mann suchen?” Wieso betonte er das Wort Mann nur so sehr? Ich klammerte mich an das Buch auf meinem Schoß. “Caleb, bitte..”
      “Was? Ich dachte ich hätte dich vergessen...und dann fängst du mit diesem...ja was...Spiel? An.”
      Ich musste schwer schlucken, sah ihn an wie ein verschrecktes Reh. Irgendwie hatte er ja Recht. Aber da draußen auf der Ebene, da hatte er mich schließlich geküsst! “Also wieso bist du hier?”
      “Ich...ich wollte dir Gesellschaft leisten..Morgen ist ein wichtiger Tag. Wir haben beide Angst. Vielleicht mag es dir nicht einleuchten. Aber Betsy ist auch in meinem Haushalt ein und aus gegangen. Ich bin für sie genau so eine Ansprechpartnerin wie du es bist. Ich fände es schrecklich sie zu verlieren. Ich dachte…”
      “Ich glaube nicht das du denkst..” sprach Caleb bitter. Ich klappte mein Buch zu. Fein, wenn er meine Gesellschaft nicht wollte. “Nein, vielleicht denke ich dieser Tage nicht ganz rational. Aber wir haben auch eine ganze Menge durchgemacht. “ ich erhob mich aus dem Sessel. Musste jedoch einen Moment inne halten. Meine Beine im Schneidersitz hatten begonnen zu kribbeln, jetzt waren sie eingeschlafen. Von meinem Standpunkt aus sah ich Caleb an, der sich noch einen Schluck von seinem Bier nahm. Den Flaschen auf dem Tisch zu schließen auch nicht unbedingt seine erste. Und bei meinen Worten hatte er nur aufgelacht. Er schien auf Streit aus...oder sprach der Alkohol aus ihm? Dann deutete er mit der Flasche auf mich. “Ich versteh dich einfach nicht. Gerade schien es als würden wir zu einem normalen Miteinander zurückkehren können. Und dann...küsst du mich.” Ich wollte diese Konversation nicht, also humpelte ich, trotz eingeschlafenem Fuß aus dem Raum. Ich hatte gerade seinen Sessel erreicht. “Du solltest dich wirklich entscheiden was du willst.” nicht nur Caleb hatte zu viel getrunken.
      Ich hatte noch gar nicht vernünftig darüber nachgedacht, da war ich bereits herumgewirbelt und das Schallen meiner Ohrfeige klang durch den Raum. Calebs Körper, an jahrelange Prügeleien gewohnt, schoss aus dem Sessel auf.Die Bierflasche fiel dabei dumpf auf den Teppichboden. “Nur zu..” drohte ich, auf meiner Wange lief eine Träne der Wut hinab. Mein Blut kochte.Ich sah ihm in die funkelnden Augen. “Du hast deine Chance vertan.” damit stieß ich meinen Finger in seine Brust. “DU hast damals nichts getan. Dabei hab ich gedacht...ich hab gedacht ich würde dir irgendetwas bedeuten. Eine Woche lang...hab ich mir die Augen ausgeheult. Du bist mir aus dem Weg gegangen. Ich dachte du hättest mich abgeschrieben…” flüsterte ich unter dem Einfluss des Alkohols, weinte dabei stumme Tränen und schlug ihm auf die Brust. “Louis war derjenige der mich davor bewahrt hat diesen Ort zu verlassen. Erst war es nur Anziehung, aber auch er brauchte die Hochzeit um die Kinder zu behalten. Die Zuneigung kam erst mit der Zeit. Es ist unfair mich dafür zu verurteilen. Du hattest deine Chance.” schluchzte ich.
      “Du hast dich entschieden...ich hatte...Angst. Angst dich zu fragen. Bist du vielleicht mal auf die Idee gekommen mich danach zu fragen? Nein...stattdessen hast du dich meinem besten Freund an den Hals geworfen, Ylvi. Du hast mich zerstört. Mein Vertrauen missbraucht. Keine Lügen...kannst du dich an das Versprechen noch erinnern?” knurrte Caleb mir zu. “Ich habe dich nie belogen, Caleb. Ich habe dir die Wahrheit gesagt.”
      “Dann verrat mir mal...wieso dein Mann da drüben in seinem Bungalow sitzt...und du hier bist,mhm? Belügst du dich selbst so sehr? Wohin gehört dein Herz Ylvi.”
      “Du bist nicht fair...Zwing mich nicht zwischen euch wählen zu müssen.” schluchzte ich. Wollte mich umdrehen um zu gehen. Das ganze Gespräch hatte sich in eine völlig falsche Richtung entwickelt.
      Um meiner Verwirrung und Frustration noch mehr Futter zu geben, fand ich mich plötzlich in einem stürmischen Kuss wieder. Lippen auf den meinen. Meinem Hals. Zähne die an meinem Ohrläppchen knabberten. Ich seufzte hinein in die Zärtlichkeiten. Obwohl mein Verstand befahl mich sofort von ihm loszureißen. Was sollte das hier eigentlich werden. “Sag mir das ich aufhören soll.” forderte Caleb. “Caleb” stotterte ich, meine Knie zitterten. Seine Arme zogen mich enger an ihn. Er wusste wie sehr ich unter seinen Armen zu zerfließen konnte. Schon von seiner ersten Berührung vor all der Zeit. “Muss ich dich wirklich zwingen mich zu wählen.” hauchte er atemlos in mein Ohr. Natürlich war die Antwort nicht so einfach. Das musste selbst Caleb wissen. Ich krallte meine Finger in seinen Rücken, als er mich an der Hüfte packte und mich auf seinen Arm hob. “Caleb, wir…..nicht..”
      “Du wolltest mir doch Ablenkung schenken, lass mich jetzt nicht allein.” Mein Verstand...ein kleiner Teil davon schrie an ihm zu widerstehen. Aber der Teil, der ihn vermisst hatte, dieser Teil öffnete meine Beine für ihn und hieß ihn willkommen. Die Scham...sie kam erst später. Warum nur hatte sich mein Herz, mein Verstand und mein Körper zwei Männern verschrieben?
      Caleb
      Wir saßen im Wartezimmer des Jugendamtes. Ylvi hatte sich, ‘damit es besser aussah’ widerwillig auf den Stuhl neben mich gesetzt, obwohl wir beide innerlich nach Abstand zu schreien schienen. Der gestrige Abend hatte mich zum platzen gebracht. Meine Gefühle, Wut, die ich so lange angestaut hatte, war einfach explodiert. Ich war zwar aus dem Sessel aufgesprungen und hatte einen Satz auf Ylvi zugemacht, aber die Hand gegen sie erhoben hätte ich niemals, nie.
      War es eigentlich nur Wut, die da in mir brodelte? Nein. Es war Enttäuschung, Unsicherheit, Verletzbarkeit, Verrat, Wut und.. Trauer. Ja, traurig über die Umstände, in denen sich die Ranch gerade befand. Traurig darüber, dass wir jetzt hier saßen und jemand anderes über das Schicksal von Betsy entscheiden würde obwohl in Dells Testament glasklar stand, dass Ylvi und ich für sie sorgen sollten.
      Wir wurden aufgerufen und konnten ins Zimmer unserer Bearbeiterin Hailey Miller gehen, bei der wir ja schon einmal gewesen waren.
      Schweigend setzten wir uns hin und warteten auf die Frau. Niemand von uns sagte ein Wort oder sah den anderen an. Die Fahrt hier nach Calgary war mir schon wie eine Ewigkeit vorgekommen.
      “Guten Morgen Mr. O’Dell und Misses Kills-Bears. Ich möchte direkt zum Punkt kommen, bevor ich lange um den heißen Brei herumrede. Ich habe die Auflagen geprüft und wurde stutzig, als ich mich mit dem Familienstand von Ihnen Beiden beschäftigt habe. Sie, Mr. O’Dell sind ledig und Sie, Misses Kills-Bears sind mit einem… lassen Sie mich nachschauen, Louis Kills-Bears verheiratet, welcher zwei Kinder: Kaya und Tschetan adoptiert hat von seinem… verstorbenen Schwester”, die Frau schwieg und blätterte in ihren Unterlagen hin und her. Wie tief mochte sie wohl gegraben haben?
      “Ich kann Ihnen gemeinsam das Sorgerecht für Betsy Dell nicht übergeben, auch wenn Mr. William Dell diesen Wunsch in seinem Testament hinterlassen hat.”
      Stille. Schweigen. Fassungslosigkeit.
      “Nein?”, kam es irgendwann leise von Ylvi, die ihre Hände auf ihrem Schoß nervös hin und her bewegte.
      “Nein, leider nicht.”
      Ich schluckte schwer. Was bedeutete das für Betsy? Musste sie jetzt doch in ein Heim? Gab es Verwandte? Hatte sich jemand gemeldet? Würde man sie uns wegnehmen?
      “Ich kann, unter diesen Umständen, nur einem von Ihnen das Sorgerecht übertragen. Meiner Erfahrung nach wäre das Kind besser bei Ihnen aufgehoben, Misses Kills-Bears. Sie sind verheiratet und ziehen bereits zwei Kinder groß, während Sie Mr. O’Dell ledig sind und keine bisherigen Kinder vorweisen können. Auch habe ich die Befürchtung, dass sie mit der Aufgabe ein Kind großzuziehen neben ihren anderen Arbeiten als Ranchbesitzer überfordert sein könnten.”
      Uff. Der hatte gesessen. Ich ballte eine meiner Hände zu einer Faust, während ich mit der anderen meinen Hut vom Kopf nahm und mir durch die wieder viel zu langen Haare strich. Da war sie erneut. Die Wut, gegen die ich in letzter Zeit wieder viel zu oft hatte ankämpfen müssen. Ylvi schaute besorgt zu mir rüber, ich sah, wie sie aus dem Augenwinkel auf meine Faust starrte, zögerlich ihre Hand darauflegte und sie erst wieder wegnahm, als ich meine Finger entspannte und die flache Hand auf meinem Bein platzierte. Dennoch blieb die Wut.
      Bevor ich etwas dummes sagen konnte, ergriff Ylvi das Wort. “Ist das jetzt ihr finales Urteil? Ich meine.. Caleb hat sich in den letzten Tagen und auch schon vor Dells Tod um das Mädchen gekümmert, sie vertraut ihm, kommt mit Problemen zu ihm und sucht bei ihm Trost. Sie und Kaya verstehen sich wunderbar, sind viel zusammen aber ein kleiner Umzug ins Haupthaus, zu Caleb, hat schon stattgefunden. Außerdem ist…”, sie stockte, “... meine Familie auch auf der Ranch und somit nie weit weg. Wir… wir stehen Caleb mit Rat und Tat zur Seite.”
      ‘Danke’, formte ich lautlos in Ylvis Richtung mit meinen Lippen. Sie nickte kurz, sah dann wieder nach vorne zu Miss Miller. Ylvi wusste genau, wie viel mir an Betsy lag und dass ich es nicht ertragen könnte, sollte sie nicht bei mir bleiben dürfen.
      Auch ich setzte an um mich zu rechtfertigen, wurde jedoch schnell von der Frau unterbrochen: “Es tut mir sehr Leid, aber ich habe meine Entscheidung für ein vorläufiges Sorgerecht bereits getroffen. Ich kann Louis & Ylvi Kills-Bears das Sorgerecht für Betsy Dell übertragen, dazu muss Mr. Kills-Bears natürlich noch hierher kommen und dem zustimmen.”
      “Moment, vorläufiges Sorgerecht?”, warf Ylvi ein und ließ auch mich wieder aufhorchen.
      “Ja, genau. Ein vorläufiges Sorgerecht. Wenn Sie das wünschen, Mr. O’Dell, würde ich sie einer Prüfung unterziehen, um zu schauen, ob ich Sie für fähig erachte, in nahe Zukunft das alleinige Sorgerecht für das Kind zu übernehmen. Dazu würde ich Ihnen ein paar Unterlagen mitgeben, die Sie bitte ausgefüllt zurückschicken. Außerdem würde ich Sie ein paar Mal unangekündigt besuchen kommen, um die Umstände vor Ort zu prüfen.”
      “Ja.” Schneller als ich hätte über ihre Worte nachdenken können, hatte das Wort ‘ja’ meinen Mund schon verlassen. Ja, ja, ja. Was gab es da noch zu diskutieren?
      Miss Miller überreichte mir die Unterlagen und wandte sich nun wieder an Ylvi. “Ich möchte gerne noch mit Ihnen alleine sprechen… Mr. O’Dell ich danke Ihnen für Ihr kommen und erwarte die Unterlagen zeitnah zurück.”
      Mit diesen Worten stand ich auf, blickte zu Ylvi herab die mich aus leicht verquollenen Augen ansah und verließ den Raum, nur um mich dort auf einen der Stühle fallen zu lassen und die Papiere in den Händen hin und her zu drehen. Zehn Minuten vergingen, zwanzig Minuten vergingen. Mittlerweile war ich aufgestanden und tigerte im Flur auf und ab. Letztendlich ging ich nach draußen, um weiter zu warten. Ich hielt es im Gebäude nicht mehr aus. Immer wieder warf ich einen Blick auf die Unterlagen. So viele Fragen! So viel was das Amt über mein Leben wissen wollte. ‘Verhältnis zu den eigenen Eltern’, ‘Wie sieht ein typischer Tagesablauf aus?’, ‘Trinken Sie Alkohol’? und und und. Ich wirbelte herum und trat mit aller Kraft gegen den Mülleimer, der hinter mir gestanden hatte. Er flog über den Gehweg und entledigte sich all seiner Inhalte. “Verdammte Scheiße!”, fluchte ich und fing dennoch an, alles wieder aufzuheben, in den Mülleimer zu stecken und das blöde Teil wieder dorthin zu stellen, wo es hingehörte.
      Nach einer halben Stunde öffnete sich die Tür und Ylvi trat heraus, ging schnurstracks ohne ein Wort zu sagen an mir vorbei, stützte sie sich an einen der Bäume und atmete ein paar Mal tief durch. Alle meine Gefühle wischen Besorgnis, als ich mich neben sie stellte und eine meiner Hände auf ihren Rücken legte. “Ylvi, ist alles in Ordnung?”
      “Ja.. ja.. es ist nur…”, sie richtete sich wieder auf. “Caleb, verdammt. Reiß dich doch mal zusammen! Durch das Fenster vom Zimmer, in dem wir eben saßen, kann man genau hier herunter schauen. Meinst du dass du den Mülleimer über den Gehweg getreten hast bringt dich Betsy auch nur einen Schritt weiter?”
      “Was weißt du schon!”, knurrte ich sie an, wollte mich umdrehen und zum Wagen gehen. Ylvi griff nach meinem, setzte zu einem neuen Satz an doch ich entzog mich ihr und ging zum Wagen.
      Auf der ganzen Rückfahrt sprach ich mit ihr kein Wort, auch wenn sie ein paar Mal versuchte ein Gespräch zu starten.
      Auf der Ranch angekommen packte sie mich wieder am Arm. “Caleb, hör mir doch kurz zu…”
      “Nein, lass mich in Ruhe!” - Kindskopf. Ich stieg aus, schnappte meine Papiere und wollte ins Haus gehen. Ylvi war aus dem Wagen gesprungen und hatte sich vor die Motorhaube gestellt, um mich noch zu sehen. “Ja, Caleb, lauf ruhig wieder davon, das kannst du ja besonders gut!”
      Die Tür des Haupthauses knallte ich besonders feste zu, lehnte mich mit dem Rücken dagegen, schloss die Augen und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Verdammte Scheiße…
      Ylvi
      Erst schritt ich hinterher, blieb dann nach 3 Längen stehen, verschränkte meine Arme vor der Brust um zu sehen ob er nochmal raus käme. Scheinbar war das allerdings nicht der Fall. Also seufzte ich. Verschloss die Türen des Autos, nachdem ich meine Tasche raus gefischt hatte. “Lief das ganze nicht gut?” kam die skeptische Frage von meinem Ziehsohn. “Eigentlich...naja schon. Anders als Caleb das wollte, aber zumindest kann Betsy vorerst auf der Ranch bleiben.”
      “Anders? Darf ich? Also willst du es erzählen?”
      “Vorerst wird sie mir und Louis anvertraut. Wir bekommen vorübergehende Pflegschaft für Betsy.”
      “Das hat ihm nicht gefallen.”
      “Hat es nicht nein….vielleicht aber noch weniger die Tatsache. Naja, das Amt will prüfen wie geeignet Caleb als Vaterfigur ist...alleinstehend, mit seiner Vergangenheit, der Rancharbeit. Wir mussten komplett blank ziehen. Und Caleb wird sich einigen Untersuchungen und Besuchen unterziehen müssen. Das kann ein langer Prozess werden. Am Ende könnte es sogar sein, dass er nie die Pflegschaft für Betsy bekommt. Ich kann seinen Zorn verstehen.”
      Tschetan ließ sich keine Regung anmerken. Schaute nur zu der Tür, die hinter Caleb ins Schloss gefallen war. Nur seine Augenbrauen zuckten ein wenig. “Ich fürchte wir können ihm in der Sache wenig helfen.” Ich sah den jungen Mann an, manchmal zeigte sich in Tschetan die beginnende Weisheit des Alters. Ich spürte ein unbestimmtes Gefühl in der Brust. War es Stolz? Ich legte eine Hand auf seine Schulter. “Ich fürchte nicht wirklich. Aber..” ich lächelte ein wenig. “Vielleicht ein wenig Ablenkung verschaffen. Frag ihn doch ganz ungeniert nach einem Ausritt. Mit den Mädchen zusammen. Ich denke das wird ihn auf andere Gedanken bringen. Sprech am besten nicht an..was du eben mitbekommen hast.”
      Tschetan
      Ich war zwar nicht unbedingt begeistert davon die Mädchen auf den Ritt mitzunehmen. (Manchmal wünschte ich mir dann doch meine stumme Schwester wieder). Aber ich Verstand sehr wohl ihren Gedanken dahinter.
      Ich überbrückte also die Distanz zur Haustür. Drückte die Klinke hinunter und stieß gegen einen Widerstand auf der anderen Seite. “Verdammt nochmal verschwinde, Ylvi” brüllte es auf der anderen Seite von Caleb. Ich schmunzelte, ließ den Spalt ein Stück offen. “Das letzte Mal als ich schiffen musste, hatte ich was zwischen den Beinen.” sprach ich ganz tonlos sachlich. Calebs Gesicht erschien im Spalt der Tür. “Oh Tschetan, mit dir hab ich nicht gerechnet.”
      “DAS hab ich soeben bemerkt. Eigentlich...naja ich wollt die Mädels auf einen Ausritt entführen. Cayce meinte ich solle dich fragen welche Pferde. Da hab ich direkt gedacht du könntest mit. Die Zäune bei den Rindern auf der oberen Weide checken. Das hatten wir letztens erst im Gespräch, erinnerst du dich?” Gut das ich dieses Gespräch noch im Sinn hatte. Hoffte allerdings keiner der anderen Jungs hatte die Aufgabe schon aufgedrückt bekommen. Sonst fiel mir in diesem Moment nichts besseres ein.
      Caleb
      Ich seufzte, rappelte mich auf und ging einen Schritt zur Seite, damit die Tür ganz geöffnet werden konnte. “Wir könnten die Pferde mitnehmen die ich für die Ferienranch trainieren will. Honor (A Walking Honor), Chou, Jade, Kristy (Kristy Killings) und Shanee (Honey’s Aleshanee). Such dir welche aus, nur Kristy kommt auf jeden Fall mit- unter dir oder unter mir. Ich komm gleich.” Mit diesen Worten schloss ich die Tür und bekam die Antwort, die Tschetan mir entgegenbrachte, gar nicht mehr mit. Mein Weg führte mich hinauf in mein Zimmer, von dessen großem Fenster aus ich Tschetan beobachten konnte, wie er auf die Stallungen zuging. Ich beobachtete ihn dabei, wie er Steine des Schotterweges bei jedem seiner Schritte durch die Gegend kickte.
      Ich wandte mich vom Fenster ab und zog mich kurz um. Andere Jeans, ein anderes Hemd und eine ärmellose Weste- so warm war es noch nicht.
      In der Küche füllte ich mir kurz ein Glas Wasser und trank dieses in einem Zug. Ein paar Minuten stand ich ans Waschbecken gestützt, ließ meine Gedanken schweifen. Etwas in mir, und wenn es nur ein kleiner Funke war, wünschte sich das Rodeoleben zurück. Immer auf Tour, immer unterwegs, immer unter Leuten. Keine Pflichten, keine Aufgaben, keine Verantwortung. Nichtmal Liebe. Liebe zum Sport, ja. Liebe zu den Tieren, ja. Doch eine Liebe zu einem anderen Menschen? Nein. Spaß, der stand im Vordergrund, aber durch das ständige Umherreisen war es nie mehr geworden. Und nun? Heute? Besaß ich eine Ranch. Bezahlte Mitarbeiter, beherbergte meine.. eine.. Liebe mit ihrem Mann, war eigentlich auf einem guten Weg gewesen, ein Kind zu adoptieren! Herr im Himmel, ein Kind für Caleb O’Dell!
      Das Glas stellte ich in die Spülmaschine, schnappte mir im Rausgehen meinen Hut und zog mir die Stiefel an, ehe ich draußen auf vier gesattelte Pferde traf. Drei davon waren schon besetzt von Tschetan, Betsy und Kaya. Verdutzt schaute ich in Tschetans Gesicht. Wie lange hatte ich in der Küche gestanden und vor mich hin geträumt?
      ~ etwa eine Woche später ~
      Tschetan
      “Du hättest ihn einfach in Ruhe lassen sollen.”
      “Tschetan…nun schau mich nicht so an. Bryces Vater sitzt im Schulrat. Du hast viel riskiert.”
      Ich funkelte Aimee an, die vor mir auf dem Boden hockte, um mir ins Gesicht zu schauen. Bitterkeit klang in meiner Stimme mit. “In Ruhe lassen? Findest du? So wie er dich in Ruhe ließ?” Hatte Aimee gerade die Augen gerollt? “So ist Bryce nun eben manchmal. Du kennst ihn nicht.” Das Auflachen konnte ich mir nicht verkneifen.
      “Ich habe doch gesehen wie du versucht hast ihn abzuwehren. Für mich sah das nicht nach Spaß aus…”, ich verstummte einen Moment “und falls es so ist bist du nicht diejenige für die ich dich gehalten habe. Jemanden wie Bryce einen Freund zu nennen.” Aimee richtete sich auf. Die Hände in die Hüften gestemmt.
      “Was soll das jetzt bitte bedeuten?”
      “Dass du eine seltsame Auswahl an Freunden hast.”
      “Und was ist mit dir? Deine Freunde kriegen ja kaum ein englisches Wort von den Lippen. Und die Blicke, wie sie mich mustern.”
      Mein Blick zuckte zu ihr herunter. “Das kannst du doch wohl nicht Ernst meinen. Du vergleichst mich und die anderen mit Bryce? Weißt du wie er mich nannte? Rothaut! Ha! Natürlich hast du, du hast ja immerhin eng an ihm da gestanden. Und sollte es dir vielleicht entgangen sein. Dich hat er dabei auch beleidigt.”
      “Und? Was weiß ich was deine indianischen Freunde da so sprechen?”
      “Wasicu withko(verrückte Weiße)” entfuhr es mir unwillkürlich in meiner Sprache, dabei fuhr ich mir mit der Faust im Kreis über die Stirn. Ich wollte diese Unterhaltung nicht weiter führen. Rein aus Gewohnheit machte ich das Zeichen für Ende. Verschränkte die Arme und starrte konsterniert vor mir her. Aimee indes funkelte mich wütend an. Nicht in der Lage, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten. “Genau das mein ich! Viel Spaß beim Warten. Such dir ein anderes Taxi zurück zur Ranch! ICH fahre!” Ich sah ihr hinterher, wie sie sich keck das rotbräunliche Haar über die Schulter warf. Nichts verstand sie. Vielleicht hatten die anderen Recht. Freundschaften mit Weißen brachten nur Probleme. Aimee hatte es in ihrem Leben so furchtbar einfach gehabt. Sie konnte nicht verstehen wie es für mich und die anderen war. Gehasst allein für das was wir waren. Welche Leiden vergangene Generationen durchgemacht hatten. Wie wenig wir noch immer in der Gesellschaft verankert waren. Bryce hatte das heute eindeutig bewiesen. Sein Vater war Großgrundbesitzer. Seine Firma baute geradewegs eine Pipeline durch das heilige Land der Tsuu T’ina Nation. Dem Stamm aus dem viele meiner Freunde entstammten. Weder Bryce noch Aimee hatten eine Ahnung, welche Gefühle das auslöste.
      Nicht allein wie er Aimee begrapscht hatte. Für mich hatte es nicht gewirkt als sei das ganze Spaß gewesen. Ich hatte ihn gebeten sie in Ruhe zu lassen. Bryce jedoch hatte gefragt ob ich Probleme damit hätte, wenn er sich meiner Sqaw widmen würde. Ich hatte zwischen den Zähnen hervorgezischt, dass Aimee nicht meine Freundin sei. Und kurz blitzte in mir der Gedanke auf, dass es diese Aussage vielleicht gewesen war - das was Aimee vielleicht wirklich so wütend machte. Denn wieso sollte es Aimee stören, dass ich Bryce ins Gesicht geschlagen hatte? Natürlich erst, nachdem er mich eine Rothaut genannt hatte..und die Dreistigkeit besessen hatte einen meiner Zöpfe zu packen.
      Da war mir eine Sicherung geplatzt. Ich hatte schließlich nichts provoziert. Noch mehr nagte die Sache an mir, das ICH jetzt hier vor dem Zimmer des Direktors hocken musste…nicht etwa Bryce.
      Caleb
      “Ja.. nein.. ja ich verstehe…das macht Sinn.. okay..”, ‘tuuuuut, tuuuuuut’, “Moment, ich muss auflegen hier kommt ein anderer Anruf rein. Ja, ja ich melde mich. Nein, sie brauchen nicht..” ‘Klack’. Aufgelegt. Der neue Futterlieferant war wirklich ein Idiot. Beschwerte sich, bis hier raus auf die Ranch zu fahren. Wir sollen das Futter in der Stadt abholen.
      Ungläubig schüttelte ich den Kopf und nahm den neuen Anruf an. “Principal Webber am Apparat, spreche ich mit Louis Kills Bears? Nein? Ach, Mister O’Dell Sie stehen hier auch in den Unterlagen, dann spreche ich mit Ihnen. Ich möchte, dass Sie Tschetan Kills Bears von der Schule abholen, er hat einen Mitschüler geschlagen. Alles Weitere besprechen wir gleich in meinem Büro.” ‘Klack’. Was waren die Personen am anderen Ende der Leitung bloß alle so unhöflich heute? War es zu viel verlangt, das Gespräch mit einem ‘auf Wiedersehen’ oder mit einem ‘bye’ zu beenden?
      Seufzend erhob ich mich aus meinem Stuhl. Ach Tschetan… wo war er jetzt schon wieder hineingeraten?
      Wenige Minuten später, ohne Ylvi oder Louis gefunden zu haben, um Bescheid zu geben was mit Tschetan los war, saß ich im Truck und telefonierte erneut mit dem Futterlieferanten herum. Wenn ich schon wegen Tschetan extra nach Calgary fahren musste, dann konnte ich auch gleich das Futter in einem mitnehmen. Aus diesem Grund hatte ich einen der großen Pferdehänger am Wagen hängen. Schnell konnte ich damit nicht unterwegs sein- aber nach etwas mehr als einer Stunde parkte ich mit meinem Gefährt 5 Parkplätze des Schulgeländes zu, setzte mir beim Aussteigen aus dem Wagen meinen Cowboyhut auf den Kopf und kämpfte mir meinen Weg durch neugierige Schüler hinauf zum Büro des Direktors.
      Nachdem ich mich bei der Sekretärin angemeldet hatte, ließ sie mich weiter durchgehen in das kleine Vorzimmer, in dem der Junge saß. Mit einem ‘Warum um Himmels Willen muss ich jetzt hier her kommen?’ starrte ich Tschetan an. “Caleb… Aimee und ich…”, weiter kam er nicht denn die Tür zu Principal Webbers Büro öffnete sich und er bat uns beide hinein. Ich konnte ihn nicht leiden, schon von Anfang an nicht. Ihm gegenüber hegte ich stets Misstrauen, sogar die Vermutung, er konnte die Kids von der Ranch nicht ausstehen- egal um welches es sich handelte.
      Tschetan und ich setzten uns vor den riesigen Schreibtisch ihm gegenüber und warteten, dass er etwas sagte. Ohne um den heißen Brei herum zu reden erzählte er mir eine Geschichte, die ich so nicht zu glauben vermochte. “Tschetan hat einen unserer Schüler, Bryce, brutal ins Gesicht geschlagen, nachdem dieser mit Aimee Carter… eng zusammen gestanden hatte. Ich habe bereits mit Bryce gesprochen, er ist sich keiner Schuld bewusst und…” Ich lachte so herzlich auf, dass Tschetan zusammen zuckte.
      “Bitte? Er ist sich keiner Schuld bewusst? Das glauben Sie und ich nicht, dass Tschetan hier jemandem ohne Grund ins Gesicht schlägt. Jetzt erzählen Sie mir noch einmal die wahre Geschichte, warum ich hier sitzen muss.”, knurrte ich.Tschetan war selten ruhig, daran erkannte ich, dass die Geschichte sich auf keinen Fall so zugetragen hatte, wie mir der Principal weismachen wollte.
      “Nun gut. Tschetan, erzähl uns doch deine Sicht des Vorfalls.”
      Tschetan erzählte. Zunächst zögerlich, doch im Verlauf wurde mir immer mehr bewusst, welch verlogene Kinder hier auf dieser Schule herumliefen.
      “Also an dieser Schule ist Mobbing und Lügen absolut okay, sich dagegen zu wehren allerdings nicht? Was hätte Tschetan machen sollen? Danke und Amen sagen?”, ich fing - wie immer- an mich in Rage zu reden.
      “Mister O’Dell bitte unterlassen Sie diesen sarkastischen Ton. Uns ist es wichtig, ein harmonisches Miteinander zu fordern und zu fördern. Wir sitzen nun gemeinsam hier um darüber zu sprechen, welches Disziplinarverfahren auf Tschetan zukommt und…”
      Ich nahm meinen Hut vom Kopf, fuhr mir einmal durch die Haare und warf einen kurzen Blick zum Jungen, der rechts neben mir auf seinem Stuhl immer kleiner wurde. Ihm war das Ganze hier sichtlich unangenehm und ich merkte ihm an, dass er nicht sagen konnte, was er wollte. “Mister O’Dell, haben Sie mir zugehört?”
      “Nein”, antwortete ich wahrheitsgetreu, setzte meinen Hut wieder auf den Kopf, stand auf und legte Tschetan eine Hand auf die Schulter mit einem Blick der ihm ‘Steh auf’ signalisierte. “Der gute Tschetan hier wird dann wohl auf der Ranch eine Woche die Boxen misten müssen. Mit schmerzender Hand von seinem Schlag wird das gewiss kein Spaß, das genügt als Disziplinarmaßnahme”, das letzte Wort sprach ich absichtlich ziemlich lächerlich aus, “des Weiteren fordere ICH, als besorgter… Sorgeberechtigter… dass dieses mobbende Arschloch sich seine zukünftigen Worte ganz genau überlegt- und wenn ich auch nur im entferntesten mitbekomme, dass er sich unserer Aimee erneut nähert, komm ich wieder und reiß ihm den Arsch auf. Schönen Tag noch, Mister Principal.”
      Mit diesen Worten und einer heruntergeklappten Kinnlade des Principals verließen Tschetan und ich das Büro, das Schulgebäude und schließlich im Pick Up sitzend das ganze Schulgelände.
      Wir fuhren zum Lieferanten, luden gemeinsam die Futtersäcke in den Hänger und machten uns auf den Heimweg zur Ranch.
      Schließlich fand Tschetan seine Worte wieder und sprach mit mir: “Caleb… ich weiß nicht, ob du alles jetzt besser oder schlimmer gemacht hast, aber den Blick von Webber… dafür hat es sich allemal gelohnt.”
      Ich lachte. “Glaub nicht, dass das mit den Boxen ein Witz war.”
      “Ich… ich weiß. Aber Bryce hatte es verdient, er….so behandelt man niemanden.”
      “Warum bist du eigentlich so ausgeflippt? Doch nicht wegen der Worte, die er zu dir gesagt hat? Was war wirklich der Grund?”
      “Er hat meine Zöpfe angefasst”, antwortete er mir zwischen zusammengebissenen Zähnen. Ich wusste um die Bedeutung der Zöpfe und konnte Tschetans Wut und seinen Ausraster nun besser verstehen. “Bitte sag Louis und Ylvi nichts hiervon- und sag Aimee nichts vom Gespräch. Ich möchte selbst noch einmal mit ihr reden.”
      “Dann hüten wir beide wohl nun ein Geheimnis des Anderen”, murmelte ich und sah kurz zu ihm rüber. Fragezeichen spiegelten sich in seinem Blick wieder.
      “Was meinst du?”
      Wieder traf mein Blick den Seinen. “Ich habe gesehen, dass du uns beobachtet hast. Ylvi und mich, als wir uns geküsst haben.”
      Tschetan schwieg.
      “Warum hast du mich nicht darauf angesprochen?”
      “Ich verstehe es nicht, deshalb. Ylvi und Louis sind verheiratet… wieso küsst sie dich dann?”
      “Ein ‘es ist kompliziert’ reicht dir bestimmt nicht als Antwort, oder?”, fragte ich ihn und lächelte zu ihm rüber. Tschetan schien es jedoch gar nicht zum Lachen zu sein. “Tschetan ich kann es dir auch nicht richtig erklären. Ylvi und ich sind durch so viele Höhen und Tiefen und… du weißt, dass Louis sie geheiratet hat, damit sie bleiben konnte.” Ich stockte und überlegte mir die nächsten Worte genau. Schließlich konnte ich schlecht zu ihm sagen: ‘Bestimmt liebt er sie gar nicht richtig. Oder gar nicht mehr richtig.’ Das ging mich nichts an, diese Worte standen mir nicht zu. Stattdessen sagte ich: “Wir haben nie richtig Schluss gemacht, nie wirklich über das gesprochen, was Tatsache war und ist. Ja, ich habe noch Gefühle für sie und ja ich weiß, dass das falsch ist… aber gegen seine Gefühle anzukommen, so zu tun als gäbe es sie nicht, sie nicht durchzulassen und ihnen keine Macht zu geben.. puh. Auch das habe ich lange versucht… und wir beide haben ja gesehen, wohin es letztendlich geführt hat.”
      Tschetan schwieg wieder, er schien nachzudenken. Schließlich sagte er: “Du weißt, dass es falsch ist?”
      Ich nickte. “Ich weiß, dass es falsch ist.”
      “Dann ist dein Geheimnis bei mir sicher.”
      Tschetan
      War Liebe falsch? Konnte man seine Liebe zwischen mehreren Personen aufteilen? Tatsächlich hatte ich bereits solche Dinge bei Google gesehen. Dokumentationen am Abend geschaut. Das Begreifen dessen was ich sah, tat mir allerdings schwer.
      “Und was erzählen wir jetzt wieso Amy mich hat sitzen lassen?” Caleb sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. “Streit im Paradies?”
      Ich verschränkte die Arme vor der Brust. “Was heißt Streit? Sie hat sich tierisch darüber aufgeregt was ich getan habe! Ich versteh die Frauen nicht.”
      Da ertönte plötzlich ein schallendes Lachen von dem Cowboy neben mir, was mir die Situation nicht unbedingt behaglicher machte. Caleb versuchte 2x zu einer Antwort anzusetzen, musste aber immer wieder prusten. Ich rollte die Augen. “Glaub mir, Tschetan. Manchmal verstehen die sich selbst nicht.”
      “Na der Wahnsinn.”
      “Ich hab dich einfach abgeholt damit du mir bei den Säcken Futter hilfst. Nur falls einer fragt, Aye?”
      “Aye” gab ich Caleb seine typische Piraten-Antwort. Die mich manchmal ebenso verwirrte wie die Frauen.
      Zurück auf der Ranch verzog ich mich auf die Außenpaddocks. Ich brauchte jetzt körperliche Arbeit um nicht nachdenken zu müssen. In den Ohren laute Musik von “a tribe called red”. Ich hatte unter der Anleitung von Louis im Winter begonnen ein wenig PowWow zu tanzen. Vielleicht würde ich mich ähnlich wie er in diesem Jahr zu meiner ersten seit Jahren anmelden. Irgendwo in meinen alten Sachen musste sich meine alte Regalia befinden. Vieles würde mir mit Sicherheit nicht mehr passen, aber vielleicht konnte Ylvi mir dabei helfen einiges zu überarbeiten. Sie hatte ein Recht gutes handwerkliches Geschick dafür. Ich schreckte zusammen als mir plötzlich jemand mit der Hand auf die Schulter schlug. “Meine Güte. Wie laut hörst du Musik?” vernahm ich O’s Stimme.
      “Eh…sehr laut?”
      “Ich wollt mit den Jungs später rüber zur heißen Quelle. Kommst du mit?”
      “Jungs?” ich stand vollkommen auf dem Schlauch
      “Ach, denen der Nachbar…Ranch? Na du weißt schon dem Haufen Bereiter vom etepetete Stall nebenan.” Mein noch immer wirres Gesicht veranlasste O die Augen zu rollen und noch etwas anzuführen “Rennen in viel zu engen Hosen rum. Klingelt's?” Jetzt ging mir ein Licht auf. Im nächsten Tal hatte ein Dressurstall aufgemacht. Viele der Bereiter waren in O’s Alter. Auch dort lebten einige Familien, deren Kinder die Schule in Calgary besuchten. Ich konnte zwar wenig mit deren Reitstil anfangen, allerdings waren die Typen alle schwer in Ordnung.
      “Lass mich das mit Ylvi und Louis klären, dann bin ich dabei.”
      “Wunderbar!”
      Octavia
      Eine dreiviertel Stunde später saßen Aimee, Tschetan und ich auf den Pferden, um den Jugendlichen aus dem Dressurstall entgegen zu reiten. Die Quelle befand sich etwa in der Mitte. Betsy und Kaya hatten mitkommen wollen, doch Ylvi schien sie auf wundersame Weise davon abgehalten zu haben. Ich glaube sie wollten zusammen Cupcakes backen. “Können wir?”, fragte ich in die Runde und kontrollierte noch einmal, ob die Packtasche an Shanee (Honey’s Aleshanee) richtig verschnallt war. Tschetan hatte sich, auf Geheiß von Caleb, für Layla (Sweet like Chocolate) entschieden. Aimee für Honor (A Walking Honor). “Von Layla hab ich tatsächlich noch nicht viel gesehen. Die ist auch noch nicht wirklich gefördert worden, oder?”, fragte ich Tschetan, der, was das Training der Westernpferde und Calebs Arbeiten, immer besser im Blick hatte als ich.
      “Nee, die läuft bisher nebenbei. Caleb hat sich jetzt entschieden, dass sie auch für die Guest Ranch trainiert werden soll.”
      “Apropos Guest Ranch…”, überlegte ich “wann gehts denn da weiter?”
      Tschetan zuckte nur mit den Schultern. “Ich glaub Caleb hat gerade andere Probleme.”
      Mit diesen Worten trabten wir die Pferde vom Ranchgelände und galoppierten sie auf dem Feldweg an.
      Eine halbe Stunde später trafen wir auf die Jugendlichen des anderen Stalles. Sie schlossen sich uns an und gemeinsam ritten wir ein Stück zurück, ehe es hoch zum Fluss und der heißen Quelle ging.
      Dort angekommen tauschten wir die Trensen der Pferde gegen Halfter, ehe wir sie an den Bäumen anbanden, damit sie grasen konnten.
      Aimee und ich waren die einzigen Mädchen, vom anderen Stall kannte ich nur die beiden älteren Jungs, Eric und Trevor. Nachdem Aimee mich zur Seite gezogen hatte und mir kleinlaut von den jüngeren Kerlen erzählte, wusste ich auch ihre Namen. Bryce und Nicholas. Bryce war derjenige, den Tschetan heute morgen geschlagen hatte. Deshalb war dieser auf dem Ritt so kleinlaut gewesen. Nicholas dagegen hatte Frage um Frage zu den Westernpferden gestellt.
      Nachdem wir uns umgezogen und in die Quelle gesetzt hatten, schaute ich zu Tschetan, der immer noch drein schaute wie sieben Tage Regenwetter. Ich nickte ihm unbemerkt zu. Zunächst erwiderte er nichts, doch dann nickte er mir zurück. ‘Dann ist alles ok’, schlussfolgerte ich.
      Langsam ließ ich mich nach unten ins warme Wasser sinken. Tschetan hatte die Quelle vor einiger Zeit bei einem Ausritt gefunden. Seither kamen wir regelmäßig hier hin. Hätte er gewusst, dass Bryce unter den Jugendlichen des anderen Stalls wäre, hätte er sie mich nicht hier her einladen dürfen. Ich hatte das leider auch nicht vorher gewusst, denn dann wären wir ohne sie hier hoch geritten.
      Eric und Trevor hatte ich durch Zufall in der Stadt kennengelernt und wir hatten uns ein paar Mal getroffen.
      “He Tavia, guck mal was ich mitgebracht hab”, riss mich Trevor aus den Gedanken und warf mir eine kleine Flasche in die Hände, die ich aus dem Wasser nach oben riss und Aimee vollspritzte. Von der Seite hörte ich nur ein “pffpfpfpfttt” und nahm ein Armfuchteln wahr. “Oh jetzt wird es interessant”, murmelte ich und betrachtete die Flasche Bier in meiner Hand. Trevor gab auch Eric eine der Flaschen, während er den vier ‘Kindern’ Root Beer gab. “Nett”, quittierte Bryce diese tolle Geste, schien sich damit aber dennoch zufrieden zu geben.
      Tschetan
      Als sich hinter den älteren Jungs noch zwei weitere Pferde aus der Dämmerung schälten, hatte ich eigentlich direkt wieder Lust mein Pferd zu wenden. Da hockte doch tatsächlich Bryce auf einem der Tiere. Nicht nur, dass wir gerade unterwegs waren zu einer geheimen Location - denn mit den Erwachsenen hatte ich das Wissen noch nicht wirklich geteilt, er war auch noch einer derjenigen, die ich ganz besonders gerade nicht um mich haben wollte. Über seinen Kumpel Nicholas vermochte ich wenig zu sagen - schließlich kam er neben Bryce selten zu Wort. Ich unterdrückte also ein Seufzen, biss die Zähne aufeinander. Und schwor mir den Typen einfach zu ignorieren.
      Umso überraschter war ich gewesen, als Nicholas Stimme die meiste Zeit zu hören war. Er unterhielt sich abwechselnd mit Aimee und O' und stellte einige fundierte Fragen zu den Westernpferden. Obwohl er auf einem der Pferde des Dressurstalles, in einem englischen Sattel hockte, schien er dort nicht wirklich zu Hause. Im Gegensatz zu den Anderen trug er zum Beispiel auch keine der üblichen engen Hosen, sondern eine normale Jeans. Ich lenkte Layla vorsichtig näher an die Gespräche. Lauschte den Fragen und den Antworten der Mädchen, beteiligte mich aber ansonsten herrlich wenig mit den anderen.
      Trevor und Eric hatten uns jüngeren Root Beer mitgebracht - immerhin eine nette Geste. Allerdings musste ich trotzdem schmunzeln. "Seit wann halten wir uns denn an die Gesetze des Landes?" fragte ich hinüber zu O'.
      Auf der Ranch nahm man es für gewöhnlich nicht ganz so genau mit dem Alkoholverbot unter 21. Ganz besonders Ylvi hielt das Gesetz für "Mumpitz" wie sie immer sagte. Ich hatte allein Probleme das Deutsche Wort überhaupt zu artikulieren. Ich für mich entnahm dem Alkohol nicht viel. Der meiste schmeckte furchtbar, das wenige gute Bier - ließ sich Ylvi aus ihrer Heimat Deutschland schicken. Außerdem hatte ich in meiner Kindheit oft genug gesehen was der Alkohol mit den Menschen anstellte, welche Hemmungen er niederbrach. Daran war nichts ehrenhaftes. Meine Ahnen hatten es nicht umsonst Feuerwasser genannt. O' winkte meinen Satz ab. "Ja gut, aber vielleicht sollten wir damit nicht vor allen prahlen." lachte sie fröhlich.
      Aimee
      Ich nippte an meinem Root Beer und sah immer mal wieder auf. Sobald ich nach links schaute, sah ich Bryce direkt an. Er war wirklich hübsch. Ein Junge, der mir gefiel. Sobald ich nach rechts schaute, sah ich Tschetan direkt an. Ein Junge, der irgendwie wie ein Bruder für mich geworden war. Manchmal schien ich mir aber nicht ganz sicher, ob es das wirklich für uns war. ‘Wie Geschwister’. Ich hatte bisher nie ernst mit ihm darüber gesprochen. Vielleicht wurde es mal Zeit?
      Andererseits.. war da Bryce. Er sah mich für das an, was ich war. Eine Freundin. Nicht eine Schwester. Allerdings schien er Tschetan heute morgen so beleidigt zu haben, dass Letzterer ihm eine reingehauen hatte. Ich war nicht mehr sauer auf Tschetan, eher auf Bryce und mich. Aber nicht heute Mittag. Jetzt genoss ich das warme Wasser, die Gesellschaft und das… Leben.
      Erneut nahm ich einen Schluck aus der Flasche. Plötzlich spürte ich einen Handrücken an meinem linken Bein, welcher langsam hoch und runter fuhr. Etwas panisch sah ich zunächst runter ins Wasser, dann hoch in Bryce Gesicht. Rechts von mir spürte ich eine Regung im Wasser. Tschetan griff, in meine Richtung, hinter sich. Dabei berührte eines seiner Beine das Meine. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Fand ich es jetzt toll, dass Bryce mein Bein streichelte? Oder fand ich es toll, dass Tschetan mich berührt hatte? Seine Berührung war nur flüchtig und unbeabsichtigt gewesen, die von Bryce mit voller Absicht.
      Tschetan beugte sich weiter nach hinten. So sehr, dass ich ihm Platz machte und ein Stück nach vorne rutschte. “Klappt das da?”, fragte ich ihn verwirrt und drehte mich um, um zu schauen, was er denn da eigentlich tat. Er hob einen flachen Stein auf, drehte ihn in den Händen und warf ihn dann in den Fluss. Er hüpfte zweimal übers Wasser und sank aufs Flussbett hinab. Schließlich setzte er sich wieder richtig hin.
      Bryce behielt seine Hand bei sich. Hatte Tschetan das gerade extra gemacht?
      Tschetan
      “Ah…wunderbar bei diesem Wetter.” seufzte Trevor, ließ sich bis zum Kinn weiter in den Pool gleiten. Der Boden bestand aus feinem Sand. Große Findlinge trennten die heiße Quelle vom Rest des Nebenarms des Bow River. “Ich hab gar nicht gewusst, dass es in Kanada auch heiße Quellen gibt, die nicht erschlossen sind. Das letzte Mal hab ich auf Island in einer gesessen.”
      Das Gespräch nahm eine Wende die mir ganz entgegen kam. Zwar hatte Bryce seine Hände von Aimee genommen. Wie ich weiter damit verfahren wollte, das wusste ich nicht. Ich wusste nicht was ich eigentlich wollte. Sollte ich versuchen ihr näher zu kommen? Ich sah wie Selbstsicher O’ sich zwischen den älteren Jungs verhielt. Eric hatte einen Arm um ihre Schulter, was in mir ebenfalls ein seltsames Gefühl aufkommen ließ. Trevors Worte kamen kaum an meine Ohren, bis O’ das Wort an mich richtete. “Keine Ahnung….Tschetan hat den Ort gefunden. Wie kommt das?” ich starrte auf das Wasser, dann zu O’ “Mhm?”
      “Trevor fragte gerade. Wie es kommt, dass der Pool nicht längst mit Touristen überschwemmt ist.” Ich schluckte. Sah wie alle mich erwartungsvoll ansahen. Und einen Moment länger als nötig blieb mein Blick an Bryce hängen. Was er wohl dachte?
      “Das liegt vor allem daran…dass dieser Teil des Landes, und des Flusses….auf Native American Land liegt. Ich war hier mit Freunden aus der Schule wandern, als ich die Quelle entdeckt hab.”
      “Das ist das Land der Siksika. Nicht wahr?” fragte Eric nun. Milde überrascht hob ich die Augenbraue. Es kam selten vor das sich jemand mit den First Nations auseinander setzte. “Du hast Recht, ja.”
      “Lebst du auch dort? Im Reservat? Versteh mich nicht falsch. Ich hab viel von der Welt gesehen, bevor ich mich als Bereiter hier beworben habe. Ich hab einen Faible für First Nations.”
      “Na großartig. Wollen wir jetzt nach Federn suchen und schreiend um die Quelle rennen?” beschwerte sich Bryce lautstark. Ich machte den Rücken gerade, ballte die Faust unter dem Wasser. Bereit ihm noch eine zu verpassen. Er taxierte mich. O’ richtete sich auf, schlug mir die flache Hand auf die Brust um meine Vorwärtsbewegung zu stoppen. “Entweder, du benimmst dich, oder du gehst.” grollte sie in Richtung Bryce. “Fein. Ich gehe.!” Damit erhob er sich aus dem heißen Wasser. Wischte sich das Wasser vom Körper. Als er gerade nach der Trense seines Pferdes griff, drehte er sich um. “Nicholas!” brüllte er. Sein Freund zuckte zusammen im Wasser, sah in die Runde, erhob sich. Und zur Überraschung von allen: “Aalso, ich denke ich werd noch eine Weile hier bleiben”, sagte er mit bebender Stimme. Er wusste, dass Bryce diese Entscheidung nicht mögen würde. Dann sah sich Bryce zu Aimee um “Aimee?”. Reflexartig legte ich Aimee unter Wasser die Hand auf das Knie. Hielt sie fest. Ich wusste nicht wieso, aber ich wollte auf gar keinen Fall das sie mit Bryce ging. Es blieb ruhig bis wir Bryce zwischen den hohen Felsen nicht mehr sahen. Nur das Rauschen des Flusses neben uns. “Hui…ich das tut mir Leid. Vielleicht hätte ich das Thema nicht aufbringen sollen. Ich wusste ja wie sein Vater…” ich winkte ab.
      “Ich will ja nicht sagen ich hätte mich dran gewöhnt, aber…ich kenn das. Man ist öfters Anfeindungen ausgesetzt. Zu deiner Frage….nein. Ich lebe nicht in der Reservation. Nicht mehr zumindest. Allerdings, bin ich kein Siksika. Ich bin Lakota.” sagte ich mit einem gewissen Stolz in der Stimme.
      “Du bist weit fort, vom Land deiner Ahnen.” stellte Eric fest und ich war dankbar für das Mitgefühl das in seiner Stimme mitschwang. Ich spürte plötzlich eine Hand auf der meinen, die ich noch nicht von Aimees Knie genommen hatte. Sie zog mich zurück in eine sitzende Position neben ihr. Nicholas machte uns Platz. “Dann können wir froh sein das es First Nations Land ist. Wir werden immer unsere Ruhe hier haben.” brach Trevor die Stille. O’ schmunzelte. “Da magst du Recht haben. Also…keine fetten Partys hier. Die können wir uns für andere Gelegenheiten offen lassen.”
      “Tschetan, ich dachte einen Augenblick du willst ihm nochmal eine verpassen.” witzelte O’ um die Stimmung zu lockern.
      “Ich hätte gut und gern Lust dazu gehabt.”
      “Besser nicht, du hättest ihn aus den Latschen gehauen. Bryce hat Oberarme wie ein Baby.” stellte Trevor belustigt fest. “Meistens versteckt er sich hinter seinen bulligen Freunden.” damit schenkte er Nicholas einen vielsagenden Blick. Der Junge rückte, etwas ungemütlich, weiter an die Felsen in seinem Rücken. “Ich bin auch nicht Stolz drauf. Früher…da war er anders.” Nicholas sah sich nach seiner Flasche Root Beer um, musste dabei hinter mich greifen.
      Nicholas
      “Wisst ihr zuhause da haben meine Eltern auch ein paar Westernpferde. Ich bin nämlich gar kein Englischreiter”, gab ich preis und sah dabei zu den Pferden, die genüsslich grasten. Zumindest ein paar davon.
      Die Tiere der Bow River Ranch hatten ihre Köpfe gesenkt und sich damit abgefunden, angebunden zu sein und nur in einem kleinen Radius das saftige Grün abpflücken zu können. Die Pferde, die wir mitgebracht hatten allerdings, schienen sich damit nicht zufrieden geben zu wollen. Starlight, die Stute die ich ritt, hängte sich immer wieder in den Strick, rempelte eins der Bow River Pferde dabei ständig an. Dieses schien jetzt genug von dem Zirkus zu haben, hob schlagartig den Kopf und biss die Stute in die Schulter. Starlight machte einen empörten Satz nach vorne und quietschte, weshalb alle anderen Pferde auch die Köpfe hoben und nervös schnaubten. Das Pferd neben Starlight legte noch immer die Ohren an und taxierte das Tier. Gerade als ich die Situation auflösen wollte, stand Tschetan aus dem Wasser auf und ging zu den Pferden rüber. “He, Layla, lass die mal in Ruhe”, sagte er ruhig zu der Dunkelfuchsstute und legte ihr eine Hand auf die Kruppe. “Ist das deine?”, fragte ich Tschetan, welcher mir erst antwortete, als er wieder im Wasser war.
      “Nein, auf Bow River hab ich kein eigenes Pferd. Die gehören fast alle Caleb, wir dürfen die meisten davon aber reiten. O’ hier hat ein paar eigene Pferde, aber alles… keine Westernpferde”, lachte er.
      “He ich hatte mal Westernpferde! Und Dakota wird von Bellamy mittlerweile ja auch Western geritten.”
      “Was hast du eigentlich mit den ganzen Vollblütern vor, O’?”. fragte Aimee schließlich.
      “Verkaufen.”
      Nun horchten alle auf. “Echt?”, mischte sich Trevor verwundert in die Unterhaltung ein.
      “Ja, ich merke, dass ich immer mehr im Westernsattel zuhause bin. Kein Wunder, auf einer Westernranch voller Westernpferde und Cowboys.” Alle lachten, die Stimmung hatte sich so gelockert, seit dem Bryce abgedampft war.
      “Ich wollte die Pferde Pineforest anbieten oder Phoenix Valley. Dann weiß ich wenigstens, dass sie weiterhin ordentlich trainiert werden und sich später gut in der Zucht machen.”
      “Erzählt mal, wie es so auf der Ranch ist?”, fragte ich dann in die Runde. Aimee erzählte, Tschetan erzählte und O erzählte. Ich konnte mir alles bildlich vorstellen.
      “Ihr könnt doch mit rüber kommen, dann zeigen wir euch die Ranch. Caleb oder Cayce können euch und die Pferde später bestimmt zurückfahren, das ist kein Problem.”
      Trevor schaute auf sein Handy, was er in seiner Hosentasche neben der Quelle verstaut hatte. “Ich hab gleich Training. Wenn ich das absage, bekomm ich die Hölle heiß gemacht”, meinte er und sah zu seinem Kumpel Eric rüber. “Sieht wohl so aus, als müssten wir uns verabschieden”, erklärten die beiden älteren Jungs und sahen zu mir. “Aber du kannst ja mitreiten, Bryce spielt heute auch den restlichen Tag die beleidigte Leberwurst.”
      Ich nickte. Warum nicht?
      Tschetan
      “Schade das Louis die Indian Relays aufgegeben hat. Einige deiner Vollbüter wären sicherlich dafür geeignet.” O’ zog eine Augenbraue nach oben. “Aber grundsätzlich könntest du das doch auch tun,oder nicht?”
      Ich zuckte mit den Schultern. “Schon, aber ganz ungefährlich ist es nicht. Ich weiß nicht wie Ylvi und Louis darüber denken. Da helf ich lieber bei dem Training der Westernpferde.”
      “Du hilfst da mit?” fragte Nicholas erstaunt neben mir. Noch bevor ich eine Antwort geben konnte, fiel Aimee mir ins Wort. “Wenn er so weiter macht, dann ist er bald der beste Trainer am Stall. Caleb vertraut ihm seine besten Pferde an.” Ich senkte betreten den Kopf. “Jetzt übertreib mal nicht.” murmelte ich. “Naja, ganz Unrecht hat sie nicht. Du sitzt manchmal auf Pferden, von denen würde ich nur träumen kann“, erwiderte O’ trocken. Ich wusste, dass es stimmte. Doch ich war nicht der Typ dafür, vor anderen anzugeben. Ich rutschte ungemütlich im Sattel herum, bei dem bewundernden Blick, den mir Nicholas von der Seite zuwarf. “Vielleicht sollte ich den Stall wechseln.”
      “Wir geben keinen Reitunterricht”, gab ich wahrheitsgemäß von mir.
      “Aber Hilfe bei der Rancharbeit braucht ihr doch sicherlich? Im Westernsattel fühl ich mich einfach wohler.”
      “Vielleicht lässt sich was finden. Darüber müsste man mal mit Caleb sprechen”, warf Aimee ein. Darauf erwiderte ich nichts. Ich hatte einfach im Hinterkopf, dass Nicholas zu oft bei Bryce rumhing. Der Gedanke, diesen Idioten vielleicht auch auf der Ranch zu wissen, missfiel mir. Deshalb versuchte ich erst gar keine Bande der Freundschaft zu Nicholas entstehen zu lassen. Ich misstraute ihm.
      Caleb
      Gleich als ich auf der Ranch angekommen war, machte ich mich daran, das Futter abzuladen. Zum Glück kamen mir Brian und Bellamy zur Hilfe, so dass alles ziemlich schnell an seinem Platz verstaut war.
      Da es noch relativ früh war, entschloss ich mich dazu, noch rüber zur Ferienranch zu reiten.
      Dazu machte ich mir meinen Vulture fertig. Er war noch nicht so viel im Gelände gewesen, und vor allem nicht alleine. Das würde also abenteuerlich werden.
      Ich wollte schon ein wenig Werkzeug mit hoch nehmen, so dass ich die Satteltaschen am Sattel des Hengstes befestigte und packte. Einerseits mit nützlichen Utensilien, andererseits mit Papier und Stift, um mir aufzuschreiben, woran wir in der nächsten Zeit arbeiten wollten.
      Als ich aus dem Stall raus ging traf ich auf Bellamy. “Ich reite hoch zur Ferienranch und schau, ob ich heute schon was machen kann. Dann weiß einer wo ich bin.”
      “Okay alles klar. Soll ich dann das Futter für heute Abend fertig machen? Du wirst ja eine Weile brauchen.”
      “Ja, das wäre top. Könntest du dich heute Mittag auch noch um das Training von Cody und Ginger kümmern? Lass die einfach im Round Pen ein bisschen laufen. Falls du dann noch Lust und Zeit hast… Nic bräuchte auch mal wieder Bewegung.”
      “Nic?”, fragte Bellamy verwirrt und schien nachzudenken. “Ach du meinst Moonie! Mensch, nenn den doch einfach mal um. Nic kann sich keiner merken!”
      Wir beide lachten, dann gurtete ich Vultures Sattel nach und schwang mich rauf. Absolut gesittet verließen wir das Ranchgelände. Als ich ihn dann jedoch antrabte, durfte ich erst einmal ein paar Buckler aussitzen.
      “Gehts jetzt wieder? Funktioniert dein Hirn jetzt wieder so, wie es funktionieren soll?”, fragte ich den Braunen kopfschüttelnd, verlangte nun aber über ein langes Stück einen gleichmäßigen, ordentlichen Trab. Erst als er mir schön genug lief, parierte ich ihn zum Schritt durch. So konnte er etwas verschnaufen, bevor ich ihn gleich angaloppieren würde.
      Ich hatte die Strecke an der Rinderkoppel vorbei gewählt, so dass wir diese einmal überqueren konnten. Eine Abkürzung sozusagen. Es stellte sich jedoch als gar nicht so einfach raus, das Tor von diesem Pferd aus zu öffnen. Ständig sprang er zur Seite, tänzelte vor sich hin oder ließ mich gar nicht nah genug heran.
      Da ich heute keine Zeit zum Rumdiskutieren hatte, stieg ich kurzerhand ab, öffnete das Tor vom Boden aus und schloss es wieder, nachdem wir beide die Wiese betreten hatten. Ich stieg wieder auf und manövrierte Vulture auf die Rinderherde zu. Je näher wir ihr kamen desto mehr prustete der Hengst und machte den Hals rund. “Man glaubt dir wirklich nicht, dass du Cutting gezogen bist, mein Freund.”
      Völlig unbeachtet dessen, dass er wieder zu tänzeln anfing, lenkte ich ihn souverän durch die Herde durch. Die Zügel der Kandare hatte ich nun leider fast auf Anschlag, weil Vulture den sterbenden Schwan spielen musste.
      Als wir auf der anderen Seite fast wieder aus der Herde raus waren, trabte ich ihn locker an, was sich hinterher als Fehler herausstellte. Eines der Rinder machte neben uns einen Bocksprung und überholte uns von hinten. Vulture, so explosiv wie er manchmal sein konnte, machte erst einen Satz nach vorne, ehe er die Beine in die Hand nahm und im Galopp davonstob. Dieses Pferd war noch sowas von grün, fluchte ich innerlich und sortierte die Zügel, ehe ich den einen langsam immer mehr annahm. Den ‘one rein stop’ kannte er vom Anreiten. Alle Pferde der Ranch kannten ihn. Man nahm einen Zügel langsam immer mehr auf, bis die Nase des Pferdes eines der Reiterbeine berührte. Die Pferde wurden automatisch langsamer und blieben irgendwann ganz stehen, da man sie so komplett aus dem Gleichgewicht brachte. Auch Vulture hielt irgendwann an. Das Rind hatte es aufgegeben uns zu verfolgen. Nach ein paar weiteren Metern waren wir am Tor angekommen. Ich stieg dieses Mal direkt ab, um ein erneutes Theater zu vermeiden.
      Eine gute halbe Stunde später waren wir fast an der Ferienranch angekommen, wir mussten nur noch durch den Wald nach oben reiten.
      Als ich die Ferienranch durch die Bäume erblickte, hielt ich Vulture an und starrte einfach nur das Schild “Dells Rookie Ranch” an. Dell… die letzten Tage hatte ich die Gedanken an ihn zur Seite geschoben. Der Alltag hatte uns wieder. Damit aber auch weitere Sorgen und Probleme.
      “Na komm”, sagte ich zu Vulture, schnalzte kurz und wir ritten unter dem Namensschild hindurch, direkt auf den Zaun zur Klippe zu. Dort, wo ein Teil der Asche von Dell begraben war. Ich stieg vom Pferd, kniete mich hin und nahm den Hut vom Kopf. In Gedanken sprach ich ein paar Worte.
      Dann setzte ich mir meinen Hut wieder auf den Kopf und fing an, mit Vulture im Schlepptau die Ranch abzulaufen. Nebenbei machte ich mir immer wieder Notizen, was alles gemacht werden musste. Hier oben befanden sich drei Hütten in einem mehr oder weniger guten Zustand. Außerdem zwei Koppeln und ein in der Mitte geteilter Offenstall, der an beide Wiesen angrenzte. Perfekt, um die Pferde hier oben nach Stuten und Wallachen zu trennen.
      Allzu viel konnte ich hier heute alleine nicht erreichen, doch hier zog ich mal eine lose Schraube fest, dort hammerte ich etwas, hier schnitt ich etwas ab oder zupfte Unkraut raus, wo definitiv keins wachsen sollte.
      Leider verlor ich die Zeit völlig aus den Augen. Ich schaute nämlich erst wieder auf die Uhr, als es anfing, kalt zu werden. “Mist…Komm Vulture, wir müssen zurück.” Übernachten konnte man hier oben nämlich nicht- noch nicht.
      Vulture, der sich dem Gras gewidmet hatte, schien wenig davon begeistert, nun wieder aufbrechen zu müssen. Widerwillig ließ er mich die Trense wieder über das Knotenhalfter ziehen. “Wenn du so weitermachst gibts für dich ein paar Tage hardcore Anstandstraining”, murrte ich, schloss den Kinnriemen und schwang mich nach dem nachgurten in den Sattel.
      Beim Verlassen der Ranch schaute ich noch einmal zum Schild zurück. Dells Rookie Ranch. Ich hoffte, wenn ich einmal starb, würde auch jemand als Andenken an mich eine Ranch nach mir benennen. O’Dells Pro Ranch wäre ein schöner Name.
      Es schüttelte mich. Eigentlich wollte ich noch lange nicht sterben… aber man konnte ja nie wissen.
      Der Ritt zurück zur Ranch dauerte dieses Mal wesentlich kürzer an. Wir galoppierten dieses Mal aber auch mehr- gesittet, versteht sich.
      An der Bow River Ranch angekommen traf ich auf die Kids, die heute Mittag unterwegs gewesen waren. Sie hatten einen fremden Jungen dabei.
      “Hey ihr”, sagte ich freundlich und streichelte den verschwitzten Hals meines Hengstes.
      “Was hast du denn mit dem gemacht?”, fragte Tschetan mich und zeigte mit vorgeschobener Lippe, wie er es so oft machte, auf mein Pferd.
      “Wir waren oben bei der Ferienranch. Ich hab mir Notizen gemacht was alles zu tun ist, damit wir da bald anfangen können.”
      Tschetan nickte vielsagend, dann ergriff Aimee das Wort: “Hör mal, das hier ist Nicholas von dem neuen Dressurstall drüben im Tal, er ist aber eigentlich Westernreiter, nur hängt er drüben viel rum wegen seinem Freund Bryce. Falls du Arbeit hast würde er hier gerne ab und an mal aushelfen.”
      Bryce. Als Aimee diesen Namen nannte, flog mein Blick unauffällig zu Tschetan, der unbemerkt seinen Kopf hin und her bewegte.
      Ich zog eine Augenbraue hoch, schaute dann jedoch wieder zu Aimee. Nicholas wirkte auf den ersten Blick nett, aber… “Im Moment brauchen wir tatsächlich keine Hilfe… aber wenn wir drüben bei der Ferienranch anfangen sieht die Sache wieder ganz anders aus. Aimee kann sich ja bei dir melden, falls sich was ändert?”, schlug ich freundlich vor.
      “Vielen Dank, Mr. O’Dell”, antwortete mir der Junge, was mich kurz zum Schmunzeln brachte. Sah ich etwa so alt aus?
      “Caleb.”
      “Okay, danke Caleb.”
      “Geht schon mal vor, ich komm gleich”, schickte Tschetan die drei in Richtung Stallung.
      “Also… DER Bryce?” Tschetan nickte mit zusammengebissenen Zähnen.
      “Ich misstraue Nicholas, er hängt zu viel mit Bryce rum.”
      Ich nickte verständnisvoll. “Auf den ersten Blick scheint er mir nicht wie dieser Bryce vorzukommen. Lern ihn doch kennen, wenn du dein ok gibst stell ich ihn ein.”
      Tschetan nickte erneut und wandte Layla zum Gehen.
      “Ach übrigens, Tschetan”, setzte ich an und strich Vulture wieder kurz über den Hals. “Falls du Lust hast hier ein wenig mehr Verantwortung zu übernehmen… such dir doch ein oder zwei der Jungpferde für die Ferienranch aus und mach aus ihnen zuverlässige Arbeitstiere.“
      Der Junge sah mich mit großen Augen an. “Echt?”
      “Echt.”
      Pferde: BR Devils Angel Eyes, BR Sheza Topnotch Babe, BR South Texas Gangster, Blue Fire Cat, BR Atlantis Dream, BR Colored in Style, BR Dress to Impress, BR Homecoming Queen, BR Raised to Slide, BR Wimpys Bright Gangster, Captains Blue Crystal, Gun Sophie, Jacks Inside Gunner, BR Alans Smart Dream, BR Colonels Golden Gun, BR Colonels Lil Joker, BR Double Gunslide, BR Heart N’ Soul, BR Hollywoods Dream Anthem, Chapman, Chocolate Dazzle, Up Town Girl, Bittersweet Temptation, Whitetails Shortcut, Zues, Abandon all Hope, Ginger Rose, HMJ Courtesy, HMJ8345 Continental, Lady Blue Skip, Striga, Tortured Witch HMJ 6693, Blanton’s Gentleman, Chic’ N Shine, Four Bar Chocolate Becks, GRH’s Funky’s Wild Berry, HGT’s Unitato, HMJ Saintly, How ‘Bout Moonies, PFS’ Unclouded Summer Skies, Smart Lil Vulture, tc Mister’s Silvermoon Cody, Small Town Dude, Dual Shaded Ace, GRH’s Bellas Dun Gotta Gun, GRH’s Unbroken Soul of a Devil, Gun and Slide, Gunners Styled Gangster, Heza Bat Man, Hollywoods Silver Dream, Till Death, Black Sue Dun It, California Rose, DunIts Smart Investment, Easy Going, Frosty Lagoon, Ginny my Love, GRH’s A Gun Colored Lena, GRH’s Aquila T Mistery, GRH’s Unbroken Magic, Magnificient Crow, Only Known in Texas, Lovin’ Out Loud, Stormborn, Tainted Whiz Gun, Breia LDS, Ceara Isleen, Dakota, Drama Baby, Leuchtfeuer di Royal Peerage, Moonshine LDS, Pocahontas, Prias Colourful Soul, Raspberry, Tigres Eye, Wunderkerze LDS, Absolute Bullet Proof, Birk, Culain, Myrkvidr, Peacful Redemption, WHC’ Happy Sunshine, Wildfire xx, A Walking Honor, Chou, Jade, Lika a Prayer, Kristy Killings, Honey’s Aleshanee, Colonels Blue Splash, BR Dissident Whiz, Sweet like Chocolate, Alan’s Psychedelic Breakfast, General’s Coming Home, Cup Cake, A Walking Dignity, A Shining Chrome, Priamos Ruffia Kincsem, BR General Pleasure, Wimpys Little Devil, Kholáya, Whinney, Miss Independent, Kisshimbye, My sweet little Secret, Snapper Little Lena, Special Luna Zip, I’m a Playboy
    • Veija
      Noise in the silence
      Zeitliche Einordnung: Mai 2021
      April 2022, by Ravenna & Veija

      Tschetan
      Ich streckte meinen Körper Seesternartig aus, drehte mich dann auf die Seite, um mein Handy zu erreichen. Dabei zuckte ich zusammen - ich zog mir selbst an den Haaren. Der Wecker zeigte gerade 5 Uhr an. Mir missfiel das einerseits. Andererseits richtete ich mich auf, nachdem ich den Wecker aus und meine Haare befreit hatte. Mit den Händen strich ich mir über das Gesicht, klatschte die Hände gegen meine Wangen, um die Müdigkeit aus mir heraus zu bekommen. Anschließend rollte ich über das Bett, um den Raum zu erhellen.
      Der Anblick war noch immer seltsam. An das große Bett dagegen hatte ich mich schnell gewöhnt. Nicht mehr meine Schwester im selben Raum atmen zu hören, hatte mich einige Zeit gekostet. Vor knapp 2 Wochen hatte ich endlich das versprochene Zimmer im Haupthaus beziehen können, mit einer tollen Aussicht auf den Wald und einen Teil der Berge. Von hier aus konnte ich bei guter Sicht den Eingang zur Ferienranch sehen. Allerdings befand ich mich nicht auf der Sonnenseite des Hauses. Diese würde genau in der anderen Richtung aufgehen. Ich konnte gerade so erahnen, dass die Dämmerung einzusetzen begann. Vom Boden klaubte ich meine Shorts vom Vortag und warf sie in den Wäschekorb, drehte die Socken wieder auf richtig herum und zog sie mir an. Dabei schaute ich mich etwas um. Wo war die Hose gestern gelandet?
      Wenig später schlich ich mich mit meinen Boots in der Hand die Treppe hinunter. In der Küche kippte ich mir schnell ein Glas Wasser in den Rachen - das musste als Frühstück genügen. Anschließend - mit dem Hut auf dem Kopf - befand ich mich bereits auf dem Weg in den Stall. Seit einigen Wochen hatte mir Caleb die Pflege und das Training von zwei der Pferde anvertraut. Nicht nur das, ich hatte sie mir aus allen Jungpferden aussuchen können. Ich hatte mich dabei für eine zweijährige Stute namens Like a Prayer entschieden, die ich überhaupt einmal an den Menschen gewöhnen musste - nachdem sie ihre meiste Zeit auf den weitläufigen Weiden am Nordhang verbracht hatte. Colonels Blue Splash war meine nächste Wahl: eine solide vierjährige Fuchsstute, die es mir mit ihrer Neugierde zum Menschen angetan hatte. Vor allem aber mit ihrer Ruhe. Laurence hatte letztens einen der Bäume fällen müssen. Während also die Kettensäge angeworfen wurde und nach und nach die Äste flogen. An diesem Tag war sie mir im Gedächtnis geblieben. Also hatte ich nicht lange gezögert, sie zu wählen. Als Pferd für die Ferienranch war sie damit hervorragend geeignet. Beide Stuten teilten sich ein Paddock, damit ich nicht nur ihr Training, sondern auch ihre generelle Pflege übernahm. Und an Tagen wie heute trieb es mich auch sehr früh aus dem Bett.

      Am Eingang des Paddocks stand die Badewanne voll mit Wasser. Ich schüttete mir ein wenig des kalten Nass ins Gesicht, um auch den letzten Anflug von Müdigkeit aus dem Gesicht zu bekommen. Anschließend widmete ich mich den Haufen der beiden Stuten, die es aus dem Weg zu schaufeln gab. Immerhin war ich so die elendigen Boxen los. Das nasse Stroh oder die Späne aus den Ecken zu holen empfand ich als deutlich ätzender. Aus dem Container füllte ich die Wanne weiter mit Wasser und lugte hinein, um zu sehen, wie viel Wasser noch darin war. Ich beschloss, diesen am Wochenende zu füllen. Ein kritischer Blick auf meine Uhr verriet mir, dass ich noch genügend Zeit hatte, um mit Blue Splash zu arbeiten. Zügigen Schrittes holte ich mir also den Strick samt Halfter aus der Sattelkammer. Vorerst beschränkte sich meine Arbeit auf den Round Pen. Blue Splash hatte bereits gelernt sich im Round Pen zu bewegen, sich überall anfassen zu lassen und vor allem war aufgefrischt worden, die Hufe zu geben. Aktuell lernte sie auf leichten Druck zu weichen und meiner Körpersprache dabei zu folgen. Dabei beschäftigte ich sie gern mit den Pylonen: Slalom oder die liegende Acht. Heute hatte ich eine ganz neue Übung mit ihr vor.
      Da sie mittlerweile gut gelernt hatte seitwärts an mich heran zu treten wollte ich mit ihr an der Aufstiegshilfe stehen. In ihrer künftigen Aufgabe als Ferienranchpferd, musste sie auch von ungeübteren oder nicht so gelenkigen Reitern bestiegen werden. Dafür war es besonders wichtig, dass sie ruhig an der Aufstiegshilfe stand. Also nahm ich nach dem putzen die solide Box mit in den Round Pen. Nach einer kurzen Aufwärmphase holte ich die Box zu mir rein, ließ sie die junge Stute begutachten, nahm sie dann wieder auf und trug sie an eine andere Stelle. Dort stellte ich mich auf die Box. Neugierig kam Blue Splash näher. Ich gab einen kleinen Pfiff von mir für sie als Bestätigung, strich ihr mit der Hand zwischen die noch plüschigen Ohren. Dann gab das Handzeichen für die junge Stute seitlich zu mir zu kommen. Kurz ratterte es in ihrem Kopf, dann tat sie einen fragenden Schritt auf mich zu. Also ließ ich wieder meinen kleinen Pfiff hören.
      "Das hast du dir von Louis abgeschaut, oder?", vernahm ich Cayce Stimme hinter mir.
      "Was meinst du?"
      "Das Gepfeife. Louis hör ich auch in einer Tour mit seinen Pferden pfeifen." Ich musste schmunzeln.
      "Wir haben beide vom selben Großvater das Reiten gelernt. Ich denke, daher kommt das. Um ehrlich zu sein habe ich nie gefragt, wieso er das macht. Ich habs einfach kopiert." Dabei kratzte ich mir lachend am Hinterkopf.
      "Viel Erfolg beim Training", wünschte mir Cayce und fasste sich dabei an den Hut.

      Aimee
      “Hm?”, horchte ich auf, als mein Vater zum wiederholten Mal meinen Namen rief.
      “Aimee, mach doch mal den Eierkocher aus. Mensch Kind, was ist denn in letzter Zeit los mit dir?”, damit drehte er sich um und verließ die Küche des kleinen Bungalows. Ich stand seufzend auf, ging zum Eierkocher und zog den Stecker aus der Steckdose. Augenblicklich hörte das nervtötende Piepsen, das mir bis eben völlig entgangen war, auf zu nerven und verstummte. Irgendwie hatte ich vergangene Nacht nicht gut geschlafen und war heute komplett gerädert. Dagegen konnte auch der Kaffee, den ich ab und zu morgens trank, nichts ausrichten. Der einzige Trost, der sich mir heute bot, war der Wochentag. Freitag. Der Nachmittagsunterricht beschränkte sich auf zwei Unterrichtsstunden nach dem Mittagessen. Das Wochenende näherte sich mit großen Schritten.
      Ich schüttete das Wasser der Eier im Waschbecken ab. Der warme Dampf erwärmte mein Gesicht und vertrieb tatsächlich einen Teil meiner Müdigkeit.
      Aus dem Schrank kramte ich zwei Eierbecher hervor, die ich mit Eiern befüllt auf den Tisch stellte.
      Wenig später kam Brian wieder in die Küche und setzte sich an den Tisch. “Soll ich später aus Calgary noch das Kraftfutter für die Pferde mitbringen? Ein paar Säcke bekomm ich ja in den Kofferraum.”
      “Ja, das wäre gut. Frag Caleb gleich noch, dass er dir einen Scheck mitgibt. Dann kannst du direkt bezahlen.”
      “Wenn gleich noch Zeit ist”, murmelte ich und sah auf die Uhr. Ich musste mich so langsam ranhalten.
      “Sonst lass dir halt eine Rechnung ausstellen und nimm die mit… apropos, du nimmst doch gleich die Kids und Tschetan mit rüber, oder?”, ich nickte “der kann dir dann ja tragen helfen. Oder du fragst jemanden, der da arbeitet.”
      “Ja, Dad. Ich werd schon klar kommen. Bin ja nicht zum ersten Mal da.”

      Eine viertel Stunde später stand ich vor der Tür des Haupthauses und hob die Hand, um zu klopfen. Total dämlich, sonst lief ich dort doch auch ein und aus, was war denn heute los? Vorsichtig drückte ich die Klinke nach unten trat in den dunklen Flur. Hm, war er noch nicht wach? Und sonst war auch noch niemand hier? Oder waren schon alle auf der Ranch unterwegs?
      Ich räusperte mich. “Ca… Caleb?”, rief ich in den dunklen Flur hinein und vernahm ein Poltern aus dem 1. Stock. War Tschetan etwa auch noch nicht fertig für die Schule? Kaya und Betsy waren mir bisher auch noch nicht begegnet.
      “Ich komm gleich”, rief Caleb dann jedoch von oben zu mir runter. Ich nickte. Im Nachhinein dachte ich mir, dass er das Nicken ja gar nicht hatte sehen können. Schließlich trat ich ganz ins Haus hinein, zog die Tür hinter mir zu und ging in die warme Küche. Dort legte ich meine Hände um die warme Kaffeekanne auf dem Tisch. Morgens war es noch echt kalt draußen.
      Wenige Minuten später trat Caleb in die Küche. Er war noch dabei, sich sein Hemd zuzuknöpfen. Es blieb mir erspart, mich peinlich wegzudrehen, weil Caleb unter dem Hemd ein Shirt anhatte. Stattdessen nahm ich meine Hände von der Kanne weg und rieb sie ein paar Mal gegeneinander.
      “Wie kann ich dir helfen, Aimee?”, fragte er mich freundlich, nahm eine Tasse aus dem Schrank und schenkte sich etwas des warmen Getränks ein. Ich beobachtete ihn dabei, bis mir bewusst wurde, dass er mir eine Frage gestellt hatte.
      “Ich.. äh..”, stammelte ich drauf los und stoppte mit der reibenden Bewegung meiner Hände. “Ich fahr gleich mit dem Auto zur Schule. Hab meinen Dad gefragt ob ich dann schon mal einen Teil des Kraftfutters mitbringen soll. Dazu müsstest du mir aber einen Scheck mitgeben, damit ich das schon mal bezahlen kann, was ich mitnehme.”
      “Mmm hm”, antwortete er nur und verschwand aus der Küche. Verdutzt schaute ich ihm nach, bis ich ein “Kommst du?”, aus dem Flur hörte. Unsicher stapfte ich ihm nach.
      “Wo bist du denn hin?”, fragte ich ins Dunkle hinein, ehe mich der grelle Lichtstrahl der Deckenlampe kurz blendete.
      “Erstmal das Licht anmachen”, verkündete er schulterzuckend, aber mit einem Grinsen auf den Lippen.
      Wir kamen in seinem Büro an. Dort standen zwei Tische. Auf dem Rechten herrschte ein sichtliches Chaos um den PC- Bildschirm herum. Der Linke dagegen schien sichtlich aufgeräumter. Es gab verschiedene Stapel mit Unterlagen, alle schön säuberlich und akkurat aufeinander gelegt. Ich grinste kurz. Der Schreibtisch gehörte wohl Ylvi. Ich sah mich weiter im Raum um, während Caleb in diversen Schubladen herum kramte. Gegenüber seines Schreibtisches hing ein neues großes Foto. Es zeigt ein paar der Hengste vor schwarzem Hintergrund. Blue und Gangster waren dabei, natürlich. Aber auch Nachtschwärmer, der seit kurzem verkauft war.
      “Hier”, meinte Caleb plötzlich und reichte mir ein Blatt aus dem Scheckheft mitsamt dem Kuli, mit dem er unterschrieben hatte. “Trag einfach später den Betrag ein, für den du Säcke mitbringst. Bezahl nichts weiter im Voraus.” Ich nickte, bedankte mich und verließ das Haupthaus. Kaya und Betsy standen bereits am Wagen, von Tschetan fehlte weiterhin jede Spur.
      Hinter mir fiel die Tür erneut ins Schloss, was mich zum umdrehen bewegte. Auch nicht Tschetan. “Caleb ist Tschetan noch drinnen?” Er schüttelte den Kopf. “Habt ihr ihn gesehen?”, fragte ich die Mädchen, klickte gleichzeitig auf den Autoschlüssel, damit das Auto sich auf schloss. Beide verneinten ebenfalls. Wo steckt er denn wieder?
      “Ich muss noch grade meinen Schulranzen holen gehen, bin gleich wieder da”, erklärte ich mich und joggte zurück zum Bungalow, holte meine Tasche, verabschiedete mich von meinem Vater und ging zügigen Schrittes zurück zum Wagen. Die Tasche verstaute ich im Kofferraum. Dann beschloss ich Tschetan anzurufen. Er hatte sein Handy zwar fast nie dabei, aber falls doch, ging er immer ran. Gerade hatte er es wohl wieder irgendwo liegen gelassen, denn es kam sofort die Mailbox. Ich schaute auf die Uhr. 5 Minuten Zeit hatten wir noch, dann mussten wir aber wirklich los.

      Tschetan
      Auf die Minute genau riss ich die Beifahrertür auf, ließ mich ätzend auf dem Sitz nieder und zog Beine und Tür als letztes hinzu. Aimee sah mich ungläubig von der Seite an. “Was?” fragte ich. Gestikulierte nach vorn. “Willst du nicht los?” Keine Regung. Die Mädchen auf der Rückbank kicherten.
      “Ist das’n Scherz?”
      “Kannst du in ganzen Sätzen sprechen?”, so ganz sah ich immernoch nicht was ihr Problem war. Ich widmete dem Tacho einen Blick, auf dem die Uhrzeit stand. Genau genommen war ich nicht zu spät.
      “Der Hut, dein Aufzug. Alter, du miefst nach Pferd. Deine Haare sind nicht gekämmt und wenn ich genau hinseh, find ich sicherlich noch Heu”, kommentierte Aimee.
      “So renn ich doch ständig rum?”
      “Aber doch nicht in der Schule!”, ich zuckte mit den Schultern.
      “Heute dann wohl schon. Umziehen und Duschen würde bedeuten, wir kommen zu spät”, ich deutete dabei mit den Lippen auf die Uhr im Armaturenbrett. Aimee grunzte, schüttelte den Kopf und startete ohne weiteren Kommentar den Motor. Ich warf den Mädchen auf der Rückbank einen Blick zu. Kaya grinste und schlug die Hand vor den Mund, um das Kichern zu unterdrücken. Ich machte eine kreisende Bewegung mit der Faust vor meinem Gesicht. Das Zeichen für ‘verrückt’. Dann zwinkerte ich.
      “Schnall dich an!”, ranzte Aimee mich an. Während der Wagen die lange Auffahrt der Ranch hinaus fuhr.
      Um nicht weiter in ihren Unmut zu gelangen schnallte ich mich an, zog mir den Hut vom Kopf und steckte ihn fest zwischen Scheibe und Armaturenbrett vor mir. Im Spiegel des Wagens sah ich mir mein Gesicht an. “Im Handschuhfach sind Feuchttücher”, stellte Aimee sachlich fest. Also wischte ich mir den groben Dreck aus dem Gesicht. Anschließend löste ich die beiden geflochtenen Zöpfe und zog mir die Zopfgummis über den Arm, um mit gefächerten Händen meine Haare ein wenig zu kämmen.
      “Willst du meine Bürste?” fragte Betsy hinter mir und rechts von mir tauchte eine zierliche Hand mit Bürste auf. Dankbar griff ich danach und kämmte mir meine langen Haare. Mittlerweile kamen keine Kommentare mehr von Aimee, dass ich mich in Bezug auf die Haare schlimmer hatte wie ein Mädchen. Sie hatte ziemlich schlucken müssen, als sie von den Residential Schools erfahren hatte. Noch meiner Großmutter hatte man als Mädchen in eine solche geschickt. Ich trug meine Haare also lang, für all jene Ahnen, denen es nicht erlaubt worden war.
      Nach dem Kämmen entfernte ich die Haare aus der Bürste, warf sie aus dem Fenster und gab Betsy ihre Bürste zurück. “Dankeschön”, bedankte ich mich ehrlich bei ihr. “Besser?”, fragte ich in Aimees Richtung, erhielt allerdings keine Antwort von ihr. Ich knuffte sie leicht in die Seite, sie zuckte zusammen, quiekte und sah mich halb lachend, halb ungläubig von der Seite an. Aber ihr Lächeln zeigte mir, dass sie nicht mehr wirklich wütend auf mich war. Ich lehnte mich im Sitz zurück, streckte die Beine so, gut es eben ging, aus und genoss den Ausblick aus dem Fenster. Noch ein paar Monate dann hatte auch ich endlich den 16. Geburtstag hinter mir und durfte fahren.

      An der Schule trennten sich unsere Wege ab dem Auto. Ich nahm Kaya in den Arm, küsste sie auf die Stirn. “Tschetan, du bist peinlich!”, schimpfte sie dabei mit mir. Ich zog eine Augenbraue nach oben, sah Betsy an.
      “Wann hat meine kleine Schwester beschlossen ihr Bruder sei peinlich?”, Kaya kicherte leise. “Als mein Bruder beschlossen hat, sich noch schlimmer als Louis zu benehmen!”, damit verschwanden beide Mädchen mit kichern. Ich spürte noch immer ein leichtes Zittern in mir, jedes mal, wenn Kaya sprach.
      “Wohin starrst du?” hörte ich eine mir mittlerweile bekannte Stimme in meinem Rücken. Nicholas trat an meine Seite, die Hand an der Stirn, als würde er seine Augen gegen die Sonne abschirmen. “Gibt´s da heiße Mädchen zu sehen,mhm?”
      “Ich hoffe doch nicht, dass du ein Auge auf meine Schwester geworfen hast, sonst müsste ich dich töten”, knurrte ich spielerisch. Nicholas verweilte in seiner Pose.
      “Niemand tötet hier irgendwen. Bewegt euch Jungs. Ab zum Unterricht!”, scheuchte uns Aimee los. Ich spürte ihre Hand in meinem Rücken, wie sie Nicholas und mich vorwärts schob. Wann war das eigentlich passiert?
      Seit dem Tag an den heißen Quellen…und der Zeit, in der Nicholas auf der Ranch half. Irgendwie hatte er sich in den kleinen Kreis unserer Freunde geschlichen. Wie lang war das jetzt her? 1 oder sogar fast 2 Monate? Nur Aimee fand ich von Zeit zu Zeit noch bei Bryce….und noch immer mochte ich nicht, dass sie mit ihm zusammen abhing. Selbst Nicholas hatte mir einmal zugestimmt…dass sein ehemaliger Kumpel nicht der beste Umgang war. “Was hast du als erstes?”, fragte ich Aimee.
      “Geschichte, bei Mrs. McIntosh …genau wie du auch!”
      “Dann trenn ich mich noch draußen von euch, Doppelstunde Sport,” seufzte Nicholas.
      “Dann sehen wir uns in der Mittagspause.” trällerte Aimee. “Komm jetzt!”

      Ylvi
      Seitdem Aimee die gesamte Bande mit zur Schule nehmen konnte, hatte sich mein Leben ziemlich erleichtert. Plötzlich hatte ich einen fast ungewohnten Raum an Zeit am Morgen. Abgesehen davon hatten Louis und ich den Bungalow auch immer öfter für uns allein. Tschetan hatte drüben im Haupthaus eines der Zimmer bezogen. Betsys Zimmer wurde auch bereits fertig gestellt. Solang bewohnte sie hier bei uns mit Kaya das Zimmer. Immer häufiger nahmen wir unser Frühstück auch drüben im Haupthaus ein. Wir hatten Dells Tod noch nicht alle vergessen, würden es vermutlich nie. Aber ein jeder hatte seinen eigenen Frieden damit geschlossen. Die Situation mit Caleb hatte sich beruhigt. Wir hatten nicht weiter über die Küsse gesprochen. Oder im generellen viel über uns. Trotzdem verbrachten wir viel Zeit. Die beiden Mädchen, Louis, Caleb und ich. In Calgary sorgten wir gern mal für verwirrende Blicke von fremden Menschen. Louis hatte ich in einem ruhigen Moment von den Küssen mit Caleb berichtet.
      Zu meiner Überraschung war daraufhin kein Streit entstanden. Keine Vorwürfe.Genau in solchen Momenten wurde mir klar, wieso ich Louis an meiner Seite hatte. So anders als Caleb. Dabei fielen mir immer wieder seine Worte ein von einst. Dort oben auf dem Hügel an dem Tag als Louis mir das Leben gerettet hatte. Wolf und Rabe.
      Sie führten eine Symbiose. Doch eine jede Spezies band sich auf Lebenszeit an einen einzigen Partner. Lange Zeit hatte ich die Worte für Irrsinn gehalten. Doch immer häufiger kam mir der Gedanke das es vielleicht gar nicht mal so verkehrt war. Die Anziehung, die Gefühle die ich für Caleb empfand, konnte ich nicht ignorieren. Offenbar erging es ihm da ähnlich. Wir hatten ein Miteinander gefunden. Arbeiteten normal gemeinsam. Doch eine gewisse Distanz herrschte. Ich konnte allerdings nicht sagen ob es an unserer erneuten Annäherung lag, oder seinem generellen Unmut darüber, dass Louis und ich die vorläufige Vormundschaft für Betsy übernommen hatten. Zumindest war ich froh, dass er es gut verbergen konnte, wenn wir unterwegs waren mit den Mädchen.
      Plötzlich wurde die Welt um mich herum duster. “Wolltest du nicht abwaschen, statt in die Luft starren?“, hörte ich Louis amüsierte Stimme in meinem Ohr. Er nahm die Hand von meinem Gesicht, stattdessen spürte ich sie an meiner Schulter. “Erwischt”, murmelte ich. Starrte hinunter auf meine Hände, die im Wischwasser hingen. “Ein wenig Tagträumen sei dir erlaubt.”
      “Zu gütig.”
      “In der Zeit wie du hier rumstehst, hatte ich Zeit das Bad zu reinigen und dich dabei zu beobachten, wie du in der Gegend rumstarrst.”
      “Ah ein Stalker also?”
      “Ich hab eher daran gedacht, wie schrecklich langweilig wir geworden sind.”
      “Langweilig?”
      “Überleg doch mal. Wir haben heute einen kinderfreien Tag. Vor drei Jahren hätte ich dafür gesorgt, dass wir den ganzen Tag nicht aus dem Bett kommen”, schnurrte er neben mir. Ich schenkte ihm einen Blick mit erhobener Augenbraue. Soso. “Stattdessen sind wir spießig und putzen das Haus.”
      “Vor drei Jahren hätten wir allerdings auch nicht jederzeit mit einer Überprüfung durch das Jugendamt rechnen müssen”, stellte ich nüchtern fest. “Aber wir könnten nach dem Abwasch einen Ausritt machen.”
      “Jetzt, fängt es an interessant zu werden“, sprach Louis anzüglich. Ich schüttelte meine nasse Hand in seine Richtung.
      “Draußen, mit den Pferden!”, lachend wich er mir aus. Küsste mich auf die Wange.
      “Dann widme ich mich mal meinem Stalltrakt und wir sehen uns später?”
      “Geh schon!” scheuchte ich ihn davon, musste lächeln und kehrte nicht zu meinen trübsinnigen Gedanken zurück.

      Aimee
      Ich hasste Geschichtsunterricht. Also eigentlich liebte ich Geschichte- und Tschetan saß eh jedes Mal gerade, wenn irgendwas über die Native American gesprochen wurde. Aber bei Mrs. McIntosh, bei der ich mich wirklich fragte, wer diese Frau freiwillig geheiratet hatte, verging mir der komplette Spaß daran.
      “Aimee, wie hieß der 1. Präsident der Vereinigten Staaten?”, fragte sie mich. Natürlich, sie wusste immer genau, wann ich ihr nicht zuhörte. Dumm nur, dass ich die Antwort wusste.
      “George Washington”, antwortete ich mit gestreckter Brust. Pah, die Antwort war goldrichtig.
      “Und wie hieß der zweite?”, fragte sie mich weiter.
      Diesmal musste ich überlegen. Jefferson oder Adams? Nein, Jefferson kam später, dann muss es wohl Adams sein.
      “Adams…ähm, John Adams.”
      Mrs. McIntosh nickte. “Der Dritte?”
      “Thomas Jefferson”, kam meine Antwort wie aus der Pistole geschossen.
      “Von wann bis wann?” Uff. Tschetan sah mich zerknirscht von der Seite an und zuckte kaum merklich die Schultern. Er konnte mir also auch nicht helfen. Also musste ich drauflos raten.
      “1800 bis 1810?”, fragte ich unsicher.
      “Fast”, antwortete die Lehrerin. “1801 bis 1809. Für die Klausur nächste Woche möchte ich alle 46 Präsidenten wissen. Wer die Daten dazu schreibt, bekommt Extrapunkte. Feierabend für heute.” Mit diesen Worten klingelte die Pausenglocke. Mir fiel die Kinnlade runter. Alle Präsidenten plus Jahreszahlen? Wann würde ich diesen Blödsinn in meinem Leben nochmal brauchen? Richti, niemals.
      “Manchmal hab ich das Gefühl, die ist verrückt”, sagte Tschetan und setzte sich schräg auf meinen Tisch. Ich war nur durch Zufall hier in seiner Klasse gelandet. Eigentlich war nur in der Parallelklasse ein Platz frei gewesen. Doch hier in dieser musste ein Schüler mit seiner Familie umziehen, so dass ich nun doch hier war. Darüber war ich nun unglaublich froh, denn Tschetan und ich konnten uns bei den Hausaufgaben unterstützen- oder eher voneinander abschreiben. In manchen Fächern war er unglaublich gut, in anderen ich.
      Es klingelte wieder, die kurze Pause war vorbei und es ging mit Englisch weiter. Eins meiner Lieblingsfächer.
      Fünf Schulstunden später war endlich Mittagspause. Tschetans und mein Weg trennten sich im Flur getrennt, als Bryce auf uns zukam. Mit einem “Würgs” verschwand Tschetan im Gang rechts von uns.
      “Hey Aimee, wie gehts dir?”, umschwärmte Bryce mich, stellte sich neben mich und zog mich an der Hüfte näher an ihn heran.
      “Gut, gut”, war meine knappe Antwort. Irgendwie war mir heute nicht so wirklich nach ihm zumute.
      Er zog mich noch enger zu sich rüber. “Kommst du mit raus zu den Jungs?”
      “Klar”, antwortete ich reflexartig, obwohl ein ‘nein’ in meinen Gedanken kreiste. Zusammen mit ihm ging ich also raus zu den Jungs. Ein paar der Cheerleaderinnen standen auch dabei. War ja klar, dass die Sportlerjungs die Cheerleadermädels anzogen. Wie ich allerdings darein passte, das wusste ich bis heute nicht. Ich fand Cheerleading toll, konnte mir aber selbst nicht vorstellen, von einer Menschenpyramide runterzuspringen und wie eine Katze auf den Füßen zu landen. Da saß ich lieber im Sattel, obwohl ich wirklich kein Profi darin war.
      Die Mädels erzählten von ihrem letzten Training und wie unglaublich anstrengend das gewesen war und wie unglaublich erschöpft sie gerade waren, und dass man Football doch gar nicht mit Cheerleading vergleichen konnte. ‘Würgs’ dachte ich und meine Gedanken kreisten augenblicklich um Tschetan. Wo war er hin verschwunden?
      Ich ließ meinen Blick schweifen. Heute bei dem tollen Sonnenschein hatte es fast alle Schüler in der Mittagspause nach draußen verschlagen. Kaya und Betsy saßen mit ein paar anderen Mädchen auf einer großen Decke und aßen ihr Mittagessen. Tschetan stand.. natürlich. Drüben bei den Bänken bei den anderen Natives. Wo hätte er auch sonst sein sollen? Allerdings hatte sich Nicholas zu ihm gesellt, das war neu. Er und Bryce schienen nicht mehr so gut miteinander auszukommen. Tschetan hob den Blick und schaute zu mir rüber. Ich lächelte ihn an, er lächelte kurz zurück.
      Bryce war meinem Blick gefolgt und räusperte sich, womit er meine Aufmerksamkeit auf sich lenkte. “Ihr habt euch vor fünf Minuten noch gesehen, vermisst du die Rothaut etwa schon?” Plötzlich verstummten alle in unserem Kreis. Jeder wusste, dass Bryce es auf die Jungs (und natürlich Mädchen) drüben abgesehen hatte. Ich gab ihm die Chance, seine Aussage noch einmal zu überdenken.
      “Bitte?”, fragte ich ihn spöttisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
      “Ich hab dich gefragt, ob du die Rothaut da hinten etwa schon vermisst. Ihr könnt den Blick gar nicht voneinander lassen.”
      “Kannst du mal aufhören ihn so zu nennen?”, erhob ich meine Stimme. Die anderen tauschten fragende Blicke. “Er heißt Tschetan. So wie ich Aimee heiße und du Bryce. Wieso musst du immer gleich rassistisch werden?”
      “Die Rothäute haben hier auf unserer Schule nichts verloren, die haben ihre eigenen Reservate oder was auch immer, wo sie hingehen können. Was machen die überhaupt hier?” Zustimmendes Gemurmel aus dem Kreis.
      “Weißt du was Bryce? Fick dich. Dich und deine rassistische Meinung. Ich hab echt gedacht, der Schlag ins Gesicht hätte dir einen Denkzettel verpasst. Aber anscheinend bist du wirklich ein Arschloch… Ich geh dann mal zu den Rothäuten, wie du sie so charmant nennst. Ciao!” Damit wollte ich abdampfen, doch Bryce hielt mich am Arm fest. Ich wurde etwas lauter. “Lass mich los!”
      “Erst haut der indianische Spast mir eine rein, dann klaut er meinen besten Freund und jetzt stiehlt er auch noch mein Mädchen?” Bryce machte einen Schritt auf mich zu, niemand in der Runde schien auch nur zu atmen, alles schien sich in Zeitlupe abzuspielen.
      Plötzlich spürte ich Hände, die mich von hinten erfassten und von Bryce wegzuziehen versuchten. Ebenso machte sich jemand an Bryce’ Hand zu schaffen, um sie von meinem Arm zu bekommen. Benommen schüttelte ich den Kopf, ich sah wieder klarer. Zwischen meinen “Rettern” Tschetan und Nicholas sowie Bryce hatte sich ein heftiges Wortgefecht aus rassistischen Beschimpfungen und sonstigen Schimpfwörtern entwickelt.
      Endlich hatte Nicholas meinen Arm befreit. Gemeinsam mit Tschetan stolperte ich einen Schritt nach hinten, doch er fing mich geschickt auf. Nicholas diskutierte noch immer mit Bryce.
      “Wie kann sich ein Mensch so verändern? Mensch Bryce, wir waren beste Freunde!”
      “Wie kann mein bester Freund mir einfach so den Rücken kehren und einem anderen Kerl so in den Arsch kriechen!”
      “Was ist aus dir geworden?!”, keifte Nicholas und drehte sich zum Gehen.
      “Ja, nimm das Gesocks von der Ranch gleich mit, ihr seid doch alle nicht ganz normal!”
      Ich wollte ansetzen, um noch etwas hinzuzufügen, doch war augenblicklich damit beschäftigt, Tschetans Faust festzuhalten und ihn wegzuschieben. “Nicht nochmal”, flüsterte ich ihm zu, berührte dann seine Schultern und drehte ihn zum Gehen um.
      Aus dem Augenwinkel folgte ich Bryce’ Blick zu Kaya und Betsy rüber. Auch Tschetan war seinem Blick gefolgt. “Halt dich bloß von ihnen fern!”, knurrte er.
      ‘Er wird doch nicht?’, dachte ich.
      Als wir uns ein paar Meter entfernt hatten, seufzte Nicholas. “Er war nicht immer so.” Ich sah ihm dabei zu, wie er zurück schaute und etwas murmelte wie: ‘Warum war ich eigentlich mit ihm befreundet?’

      Wenige Stunden später saßen wir im Auto. Nicholas hatte sich dazu gesellt, er saß hinten in der Mitte zwischen Kaya und Betsy und schien mit den Beiden den Spaß seines Lebens zu haben. Immer wieder sah ich Tschetan einen kurzen Blick in den Seitenspiegel zu werden, in dem er Kaya lachen sah. Niemand von uns ‘Großen’ schien Worte über die Sache mit Bryce verlieren zu wollen. Schließlich erhob Tschetan doch die Stimme: “Kaya, Betsy. Habt ihr gesehen, was in der Mittagspause vorgefallen ist?”
      Die zwei nickten.
      “Ich möchte, dass ihr euch von diesem Jungen, Bryce, fernhaltet. Wenn er auf euch zukommt oder euch belästigt, bleibt nicht stehen, geht weg und sucht euch jemanden, der euch helfen kann. Zur Not einen Lehrer.”
      “Tschetan, ich glaube nicht, dass er so etwas tut”, mischte sich Nicholas kleinlaut ein. “Ich meine ja, er ist ein Arsch und ja, er ist rassistisch. Aber er wird sich doch von den Kindern fernhalten…”
      “Teenies”, warf ich ein.
      “Was?”
      “Kaya und Betsy werden dieses Jahr schon 12. Kinder ist da gut gesagt”, ich lachte, um die Situation doch ein wenig aufzulockern. “Apropos Nicholas. Gut, dass du dabei bist. Wir müssen noch zum Laden und Kraftfutter für die Pferde abholen. Dann kannst du tragen helfen.”
      “Na großartig”, antwortete er mir lachen.

      Beim Laden angekommen klärte ich die Bezahlung anhand des Schecks, während Tschetan und Nicholas die Säcke einluden. Akribisch studierte ich die Rechnung, ehe ich den geforderten Betrag in den Scheck eintrug und ihn schließlich, nach einer weiteren Kontrolle, überreichte. Es handelte sich um ein paar hundert Dollar- und dabei nahmen wir gerade mal einen Teil des Futters mit. Ein Pferd war schon teuer, aber eine ganze Ranch? Die ganzen Kosten zu stemmen erschien in meinen Augen unmöglich!
      Wieder auf der Ranch angekommen trafen wir sofort auf Caleb. “Bringt ihr die Säcke bitte in die Futterkammer des Hauptstalls?” Wir nickten alle fleißig, dann ging er wieder seiner Wege.
      Kaya und Betsy verschwanden in Richtung des Bungalows, während ich das Auto vor den Hauptstall stellte, damit wir noch so weit tragen mussten. Zum Glück kamen uns Cayce und Bellamy entgegen und halfen uns beim Ausladen.
      “Nicholas ich hab gesehen, deine Eltern verkaufen einen ihrer dreijährigen Hengste? Oder stellen ihn zur Verfügung?”, fragte Cayce.
      Nicholas nickte. “Ja, Rocket… ich meine Rocking Waves. Ein tolles Tier.”
      “Caleb hat ein Auge auf ihn geworfen, er wollte jetzt am Wochenende auf Turnier fahren und ihn sich vielleicht auch anschauen, er fährt ja quasi an eurer Haustür vorbei dazu.”
      “Caleb fährt weg? Jetzt?”, fragte Tschetan ungläubig und runzelte die Stirn. “Aber die Frau vom Jugendamt kann doch zu jeder Zeit kommen?”
      Cayce zuckte die Schultern. “Er wird wohl wissen, was er tut.”
      “Ich wusste gar nicht, dass ihr auch Pferde habt?”, mischte sich Bellamy interessiert ein.
      “Wir besitzen eine kleine Deckstation, manchmal wird da auch ein wenig hin und her getauscht. Rocket ist so ein Tausch, aber meine Eltern haben einfach keine Zeit für eigene Pferde, geschweige denn, sie auf Turnieren vorzustellen. Wir haben noch drei Wallache, unsere Freizeitpferde. Aber Rocket fällt aus dem Raster… vielleicht nimmt Caleb ihn ja auch zur Verfügung und stellt ihn auf Turnieren vor? Wenn er gut ist, kann er in ein paar Jahren zurück zu uns kommen zum Decken.”

      ~ Ein paar Tage später ~

      Ankunftsbericht von Thiz Bye Bye Bay
      Trainingsbericht für Gunners Styled Gangster (Reining LK 3 - LK 2), Heza Bat Man (Reining LK 5 - LK 4) und GRH’s Bellas Dun Gotta Gun (Reining LK 3 - LK 2)

      Caleb
      Selbstsicher verließ Gangster die Laderampe des Pferdeanhängers. Erst als all seine Hufen knirschend im Schotter zu Stehen kamen, reckte er den Hals in die Luft und wiehrte einmal laut. Aus dem Inneren des Hängers antwortete ihm Batman lautstark. Auch Barbie machte sich bemerkbar. Ein paar Pferde wieherten ebenfalls. Manche ganz nah und lauter, andere weiter weg und leiser. Ich befand mich mit den Pferden auf dem Gelände des ersten Turniers für dieses Jahr. Mit an Bord hatte ich nur meine drei Pferde Gangster, Batman und Barbie. Für das Training mehrerer Pferde hatte mir die Zeit gefehlt. Für Batman würde es auch das erste Turnier unter mir sein. Ich war wirklich gespannt, wie der Hengst sich in fremder Umgebung machte. Barbie und Gangster hatte ich schon ein paar Mal mit auf Tour gehabt, weshalb sie auf den ersten Blick ruhiger zu sein schienen. Batman würde ich in der LK 5 vorstellen und meine beiden anderen Pferde in der LK 3, um alle drei für höhere Turniere in diesem Jahr zu qualifizieren. Blue war bewusst zu Hause geblieben. Mit ihm zusammen hatte ich bereits so viele Erfolge mein Eigen nennen können, und er machte sich bei der Rancharbeit und im Reitunterricht so gut, da brauchte ich ihn mir nicht mehr auf den Turnieren zu verheizen. Und Gangster? Tja, Gangster würde hoffentlich noch ein paar Turnierjahre vor sich haben. Nach und nach rückten nun aber auch die Jungpferde auf, so dass ich mir um den Turniernachwuchs keine Sorgen machen musste. Eine Ranch präsentierte sich am Besten durch seine Nachzucht, die … erfolgreich auf Turnieren abschnitt. ‘Und dann hast du nur eins deiner Nachwuchspferde dabei’, lachte ich innerlich und drückte einem der Helfer auf dem Turnier meinen Hengst in die Hand. Es war ein kleines Turnier, jeder kannte hier jeden. Deshalb hatte ich auf eine Begleitung verzichtet. Freundliche Helfer gab es hier zur Genüge.
      Nachdem alle drei Hengste in ihren Paddockboxen verstaut waren und Gangster sich beruhigt hatte, schlenderte ich zum Abreiteplatz, um mir die Konkurrenz anzuschauen. Eines der Pferde fiel mir sofort ins Auge. Ein hübscher Braunschecke mit schwarzer Mähne und weißem Schweif. Ein wirklich unglaublich hübsches Tier! Eine ganze Weile schaute ich dem Training dieses Pferdes zu. Mir fiel sofort auf, dass er schnell überfordert schien, rollte sich vorne ein und entzog sich den Zügelhilfen. Ich blickte auf die Uhr. Batman hatte heute Abend noch seinen ersten Start, wenn ich ihn in Ruhe an die Umgebung gewöhnen und warmreiten wollte, musste ich ihn gleich fertig machen.
      “Entschuldigen Sie”, sprach ich den Reiter des Schecken an, “starten sie auch später in der LK 5?” Er nickte. “Perfekt, Sie haben da ein wirklich hübsches Tier!”, lobte ich das Pferd.
      “Hübsch ist er wirklich, leider nicht unglaublich talentiert. Das hier ist jetzt sein… ich glaube sechstes Turnier. Wenn er sich heute auch nicht gut macht, werden wir ihn verkaufen.” Ich schmunzelte.
      “Wie ist er denn gezogen, wo kommt er her?”
      “Wir haben ihn seit er ein Jährling ist. Er kommt von einer Farbzucht in Montana. Vater ist Town ain’t big enough und die Mutter Worth the wait”, erklärte mir der Mann und klopfte den Hals des verschwitzten Hengstes.
      “Ich bin immer auf der Suche nach neuen Pferden”, lachte ich und stellte mich vor.
      “Bow River Ranch? Davon hab ich schon gehört”, er schien in seinem Gedächtnis zu kramen, “Reiner und Cutter kommen von da, nicht wahr? Startest du auch später?”
      “Ja genau”, antwortete ich und erzählte ihm kurz etwas zu den drei Pferden, die ich mitgebracht hatte.
      “Ist davon eins zu verkaufen?”
      Ich verneinte.
      “Schade, aber vielleicht sagt dir Benny hier ja zu.”
      Etwa eine Stunde später saß ich auf einem von oben bis unten rausgeputzten Batman. Ich strich ein letztes Mal über meinen schwarzen Hut, ehe ich ihn auf den Kopf setzte und mit dem Abreiten begann. Ich gab dem Hengst genug Zeit, sich die Umgebung zunächst anzuschauen. Ich wollte vermeiden, dass er mir wegen eines flatternden Vorhangs oder einem Knacken im Lautsprecher wegsprang, dessen Existenz er vorher nicht zur Kenntnis genommen hatte. Der schicke Scheckhengst, dessen Name Benny, also eigentlich Thiz Bye Bye Bay war, hatte sich eine Pause verdient und wartete am Rand, während sein Reiter gewechselt wurde. Der Mann, der ihn eben geritten hatte, schien nicht der zu sein, unter dem der Hengst gleich laufen würde. Ich schmunzelte. Unüblich war das nicht. Ich war gespannt, wie der Hengst sich unter seinem richtigen Reiter machte.
      Nachdem Batman abgeritten war, ließ ich ihn noch ein paar Runden am langen Zügel drehen. Als Benny aufgerufen wurde, verließ ich mit ihm den Abreiteplatz und stellte mich am Rand auf, um dem Ritt beizuwohnen. Batman schaute sich interessiert um, ließ sich gar nicht verrückt machen von dem ganzen Trubel und ließ wenige Sekunden später den Kopf und die Unterlippe hängen.
      Benny zeigte schon beim Einreiten Schwierigkeiten. Meines Erachtens nach war er viel zu lange und zu hart abgeritten worden. Er betrat schon klatschnass den Platz. Da hatte es auch nichts gebracht, ihm eben eine kurze Pause zu gönnen. Das ruhige Stehen an X schaffte der Hengst schon nicht, das reindrehen in die Spins war eine Katastrophe. Bei der zweiten Richtung machte er sogar einen Hopser nach vorne, da er mit Galopphilfen gerechnet zu haben schien. Mit einem Ruck an der Kandare wurde er zurück nach hinten gezogen, ehe der Spin in die andere Richtung folgte. Die Spins waren nicht schlecht, aber der Hengst stand so unter Spannung, dass er sein Potenzial gar nicht zeigen konnte. Der Rest der Pattern war eine ebenso große Katastrophe, wie ihr Anfang. Zerknirscht streichelte ich Batmans Hals. Würde das ein Mitleidskauf werden oder hatte Benny vielleicht doch das Zeug, gar nicht so schlecht zu sein, wenn man ihm Zeit ließ?
      Nach dem Ritt verschwand der Reiter des Hengstes mit hochrotem Kopf und einem 0 Score, einer der Roll Backs war in die falsche Richtung gewesen, auf dem Abreiteplatz. Noch bevor er den Hengst für seinen Misserfolg, der zu 100% auf den Reiter zurückzuführen war, strafen konnte, griff ich ein. “Ich kauf den.”
      “Wie bitte?”, der Mann mit dem roten Kopf schien verwirrt.
      “Entschuldigen Sie, ich hatte eben beim Abreiten des Hengstes mit dem … Dude gesprochen, der ihn abgeritten hat. Er meinte, wenn Benny heute auch nicht läuft, geht er weg. Ich hätte ihn gerne.”
      “Was zahlen Sie denn?”
      “Das, was er wert ist.”
      Nach einigem Feilschen einigten wir uns auf einen eher niedrigen Preis. Der Hengst wurde in die freie Paddockbox neben meinen Hengsten gebracht. Ich würde später nach ihm sehen, jetzt musste ich erst einmal mit Batman starten und ein besseres Beispiel für den Reitsport abgeben, als der Dude mit Benny.
      Batman war gelassen, hörte mit wunderbar zu und stand an X auch wirklich still. Die Spins waren langsam aber genau. Es kam mir heute nicht auf Schnelligkeit sondern auf Sauberkeit an. Die Zirkel waren okay für meine Ansprüche, ich musste ihm noch viel helfen, die Spur zu halten – aber das war in Ordnung. Die Galoppwechsel waren nur einfache mit einer kurzen Trabphase dazwischen, Punktabzug würde es dafür nicht geben, aber auch keine Pluspunkte. Die Sliding Stops und Roll Backs waren ebenfalls langsam aber sauber. Wir verließen den beleuchteten Platz mit einem 69er Score. Einen Punkt Abzug gab es, weil es mir beim zweiten Roll Back im Außengalopp angesprungen war. Kann passieren, war kein großes Ding.
      Als ich am noch Besitzer von Benny vorbeikam hielt ich kurz an und sagte: “Ich veranlasse gleich die Überweisung des Geldes für den Hengst.” Er übergab mir die Papiere und einen hingekritzelten Kaufvertrag. Dann dampfte er mit noch immer hochrotem Schädel davon.
      Nach einem kurzen Abreiten von Batman, der nun auch sichtlich geschwitzt hatte, fand ich mich wieder im Stalltrakt ein, in dem meine Tiere untergebracht waren. Ich versorgte Batman, band ihn mit Abschwitzdecke in der Box an und näherte mich der Box meines neuen Scheckhengstes. “Hey, Benny”, sagte ich leise und öffnete die Tür. Die Ohren des Hengstes flogen sofort nach vorne und er kam neugierig auf mich zu. “Du bist ein Braver, nicht wahr?”, ich streichelte über seinen warmen Kopf. Augenblicklich fiel mir auf, dass er komplett verschwitzt ohne Decke hier stand. Ich ging also kurz zu meinem Trailer und nahm eine der Ersatzdecken, die ihm von der Größe her mit Sicherheit passen musste. Zum Glück hatte ich immer mehr Decken dabei, als ich brauchte. Er schien dankbar über die Wärme zu sein, denn seine Hinterhand hatte zu zittern begonnen. “Armer Kerl …”, murmelte ich und entschied dann, ihn über Nacht auch mit einer gefütterten Decke einzudecken.
      Auf dem Weg zurück zum Trailer autorisierte ich die Überweisung des Kaufvertrages für den Hengst. Nun hatte ich offiziell ein neues Pferd. Ich schmunzelte. Die Farbzucht in Montana, aus der er stammte, würde ich mir in naher Zukunft aber auch noch anschauen fahren. Denn wie hieß es so schön? Pferde konnte man nie genug haben.
      Ich verbrachte noch zwei Stunden im Stall. Batman war umgedeckt für die Nacht und alle hatten noch eine ausgiebige Portion Heu bekommen. Benny war noch immer nicht trocken und fing wieder an zu zittern. Ich fluchte leise vor mich hin, ging wieder zum Trailer und holte eine andere Abschwitzdecke, die ich auf seinen Rücken legte, nachdem ich ihm die Nasse ausgezogen hatte. Über die Abschwitzdecke legte ihn nun die gefütterte Regendecke und schloss die Paddocktür, damit es von außen nicht so in seine Box zog. Ich kontrollierte nochmal, ob alle Boxen richtig verschlossen waren. Dann ging ich zu meinem Trailer, um endlich ins Bett fallen zu können.
      Am nächsten Morgen kam ich nicht so gut aus den Federn. Cayce hatte mich darüber unterrichtet, dass zuhause ein Sturm gewütete hatte. Die Rinder waren weg – Bisons hatten den Zaun zertrampelt und auf der Ranch war wohl auch nicht mehr alles im grünen Bereich. Wir telefonierten eine Weile. Ich war schon am Zusammenpacken und wollte mich auf den Rückweg machen. Cayce versicherte mir jedoch, dass sie alles im Griff hatten. Ich versprach ihm, gleich nach meinem letzten Start einzupacken und nach Hause zu kommen.
      Zum Glück waren meine beiden verbleibenden Starts mit Gangster und Barbie am Morgen, so dass ich mich am frühen Mittag mit meinen drei, nein vier Pferden auf den Rückweg machen konnte.
      Nach einem schnellen Kaffee ging ich sofort in den Stall. Gangster, Batman und Barbie fraßen genüsslich ihr Heu. Benny lag noch mit geschlossenen Augen in der Box. Er hatte schließlich auch einen anstrengenden Tag gehabt. Als ich jedoch seine Boxentür öffnete, öffnete er die Augen und stand auf. Kurz schüttelte er sich, ehe er mir wieder seinen Kopf entgegen streckte. Ich lächelte. So ein nettes Pferd!
      Zu meinem Glück zitterte er nicht mehr. Unter der Decke war er angenehm warm, weshalb ich auch entschied, ihm die doppelte Decke anzulassen.
      Dann machte ich Gangster fertig, denn mit ihm würde ich zuerst starten. Um Zeit einzusparen sattelte ich Barbie ebenfalls und band ihn an seinem Halfter in der Box vor seinem Heunetz an. So hatte er etwas zu tun und ich müsste ihn nicht gleich noch in aller Eile putzen und satteln.
      Zusammen mit Gangster ging ich zum Abreiteplatz. Bennys Besitzer traf ich auch wieder an. Er schaute nicht schlecht, dass ich auch so einen schönen Scheckhengst vorzuweisen hatte. “Das ist einer von meinen Reinern die auch Cow Sense haben”, meinte ich und fuhr durch Gangsters rabenschwarze Mähne. “Hab schon drei Nachkommen von ihm Zuhause, top Tiere.” Ich zog ihm absichtlich die Nase lang, denn, und ich hatte mir das schon gedacht, kam prompt die Nachfrage nach dem Verkauf der Tiere. Ich schüttelte den Kopf, versicherte ihm aber, dass ich mich bei ihm melden würde, falls er doch in Frage kommen würde – natürlich würde ich mich nicht bei ihm melden, dachte ich, als ich mich umgedreht hatte.
      Der Ritt mit Gangster war leider eine halbe Katastrophe. Er regte sich so über Kleinigkeiten auf, so dass er am Ende beim Roll Back nicht einmal mehr von meinem Bein wegging. Ich bog ihn um mein inneres Bein herum, wechselte die Seite und bog ihn auch um mein anderes Bein. Erst als er schön davon wegging, positionierte ich ihn erneut, gab die Hilfen zum Roll Back und parierte ihn nach ein paar Metern wieder durch. 0 Score, ich dankte ab und verließ trotzdem unter mäßigem Applaus den Platz.
      Auf dem Abreiteplatz ging ich die einzelnen Bestandteile der Pattern mit ihm nochmal durch. Dieses Mal sprang er beim Roll Back direkt vom Bein weg. Ich parierte zum Schritt durch und ließ ihn noch eine Weile am langen Zügel gehen. Meine Gedanken kreisten um die Heimat, ich war nicht bei der Sache.
      Wenig später spiegelte sich das auch beim Ritt von Barbie wider. Aufgrund seines antrainierten Know Hows überspielte er meinen Fehler mit dem Zurückwechseln in den richtigen Galopp – ich hatte ihn im Außengalopp fälschlicherweise anspringen lassen. Das kostete uns definitiv die Platzierung, denn der Rest der Pattern war nicht schlecht.
      Nach meinen beiden Starts packte ich alles zusammen und lud es in den Trailer. Mit Batman hatte ich Platz 13 gemacht, mit Gangster gar keinen und mit Barbie Platz 19. Für das erste Turnier dieses Jahr war ich … ganz zufrieden. Ich wusste, woran ich arbeiten musste und würde auch mit den Gedanken hoffentlich mehr bei der Sache sein. Mit einem neuen Pferd im Schlepptau machte ich mich auf den Heimweg.



      Tschetan
      “Wartet!” Ich stemmte die Füße in die Bügel, drehte mich der Stimme zu. Louis lief auf mich zu. “Nehmt das hier mit”, damit hielt er ein Gewehr im Holster nach oben. Wortlos befestigte er es an meinem Sattel. Ich war erstaunt…dass er mir eine Waffe anvertraute. “Cayce und Laurence mussten auf der Suche gestern 2 der Rinder erlösen”, sprach Louis ernst, “passt aufeinander auf und keine Risiken in den Bergen, ja?” Nicholas sah zu mir, dann nickten wir ihm zu.
      Vor zwei Tagen war ein heftiger Sturm über die Ranch gefegt. Wir hatten gut mit den Reparaturen zu tun. Von den Pferden war keiner zu Schaden gekommen. Eine kleine Herde Bisons hatte sich ins Tal verirrt und war an den nördlichen Hängen durch die Gatter der Rinder gebrochen. Zäune hielt diese Giganten nicht auf. Dadurch war eine Panik in der Herde entstanden. Wenige der Tiere waren vom Plateau an der Ferienranch in den Tod gestürzt, andere hatten wir einfangen können. Allerdings fehlten einigen der Kühe noch immer ihre Kälber. Daher waren O’, Nicholas, Aimee und auch ich herangeholt worden, um die Kälber zu suchen. Waren sie zu stark verletzt, würden wir sie erlösen müssen. Aimee war im Team mit Octavia und Cayce bereits losgeritten. Wir hatten das Areal aufgeteilt. Sicherlich hatte auch Cayce ein Gewehr dabei, denn weder Aimee noch O’ traute ich zu, abzudrücken.
      “Wo willst du starten?”, fragte Nicholas.
      “Wir reiten hinauf zu den Weiden. Es hat noch nicht wieder gestürmt oder geregnet. Oben auf dem Hang folgen wir am besten den Spuren. Die der Bisons werden sich deutlich von denen der Kühe unterscheiden. Von da aus…könnte ich vielleicht die Spuren der Kälber ausfindig machen.”
      Nicholas zog sich den Hut tiefer ins Gesicht. “Wie die Cowboys alter Zeiten! Mit Gewehr und Fährtenlesen.” Ich ging nicht weiter darauf ein. Ich war nicht wirklich erpicht darauf, Gebrauch vom Gewehr zu machen. Allein bei dem Gedanken daran zog sich in mir etwas zusammen. Ich hatte bereits geschossen. Louis und Caleb hatten mir im letzten Sommer den Umgang damit gezeigt. Natürlich hatte ich auch bereits getötet. Was allerdings nicht bedeuten musste, dass es mir gefallen hatte. Außerdem war ich auch nicht sonderlich erpicht darauf, der Bisongruppe zu begegnen. Die Jungen wurden geboren, die Kühe konnten ziemlich ungemütlich werden in dieser Zeit. Das würde die erste Bewährungsprobe für Sungila werden. Sie war noch nicht allzu lang unter dem Sattel. Ihre Hauptaufgabe würde eines Tages aber werden, Touristen sicher durch das Gelände zu tragen. Daher hatte ich mich für sie entschieden. Louis hatte meine Wahl nicht weiter kommentiert. Jedoch hatte er angemerkt, dass Nicholas besser Easy reiten sollte. Ein rancherfahrenes Pferd, um Sungila die nötige Sicherheit zu geben. Am Rind war die Stute unerschütterlich, schließlich liefen die Rinder teilweise mit bei den Pferden auf der Weide - um die Pferde von Beginn an, an ihre Aufgabe zu gewöhnen. Ein Bison jedoch war eine komplett andere Hausnummer.

      Von Sungilas Rücken aus starrte ich auf den Boden. Zumindest konnte ich keine neuen Spuren ausmachen. Weder von den Bisons, noch von den Rindern. Die Spuren der Bisons hatten keine kleinen Abdrücke. Um mir das ganze besser anzusehen, stieg ich vom Pferd und gab Nicholas die Zügel meiner Stute in die Hand. Ich trennte die Spuren voneinander. Zwei größere Herdenteile waren kleiner, als die Spuren der Bisons. Sie führten in unterschiedliche Richtungen. Nur eine jedoch führte weiter in das Gebirge hinein, fort von der Ferienranch. Ich konnte drei Tiere erkennen, deren Spuren tief im Boden zu sehen waren. Sie konnte ich als die Mutterkühe erkennen. Neben zwei davon befanden sich kleinere, schlurfende Spuren. Die Kälber mussten müde gewesen sein, dass sie kaum die Füße gehoben hatten. Wohlwollend nahm ich außerdem zur Kenntnis - die Spuren der Bisons führten in die andere Richtung. Von meiner hockenden Stellung erhob ich mich wieder. Nicholas Blick ruhte auf mir. Die Art und Weise, wie er mich ansah, vermochte ich nicht ganz zu deuten. Verwirrung? Dann huschten seine Augen hastig auf den Pfad. “Wir müssen in die Richtung, wenn ich dich richtig gedeutet hab?”, fragte er ernst. Mich richtig gedeutet? Ich nickte, deutete mit den Lippen in die entsprechende Richtung.
      “Die Spuren mit den Kälbern führen den Berg weiter hinauf. Die der Bisons gehen weiter hinunter ins Tal.”
      “Beeindruckend. Ich mein…ja ich kann die Spuren sehen. Das ist nicht schwer. Aber das du überhaupt diese Stelle gefunden hast. Natürlich hört und sieht man in den Filmen von Fährtensuchern. Aber so in Persona. Hab ich das noch nie erlebt. Ich bin beeindruckt! Könnte ich nicht durch die Bäume unten das Tal mit der Ranch erahnen wäre ich hier vollkommen aufgeschmissen”, er reichte mir Sungilas Zügel und ich stellte einen Fuß in den Steigbügel.
      “Tja, selbst die US Army musste auf indianische Scouts zurückgreifen,” sprach ich stolz und zwinkerte. Dann stemmte ich Kraft in meinen Fuß und zog mich nach oben. Gerade als ich mein Bein über den Rücken der Stute legen wollte, schoss sie plötzlich rückwärts. Ich prallte mit dem Gesicht heftig auf ihren Hals, krallte mich an Mähne und Hals fest, als Sungila neben rückwärts auch zu einer behenden 180° Wendung ansetzte. Dabei verlor ich endgültig mein Gleichgewicht, flog aus dem Sattel und vom Pferd. Allerdings blieb mein Fuß im Bügel hängen, sodass Sungila mich bei ihren drei Galoppsprüngen neben sich her schliff. Durch das dichte Unterholz gebremst blieb sie allerdings fix wieder stehen. Das alles war so schnell passiert, dass ich perplex in die Richtung starrte in der wir uns soeben noch befunden hatten. Nicholas schien vom Pferd gesprungen zu sein und hastete mir entgegen. Ich richtete den Oberkörper auf um den Fuß aus dem Bügel zu befreien. “Elch!”, sprach Nicholas. Verwirrt sah ich ihn an.
      “Elch?!”
      “Ja, der kam plötzlich aus dem Unterholz. Hat uns gesehen und rannte wieder weg. Davor muss sie sich erschrocken haben. Alles gut bei dir?”
      Erst jetzt merkte ich den unangenehm stechenden Schmerz in einigen Teilen meines Körpers. Beim aufstehen verstand ich auch wieso - Sungila hatte mich und sich in einen riesigen Busch Brombeeren befördert. Mit dem Gesicht war ich einmal durch die Äste gezogen worden. “Dein ganzes Gesicht ist völlig zerkratzt”, stellte Nicholas zerknirscht fest. Ich widerstand dem Versuch mir mit der Hand durch das Gesicht zu fahren. “Erklärt zumindest, wieso das so brennt.” Ich manövrierte die Stute rückwärts aus dem Gestrüpp und kontrollierte ihre Beine. Aber die Stute war unversehrt. Ich sah mich einmal um und machte anstalten, den Sattel wieder zu besteigen. “Wart ‘nen Moment. Du hast da Brombeer in deinem Haar.” Nicholas kam auf mich zu, während ich noch an meinen Zöpfen hinab sah und das unangenehme ziehen im Nacken wahrnahm. Der Versuch, den Strunk einfach aus den Haaren zu ziehen, war jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Nicholas versetzte mir einen Schlag auf die Hand. “Du machst das nur schlimmer.” Dann machte er jedoch keine Anstalten. “Darf ich?”
      “Was?”
      “Hab ich keinen Schlag zu erwarten?”, ich musste schmunzeln. “Du erinnerst dich daran?”
      “Zu meiner Verteidigung… ich musste Aimee danach fragen. Für mich waren es nur Haare.”
      “Jetzt hol mir schon den Strauch da raus, es piekst. Ich denke nicht du willst mir etwas böses”, dabei zwinkerte ich ihm grinsend zu.” Nicholas drückte behutsam gegen meinen Kopf, damit er besser an meinen Nacken heran kam, friemelte eine Weile an den Haaren herum, um schließlich den Strunk Brombeeren daraus zu befreien.
      “Das wär..ouh”, ich sah ihn ratlos an. “Du hast ein paar Dornen im Gesicht.”
      “Dann mal ans Werk”, ich hatte da so eine vage Ahnung, wo sie drin steckten. In Ermangelung eines Spiegels war ich auf Nicholas Hilfe angewiesen. Mit den Fingerkuppen holte er vorsichtig die Dornen aus meinem Gesicht. Aus halb gesenkten Augenlidern beobachtete ich ihn. Spürte plötzlich allzu deutlich die Berührung seiner Haut auf der Meinen…und seinen Atem in meinem Gesicht. Als sich unsere Blicke trafen verharrten wir in dieser Position, starrten nur dem anderen in die Augen. Nach einigen Sekunden riss Nicholas sich los, kommentierte meine Befreiung mit “Alles weg” und richtete sich auf.
      Ich wischte mir die nassen Hände an der Jeans ab. “Dann lass uns mal diese Rinder finden.”

      Aimee
      “Was rennt der denn so”, sprach O mehr zu sich selbst als zu mir, dennoch kommentierte ich ihre Aussage mit einem: “Das ist eine gute Frage.” Ich parierte Gin, die Cayce mir wohlwollend zugeteilt hatte, zum Schritt durch. O tat das Gleiche mit Honor. Cayce trabte noch immer mit Devil vorne weg und schien keine Anstalten zu machen, sein Tempo zu drosseln. Plötzlich blieb er so abrupt stehen und drehte sein Pferd in unsere Richtung um, dass Gin laut prustend einen Satz zur Seite machte. “Tschetan hat mir grade getextet, sie haben ein paar Spuren, die hoch zur Ferienranch führen. Wir sollen uns unten im Tal unter dieser umsehen.” Klar, dazu waren wir ja gerade auch nur eine Stunde in die falsche Richtung geritten.
      “Willst du nicht Bellamy anrufen? Bis wir dort sind, eine Stunde zurück zur Ranch und eine Stunde in Richtung Ferienranch, ist es schon stockduster. Bell kann ja mit Laurence los, Blue ist ja noch zuhause”, warf O schulterzuckend ein. Cayce runzelte die Stirn und schien wirklich konzentriert nachzudenken. Er wurde immer mehr in die Dunstwolke seiner klatschnassen Devil gehüllt, die sichtlich froh um diese Pause zu sein schien.
      “Wieso muss Caleb ausgerechnet jetzt Weltenbummler spielen”, brummelte er vor sich her.
      “Er weiß doch Bescheid und kommt heute Abend vom Turnier zurück, mit ihm wäre die Situation hier genau die Gleiche, außer, dass wir noch jemanden mehr zum Suchen hätten”, kommentierte O. Ich hielt mich bedeckt, wollte mich nicht in die Diskussion der Erwachsenen einmischen. Ich kannte weder das Areal noch die Tiere wirklich gut.
      Cayce schnalzte und trieb Devil im Schritt an. Als er zwischen uns durchritt erkannte ich sein Handy am Ohr. Ein paar Sekunden später unterhielt er sich schon mit Bellamy, der sich mit Laurence sogleich auf den Weg machen wollte. “Nehmt Blue und Alan. Ich wollte dir schon Gangster unter den Hintern setzen, aber dann kommt ihr mit einem Pferd oder einem Reiter weniger nach Hause.” Cayce lachte. O und ich sahen uns an, sie rollte zunächst die Augen, ehe sie mich doch angrinste. Auch ich lächelte, warf aber dann einen besorgten Blick nach hinten.
      “Ähm Leute, wo kommt denn jetzt der Nebel her?”
      “Was?!”, fragte Cayce irritiert und drehte sich ebenfalls nach hinten um. “Das auch noch, was ein Mist. Damit wird die Suche noch schwieriger.”
      Wir trabten die Pferd an. Ich war mir nicht ganz sicher, ob Cayce einfach nur schneller zurück zur Ranch, oder unter keinen Umständen in den Nebel geraten wollte. Beides, schlussfolgerte ich, denn bereits nach wenigen Metern galoppierte er Devil an. Gin und Honor folgten schnaufend. Zum Glück befanden wir uns im Tal, so dass sich die Ebene flach vor uns erstreckte und wir nicht ständig bergauf oder bergab reiten mussten.

      “Das gibt ganz schön Kondition”, japste ich aus dem letzten Loch pfeifend während der nächsten Schrittpause.
      Cayce drehte sich zu mir um: “Bei dir oder beim Pferd?” Er und O sahen sich kurz an, ehe beide laut losprusteten.
      “Haha”, kommentierte ich seinen überaus lustigen Witz, stemmte dann jedoch eine Hand in die Hüfte und atmete einmal laut ein und aus.
      Als ich an der Ranch angekommen endlich vom Pferd hüpfen konnte, fühlten sich meine Beine wie Wackelpudding an. O schien es da ähnlich zu gehen.
      “Wisst ihr was ich gleich brauche? Eine lange und sehr heiße Dusche. Badewanne wäre noch besser. Meint ihr Caleb köpft mich, wenn ich sein Riesenteil oben benutze?”
      “Caleb hat oben eine riesen Badewanne?”, richtete ich mich neugierig an O.
      “Klar, warst du noch nie oben in seinem Zimmer?”
      Cayce zog die Stirn in Falten, verkniff sich ein Grinsen und fragte mit aller Ernsthaftigkeit, die ihm durch sein breites Grinsen noch übrig blieb allen Ernstes: “Ja Aimee, warst du noch nie in Calebs Zimmer?”
      Perplex starrte ich die Beiden an. Was sollte das denn jetzt werden? Noch bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, boxte O ihm gegen den Arm. “Hey, du hast damit angefangen!”, beschwerte er sich, griff dann jedoch die Zügel von Devil nach, die sich mit angelegten Ohren rückwärts und weg vom Tumult bewegte. “Lasst uns jetzt erst die Pferde versorgen.”

      Eine halbe Stunde später hatten wir allen Pferden den Schweiß aus dem Fell gewaschen und sie unters wärmende Solarium gestellt. Zum Glück hatte Caleb bereits vor dem Winter aufgerüstet. Zu dem einzelnen Solarium waren zwei weitere dazu gekommen. Dies kam uns jetzt zugute, denn sonst hätten wir die Pferde nicht waschen können.
      “Murphy kannst du einen Blick auf die drei haben?”, fragte Cayce, der nun selbst zu merken schien, wie verschwitzt er war. Er rieb sich den Oberarm und schien zu frösteln. Tagsüber war es zwar mittlerweile angenehm warm aber abends wurde es rasch kälter.
      “Klar, ich bin eh noch am Misten, wenn die trocken sind stell ich sie euch in die Box. Geht euch aufwärmen.” Dankend nickten wir und verließen den Stall.
      Ich wollte in Richtung des Bungalows gehen, in dem mein Vater und ich wohnten, doch O zog mich in Richtung des Haupthauses. “O, was machst…”
      “Psssst”, sie legte einen Finger auf ihre Lippen und sagte in Cayces Richtung gewandt: “bis später beim Essen, Cayce.”

      O zog mich ins Haupthaus hinein und die Treppe nach oben. Zögerlich folgte ich ihr. Sie schien sich hier gut auszukennen, steuerte sofort ein Schlafzimmer mit Blick über die ganze Ranch an. Ich war zu sehr damit beschäftigt, mir die tollen Möbel anzuschauen, als dass ich merkte, wie O sich hinter mich gestellt hatte. Erst als es vor mir dunkel wurde begriff ich, dass sie mir die Augen zuhielt. Ich spürte einen Druck an meinen Beinen, der mich dazu zwang, einen Schritt nach vorne zu machen. Dann noch einen- und noch einen. “Na geh schon”, sprach O aufgeregt und ehe ich mich versah glotzte ich Calebs riesige Badewanne an.
      “Das ist also Calebs riesen Teil”, kommentierte ich das, was ich da vor mir sah.
      “Das ist Calebs riesen Teil”, wiederholte Octavia lachend, ging zum Wasserhahn hinüber, stellte ihn auf ‘heiß’ und öffnete ihn.
      “O ich glaub nicht, dass wir hier drin sein dürfen.. und seine… seine Sachen benutzen.”
      Octavia zuckte mit den Schultern. “Er braucht sie gerade nicht – und außerdem reißt er uns schon nicht den Kopf ab.. hier”, sie schmiss mir eins der großen Handtücher rüber, “zieh dich aus, ich such uns was zum Anziehen gleich.” Mit diesen Worten verschwand sie wieder im Schlafzimmer, welches, dem war ich mir jetzt zu 100 Prozent bewusst, Calebs sein musste.
      Ich schälte mich aus meinen verschwitzten Sachen. Nach und nach kamen sie auf dem Boden zu liegen, während ich mir das Handtuch um den nackten Körper wickelte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Wanne vollgelaufen war. Neben dieser standen ein paar Duschschäume. Ich nahm mir die Packung mit der Aufschrift ‘Himmlischer Rosenblütenduft’ und goss davon einen Schuss ins Wasser. Sofort fing es an zu schäumen.
      O kam mit einem Stapel Kleidung aus Calebs Zimmer zurück, teilte sie auf zwei Haufen auf und legte sie auf den Boden unweit der Wanne. “Jetzt klauen wir auch noch seine Klamotten?”
      “Er bekommt sie ja zurück.”
      Während O sich auszog schaute ich mir das Bad an. Es war aufgeräumt und sauber. Klar, Dolly putzte hier ja auch fleißig. Ob er selbst auch mal einen Handschlag tat? Ich bezweifelte es. Dafür war er viel zu sehr beschäftigt und ich konnte mir ihn wirklich nicht mit einem Putzlappen in der Hand vorstellen. Mit einem Feuchttuch, um einem Pferd die Nüstern abzureiben, damit sie für ein Fotoshooting auch schön glänzten, schon eher.
      “Komm”, riss O mich aus meinen Gedanken. Sie ließ das Handtuch auf den Boden fallen und glitt ins Wasser. Sie schien weniger Probleme damit zu haben, nackt zu sein, als ich. Wer konnte seinen Körper als Teenager schon leiden? O schien meine Gedanken lesen zu können, denn sie drehte sich überaus auffällig zur Seite Weg, sagte aber kein Wort. Das Handtuch glitt von meinen Schultern gen Boden. Ich kletterte ins warme Schaumbad und ließ mich langsam hineingleiten. “Du bist echt noch nie hier oben gewesen?”, fragte mich Octavia ungläubig, legte den Kopf auf dem Badewannenrand nach hinten ab und schloss die Augen.
      “Nein, was hätte ich denn hier zu suchen gehabt?”, fragte ich sie irritiert.
      “Wohl wahr. Ich vergesse nur allzu gerne, dass du nicht die selben Erinnerungen mit Caleb teilst, wie ich. Es kommt mir vor, als seid ihr schon von Anfang an dabei, seit damals.”
      “Hm?”
      “Ach, nicht so wichtig. Genieß das warme Wasser.”
      “Das tut wirklich unglaublich gut”, seufzte ich und schloss ebenfalls die Augen. Was ein Tag…

      Wie viel Zeit wir im warmen Wasser verbrachten wurde mir erst bewusst, als ich Stimmen aus dem Flur vernahm. ‘Sie sehen heute wieder bezaubernd aus, Miss Dolores’, jemand kicherte. ‘Ach Laurence, ich sagte Ihnen doch schon ein paar Mal, sie sollen mich Dolly nennen.’
      “O, psssst, O!”
      “Hm?”
      “Da kommt jemand!” Kaum hatte ich meine Warnung beendet, öffnete sich die Tür des Badezimmers. Zuerst trat Dolly herein, gefolgt von… Laurence?
      “Ach du liebes bisschen!”, erschreckte sich Dolly und zuckte kurz zusammen. Laurence drehte sich peinlich berührt im Türrahmen um, als hätte er gar nichts gesehen. “Was macht ihr hier?”, richtete sich Dolly an uns, die sich von ihrem ersten Schreck erholt zu haben schien.
      “Caleb hat eine große Wanne und wir waren den ganzen Tag unterwegs, um die Rinder zu suchen”, erklärte sich O und kramte mit einer Hand nach dem Badetuch, welches sie schließlich erwischte und schwungvoll nach oben zog. Bemüht, es nicht ins Wasser zu tunken. “Das Wasser wird allerdings kalt, sieht wohl so aus, als müssten wir eh jetzt raus.” Sie stand auf, wickelte das Handtuch geschickt um ihren nackten Körper und verließ die Wanne, indem sie sich auf den flauschigen Teppich davor stellte. “Wenn ich bitten darf?”, fragte sie an Dolly gewandt und zeigte zur Tür, aus dessen Rahmen Laurence verschwunden war. “Wir sind direkt weg”, kicherte sie.
      Dolly stellte ihren Putzeimer mit dem dampfend heißen Wasser auf den Boden, verließ das Badezimmer und zog die Tür hinter sich bei. Von draußen hörte ich sie und Laurence leise miteinander reden. Mir war schon öfter aufgefallen, dass die Beiden Zeit miteinander verbrachten. “Ich würde es Laurence gönnen”, zwinkerte O mir zu.
      “Iiiih O, da ploppen Bilder in meinem Kopf auf, die ich nicht sehen möchte”, ich lachte und stieg ebenfalls aus der Wanne, wickelte mich ins Handtuch ein und rubbelte mich irgendwie trocken, damit ich mich anziehen konnte. “Du hast selbst die Boxershorts von Caleb geklaut?”, kommentierte ich ein wenig verzweifelt die Ausbeute der Braunhaarigen. Sie zuckte nur mit den Schultern und wiederholte ihre Aussage von eben: “Er bekommt die Sachen ja wieder.”
      Fertig angezogen verließen wir das Bad. Beim Vorbeigehen an Laurence und Dolly schien Octavia sich die Aussage: “Schönen Abend noch euch Beiden”, nicht verkneifen zu können. Manchmal war sie kindischer als ich.
      Wir wollten gerade das Haupthaus verlassen, öffneten die Tür und liefen – wer hätte es gedacht, in Caleb hinein. Dieser musterte uns von oben bis unten. “Kann es sein, dass ihr meine Sachen tragt?”, fragte er uns grinsend und verschränkte die Arme vor der Brust.
      Ich fing an etwas unverständliches zu stammeln, was einer Entschuldigung gleich kam. O dagegen blieb cool, drückte ihm ihr Handtuch in die Hand, drehte sich nach hinten um, nahm mir meines weg und tat das Gleiche.
      “Kannst du ja gleich mit in die Wäsche nehmen, dann kannst du dir auch sicher sein, dass sie wieder in deinem Schrank landen, bis gleich beim Essen.”
      Ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg und ich meine Augen niederschlug. O stolzierte an Caleb vorbei nach draußen, blieb nach wenigen Schritten jedoch stehen, als sie merkte, dass ich ihr nicht folgte. “Kommst du oder was?”
      “Ich… ähm…”
      “Die Sachen hätte ich gerne wieder, ja?”, entgegnete Caleb mit einem belustigten Unterton in der Stimme, machte mir Platz, damit ich nach draußen gehen konnte und schloss dann kopfschüttelnd die Tür hinter sich.
      “Wo kam der denn jetzt her?!”, fragte ich O, die mir vor Lachen gar nicht antworten konnte. Sie bekam sich gar nicht mehr ein – und als sie anfing wie ein Schwein zu grunzen, konnte ich nicht mehr anders und prustete ebenfalls drauflos. “Also langweilig wird’s hier nie.”

      Caleb
      Hinter mir fiel die Haustür mit einem dumpfen ‘klack’ ins Schloss. Grinsend zog ich mir den Hut vom Kopf und legte ihn auf seinen Platz auf der Kommode. Meine Stiefel stellte ich daneben auf den Boden und meine Jacke hängte ich an einen der freien Haken. Ich legte den Kopf schief. Es waren zu viele Haken unbesetzt. Betsys Jacke fehlte. War sie noch draußen unterwegs?
      “Betsy?”, rief ich einmal laut doch erhielt keine Antwort. “Hm.”
      Mein Weg führte mich von der Küche, in der ich mir ein Glas Wasser holte, ins Esszimmer, wo ich einen gedeckten Tisch vorfand. Nach einem Blick auf die Uhr wurde mir klar warum. Ich hatte es pünktlich zum Essen nach Hause geschafft, was ein Zufall!
      Nach und nach trudelten die Mitarbeiter der Ranch ein und verteilten sich auf die freien Plätze. Laurence und Dolly traten gemeinsam ein und Laurence rückte ihren Stuhl zurecht. Seit die gute Dolly hier arbeitete, bestand ich darauf, dass sie mit uns gemeinsam aß- wann immer sie das wollte. Morgens erwischte ich sie fast immer beim Naschen, so dass sie später beim Frühstück so gut wie nie Hunger hatte. Abends aber gesellte sie sich beinahe immer zu uns.
      “Cayce, schon was Neues von Tschetan und Nicholas gehört?”
      Cayce nickte. “Eben über den Pager kam, dass die Beiden die Rinder und Kühe gefunden haben, ein Kalb ist dabei. Sie müssen allerdings draußen übernachten … sie hätten es nicht mehr vor Anbruch der Dunkelheit zurück geschafft.”
      Ich nickte. Das war zwar nicht die Antwort, die ich hören wollte, aber immerhin hatten sie die Tiere gefunden und würden sie hoffentlich am nächsten Morgen unbeschadet zurückbringen. “Und die anderen Tiere? Ich hab die Herde eben überflogen – wo ist der Rest?”
      Betretenes Schweigen.
      Schließlich räusperte Laurence sich. “Zwei Tiere waren so schwer verletzt, dass wir sie erschießen mussten”, dabei zeigte er auf sich und Cayce.
      “Verdammte Bisons!”, warf Bellamy ein und wurde jäh von Laurence unterbrochen.
      “Verdammter Sturm, Bellamy. Die Bisons gerieten auch nur in Panik, gib ihnen nicht die Schuld.”
      Das Gespräch über die Rinderherde zog sich noch ein paar Minuten. In meinem Kopf rechnete ich unentwegt hin und her, wie viele und vor allem welche Tiere noch da waren.
      “Hab ihr zwei Rinder oder zwei Kühe erlöst?”, fragte ich in Cayces Richtung gewandt.
      “Zwei Kühe, von den Kälbern keine Spur.”
      “Also zwei Kühe und zwei Kälber weniger, macht 13 erwachsene Tiere und 4 Kälber”, ich überlegte weiter, “Tschetan und Nicholas haben ein Kalb und die Mutterkuh sowie… wie viele der Rinder?”
      “Ich glaube 2 weitere”, warf Bellamy ein.
      “Dann müssten draußen 10 erwachsene Tiere und 3 Kälber stehen?”
      Alle schienen zu überlegen. Es waren zwei aufregende Tage gewesen, rechnen gehörte heute Abend wohl zu niemandes Stärke.
      “Ach, ich geh jetzt zählen.” Cayce stand auf und verließ den Raum, bevor irgendjemand auf die Idee kam, Widerworte einzulegen.
      Wieder sah ich mich am Tisch um. Betsy fehlte noch immer. Octavia, Aimee, Louis, Kaya und Ylvi fehlten aber ebenfalls noch, weshalb ich mir noch keine allzu großen Sorgen machte.
      Die Haustür wurde geöffnet und wenig später stand Cayce im Türrahmen. “10 Erwachsene und 3 Jungtiere.” Er stemmte den Arm in die Hüfte und schnaufte.
      “Sind Sie etwa gerannt, Mr. Cayce?”, fragte Dolly belustigt, hielt sich die Hand vor den Mund und kicherte.
      “Na aber sicher!”, er lachte und setzte sich wieder auf seinen Stuhl.
      “Essen Louis und Ylvi heute nicht mit?”, fragte ich in die Runde und bekam als Antwort Gemurmel.
      “Und Kaya und Betsy?”
      Wieder keine Antwort.
      Sollte ich zu Louis und Ylvi rüber gehen und schauen, ob alles in Ordnung war? Bevor ich allerdings, vielleicht umsonst, einmal quer über den Hof lief, zückte ich mein Handy und schrieb Ylvi eine kurze Nachricht. Kaum hatte ich es wieder in meine Hosentasche gesteckt, vibrierte es. Die Antwort auf dem Bildschirm machte mich stutzig. Kaya war bei ihnen, aber Betsy fehlte.
      “Hat jemand von euch Betsy heute gesehen? Sie ist nicht bei Louis und Ylvi.”
      Ich blickte in zunächst ratlose Gesichter. Hier und da wurde sie heute gesehen, aber seit ein paar Stunden wusste niemand mehr, wo sie sein sollte.
      “Es tut mir Leid euch alle jetzt hier vom Esstisch vor dem Essen aufzujagen, aber …”
      “Ich such in den Ställen”, meldete sich Cayce sofort zu Wort.
      “Ich schau bei den Koppeln … Laurence, guckst du bei den Paddocks?”, dirigierte Bellamy und stand auf.
      “Ich geh zu Louis und Ylvi und von dort zum hinteren Teil der Ranch.” Damit stand auch ich auf und verließ den Raum.

      Hinter mir fiel die Tür des Bungalows von Ylvi und Louis ins Schloss. Auch sie waren in heller Aufregung und halfen bei der Suche nach Betsy. Kaya hatte mir einen guten Tipp gegeben. Ich solle mal im alten Bungalow von Betsy und Dell schauen. Ihre Freundin hat heute immer wieder von ihrem Vater gesprochen und wie sehr sie ihn vermisse.
      Ich hatte nur noch wenige Schritte, bis ich vor der Tür des Bungalows stand, in dem einst Dell gewohnt hatte. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir bewusst, wie unfair das Leben war. Als ich an die Tür klopfte, bildete sich ein Kloß in meinem Hals. War sie überhaupt hier? Was würde ich gleich zu ihr sagen? Was wollte sie hören – oder viel besser, was musste sie hören?
      Es blieb still hinter der Tür, dennoch trat ich ein. Der zunächst dunkle Raum wurde von Licht durchflutet, als ich den Schalter betätigte. Kurz musste ich die Augen zusammenkneifen. Allerdings gewöhnten sich meine Augen schnell an die Helligkeit.
      “Betsy?”, fragte ich einmal in den Raum hinein, erhielt jedoch wie im Haupthaus zuvor keine Antwort.
      Mein Weg führte mich sofort in Betsys altes Zimmer, in dem ich sie jedoch nicht antraf. Langsam stieg ein wenig Panik in mir hoch. Wo war sie bloß?!
      Mit dem Öffnen der Tür von Dells altem Schlafzimmer fiel jedoch alle Last von meinen Schultern. Dort im Bett lag das Mädchen zusammengekauert unter der Decke.
      “Betsy?”, fragte ich erneut, erwartete allerdings keine Antwort.
      Zu meiner Verwunderung jedoch drehte sie sich im Bett um und schaute mich aus verquollenen Augen an. “Hm?”, war ihre Reaktion auf meine Frage. Dann drehte sie sich zurück, wandte sich wieder von mir ab und zog die Decke bis an ihr Kinn.
      Langsam ging ich auf das Bett zu, vernahm jeden meiner Schritte zehnmal so laut. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Nervös rieb ich meine Hände aneinander, als ich das Mädchen fragte: “Darf ich mich zu dir setzen?”
      Statt einer Antwort rückte sie nach links und machte mir am Rand des Bettes Platz. Eine meiner Hände legte ich auf ihre Schultern, mit der anderen tippte ich flink ein ‘hab sie’ in unsere Hofgruppe, damit sich niemand weiter Sorgen machen musste.
      Eine ganze Weile saß ich schweigend neben ihr, während sie leise vor sich hin schluchzte. Sie so weinen zu hören zerbrach mir jedes Mal das Herz, besonders deshalb, weil ich ihr den Schmerz nicht nehmen konnte.
      “Wir haben dich beim Abendessen vermisst und uns Sorgen gemacht”, fing ich an leise mit ihr zu reden, “zum Glück hatte Kaya einen Verdacht, wo ich dich finden kann … Ich … Möchtest du … Möchtest du darüber reden?”
      “Nein”, kam nach einer ganzen Weile die knappe Antwort des Mädchens.
      “Soll ich einfach hier bei dir sitzen?”
      “Ja …”

      Ich schwieg wieder, strich ihr sanft über die Schulter und schaute mich im Zimmer um. Wir waren noch nicht dazu gekommen, den Bungalow auszuräumen. Es fühlte sich noch nicht richtig an. Alles hieran war falsch. Wieso musste so ein liebes und nettes Mädchen zuerst die Mutter verlieren und dann auch noch den Vater?
      An der Wand, genau gegenüber des Bettes, hing ein Bild von einem jungen Dell zusammen mit einer sehr jungen Frau, die ein Kind auf dem Arm hielt. Ich vermutete, dass es sich dabei um Betsy und ihre Mutter handelt. Die Beiden sahen so glücklich aus und strahlten in die Kamera. Da war er wieder, der Kloß in meinem Hals, der sich eben zu lösen begonnen hatte.
      Ein paar Mal noch versuchte ich Betsy zu überreden, mit mir über ihr Verhalten und ihre Traurigkeit zu sprechen. Jedes Mal blockte sie mich ab. Also versuchte ich es mit Ablenkung.
      “Ich hab heute mit Steffen telefoniert. Nima geht es unglaublich gut bei ihm, er freut sich so sehr, sie gekauft zu haben. Außerdem möchte er Kholáya auch haben, dann hat Nima eine Freundin von hier.”
      Endlich drehte sie sich in meine Richtung um, setzte sich auf und wischte sich die Tränen vom Gesicht. “Nima geht es gut?”
      “Ja, Nima geht es sehr gut, Steffen hat sie unglaublich lieb.”
      Betsy lächelte kurz, senkte dann jedoch ihren Blick. Zögerlich streckte sie die Hand aus und legte sie auf die Meine. Ich rührte mich nicht. Meine Angst war zu groß, eine falsche Bewegung zu machen und sie zu verschrecken. Als Adoptivvater, was ich für sie noch immer werden wollte, müsste ich mich an solche Dinge langsam herantasten. Ich hatte nicht die größte Erfahrung mit Kindern und jüngere Geschwister besaß ich ebenfalls nicht.
      Dennoch hob ich langsam meine andere Hand und legte sie sachte auf die Ihre. Sie zuckte nicht zurück, sah jedoch wieder zu mir auf.
      “Caleb, ich vermisse ihn so sehr.”
      Langsam nickte ich. Mein anfängliches ‘Ich weiß’ verwarf ich und antwortete stattdessen: “Ich auch.”
      “Heute haben alle geholfen – bei der Rindersuche, weißt du? Sogar Dolly hat geholfen, sie hat Lunchpakete für unterwegs gepackt. Kaya und ich waren beim Satteln der Pferde dabei und haben hier auf dem Hof mit angepackt. Louis wollte nicht, dass wir mitkommen und bat uns stattdessen, die Pferde zu füttern – schließlich hatten die auch Hunger … aber alle waren da … selbst du hast versucht so schnell es geht nach Hause zu kommen”, sie fing wieder an zu schluchzen, “nur Dad nicht. Mein Dad war nicht da, er konnte nicht helfen.”
      Sie zog ihre Hand aus den Meinen und setzte sich auf ihre Knie, um auf einer Höhe mit mir zu sein und mich zu umarmen. Etwas überfordert legte ich meine Arme um ihren kleinen Körper und hielt sie fest … Ich hielt sie eine ganze Weile einfach nur fest.
      Als das Schluchzen wieder verebbt war, erzählte sie weiter, was sie bedrückte: “Alle Leben irgendwie ihr Leben weiter, als hätte er nicht existiert. Niemand redet über ihn, wenn ich dazu komme und über ihn gesprochen wurde verstummt ihr, als wäre ich noch zu klein, um mit der Wahrheit umzugehen. Ich werde dieses Jahr 12 Jahre alt, ich bin kein kleines Kind mehr. Ich weiß, was der Tod bedeutet und ich hasse ihn, ich hasse den Tod und ich hasse die Welt, dass sie mir meinen Dad genommen hat!” Wieder stiegen Tränen in ihren Augen hoch.
      Ich wusste zunächst nicht, was ich ihr antworten sollte. Ein paar Mal setzte ich an, verstummte dann jedoch wieder, bis mir die richtigen Worte einfielen: “Betsy das Leben geht weiter, so schwer es uns auch fallen mag. Wir sprechen noch viel über Dell und denken an ihn. Doch wir haben… Angst in deiner Gegenwart über ihn zu sprechen. Wir möchten dich nicht verletzen. Wir können nicht in dich hineinschauen wie es dir geht und wie du damit klar kommst. Deshalb verstummen wir.”
      “Aber ich möchte, dass ihr über ihn sprecht”, kam es von dem Mädchen neben mir. “Ich möchte, dass ihr euch an ihn erinnert und ihn nicht… vergesst.”
      “Wie könnten wir, die Ferienranch trägt seinen Namen”, ich lächelte mild. “Hör mal … bezüglich der Ferienranch wollte ich noch mit dir sprechen. Irgendwie ist nie der richtige Zeitpunkt dazu, warum dann nicht jetzt?”, ich sah sie auffordernd an, “So langsam wird es Zeit, dass wir den Bungalow hier räumen. Ich mein, hier ist alles noch so … hier ist alles noch so. Ich habe überlegt, dass wir einen Teil zur Ferienranch bringen und einen Teil ins Haupthaus in dein neues Zimmer. Ich möchte, dass du entscheidest was wir wohin bringen sollen.”
      Betsy erwiderte nichts, setzte sich nur auf und sah sich im Zimmer um. So viele Erinnerungen hafteten an den Möbeln, den Bildern, der Kleidung. “Die Entscheidung musst du nicht jetzt treffen.” Betsy nickte. Ihr Blick blieb an dem Bild hängen. Das Bild von ihren Eltern und ihr. “Für das allerdings habe ich einen besonderen Platz ausgesucht. Darf ich ihn dir zeigen?” Sie nickte. Ich nahm vorsichtig das Bild in die Hand, reichte ihr Schuhe und Jacke und nachdem wir beide angezogen waren, verließen wir den Bungalow in Richtung des Haupthauses.

      Drinnen führte unser Weg sofort zum großen Wohnzimmer und dessen Kamin, auf dem einige Bilder standen. Unter anderem auch ein Bild von Verena und Svejn … wie schnell die Zeit vergeht.
      “Hier möchte ich es gerne dazu stellen. Es sollte einen Ehrenplatz bekommen, wo es jeder sehen kann.” Ich reichte Betsy das Bild und hob sie hoch, um es auf den Kaminsims zu stellen. Zwischen das Bild von mir zusammen mit Vulture und dem Bild von Louis, Ylvi, Kaya und Tschetan. “Zu meiner neuen Familie …”, murmelte Betsy. Ich hatte sie nicht ganz verstanden, vermutete nur, was sie gesagt haben könnte. Nachfragen wollte ich jedoch nicht, es schien nicht für meine Ohren bestimmt gewesen zu sein.
      “Wollen wir jetzt zu den Anderen gehen und noch was essen? Vielleicht haben sie uns sogar noch etwas übrig gelassen”, lachte ich und kratzte mich kurz am Hinterkopf.
      Wir gingen zurück ins Esszimmer, in dem sich wieder alle befanden. Sie hatten tatsächlich auf uns gewartet – auch Louis, Ylvi und Kaya befanden sich nun im Haupthaus. Betsy wurde von den dreien in die Arme geschlossen, ehe wir uns setzten.
      Ein paar Minuten später hatte jeder sich den Teller vollgeladen und war, nach einem wirklich anstrengenden Tag, zufrieden am Kauen.
      “Ich möchte, dass ihr über ihn sprecht.” Betsy erhob die Stimme, “Ich bitte euch. Redet über meinen Dad, erzählt euch lustige und nicht so lustige Geschichten … und vor allem, hört nicht auf, wenn ich dazu komme, denn sonst habe ich das Gefühl, dass ihr ihn vergessen wollt.” Es folgte eine unheimliche Stille. Die Menschen am Tisch hielten in ihren Kaubewegungen inne und rührten sich nicht mehr.
      Laurence war derjenige, der als Erster etwas sagte: “Also einmal … ja genau, da hat mich dein Vater ganz schön zur Weißglut getrieben, ich hätte ihn am liebsten mit dem Besen verprügelt”, er lachte. Alle anderen stimmten in sein Lachen ein. Die Geschichte kannte ich auch noch nicht – und während Laurence erzählte, nahm ich Betsys Hand. Als unsere Blicke sich trafen nickte ich ihr zu. Betsy lächelte kurz zurück, wandte sich dann aber wieder Laurence und seiner Geschichte zu, wie Dell einen ganzen Tag lang nicht das tun wollte, was Laurence ihn angestellt hatte.

      Tschetan
      “Wieso bleibst du stehen?”, kam Nicholas Stimme von hinten. Ich ließ ihn bis zu mir aufschließen, als er das getan hatte, brauchte ich ihm keine weitere Erklärung geben. “Du hast sie tatsächlich gefunden!”
      Unten in einer kleinen Senke standen drei erwachsene Kühe. Ich sah mich von dem idyllischen Anblick ein wenig um. Das Tal war weit fort. Die Spurensuche hatte uns tief in das Gebirge geführt. Die Bäume an dieser Stelle wurden immer karger. Wir hatten oft absteigen müssen, um einige der Wege mit den Pferden bewältigen zu können. Die halbwegs gerade Senke vor uns war bewachsen mit hohen Gras. Unzählige unterschiedlich große Findlinge lagen herum. Vor einigen Jahrhunderten musste ein Gletscher an genau dieser Stelle existiert haben und diese riesigen Felsen zurückgelassen. Andererseits konnten sie auch von einer Gerölllawine stammen, die hier hindurch gegangen war. Da es sich jedoch nicht um Neue zu handeln schien, galt dem weniger meine Sorge. Viel mehr schaute ich gen Himmel. “Ich hoffe du hast keine Angst vor Ungeziefer”, murmelte ich in Nicholas Richtung. Der schaute mich von der Seite erst ein wenig verwirrt an, folgte dann allerdings meinem Blick gen Himmel.
      “Wir schaffen es nicht mehr zurück,oder?”
      “Nicht rechtzeitig. Außerdem brauchen die Pferde eine Pause. Noch haben wir genügend Zeit. Satteln wir sie ab und suchen nach einem Rastplatz für uns.”
      “Sollten wir die Pferde nicht anbinden?”
      “Nein, die Senke hier ist gut. Sie haben das Gras – und der kleine Bachlauf sorgt für Wasser. So wie die Erde hier aussieht, haben auch die Kühe schon eine Weile hier verbracht. Sie werden sich nicht weit voneinander entfernen. So hoch oben ist die Gefahr zu groß, dass Bären unterwegs sind. Die Pferde sind angebunden eine zu leichte Beute. Wir müssen einfach darauf vertrauen, dass sie nicht weg laufen.”
      Ich kaute mir auf der Unterlippe herum. Meine Überlegung war es, eines der Kühe zu hobbeln. Doch wollte ich alle wieder wohlbehalten ins Tal bringen. Sollten Wölfe oder sogar ein Bär auf unsere Truppe stoßen, so war das gehobbelte Tier in Gefahr. Weit würden die Tiere nicht laufen – nicht beim Angebot des Futters. Außerdem kannten sie einander und waren an die Nähe des Menschen gewöhnt. Wir mussten also ihren Instinkten vertrauen. Also zog ich Sungila die Trense vom Kopf, löste den Knoten, mit dem der Riemen am Sattel befestigt war. Schmunzelte. Jetzt war ich froh um die Wahl der Satteldecken, denn genau um solche handelte es sich. Auseinander gefaltet konnten sie uns als Decken in der Nacht dienen. Ein Trick, den ich noch aus dem Reservat kannte. Wie oft hatten wir die Nächte draußen verbracht, irgendwo in der Prärie. Ich suchte in der Satteltasche nach meinem Smartphone. Kein Empfang. “Nicholas? Hast du Netz?”, ich winkte mit meinem Handy, damit er wusste, was ich meinte. Kurz suchte auch Nicholas, schüttelte dann den Kopf. “Gut, ich hab an den Pager gedacht. Ich schick denen im Tal fix eine Nachricht. Dass wir alle gefunden haben, aber die Nacht hier oben verbringen.”
      “Gib mir deine Wasserflasche, ich füll die Mal unten am Bach auf. Ich hab tierisch Durst.” Die Idee war tatsächlich keine verkehrte. Ich löste also meine Aluflasche aus ihrer Lederhalterung am Sattel, um sie ihm zu reichen. Schließlich machte ich mich auf zu den Kühen, schaute genau auf die erwachsenen Tiere, ob ich Verletzungen fand. Und sobald die Mutter mich ließ, ging ich auch zaghaft auf das Kalb zu, das im hohen Gras lag. Es schien erschöpft. Aber ansonsten wohlauf. Ein Teil der Anspannung fiel von mir ab. Der erste Teil war geschafft. Ich spürte das Brennen meiner Muskeln, das Ziehen in meinem Gesicht von den Kratzern. Aber ich war glücklich. Erst jetzt konnte ich die wunderschöne Natur um mich herum wirklich sehen. Mit geübtem Blick scannte ich meine nähere Umgebung. Gar nicht allzu weit entfernt sah ich einen riesigen Findling. Auf seinem Weg ins Tal war er dabei auf einen anderen Felsen gefallen. Daneben stand ein halb kahler Kiefernbaum. Darunter platzierte ich beide Sättel, legte die Decken darauf. Einen Platz für die Nacht hatten wir schonmal. Überrascht war ich, als Nicholas nicht nur mit den Flaschen wieder kam, sondern auch einen kleinen Arm voll Äste mit sich trug. Es schien also nicht sein erstes mal draußen in der Natur zu sein. “Sehr schön, du denkst mit!”
      “Aber glaub bloß nicht, dass ich das Feuer entfacht krieg.” Er reichte mir meine Flasche zurück. Ich genehmigte mir direkt ein paar Schlucke des kalten Getränks. Der kleine Bach musste von Gletscherwasser getränkt sein.
      “Schau in meinen Satteltaschen nach, da müsste eine kleine Metalldose sein. Da hab ich alles drin was wir für ein Feuer brauchen.” Nicholas drehte sich zu den Sätteln um und kramte die Dose hervor. Mit dem größten Stück Holz räumte ich eine kleine Stelle frei und schaffte so eine kleine Grube. Anschließend nahm ich mich der Dose an. Ich holte den Feuerstahl heraus. Ein wenig faseriges Zunder Gras und gut getrocknete Birkenrinde. Mit meinem Messer trennte ich kleine Stücke vom gesammelten Holz ab, um viele kleine Stücke zu haben. Anschließend erzeugte ich einige Funken, um die Birkenrinde zu entzünden. Mit ein wenig Fingerspitzengefühl entfachte ich rasch ein kleines Feuerchen, das wir fleißig mit den kleineren Ästen fütterten, um ein großes Feuer zu erhalten. Nicholas hatte in der Zwischenzeit die Stelle unter dem Felsvorhang von grobem Geröll und Stöckern befreit. Heruntergefallene Kiefernzweige hatte er im Abstand um das Feuer auf dem Boden verteilt. Das Moos auf den Steinen eignete sich nicht, noch war es zu nass, um es zu nutzen.
      “Gut, dass wir die Satteldecken genommen haben,” murmelte er, “wird sicher ‘ne kalte Nacht. Ich geh gleich nochmal auf die Suche nach ein wenig Feuerholz, damit wir gut nachlegen können.” Dann griff er sich plötzlich an den Bauch, lächelte. “Ich bereue außerdem, heute morgen das Frühstück ausgelassen zu haben.” Auch ich spürte das leichte Gefühl von Hunger in meinem Magen. Zwar hatte ich ausgiebig gefrühstückt aber, der Tag war anstrengend gewesen.
      “Ich denke das Feuer ist sicher. Ich werd mal was essbares besorgen. Nicht, dass mir der arme, weiße Junge noch verhungert”, scherzte ich. Am Bach hatte ich vorhin schon nah des Wassers die verräterischen weißen Blüten der Brunnenkresse entdeckt. Ich pflückte einige gute Hände voll, wusch sie ausgiebig im kalten Wasser aus. Da wir kein Gefäß hatten, um darin zu kochen, ließ ich die Pilze stehen – auch, wenn sie eine ausgiebige Nahrungsquelle ergeben hätten. Ich blieb unschlüssig am Bachlauf stehen. Er war zu klein, um wirklich Fischen eine Heimat zu geben, außerdem konnte ich kein Leben in ihm ausmachen. Also fiel auch das Angeln aus. Abgesehen von der Tatsache, dass wir wohl auch kein Angelset fertigen konnten. Daher konzentrierte ich mich eher auf essbare Pflanzen, ging hastig eine Liste dieser in meinem Kopf durch … und vor allem die auch zu dieser Jahreszeit wuchsen. Für Blaubeeren war es leider noch zu früh. So pflückte ich Löwenzahn, auf den sich auch die Ponys zu stürzen schienen. Außerdem machte ich am Waldrand eine überraschende Entdeckung. Hier in diesen Höhen hatte sich wilder Lauch angesiedelt. Ich holte ein paar der Stangen aus dem Boden. Sein Geschmack erinnerte stark an den einer Zwiebel, aber immerhin würde er uns ein wenig sättigen. Langsam setzte die Dunkelheit ein. Also beeilte ich mich, das gesamte Zeug am Bach zu waschen.

      Zurück im Lager sah ich Nicholas mit einem großen Haufen totem Holz neben dem Feuer sitzen. Die Sättel waren weiter unter den Vorhang verstaut. Beide Decken auf den Lagern aus Kiefernzweigen ausgebreitet. Die Steinwand reflektierte Licht und Wärme, als ich eintrat. “Oh, ich sehe, heute wird das Mahl wohl ein grüner Salat?”
      “Lass uns das alles ein wenig klein rupfen und schneiden. Alles zusammen wird das sicherlich kein Festmahl, aber es wird sättigen.”
      “Und ich hätte gedacht du gehst mit der Schießbüchse auf die Jagd!”
      “Donnerbüchse.”
      “Mhm?”
      “Donnerbüchse wurde das Gewehr oft genannt. Nicht Schießbüchse.” Nicholas lächelte, rufte seine Brunnenkresse in den Schoss. Ich schnippelte den wilden Lauch, steckte mir eine der Scheiben zwischen die Lippen. Ihr Geschmack erinnerte tatsächlich stark an eine Zwiebel, jedoch deutlich milder. Ich hatte mir das Ganze schlimmer vorgestellt. “Ich hab tatsächlich daran gedacht eine Hasenfalle zu bauen. Doch ich würde in der frühe eher aufbrechen wollen um die Tiere ins Tal zu kriegen, statt Zeit zu verplempern, einen Hasenbraten fertig zu machen.”
      “Da pflichte ich dir bei. Das ist deutlich vernünftiger. Ich muss allerdings gestehen … einen mehrere Tage andauernden Ritt mit dir in der Wildnis unterwegs zu sein … ich hab darauf richtig Lust.” Nicholas sprach mit glasiger Begeisterung in den Augen. Ich sah nicht richtig auf in meinem Tun. Doch sah ich, wie meine Finger einen Moment in ihrer Tätigkeit stoppten, bevor sie fortfahren konnten.
      “Hier, iss”, damit reichte ich ihm eine Hand voll wildem Lauch und er reichte mir die zerrupfte Brunnenkresse sowie den Löwenzahn. Ohne auf seine Worte einzugehen aßen wir stumm das Mahl. Jeder hing irgendwie seinen Gedanken nach. Wir hatten einen spektakulären Blick auf den Sonnenuntergang. Die Gipfel vor uns wurden nach und nach in weniger Licht getaucht, bis der Himmel aufbrach und dunkelrosa Sonnenstrahlen auf den Berghang geworfen wurden. Leichte Kälte zog ein. Also nahm ich mir die Decke, um sie mir um die Schultern zu legen. Beim Anblick des Himmels konnte ich Nicholas Wunsch schon verstehen, allerdings machte ich mir zu sehr Sorgen um die kleine Herde draußen. Ab und an konnte man die Pferde leise schnaufen hören. Die Geräusche des nächtlichen Waldes wurden immer surrealer und von den Berghängen hallte das Echo eines Wolfsgeheuls wieder.
      “Zugegeben das Geräusch jagt mir doch ein Schauer über den Nacken“, flüsterte Nicholas in die Dunkelheit. Ich schlug die Decke ein Stück zur Seite, um den Blick auf die Tasche mit dem Gewehr freizugeben.
      “Sie werden uns nicht angreifen. Falls doch, haben wir noch immer die hier.”
      “Dann halte ich mich lieber an dich. Ich hab nie gelernt, damit umzugehen.” Bewusst oder unbewusst rückte Nicholas näher zu mir heran. Mein Wunsch noch einmal nach den Tieren zu sehen wuchs. Da ich sie jedoch hören konnte, ließ ich davon ab.
      “Lass uns schlafen, der Tag war anstrengend genug.”

      Leicht schlotternd erwachte ich. Da mein Handy ausgeschaltet war, hatte ich keinerlei Vorstellung davon wie spät es war. Ich richtete mich halb auf, nahm einen der verbliebenen Totholz Zweige und warf sie auf das langsam sterbende Feuer. Nicholas bewegte sich. Im Licht des Feuers sah ich, wie sich seine Augen öffneten. “Erinner mich dran, wenn wir wirklich mal unterwegs sind einen Schlafsack einzupacken. Meine Gänsehaut nimmt die Ausmaße einer Rauhfasertapete an!” Ich strich mir mit den Händen durch das müde Gesicht, entfernte die kitzligen Haare so gleich mit. Ich legte also noch einen der Scheite auf das Feuer. Dann richtete ich mich auf, schnappte meine Decke.
      “Rutsch ein Stück rüber”, gähnte ich lautlos. Nicholas ließ sich nicht weiter bitten. Er rückte gerade so nahe wie er es wagte, an das Feuer heran. Dann hob er seine Decke an. Etwas ungelenk legte ich mich neben ihn. Anschließend warf ich die Decke über die Seine. Tatsächlich spürte ich fast augenblicklich, wie sich unsere Körperwärme unter den Wolldecken verbreitete. “Ich hätte gern mein Büffelfell dabei”, seufzte ich schläfrig. Nicholas rückte mit dem Rücken näher an den meinen heran. “Oh warte,” flüsterte ich, “meine Haare!” Nicholas hob leicht den Oberkörper, damit ich einen meiner Zöpfe unter seiner Schulter hervorziehen konnte.
      “Gute Nacht”, seufzte Nicholas. Langsam kroch wohlige Wärme in meine Gliedmaßen und allmählich fand ich halbwegs erholsamen Schlaf.

      Schlaftrunken blinzelte ich, brauchte einen Moment das blonde Gesicht so dicht vor dem meinen überhaupt wahrzunehmen. Ich hatte jahrelang so dicht neben Kaya geschlafen, nicht ihre Stirn an der meinen zu spüren erschreckte mich. Ich hatte den Atem von Nicholas in meinem Gesicht. Ich spürte die Gänsehaut in meinem Körper. Vorsichtig rückte ich von ihm fort, machte flüchtig einen Blick in Richtung des Feuers. Nur noch eine leichte Glut glimmte vor sich her. Um die zurückkehrende Kälte zu entfernen, richtete ich mich auf, strich über die vom Tau ganz klamme Decke. Bevor wir los konnten, musste sie ein wenig trockener werden. Ich widerstand dem Gefühl Nicholas bereits zu wecken. Wie es mir erschien, erwachte der Morgen gerade erst. Uns bliebe noch der gesamte Tag, um ins Tal zurück zu reiten. Ich warf die Decke in die ersten Strahlen der Sonne auf einen der Findlinge. Unten am Fluss füllte ich die beiden Flaschen wieder mit klarem Wasser auf. Ich spürte das Brennen in den Fingern vom eiskalten Wasser, spritze mir das kühle Nass jedoch auch ins Gesicht, um meine Gemüter ein wenig zu beruhigen. Ich wusste, dass es zum erwachsen werden gehörte, doch konnte ich getrost darauf verzichten. In meinem Kopf blieb nur der Schatten einer Erinnerung was genau ich geträumt hatte, aber offensichtlich hatte es ausgereicht, die Freude in einige Teile meines Körpers zu befördern. Ich zupfte, nachdem ich mich nach Nicholas umgesehen hatte, sachte an meiner Hose herum um das einengende Gefühl los zu werden. Dann sah ich mich um. Sungila hob ihren Kopf aus dem Gras. Ich schmunzelte und machte mich durch das nasse Gras auf den Weg zu ihr. Es freute mich, alle Tiere wohlbehalten an der selben Stelle zu finden. In der Nacht schienen sie, wie ich es vermutet hatte, eng zusammengehalten haben. Hierin sah ich den großen Vorteil, dass die jungen Pferde oft zwischen den Kühen standen - sie sahen sie durchaus als Teil ihrer Spezies und Herde an.
      “Wollen wir direkt los?”, meinen Körper durchfuhr der Schreck, ebbte nur langsam ab. Ich war zu konzentriert auf meine schweifenden Gedanken gewesen. Nicholas in der Stille des Morgens hatte ich nicht erwartet.
      “Ich denke wir genehmigen uns noch ein Grünzeug-Frühstück, lassen die Decken in der Morgensonne trocknen und buddeln das Loch vom Feuer wieder zu.”
      “Dann übernehm ich das Buddeln … such du das Grünzeug. Die Decke hängt schon neben dem Stein von deiner.”

      Nur langsam kamen wir aus dem Hochgebirge in die unteren Regionen. Mittlerweile hatte ich mit dem Lasso dem Kalb die Beine zusammengebunden und den jungen Bullen auf Sungilas Rücken gelegt. Zwischenzeitlich hatte ich bereut, die junge Stute genommen zu haben. Allerdings meisterte sie jede der Aufgaben, die ich ihr geben musste, mit einer Souveränität. Sie erfüllte mich mit Stolz. Wir hatten einen Umweg um die kleine Geröllhalde machen müssen, denn wir hatten nicht riskieren wollen, dass die Kühe dort abstürzten. Hatten sich ungefähr so die ersten Siedler dieses Landes gefühlt, als sie mit ihren Trecks die Gebirge überwanden? “Nicholas! Schau!”, rief ich zu ihm nach hinten. Er bildete das Schlusslicht unserer kleinen Herde. Zwischen dem dichten Wald konnten wir nun das Blockhaus der Ferienranch erkennen.
      “Du hast es geschafft!”, rief Nicholas von hinten und schenkte mir ein breites Grinsen, “Ich hoffe Dolly hat den Kühlschrank gefüllt. Mir hängt der Magen in den Kniekehlen!”, rief er spitzbübisch.
      “Hat dir mein Festmahl nicht gefallen?”
      “Seh ich aus wie ein elender Veganer?”
      “Dann lass ich dich das nächste Mal auf die Jagd gehen, ja?”
      “Es wird also ein nächstes Mal geben?”, fragte Nicholas, als er neben mir auf dem Hauptweg angekommen war. Ich machte eine unbestimmte Handbewegung.
      “Lass uns erstmal dieses Abenteuer beenden”, dann zwinkerte ich und stieg hinter dem Kalb wieder in den Sattel. Bevor Easy unruhig wurde da ich bereits losgeritten war, fand auch Nicholas seinen Weg in den Sattel. Wir trieben nun auf dem breiten Weg die Kühe einfach vor uns her. Der Abstieg hierher war für die Kühe genauso anstrengend gewesen wie für uns, daher ließen wir uns Zeit. “Warte mal, ich setz das Kalb jetzt mal wieder runter”, seufzte ich – darauf hätte ich ja auch kommen können bevor ich aufgestiegen war! Also stieg ich wieder umständlich vom Pferd, löste die Schlinge um die Vorder und Hinterbeine und gab das Kalb zurück in die Obhut der Mutterkuh. Blökend bockte es in Richtung seiner Mutter.
      Pferde: BR General Pleasure, BR Wimpys Blue Gun, BR South Texas Gangster, BR Rebel Hearted, BR Heavens Wild Side, BR Devils Angel Eyes, Blue Fire Cat, BR Atlantis Dream, BR Colored in Style, BR Dress to Impress, BR Homecoming Queen, BR Raised to Slide, BR Sheza Topnotch Babe, BR Wimpys Bright Gangster, Captains Blue Crystal, Gun Sophie, Jacks Inside Gunner, BR Alans Smart Dream, BR Colonels Golden Gun, BR Colonels Lil Joker, BR Double Gunslide, BR Heart N' Soul, BR Hollywoods Dream Anthem, Chocolate Dazzle, Up Town Girl, Bittersweet Temptation, Whitetails Shortcut, Zues, Abandon all Hope, HMJ Courtesy, HMJ8345's Continental, Lady Blue Skip, Striga, Tortured Witch HMJ 6693, Blanton's Gentleman, Chic N' Shine, Four Bar Chocolate Becks, GRH's Funky's Wild Berry, HMJ Saintly, How 'Bout Moonies, PFS' Unclouded Summer Skies, Smart Lil Vulture, tc Mister's Silvermoon Cody, Thiz Bye Bye Bay, Small Town Dude, Dual Shaded Ace, GRH's Bellas Dun Gotta Gun, GRH's Unbroken Soul of a Devil, Gun and Slide, Gunners Styled Gangster, Heza Bat Man, Till Death, HGT's Unitato, Chapman, Black Sue Dun It, California Rose, DunIts Smart Investment, Easy Going, Frosty Lagoon, Ginny my Love, Ginger Rose, GRH's A Gun Colored Lena, GRH's Aquila T Mistery, GRH's Unbroken Magic, Magnificient Crow, Only Known in Texas, Lovin' Out Loud, Stormborn, Tainted Whiz Gun, Breia LDS, Ceara Isleen, Dakota, Leuchtfeuer di Royal Peerage, Moonshine LDS, Pocahontas, Raspberry, Wunderkerze LDS, Absolute Bullet Proof, Birk, Myrkvidr, WHC' Happy Sunshine, A Walking Honor, Chou, Jade, Like a Prayer, Kristy Killings, Honey's Aleshanee, Colonels Blue Splash, Kisshimbye, BR Dissident Whiz, Sweet like Chocolate, Drama Baby, Prias Colourful Soul, Priamos Ruffia Kincsem, Tigres Eye, Wimpys Little Devil, Miss Independent, Culain, Snapper Little Lena, Special Luna Zip, Peacful Redemption und Wildfire xx
    • Veija
      Scouting is a game for boys
      Teil I

      September 2022, von Ravenna & Veija

      Zeitliche Einordnung: Mai/Juni 2021

      Ylvi
      Ich schlug die Hand vor den Mund, spürte, wie meine Nase verräterisch zu kribbeln begann. Dann tippte ich O’, die neben mir auf der Terrasse saß, auf die Schulter, deutete in die Richtung, aus der ich die Jungs vernahm. Tschetan und Nicholas kehrten mit den Rindern wieder zurück, die in den Bergen verloren gegangen waren. Wir hatten das letzte Mal am Abend von den beiden gehört. Erst jetzt spürte ich, wie sehr die Anspannung von mir abfiel. Schon die aufreibende Suche am Abend von Betsy hatte ein ziemliches Gefühlschaos in mir ausgelöst. Sie war auch meine Verantwortung. In all dem Trubel um Tschetan und die Rinder, die Reparaturen vom Zaun, hatte ich dabei kein Auge auf sie gehabt. Vorwürfe hatten mich in der Nacht lange wach gehalten. Nach meiner Arbeit im Büro hatte ich mich hier auf die Terrasse verzogen um immer wieder auf den Hauptweg zu starren. “Sie sind wieder zurück!” hauchte auch O’ neben mir. “Sag du Caleb Bescheid, ja?” sprach ich zu ihr. O’ fackelte nicht lang meiner Bitte nachzukommen.
      Ich kämpfte weiter mit den Tränen, während ich dem kleinen Treck entgegen lief. Alle wirkten ein wenig abgekämpft. Besorgt bemerkte ich die ganzen Kratzer in Tschetans Gesicht. Einige glühten rot - sie mussten sich leicht entzündet haben. Cayce kam gleich hinter Louis aus den Stallungen gelaufen. “Ich nehme euch die Kühe ab”, verkündete Cayce schon von Weitem.
      Betsy und Kaya kamen aus dem Haupthaus gelaufen.
      “Thibló!” rief Kaya und warf sich Tschetan um die Brust. Sie mochte es vielleicht nicht ganz so gezeigt haben, aber auch sie hatte sich Sorgen gemacht. Eine Hand an den Zügeln erwiderte er die Umarmung der beiden Mädchen und musste auch kurz darauf die Meine ertragen. Als ich leise aufschluchzte vor Freude, spürte ich wie Tschetans Umarmung ein wenig fester wurde. Ich musste zu ihm aufsehen, als er mich ein Stück von sich fort hielt. Dann lächelte er, wischte mit einer Hand meine Träne von der Wange und murmelte Worte die ich nicht verstand. Wann war er eigentlich so gewachsen? Jetzt hier in diesem Moment sah ich ihn ihm nicht mehr den schlaksigen Jungen. Etwas an dieser Reise hatte ihn erwachsen werden lassen. Weinte ich deshalb? War es möglich Stolz für ein Kind zu empfinden das man nicht selbst ausgetragen hatte? Anders konnte ich mir mein Wirrwarr an Gefühlen nämlich nicht erklären. Er hielt einen Arm weiterhin um meine Hüfte als sich Betsy an ihn wandte.
      “Sollen wir beide die Pferde versorgen?”, bot sie sich an. Tschetan lächelte breit, aber erschöpft.
      “Danke für das Angebot, aber ich würde Sungila gern selbst versorgen. Vielleicht geht ihr Nicholas ein wenig zu Hand.” Er deutete auf seinen Freund. Nicholas sah ein wenig überrascht drein als ihm Betsy direkt die Zügel aus der Hand nehmen wollte. Offenbar hatte er nicht mitbekommen, was Tschetan gesagt hatte. Ich legte ihm die Hand auf die Brust. “Komm dann rüber ins Haupthaus, ja? Ich wärm euch ein wenig Essen auf. Außerdem würd ich gern deine Kratzer versorgen.” Ein Lachen mit geschlossenen Lippen, dann küsste mich Tschetan auf die Stirn.
      “Waschté, Iná.” Dann zwinkerte er und verschwand mit Nicholas an seiner Seite in Richtung der Stallungen, um mich ein wenig verblüfft stehen zu lassen. Auch Kaya brauchte einen Moment um ihrer Freundin zu folgen. Ihr Blick huschte zwischen mir und Tschetan hin und her.
      Es war das erste Mal, dass Tschetan mich Mutter genannt hatte. Nicht nur für mich … sondern auch für Kaya war das eine neue Erfahrung. Einen Moment blieb sie stehen und sah mich, fast ein wenig verwirrt, an. Dann lief sie ihrem Bruder nach. Ich musste mich auch einen Moment sammeln und rannte vor lauter Überraschung gegen eine Wand. Ich erschrak, wusste jedoch in dem Moment, in dem ich einatmete genau, in wen ich hinein gelaufen war. “Caleb!”
      “Vorsichtig, nicht zu übereifrig”, schmunzelte er. “Ich bin eigentlich nicht wirklich für ihn verantwortlich, aber…ihr müsst unfassbar stolz sein. Denn…ich bin es. Wirklich. Ich bin gespannt auf seine und Nicholas Erzählung.” Ich konnte nur Calebs Blick hinter den anderen her lächeln. Natürlich war auch er stolz. Tschetan hatte im Grunde seinen Besitz gerettet … die Pferde, die Kühe- sie alle waren Kapital für die Ranch, reines Geld. Auch wenn der Wert für Caleb natürlich weit darüber hinaus ging. Plötzlich trat eine andere Person in unseren kleinen Kreis.
      “Er ist mit dieser Aufgabe zum Mann geworden”, sprach Louis Stimme mit dem selben väterlichen Stolz wie ihn auch Caleb gehabt hat. Wieder fing meine Nase an verräterisch zu kribbeln und ich schluchzte auf.
      “Ach nun hört doch auf!”, sprach ich lachend, aber verzweifelt weil sie mich wieder zum Heulen gebracht hatten. Caleb klopfte mir grinsend auf die Schulter, Louis nahm mich halb in den Arm … und mit dem freien Arm den ich noch hatte zog ich auch Caleb nah an mich heran. Das alles hatten doch tatsächlich wir getan. Mir kam dabei ein afrikanisches Sprichwort in den Sinn, das ich vor einige Zeit in einem Film aufgeschnappt hatte: ‘Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.’ – und unsere Ranch war wohl das beste Dorf der Welt.

      Caleb
      ‘tick… tick…’ lauschte ich meiner Armbanduhr. Der Raum war erfüllt von einer kurzen Stille. Erneut öffnete sich die Tür, jemand kam herein und setzte sich in unsere Runde dazu. Wieder fingen Tschetan und Nicholas von neuem an, ihre Geschichte zu erzählen. Wie oft hatte ich den Anfang bereits gehört? Zwei, nein drei Mal? Aber das war egal. Es war vollkommen egal. Ich könnte den Anfang der Geschichte auch hundert Mal von Neuem anhören, ich würde jedes Mal das Gleiche empfinden. Stolz. Unglaublichen Stolz, dass die Beiden die Kühe gefunden und alle wohlbehalten zurückgekehrt waren.
      Tschetan kam nun endlich zu dem Punkt, an dem er einen Abgang von Sungila gemacht hatte. Nicholas unterbrach ihn: “Und dann … das hättet ihr sehen müssen, macht die Stute eine 180 Grad Drehung und rennt ins Gebüsch. Den armen Tschetan hat sie einfach mitgezogen. Das ging alles so schnell! Bestimmt fünf Meter hat sie ihn durch die Dornen gezogen – es war alles voll! Sein Gesicht zerkratzt, die Haare voller Dornen und …”
      “Na nun übertreib nicht”, holte Tschetan ihn zurück auf den Boden der Tatsachen, “es waren vielleicht zwei Meter. Sungila hat selbst gemerkt, dass das wohl keine so gute Idee war, da hinein zu springen. Ich hab mich dann aber mit Nicholas‘ Hilfe befreit“, beendete er seinen Satz an Nicholas gewandt und erzählte dann für uns alle weiter.
      „Das klingt nach einem richtig tollen Abenteuer! Uns hat Cayce nur durchs Tal gehetzt.“ Octavia sah sich in der Runde um, Cayce fehlte noch. „Meinst du da stimmt was nicht mit den Rindern?“ Ich horchte auf.
      „Wenn etwas nicht stimmen würde, dann hätte er schon einen von uns gerufen“, beschwichtigte ich sie und wandte mich an Nicholas. „Ich danke dir für deine Unterstützung, das war nicht selbstverständlich.“
      „Hab ich gern gemacht, es ist zum Glück ja alles gut gegangen. Es hat sogar Spaß gemacht! Ich hab Tschetan schon gesagt, dass ich das gerne nochmal machen würde. Ein paar Tage im Sattel, unterm Sternenhimmel schlafen und sich von der Natur ernähren. Nur … nächstes Mal möchte ich nicht nur von Grünzeug leben!“ Er schaute Tschetan direkt an, beide grinsten.
      „Erzähl!“, sagte Betsy und rutschte unruhig auf der Bank hin und her.
      Tschetans Magen knurrte. „Wo wir von Essen sprechen …“, Ylvi erhob sich, öffnete die Ofentür und nahm die Steaks und die Fritten heraus, teilte es auf zwei Teller auf und stellte sie den Jungs vor die Nase. „Kommt, lasst sie mal wieder zu Kräften kommen. Mit weiteren Fragen löchern könnt ihr sie später noch.“ Ich blickte zu Ylvi rüber. Sie benahm sich so … fürsorglich. Die Mutterrolle schien ihr zusehends leichter zu fallen. Ich lächelte in mich hinein, erhob mich und setzte mir den Hut auf den Kopf.
      „Na dann geh ich mal nach unseren Ausreißern und nach Cayce gucken.“
      „Ich komm mit“, fügte Betsy an und sprang von der Bank. Ich hatte ein paar der Stühle durch eine schöne Bank ersetzt. Besonders Kaya und Betsy nahmen gerne darauf Platz. Ich hatte aber auch schon Laurence und Dolly darauf sitzen und Kaffee trinken sehen.
      „Caleb warte!“, Aimee stand auf, „hier, die sind ja noch von dir.“ Sie überreichte mir meine Kleidung, die O ihr am vergangenen Abend gegeben hatte.
      „Wenigstens auf einen von euch ist Verlass.“ Ich blickte O direkt an, bekam aber lediglich ein Schulterzucken zur Antwort. „Komm“, sagte ich an Betsy gewandt, legte die Kleidung im Flur auf die Kommode und verließ das Haus. Mir fiel zunächst gar nicht auf, dass uns jemand folgte. Als ich jedoch zwei Mädchen hinter mir kichern hörte, wusste ich, dass Kaya das Haus mit uns verlassen hatte.
      Bei den Rindern angekommen konnte ich Cayce nirgends sehen. „Wo ist der denn jetzt abgeblieben?“, fragte ich mehr mich selbst als die Mädchen und schaute mich um. Die Herde hatte sich beruhigt. Fast alle Kälber lagen im saftigen Grün und schliefen, während sich ihre Mütter und die anderen Tiere die Bäuche vollschlugen. Beim Kauf von Bow River hatte ich eine Herde von um die 30 Tieren gehabt, nun waren es noch 13 Erwachsene und 4 Kälber von diesem Jahr. Vor dem letzten Winter waren die Jungbullen verkauft worden, weiß Gott warum davon so viele in der Herde gewesen waren. Mit den 17 Tieren hatte ich, neben den ganzen Pferden, dennoch genug – mehr mussten es nicht mehr sein.
      Cayce tauchte in meinem Blickfeld auf. Er hielt eine Dose Blauspray in der Hand und wank mich zu sich rüber. “Hab den halben Stall danach abgesucht, war nicht in der Kiste, wo es hätte sein sollen”, murmelte er und ging auf eines der Kälber zu. “Das blutet vorne an den Beinen, scheint irgendwo hängen geblieben zu sein.” Cayce wies mich an, mich auf den Hals des Tieres zu knien, damit es nicht aufspringen konnte, nachdem wir es auf die Seite gelegt hatten. Noch bevor die neugierige Mutterkuh uns erreicht hatte, waren besagte Stellen mit dem Blauspray eingesprüht und wir konnten uns vom Acker machen. “Hab die anderen Tiere auch kontrolliert, mir ist nichts weiter aufgefallen.”
      “Danke Cayce.”
      “Die sehen ganz schön müde aus”, meinte Betsy und zeigte auf die schlafenden Kälbchen.
      “Gib denen einen halben Tag, dann springen die wieder hier über die Wiese”, lachte Cayce, “wir müssen mal schauen ob wir die Tiere erstmal hier auf der Weide lassen, bis der Zaun repariert ist. Das ist ja eigentlich eine der Jungpferdeweiden.” Ich nickte und überlegte.
      “Wir lassen sie erstmal hier, den Zaun zu reparieren dauert ja auch nicht ewig … apropos, kannst du dir Bellamy und Brian schnappen und schon mal anfangen fahren? Ich muss noch zwei Telefonate erledigen. Nicholas Eltern haben mich angerufen wegen Rocket, ob ich einen Platz für ein Berittpferd frei habe – und ich wollte noch bei den Züchtern von Benny anrufen, ob sie noch so ein farblich tolles Pferd zum Verkauf haben.”
      “Hast du nicht bald mal genug Pferde, Caleb?”, Cayce sah mich fragend an, “eigentlich könnte ich mir mal noch eins zulegen. Neben Shorty wäre ein zweites rancherfahrenes Pferd nicht schlecht.” Er sah mich fragend an.
      “Ich schau mal in meinen Unterlagen, vielleicht wäre eine meiner cuttinggezogenen Stuten ja was für dich?”
      “Ich tendiere zwar eher zu einem weiteren Wallach … aber ja, schau mal.”
      “Hmmm”, überlegte ich und sortierte Pferdenamen in meinem Kopf, “hol dir sonst mal Tate für die Arbeit, vielleicht könntest du was aus ihm machen?”
      Cayce nickte und verschwand mit dem Spray in der Hand zurück in die Stallungen.
      “So, Mädels. Was macht ihr jetzt?”
      “Ich glaube … wir gehen ausreiten”, verkündete Betsy Kayas und ihren Plan selbstsicher. Kaya nickte nur.
      “Passt auf euch auf.”
      “Jaja, immer.” Damit verschwanden die beiden in Richtung des Paddocks, auf dem noch die Pferde für die Ferienranch standen.

      *

      Ylvi
      Mit zwei größeren Kartons in den Armen stiefelte ich hinter Betsy gerade die Treppe im Haupthaus hinauf. Vorsichtig darauf bedacht, mein Gleichgewicht nicht zu verlieren, tastete ich nach den Stufen. Die Kartons waren nicht schwer, aber ätzend zu greifen. Betsy hatte sich in den letzten Tagen dazu entschieden, was von dem Kram aus dem Bungalow noch in ihr Zimmer sollte. Direkt hinter mir hörte ich das Ätzen von Caleb und Tschetan. Die beiden mussten gerade eine der Kommoden die Treppe rauf befördern. Gerade in dem Moment fing Calebs Handy an zu klingeln. “Verdammt, wenn das jetzt Nicholas Eltern sind krieg ich die Krise”, murrte er.
      Seit beinahe zwei Tagen versuchte er die Familie zu erreichen, aber irgendwie war das Ganze wie verhext. Entweder sie verpassten einander oder der Zeitpunkt war ungünstig. “Du könntest auch einfach rüber fahren”, kam es vom Treppenabsatz ganz altklug von Betsy. Tschetan lachte leise.”Genau Caleb. Du könntest auch einfach rüber fahren.” Offenbar hatten die Kids damit das schlagende Argument gehabt, denn stumm trugen die beiden Männer das Möbelstück bis ins Zimmer. Betsy und Kaya standen inmitten des Chaos, das nun Betsys Zimmer war. Ganz überwältigt stand sie etwas verloren darin.
      “Was hälst du davon: wir bringen hier eine Art Grundreine hinein und die Männer schicken wir zur Ranch von Nicholas Eltern?” Betsy nickte mir milde lächelnd dankbar entgegen. Ich drehte mich zu Caleb. “Schnapp dir am besten auch Nicholas. So oft wie der Junge aktuell hier ist, können sich seine Eltern bald nicht mehr an sein Gesicht erinnern.”
      “Darf ich fahren?!” fragte Tschetan aufgeregt.
      Ich deutete auf den jungen Mann: “Du, bist erst 15!”, im selben Zug drehte ich mich halb zu Caleb, der sich gerade von Betsy verabschiedete, “wag es dir bloß nicht ihn fahren zu lassen.”
      Tschetan murrte ein wenig vor sich her. “Komm schon, du hast nur noch einen Monat bis zu deinem Geburtstag. Das Warten sollte doch kein Problem werden.”

      Als die Geräusche verstummt waren, drehte ich mich zu den Mädchen um. “Was waren deine Ideen Betsy?”
      “Drüben im Bungalow hatte ich mein Zimmer irgendwie größer im Sinn”, dabei klang sie etwas bedrückt. Auch ich sah mich erstmal kurz um, verschaffte mir einen Überblick. Rief mir ins Gedächtnis, was wir in welche Schubladen geladen hatten.
      “Was hälst du von der Idee deine Sachen auch nochmal zu sortieren? Alles womit du ohnehin nicht mehr spielst, die Klamotten die du nicht mehr trägst? Einiges davon könnten wir versuchen zu verkaufen, das geht direkt in dein Sparschwein. Alles andere spenden wir?” Das war für Betsy kein neuerliches Unterfangen. Wir hatten genau denselben Prozess erst bei Kaya unternommen, als Tschetan ausgezogen war. Sie hatte sich ein etwas “erwachseneres” Zimmer gewünscht. Betsy allerdings kämpfte noch immer damit nicht alles von ihrem Vater loslassen zu können. Meiner Meinung nach war viel zu viel von dem Zeug im Keller gelandet und wir würden es vermutlich nie wieder benutzen. Einer 12 - jährigen konnte ich allerdings auch schlecht sagen was in meinen Gedanken dazu vor sich ging – “Ins Grab kannst du ohnehin nichts mitnehmen”. Daher hatte ich da versucht, eine Neutrale Position zu haben.
      “Ich denke da gibt es so einiges mit dem Andere mehr anzufangen wissen als ich”, kam Betsys ungewöhnlich nüchtern betrachtete Antwort. “Da hinten in der Kiste sind lauter Puppen drin …die …”, sie seufzte “hat mir zwar meine Mama gekauft, aber ich denke wirklich ein anderes Kind wird sie genauso mögen wie ich.”

      Damit gingen wir ans Werk. Wir leerten einige der Klamottenkisten. Kaya zauberte aus der Federtasche einen dicken schwarzen Filzer mit dem wir die Kisten beschrifteten mit “trash” “keep” und “sell”.
      Mitten in der Arbeit lugte Louis plötzlich durch die Tür in das Zimmer. Kaya lächelte ihm entgegen. “Ist Tschetan in der Nähe?” fragte er mit gedämpfter Stimme. Ich schüttelte den Kopf.
      “Ich hab ihn mit Caleb und Nicholas rüber zu den Eltern von Nicholas geschickt.”
      "Fantastisch", damit kam Louis nun ganz ins Zimmer. Auf den Armen balancierte er einen runden Karton. Mein Gesicht hellte sich auf.
      “DAS ging aber flott!”
      “Unsere Frauen haben eben flinke Hände”, feixte er besonnen. Ich kommentierte das mal lieber nicht. Louis kam hinunter zu uns auf den Boden. Im Schneidersitz ließ er sich nieder und schob den Karton näher zu mir. Auch die Mädchen kamen nun neugierig heran. Louis nahm quälend langsam den Deckel von der runden Schachtel. Darin befand sich etwas verborgen unter Verpackungsmaterial – wie ich wusste – ein Hut. Ich erlaubte mir das Papier beiseite zu nehmen.
      Unsere Blicke fielen auf einen schwarzen Hut im Cowboystil. Louis nahm ihn vorsichtig heraus. Rund um die Krempe war der Hut mit hunderten kleinen Perlen bestickt. Kleine Vierecke in den Farben gelb, weiß und schwarz lösten sich mit kleinen Dreiecken in rot ab. Ein Lederband schlang sich um die Erhebung des Hutes. Das Leder war naturfarben, würde sich also im Laufe der Zeit durch die Sonne von selbst verfärben und eine besondere Patina bekommen. Auf das Leder war an einer Stelle ein weiterer geformter Streifen genäht worden. Diese sah aus, als könne man dort etwas hinein stecken. Louis griff ein weiteres Mal in den Karton. Ich erkannte erst auf den zweiten Blick, was es war. Hörte aber wie Kaya nach Luft schnappte. Louis öffnete seine Hand. Darin lag eine große weiß/bräunlich schwarze Feder. Sie war ein Stück größer als seine Hand. Ihre Ränder schienen ein wenig ausgefranst. Nur ihr unteres Ende war weiß, darin befanden sich einige der Sprenkel. Das Braun war wunderschön gemustert. “Eine Adlerfeder?” fragte ich. Ich wusste, dass die Tiere unter Naturschutz standen. Sogar der Besitz einer solchen Feder war schwierig.
      “Logan hat sie mitgebracht. Sie hat einst seinem Vater gehört”, sprach er stolz. Damit nahm er sie und steckte sie in die kleine Lasche die an den Hut genäht worden war. Ich jedoch horchte auf. “Logan?”
      “Ja, sonst wäre das Paket länger unterwegs gewesen. Logan hat den Hut und die Feder aus Pine Ridge mitgebracht.” Über das letzte Jahr hinweg hatte Logan selten Zeit auf der Ranch verbracht. Er war oft in der Reservation gewesen, irgendeinen Verwandten pflegen, Kinder unterrichten.
      “Wird er jetzt eine Weile bleiben?”, fragte ich. Louis sah zu den beiden Mädchen, schien zu überlegen, wie viel er sagen sollte. Ich erkannte, dass da mehr dahinter war. “Ich denke, er wird eine Weile bleiben, ja.”
      “Oh fein! Dann kann ich ihn mit meinen Worten überraschen”, strahlte Kaya. Dabei fiel mir ein … natürlich, Logan wusste nicht, dass Kaya ihre Sprache wiedergefunden hatte. “Wann bekommt Tschetan den Hut?”, fragte sie weiter. Louis zuckte mit den Schultern.
      “Ich hatte vor, ihm den Karton einfach auf’s Bett zu stellen. Ganz unspektakulär.”
      Kaya und Betsy zogen einen Schmollmund. “Wir wollen seine Reaktion sehen!!”
      “Louis und ich überlegen uns da etwas. Bring du den Hut in Sicherheit. Die Mädels und ich haben noch ein wenig zu tun hier.” Damit deutete ich Diffus auf das gelichtete Chaos um uns herum.
      “Gut, dann bis zum Abendessen?”
      “Vergiss nicht wir wollten später noch die Zäune an den Nordhängen kontrollieren. Wir hatten dort lang keine Rinder drauf. Aber Caleb und Cayce haben die Weiden für die Herde samt Kälber ausgesucht. Bevor wir sie dahin treiben, sollten wir die nochmal prüfen.”
      Ich schlug mir mit der Hand an die Stirn. “Ja, gut das du mich daran erinnerst. Wir machen hier schnell. Dann in 2 Stunden im Stall!”

      Tschetan
      Im Flur setzte sich Caleb seinen Hut auf den Kopf, die Sonne begann nun langsam schon ätzend vom Himmel zu scheinen. Meinen Alten konnte ich nicht mehr benutzen – mittlerweile war er zu klein für meinen Kopf. Also schnappte ich mir eines der Tücher und band es mir über die Haare, also um meine beiden geflochtenen Zöpfe. Ich war stolz, wie lang sie im vergangenen Jahr gewachsen waren. Aimee hatte mich in Sachen Haarpflege ein wenig unterstützt. Ich sprach es nicht direkt an, aber dafür war ich ihr doch etwas dankbar.
      “Such du am besten mal Nicholas. Ich hol derweil den Wagen. Wir treffen uns an der Auffahrt”, meinte Caleb beiläufig.
      Ich musste gar nicht lang suchen, denn ich hatte Nicholas, nachdem Ylvi mich zum Tragen helfen abkommandiert hatte, in den Stallungen der Hengste zurückgelassen. Da ich die Boxen oft genug allein gemistet hatte, wusste ich, dass man damit eine ganze Weile beschäftigt war.
      Tatsächlich fand ich Nicholas nur vier Boxen weiter von der Stelle, an der ich ihn verlassen hatte. Mit Kopfhörern auf den Ohren schaufelte er eine Mistgabel Pferdemist und Pellets auf die Karre. Bevor er mich dabei erwischen konnte, wie ich ihn anstarrte, trat ich näher an sein Blickfeld heran. Ob sein Schrecken nur gespielt war oder nicht, konnte ich nicht ganz deuten. Aber er hielt sich die flache Hand an die Brust, seufzte. Schob sich dann die Kopfhörer in den Nacken. “Scout, du hast mich erschreckt!”
      Ich fühlte mich noch ein wenig unsicher und war froh, dass meine heiß werdenden Ohren vom Tuch um meinen Kopf bedeckt waren. Nicholas hatte mich in den letzten Tagen begonnen so zu nennen. Er war ohnehin der Meinung, dass jeder einen Spitznamen benötigte. Nach unserem Abenteuer mit den Kälbern, hatte er diesen für mich gewählt. Meinen Vorschlag, ihn Lassie zu nennen, hatte er nicht witzig gefunden. Noch überkam es mich mit Scham, dass er mich Scout nannte. Meiner Meinung nach war das Ganze keine allzu anspruchsvolle Sache gewesen.
      “Ich hatte nicht vor dich zu erschrecken. Aber Ylvi hat beschlossen dir Feierabend zu verschaffen. Caleb wollte zu deinen Eltern hinüber, da sie am Telefon nie zueinander finden.”
      “Hilfst du noch eben dabei den Mist hier loszuwerden?”
      “Kipp ihn zurück in die Box”, feixte ich, drängelte Nicholas aber von seiner Position und ergriff beide Griffe der Schubkarre, wollte gerade los stiefeln, da spürte ich Zug am Kragen meines Shirts.
      “Ich meinte eigentlich das Schaufeln in den Container!” Ich sah nur leicht über die Schulter, lief weiter ungeachtet des Zuges auf meine Kehle bis Nicholas los ließ und so etwas wie ‘unverbesserlich’ seufzte. Er beeilte sich vor mich zu kommen, um die breite Tür der Stallungen aufzuhalten. Dort ums Eck befand sich unsere Mistplatte, die in den letzten Stunden offenbar schon jemand entleert hatte! So konnte ich einfach rauf fahren und die Karre am hintersten Ende entleeren.
      “Das war einfach”, stellte ich zu Nicholas gewandt fest. Die Karre und die Mistgabel in die Abstellkammer zu verfrachten stellte nun kein Problem mehr dar.
      Nicholas verschwand noch eben im Bad in Stalltrakt, wusch sich Hände und Gesicht. Ich lehnte an der Tür, warf ihm das Handtuch ins Gesicht, als er gerade danach greifen wollte. “Komm schon, sonst fährt Caleb ohne uns!” drängelte ich nun doch etwas.

      Caleb
      Nach etwa einer dreiviertel Stunde Fahrt passierten wir gerade die Aspen Crossing Train Station, als ich den Blinker setzte und vor Mossleigh auf die Range Road 250 abbog. Nach einem erneuten Blick in den Rückspiegel ließ ich den Wagen ausrollen und hielt am Straßenrand an. “Verpetz mich ja nicht an Ylvi”, zischte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen, grinste dann jedoch in Richtung des Beifahrersitzes, auf dem sich Tschetan befand. Seine Miene hellte sich auf, in sekundenschnelle sprang er aus dem Wagen, lief um die Motorhaube herum und wartete ungeduldig darauf, dass ich ausstieg. Schneller als ich schauen konnte, nahm er meinen Platz hinter dem Steuer ein und begann damit, Sitz und Spiegel passend für sich einzustellen.
      Wenn wir mit dem Truck bei den Weiden unterwegs waren, hatte ich ihn schon des Öfteren fahren lassen. Da er sich dort ganz gut angestellt hatte, hielten sich meine Sorgen, auf einer richtigen Straße könnte etwas passieren, in Grenzen.
      “Denk an … ja … und fahr jetzt langsam.. lenken nicht vergessen, sonst landen wir im Graben.” Okay zugegeben, ein wenig nervös war ich dennoch.
      “Darf ich auch gleich ein Stück fahren?”, fragte Nicholas auf einmal von hinten und steckte seinen Kopf zwischen den beiden vorderen Sitzen nach vorne.
      Ich lachte. “Auf gar keinen Fall.”
      “He, warum nicht?”
      “Wie alt bist du eigentlich?”
      “Ich bin 15.”
      Verwundert drehte ich mich halb zu ihm um. “Und wann wirst du 16?”
      “Nächstes Jahr im … Februar.”
      “Dann frag mich im Januar nochmal.”
      “Aber …”, wollte er protestieren, wurde jedoch jäh von mir unterbrochen.
      “Ich lerne in einer halben Stunde deine Eltern kennen, würde wohl keinen guten Eindruck machen, wenn ich ihnen gleich zu Beginn sagen muss, dass ihr Sohn meine Karre geschrottet hat?” Tschetans Mundwinkel zuckten belustigt nach oben. Ich folgte seinem Blick zum Rückspiegel, durch den er Nicholas beleidigtes Zurücksinken in seinen Sitz beobachtete.
      “Mach dir nichts draus”, murmelte er, “für Januar hast du doch quasi eine Zusage.”
      “Das hab ich so nicht gesagt”, protestierte ich und wechselte vielsagende Blicke zwischen Tschetan und dem Nicholas - Spiegelbild.
      “Komm … gib dir einen Ruck, Caleb.”
      Ich blickte Tschetan mit hochgezogener Augenbraue an, ließ seine Aussage jedoch unkommentiert. Ich schaute wieder zur Straße und gab ihm die Anweisung, nun hier links abzubiegen und bei der Nächsten nach rechts. Von hier an ging es so lange geradeaus, bis wir wieder auf den Highway stoßen würden. Kurz vorher hielten wir an, tauschten erneut die Plätze und fuhren das letzte Stück bis in die Nähe von Queenstown. Von der Range Road 221 bog ich ein letztes Mal nach rechts ab auf die Township Road 194, ehe wir den Hof auf der rechten Seite erblickten.
      Hinter dem Wohnhaus befand sich eine kleine Stallung. Zur linke Hand ein wenig Weide mit Wald und einem Unterstand, zur rechten Hand einige Paddocks und ein größeres Stück Koppel, welches in kleinere Sektionen unterteilt war.
      “Hier links beim Wald stehen unsere drei Pferde”, erklärte Nicholas und zeigte nach vorne. Am Zaun im Schatten der Bäume stehend erkannte ich die Tiere.
      “Die gehen wir uns gleich als Erstes anschauen”, kommentierte Tschetan.
      “Zuerst”, sagte ich mit Nachdruck, “gehen wir hallo sagen.”

      Wir saßen schon eine ganze Weile in der Küche des gemütlichen Hauses. Nicholas Eltern, Tamara und Aiden Brixton, stellten sich als unglaublich nette Leute heraus, die nur leider ihr Telefon fast nie mit sich führten.
      “ … und so sind wir zur Deckstation gekommen”, beendete Aiden gerade seine Erzählung, wie sie den kleinen Hof hier gekauft und zu ihrem Beruf gekommen waren. Viele der Hengste standen zur Decksaison hier und waren für diese Zeit aus dem Training. Verließen sie den Hof wieder, wurde das Training vielerorts wieder aufgenommen. Rocket entstammt eines Tausches, war hier in der kleinen Wallachherde aufgewachsen, brauchte nun aber dringend eine andere Aufgabe. Er war bereits für ein halbes Jahr zum Einreiten weg gewesen. Man merkte ihm aber nun an, dass er mit den drei Wallachen nicht mehr zurecht kam und sich langweilte. Ständig war er hinter den älteren Tieren und forderte sie zum Spielen auf. “Ich glaube, wenn er in eine kleine, gleichaltrige Herde kommt, wo die Pferde mit ihm spielen, wird er wieder viel ruhiger – außerdem würde ihm Training ganz gut tun und …”
      “Okay, jetzt, wo es ums Geschäftliche geht, verabschieden wir uns. Wir gehen eine Runde mit unseren Pferden ausreiten.” Nicholas erhob sich, Tschetan tat es ihm gleich.
      “Nehmt stattdessen doch lieber die beiden Füchse der Mädels, die haben mal wieder Bewegung nötig”, nickte Tamara den Jungs zu.
      “Okay, Ma.” Damit verließen sie den Raum und auch sogleich das Haus.
      Aiden räusperte sich. “Wo waren wir.. ach ja, genau. Wir hatten überlegt, Rocket zu verkaufen, würden ihn aber vielleicht lieber ins Training geben. Er ist Reining gezogen, soll trainiert und auf Turnieren vorgestellt werden. Wenn er sich gut macht, kommt er nochmal her, um zu Decken … außerdem hätten wir da seit Kurzem noch zwei Standardbreds und einen Draft Mix.”
      Bei Letzterem horchte ich auf. “Draft Mix?”
      “Ein Percheron - Quarter Horse Mix. Romeo, wunderschönes Tier!”, schwärmte Tamara, “etwas größer und stämmiger als die üblichen cuttinggezogenen Quarter, absolut klar im Kopf und unglaublich lieb.”
      “Den möchte ich mir direkt anschauen!”, verkündete ich mit großem Interesse und stand auf. Aiden tat es mir gleich, geleitete mich zur Tür und wir gingen zu den Stallungen. ‘Das wärs noch für die Ranch’, dachte ich und folgte Aiden gespannt.

      Tschetan
      “Du wirst dich vielleicht ein wenig umgewöhnen müssen”, sprach Nicholas neben mir. “Umgewöhnen?”
      “Wirst du gleich sehen”, grinste er verschmitzt.
      Mit den beiden Füchsen am Strick stiefelten wir zur Seite des Gebäudes, an dessen Außenwand eine solide Eisenstange zum Anbinden diente. In der Sattelkammer angekommen ahnte ich langsam, was Nicholas gemeint haben könnte. “Die Pferde sind keine Quarter, richtig?”
      “Die beiden Füchse nicht”, feixte Nicholas. Ich griff nach dem Putzkasten, den er mir herüber gab. Mit halbem Grauen starrte ich darauf. Er war knallpink mit rosafarbenen Verschlüssen. “Die beiden gehören derselben Familie. Deren Töchter sind in einem Auslandsjahr, also sind die Hengste beide hier zum decken.”
      “Fantastisch.” Ich wusste wie englisches Equipment angelegt wurde, schließlich gab es auch auf der Ranch durch O’ durchaus Pferde, die nicht den Westernsattel trugen. Richtig angefreundet hatte ich mich jedoch nie mit ihnen. “Alles klar. Ich reite ohne Sattel”, verkündete ich daher. Drehte ohne eine Antwort abzuwarten auf dem Absatz um – mit dem pinken Albtraum an einem Ende des Arms hängend. Ich musterte gerade beide Pferde genauer. Vorher hatte ich sie mir nicht so genau angeschaut. Sie waren deutlich feingliedriger als die stämmigen Quarter, die ich mittlerweile gewohnt war. Allerdings auch nicht so groß, wie die wenigen Vollblüter von Bow River. Ich konnte die Rasse tatsächlich nicht erkennen. Trotzdem waren beides genügsame und hübsche Pferde.
      ”Foxtrotter”, sprach Nicholas plötzlich neben mir.
      “Mhm?”
      “Du hast sie so angestarrt. Die beiden sind Missouri Foxtrotter. Nur falls du ergründen wolltest, was für Rassen die sind.”
      “Aber wieso bildet man sie dann nicht Western aus?”
      “Vermutlich, weil die beiden Distanzritte gehen. Mit ihrer besonderen Gangart eignen sie sich da hervorragend für.”
      Wir putzten die Beiden nur in der Sattellage über, huschten dann in die Kammer zurück, da wir möglichst viel Zeit auf dem Ritt verbringen wollten.
      “Macs Sattel ist der da”, Nicholas hatte seinen bereits auf den Arm gehievt und griff gerade nach der Trense. “Die daneben ist auch von deinem.”
      Ich ignorierte also den Sattel und griff nur nach der Trense ehe ich Nicholas hinaus folgte. “Das war also kein Scherz?”
      “Nein, ich kann mich an diese englischen Sättel einfach nicht gewöhnen.”
      “Ich fühl mich ohne Sattel immer ziemlich unsicher”, gestand Nicholas mir.
      Ich zuckte die Schultern: “Das ist keine Schande, aber du könntest es üben. Vielleicht auf Sungila, sie hat tolle Gänge.”
      “Du würdest sie mich reiten lassen?”
      “Natürlich…ich darf doch jetzt auch Mac reiten.”
      Während des Auftrensens hatte ich allerdings meine leidliche Not. Da waren plötzlich so viele Schnüre! Für Sungila hatte ich manchmal nur ein Bosal oder immer öfter ein sogenanntes War Bridle. Ich schielte ab und an zu Nicholas hinüber. Der war allerdings noch mit dem Sattel beschäftigt. Gerade als ich einen Schritt zurück machte, um mein Werk zu betrachten, trat ich Nicholas auf die Zehen, denn er stand plötzlich hinter mir.
      “Erster.”
      “Oh Sorry!”, sagten wir wie aus einem Munde. Dann sah ich ihn verwirrt an.
      “Erster?”, ich lehnte mich mit mehr Gewicht auf das eine Bein. Die Trense fehlte am Kopf seines Fuchses.
      “Erster Auftritt”, Nicholas lächelte, “meine Eltern sind…oder eher waren begnadete Tänzer. Als ich klein war waren wir oft im Training unterwegs oder so. Und immer wenn mein Vater meiner Mutter auf die Zehen getreten ist. Hat sie gezählt. Und das eben? War dein erster.”
      “Und letzter”, murmelte ich, “was musst du dich auch so heran schleichen?”
      Nicholas legte seinen Kopf leicht schief, ein Mundwinkel halb nach oben gezogen: “Und ich dachte, du wärst der Leisere von uns.”
      “Zum eigentlichen Problem – ich hab’ da ‘nen Riemen übrig”, damit hielt ich den schmalen Riemen vor sein Gesicht.
      Nicholas schielte leicht zu Mac hinüber.
      “Der ist mir auf dem Weg rausgefallen. Hab Nachsicht mit mir, ja?” Nicholas gab ein kleines unterdrücktes Lachen von sich.
      “Häng ihn einfach über die Stange, das is nur der Sperriemen. Brauchst du ohnehin nicht.” In seinen Worten griff er sachte nach meiner Hand, schnappte sich den Riemen und hängte ihn über die Eisenstange.
      “Du meinst also alles richtig verschnallt?” Nicholas nickte.
      “Dann mach dich schonmal mit Mac vertraut, dann mach ich Cheese weiter fertig.”
      “Cheese?”
      Nicholas zuckte die Schulter: “Die hingen wohl schon immer aneinander. Also heißen sie Mac n’ Cheese.” Ich konnte nicht ohnehin die geschlossene Faust vor der Stirn kreisen. Zu lang hatte ich mit Kaya die Zeichensprache verwendet. Nicholas kannte das Zeichen mittlerweile auch und schien mir mit seinem Lächeln zuzustimmen.
      “Mach du den Käse fertig. Ich komm selbst auf das Pferd.“ Ich griff mir ein Büschel der kurzen Mähne von Mac, hüpfte leicht auf der Stelle, um mich dann mit Schwung auf dem blanken Pferderücken nieder zu lassen.
      “Vielleicht sollte ich wirklich mehr üben, ohne Sattel zu reiten”, merkte Nicholas an, bevor wir uns endlich auf den Weg machen konnten, die Umgebung auszukundschaften.

      Caleb
      Im Stall angekommen blieben wir allerdings zunächst bei Rocket stehen. ‘Rocking Waves’, stand auf dem Boxenschild. Toller Name für ein unglaubliches tolles Tier! Der Palominohengst hatte eine gewellte, dichte und lange Mähne, welche gerade zu Zöpfen geflochten war. Auch der Schweif befand sich in einem dicken Geflecht.
      “Ich würde dir ja anbieten, dass du ihn mal testen kannst vor dem Mitnehmen, aber leider haben wir hier keinen Platz oder ähnliches”, murmelte Aiden, doch ich wank ab.
      “Das ist kein Problem, ich muss den jetzt hier nicht reiten. Auf Bow River werde ich dazu noch Gelegenheit genug bekommen”, antwortete ich, schnappte mir dennoch das Halfter an der Boxentür und ging zum Hengst rein. Er streckte mir den Kopf entgegen, ließ sich willig aufhalftern und in die Stallgasse führen. Dort begutachtete ich ihn, ließ ihn mir einmal von Aiden vortraben und stellte ihn zufrieden wieder in die Box. “Ich bin mir sicher, dass ich meine Freude mit ihm haben werde.”
      Aiden nickte und ging eine Box weiter, in der ein schicker Blue Roan mit blauen Augen stand. Ich lachte: “Mit den Augen passt er zu dreiviertel der Tiere auf meiner Ranch.”
      Aiden horchte auf. “Ach ja?”
      “Ja”, lachte ich und nahm den Hengst an die Hand.
      “Vierjährig”, erklärte Aiden, “gezogen vom Lindö Dalen Stuteri. Vandal LDS ist sein voller Name, von Alfred’s Nobelpreis aus der Rainbeth.”
      Ich hörte ihm aufmerksam zu, ehe ich mir den Hengst ebenfalls vortraben ließ. “Der gehört auch euch?”, fragte ich, ehe er das Tier wieder in die Box stellte.
      “Genau, den haben wir gekauft und noch einen vom LDS, hier, komm.” Damit gingen wir zu einer der hintersten Boxen. “Heldentum LDS, von Wunderkind aus der Götterdämmerung. Negativ auf alle Scheckgene.”
      “Das ist doch ganz klar ein Frame Overo?”, fragte ich verwundert und beobachtete Aiden dabei, wie er den Kopf schüttelte.
      “Nein, alles negativ. Der ist auch nicht der erste Bunte aus der Anpaarung. Das LDS forscht wohl gerade daran, weshalb er und seine Geschwister, ein oder mehrere, so aussehen, wie sie aussehen.”
      “Interessant”, schlussfolgerte ich, “deshalb habt ihr den gekauft? Mit der Farbe lässt er sich später wohl besser vermarkten.”
      “Exakt”, Aiden lachte und führte mich endlich zu dem Pferd, von dem wir eben im Haus gesprochen hatten, “das ist Romeo, eigentlich Fancy Like Romeo. Vater ist ein Percheron, Mutter ein Cutter.”
      “Den darf ich bestimmt auch mal rausholen?”
      “Tu dir keinen Zwang an.”
      Mit dem Halfter, welches an seiner Box hing, ging ich zu dem Hengst rein. Romeo brummelte leise, sah von seinem Heu auf und kam mir einen Schritt entgegen. Ich streichelte ihm sanft über den Schopf, zog ihm das Halfter an und führte ihn in die Stallgasse. Er folgte willig, ließ die Ohren spielen und sah sich um. Am Ende des Stalles brummelte eines der Tiere, Romeo wandte nur den Kopf und schaute in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Wenige Sekunden später, ohne einen Ton von sich zu geben, schaute er wieder zu mir. “So einer fehlt mir noch”, lachte ich. Ich wollte ihn zurück in die Box stellen, doch Aiden bestand darauf, ihn auch ein wenig vortraben zu lassen. Entgegen meiner Erwartungen stellte ich kaum einen Unterschied zu einem echten Quarter fest. “Toller Beweger”, schlussfolgerte ich, ehe Romeo wirklich wieder in die Box kam.
      Wir schauten uns noch ein paar der anderen Deckhengste an.
      Gerade, als ich den Stall wieder verlassen wollte, hielt mich Aiden zurück.
      “Hör mal Caleb, dass du Rocket mitnimmst, ist ja beschlossene Sache. Aber hast du noch Kapazitäten für die anderen drei Pferde? Romeo, Hero, also Heldentum und Vandal? Mir fehlt es hier im Moment an allen Ecken, die stehen sich nur die Beine in den Bauch. Zum Decken kann ich sie ja noch nicht nehmen, weil sie noch nicht gekört sind. Tamara und ich dachten, es wäre eine gute Idee, auch eigene Hengste zu halten und nicht nur mit Fremden zu arbeiten. Leider scheitert es an der Zeit. Tamara arbeitet zusätzlich in einem Diner in Mossleigh, die Rechnungen wollen schließlich bezahlt werden, deshalb ist sie weniger hier, um zu helfen.” Aiden klang aufrichtig, aber auch ein wenig verunsichert. “Verkaufen wollte ihr sie nicht, oder?”
      Er schüttelte den Kopf: “Nein, erstmal nicht. Vermutlich wäre Vandal aber das erste Pferd, welches wir anbieten würden. Nicht, dass er nicht auch toll wäre, im Gegenteil. Aber man hat seine Lieblinge …”, er zuckte lächelnd die Schultern.
      Ohne noch länger überlegen zu müssen, legte ich ihm die Hand auf die Schulter. “Das bekommen wir hin.”
      Eine halbe Stunde und ein ganzer Stapel Papierkram später hängte ich gerade Aidens Trailer an meinen Truck. Wir hatten abgemacht, dass ich die Tiere jetzt sofort mitnehmen würde. Den Trailer könnte einer meiner Leute die Tage zurückbringen oder sie würden ihn holen kommen.
      Das erste Pferd auf dem Hänger war Heldentum. Hero, der mir zeitweise ein wenig tollpatschig vorkam, stolperte beim ersten Schritt die Rampe hoch und ging in die Knie, ehe seine Nase mit der Rampe kollidierte. Aiden, der den Hengst führte, zuckte erschrocken zusammen. Auch Tamara, die sich mittlerweile zu uns gesellt hatte, schnappte erschrocken nach Luft. Ich machte, mit Vandal am Strick, einen Satz auf die Beiden zu, doch Hero hatte sich bereits wieder aufgerappelt und schüttelte sich einmal kurz.
      “Das müssen wir aber noch üben”, sprach Aiden an den Hengst gewandt und streichelte ihm einmal durch die zottelige Mähne. Schließlich folgte der Hengst ihm ohne weitere Probleme die Rampe hinauf. Als Aiden wieder herauskam sagte er an mich gewandt: “Hab grade noch geschaut, weder am Bein noch an der Nase hat er sich was getan. Falls er doch später etwas klamm laufen sollte, kannst du ja nochmal nach ihm schauen?”
      Ich nickte und versicherte ihm, dass er bei mir in guten Händen sein würde. Vandal ging kooperativ hinter mir her, erschreckte sich allerdings kurz vor dem dumpfen Geräusch, als er mit einem kleinen Satz hinter mir her auf die Rampe sprang. Ich wartete kurz und ließ ihm Zeit, sich umzuschauen. Dann ging er zügig mit mir nach vorne und ließ sich ohne Probleme anbinden.
      Rocket folgte Aiden zügig in den Hänger während Romeo ein wenig vor sich hin schlurfte. Vier komplett unterschiedliche Pferde würde ich gleich mit zurück nach Bow River holen.

      In der Zwischenzeit waren Tschetan und Nicholas von ihrem Ausritt zurück. Letzterer wirkte ein wenig zerknirscht. Noch bevor ich nachfragen konnte, setzte er an: “Echt bewundernswert, dass Tschetan auf dem Pferd sitzt wie festgeklebt. Davon kann ich nur träumen!”
      “Ich hab dir ja angeboten Sungila beim nächsten Mal zu reiten, dann lernst du das.”
      “Sungila?”, fragte ich verwundert.
      “Na Connies Blue Splash oder so heißt die doch”, Tschetan zuckte mit den Schultern.
      Endlich dämmerte es mir. “Colonels Blue Splash”, schlussfolgerte ich, “wurde ja früher Connie gerufen, bis du sie umbenannt hast. Wie rufst du Like a Prayer eigentlich mittlerweile?”
      “Yumni.”
      “Stimmt.”
      Nicholas Vater räusperte sich. “Bleibst du jetzt hier, Junge? Ich könnte deine Hilfe noch bei den Wallachen gebrauchen.”
      “Ist gut”, antwortete Nicholas, “bis dann ihr zwei.”
      Wir verabschiedeten uns ehe wir uns in den Wagen setzten. “Jetzt kann ich dich nicht fahren lassen, hab da hinten vier Pferde drin stehen.”
      “Vier?”, fragte Tschetan ungläubig und half mir, das Gefährt aus der engen Ausfahrt hinaus zu manövrieren, indem er mir den Abstand zum Zaun auf seiner Seite weitergab.
      “Vier”, wiederholte ich lachend und bog nach links in Richtung des Highway ab, “zwei Standardbred, also Traber, Rocket und einen Quarter - Percheronmix.”
      “Was machst du damit?”
      “Die sind alle nur zur Verfügung. Der Plan ist sie zu trainieren und zu kören, dann gehen sie wieder zurück zum Decken.”
      Tschetan nickte vielsagend. “Du brauchst echt nicht noch mehr Pferde.”
      Ich lachte. “Du meinst ich könnte mal welche verkaufen?”
      Wieder nickte er.
      “Hattet ihr einen schönen Ausritt?”, fragte ich ihn dann und lenkte das Gefährt wieder auf die Straße zurück in Richtung Mossleigh.

      Tschetan
      Ich starrte ein wenig in die Ferne. Die Antwort war nicht ganz einfach. “Ich bin noch nie ein Gangpferd geritten”, sagte ich daher etwas abwesend, “beide Hengste waren Missouri Foxtrotter.”
      Caleb ging nicht ein auf die Tatsache das ich ihm nicht direkt geantwortet hatte. “Bist du deshalb ohne Sattel geritten, weil sie besonders bequem sein sollen?”
      “Nicht wirklich. Ich konnte mich mit dem Gedanken in den Englischsattel zu steigen nicht anfreunden.”
      Caleb lachte laut auf. “Das kann ich nachvollziehen.”
      “Die Landschaft war anders als im Tal bei uns…viele Felder voll Getreide. Wir mussten uns ziemlich oft an die Wege halten. Ich kann verstehen, dass Nicholas mehr Zeit bei uns verbringt.”
      Ich rutschte etwas unsicher auf dem Polster herum. “Nicholas er…er war ziemlich neugierig.” Caleb sah mich von der Seite etwas schief an. Zum dritten Mal an diesem Nachmittag war ich froh um das Tuch über meinen Ohren. “Naja, auch er hat keine Glasaugen. Er hat nach dir und Ylvi gefragt”, ich seufzte tief, “ich weiß nicht wieso….ob ich angeben wollte, weil ich mehr weiß, oder einfach, um das Geheimnis nicht mehr nur allein zu bewahren. Ich hab ihm erzählt, dass ich euch beide in der Ebene beobachtet habe”, ich legte eine Hand über meine Augen, um seinem Blick auszuweichen. Doch meine Scham hatte mich dazu bewogen, ihm die Wahrheit zu sagen. “Ich hab ihn schwören lassen, es nicht zu verraten. Das wird er nicht. …er…er ist ein Freund.” Jetzt sah ich doch an meine linke Seite, suchte im Blick von Caleb nach Wut. Stattdessen musste ich ein schmales Lächeln auf seinen Lippen erkennen.
      “Hast du bisher tatsächlich niemandem davon berichtet?”, sprach er überrascht. Ich verneinte ohne Worte seine Frage. “Bist ein feiner Kerl. Es ist in Ordnung, dass er es weiß. Sogar Louis weiß davon.”
      Die Aussage ließ mich dann aber doch kurz nach Luft schnappen. “Wirklich?”
      “Ylvi, ja…sie hat es mir erzählt.”
      “Verwirrend wie er so ruhig bleiben kann. Ich meine, du hast ihn geschlagen …”, murmelte ich, ohne darüber nachzudenken.
      “Nachträglich bin ich nicht stolz darauf.”
      Ich zuckte die Schultern. “Du kannst es nicht mehr ändern – und trotz deiner Wut durften wir bleiben.”
      “Junge, wann bist du so erwachsen geworden?” Caleb sah mich mit hochgezogener Augenbraue kurz an, bevor seine Aufmerksamkeit wieder der Straße galt. Ich machte mir eben um vieles Gedanken. Plötzlich gaben Caleb und auch mein Handy einen Ton von sich. Anhand meines Tones erkannte ich die Gruppe der Ranch. Ich zog es mir etwas ungelenk aus der Hosentasche, las kurz und musste dann schmunzeln.
      “Dolly schreibt dann, dass du einen Zahn zulegen sollst, die anderen haben kein Bock ewig auf das Abendbrot zu warten”, feixte ich.
      Caleb wedelte mit den Händen, Richtung der Uhr im Truck. “Wir haben noch eine Stunde Zeit!”
      “Sei fair, sie kann ja nicht riechen, dass wir schon im Auto sitzen. Soll ich Cayce und Louis schreiben, sie sollen in 40 Minuten mithelfen, die Pferde zu entladen?”
      “Keine schlechte Idee.”
      Ich tippte also schnell eine Nachricht an Louis, kopierte diese, um sie dann auch direkt an Cayce zu verschicken. Louis gab nur einen Daumen als Antwort. Cayce schrieb ein “PferdE?” worauf ich nur mit einem schulterzuckenden Emoji antwortete.

      Ylvi
      Ich ließ die Palominostute langsam an den Zaun heran treten, schwang dann ein Bein über ihren Rücken, ohne den Bügel zu belasten, die rechte Hand hielt dabei beide Zügel und ruhte auf dem Knauf. Kurz sortierte ich Zügel und Haare in meiner Hand. Dann lobte ich Honor. Wir hatten es uns mehr und mehr zur Aufgabe gemacht die Pferde, die für die Ferienranch sein, sollten zu reiten. So wurden sie nicht nur an das Terrain sondern auch an unterschiedliche Reiter gewöhnt. Auf dem Plan hatte ich gesehen, dass sich Honor eine ganze Weile nicht bewegt hatte, daher hatte ich für den Ausritt heute auf sie zurückgegriffen. Ich drehte mich nach Louis um, blaue Augen schauten mir aus einem fast schwarzen Gesicht aufmerksam entgegen. Er hatte sich an einem seiner aktuellen Trainingspferde bedient. Skip war eine breitbrustige Blue Roan Stute mit auffallend blauen Augen. Auch sie sollte auf lange Sicht für die Ferienranch genutzt werden. Allerdings machte sie sich so gut am Rind, dass Caleb sie vielleicht doch lieber hier auf der Ranch behalten wollte.
      Wir verließen die Einfahrt der Ranch Richtung Norden.
      “Wann hast du vor Tschetan den Hut zu übergeben? Beim Abendessen später?”
      “Puuh ich hab überlegt ihn einfach in sein Zimmer zu legen. Tschetan ist doch eher der Typ für wenig Aufmerksamkeit. Ich wollte keine große Sache draus machen.” Ich schob beim Denken leicht die Unterlippe nach vorn. "Tatsächlich wäre das wohl in seinem Sinne. Wobei ich bei der Entdeckung schon sehr gern sein Gesicht sehen wollen würde!"
      "Vielleicht fragen wir Kaya später. Allerdings bin ich auch sicher Logan möchte seine Reaktion sehen. Daher wäre es nur fair das ganze doch beim Essen zu veranstalten?"
      “Wo du gerade von Logan sprichst. Wie kommt es, dass er wieder hier ist? Hat er nicht zuletzt viel in der Reservationsschule unterrichtet?” Offenbar traf ich damit einen wunden Punkt, denn unvermittelt ließ Louis sein Pferd - harscher als nötig gewesen wäre - in einen flotten Galopp fallen. Ich ließ ihn gewähren. Für gewöhnlich würde er mir die Antwort auf meine Frage geben – eben in seiner eigenen Zeit. Wir galoppierten also schweigend über die Ebene, bis er Skip durchparierte. Ich gab darauf acht, dass meine Palominostute nicht ständig versuchte das hohe Gras zu fressen. Auch um mich davon abzuhalten, Louis erwartungsvoll anzuschauen. Nur durch den Schleier meiner offenen Haare sah ich ihn manchmal an. Es wirkte als sei er auf dem Pferd zusammengesunken.
      “Ich hab mich die letzten Monate seinem Willen verwehrt”, sprach er, bevor wieder eine Weile Schweigen zwischen uns herrschte. Aber ich versuchte nicht zu bohren.
      “Logan… er wollte, dass Tschetan, jetzt wo er älter ist, zurück in die Reservation kommt. Sie waren nicht glücklich, als ich damals die Entscheidung traf, mit euch nach Kanada zu ziehen – oder überhaupt Tschetan aus der Reservation zu holen”, er seufzte schwer, “die Hochzeit mit dir hat dem ganzen noch mehr Feuer gegeben.”
      Ich konnte nicht anders als verwirrt das Gesicht zu verziehen, konnte nicht ganz alle Gegebenheiten miteinander verknüpfen. Das schien auch er zu verstehen.
      “Weißt du, einige der Ältesten sind der Auffassung, dass einige mehr Wert sind, als Andere. Tschetans Vater war ein direkter Nachkomme eines bedeutenden Lakota, dessen Name dir ohnehin nichts sagt. Aber für unser Volk ist er von großer Bedeutung. Und auch Tschetans Mutter stammt aus einer … mhm … ‘reinen’ Verbindung. Das macht aus Tschetan, nunja … einige würden ihn wohl Vollblut-Native nennen.”
      Ich schluckte. Die Worte und Gedankengänge erinnerten mich unweigerlich an Geschehnisse des dritten Reiches. Ich wusste, dass Amerika durchaus ein “Rassenproblem” hatte, dass es allerdings selbst unter den Natives ein Thema war, überraschte mich.
      “Ich wollte Tschetan von all dem fern halten. Von den Problemen, die ich in meiner Kindheit hatte … und von diesem Denken. Deshalb hab ich mit voller Überzeugung dem Umzug nach Kanada zugestimmt. Logan hat die letzten Monate immer wieder gefordert, dass der Junge zurückkehrt. Aber solange er nicht volljährig ist, soll er sich auf andere Dinge konzentrieren. Logan bat darum, dass Tschetan den Sommer in der Reservation verbringt.”
      “Ich finde das sollte er ganz allein entscheiden.”
      “Ganz deiner Meinung. Logan war … weniger begeistert. Schwaffelte irgendwas von ‘ich würde den Jungen seiner Kultur entziehen’ … dabei vergisst er, dass ich ihm schon unsere Traditionen weitergebe. Noch schlimmer an der Sache ist, dass er Kaya völlig vergisst”, jetzt begann er sich fast in Rage zu reden, was ich sonst nur selten bei Louis erlebte, “es hat ihn beinahe nicht interessiert, dass sie mittlerweile spricht, was für eine aufgeweckte junge Erwachsene aus ihr wird.”
      Frustriert warf er die Zügel auf den Hals und es sprach definitiv für die kleine Roanstute, dass sie völlig unbeeindruckt von seinem Gebaren blieb. Die Verwirrung hatte sich etwas gelöst, trotzdem kam ich nicht umhin eine weitere Frage zu stellen.
      “Aber warum? Doch nicht etwa, weil sie ein Mädchen ist?”
      “Noch viel trauriger…sie haben nicht beide den selben Vater.”
      Überrascht sah ich Louis an, dass hatte ich bisher nicht gewusst. Es war für mich auch keine relevante Aussage. Offenbar hatten beide Väter kein interesse an ihren Kindern gezeigt, denn sonst würde sich nicht Louis um sie kümmern. Sie waren seine Kinder, daran gab es keinen Zweifel. Auf seltsame Art und Weise waren sie auch die Meinen. Zumindest schien sich ab und an etwas wie Mutterinstinkt in mir zu regen.
      “Das bedeutet wohl, dass Kayas Vater keiner tollen Blutlinie entstammt? Das schmettert mich etwas nieder…ich dachte in eurer Community ist Rassismus kein Problem. Zumindest nicht untereinander. Schließlich kann ich mich da lebhaft an das Indian Relay erinnern.”
      “Glaub mir, nach den Jahrhunderten der Nichtachtung sollte man meinen, es sei kein Problem. Aber in einigen älteren Kreisen ist es das leider. Ich selbst war in meiner Jugend davon betroffen … es hat mich, nunja etwas hochnäsig gegenüber anderen gemacht. Erst als wir die Reservation verlassen haben, da hab ich gemerkt, dass meine Ahnen außerhalb keinerlei Rolle spielen. Das möchte ich an die beiden weitergeben. Sie sollen ihr Volk und ihre Kultur kennen, sie lernen die Sprache der Ahnen. Beide sollen wissen, woher sie kommen. Gleichzeitig sollen sie aufwachsen wie alle anderen Jugendlichen auch. Offene junge Erwachsene werden.”
      Ich trieb meine Stute etwas näher an Louis heran, stieß mit dem einen Fuß leicht gegen seinen Haken. Sein Blick hob sich in meine Richtung … ich lächelte ihn offen an. “Ich glaube das wissen beide sehr zu schätzen. Lass uns heute Abend mit Tschetan darüber sprechen…und auch mit Kaya. Ich finde beide sollen entscheiden, ob sie in die Reservation möchten für einige Zeit. Auch Kaya hat dazu ein Recht.”
      Louis ließ die Roanstute anhalten, lehnte sich dann zu mir hinüber um dankend die Hand auf meinen Oberschenkel zu legen.

      Caleb
      Am Hof angekommen parkte ich den Trailer vor dem Hauptstall. Rocket und Romeo, die bei den Brixtons ebenso zusammengestanden hatten wie Vandal und Hero, würden auf zwei der stallnahen Paddocks untergebracht werden. Tschetan sprang aus dem Wagen und ließ sofort zur Laderampe hinter dem Hänger. Cayce lugte aus der offenen Stalltür heraus, ehe er sich die staubigen Hände an der Hose abklopfte und zu uns kam. Louis stand etwas weiter weg, gestikulierte und teilte mir so mit, dass er etwas anderes zu tun hatte. Ich nickte, winkte ab und sah ebenfalls ein Nicken, ehe er auf dem Absatz kehrt machte und in Richtung Bungalow joggte. Etwas fragend blickte ich ihm hinterher, schaute dann jedoch wieder zu Tschetan und Cayce, die bereits die beiden Quarter ausgeladen hatten.
      “Vier Pferde?”, fragte Cayce verwundert und kratzte sich am Kopf.
      “Keine Sorge”, lachte ich, “die sind nur zur Verfügung. Der Palomino ist Rocking Waves und der Rappe ist ein Percheron - Quartermix namens Fancy Like Romeo. Die könnt ihr zusammen auf den ersten Paddock links stellen, die kennen sich. Die anderen beiden, Vandal LDS und Heldentum LDS können auch zusammen. Am Besten auf den zweiten Paddock links.”
      Während Cayce und Tschetan die beiden Hengste wegbrachten, betrat auch ich den Hänger und band Vandal los, führte ihn von der Rampe und band ihn kurz an der Seite an, damit ich auch Hero abladen konnte.
      “In welchen Farbtopf is der denn gefallen?” Cayce starrte den Hengst ungläubig an, während Tschetan sich mit Vandal bereits auf den Weg machte.
      “Das versucht das LDS in Schweden gerade rauszufinden. Der Kerl ist negativ auf alle Scheckgene.”
      “Was du nicht sagst.” Cayce kratzte sich am Kopf, rückte seinen Hut wieder zurecht und schaute dann zu mir rüber. “Ich kam noch gar nicht dazu, dir Bescheid zu sagen. Ich hab Tate ausprobiert, hatte ihn mit zur Weide, wo wir die Kühe stehen haben. War ein bisschen holprig, der hat mich beim Reiten fast ins Bein gebissen. Er wollte einfach nicht nah genug ans Tor ran, damit ich es auf bekam. Musste dann sogar absteigen … beim Rausreiten hat es dann jedoch geklappt. Bei den Kühen ist er noch etwas ängstlich, aber ich denke, wenn ich da dran bleibe, könnte der was für mich sein.”
      Ich lachte kurz, nickte dann aber vielsagend. “Tate ist einfach ein Pferd für eine Person. Dem tut das gar nicht gut, wenn die Reiter ständig wechseln. Hol den mal die nächste Zeit vorwiegend mit für die Rancharbeit und sag mir in ein paar Wochen nochmal Bescheid, wie er sich macht, ok?”
      Cayce nickte. Am Paddock angekommen öffnete er uns das Gatter, so dass wir die beiden Junghengste hineinführen und loslassen konnten. Als wir wieder draußen waren und das Tor geschlossen hatten, setzte er erneut an: “Außerdem waren Louis und Ylvi heute den Zaun an den Nordhängen kontrollieren, so dass wir die Kühe bald umtreiben können. Da ist alles in Ordnung gewesen.”
      Erneut nickte ich, ehe wir uns den Pferden zuwandten. Die beiden ‘älteren’ Hengste stürzten sich sofort auf das noch verbliebene Gras, während die beiden Jungspunde am Zaun auf und ab liefen und aufgeregt wieherten. Die Pferde der Ranch waren auf den Paddocks und Weiden so verteilt, dass die neuen Tiere sie nicht sehen, aber hören konnten. Ein paar der Tiere antworteten ihnen, nach kurzer Zeit allerdings fingen die zwei auch an zu fressen.
      Als mein Handy vibrierte, zog ich es aus der Tasche und betrachtete den Bildschirm. “Dolly ruft zum Abendessen. Dann machen wir den Hänger gleich sauber und stellen ihn zur Seite – entweder wird er die Tage abgeholt oder wir fahren ihn nochmal rüber”, erklärte ich Cayce, welcher nickte und sich diese Information im Hinterkopf abzuspeichern schien.
      Als Tschetan eine andere Richtung als wir anschlug, wandte ich mich ihm zu. “Kommst du nicht mit?”
      Er schüttelte den Kopf. “Ylvi schrieb gerade, dass wir heute Abend drüben essen.”
      Ich schaute ihn fragend an, kommentierte seine Aussage allerdings nur mit einem “Dann lasst es euch schmecken”.
      Als Cayce und ich am Haupthaus ankamen, flog uns die Tür entgegen. Kaya stapfte ohne ein Wort an uns vorbei in Richtung des Bungalows.
      “Die scheint nicht begeistert”, lachte Cayce und hielt mir die Tür auf. “Ich glaub Dolly hat eines ihrer Lieblingsgerichte gekocht. Da wäre ich auch beleidigt.”
      Wir lachten beide kurz, ehe wir ins Esszimmer gingen und uns setzten.
      Dort herrschte reges Treiben. Octavia erzählte wild gestikulierend von den Fortschritten beim Einreiten von Leuchtfeuer und den bequemen Gängen ihrer Scheckstute Kara, Bellamy unterhielt sich mit Laurence über Birk und Myrk, bei denen es mal Zeit wurde, sie tatsächlich mal an eine Kutsche zu spannen. Die beiden hatten bereits eine Menge Arbeit in die Tiere gesteckt, um sie optimal darauf vorzubereiten.
      “Ich müsste sogar noch eine Kutsche haben”, mischte ich mich in das Gespräch ein und sah, wie sie sich mir beide schlagartig zuwandten.
      “Oh echt? Das wäre super!”, sagte Bellamy direkt, wandte sich dann aber wieder Laurence zu und besprach das weitere Vorgehen im Training.
      Unmerklich schüttelte ich den Kopf. Falls die zwei dann doch so weit wären, dass sie die Kutsche brauchen würden, käme das Thema auf, wo ich sie denn stehen hätte.
      “Brian wie lief es heute mit deinen Trainingspferden?”
      “Gut, gut. Hope war wie immer ein Schatz, die macht es mir so einfach. Plankton, Conti und Witch hatte ich nur im Round Pen. Conti kann ich ja eh nicht reiten, hab mich sowieso gefragt, wieso du sie mir eingeteilt hast?”
      Ich klatschte mir die Hand an den Kopf. “Da habe ich mich verschrieben. Chico hätte da stehen sollen, nicht Conti. Hat den heute jemand bewegt?” Ich schaute in die Runde, alle schüttelten den Kopf. “Dann machst du den Morgen, ja?”
      Brian nickte und sagte dann: “Becks und Moonie bin ich noch geritten … das waren meine für heute.”
      “Gut, danke. Cayce wie hat es bei dir ausgesehen?”
      Er überlegte kurz, kramte dann einen Zettel aus der Hosentasche. “Man muss ja organisiert sein”, grinste er, “Shorty hatte frei, Zues hab ich auch nur gefüttert, Courtesy hab ich auch nur auf den Paddock gebracht, da müssen wir mal dringend wieder nach den Hufen schauen. Berry hatte einen schlechten Tag, glaub der hatte noch gut Muskelkater vom Gelände gestern. Hab ihn nur locker eine halbe Stunde geritten. Saintly und Vulture hab ich im Round Pen laufen lassen, Benny war in der Führanlage. Bisschen Schritt und Trab. Sky und Cody bin ich beide geritten. War okay.”
      “Alles klar. Und was hast…”
      “Mister Caleb!”, ermahnte mich Dollys Stimme neben mir harsch. “Jetzt wird gegessen. Lasst den Tag hinterher Revue passieren, es wird doch alles kalt!”
      In Laurence Lachen stiegen wenige Sekunden später alle anderen ein. Gerade als ich nach dem Topf greifen wollte, vibrierte mein Handy. Eine Nachricht von Ylvi, sie aßen drüben im Bungalow, sie mussten etwas mit den Kindern besprechen. Zunächst wollte ich die Nachricht nicht beantworten, schickte dann jedoch ein ‘Daumen hoch’ ab, ehe ich mich den Töpfen widmete.
      Dolly nahm nun auch, neben Laurence, Platz und füllte sich ihren Teller.

      Nach dem Abendessen begaben sich Cayce und ich wieder zum Trailer, um die Streu auszukehren und ihn innen sauber zu machen, ehe ich ihn schließlich zur Seite fuhr. Ich schaute noch einmal nach den Neuankömmlingen, erledigte meine Abendrunde und ging dann zurück ins Haus, um die Papiere der neuen Pferde in die richtigen Ordner einzuheften. Außerdem kümmerte ich mich noch um ein paar Rechnungen, die ich online begleichen konnte. Zwischen diesen fand ich ein Schreiben des Jugendamtes. Ich schluckte. Der Tod von Dell war schon ein paar Wochen her, der Besuch Ylvis und mir auf dem Jugendamt ebenso. Ich hatte die Tatsache, dass bezüglich Betsys Verbleib noch gar nichts geklärt war, zur Seite geschoben.
      Mit zittrigen Fingern öffnete ich den Umschlag, atmete dann jedoch erleichtert auf. Ihnen fehlten lediglich ein paar Daten, um eine vollständige Akte anlegen zu können. Flink füllte ich das Formular aus, steckte es in einen neuen Umschlag und legte den Brief ins ‘zur Post’ - Fach.
      Schließlich fuhr ich den PC herunter, ging ins Wohnzimmer, setzte mich auf den Sessel und schaltete den Fernseher ein.
      “Hier steckst du.” Eine altbekannte Stimme ließ mich über den Sitz nach hinten schauen.
      “Ich war bis grade im Büro, wo hast du mich denn gesucht?”
      “Na im Stall. Da war aber schon alles dunkel. Hab Blue noch gute Nacht gesagt.”
      Ich grinste. Sue stand im Moment nicht am Stall, dafür sagte sie Blue jeden Abend gute Nacht. “Ich wollte noch ein wenig fernsehen, bevor ich ins Bett gehe. Magst du mitschauen?”
      “Was gucken wir denn?”, fragte mich Betsy, ehe sie sich aufs Sofa legte, dann jedoch wieder aufsprang und mich voller Enthusiasmus ansah, “es gibt einen neuen Pferdefilm. Da muss ein Stadtmädchen aufs Land zu ihren Großeltern und mag eigentlich gar keine Pferde. Aber da ist dieses eine Pferd, zu dem sie eine Verbindung hat. So wie ich zu Sue und…”
      “Okay, okay … du hast mich überzeugt.”

      Ylvi
      Zu Kayas Missfallen hatten wir uns beim Abendessen vom Gelage drüben im Haupthaus entzogen. Louis und ich hatten beschlossen, in Ruhe bei einem gemeinsamen Essen mit den Kindern zu sprechen. Caleb hatte ich eine kurze Nachricht mit einer kleinen Erklärung gegeben. Ich wusste gar nicht so richtig, warum ich ihm das mitteilen wollte, doch es hinterließ ein weniger schuldiges Gefühl in mir zurück. Das fragile Band an Vertrauen, dass wir in den letzten Wochen aufgebaut hatten, wollte ich nicht zerstören.
      Gemeinsam mit Louis stand ich in der Küche und fischte gerade ein triefendes Frybread aus dem großen Topf mit Öl. Der Teig war etwas anders, aber grundsätzlich versetzte mich das Gericht immer nach Deutschland auf Weihnachtsmärkte auf denen Langos verkauft wurde. Louis hielt mir den Teller hin, auf dem ich die große Scheibe Fladenbrot zu seinen Geschwistern legen konnte. In einer anderen Pfanne briet Karibufleisch. Ich war gespannt, wie es schmecken würde. Louis und Tschetan hatten das Tier vor einiger Zeit selbst geschossen.
      “Rieche ich da etwa Frybread?”, verkündete Tschetan, als er barfüßig ohne Oberteil im Rahmen der Tür zur Küche stehen blieb. Seine Haare waren noch nass vom Duschen. “Brauch nicht zu lang, ist bald alles fertig. Ist Kaya schon hier?”
      “Gerade zur Tür rein!”, verkündete ihre glockenhelle Stimme aus dem Flur. Ihr buschiger Kopf schob sich neben ihrem Bruder in mein Blickfeld. Ihr ganzes Gesicht war ein wenig staubig. Ich schob fragend die Augenbraue nach oben, kommentierte es aber nicht.
      “Ist das Bad frei?”
      “Geh nur, ich brauch nur ein T-Shirt.” Damit verschwanden beide Kids wieder aus dem Türrahmen.
      “Ob sie schon wieder vom Pferd gefallen ist?”, fragte ich halb besorgt in Richtung Louis.
      “Sie läuft, sie kann sprechen. Nächstes Mal wird sie vorsichtiger sein.”
      Manchmal tat ich mich schwer mit der Art seines Volkes, ihre Kinder zu erziehen. Niemals wurden sie getadelt oder ihnen ihre Fehler vorgehalten. Also hatte ich mich dessen angepasst, kollidierte dennoch von Zeit zu Zeit mit den Grundsätzen, wie ich selbst aufgezogen wurde.

      Keine 10 Minuten später versammelten wir uns alle um den Tisch herum. Darauf fanden sich mehrere Schalen mit Fleisch, Gemüse und einer Sour Creme. So konnte jeder selbst entscheiden, was er auf seinem Fladenbrot haben wolle. Da ich nicht genau wusste, wie wir das eigentlich ansprechen sollten, sah ich etwas zu Louis hinüber. Er beugte sich zu Boden. Mit den Worten “Bevor wir anfangen, hab ich da etwas für dich Tschetan.”
      Der angesprochene schob mit dem Handrücken seinen Teller ein wenig aus dem Weg und zog halb ehrfürchtig den Karton zu sich heran. Sah dann von Louis zu mir. Langsam hob er den Deckel des Kartons an. Kaya streckte sich, obwohl sie den Hut bereits gesehen hatte. Nur schwer konnte sie das gespannte Grinsen verbergen. Tschetan spähte hinein. Schloss dann schnell den Deckel wieder, sah wieder von einem zum anderen. Schließlich machte er den Deckel doch sehr schnell auf. Sah hinab auf das was im Karton wahr. Seine Augen zeigten Unglauben. Glänzten aber, als er den Hut vorsichtig aus dem Karton holte. Dann schlug er sich eine Hand vor den Mund, als er unter dem Hut die große Feder sah. Um den Kiel war Leder gewickelt, kleine rote Perlen angenäht.
      “Ist sie echt?” hauchte Kaya, sah dann zu Louis um seine Antwort zu sehen. Er nickte nur mit einem Lächeln.
      “Tschetan, setz ihn auf, ich steck dir die Feder in den Lederriemen!”, ergriff Kaya wieder das Wort, während ihr Bruder Hut und Feder noch ehrfürchtig in der Hand hielt. Nur langsam erwachte er aus der Starre, setzte sich den Hut auf den Kopf, um ihn dann ein wenig zu neigen, damit Kaya ihm die Feder an den Hut stecken konnte. Als er zu uns herüber sah voller Freude und Stolz, konnte ich das Schluchzen nicht mehr unterdrücken. Tschetan stand auf, umarmte erst Louis der sich erhoben hatte. Louis sprach Worte in Lakota die nur für den Jungen bestimmt waren, sonst hätte er sie in Englisch gesprochen. Anschließend umarmte Tschetan mich. Die Worte die er mir dabei ins Ohr flüsterte ließen mich völlig vergessen, das er mir danach einen Kuss auf die Stirn drückte. Dann schenkte er mir sein breites Grinsen, denn er wusste sehr wohl, wie sehr er mich aus dem Konzept gebracht hatte. Auch seine kleine Schwester bekam eine fette Umarmung. Während meine Gänsehaut noch anhielt, eröffnete ich das Essen. Wir ließen uns Zeit bis jeder seinen Teller befüllt hatte.
      “Deine Feder stammt von Logan… damit verbunden ist eine kleine Bitte seinerseits”, fing ich an, doch Louis unterbrach mich.
      “Tatsächlich kam es eher einem Befehl gleich. Er würde es ziemlich begrüßen, wenn wir zurück in die Reservation kämen. Den Wind habe ich ihm direkt genommen. Allerdings wollte er dich für die Ferien zurück nach Pine Ridge holen”, sprach er direkt an Tschetan. Der hörte erstmal auf mit dem Kauen.
      “Wir haben allerdings beschlossen, euch beide einzuweihen”, fuhr ich weiter fort, “Louis und ich waren uns einig, dass ihr beide diese Entscheidung selbst treffen solltet. Ihr seid alt genug, um solche Sachen für euch selbst entscheiden zu können.”
      Tschetan und Kaya sahen sich an. "Müssen wir uns jetzt entscheiden?", fragte Kaya etwas zerknirscht.
      Ich schüttelte den Kopf. "Lasst euch das in Ruhe durch den Kopf gehen."

      Caleb
      Am nächsten Morgen, gleich nachdem ich aufgestanden war, versuchte ich es erneut bei den Züchtern von Benny. Ich hatte schon so oft angerufen, aber nie jemanden erreicht, ähnlich wie bei den Brixtons, nur dass ich nicht mal eben nach Montana fahren konnte.
      So war es auch dieses Mal. Ich entschied mich nun dazu, ihnen eine E-Mail zu schreiben. Vielleicht wären sie darüber besser zu erreichen.
      Tatsächlich dauerte es nur eine halbe Stunde, da ploppte eine neue Mail in meinem Postfach auf. Sie freuten sich darüber, dass ihr Thiz Bye Bye Bay nun in Kanada auf der Bow River Ranch stand und ich ihm die Zeit geben würde, die er brauchte, bevor er wieder in den Showring treten würde. Momentan hätten sie einige Jährlinge zu verkaufen, ich könne sie gerne einmal anschauen kommen. Um mir vorab schon mal ein Bild zu machen, waren der E-Mail Bilder der Pferde angehängt.
      20 Stück um genau zu sein. Auf jedem Foto befand sich ein anderes Pferd.
      “Die sehen ja toll aus.”
      Ich zuckte merklich zusammen. Betsy stand neben mir und betrachtete die Fotos der Pferde. “Wie lange stehst du eigentlich schon da?”
      “Seit du die Fotos aufgemacht hast.”
      “Ich hab dich gar nicht kommen hören…”
      "Hab's gemerkt.” Sie grinste mich an und zeigte auf das Foto eines Rappschecken. “Das ist hübsch.”
      Ich schmunzelte, vergrößerte es und machte es wieder zu, um das Bild eines anderen dunklen Schecken aufzumachen. “Das ist aber auch toll.”
      Betsy seufzte. “Die sind alle toll … huch guck mal, der ist ganz weiß! Run Outta Colour”, sie lachte, “der Name passt.”
      Länger als gedacht blieb ich am Foto des weißen Hengstes hängen, las mir die Abstammung und die Farbgenetik durch. Schließlich seufzte ich. “Der ist taub. Durch die Farbe. Kostet auch nur einen Apfel und ein Ei, trotz der guten Abstammung.”
      "Wenn's doch aber ein liebes Kerlchen ist …” Betsy zuckte die Schultern. “Wir sind jetzt übrigens los zur Schule. Bis später.”
      Betsy wollte gerade den Raum verlassen, da stand ich auf und machte einen Schritt auf sie zu. “Schickst du Aimee grad noch her? Ich muss ihr noch was mitgeben für in die Stadt.”
      “Ich kann das auch mitnehmen?” Betsy schien entrüstet.
      Kurz musste ich überlegen, griff dann ins Fach ‘zur Post’ und steckte den Brief des Jugendamtes zwischen die anderen Umschläge. “Halt die gut fest und verlier keinen.”
      “Jaja, tschau Cowboy.”
      Ich schaute ihr noch eine Weile nach. So hatte sie mich lange nicht mehr genannt.
      Nachdem ich den Züchtern von Benny ein paar Daten, an denen ich sie besuchen könnte, geschickt hatte, sah ich nach draußen. Dort buckelte Cayce mehr, als dass er ritt, mit Tate in Richtung Wald. Ich grinste in mich hinein. Ich gab den beiden noch zwei Wochen, dann waren sie ein eingespieltes Team.
      Wenn er mit dem Rappschecken unterwegs war, würde Shorty heute wieder ein freier Tag auf der Koppel bevorstehen.
      Ich widmete mich wieder meinem Bildschirm, beantwortete ein paar E-Mails und ging dann in den Stall, um auf dem Trainingsplan ein paar Änderungen vorzunehmen. Als Erstes musste ich in Cayces Spalte das Conti in Chico ändern. Die Stute trug ich in Aimees Spalte ein. Vielleicht würde ich Ylvi auch noch überzeugen können, die Stute ein paar Mal unter ihre Fittiche zu nehmen, so dass Aimee nicht gezwungen war, sie regelmäßig zu bewegen. Die Jugendliche war nicht bei mir eingestellt und half freiwillig bei den Pferden. Tschetan war ebenfalls kein Angestellter, dennoch schien er mit jeder neuen Aufgabe mehr Verantwortung zu übernehmen und über sich hinaus zu wachsen.
      Dude, Ace, Barbie, Damon, Blue, Gangster, Batman, Till, Unitato, Champ; ging ich die Namen der Zuchthengste auf dem Trainingsbrett durch. Auf meinem Klemmbrett schlug ich eine Seite um und fand die Jungpferde vor, die ich ein wenig umverteilen musste.
      Cayce kümmerte sich zusammen mit Brian und mir um das Einreiten folgender Pferde: Cat, Izzie, Sophie, Katie, Goldy und Joker.
      Crystal trug ich bei Bellamy ein. Die Stute musste im Moment einfach nur regelmäßig locker bewegt werden.
      Die restlichen Jungpferde: Atlantis, Mila, Queen, Rosy, Nora, Bailey, Elvis, Seth, Sugar, Soul, McDreamy und Dazzle standen noch immer nach Stuten und Hengsten aufgeteilt auf den Jungpferdekoppeln etwas abseits der Ranch. Die sechs Junghengste verstanden sich wunderbar und ich war froh, dass ich sie in Gesellschaft halten konnte.
      Nach einem Blick auf Octavias Trainingsspalte war ich mir sicher, dass es gut war, dass die Vollblüter nicht mehr hier am Stall standen, sondern an der Trainingsbahn. Pria, Drama, Tigres Eye, Culain, Clyde und Filly, rief ich mir die Namen ins Gedächtnis. Noch von ihr hier am Hof standen Soul, die den gleichen Spitznamen hatte wie mein Appaloosanachwuchshengst, Nini, Cira, Moonie (die den gleichen Spitznamen hatte wie mein Red Dun Quarter Hengst), Hunty, Raspberry, Trooper und Shiner. Ich schüttelte den Kopf. Viel Arbeit für eine Person.
      Ich zückte mein Handy und tippte eine kurze Nachricht an sie. >>Bin grad am Trainingsbrett deine Pferde durchgegangen. Für Prias Colourful Soul und Moonshine LDS musst du dir neue Spitznamen überlegen. Sonst verwechselt man die immer mit BR Heart N’ Soul und How ‘Bout Moonies ;)<<
      >Ich glaube DU musst dir neue Spitznamen aussuchen :p<
      Seufzend rieb ich mir die Augen. Es war viel zu früh am Morgen, um mit ihr herum zu diskutieren.
      Als mein Handy sich wieder bemerkbar machte, nahm ich es genervt aus der Hosentasche in die Hand, zog meine Augenbrauen dann jedoch fragend zusammen. Luchy Blackburne vom Whitehorse Creek Stud fragte, ob ich Cleavant zurücknehmen würde, da sie bei den Reitschulpferden ein wenig aussortieren mussten. Cleavant war zwar einer der Lieblinge, aber die Reitschüler wurden auch immer älter und größer, so dass viele von ihnen den Wallach gar nicht mehr reiten konnten.
      Ich bedankte mich für die Nachricht und sagte ihr zu. Clay wäre eine gute Bereicherung für die Ferienranch – und da die Tiere sowieso im Offenstall standen, würden wir das mit seiner Allergie schon in den Griff bekommen.
      Luchy antwortete mir, dass sie das Tier umsonst abgab. Ihr war es wichtiger, den Wallach in guten Händen zu wissen. Sie würde drüben alles fertig machen und ihn am späteren Nachmittag zu mir bringen. Ich konnte es kaum erwarten, denn der kleine Schecke war mir in guter Erinnerung geblieben.
      Mein Weg führte mich nun zu den Ferienranchpferden. Mit Cleavant waren es mittlerweile 11 Tiere. Dizzy stand, so lange er noch Hengst war, bei den Junghengste drüben auf der Weide. Die Stuten Yumni und Sungila befanden sich seit einigen Wochen auf einem stallnahen Paddock, da Tschetan viel mit ihnen arbeitete. Die anderen Stuten Honor, Chou, Jade, Kristy, Shanee, Kiss und Layla waren auf einem gemeinsamen Koppelstück untergebracht.
      Letztere wollte ich mir heute schnappen, um mit ihr zu den Fohlen und Stuten zu reiten. Auf dem Weg dorthin traf ich Bellamy, der Dakota am Strick führte.
      “Unterwegs zum Ausreiten oder zum Training?”
      “Ausreiten.”
      “Hast du Lust mit zu den Stuten und Fohlen zu kommen?”
      “Klar, treffen wir uns gleich hinten am Weg, der zu den Tieren führt?”
      Ich nickte, “bis gleich.”
      Bellamy und ich ritten eine Weile schweigend nebeneinander her, ehe ich ihn fragte: “Wie gehts dir eigentlich so?”
      Er schaute mich schief von der Seite an. “Hast du mich gerade ernsthaft gefragt, wie es mir so geht?”, er schmunzelte, “was ist denn bei dir kaputt?” Er lachte und schüttelte merklich den Kopf, setzte dann zu einer Antwort an, bei der er durch Dakotas Stolpern unterbrochen wurde. Kota rappelte sich allerdings direkt wieder auf, so dass sein Griff ans Horn nicht von Nöten gewesen war. Bell räusperte sich kurz. “Mir gehts ganz gut, würde ich sagen.”
      “Mmmhhmm”, kommentierte ich, um ihm noch ein wenig mehr zu entlocken. Es funktionierte.
      “Drüben im Bungalow komm ich mit O super zurecht. Auch wenn sie morgens beim Duschen vieeeel zu lange braucht und es bei beinahe jeden Tag nur für eine Katzenwäsche reicht.”
      “Dann musst du wohl früher aufstehen”, lachte ich.
      “Früher aufstehen!”, prustete er los, “pah! Dann steht O auch früher auf und schmeißt mich wieder aus dem Bad.”
      Ich musste lachen. “Frauen.” Um zur Stutenkoppel zu gelangen mussten wir einen kleinen Bachlauf durchqueren. “Ich weiß noch gar nicht, was die gute Layla hier von Wasser hält … geh du mal vor, Bellamy.”
      Er schnalzte, gab Kotas Zügel vor und ließ sie einen Schluck des kühlen Nass trinken, ehe er sie sanft antrieb und sie den Bach durchquerten. Layla tat es ihnen, entgegen meiner Erwartung, gleich. Sie senkte den Kopf, schnupperte am Wasser, trat mit dem ersten Huf zunächst zögerlich hinein, ehe sie den Kopf hob und ihren Weg zügig fortsetzte.
      “Man darf manchmal nicht zu viel drüber nachdenken.”
      “Hm?”
      Bellamy drehte sich zu mir um. “Na bei den Pferden. Manchmal macht man aus einer Mücke einen Elefanten, obwohl gar nichts ist. Trooper ist da so ein Kandidat. Ich helfe O ja beim Einreiten …”
      “Ja, ich hab euch schon ein paar Mal gesehen”, warf ich ein.
      “Der macht sich wirklich gut. Ich hab da auch schon ein paar Mal draufgesessen. So ein lieber Kerl – wenn man aus der Mücke keinen Elefanten macht. Trooper macht alles mit, ist neugierig und gelassen, einfach ein angenehmes Pferd. Macht man selbst aber eine Show und packt ihn panisch an … dann geht er da voll mit und du kannst die Arbeit mit ihm vergessen.”
      “Das ist mir bisher gar nicht aufgefallen.”
      “Wie auch, du hast ja nicht oft zugeschaut”, feixte Bellamy und trabte Dakota locker an. Ich tat es ihm gleich, um wieder zu ihm aufzuschließen. “Ich überlege ja, ob ich ihr den Hengst nicht abkaufe.”
      “So?”
      “Ich mag den. Finde er passt zu mir. Mir würde ein zweites Pferd ganz gut tun, neben Dakota … außerdem hat Cayce jetzt auch ein weiteres Pferd bekommen!”
      Ich schmunzelte. “Ob Cayce Tate übernimmt stellt sich noch raus.” Wir parierten die Pferde durch, da wir an der großen Koppel angekommen waren. “Außerdem hätte ich bestimmt noch ein Westernpferd für dich, falls du eins übernehmen möchtest. Hmmm”, überlegte ich, welche Pferd er in der letzten Zeit des Öfteren trainiert hatte, “Hope zum Beispiel oder Plankton.”
      Bellamy schien zu überlegen. “Hope soll doch ein Reitschulpferd werden oder auf die Ferienranch, hab ich gedacht?”
      “Ich tendiere eher zum Reitschulpferd, für die Ferienranch haben wir schon so viele gute Pferde. Heute Mittag kommt noch eins dazu”, ich zog meine Antwort mit einer theatralischen Pause in die Länge, “Cleavant kommt zurück.”
      “Der kleine Braunschecke mit den blauen Augen? Der mit der Allergie?”, fragte er neugierig nach.
      “Genau der. Die Meisten von Luchys Reitschülern sind ihm zu groß geworden und zum Rumstehen ist er zu schade. Als sie mir eben schrieb, dass sie ihn abgibt, hab ich sofort zugesagt. Seine Allergie hat sie im Moment ziemlich im Griff, Luchy hat gesagt wenn er viel draußen steht und sich bewegt gehts damit.” Ich stieg vom Pferd und band sie außen am Zaun an. Candy und Devil waren nicht freundlichsten Genossen. “Und was ist mit Plankton?”, fragte ich dann, während ich Bellamy das Zauntor aufhielt und es hinter ihm wieder schloss. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg in Richtung des Waldstückes, in dem ich die Stuten vermutete – falls dort niemand war, würden wir sie am und um den Bach herum finden.
      “Plankton ist auch ein nettes Kerlchen”, ergriff Bellamy wieder das Wort, “aber irgendwie passen die klassischen Westernpferde nicht zu mir, findest du nicht auch?”
      “Auf Alan hast du immer gut ausgesehen!”, widersprach ich ihm, “vielleicht wäre nächstes Jahr Elvis oder Nora etwas für dich?”
      Bellamy schüttelte den Kopf. Heftiger, als es nötig gewesen wäre. “Elvis braucht immer klare Regeln. Der testet in einer Tour. Außerdem ist er ein Sohn von Candy. Man muss sich das Leben nicht schwerer machen, als es ohnehin schon ist.”
      “Eh”, unterbrach ich ihn, “der ist zwar von Candy, aber Alan ist der Vater. Der hat auch was zum Pferd beigetragen!” Das erste Pferd, welches ich sah, war Sue. Direkt daneben stand Rose, etwas abseits Girl.
      “Das mag sein”, fuhr Bellamy fort und zeigte rechts am Wald vorbei, wo sich Candy und Devil aufhielten. Mit dabei stand Smartie, was ungewöhnlich war. “Aber Candy schlägt da mehr durch!” Er lachte auf. “Und Nora … ist zwar auch von Alan … aber Bella ist die Mutter. Und Bella ist die Mutter von Candy. Damit mach ich mir das Leben auch schwer.”
      “Ach das ist doch Quatsch. Guck dir Izzie an! Die macht sich gut unter dem Sattel.”
      “Bei dir vielleicht!” Bellamy war entrüstet die Arme in die Luft. “Mit mir macht die was sie will.”
      “Vielleicht solltest du da mal an dir und deinem Auftreten arbeiten?”
      Bellamy blieb mir eine Antwort schuldig. Easy und Gin kamen auf ihn zu und durchstöberten seine Westentaschen nach etwas Fressbarem. Während er umzingelt war, Elsa und Ginny gesellten sich ebenfalls zu ihm, hielt ich Ausschau nach den anderen Stuten und den Fohlen. Aquila, Magic, Lol, Crow, Tex, Stormy, Striga und Whiz. Das waren alle Stuten und Mutterstuten, die sich hier auf der Weide befanden. Wimpy, welche sich bei ihrer Mutter Devil befand, war bisher das Einzige Fohlen für dieses Jahr. Bei den anderen würde es nicht mehr lange dauern.
      Die Jährlinge Siri, Rebel, Willa und Angel standen gemeinsam mit Miss und Lena am Hof. Nach einigen ganz erfolgreichen Trainingsversuchen war es Lena doch zu viel geworden. Sie war blind und verfiel bei den letzten Malen immer gleich in Panik, aus der sie sich nicht so schnell herausholen ließ. Ich hatte mich deshalb dazu entschieden, sie komplett aus dem Sport und aus der Arbeit zu nehmen. Sie verbrachte ihre Tage am Hof und schien damit sichtlich zufrieden.
      “Weißt du was mir gerade einfällt?”, wandte ich mich wieder an meinen Begleiter. “Alaric. Das wäre ein Pferd für dich. Elena verkauft den gerade. 10 jähriger Friesenmixhengst, freundlich und aufgeschlossen. Sie hat mich gebeten, mich mal umzuhören.”
      “Was ist denn da noch drin, außer Friese?”, fragte Bell mich interessiert.
      “Das weiß ich leider nicht”, gab ich ehrlich zu, “aber der ist braun und nicht schwarz. Ich such dir gleich mal ein Fotos raus.” Gesagt, getan. Ich durchforstete mein Handy nach einem Bild des Hengstes, während ich immer wieder Pferdenasen vom Bildschirm wegschieben musste. Als Candy, Devil, Wimpy und Smartie mit angelegten Ohren auf uns zukamen, stoben alle anderen Stuten wie von der Tarantel gestochen davon. “Weiber …”, murmelte ich und hielt bei einem Bild des Braunen an. “Hier, guck.”
      “Hübsch sieht er ja aus.” Bellamy streichelte Smarties Hals. “Seit wann gehört die eigentlich dazu? Und vor allem seit wann hängen Candy und Devil zusammen rum?”
      “Da fragst du den falschen”, ich zuckte die Schultern, “keine Ahnung, wann das passiert ist. Es wundert mich genauso, wie es dich wundert … aber hast du gesehen, was für ein tolles Fohlen Devil und Blue bekommen haben? Wenn das mal keine Traumfarbe ist!”
      “Sieht Siri ähnlich – also von der Scheckung.”
      “Ja, ein wenig. Oh …” Ich rückte mir meinen Hut zurecht. “O schreibt gerade, Luchy ist mit Cleavant schon da. Sie warte aber solange, bis wir zurück sind.”
      Zügigen Schrittes gingen wir zurück zu den beiden Pferden, die neugierig den Hals über den Zaun streckten, um sich mit den anderen Stuten zu beschnuppern.
      “Lass dir das mit Ric und Plankton mal durch den Kopf gehen, Trooper kannst du dann ja immer noch dazu holen.”
      “Ich denk drüber nach.”

      Wieder auf der Ranch angekommen war Cleavant bereits ausgeladen und O unterhielt sich angeregt mit Luchy. Sie hatte den Wallach am Strick und ließ ihn am Rand eines Paddocks ein wenig grasen.
      “Hallo Luchy!”, begrüßte ich sie freundlich, lenkte mein Pferd in ihre Richtung und stieg ab. Ich drückte es Bellamy in die Hand, der nach einer kurzen Begrüßung Luchys in Richtung Stalls verschwand. Ich schaute ihm kurz nach, ehe ich mich dem Wallach zuwandte.
      “Hey Cleavant”, sagte ich die Hand ausstreckend und seinen Hals berührend. Der Braune hob den Kopf und musterte mich kurz, ehe er ihn wieder senkte und weiter fraß.
      “Ganz verhungert, der Arme”, lachte Luchy und übergab mir den Strick. “Ich hab leider gar nicht so viel Zeit und müsste jetzt auch wieder los.” Sie ging nach vorne zum Transporter, klaubte einen Stapel Papiere vom Beifahrersitz und drückte sie mir in die Hand. “Da stehen auch seine letzten Behandlungen drauf, falls er einen Schub bekommt meld dich gerne, dann helf ich.”
      Ich bedankte mich und wir winkten ihr kurz hinterher, während sie das Gelände über die lange Auffahrt verließ. “Na Kleiner, kennst du dich noch aus?”
      Als wir in Richtung der Paddocks gingen, auf denen die Ferienranchpferde untergebracht waren, hob Cleavant zusehends den Kopf, wieherte und bekam immer mehr Antwort.
      “Wo stellst du den denn jetzt hin?”, fragte mich O und lehnte sich an den Zaun, hinter dem die Stuten untergebracht waren. “Kannst ihn ja schlecht zu Dizzy stellen.”
      “Nein, den muss ich erst kastrieren lassen … ich stell ihn jetzt hier nebenan auf den leeren Paddock und stell ihn dann die Tage zu den Stuten rein, der kennt ja die gemischten Herden.”
      O nickte. “Ich bin dann mal nochmal rüber zu meinen, ich wollte mit Hunty gleich noch eine Runde ins Gelände.”
      “Viel Spaß.”

      Tschetan
      Die Feder am Hut befestigt, den Karton eng an die Brust gedrückt und den Hut auf meinem Kopf schlenderte ich über den Hof. Die laue Nacht hatte sich über die Ranch gelegt, aber ich konnte noch nicht hinüber ins Haupthaus. Ich zog mein Handy heraus. Schrieb eine Nachricht. Löschte sie wieder. Dachte nach. Schrieb eine Zeile, nur um wieder alles weg zu klicken. Dann steckte ich das Smartphone wieder in die Tasche. Da pingte es.
      >>Was schreibst du denn so lange?<<
      Ich starte auf die Nachricht von Nicholas. Ertappt.
      >Ich wusste nicht was ich schreiben soll.<
      >>Vielleicht sowas wie - noch wach?<<
      >Vielleicht.<
      >>Was ist denn? Du bist doch sonst nicht karg an Worten?<<
      Ich schlenderte hinüber in den Stall, schaltete das Licht ein, schoss mehrere Selfies. Sah mir alle Bilder an … um Nicholas dann ein Bild hinüber zu senden.

      >>Scout! Wow, wo hast du den denn her?!<<
      >Den haben mir Louis und Ylvi geschenkt….Louis hat mich damit quasi in den Bund der Männer aufgenommen. Große Sache für die Jungs meiner Ahnen. Ich bin noch ganz überwältigt.<
      >>Gab's son richtiges Mannbarkeits-Ritual?<<

      Ich schmunzelte und schaltete das Licht wieder aus, ließ mich aber in der Stallgasse auf den Boden sinken. Schrieb Nicholas von dem Essen, dem Frybread und erklärte ihm, wer Logan war. Das leichte Mahlen der Zähne des Pferdes hinter mir in der Box erfüllte dabei meine Ohren. Ich las nochmal was ich geschrieben hatte und schickte den Text mit dem Pfeil weg.

      >>Klingt ehrlich gesagt ganz schön kompliziert mit Logan. Ich hab niemals gedacht, dass es innerhalb eurer Community solchen Rassismus gibt. Dieser ganze Kontinent hat ein arges Problem. Und Logan ist jetzt hier um, was? Dich und Kaya im "Lakota sein" zu unterrichten?<<
      >Ich denke das ist Teil seiner Intention, ja. Allerdings hat er nicht vor, das hier zu tun. Er will uns unbedingt nach Pine Ridge holen für die Zeit der Ferien.<

      Es brauchte lange, bis eine Antwort kam.
      >>Darf er das so einfach entscheiden?! :O<<
      >Nein. Louis und Ylvi haben deshalb das Essen gemacht. Sie lassen uns die Wahl, wir dürfen beide selbst entscheiden. Ich war erstmal zu perplex eine Wahl zu treffen.<

      5 Minuten wartete ich auf eine Antwort. Nicholas schien lange darüber nachzudenken. Oder wie ich vorhin, seine Antworten immer wieder zu löschen. Schließlich standen dort nur 3 Worte.
      >>Wirst du gehen?<<
      Im Dunkeln erhob ich mich, presste den Hutkarton wieder an meine Brust, schlenderte durch die lange Gasse. Mit jedem Schritt abwägend. Doch eigentlich war die Antwort klar. Bevor ich die Schiebetür des Stalltraktes öffnete, tippte ich eine einzige Nachricht an Nicholas:
      >Und mir den Sommer mit dir entgehen lassen?<

      Bis ich oben in meinem Zimmer war, sah ich mir seine Antwort nicht an. Aber Nicholas hatte mir ein GIF geschickt in dem sich 2 Strichfiguren umarmten. Meine Augen blieben darauf hängen, sodass ich seine Antwort darunter erst gar nicht sah.
      >>Die Pferde die wir trainieren, die geplanten Ausflüge mit allen. Ich seh es schon kommen! Das wird der Sommer unseres Lebens!<<

      Ylvi
      Ich lag im Dunkeln wach. Wälzte mich im Bett umher, drehte mich auf die andere Seite. Starrte wieder hoch an die Decke, spürte, wie die Muskeln in meinem Körper zuckten. Dann richtete ich mich auf.
      "Ylvi, verdammt. Steckt da in deinem Inneren heute ein Wespennest?"
      " 'tschuldige..Ich kann heute einfach keinen Schlaf finden."
      "Gar nicht zu merken…", grummelte Louis halb verschlafen aus der Düsternis. Dann bewegten sich die Decken, ich spürte seinen Kopf in meinem Schoß. "Wenn du dich bewegen willst kannst du mir ja den Kopf streicheln?", brummte er. Ich musste auflachen. Manchmal verhielt er sich wie ein Stubentiger.
      "Hast du vorhin mitbekommen was Tschetan gesagt hat?", leicht fuhr ich dabei durch den langen Haarschopf von Louis. Dieser antwortete nicht, aber ich spürte sein Kopfschütteln. "Ina… er hat mich Ina genannt als er sich bedankt hat. Dabei habe ich Kayas Gesichtsausdruck gesehen… sie schien einen Moment… erschüttert."
      Ina war der Begriff für Mutter in der Sprache der Lakota. Tschetan hatte mich seine Mutter genannt. Ich wusste wie fluid die Verwandtschaftsverhältnisse in den meisten Indigenen Kulturen waren. Kaya und Tschetan hatten Louis schon immer Vater genannt, seitdem sie bei uns lebten. Doch nie hatte einer der beiden Kids mich als Mutter bezeichnet. So sehr mich die Bezeichnung vorhin zu Tränen gerührt hatte, so hatte ich die Bestürzung von Kaya gesehen. Ihr Schweigen und ihre verhaltene Art im Verlauf des weiteren Abends hatten mir gezeigt, dass sie verwirrt schien. Beim zubettgehen hatte ich sie darauf ansprechen wollen. Allerdings nicht gewusst, wie ich am besten anfangen sollte. Auch Louis meldete sich erst nicht zu Wort.
      "Das erklärt ihre steinerne Art."
      "Ob sie ihrem Bruder nicht zustimmt? Ob sie beleidigt ist?", fragte ich besorgt.
      "Möchtest du denn Mutter von ihr genannt werden?"
      "Nein… ich… will und kann ihre Mutter gar nicht ersetzen. Ich hatte doch mit Kindern nie Berührungspunkte bis zu den beiden. Mit ihrem Mutismus anfangs war es so schwer. Mit Tschetan war es einfacher, er war bereits ein junger Teenie als er zu uns kam." Ich hielt inne, starrrte nur in die Dunkelheit. Lange blieb es still.
      "Vor einiger Zeit hatte ich ein Gespräch mit ihr darüber. Betsy hatte es angestoßen. Sie hat Kaya gegenüber erwähnt, dass sie Angst hat Dells Gesicht zu vergessen. Wie das ihrer Mutter. An dem Abend fand ich Kaya weinend im Bett. Hat mich ‘ne Weile gekostet ihr alles aus der Nase zu ziehen."
      Louis richtete sich jetzt auf. Nur vage konnte ich seine Silhouette vor mir erkennen. Doch ich musste es auch nicht. "Sie macht grad eine schwierige Phase durch. Tatsächlich schiebt sich immer mehr dein Gesicht in die Erinnerung ihrer Mutter. Ihre eigene war nie da… und wenn sie da war, dann betrunken oder high. Kaya hat so wenige Erinnerungen an eine normale Mutter. Die einzigen guten Erinnerungen an eine Vorbildperson in ihrem Leben… das bist du. Sie hat, ähnlich wie Betsy, Angst, ihre wirkliche Mutter zu vergessen. Ich denke… heute Tschetan zu hören, wie er dich Mutter nennt, lässt sie denken, dass auch er seine Mutter längst vergessen hat."
      "Sollte ich darüber mit ihr reden?"
      Louis griff nach meiner Hand, strich über den Handrücken. "Ich denke das ist etwas, dass Kaya selbst für sich herausfinden muss. Falls sie Probleme hat, wird sie mit Tschetan darüber sprechen, oder mit Betsy. Versuch dir einfach nicht zu viele Gedanken darüber zu machen."
      "Pfft.."
      "Leichter gesagt als getan, ich weiß", lachte Louis sanft, dann zog er mich am Nacken zu sich heran. Unsere Lippen berührten sich zärtlich in der Dunkelheit und während seine Finger auf Wanderschaft gingen… klopfte es ganz leise an der Tür. Dann steckte Kaya plötzlich einen Kopf durch die Tür.
      "Seid ihr noch wach?", flüsterte sie ebenso leise. Ich hörte Louis leichtes Auflachen, spürte seine Stirn an der Meinen. Unendlich langsam glitt seine Hand von meiner Brust.
      "Nein Kaya, wir sind noch wach", flüsterte ich mit belegter Stimme.
      "Darf ich bei euch schlafen? Mein Zimmer erscheint mir heute so leer."
      "Rutsch rüber Louis!"
      Dann kuschelte sich Kaya vorsichtig neben uns – da war ich wirklich froh um das große Kingsize Bett.
      "Gute Nacht ihr beiden", flüsterte Louis, legte seinen Arm um Kaya. Seine Hand kam auf meiner Schulter zum liegen und streichelte die Stelle. Und mit diesem Empfinden auf der Haut und Kayas langsamer werdendem Atem in meinem Nacken fand auch ich endlich meinen Schlaf.

      Fohlenweide: Run Outta Color, BR Wimpys Blue Gun, BR South Texas Gangster, BR Rebel Hearted, BR Heavens Wild Side, BR Devils Angel Eyes
      Jungpferde: Blue Fire Cat, BR Atlantis Dream, BR Colored in Style, BR Dress to Impress, BR Homecoming Queen, BR Raised to Slide, BR Sheza Topnotch Babe, BR Wimpys Bright Gangster, Captains Blue Crystal, Gun Sophie, Jacks Inside Gunner, BR Alans Smart Dream, BR Colonels Golden Gun, BR Colonels Lil Joker, BR Double Gunslide, BR General Pleasure, BR Heart N‘ Soul, BR Hollywooda Dream Anthem, Chocolate Dazzle, Rocking Waves
      Trainingsstall: Bittersweet Temptation, Whitetails Shortcut, Zues, Abandon all Hope, HMJ Courtesy, HMJ8345’s Continental, Lady Blue Skip, Tortured Witch HMJ 6693, Blanton’s Gentleman, Chic N‘ Shine, Four Bar Chocolate Becks, GRH’s Funky’s Wild Berry, HMJ Saintly, How‘ Bout Moonies, PFS‘ Unclouded Summer Skies, Smart Lil Vulture, tc Mister’s Silvermoon Cody, Thiz Bye Bye Bay
      Zuchthengste: Small Town Dude, Dual Shaded Ace,GRH’s Bellas Dun Gotta Gun, GRH’s Unbroken Soul of a Devil, Gun and Slide, Gunners Styled Gangster, Heza Bat Man, Till Death, HGT’s Unitato, Chapman
      Zuchtstuten: Up Town Girl, Black Sue Dun It, California Rose, DunIts Smart Investment, Easy Going, Frosty Lagoon, Ginger Rose, Ginny my Love, GRH’s A Gun Colored Lena, GRH’s Aquila T Mistery, GRH’s Unbroken Magic, Lovin‘ Out Loud, Magnificient Crow, Only Known in Texas, Stormborn, Striga, Tainted Whiz Gun
      Einsteller: Breia LDS, Ceara Isleen, Dakota, Drama Baby, Leuchtfeuer di Royal Peerage, Moonshine LDS, Pocahontas, Prias Colourful Soul, Raspbery, Tigres Eye, Wunderkerze LDS, Absolute Bullet Proof, Alaric, Birk, Culain, Fancy Like Romeo, Heldentum LDS, Myrkvidr, Peacful Redemption, Vandal LDS, WHC‘ Happy Sunshine, Wildfire xx
      Dells Rookie Ranch: Cleavant ‘Mad Eyes‘, A Walking Honor, Chou, Jade, Like a Prayer, Kristy Killings, Honey’s Aleshanee, Colonels Blue Splash, Kisshimbye, BR Dissident Whiz, Sweet like Chocolate
      Übergangsweise: Priamos Ruffia Kincsem, Wimpys Little Devil, Miss Independent, Snapper Little Lena
    • Veija
      Scouting is a game for boys
      Teil 2
      von Ravenna & Veija
      Cayce
      “Und du sollst den jetzt ausprobieren? Schon vor dem Frühstück?”, fragte ich an Bellamy gewandt, der den dunklen Westernsattel auf den Rücken des braunen Hengstes legte. Ich erhielt nicht sofort eine Antwort, Bellamy schien mit dem Festzurren des Sattelgurtes beschäftigt. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Wand, sah ihm dabei zu, wie er sorgfältig die Länge der Bügel kontrollierte. Erst dann wandte er sich mir und Tate zu, der bereits fertig gesattelt darauf wartete, dass wir endlich los konnten.
      “Caleb hat gesagt, ich soll dem eine Chance geben. Das mach ich jetzt. Aber ich habe das Gefühl, dass die klassischen Westernpferde nichts für mich sind.” Er lachte kurz auf. “Außerdem möchte ich, was du bestimmt schon mitbekommen hast, Octavia Trooper abkaufen.”
      Ich zog die Augenbrauen nach oben. “Trooper, wer ist das nochmal?” Man konnte schließlich nicht alle Pferde hier mit Namen und Spitznamen kennen, vor allem nicht die Pferde von O.
      “Der Palomino.”
      Ich sah ihn weiterhin fragend an.
      “Das Polopferd.”
      Nun ging mir ein Licht auf. Natürlich. “Mir war sein Spitzname entgangen”, meinte ich schulterzuckend. “Den reitet ihr beide doch gerade ein?”
      Bellamy nickte, zurrte die Trense fest und schien nun endlich fertig zu sein. Ich stieß mich von der Wand ab und verließ nach einem Nicken Bellamys zuerst die Stallgasse. Draußen gurtete ich nach, ehe ich mich in den Sattel schwang. Tate legte, wie immer, die Ohren an und kaute überaus genervt auf dem Gebiss herum. “Irgendwann werden wir zwei noch Freunde, Tate.”
      “Hast du was gesagt?”, fragte Bellamy, der nun neben mir auftauchte und sich meinen Schecken genau anschaute. “Der sah auch schon mal freundlicher aus.”
      Eine Antwort auf seine Frage blieb ich ihm schuldig. Stattdessen antwortete ich: “Der braucht einfach ein wenig. Du weißt doch, er hat es nicht so mit Umstellungen. Ich hoffe aber, dass er sich mit mir und unserer Arbeit anfreundet. Denn falls ja, geht er wohl in meinen Besitz über.”
      “So?”, Bellamy horchte auf, “jeder braucht ein zweites gutes Pferd.”
      Ich lachte. “Genau. Außerdem fehlt mir eins, was ich für mich ausbilden kann. Die Trainingspferde schön und gut, aber da ist alles festgelegt und geregelt.. mit Shorty kann ich machen was ich will und die Freiheit habe ich jetzt für Tate auch bekommen.” Ich schnalzte und wir gingen im Schritt los. “Also Bellamy, wo wollen wir hin?”
      Er schien einige Zeit überlegen zu müssen, so dass ich Tate schon einmal in Richtung der Bungalows lenkte. Bellamy und Plankton folgten mir schweigend. Der dunkelhaarige machte eine gute Figur auf dem Hengst. Richtige Westernpferde standen ihm durchaus.
      “Extreme Trail”, lachte er und trabte den Hengst neben mich. “Lass uns die Pferde einfach mal im Gelände so richtig testen. Plankton würde das gut tun. Außerdem könnten du und Tate euch besser kennen lernen.”
      Ich nickte und trabte den Hengst an. Nach einem kurzen Schweifschlagen wurde der Schecke schneller und zog Plankton mit sich mit.
      Hinter den Bungalows galoppierten wir die Pferde an und verließen das Ranchgelände durch den hinteren Wald.
      Caleb
      Beim Verlassen des Haupthauses setzte ich mir meinen Hut auf den Kopf und schloss die Tür hinter mir. Das Frühstück war gerade beendet, die Kids in die Schule und der Hof wie leergefegt. Von Cayce wusste ich, dass er und Bell mit Tate und Plankton unterwegs waren. Ich deutete es als gutes Zeichen, dass er den Wallach heute erneut ritt – und natürlich, dass Bellamy sich Plankton annahm.
      Mein Weg führte mich zunächst zu Cleavant, der, wie auch immer er das geschafft hatte, nicht mehr auf seinem Paddock stand sondern sich munter unter die Ferienranchstuten gemischt hatte. Ich schüttelte den Kopf, fing ihn mir dennoch aus der Herde heraus und schaute ihn einmal von oben bis unten an, ob er sich etwas getan hatte. Mir fiel keine Schramme oder sonstige Verletzung ins Auge, so dass ich ihn wieder in die Herde entließ. Kurz kam mir ein Gedanke, den ich sogleich jedoch wieder verwarf. Conti würde die kleine Dude Ranch Herde mit ihrer Ponygröße durchaus bereichern, allerdings fasste sie so schwer Vertrauen, dass ständig wechselnde und unerfahrene Reiter gar nicht gut für die kleine Stute sein würden. Ich war froh, dass sie und Aimee so gut harmonierten, dieses Team wollte ich dadurch nicht zerstören.
      Bei den vier anderen Neuankömmlingen schaute ich auch kurz vorbei. Hero und Vandal grasten friedlich, Rocket und Romeo betrieben gegenseitige Fellpflege.
      Als ich Richtung Stall ging, sah ich Ylvi und Louis mit Futterschüsseln in Richtung der Jährlinge gehen. Unwillkürlich schaute ich ihnen nach, sah Ylvis angestrengten Gang, da sie sich wieder mehr aufgeladen hatte, als sie eigentlich tragen konnte.
      “Du schaust sie schon wieder so an.” Laurence räusperte sich hinter mir.
      Perplex drehte ich mich um. “Wie denn?”, war die erste Frage, die mir in den Kopf schoss.
      “Oh Junge… so, wie man keine verheiratete Frau ansehen sollte.” Er machte auf dem Absatz kehrt und ließ mich verwirrt zurück.
      So wie man keine verheiratete Frau ansehen sollte?
      Diese Frage beschäftigte mich den ganzen Morgen. Meine fehlende Konzentration wirkte sich auch auf das Training der Pferde aus. Vulture baute einen Buckler nach dem Anderen ein – untypisch für ihn, das Thema hatten wir eigentlich ausdiskutiert.
      Brian, der mit uns in der Halle war und Cody ritt, konnte wohl irgendwann nicht mehr Schweigen.
      “Mensch Caleb, lass den doch vorne mal los. Der hat gar nicht die Chance, mal runter zu kommen wenn du den so festhälst.”
      Ich grummelte etwas unverständliches vor mich hin, lockerte die Zügel ein ganzes Stück und ritt den Hengst auf dem Zirkel im Schritt. Heute war nicht der Tag, um schwierige Lektionen zu üben.
      Als mir diese einfache Übung allerdings auch nicht gelingen wollte, sprang ich aus dem Schritt vom Pferd, nahm mir den Hut vom Kopf und fuhr mir einmal durch die Haare. Dann platzte ich mit der Sprache heraus: “Findest du auch, dass ich Ylvi mit einem Blick anschaue, mit dem ich sie als verheiratete Frau nicht anschauen dürfte? Laurence sagte das heute morgen zu mir und…”
      “Ja.”
      Völlig perplex starrte ich ihn an. “Ja? Mehr hast du nicht zu sagen?”
      Brian hielt Cody neben uns an, legte die Zügel ums Horn und lehnte sich darauf, um sich ein wenig zu mir runter zu beugen. “Ja, ich finde, du siehst sie so an.”
      Seufzend rieb ich mir die Schläfen. “Ich dachte, es würde einfacher werden.”
      “Inwiefern?”
      “Zeit heilt alle Wunden und so, du kennst doch das Sprichwort.”
      Lachend schüttelte Brian den Kopf. “Ich habe eure Geschichte ja nicht hautnah erlebt, aber sowas heilt die Zeit bestimmt nicht.”
      “Danke, für deine aufmunternden Worte”, murmelte ich und streichelte Vultures Hals.
      “Du meinst: danke, für deine ehrlichen Worte.”
      “Jaja, wie auch immer.”
      “Und jetzt hör für den Moment auf, daran zu denken. Denk an Vulture und das, was ihr zwei heute noch erreichen wollte. Es bringt weder dir noch ihm etwas, wenn du hier und jetzt mit den Gedanken nicht bei der Sache bist.”
      Damit hatte er Recht. Ich seufzte, gurtete nochmal kurz nach und setzte mich, ohne weitere Gedanken an Ylvi zu verschwenden, aufs Pferd.
      Für den Rest unserer Trainingseinheit strengte sich Vulture besonders an, sodass wir zum Abschluss noch eine gemütliche, die Gedanken baumelnde Runde ins Gelände gingen.
      Weit kamen wir allerdings nicht, da hörte ich hinter mir Hufgetrappel und ein: “Caleb, warte!”
      Ylvi. Ich seufzte.
      Ich setzte mich tief in den Sattel, streckte die Beine leicht vor und Vulture blieb stehen. Ylvi trabte mit Kiss auf meine Höhe auf, ehe sie die Stute in den Schritt durchparierte und auch ich meinen Hengst mit einem kurzen Schnalzen wieder antreten ließ.
      “Hab gesehen, dass du raus gehst. Da dachte ich, ich schließe mich dir an.”
      “Hm”, antwortete ich wortkarg.
      “Hattest du keinen guten Morgen?”
      “Doch doch, schon.”
      Ylvi schwieg, schien zu überlegen, was sie als nächstes sagen sollte. Sie entschied sich jedoch dazu, zu schweigen und einfach stumm neben mir her zu reiten.
      Schließlich, als ich mich gerade mit der Stille angefreundet hatte, sagte sie: “Wir haben Tschetan gestern den Hut gegeben und ihm von Logans Absicht erzählt. Er hat sich sehr über den Hut gefreut, möchte allerdings den Sommer auf der Ranch verbringen.”
      Ich nickte. “So?”
      “Kaya allerdings möchte in die Reservation und da haben wir, also Louis und ich, uns gedacht, ob Betsy sie nicht vielleicht begleiten möchte?”
      Das war also der Grund, weshalb sie zu mir aufgeschlossen hatte. Ich überlegte kurz. Betsy würde Abwechslung mit Sicherheit gut tun. Kaya wäre nicht alleine, sie hätte ihre beste Freundin bei sich und Betsy würde endlich etwas zu sehen bekommen, was sie nicht ständig an ihren Vater erinnerte. “Von mir aus gerne, fragst du sie später?”
      Ylvis Nicken nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, während ich weiter starr geradeaus schaute.
      “Caleb, ist alles in Ordnung mit dir?” Ich vernahm einen Anschwung von Besorgnis in ihrer Stimme. Als ich gerade zu einer Antwort und einem gelogenen ‘Alles ist gut’ ansetzen wollte, hörte ich Cayces lautes Fluchen.
      Ohne weiter über eine Antwort nachzudenken, galoppierte ich Vulture harsch an und lenkte ihn in die Richtung, aus der das Stimmengewirr zu kommen schien. Ylvi setzte mir ohne zu zögern nach, ehe wir zusammen bei Cayce und Bellamy ankamen.
      Tate buckelte, mal wieder, was das Zeug hielt, während Cayce sich krampfhaft am Horn festzuhalten schien. Bellamy, der abgestiegen war und Plankton, der das ganze amüsiert zu beobachten schien, standen etwas abseits, während Cayce fluchend seine Runden drehte.
      Ich warf einen Seitenblick zu Ylvi, die Cayce mit aufgerissenen Augen anstarrte. Schließlich fing ich schallend an zu lachen. Bells und Ylvis Blick flogen fragend zu mir rüber. Cayce warf zwischen seinen Flüchen ein “Nicht witzig” ein.
      Als Tate meinem Vulture zu nah kam, quietschte dieser auf und schlug mit einem seiner Vorderhufe harsch auf den Boden. Das veranlasste Tate dazu, einen Satz nach hinten zu machen und das Buckeln augenblicklich bleiben zu lassen.
      “Wie ich sehe, habt ihr zwei euch angefreundet.”
      “Dieser dumme Gaul!”, fing Cayce an, schwang sich jedoch dann von dessen Rücken und sammelte sein Lasso wieder ein, welches sich an einem umgestürzten Baum verfangen hatte. “Beim ganzen bisherigen Ritt war der super, trittsicher, verlässlich, ein Musterschüler wie Plankton, der Bellamy übrigens extrem gut steht”, fing er an zu erzählen, “und dann werf ich das Lasso und die Sau fängt wieder an zu buckeln wie verrückt. Der macht das mit einer Ausdauer, die glaubst du nicht!”
      Ich schmunzelte und entschied mich dazu, etwas Öl ins Feuer zu gießen. Cayce brauchte das manchmal. “Also bei mir hat der noch nie gebuckelt.”
      “Nie gebuckelt!”, Cayce redete sich in Rage, “das glaubt man doch nicht! Nie gebuckelt… das kannst du wem anders erzählen, pah!”
      Als Cayce sein Rope wieder aufgewickelt hatte, setzte er sich erneut in den Sattel, nahm die Zügel in die linke Hand und schwang das Lasso, um den Baumstamm erneut zu fangen. Tate stand da wie eine Eins, rührte sich nicht vom Fleck und spielte neugierig mit den Ohren.
      “Ich weiß nicht, was du hast. Klappt doch.”
      Cayce murmelte etwas Unverständliches, löste das Lasso und befestigte es wieder am Horn seines Sattels. Auf dem Absatz machte er kehrt und schlug den Weg Richtung Ranch ein.
      “Ich glaube, ich sollte ihm folgen.” Mit diesen Worten trabte Bellamy ihm hinterher. Auf meine Frage, wie es denn mit Plankton klappte, zeigte er mir ein flüchtiges ‘Daumen hoch’.
      “War es nicht etwas gemein, ihn so auszulachen?”, fragte mich Ylvi, als wir unseren Weg fortsetzten.
      “Ach was, Cayce hatte doch alles unter Kontrolle. Außerdem buckelt Tate so nett, dass man sich gut auf ihm halten kann. Hat er bei mir auch schon.”
      “Aber du sagtest doch…”
      “Ja, sagte ich. Ich wollte Cayce anstacheln. Der braucht das, Tate passt zu ihm.” Schmunzelnd schaute ich zu ihr rüber. Möglichst darauf bedacht, sie nicht mit ‘diesem Blick’ anzusehen. “Wie gesagt, ich gebe den beiden zwei Wochen, dann gibt Cayce ihn nicht mehr her.”
      Ylvi kicherte. Sie sah süß aus, wenn sie kicherte und… sofort wandte ich meinen Blick wieder geradeaus. Ich konnte so nicht fühlen – ich durfte so nicht mehr fühlen.
      Ylvi
      Ich 'bereute' direkt, als ich mit Kiss aufritt, dass ich Caleb hinterher geritten war. Es machte auf mich ein wenig den Eindruck, als hätte er lieber allein sein wollen. Auch meine eindringlichen Fragen ließen in mir den Verdacht erhärten. Nun hatte er mich allerdings an seiner Backe und nach der Begegnung von Cayce und Bellamy schien sich seine Art wieder ganz stark gewandelt zu haben. Ich konnte nicht umhin seine Reaktion… vielmehr seinen Blick auf mein herzliches Lachen zu bemerken. Seine plötzliche Starre, die darauf folgte. Nur schwer konnte ich das Seufzen unterdrücken. Was ich jedoch nicht verhindern konnte, war mein innerliches Zusammensinken im Sattel. Selbst Kiss bemerkte meine Starre, wurde ein wenig unruhig und rempelte dabei gegen Vulture, wobei beide Pferde unsere Knie zwischen sich einklemmten. Ich trieb Kiss mit dem Bein wieder nach außen, die Schamesröte in meinem Gesicht. Gern hätte ich meinen Hut tiefer ins Gesicht gezogen, allerdings trug ich keinen.
      Wir waren so gut auf Kurs gewesen. Wieder eine Freundschaft zu formen. Ich hatte wirklich gedacht, das würde sich alles wieder in die richtige Richtung entwickeln. Doch mir waren Calebs Blicke nicht entgangen. Auch nicht das Tuscheln der Mitarbeiter. Gott! Noch viel schlimmer – Tschetan hatte gesehen, wie wir uns geküsst hatten. Mehr als einmal!
      Ich räusperte mich: "Caleb denkst du daran, dass wir am nächsten Wochenende eingeladen sind auf den Geburtstag drüben auf der Ranch der Morrissons?"
      "Hab ich noch im Kopf...", sagte er, dabei stur nach vorn schauend.
      "Louis und ich haben uns darüber schon unterhalten. Ich hab sogar mit Dolly gesprochen. Was schenkt man denen?"
      Caleb lachte auf, er hatte ebenso wie ich schon das Vergnügen gehabt dort drüben zu sein. "Tja, was schenkt man Millionären", murmelte er etwas … neidisch? Spöttisch?
      "Ich bin mir sicher, die haben uns auch nur aus Höflichkeit eingeladen… oder um mit deren Prunk anzugeben?", erwiderte ich darauf.
      "Hab ich dir eigentlich erzählt, dass sie versucht haben, Cayce abzuwerben?"
      "Haben sie nicht!"
      "Haben sie...", Caleb sah mich aus dem Augenwinkel flüchtig an.
      "Arrogante Geldsäcke", grummelte ich überrascht.
      "Hat deren Geburtstag wieder so ein dämliches Thema?"
      Mit Grauen erinnerte ich mich an das Thema "Rom" aus dem letzten Jahr. Jeder Gast hatte eine lächerliche Robe tragen müssen. Alles war in weiß und Marmor gehalten worden.
      "Pfft, DU hast dich letztes Jahr schön raus gehalten!" Dieses Mal ließ ich Kiss mit Absicht näher an Vulture heran, um Calebs Knie einzuklemmen. Dieses Mal jedoch schien der Hengst genervt und schnappte in die Richtung meines Reittieres. Caleb grinste mich verschmitzt an. Ich streckte ihm nur meine Zunge raus.
      "Also, gibt es ein Thema?"
      "Ich glaube 'Glamour' stand in der Einladung."
      "Besteht also die Chance auf dich in Heels und Kleid?"
      "Und dich ohne Hut?"
      "Niemals!"
      Ich schüttelte den Kopf und lachte herzhaft. Da war er wieder…Calebs treuer…verruchter Blick aus seinen blauen Augen, der auf mir lag. Würde es jemals einfacher werden, ihn um mich zu haben?
      Caleb
      Nach meinem Ausritt, unter der Begleitung von Ylvi, führte mich mein Weg wieder ins Haus. Die Züchter von Benny wollten mir mehr Bilder ihrer zu verkaufenden Jährlinge zuschicken. Weit kam ich allerdings nicht, denn mein Blick blieb auf Dolly hängen, die dabei war, die Regale im Wohnzimmer abzustauben. Als ich meinen Blick im Raum wandern ließ und schließlich an den Bildern auf dem Kaminsims hängen blieb, lächelte ich. Dort standen so viele schöne Erinnerungen!
      “Oh Mister Caleb, ich habe Sie gar nicht kommen hören”, entschuldigte Dolly sich und wischte ihre Hände an der Schürze ab, nachdem sie von der kleinen Trittleiter abgestiegen war.
      “Ach Dolly, wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst mich einfach Caleb nennen”, ich schmunzelte, kratzte mich jedoch verlegen am Kopf und trat weiter in den Raum hinein. “Ich habe mir gerade die Bilder auf dem Kaminsims angeschaut und festgestellt, dass dort viele schöne Erinnerungen ihren Platz gefunden haben.”
      Dolly nickte, betrachtete ebenfalls die Bilder und sagte: “Es ist schön zu sehen, dass auch Betsys Eltern einen Platz hier gefunden haben.” Sie wandte sich wieder um, griff nach einem der Bücher und zog es aus dem Regal, um es auf den Tisch zu legen, damit sie dort wischen konnte. Dies tat sie auch mit den weiteren Büchern aus der gleichen Reihe.
      Als sie beim letzten Buch angekommen war, flatterte aus diesem ein Foto zu Boden und kam mit der bedruckten Seite nach unten zum Liegen.
      “Huch, so etwas…”, kommentierte Dolly das Herunterfallen und bückte sich, um das Bild aufzuheben. Auch ich machte einen Schritt auf sie zu, doch sie kam mir zuvor.
      Sie hob das Foto auf, drehte es um und schaute es an. Mit einem warmen aber auch traurigen Lächeln sah sie zu mir hoch. “Sehen Sie selbst, Mister Caleb.”
      Mit diesen Worten reichte sie mir das Foto. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, starrte eine ganze Weile auf die Erinnerung in meiner Hand. Zu sehen waren Verena, Chocolate, Nachtschwärmer und ich. In ihrer rechten Hand hielt sie den Hengst am Zügel fest, in der linken die Turnierschleife eines ersten Platzes. Sie grinste überglücklich in die Kamera. In meiner linken Hand hielt ich Fly locker am Strick, in der Rechten die Turnierschleife eines zweiten Platzes. Mein Blick richtete sich nicht auf die Kamera, sondern auf Verena. Er kam ‘diesem Blick’, mit dem ich Ylvi ansah, ziemlich gleich.
      Ich seufzte und sah zu Dolly hoch. “Ich kann mich noch genau an diesen Tag erinnern. Wir sind in der gleichen Klasse gestartet, es gab nicht viele Teilnehmer … dennoch hat Verena mit Chocolate den 1. Platz belegt, während ich es mit Fly nur auf den 2. Platz geschafft habe. Das hat sie mir ewig vorgehalten!” Ich lächelte gequält und ließ meinen Blick wieder über die anderen Bilder schweifen.
      “Es gehört auch hierher”, Dolly deutete auf den Kaminsims, “dieses Bild gehört auch dazu. Warten Sie, Mister Caleb, ich hole schnell einen Bilderrahmen!”
      “Aber nicht doch, ich mach das schon …”, setzte ich an, doch sie hatte den Raum bereits verlassen. ‘Dieser Blick’, hallte es in meinem Kopf nach. Hatte ich Verena dieselben Blicke zugeworfen, die ich Ylvi jetzt zuwarf – jetzt wieder zuwarf?
      Ich konnte keine weiteren Gedanken fassen. Dolly betrat das Wohnzimmer und hielt einen schwarzen Bilderrahmen in die Höhe. “Ich habe auf die Schnelle nur diesen hier gefunden. Mit seinem glänzenden Schwarz sticht er zwar wirklich aus den anderen hervor …” Sie griff vorsichtig nach dem Bild, welches ich ihr ohne zu zögern gab, entfernte die Verpackung und rahmte es mit flinken Fingern ein.
      Nach einem letzten prüfenden Blick überreichte sie mir den Rahmen, drückte mir mütterlich die Hand und widmete sich dann wieder ihrer Arbeit.
      Ich senkte erneut den Blick, lächelte, strich mit dem Finger über das Glas und stellte das Bild schließlich auf den Kaminsims. Es fand einen Platz direkt neben einem Bild Verenas mit ihrem geliebten Gipsy. Wehmütig drehte ich mich um und verließ das Wohnzimmer.
      Als ich mich später durch die Fotos der Jährlinge klickte, blieb ich nicht lange alleine. Betsy gesellte sich zu mir, zog sich den Stuhl von Ylvis Tisch heran und setzte sich neben mich. Sie war noch immer begeistert von dem Pferd ‘ohne Farbe’, also dem Schimmel, der kein Schimmel war.
      “Der ist so hübsch mit seinen blauen Augen, die sehen richtig feurig aus!”
      “Die sind doch nicht rot…”, murmelte ich und vergrößerte das Kopfbild des Tieres.
      “Wieso rot?”
      “Na wenn er rote Augen hätte, könntest du sagen, die sehen feurig aus. Aber doch nicht mit dem schönen blau!”
      Betsy zog einen Schmollmund, nahm mir die Maus aus der Hand, zoomte wieder aus dem Bild heraus und klickte das Vorherige an: “Aber guck doch, hier schimmern die ganz anders und sehen irgendwie … feurig aus!”
      Nach genauerer Betrachtung musste ich ihr zustimmen. Auf diesem Foto sahen seine Augen wirklich … feurig aus. “Passt aber nicht zu seinem Charakter.”
      “Hm?”
      “Na die feurigen Augen. Laut Beschreibung ist der unglaublich mutig und geht auf alles unerschrocken zu. Er ist freundlich und neugierig. Aber leider eben taub.”
      “Ich find ihn trotzdem cool!”
      “Aber nicht für die Zucht, Betsy.”
      “Du hast nicht gesagt, dass du eins von denen für die Zucht kaufen möchtest”, sie schien kurz zu überlegen, “du hast eigentlich noch gar nichts dazu gesagt … wieso schaust du dir die Pferde da überhaupt an?”
      Ich lachte kurz auf. Betsy war ein Fuchs. Natürlich schaute ich mir die Tiere nicht einfach nur zum Spaß an. Benny hatte mich durch seine Farbe begeistert. Deshalb wollte ich herausfinden, was die Züchter noch so zu bieten hatten. “Ich guck mir die Pferde natürlich mit Kaufgedanken an”, beantwortete ich ihre Frage, “ob fürs Turnier oder die Zucht kann ich dir nicht sagen, aber vermutlich eher für die Zucht. Schließlich haben die ein paar echt schicke Farben … guck hier, der Rapphengst von heute Mittag. Sowas sieht man auch nicht alle Tage!” Ich vergrößerte das Bild des Rappsplashhengstes. Er war komplett weiß, besaß lediglich ein schwarzes Ohr.
      “Ich mag das Feuerpferd”, kommentierte Betsy fast trotzig und klickte die anderen Fotos ohne großes Interesse durch. “Jap, ich mag das Feuerpferd.”
      Grinsend schüttelte ich den Kopf. “Sag bloß …”, murmelte ich, schloss dann jedoch die Fotos und wandte mich ihr zu. “Hat Ylvi schon mit dir gesprochen wegen Kaya und Logan?” Betsy nickte. “Magst du mitfahren?” Wieder nickte sie.
      “Ich freu mich wirklich schon drauf – ist nur schade, dass Tschetan nicht mitkommt.”
      “Ja das ist wahr”, stimmte ich ihr zu, “allerdings bin ich schon etwas froh, dass er hier bleibt – in zehn Wochen Ferien kann er hier einiges mit anpacken.”
      Betsy lachte scherzhaft auf. “Der Aaaaarme”, täuschte sie Mitleid vor, ehe sie sich erhob.
      “Warte mal kurz”, ich stand ebenfalls auf und rückte meinen Stuhl an den Tisch, ehe ich ihren wieder an seinen Platz an Ylvis Tisch stellte, “wie lange seid ihr dann eigentlich weg? Die ganzen Ferien?”
      “Ich bin mir gerade gar nicht sicher, das muss ich nochmal nachfragen.”
      Ich nickte und warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Betsy folgte meinem Blick. Noch bevor ich etwas sagen konnte verkündete sie: “Zeit fürs Bett. Gute Nacht, Caleb.”
      “Gute Nacht.”
      Damit war sie verschwunden. Ich würde dran denken müssen, Louis oder Ylvi zu fragen, wie lange die Mädchen wegfahren würden – mit dem Hintergedanken, dass es Betsy vielleicht gar nicht erlaubt war, zu reisen. Schließlich war die Adoption in vollem Gange.
      Ylvi
      Obwohl mir die Augen bereits weh taten und ich immer wieder blinzeln musste, weil ich irgendwie drohte über dem Buch einzuschlafen, konnte ich mich gerade nicht losreißen. Allerdings konnte ich mir plötzlich ein Lachen nicht verkneifen… und ein gemischtes Aufstöhnen aus Lachen und Verblüffung. Ich streckte meine Knie aus, schüttelte den Kopf und ließ auch den Arm samt dem Buch auf meinen Oberschenkel sinken. Spürte wie das leichte Lachen meine Schultern zum Zucken brachte. Das war einfach zu absurd.
      Mein Blick ging zu der großen Standuhr, sie zeigte gerade kurz nach 21 Uhr an. Das Pendel bewegte sich behende von einer zur anderen Seite. Dolly hatte sich bereits in Richtung Bett verzogen. Louis hatte noch in Calgary zu tun. Daher hatte ich mich noch nicht in Richtung des Bungalows begeben, sondern hatte nach dem Abendbrot noch ein wenig im Büro gearbeitet und war anschließend mit meinem neuen Buch auf der Liegelandschaft hier im Wohnzimmer versackt.
      Plötzlich merkte ich eine kleine Bewegung am Rande meines Sichtfeldes. Als sich meine Augen scharf gestellt hatten, erkannte ich Caleb, der im Türrahmen stand. Für wie lange er dort wohl stand?
      “Was liest du da? Scheint sich ja zu lohnen, wenn es dich zum Lachen bringt.”
      “Och, wenn du eine Vergewaltigung, Fieber durch Infektion und das verfüttern des eigenen Haustieres amüsant findest”, sprach ich sarkastisch, allerdings erntete ich nur einen verwirrten Ausdruck von Caleb. Er kam näher, nahm das Buch aus meinem Schoß und blickte konsterniert auf den Titel.
      “Das wird dir …”
      “Die Töchter der Ilian” sprach er, in sehr holprigem Deutsch. Ich zog die Augenbraue nach oben.
      “Ich wusste nicht, dass du Deutsch sprichst.” Caleb hob abwehrend die Hände, um dann mit hartem Akzent “Bisschen” zu murmeln. Um ihn nicht weiter zu Foltern wechselte ich wieder zum Englischen, einer Sprache die mir mittlerweile genauso einfach von den Lippen ging wie meine Muttersprache. Ich hatte nur ein Paket einer Freundin aus Deutschland erhalten. Eine meiner einstigen Lieblingsautorinnen hatte ein neues Buch geschrieben, das hatte sie mir mit deutschen Snacks zugeschickt. Ich musste gestehen, mir gefiel die Geschichte zunehmend immer besser. Ich nahm ihm das Buch wieder aus der Hand, legte einen kleinen Schnipsel als Lesezeichen hinein.
      “Es scheint mir nicht um Pferde zu gehen.” bemerkte er.
      “Tatsächlich nicht. Ist eher eine Fantasy Geschichte, als Jugendliche hab ich sie geliebt. Aber irgendwann hatte ich das Gefühl, nur noch dieselben Geschichten mit unterschiedlichen Namen zu lesen. Da bin ich eher auf Historisches umgestiegen. Außerdem hab ich da draußen genügend Pferde…ich muss nicht noch von lesen.” Das brachte Caleb zum Lächeln. “Um ehrlich zu sein…früher konnte ich nicht viel mit Büchern anfangen. Aber seitdem hier im Wohnzimmer die Wände immer mehr zur Bibliothek ausarten, habe ich mich schon für ein paar erwärmen können.” Ich folgte seinem Blick. “Ich fürchte tatsächlich, dass wir irgendwann eins der Gästezimmer einstampfen müssen, um für mehr Regale Platz zu finden. Dolly hat schon welche in das Esszimmer verfrachtet.”
      “Ich fürchte, das ist auch nicht das einzige, was expandiert.” seufzte Caleb. Damit deutete er in Richtung des Kamins. Dort war mir bereits der neue schwarze Bilderrahmen aufgefallen. Erst jetzt trat ich näher heran, um mir das Motiv anzusehen. Caleb erkannte ich direkt, bei den Pferden war ich allerdings völlig verloren. Tatsächlich blieb ich auch eher an Caleb hängen...sein Blick. Etwas in mir versetzte mir einen Stich. Eine Mischung aus… Bewunderung und… ja wie nennt man es - Verehrung? Ein Blick voller Liebe. Das konnte ein blinder mit Krückstock erkennen. Er galt der jungen Frau neben ihm. Verena. Ich habe sie leider nie kennengelernt. Aber viele der Bilder hier auf dem Kaminsims zierten ihr Gesicht.
      “Auf dem Turnier hat sie mich einfach in Grund und Boden geritten”, sprach Caleb neben mir in Erinnerung schwelgend.
      “Ich hab mal einen Ritt von ihr und Gypsy auf YouTube entdeckt. Sie hatte wirklich ein Händchen für Pferde…”
      Weißt du, wer mich sehr oft an sie erinnert?”, ich schüttelte den Kopf.
      “Tschetan. Manche Dinge fallen ihm so natürlich in die Hand mit den Pferden. Ab und an hat der Junge zwar mehr Glück als Verstand. Aber sein Sinn für Pferde…ist dem von Verena wirklich verblüffend ähnlich.”
      "Förderst du ihn deshalb so?”
      “Das auch, aber auch um meiner wegen. Mich hat damals niemand gefördert, das kann ich jetzt alles zurückgeben. An Tschetan…an Kaya und auch Betsy. Großer Themenwechsel. Wie lang bleibt Kaya in der Reservation? Wir müssen morgen mal klären, wie lange Betsy überhaupt verreisen darf.”
      “Tatsächlich eigentlich gar nicht. Nur mit einem Erziehungsberechtigten. Ich hab’ da im Laufe des Tages schon mit der Behörde gesprochen. Gerade da sie die Grenzen von Kanada verlassen. Deshalb hat Louis beschlossen, die Mädchen und Logan zu begleiten. Dann darf Betsy für eine Zeit von 2 Wochen das Land verlassen.” Ich steckte mir das geschlossene Buch unter die Achsel, sah dann von meiner Betrachtung der Kaminbilder zu Caleb. Sein Blick flackerte schnell in eine andere Richtung, schien sich neu zu sortieren und schaute mich dann direkt an.
      “Da hast du schon wieder schneller an Dinge gedacht als ich”, seufzte er.
      Ich klopfte ihm locker die Schulter und lächelte: "Das lernst du auch noch. Anfangs war ich als Adoptivmutter völlig überfordert.”
      Caleb
      Ich schnaubte. “Wäre sie ein Fohlen, wüsste ich, mit ihr umzugehen!”
      Ylvi schüttelte belustigt den Kopf. “Gute Nacht, Caleb."
      “Gute Nacht, Ylvi.”
      Mit diesen Worten verließ sie den Raum – und schließlich das Haus, wie ich an der zufallenden Haustür hören konnte. Ich ließ einen letzten Blick über die Bilder schweifen. Aber natürlich!
      Mein Weg führte mich – leise, denn Tschetan und Betsy schliefen ja schon, nach oben in mein Schlafzimmer. Dort öffnete ich einen Schrank und kramte mich durch einen Haufen Hemden und Hosen, ehe ich sie fand. Die Kiste mit Bildern, die ich wieder vom Kaminsims entfernt hatte.
      Ich setzte mich aufs Bett, stellte die Bilderkiste neben mir ab und wischte einmal über den Deckel. Es hatte sich doch etwas Staub darauf angesammelt, so lange war sie nicht mehr geöffnet worden. Ich zögerte, hob dann jedoch den Deckel an und legte ihn kurzerhand neben die Kiste auf die Bettdecke. Keines der Fotos befand sich noch in einem Rahmen, weshalb ich einen Teil auf die Hand nahm und sie durchschaute. Pferde, Pferde und noch mehr Pferde befanden sich auf den Bildern.
      Ich legte den durchgeschauten Stapel zur Seite und nahm einen neuen. Bilder vom Rodeo, Bilder von Louis und mir, von Verena, von Aaron und Alexis, von Bellamy und Octavia, von der Gips Reminder Ranch und schließlich, bei den letzten Bildern, von Ylvi und mir.
      Mit zitternden Fingern griff ich nach einem Foto, in dessen Moment ich überglücklich gewesen war. Ylvi und ich auf einem Ausritt, ich lehnte mich zu ihr rüber und küsste sie, während sie das Handy hielt und ein Selfie schoss. Das nächste Foto war einen Moment später aufgenommen worden, als ich mich von ihr gelöst und sie mit ‘diesem Blick’ ansah. Wann war das passiert? Wann waren die Schmetterlinge in meinem Bauch zurückgekehrt? Ich hatte sie doch sorgfältig in die hinterste Ecke verbannt…
      Ungeachtet der in der Kiste verbliebenen Fotos packte ich alle zurück, schloss den Deckel und stellte sie wieder in den Schrank. Seufzend fuhr ich mir durchs Haar. Länger als sonst strichen meine Hände hindurch. Die blonden Locken brauchten mal wieder dringend einen Haarschnitt. Am morgigen Tag würde ich Dolly danach fragen, es war nicht das erste Mal, dass sie mir die Haare schnitt.
      Ich machte mich bettfertig und kroch unter die Decke. Wohlwissend, dass meine Gedanken wohl die ganze Nacht kreisen würden.
      “Hübsch siehst du aus, Caleb”, zog Octavia mich zum wiederholten Mal auf und streichelte mir durch die kurzen Haare.
      “Mensch O, kannst du deine Pfoten mal bei dir behalten?”, fuhr ich sie scherzhaft an und setzte mir den Hut auf den Kopf, bevor sie zu einer neuen Attacke ansetzen konnte.
      Meine blonden Locken waren verschwunden, Dolly hatte sie ein wenig zu kurz geschnitten, allerdings passten sie jetzt wunderbar unter den Cowboyhut, welchen ich nicht ständig wieder nach unten drücken musste, weil die Locken ihn anhoben.
      “Auf der Glamourparty kann ich mir richtig vorstellen, wie deine kurzen und gepflegten Haare deinen Look verschönern”, machte O weiter.
      “Die Locken waren auch gepflegt…”, grummelte ich in meinen Bart hinein, erntete jedoch nur ein Kichern, in das Ylvi einstimmte. “Ach, du bist also auch ihrer Meinung?!”
      Ylvi fuchtelte wild mit den Händen vor ihrem Körper herum, um mich zu beschwichtigen. “Neeeein, auf keinen Fall.” Ihr Grinsen verriet sie jedoch.
      Betsy unterbrach das Gelächter, als sie mit ihrem Koffer gegen den Rahmen der Haustür rumpelte. “Ich helf’ dir, warte.”
      Mit einem Satz stand ich vor der Tür, griff nach dem Koffer und hob ihn schließlich behände in den Kofferraum des Wagen.
      “Ah, da kommt Louis auch schon mit Sue”, sagte Octavia, was mich herumfahren ließ. Nach einem kurzen Gespräch mit Louis hatten wir uns dazu entschieden, dass die drei eigene Pferde mitnahmen. Sue und Kiss waren schnell für die Mädchen gefunden worden, am Pferd für Louis hatte es allerdings gehapert. O hatte ihm Pria angeboten, doch als Tschetan sagte, er würde sich wünschen, dass er Sungila mitnimmt, war die Entscheidung schnell gefallen.
      “Magst du sie reinführen?”, wandte sich Louis an Betsy und hielt ihr den Strick hin.
      “Klar.” Sue ging wie immer grottenbrav auf den Hänger und ließ sich anbinden.
      Wenig später kam Tschetan mit Sungila und Kaya mit Kiss. Beide Pferde wurden eingeladen und die Rampe geschlossen.
      Betsy, die neben mir stand, legte ich einen Arm um die Schulter. “Jetzt heißt es wohl, auf Wiedersehen zu sagen", murmelte ich.
      Betsy sah zu mir hoch und lächelte. “Zwei Wochen ist doch gar nix, die gehen soooo schnell vorbei, ich würde lieber länger fahren!”
      Ich schluckte. “Betsy du weißt, die zwei Wochen ist das, was uns erlaubt ist und…”
      “Ja, Caleb. Ich weiß.”
      Wann war sie bloß so erwachsen geworden?
      Ich umarmte sie einmal fest und spürte, dass ihr Druck, mich zu umarmen, dem Meinen ziemlich gleich kam. “Ich wünsche dir ganz viel Spaß, ja? Und du darfst dich ruhig zwischendurch mal melden!” Meine letzten Worte kamen fast einem Tadel gleich, aber Betsy wusste genau, wie sie gemeint waren.
      “Wann immer ich Netz habe”, meinte sie allerdings schulterzuckend und löste sich von mir, um ihr Shirt zurecht zu ziehen.
      Dann verabschiedete sie sich vom Rest der Truppe. Mein Blick flog zu Ylvi und Louis hinüber, die sich flüsternd unterhielten, während sie Kaya und Tschetan fest umarmten. Die Kinder lösten sich von ihnen, um sich nochmal kurz gegenseitig zu drücken. Als Ylvi und Louis zum Kuss ansetzten, wandte ich mich ab und sah Betsy weiter zu. Am Rande meines Blickfeldes konnte ich trotzdem den Kuss der beiden sehen. Verstohlen huschten meine Augen zu ihnen hinüber und ich registrierte den Wangenkuss. Bevor ich dies jedoch weiter hinterfragen konnte, zog mich Betsy an der Hand in Richtung Auto. Die anderen folgten uns.
      Auch ich verabschiedete mich von Kaya, nickte Louis mit einem “Pass gut auf die Mädchen auf” zu und wollte mich gerade abwenden, als ich seine Stimme hinter meinem Rücken vernahm. Ich wandte mich ihm wieder zu.
      “Caleb?” sprach Louis leiser in meine Richtung: "Hab du ein Auge auf Ylvi und Tschetan, ja?” Ich nickte… etwas verzögert. Hatte Louis gezwinkert? Nein, das musste Einbildung gewesen sein.
      Durch die offenen Fenster winkend verließen die drei den Hof. Aus dem Augenwinkel sah ich Tschetan, der einen Arm um Ylvi legte, die sich leicht nach Halt suchend gegen ihn lehnte. Ich seufzte. Zu gerne würde ich den Platz mit ihm tauschen, Ylvi Halt bieten und… ja was eigentlich? Darüber musste ich mir endlich klar werden, auch wenn es eigentlich zu spät war. Oder gab es Hoffnung? Der Wangenkuss wollte nicht aus meinem Gedächtnis verschwinden.
      “So”, riss O alle Anwesenden aus ihren Gedanken. “Du und du”, dabei zeigte sie auf Ylvi und Aimee, “wir fahren jetzt shoppen. Ich kenne einen Laden in Calgary, da finden wir genau das Richtige für die Party morgen Abend!” Sie wandte sich Tschetan zu und wollte erneut ansetzen, doch der suchte sofort das Weite.
      “Gute Entscheidung, Tschetan”, rief ich ihm lachend hinterher, während er in Richtung der Stallungen joggte.
      “Du wolltest den wirklich mit auf unseren Mädelstrip nehmen?”, grinste Aimee.
      “Ach was, wir brauchen doch jemanden, der unsere Kleider und die Schuhe und den Schmuck trägt!”
      Ylvi stöhnte auf.
      “So schon mal gar nicht, Ylvi! Wir könnten… ähm Bellamy, du kannst doch bestimmt mitkommen?”
      Doch Bellamy schüttelte den Kopf, zeigte auf Laurence und murmelte “Haben was vor”. Damit verschwanden die zwei in Richtung des Reitplatzes, gefolgt von … Dolly? Ich starrte ihnen hinterher.
      “Caleb, dich frag ich erst gar nicht…”, murrte O, “obwohl es deinem Kleiderschrank durchaus gut tun würde, wenn du mit drei Frauen shoppen fahren würdest.”
      Ich schüttelte den Kopf. “Habt ihr nicht gesehen, dass Dolly hinter Bellamy und Laurence her ist? Ich muss schauen, was die drei im Schilde führen… aber euch viel Spaß.” Ich zwinkerte den Damen zu und folgte Dolly.
      Fohlenweide: Run Outta Color, BR Wimpys Blue Gun, BR South Texas Gangster, BR Rebel Hearted, BR Heavens Wild Side, BR Devils Angel Eyes
      Jungpferde: Blue Fire Cat, BR Atlantis Dream, BR Colored in Style, BR Dress to Impress, BR Homecoming Queen, BR Raised to Slide, BR Sheza Topnotch Babe, BR Wimpys Bright Gangster, Captains Blue Crystal, Gun Sophie, Jacks Inside Gunner, BR Alans Smart Dream, BR Colonels Golden Gun, BR Colonels Lil Joker, BR Double Gunslide, BR General Pleasure, BR Heart N‘ Soul, BR Hollywooda Dream Anthem, Chocolate Dazzle, Rocking Waves
      Trainingsstall: Bittersweet Temptation, Whitetails Shortcut, Zues, Abandon all Hope, HMJ Courtesy, HMJ8345’s Continental, Lady Blue Skip, Tortured Witch HMJ 6693, Blanton’s Gentleman, Chic N‘ Shine, Four Bar Chocolate Becks, GRH’s Funky’s Wild Berry, HMJ Saintly, How‘ Bout Moonies, PFS‘ Unclouded Summer Skies, Smart Lil Vulture, tc Mister’s Silvermoon Cody, Thiz Bye Bye Bay
      Zuchthengste: Small Town Dude, Dual Shaded Ace,GRH’s Bellas Dun Gotta Gun, GRH’s Unbroken Soul of a Devil, Gun and Slide, Gunners Styled Gangster, Heza Bat Man, Till Death, HGT’s Unitato, Chapman
      Zuchtstuten: Up Town Girl, Black Sue Dun It, California Rose, DunIts Smart Investment, Easy Going, Frosty Lagoon, Ginger Rose, Ginny my Love, GRH’s A Gun Colored Lena, GRH’s Aquila T Mistery, GRH’s Unbroken Magic, Lovin‘ Out Loud, Magnificient Crow, Only Known in Texas, Stormborn, Striga, Tainted Whiz Gun
      Einsteller: Breia LDS, Ceara Isleen, Dakota, Drama Baby, Leuchtfeuer di Royal Peerage, Moonshine LDS, Pocahontas, Prias Colourful Soul, Raspbery, Tigres Eye, Wunderkerze LDS, Absolute Bullet Proof, Alaric, Birk, Culain, Fancy Like Romeo, Heldentum LDS, Myrkvidr, Peacful Redemption, Vandal LDS, WHC‘ Happy Sunshine, Wildfire xx
      Dells Rookie Ranch: Cleavant ‘Mad Eyes‘, A Walking Honor, Chou, Jade, Like a Prayer, Kristy Killings, Honey’s Aleshanee, Colonels Blue Splash, Kisshimbye, BR Dissident Whiz, Sweet like Chocolate
      Übergangsweise: Priamos Ruffia Kincsem, Wimpys Little Devil, Miss Independent, Snapper Little Lena
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    BRR Einsteller
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    21 Dez. 2021
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  • Exterieur
    Name: Moonshine LDS
    Rufname: Moonie
    Alter: Juni 2018, 4 Jahre
    Geschlecht: Stute
    Größe: 1,60m
    Rasse: Standardbred
    Fellfarbe: (Sooty) Palomino Splash (ee Aa nCr nSty nSpl)


    Stammbaum
    Von: Vintage
    Aus der: Fly me to the Moon


    Charakter & Beschreibung:
    - zuverlässig, genügsam, neugierig, tollpatschig, 5 Gänger
    - testet Zäune, jeden Tag. Wirklich, immer.



    Zuchtinfos

    Gekört/Gekrönt: nein

    Besitzer: Veija ( ? )
    Vorbesitzer: Mohikanerin
    Gezüchtet bei/Zucht: Lindö Dalen Stuteri, Schweden

    VKR: Veija

    Kaufpreis: 790 Joellen
    Zu Verkaufen: nein


    Qualifikationen:

    nicht eingeritten
    nicht eingefahren


    Dressur E/L
    Distanz E
    Rennen E/M
    Fahren E/A
    Gangreiten E/L
    Springen E
    Military E


    Western



    Erfolge:


    Gesundheit:
    Gesundheitszustand:
    Letzter Besuch:

    Hufschmied:
    Hufzustand: gut
    Letzter Besuch:
    Beschlag: